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Archiv
für
Mikroskopische Anatomie
und
Entwicklungsgeschichte
herausgegeben
von
OÖ. Hertwig in Berlin
v.la Valette St. George in Bonn
und
W. Waldeyer in Berlin
Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie
Neunundsechszigster Band
Mit 25 Tafeln und 85 Textfiguren
Bonn
Verlag von Friedrich Cohen
1907.
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Inhalt.
Seite
Zur vergleichenden Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. Von
Josef Müller, approb. Tierarzt aus Neresheim, Volontär-Assistent.
(Aus dem Anatomischen Institut der Kgl. Tierärztlichen Hochschule
zu Stuttgart. [Direktor Prof. Dr. Sussdorf.]) Hierzu Tafel I. 1
Geschlechtsbestimmende Einflüsse und Eibildung des Dinophilus apatris.
Von Hans Freiherrn von Malsen. Hierzu Tafel I . ...6
Histologische Untersuchungen über das Muskelgewebe. II. Die Myofibrille
des embryonalen Hühnerherzens. Von Dr. Gustav Schlater. (Aus
dem Laboratorium des Marinehospitals in St. Petersburg.) Hierzu
Tal TITTEN RR re a el u ee 0,0)
Beiträge zur Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. Von B. Haller,
a. o. Professor der Zoologie an der Universität zu Heidelberg. Hierzu
BaseleV- Vall,und. 29. Bextheuren ?' . - 2 „un. ann. 2187
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. Von Alexander
Jssaköwitsch. (Aus dem Zoologischen Institut München.) Mit
1 Tele este er a De
Zur Kenntnis der Spinalganglienzellen. Von M. v. Lenhosscek in
Badapest. Hrerzu Tafel IX und... Sun... 02m
Konformation, Struktur und Entwicklung der Bürzeldrüse bei verschiedenen
Vogelarten. Von Dr. Bernardino Lunghetti, Volontär-Assistent.
(Aus dem Institut für menschliche Anatomie der kgl. Universität zu
Siena [Prof. S. Bianchi].) Hierzu Tafel XI und XII und 11 Text-
figuren a a er. Bit . 264
Über die Chromreaktion der Glandula coceygea und die Beziehungen dieser
Drüse zum Nervus sympathicus. Von Privatdozent Dr. Oskar
Stoerk. (Aus dem pathologisch-anatomischen Institut in Wien.
Vorstand: Prof. Weichselbaum.) Hierzu 2 Textfiguren . . . . 322
Die erste Anlage der Arterien der vorderen Extremitäten bei den Vögeln.
Von Hans Rabl. Hierzu Tafel XIII—XV und 14 Textfiguren . . 340
Studien über das Blut und die blutbildenden und -zerstörenden Organe.
IV. Weitere Mitteilungen über rote Blutkörperchen. Technisches,
Tylopoden - Erythrocyten, Kernreste, basophile Körnelung, Pseudo-
strukturen. Von Dr. Franz Weidenreich, a. o. Professor und
Prosektor. (Aus dem anatomischen Institut in Strassburg.) Hierzu
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Die „minimalen Räume“ im Körper. Von P. Schiefferdecker.. . . 439
2 Josef Müller:
Es fehlt auch nicht an Stimmen, welche die Notwendigkeit
weiterer Untersuchungen der Lungen anerkennen. Kölliker (25)
z. B. kommt gelegentlich einer vergleichenden Studie der Lunge
des Menschen und des Hundes zu dem Ausspruch: „Mit Alveolen
so reich besetzte Gänge wie diese, kommen meinen Erfahrungen
zufolge beim Menschen nicht vor und ergibt sich hieraus, dass
genauere Prüfungen wohl noch manche feine Unterschiede bei
verschiedenen Geschöpfen ergeben werden.“ Auch Oppel (48)
betont die Notwendigkeit neuerer Untersuchungen, speziell der
Drüsen, welche sich in der Bronchialwand befinden.
Und so liessen sich noch manche Punkte im histologischen
Aufbau des Atmungsorganes ausfindig machen, zu deren Auf-
klärung noch viel Arbeit nötig wäre; ich darf nur an den nervösen
Apparat der Lunge erinnern. Auf sie alle einzugehen, liegt nicht
im Sinne dieser Arbeit: ich habe mir vielmehr die Aufgabe gestellt,
nur den Bau der feineren Bronchien, des Lungenparenchyms und
der Pleura, namentlich unter Berücksichtigung des elastischen
Gerüstwerkes bei unseren Haussäugetieren, zu untersuchen, wobei
die Anordnung der Blut- und Lymphgefässe sowie diejenige der
Nerven nicht besonders berücksichtigt wurden und deshalb auch
nur gelegentliche Erwähnung finden sollen.
Durch meinen hochverehrten Lehrer, Herrn Direktor Prof.
Dr. Sussdorf, wurde ich zu dieser Arbeit angeregt. Es ist mir
daher eine angenehme Pflicht, ihm für das -grosse Interesse, mit
welchem er meine Arbeit unterstützt und gefördert, sowie für die
Bereitwilligkeit, mit welcher er mir alle Mittel und Einrichtungen
des Instituts zur Verfügung gestellt hat, auch an dieser Stelle
meinen aufrichtigsten Dank zum Ausdruck zu bringen. Auch
Herrn Prosektor Dr. Fritz sei für die liebenswürdige Unter-
stützung, welche er meiner Arbeit zuteil werden liess, herzlicher
Dank gesagt.
Material und Technik.
Zur Untersuchung gelangten die Lungen von Pferd, Rind,
Schaf, Ziege, Schwein, Hund, Katze und zur Untersuchung der
Poren in den Lungenalveolen auch die des Kaninchens. Die
untersuchten Lungen wurden den meist gut ausgebluteten Tieren
lebenswarm entnommen.
Die Fixierung geschah in absolutem Alkohol oder 4°/o
Formaldehydlösung und zwar so, dass die Fixierungsflüssigkeit
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 3
durch einen in die Trachea eingebundenen Trichter — die Injektion
der Fixierungsfüüssigkeit mittels einer Spritze kam nur aus-
nahmsweise zur Anwendung — in die Lufträume der Lunge ver-
bracht, wobei die Luft meist gut entwich, und die Trachea dann
nach Herausnahme des Trichters zugebunden wurde. Von den
Lungen der grossen Haustiere wurden auch nur Lappen durch
einen grösseren Bronchus in der angegebenen Weise fixiert. Die
so gefüllten Lungen bezw. Lungenabschnitte wurden dann in die
entsprechende Flüssigkeit gelegt und zwar in Alkohol absolutus
48 Stunden, in 4°/o Formaldehydlösung 4 Tage und noch länger.
Aus den so fixierten und gehärteten Lungen wurden Würfel
von 0,5 bis 1,2 cm Kantenlänge mit dem Rasiermesser heraus-
geschnitten, die in Formalinlösung fixierten Lungenstücke in
aufsteigendem Alkohol entwässert. Die Aufhellung fand in Xylol
oder in Cedernöl (wenn die Teile viel Knorpel enthielten) statt.
Die Einbettung geschah in Paraffın und die Stücke verblieben
darin oft mehrere Tage, um die Luft, die etwa noch zurückgeblieben
war, ganz zu entfernen. Dabei wurde die Beobachtung gemacht,
dass der längere Aufenthalt in Paraffın für das Objekt keine
nachteiligen Folgen hatte. Das Mischungsverhältnis des Paraffins
wechselte je nach der Temperatur der Jahreszeit, im allgemeinen
aber wurde das weichere Paraffın vorgezogen.
Die Schnitte wurden mit dem von Becker modifizierten
Zimmermannschen Mikrotom angefertigt, und zwar in einer
Dicke von 4—9 «u. Es wurden aber auch Schnitte von 15-—-30 u
Dicke hergestellt, da an dickeren Schnitten das Verhältnis der
Fasern zueinander besser erkennbar ist. Um den Einfluss der
Schnittriehtung auf das Bild, welches ein Schnitt liefert, kennen
zu lernen, wurden versuchsweise an ein und demselben Stück
Schnitte senkrecht und parallel zur Pleura ausgeführt. Der
Vergleich der verschiedenen Schnitte zeigte, abgesehen von dem
Fehlen des Pleuradurchschnittes an den Parallelschnitten, keine
Verschiedenheit. Hier wie dort sah man Bronchiolen, Alveolen-
gänge usw. quer, längs oder schief getroffen. An den mit Eiweiss-
glyzerin auf den Objektträger aufgeklebten Schnitten wurde
das Paraffin mit Xylol aufgelöst und dann die Färbung vor-
genommen.
Als Kernfarbstoffe kamen zur Anwendung: Hämatoxylin,
Hämalaun, Boraxkarmin und Lithionkarmin. Die Bindegewebs-
1*
4 Josef Müller:
färbung geschah mit Eosin, Fuchsin oder nach der von Hansen (15)
angegebenen Methode mit Pikrinsäure-Säurefuchsin. Die elastischen
Fasern wurden nach der Weigertschen Methode (73) gefärbt
und zwar wurden die Präparate 1—24 Stunden in der Farbstoff-
lösung belassen; die Differenzierung geschah mit 95°/, Alkohol,
wobei dann die elastischen Elemente sehr schön zur Anschauung
gelangten. Kontrollfärbungen wurden mit Örcein ausgeführt.
Die Drüsen wurden teils nach Vornahme einer Kernfärbung
in Glyzerin untersucht, teils wurden spezifische Schleimfärbungen
ausgeführt und zwar dienten als Schleimfarbstoffe Thionin, Muci-
karmin, Muchämatein und Methylenblau, wodurch der Schleim
bezw. die schleimähnlichen Stoffe sehr gut gefärbt zur Ansicht
kamen. Die so tingierten Schnitte wurden entweder in Glyzerin
oder in Balsam eingebettet.
Ausser den in der gewöhnlichen Weise ausgeführten Gefäss-
injektionen stellte ich noch, um die Lufträume kennen zu lernen,
an den verschiedenen Lungen Metallkorrosionspräparate her,
wobei ich die von Wickersheim erprobte Legierung (Blei 32,
Zinn 16, Wismuth 60, Kadmium 12 und Quecksilber 10 Teile) zur
Anwendung brachte. Das im Wasserbad flüssig gemachte Metall
wurde durch die Trachea oder einen grösseren Bronchus ein-
gespritzt, nachdem die Lunge vorher längere Zeit im Wasser von
65° gut vorgewärmt worden war; ich fand, dass diese vorherige
Durchwärmung für das Gelingen der Injektion von grösstem
Einfluss ist. Die Mazeration der Weichteile erfolgte in 10°/o
Kalilauge.
Bei der Imprägnierung der Luftwege mit 0,2°/o Silbernitral-
lösung zum Zwecke der Sichtbarmachung der respiratorischen Epi-
thelien wich ich insofern von der sonst üblichen Methode ab, als
ich die mit Silbernitrat gefüllten Lungen nach einigen Tagen in
aufsteigendem Alkohol unter Abschluss des Lichtes härtete und
dann Stücke derselben genau so wie bei den übrigen Lungen in
Paraffın einbettete und schnitt. Die mit Xylol vom Paraffın
befreiten Schnitte wurden in Canadabalsam oder in Glyzerin
eingebettet und dem direkten Sonnenlichte ausgesetzt, wodurch
die Zellkonturen als dunkelbraune Linien zum Vorschein kamen.
Um mir über den Wert der von Hansemann zur Dar-
stellung der Poren in der Alveolarwand angewandten Leim
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 5)
injektionsmethode ein Urteil bilden zu können, ahmte ich dieselbe
nach der im folgenden beschriebenen Methode genauestens nach:
„Wie Hermann nachgewiesen hat, kann man eine Lunge
atelektatisch machen, indem man sie mit Kohlensäure auswäscht,
worauf dann die Kohlensäure resorbiert wird. Ich modifizierte
den Hermannschen Versuch in der Weise, dass ich nicht die
herausgeschnittene Lunge mit Kohlensäure füllte, sondern das
lebende Tier unter eine Glocke brachte, in die Kohlensäure ein-
geleitet wurde, bis der Tod des Tieres eingetreten war. Wenn
man dann die Lunge herausschneidet, so wird sie nach kurzer
Zeit atelektatisch und zeigt keinerlei pathologische Veränderungen.
Die Injektion erfolgte von der Trachea aus mit einer Lösung
wasserlöslichen Berliner Blaus und Zusatz von Gelatine unter
einem möglichst geringen Druck, so dass die Alveolen nicht über
das normale Maß ausgedehnt wurden.“
Zur Feststellung des Verlaufes der elastischen Fasern der
Pleura wurden Stücke derselben von den Lungen frisch getöteter
Tiere abgezogen und sofort in physiologischer Kochsalzlösung
oder Glyzerin untersucht. Andere Stücke wurden unter mässigem
Zuge auf einer Korkplatte ausgespannt und mit Igelstacheln
darauf befestigt. Die Fixierung geschah in absolutem Alkohol,
wodurch die Pleura eine gewisse Festigkeit erhielt, so dass sie
nach der Abnahme von der Korkplatte ihre Dehnung beibehielt.
Sie wurde dann in ausgespanntem Zustande in einer flachen Schale
mehrere Stunden lang nach der Weigertschen Methode oder mit
Orcein gefärbt, der überschüssige Farbstoff mit 95°/o Alkohol
ausgezogen und die Pleura in kleine Rechtecke oder Quadrate
zerschnitten, welche mit Xylol aufgehellt und in Canadabalsam
eingebettet wurden.
Die feineren Bronchien.
Dem geringen Bedürfnis der luftleitenden Wege nach Form-
und Lageveränderlichkeit entsprechend, ist auch die Wand der
Bronchien von starrer Beschaffenheit und geringer Kontraktilität.
Ihr feinerer Aufbau hat zwar in den Lehrbüchern der mikro-
skopischen Anatomie eine allgemeine Beschreibung gefunden, hin-
sichtlich der einzelnen ihre Wandung erstellenden Gewebe jedoch
sind die Angaben nicht hinreichend genau. Es haben daher in
neuerer Zeit v. Czylarz (6) die Trachea und die Bronchien des
6 Josef Müller:
Menschen und Linser (34) die Lunge des Menschen und einiger
Tiere (Rind, Kaninchen, Hase, Hund, Pferd, Schwein, Reh und
Hirsch) hinsichtlich der Anordnung der elastischen Fasern zum
Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht.
Linser (34) beschreibt den Aufbau der Bronchien des
Menschen wie folgt: „Die Wand der grösseren Bronchien unter-
scheidet sich von den Bronchiolen hauptsächlich durch das Auf-
treten von Knorpel. Sie besteht unter dem meist mehrzelligen
Zylinderepithel und einer hier immer deutlichen Basalmembran
aus einer Lage von meist längsziehenden, ziemlich derben elastischen
Fasern. Darüber liegt die hier schon kontinuierliche Schicht von
zwei, drei übereinander liegenden, zirkulär angeordneten Muskel-
fasern, die nur von feinsten, starkgekräuselten elastischen Fibrillen
durchzogen, sowie da und dort von Ausführungsgängen der
Schleimdrüsen auseinandergedrängt wird.
Über der Muskulatur ordnen sich die Bronchialknorpel um
das Lumen an. Dieselben sind eingelagert in eine je nach der
Grösse des Bronchus mehr oder weniger breite Bindegewebs-
schichte, die von zahlreichen elastischen Fasern durchsetzt ist.
Dieselben verdichten sich am Rand der Knorpel zu einem dichten
Ring, dessen Ausläufer zum Teil ziemlich reichlich und auf längere
Strecken im hyalinen Gewebe zu verfolgen sind. Ein konstantes
Vorkommen von elastischen Fasern im Bronchialknorpel ist jedoch
nicht zu konstatieren; auch hier spielen, wie es scheint, individuelle
Verschiebungen eine Rolle. Relativ häufiger findet man sie bei
jugendlichen Individuen, vor allem bei den später zu besprechenden,
embryonalen. Sie sind eingebettet in die hyaline Grundsubstanz
ohne eine Beziehung zu den Kernen.“
Diese Angaben stimmen mit den Befunden von v. Czylarz,
welche Linser übrigens nicht erwähnt, im wesentlichen überein.
Die Beschreibung, welche Linser über die Bronchien der von
ihm untersuchten Tiere gibt, ist nur allgemeiner Natur.
Unsere Haussäugetiere zeigen einen dem des Menschen
ähnlichen Aufbau der Bronchialwand, welcher sich im allgemeinen
folgendermassen gestaltet:
Unter dem in den feineren Bronchien noch mehrschichtigen
(ein- bis dreischichtigen), zahlreiche Becherzellen aufweisenden
Epithel, welches einer nicht mehr recht deutlichen Basalmembran
aufsitzt, liegt die Propria mucosae. Diese besteht in ihrem dem
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 7
Lumen naheliegenden Teile aus feinen, nicht sehr dicht liegenden
elastischen und kollagenen Fasern, welche in der Regel längs,
teilweise aber auch quer bezw. schief verlaufen. In diesem Teile
der Schleimhaut liegt, wie man an Präparaten sehen kann, welche
durch einen Ast der A. pulmonalis injiziert wurden, ein reichver-
zweigtes Kapillarnetz, das am querdurchschnittenen Bronchus
sich als eine der welligen Oberfläche parallellaufende Reihe in
nahezu regelmässigen Abständen wiederkehrender Gefässdurch-
schnitte präsentiert. Daran schliesst sich eine dichte Lage derber
elastischer Fasern an, welche kleine Gefässe in geringer Anzahl
zwischen sich beherbergen. Diese Faserschicht wird von den
Ausführungsgängen der Drüsen durchbrochen. Die Fasern ver-
laufen in der Längsrichtung und kreuzen sich vielfach unter
spitzem Winkel. Während sie in der faltenlosen Schleimhaut
eine gleichmässig starke Lage darstellen, sieht man sie da, wo
die Schleimhaut Falten bildet, als dreieckige, die Oberfläche zum
Wellenberg erhebende Gruppen erscheinen, sie bilden hier also
Faserbündel von dreikantig prismatischer Form (Taf. I, Fig. 2e).
Die nun folgende Muskelschichte ist mit der Propria durch
lockeres, spärlich elastische Fasern führendes Bindegewebe derart
verbunden, dass sich die Fasern teilweise zwischen die Muskel-
zellen hineinziehen. Sie bildet keineswegs eine zusammenhängende
Haut, sondern legt sich, durch Bindegewebe septiert, in Bündeln
quer um die Propria herum. Die Bündel weichen da und dort
auseinander, um Drüsenschläuchen Aufnahme zu gewähren.
Zwischen den einzelnen Muskelzellen ziehen sich, ähnlich wie bei
der Muskularis der Gefässe teils stark gekräuselte, teils mehr
geradlinig verlaufende elastische Fasern und Fäserchen hin, welche
am Rande der Muskelbündel dichter und zahlreicher auftreten.
Die dritte, die Bronchialwandung miterstellende Haut ist
lockerer gebaut als die bisher genannten. Sie besteht aus faserigem
Bindegebe, in welchem mehr oder weniger zahlreiche, teils längs,
teils quer verlaufende elastische Fasern sich nicht selten zu Zügen
und Streifen vereinigen. Diese Faserhaut, welche mit den Muskel-
bündeln durch zahlreiche elastische Fasern in Verbindung steht,
ist der Sitz mehr oder weniger zahlreicher, von einzelnen zarten,
elastischen Fasern umsponnener Drüsen (s. u.) und die Trägerin
der Blut- und Lymphgefässe sowie der Nerven und wird durch
Einlagerung von Knorpelplatten verstärkt. Um diese letzteren
8 Josef Müller:
herum bilden die elastischen Fasern ein bei den verschiedenen
Tierspezies verschieden dichtes Netzwerk und ziehen sich auf
kurze Strecken in den Knorpel hinein. In diesem Teile der
Bronchialwand beobachtet man ferner nicht selten Anhäufungen
von Iymphadenoidem Gewebe; auch Einlagerungen von Fettzellen,
zu kleineren Häufchen gruppiert, sind ein gewöhnliches Vor-
kommnis (s. Taf. I, Fig. 1 FG). Den Abschluss gegen das an-
srenzende Lungengewebe bildet ein feines, in der Längsrichtung
der Bronchien verlaufendes Netz von elastischen Fasern.
Dieser Bau der Bronchialwand wiederholt sich mit einigen
Modifikationen bei allen unseren Haussäugetieren. Beim Pferd
sind die elastischen Fasern der Propria dick und auch sehr zahl-
reich. In der Muskularis finden sich ebenfalls viele, aber feine
elastische Fasern, während diejenigen der Faserhaut wieder er-
heblich dicker und auch sehr zahlreich sind. Um die Knorpel
liegt ein dichtes Netz derber elastischer Fasern.
Das elastische Substrat der Propria des Rindes ist sehr
grobfaseriger Natur. In der Muskularis lassen sich ebenfalls,
ähnlich wie beim Pferde, elastische Fasern erkennen, welche die-
jenigen des Pferdes an Dicke noch übertreffen und auch an Zahl
nicht geringer sind. Um die Knorpel bilden sie ein dichtes Ge-
flecht und ziehen sich vom Rande der Knorpel aus als starke
elastische Faserzüge parallel zu den Muskelbündeln in der Faser-
haut dahin. In der Lagerung der Knorpel scheinen ausnahms-
weise auch Verschiebungen vorzukommen. Am PBronchus eines
Kalbes sah ich nämlich einen Knorpelkern zwischen der Propria
und der Muskularis liegen.
Die elastischen Fasern der Bronchialwand des Schafes sind
in allen Teilen viel zarter und weniger zahlreich wie diejenigen
der bisher besprochenen Tiere. So entbehren namtlich die Muskel-
und Faserhaut der starken elastischen Beimengung und auch das
die Knorpelplatten umspinnende elastische Netzwerk ist viel zarter
Ähnlich wie beim Schafe verhält sich auch das elastische
Gerüst bei der Ziege; es ist jedoch insofern etwas kräftiger,
als die elastischen Fasern zahlreicher sind.
Von ganz beträchtlicher Stärke ist dagegen das elastische
Gerüst der Bronchialwand des Schweines; es erreicht zwar nicht
ganz die Mächtigkeit desjenigen des Pferdes, gleicht ihm aber in
der Anordnung sehr.
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. I
Der Hund weist in seiner Bronchialwand ein der Ziege an
Stärke gleichkommendes elastisches Faserwerk auf. Die Fasern
sind von mittlerer Dicke und finden sich ziemlich zahlreich.
Das elastische Gerüstwerk der Bronchialwand der Katze
ist sehr zarter Natur. Am kräftigsten sind die Fasern der
Propria (s. Taf. I, Fig. 1 Pr); die von Linser (34) und v.Czylarz (6)
gemachte Beobachtung, dass im Knorpel da und dort elastische
Fasern vorkommen, kann ich für die Katze bestätigen. Bei den
übrigen Tieren habe ich sie nicht gefunden.
In der Wand der Bronchien finden, wie bereits oben an-
gedeutet wurde, mehr oder weniger zahlreiche Drüsen Aufnahme.
Über den histologischen Aufbau dieser Drüsen sind die Literatur-
angaben nicht sehr zahlreich; Oppel (48) bringt diesen Mangel
durch folgende Bemerkung zum Ausdruck: „Eine eingehende
neuere Darstellung über die Anordnung der Drüsen der Atmungs-
wege und über das Vorkommen des einen oder anderen Typus
der Schläuche (seröse oder Schleimzellen) bei verschiedenen
Säugetieren fehlt, so dass hier jeder kleine Beitrag er-
wünscht ist.“
Seit einer Reihe von Jahren besteht bekanntlich ein Streit
darüber, ob die Drüsen des Atmungsapparates dem gemischten
Typus angehören oder ob es reine Schleimdrüsen sind. Über
die Drüsen der oberen Luftwege des Menschen und verschiedener
Haussäugetiere liegen eine Reihe von Arbeiten vor: mit den-
jenigen der feineren Bronchien haben sich nur wenige beschäftigt.
Diese Drüsen werden in den Lehrbüchern als Schleimdrüsen auf-
gefasst. So beschreibt sie Sussdorf (65) folgendermassen: „Die
Drüsen der Bronchialschleimhaut zeigen im wesentlichen den
Charakter der Trachealdrüsen. In den grösseren Bronchien in
reichlicherer Menge und stärkerer Entwicklung als „platt-kuchen-
artige“, geknäuelte und vielfach abgeknickte, verästelt-tubulöse
Schleimdrüsen den Interstitien der Bronchialknorpel oder der
äusseren Faserhaut eingelagert, erscheinen sie ausserdem sowohl
in der inneren Schicht dieser als auch in den kleineren Bronchien
als wenig umfangreiche, beim Pferd oft nur bauchig-erweiterte
Schläuche mit einfachem, kegelförmigem Zellenbelag, der zu-
weilen in Schleimbildung begriffen scheint. In den kleineren
Bronchien ist der Drüsengehalt jedenfalls ein sehr geringer, am
bedeutendsten noch beim Schweine.“
10 rose Minbler:
Ellenberger und Günther (9) bezeichnen sie als den
Trachealdrüsen ähnlich.
Eber (7) hat gelegentlich seiner Untersuchungen über
multiple Adenombildung in den Lungen des Schafes einige be-
merkenswerte Besonderheiten in Beziehung auf den histologischen
Bau der normalen Schlaflunge zur öffentlichen Kenntnis gebracht,
auf die wir weiter unten zurückkommen werden. In einem Auf-
satze „Sur la structure des glandes bronchiques“ hat Bonne (4)
einige Angaben gemacht, welche nach dem Referat von Holl (20)
Bd. VII, kurz angeführt werden sollen: „Bonne untersuchte den
Bau der Bronchialdrüsen bei verschiedenen Tieren und dem
Menschen. Die genannten Drüsen sind sehr ungleichmässig bei
den einzelnen Tierspezies verteilt. Sehr selten sind sie bei den
Nagern, zahlreich bei den Wiederkäuern, weniger zahlreich beim
Hunde und Menschen. Die Acini oder ramifizierten Tubuli dieser
Drüsen sind von granulierten Zellen gebildet, welche mehr oder
weniger albuminoide Substanzen sezernieren. Beim Schafe und
besonders beim Hunde sind die serösen Acini bei weitem die
zahlreichsten. Beim Rind sind seröse und muköse Acini in ihrer
Anzahl fast gleich. Sehr häufig findet man mitten in den Zellen,
welche die Acini der serösen Drüsen auskleiden, Elemente, welche
körniges Ferment enthalten. Diese unterscheiden sich leicht von
den Proteingranula. Das Cytoplasma und das Sekret der granu-
lierten Zellen können gewisse Eigentümlichkeiten aufweisen, wo-
durch sie den muciparen Zellen näher gerückt erscheinen.“
Hiernach würden die Bronchialdrüsen dem gemischten Typus
angehören. Bemerkenswert ist jedoch, dass Bonne selbst Zellen
findet, welche gewissermassen ein Übergangsstadium zwischen
der serösen und mukösen Form darstellen.
Die Drüsen, deren Lage sich so gestaltet, wie Sussdorf
sie oben angibt, zeigen nach meinen Befunden bei den einzelnen
Haustieren erhebliche Unterschiede.
Beim Pferde sind die Drüsen der feineren Bronchien
äusserst spärlich; so finden wir z. B. an einem in der Längs-
richtung halbierten Bronchus von 4 mm Durchmesser nur zwei
Drüsenschläuche, und ein noch allseitig mit Knorpel umschlossener
Bronchus von 1 mm Durchmesser weist nur einen Drüsen-
schlauch auf. Die Epithelzellen haben eine nahezu zylindrische
Form, manchmal sind sie auch kegelförmig oder kubisch. Die
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 11
Weite der Drüsenschläuche, von Basis zu Basis der Epithelien
gemessen, schwankt zwischen 12 bis 20 #. Das Lumen derselben
ist eng und beträgt nur einige «.
Beim Rinde sind die Drüsen viel zahlreicher; an einem
Bronchus z. B. von 2,3 mm Lichtung sehen wir acht Drüsen-
schläuche. Die Drüsen sind im allgemeinen ziemlich weit (bis
85 «); daneben kommen auch Drüsenschlauchdurchschnitte vor,
welche einen Durchmesser von 20 u besitzen. Die Form der
Zellen ist kubisch.
Ähnlich wie beim Pferd verhalten sich die Drüsen des
Schweines; bei diesem sind sie zwar viel zahlreicher:
an einem Bronchus von 1 mm Lumen zählt man sechs
Drüsenschlauchdurchschnitte; aber an Form und Grösse der
Drüsenzellen, sowie an Weite der Drüsenschlauchdurchschnitte
gleichen sie jenen des Pferdes. Nicht eben selten lassen sich
auch Gianuzzische Halbmonde nachweisen.
Wie bereits oben angedeutet wurde, hat Eber (7) eine
eingehende Beschreibung der Bronchialdrüsen des Schafes ge-
geben. Sie lautet:
„Bei der mikroskopischen Untersuchung der normalen
Schaflunge fällt in erster Linie der grosse Reichtum an Schleim-
drüsen in der Wandung selbst der kleinsten Bronchien auf.
Diese vielfach verästelten, stark geschlängelten, tubulösen
bezw. tubulo-acinösen Drüsen haben ihre Lage in der äusseren
Faserschicht der Bronchialwand, welche beim Schafe, ähnlich
wie beim Rinde und Schweine, bis zu den feinsten interlobu-
lären Bronchien mit Knorpeleinlagerungen ausgestattet ist. Ob-
wohl die Drüsenschläuche mit der Grösse der Bronchien an
Zahl entsprechend abnehmen, so stellen sie doch selbst bei den
kleinsten interlobulären Verzweigungen der Bronchien einen
nie fehlenden Bestandteil der Bronchialwand dar. Am zahl-
reichsten finden sich die Drüsenschläuche in der unmittelbaren
Umgebung des bronchialen Muskelrings; sie werden aber auch
weder zwischen den einzelnen Knorpelplatten noch in der peri-
pheren Schicht der bronchialen Bindegewebsscheide, woselbst
sie oft nur durch spärliche Lagen feinfaserigen Bindegewebes
vom Lungenparenchym getrennt sind, vermisst. Grössere Drüsen-
schläuche sind häufig von Zügen glatter Muskelfasern begleitet.
Nicht selten trifft man in der Bronchialwand auch Schleim-
12 Josef Müller:
drüsen und glatte Muskelfasern in regelmässiger Schichtung
an (vergl. Taf. IIa).“
„Entsprechend dem stark geschlängelten Verlaufe der
Drüsen erblickt man in den Schnittpräparaten vorwiegend
Querschnitte und nur vereinzelte Längsschnitte von Drüsen-
schläuchen. Nur die kleinsten Querschnitte haben eine kreis-
runde oder längsovale Form. Die grössten sind durchweg
unregelmässig gestaltet und durch vielfache, in das Lumen vor-
springende Hervorragungen in Buchten von wechselnder Tiefe
und Breite geteilt, wodurch die im allgemeinen mehr nach dem
tubulösen Typus gebauten Schleimdrüsen sich in ihrem Bau
dem acinösen Typus nähern. An bestimmten Stellen durch-
brechen die Drüsenschläuche den bronchialen Muskelring und
münden, eine deutliche Einschnürung bildend, in einer der
durch Längsfaltung der Bronchialschleimhaut gebildeten
buchtigen Vertiefungen in das Lumen der Bronchien ein.“
„Der Umstand, dass man fast in allen Schnitten mehr
oder minder deutlich markierte Einmündungsstellen solcher
Schleimdrüsen antrifft, lässt darauf schliessen, dass die Bronchial-
schleimhaut mit solchen dicht übersät ist.“
„Das Epithel der Schleimdrüsen wird von einer einfachen
Schicht zylindrischer oder kegelförmiger Zellen mit vorwiegend
peripher gelagerten Kernen gebildet. Die Grösse der Zellen
ist verschieden. Man findet alle Übergänge vom einfachen
kubischen Epithel bis zu den nahezn die Grösse der Epithel-
zellen in den kleineren Bronchien erreichenden Zylinderzellen.
Diese durch ihre Grösse besonders auffallenden Zellen liegen
meist in Gruppen zusammen und stellen, wie der in Schleim-
bildung begriffene Zelleib erkennen lässt, den tätigen Teil der
Drüsenschläuche dar. Im allgemeinen überwiegen jedoch in
den Drüsenschläuchen der vorliegenden Schnitte die niedrigen
Zellformen.*
„Die Schleimhaut der kleineren Bronchien lässt auf dem
Querschnitt die bekannten kegelförmigen, radiär gestellten
Falten erkennen, in deren Vertiefungen, wie schon erwähnt,
die Schleimdrüsen einmünden. Das lange, mehrschichtige,
stäbchenförmige, teils mit Flimmerhaaren ausgestattete, teils
in der Schleimbildung begriffene Epithel geht an diesen Ein-
mündungsstellen, unter Verlust der Flimmerzilien allmählich
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 13
niedriger werdend, ohne Grenze in das kubische Epithel der
Drüsenschläuche über.“
Mit dieser Beschreibung der Drüsen des Schafes stimmen
meine Befunde (s. Taf. I, Fig. 2D) vollkommen überein. Ich darf
wohl noch hinzufügen, dass bei Anwendung von Schleimfarbstoffen
in den zylindrischen Drüsenzellen ähnliche Gebilde auftreten, wie
man sie als Becherzellen im Schleimhautepithel sieht.
Ganz ähnliche Verhältnisse wie beim Schafe bieten die
Bronchialdrüsen bei der Ziege dar; nur scheinen sie bei diesem
Tiere nicht so zahlreich zu sein.
Die auch in den feinsten Bronchien noch zahlreich vor-
handenen Drüsen des Hundes zeigen eine sehr starke Knäuelung.
Die Drüsenzellen sind zylindrisch oder kegelförmig und viel kleiner
als diejenigen anderer Tiere, z. B. des Pferdes.
Auch bei der Katze zeigen die Epithelien der sehr zahl-
reichen Drüsen (Taf. I, Fig. 1D) diese kleine Form.
Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich, weisen die Drüsen
unserer Haustiere erhebliche Verschiedenheiten auf, welche sich
in erster Linie auf Form und Weite derselben beziehen. So haben
Pferd und Schwein ähnlich gebaute Drüsen, ebenso Schaf und
Ziege; diejenigen letzterer Tiere springen durch ihr weites Lumen
in die Augen. Zwischen Pferd und Schaf steht in bezug auf die
Weite des Drüsenlumens das Rind. Die Drüsen der Fleischfresser
haben im Verhältnis zu denen der Pflanzenfresser viel kleinere
Epithelzellen; sie sind eng, stark geknäuelt nnd sehr zahlreich.
Hinsichtlich der Epithelzellen stimmen die Drüsen der von
mir untersuchten Tiere darin überein, dass sie ein gleich ver-
schiedenartiges Aussehen der Epithelien beobachten lassen. Man
sieht bei allen Tieren in den Drüsenschlauchdurchschnitten einer-
seits grosse Zellen mit randständigen Kernen. Der Zelleib ist
hellglänzend, zeigt deutliche Umgrenzung und feinste Körnelung,
welche an der Basis der Zellen etwas stärker ist als an dem der
Lichtung zu gelegenen Teile. Andererseits sind Zellen zu sehen,
welche kleiner, nicht glänzend, sondern trübe und stark gekörnelt sind.
Zwischen diesen Extremen kommen die verschiedensten Zwischen-
stufen vor, und man kann diese Unterschiede am schönsten an
Schnitten sehen, welche, mit einem Kernfarbstoff tingiert, in Glyzerin
eingebettet sind. Behandelt man die Schnitte mit spezifischen
Schleimfarbstoffen, so färben sich die hellen Zellen genau so wie
14 Josef Müller:
die Becherzellen der Schleimhautepithelien mehr oder weniger
intensiv rot, wenn man Mucikarmin oder Thionin verwendet, blau,
wenn man mit Muchämatein gefärbt hat. Die kleineren, trüberen
Zellen dagegen haben sich gar nicht oder nur ganz schwach gefärbt.
Da und dort sieht man im Lumen der Drüsenschläuche unregelmässig
geformte Flecke, welche den Farbstoff gut aufgenommen haben.
Auf Grund dieses Verhaltens wird man nicht fehlgehen, die
grossen, hellen Zellen für Schleimzellen zu halten, deren Zelleib
in schleimiger Umwandlung begriffen ist, während die kleinen
Zellen ihren Schleim bereits abgegeben haben und sich nun
regenerieren. Wir hätten demnach die Drüsen der feineren
Bronchien als reine Schleimdrüsen anzusprechen.
Der mit kubischem Epithel ausgekleidete Ausführungsgang
der Drüsen zeigt vor seiner Einmündung in den Bronchus eine
ampullenförmige Erweiterung, welche gewöhnlich zwischen Muskel-
und Faserhaut liegt, manchmal jedoch der Schleimhaut näher ge-
lagert ist. Gegen diese hin verengt sich das Lumen des Aus-
führungsganges wieder, das kubische Epithel wird zylindrisch und
trifft etwa an der Grenze zwischen Schleimhaut und Muskelhaut mit
dem Flimmerepithel der Bronchialschleimhaut zusammen, welches
an dieser Stelle eine trichterförmige Einsenkung gebildet hat.
Der allgemeinen Ansicht gegenüber, „dass das Verschwinden
der Schleimdrüsen mit dem der Knorpel Hand in Hand ginge,“
hat Sussdorf (65) beobachtet, dass beim Rinde die Drüsen lange
vor dem Knorpel aus der Bronchialwand verschwinden. Ich habe
dieselbe Beobachtung gemacht. Aber auch in anderer Beziehung
fand ich die oben erwähnte Ansicht nicht bestätigt. Ich sah
nämlich im Bronchus der Katze, welcher 0,23 mm im. Durch-
messer hatte, noch Drüsen, während keine Andeutung von Knorpel
mehr zu sehen war.
Die Bronchiolen.
Der Gebrauch der Bezeichnung Bronchiolen (Bronchiola) !)
ist, wie eine genauere Prüfung an der Hand der histologischen
!) Bronchiola und nicht Bronchioli ist das richtige Deminutivum von
Bronchia, und Bronchia, nicht Bronchi, die richtige lateinische Benennung der
Luftröhrenverzweigungen in der Lunge. Die letztere Form wenden nach dem
Zeugnis Hyrtls Gelsus und Aurelianus für die griechische Form 300yz0:
an; Brocchus s. Bronchus gilt für die vorstehenden Zähne gewisser Hunde
und Menschen, niemals aber für die Ausläufer der Trachea.
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 15
Lehrbücher ergibt, so verschieden, dass eine genaue Umgrenzung
dieses Begriffes recht wünschenswert erscheint. Man könnte die
Benennung Bronchiola wohl von dem Eintritt der Luftröhren-
ästchen in das Lungenläppchen abhängig machen, indem man alle
interlobulär verlaufenden, also noch im Interstitialgewebe befind-
lichen Bronchialverzweigungen als Bronchia höherer und niederer
Ordnung, als Bronchiola dagegen die in das Läppchen eintretenden,
mit Alveolen noch nicht besetzten Luftgänge bezeichnete. Nun
ist es aber bei der Mehrzahl unserer Haussäugetiere (Pferd,
Schaf, Ziege, Hund, Katze) schlechterdings nicht möglich, weder
an Schnitten noch an Korrosionspräparaten immer die Umgrenzung
der Läppchen auch nur annähernd genau festzustellen. Dagegen
lässt sich als allgemeingültiges Kriterium für die Bezeichnung
Bronchiola — in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der
Autoren — das Fehlen von Knorpel und Drüsen einerseits, sowie
dasjenige von Alveolen und respiratorischem Epithel, andererseits
aufstellen.
Mit der allmählichen Verengerung des Lumens der Bronchien
geht auch eine allgemeine Verdünnung ihrer Wandteile Hand in
Hand. Das Epithel wird einschichtig und verliert nach und nach
die Flimmern; es ist anfangs noch zylindrisch oder hoch kubisch
und scheint schliesslich, immer niedriger werdend, ganz zu ver-
schwinden, d.h. es geht, wie man mit Kölliker (25) an mit
Silbernitrat gefüllten Lungen beobachten kann, in dasrespiratorische
Epithel über, jedoch so, dass erst nur die eine Seite von diesem
ausgekleidet ist.
Die elastischen Fasern der Schleimhaut nehmen sowohl an
Zahl als auch an Dicke immer mehr ab, so dass diese, wie auch
Linser (34) angibt, nur noch von einigen in der Längsrichtung
verlaufenden elastischen Fasern mittlerer Dicke unterlegt ist. Durch
die Kontraktionen der glatten Muskelzellen in der Wand der
Bronchiolen bildet die Schleimhaut oft so hohe Falten, dass durch
diese das Lumen nahezu vollständig ausgefüllt wird. Manchmal
fehlen diese Falten auch ganz; es scheint, dass durch die durch
Injektion der Bronchien veranlasste Dehnung der Tonus der
Muskulatur überwunden und die Faltenbildung zum Verschwinden
gebracht werden kann.
Auch die Muskularis büsst in gleichem Maße wie die
Schleimhaut an Stärke ein. Man sieht anfangs einen schmalen
16 Josef Müller:
Ring, dann nur noch einzelne glatte Muskelzellen nebeneinander-
liegend um die Schleimhaut herum verlaufen, welche an den
feineren Bronchiolen keinen geschlossenen Ring mehr bilden. Da-
zwischen liegen einzelne elastische Fasern.
Die Faserhaut, aus welcher, wie erwähnt, die Knorpelplatten
und vor oder nach diesen die Drüsen verschwunden sind, lässt
einzelne längs- oder querverlaufende elastische Fasern erkennen.
Man kann in ihr häufig Ansammlungen von Iymphatischem Ge-
webe beobachten, welches sich, im Querschnitt getroffen, halb-
mondförmig um die Bronchiolen lagert. Auf dieser Seite sieht
man dann die Schleimhaut faltenlos, wenn auch gegenüber mehr
oder weniger hohe Schleimhautfalten sich befinden. Manchmal
liegen auch grössere Haufen von Lymphzellen in der Gabel, welche
zwei sich verzweigende Bronchiolen bilden.
Diese Darstellung des Aufbaues der terminalen luftleitenden
Kanäle gilt für alle Haussäugetiere, jedoch mit der Einschränkung,
dass die Dicke und Zahl der elastischen Fasern ähnliche Unter-
schiede aufweisen, wie wir sie oben kennen gelernt haben.
Es erübrigt noch, eines in seiner oben erwähnten Arbeit
von Eber (7) beschriebenen Vorkommnisses an den Bronchiolen
des Schafes zu gedenken; es ist dies, wieEber sagt, „das zahl-
reiche Vorkommen eigentümlicher, mit einer einfachen Lage
kubischer Zellen bekleideter, bald rundlicher, bald mehr lang-
gezogener, bald völlig unregelmässig gestalteter, immer aber
vielfach ausgebuchteter und verzweigter Hohlräume mitten im
respirierenden Parenchym (vergl. Taf. I@, Taf. II® ec). Der Zellen-
belag dieser Hohlräume ist im ganzen etwas niedriger als derjenige
der durch kreisförmigen Querschnitt, schmalen Muskelring und
spärliche, bindegewebige Umkleidung als Terminalbronchien
kenntlichen Hohlräume, und unterscheidet sich durch nichts von
dem Epithelbelage der Schleimdrüsen in der Wandung der
grösseren Bronchien. Im übrigen erinnern die starkverzweigten
buchtigen Hohlräume noch am ehesten an die vielgestaltigen
Bilder, welche man bei Prostataquerschnitten zu Gesicht bekommt.“
Ferner heisst es dort: „Wie nun auch im einzelnen der
unmittelbare Übergang der luftführenden Wege in das respirierende
Parenchym erfolgen mag, so ist doch das eine zweifellos aus den
vorliegenden Schnitten ersichtlich, dass nämlich die Terminal-
bronchien in der Schafslunge vor ihrem Übergang in die Alveolar-
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. BAHT
gänge bezw. Infundibula stark verzweigte, buchtige Erweiterungen
bilden, die ihrerseits wieder mit vielfachen, schlauchförmigen
Ausstülpungen versehen sind, welche sich histologisch von den
Drüsenschläuchen der kleinen Bronchien nicht unterscheiden und
möglicherweise auch physiologisch deren Stelle vertreten.“
Ganz ähnliche Bilder, wie sie hier Eber beschreibt, fand
ich bei den von mir untersuchten Lungen eines Pferdes, sowie
eines Schweines. Der von Eber gegebenen Deutung dieser
Bilder kann ich mich jedoch nicht anschliessen. Die Endbronchien
des Schafes sind zwar — das finde ich auch an meinen Präparaten,
gegenüber denen anderer Tiere (z. B. Fleischfresser) etwas er-
weitert,-ein Vorkommnis, auf das auch schon Schottelius (58)
hingewiesen hat. Für die „vielfachen schlauchförmigen Aus-
buchtungen der Terminalbronchien‘‘ jedoch lässt ‘sich wohl eine
andere Erklärung finden.
In Schnitten, welche aus einem im Anatomischen Institut
schon einige Jahre in 4°/o Formalinlösung bezw. in 70°/o Alkohol
liegenden Material stammen, fand ich sowohl beim Pferde wie
beim Schwein Schief- und Längsschnitte von Terminalbronchien,
welche ganz ähnliche Bilder zeigten, wie Eber sie in Taf. II®
unter e und in Taf. IP in Fig. 1, 2 und 3 abgebildet hat. Man
sieht da manchmal Durchschnitte von zwei, hohe Schleimhaut-
falten tragenden Bronchiolen, welche zwar, noch ein gemeinschaft-
liches Lumen aufweisend, eben im Begriffe stehen, sich zu verzweigen
und von denen der eine im Quer-, der andere im Längsschnitt
getroffen ist. Dadurch entstehen ‚völlig unregelmässig gestaltete,
vielfach ausgebuchtete Hohlräume.“ Namentlich finden sich auch
die in Taf. II® unter c und in Taf. Ib in Fig. 1 und 3 abge-
bildeten, im freien Lumen des Bronchiolus liegenden
Querschnitte von Längsfalten der Schleimhaut.
Dieser Befund machte mich darauf aufmerksam, zu unter-
suchen, ob die Eberschen „Ausstülpungen“ nicht durch eine
starke Faltung der Schleimhaut vorgetäuscht wurden. Dass Eber
stark gefaltetes Material untersucht hat, geht aus der starken
Faltenbildung des Bronchus hervor, welcher in Taf. II® abge-
bildet ist. Die Schaflungen, welchen meine Präparate entstammen,
wurden mit absolutem Alkohol von einem Hauptbronchus aus
injiziert und nach 48 stündiger Fixierung und Härtung in Paraffın
eingebettet. Die Bronchiolen zeigen glatte Wände und die
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 2
a
13 Josef Müller:
Alveolen eine Ausdehnung, wie sie etwa dem hohen Inspirations-
zustand entsprechen mag. Die Lungen vom Pferd und Schwein
dagegen, welche die von Eber beschriebenen Bilder zeigen,
waren nicht injiziert, sondern stückweise in 4°/o Formalinlösung
bezw. in absolutem Alkohol eingelegt und so gehärtet worden.
Ob nun dieser Härtungsmodus oder das lange Aufbewahren
in härtenden Flüssigkeiten, wie es bei dem Material von Pferd
und Schwein und vielleicht auch bei demjenigen, welches Eber
untersuchte, geschehen ist, durch eine nachträgliche Schrumpfung
diese starke Faltenbildung bedingte, oder ob die Schleimhaut im
Retraktionszustand der Lunge fixiert wurde und deshalb die
Faltung zeigt, lasse ich als nebensächlich dahingestellt. Es
handelt sich vielmehr nur darum, zu prüfen, ob diese „‚Aus-
stülpungen‘“ in der Bronchiolenwandung des Schafes sich finden
und ob die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften von so ab-
weichendem Charakter sind, dass sie Eber als eine Eigentümlich-
keit und Besonderheit der Schafslunge bezeichnen konnte, oder
ob diese „Ausstülpungen“ nicht jeweils das Tal hoher Schleimhaut-
falten sind.
Dass ich an der lege artis fixierten Schaflunge keine
Schleimhautfalten beobachtet habe, habe ich bereits erwähnt. Es
liessen sich aber auch keine ‚„Ausstülpungen‘‘ oder drüsenförmige
Oberflächeneinsenkungen beobachten. Auch an sehr gut gelungenen
Metallausgüssen der Lunge des Schafes waren die Positive zu
jenen „Ausstülpungen“, die man vielleicht in Form von feinen
Wärzchen, mindestens aber als Rauhigkeiten der Oberfläche hätte
erwarten können, nicht zu finden. Der Bronchiolenausguss zeigte
stets eine vollkommen glatte Oberfläche. Das Epithel dieser
„Ausstülpungen“ ist nach Eber ‚im ganzen etwas niedriger“
als das der Terminalbronchien; mit dieser Eigenschaft ist jeden-
falls kein nennenswerter Unterschied bezeichnet. Durch die
andere Angabe aber, das „aus einer einfachen Lage
kubischer Zellen“ bestehende Epithel ‚unterscheidet sich
durch nichts von dem Epithelbelag der Schleimdrüsen in den
grösseren Bronchien,“ tritt Eber in Widerspruch mit seiner
eigenen Beschreibung des Drüsenepithels, welchem er eine ver-
schiedene Höhe, vom „einfachen kubischen Epithel bis zu
den nahezu die Grösse der Epithelzellen in den kleineren Bronchien
erreichenden Zylinderzellen,‘“ zuerkennt. Gerade die verschiedene
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 19
Höhe des Epithels, welche den „Ausstülpungen‘“ fehlt, ist wohl
als der Ausdruck der schleimbereitenden Tätigkeit aufzufassen,
da „diese“, wie Eber selbst sagt, „durch ihre Grösse besonders
auffallenden Zellen“, ‚‚wie der in Schleimbildung begriffene Zelleib
erkennen lässt, den tätigen Teil der Drüsenschläuche‘“ darstellen.
Solche oder ähnliche Eigenschaften hätte Eber an den „schlauch-
förmigen Ausbuchtungen‘ nachweisen sollen, „um sie den Drüsen
der Bronchialwand als physiologisch nahestehend“ bezeichnen
zu können.
Nach all dem glaube ich dieses Vorkommnis nicht als eine
Besonderheit auffassen zu können und zu sollen, „die in noch
höherem Maße als der Drüsenreichtum der Bronchialwand der
Schaflunge ein eigenartiges Gepräge verleiht.“ Die „schlauch-
förmigen Ausbuchtungen“ wurden wohl durch Bilder vorgetäuscht,
welche einer starken Faltung der Schleimhaut und einer ent-
sprechend schiefen Schnittrichtung ihre Entstehung verdanken.
Die respirierenden Teile der Lunge.
Die Lunge gilt nach althergebrachter Anschauung in mor-
phologischer Hinsicht als eine Drüse tubulo-alveolären Baues.
Zu dem Parenchym derselben, d. h. dem beim Gasaustausch direkt
beteiligten Teile der Lunge werden seit Malpighi (1661) die
Vesiculae aöreae s. Cellulae pulmonales oder, wie Rossignol (56)
sie nannte, die Alveolen gerechnet. Nach Malpighi hat sich
eine Reihe von Autoren mit der Erforschung des feineren Baues
der Lungen beschäftigt. Diese waren nach Rossignol in zwei
Lager geteilt, je nach der Art und Weise, wie sie bei ihren
Untersuchungen zu Werke gingen: die einen prüften die Lunge
— und dies ist die ältere Methode — in aufgeblasenem und
getrocknetem Zustande; an geeigneten Schnitten solcher Lungen,
kann man, so meint er (S. 14), den Eintritt des Bronchus in
den Lobulus verfolgen; man kann wohl auch noch die innere
Oberfläche der ersten Verzweigungen prüfen; „mais il est a peu
pres impossible‘“, fährt er fort, „d’en suivre les divisions subse-
quentes ou de second ordre, dont les parois sont tellement
minces et diaphanes qu’elles se confondent avec les parties voisines.
L’aspect d’une coupe faite sur un poumon ainsi prepare ne peut
etre mieux compare qu’a celui d’un pain tres-blane ou d’une
eponge fine. Si on en soumet une tranche mince Aa la loupe ou
I%
20 Josef Müller:
au microscope, on n’y decouvre que des cavites irregulieres, de
toutes dimensions, parfois sinueuses comme le disait Malpighi,
et qui semblent incompletement cloisonnees. Cela provient uni-
quement de la transparence trop grande des lamelles du paren-
chyme pulmonaire, en sorte que certaines parvis, suivant la direetion
des rayons lumineux, &chappent necessairement a l’@uil le plus
exerc@ et que l’on prend pour une cavite unique l’assemblage
de plusieurs, et pour une surface plane celle qui est marquee
de cavitees peu profondes.‘
Dieser Methode bedienten sich hauptsächlich Malpighi,
Helvetius, Bourgery und andere. Sie schuf die Vorstellung
von der zelligen, schwammigen, kavernösen oder labyrinthischen
Natur des Lungengewebes.
Die andern — nämlich Willis, Reisseisen und ihre
Anhänger -— verwendeten bei ihren Untersuchungen die Queck-
silberinjektion in die Bronchien. Auch diese Methode hält
Rossignol aus mehr als einem Grunde für unzulänglich. „Man
kann,“ sagt er, „dafür keinen besseren Beweis anführen, als den
Stillstand, in welchem diese Frage (la structure intime du paren-
chyme pulmonaire) seit einer Reihe von Jahren verharrt ist,
trotz der neueren zahlreichen Fortschritte der Histologie.‘
Rossignol wendet daher für seine Untersuchungen als
die der Erhaltung natürlicher Verhältnisse am meisten Rechnung
tragende Methode die folgende an: l’injection fortement color&e
de capillaires sanguins, suivie de l’insufflation et de la dissiccation
de l’organe (S. 16). Als Injektionsmasse verwendet er „un
melange d’essence de terebinthine avec un sixieme environ de
vernis de Cobalt et du vermillon porphyrise. On met de ce
dernier autant que le liquide peut en tenir en suspension; car
plus il est coloree plus la preparation est avantageuse.‘
Die Ergebnisse, welche Rossignol mit Hilfe dieser Methode
erzielte, sind so wichtig und der Erkenntnis des feineren Baues
der Lunge so förderlich gewesen, dass es wohl angezeigt erscheint,
auf dieselben näher einzugehen und zwar um so mehr, als
Rossignol von den späteren Autoren vielfach nicht richtig ver-
standen und zitiert worden ist.
In der richtigen Erkenntnis, dass die Lunge der Säugetiere
die Vereinigung einer grossen Zahl gleichartiger Läppchen ist,
welche den Enden eines gemeinsamen Bronchialbaumes angehängt
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 21
sind, beschränkt sich Rossignol darauf, die Struktur dieser
Läppchen zum Gegenstand seiner Untersuchungen zu machen.
Die Verzweigungen der in das ausserordentlich mannigfaltig
gestaltete Läppchen stets einzeln eintretenden „bronche lobulaire‘“
erfolgen derart, dass diese von ihrem Ursprung bis zu ihrem
Ende nach allen Richtungen Äste abgibt; die Anzahl dieser
Zweige, ihr Ursprung und ihre Richtung sind sehr verschieden
and hängen von der Grösse und Form: des Läppchens ab. Der
häufigste Typus der Teilung ist die Dichotomie oder Trichotomie.
Die von der „bronche lobulaire“ abgehenden Äste lösen sich auf
in Zweige erster, zweiter, dritter, im extremsten Falle bis fünf-
zehnter Ordnung; die Endzweige sind jedoch in der Regel solche
vierter oder fünfter Ordnung. An diesen (bezw. an den Zweigen
der zwei oder manchmal der drei letzten Ordnungen) sieht man
„avec evidence lorsqu’elles sont ouvertes longitudinalement, que
leur surface est tapissee ou comme gaufree par une foule de
petites cavites rögulieres, peu profondes, rangees les unes ä cöte
des autres et söpardes par des cloisons minces, entieres et de
meme hauteur, qui font saillie dans l’interieur du tuyau bronchique.“
Diese kleinen Hohlräume, welche Rossignol zum erstenmal in
der Lunge des Hundes, dann auch in derjenigen des Menschen
und der wichtigsten Säugetiere sah, und welche er „alv&oles
pulmonaires parietales“ nennt, treten im Anfang wenig
zahlreich und wie zerstreut auf; „ mais elles se rapprochent
bientöt pour tapisser toute la surface interne des
dernieres divisions bronchiqueset n’etre plus
separ6des que par des cloisons minces quiont, en
general, moins d’hauteur que celles des alv£&oles
qui couvrent le fond des infundibulums,“ (welch
letztere er im Gegensatz zu den übrigen Alveolen „les ter-
minales‘ nennt).
Es kann nicht der leiseste Zweifel darüber herrschen, dass
Rossignol hier die später so benannten Bronchioli respiratorii
und Alveolengänge gesehen und beschrieben hat. Den letzteren
sind auch noch die kurzen, ebenfalls mit Alveolen dicht besetzten
„tubes de r&union“ zuzurechnen, welche die ‚infundibulums ou
entonnoirs‘ vereinigen: diese letzteren sind kleine, an der inneren
Oberfläche mit etwas grösseren Alveolen ausgestattete
Säckchen von der Form eines abgestumpften Kegels, welche
22 Josef Müller:
sich zu mehreren seitlich und terminal vorfinden.
Die Trichterform dieser Endsäckchen ist beim älteren Individuum
besser ausgeprägt als beim jugendlichen, am meisten ist sie es
beim beginnenden Emphysem, bei welchem auch die Alveolen des
Infundibulums am meisten aufgeblasen erscheinen.
Über die Funktion der Alveolen äussert sich Rossignol,
dass sie offenbar der Teil des Organs sind, welcher für die Blut-
auffrischung bestimmt ist; es beweise dies das reiche Kapillar-
gefässsystem, welches die Arteria pulmonalis liefert und welches
bei der Injektion dieses Gefässes an den haardünnen Bronchien-
zweigen da auftritt, wo diese sich mit Alveolen zu besetzen
beginnen.
Aus alledem sieht man, dass Rossignol den Bau der
Lunge gekannt und beschrieben hat wie keiner vor ihm und
auch die späteren Autoren haben, abgesehen vom respiratorischen
Epithel, seinen Entdeckungen wenig Neues hinzuzufügen gehabt:
Rossignol kannte unsere heutigen respiratorischen Bronchiolen,
die Alveolengänge und deren aufgeblasene Enden, die Infundibeln,
welche mit ihren von einem feinen, reichverzweigten Kapillarnetz
umsponnenen Alveolen das (respiratorische) Parenchym der Lunge
ausmachen.
Bei der Prüfung der weiteren Entwicklung, welche die
Erforschung des Lungenparenchyms genommen hat, kann man
sich des Eindruckes nicht erwehren, dass die klassische Arbeit
Rossignols nicht genügend bekannt war oder gewürdigt wurde;
vielleicht auch, dass er nicht richtig verstanden worden ist.
Unter andern hat z.B. E. Schulz (1850) dann für die
feineren, beim Menschen ca. 1,5 mm weiten, knorpelfreien
Bronchien den Namen Bronchiola angewendet und weiterhin die
zwischen ihnen und den Infundibula verkehrenden Tubes de
reunion die Petioli infundibulorum getauft; er will auch als
erster die denselben vereinzelt ansitzenden Cellulae s. alveoli
parietales gekannt haben.
Kölliker (1852) hat wohl den Namen Alveolen acceptiert,
sich aber bezüglich der von ihnen gebildeten Gruppen, Rossignols
‚Infundibula“, in offenbarer Verkennung oder Unkenntnis der
Rossignolschen Funde, dahin ausgesprochen, dass sie „den
kleinsten Läppchen traubenförmiger Drüsen entsprechen, dass
daher nicht die geringste Nötigung vorhanden“ sei, dieselben
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 23
mit einem anderen Namen, also dem Namen Infundibula zu be-
legen. Diesen Widerstand gegen den letzteren Namen hat
auch v. Ebner (8) noch in der neuesten (VI.) Auflage der
Köllikerschen Gewebelehre (1902) aufrecht erhalten und zwar
mit dem gleichen Unrecht. Es heisst dort (S. 299): „Dieser
Ausdruck beruhte auf der unrichtigen Vorstellung, dass jeder
Bronchiolus sich plötzlich trichterförmig in einen birnenförmigen
Sack erweitere (Infundibulum), der ringsum von Alveolen bedeckt
ist, wie dies etwa im grossen bei der Lunge eines Frosches der
Fall ist, die in der Tat einen ringsum mit wabigen Ausbuchtungen
besetzten Sack darstellt. Tatsächlich gibt es aber in der Säuge-
tierlunge solche Infundibula, wie sie der Vorstellung Rossignols
zu Grunde lagen, nicht, sondern vielmehr, wie aus Fig. 1060
und den nach Schnitten naturgetreu dargestellten Fig. 1063 und
1066 ersichtlich ist, verzweigte Gangsysteme, welche ganz an
tubulo-acinöse Drüsen erinnern. Als Trichter oder Infundibula
könnte man höchstens die blinden, terminalen Enden der Alveolen-
gangsysteme (Fig. 1060i) bezeichnen, was jedoch überflüssig ist
und der von Rossignol entwickelten Vorstellung nicht genau
entsprechend ist, da ja die plötzliche Erweiterung des Gang-
systems nicht an diesen blinden Endästen, sondern am Übergange
des Bronchiolus in die Alveolengänge sich findet.“ Ich sagte
„mit dem gleichen Unrecht‘; denn Rossignol hat ja auch
nur „die blinden, terminalen Enden der Alveolen-
gangsysteme‘ als „Infundibula“ bezeichnet!
Auch die folgenden Autoren haben die Alveolen im Sinne
Rossignols beibehalten, aber schon Le Fort (1859) führte
für die Bronche lobulaire den Namen Bronche interlobulaire,
für deren Äste den Namen Bronche intercellulaire und für das
Infundibulum den Namen Lobule secondaire ein. Wieder anderer
Namen bediente sich für die ersteren und letzteren Teile
Waters (1860), indem er sie intralobular branche bezw. airsacs
nannte. Henle (1866) lässt in Anlehnung an die Arbeit
Rossignols den in ein Läppchen in der Regel allein ein-
tretenden lobulären Bronchus in vier bis fünf Endzweige, terminale
Bronchien, zerfallen, deren letzte mit Alveolen besetzt sind, und
ihnen die Rossignolschen Infundibula als ausgebuchtete
Säckchen zu zwei bis sechs und mehr, übrigens nicht nur endständig,
sondern auch seitlich, anhängen.
24 Josef Müller:
Eine für die Folge nicht ganz bedeutungslos gebliebene
Abänderung in der Benennung der respirierenden Hohlräume
der Lunge wurde von F. E. Schulze (1571) veranlasst, welcher
die Darstellungen Rossignols und anderer französischer und
englischer Forscher als der seinigen ähnlich bezeichnet (S. 465,
Anm. 2). Er führte für die letzten mit Alveolen dicht besetzten
Verzweigungen der Bronchien den Namen Alveolengänge
ein, was den früheren Beschreibungen gegenüber einen ent-
schiedenen Fortschritt bedeutete, indem dadurch die
klare Darlegung der Verhältnisse ganz bedeutend erleichtert
wurde.
Ihm hat sich im wesentlichen und unter einigen hier nicht
belangreichen Abänderungen Henle (1873 in der II. Auflage
seiner Eingeweidelehre) angeschlossen. Dagegen hat Kölliker
(25, 1881) zuerst darauf hingewiesen, dass beim Menschen und
Hunde „das Gebiet der Teile, die beim Gasaustausch eine Rolle
spielen, um ein erhebliches weiter hinauf gerückt werden muss,“
nämlich in das Bereich der mit respiratorischem Epithel und beim
Menschen mit einzelnen, beim Hunde mit zahlreichen Alveolen
ausgestatteten Bronchioli respiratorii als des weiteren Zwischen-
stücks zwischen den Bronchiolen und den Alveolengängen.
Wenn auch nicht zu verkennen ist, dass Kölliker in dem
Nachweis des respiratorischen Epithels einen bedeutungsvollen
Fortschritt in der Erkenntnis der feineren Struktur der Teile des
respiratorischen Parenchyms der Lunge herbeigeführt hat, so hat
er doch zu der Klarlegung der Morphologie desselben keinen
nennenswerten Beitrag gegenüber Rossignol geliefert.
Erst W.S. Miller, der (41, 1900, S. 206) nicht ganz mit
Recht über die Verwirrung in der Nomenklatur der respirato-
rischen Teile der Lunge absprechend urteilt, hat, abgesehen von
der Umnennung der Infundibula in Luftsäckchen, Sacculi alveolares,
Air-sacs, noch ein neues Element in die Reihe der respiratorischen
Hohlräume eingefügt. Auf Grund seiner nach mikroskopischen
Präparaten hergestellten Plattenmodelle führt jeder terminal etwas
erweiterte Alveolengang zunächst durch runde Öffnungen in drei
bis sechs annähernd sphärische Hohlräume, Atria, und erst diese
hängen mit einer Anzahl grösserer und unregelmässigerer Säckchen,
eben den Luftsäckchen, zusammen. Miller schiebt also zwischen den
Schulze- und Köllikerschen Alveolargang und die Infundibula
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 25
die Atrien als die Ausgangspunkte je einer Gruppe von Luft-
säckchen (Rossignols Infundibula) ein und beschreibt diese als
nicht röhrenförmige, sondern mehr oder weniger kugelige Hohl-
räume, deren Wandungen der Muskelfasern entbehren und in
ihrem Bau durchaus denjenigen der Luftsäckchen gleichen sollen;
sie seien viel kleiner als die Luftsäckchen und ihre Ober-
fläche genau so wie diejenige der Alveolargänge und der Luft-
säckchen mit zahlreichen Alveolen besetzt. In dieser Darstellung
begegnet Miller ein grosser Widerspruch gegenüber der (S. 204)
vorausgegangenen Beschreibung der respirierenden Hohlräume,
welche er als Ergebnis seiner früheren (43, 1892) Untersuchung
wiederholt. Denn nach dieser fand er für den Hund, „dass der
letzte Ast des Bronchus, den ich (Miller) „Terminal bronchus“
(Alveolargang) nannte, sich an seinem Ende etwas erweitert, ehe
er sich in das Parenchym der Lunge auflöst. Aus diesem
erweiterten Endstück des „Terminal bronchus“ führen drei bis
sechs rundliche Öffnungen in annähernd sphärische Hohlräume,
die „Atria“. Jedes Atrium wiederum hängt mit einer Anzahl
grösserer unregelmässiger Hohlräume („Air-sacs“) zusammen,
welche an ihrer Oberfläche kleine Vorbuchtungen („Air-cells“)
tragen,“ während er (41, 1900) auf 5.205 zum Ausdruck bringt,
„dass zwischen jedem Luftsäckchen und dem Alveolargang noch
ein Hohlraum eingeschaltet ist, der sich regelmässig und in allen
Teilen der Lunge findet.“ Es erhebt sich hiernach angesichts
dieser auf zwei Seiten einander folgenden Darstellungen die
Frage, sitzt an jedem Älveolargang nur ein Atrium und an diesem
nur ein Luftsäckchen. oder sitzen an jedem Alveolargang drei bis
sechs Atrien mit je einer Anzahl Luftsäckchen ?
Über die Frage des Vorhandenseins oder Nichtvorhanden-
seins des Millerschen Atriums hat sich seither noch Justesen
(22) geäussert. Er führte seine Untersuchungen an der Lunge
des Rindes aus. Bei diesem geht innerhalb des Lobulus der
luftleitende Bronchiolus (Bronchiolus simplex) nach Abgabe eines
rechtwinklig zur Seite gehenden, mit Alveolen besetzten Seiten-
zweiges in dicht mit Alveolen besetzte Gänge, Bronchioli respi-
ratorii, über, deren jeder unter dichotomischer Teilung wieder in
zwei ziemlich spitzwinklig voneinander abzweigende respiratorische
Bronchiolen zweiter Ordnung ausläuft; diese enden „plötzlich je
in einer grossen Kavität (Atrium), wovon vier (nicht drei oder
26 Josef Müller:
mehr, wie Miller für den Hund, auch nicht sechs bis acht bis
zehn, wie Waters für den Menschen angibt) blind endigende,
kurze Schläuche (Sacei aörei) ausgehen.“ Das Atrium beschreibt
dieser Forscher als einen Raum von wechselnder Grösse, der
„bald wohl ausgesprochen und leicht zu sehen ist,“ bald „sich nur
als eine geringe Anschwellung des Bronchiolus. dann weniger in
die Augen springend,“ findet. Er erachtet es mit Miller als
ein wohlausgebiidetes Element der Lunge, das eine eigene Be-
nennung verdient und möchte es nicht einfach als die Ver-
einigungs- oder Ursprungsstelle der letzten Zweige, der Sacei
aörei, ansehen. Die Ursprünge dieser sind „oft von Wandstrecken
einer gewissen Breite voneinander geschieden, welche man absolut
als dem Atrium als solchem zugehörig ansehen muss“; übrigens
entstehen diese erst nachträglich durch ein sekundäres Wachstum
während des Fötallebens, während vorher eigentlich die ganze
Wand des Atriums von den in den Saceci aörei einführenden
Löchern eingenommen wird. Die Zugangsöffnungen zu den Luft-
säckchen sind verhältnismässig eng; dann erweitern sich die
letzteren bedeutend und schliessen mit einem einfachen oder
geteilten Fundus ab. Übrigens sind die Atrien beim Rinde
bedeutend grösser als die Luftsäckchen und nicht, wie nach Miller
beim Hund, nur etwa halb so gross wie diese.
Vergleicht man die jüngere Darstellung Millers, wonach
an jedem Alveolengang drei bis sechs Atrien mit je einer Anzahl
Luftsäckchen sitzen, mit derjenigen Justesens, nach welcher
an jedem Alveolargang ein Atrium mit vier Luftsäckchen sich
befinden, vergleicht man ferner die auseinander gehenden Angaben
über das Grössenverhältnis zwischen Atrium und Luftsäckchen, so
kann man, selbst im Hinblick auf die. verschiedenen Objekte —
Hund und Rind — den aufkommenden Zweifel an der Identität
des Millerschen und Justesenschen Atriums kaum unterdrücken
und es fragt sich, ob die Atrien bei allen unseren Haustieren
wirklich vorhanden sind oder nicht.
Zur Entscheidung dieser Frage sowie zur Untersuchung des
Lungenparenchyms überhaupt, können, abgesehen von der von
W.S.Miller angewandten Platten-Rekonstruktionsmethode Borns
zwei Wege führen: einmal die mikroskopische Untersuchung der
Lufträume: diese wird an geeigneten, möglichst in der Achsen-
richtung orientierten Schnitten durch Zuhilfenahme des respirato-
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 27
rischen Epithels im Gegensatz zum Gangepithel Aufklärung
bringen; sodann namentlich die Prüfung korrodierter Metall-
ausgüsse. Über den Wert dieser Methode hat sich schon Toldt
(71, 1888, 5.502) dahin geäussert, dass sich die Verteilung und
Anordnung der terminalen Luftwege am besten an Korrosions-
präparaten überblicken lasse und dass jeder, der in der Lage sei,
sich solche anzufertigen, deren Einsichtnahme nicht versäumen
möge. In der Tat konnte ich an den mit der Wickersheimer-
schen Metallegierung nach der oben geschilderten Technik her-
gestellten Lungenausgüssen einen guten Überblick über den
Stand der Dinge gewinnen, da diese Korrosionspräparate nament-
lich unter Zuhilfenahme des Stereomikroskopes die einzelnen
Abschnitte des Hohlraumsystems in ihrer Form direkt er-
kennen lassen.
Hinsichtlich des neuen Luftraumes, des Atriums, war es
mir nun weder an den Korrosionspräparaten noch an den Schnitten
bei irgend einem unserer Haussäugetiere möglich, ihn als einen
Luftraum sui generis zu bestätigen. Wenn auch da und dort
einmal ein Alveolengang vor seiner Auflösung in die Infundibula
eine buchtige Erweiterung zeigte, welche etwa dem „Atrium“
Justesens entsprechen könnte, so habe ich doch niemals
zwischen jedem Infundibulum und dem Alveolargang, noch auch
zwischen mehreren Infundibeln und einem solchen einen oder
mehrere kugelige Hohlräume eingeschaltet gesehen,
welche für das konstante Vorkommen der Millerschen
Atrien sprechen könnten. Auch die zahlreichen wandständigen
Infundibeln — für diese ist zwar das Vorhandensein eines
Atriums nicht behauptet worden — habe ich den Alveolen-
gängen stets ohne Vermittlung eines kugeligen Hohlraumes auf-
sitzen sehen.
Es ergeben sich somit für die Benennung der das respira-
torische Parenchym ausmachenden Teile die Namen: Bronchioli
respiratorii (besser: Brochiola respiratoria), Ductuli alveolares
und Infundibula. In neuerer Zeit sind nun vielfach Stimmen
laut geworden, welche eine Ausmerzung der letztgenannten Be-
zeichnung verlangen. Wenn man eine besondere Benennung der
seitlichen und terminalen Endverzweigungen der Alveolengänge
für überflüssig erachtet, wie dies in den B. N. A. bereits geschehen
ist, so kann man sich diesem Bestreben wohl anschliessen, denn
J
3% Josef Müller:
es ist wahr, was auch Laguesse und d’Hardiviller (31)
sagen, dass die kurzen, blinden Enden der Alveolengänge durch-
aus nicht immer eine charakteristische Trichterform aufweisen,
namentlich nicht bei mittlerem. wohl aber bei maximalem In-
spirationszustand der Lungen. Will man aber den Ausdruck
„Infundibulum“ eliminieren, weil er auf einer unrichtigen Vor-
stellung beruhe oder zu einer solchen Veranlassung gebe, und
will man ihn durch einen andern, wie Endbläschen, Luftsäckchen,
Sacculus alveolaris und dergleichen mehr ersetzen, so kann man
diesem Vorgehen nicht direkt Beifall zollen. Wir müssen zwar
zugeben, dass Rossignol seinem „Infundibulum“ eine zu hohe
Bedeutung beigemessen hat; dennoch besteht in der Tat kein
zwingender Anlass zu einer unrichtigen Vorstellung, welche mit
dem Namen „Infundibulum“ verbunden sein soll; hat ja doch
auch ein guter Kenner der Verhältnisse, F. E. Schulze, an der
Bezeichnung der „seitlichen und terminalen Endausläufer der
Alveolengänge* durch den Namen „Infundibula“ nicht den
geringsten Anstoss genommen. Ausserdem ist die klassische
Arbeit Rossignols wohl wert, ausser durch die „Alveolen“
auch noch durch die „Infundibula® einen Denkstein in der
Geschichte der Lungenforschung zu erhalten; man wird die kleine
Ungenauigkeit, welche in der Formbezeichnung „Infundibulum“
liegt, dem Schöpfer dieses Namens um so eher verzeihen können,
wenn man in Erwägung zieht, dass er seine schönen Untersuchungen
an gut aufgeblasenen Lungen gemacht hat, und man wird dann
davon Abstand nehmen, die Bezeichnung „Infundibulum“ mit einer
anderen zu vertauschen.
Die Art und Weise, in welcher sich die Gruppierung der
respiratorischen Bronchiolen und Alveolengänge gestaltet, lässt
sich wohl nirgends besser studieren, als an der Hand von korro-
dierten Lungenausgüssen, namentlich, wenn man unter Zuhilfe-
nahme des stereoskopischen Mikroskops die grösseren Läppchen
mittels feiner Pinzetten sorgfältig im kleinere Teile zerlegt.
Man kann sich dann von der Richtigkeit der Rossignolschen
Angaben (S. 36) überzeugen, welche dahingehen: „La distribution
des tubes a6driens dans le lobule pulmonaire, quoique tres variee,
est soumise cependant a une loi constante; c’est que chacun
d’eux, avec toutes les ramifications qui en proviennent et les
infundibulums qui les terminent, est destine a former une partie
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 29
distinete de son parenchyme, une sorte de petit lobule contenu
dans le premier et n’ayant aucune communication directe avec
lui, eomme il est facile de s’en assurer.“ — Dieser „petit lobule“
ist nichts anderes als das „primäre Lungenläppchen“, oder wie
Rindfleisch (55, S. 348) will, der „Lungenacinus“.
Bevor ich auf die Bedeutung des „primären Lungenläppchens“
näher eingehe, möchte ich auf die Widersprüche hinweisen,
welche sich bezüglich dieses Begriffes in der Literatur finden
Die einen verstehen darunter die Gesamtheit der aus dem
Bronchiolus respiratorius entstehenden Alveolengänge und In-
fundibula, während die anderen die „Infundibula“ allein als die
primären: Lungenläppchen bezeichnen. Die Erklärung zu dieser
‚auseinander gehenden Auffassung liegt darin, dass man die
unrichtig aufgefassten Rossignolschen „Infundibula“ als primäre
Lungenläppchen bezeichnete (Kölliker) und diese letztere Be-
zeichnung nun auch auf die wirklichen „Infundibula“ im Sinne
Rossignols übertrug. Ein Vergleich der beiden in Freys
Histologie (11, 4. Auflage, 1874, 5.462) von F. E. Schulze und
von Kölliker stammenden Abbildungen zusammen mit dem
dortigen Texte wird die Richtigkeit meiner Behauptung ohne
weiteres beweisen.
Die Bedeutung des „primären Lungenläppchens“ anlangend
— Sussdorf nennt dasselbe „Primärläppchen“ (65, S.511) —
drückt sich Rindfleisch (l. ec.) dahin aus, es bilde „eine weit
konstantere Einheit der Lungenstruktur als der Lungenlobulus.
Konstant nämlich, was die Grössenverhältnisse betrifft.“
Auch Testut lässt, wie Merkel(39) berichtet, die letzten
Zweige der intralobulären Bronchien mit Laguesse und
d’Hardiviller in „Acini“ endigen. Die letztgenannten Autoren
(31) kommen zu dem Schlusse: „que chaque bronche donne ä&
son extrömit6 par une serie de bifurcations un bouquet de
caneaux alvöolaires allong6s, tres ramifies et tres enchevetres,
l’ensemble de ce bouquet (systeme de conduits alveolaires
Schulze) formant l’aeinus de Rindfleisch et deChargot. Ce
bouquet est dans notre acinus plus complexe encore que celui
figure par Schulze.“
Das primäre Lungenläppchen — diese Bezeichnung ist der-
jenigen „Lungenacinus“ entschieden vorzuziehen — ist in der
Tat eine anatomische Einheit; es findet sich übereinstimmend
30 Josef Müller:
bei allen unseren Haussäugetieren (s. Tafel I, Fig. 5). Wenn es
regelmässig gebildet ist, wie z. B. die unter der Pleura gelegenen,
so hat es ungefähr die Form einer mehrkantigen Pyramide, deren
Spitze — der respiratorische Bronchiolus — annähernd senkrecht
über der ca. 1—3 qmm messenden Basis liegt, und es ändert seine
Form je nach der Lage der Spitze. Dass auch die Basis in
Form und Grösse variieren kann, ist selbstverständlich. An der
Lungenoberfläche rufen die die einzelnen Primärläppchen ver-
bindenden, feinen Bindegewebszüge eine mehr oder weniger
deutliche Felderung hervor. An den Lungen des Rindes und
Schweines verbinden sich die primären Läppchen zu grösseren,
deutlich erkennbaren sogenannten Sekundärläppchen, während bei
den übrigen Haussäugetieren die sekundäre Läppchenbildung nur
unvollkommen ist oder auch ganz fehlt.
Was die Verzweigung der Luftgänge innerhalb des Primär-
läppchens anbetrifft, so sieht man den Bronchiolus respiratorius
sich in gewöhnlich zwei Alveolengänge teilen. Diese verzweigen
sich wieder, zeigen seitlich kurze, blind endigende, mit Alveolen
dicht besetzte Säckchen — parietale Infundibeln — und lösen
sich am Ende in eine Anzahl — zwei bis fünf — solcher —
terminale Infundibeln — auf. Unterschiede lassen sich — und
darauf hat zum Teil auch schon Rossignol hingewiesen — an
den Lungen unserer Haussäugetiere insofern feststellen, als das
Rind die kürzesten und am wenigsten verzweigten Alveolengänge
besitzt; Pferd, Schwein und Katze weisen etwas längere Alveolen-
gänge auf; diejenigen der kleinen Wiederkäuer und namentlich
des Hundes sind die längsten, indem bei diesen Tieren der
Alveolengang sich nicht selten dreimal verzweigt, weshalb das
korrodierte Primärläppchen ein buschigeres Aussehen erhält.
Die Angabe Justesens (22, S. 643), welcher beim Ochsen die
Alveolen „mit einem Schlage über die ganze Wand verbreitet“
findet, kann ich nicht bestätigen. Ich fand vielmehr, ebenso wie
Martin (36, Bd. 1, S. 437), welcher in Fig. 333 einen Bronchiolus
respiratorius aus der Lunge des Rindes abbildet, dass an den
Bronchiolen dieses Tieres die Alveolen anfangs auch vereinzelt
auftreten.
Man hat schon viel darüber gestritten, welchem Teilungs-
prinzip die terminalen Luftgänge huldigen. In neuester Zeit ist
es namentlich d’Hardiviller, welcher dem monopodischem Ver-
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 31
zweigungsmodus das Wort redet, während Justesen die Lehre
der strengen Dichotomie vertritt. Nach ihm nimmt die Dichotomie
nur durch ungleiches Wachstum der Schwesterzweige, sowie durch
successive Verschiebungen der Teilungsachsen das Aussehen der
Monopodie an. Diese Art des Wachstums wird in der Botanik
Sympodie genannt.
Nach meinen Untersuchungen ist der Teilungsmodus der
terminalen Lufträume keinem bestimmten Gesetze unter-
worfen. Die Dichotomie findet sich zwar sehr gewöhnlich;
daneben beobachtet man aber auch nicht zu selten das Vor-
kommen durchaus ungleichwertiger Zweige, welche von einem
Stamme ihre Entstehung nehmen, indem es z.B. Läppchen gibt,
welche in der Mitte einen Alveolengang als Achse besitzen, von
dem dann die übrigen Alveolengänge senkrecht abzweigen,
ähnlich wie die Äste einer Tanne. Es ist nicht zu verkennen,
dass die Raumverhältnisse den Teilungsmodus beeinflussen. Das
einzige strenge Gesetz aber, welchem die Verzweigung der ter-
minalen Lufträume unterworfen zu sein scheint, ist das offen-
sichtliche Bestreben der bestmöglichen Raumausnützung.
Das respiratorische Epithel.
Der Zweck der Lunge, den Gasaustausch zwischen Blut
nnd Atmungsluft zu bewerkstelligen, erfordert es, dass die
trennende Wand zwischen den austauschenden Medien eine
möglichst dünne ist. Diese Scheidewand wird dargestellt durch
die Wand der Kapillargefässe, die Grundmembran der Alveolen
und durch das lange Zeit unbekannt gebliebene respiratorische
Epithel. Eberth und sein Schüler Elenz waren die ersten,
welche die epitheliale Auskleidung des respiratorischen Parenchyms
an Säugetierlungen mit genügender Klarheit beschrieben haben
und Kölliker (25) hat die Verhältnisse beim Menschen zuerst
klargelegt. Seitdem nun durch diese bahnbrechenden Unter-
suchungen die Kenntnis des respiratorischen Epithels wissenschaft-
liches Gemeingut geworden ist, gewinnt man aus manchen Arbeiten,
die sich mit dem feineren Aufbau der Lunge befassen, den Eindruck,
als ob dieses Epithel ohne Anwendung besonderer, sehr diffiziler
Hilfsmittel zu sehen sei. Es scheint ganz in Vergessenheit
geraten zu sein, dass unsere besten Histologen die grösste Mühe
32 Josef Müller:
hatten, dasselbe an Schnitten aus mit Silbernitrat gefüllten Lungen
zur Anschauung zu bringen. Die Schwierigkeit der Darstellung
dieser Epithelien aber besteht meiner Meinung nach heute noch
so gut wie ehedem. Man sollte zwar meinen, dass der Nachweis
der einen Fpithelzellart, der „kleinen, kernhaltigen, platten,
rundlich polygonalen Zellen“ (Kölliker [25]), nicht so schwierig
ist, wie derjenige der „grösseren, mannigfach geformten, an-
scheiniend kernlosen, ganz dünnen Platten,“ welche die andere
Art der epithelialen Auskleidung darstellen. Dies ist jedoch
nicht der Fall. Denn an Schnitten, welche mit dem Gefrier-
mikrotom hergestellt und nach einer Kernfärbung (mit Borax-
karmin oder Hämalaun) in physiologischer Kochsalzlösung oder
Glyzerin untersucht wurden, liessen sich eben so schwer wie an
Balsampräparaten, die mit den verschiedensten Farbstoften gefärbt
waren, die Epithelien der Alveolen nachweisen. Man kann Hunderte
von Alveolendurchschnitten durchsuchen, bis man einmal eine
mit einem kleinen runden Kern ausgestattete Zelle findet, welche
der Membrana propria aufsitzend ins Lumen des Alveols hinein-
ragt und sich dadurch als Epithelzelle dokumentiert. Und dann
muss man sich noch die Frage vorlegen, ob man sich nicht durch
die Endothelzelle einer gegen das Lumen des Alveolus vor-
springenden Kapillarschlinge hat täuschen lassen. An Flächen-
bildern der Alveolenwand ist es sehr schwer, um nicht zu sagen
unmöglich, unter den vielen Zellen, welche man da zu Gesicht
bekommt, eine Zelle zweifellos als Epithelzelle anzusprechen.
Man sieht nur den Kern, den Kontur des Zelleibs jedoch sieht
man nicht. Wenn man daher bei hoher Einstellung des Tubus
eine Zelle ins Auge fasst, die man für eine Epithelzelle halten
möchte, so ist man bei der Feinheit, Durchsichtigkeit und
Strukturlosigkeit der Membrana propria nicht imstande, bestimmt
zu sagen, ob die Zelle auf oder unter der Alveolarmembran liegt.
Ähnlich verhält es sich mit einer Zelle, welche unter dem Alveolar-
septum liegt. Man kann durch Heben und Senken des Tubus
wohl konstatieren, dass über der fraglichen Zelle eine Kapillare
oder eine elastische Faser hinweg zieht, dass sie also der
Membrana propria des darunterliegenden Alveols anliegen muss;
entscheiden aber, ob sie ihr innen oder aussen aufliegt, mit
anderen Worten, ob es eine Epithelzelle ist oder eine andere,
z. B. Bindegewebszelle, das können wir nicht.
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 33
Es wird daher in den Lehrbüchern der mikroskopischen
Anatomie mit Recht darauf hingewiesen, dass die Darstellung des
respiratorischen Epithels sehr schwierig ist. So betont Toldt
(71): „Die Epithelbekleidnng der terminalen Lufträume kann nur
nach Imprägnierung mit Silbersalpeter (Injektion durch die
Bronchien) deutlich zur Ansicht gebracht werden.“
Auch v. Ebner (8) bemerkt: „Das Epithel der Alveolen
bei den Säugetieren ist ohne Anwendung des Silbernitrats nur
schwer und unvollständig zu sehen, da auch bei guten Färbungen
mit Eosin usw. die unterliegenden kapillaren Blutgefässe und die
feinen elastischen Fäserchen in der Grundhaut der Alveolen die
Konturen der Epithelzellen nur undeutlich hervortreten lassen.
Namentlich sind die durchsichtigen kernlosen, sehr dünnen grossen
Epithelplatten schwer zu erkennen, und es ist daher begreiflich,
dass Henle noch 1866 den Lungenbläschen jede Epithel-
bekleidung absprechen konnte.“
Angesichts dieser Schwierigkeiten, welche sich bei der
Forschung nach der epithelialen Auskleidung der Alveolen in den
Weg legen, ist es beinahe unverständlich, wie Hansemann (14)
schreiben kann: „Auch in einer anderen Beziehung hat sich meine
Kenntnis von den Alveolenporen erweitert. An günstigen Objekten
kann man zeigen, dass, wie ich es früher vermutete, die Epithelien
durch die Poren hindurch miteinander in Verbindung stehen.
Zuweilen sind es nur Protoplasmafortsätze, die den scharfen Rand
der Pore bekleiden, zuweilen liegt aber auch der Kern einer
Epithelzelle auf der Kante des Randes.“
Das müssen schon ganz besonders günstige Objekte gewesen
sein, an denen man das alles sehen kann!
Wenn nun schon der Nachweis der kernhaltigen Epithel-
zelle auf solche Schwierigkeiten stösst, so darf man sich nicht
wundern, wenn die Erkennung der kernlosen, platten Epithelzelle
ohne Anwendung besonderer Hilfsmittel unmöglich ist, da an ihr
weder eine Struktur, noch ein Kontur zu erkennen ist, welche
ihren Platz verraten könnten. Der Nachweis ihres Vorhanden-
seins gelingt nur mit Hilfe der Silbernitratinjektion, wodurch ihr
Kontur zum Vorschein kommt und zwar in Form eines weit-
maschigen Netzes dunkelbrauner, mehr oder weniger gewundener
Linien. An den Vereinigungspunkten der Grenzen mehrerer kern-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 3
34 Josef Müller:
losen Platten, also den Knotenpunkten jenes Liniennetzes, sieht
man kleine, polygonale, dunkelbraun gefärbte Zellen, einzeln, meist
aber zu mehreren beieinander liegen, welche den kernhaltigen
Zelltypus der Alveolenauskleidung repräsentieren.
Bei der Deutung der den Kontur der platten, kernlosen
Epithelien darstellenden Linien wurde ich durch folgende Be-
obachtung zu besonderer Vorsicht gemahnt. An der mit Silber-
nitrat gefüllten Lunge eines 23 Tage alten Hundes fand ich
nämlich auch die Endothelzellgrenzen und Stomata grösserer Ge-
fässe versilbert, was offenbar auf eine Durchtränkung des Gewebes
mit der Silberlösung zurückzuführen ist. Es ist klar, dass auch
eine Versilberung der Endothelien der die Alveolen umgebenden
Blutkapillaren eintreten und diese zu Täuschungen und Trug-
bildern Veranlassung geben könnte.
Wie fast allgemein angenommen wird, sind jene grossen,
kernlosen, platten Epithelien eine Eigentümlichkeit der atmenden
Lunge, und über ihre Entstehung besteht, wie Elenz und
Kölliker (25) glauben, die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch
Verschmelzung kernhaltiger Pflasterzellen zustande kommt. „Beim
Fötus,“ schreibt v. Ebner (8), „und bei Kindern, die noch
nicht geatmet haben, sind nur einerlei Zellen vorhanden und
zwar fehlen die charakteristischen, grossen, hellen Platten, was
indessen von Sedgwdik Minot (im Lehrbuch der Entwicklungs-
geschichte S. 308) in Abrede gestellt wird.“ Wie Sussdorf (65)
angibt, hat Stieda diese platten Epithelien auch bei Schaf-
embryonen nachgewiesen. Um über ihr Vorkommen bei Tieren,
die noch nicht geatmet haben, einen Aufschluss zu erhalten,
untersuchte ich Präparate aus der histologischen Sammlung des
anatomischen Instituts, sowie solche, die mir Herr Prosektor
Dr. Fritz bereitwilligst zur Verfügung gestellt hatte, und selbst
angefertigte. Dabei fand ich, dass beim Katzenfötus von 9 cm
Nacken-Steisslänge und bei einem jüngeren Kalbsfötus die Aus-
kleidung der Alveolen aus kleinen, kubischen, kernhaltigen Zellen
bestand, wie sie für fötale Lungen allgemein beschrieben werden.
An der Lunge eines totgeborenen Fohlens und an derjenigen eines
230 Tage alten Kalbsfötus, sowie eines totgeborenen Kalbes da-
gegen liess sich der kontinuierliche kubische Epithelbelag nicht
nachweisen. Die Verhältnisse lagen vielmehr so, dass die kleinen,
kernhaltigen, ziemlich zahlreichen Epithelzellen zwischen sich
(SB)
(eb)
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere.
Lücken zeigten, welche, wie man vermuten darf, mit den grossen,
kernlosen Platten ausgefüllt waren.
Nach diesen Befunden kann man wohl nicht den Vorgang
der Respiration allein für das Zustandekommen der platten
Epithelzellen verantwortlich machen; es muss vielmehr schon eine
intrauterine Entstehung dieser Epithelien angenommen werden,
welche in das Ende der Fötalperiode fallen dürfte.
Die Membrana propria der Alveolen.
Bei der Feinheit und Zartheit der Alveolarwand darf es
nicht wundernehmen, wenn über ihren Bau, insbesondere über
die Natur der Membrana propria die Meinungen noch geteilt sind
So beschreibt sie F. E. Schulze (59) wie folgt: „Die
Alveolarwand hat zur Grundlage eine helle, fast strukturlose, hie
und da, besonders an dickeren Partien deutlich faserige Binde-
gewebslage, in welcher sparsam und zerstreut länglichovale Binde-
gewebskerne ohne bemerkbaren körnigen Hof vorkommen.“
(Henle, 1873. Eingeweidelehre, S. 292. Kommunikat. 291.)
Nach Toldt (71) ist die „Membrana propria in den Alveolen-
gängen leicht streifig, in den Alveolen selbst völlig strukturlos.“
Böhm und v. Davidoff (5) sagen nur: „Die Basalmembran
des Epithels der Luftwege wird allmählich dünner und ist in der
Region des Infundibulums kaum mehr wahrzunehmen.“
Szymonowicz (69) nennt sie eine dünne, strukturlose
Basalmembran.
Ellenberger und Günther (9) beschreiben sie als „ein
dünnes, strukturloses Häutchen, in welches zahlreiche elastische
Fasern und Kapillarschlingen eingelagert sind.“
v. Ebner (S) sagt von ihr, sie sei „ein dünnes Häutchen,
das man als Fortsetzung der Faserhaut samt der Schleimhaut
der Bronchien betrachten kann.“
Lesbre (33) bezeichnet sie als „une mince membrane con-
junetive supportant le r&seau capillaire de l’hematose et doublöe
exterieurement de tres nombreuses fibres &lastiques.“
Stöhr (61) schreibt ihr eine leichte Streifung zu und ihm
schliesst sich Linser (34) an.
Diesen Anschauungen über die Beschaffenheit der Membrana
propria gegenüber hat Sussdorf (65) sie „als eine elastische Haut
Bi
36 Josef Müller:
aufgefasst, weil es mir,“ wie er sagt, „an keinem der unter-
suchten und in verschiedenster Weise behandelten Präparate mög-
lich war, dort, wo die die Alveolarwand gut im Querschnitt ge-
troffen, einwärts von dem Epithelium irgend eine andere Gewebs-
form aufzufinden, als eben die elastische. Jederzeit präsentierte
sie sich als eine einen meist ganz regelmässigen Ring bildende,
glänzende, scharf konturierte, in ihrer äusseren Konturlinie häufig
sich verzweigende Membran. Dass dieselbe nicht ganz kontinuierlich
zu sein braucht und somit an ihre Stelle die bindegewebige Grund-
lage des die Alveolarwand bedeckenden Gewebes treten kann, ist
eine in der Natur der elastischen Häute überhaupt gelegene Eigen-
tümlichkeit.“
Wenn es sich nun um die Untersuchung feiner Struktur-
verhältnisse der Lunge handelt, verdienen Präparate, welche
höchstens mit einem Kernfarbstoff gefärbt und in physiologischer
Kochsalzlösung oder Glyzerin eingebettet sind, vor tingierten
Balsampräparaten entschieden den Vorzug. Die vorbereitende
Behandlung der letzteren bedingt nicht nur eine höchst unwill-
kommene Schrumpfung des Objektes, welche die Elemente der
Alveolarsepten bis zur Unkenntlichkeit ihrer natürlichen An-
ordnung zusammenrücken lässt, sondern auch eine derartige Auf-
hellung einzelner (ewebselemente, dass sie kaum mehr sicher
diagnostiziert werden können. Die Ausgleichung der Licht-
brechungskoöffizienten macht sich ganz besonders lästig gegen-
über den elastischen Elementen der Lunge, welche im Balsam-
präparat, wenn ungefärbt, so gut wie ganz verschwinden; hier
muss an die Stelle der Balsam- die Glyzerineinbettung treten,
wenn man nicht gar die Untersuchung in physiologischer Koch-
salzlösung vorziehen will.
An solchen Präparaten ‘sieht man die innere Umgrenzung
der genau senkrecht getroffenen Alveolarwand ohne Vermittlung
irgend welcher anderen Substanz als etwa gelegentlich einmal
einer ganz niedrigen, kernhaltigen Epithelzelle von einer feinsten,
doppelt konturierten, stark lichtbrechenden Linie erstellt, welche
man als die Membrana propria ansprechen muss. Nicht eben
selten kann man sich davon überzeugen, dass von dieser feinen
Linie aus eine andere, gleich geeigenschaftete abzweigt, welche
dann entweder in der Interalveolarsubstanz nach längerem oder
kürzerem Verlauf endet, oder die ganze Breite des Alveolen-
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 37
septum durchsetzend mit der Membrana propria des Nachbar-
alveols in Verbindung tritt.
Auch an Balsampräparaten, an welchen die elastischen Fasern
nach der Weigertschen Methode und die Zellkerne mit Borax-
karmin gefärbt sind, erscheint als innere Begrenzung des
Alveolarraums unter der gleichen Bedingung, d. h. wenn die
Alveolarwand gut im Querschnitt getroffen, eine
dunkelblau gefärbte Linie, welche sich gegebenenfalls von Alveolar-
membran zu Alveolarmembran hinbegibt und mit anderen Fasern
ihrer Art in der Interalveolarsubstanz zusammenhängt. Auch die
physiologische Aufgabe der Alveolen in ihrer mit der Ventilation
der Lunge ex- und inspiratorisch wechselnden Weite fordert das
Vorhandensein einer elastischen Grundmembran.
Nach ihrer optischen Erscheinungsweise und ihrem färbe-
rischen Verhalten gegenüber:der Weigertschen und Unnaschen
Färbemethode kann über die elastische Natur dieser Substanz
ein Zweifel nicht aufkommen. Und doch, so wird man zunächst
einzuwenden berechtigt sein, muss es auffallen, dass nicht alle
Alveolarräume von diesem glänzenden Ring umkreist erscheinen
und dass, wenn er auch hier oder dort vorhanden, so doch
nicht immer in ununterbrochener Kontinuität den Alveolarraum
umgreift. Zur Aufklärung dieser Tatsache wird man auf eine
Beobachtung zurückgreifen können, die jedem aufmerksamen Be-
obachter hinlänglich bekannt ist. Die glatt abgeschnittene klare
Glasscheibe, etwa ein unbeschliffener Objektträger, bietet nur in
der reinen Kantenansicht den glänzenden Reflex des spiegelnden
Glases; die geringste Neigung und Schiefstellung derselben lässt
ihn sofort verschwinden und die durchsichtige, ungetrübte Flächen-
ansicht zum Vorschein kommen. Das gleiche Verhalten zeigen
mutatis mutandis die mehrblätterigen Sehnen- und platten Binde-
gewebszellen; im Flächenbild vollkommen durchsichtig, bieten sie
in der Kantenansicht bezw. dort, wo der Hauptplatte die zwischen
zwei Sehnenfasern senkrecht in die Tiefe ziehende Nebenplatte
aufsitzt, den glänzenden Reflex der spiegelnden Glasscheibenkante
dar. Dieser aus den rein optischen Erscheinungen der elastischen
Substanz entspringenden Auffassung von der Alveolarmembran
als einem in ihrer Grundlage durchaus homogenen, rein elastischen
Häutchen widerspricht auch die Tatsache nicht, dass die in ihrer
Flächenansicht uns entgegentretende Alveolarwand etwa der Kugel-
35 Josef Müller:
kappe eines Alveols in dem nach Weigert gefärbten Präparat
im Gegensatz zu dem tiefer blau erscheinenden Umfassungsringe
nicht auch blaugefärbt sich präsentiert. Diese Erscheinung ist offen-
bar so zu erklären, dass die Färbung der äusserst zarten Membran
zu schwach ist, als dass sie unter dem Mikroskop selbst bei ge-
ringer Vergrösserung zu sehen wäre. Auch an anderen elastischen
Häuten tierischer Teile, deren elastische Natur keinem Zweifel
unterliegt, zeigt sich das gleiche Bild. So präsentiert sich die
Tunica elastica Intimae der feinsten Arterien nur in gut geführten,
genau senkrecht zum Gefäss stehenden Querschnitt als eine feine,
nach Weigert tiefblau gefärbte Linie welligen Verlaufes. Ist
das Gefäss jedoch schief getroffen, so scheint sie verschwunden.
Man sieht nur elastische Fasern und quer dazu verlaufende
Muskelzellen; von einer diffusen Blaufärbung aber, wie man sie
erwarten könnte, sieht man nichts. -Ein weiteres Analogon haben
wir im Sarkolemma. Dieses ist nach Sussdorf (64) „eine
elastische Scheide von sehr geringer Dicke und ganz homogenem
Aussehen; von der Fläche gesehen, erzeugt es deshalb wie reines
Spiegelglas gar keinen Lichteffekt, am Rande der Faser erscheint
es gewissermassen im optischen Durchschnitt als scharfe, dunkle
Linie, die sich durch deutlichen Kontur von der Umgebuug, etwas
weniger markant von dem Inhalte abhebt.“
Hiernach darf die Grundmembran der Alveolarwand als
eine durchaus homogene elastische Membran angesprochen
werden ; morphologische und physiologische Tatsachen bezw. Gründe
drängen uns darauf hin. Alles, was über ihre Struktur als
Faserung oder Körnelung gesehen und geschrieben worden ist,
bezieht sich auf die durch sie unvermittelt und ungetrübt erkenn-
baren, geformten Elemente der interalveolären Substanz.
Das elastische Stroma und die glatte Muskulatur
des Lungenparenchyms.
Bei der Atmung erfährt der Luftraum der Lungen eine
abwechselnde Vergrösserung und Verkleinerung. Die Lungen
müssen daher, um diesen Anforderungen gerecht werden zu
können, eine grosse Dehnbarkeit und vollkommene Elastizität
besitzen. Die materielle Grundlage für diese beiden Eigen-
schaften bildet ein solides, elastisches Gerüst. Dieses nun hat
bisher in den Lehrbüchern der Histologie zwar eine allgemeine
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 39
Beschreibung gefunden. „Die elastischen Fasern,“ so schreiben
Ellenberger und Günther (9), „umspinnen die Alveolen
unter häufiger Teilung in allen Richtungen und verflechten sich
an der Eingangsöffnung zu einem starken Ringe.“ Eingehendere
Untersuchungen jedoch, welche den hohen Wert dieser Gewebs-
art für die Funktion der Lungen gebührend würdigten, fehlen
bei unseren Haustieren wenigstens. Über den Bau der elastischen
Fasern in der Lunge des Menschen hat Linser (34) einen Auf-
satz veröffentlicht, in welchem er auch desjenigen einiger Tiere
(s. 0.) Erwähnung tut, ohne sich jedoch auf Einzelheiten ein-
zulassen.
Will man sich über die Stärke und Zahl der elastischen
Fasern vergleichender Weise ein Bild machen und Aufschluss ver-
schaffen, so muss man verschiedene Umstände berücksichtigen,
denn das die Alveolen umspinnende elastische Gewebe zeigt je
nach dem Dehnungszustand der Lunge eine andere Beschaffenheit.
So sehen wir die elastischen Fasern in der stark ausgedehnten
Lunge den gespannten Netzfäden eines Ballons vergleichbar in
mehr geradlinigen Bogen verlaufen, während sie bei der retrahierten
Lunge einen welligen Verlauf zeigen. Die gespannten Fasern
werden naturgemäss dünner erscheinen müssen, während die ge-
schlängelten dicker sind. Jene scheinen weniger zahlreich wie
diese. Die Jugend der Tiere bedingt insofern einige Unterschiede,
als bei jungen Individuen die elastischen Elemente weniger ent-
wickelt sind als bei älteren. Dieser Unterschied gilt jedoch, wie
Linser (34) angibt, nur für die ersten Lebenswochen.
Die Anordnung der die Wand der terminalen Lufträume
erstellenden Gewebe gestaltet sich im allgemeinen derart, dass
unter dem Epithel, welches die oben beschriebene Membrana
propria zur Unterlage hat, eine ganz zarte, längsverlaufende
elastische Faserschicht gelegen ist. In den respiratorischen
Bronchiolen und den Alveolargängen ist, wie Toldt (71) mitteilt,
„deren Basis (Eingangsebene) durch einen kreisförmigen Zug
dicht verfilzter elastischer Fasern gestützt, und von diesem
zweigen sich einzelne dünne, gabelig verästelte Fäserchen ab,
um über die ganze Wandung der Alveolen ein zartes Maschen-
werk zu bilden. Ganz übereinstimmend verhalten sich die elastischen
Fasernetze an den Alveolen, welche dicht aneinander gereiht
die Wandungen der Endsäckchen zusammensetzen. Eine jede
40 Josef Müller:
derselben ist an ihrem Eingang von dem gemeinschaftlichen Hohl-
raum her durch einen dichteren Zug elastischer Fasern umkreist,
während an ihren Seitenteilen und an ihrem Grund einzelne,
verzweigte Fäserchen ein weitmaschiges Netzwerk herstellen.
Man kann sich von dieser Anordnung leicht überzeugen, wenn
man zu einem aus frischem Lungengewebe hergestellten Zupf-
präparat Essigsäure oder noch besser verdünnte Natronlauge zu-
setzt. Es ist indessen zu bemerken, dass die Wandungen benach-
barter Alveolen ganz gewöhnlich an den einander zugewandten
Seitenteilen unter sich verschmelzen und daher ihre Lichtungen
nur durch eine einfache Wandschichte (Alveolenseptum Fr. E.
Schulze) getrennt sind. An erwachsenen Individuen und ins-
besondere im höheren Alter kommt es sehr häufig zu einem
mehr oder weniger ausgebreiteten Schwund dieser Scheidewände,
so dass die Räumlichkeiten benachbarter Alveolen teilweise in-
einander fliessen.“
So wie sie hier geschildert sind, gestalten sich die Ver-
hältnisse auch bei unseren Haussäugetieren. Die elastischen Fasern,
welche keine Regelmässigkeit in ihrer Anordnung erkennen lassen,
variieren jedoch bei den einzelnen Tieren an Zahl sowie an Dicke.
Im Hinblick auf die grossen Anforderungen, welche an die Lunge
des Pferdes gestellt werden, könnte man bei diesem Tiere ein
sehr kräftiges elastisches Stroma vermuten. Nicht mit Unrecht
schreibt daher auch Linser (34): „Das Pferd, ein älteres, vor-
wiegend zum schweren Zug verwendetes Tier, entsprach nicht
ganz den Erwartungen, indem das elastische Gewebe hier nur
ungefähr die Mächtigkeit des bei der Kuh geschilderten hat.
Die Fasern im Stroma sind recht derb, dafür jedoch nicht so
dicht angeordnet, was man auch daran erkennen kann, dass sie
nur auf kurze Entfernungen zu verfolgen sind.“ Ich fand die
Fasern nicht so dick wie beim Rinde; die derbsten hatten einen
Durchmesser von 3,5 bis 4 «u. An Dichtigkeit stehen sie jedoch
denjenigen des Rindes wenig nach.
Das elastische Stroma der Lunge des Rindes weist sowohl
die dicksten (5 & und darüber) als die zahlreichsten Fasern auf.
Die Anordnung derselben lässt ebensowenig wie bei anderen
Tieren eine Regelmässigkeit erkennen. An verschiedenen, nach
der Weigertschen Methode 24 Stunden lang gefärbten, ziemlich
dicken Schnitten, an denen die Kapillargefässnetze als bläuliche
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere, 41
Schatten erkennbar waren, liess sich eine enge Anlehnung vieler
elastischer Fasern an die Kapillaren feststellen, so zwar, dass
die Fasern in den gleichen Windungen verliefen, wie die Kapillaren.
Eine bedeutend feinere Faser. die nur 2 u stark ist, er-
stellt das elastische Stroma der Lunge des Schafes; namentlich
vermisst man bei diesem Tiere auch die kräftigen Faserringe
um die Mündung (Basis) der Alveolen, welche hier, wie wir
weiter unten sehen werden, durch Ringe glatter Muskelfasern
ersetzt werden. Dasjenige der Ziege ist etwas derber, indem
hier die Fasern eine Dicke von 3 « erreichen und auch zahl-
reicher sind.
Das. Schwein weist ein demjenigen des Pferdes ähnliches
elastisches Gerüst auf. Die Hauptfasern, deren Dicke sich auf
4 bis 4,5 « beläuft, sind eher noch etwas derber, als wir sie
beim Pferde sehen. Die Faserverzweigung dagegen ist nicht so
stark, weshalb das Netz, das die elastischen Fasern bilden, etwas
weitermaschig erscheint.
Beim Hunde lässt das elastische Stroma des Lungen-
parenchyms einen ähnlichen Bau erkennen, wie wir ihn beim
Schafe sehen. Die kräftigsten Fasern sind 3 « stark; sie sind
sehr zahlreich und zeigen eine reiche Verzweigung.
Das zierlichste elastische Fasernetz umspinnt die Alveolen
der Katze; die starken Fasern sind ungefähr ebenso dick wie
beim Hunde; die abzweigenden Fasern dagegen sind bedeutend
feiner und erstellen ein sehr engmaschiges Netz.
Ausser durch dieses elastische Stroma wird die Wand der
feinsten Luftwege noch durch glatte Muskelfasern erstellt. Dass
ring- oder halbringförmige Züge glatter Muskelzellen die
Bronchiolen umgeben, haben wir schon oben gesehen. Aber
auch die respiratorischen Bronchiolen, sowie die Alveolargänge
zeigen Muskelfasern in ihrer Wand. So beschreibt Rindfleisch (54)
dies Vorkommnis beim Menschen, indem er sphinkterenartige Ringe
an der Mündung der Alveolen findet, welche diese umkreisen
und in Form schleifenförmiger Faserzüge auf das Infundibulum
ausstrahlen.
Sussdorf (67) hat sich beim Rinde schon früher von einer
ähnlichen Einrichtung überzeugen zu können geglaubt. Er
schreibt: „An den Stellen jedoch, wo sich auf die Infundibula
die Alveolen selbst mit ihrer etwas verengten Mündung aufsetzen,
42 Josef Müller:
erscheinen in Querschnitten durch die hier zusammenstossenden
Infundibular- und Alveolarwandungen in dem von beiden ge-
bildeten Winkel rundlich-ovale, zuweilen an einer Seite scharf
zugespitzte Zellen mit deutlichem, die Zelle fast ganz aus-
füllendem Kern, dessen Grösse ungefähr der Dicke jener Muskel-
zellenkerne gleichkommt. Dies Bild liesse vielleicht darauf
schliessen, dass auch rings um die Mündungen der Alveolen glatte
Muskelfasern nach Art der Sphinkteren herumlaufen.“
Kölliker (25) findet beim Menschen ebenfalls eine solche
Einrichtung. „Mit Leichtigkeit,“ so schreibt er, „liessen alle
Alveolengänge zarte Züge glatter Muskelfasern in ihrer Wand
erkennen, die vorwiegend zirkulär verliefen und ausserdem am
Eingange einer jeden wandständigen Alveole und eines Infundi-
bulum einen Ring bildeten, der wie ein Schliessmuskel erschien.“
Ähnliche Bilder wie die bisher beschriebenen fand ich auch
an den Lungen der von mir untersuchten Tiere. Den bestaus-
geprägten Schliessapparat fand ich an der Lunge der Katze und
namentlich des Schafes. Hierselbst lassen sich Muskelringe von
beträchtlicher Stärke an der Mündung von Alveolen erkennen
(s. Taf. I, Fig. 3m ), welche, wie ich an Serienschnitten fest-
stellen konnte, in Alveolgänge oder respiratorische Bronchiolen
einmünden. Man sieht die verschiedensten Bilder: hier ein voll-
kommen geschlossener Muskelring, dort nur Teile eines solchen;
dann sieht man langgezogene Achtertouren, ein anderesmal ist
das Lumen nur ein schmaler Spalt. Trifft man einen Alveolen-
gang in der Längsrichtung, so sieht man im Querschnitt getroffene
Alveolen, deren Septen an der Einmündungsstelle eine kolbige
Auftreibung zeigen. Diese ist bedingt durch einige querdurch-
schnittene glatte Muskelzellen, welche sich als solche dadurch
manifestieren, dass sie in einem kleinen mit der Giesonschen
Farbe gelbgefärbten Zelleib einen im Verhältnis zur Zelle grossen
runden Kern zeigen. Zwischen den Muskelzellen dieser Ringe
liegen noch feine elastische Fäserchen, wie man an mit Örcein
gefärbten oder nach der Weigertschen Methode behandelten
Schnitten sehen kann.
Ob die glatten Muskelfasern sich bis in die Alveolarsepten
fortsetzen, ist eine bis heute noch niebt entschiedene Frage.
„Dafür sind,“ wie Sussdorf (65) berichtet, „serlach, Mole-
schott, Colberg, Hirschmann und Pisoborme eingetreten;
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 43
dagegen haben sich unter anderen F. E. Schulze, Frey, Henle,
Kölliker und Toldt ausgesprochen. Für unsere Haustiere kann
ich mich den letzteren Forschern mit der Einschränkung an-
schliessen, dass glatte Muskelfaserelemente zwar nicht in der
Membran selbst, wohl aber ganz dicht auf deren äusserer Ober-
fläche, besonders aber in jenen elastischen Fasernetzen gefunden
werden, welche sich der Alveolarwand anlegen.“
An den von mir untersuchten Lungen konnte ich mich nur
beim Schaf und Rind vom Vorhandensein vereinzelter, glatter
Muskelzellen überzeugen, welche an der äusseren Oberfläche der
Membrana propria der Alveolen gelegen waren, wie Sussdorf
sie beschreibt.
Die Poren der Alveolen.
Die in der letzten Zeit viel umstrittene Frage nach dem
Vorkommen natürlicher feiner Öffnungen (Poren) in den Alveolar-
septen der normalen Lunge steht nicht zum erstenmal auf der
Tagesordnung der wissenschaftlichen Diskussion. v. Ebner (8)
veilt mit, dass die Ansicht, wonach die Alveolen nicht in sich
abgeschlossen seien, sondern miteinander kommunizieren, schon
auf Malpighi zurückreiche. Henle (17, I. Aufl., S. 279) spricht sich
mit den den meisten Bearbeitern der vorliegenden Frage offenbar
entgangenen Worten „auch kommen Kommunikationen der ein-
ander berührenden Alveolen durch Vermittlung kreisrunder,
scharfrandiger Öffnungen vor“ unter all den früheren und
späteren Forschern am unzweideutigsten für die Existenz der
Poren aus; er berichtet zugleich auch in einer Anmerkung auf
S. 280 von der Kontroverse zwischen Adriani (1847) auf der
einen und Schultz (1850), Kölliker (24, DH. Aufl.) und Waters
auf der andern Seite, nach welcher der erstere beim Menschen
und Hirsch eine derartige Raumgemeinschaft nicht nur zwischen
den Alveolen eines „Infundibulums“, sondern auch zwischen
jenen benachbarter Infundibula beobachtet haben will.
In neuerer Zeit hat Hansemann (13) auf Grund der von
Kohn (23) beschriebenen Tatsache, dass bei der fibrinösen
Pneumonie Fibrinfäden von einem Alveolus in den andern durch
die Septen hindurchtreten, die Frage wieder aufgenommen und
zu entscheiden versucht, ob diese Öffnungen ein normales Vor-
kommnis in den Alveolarsepten sind, wie Hauser (1893, 16) an-
44 Josef Müller:
nimmt, oder ob sie, wie Ribbert (1594, 53) meint, pathologische
Produkte sind. Zu diesem Zwecke füllte er Lungen verschiedener
Tiere von der Trachea aus unter möglichst geringem Druck mit
Berlinerblaugelatine und härtete sie in absolutem Alkohol; er
fand dann, dass von der durch die wasserentziehende Wirkung
des Alkohols stark geschrumpften Füllungsmasse zahlreiche Ver-
bindungsfäden durch die Alveolenwandungen treten und mit der
Masse der benachbarten Alveolen in Verbindung stehen. „Man
kann sich dann,“ schreibt er, „durch Drehung der Mikrometer-
schraube bei stärksten Vergrösserungen mit vollkommener Sicher-
heit überzeugen, dass die Verbindungsfäden durch die Wand
der Alveolen hindurchtreten und nicht etwa über oder unter
dem Präparat verlaufen. Auch kann man an günstig gelegenen
Stellen den optischen Querschnitt der Stomata sehen und sich
überzeugen, dass hier Lücken der Wand bestehen und wahr-
scheinlich in der Weise, dass Fortsätze der Epithelzellen durch
diese Stomata hindurchtreten und mit den Zellen des andern
Alveolus in Verbindung treten.“
Diese Befunde wurden unter v. Ebners Leitung durch
Aigner (1899, 1) nachgeprüft: er gelangte zu der Ansicht, dass
die von Hansemann beschriebenen Bilder zutreffen, dass sie
aber so zu deuten seien, dass die Gelatinefäden nicht durch die
Alveolenwandungen hindurchzieben, sondern über die Alveolar-
septen hinweggehen.
Seitdem hat sich eine Reihe von Forschern mit der Poren-
frage befasst. So hält v. Ebner (S) die Methode Hansemanns
nicht für einwurfsfrei, da auch in anderen Hohlräumen, z.B.
Blutgefässen, Leim leicht zackig schrumpft; er konnte sich auch
an mit Silberlösung gefüllten, sowie an mit Alkohol injizierten
Lungen, von welchen letzteren die Schnitte stark mit Eosin
gefärbt waren, vom Vorhandensein der Poren nicht überzeugen.
W.S. Miller (41) kann die von Hansemann be-
schriebenen Poren „um so weniger als normale Bildungen aner-
kennen, als sich gegen seine Präparationsmethode schwerwiegende
Einwürfe machen lassen.“
Laguesse und d’Hardiviller(30) haben bei einem
26jährigen, kräftigen Menschen an einigen sehr seltenen Stellen
Kommunikationen zwischen benachbarten Alveolen gefunden und
betrachten daher dieses Verhalten, ebenso wie die Erweiterung
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 45
gewisser Endalveolen, als eine Tendenz zum Emphysem. Obschon
dieses Verhalten von einem gewissen Alter an sehr häufig sein
mag, muss es als ein Anfang von Verletzung und nicht als der
wirklich normale Zustand betrachtet werden.
Diesen Befunden gegenüber werden auch Stimmen laut,
welche sich für das Vorhandensein von Poren entscheiden. So
kann Zimmermann (75) das Vorkommen der von Hanse-
mann in den Alveolarwänden beschriebenen Öffnungen für die
Katze auf das bestimmteste bestätigen.
Hansemann (14), der inzwischen die Poren auch beim
Menschen, beim Orang-Utang, beim Chimpanse, beim Mantel-
pavian, beim Hund und bei der Maus gesehen hatte, tritt in
einer Entgegnung an v. Ebner nochmals für seine Behauptungen
ein und weist den Vorwurf zurück, lediglich auf Grund von
Leiminjektionspräparaten auf das Vorhandensein von Poren ge-
schlossen zu haben. Er findet auch, dass die elastischen Fasern
zu den Poren keine konstante Beziehung haben, ebensowenig
die Blutgefässe.
Sudsuki (65) findet an dieken Schnitten oft zwei und
noch mehr Poren in der Wand eines Alveols. „Ihre Ränder“, so
schreibt er, „sind nicht mit elastischen Fasern umsäumt, die
überhaupt in keinem regulären Verhältnis zu den Stomata
stehen.“ Bei emphysematisch erweiterten Poren sieht er manch-
mal auch die Ränder zum Teil von sehr feinen elastischen
Fasern begrenzt.
Nach Linser (34) zieht sich um die „Stomata, die kleinen
direkten Verbindungen benachbarter Alveolen, gewöhnlich eine
etwas dickere elastische Faser.‘
Auch Sobotta (60) und Nicolas (47) finden Poren in
den Alveolenwänden.
Merkel (39), welcher die Porenfrage eingehender erörtert,
sah „an Celloidinkorrosionen von Lungen Neugeborener, an
welchen die Alveolen nicht so innig ineinander greifen, wie an
denen von Erwachsenen, solche Kommunikationen nicht, was
jedoch nicht verwundern kann. Ein Präparat, so schreibt er
weiter, welches ich der Güte von Hansemann verdanke, und
welches ich mit dem stereoskopischen Okular untersucht habe,
zeigt, dass zweifellos die Mehrzahl der Leimfäden über die Septa,
welche benachbarte Alveolen trennen, hingehen. Einige Biider
46 Josef Müller:
aber legen doch die Annahme nahe, dass es auch Leimfäden
gibt, welche Alveolenwände durchsetzen. An der Lunge einer
jungen Katze, welche mit Silber injiziert worden war, hatten
neben einer wohl gelungenen Färbung der Begrenzungslinien der
Epithelzellen auch die Wände der Alveolen im ganzen einen
bräunlichen Ton angenommen. Dadurch war es möglich, helle
Löcher in denselben wahrzunehmen, welche bald grösser, bald
kleiner waren und welche eine unregelmässige Form hatten. Da
über die Existenz dieser Löcher nicht der geringste Zweifel
obwalten konnte, war nur zu entscheiden, ob man es etwa mit
Kunstprodukten zu tun hatte, oder ob es sich um präformierte
Öffnungen handelte. Hierneben bilde ich eine solche durch-
brochene Alveolenwand ab, an welcher nach meiner Ansicht die
Löcher unmöglich als künstlich entstanden gedeutet werden können.
Ganz Gleiches habe ich dann an einer von F. E. Schulze ver-
silberten Kaninchenlunge der histologischen Sammlung meines
Instituts beobachtet. Auch an einer nicht versilberten Lunge
vom erwachsenen Menschen konnte ich solche Öffnungen sehen.
Ich stehe deshalb nicht an, mich Hansemann, Nicolas,
Zimmermann u. a. anzuschliessen, welche die Existenz der
Löcher in der Alveolenwand für sichergestellt halten.‘
Nach Stöhr (61, S. 261) steht auch jede Alveole „mit ihren
Nachbaralveolen durch eine sehr wechselnde Anzahl feiner Kanäle,
sog. Poren, in offener Verbindung“, und er bildet in Figur 221B
Poren in einer mit Silbernitratlösung gefüllten Lunge des
Menschen ab.
Um mich über das Vorhandensein von Poren zu informieren,
ahmte ich die von Hansemann angegebene Methode an
Kaninchenlungen nach. Die Bilder, die ich dabei erhielt, waren
keineswegs geeignet, die Stomata in den Alveolensepten zur
Anschauung zu bringen. Man sah wohl zahlreiche feine Leim-
fäden an der Alveolarwand anhaften, durch dieselbe hindurch-
treten aber nicht. Dagegen konnte ich an der Lunge eines
zwei Jahre alten Schafes, bei welcher die Füllung der Alveolen mit
absolutem Alkohol sehr gut gelungen war, Poren an Schnitten
feststellen, die mit Hämalaun und nach der Hansenschen
Methode gefärbt waren. Die Form der Poren, deren man an
einem Oberflächenabschnitt bis zu drei zählte, ist kreisrund oder
oval. Die Grösse der feinsten lässt sich der eines roten Blut-
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 47
körperchens gleichstellen, die grössten haben den doppelten
Durchmesser. An Präparaten, an denen die elastischen Fasern
nach der Weigertschen Methode zur Anschauung gebracht sind,
zeigen die Poren keine schärfere Umgrenzung als an anders
tingierten Präparaten, und ich konnte ebensowenig wie Sudsuki
(68) und Hansemann (14) Beziehungen der elastischen Fasern
zu den Poren konstatieren, im Gegensatz zu Linser (34), welcher.
wie oben erwähnt, um die Stomata gewöhnlich eine etwas dickere
elastische Faser sich herumziehen sah.
Bei weiteren Untersuchungen konnte ich auch an den
Lungen der anderen Tiere, also des Pferdes, Rindes, Schweines,
Hundes und der Katze Poren in der Alveolenwand feststellen.
Die Hauptbedingung für das Sichtbarwerden der Stomata liegt
nach meinen Beobachtungen weniger in einer gut ausgeprägten
Färbung, als darin, dass die Füllung der Alveolen mit Fixierungs-
flüssigkeit gut gelungen und die Alveolenwand dadurch gespannt
ist. Es leuchtet wohl ein, dass eine so kleine Öffnung nur
sichtbar wird, wenn ihr Lumen möglichst gross ist; dieses aber
hängt von der Spannung der Alveolenwand ab. Die rosarote
Färbung, welche die letztere durch Färbung nach der Hansen-
schen Methode erhält, erleichtert es jedoch ganz wesentlich, die
Poren dadurch deutlich zu sehen, dass durch sie rein weisses
Licht hindurchfällt, während die umgebende Wand einen rötlichen
Farbenton aufweist.
Nach dem im vorstehenden geschilderten Verhalten der
Alveolarwand stimme ich mit Hansemann u.a. darin überein,
dass in ihr Öffnungen, „Poren“, vorkommen, welche die Alveolen
untereinander verbinden. Zweifelhaft erscheint es mir indessen,
ob die Hansemannschen nnd meine Befunde identische Vor-
kommnisse darstellen. Nach meinen Präparaten sind dieselben
nur an den dünnsten Teilen der Alveolarsepten, also an Stellen
bemerkbar, in deren Bereich die nachbarlichen Alveolarwandungen
sich ohne interalveoläre Substanz direkt berühren. Hansemann
beschreibt sie dagegen als enge Kanäle und bildet sie in Fig. 1
seiner ersten Veröffentlichung mehrfach als Poren ab, welche
durch selbst recht kräftige Teile der Alveolarsepta hindurchgehen.
Seine die Poren durchsetzenden Leimfäden treten in der gleichen
Figur durchweg über die Alveolarsepta hinweg und scheinen bis
auf einige wenige in einer Schnittebene zu liegen: es kämen
48 Josef Müller:
hiernach sechs bis zwölf solcher Poren auf eine Schnittebene in
der Alveolarwand; nur ein einziges Mal scheint in der poren-
reichen Stelle des abgebildeten Präparatabschnittes der Fig. 1 der
betreffende Leimfaden gerade durch das Alveolarseptum hin-
durchzutreten und nicht darüber hinwegzugehen, etwa so, wie
dies an einer Stelle der Fig. 2 der Fall ist. Derartige Bilder
zu konstruieren, wäre nach meinen Präparaten — NB. ich habe
die Kommunikationsöffnungen nicht an Präparaten gesehen und
dargestellt (s. Taf. I, Fig. 3), welche mit Leim gefüllte Alveolen
geben, sondern an leeren Alveolen von Objekten, die in Paraffın
eingebettet und mit diesem sofort auf den Öbjektträger aufge-
klebt worden sind! — ein Ding der Unmöglichkeit. Ich habe
sie vielmehr in weit geringerer Anzahl und nur an Stellen ge-
funden, wo sich die Alveolarwand in ihrer Fläche etwa als Kappe
(Oberflächenabschnitt) oder als über den Rand noch überhängender
Wandabschnitt präsentiert. Wirkliche, feine Durchbohrungen,
Löcher, in dem scharf durchschnittenen Alveolarseptum, das in
Ringform den Alveolarraum umkreist, nach Art der in Fig. 2
des Hansemannschen Aufsatzes wiedergegebenen (13), sind
mir in meinen Präparaten nirgends begegnet. Das könnte ein
Zufall sein, aber es wäre ein sehr eigenartiger, fast unverständ-
licher Zufall, wenn die Zahl der Poren eine so grosse sein soll,
wie man nach den Hansemannschen Abbildungen für die in
einer Schnittebene vorkommenden Poren anzunehmen be-
rechtigt wäre.
Ich erachte es deshalb für zutreffend, das Vorhandensein
von Poren in der Alveolarwand als eine normale Erscheinung an-
zusprechen. Aber ich musste mir mit Rücksicht auf meine
wechselnden Untersuchungsergebnisse die Frage vorlegen, ob die-
selben als ab origine existierende Kommunikationen benachbarter
Alveolen aufgefasst werden dürfen. Ich fahndete deshalb nach
ihnen auch an Lungen ganz junger Tiere. Ich benutzte dazu
die Lungen eines vier Tage alten Fohlens, eines vier Wochen
alten Kalbes, eines 22 Tage alten Hundes und einer drei Wochen
alten Katze, deren Alveolen dank dem obigen Verfahren aus-
reichende Spannung zeigten. Hier fehlten die fraglichen
Kommunikationsöffnungen durchweg.
Hansemann hat das Alter seiner Versuchstiere nicht an-
gegeben und auch in seiner Erwiderung an v. Ebner erwähnt
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 49.
er diesen Umstand nicht. Um die Poren als wirklich normale
oder physiologische Defekte anerkennen zu können, müsste ihre
Existenz auch bei ganz jungen Individuen nachgewiesen sein.
Wenn dieser Nachweis nicht gelingt, so wäre ihre Entstehung
von der Funktion der Lungen abhängig zu machen, und man
dürfte dann wohl mit Laguesse und d’Hardiviller sowie mit
Henle (17, S. 279), der ihre spätere Entstehung mit den Worten
„doch sind dies Anomalien, welche nur den Lungen reifer Indi-
viduen angehören und von welchen es deshalb wahrscheinlich ist,
dass sie die Folgen einer teilweisen Atrophie und Resorption der
Lungensubstanz sind,“ besonders scharf zur Geltung bringt, an-
nehmen, dass sie nicht wirklich normale Vorkommnisse, sondern als
der Ausdruck von Verletzungen aufzufassen sind,
die mit der fortgehenden Dehnung und Retraktion
der Wand in Zusammenhang stehen und einer
Atrophie oder Einreissung der unmittelbaren Be-
rührungsstellen benachbarter Alveolarwandteile
ihren Ursprung verdanken. Hiernach müsste auch ihre
Zahl und Weite von dem mehr oder weniger anstrengenden
Gebrauch der Lunge abhängig sein.
In der Tat lässt sich dieses Verhalten an einem Präparat
von einer zwei Jahre alten Katze im Gegensatz zu dem ganz
jugendlichen Tiere nachweisen. Bei ihr kann man neben feineren
Poren auch solche von grösserem Durchmesser sehen; um diese
herum laufen teilweise elastische Fasern, wie sie auch Sudsuki (68)
beobachtete. Übrigens kommt es auch nach Virchow (72)
beim Menschen vor, dass sich bei geringen Graden von Emphysem
solche Kommunikationen zeigen. Ebenso findet Stömmer (63)
beim Pferde als ein Zeichen des Anfangsstadiums des Emphysems
Defekte in der Wand der Alveolen. Und selbst Hansemann (14)
gibt an, dass die Grösse der Poren mit der Blähung der Alveolen
varliert. „Noch grösser“, schreibt er, „sind sie beim volumen
pulmonis auctum und ganz besonders beim Emphysem.“
Die Pleura.
In den Lehrbüchern findet man die Pleura allgemein als
eine bindegewebige Membran beschrieben, welcher elastische
Fasern beigemengt sind und die an der freien Oberfläche mit
einem einschichtigen, platten Epithelium bedeckt ist. Linser (34),
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 4
50 Josef Müller:
welcher, wie bereits erwähnt, das Stroma der Lunge des Menschen
und verschiedener Säugetiere (Rind, Kaninchen, Hase, Hund,
Pferd, Schwein, Reh und Hirsch) untersucht hat, macht für das
elastische Gewebe der Pleura viszeralis folgende Angaben: „Das
elastische Gewebe der Pleura setzt sich aus einer Lage sich im
spitzen Winkel kreuzender Fasern zusammen, die unter dem
Pleuraöpithel gelegen ist. An den Kanten ist diese Schicht etwas
verstärkt. Dann folgt eine Bindegewebsschicht hauptsächlich von
kollagenem Gewebe gebildet und von feinen elastischen Fasern
durchsetzt. Nach innen von dieser kommt noch ein dünner
elastischer Faserzug von parallel zur Oberfläche verlaufenden
Fasern, die im Zusammenhang mit den elastischen Fasern der
Alveolen stehen. In die Lunge hinein ziehen ab und zu stärkere
septenähnliche Fortsätze von elastischem und gewöhnlichem Binde-
gewebe, jedoch sind dieselben beim Erwachsenen recht selten
und relativ dünn, im Gegensatz zu den Lungen jugendlicher
Individuen und Tiere.“
Den von Linser geschilderten Aufbau zeigt im allgemeinen
auch die Pleura unserer Haustiere: sie besteht aus dem Epithel,
der Propria Serosae, einer elastischen Faserlage und dem subserösen
Gewebe. Aber die einzelnen Schichten weisen nicht nur bei den
verschiedenen Haustieren, sondern auch individuelle Verschieden-
heiten auf. Die individuellen Differenzen sind abhängig von dem
Alter und dem Dehnungszustand der Lunge. Es ist selbstver-
ständlich, dass die Schnitte absolut genau, senkrecht zur Ober-
fläche stehende Durchschnitte sein müssen; nur sie gestatten
eine wirklich massgebende Vergleichung. An der Hand solcher
kann man nun nachweisen, dass die Bemerkung Linsers, wonach
die in die Lunge hineinziehenden septenähnlichen Fortsätze beim
Erwachsenen dünner sein sollen als bei jugendlichen Individuen
auch für das subpleurale Gewebe gilt: auch dieses ist bei jugend-
lichen Tieren viel mächtiger entwickelt als bei älteren. Ebenso
ist das Epithel bei jungen Tieren als ein kubisches mit runden
Kernen gut sichtbar, während beim älteren Tiere die Kerne der
Zellen in grösseren Abständen, also seltener im Bilde erscheinen.
Die Dicke des Lungenfells variiert ausserdem je nach dem Zustand
der Ausdehnung, in welcher die Lunge sich befindet.
Beim Pferde ist die Pleura so gebaut, dass unter dem
Serosenepithel eine dünne Schicht gewöhnlichen Bindegewebes
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. al
liegt, in welcher die elastischen Fasern fehlen. Darunter schliesst
sich eine ziemlich dicke Lage dicht aneinander liegender elastischer
Fasern, welche annähernd parallel zur Oberfläche verlaufen. Nun
folgt eine lockere Bindegewebsschicht, welcher ziemlich reichlich
elastische Fasern beigemengt sind, und welche die Pleura mit
dem eigentlichen Lungengerüst verbindet. Die abgezogene und
unter mässigem Zuge auf Kork ausgespannte Pleura zeigt die
elastischen Fasern in verschiedener Dicke regellos unter- und
übereinander hinweglaufend, ein dichtes, äusserst engmaschiges
Geflecht erstellend
Über die Pleura des Rindes hat Mayr (37) in einem auf
der Naturforscherversammlung zu München gehaltenen Vortrag,
welcher jedoch nur im Referat vorliegt, bekannt gegeben, „dass
sich das elastische Gewebe unter der Serosa zu einer Platte von
ansehnlicher Mächtigkeit verdichtet. Dieselbe liegt der Sub-
serosa nach aussen hin auf und sendet spärliche Ausläufer in
diese hinein. Das der Platte peripherwärts angelagerte Gewebe,
welches das Serosenepithel trägt, entbehrt dagegen aller elastischen
Elemente und ist nicht ganz von der Dicke der Subserosa. Wie
die ganze Lunge von der elastischen Platte, so ist jedes Lungen-
läppchen von einer verdichteten Lage elastischen Gewebes um-
hüllt, von welch letzterem aus die elastischen Elemente ins
Innere des Läppchens sich hineinziehen.“
Denselben Befund ergab die Untersuchung verschiedenaltriger
Rinder. Nach Linser sendet die ziemlich starke Pleura der
Kuh zahlreiche Septen ins Lungengewebe hinein. Diesen Angaben
gegenüber muss hervorgehoben werden, dass das elastische
Fasernetz der Pleura sich nicht an der Erstellung des inter-
lobulären Gewebes beteiligt, dass dieses vielmehr mit dem sub-
pleuralen Gewebe allein in Verbindung tritt (s. Taf. I, Fig. 4, e. F.).
Das in der eben angeführten Weise hergestellte Flächenbild lässt
erkennen, dass das elastische Fasernetz viel dichter geflochten
ist und die Fasern gröber sind als beim Pferde.
Das Schaf und ebenso die Ziege besitzen eine dem Rinde
ähnlich gebaute Pleura, nur sind die elastischen Fasern zarter
und die Platte ist vom Epithel durch eine weniger dicke Binde-
gewebslage getrennt. Auch das subpleurale Gewebe ist nicht so
stark entwickelt.
4*
52 Josef Müller:
Beim Schwein bietet der Lungenüberzug sowohl hin-
sichtlich der Anordnung der einzelnen Schichten als auch in
Bezug auf die Stärke der elastischen Faserplatte dasseibe Bild
wie beim Rinde. Auch das Flächenbild der Pleura gleicht dem-
jenigen des Rindes.
„Das elastische Stromagewebe des Hundes stimmt unge-
fähr mit dem bei der Kuh überein, mit dem es auch die starke
Entwicklung der Pleura gemein hat,“ schreibt Linser (l. e.).
Diese Angaben widersprechen meinem Untersuchungsergebnis
insofern, als ich nur eine feine elastische Faserschicht fand,
welche vom Serosaöpithel durch eine schmale Bindegewebslage
getrennt ist. Die mit Orcein gefärbte Pleura ist, von der Fläche
gesehen, auch viel durchsichtiger als die des Rindes. Ferner zeigt
das subseröse Gewebe lange nicht jene starke Entwicklung, wie
wir sie beim Rinde sehen.
Die zarteste Pleura unter unseren Haustieren hat entschieden
die Katze aufzuweisen. was schon makroskopisch aus der grossen
Durchsichtigkeit des Lungenüberzugs zu entnehmen ist. Die
zarte, feinfaserige, elastische Gewebsschicht ist von dem Epithel
nur durch einen feinen Bindegewebszug getrennt und wird durch
eine zarte, dünne Subserosa mit dem Lungengewebe eng verbunden.
Dies erklärt auch die Tatsache, dass beim Abziehen der Pleura
nur zu leicht Lungengewebe mit weggerissen wird.
Nachtrag.
Vorliegende Arbeit wurde am 29. Juni 1905 der medizini-
schen Fakultät der Universität Giessen zur Erlangung der
veterinär-medizinischen Doktorwürde vorgelegt und später an
den Verlag des Archivs für mikroskopische Anatomie und Ent-
wicklungsgeschichte zwecks Aufnahme in diese Zeitschrift einge-
sandt. Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Geheimrats Dr.
Waldeyer, welcher die Arbeit begutachtete, wurde ich auf die
von F.E. Schulze!) am 18. Januar 1906 in der Kgl. Akademie
der Wissenschaften zu Berlin gelesene Abhandlung mit dem Er-
suchen hingewiesen, diese noch in einem Nachtrage zu berück-
!) Beiträge zur Anatomie der Säugetierlungen. Sitzungsberichte der
Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften. Berlin 1906, Heft VI.
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 53.
sichtigen. Ich komme dieser Aufforderung, für welche ich Herrn
Geheimrat an dieser Stelle den geziemenden Dank auszusprechen
mir erlaube, um so lieber nach, als ich in allen Streitfragen die
Resultate meiner Untersuchungen in F. E. Schulzes Abhandlung
bestätigt finde, wenngleich ich auch andererseits nicht umhin
kann, bezüglich der dortselbst sich findenden geschichtlichen
Angaben einige Einwände zu erheben.
Um diesen letzteren Punkt vorwegzunehmen, führe ich
folgende Stelle aus Schulzes Arbeit an:
„Während, so schreibt er, die älteren Angaben über den
Bau dieses respiratorischen Teiles der Lunge und seine Ver-
bindung mit dem ausschliesslich luftleitenden Röhrensystem
mannigfach differierten, fand um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts die am klarsten im Köllikers „Mikroskopische
Anatomie“, Bd. 2. II. I, Respirationsorgane, 1852, dargelegte Vor-
stellung nahezu allgemeine Annahme, dass jedes der als
„bronchioli“ bezeichneten letzten schmalen Endröhrchen des
luftlieitenden Bronchiolbaumes in einen annähernd trichterförmigen
blinden Endsack (seit Rossignol „infundibulum“ genannt)
übergehe, welcher selbst allseitig mit kleinen polyedrischen
nischenförmigen Aussackungen, den „alveoli‘“ besetzt sei.‘
Gegen diese Darstellung muss ich geltend machen, dass
Rossignol (56) es war, welcher 5 Jahre vor Kölliker (1547)
klarer und, was die Hauptsache, auch richtiger als dieser den
Bau des respiratorischen Parenchyms der Lunge schriftlich nieder-
gelegt hat; zum Beweise brauche ich nur auf meine obige
Wiedergabe der Rossignolschen Funde hinzuweisen.
Wenn sodann Schulze fortfährt (S. 225): „Gegen diese
Auffassung habe ich mich im Jahre 1571 mit meiner Darstellung
des Säugetierlungenbaues in Strickers „Handbuch der Lehre
von den Geweben des Menschen und der Tiere“ gewandt, wo ich
(a. a. O. S. 464--476) ein baumartig verzweigtes Kanalsystem
beschrieb, dessen „ringsum mit Alveolen besetzte Gänge, die
„Alveolengänge‘, wie ich sie nannte, mit den infundibula
Köllikers (air-sacs Watters) als ihren letzten blinden sack-
förmigen Endästcheu enden‘‘, so darf ich hierzu bemerken, dass
wiederum nicht nur Rossignol diese Gangsysteme längst ge-
kannt und beschrieben hat, sondern dass auch neben ähnlichen
54 Josef Müller:
Darstellungen anderer französischer und englischer Forscher
deutscherseits eine solche von Henle (17) aus dem Jahre 1866
vorliegt, welcher, wie oben angeführt, in Anlehnung an die
Arbeit Rossignols den in ein Läppchen in. der Regel allein
eintretenden lobulären Bronchus in vier bis fünf Endzweige,
terminale Bronchien, zerfallen lässt, deren letzte mit Alveolen
besetzt sind und die Rossignolschen Infundibula als ausge-
buchtete Säckchen zu zwei bis sechs und mehr, übrigens nicht
nur endständig sondern auch seitlich, tragen. Gleichwohl gebührt
Schulze, wie bereits oben zum Ausdruck gebracht wurde, das
grosse Verdienst, durch die Einführung der Bezeichnung
„Alveolengänge‘“ zur Klarheit der Darstellung wesentlich beige-
tragen zu haben.
Bei der folgenden Besprechung der Untersuchungsergebnisse
darf ich zunächst auf das Urteil Schulzes über die Ver-
wendung von Metallausgüssen hinweisen. Es heisst (S. 229):
„Andererseits habe ich auch gute Ansichten von den Hohlraum-
verhältnissen des respiratorischen Teils der Lunge an Ausgüssen
der zuvor mehr oder minder vollständig entlufteten Lunge mit
leichtflüssigen Metallgemischen gewonnen, welche entweder über-
all oder doch in einzelnen Regionen eine vollständige Füllung
aller Lufträume bis in die Alveolen zeigen.“
Hierzu möchte ich noch bemerken, dass die „Entluftung“
der Lunge sich unschwer dadurch bewerkstelligen lässt, dass man
der Luft durch feine, durch die Pleura hindurch gesetzte Nadel-
stiche Gelegenheit gibt, vor der nachdringenden Metallegierung
zu entweichen.
Was das Verhalten der Bronchioli respiratorii an-
belangt, so habe ich ihr Vorkommen in den Lungen unserer
Haussäugetiere als Regel bezeichnet, trotzdem ich manchmal
solche Bronchiolen nur äusserst spärlich und vielfach auch nur
einseitig mit Alveolen besetzt sah. In diesen Fällen liess jedoch
stets die störende Nachbarschaft von Gefässen oder Bronchien
das Fehlen der Alveolen entschuldigen.
Von dem Verzweigungsmodus der terminalen
Lufträume sagte ich oben, dass er nach meinen Unter-
suchungen keinem bestimmten Gesetze unterworfen
sei. Schulze äussert sich über diese Fragt wie folgt (S. 230):
„Die Art der Verzweigung ist sehr verschieden, sowohl bei den
Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 55
einzelnen Tierformen, als auch in ein und derselben Lunge.
Häufig findet sich eine nahezu dichotomische Teilung mit gleich
grossen oder mehr oder minder ungleichen Teilästen, in anderen
Fällen gehen die Äste an beliebigen Stellen seitlich von einem
grösseren Stamm ab; seltener geschieht es, dass von einer Stelle
mehrere Äste zugleich ausgehen. Im allgemeinen wird
man also die Verzweigung als unregelmässig zu be-
zeichnen haben. Auch die Winkel, unter welchen die Gänge
sich teilen, variieren oft in einer Lunge beträchtlich, von ganz
spitzen bis zu nahezu 160°. Gewöhnlich beträgt der Teilungs-
winkel 30°— 50°.
Dasselbe gilt nun auch von der Art und Weise, wie die
letzten blinden Endausläufer der Alveolargänge, die saceuli, durch
Enndteilung oder als Seitenzweige dieser ihnen ja im wesentlichen
hinsichtlich des Baues gleichenden Gänge entstehen. Gewöhnlich
teilt sich ein Alveolargang terminal spitzwinklig in zwei, seltener
in mehrere sacculi, die übrigen stehen als seitliche Ausläufer
verschiedener Länge von den Zweigen verschiedener Ordnung
unter verschiedenen. meist spitzen Winkeln distal ab.“
Wie bei der Frage des Teilungsprinzipes, so kam Schulze
auch hinsichtlich des Millerschen Atriums zum gleichen
Resultat wie ich. Er schreibt (S. 231): „Einen von Miller
vor dem Übergang der Alveolargänge in die saceuli „‚entdeckten“
eigenartigen Hohlraum, welcher, ‚nicht röhrenförmig, sondern
von mehr oder weniger deutlich kugeliger Gestalt“, ausser mit
Alveolen mit einer Anzahl in ihn einmündender sacculi besetzt
sein soll, kann ich als einen eigenen typischen Abschnitt des
respiratorischen Apparates der Säugetierlungen daher nicht an-
erkennen‘.
Auch über das Vorkommen von Poren in der
Scheidewand der Alveolen stimme ich mit Schulze,
welcher (S. 238) solche als „glattrandige, kreisförmige oder
ovale Löcher in den Alveolensepten‘‘ bei den Haussäugetieren
„mässig häufig, aber immer ganz unregelmässig zerstreut“ „und
zwar nicht nur bei alten, sondern auch bei ausgewachsenen
jungen gesunden Tieren‘ gefunden hat, dann überein. wenn
durch diese letztere Bemerkung dasselbe bezeichnet werden soll,
was oben mit Henle (17, S.279) durch „reife Individuen“ zum
Ausdruck gebracht wurde.
56 Josef Müller:
Zusammenfassung.
1. Die einzelnen Haustiere weisen in Beziehung auf Zahl
und Stärke der elastischen Fasern namentlich der Bronchial-
schleimhaut erhebliche Verschiedenheiten auf; an der Spitze steht
das Rind, dann folgen Pferd, Schwein, Ziege und Hund, Schaf
und Katze.
3. In den Bronchialknorpeln der Katze lassen sich elastische
Fasern nachweisen.
3. Die Drüsen der feineren Bronchien sind Schleimdrüsen.
Sie unterscheiden sich bei den einzelnen Tierspezies durch Form
und Anzahl der Drüsenschläuche, sowie durch die Form der
Drüsenzellen.
4. Die Schleimdrüsen können früher oder später als die
Knorpelplatten aus der Bronchialwand verschwinden. |
5. In der Faserhaut der Bronchiolen sieht man nicht selten
halbmondförmig angeordnete Ansammlungen von Iymphadenoidem
(zewebe.
6. Die von Eber (7) in der Wand der Terminalbronchien
der Schafslunge beschriebenen „schlauchförmigen Ausstülpungen“
bestehen nicht. Sie werden durch hohe Faltenbildung der Schleim-
haut vorgetäuscht.
7. Rossignol hat das respiratorische Parenchym nach
seiner Form und Bedeutung sehr wohl gekannt
8. Die Bezeichnung „Infundibulum“ ist vielfach falsch auf-
gefasst und gebraucht worden. Rossignol hat darunter weiter
nichts als die kurzen, mit Alveolen dicht besetzten Säckchen
verstanden, welche sich an den Alveolengängen zu mehreren
seitlich und terminal befinden.
9. Das respiratorische Parenchym findet sich bei unseren
Haussäugetieren übereinstimmend zu kleinen Läppchen, den
„Primärläppchen“ oder „primären Lungenläppchen“ geordnet.
10. Der Verzweigungsmodus der terminalen Lufträume ist
keinem bestimmten Gesetze unterworfen.
11. Das respiratorische Epithel ist ohne Anwendung von
Silbernitratlösung nicht zu erkennen. Es besteht aus kernhaltigen,
kleinen, polygonalen Zellen und grösseren, kernlosen, unregel-
mässig geformten Platten.
12. Die Membrana propria der Alveolen ist eine sehr feine,
strukturlose, elastische Haut.
u
—I
Histologie der. Lungen unserer Haussäugetiere.
13. Die Alveolen werden von zahlreichen, sich vielfach ver-
zweigenden, elastischen Fasern umsponnen, welche an deren
Basis einen dichten Ring bilden. Stärke und Anzahl dieser
Fasern wechseln je nach der Tierart.
14. Um die Basis der Alveolen, welche in die respiratori-
schen Bronchiolen und Alveolengänge einmünden, bilden glatte
Muskelfasern einen sphinkterenartigen Ring.
15. In den Alveolarsepten liessen sich beim Schafe und
Rinde vereinzelte Muskelfasern nachweisen.
16. Die von Hansemann erprobte Leiminjektionsmethode
bietet für die Sichtbarmachung der Poren in den Alveolar-
wandungen keine Vorteile.
17. Diese Poren, welche sich bei nicht mehr ganz jugend-
lichen Tieren unschwer nachweisen lassen, sind am besten an gut
ausgedehnten Alveolen, deren Wand entsprechend gefärbt ist,
zu erkennen.
18. An den Lungen ganz jugendlicher Tiere waren die
Poren auch unter den ebengenannten günstigen Bedingungen
nicht zu sehen, weshalb ihr Auftreten, sowie ihre Zahl und
Weite von dem mehr oder weniger anstrengenden Gebrauch der
Lunge abhängig zu machen sein dürfte.
19. Die Pleura unserer Haustiere besteht aus dem Epithel,
der Propria Serosae, einer elastischen Faserlage und der Subserosa.
58 Josef Müller:
Literaturverzeichnis.
Die mit * bezeichneten Werke waren im Originale nicht zugänglich.
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alveolen. Sitzungsberichte der Kais. Akademie der Wissenschaften ;
mathemat.-naturwiss. Gesellschaft, 108. Bd., 1899.
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Virchows Archiv, 80. Bd., 1880.
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Anat., me sess., p. 223—256, 1901.
4.* Derselbe: Sur la structure des glandes bronchiques. Bibliogr. Anat.
Nancy, T. 9, p. 9—123, 1901.
5. Böhm und v. Davidoff: Lehrbuch der Histologie des Menschen ein-
schliesslich der mikroskopischen Technik. 1898.
6. v. Czylarz, C.: Über ein Pulsionsdivertikel der Trachea mit Bemerkungen
über das Verhalten der elastischen Fasern an normalen Tracheen und
Bronchien. Centralblatt f. allgem. Pathologie und patholog. Anatomie,
8. Bd., 1897. |
7. Eber, A.: Über multiple Adenombildung in den Lungen der Schafe.
Zeitschr. f. Tiermedizin, III. Bd., 1899.
8. v. Ebner, V.: In A. Köllikers Handbuch der Gewerbelehre des Menschen,
III. Bd., 6. Auflage, 1902.
9. Ellenberger und Günther: Grundriss der vergleichenden Histologie
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10. Encyklopädie der mikroskopischen Technik. 1903.
11. Frey: Handbuch der Histologie und Histochemie des Menschen
Leipzig 1874.
11a. Fuchs-Wolfring: Über den feineren Bau der Drüsen des Kehlkopfes
und der Luftröhre. Archiv f. mikrosk. Anatomie u. Entw., Bd. 52, 1898.
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13. Hansemann, D.: Über die Poren der normalen Lungenalveolen,
Sitzungsber. d. Kgl.-preuss. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1895.
14. Derselbe: Über V.v. Ebners Zweifel an der Existenz normaler Poren
zwischen den Lungenalveolen. Archiv f. mikroskop. Anatomie u. Ent-
wicklungsgeschichte, 55. Bd., 1900.
15. Hansen: Eine zuverlässige Bindegewebsfärbung. Anatom. Anzeiger,
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16. Hauser: Über die Entstehung des fibrinösen Infiltrates bei der
croupösen Pneumonie. Münchener medizin. Wochenschrift, 1893, Nr. 8.
17. Henle, J.: Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen.
Eingeweidelehre, 1. Aufl. 1866, 2. Aufl. 1873.
18.
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Szymonowicz: Lehrbuch der Histologie und der mikroskopischen
Anatomie mit besonderer Berücksichtigung des Menschen einschl. der
mikroskop. Technik. 1901.
Teuffel: Zur Entwicklungsgeschichte der elastischen Fasern in der
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Toldt: Lehrbuch der Gewebelehre. 3. Aufl., 1888.
Virchow: Berliner klinische Wochenschrift, Nr. 6, 1595.
Weigert: Färbung der elastischen Fasern. Zentralblatt f. allg. Patholog.
u. patholog. Anatomie, Bd. IX, 1898.
Wickersheimer: Kurze Anleitung zur Verwendung der Wickers-
heimerschen Flüssigkeit für anatomische Präparate mit einem Anhang
über Metallkorrosionen. Berlin 1892.
Zimmermann, W.K.: Über Anastomosen zwischen den Tubuli der
serösen Zungendrüsen des Menschen. Anatom. Anzeiger, Bd. 18.
62
Fig. 1
Fig. 2
Fig. 3
Fig. 4
Fig. 5
Josef Müller: Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel I.
stellt den Querschnitt eines Bronchus von der Katze dar. Man er-
kennt die einzelnen Schichten der Wand sowie. die zahlreichen in
Gruppen beieinander liegenden Drüsenschlauchdurchschnitte. Die
schwarzen Linien stellen die elastischen Fasern vor. E — Epithel;
Pr —= Propria Mukosae; M — Muskularis; F = Faserhaut; D = Drüsen;
K —= Knorpelplatten; N = Nerv; FG = Fettgewebe: a — Alveolen
(Leitz, Ocul. 1, Obj. 3).
zeigt einen Teil der querdurchschnittenen Bronchialwand vom Schaf
(Färbung mit Boraxkarmin und nach der Weigertschen Methode). Man
sieht die Anhäufungen von elastischen Fasern in den Falten der
Propria und die Verschiedenartigkeit der Drüsenschlauchdurelischnitte.
A — ampullenförmige Erweiterung des Drüsenausführungsganges;
e = elastische Fasern der Propria; im übrigen sind die Bezeichnungen
die gleichen wie oben. (Reichert-Wien, Ocul. 3, Obj. 5).
bringt die Muskelringe um die Mündung der Alveolen im Alveolengang
des Schafes sowie die Poren in den Alveolenwandungen zur An-
schauung. m — glatte Muskelfasern; P — Poren; a — Alveolen.
(Leitz, Ocul. 1, Obj. 7).
bietet den Durchschnitt der Pleura des Rindes. Die elastische Faser-
platte eF ist ein klein wenig schief getroffen, um ihren faserigen
Bau zu zeigen. An absolut genauen Querschnitten sieht man sie
beinahe als eine Linie. E — Epithel; Pr = Propria Serosae; s — Sub-
serosa; il — interlobuläres Gewebe; J = Ende eines Alveolenganges
(Rossiguols „Infundibulum“); a — Alveolen. (Reichert-Wien, Ocul. 3,
Obj. 3).
Sämtliche Bilder wurden mit dem Abbeschen Zeichenapparat nach
den Präparaten gezeichnet.
stellt ein korrodiertes Primärläppchen aus der Pferdelunge dar (nat.
Gr. der Basis 15:1 mm, Höhe 2,5 mm). Um es plastisch zur An-
schauung zu bringen, wurde es unter dem stereoskopischen Mikroskope
gezeichnet und dabei nur von einer Seite (von rechts- und obenher)
beleuchtet. Man sieht den Bronchiolus respiratorius und die reichen
Verzweigungen der Alveolengänge mit den „Infundibeln“.
63
Geschlechtsbestimmende Einflüsse und Eibildung
des Dinophilus apatris.
Von
Hans Freiherrn von Malsen.
Hierzu Tafel II.
T Perl
Geschlechtsbestimmende Einflüsse.
Nachdem mein hochverehrter Lehrer, Herr Professor Dr.
Richard Hertwig, schon in den Jahren 1902 und 1903 in der
bayrischen Akademie der Wissenschaften zu München seine Ansicht
über ein bestehendes Wechselverhältnis zwischen Kern und
Protoplasma vorgetragen hatte, entwickelte und begründete er
seine neue Theorie der Kernplasmarelation zum ersten Male
eingehender vor der fünfzehnten Jahresversammlung der Deutschen
zoologischen Gesellschaft zu Breslau im Juni 1905.
Welch hervorragende Tragweite den von R. Hertwig
ausgesprochenen (sedanken für unsere Kenntnis von der Zelle
überhaupt, für das so viel umstrittene, bisher aber noch voll-
kommen dunkle Geschlechtsproblem im besonderen zukommt,
brauche ich, sein Schüler, wohl nicht zu erörtern.
In vorliegender Arbeit nun sind die Ergebnisse eines der
zahlreichen Versuche niedergelegt, die im Laufe der letzten
Jahre zur Aufklärung der geschlechtsbestimmenden Einflüsse im
Münchener zoologischen Institut unternommen wurden.
Wenn meine persönliche, im folgenden entwickelte Ansicht
in manchen Nebenpunkten von der Hert wigs abweicht, und
auch seine Theorie erst am Schlusse besprochen wird, so liegt
der Grund hierfür hauptsächlich darin, dass ich bei meinen
Untersuchungen auf die Ergründung der Kernplasmarelation nicht
Rücksicht genommen habe und zwar aus dem einfachen Grunde,
weil mir diese Ansichten mit ihrer näheren Begründung erst
nach Abschluss der Experimente genauer bekannt wurden.
Als Versuchsobjekt wählte ich auf Anregung meines Lehrers
den, systematisch eine Mittelstellung zwischen rhabdocölen Tur-
bellarien und Archianneliden einnehmenden Wurm Dinophilus
apatris. Der hochgradige Geschlechtsdimorphismus dieses Tieres
64 Hans Freiherr von Malsen:
spricht sich schon im Ei aus, so dass es in diesem besonderen
Falle möglich ist, von männlichen und weiblichen Eiern zu reden.
Beide unterscheiden sich sehr auffallend durch ihre Grösse.
Meine Messungen an konserviertem Material ergaben durch-
schnittlieh:
weibliche Eier . . . 0,113 mm lang
« . 0,086 „, dick
männliche Eier . .. .. 0,036 ,„ lang
er. 220.030 Eee
Die extremsten von mir, an Eiern der Zimmerkulturen,
genommenen Maße betragen:
weibliche Eier . . . 140 u Länge
u R 100 u Dicke
und ohne unN8shb krEänge
rt 66 «u Dicke
männliche Eier . . . 46 « Länge
u ana yT 33 « Dicke
und.ur. 817% 33 « Länge
Si alnkeny] "apa Dicke
Wie man sieht, sind die Grössenschwankungen, besonders
der weiblichen Eier, recht bedeutend.
Die Eier der Kälte- und Wärmekulturen zeigten im
wesentlichen die gleichen Maße.
Die Angaben von Korschelt und Nelson stimmen mit
obigen überein. Ersterer gibt für die weiblichen Eier als
Durchschnitt 0,111 mm Länge und 0,092 mm Dicke, letzterer als
Durchmesser derselben 97,66 « an.
Ähnliches ist bei gewissen Rotatorien, z. B. Hydatina, bei
Phylloxera und Bombyx mori der Fall, ohne dass jedoch der
(rrössenunterschied der Eier so regelmässig ausgeprägt ist wie
bei Dinophilus. Die Wintereier der Daphnoiden, aus denen stets
Weibchen hervorgehen, sind ebenfalls durch besondere Grösse
vor den Sommereiern ausgezeichnet.
Die männlichen Eier des Dinophilus machen meistens einen
kugelrunden Eindruck, während die weiblichen oval sind. In der
Coconhülle, besonders aber im Mutterleibe, liegen die Eier jedoch
so eng beisammen, dass die weiblichen durch gegenseitige
Kompression eine sehr unregelmässige Form erhalten. Die
männlichen bewahren in der Regel ihre Gestalt, weil sie gewöhnlich
Dinophilus apatris. 65
in irgend einer freien Ecke, manchmal zwischen den weiblichen,
häufig am Rande des Geleges, Platz finden. Im Laufe meiner
Untersuchungen fand ich mehrfach Eier, die eine mittlere Grösse
zwischen beiden Arten hatten (vergl. die Maße), auch diese
waren jedoch stets sicher als weibliche Eier anzusprechen.
Die Eier werden zu mehreren in einem Gelege vereinigt,
das fast ausnahmslos männliche und weibliche enthält und sich,
bei seiner Ablage ins Wasser, mit einer gallertigen, durchsichtigen,
ziemlich zähen, aber elastischen Hülle umgibt.
Kultur- und Untersuchungsmethode.
Das Material stammte aus der zoologischen Station zu
Triest. Es kam Anfangs Juni 1904 in München an. In den
mittelgrossen Einmachgläsern, die mit Seewasser und Algen
gefüllt, zum Versand gedient hatten, schienen sich die Tiere
sehr wohl zu fühlen und vermehrten sich bald lebhaft. Ich
fütterte sie mit Fleisch von Anadonta mutabilis. Diese Nahrung
wurde offenbar sehr gerne angenommen. Der Darm der Weibchen
war stets gefüllt mit dem rötlichen Futter. Ausserdem fand
ich häufig Diatomeen im Darm, die jedenfalls von den Wänden
der Kulturgefässe aufgenommen wurden. Das Fleisch tränkte
ich zuerst mit Seewasser und verteilte es dann in kleinen
Stückchen am Boden. Besonders die schon stark angefaulten
Brocken waren stets von zahlreichen Dinophili besucht. In den
Wärmekulturen und in kleinen Gefässen, hauptsächlich den Uhr-
schälchen, bildete sich häufig an der Wasseroberfläche ein dicker
Bakterienschleim, der über Nacht auch oft den Boden und die
Wände des Behälters überzog. Die unerwünschte Folge davon
war stets das Eingehen der Kultur. Ich suchte später die sich
bildenden Bakterienmassen immer sofort herauszufischen. In der
Regel gelang es auch ihr Überhandnehmen zu verhüten. Die
grossen Gläser wurden von Zeit zu Zeit durchlüftet, eine Prozedur,
während der sich die Würmer in den Schlamm zu verkriechen
pflegten.
Da die Tiere stets die dunkelste Stelle ihres Behälters auf-
suchten, schützte ich die Gläser nach Möglichkeit vor Licht.
Ihre grosse Empfindlichkeit dagegen war gut zu benützen für
den Fang. Sowie ich nämlich ein Uhrschälchen aus dem Dunkeln
ins Helle brachte, kamen alle, bisher im Bodenschlamm ver-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. D
66 Hans Freiherr von Malsen:
borgenen Weibchen, eilfertig an die Stelle des Wasserrandes
gekrochen, die am weitesten vom Lichte abgewendet war. Hier
konnte ich bequem unter der Standlupe die ganze Kolonie zählen
und die gewünschten Tiere herausfangen.
Im allgemeinen bietet Dinophilus der Kultivierung keine
besonderen Schwierigkeiten. Die Kulturen hielten sich jedoch
in etwas grösseren Gefässen bedeutend besser als in Uhrschälchen.
In mancher Beziehung wäre es erwünscht gewesen, Weibchen
längere Zeit einzeln zu halten und ihre Gelege zu zählen. Mit
solchen Einzelkulturen erzielte ich jedoch keine Erfolge. Die
Tiere starben stets sehr bald. Aus diesem Grunde ist es mir
leider auch nicht möglich, die Zahl der von einem Weibchen in
einer bestimmten Zeit und in den verschiedenen Temperaturen
abgelegten Eier genau anzugeben. Die Unterschiede in der
Häufigkeit der Eiablage bei verschiedenen Temperaturen sind
jedoch so bedeutend, dass die später zu erwähnenden Angaben
hierüber auch ohne genaue Zählung vollständig zuverlässig sind.
In den grossen Versandgläsern hatten sich die Würmer
einige Male so stark vermehrt, dass ich die Kolonie in 2—3
Gläser verteilte. Merkwürdigerweise gediehen sie aber in den
neuen Behältern nicht. In kürzester Zeit war in diesen kein
Wurm mehr vorhanden, obwohl alle Existenzbedingungen an-
scheinend unverändert geblieben waren. Ende Juni dieses Jahres
starben sämtliche Kulturen ohne sichtbaren Grund ab, nachdem
sich die Stammzuchten ein Jahr lang gut gehalten und fortge-
pflanzt hatten.
Bei Nelson finde ich die Angabe, dass Dinophilus im
freien Meere bei Eintritt des warmen Wetters zu verschwinden
pflegt. Er glaubt, dass nur einzelne Tiere während des Sommers
die Art erhalten. Die Steigerung der Wärme auf mehr als
24°C wurde im Aquarium durchgehends sehr schlecht vertragen.
Die bei Kältekulturen angewandte Temperatur von durchschnitt-
lich 13°C schadete meistens nicht. Eine, anfangs aus zirka
50 Weibchen bestehende Kolonie hielt sich vom 20. Februar bis
zum 11. April und vermehrte sich ansehnlich.
Eigentümlich, aber für die Beobachtung sehr günstig, war
die Art, wie die Weibchen ihre Eier ablegten. Eine grosse
Anzahl Cocons fand sich stets im Bodenschlamm oder auf den
Algenblättern verstreut. Weitaus der grösste Teil der Gelege
Dinophilus apatris. 67
wurde aber an die Glaswand der hohen Zuchtgefässe, und zwar
am äussersten Wasserrande, abgesetzt. Zu Zeiten reger Lege-
tätigkeit fand sich hier ein 1—2 mm breiter, weisser Streifen,
der aus vielen Hunderten von Gelegen bestand.
- Die Zählung der Eier in den Gelegen erfolgte auf dem
Objektträger unter dem Mikroskop mit Leitz Oc. 1, Obj. 3. Die
weiblichen Eier erscheinen im durchfallenden Lichte undurch-
sichtig, gelblich weiss, die männlichen durchsichtig und fast
wasserhell. Im auffallenden Lichte, das stets zur Kontrolle an-
gewendet wurde, sind die weiblichen Eier glänzendweiss, die
männlichen mehr grau. Um die männlichen sicher erkennen zu
können, ist es unbedingt notwendig, das Gelege nach allen Seiten
hin zu drehen. Da nämlich die weiblichen Eier durch die
darüber liegenden durchsichtigen, männlichen hindurchscheinen,
werden letztere leicht übersehen.
In den späteren Zeiten meiner Versuche hielt ich die
Kulturen in 8 cm hohen, rechteckigen Gläsern, auf deren Öffnung
gerade ein Objektträger passte. Wenn ich diesen nun mit dickem
Vaseline an den Gefässrändern befestigte und das, bis zum Rande
mit Wasser gefüllte Gefäss damit fest schloss, war es ganz gut
möglich, das Glas auf die Seite unter das Mikroskop zu legen
und die an den Wänden abgelegten Eier mit leidlicher Genauigkeit
zu zählen. Störende Unebenheiten der Glaswand lassen sich
durch einen Tropfen Immersionsöl leicht ausgleichen. Für ge-
naue Zählungen eignet sich jedoch diese Methode nicht.
Versuche.
Die Versuche wurden in der Weise durchgeführt, dass in
der Zimmertemperatur mit 19°C, im Thermostaten mit 26°C
und in der Kühlkammer mit 13°C je ungefähr 50 Weibchen
als Hauptkultur gehalten wurden. Daneben dienten stets mehrere,
ebenso grosse Parallelkulturen, sowie einige Uhrschälchen mit
nur einem oder ganz wenigen Weibchen in allen Temperaturen
als Reserve und zur Kontrolle.
Die niedrige Temperatur für die Kältekultur wurde im
Sommer durch das Wasser der städtischen Leitung erzielt, das
die feuchte Kammer überrieselte und eine durchschnittliche
Temperatur von 14°C hat. Von Mitte Juli bis Ende August
vorigen Jahres stieg die Zimmertemperatur infolge der ausser-
5*
68 Hans Freiherr von Malsen:
ordentlichen Sommerhitze auf durchschnittlich 24°, so dass
während dieser Zeit in den Zimmerkulturen keine Zählungen
vorgenommen werden konnten. Diesen ersten Sommer über-
standen die Kulturen gut, obwohl nach Nelsons früher er-
wähnter Angabe, dies im Freileben nicht der Fall zu sein scheint.
Die sämtlichen Zuchtgefässe wurden in der Regel täglich,
zeitweise nur alle 2—3 Tage durchgesehen, alle vorhandenen
Gelege herausgefischt, die Eier gezählt und dann in ein eigenes
Sammelgefäss geworfen oder konserviert. Die Zahl der Gelege
und der Eier, das Geschlechtsverhältnis der Eier, Temperatur
und Datum wurden bei jeder Zählung mit allenfallsigen Bemer-
kungen in eine Liste eingetragen.
Ergebnisse.
I. Normalkultur im Zimmer.
Korschelt gibt das gewöhnliche Geschlechtsverhältnis
zwischen männlichen und weiblichen Eiern auf 1:2 an. Es würden
doppelt soviel Weibchen als Männchen geboren. Das von mir
gefundene Verhältnis ist etwas günstiger für die Weibchen.
Ich habe gezählt:
Tabelle 1.
Anzahl der Gelege Darunter Geschlechtsverhältnis
5 ® ER.
202 327 813 et
Im Verlaufe der Experimente habe ich aus den Normal-
kulturen bedeutend mehr Gelege entnommen und gezählt. Da
das Geschlechtsverhältnis aber immer annähernd das gleiche blieb,
wurden nicht alle Zählungen in die Listen eingetragen. |
Die Zahl der zu einem Gelege vereinigten Eier beträgt
nach dieser Zählung im Durchschnitt 5, 6. In der Tat bilden
Gelege von 5 bis 6 Eiern die Regel. Häufig finden sich solche
mit einem männlichen und zwei weiblichen Eiern. Gelege mit
10 bis 14 Eiern kommen öfter vor. Es ist also in der Grösse der Ge-
lege schon von Natur aus eine grosse Variationsbreite vorhanden.
Das Verhältnis der Geschlechter im einzelnen Gelege ist ge-
ringen Schwankungen unterworfen, im allgemeinen aber ziemlich
konstant.
Dinophilus apatris. 69
Die Weibchen kriechen meistens lebhaft an den Wänden
des Glases herum. Die Eiablage war stets ziemlich rege. Zu
gewissen Zeiten steigerte sie sich etwas, um dann wieder einige
Wochen flauer zu werden. Zeiten, zu denen in den Normal-
kulturen keine frischen Gelege zu finden gewesen wären, gab
es nicht.
I. Kältekultur.
Das Gesamtresultat vierer Kältekulturen, die von Mitte
Juli .1904 bis Mitte März 1905 geführt wurden, spricht sich in
folgenden Zahlen aus:
Tabelle 2.
Anzahl:der Gelege Darunter | Geschlechtsverhältnis
= | er
925 973 2975| 1:35
Die Zahl der Eier pro Gelege beträgt im Durchschnitt 4,2.
Eine dieser Kulturen wurde geführt vom 19. bis 31. Juli.
Die Zimmertemperatur, aus der die Tiere kamen, war bis auf
26° gestiegen. Die Temperatur der Kältekultur konnte zu dieser
Zeit zwar nicht ganz konstant gehalten werden, betrug aber
durchschnittlich 15°. Sehr interessant sind nun folgende Einzel-
ergebnisse:
Tabelle 3.
Dan Anzahl der Eier | Geschlechtsverhältnis
kalte 23 N
19.7. NEA | 8 1:20
25.7. gul N nos 1:24
31.7. | 1:28
Während also die Gelege, die sich noch in der erhöhten
Zimmertemperatur angelegt hatten, nur doppelt soviel Weibchen
als Männchen enthalten, steigert sich die Zahl der weiblichen
Eier unter dem Einfluss der Kälte in wenigen Tagen fast auf das
dreifache der männlichen.
In einer anderen Kontrollzucht, die vom 6. September bis
10. Oktober geführt wurde, betrug die Temperatur anfangs 18°
70 Hans Freiherr von Malsen:
und sank allmählich auf 9°. Drei charakteristische Einzelresultate
zeigt die folgende Tabelle:
Tabelle 4.
Dal ' Tempe- | Anzahl der Eier |Geschlechtsverhältnis
| | E
| ratur | d | O2 | re
7.9. | 1@ 26 1 ,, 54 | 1:2
28.9 | a I 18,43
INT SEEN en bicD- | 41 | 93%
Auch hier nimmt die verhältnismässige Zahl der weiblichen
Geburten mit dem Sinken der Temperatur zu. Die Weibchen
bewegten sich in den Kältekulturen nur sehr wenig und langsam.
Im Vergleich zu den Normalkulturen war eine bedeutende Herab-
setzung ihrer natürlichen Lebhaftigkeit augenscheinlich. Die Ei-
ablage war ebenfalls viel weniger rege. Zur Feststellung dieser
letzteren Tatsache möge das Ergebnis einer weiteren Kontrollzucht
dienen.
Eine grössere Anzahl geschlechtsreifer Weibchen wurde aus
einem grossen, im Zimmer bei 19° gehaltenen Glase, in dem die
Eiablage gerade besonders lebhaft war, in die Kälte bei 11° ge-
bracht. Obwohl die Tiere Eier im Leibe hatten, setzten sie
während der folgenden 15 Tage nicht ein einziges Gelege ab.
III. Wärmekultur.
Die Wärmekulturen waren stets von kurzer Dauer. Sie
wurden im Thermostaten bei durchschnittlich 26° geführt. In
den Uhrschälchen starben die Tiere in der Regel schon nach drei
bis vier Tagen. Nur in grösseren Gefässen gelang es mir, zwei
Kulturen längere Zeit zu erhalten. Da die Ergebnisse etwas
verschieden sind, will ich zunächst die beiden Kulturen einzeln
anführen.
Tabelle 5.
(Kultur A vom 6. bis 28. Juli.)
Anzahl der Gelege | Darunter | Geschlechtsverhältnis
uawgii WERSERN | 9:2
222 | 249 |
327 | 1:13
Zahl der Eier pro Gelege: 2,6.
Dinophilus apatris. 71
Tabelle 6.
(Kultur B vom 12. September bis 6. Oktober.)
Ne AhlsderiGeleo& Darunter | Geschlechtsverhältnis
ES >
| | |
161 2585 | 559 | VaU
|
|
Zahl der Eier pro Gelege: 5,0.
Wenn wir beide Kulturen zusammen nehmen, ergibt sich
als Resultat:
Tabelle 7.
Auzahlcder Gelege Darunter | Geschlechtsverhältnis
en Se
|
383 | 507 886 | az
Anzahl der Eier pro Gelege: 3,6.
Einige FEinzelergebnisse werden eine noch deutlichere Sprache
reden. Bei der Kultur A war die Temperatur im Thermostaten
vom 25. auf 27. Juli von 23° auf 26,6° gestiegen. Die Wirkung
spricht sich in folgender Tabelle aus:
Tabelle 8.
Dtm | Tempe- | Anzahl Darunter | Geschlechtsverhältnis
ratur |d.Gelege d | 92 | 9
25.7. 230 34 Da a 1,14
21... 26,6° 36 48 .|. 583 et
Die Erhöhung der Temperatur um 3,6° bewirkte also inner-
halb zweier Tage eine Zunahme der männlichen Geburten.
Die Kultur B ergab bei der ersten Zählung, nachdem die
Weibchen aus der Zimmertemperatur in eine Wärme von 28° über-
führt worden waren, folgende Zahlen:
Tabelle 9.
Darunter Geschlechtsverhältnis
| ”
20 | 30 | 43 | 10164
Anzahl der Gelege
42 Hans Freiherr von Malsen:
In der Wärme zeigten die Würmer eine auffallend ver-
mehrte, unruhige Beweglichkeit. Die Eiablage war sehr rege.
In manchen Kulturen, besonders in kleinen Gefässen, trat aber
schon nach wenigen Tagen, mehrmals schon nach 24 bis 48
Stunden, eine starke Schädigung der Tiere und baldiger Tod ein.
Der durch die Temperatur veranlasste Unterschied in der
Schnelligkeit der Entwicklung und der Intensität der Geschlechts-
betätigung ‘geht klar aus zwei weiteren Versuchen hervor: Am
18. Juni wurden zwei Gelege, deren Eier schon in vorgeschrittenem
Furchungsstadium waren, in die Kühlkammer gebracht. Am
3. Juli schlüpften die ersten Weibchen aus. Am 22. Juli, also
nach 19 Tagen, fand ich das erste Gelege.
Am 25. Juni kamen drei Gelege in den Thermostaten. Am
1. Juli schlüpten die jungen Weibchen aus und bereits am 6. Juli,
also nach fünf Tagen, wurden die ersten neuen Gelege abgesetzt.
Eine äusserst auffallende Folgeerscheinung der Wärme war
das häufige Vorkommen von Weibchen, deren ganzer Leib vom
After bis zum Schlund so sehr mit Eiern angefüllt war, dass der
Kopf des Tieres nur mehr als ganz kleines Pünktchen gegenüber
dem ungeheuer angeschwollenen Leibe erschien, der Darm aber
bis zur Unsichtbarkeit zusammengepresst war. Diese Tiere
reagierten zwar noch durch schwache Regungen auf Berührungen
mit der Präpariernadel, waren im übrigen aber unfähig, sich zu
bewegen und gingen bald ein.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen.
Nachstehende Tabelle gibt eine Zusammenstellung der Haupt-
ergebnisse:
Tabelle 10.
Bee
Karltmr | Geschlechtsverhältnis Ride pro. Gelege
IR |
Zimmer | Ike | 5,6
Kälte | 1-23, 4,2
Wärme a ER Ne? | 3,6
Vergleichen wir nun die in Kälte und Wärme erhaltenen
Zahlen mit denen der Normal- oder Zimmerkultur, so ergibt sich
als sicheres Resultat:
Dinophilus apatris. 15
1. In der Kälte nimmt die relative Zahl der
weiblichen Geburten bedeutend zu. Die Grösse der
Gelege geht zurück.
Als weitere Folge der niederen Temperatur muss angesehen
werden:
Sinken der Lebensenergie im allgemeinen, die sich durch
sichtliche Abnahme der natürlichen Lebhaftigkeit ausspricht, und
bedeutender Rückgang der Geschlechtstätigkeit, sich äussernd
durch Verzögerung der Eibildung und Eiablage.
2. In der Wärme steigt die Zahl der männlichen
Geburten.
Die Grösse der Gelege geht noch mehr zurück als in der
Kälte. Ein Cocon umschliesst kaum mehr als die Hälfte der
Eier bei normaler Temperatur.
Die natürliche Lebhaftigkeit der Weibchen nimmt stark zu,
Produktion und Ablage der Eier steigert und beschleunigt sich
sehr bedeutend.
Die überaus heftige Beeinflussung der Weibchen durch
Temperaturerhöhung geht am deutlichsten aus einem Versuche
hervor, den ich im März 1905 anstellte.
Am 17. März brachte ich eine Anzahl Weibchen aus einer
grösseren Kältekultur, in der die Eiablage sehr gering war, in
einem Uhrschälchen in Zimmertemperatur. Am nächsten Tage
bereits fand ich
16 Gelege mit 23 Z und 30 2 Eiern.
In der Kältekultur, aus der die Tiere entnommen worden
waren und die ungleich mehr Weibchen enthielt, fanden sich am
gleichen Tage nur
2 Gelege mit 1 und 3 £ Eiern.
Ebenso legten drei Weibchen, die aus dem Zimmer in den
Thermostaten mit 26° überführt worden waren, nach drei Tagen
4 Gelege mit 7 & und 8 2 Eiern ab.
Der Einfluss der Temperatur auf Geschlechtsverhältnis und
Geschlechtstätigkeit ist am bedeutendsten während der ersten
drei bis vier Tage ihrer Einwirkung. Im Laufe länger dauernder
Kulturen scheint der Organismus allmählich wieder mehr ins
Gleichgewicht zu kommen. Jedoch zeigte sich auch in den
letzten Tagen der am längsten dauernden Kulturen immer noch
ein merkbarer Unterschied gegen normale Verhältnisse.
74 Hans Freiherr von Malsen:
So ergab in der in Tabelle 2 angeführten Kältekultur eine
Zählung vom 8. März 1905
16 & und 44 2 Eier,
was einem Geschlechtsverhältnis von 1:2,7 entspricht.
In der Wärmekultur der Tabelle 6 fand ich am letzten Tage,
also am 6. Oktober 1904
17 männliche und 24 weibliche Eier,
somit ein Geschlechtsverhältnis von 1:1,4.
Dass Wärme im allgemeinen anregend wirkt, Kälte aber
die Lebensenergie der Organismen herabsetzt, so lange die
physiologische Grenze nicht überschritten wird, ist eine alt-
bekannte, oft beobachtete Tatsache. Ich habe sie hier nur
besonders hervorgehoben, weil sie mir wichtig zu sein scheint
für die Erklärung des überraschendsten Ergebnisses meiner Ex-
perimente:
Die Einwirkung der Temperatur auf das Geschlecht
der Nachkommen bei Dinophilus apatris.
Über das so interessante Problem der geschlechtsbestimmen-
den Ursachen existieren ziemlich wenig exakte Experimente oder
Beobachtungen.
Im vorliegenden Falle scheint nur die grössere oder geringere
Höhe der Temperatur geschlechtsbestimmend zu wirken. Die
Frage ist nun, wirkt die Temperatur direkt auf das Geschlecht
oder nur indirekt und in welchem Zeitpunkt tritt diese Wir-
kung ein?
Nachdem die Eier bereits bei ihrer Ablage geschlechtlich
getrennt sind, müssen die zur Bildung eines männlichen oder
weiblichen Eies führenden Kräfte während der Ovogenese tätig
sein, sie müssen notwendigerweise auf die Ovogonie oder die
entstehende Ovocyte einwirken.
Die weitere Frage lautet also: Wie kann die Temperatur
im besonderen Falle des Dinophilus die bei der Eibildung im
mütterlichen Leibe sich abspielenden Vorgänge beeinflussen und
wie kann eine Einwirkung auf das Geschlecht der Nachkommen
zustande kommen ?
Um diese Frage beantworten zu können, muss ich einige
der Beobachtungen, die den zweiten Teil vorliegender Arbeit
bilden, herausgreifen. In der besonderen Art der Eibildung
Dinophilus apatris. 75
scheint mir nämlich der Angriffspunkt zu liegen, an dem die
Temperatur einsetzen kann, um in diesem Falle scheinbar ge-
schlechtsbestimmend zu wirken.
Die Weibchen de® Dinophilus apatris besitzen, wie auch
Korschelt schon beobachtete, keine eigentliche Geschlechts-
drüse. Die Ovogonien entstehen aus dem einschichtigen Darm-
epithel und kommen aus diesem-in einen, von mir als Ovarium
bezeichneten, ventral zwischen Magen und Enddarm gelegenen
Raum. Eine Vermehrung der Urgeschlechtszellen durch Teilung
konnte ich nirgends beobachten, obwohl sie zweifellos stattfinden
muss. Im Ovar wächst die Ovogonie durch Nahrungsaufnahme
ungefähr zur doppelten Grösse heran. Hat die einzelne Ovogonie
durch Wachstum eine bestimmte Grösse erreicht, die Ver-
schmelzungsgrösse, so verschmilzt sie zunächst mit einer,
im Laufe der Entwicklung aber mit vielen anderen, ebenso grossen
Ovogonien vollkommen.
Weitaus der grösste Teil dieser vereinigten Eikerne bildet
sich im weiteren Verlaufe der Ovogenese zu Nahrungsdotter um.
Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Eiern
liegt offenbar hauptsächlich in der grösseren oder geringeren Anzahl
verschmelzender Ovogonien. Dadurch aber gestaltet sich sowohl
die Menge der dem Embryo zum Aufbau seines Körpers zur
Verfügung stehenden Nährstoffe, als auch die Kernplasmarelation
im männlichen und weiblichen Ei verschieden. Das weibliche
Ei übertrifft das männliche, wie schon Eingangs erwähnt wurde,
ungefähr um das Dreifache an Länge und Dicke. Es erhält von
Anfang an, und verbraucht naturgemäss ungleich mehr Nähr-
und Baumaterial im Laufe seiner Embryonalentwicklung, als das
männliche Ei. Diese Tatsache ist nicht im mindesten merkwürdig,
nachdem die Weibchen des Dinophilus wohlentwickelte, mit gut
differenziertem Darm-, mit Sinnes- und reichlichen Bewegungs-
organen ausgestattete Tiere sind, die obendrein das vollkommen
rudimentäre, fast aller Organe, mit Ausnahme der Hoden, ent-
behrende Männchen schon bei ihrer Geburt um das Sechsfache
an Länge übertreffen. Nach Korschelt ist die Länge der
eben ausgeschlüpften Weibchen 0,23 mm, der Männchen aber nur
0,04 mm.
Die Nahrung, welche die in das Ovarium übergetretenen
Ovogonien zu jener kritischen Grösse heranwachsen lässt, nach
76 Hans Freiherr von Malsen:
deren Erreichung erst die Verschmelzung mit anderen Ovogonien
möglich zu sein scheint, ist eine, unzweifelhaft in den Darmzellen
bereitete, die Eier umspülende Ernährungstlüssigkeit.
Das, was ich im vorhergehenden als Geschlechtstätigkeit
der Weibchen bezeichnet habe, besteht nun im wesentlichen aus
folgenden Funktionen:
Bildung und Übertritt der Eikerne in das Ovarium, Wachsen
der Ovogonien durch Nahrungsaufnahme, successives Verschmelzen
mehrerer Ovogonien zu einer Ovocyte, Ablage der Ovocyten ins
Wasser.
Die Reifeerscheinungen vollziehen sich am Ei in der Regel
erst nach seiner Ablage, so dass ich mit Boveri und Korschelt
das frisch gelegte Ei als Ovoeyte I. Ordnung bezeichnen kann.
Dass alle diese Geschlechtstätigkeiten des Weibchens durch
Wärme gesteigert und beschleunigt, durch Kälte aber vermindert
und verlangsamt werden, geht klar aus den Experimenten hervor.
Das Zustandekommen eines männlichen oder weiblichen Eies
hängt aber offenbar hauptsächlich davon ab, wie viele Ovo-
gonien sich zu einer Ovocyte vereinigen.
Für die Verschmelzung der Ovogonien ist ihr vorheriges
Wachstum durch Nahrungsaufnahme notwendig.
Diese Nahrung besteht aus dem die Ovogonien im Ovarium
umspülenden (Grewebssaft.
Findet nun plötzlich eine beträchtliche Vermehrung der
Eikeime und damit der Ovogonien statt, so muss notwendiger-
weise ein gewisses Missverhältnis eintreten zwischen der, von
den Darmzellen produzierten, und der, von den schnell wachsenden
Ovogonien geforderten, Nahrungsmenge. Die chemischen Prozesse,
welche sich bei Umwandlung der gefressenen Nahrung in Nähr-
saft abspielen, werden ja sicher ebenfalls beschleunigt, aber ofien-
bar nicht in gleich hohem Grade, wie die Geschlechts-
tätigkeit; auch sind sie abhängig von der Menge des gefressenen
Rohstoffes. Jeder Organismus kann aber Nahrung nur bis zu
einem gewissen, beschränkten Maße zu gleicher Zeit aufnehmen
und verdauen.
Der Darm wird also nicht so viel Nährstoffe liefern können,
als die abnorm vermehrten Ovogonien zu ihrem Heranwachsen
brauchen. Diese werden nicht alle schnell genug die Ver-
schmelzungsgrösse erreichen können. Es wird immer nur eine
Dinophilus apatris. Tan
kleine Anzahl zu gleicher Zeit zur Verschmelzung bereit sein.
Es treten deshalb häufiger als sonst nur wenige Ovogonien zu
einer Ovocyte zusammen und wir erhalten öfter als normal nur
ein kleines männliches Ei, anstatt eines grossen, dotterreichen,
weiblichen Eies.
Auch Nussbaum ist der Ansicht, dass in den Wärme-
kulturen seiner Hydatinen viel eher Nahrungsmangel eintritt als
in den Kältekulturen. Stoffumsatz, aber auch Legetätigkeit
zeigten sich ebenfalls wesentlich beschleunigt.
„Somit muss zur Unterhaltung des eigenen Stoffwechsels
bei höherer Temperatur und zur Leistung der vermehrten Ei-
ablage die Nahrung .... . eine viel reichere sein, als bei
niederer Temperatur. In gleich grossen Aquarien wird in der
Wärme gerade bei anfangs gutem Futter weit schneller eine
Übervölkerung eintreten, als in der Kälte.“
Der Reiz, durch den die Tiere bewogen werden, ihre Gelege
abzusetzen, steigert sich aber ebenfalls durch die Wärme. Die
Produktion an Eiern kann damit, nach dem oben gesagten, nicht
mehr Schritt halten. Es werden also zwar öfter als sonst Eier
abgelegt, aber dafür weniger auf einmal. Die Zahl der Gelege
steigt, ihre Grösse nimmt ab.
Die Ursache für die verhältnissmässige Zu-
nahme der männlichenEierin der Wärme ist also
nichts'idiese Wärme ‚selbst, sondern vielmehr
Nahrungsmangel, hervorgerufen durch abnorme
Steigerung der Geschlechtstätigeit,gegen welche
die Nahrungsproduktion zurückbleibt.
Mit anderen Worten: Die Darmzellen sind nicht imstande,
in kurzer Zeit so viel Nahrung zu liefern, als es die plötzlich in
grosser Zahl auftretenden Ovogonien verlangen.
Die vorwiegende Bildung männlicher Eier ist also das
Resultat eines Missverhältnisses zwischen Darmtätigkeit und
(Geschlechtstätigkeit
Die in Wärmekulturen so häufig gefundenen Weibchen,
deren ganzer Leib so mit Eiern gefüllt war, dass die Mutter
daran zu Grunde gehen musste, betrachte ich als Opfer ihrer
abnorm gesteigerten Eierproduktion. Wahrscheinlich bewirkt die
Wärme auch eine gewisse Lähmung der Muskeln. Der Wurm
vermag die so plötzlich gebildeten Eier nicht mehr rasch genug
78 Hans Freiherr von Malsen:
durch Legen aus dem Körper zu entfernen, so dass zuletzt seine
ganze Leibeshöhle zum Platzen damit erfüllt ist. Der Darm
wird so zusammengepresst, dass feste Nahrung nicht mehr hin-
durch gleiten kann, die Wimpern der Wimperringe sind nicht
mehr stark genug, um die Last des Körpers vom Flecke zu
bewegen und das Tier muss eingehen.
Als Kältewirkungen hatten wir erkannt:
1. Zunahme der weiblichen Eier an Zahl;
2. Abnahme der Gelegegrösse gegen normale Verhältnisse;
3. Rückgang der Geschlechtstätigkeit.
Nach obigen Ausführungen ergibt sich die Erklärung von
selbtt. Ursache für die Zunahme der weiblichen
Eier sind die günstigeren Ernährungs- und damit
Wachstumsbedingungen, welche die Ovogonie im
Ovarium vorfindet. N
Infolge der allgemein herabgeminderten Geschlechtstätigkeit
geht die Teilung der Primordialzellen langsamer vor sich, es
treten nur verhältnismässig wenig Eikeime in das Ovarium
über. Für ihr Heranwachsen ist reichlich Nahrung vorhanden.
Da auch die Eiablage nur mit grossen Pausen von statten geht,
haben viele Ovogonien Zeit, zu einer Ovocyte zu verschmelzen.
Es werden also vorzugsweise grosse, weibliche Eier gebildet.
Wie die Wärme, durch die von ihr ausgeübten, starken Reize,
eine gewissermassen überstürzte, so begünstigt die Kälte durch
Herabminderung der geschlechtlichen Reize eine, sozusagen,
besonders gründliche Eibildung.
Eigentlich sollte man erwarten, dass sich mit der starken
Verzögerung der Eiablage die Grösse der Gelege gegen den
Normalzustand erhöhen würde. Dies ist nicht der Fall, denn
auch die Kältegelege weisen durchschnittlich eine geringere Eier-
zahl auf als die normalen. Der scheinbare Widerspruch erklärt
sich aber leicht, wenn man bedenkt, dass doch nicht nur die
Legetätigkeit, sondern auch die Produktion von Eikeimen ein-
geschränkt ist. Die Ovogonien treten ausserdem meistens zu
grösseren weiblichen Eiern zusammen. Die zum Heranwachsen
der Ovocyten zur Verfügung stehende Nahrungsmenge, die, zu
Dotter umgewandelt, doch im fertigen Ei sich wieder vorfindet,
reicht natürlich nur für eine geringere Zahl grösserer als kleinerer
Eier aus.
Dinophilus apatris. 79
Wenn wir das Gesamtresultat dieser Erörterungen jetzt
zusammenfassen, ergeben sich folgende Sätze:
Die Verdauungstätigkeit reagiert auf Reize durch die
Temperatur nicht in demselben Maße wie die Geschlechtstätigkeit.
Bei der durch die Wärme sehr stark angeregten Eiproduktion
steht dem einzelnen Ei nur eine geringe Nahrungsmenge für
sein Wachstum zur Verfügung. Es bilden sich also vorwiegend
kleine, männliche Eier. Wird die Eiproduktion durch Kälte zurück-
gedämmt, so steht umgekehrt dem einzelnen Ei mehr Nahrung
zur Verfügung. Es bilden sich hauptsächlich grosse, weibliche Eier.
Der geschlechtsbestimmende Faktor bei Dinophilus ist also
in letzter. Linie nicht die Temperatur, sondern die Ernährung
des Eikeimes.
Dass auch dieser Faktor nicht direkt geschlechtsbestimmend
wirkt, sondern nur indirekt durch Beeinflussung der Kernplasma-
relation, werde ich im dritten Teil dieser Abhandlung näher
ausführen.
Sind diese Schlüsse richtig, so muss verschiedene Ernährung
des Muttertieres bei gleicher Temperatur zu ähnlichen Resultaten
führen. Dem Experimente bieten sich hier insofern Schwierig-
keiten, als sich die Nahrung für so kleine Tiere unmöglich
dosieren lässt. ‘Eine Überernährung zur Produktion weiblicher
Eier ist aber gleichfalls unausführbar. Es bleibt also nur die
Möglichkeit, die Einwirkung möglichst absoluten Nahrungsmangels
zu kontrollieren.
Im November vorigen Jahres stellte ich derartige Versuche
an. Eine grössere Anzahl Weibchen aus einer Zimmerkultur
wurde abgesondert und ganz ohne Futter im Zimmer weiter be-
obachtet. Die Tiere lebten ohne Nahrung vom 11.—28. November.
Geringe Futtermengen, wie Diatomeen oder Protozoen werden
sie Ja wohl auch in den Hungerkulturen gefunden haben. Nach
17 Tagen war auch das letzte Tier Hungers gestorben. Das Er-
gebnis der Kultur war überraschend. Ich erhielt im ganzen:
Tabelle 11.
Anzahl der Gelege | m | Geschlechtsverhältnis
| 2 | er?
32 | 34 60 | 1517
[0 0)
oO
Hans Freiherr von Malsen:
-
Gegen das Normalverhältnis von 1:2,5 ist also eine be-
deutende Abnahme der weiblichen und entsprechende verhältnis-
mässige Zunahme der männlichen Eier festzustellen.
Hunger bei normaler Temperatur wirkt also
wie erhöhte Temperatur bei normaler Ernährung.
Bei einem zweiten Versuche wurden Weibchen aus einer
Kältekultur ohne Futter in ein eigenes Uhrschälchen versetzt
und bei 13° weitergezüchtet. Ist die von mir aufgestellte Theorie
über geschlechtsbestimmende Ursachen richtig, so müssen sich
Kälte und Hunger in ihrer Wirkung auf das Geschlecht gegen-
seitig aufheben. Bessere Ernährung bei Kälte würde die Bildung
weiblicher Eier begünstigen, Hunger dieselbe verhindern.
Die Kultur lebte vom 14. November bis 5. Dezember.
Das Resultat war:
Tabelle 12.
Darunter Geschlechtsverhältnis
Anzahl der Gelege | |
| d 2 | SR:
6 10, Lu 38
Durch einen glücklichen Zufall ergab sich hier fast genau
die gleiche Verhältniszahl, die ich früher als Geschlechtsver-
hältnis bei Futter und normaler Temperatur berechnet hatte.
Die aufgestellte Forderung, dass Hunger die Kältewirkung paraly-
sieren müsse, ist in verblüffender Weise erfüllt worden.
Zu diesen beiden letzteren Versuchen möchte ich bemerken,
dass sie zu einer Zeit angestellt wurden, im Winter vorigen
Jahres, in der ich noch keineswegs die Ernährung als geschlechts-
bestimmenden Faktor ansah, sondern vielmehr an direkte Ein-
wirkung von Kälte und Wärme zu denken geneigt war.
Im Münchener zoologischen Institut führte zu gleicher Zeit
mit mir Issako witsch ähnliche Versuche mit Daphnien durch.
Das von ihm erzielte Resultat scheint mit meinen Ergebnissen
in direktem Widerspruch zu stehen. Wärme beförderte bei
Simocephalus vetulus Müll. die Geburt von Weibchen, Kälte die
Bildung von Männchen und Wintereiern. Aus den Wintereiern
kriechen ausnahmslos Weibchen aus. Zunächst geht daraus schon
hervor, dass nicht das Geschlecht direkt von der Temperatur
Dinophilus apatris. sl
beeinflusst wird, sondern dass es ein anderer Vorgang im Orga-
nismus sein muss, auf den Wärme und Kälte einwirken und der
dann seinerseits bestimmend für das Geschlecht der Nach-
kommen wird.
Auch Issakowitsch führt nun diese Resultate auf die
Ernährung des Eies zurück, indem er sagt:
„Wenn wir nun annehmen, dass bei niedriger Temperatur
die assimilatorische Tätigkeit der Zelle herabgesetzt wird und
in Betracht ziehen, dass der Stoffwechsel eines in Entwicklung
begriffenen Eikeimes ein viel intensiverer ist, als der aller anderen
Zellen des Organismus, so müssen wir daraus schliessen, dass bei
niedriger Temperatur die Ernährung des Eies eine sehr ungünstige
ist ..... und müssen erwarten, dass ein Winterei, oder die
wegen ihrer kleinen Grösse und Kurzlebigkeit zur Entwicklung
weniger Nährstoffe bedürfenden männlichen Tiere im nächsten
Wurf abgesetzt werden... . Wenn die Ernährung des mütter-
lichen Organismus so weit gesunken ist, dass er nicht mehr im-
stande ist, dem Ei zu seiner Entwicklung zum Weibchen genügende
Nährstoffe zu bieten, — so entwickelt sich das anspruchslosere
Männchen daraus. Sinkt die Ernährung des Muttertieres noch
tiefer, ist es nicht mehr fähig, das Ei wenigstens zum männlichen
Tiere zu entwickeln, so tritt eine grosse Anzahl primärer
Eizellen zusammen, um auf Kosten der ganzen Menge ein
einziges, befruchtungsbedürftiges Winterei zu bilden.“
Die Bildung dieses Wintereies geht nun ganz ähnlich vor
sich, wie die Eibildung bei Dinophilus. Aus dem Winterei ent-
wickelt sich aber, ebenso wie aus den dotterreichen Dinophilus-
Eiern, stets ein Weibchen.
Auch bei Simocephalus ist also die Ausbildung des Ge-
schlechtes nur eine sekundäre Erscheinung gegenüber der primär,
durch die Temperatur veranlassten besseren oder schlechteren
Ernährung des Eies. Dasselbe ist nach meinen Untersuchungen
der Fall bei Dinophilus. Nur wird bei diesem die absolut bessere
Ernährung des Eies durch die Kälte verursacht, was ja auch
beim Winterei der Daphnie der Fall ist und zwar insofern, als
bei der bedeutend verzögerten Eibildung und Eiablage die vor-
handene, vielleicht an und für sich geringere Nahrungsmenge,
auf weniger Esser verteilt wird und die Ovogonien mehr Zeit
gewinnen, zu wachsen und miteinander zu verschmelzen. Die
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 9
82 Hans Freiherr von Malsen:
Folge davon ist aber die Entstehung weiblicher Eier bei Kälte-
einwirkung.
In der Wärme dagegen trifit bei der ausserordentlich
beschleunigten Produktion von Eikeimen eine geringere Menge
Nährmaterial auf die einzelne Ovogonie. Obwohl also nur eine
ungenügende Anzahl auf einmal herangewachsen sein kann, werden
die schon zu Ovocyten verschmolzenen Ovogonien doch häufiger
abgelegt und wir erhalten das kleinere, männliche Ei. Der Mangel
der parthenogenetischen Eier verhindert, die Verhältnisse von
Dinophilus vollkommen mit denen der Daphnoiden zu parallelisieren.
Für Dinophilus und Simocephalus lässt sich daher vorläufig
der Satz aufstellen:
Das Geschlecht der Nachkommen hängt in erster
Linie ab von der Nahrungsaufnahme der sich bildenden
Ovocyten im mütterlichen Leibe Die Nahrungsauf-
nahme aber kann günstig oder ungünstig durch die
äussere Temperatur beeinflusst werden.
Ir Terl.
Ovogenese.
Die direkte Beobachtung lehrt, dass die Eier des Dinophilus
bereits im mütterlichen Leibe geschlechtlich differenziert sind.
Im Ovarium zeigen die fertig gebildeten Ovocyten schon die
gleichen Grössenunterschiede, wie sie früher von mir angegeben
wurden. Um die Ursachen dieser Differenzierung klar zu stellen,
war es deshalb unbedingt notwendig, die Vorgänge der Ovogenese
zu erforschen.
Als geeignetste Präparations- Methode erwies sich die
Fixierung der Weibchen mit Prikrinessigsäure, Stückfärbung mit
Borax-Karmin und Schnittfärbung mit Delafields Hämatoxylin.
Die von Korschelt angegebene Fixierung mit Osmiumsäure
oder mit 1—2 °/oiger Chromsäurelösung und nachfolgende Färbung
mit Weigertschem Pikrokarmin und Alaunkarmin ergab weniger
gute Resultate.
An Fixierungsflüssigkeiten versuchte ich noch Sublimat,
Sublimateisessig und Flemmingsche Lösung, an Färbungsmitteln
Safranin, Eosin und Beales Karmin, doch bewährte sich keine
Dinophilus apatris. 33
Methode so gut, wie die erst angeführte, die ausserdem noch
den Vorzug grösster Einfachheit hat.
Die Untersuchungen mussten ausnahmslos an Schnitten ge-
macht werden, weil die Menge der über- und nebeneinander im
Ovarium liegenden Eikerne auch bei jungen Tieren das Erkennen
der einzelnen Ovogonie zu sehr erschwert. Korschelt weist
darauf hin, dass die Herstellung der Schnittpräparate durch die
grosse Zartheit der Körper- und Darmwandung sehr erschwert
wird. Ich kann diese Angabe nur vollauf bestätigen. Erst nach
längerer Übung und bei Anwendung der grössten Sorgfalt gelang
es mir, brauchbare Dünnschnitte zu erzielen. Die Einbettung
erfolgte durchgehends in Paraffin, die meistens angewandte
Schnittdicke betrug 7 «u. Je mehr Dotter die Ovocyten ent-
halten, um so schwieriger erweist sich das Schneiden. Fertige
Ovocyten oder abgelegte Eier in wirklich tadellose Schnitte zu
zerlegen, ist nahezu unmöglich, weil die Dottermasse fast stets
wenigstens feine Risse erhält.
Ich hatte ursprünglich die Absicht, auch die Reifungs- und
ersten Furchungsvorgänge klar zu stellen. Bei der absoluten
Undurchsichtigkeit der abgelegten Eier ist es aber reiner Zufall,
wenn sich in einer Schnittserie die Chromatinverhältnisse gut
erkennen lassen. Ich habe viele Hunderte von Tieren und Ge-
legen geschnitten und erhielt auch die hauptsächlichsten Ent-
wicklungsstadien. Die geringe Anzahl brauchbarer Präparate
und der Mangel an frischem Material machen jedoch erneute
Untersuchungen nötig. Ich werde deshalb nachstehend die
Ovogenese nur soweit verfolgen, bis das Geschlecht der Ovocyte
sicher festgestellt ist. Um die Bezeichnung der Övarialeier als
Ovoeyten erster Ordnung zu rechtfertigen, möchte ich nur noch
beifügen, dass die Abschnürung zweier Polkörper erst in den
abgelegten männlichen und weiblichen Eiern erfolgt. Ein einziges
Mal fand ich in einem Ovarialei eine Richtungsspindel.
Dass die kleinen Eier bei Dinophilus stets Männchen, die
grossen stets Weibchen liefern, kann man sicher erkennen an
solchen Gelegen, deren Embryonen kurz vor dem Ausschlüpfen
stehen. Schon bei schwacher Vergrösserung sieht man in den
grossen Eiern die rot leuchtenden Augenflecke der Weibchen.
Bei mittlerer Vergrösserung erkennt man in den, besonders bei
geöffneter Blende, lebhaft rotierenden Embryonen ohne Mühe
6*
84 Hans Freiherr von Malsen:
und ohne den geringsten Zweifel die voll ausgebildeten, mit
Darm und Augen versehenen Weibchen, oder die rudimentären,
darm- und augenlosen Männchen.
Es ist mir so wenig wie Korschelt gelungen, eine Be-
gattung zu beobachten. Dass die Befruchtung aber keinen Ein-
fluss auf die Geschlechtsbestimmung hat, kann ich mit Sicherheit
angeben. Niemals entdeckte ich in den Weibchen Spermatozoen.
Das Geschlecht der Eier ist aber schon in der noch im Mutter-
leibe befindlichen Ovocyte durch ihre Grösse unzweifelhaft be-
stimmt und fixiert. In weiblichen abgelegten und reifenden Eiern
gelang es mir mehrmals, den Spermakern zu finden. Männliche
Eier habe ich daraufhin nicht untersucht.
Männliche und weibliche Eier bilden aber zwei
Polkörper.
Die Angaben Korschelts über die Lage des Ovariums
kann ich bestätigen. Es liegt als unpaares Organ „unterhalb
des Nahrungskanals, da, wo sich der Darm vom Magen absetzt“
(Fig. 2). Mit zunehmender Masse der Eier dehnt sich der
Ovarialsack rechts und links vom Darm in dorsaler Richtung
aus. Auf einem Frontalsehnitt muss er dann zu beiden Seiten
des Darms liegen und paarig erscheinen. Die Zahl der Eier
kann in einem älteren Weibchen so gross werden, dass der ganze
Leibesraum davon erfüllt ist, der Darm aber nach oben gegen
die Körperwand gedrängt und bis zur Unsichtbarkeit zusammen-
gepresst wird.
Die Urgeschlechtszellen liegen zwischen den grossen Zellen,
aus denen sich das Darmepithel zusammensetzt. Die Kerne
beider Zellarten gleichen einander vollkommen. Es sind runde
Bläschen mit chromatischem Nucleolus. Bei etwas älteren
Weibchen fallen die Kerne einzelner Darmzellen durch ihre
Grösse und besonders die Grösse ihres Nucleolus auf (Fig. 1 u. 2).
Sie liegen an der äusseren Peripherie meistens in einer Ecke der
Zelle und sind umgeben von einem körnigen, stark färbbaren
Protoplasma. Die Zellen mit diesen Kernen möchte ich für die
Urgeschlechtszellen erklären. Auch Korschelt sagt, es schiene
ihm, „als ob die Eier aus dem Epithel des Darmkanals hervor-
gingen.“ Wie diese Zellen aus der Darmwand heraus in das
Ovar gelangen, kann ich nicht mit völliger Bestimmtheit angeben.
Das Bild auf Fig. 1 lässt mich die Vermutung aussprechen, dass
Dinophilus apatris. 85
sie aktiv beweglich auswandern. Die vier Kerne a und b zeigen
im Gegensatz zu den übrigen, noch im Epithel ruhenden, eine
längliche Form. Die drei Kerne b machen entschieden den Ein-
druck der Fortbewegung in der Richtung auf das Ovar. Amöboide
Fortsätze des Plasmas konnte ich nicht erkennen. Da es mir
jedoch nicht gelungen ist, weitere Präparate zu erhalten, die
auf derartige Vorgänge schliessen liessen, kann ich die Frage
des Austrittes der Ureizellen aus dem Darmepithel leider nicht
entscheiden.
Auf den Umstand, dass auf Fig. 1 der scheinbare Eintritt
der Ureizellen in das Ovar am vorderen Ende erfolgt, während
die jüngsten Ovogonien stets im hinteren Ende liegen (Fig. 2),
möchte ich keinen Wert legen, nachdem z. B. auch bei Daphnien
die sich bildenden Eier im Ovar zuerst vorwärts und dann wieder
rückwärts wandern. In allen meinen übrigen Präparaten zeigt
sich die Darmwand völlig unverletzt, und unter dem Darm das
Övar mit mehr oder weniger zahlreichen Ovogonien.
Das Ovar ist umgeben von einer sehr feinen strukturlosen
Membran. Dieselbe nimmt, wie Fig. 2 deutlich erkennen lässt,
ihren Ursprung von der Darmwand. Ich halte sie für das Darm-
faserblatt, das durch die Ansammlung der Eier vom Darmepithel
abgehoben wird und so eine Hülle um das Ovar bildet. Das
Lumen dieses, vom Ovarialepithel begrenzten Raumes, wird ausser
vom Ovarium noch von einer, mit Ernährungstlüssigkeit erfüllten,
Lakune eingenommen. Die Flüssigkeit wird zweifellos von den
Darmzellen ausgeschieden, umspült die Ovogonien und liefert
ihnen die zum weiteren Wachstum nötigen Nährstoffe. Im
Präparate wird diese geronnene Flüssigkeit deutlich durch ihre
gelbliche Färbung (Fig. 2).
Die Urgeschlechtszellen vermehren sich jedenfalls durch
Teilung. Ich konnte jedoch auch mit meinen stärksten Ver-
grösserungen, Leitz 2 mm Apochromat und Comp.-0Oc. 4—8
niemals Teilungsfiguren beobachten. Die ausserordentliche Klein-
heit dieser Zellen erschwert überhaupt die Beobachtung ungemein.
Fig. 2 zeigt uns deutlich, wie die Ovogonien und ihre, nun-
mehr als Keimbläschen zu bezeichnenden Kerne, vom hinteren
gegen das vordere Ende des Ovars stetig an Grösse zunehmen.
Ihr Protoplasma nimmt immer mehr eine granulierte Beschaften-
heit an. Besonders an der Aussenseite des Keimbläschens, in
36 Hans Freiherr von Malsen:
der Regel jedoch auch an seiner Innenwand, pflegt sich eine
Schichte kleiner, intensiv färbbarer Körnchen vorzufinden. Mit
dem zunehmenden Alter und Wachstum der Ovogonie steigt auch
die Färbbarkeit stetig. Bei der Doppelfärbung mit Borax-Karmin
und Delafields Hämatoxylin erscheinen sie in früheren Stadien
winzig klein und zart rot, später grösser, intensiv rot, bis in den
älteren Stadien dunkelblaue Färbung eintritt. Ich betrachte
diese Körnchen als Stoffwechselprodukte oder vielmehr Reserve-
stoffe der Zelle, nach Verschmelzung mehrerer Ovogonien unter-
mischt mit aufgelösten oder verteilten trophochromatischen Be-
standteilen.
Hat die Ovogonie dergestalt durch Nahrungsaufnahme eine
bestimmte Grösse, „die Verschmelzungsgrösse“, erreicht, so
verschmelzen zunächst zwei benachbarte miteinander. Fig. 3—6
zeigen uns, wie zuerst die Protoplasmaleiber sich vereinigen
(Fig. 6). Im Innern der neuen Zelle befinden sich noch zwei
Keimbläschen. Diese legen sich nun dicht aneinander, und die
Kernmembranen lösen sich auf. Fig. 3 zeigt dieses Stadium.
In Fig. 4 endlich sehen wir, wie auch die Nucleolen sich ver-
einigen. Kurz nach der Vereinigung lässt der neue Nucleolus
noch deutlich seine Entstehung aus zweien erkennen (Fig. 4a).
Allmählich wird er dann oval (Fie. 4b), um endlich wieder in
die normale, runde Form zurückzukehren (Fig. 4c). Derartige
vergrösserte Nucleolen enthalten stets eine oder mehrere Vakuolen
von wechselnder Grösse (Fig. 4e).
In einer 1896 erschienenen Arbeit von Doflein sind ganz
ähnliche Vorgänge bei der Eibildung von Tubularia beschrieben.
Die von ihm gegebenen Bilder zeigen eine merkwürdige Ähnlich-
keit mit den meinigen. Auch hier entsteht das Ei durch Ver-
schmelzung einer Anzahl von Keimzellen. Im Verlaufe der
regressiven Metamorphose, die die Kerne der Nährzellen (Pseudo-
zellen) während ihrer Aufnahme in die entstehende Ovocyte
durchzumachen haben, sollen sie sich aber noch ein- oder
mehreremal amitotisch teilen. Dieser Vorgang führt zu Bildern,
welche den von mir in Fig. 4 gegebenen und als Verschmelzungs-
stadien gedeuteten fast vollkommen gleichen. Ich möchte jedoch
für Dinophilus meine Deutung vorläufig doch aufrecht erhalten
und zwar aus folgenden Gründen: erstens ist die Zahl der Keim-
zellen im Ovar eines älteren Weibchens stets bedeutend geringer
Dinophilus apatris. 87
als in dem eines jüngeren; zweitens übertreffen sowohl Keimzellen
als Nucleolen der degenerierenden Nährzellen die Zellen früherer
Stadien bedeutend an Grösse. Da meine Bilder alle mit gleicher
Vergrösserung gezeichnet sind, erlauben Fig. 2,4 u.5 einen
direkten Vergleich. Ich stehe nicht an, zu bekennen, dass meine
Auffassung manche theoretische Schwierigkeiten bietet, weshalb
ich auch die endgültige Entscheidung zukünftigen Untersuchungen
vorbehalten möchte.
Durch Verschmelzung mit immer neuen Ovogonien wächst
nun die Eizelle sehr rasch. Fig. 5 lässt erkennen, wie sich die
Ovogonien kugelförmig, auf dem Schnitt natürlich kreisförmig,
um eine, schon sehr bedeutend herangewachsene Ovogonie legen.
Auf dem hier abgebildeten Stadium kann man die zentral
gelegene Zelle (Fig. 5 E Z) schon als Eizelle, dadurch charakterisiert,
dass ihr bläschenförmiger Kern zum künftigen Eikern wird, von
den umgebenden Nährzellen (Fig. 5 NZ), die ihr Keimbläschen
aufgelöst und ihr Chromatin in Form eines sehr grossen Nucleolus
vereinigt haben, unterscheiden. Es handelt sich also bei der
Ovocytenbildung um zwei Arten von Wachstum und zwar, bis
zur Verschmelzungsgrösse, um Volumenzunahme der Ovogonie
durch Ernährung, dann aber um Vergrösserung durch Ver-
schmelzung von Ovogonien. Das nunmehrige Keimbläschen
wächst, während die aufgenommenen Nährzellen sich in der
werdenden Ovocyte auflösen, zu jener beträchtlichen Grösse heran,
die diese Kerne durchgehends auszeichnet (Fig. 8 u. 9). AÄusserst
komplizierte und interessante Prozesse spielen sich in diesem
Stadium der Dotterbildung und endgültigen Fertigstellung der
Ovocyte ab. Näher auf sie einzugehen, muss ich mir für spätere
Zeit vorbehalten, weil meine diesbezüglichen Untersuchungen
noch nicht zum Abschluss gelangt sind.
Hat die Ovocyte, oder besser gesagt, Ovogonie, die zur
Verfügung stehenden Nährzellen aufgenommen, so bildet sich auf
der Aussenseite eine Dotterhaut (Fig. 7), mit deren Fertigstellung
die nunmehrige Ovocyte ihre definitive Grösse erreicht hat.
Erst in diesem Augenblicke, jetzt aber auch
endgültig und unwiderruflich, ist das geschlecht-
liche Schicksal des künftigen Eies entschieden.
Der Grund für diese geschlechtliche Differenzierung scheint
mir in erster Linie darin zu liegen, dass die Ovocyte eine erbliche,
38 Hans Freiherr von Malsen:
in gewissen Grenzen festgelegte, (rösse erreicht hat, dass ihr
eine bestimmte Masse von Nähr- und Bildungsmaterial zugewiesen
ist, die ein Ei in den Stand setzt, ein weibliches Individuum zu
bilden, während das andere nur zum Aufbau eines rudimentären
Männchens genügt.
Nach den neuesten Forschungen R. Hertwigs ist es ja
sehr wahrscheinlich, dass die verschiedene Gestaltung der Kern-
plasmarelation der Faktor ist, der im reifen Ei bestimmend
wirkt und die Furchung und Embryonalentwicklung beherrscht.
Das verschiedene Verhältnis von Kernmasse zu Plasmamasse wird
aber doch wohl in erster Instanz dadurch herbeigeführt, dass
sich zu der, in beiden Eiern gleichen, Kernmasse im weiblichen
Ei eine grössere Menge Protoplasma fügt als im männlichen. In
der von ihm angewandten Formel möchte ich das Verhältnis
bezeichnen als: 2:2? = - u
Die naturgemäss sich anschliessenden Fragen müssen sein:
1. Welche Ovogonien werden zur Eizelle, welche zu Nähr-
zellen ?
2. Wie viele Ovogonien sind nötig zur Bildung eines männ-
lichen, wie viele zu der eines weiblichen Eies?
Wodurch wird die Zahl der verschmelzenden Ovogonien
begrenzt? Warum bilden sich nicht ausschliesslich männ-
liche oder weibliche Eier?
Zur Beantwortung der ersten Frage:
Die im Ovar vorhandenen Ovogonien zeigen, kurz vor sie
verschmelzen, nicht den geringsten erkennbaren Unterschied. Ob
nicht in der Struktur oder chemischen Zusammensetzung des
Chromatins oder des Protoplasmas doch gewisse Unterschiede
bestehen, vermag ich nicht zu unterscheiden. Zum künftigen
Keimbläschen wird, nach meiner Ansicht, diejenige Ovogonie, die
zuerst die Verschmelzungsgrösse erreichte und dadurch einen,
wenn auch noch so geringen Vorsprung vor ihren Genossen erhielt.
Sie hat damit ein Übergewicht, dass sie befähigt, die um-
liegenden ÖOvogonien aufzunehmen und zur Umwandlung in
Deutoplasma zu veranlassen. Inwieweit bei der Umbildung der
Ovogonien zu Nährzeilen durch Hunger oder Temperatur ver-
anlasste „Depressionszustände“ mitwirken, kann ich vorläufig nicht
entscheiden. Zur Klärung dieser Frage sind erneute Unter-
suchungen notwendig.
0
Dinophilus apatris. 39
Zur zweiten Frage:
Dass nicht eine bestimmte Anzahl Ovogonien erblich oder
auf andere Weise fixiert sein kann, um ein Ei zu bilden, geht
schon aus der, in immerhin. nicht unbeträchtlichem Grade
schwankenden Grösse der Eier hervor. (Vergl. die angegebenen
Maße auf S. 64.) Es ist leider unmöglich, eine auch nur an-
nähernd genaue Zahl anzugeben, weil die zuerst vereinigten
Nährzellen schon in voller Auflösung begriffen und nicht mehr
einzeln unterscheidbar sind, während noch immer neue in den
Verschmelzungsprozess mit einbezogen werden. Die Verschmelzung
der Ovogonien schreitet eben solange weiter, als Material vor-
handen ist. Und damit komme ich zur Beantwortung der dritten und
wichtigsten Frage, wodurch die Zahl der verschmelzenden Ovogonien
begrenzt, warum ein Ei weiblich, das andere männlich wird.
Eine hierfür wichtige Beobachtung muss ich noch einfügen.
In bezug auf die Ausnützung des im Ovar vorhandenen Raumes
durch die Ovocyten zeigt sich als fast ausnahmslose Regel, dass
die Mitte des Hohlraumes von den grossen weiblichen Eiern
eingenommen wird, während die kleinen männlichen an der
Peripherie oder in den äussersten Ecken Platz zu finden pflegen.
Nach dem vorher Gesagten stelle ich mir nun den ganzen Vor-
gang folgendermassen vor: Eine gewisse Anzahl der in grosser
Menge zu gleicher Zeit vorhandenen Ovogonien erreicht auch
gleichzeitig die Verschmelzungsgrösse und damit die Fähigkeit,
ihre, in der Entwicklung noch rückständigen, umliegenden
Genossen zu beeinflussen und zur Vereinigung mit sich zu nötigen.
Je kräftiger nun z. B. die Ovogonie A ist oder je grösser ihr
Vorsprung in der Entwicklung ist, desto mehr Ovogonien wird
sie ihrer Einflusssphäre zu unterwerfen vermögen und mit sich
vereinigen. Eine, in gewisser Entfernung davon liegende zweite
Ovogonie B ist vielleicht zwar weiter entwickelt als ihre direkten
Nachbarn, aber doch um eine Kleinigkeit im Rückstand gegen A.
Auch sie macht nach vollendeter Reife ihren Einfluss geltend auf
ihre Umgebung. Da aber ihre Nachbarin A schon einen grossen
Teil des vorhandenen Materials für ihren eigenen Aufbau an sich
gerissen hat, findet B nur mehr weniger Ovogonien zur Ver-
grösserung vor und muss deshalb im Endresultat etwas kleiner
bleiben als A. Es entsteht aus ihr zwar noch ein weibliches Ei,
aber ein etwas kleineres.
90 Hans Freiherr von Malsen:
Aus den Überresten des gesamten, zu einer gewissen Zeit
vorhandenen Bildungsmaterials nun, entstehen die kleinen,
männlichen Eier. Die Ursache für ihre Bildung kann zweierlei
sein: Entweder ist die Ovogonie, welche ihr Keimbläschen bildet,
mit ihrer individuellen Entwicklung so weit im Rückstand
geblieben, dass das vorhandene Material an Nährzellen beim
Eintritt ihrer Reife schon grösstenteils von den anderen Eizellen
aufgebraucht und assimiliert war, dass für sie also nur mehr ein
geringer Teil übrig blieb, oder aber sie ist durch ihre ungünstige
Lage im Eierstock an ihrer Vergrösserung behindert. Auf
diesen letzteren Fail deutet die Beobachtung hin, dass die
männlichen Eier meistens an der Peripherie oder in den
Ecken liegen.
Während die im Zentrum gelegenen Ovogonien auf allen
Seiten von Nährzellen umgeben sind, sind die an der Wand des
Ovars oder nahe von ihm gelegenen natürlich im Nachteil, weil
sie peripher von sich nur mehr wenig oder kein Material zur
Verfügung haben. Den Einwand, dass diese peripheren Ovogonien
ja direkt vom Gewebssaft umspült und so noch günstiger ernährt
werden als die zentralen, weise ich insofern zurück, als ja, wie
schon früher erwähnt wurde, zwei Wachstumsstadien und -arten
unterschieden werden müssen und in dem zweiten Stadium
das Wachstum der Övocyte nicht mehr durch Aufnahme
von Ernährungsflüssigkeit, sondern durch Verschmelzung mit
Nährzellen erfolgt. Die verschiedene Beeinflussung der Er-
nährung durch die Temperatur wurde schon früher eingehend
besprochen.
Schon Korschelt hat nun beobachtet, und ich kann ihm
nur beistimmen, dass bei Dinophilus auch im geschlechtsreifen
Weibchen die Bildung der Urgeschlechtszellen im Darmepithel
und damit der Ovogonien im Ovarium ihren Fortgang nimmt.
Ist im Ovar eine genügende Anzahl erwachsener Ovocyten vor-
handen, nach meinen Beobachtungen durchschnittlich fünf bis
sechs weibliche und zwei bis drei männliche, so werden sie ab-
gelegt und im Ovarium gibt es Platz für neue.
Als pathologische Erscheinung habe ich im ersten Teil
dieser Arbeit bereits das Vorkommen von Weibchen erwähnt,
deren ganzer Leib so mit Eiern gefüllt ist, dass sie unfähig zur
3ewegung und Nahrungsaufnahme sind. Ihre Hautmuskulatur
Dinophilus apatris. Eh!
kann sich infolge der starken Ausdehnung der Körperwand nicht
mehr genügend kontrahieren, um die Eier auszustossen und sie
müssen zugrunde gehen.
IN. Teil.
Gegenwärtiger Stand der Fragenach den geschlechts-
bestimmenden Einflüssen.
Die Frage nach den geschlechtsbestimmenden Einflüssen hat,
so lange es denkende Menschen gibt, die Geister beschäftigt.
Schon die ungeheure praktische Tragweite, die ihre Lösung sowohl
für die einzelne menschliche Familie, wie für den Landwirt und
Tierzüchter ‚haben würde, liess von Alters her zahlreiche mehr
oder weniger geistreiche Theorien entstehen. Leider aber grössten-
teils nur Theorien! Tatsächliche Grundlage erhielten sie, wenigstens
in den letzten Dezennien, meist durch teilweise umfangreiches,
statistisches Material, das an Menschen oder Haustieren gewonnen
wurde. Auf statistischem Wege lässt sich aber ein Vorgang, der
notwendigerweise seinen Ursprung im ersten Anfang der ÖOnto-
genie nehmen muss, sicher nicht aufklären. Wie die menschliche
Anatomie ein festes Fundament erst durch die zoologischen
Forschungsergebnisse an den niederen Wirbeltieren, erst auf
Grund von Darwins unsterblicher Deszendenztheorie erhalten
konnte, so muss getrachtet werden, dem Geschlechtsproblem
durch allmähliche Erkenntnis der Art näher zu treten, in der
sich die geschlechtlichen Vorgänge bei niederen Organismen ent-
wickelt haben. Im höher organisierten Tier- und auch Pflanzen-
körper müssen naturgemäss die Wechselbeziehungen verschiedenster
Art, zwischen Körper und Aussenwelt, wie zwischen den einzelnen
Örgansystemen im Körper selbst, zu kompliziert sein, um sich
kurzerhand und ohne Kenntnis der herrschenden Grundgesetze
erkennen und entscheiden zu lassen.
In der Tat hat auch noch keiner der an höheren Tieren
oder an diöcischen Pflanzen angestellten Versuche zu allgemein
anerkannten Resultaten geführt.
Strassburger stellte mit sehr grossem Material Versuche
aı den diöcischen Pflanzen Melandrium album und rubrum an.
Es wurde die Einwirkung der Ernährung, des Lichtes oder
Schattens, der Temperatur, verschiedenen Alters von Samen und
92 Hans Freiherr von Malsen:
Pollen äusserst gewissenhaft und in jahrelangen Versuchen erprobt,
ohne dass sich eine Änderung des Geschlechtsverhältnisses hätte
erzielen lassen. Heyer kam bezüglich der Temperatureinwirkung
und Bodenart auf Mercurialis annua zum selben Resultat.
Von Haberlandt, Fisch, Strassburger und anderen
mit Hanf (Cannabis sativa) angestellte Experimente führten gleich-
falls zu negativem Resultat.
Strassburger kommt denn auch, bei Zusammenfassung
aller an diöcischen Pflanzen erzielten Ergebnisse zur Ansicht,
dass das Geschlecht dieser Pflanzen „durch die Einflüsse, welche
sich während der Entstehung und Entwicklung auf sie geltend
machen, nicht beeinflusst wird“ und zieht die weitere Folgerung,
dass schon in der embryonalen Substanz über das Geschlecht
entschieden sei.
Alle über die Geschlechtsverhältnisse bei Wirbeltieren vor-
liegenden Angaben, die sich in erster Linie auf statistisches
Zahlenmaterial über Haustiere und Menschen stützen, wurden von
Lenhosseck kritisch zusammengestellt. Das Resultat geht dahin,
dass eine Einwirkung auf das Geschlecht weder durch den Er-
nährungszustand, noch das Alter der Eltern oder andere Einflüsse
erkennbar ist.
Pflüger, Born und Jung haben an Fröschen, Oskar
Schultze an weissen Mäusen Versuche vorgenommen. Auch sie
führten zur Leugnung eines Einflusses der Ernährung auf Ge-
schlechtsbildung.
Wesentlich günstiger gestalten sich die Versuche an mono-
clinen oder monöecischen Pflanzen und an niederen Tieren.
G. Klebs gelang es durch Kultivierung in verdünnter Luft
die sonst hermaphrodite Alge Vaucheria repens zur alleinigen
Ausbildung männlicher Geschlechtsorgane zu nötigen.
Nach Prantl ist Stickstoffmangel oder durch dichte Aus-
saat bewirkter Nahrungsmangel imstande, die Prothallien der
Farne Osmunda regalis und Üeratopteris thalictroides zur Unter-
drückung der Archegonien und ausschliesslicher oder doch vor-
wiegender Antheridienbildung zu veranlassen.
Gleiche Ergebnisse erzielte Buchtien an Equisetaceen
durch dichte oder dünne Aussaat, durch Kultivierung auf schlechtem
oder gutem Nährboden.
Dinophilus apatris. 33
Sogar an der Maispflanze konnte O. Schultze durch Beob-
achtung in verschiedenen Gegenden und durch Zucht im eigenen
Garten feststellen, dass sie bei dünner Aussaat, reichlicher Er-
nährung und freiem Zutritt des Sonnenlichtes vorwiegend die
grossen, weiblichen Kolben, bei dichter Aussaat, schlechter Er-
nährung und Mangel an Sonne hauptsächlich die männlichen
Rispen ausbildet.
Für niedere Tiere liegen nur wenige Versuche vor.
Beim Süsswasserpolypen Hydra fand Nussbaum, dass
gutes und reichliches Futter die Entstehung der Eier, mangel-
hafte Ernährung die Entstehung der Hoden begünstige, jedoch
ist dieses Ergebnis noch nicht genügend sichergestellt.
Mit dem Rädertiere Hydatina senta hat zuerst Maupas,
dann Nussbaum experimentiert. Das Tier ist gonochoristisch.
Es hat die von beiden Forschern bestätigten Eigentümlichkeiten,
dass es erstens drei Arten von Eiern produziert und zwar grössere
weibliche und kleinere männliche Sommereier, ausserdem noch
grosse Winter- oder Dauereier. Letztere bedürfen zu ihrer Ent-
wicklung der Befruchtung, erstere sind parthenogenetisch.
Zweitens vermag ein Weibchen stets nur Eier von einer der drei
Arten zu legen.
Aus einem Ei geht also ein Weibchen hervor, das nur
männliche oder nur weibliche oder nur Dauereier produziert.
Maupas glaubt, dass der spätere Charakter des Weibchens schon
in diesem Ei definitiv bestimmt und also das Geschlecht der
Enkelgeneration schon im Ovar der Grossmutter entschieden sei.
Er sagt hierüber:
„C'est bien au moment ou chaque oeuf se differencie dans
l’ovaire, en commencant son developpement que l’etat de pon-
deuse d’oeufs femelles ou de pondeuse d’oeufs mäles apparait et
se fixe d’une facon definitive.“
Eine Beeinflussung des Geschlechtes der Enkelgeneration
erzielte er durch Einwirkung verschiedener Temperatur auf die
Grossmutter, und zwar ergab Kälte weibliche, Wärme männliche
Eier. Wie bei Dinophilus sind auch bei Hydatina die weiblichen
Sommereier grösser und dotterreicher.
Nussbaum hat meiner Ansicht nach überzeugend nach-
gewiesen, dass nicht die Temperatur, sondern die, durch Kälte
günstiger, durch Wärme ungünstiger gestalteten Ernährungs-
94 Hans Freiherr von Malsen:
verhältnisse geschlechtsbestimmenden Einfluss ausübten. Er selbst
hat mit dem gleichen Objekt wie Maupas sehr eingehende und
genaue Versuche angestellt und seine Vermutung vollständig be-
stätigt gefunden. Gleichzeitig weist er nach, dass .das Geschlecht
der Enkel nieht schon im Ovarium der Grossmutter, sondern erst
während der ersten Eibildungsstadien in der Mutter bestimmt
wird. Nach einer Reihe eigens hierzu angestellter Versuche er-
gab sich, „dass die Umstände, unter denen die Eier ausgebrütet
und weitergezüchtet werden, und nicht die Bedingungen, unter
denen sie gelegt wurden, massgebend für das Gelege der aus den
auskriechenden Embryonen heranwachsenden Weibchen werden.“
Sehr interessant für unser Problem ist Nussbaums Angabe,
dass in einem Aquarium Weibchen, die männliche Eier legten,
auftraten, wenn die Zahl der Weibchen durch steten Nachwuchs
stieg. Wurde die Anzahl der Weibchen in einem Aquarium aber
rechtzeitig durch Teilung vermindert, so konnte das Erscheinen
von Männchen verhindert werden.
Das Endresultat dieser Versuche ist übereinstimmend mit
dem von mir an Dinophilus erzielten:
„bei Hydatina senta bestimmt während einer gewissen
Entwicklungsphase die Ernährung das Geschlecht des ganzen
Geleges eines jeden jungfräulichen Weibchens. Wird das aus-
kriechende Weibchen bis zur Reifung seines ersten Eies gut er-
nährt, so legt es nur weibliche Eier; wird es bis zur Geschlechts-
reife mangelhaft ernährt, so legt es nur männnliche Eier. Vor
und nach dieser Periode hat die Ernährung auf das Geschlecht
keinen Einfluss.“
Die Versuche von Issakowitsch an Simocephalus vetulus
(Müll.) wurden schon im I. Teil besprochen.
Eine sehr eingehende, kritische Besprechung aller auf unsere
Fragen bezüglichen Tatsachen und Hypothesen verdanken wir
Cuenot. Das Resultat ist folgendes:
Während bei Blattläusen und Phylloxera nach den Unter-
suchungen von Kyber und Balbiani gute Ernährung der Mutter
parthenogenetische Weibchen, schlechte Ernährung gonochoristische
(Generationen hervorrief, haben sich die von Landois, Giard,
Mary Treat und anderen an Schmetterlingsraupen erzielten
Ergebnisse nicht aufrecht erhalten lassen. Eigene Versuche
Dinophilus apatris. 95
Cuenots an Fliegenlarven ergaben keine Beeinflussung des Ge-
schlechtes durch die Ernährung.
Soviel ist also sicher, dass die Geschlechtsbestimmung bei
all diesen Tieren schon sehr früh, wahrscheinlich im Ei, ge-
troften ist.
Das klassische Beispiel der Biene, deren befruchtete Eier
Weibchen, die unbefruchteten Männchen liefern, zeigt, dass in
manchen Fällen das Spermatozoon Einfluss gewinnt.
Beobachtungen und Experimente an Patella von Gemmil,
an ÖOymatogaster aggregatus von Eigenmann, an Fröschen von
Cu¬ und den schon früher zitierten Autoren ergaben negative
Resultate.
Mit Bezug auf Tiere mit obligatorischer Befruchtung sagt
denn auch Cu&@not resigniert: „il est done &vident que le deter-
minisme est sous la puissance de facteurs internes, dont nous
n’avons pas la moindre idee.“
Wenn der jetzige Stand unserer Kenntnisse diese Resignation
auch rechtfertigt, so ist doch kein Grund vorhanden, um an der
Lösung des Problems überhaupt zu verzweifeln. Hat schon
Boveris bedeutsame Entdeckung von Unterschieden in den
Chromatinverhältnissen der Geschlechts- und Körperzellen bei
Ascaris megalocephala bewiesen, dass auf dem Gebiete der Zellen-
lehre noch manches Dunkel erhellt werden kann, so ist eine
Beobachtung der allerletzten Zeit wohl geeignet, nicht nur über
die Verhältnisse in der Zelle überhaupt ganz neues Licht zu
verbreiten, sondern auch das Geschlechtsproblem in neue Bahnen
zu weisen.
Ich meine R. Hertwigs Theorie der „Kernplasmarelation“,
die er mit Bezug auf das Geschlechtsproblem zum ersten Male
ausführlicher vor der 15. Jahresversammlung der Deutschen
zoologischen Gesellschaft in Breslau im Juni 1905 entwickelte.
Er konnte in diesem Vortrage schon meine Resultate und
die von Issakowitsch erzielten benützen. Hertwig denkt an
eine direkte Beeinflussung der Geschlechtszellen durch die
Temperatur und weicht in diesem Punkte von meiner Anschauung
ab. Dagegen stimme ich seiner Ansicht insoweit bei, als er
die Verschiedenheit des Geschlechtes auf eine Veränderung der
Kernplasmarelation im Ei zurückführt. Er sagt selbst an anderer
Stelle mit Bezug auf die Eier des Dinophilus: „Nach allem, was
96 Hans Freiherr von Malsen:
wir über die Befruchtung wissen, müssen die Kerne dieser Klein-
eier ebenso gross sein, wie die der Grosseier; die verschiedene
Grösse der Eier muss daher in ganz energischer Weise die Kern-
plasmarelation und damit das Geschlecht beeinflussen.“
Dem stimme ich vollkommen zu. Im vorhergehenden habe
ich jedoch bewiesen, dass eben die Grösse dieser Eier von ihrer
verschiedenen Ernährung im Ovar abhängt. Somit muss wohl
auch die Kernplasmarelation wenigstens indirekt von der Er-
nährung beeinflusst werden.
Inwieweit die Temperatur noch direkt dieses Verhältnis be-
einflusst, kann ich leider zurzeit noch nicht angeben. Eine
Einwirkung derselben im Sinne Hertwigs ist ja höchst wahr-
scheinlich. Soviel halte ich aber für sicher. dass der erste auf
die Kernplasmarelation und das Geschlecht wirkende Faktor bei
Dinophilus die Ernährung ist.
Sehr interessant und wichtig ist das Versuchsergebnis
R. Hertwigs an Fröschen. Es ergab Befruchtung frühreifer und
überreifer Eier einen wesentlichen Überschuss an männlichen
Larven, gegenüber dem Geschlechtsverhältnis normal abgelegter
Eier. Er folgert daraus, dass „auf der Höhe der Laichperiode
ein Optimum für das weibliche Geschlecht gegeben ist, welches
zugunsten des männlichen Geschlechtes abgeändert wird, je näher
sich die Eier dem Anfang oder dem Ende der Laichfähigkeit
befanden.“ Bringen wir damit in Zusammenhang, was Oskar
Schultze auf Grund aller bisherigen Beobachtungen sagt, dass
„die Produktion der männlichen Fortpflanzungszellen im Vergleich
mit derjenigen der weiblichen einer geringeren Leistung des
Organismus .... .. . entspricht,“ so können wir als vorläufiges
Resultat den Satz aufstellen:
Günstige Existenzbedingungen, die durch Einwirkung ver-
schiedener Faktoren, wie Ernährung und Temperatur hervor-
gerufen werden können, begünstigen die Bildung weiblicher Nach-
kommen. DBeeinflusst wird durch diese äusseren Verhältnisse
die Kernplasmarelation der propagatorischen Zellen und diese ist
es dann, welche ihrerseits die Differenzierung des Eies oder
Embryos in verschiedener geschlechtlicher Richtung veranlasst
und beherrscht.
Die erstgenannten äusseren Faktoren sind also die Ursachen,
die als Folge eine verschiedene Kernplasmarelation zeitigen.
Dinophilus apatris. 97
Auf Grund aller dieser Ergebnisse möchte ich deshalb
meine Auffassung der geschlechtsbestimmenden Faktoren in
folgender Weise präzisieren:
Auf die Bildung der propagatorischen Zellen übt der Er-
nährungszustand des Weibchens während der Ovogenese einen
entschiedenen Einfluss aus und zwar durch Einwirkung auf die
Kernplasmarelation. Diese aber kann noch durch weitere Um-
stände, vor allem durch Parthenogenese oder Befruchtung beein-
flusst werden. Je höher ein Tier organisiert ist, desto vielfacher
und verschiedenartiger werden diese Einflüsse sein. Es ist also
weder für das ganze Tierreich nur ein geschlechtsbestimmender
Faktor anzunehmen, noch auch ist der Zeitpunkt der geschlecht-
lichen Fixierung des Eies überall der gleiche. Die weitere
Untersuchung des Geschlechtsproblems ist damit auf tiefere Er-
forschung der Vorgänge in der Zelle verwiesen.
Zum Schlusse sei es mir noch gestattet, meinem hochverehrten
Lehrer, Herrn Professor Dr. Richard Hertwig, für seine un-
ermüdliche, liebenswürdige Anleitung und Belehrung meinen
herzlichsten Dank auszusprechen.
Auch dem ersten Assistenten des Instituts, Herrn Privat-
dozenten Dr. Goldschmidt, verdanke ich sehr vielfache Unter-
stützung und Anregung.
Literaturverzeichnis.
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des Zellkerns. Jena 1904.
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Sitz.-Ber. Ges. f. Morph. u. Physiol. München 1899, Heft 1.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. m
98
&
|
[0 °)
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. Derselbe: Mit welchem Recht unterscheidet man geschlechtliche und
ungeschlechtliche Fortpflanzung? Sitz.-Ber. Ges. für Morph. und Physiol.
München 1899, Heft 2.
. Derselbe: Über physiologische Degeneration bei Protozoen. Sitz.-Ber.
Ges. für Morph. und Physiol. München 1900, Heft 1.
. Derselbe: Über Wesen und Bedeutung der Befruchtung. Sitz.-Ber.
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deutung für die geschlechtliche Differenzierung und die Teilung der
Zelle. Biol. Centralbl., Bd. XXIIl. 1903.
Derselbe: Über das Wechselverhältnis von Kern- und Protoplasma.
München 1903.
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Deutschen zool. Ges. 1905.
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Korschelt: Über Bau und Entwicklung des Dinophilus apatris.
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geschichte der wirbellosen Tiere. Allg. Teil. Jena 1902.
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Derselbe: Sur la determination de la sexualit& chez l’Hydatina senta.
OB Ac. sc, „Parisı T2113.2.4891.
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. Nussbaum: Die Entstehung des Geschlechtes bei Hydatina senta.
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Arch. mikrosk. Anat., Bd. 63. 1903.
. Strassburger: Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf
Geschlechtsverteilung. Biol. Centralbl. 1900.
Dinophilus apatris. 99
Erklärung der Abbildungen auf Tafel II.
Abgekürzte Bezeichnungen:
B.Z. == Bindegewebszelle. E.Z. = Eizelle.
C. — Cuticula. K.E. = Körperepithel.
D. = Darm. M. —= Magen.
D.E. = Darmepithel. N»Z: — Nährzelle.
D. Fbl. — Darmfaserblatt. Oy. — Ovarium.
D.h. = Dotterhaut. U.G.Z. = Urgeschlechtszellen.
E.Fl. — Ernährungsflüssigkeit.
Sämtliche Bilder sind mit dem Abbeschen Zeichenapparat angefertigt.
Vergrösserung: Leitz 2 mm Apochromat; Comp.-Oc. 4; Tubuslänge 15,5.
Objekttischhöhe. Färbung, wo nichts anderes bemerkt, Borax-Karmin und
Delafields Hämatoxylin.
Fig. 1. Hinteres, ventrales Ende eines jungen Weibchens mit Ovarium.,
a und b scheinbar einwandernde Primordial-Eizellen.
Fig. 2. Ovarium eines etwas älteren Weibchens.
Fig. 3. Zwei verschmelzende Ovogonien (Eosin).
Fig. 4. Teil eines Ovars mit Ovogonien in verschiedenen Verschmelzungs-
stadien. Zeitliche Reihenfolge der Stadien a, b, c.
Fig. 5. Teil eines Ovars. Anfangsstadium der Ovocytenbildung.
Fig. 6. Zwei Ovogonien, deren Kerne noch getrennt im schon vereinigten
Protoplasmaleib liegen.
Fig. 7. Ovocyte kurz vor ihrer Fertigstellung. Dotterhaut teilweise ge-
bildet (Eosin).
Fig. 8. Keimbläschen einer Ovocyte, die ihr Wachstum durch Verschmelzung
beendet hat.
Fig. 9. Keimbläschen einer Ovocyte, die fast fertig zum Beginn der ersten
Reifungsteilung ist (Eosin).
100
Aus dem Laboratorium des Marinehospitals in St. Petersburg.
Histologische Untersuchungen über das Muskel-
gewebe.
II. Die Myofibrille des embryonalen Hühnerherzens.
Von
Dr. Gustav Schlater.
Hierzu Tafel III und IV.
In meiner ersten Arbeit über die Myofibrille, welche meine
Untersuchungen über das Muskelgewebe eröffnete,') kam ich zu
einer ganz bestimmten Vorstellung vom Bau der Myofibrille
embryonaler Skelettmuskulatur, und wies darauf hin, dass der
Begriff der Myotibrille, als histologischer Einheit, streng definier-
bar ist, und die Myofibrille einen vollkommen ausgesprochenen
Bau besitzt, dessen Grundprinzip ich mehr oder weniger klar-
gelegt zu haben glaube. Nun lag die Frage nahe, ob das
von mir entworfene Schema der Myofibrillen-Struktur voll und
ganz auch auf die Myofibrille des Myocards anwendbar ist, oder
ob die Herzmuskulatur irgendwelche prinzipiellen Ab-
weichungen und Modifikationen desselben aufweist. Diese Frage
musste beantwortet werden, bevor an eine Analyse der weiteren
feineren Strukturdetails zu denken war, da ja, wenn sich die
Myofibrille des Herzens nach einem anderen Typus gebaut er-
weisen sollte, meine Vorstellung eine irrige sein musste, und
alsdann weitere Untersuchungen die Divergenz ausgleichen oder
die Fehlerquelle klarlegen müssten. Es wäre ja logisch kaum
anzunehmen, dass die Myofibrille des Herzmuskels, welcher ja
ein echter sogen. quergestreifter Muskel ist, nach einem anderen
Prinzipe, als die Myofibrille der Skelettmuskulatur, gebaut wäre.
Gewisse, uns zu Gebote stehende Literaturangaben ziehen diese
Möglichkeit auch stark in Zweifel. Andererseits ist die Vermutung
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dass sich im Myocard
gewisse Modifikationen des Fibrillenbaues, jedoch mit Wahrung
!) @. Schlater: ‚„Histologische Untersuchungen über das Muskelge-
webe.“ I. Die Myofibrille des Hühnerembryos. Mit 3 Tafeln und 2 Text-
figuren. (Archiv für mikroskop. Anatomie, Bd. 66, 1905).
Untersuchungen über das Muskelgewebe. 101
des Grundtypus, herausgebildet haben könnten, da ja der Herz-
muskel so manche anatomische Sonderheiten aufweist und sein
embryonaler Ursprung ein anderer ist.
Derselbe, in Sagittalschnitte zerlegte, siebentägige Hühner-
embryo (B), welcher als Objekt meiner ersten Arbeit diente,
bildet den Ausgangspunkt auch vorliegender Untersuchung. Nur
vergleichshalber wurden Embryonen anderen Alters verwertet, so
z. B. ein 2!/stägiger und ein 17tägiger Embryo. Ein Schnitt des
ÖObjektträgers Nr. 76 (Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain)
des siebentägigen Embryos ist auf Taf. III, Fig. 1 in natürlicher
Grösse abgebildet. Das Herz ist in Form eines kleinen konischen
Säckchens vor der Leberanlage und unter der, als schwarze
Linie erscheinenden, Aorta deutlich zu sehen. Schon eine schwache
Vergrösserung (Obj. AA, Comp.-Oeul. 4, Fig. 2, Taf. III) zeigt
eine ziemlich mächtige Fibrillenentwicklung, welche sich dadurch
kundgibt, dass auf dem hellgrauen Grunde des Myocards dunkle
bis schwarze, wellenartig geschlungene, stellenweise zu mehr oder
weniger mächtigen Bündeln geordnete, Linien in annähernd
paralleler Richtung dahinziehen. Die Myofibrillenbildung geht
anscheinend mehr oder weniger gleichmässig im ganzen Myocard
vor sich, welches als einheitliche Muskelanlage aufzufassen ist.
Fig. 3, Taf. III zeigt das Bild bei Betrachtung mit dem Trocken-
system 4,0 mm, Apert. 0,95; Compens.-Ocul. 4. Vergebens würde
man in diesem Stadium nach streng abgegrenzten „Muskelzellen“
suchen, desgleichen in früheren und auch späteren Embryonal-
stadien. Muskelzellen (Myoblasten), wie wir sie, wenn auch in
schwacher Ausbildung!) in den Skelettmuskel- Anlagen vorfinden,
sind nicht zu unterscheiden. Das ganze Myocard stellt ein
!) In meiner ersten Arbeit (l. c.) spreche ich von „Myoblasten‘“, welche
in den Anlagen der Skelettmuskulatur zu sehen sind. Streng genommen
haben wir auch hier keine ‚Muskelzellen‘ vor uns. Schon das sehr ver-
schiedene Aussehen der ,„Myoblasten“ ruft Bedenken wach. Oft laufen
die Primitiv-Muskelfäserchen durch mehrere „Myoblasten“ hindurch, welche
zu einem unregelmässigen Protoplasmabande mit eingestreuten Kernen ver-
eint sind. Und die einzeln auftretenden ‚„Myoblasten‘‘ wieder, unterscheiden
sich durch nichts von den „Zellen“ des embryonalen Grundgewebes. Das
Bild von besonderen Muskelzellen wird eben durch die in gewisser Richtung
verlaufenden und durch die ‚Zellen‘ des embryonalen Gewebes dahinziehenden
Myofibrillen, Primitivfäserchen und Muskelfäserchen, hervorgerufen. Ausser-
dem ist die Histogenese der Myofibrille noch vollkommen unklar.
102 Gustav Schlater:
Syneytium dar, in welchem ellipsoidförmige Kerne eingebettet
sind. Diese Tatsache ist durch die Arbeiten der letzten Zeit
festgestellt (sodlewsky jun., M. Heidenhain u.a.) und ich
kann sie bekräftigen. Und wenn schon eine eingehende Analyse
der Strukturverhältnisse im ausgebildeten Myocard der Amniota!)
bewiesen zu haben scheint, dass die seit der klassischen Arbert
von C. Eberth („Die Elemente der quergestreiften Muskeln.“
Virchows Archiv, Bd. 37, 1866) für „Muskelzellen“ angesehenen
Myocard-Fragmente durchaus nicht Zellen gleichwertig sind,?)
so bietet uns das embryonale Myocard (meine Erfahrung
erstreckt sich auch auf menschliche Embryonen) den entschiedenen
Beweis dafür. Und gegenwärtig vermeiden es schon die meisten
Histologen, von „Herzmuskelzellen“ zu sprechen, während die
in der theoretischen Histologie nicht immer sattelfesten Patho-
logen noch öfters mit „Herzmuskelzellen“ umgehen. Natürlich
ist ja im Grunde auch das Myocard, gleichwie alle Organe und
Gewebe, wahrscheinlich aus einem bestimmten Zellenkomplex
hervorgegangen; die allerersten Momente der Differenzierung
desselben sind aber meines Wissens noch nicht histologisch ver-
wertet worden; und schon das Herz eines 2'/stägigen Hühner-
embryos (das jüngste, welches ich untersuchte) zeigt keine Spur
von „Herzmuskelzellen“. Auf den Fig. 1 und 4, Taf. IV, welche
aus dem Herzen des siebentägigen Embryos stammen, können wir
!) Ich sage „der Amniota“, weil der Bau des Myocards der niederen
Wirbeltiere (Anamnia) in dieser Hinsicht noch eingehender studiert werden
muss. Es besteht noch die Ansicht, dass, während das Myocard der
Amniota keine „Herzmuskelzellen‘“ aufweist, dasjenige der Anamnier aus
echten Herzmuskelzellen zusammengesetzt sei. Ohne auf diese Frage einzu-
gehen, weise ich nur darauf hin, dass meine Präparate, z. B. des Herzens
von Salamandra macul., es kaum zulassen, auch hier von ‚„‚Herzmuskelzellen“
zu sprechen. Allein, eine mit den erprobtesten Untersuchungsmethoden aus-
geführte vergleichend-histologische Untersuchung des Myocards wäre warm
zu begrüssen.
2) Wie eng die verschiedenen Zweige biologischer Forschung mit-
einander verzweigt sind, ist z. B. aus der von mir Ende vorigen Jahres ver-
öffentlichten Arbeit über die Fragmentation des Herzmuskels zu ersehen.
Zwei Fälle plötzlichen Todes gesunder Subjekte, welche sich mir zufällig
darboten, zeigten, dass eine Analyse der pathologischen Erscheinungen im
Myocard einen indirekten Beweis gegen die Eberthsche Muskelzellen-Theorie
liefert. (G. Schlater: „Einige Betrachtungen über die sogen. Fragmentation
des Herzmuskels.‘‘“ Centralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat., Bd XVI, 1905).
Untersuchungen über das Muskelgewebe. 103
mit dem besten Willen keine Zellgrenzen unterscheiden. In
einer „protoplasmatischen“, von freien lakunenartigen Räumen
durchsetzten Grundmasse sind die freien Kerne gelagert. Das
Syneytium ist durchsetzt von Myofibrillen, welche dasselbe in
den verschiedensten Richtungen als isolierte, oder zu Primitiv-
fäserchen, oder ganzen Bündeln vereinte Fibrillen durchziehen.
Jegliche histogenetische Abhängigkeit der Myofibrillen und Fasern
von territorialen Abgrenzungen, die man für den Zellen gleich-
wertige Gebilde halten könnte, fehlt vollkommen. Die Myo-
fibrilien scheinen frei im syneytialen Myocard zu entstehen. Aus
welchen Strukturelementen die Myofibrillen sich entwickeln, ist
freilich noch eine ungelöste Frage.
Obschon die Myofibrillenbildung im siebentägigen embryo-
nalen Myocard bereits eine sehr rege ist, und, wie die Abbildungen
lehren, das ganze syneytiale Gewebe von ihnen dicht durch-
webt ist, so zeigt doch ein Blick, z. B. auf Fig. 4, Taf. IV, dass das
ganze Gefüge der Myofibrillen ein noch sozusagen lockeres ist,
dass sie sich noch nicht zu den typischen Herzmuskelfasern ver-
eint haben. Dementsprechend erweist es sich (bei starken Ver-
grösserungen), dass ihre Querverbindungen (Z-Microsomen und
Linien, „Zwischenmembran“ nach M. Heidenhain) noch sehr
schwach entwickelt sind und auch die interfibrilläre Substanz
noch nicht so stark hervortritt. Das Myocard eines 17tägigen
Embryos weist einen viel grösseren Reichtum an Myofibrillen
auf; dieselben sind schon regelrechter in Längsbündel geordnet;
jedoch auch hier treten im mikroskopischen Bilde die Querver-
bindungen zurück und die Myofibrillenbündel behalten ihren
embryonalen Charakter. Wenn wir jetzt das Herz eines 2!/stägigen
Embryos betrachten, welches noch vollkommen dem verdickten
und erweiterten Herzschlauch gleicht, gewahren wir noch ver-
hältnismässig wenige, meistens kurze, im Myocard ganz unregel-
mässig zerstreute Myofibrillen, d. h. solche Fibrillen, welche ihrem
färberischen Verhalten dem Eisenhämatoxylin gegenüber zweifel-
los als Myofibrillen angesehen werden können.
Jedes Gesichtsfeld eines beliebigen embryonalen Stadiums
ist zur Analyse der feineren Strukturverhältnisse geeignet.
Primitivfäserchen und isolierte Myofibrillen haben dasselbe Aus-
sehen wie in den Skelettmuskel-Anlagen. Auch hier zeigen die
Primitivfäserchen (bei schwächerer Vergrösserung) eine metamere
104 Gustav Schlater:
Reihenfolge, eine Kette von schwarzgefärbten länglichen Vier-
ecken, welche den @Q-Elementen entsprechen. Fig. 6, Taf. II,
Fig. 2 u. 5, Taf. IV veranschaulichen das Gesagte. In meiner
ersten Arbeit wies ich darauf hin, dass sich die schwarzen Vier-
ecke, bei starken Vergrösserungen betrachtet, verhältnismässig
leicht als aus zwei parallelen Stäbchen oder vier granulaartigen
Gebilden bestehend erweisen; dass sich das Primitivfäserchen
verhältnismässig leicht als eine Kette von metamer gereihten
„Letraden“* (N. Kornilowitsch) erweist. Im Myocard liegen
die Verhältnisse etwas anders. Hätte uns nicht vorerst das
Studium der Skelettmuskel-Anlagen zu einer klaren Vorstellung
vom Bau der Myofibrille verholfen, so wären die betreffenden
Strukturverhältnisse im Myocard sehr schwer mit genügender
Beweiskraft klarzulegen. Die Sache ist die, dass sogar bei
starken Vergrösserungen, siehe z. B. Fig. 2 u. 5, Taf. IV, die
vermeintlichen schwarzen Vierecke sich als solche zeigen und
nicht als „Tetraden“ zu erkennen sind. Das schon früher ge-
wonnene Schema im Auge behaltend, gewahren wir freilich auch
hier dieselben Strukturverhältnisse, aber erst nach einer langen
und mühevollen Analyse derselben mit verschiedenen Systemen und
bei Beobachtung verschiedener Bedingungen des Mikroskopierens.
Fig. 2 u. 3, Taf. IV sind hierfür beweisend genug. Fig. 3a z. B.
gibt eines von den in Fig. 2 abgebildeten Primitivfäserchen, an-
nähernd in derselben Vergrösserung dargestellt, wieder, jedoch
die feinsten Strukturverhältnisse zeigend, welche in Fig. 2 nicht
zu differenzieren sind. Das Primitivfäserchen erweist sich aus
zwei deutlich wahrnehmbaren Myofibrillen bestehend, welche
Ketten von hantelartigen (schwarz gefärbten) Stäbchen oder
Diplococcen darstellen, d.h. ganz denselben Bauplan zeigen, wie
in der Skelettmuskulatur. Welches sind nun, fragt es sich, die-
jenigen Momente, welche einen Einblick in diese Strukturver-
hältnisse so sehr erschweren? Es scheinen meiner Meinung nach
hauptsächlich zwei Faktoren im Spiele zu sein. Wenn wir uns
vergegenwärtigen, dass die Grössen der einzelnen Strukturelemente
der Myofibrille des Herzens geringere sind, als diejenigen, welche
ich für die Myofibrille der Skelettmuskulatur angegeben habe
(über das Resultat der Messungen siehe weiter unten) und weiter-
hin bedenken, dass wir es mit minimalsten, an der Grenze des
Unterscheidungsvermögens stehenden Bildungen zu tun haben,
Untersuchungen über das Muskelgewebe. 105
so wird es begreiflich, dass schon eine geringe Grössendifferenz
die histologische Analyse erschweren oder erleichtern muss.
Andererseits können hier auch physikalische Momente mitsprechen
und auch eine grössere Affinität als in den Skelettmuskelanlagen
der Interfibrillarsubstanz, sowie der Q-Elemente selbst, dem Eisen-
hämatoxylin gegenüber. Wie dem auch sei, wir überzeugen uns
schliesslich doch, dass der Fibrillen-Bau derselbe zu sein scheint.
Zuweilen erhalten wir auch hier Bilder, welche darüber keinen
Zweifel bestehen lassen, so z. B. Fig. 5, Taf. III. Sehr über-
zeugende Bilder lieferten mir Präparate eines 17 tägigen embryo-
nalen Hühnerherzens, und zwar Schnitte, welche vorerst mit
Eisenhämatoxylin und sodann mit Eosin + Anilinblau gefärbt wurden.
Es treten hier die Myofibrillen an manchen Stellen auffallend
schön elektiv gefärbt hervor und liessen ihre Struktur mit vollster
Deutlickeit erkennen. Fig. 6, Taf. IV gibt ein Beispiel davon.
Einwandsfrei sind einige Präparate eines 2!/stägigen Embryos.
Es sind hier die Myofibrillen, wie schon gesagt, sehr spärlich;
man trifft aber vollkommen isolierte, ganz frei im Syneytium
gelagerte Fibrillen, welche manchmal, wenn auch selten, mit einer
nicht besser zu erwartenden Elektivität hervortreten. Solche
Bilder, wie z. B. Fig. 7, Taf. III, sind aber höchst selten.
Hier muss ich auf folgenden Umstand hinweisen. In seiner
Arbeit: „Beiträge zur Aufklärung des wahren Wesens der faser-
förmigen Differenzierungen“ (Anat. Anz., Bd. XVI, 1899) gibt
M. Heidenhain eine Abbildung, welche das Myocard eines
dreitägigen Entenembryos zeigt. Es ist eine Fülle von elektiv
hervortretenden, isolierten und auf ein Paar Stellen zu Primitiv-
fäserchen vereinten Myofibrillen zu sehen. Ohne das Bestehen
solch eines Bildes beim Entenembryo absprechen zu wollen, kann
ich nicht umhin, einiges Bedenken zu äusseren: erstens, ob es
sich nicht um ein etwas älteres Stadium handelt, obschon es ja
möglich ist, dass die Myofibrillenbildung gerade in dieser Periode
mit solch ungeheuerer Energie vor sich geht, was auch wirklich
der Fall zu sein scheint; und zweitens ist mir die Struktur der
Myofibrillen etwas befremdend und zwar in folgender Hinsicht.
M. Heidenhain bildet die Q-Elemente als wirkliche Stäbchen
ab, welche an ihren Enden gar keine Verdickung zeigen, im
Gegenteil stellenweise in ihrer Mitte unerhebliche Verdickungen
erkennen lassen. Obschon solch ein Bild der Myofibrillenstruktur
106 Gustav Schlater:
schon mehreren, in der Literatur vorhandenen, Abbildungen ent-
spricht, habe ich gezeigt, .dass nur der erste Eindruck und eine
oberflächliche Betrachtung uns eine Stäbchenform zeigen, und
dass sich unter jeglichen Bedingungen das vermeintliche Stäbchen
als ein hantelartiges, zwei vereinte Granula vortäuschendes,
Gebilde erweist. Wenn ich nun bedenke, dass M. Heidenhains
Abbildung uns die Myofibrillen in einer ungeheuer starken Ver-
grösserung vorführt, und dass sich dieser Forscher ja gerade in
die sogenannten „Metastrukturen“ vertieft hat, die Grenzen des
„Histologischen“ überschreitend, so kann ich es mir nicht
erklären, wie ihm diese unumstössliche Tatsache entgangen ist.
Dass hier die Fixierung im Spiele sei (bei M. Heidenhain —
Sublimat, bei mir — O.Hertwigs Gemisch), ist kaum anzu-
nehmen, da ich dieselben histologischen Differenzierungen auch
an Sublimatpräparaten, aber an anderen Objekten, gesehen. Dass
die Myofibrillenstruktur beim Entenembryo eine andere sei als
beim Hühnerembryo, ist nicht möglich, da dieselbe, nach meiner
Erfahrung und nach den Literaturangaben zu urteilen, in den
verschiedensten Tierklassen eine gleiche zu sein scheint. Die
einzig zulässige Erklärung finde ich darin, dass sich M. Heiden-
hain eine Analyse der Myofibrillenstruktur nicht zum Hauptziel
seiner Forschung auf diesem Gebiete gemacht hat, infolgedessen
die von mir festgestellte Differenzierung nicht beachtet und eine
Abbildung dessen gegeben hat, was, wie ich hervorhob, nur der
erste Eindruck ist. Andererseits zeigt M. Heidenhains Unter-
suchungsobjekt (Entenembryo) schon eine vollkommene Aus-
bildung derjenigen Mikrosomen, welche in der Mitte zwischen je
zwei Q-Elementen liegen und sozusagen die Knotenpunkte, die
Kreuzungsstellen der Myofibrillen mit den Querfibrillen z, dar-
stellen. Ich konnte diese Microsomen im embryonalen Myocard
des Hühnchens kein einziges Mal mit Sicherheit nachweisen,
weder im zweieinhalbtägigen Embryo, noch in weit vorge-
schritteneren Stadien, wie es z. B. Fig. 7, Taf. III, und Fig. 6,
Taf. IV, belehren. Ich will damit durchaus nicht gesagt haben,
dass M. Heidenhains Abbildung nicht das wirkliche mikro-
skopische Bild wiedergibt; etwas schematisiert scheint sie immer-
hin zu sein. Leicht möglich, dass der Entenembryo in dieser
Hinsicht ein besonders günstiges Objekt ist; andererseits kann
in dieser Frage die Sublimat-Fixation eine Rolle spielen; es ist
Untersuchungen über das Muskelgewebe. 107
die Annahme nicht von der Hand zu weisen, dass die fraglichen
Microsomen, welche ja meines Erachtens vorhanden sein müssen,
nach Sublimat-Fixation das Vermögen erhalten, sich in ihren
frühesten Differenzierungsstadien intensiv mit Eisenhämatoxylin
zu färben, während andere Fixierungsmittel ihr Färbungsver-
vermögen nicht erhöhen und die Mierosomen erst im definitiven
Herzmuskel hervortreten, welcher seine ontogenetische Entwick-
lung schon abgeschlossen hat. Allein, die Rolle des Sublimat in
dieser Frage muss noch durch sorgfältiges Studium festgestellt
werden. Was endlich die Querverbindungen z anlangt, so habe
ich sie nicht mit Sicherheit nachweisen können, und scheinen sie
im embryonalen Myocard des Hühnchens nicht ausgebildet zu
sein; sie sind hier noch seltener nachzuweisen als in der Skelett-
muskulatur; und auch M. Heidenhains eben besprochene Ab-
bildung zeigt davon keine Andeutung.') Es bestehen also noch
gewisse ungelöste und unerkannte Momente in den Strukturver-
hältnissen der embryonalen Myofibrillen, welche aufgeklärt werden
müssen.
Indem ich nun an eine detailliertere Besprechung des Myo-
fibrillenbaues gehe, kann ich mich kurz fassen, da meine erste
Arbeit und die der vorliegenden beigegebenen Abbildungen dieselbe
wesentlich erleichtern. Ein Blick auf Fig. 5 u. 7, Taf. III, und
Fig. 3 u. 6, Taf. IV, belehrt, dass wir im Herzen ganz dieselben
Struktureigentümlichkeiten der Myofibrille vorfinden, wie in der
Skelettmuskulatur. Die Q-Elemente sind ebensolche, sich mit
Eisenhämatoxylin schwarz färbende, hantelartige Stäbchen, welche
!) Ich halte es für angebracht, meiner dritten Arbeit ein wenig vor-
zugreifen und darauf hinzuweisen, dass diese Strukturverhältnisse, d.h. die
die Querverbindungen z und die Mikrosomen z betreffenden, bei menschlichen
Embryonen in gewisser Hinsicht andere zu sein scheinen. Diese Elemente
treten z. B. schon im Myocard eines dreimonatlichen Embryos scharf hervor
und verdecken sozusagen dadurch den Bau der Fibrillen selbst, wodurch das
mikroskopische Bild ein anderes ist und man den ersten Eindruck bekommt,
als seien die Myofibrillen des menschlichen Herzens anders gebaut, was in
Wirklichkeit, wie wir sehen werden, nicht der Fall ist. Ich mache schon
jetzt auf diesen Umstand aufmerksam, um möglichen Missverständnissen
zuvorzukommen, welche bei denjenigen Forschern durch vorliegende Arbeit
wachgerufen werden könnten, welche im Besitz von Präparaten des Myocards
menschlicher Embryonen sind. In meiner dritten Arbeit werde ich voll-
kommen naturgetreue Abbildungen und eine eingehende Beschreibung der
Verhältnisse geben.
108 Gustav Schlater:
in den meisten Fällen als Diplogranula, Diplosomen oder Diplo-
coccen, erscheinen, was besonders schön Fig. 7, Taf. III, zeigt.
Die ganze Myofibrille, deren Länge zuweilen eine bedeutende ist,
stellt eine Kette solcher Doppelgranula dar. Auch hier sind die
„Letraden“ (N. Kornilowitsch) deutlich zu erkennen (siehe
Fig. 3a u. 6, Taf. IV) und entstehen, wenn sich zwei Myofibrillen
zu einer Primitivfaser zusammentun, oder umgekehrt, sich eine
Myofibrille in zwei spaltet und so zur Primitivfaser wird. Dabei
sind natürlich die Q-Elemente beider Myofibrillen einander sehr
nahe und parallel gelagert, wodurch eben die zwei nebeneinander-
liegenden Diplogranula das Bild von vier Granula vortäuschen
können, welches eben N. Kornilowitsch in seiner inhalts-
reichen Arbeit („Über den feineren Bau der kontraktilen Substanz
der quergestreiften Muskeln einiger Tiere“, Jurjeft, 1903, russisch)
mit der Benennung „Tetrade“ belegt. Die Verbindungsfäden,
welche die einzelnen Q-Elemente zu einer Kette vereinen, und
welche den J-Elementen der Querstreifung entsprechen, sind sehr
dünn, färben sich sehr schwach stahlgrau, und sind höchst selten
mit genügender Schärfe wahrzunehmen. Gewöhnlich sind sie
fast gar nicht zu sehen, wie es z.B. Fig. 7, Taf. III, oder Fig. 6,
Taf. IV, zeigen. Von den Q-Elementen selbst lässt sich nur das
wiederholen, was in meiner ersten Arbeit gesagt wurde. Es sind
wirkliche stäbchenartige Gebilde, welche an ihren beiden Enden
mehr oder weniger stark granulaartig verdickt sind. Diese
granulaartigen Bildungen (Q‘-Elemente, oder Qd-Elemente der
anisotropen Q-Streifung) färben sich intensiv schwarz, während
der Verbindungsteil (Qh-Elemente der Querstreifung Q) viel
dünner ist und sich schwächer tingiert. Meine Untersuchungen
am embryonalen Hühnchenherzen beweisen und bekräftigen
meine schon in der ersten Arbeit ausgesprochene Anschauung,
‚nach welcher eine metamere Vereinigung der zu
Doppelgranula differenzierten Q-Stäbchen durch
feinste Verbindungsfädchen das Charakteristi-'
kum des Fibrillenbaues quergestreifter Musku-
latur ist. In keinem Falle, weder an der Skelettmuskulatur
noch im Myocard, habe ich irgend eine Ausnahme gesehen, d.h.
immer hatten die Myofibrillen diesen Bau und nie konnte ich
sie als Ketten von echten Granula anerkennen (N. Kornilo-
witschs Ansicht).
Untersuchungen über das Muskelgewebe. 109
Es seien nun an dieser Stelle die Resultate meiner
Messungen angeführt. Ich gebe, wie in der ersten Arbeit, an-
nähernd die maximalen Grössen an. Die Länge von Q+ J= ,155 u;
die Länge von Q= 0,9 u; die Länge von J = 0,65 «; der Quer-
durchmesser einer „Tetrade“, d.h. der Primitivfaser = 0,65 «. Ein
Vergleich mit den für die Skelettmuskulatur angegebenen Grössen
zeigt, dass die Längenmaße der einzelnen Strukturelemente der
Myofibrillen des Herzens geringere sind, während die Dicke der-
selben um ein geringes grösser ist. Aber auch hier sinkt die Grösse
der granulaartigen Q’-Elemente nicht bis zur Grenze des (nach
der Abbeschen Formel bestimmten) Unterscheidungsvermögens
hinab, da ihr Durchmesser nie unter 0,3 « ist, auch dann nicht,
wenn sie kaum zu sehen und entfärbt sind. Ich halte diesen
Umstand in theoretischer Hinsicht für sehr wichtig, deshalb habe
ich seiner hier erwähnt; eingehend wird darüber in meiner vierten
Myofibrillen-Arbeit zu lesen sein.
Wie ich schon oben sagte, ist in der geringen Grösse
der Myofibrillenelemente des Herzens einer der Momente ge-
geben,welche eine histologische Analyse der Strukturverhältnisse
erschweren. Der Umstand nun, dass wir einerseits sehr schön
elektiv hervortretende, meistenteils isolierte Myofibrillen finden
(wie z.B. Fig. 5 u. 7, Taf. III, und Fig. 3 u. 6, Taf. IV), anderer-
seits sehr oft solche Primitivfäserchen vor uns haben, welche als
Ketten von schwarzen Vierecken erscheinen, und deren Zusammen-
setzung aus einzelnen Myofibrillen sehr schwer herauszusehen ist,
lenkt unwillkürlich auf den Gedanken hin, es könnten diese
Verhältnisse im Wachstum und im Spaltungsprozess (Vermehrung)
der Myofibrille ihre Erklärung finden. Diese Vermutung ist um
so zulässiger, als die am elektivsten hervortretenden Myofibrillen
in den meisten Fällen die grössten und dicksten zu sein scheinen
und dabei isoliert verlaufen. Es wäre in diesem Falle ja leicht
begreiflich, dass sich zwei nebeneinander liegende, aus der
Spaltung einer hervorgegangene, Myofibrillen intensiver färben
könnten, d.h. das Eisenhämatoxylin stärker zurückhalten. Das
so häufige Vorkommen solcher überfärbter Primitivfäserchen wäre
durch die Intensität und Energie des Vermehrungsprozesses der
Myofibrillen im embryonalen Myocard zu begreifen. Auf ein
intensives Wachstum der Myofibrillen weisen die Grössen-
und Formdifferenzen hin, welche die Strukturelemente der Myo-
110 Gustav Schlater:
fibrillen darbieten. Diese minimalen Differenzen sind kaum zu
messen, jedoch bei einem aufmerksamen und eingehenden
Studium der Präparate leicht zu konstatieren. Bald erscheinen
die Q-Stäbchen kürzer, bald mehr in die Länge gezogen; die
granulaartigen Q'-Elemente — bald grösser, bald kleiner, bald
wirklichen Granula ähnlicher, bald Ellipsoide darstellend; bald
sind sie einander näher gerückt, wobei das Verbindungsstück
kürzer, dicker und dunkler erscheint; bald wieder weiter aus-
einander gerückt, wobei das Verbindungsstück deutlicher hervor-
tritt. Die verschiedenen Kombinationen aller dieser Veränderungen
geben verschiedene Bilder. Nur die Länge der dünnen Ver-
bindungsfäden, welche die Q-Elemente zur Kette verbinden, scheint
die gleiche zu bleiben. Hervorgehoben muss aber werden, dass
ungeachtet aller dieser, nicht zu messenden Veränderungen, der
Bau der Q-Elemente immer derselbe bleibt: sie sind immer als
hantelartige, Diplosomen vortäuschende, Gebilde zu erkennen.
Wenn nun einerseits eine gleichmässige Grössenzunahme der
Q-Elemente mit Bestimmtheit auf das Wachstum derselben hin-
weist, bieten meiner Ansicht nach die ungleichmässigen Ver-
änderungen der einzelnen Differenzierungselemente der Q-Stäbchen
einen gewissen Beweis für ihren kontraktilen Charakter. Es sind eben
die unter dem Mikroskope kaum wahrnehmbaren Veränderungen
der spezifisch kontraktilen Differenzierungen, welche eine Kon-
traktion der Myofibrille begleiten. Wenn sich nämlich das
Q-Stäbchen verkürzt, verdickt, und die granulaartigen Q'-Elemente
eine ausgesprochene ellipsoide Gestalt annehmen ; oder umgekehrt,
wenn sich das Q-Stäbchen verlängert, verdünnt, und die ellipsoiden
Q’-Elemente wirklichen Granula mehr gleichen, so kann ich diese
Erscheinungen nur mit der Kontraktion und dem Erschlaffen
der Myofibrille in kausalen Zusammenhang bringen. Wie in der
Skelettmuskulatur, so auch hier, sind die Q‘-Elemente keine
echten Granula; sie sind ellipsoidale Differenzierungen der
Q-Stäbchenenden; auch hier gelingt es zuweilen, einwandsfrei
zu demonstrieren, dass diese Ellipsoide einen sehr kleinen scharfen
Winkel mit der Längsachse der Myofibrille bilden. Die ge-
schilderten Gestaltveränderungen der Q-Stäbchen, im Zusammen-
hange mit der ellipsoiden Form der Q‘-Elemente und ihrer Neigung
zur Längsachse, lassen in mir keinen Zweifel darüber obwalten, dass
auch die Myofibrille des Herzens nach demselben Prinzip wie in der
Untersuchungen über das Muskelgewebe. 1449
Skelettmuskulatur gebaut ist. Es muss nämlich das vermeint-
liche Q-Stäbchen eine kurze, schwach gewundene Spirale mit
verdickten Enden vorstellen und demnach die Myofibrille als eine
Kette von kurzen Spiralen aufgefasst werden. Anders wäre das
Geschilderte nicht verständlich. Wir müssen aber im Auge be-
halten, mit was für geringen Grössen wir es zu tun haben, deren
Grössen - Differenzen und Grössen-Veränderungen, welche als
kontraktile aufzufassen sind, mit dem besten Willen nicht ge-
messen werden können: sie bewegen sich alle in gewissen Grenzen,
welche den Wachstumsgrenzen der Myofibrillen entsprechen. Eine
Differenzierung also dessen, was kontraktile Veränderung, was
Wachstum ist, ist kaum möglich.
In meiner ersten Myofibrillenarbeit stellte ich die Tatsache
fest, dass die Primitivfäserchen („Muskelsäulchen“) der Skelett-
muskulatur aus vier parallel verlaufenden Myofibrillen zusammen-
gesetzt sind, welche in einer besonderen interfibrillären Substanz
gelagert sind und durch die Querverbindungsfäden zu einer
histologischen Einheit höherer Ordnung vereint werden. Im
Myocard scheinen in dieser Beziehung andere Verhältnisse vor-
zuliegen. Nicht vier, sondern nur zwei Myofibrillen
scheinen ein Primitivfäserchen zu bilden, wenigstens
konnte ich in keinem Falle eine Zusammensetzung derselben aus
vier Myofibrillen nachweisen. Nie war auch eine Andeutung
einer dritten oder gar vierten Myofibrille nachzuweisen, welche
in demselben Streifen interfibrillarer Substanz, den übrigen
parallel, gelagert wäre. Dabei finde ich nicht nur im embryonalen
Myocard diese Verhältnisse vor; sie scheinen auch im ausser-
embryonalen Myocard, z. B. des Menschen, vorzuliegen. Eine
Verbindung zweier Myofibrillen, durch Vermittlung
der Interfibrillarsubstanz zu einer architektonischen
Einheit, scheint also das Charakteristikum des Primitiv-
fäserchen-Baues des Myocards zu sein, im Gegenteil zur Skelett-
muskulatur, wo die Primitivfäserchen aus vier Myofibrillen auf-
gebaut sind. Ausführlicher darüber werde ich jedoch in meiner
vierten Myofibrillenarbeit berichten.
Was nun die Interfibrillarsubstanz anlangt, so ist sie im
embryonalen Hühnerherzen noch schwach entwickelt. Besonders
ihre Affinität zu den Farbstoffen ist noch wenig ausgesprochen,
weniger als in der Skelettmuskulatur, ist aber dieselbe wie dort»
1412: Gustav Schlater:
d.h. die Interfibrillarsubstanz nimmt in kombinierten Farb-
lösungen immer den roten Farbstoff auf und erscheint bei ent-
sprechender Einstellung als vollkommen homogener, leuchtend
roter Streifen. Wenn nun auf das ganze Primitivfäserchen als
solches das Augenmerk gerichtet wird, ohne von einer bestimmten
Vorstellung von der Myofibrille auszugehen, und ohne die zu-
sammengesetzte Natur der Primitivfaser zu beachten (es werden
ja, wie bekannt, nicht selten die Begriffe „Myofibrille* und
„Primitivfaser“ verwechselt und identifiziert), so hat es den An-
schein, als hätten wir eine metamere Reihenfolge von abwechselnd
schwarzen (anisotropen Querstreifen Q) und leuchtend roten
(isotropen Querstreifen J der Autoren) Gliedern vor uns. Wie
ich in meiner ersten Arbeit anführte, hat dieses Bild schon so
manchen Forscher irre geleitet. Wie aber aus all dem Gesagten
hervorgeht, sind in Wirklichkeit die vermeintlichen (rot gefärbten)
Querstreifen J gar keine Querstreifen der Muskelfasern, d. h. der
kontraktilen Substanz; sie haben mit den histologischen
kontraktilen Einheiten, mit den Myofibrillen, nichts zu tun. Die
wirklichen, den Myofibrillen angehörenden, Elemente der soge-
nannte J-Querstreifen (die dünnen, kaum wahrnehmbaren Ver-
bindungsfäden der Q-Stäbchen) durchziehen eben die leuchtend
rot erscheinende interfibrillare Substanz in Gestalt von vier (in
der Skelettmuskulatur) oder zwei (im Myocard), kaum zu sehender,
nur zuweilen bei richtiger Einstellung leuchtend stahlgrau er-
scheinender Fädchen. Dadurch nun, dass die Q-Stäbchen viel
dicker und schwarz gefärbt sind, und also zwischen ihnen viel
weniger Interfibrillarsubstanz vorhanden ist, tritt die, den
J-Streifen entsprechende Interfibrillarsubstanz sehr scharf hervor,
und wir bekommen den oben beschriebenen Eindruck einer
metameren Kette abwechselnd roter und schwarzer Querelemente,
welche in Summa, wenn sich die Primitivfäserchen zu Fasern
vereinen, den Schein von kontinuierlichen Querstreifen geben.
Die Interfibrillarsubstanz erfüllt eben den ganzen Raum zwischen
den zu einem Primitivfäserchen vereinten Myofibrillen.
In meiner ersten Arbeit wies ich darauf hin, dass die von
mir beschriebene Struktur der Myofibrille schon von mehreren
Forschern gesehen, nicht aber analysiert und gewürdigt worden
ist. Ich folgere das teils aus Abbildungen ohne Beschreibung,
teils aus kurzen Beschreibungen ohne Abbildungen. Es war mir
Untersuchungen über das Muskelgewebe. 113
leider damals ein interessanter Aufsatz von Prof. A. Prenant
entgangen, welcher im Jahre 1904 erschienen ist. Dank der
Liebenswürdigkeit des Autors, welcher mir seine betreffenden
Aufsätze zusandte, kann ich jetzt auf zwei höchst interessante
Abbildungen hinweisen, welche in einer seiner kritischen Ab-
handlungen zu finden sind (A. Prenant: „Revues critiques.
IV Questions relatives aux cellules musculaires. IV La substance
musculaire. Structure de la substance musculaire. Fibrilles (Suite).“
Archives de Zoologie experimentale et generale. Tome III, Notes
et revue, N. 2, p. XXU—XXXVIII, 1904). Die eine der Ab-
bildungen (Fig. 1) zeigt eine Muskelfaser aus dem Thorax von
Ocypus olens in einer Vergrösserung von 750 dargestellt, welche
an einer Stelle isolierte Myofibrillen zeigt, deren Bau vollkommen
meiner Beschreibung entspricht (Behandlungsweise: Alkohol,
Hämalaun, Glyzerin). Fig. 3, welche eine Muskelfaser aus einer
Larve von Microgaster glomeratus in einer 1500 fachen Ver-
grösserung zeigt, ist noch demonstrativer. Die schwarzgefärbten,
hantelartigen, Doppelgranula vortäuschenden Q-Stäbchen treten
mit einer grossen Schärfe hervor (Behandlungsweise: Bouins
Gemisch; Eisenhämatoxylin, Eosin). Auch die feinen Verbindungs-
fädchen, welche die Q-Stäbchen zur Myofibrille vereinigen, sind
deutlich zu erkennen. Dieselben sind aber sehr lang, um mehrere _
Mal länger als die Q-Elemente; ausserdem sind in der Fig. 3
noch weitere, der Arthropoden-Muskelfaser eigene Differenzierungen
der Myofibrille dargestellt. Leider spricht A. Prenant im Texte
fast nichts über die Myofibrille selbst, er analysiert nicht ihren
Bau, und er leitet sogar seinen Aufsatz mit folgenden Worten
ein: „Les fibrilles qui forment la substance museculaire dans les
fibres dites striees de beaucoup d’invertebres sont encore trop
imparfaitement &tudiees pour qu’on puisse se prononcer sur leur
veritable nature. Il est possible que, dans de nombreux cas, ces
fibrilles soient simplement heterogenes, c’est-a-dire qu’elles se
composent d’articles alternativement clairs et obscurs, incolores
ou colorables.*“ Eins steht fest, nämlich, dass A. Prenants
Präparate meine Befunde über die Struktur der Myofibrille
glänzend zu beweisen und zu bestätigen scheinen.!)
!) Die höchst wichtigen und interessanten Untersuchungen von Prof.
T. Marceau (1903 u. 1905) werde ich in meiner dritten Myofibrillenarbeit
ausführlich besprechen.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 69. 8
ETA Gustav Schlater:
Wenn ich nun einen Überblick über die von mir am
embryonalen Myocard des Hühnchens erhobenen Befunde tue, so
können dieselben in folgenden Sätzen ihren Ausdruck finden.
1. Als histologische, spezialisierte Einheit des
Myocards muss die histologische Myofibrille betrachtet
werden, deren morphologische Differenzierung,
deren Bau im Prinzipe ganz derselbe ist, wie in der
Skelettmuskulatur; d.h. die Myofibrille des Herzens stellt
eine Kette von metamer gereihten, durch feinste Verbindungs-
fäden zusammengehaltenen, kurzen, an ihren Enden stark granula-
artig verdickten, und um ihre Achse leicht spiralig gewundenen
Stäbchen dar, welche die spezifischen kontraktilen Elemente sind
(Q-Elemente). Die Grösse der einzelnen Differenzierungen der
Myofibrille bewegt sich auch hier in gewissen Grenzen, ohne aber
unter ein Minimum herabzusinken.
2. Ein Unterschied von der Skelettmuskulatur,
welcher aber durchaus nicht prinzipieller Natur
ist, scheint darin zu bestehen, das die Diffe-
renzierungselemente der Myofibrille des Herzens
etwas kleiner sind, was die oben angeführten
Resultate meiner Messungen beweisen.
3. Ein weiterer Unterschied, welcher aber nicht
den Bau der Myofibrille selbst betrifft, besteht
darin, dass das Primitivfäserchen („Muskelsäulchen‘“)
nur aus zwei parallelen Myofibrillen aufgebaut
ist, während es in der Skelettmuskulatur aus vier
Myofibrillen besteht.
4. Weiterhin scheinen die Querverbindungs-
fäden Z („Zwischenmembran“ nach M. Heidenhain), sowie
Mikrosomen Z noch sehr schwach entwickelt zu
sein, und auch die Interfibrillarsubstanz scheint
etwas schwächer ausgebildet zu sein als in der
Skelettmuskulatur.
5. Die geringere Grösse der einzelnen Differenzierungen
der Myofibrille, im Zusammenhang mit einem anscheinend etwas
stärkeren Zurückhalten des Eisenhämatoxylins seitens der
Q-Elemente, sowie die geringere Ausbildung der Interfibrillar-
substanz und eine dadurch bedingte schwerere Extraktion des
Eisenhämatoxylins aus dem Zwischenraume zwischen den Myo-
Untersuchungen über das Muskelgewebe. 115
fibrillen, erschweren einen Einblick in die intimsten Verhältnisse
der Primitivfäserchen-Struktur, und man gewahrt öfter als in
der Skelettmuskulatur Ketten von schwer zu differenzierenden
Vierecken.
Hiermit schliesse ich meine zweite Abhandlung über die
Myofibrille ab. Finige Einzelheiten der Myofibrillenstruktur
können eine eingehende und umfassende Besprechung erst später
erfahren, wenn ich in meiner vierten Abhandlung über die
ontogenetisch ausgebildete Myofibrille und Muskelfaser berichten
werde. In den weiteren Plan meiner Untersuchungsreihe über
das Muskelgewebe greifen noch folgende Fragen: Die Frage von
den gegenseitigen Beziehungen zwischen den Myofibrillen und
Bindegewebsfasern; die höchst interessante und in theoretischer
Hinsicht wichtige Frage nach den gegenseitigen histologischen
Beziehungen zwischen Myofibrillen und Neurofibrillen (in was
für einer Beziehung zu den Myofibrillen stehen z. B. die soge-
nannten, hauptsächlich von italienischen Forschern beschriebenen,
ultraterminalen Neurofibrillen?), und endlich die noch unaufge-
klärte Frage von der Histogenese der Myofibrillen. Meine
nächstfolgende, dritte Arbeit, wird sich aber, wie schon ge-
sagt, vorerst noch mit der Myofibrille menschlicher Embryonen
beschäftigen.
St. Petersburg, den 12. März 1906.
Erklärung der Tafeln III und IV.
Sämtliche Abbildungen sind mit dem Zeichenapparate Abbe-Zeiss, in der
Höhe des Objekttisches, gezeichnet. Mikroskop C. Zeiss.
Tafel III.
Fig. 1. 7tägiger Hühnerembryo (B). Objektträger 76. Eisenhämatoxylin
nach M. Heidenhain. Sagittalschnitt des Embryos in natürlicher
Grösse. Es ist der Durchschnitt des Herzens sehr deutlich als
kleines, vor der Leberanlage gelegenes, graues Säckchen zu sehen,
Fig. 2. Dasselbe Präparat. Nur das Herz abgebildet, wobei im Gesichts-
feld der Leberrand zu sehen ist. Objektiv AA; Comp.-Ocul. 4.
Fig. 3. Dasselbe. Stellt den auf Fig. 2 durch einen Kreis abgegrenzten
Myocardabschnitt dar. Trockensystem 4,6 mm, Apert. 0,95; Comp.-
Ocul. 4.
5*+
116 Gustav Schlater: Untersuchungen über das Muskelgewebe.
Fig
Fig
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
. 4. Dasselbe. Stellt den auf Fig. 3 begrenzten Abschnitt des Myocards
dar. Homog. Immers. 1,30; Comp.-Oeul. 4.
.5 u.6. Dasselbe. Einzelne Primitivfäserchen aus Fig. 4. Homog.
Immers. 1,30; Comp.-Oeul. 12. In Fig.6 sind die zwei oberen
Primitivfäserchen deutlich als Ketten von metamer angeordneten,
schwarz gefärbten, länglichen Vierecken (Q-Streifen) zu sehen,
während das untere Primitivfäserchen schon eine Spaltung in zwei
Myofibrillen erkennen lässt, welche oben schwach angedeutet ist.
Dagegen zeigt Fig.5 eine selten schöne elektive Darstellung der
Myofibrillen. Die Zeichnung ist noch ein wenig vergrössert.
2!/etägiger Hühnerembryo. Fixation in O. Hertwigs Gemisch,
Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain. Nachfärbung mit Rubin 3
—- Tropäolin 000. Sagittalschnitt. Mit grösster Schärfe heben sich
dem hellen syncytialen Grunde zwei schön elektiv gefärbte, isolierte
Myofibrillen ab; die obere geht schräg in die Tiefe, wodurch ihre
zwei unteren Q-Elemente als graue Schatten zu sehen sind.
Tafel IV.
7tägiger Hühnerembryo (B). Objektträger 143. Eisenhämatoxylin
nach M. Heidenhain. Nachfärbung mit Picroindigotin + Rose
bengale. Homog. Immers. 1,30; Comp.-Ocul. 4.
Dasselbe. Der auf Fig. 1 abgegrenzte Abschnitt des Myocards.
Homog. Immers. 1,30; Comp.-Ocul. 12. — Es sind zwei mitotische
Teilungsfiguren zu sehen: ein Spirem und ein Diaster.
3a u.6. Dasselbe. Zwei isoliert dargestellte Primitivfäserchen, welche
nach einer langen, eingehenden mikroskopischen Analyse deutlich
ihre Zusammensetzung aus zwei Myofibrillen zeigten. Der erste
Eindruck, auch mit den schärfsten Systemen und stärksten Ver-
grösserungen war der, welchen Fig. 2 getreu wiedergibt.
7tägiger Hühnerembryo (B). Objektträger 55. Eisenhämatoxylin
nach M. Heidenhain. Nachfärbung mit Eosin. Es ist deutlich
der syncytiale Charakter des Myocards zu sehen.
Dasselbe. Die auf Fig. 4 abgegrenzte Stelle. Homog. Immers. 1,30;
Compens.-Ocul. 12.
Schnitt durch das Herz eines 17tägigen Hühnerembryos. Fixation in
O0. Hertwigs Gemisch. Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain.
Nachfärbung mit Eosin 4 Anilinblau. Homog. Immers. 1,30; Comp.-
Ocul. 12. Mit grosser Schärfe tritt die Struktur der elektiv ge-
färbten Myofibrillen hervor.
217
Beiträge zur Phylogenese des Grosshirns der
Säugetiere.
Von
B. Haller
a. 0. Professor der Zoologie an der Universität zu Heidelberg.
Hierzu Tafel V—VII und 29 Textfiguren.
Dank der zahlreichen Untersuchungen auf dem Gebiete des
Grosshirns der placentalen Säugetiere, die sich sowohl auf den
Faserverlauf, auf die Struktur der verschiedenen Rindenteile als
auch auf die Gestaltung der Grosshirnoberfläche ausdehnen, wobei
den verschiedenen Gruppen immer mehr Aufmerksamkeit ge-
schenkt wird, ist in der letzten Zeit die Kenntnis über das
Säugetiergrosshirn in erfreulicher Weise vorgeschritten. Wenn
dabei die vergleichende Methode auch nicht jedesmal die Führer-
rolle spielte, so ist das ja noch insofern nicht nachteilig geworden,
als zu einer erspriesslichen Vergleichung zuvor ein gesichtetes
Material zu gewinnen ist. Auch unsere Kenntnis über das
Marsupialiergehirn ist gefördert worden, wenngleich sich diese
einstweilen zum grössten Teil auch nur auf das makroskopische
Verhalten beschränkt.
Ich verlegte mich auf die vergleichende Methode bei der
Erforschung des Chordatengehirns (15, 16, 17), habe aber die
phylogenetische Entfaltung des Grosshirns der Säugetiere bisher
nicht in mein Arbeitsgebiet aufgenommen gehabt, sondern mehr
nebenbei berücksichtigt. Nachdem ich jedoch das Gehirn eines
Säugetieres, der Maus nämlich, bis in das genaueste verfolgt,
wurde es mir umsomehr zum Bedürfnis mich über die Phylogenese
des Grosshirns der Säugetiere zu orientieren, als manche Fragen
im Laufe meiner Untersuchungen über das Mäusegehirn sich von
selbst stellten. Ich erinnere an das schon lange vor mir vielfach
erörterte Zustandekommen des Balkensystems, dessen Lösung ja
noch immer aussteht. Aber auch andere Fragen, die freilich
mehr weniger sich um die Balkenfrage schaaren, wie die Ent-
faltung der einzelnen Pallialgebiete, waren Veranlassung dazu,
die Phylogenese des Säugetiergehirns zu verfolgen.
118 B. Haller:
Obgleich die Absicht schon nach Veröffentlichung meiner
Studie über das Mäusegehirn gefasst war, so musste die Aus-
führung aus mehr wie einem Grunde aufgeschoben werden. Vor
allem handelte es sich um die Beschaftung eines -umfänglichen
Materials, dessen Schwerpunkt auf die Marsupialier und zwar
auch auf embryologisches Material davon zu legen gewesen wäre.
Dies Material zu beschaffen, war mir indessen rein unmöglich.
Freilich nach der Einsicht in die Verhältnisse des Fledermaus-
gehirns, das ja, wie schon Zuckerkandl erkannte, so viel
Marsupialartiges aufweist, wurde es mir klar, dass wenigstens
vom Auftreten des pallialen Balkens an auch ohne
der Kenntnis der feineren Verhältnisse des Marsupialiergehirns
die gestellte Frage, wenigstens bis zu einem gewissen (Grade,
erörtert werden kann.
So entstand vorliegende Abhandlung. Massgebend war mir
dabei, dass sich schon in der Reihe der Chiropteren eine Ent-
faltung des Grosshirns einstellte, welche den allgemeinen Weg,
den die Grosshirnentfaltung gewandert, anzeigt und, dass höhere
Zustände doch anderen Orts als bei Beuteltieren zur Entfaltung
gelangten.
Hierbei blieb das Erreichte hinter dem Erstrebten weit
zurück. Dass ich aber trotzdem die Arbeit der Öffentlichkeit
übergebe, erfolgt erstens, um meine bereits veröffentlichte Hirn-
studien zu ergänzen, dann aber, weil ich einige Fingerzeige für
die Richtung der Grosshirnentfaltung der Säugetiere gefunden zu
haben glaube. Es beschränkt sich dabei meine Arbeit auf zwei
Mikrochiropteren, dem Erinaceus und auf die Musteliden, ferner
auf das Verwerten des durch Andere Errungene.
Die Gehirne wurden nach der Weigertschen Methode
behandelt, und somit sah ich diesmals von feinen histologischen
Details ab. Damit im Zusammenhange steht es auch, dass ich
von der Darstellung der Einzelheiten absehe, da ich ja solche
in meinen drei Hirnarbeiten gebracht und auch bei dem ge-
steckten Ziele dies nicht direkt für nötig erachtete. Auch
darum schon, aber hauptsächlich um die Arbeit nicht unnötiger-
weise zu umfangreich zu machen, setze ich die Kenntnis
meiner drei oben erwähnten Arbeiten voraus. Es hat
dies seinen Sinn u.a. auch darin, dass ich die von mir gebrauchte
Nomenklatur hier beibehalte und auch beibehalten werde, so-
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 119
lange, bis man mir die Unzulässigkeit einer solchen Handlung
nachweisen wird, denn was bisher hierin geschehen, zeigt mehr
für konservativen Hang am Althergebrachten, als für die Unzu-
lässigkeit einer teilweisen Neubenamung.
Diese Letztere muss sich eben auf die volle Berücksichti-
gung niederer Zustände gründen, auf eine durchdachte vergleichend
anatomische Methode, wobei aber von niedrigen Formen zu
höhern aufzusteigen ist und nicht in völlig verkehrter Weise in
entgegengesetztem Sinne, die Nomenklatur beim Menschengehirn
einzusetzen.
Selbstverständlich war ich bemüht, die frühere Nomenklatur,
wo nur möglich, beizubehalten und zu berücksichtigen, so weit
es eben ging.
Heidelberg, im April 1906.
I. Spezieller Teil.
A. Chiropteren.
Wie aus der bisher ausführlichsten Mitteilung über Chirop-
terengehirn der von Dräsecke (8) hervorgeht, sind in den
äusseren Zuständen der Hirne der Flattertiere grosse Unter-
schiede vorhanden, mit welcher Beobachtung der Befund Zucker-
kandls (38) im Einklang steht, dass in der Balkenentwicklung
der Chiropteren grosse Verschiedenheiten bestehen. Die niedersten
Zustände zeigt Vesperugo, was auch aus der Mitteilung A. Ärn-
bäck-Christie-Lindes (1) hervorgeht, die ein sehr primäres
Balkensystem bei dieser Form gefunden hat.
Die beiden Hemisphären des Grosshirns von Vesperugo
haben, von oben betrachtet (Textfig. 1, A), eine an den beiden
Polen etwas zugespitzte Form, wobei der Stirnpol etwas breiter
ist. Es hat jede Hemisphäre eine dreieckige Form und folglich
drei Seiten. Die äussere Seite hat eine etwas ausgeschweifte
Form, indem sie gleich hinter dem Stirnpol sich etwas nach
innen krümmt, um dann auf dem hinteren Ende wieder nach
aussen konvex zu werden. Diese äussere Seite der Hemisphäre
ist die längste. Die kürzeste ist die mediale Seite und die
beiden Medialseiten der beiden Hemisphären berühren sich bis zur
Epiphyse (ep), um hier dann jede in die hintere Seite zu übergehen.
120 B. Haller:
Die hinteren Seiten der beiden Hemisphären gehen unter stumpfem
Winkel auseinander, wodurch nicht nur die Vierhügel, sondern
sogar die Epiphyse von den Hemisphären des Gross-
hirns unbedeckt bleiben. Es stehen dann die hinteren Pole
der beiden Hemisphären vom übrigen Gehirne ziemlich weit flügel-
artig ab und berühren somit das Kleinhirn nicht.
Von Eindrücken an der Hemisphärenoberfläche ist nur
wenig vorhanden. Am vorderen Pol ist ja ein sehr seichter
Eindruck, in Form einer Querfurche vorhanden, der bei manchen
Individuen eine nach vorne konvexe Biegung zeigt (f). Diese
sehr seichte Furche biegt auch auf die mediale Fläche um, um
dann dort allmählich zu verstreichen. Sie liegt hier genau an
der Stelle, wo die Fissura hippocampi aufhört und somit der
palliale Balken beginnt. Das äussere Ende der Furche (Text-
fig. 3 f) setzt sich somit auf die laterale Hemisphärenwand
nicht fort.
An der lateralen Seite ist zwar die Fissura rhinalis lateralis
angedeutet (Textfig. 3 frh. Il), doch so seicht, dass sie mit der
Lupe eben noch erkennbar ist, doch nicht bei allen Exemplaren.
Eine Sylvische Furche oder auch nur eine Fossa konnte ich
indessen nicht erkennen und liess sich eine solche auch auf den
Schnittserien nicht feststellen. Dies ist umsomehr zu bemerken,
als bei Vesperugo serotinus nach Dräsecke die Rhinalfurche
gleich der Sylvischen Furche deutlich entfaltet ist.
Die Oberflächenverhältnisse der Grosshirnhemisphären von
Vespertilio murinus zeigen in mancher Beziehung höhere
Zustände gegenüber jenen von Vesperugo pipistrellus.
Dies äussert sich vor allem darin, dass die mediane Seite der
dreieckigen Hemisphäre, die sich mit der anderen Hemisphäre
berührt, länger ist als bei Vesperugo pipistrellus und wodurch
die Epiphyse, wie es scheint, auch bei allen übrigen Mikro-
chiropteren, verdeckt wird (Textfig. 1,B). Es haben sich somit
die beiden Grosshirnhälften vergrössert und sind auch die
beiden hinteren Pole mehr aneinander gerückt, wodurch von
ihnen die seitlichen Teile des Kleinhirns berührt werden. Dieser
Zustand ist, nach den Angaben und Abbildungen der Autoren
geurteilt, ein sonst allgemeiner Zustand bei den meisten Chirop-
teren, und es bleiben nur die Vierhügel unbedeckt in niederen
Zuständen, demgegenüber bei Pteropus die Vierhügel verdeckt
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 121
sind. Eine Ausschweifung der äusseren Seite der Hemisphäre
unter dem Stirnpol ist nicht vorhanden bei Vespertilio und der
hintere Pol erscheint wie abgestutzt.
Jene zentrale Furche am vorderen Grosshirnpol des
Vesperugo pipistrellus vermisse ich bei Vespertilio, wie denn
auch Flatau und Jacobsohn in ihrem verdienstvollen Buche
(9) derselben keine Erwähnung tun. Bezüglich der Fissura
rhinalis stimmen meine Beobachtungen mit jenen dieser Forscher
insofern überein, als auch ich diese Furche S-förmig gekrümmt
finde und auch eine Andeutung der Sylvischen Furche erkennen
konnte (Textfig. 1, C frh. 1). Diese Sylvische Furche ist hier
Fig. 1.
Gehirn A von Vesperugo pipistrellus von oben, B des-
gleichen von Vespertiliomurinus. © = Gehirn des letzteren
von der Seite. ep — Epiphyse. frh. 1. = Fissura rhinalis lateralis.
a, a bezeichnet die Schnittrichtung auf Tafel 1.
eine beginnende — der Ausdruck „rudimentär“ ist hier unstatt-
haft, da es sich ja nicht um Rückbildungen handelt, wie man denn
hier auch von keinem rudimentären Balken reden kann — und
reicht nicht bis zur oberen Seitenhälfte der Hemisphäre. Dort
findet sich vielmehr eine sehr seichte andere Furche (Textfig. 1,
B f.), welche mit der Sylvischen nicht zusammenhängt, und wohl
mit der von Dräsecke mit « bezeichneten bei Cynonycteris und
Dermatura gleichzustellen sein dürfte.
Flatau und Jacobsohn (l. c. pag. 211) beobachteten,
dass die Rhinalfurche am vorderen Abschnitt des Schläfenlappens
122 B. Haller:
sich verliert. Gleiches habe ich auch in vielen Fällen beobachtet,
allein es gibt auch Exemplare, wie in dem von mir abgebildeten
Falle, wo die Rhinalfurche, wenn auch noch seichter wie zuvor,
sich entlang des grossen Schläfenlappens findet.
Bezüglich des Verhaltens der Fissura hippocampi an
der medianen Hirnwand sind die Zustände bei beiden von mir
untersuchten Chiropteren. gleich. Es zieht mit dem Gyrus
ammonis die Fissura entlang der ganzen medianen Seite der
Hemisphäre (Textfig. 3, Fig. 1—3, Ga) bis zum Pallialbalken-
beginn und somit hat der Gyrus ammonis dieselbe grosse Aus-
dehnung wie an dem Hirne der Monotremen und der meisten
Marsupialier. Es hört dabei der Gyrus ammonis vorne bei
Vesperugo pipistrellus in der Weise auf, dass der glatte Gyrus
dentatus (Textfig. 3, fd) von der Gegend der Commissura anterior
an allmählich niedriger wird, bis sie endlich ganz aufhört.
Dann bildet das Subiculum allein die Fortsetzung der Ammonsfalte,
bis es auch bald darauf plötzlich endet. Dies erfolgt bei Vespertilio
früher (Textfig. 4) als bei Vesperugo. Es endet auf diese Weise
die Ammonsfalte knopfförmig gleich zu Beginn des pallialen
Balkens. Dieses knopfförmig abgerundete Ende der Ammonsfalte
hat Dräsecke bei Chiropteren gesehen und hält es für ein
„Tuberculum fasciae dentatae“ (l. c. pag. 454).
Eine Fissura splenialis, wie sie bei höheren Chiropteren
mit entfalteterem Balken sich finden soll, findet sich entsprechend
den niederen Zuständen des Balkens bei Vesperugo und Vesper-
tilio nicht.
Die Fissura ammonis oder hippocampi hört jedoch mit
seinem Gyrus nicht auf, sondern setzt sich auch noch weiter
fort oberhalb vom Balken (Textfig. 4), hier die Grenze zwischen
dem oberen Stirnhirnteil und dem sogenannten Gyrus subcallosus
(s) bezeichnend, wie dies am besten auf Sagittalschnitten zu
ersehen ist (Textfig. 2 A).
Auf dieses Verhalten möchte ich darum aufmerksam machen,
da mit der Nachhintenverschiebung der Ammonswindung
während der Phylogenese, infolge der höheren Entfaltung des
Pallialbalkens die kontinuierliche Rinne eine Unterbrechung
erfährt und während der. hintere Teil als Ammonsfurche sich
weiter erhält, wird der vordere Teil zur Fissura splenialis schon
bei den höheren Formen der Mikrochiropteren. Bei den niederen
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 123
Formen aber ist die eben beginnende Fissura splenialis noch
die vordere Fortsetzung der Ammonsfurche.
Die Ammonswindung, sehr mächtig, entsprechend dem
niedrig phyletischen Zustand des Gehirns von Vesperugo und
Vespertilio, nimmt einen ansehnlichen Teil des Grosshirns ein,
denn sie bildet nicht nur allein die ganze hintere Seite der
Grosshirnhemisphäre, sondern greift, etwas nach unten biegend,
auch auf die innere Seite derselben über, um dann weit vorne,
hinter dem beginnenden Pallialbalken zu enden (Figg. 1—3, 21).
Es hat somit die Ammonswindung dieser beiden
Fledermäuse eine gewaltig grosse Ausdehnung, wie
wir dies sonst nur bei balkenlosen Säugetieren überall
finden, allein diesen gegenüber — ich habe hier speziell
die Monotremen, dann Pseudochirus und andere balkenlose
Marsupialier im Auge — zeigt sich insofern schon eine
Reduktion, als mit dem begonnenen Pallialbalken,
dieAmmonsfalte über diesem sich nicht mehr findet,
da sie etwas nach rückwärts verschoben ward
(Textfig. 2 A).
Bezüglich der Ventralseite des Grosshirns hätte ich dem
bereits für die Chiropteren Bekannten wenig beizufügen. Be-
kanntlich ist für diese ein äusserst mächtiges Tuberculum olfac-
torium von mehr weniger kugelrunder Gestalt sehr bezeichnend.
Der Fasciculus olfacto-corticalis inferior (Tractus olfactorius
Autorum) muss diese mächtige Kugel förmlich umgreifen, um
dann hinter ihm zum Corpus s. Ganglion mammillare zu gelangen.
Es ist dies wieder ein Zustand, der an Monotremen und Marsu-
pialier erinnert. Das Tuberculum olfactorium ist nur eine Be-
zeichnung der äusseren Form, in dem Tuberculum liegt ja das
Ganglion arcae olfactoriae. Bei den beiden Chiropteren ist
bereits das Ganglion (Textfig. 2, gao) in zwei hintereinander
lagernde Abschnitte differenziert, in ein viel mächtigeres G. a. o.
anterius und ein geringes G. a. o. posterius.
Nach dieser Schilderung möchte ich auf die strukturellen
Zustände des Gehirns von Vesperugo und Vespertilio eingehen
und sofort mit dem Balkenkomplex beginnen. Bevor ich dies
aber täte, möchte ich zuvor der Klarheit wegen, um Missver-
ständnisse zu vermeiden, zuerst den Begriff des Balkenkomplexes
hier ins Gedächtnis wachrufen.
124 B. Haller:
Ein Balkensystem des Säugetieres besteht aus einem
dorsalen Kommissurenabschnitt, welcher von Querfasern gebildet
wird, die die beiden Palliumhälften des Grosshirns, mit völligem
Ausschluss der Ammonswindung, verbinden. Dieser ist das
Corpus callosum. Ein zweiter Bestandteil des Balkens ist
ein ventralwärts gelegener Abschnitt quergestellter Fasern: das
Psalterium. Es verbindet die beiden Ammonswindungen unter
einander. Während nun das Corpus callosum über das Septum
pellueidum, einem Abkömmling der embryonalen Schlussplatte,
gelegen ist, durchwebt das Psalterium jenes, im vorgeschrittenen
Stadium sich an dessen hinteren Teil sammelnd. Im Septum
pellucidum selbst zieht ein Fasersystem von basal- nach dorsal-
wärts. Es besteht dies aus dem vom Ganglion arcae olfactoriae
herkommenden Tracetusarcoseptalis (Tr. cortico-olfactorius
Edingers, Riechbündel Zuckerkandls) und der Co-
lumna forniecis. Diese zieht vom Balkensystem in das
Vereinsgebiet, jenes gelangt, oben jederseits sich zu einem
Bündelsystem gruppierend, in die jederseitige Ammonswindung;
das Bündelsystem heisst die Fimbria und nimmt eine ventrale
Lage im Psalterium ein.
Das Balkensystem von Vesperugo pipistrellus wurde durch
A. Ärnbäck (1) beschrieben. Nach ihr ist die obere
Kommissur dieser Form keine reine Hippocampuskommissur
mehr, sondern, da sie auch echte Pallialfasern führt, die ver-
mischt mit den Hippocampusfasern sich in der Kommissur vor-
finden, ein beginnender Balken und nimmt somit zwischen der
oberen Kommissur der „Aplacentalier‘* und dem Balken der
Placentalier eine Zwischenstellung ein. Entsprechend diesen
Verhältnissen erstreckt sich das Ammonshorn auch weit frontal-
wärts, beinahe soweit, wie bei den Aplacentaliern, „obgleich
bedeutend reduziert“. Immerhin reicht die Ammonswindung
frontalwärts bis vor die obere Kommissur hin und eine Grenze
zwischen den Palliumfasern und jenen der Ammonswindungen
soll nicht bestehen, da sie vermischt in der Kommissur sich
finden sollen. Die erste Behauptung, wonach die Ammonswindung
die obere Kommissur nach frontalwärts zu überholen sein würde,
ist bereits weiter oben, bei der Beschreibung der makroskopischen
Verhältnisse widerlegt worden, die Unrichtigkeit der zweiten
Behauptung möge weiter unten gezeigt werden. Immerhin
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 125
gebührt Ärnbäck das unbestreitbare Verdienst, die obere
Kommissur von Vesperugo als einen primären Balken zuerst
erkannt zu haben.
Es ist der primäre Balken !) von Vesperugo pipistrellus nicht
so schön gewölbt, wie Ärnbäck nach einem Sagittalschnitt
ihn abbildet. Vielmehr ist die obere Fläche etwas abgeflacht
und diese Fläche hat eine wenig nach kaudal- und ventralwärts
geneigte Lage (Textfig. 2 A). An den beiden abgerundeten
Ecken biegt dann dieser Teil des primären Balkens in einen
vorderen (cc) und einen hinteren Schenkel (ps) nach ventral-
wärts, auf diese Weise das Septum pellucidum zwischen sich
fassend.
Schon an Schnitten, die nur wenig von der medianen
Sagittalebene entfernt sind, erkennt man, dass oberhalb des
vorderen Schenkels, an der vorderen Biegung oder Ecke, in den
primären Balken aus dem anliegenden Gyrus ammonis (ga) Fasern
eintreten (f). Es sind dies also ein jederseits von der medianen
Sagittalebene gelegenes Faserbündel. Schnitte, die nur etwas
weiter lateralwärts geführt werden, zeigen deutlich (Textfig. 2 B),
dass hier sowohl Fasern aus der Ammonswindung (fi), als auch
solche aus dem Stabkranz des Palliums (er‘) in den primären
Balken eintreten,sichunterihmimSeptumpellucidum,
dann jederseits zu einem lockeren, und infolge-
1) Einen solchen glaube ich für Reptilien nachgewiesen zu haben, wodurch
S.Ramön y Cajals Angabe, durch die Commissura superior zögen Pallial-
fasern und die dadurch gerechtfertigte Annahme eines Balkens Bestätigung
und Ergänzung fand. Obgleich dies, wie auch vieles andere, in meiner zitierten
Arbeit dem spätern Untersucher des Reptiliengehirns doch bekannt sein sollte,
hat Dr. L. Unger in Wien in zwei Arbeiten über das Vorhirn des Gecko
(Sitzungsber. d. Wiener Akad.d. Wiss. 1904 und Anatom. Hefte, Bd. 31, Heft 94)
— die allerdings nichts Neues von Bedeutung für das Reptiliengehirn liefern
und eine reine Beschreibung ohne Reflexionen sind — es doch nicht der Mühe
für Wert gehalten, sie zu berücksichtigen. Im Literaturverzeichnis wird
meine Arbeit allerdings angeführt, doch welchen Sinn so etwas ohne Be-
rücksichtigung der Befunde und Diskutierung der Deutungen hat, ist völlig
unverständlich. Und doch hat Dr. Unger manches gebracht, was in
meiner Arbeit ausführlichst behandelt worden ist. Er unterlässt eine zu-
sammenhängende Besprechung der Literatur, weil dies bereits A. Meyer
(1892) und Edinger (1896) ausführlichst getan hätten und glaubt damit
eine einschlägige Arbeit von 1899 ruhig umgehen zu dürfen.
Soll dies ein förderliches, wissenschaftliches Verfahren sein?
126 B. Haller:
dessen grossen Platz einnehmenden Fasersystem
vereinigen, welches dann auf jeder Seite nach
ventralwärts zu ziehend, als Columna fornicis
hinter die Kommissura anterior gelangt.
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N
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mis
Fig. 2A.
Vesperugo pipistrellus. Zwei Sagittalschnitte durch das Grosshirn und
teilweise durch Thalamus und dem Vierhügel. A der Medio-Sagittalebene stark
genähert. B etwas weiter lateralwärts von ersterem. bof. — Bulbus olfac-
torius; g. sc. — Gyrus subcallosus; cc. — Corpus callosum; ga. = Gyrus
ammonis; ps. — Psalterium; th.o. — Thalamus opticus; ca. — Commissura
anterior; gao.— Ganglion areae olfactoriae; f' — Bündel aus dem Balken
zur Ventralrinde; f. — Fornixfasern; cf. —= Columna fornicis.
Hierdurch ist schon genauester die Grenze angegeben, bis wohin
der rein palliale Teil des primären Balkens reicht und wo der
ammonale Abschnitt beginnt. Der vordere, vor jenem Bündel-
system der Columna fornieis gelegene Abschnitt ist der phyletisch
spätere dorsale Teil des Balkens (ce), also jener, der ausschliesslich
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 127
nur Palliumfasern enthält. Die vordere Ecke (f) ist das spätere
Balkenknie, der darauffolgende Teil das Psalterium, oder jener
Teil des ammonalen Balkens, der ausschliesslich Verbindungs-
fasern zwischen den beiden Ammonswindungen führt und endlich
der hintere Schenkel (Fi) der fimbriale Teil oder jener, der in
die jederseitige Ammonswindung ziehende Riechbündelfasern aus
dem Tractus areae-septalis enthält.
Die Querfasern in der pallialen Hälfte des primären Balkens
sind nur gering an Zahl und verbinden ausschliesslich
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Fig. 2B
nur die beiden Stirnpole der Grosshirnhemi-
sphären unter einander, denn die Verbindung
der ganzen übrigen, viel mächtigeren Pallial-
hälften geht hier noch durch die Commissura
anterior.
Diese ist noch sehr mächtig (ca) und besteht, wie Sagittal-
schnitte lehren, aus einem oberen grobfaserigen und unteren
128 B. Haller:
feinfaserigen Teil. Ersterer enthält die mehr ventral gelegenen
Fasern des Traectus cruciatus olfacforii mihi (s. Figg. 9, 10), sowie
die kommissuralen Stabkranzfasern für den obengenannten Teil
des Palliums. Der feinfaserige Teil der vorderen Kommissur
führt solche Fasern, die der Hirnbasis angehören.
Schon aus einem Querschnitte Frl. Ärnbäcks (l.c. Fig. 3) geht es
deutlich hervor, welche grosse Massen von Pallialfasern die vordere
Kommissur enthält. Auf einem Querschnitt, der Markscheiden-
färbung erfuhr, und den ich auf Textfigur 3 abgebildet habe,
ML
es
rm
a) ir
al
Textfig. 3.
Vesperugo pipistrellus. Querschnitt durch das Grosshirn, die Com-
missura anterior treffend. ga.—Gyrus ammonis; str. — Striatum (Nucleus
caudatus); ca. — cortikale, ca’ — basale Teil der Commissura anterior; gao. —
Ganglion areae olfactoriae; cf. — Columna fornieis; bvhb. — basales Vorder-
hirnbündel; frh.1. — Fissura rhinalis lateralis; v. — primäres Inselgebiet;
f. — frontale Furche.
sieht man die Pallialfasern (ca) in mächtigem Bündel unter dem
Hirnmantel und dem Striatum (str) nach aufwärts biegen und
fortwährend aus der lateralen Rinde bis weit hinauf Fasern auf-
nehmend, doch nie aus dem Striatum. Hinter dem vorderen
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 129
Stirnpol, also vom Beginn der Ammonswindung an, greifen solche
Fasern bis in den dorsalsten Teil des Palliums hinauf, und nur
der vordere Hemisphärenpol bleibt frei von ihnen, von dort aus
kreuzen sich aber die Fasern in dem vorderen Schenkel des
primären Balkens.
Die Breite des Stabkranzes der Corona radiata ist dorsal-
wärts noch gering, sie nimmt aber dann zu und erreicht ihre volle
Breite schon an der lateralen Seite, denn hier nimmt sie be-
sonders reichlich Fasern aus der lateralen Rinde auf. Jener
markhaltige Plexus, der beim Menschen nach S. Ramön y
Cajal (6) am oberen Rande der dritten Rindenschicht endet,
aber bei niederen Säugern, sogar bei der Maus, mit dem
darunter gelegenen Plexus eine einheitliche Lage bildet, findet
sich ja auch in der ganzen Grosshirnrinde der Fledermäuse vor,
Fig. 4.
Vespertilio murinus. Oberes rechtsseitiges Stück von einem Quer-
schnitte durch den vorderen Teil des Grosshirns. cc.=palliale Teil des
Corpus callosum; spt. = Septum pellucidum; cm. — Cingularfasern; cr. =
Corona radiata; str. — Striatum.
allein, es gibt eine Stelle, wo der ganze Plexus eine ungemein
breite Lage in der Rinde vorstellt. Es liegt diese Stelle ober
der Fissura rhinalis bei Vespertilio (auf Teztfig. 1 C, mit unter-
brochener Linie), als auch bei Vesperugo (Textfig. 3, v) und
dürfte eine ovoide Form haben, wobei ihr vorderes Ende in den
Bereich des Stirnpoles hinein reicht, wie das hintere Ende in
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 9
130 B. Haller:
%
jenes des Occipitalgebietes. Da sich hier in späteren phyletischen
Stadien des Grosshirns, noch vor Beginn der Gyrencephalie, sich
die Insel bildet und weiter differenziert, bringe ich diese Stelle
in Beziehung mit der Inselbildung, wie ich es weiter unten noch
zu begründen suchen werde, und nenne dieses durch das oben-
genannte Kennzeichen sich vortuendes Rindengebiet des lissen-
cephalen Gehirns das primäre Inselgebiet.
Es nimmt dann in diesem primären Inselgebiet, das an Mark-
scheidenfärbungen zu erkennen war, jenes markhaltige Flechtwerk
der Rinde nach den Grenzen zu allmählich ab, wohl am rapidsten
nach ventralwärts zu, wo noch einige Faserbündeln aus dem
feinfaserigen Teil der Commissura anterior (Textfig. 3, ca‘) in
ihn eintraten und diese Verbindung zwischen den beider-
seitigen Inselgebieten erhält sich überall bei den Säugetieren.
Ober diesem Gebiet sieht man viele Faserbündel aus der dorsalen
Hälfte des Palliums kommend, nach innen biegen, wodurch sie
die in der Corona radiata ventralwärts ziehenden Fasern kreuzen,
und so in das Corpus striatum (str) gelangen; nie gelangen
gekreuzte Fasern aus der Corona in das Striatum.
Der grösste Teil des feinfaserigen Abschnittes von der
Commissura anterior (ca‘) gelangt in den ventralen Teil des
lateralen Palliums.
Es mögen hier nun gleich anschliessend an Vesperugo die
gleichen Einrichtungen bei Vespertilio zur Erörterung gelangen.
Wie ich schon weiter oben mitgeteilt habe, endet die
Ammonswindung, nachdem die glatte Fascia dentata kurz vorher
schon ihr Ende gefunden hatte, mit dem hinteren Ende des
pallialen Balkenteils auf. Da nun dieser Balkenteil jederseits
von der medialen Sagittalebene etwas länger als bei Vesperugo
ist, so hört der Gyrus auch etwas weiter nach hinten auf. Ein
Rückzug nach hinten hat sich hier somit Vesperugo
gegenübereingestelltmitderhöherenEntfaltung
desBalkensystems, ebenso wie gleiches sich auch
beiVesperugo eingestellt hat im Vergleich zu den
Monotremen und vielen Marsupialiern.
Aber auch bezüglich der Form des Balkens zeigt sich ein
weiterer Schritt nach vorwärts, denn die Form des Balkens bei
Vespertilio im sagittalen Längsschnitte ähnelt eigentlich mehr
jenem von Erinaceus, als dem von Vesperugo (vergl. Textfig. 2 A
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 13
mit Fig. 14 B und A). Vesperugo gegenüber zeigt sich der
Unterschied darin, dass der Balken von hinten nach vorne zu,
also in sagittaler Richtung zusammengedrückt ist, wodurch auch
das Septum pellucidum höher, aber zugleich schmäler wird (vergl.
Textfig. 3 und 4). Es würde also die Form des Balkens von
Vespertilio eine etwa fingerförmige sein, wobei eine geringe
Neigung des freien Endes nach kaudalwärts zu bereits vorhanden
ist. Damit ist dann die Balkenform auch erreicht und es bedarf
Fig. 5.
Vespertilio murinus. Unteres rechtsseitiges Stück von einem Quer-
schnitte durch das Grosshirn mit der Schnittebene durch die vordere Com-
missur (ca). Fi.—= Fimbrialfasern im Septum pellucidum; str. = Striatum;
er. — Corona radiata; frh.1.= Fissura rhinalis lateralis; ca’ = basaler Teil
der vorderen Commissur; f.oc.i. — Funiculus olfactorio corticalis inferior
(Tractus olfactorius s. radix lateralis olfactorii Aut.); byhb'’= ein Teil des
basalen Vorderhirnbündels; gao. — Ganglion areae olfactoriae.
nur der grösseren Neigung des noch aufrecht stehenden Balkens
nach der horizontalen Ebene, um die Form, wie sie sich bei
Erinaceus findet, zu erreichen.
Ein genauer Vergleich des Vespertiliobalkens mit dem von
Vesperugo zeigt auch, dass der vordere Abschnitt des Balkens,
9*
152 B. Haller:
also der palliale Teil desselben (Fig. 14 B, ce), im Verhältnis zu dem
ammonalen (ps) zugenommen hat. Es reicht ersterer ge-
nauestens bis zum freien Ende des Balkens, letzterer beginnt
hier, also an dem Balkenknie. Der palliale Balkenteil nimmt,
wie bei Vesperugo, Kreuzungsfasern aus dem Stirnhirne auf
(Textfig. 4) und da der Stirnpol der Hemisphären im Vergleich
zu Vesperugo etwas an Masse zugenommen hat, so ist die
Zunahme dieses Balkenteils die Folge davon. Immerhin ist auch
der Balken von Vespertilio nur ein beginnender, obgleich er dem
von Vesperugo gegenüber schon phyletisch jünger erscheint. In-
folge dieses Verhaltens zieht noch der grössere Teil der Pallial-
fasern durch die Commissura anterior zur anderen Hemisphären-
hälfte. Der Querschnitt (Textfig. 5) belehrt uns darüber, der
aber gleichzeitig auch zeigt, dass in der Commissura anterior
doch nicht mehr so viele Pallialfasern enthalten sind, wie in
jener von Vesperugo. Der Vergleich dieser Abbildung mit jener
auf Textfig. 3 belehrt darüber; denn ist auch der als Corona
radiata aufsteigende Schenkel (er) der Commissura anterior (ca)
noch sehr mächtig, so ist jener bei Vesperugo doch ansehnlicher.
In dem basalen Teil der Commissur (ca‘) sind indessen die Fasern
ebenso zahlreich als bei Vesperugo.
Betrachten wir nun das Verhalten dieses basalen Teiles der
Commissura anterior genauer, so wie die Horizontalschnitte
zeigen. Ein solcher, der durch den unteren Teil des Striatums
geführt wurde, und somit knapp oberhalb der Commissura anterior
gelegen ist (Fig. 8), lässt die Umbiegungsstelle der Corona radiata
in das Commissurquerbündel erkennen (ca). Da zeigt es sich
denn, dass hier die Commissur sowohl von der basalen Stirnpol-
hälfte der Hemisphäre, als auch aus dem Schläfenteile des
Palliums Fasern bezieht. Es liegt hier der Übergang der Corona
radiata in die Commissur gerade an einer muldenförmigen Ein-
senkung der lateralen Hemisphärenseite, an der etwas weiter
nach basalwärts das obere Ende der Fossa Silvii liegt (Fig. 9, Fs),
An guten markscheidegefärbten Präparaten zeigt sich nun, dass
sich die Corona radiata etwas vor jener Stelle in eine äussere
(Fig. 8) und eine innere Lamelle spaltet. Es steht dann die
innere mit der Commissura antorior im Zusammenhang und biegt
hinter dieser, sich immer mehr von der Pallialrinde entfernend,
durch die basale Ganglienmasse nach kaudalwärts. Diese innere
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 133
Marklamelle hier (ce) grenzt dann diese basale Ganglienmasse in
einen inneren, nach innen zu an das basale Vorderhirnbündel
und die thalamocorticale Fasermasse (später innere Kapsel)
erenzenden und einen äusseren Abschnitt, der oben von der
äusseren Lamelle der Corona radiata (cl) umsäumt wird. Etwas
weiter basalwärts (Fig. 9), wo bereits die sich kreuzenden Riech-
bahnen in die Commissura anterior gelangen, erkennt man, dass
sowohl die äussere (cl), als auch die innere Marklamelle (ce) als
Bogenfasersystem in die Commissur (ca) gelangen. Auch noch
weiter unten ist dieses Verhalten zu erkennen (Fig. 10) und ist
hier, wie schon zuvor, die äussere Ganglienmasse der Temporal-
gegend am mächtigsten.
Die äussere Marklamelle ist der Capsula externa der
höheren Placentalier gleichzustellen, die freilich dort minder
mächtig ist. Sie besteht hier bei Vespertilio und
Vesperugo teils aus vertikalen Fasern, die aus
dem Inselgebiet kommend, in die Commissura
anterior einbiegen (Textfigg.3,5), teils aus horizon-
talen, die aus der Temporo-oceipitalrinde dort-
hin gelangen, dann aber auch aus vertikalen
Associationsbahnen, welche das dorsalePallium-
gebiet mit dem ventralen derselben Seite inBe-
ziehung setzen.
Die innere Marklamelle setzt die ganze ventrotemporale
Ganglienmasse innen vom Pallium mit der der anderen Seite
durch die Vorderkommissur hindurch in Verbindung.
Erst weiter basalwärts, unterhalb der Commissura anterior
zeigen sich in der äusseren Marklamelle (Fig. 11, el) fast nur
horizontal ziehende Faserungen.
Die beiden, von der inneren Marklamelle getrennten
Ganglienmassen erweisen sich aber (Textfigg. 3, 5) als Rinden-
gebiete des Lobus pyriformis unterhalb der Fissura rhinalis (frh.1.).
Es fehlt da hier unten (Fig. 11) die innere Marklamelle, statt
ihrer finden sich vertikal orientierte Einzelbündel.
Vergleichen wir nun die geschilderten Zustände mit jenen
der Nagetiere, sofern dieselben bei der Maus und der Ratte
genau bekannt sind. Ich verweise diesbezüglich auf Köllikers
Handbuch (18) und meine Arbeit (17). Insofern bei diesen
Formen die Fissura rhinalis lateralis deutlich zum Ausdruck
134 B. Haller:
gelangt — nur als schwacher Eindruck bei Mus, doch deutlicher
ausgesprochen bei Sciurus und noch besser bei Lepus — ist mit ihr
die Grenze bezeichnet, wo das Lobus-pyriformisgebiet der übrigen
Rinde gegenüber beginnt. Es zieht hier in der Gegend der
Commissura anterior, doch hinter ihr, eine senkrechte Mark-
lamelle fest unter der Pallialrinde nach unten dem Ganglion
areae olfactoriae zu (l.c. Figg. 16—207y); sie ist die direkte,
stark reduzierte Fortsetzung der Corona radiata und wurde von
Kölliker bereits (l.c. Fig. 715 Ce.) als „Capsula externa“ be-
zeichnet. Was innen von dieser Lamelle liegt, gehört scheinbar
dem Stammhirn an und wurde von Kölliker als Nucleus
lenticularis angesprochen; die von ihr nach aussen zu gelegene
Partie ist ausgesprochenes Rindengebiet, was bei den Nagetieren
sehr klar ist. In dem Nucleus lenticularis gelangte es zur
Difterenzierung zweier Kerne, von denen der eine durch den
Funiculus striati (17, Figg. 12,13) mit dem Kopf des Striatums
(Nuel. caudatus) in Verbindung steht, ausserdem aber auch mit
der Ammonsrinde (17, Fig. 21; 18, Fig. 716). E
Diese Zustände mit jenen der zwei hier in Betracht kom-
menden Chiropteren verglichen, würde ergeben: dass jene Mark-
lamelle, die Kölliker bei den Rodentieren für die Capsula externa
erklärte, bei den Chiropteren sich in zwei Lamellen gespalten hat.
Die äussere von diesen (Figg. S, 9, 10 cl.) verbleibt unter der
pallialen Rinde, die innere aber (ce) teilt ein Gangliengebiet in
zwei Teile. Dieser ganze Prozess aber erfolgt in einem Gebiet,
dass mit jenem des Inselgebietes sich deckt. Diese Differenzie-
rungserscheinung wird uns bei Gehirnen höherer Säugetiere noch
begegnen und hier möchte ich nur der Meinung Ausdruck geben,
das ich jenes Gebiet, das zwischen der inneren Marklamelle (ce)
und der Corona radiata liegt (Textfig. 5, Ik; Figg. 8, 9, 10, Ik)
eben weil es ausserhalb der Corona liegt, noch
der Rinde zuzählen möchte. Dieser Zustand gelangt
nun nicht mehr so deutlich zum Ausdruck bei den Rodentiern
und es hat den Anschein, als ob die Linsenkerne dem Striatum
angehören würden, obgleich auch hier in der kaudalen Gegend
diese Kerne sich eher der Rinde, als dem Stammganglion an-
schliessen. Es handelt sich in diesen Kernen aber zweifellos
um den Linsenkern (Nucleus lenticularis) der höheren
Placentalier, während das Gebiet zwischen den beiden Mark-
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 135
lamellen bei den Chiropteren (cla) einem mächtigen Claustrum
entspricht. Dieses gelangt unter den Rodentien bei Sciurus,
noch mehr bei Lepus in noch höherem Grade zur Entfaltung,
wobei es noch in der Rinde verbleibt. Wir sehen also
bei einer niedrigeren Abteilung eine Differen-
zierung eintreten, die sich bei vielen höheren
Formen (Carnivoren, Simiern u. a.) gleichfalls
zeigt, bei einer höheren Abteilung aber wie die
Chiropteren sind, mit nur ähnlichen Zuständen
(Mus) ansetzt.
Die innere Marklamelle der Chiropteren wäre somit die
Capsula externa, die äussere aber eine auch bei höheren
Formen vorkommende Differenzierung, die ich Capsula late-
ralis nennen möchte.!)
Bezüglich der Verbindung zwischen dem Grosshirn und dem
Thalamus opticus hatte ich für die Maus festgestellt (l.c. pag. 419),
dass die beiden Verbindungsbahnen: Funiculus thalamo-
prosencephalicus und F.thalamo-epistriaticus der Rep-
tilien auch bei ihr vorkämen. Das Homologon des letzteren erblickte
ich in dem unteren Thalamusstiel und Linsenkernschlinge der
Autoren, die ich zusammen Funiculus thalamo-lenti-
cularis genannt habe. Dieser zieht bei der Maus von Nucleus
lentieularis und auch aus der Grosshirnrinde „von des Linsen-
kerns nächster Umgebung medianwärts vom basalen Vorderhirn-
bündel gelegen, in den Thalamus und strahlt dort in der ganzen
Zona intermedia aus“, wobei von ihm aus Fasern auch in den
Dorsal- und Mediankern des Thalamus gelangen. Die zweite
Verbindung ist der Funiculus thalamo-prosencephalicus, der seine
Fasern aus dem Occipitallappen und aus dem dorsalen mittleren
Palliumteil bezieht, wobei durch die Balkenfaserung sich auch
die anderseitige Hirnhälfte der gleichen Gegenden beteiligt.
Beide diese Verbindungen zwischen Grosshirn und Thalamus
opticus sind als Erbteil von ihren Stegocephalenahnen bei den
Chiropteren vorhanden.
) Freilich wäre es dann angezeigter, von einer Capsula interna, media
und externa zu sprechen. Ich überlasse dies einzuführen anderen und will
davon, wegen der unheilvollen Oppositon, die meine neue Nomenklatur schon
erregt, Abstand nehmen.
136 B. Haller:
In ihrem oberen Abschnitt werden Claustrum und Nucleus
lenticularis von auseinander liegenden, zum grössten Teil aus
dem Schläfen- und Oceipitallappen herrührenden Faserbündeln
durchsetzt, die dann (Fig. 21 f.thp.) seitlich vom basalen Vorder-
hirnbündel gelegen, in den Nucleus lateralis thalami (Fig. 8 nlt.)
gelangen. Dieses Bündelsystem ist der Funiculus thalamo-
lenticularis (f.thl.). Seine frontomedialen Fasern durchqueren
zum Teil noch die basale Vorderhirnbahn.
Vor- und medianwärts vom F. thalamo-lentieularis aus dem
Stirnpol der Grosshirnhemisphäre — und in diesem Bündelsystem
sind auch Fasern von der anderen Seitenhälfte enthalten, welche
den pallialen Balken durchsetzen — gelangt ein anderes Bündel-
system, durch das Corpus striatum hindurch, das basale Vorderhirn-
bündel durchsetzend, in die Zona intermedia thalami (zi). Es ist
der Funiculusthalamo-prosencephalicus. Während dann
im frontalen Teil dieses Gebietes die Fasern ungekreuzt sich
verhalten, findet im hinteren Teil eine Durchkreuzung statt,')
wodurch auch die anderseitige Hälfte Fasern erhält.
Immerhin wäre hier zu bemerken, dass diese beiden Bündel-
systeme von einander nicht scharf getrennt sind und erst im
Thalamus auseinander gehen, wobei noch die gekreuzten Fasern
des Funiculus thalamo-prosencephalicus von jenen des Funieculus
thalamo-lenticularis gekreuzt werden, wie dies die Abbildung
(Fig. 8) klar wiedergibt. Auch wissen wir, dass bei der Maus —
ich verweise auf meine Abbildung Fig. 11 der zitierten Arbeit —
die meisten Fasern des Funiculus thalamo-lentieularis direkt aus
einem Linsenkerne herrühren. Es ist somit bei der Maus die
Trennung schärfer durchgeführt wie bei den Chiropteren, und
ersterer Zustand ist ein solcher, der bei den höheren Säugetieren
gewahrt bleibt. Indem ich in dem Funiculus thalamo-lentieularis
das Homologon des Funiculus thalamo-epistriaticus der Reptilien
erblicke, knüpfe ich daran die Bemerkung, dass damit auch auf
die Bedeutung des Nucleus lentieularis noch ein weiteres Licht
fällt, „indem man diesen Teil des Striatums von dem Epistriatum
der Reptilien ableiten könnte.“
ı) Über das Commissurensystem im Thalamus der Maus konnte ich
nichts Bestimmtes aussagen, doch schien es mir, als wenn die frontalwärtigere
Querverbindung von gekreuzten Bündeln des Funiculus thalamo-lenticularis
bestünde.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 137
In der Ableitung des Linsenkerns von der Hirnrinde bei
den Chiropteren, wie ich es oben dargestellt, sehe ich meine
frühere Voraussetzung — ich hatte sie nur vermutungsweise aus-
gesprochen — insofern begründet, als ja das Epistriatum der
Reptilien sich auch als ein Abkömmling des Rindengebiets
erwiesen hat (16). Freilich möchte ich hier gleich hinzufügen,
dass inanbetracht dessen, dass die Säugetiere nicht von Reptilien,
sondern beide von Stegocephalen- Amphibien abzuleiten sind,
Epistriatum und Linsenkern nur gleiche Wurzeln haben, aber
dann eigene Entfaltungswege gingen.
Als basales Vorderhirnbündel bezeichnete ich (15,
16, 17) das gesamte Bündelsystem, das einheitlich bei Ichthyden,
Amphibien und Reptilien, doch bei Orniden und den Säugetieren
in Abteilungen differenziert, vom Grosshirn in das Vereinsgebiet
des Hypothalamus gelangt um dann durch die Vermittlung jenes
Gebietes mit kaudalwärts im Zentralnervensystem, Metameren-
gehirn und Rückenmark gelegenen Zentren in Verbindung zu
treten.
Es zeigt sich, wie schon bei der Maus, dass dieses Bündel-
system in zwei Unterabteilungen zerfällt. Es sammelt sich ja aus
der gesamten Hirnrinde, mit Ausschluss der Ammonswindungen,
und durchsetzt das Striatum oder Nucleus caudatus, dann aber
zerfällt es in ein im Thalamus ganz lateralst hinziehendes
(Figg. 8—12 bvhb.) und ein mehr diffuses inneres Fasersystem.
Obgleich nun auch dieses innere System Fasern aus der Pallial-
rinde bezieht — beziehungsweise dorthin gelangen lässt — so
stammen viele seiner Fasern direkt aus dem Striatum. So liegt
ein feinstes markhaltiges Netzwerk zwischen Striatum und Linsen-
kern (Fig. 10) und dürfte ein gut Teil des Bündelsystems von
hier herstammen. Es zieht dann dieses lockere Bündelsystem
medianwärts vom lateralen basalen Vorderhirnbündel subthalamal
(Figg. 9, 10, 12, 13 €) und endigt zum Teil im Gebiete des
Ganglion hypothalamicum medium der gleichen Seitenhälfte, zum
Teil aber geht es eine Kreuzung ein, so die Commissura post-
optica bildend und gelangt in das gleiche Ganglion der anderen
Seite. Es handelt sich hier wohl um die Haubenbahn der höheren
Formen und um eine Bahn, die bei den Ichthyden die grösste
Masse des basalen Vorderhirnbündels ausmacht, da der-andere
Teil desselben wegen noch geringer Entfaltung des Mantels selbst
133 B. Haller:
gering ist. Der äussere Teil des basalen Vorderhirnbündels ver-
dichtet sich zu einem kompakten Bündel (Figg. 9, 10, 12, 13
bvhb.) und zieht in der schon angegebenen Weise nach hinten
in das subthalamale Vereinsgebiet. Es verhält sich hier genau
wie ich dies für Fische, Reptil und der Maus geschildert habe.
In dieser Weise erreicht es das, bei den zwei Fledermäusen
nach aussen stark vorspringende Ganglion hypothalamicum laterale
(ehy) und lässt einen grossen Teil seiner Fasern in ihm enden
(Figg. 10, 13). Der mediale Teil der Fasern aber umgreift das
Ganglion interpedunculare (Fig. 9, g. ip) hinter ihm eine Kommissur
bildend und gerät auf diese Weise in das Vereinsgebiet der
anderen Seitenhälfte, um dort im Ganglion hypothalamicum late-
rale, dem sogenannten Luysschen Körper, zu enden.
Es sind also hier genau dieselben Verhältnisse vorhanden
wie bei der Maus,!) und ich kann, was ich bisher behauptet, nicht
fallen lassen, dass nämlich keine Grosshirnbahn direkt in das
metamere Gehirn gerät, sondern der Zusammenhang
zwischen Grosshirn und dem metameren Hirn und
Rückenmark durch die Einschaltung des hypothala-
malen Vereinsgebietes erzielt wird. Weiter unten
möge übrigens auf diesen Punkt nochmals eingegangen werden
bei der Besprechung der Zustände bei den Musteliden und hier
möchte ich bloss noch beifügen, dass ich auch bei Erinaceus zu
demselben Resultate gelangt bin.
Hier mögen nun die dorsalen Rindenbahnen im Zu-
sammenhang mit den Riechbahnen erörtert werden.
Was zuvörderst die Corona radiata betrifft, so sammelt sich
dieselbe aus dem ganzen Pallium und besteht aus zirkulär hori-
zontalen und schief von oben nach unten oder ganz vertikal nach
dieser Richtung orientierten Fasern. Aus dem Öceipitalpol
(Fig. 4 ol) gelangen an der dorsalsten Hälfte noch keine Fasern
in die Corona (er), sondern die sich hier sammelnden Längsfasern
alle in den Alveolarbündel (al), während erst mit Beginn der
Temporalregion die Fasern sich der Corona beigesellen. So bis
zur Höhe des Balkenknies. Unterhalb dieser Horizontalebene
gelangen aber alle Fasern aus dem Oceipitalpole in die Corona
(Fig. 5). Dies trifft freilich nur für den Oceipitalpol zu, denn
!) Vergl. mit Fig.9 die Fig. 27 meiner Arbeit über das Mäusehirn (17).
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 139
etwas dorsalwärts davon reicht die Coronalfaserung weiter nach
kaudalwärts (Figg. 1—3 er.). Es ist also hier am oceipitalen Pole
eine Gegend vorhanden, die als ein Übergangsgebiet in die
Ammonsfalte auch histologisch gelten kann.
Aus der dorsalsten Gegend des Occipitallappens sammelt
sich auch ein mächtiges Bündelsystem (Figg. 1—3 cm), welches
anfangs noch einheitlich, während seines weiteren Verlaufes zu
einem mehr oder weniger diffusen wird. Es zieht dieses Bündel-
system dorsal von der Ammonswindung, entlang der ganzen
medianen Seite der Hemisphäre nach vorne zu (Textfigg. 2. A. B. cm)
bis in den Stirnpol hinein. Hier angelangt, strahlt es in den
Fig. 6.
Vespertilio murinus. Querschnitt aus der postepiphysalen
Gegend durch die Ammonsfalte und den über ihr liegendem
Schläfenlappen. F — Fimbria; cr, cr’ = Corona radiata;
c.b. —= Circularfasern; sz.s = Stratum zonola sup.; cm =
Cingularfasern; af — Alveolarfasern; Fd = Fascia dentata
des Gyrus ammonis Ga.
Stirnpol aus. Es handelt sich hier somit um ein Associations-
system von Fasern, die u.a. den Oceipitalpol mit dem Stirnpol ver-
binden und als Cingulum bezeichnet werden darf. Es verbindet
mit dem Stirnpol scheinbar sowohl das Pallium als auch die
Ammonsfalte. Es kommt ja dieses Bündelsystem aus einer Gegend,
welche eben den Übergang zwischen Pallium und der Ammons-
falte darstellt. Immerhin ist eine Scheidung zwischen den Schichten
dieser cingularen Bahn möglich. Querschnitte durch die Gegend,
in der sich die Fimbria zu sammeln beginnt (Textfigur 6), haben
140 B. Haller:
ergeben, dass das Cingularsystem seine Lage genauestens an der
Umbiegungsstelle des Palliums in die Ammonswindung hat (cm).
Während nun am Polende die Fasern aus dem Pallium natur-
gemäss geraden Verlaufes in das Bündelsystem gelangen (Figg. 1, 2)
beschreiben weiter frontalwärts zu diese Fasern um die mediane
Faltung einen Bogen (Textfigur 6 cb), um in das Cingularbündel
(em) zu gelangen. Sie nehmen hier dann eine dorsale Lage ein.
Die untere Lage dieses Bündelsystems besteht aber aus Fasern,
welche direkt aus der dorsolateralen Lage der Ammonsfalte,
unter der alveolaren Lage derselben (af) herrühren.
In gleicher Lage zieht dann dieses Cingularsystem nach frontal-
wärts (Textfigur 7 cm). Im frontalen Pol ist das Verhalten der
Fasern ein ungleiches, insofern sie nicht alle im Stirnpol ihr Ende
(oder Beginn) finden. Ein grosser Teil dieser Fasern strahlt
jedenfalls im Frontalpole aus, ein anderer Teil aber biegt vor
dem Pallialbalken nach ventralwärts, um in das Septum pellu-
cidum zu gelangen (Textfigur 4s). Es sind hier jedoch die Ver-
hältnisse nicht so einfach, dass man mit Bestimmtheit sagen
könnte, welche der beiden Fasern sich so und welche sich so ver-
halten. Es wird das eingulare Bündelsystem hier überwölbt von
zirkulären Fasern aus dem Pallium oder von solchen durchsetzt.
Von diesen Fasern gesellen sich die der tieferen Lagen dem
Pallialbalken (cc) zu, die unteren jedoch biegen im Septum ab-
wärts. Ähnlich verhalten sich die tieferen Lagen des Cingular-
systems. Diese aus der Ammonswindung kommenden Fasern sind
aber nur in den hinteren Gegenden von den echten Alveolar-
fasern zu trennen, weiter vorne aber, am Knie des Balkens, ist
dies weniger möglich. Hier (Textfigur 7) liegt das alveolare
System (af), das dann in das Psalterium (ps) einwärts biegt, auf
dem Querschnitt zwar neben dem cingularen (cm), allein hori-
zontale Längsschnitte zeigen (Fig. 3), dass Alveolarfasern
auch in den Stirnpol ausstrahlen (cm).
Fassen wir nun das hier über das Cingularsystem ermittelte
zusammen, so würde sich Folgendes ergeben. Das Alveolar-
system von Vesperugo und Vespertilio ist ein Längsfasersystem
gemischter Natur, in welchem ammonale und palliale Fasern ver-
laufen. Diese stammen zum grössten Teil aus dem Oceipital-Pol,
doch gelangen solche auch als Cireularfasern aus dem übrigen
Pallium hinein. Am Stirnpol angelangt, strahlen dann diese Fasern
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 141
teils in denselben aus, teils gelangen sie in das Septum pellu-
cidum, oder besser gesagt, ziehen sie vor demselben ventralwärts.
Dabei ergab sich, dass Fasern im Stirnpol enden (oder beginnen)
können, während andere nach ventralwärts biegen. Indem ich
das Cingularsystem bei Erinaceus noch berücksichtigen werde,
möchte ich hier erwähnen, dass Zuckerkandl (39) bei dem
Marsupialier Parameles Fasern beschrieben hat, die aus dem occi-
pitalen Pallium, genau an der Umbiegung in die Ammonsfalte,
Fig. 7.
Vespertilio murinus. Oberes rechtsseitiges Stück von einem Querschnitt
durch die mittlere Gegend des Grosshirns. Ga = Gyrus ammonis. ep — Epi-
physe; ps = Psalterium ; cf — Columna fornieis ; str = Striatum ; cr —= Corona
radiata; af — Alveolarbündel; cm = Cingularfasern.
Fasern in den Alveus treten sah, die dann mit diesem verlaufend
im Balkensystem zur Kreuzung gelangen. Indem ich hier dies
bloss erwähne und weiter unten darauf zurückkommen will,
möchte ich mitteilen, dass solche Fasern auch bei den zwei von
mir untersuchten Mikrochiropteren sich zeigten. In dem dor-
salen Bezirk, in dem, wie schon erwähnt wurde, der Oceipital-
142 B. Haller:
lappen (Fig. 4 ol) zur Vermehrung der Coronalfasern nicht bei-
trägt, gelangen die Fasern alle in den Alveus (al); weiter dor-
salwärts ist dies noch nicht der Fall (Fig. 1,2). Es handelt sich
also genauestens um die Umbiegungsstelle des Occeipital-
palliums in die Ammonsfalte. Ob diese Fasern nun im Balken-
system zur Kreuzung gelangen — sie werden genau an dem
Balkenknie, dem Splenium (bk) an das Balkensystem geführt und
könnten dann im Pallialbalken kreuzen — oder die Ausstrahlung
in den Frontalpol eingehen (Fig. 3) liess sich nicht entscheiden.
In beiden Fällen wären aber diese Fasern für die Beurteilung
des Balkens belanglos.
Etwas weiter unten von der angegebenen Stelle treten, wie
schon erwähnt, alle Fasern des Oceipitallappens (Fig. 6 f) in die
Corona radiata (cr) ein, und es wäre darum nur zu leicht mög-
lich, dass es in jenen oben erwähnten Pallialfasern um blosse
Verbindungsbahnen (Associationsbahn) zwischen Ocei-
pitalpol und Stirnpol handelt, wofür ich sie auch halte.
Es verlaufen dann die Coronalfasern bis zum Streifenkörper,
dem Striatum (Fig. 5 str), um dann dort nach ventralwärts ziehend,
in der Kommissura anterior zu kreuzen, denn nur die Fasern
des Stirnpols gelangen bei diesen Chinopteren im
pallialen Balken zur Kreuzung.
Am Knie gelangt die Fimbria an das Balkensystem.
Die Ammonswindung besteht aus einer ventralen und einer
dorsalen, hinten in einander übergehenden Hälften. Die obere
Hälfte (Fig. 21 ga) liegt über dem Balkensystem, die untere (ga‘)
im Unterhirn. Diese Auffassung Zuckerkandls ist die einzig
richtige. Es sammeln sich nun die Rindenfasern aus beiden
Teilen der Ammonswindung medianwärts in der Fimbria (Fi).
Unterhalb, eigentlich vor der Fascia dentata befindet sich die
Fimbria, um von aussen nach innen und frontalwärts (Figg. 5, 6,
7 Fi) zum Balkensystem zu gelangen. Ihre obere hintere Hälfte
bildet die Verbindungsbahn (Fig. 4 violett) zwischen dem innern
und dem lateralen Teil der Ammonsfalte. Das frontalwärtige
Bündel ist die eigentliche Fimbria, d. h. jenes Fasersystem, welches
die Ammonswindung mit der Ganglia arcae olfactoriae zusammen-
hält. Medianwärts, wo die beiderseitigen Ammonsfalten sich be-
rühren, befindet sich zwischen ihnen das Psalterium (Textfigur 3),
ein reines Kommissurensystem zwischen beiden. Anders die
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 143
Fimbria. Gerade so, wie ich es für die Maus beschrieben und
abgebildet habe (1. c. Fig. 25), führt die Fimbria am Septum nur
an ihrer hinteren Seite reine Kommissuralfasern (Figg. 5, 7), ihr
ganzer vorderer Teil aber wird von nicht gekreuzten Fasern ein-
genommen, die gleichseitige Bündel des Tractus areo-septalis,
des Riechbündels sind, und welche auf diese Weise dann in die
Ammonswindung der gleichen Seite gelangen. Es sammelt somit
die Fimbria ihre Fasern aus einem Gebiet, zwischen der dor-
salen und ventralen Ammonswindung, während diese oben und
unten ihre Kommissuralfasern zum Psalterium werden lassen.
Etwas unterhalb des Balkenknies sieht man darum auf Horizontal-
schnitten (Fig. 7) vorne die dorsale Lamelle des Balkens oder
den pallialen Balken (cc) liegen. Hierauf folgt eine verhältnis-
mässig schmale Zone im Septum, das innen die zerstreut liegenden
Fornixfasern und seitwärts von diesen in Bündeln (rs) die Riech-
bündel führt. Dann folgt das System des Psalteriums (Text-
figur 3) nach unten und hinten. Das Psalterium (Textfiguren 5,
7 ps) konstruiert sich von Alveolarfasern (af), die ja mit jenen
der Fimbria eine Markhülle um die beiden Gyrii ammonis bilden.
Enden oder beginnen diese Fasern auch in der Ganglienzelllage
der grossen Pyramidenzellen des Gyrus, so ist hinten, an der
Umbiegungsstelle der Ammonsfalte in den Oceipitallappen (Fig. 6 ol)
eine Stelle vorhanden, um die Fasern des Funiculus cortico-
dentatus (f.cd), von den grossen Zellen aus der Höhle der
Fascia dentata kommend, auseinander gehen, diese Einzelbündel
die Ganglienzellenschichte der Ammonswindung durchsetzen und
auf diese Weise dann zu Alveolarfasern um den Gyrus werden.
Auch auf der medianen Seite gelangen Fasern (v) bis in die
Höhle der Fascia dentata (s. auch Textfigur 6 Ga).
Aus dem Funieulus cortico-dentatus spaltet sich aber ein
Bündelsystem ab (Textfigur 6 u. Fig. 6 sz.e), welches dann in die plexi-
forme Schicht des Oceipitallappens gerät. Diese Schicht umgreift
den Occipitallappen auch von innen (Textfigur 6 sz. i) und setzt
sich dann in gleicher Weise auch auf die übrige mediale Seite
des Palliums, bis zum Pallialbalken fort (Textfigur 3, Figg. 1, 2,
7, sz.i.) auf diese Weise das Stratum zonale subiculi
externum und internum bildend.
Es sind die Ganglia areae olfactoriae bekanntlich
bei allen Chiropteren mächtig entfaltet. Ueber dieses Verhalten
144 B. Haller:
haben uns von Vespertilio murinus Flatau und Jacobsohn
eine vorzügliche Abbildung beschert. Wie auf dieser Abbildung
(1. c. Taf. VII, Fig. 5) ersichtlich, wird jedes Ganglion, das äusser-
lich Tubereulum olfactorii heisst, von einem weissen Fasersystem
aus dem Bulbus olfactorius umgrenzt, welches die Autoren als
Radix olfactoriae lateralis bezeichnen. Diese Wurzel ist der Funi-
eulus olfactorio-corticalis inferius (Figg. 10, 11, foc. i),
indessen der Tractus cruciatus olfactorii oben zuvor in
einzelnen Bündeln, zerlegt, durch die Zelllage der Rinde hindurch
(Fig. 9 tbs, tbs‘) zur Kommissura anterior gelangt, tiefer unten
aber ein kompaktes Bündel bildet (Fig. 10 ca).
Aus dem mächtigen, jedoch schon zweigeteilten Ganglion
areae olfactoriae (Fig. 11 gao) gelangt medianwärts der Funi-
culus areo-septalis (Textfig. 2 B) im Septum pellueidum nach oben,
um dann seitwärts biegend zur Fimbria zu werden (Fig. 7). Nach
kaudalwärts zu zieht ein ansehnliches Tractus lobi olfactori
vereint mit dem Tractus areae olfactoriae.
B. Erinaceus.
Als gemeinsames Merkmal des Grosshirns der Insektivora
führt Leche (19) folgendes an: „Grosser Bulbus olfactorius und
starke Ausbildung des gesamten Rhinencephalon; glatte oder fast
glatte Grosshirnhemisphäre; Corpora quadrigemina mehr oder
weniger bedeckt; .... schwaches Corpus callosum.“ ') Die schwache
Entfaltung letzterens ist übrigens schon früheren Forschern
bekannt gewesen, ich nenne hier nur Eliot Smith (24, 25),
Beddard (2) und Flower (10), der auch eine gute Abbildung
eines medialen Sagittalschnittes vom Igelgehirn gegeben hat.
Auch Ziehen (37) erwähnt dessen, der die grosse Ähnlichkeit
des Igelgehirns mit dem des Marsupialiers Parameles betont. ?)
Eine gute Abbildung des äussern Verhaltens gibt ferner Leche
(l. c. Fig. 1), und gaben früher schon Flatau und Jacobsohn
ı) Widersprechen muss ich dagegen Leche, wenn er auch den Glires
einen geringen Balken zuschreibt, denn die haben bekanntlich schon ein
ansehnliches Balkensystem.
?®) Doch kann es sich hier nur um die äussere Form handeln, denn
eben nach Ziehens Abbildung (Fig. 93) dürfte der Balken von Parameles
geringer sein als jener von Erinaceus.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 145
(1. c. Taf. VII, Fig. 4). Leches Abbildung eines sagittalen Längs-
schnittes steht an Genauigkeit jener von Flower nach.
Nach allen diesen Angaben bedeckt das Grosshirn die Vier-
hügel nicht und nach Flatau und Jacobsohn bleibt selbst die
Epiphyse unbedeckt. Ausser einer Rhinalfurche, ist bloss noch
ein quergestellter Eindruck auf dem Stirnhirn vorhanden, sonst
ist das Grosshirn völlig lissencephal.
Diesen Angaben habe ich nach eigenen Untersuchungen
nichts beizufügen, ich kann sie bloss bestätigen und somit beginne
ich gleich mit den Strukturverhältnissen.
Die Abbildungen über den Igelbalken früherer Autoren
lassen über den Grad der Entfaltung im Unklaren, da sie sich
nicht auf mikroskopische Beobachtungen stützen. Erkennen
lassen sie bloss, dass ein geringes Balkensystem vorliegt, das
infolgedessen noch nicht horizontal, sondern etwas schief nach
oben zu gerichtet ist.
Jener quergestellte Eindruck auf dem Stirnpol scheint mir
auch nicht die verdiente Würdigung gefunden zu haben und dies
wohl auch aus dem Grunde, weil das Hirn auf Schnitten nicht
untersucht wurde und äusserlich jener quergestellte Eindruck
nichts Auffallendes ist. Und doch hat diese beginnende Quer-
furche — welche mit jener von Vesperugo und auch der Mar-
supialier, wo sie Ziehen Fissura primigenia nennt, wohl
gleich zu stellen wäre — eine höhere Bedeutung, da sie das
Stirnhirn der übrigen Grosshirnhemisphäre gegenüber abgrenzt.
Am tiefsten ist dieser Eindruck lateralwärts, wo er geradezu zu
einer Furche wird (Fig. 20 qf); weiter medianwärts wird er
seichter, doch noch immer gut kenntlich (Fig. 16 qf), um dann
medianwärts sich nur noch als geringe Delle (Fig. 15) zu erhalten.
Es wird durch die Querfurche somit der Stirnpol gut abgegrenzt,
wie dies übrigens an Leches Abbildung (l. c. Fig. 1) gut zu
sehen ist.
Es zeichnet sich der Stirnlappen lateralwärts durch eine
periphere, markhaltige Faserlage, in der überall bei Erinaceus
dicken, hier aber sehr dicken plexiformen Schnitte aus (Fig. 20 i),
welche von aussen den Lappen schalenförmig umgreift und
ventralwärts vor dem Tuberculum s. Ganglion areae olfactoriae
(g.ao.) in den Funiculus olfactorio-corticalis inferius (foe. i.)
übergeht. Gegenüber dieser Stelle liegt ja unter der Rinde in
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 10
146 B. Haller:
der praecommissursalen Markmasse auch der Funiculus
olfactorio-corticalis superius (f.oc.s.), der dann median-
wärts in den Bulbus olfactorius hineingreift (Fig. 19, f. oc. s.).
Sowohl die starke Entfaltung dieser Fasersysteme, wie auch jene
des Traetus cruciatus olfactorii (t bs) — der aus sehr breiten
markhaltigen Fasern besteht, die im Bulbus (bof) in sehr feine
markhaltige Äste sich aufsplittern — beruht ja auf der sehr
hohen Entfaltung des gesamten Rhinencephalons. Denn diese
hohe Entfaltung dürfte nur noch durch Talpa erreicht und durch
die Edentaten Dasypus und Bradypus übertroffen sein. Ent-
sprechend diesem Zustande ist auch die Commissura
anterior mächtig entfaltet, allein dies rührt eben nur von ihrem
Riechbündelteil her. Dieser, an den mächtigen Fasern erkenntlich,
lagert in der Commissur (Figg. 14A, 15ca) vorne und reicht
bis zum obern Rande des Querbündels hinauf. Dass dem wirklich
so ist, geht aus lateralwärtigen Sagittalschnitten hervor, wo
dann der Riechteil (Fig. 16 ca) sich vom übrigen Bündelsystem (ca‘)
abhebt. Dieser letztere besteht aus zwei Bündelteilen, einem
feinfaserigen mittleren und grobfaserigen hinteren (Fig. 17).
Letzterer ziecht dann (bei den Chiropteren nur wenig entfaltet)
medianwärts (Fig. 18 fst) nach oben in den Kopf des Striatums
und ist zum Teil homolog dem von mir bei der Maus be-
schriebenen Funiculus striati s. Stria terminalis Autorum (l. c.
Fig. 17. st). Nur der feinfaserige Teil bleibt dann übrig, um in
die Corona des Oceipitalpoles und in die übrige Corona radiata ein-
zudringen, denn ein Teil davon gelangt in den Linsenkern (Fig. 20 Ik).
Es ist also der Anteil der Corona radiata, welcher
in der Commissura anterior sich kreuzt, schon be-
deutend geringer, als bei den oben behandelten
zwei Chiropteren.
Während dann bei den Chiropteren das ganze aufsteigende
Fasersystem aus der Commissura anterior in die Corona, einheit-
lich ist (Fig. 21, er‘), zerfällt es bei Erinaceus in untere Bündel
(Fig. 20 er‘) von denen der vorderste lateralwärts bis zum Stirn-
pole reicht (z). Diese ventrale Verbindung mit dem Stirnpol
zeigt sich ja auch bei den zwei Chiropteren (Fig. 21 z).
Während also die Coronalfasern der Stirnpole
sowohl bei dem Igel als auch bei Vespertilio und
Vesperugo im pallialen Balkenteil, der dorsalen
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 147
Lamelle des Balkens, kreuzen, gelangt der ventralste
Teilnoch in der Commissura anterior auf die ander-
seitige Hirnhälfte.
Denken wir uns die Commissura anterior, soweit eben der
coronale Teil in Betracht kommt, als den Stiel eines Malerpinsels
und diesen auf eine Fläche so festgedrückt, dass die Haare nur
nach einer Richtung, nämlich der Corona radiata zu, auseinander
gehen, so werden wir so ziemlich das Bild von dem obigen
Verhalten uns bilden. Die frontalsten Haare wären dann die-
jenigen, welche die Faserbündel in den Stirnpol vorstellen
würden (Figg. 20, 21 z).
Diese Fasern zeigen uns dann den Weg, welchen
die Fasern der Commissura anterior, etwa im Sinne
Eliot Smiths in seinem Kommissurenbett, ge-
wandert sein müssen um in den pallialen Teil des
Balkens, in die dorsale Balkenlamelle, zu gelangen.
Indem diese Auffassung im allgemeinen Teil der Arbeit noch
erörtert werden soll, will ich hier das Verhalten des Balken-
systems vom Igel beschreiben.
Es sammeln sich die Fasern aus dem ganzen Pallium zur
Corona radiata (Fig. 20 cr), wobei sie dem occipito-temporalen
Mantelteil zu mit den Fasern des Funiculus thalamo-prosencephalicus
(f.thp) vermischt sind. Es bildet dann der Bogen den die
Corona lateralwärts darstellt, eine knieförmige Beuge (gerade dort
wohin die unterbrochene Linie von cr auf Fig. 20 einsetzt). Es ist
dies ziemlich der Markstein, bis wohin die Coronalfasern aus
dem occipto-temporalen Mantelteil reichen und an dem die Coronal-
faserung des Stirnpoles oder Stirnlappens endet. Die hintere
Grenze des Stirnhirns fällt hier lateralwärts ziemlich mit
der Querfurche hinter dem Stirnpol (qf) zusammen. Ich habe
diese Grenzmarke mit einer unterbrochenen Linie eingezeichnet
auf drei Figuren (Figg. 15, 16, 20). Die Stabkranzfasern nun,
welche sich hinter dieser Linie sammeln, kommen alle in der
Commissura anterior zur Kreuzung, die aber im Stirnpol selbst
(stl), gehören, mit Ausnahme der schon angeführten ventralsten,
der oberen Lamelle des Balkens an. Damit ist aber ein wich-
tiger Punkt für die Grosshirnentfaltung angegeben.
Es zeigt der Balken, im mediansten Sagittalschnitt be-
trachtet, eine insofern andere Form (Fig. 14 A) wie bei Vespertilio
10*
148 B. Haller:
(Fig. 14 B), als das hintere Ende oder das Balkenknie an dem
sonst noch aufrecht orientierten Balken eine nach unten zu ge-
richtete geringe Biegung erfuhr, womit der Balken die horizontale
Lage einzunehmen begonnen hat.
Es besteht also dieser Balken (Fig. 14 A) aus dem mächtiger
als bei Vespertilio entfalteten pallialen Teil oder der dorsalen
Lamelle (cc), dem Knie (Genu corporis callosi) und dem
Psalterium oder der ventralen Lamelle (ps) des Balkens. Das
mächtige Funiculus areae-septalis (rs) zieht jederseits im Septum-
teil in den Balken hinauf. Sowohl die dorsale, als auch die
ventrale Balkenlamelle zeigt ihre Querfasern in Bündeln geordnet,
zwischen denen vielfach Gefässe verlaufen oder Fasern aus dem
Riechbündel einbiegen.
Fig. 8.
Erinaceus europaeus. Sagittaler Schnitt durch die
dorsale Ammonsfalte und dem Schläfenlappen. Der
Schnitt ist acht Schnitte weiter medianwärts von dem
auf Fig. 16 abgebildeten. er, cr‘ —= Corona radiata;
Fd — Fascia dentata; Fi = Fimbria; f. cd — Funiculus
cortico-dentatus.
Bevor ich weiter ginge, möchte ich noch erwähnen, dass
gleich wie bei den beiden Fledermäusen, ich auch hier den
Tractus septalis (f) aus dem vordern Balkenende nach hinten
zu gerichtet im Septum erkennen konnte.
Ein etwas lateralerer Schnitt (Fig. 15) als der vorige zeigt
die dorsale Lamelle oder den pallialen Balken (ce) in verlängerter
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 149
Form, gleich wie zuvor aus bündeln zusammengesetzt. Zwischen
dem Balkenknie und dem pallialen Balken befindet sich hier ein
scheinbarer Spalt (v), den ich darum erwähne, um darauf auf-
merksam zu machen, dass dieser etwa keine Grenze bezeichnet
— der palliale Balken reicht ja bis in das Knie (bk) hinein —
sondern bloss einem stärkern Gefässaste zum Durchtritte dient.
Aus dem Knie selbst geht hier ein Bündelsystem hervor,
das dann nach ventralwärts sich fortsetzend, mit einem mächtigen
Fasersystem aus dem Psalterium vereinigt zur Columna
fornicis (cf) wird.
Rechts und links über dem Balkensystem befindet sich das
Cingular-Fasersystem, in dem nun aber eine Trennung der
ammonalen Fasern von den rein pallialen eingetreten ist.
Das palliale Cingulum zieht lateralwärts unter der
mächtigen Rinde und über der Corona radiata gelegen bogen-
förmig über die Corona hinweg, von hinten nach vorne zu
(Fig. 16, cm‘). Es besteht aus dichter gestellte Fasern und man
sieht fortwährend aus dem Stabkranz Faserbündel in dasselbe
eintreten. Über ihm liegt aber, weit in die Rinde hineinreichend,
ein weit lockeres, gleich verlaufendes Fasersystem. Diese oberen
Fasern stellen Associationsbahnen zwischen Occipital und Stirn-
pol dar, doch sind auch Fasern darunter, die Zwischenstrecken
untereinander verbinden. Das tiefere Cingularsystem dagegen
ist eine Verbindung zwischen dem ganzen Oceipito - Temporal-
lappen einerseits und der ventralen pallialen Rinde des Geruchs-
gebietes, da die Fasern vor dem Balkensystem hier nach unten
biegen.
Das ammonale Cingularsystem besteht aus ge-
schlossenen medianwärts gelegenen Bahnen über dem Balken
(Fig. 15, cm). Es kommt ausschliesslich aus der Ammonsfalte
her (ga), doch möchte ich gleich bemerken, dass auch das Stratum
'zonale subiculi internum, das ja bei den beiden Chiropteren noch
in der plexiformen Schichte dahinzog (s. Textfig. 2, 3), jetzt ver-
eint mit dem ammonalen Cingulum verläuft. Es hat sich
somit bei Erinaceus bereits das palliale Cingulum
vom ammonalen getrennt und während ersteres die
frühere Lage unter der Rinde beibehalten hat, ist
die ammonale in die plexiformen Schichte geraten,
dort mit dem Fasersystem (stratum zonale) sich ver-
150 B=Hfasliler:
einigend. Dabei geraten Fasern (Fibrae perforantes) aus: ihm,
das Corpus callosum durchsetzend, in das Septum pellueidum.
Schon bei der Maus habe ich darauf hingewiesen, dass das
ammonale Cingulum aus Fasern des Funiculus olfacto -corticalis
besteht, die nach hinten ziehen (l. e. pag. 456) um in den Gyrus
ammonis zu geraten. Obgleich ich dort den Unterschied zwischen
ammonalem und pallialem Cingulum nicht machte, habe ich doch
auch solche Fasern im Cingulum beschrieben, die rein pallialen
Ursprungs sind. Und so ist es auch, allein ein Fehler ist mir
damals doch eingeschlichen und dieser liegt in dem Unterlassen
der genauen Angabe über die Lage der Cingularfasern. Das
palliale Cingulum liegt auch dort lateralwärts, d.h. median an
der Corona radiata in der Rinde selbst und das ammonale
Cingulum der plexiformen Schichte, genau wie bei Erinaceus.
Entsprechend den Verhältnissen gerät keine palliale Faserung
mehr in das ammorale Cingulum, jenes Verhalten war somit ein
primärer Zustand bei Vespertilio und Vesperugo und kann somit
bei der Balkenfrage nicht in Betracht kommen, da ja jenes palliale
Fasersystem nicht zur Kreuzung gelangt.
Ich finde an allen meinen Schnitten, dass nur Fasern aus
dem Fasciculus cortico-dentatus (Textfig. 8 f. cd und Fig. 20) in die
alveolare Lage geraten, aber nirgends palliale Fasern wie bei den
beiden Chiropteren und wie nach Zuckerkandl bei Parameles.')
Es reicht der dorsale Gyrus ammonis auch nicht mehr so
weit nach vorne wie bei den Chiropteren, denn er überschreitet
bloß das Balkenknie, der palliale Balken hat ihn zurück-
gedrängt. Dafür ist er aber auffallend mächtig, entsprechend
!) Bekanntlich sind jetzt ziemlich alle neueren Autoren darüber einig,
dass im Cingularsystem zwei verschiedene Faserkategorien zu unterscheiden
sind, wie ich dies für die Maus schon früher vertrat. Die zwei letzten
Autoren über das Cingulum sind Zuckerkandl (41) und Redlich (32)s
Ersterer kommt bei Dasypus zu dem Ergebnis, dass das Cingulum zwei ver-
schiedene Fasersysteme, die auch bezüglich der Kaliberweite der Fasern
untereinander verschieden sind, in sich führt. Das eine System, jenes des
beiderseitigen Gyri fornicati bezieht seine Fasern zum grössten Teil aus
diesem Gyrus, zum geringen Teil aber auch aus der oberhalb davon gelegenen
Hemisphärenwand. Das andere System liegt jederseits im Gyrus supracallosus
(Striae longitudinales Lascitii der höheren Formen) und stösst seitwärts an
das Cingulum Gyri fornicati. Es geht die ventrale Hälfte dieses Systems
aus der ventralen Fläche des Splenium c. callosi vorliegendem Stück der
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 151
den anderen Teilen des Riechhirns. Insbesondere ist in der
mächtigen Falte (Fig. 20) die gewaltige, jedoch glatte, Fascia
dentata (Fd) auffällig. Anfangs sehr stark wird sie dann all-
mählich schwächer (Textfig. 8), um dann in 'eine flache Lamelle
jederseits neben dem Balken auszulaufen, der Stria lateralis.
Entsprechend diesen Zuständen und insbesondere dem starken
Funiculus areo-septalis ist auch die Fimbria (Fi) mächtig entfaltet.
Fassen wir nun das über die beiden Chiropteren Vesperugo
und Vespertilio und das über Erinaceus Ermittelte hier zusammen,
so ergibt sich folgendes.
Unter den beiden Chiropteren zeigt sich ein ziemlicher
Unterschied bezüglich der Grosshirnentfaltung, insofern das Gross-
hirn von Vesperugo pipistrellus niedriger in der phyletischen
Entwicklung steht, als jenes von Vespertilio. Das noch ursprüng-
liche Balkensystem, das als solches schon vorher erkannt ward,
steht in ursächlichem Zusammenhang mit der Entfaltung des
Grosshirns, das bei Vespertilio mit der Balkenentfaltung eine
höhere Gestaltung, wenigstens dem Umfange nach, erfahren hat.
Es ist somit bei Vesperugo pipistrellus ein ursprünglicherer Zu-
stand vorhanden, dem gegenüber jener von Vespertilio einen,
wenngleich nicht sehr viel jüngeren Zustand darstellt. Es
zeigt sich dies hauptsächlich im Balkensystem. Immerhin wäre
es durchaus unrichtig, das Balkensystem von Vesperugo als
das primitivste darstellen zu wollen, denn es ist dort schon ein
gutes Stück Stirnhirnquerfaserung vorhanden, welcher Umstand
Ammonsfalte hervor, indessen die dorsale Hälfte von der „Balkenrindung“
stammt. Es ziehen die Fasern im Gyrus supracallosus nasalwärts.
Diese Fasern nun werden zu Fibrae perforantes, indem sie den Balken
durchsetzen — wodurch das Cingulum an Dicke von hinten nach vorne zu
abnimmt — und gelangen dann in das Septum pellucidum. Der den Balken
nicht durchsetzende vordere Cingulumteil zieht direkt zum Riechbündel.
Redlich kommt mit voller Berücksichtigung seiner und der Befunde
‚seiner Vorgänger zu folgendem Resultate. Es finden sich im Cingulum
-Fasern, welche die einzelnen Abschnitte der medio-dorsalen Windungszüge
der Hemisphären untereinander der Länge nach verbinden, also. echte
Associationsfasern. Der zweite Faserteil verbindet die medio-dorsalen
Hemisphärenteile, die Ammonswindung mitgerechnet, mit basalen, speziell
olfactorialen Bezirken. Hierbei kommt in erster Linie der Fornix longus mit
in Betracht, der die Fibrae perforantes aufnimmt.
152 B. Haller:
die Annahme zulässt, es würden sich wohl auch noch beginnendere
Zustände diesbezüglich auffinden lassen, . die eine vermittelnde
Stellung zwischen den völlig pallialbalkenlosen Zuständen der
Monotremen und diesem ursprünglichen, doch gewiss
nicht ursprünglichstem Zustand von Vesperugo dar-
stellen. Es braucht ja so ein Zustand nicht eben unter den
Chiropteren zu finden sein, wenngleich die Möglichkeit wegen
der reichen Gliederung auch bei den Mikrochiropteren nicht
ausgeschlossen ist.
Das Verhalten bei Erinaceus ist ein höherer phyletischer
Zustand wie jener bei Vespertilio und die Stufenreihe wäre
‚somit: Vesperugo pipistrellus, Vespertilio murinus und Erinaceus
europaeus.
Damit soll aber natürlich nicht gesagt werden, dass
Erinaceus etwa von Mikrochiropteren abstamme. Dies mit nichten.
Wir wissen ja, hierauf hat Zuckerkandl als erster hin-
gewiesen, dass unter den Chiropteren verschiedene phyletische
Zustände des Balkensystems sich vorfinden. So soll nach ihm
Pteropus samoensis ein hoch („komplett“) entwickeltes Balken-
system haben!) (38) und wenn Turners (27) Abbildungen
richtig sind, so ist dies wohl auch bei Cynonyeteris collaris der
Fall. Andererseits hat Eliot Smith bei Miniopterus Schreiberü
und Nyctophilus timoriensis nur ein beginnendes Balkensystem
gefunden (23). Es sind also unter den Chiropteren alle Zustände
vertreten und haben sich diese — deren Stufenleiter erst noch
festzustellen ist — innerhalb der Gruppe entfaltet.
Gleiches gilt auch für die Insektivoren und wir brauchen
uns darum die Ahnen von Erinaceus nicht unter den Chiropteren
zu suchen, da eine andere, dem Igel nahestehende Form,
nämlich Centetes noch ursprünglichere Balkenzustände aufweist,
vielleicht ein solches wie Vespertilio murinus. Nachdem Eliot
) Zuckerkandl sagt: ‚„Vespertilio besitzt nur ein Balkenrudiment,
Pteropus hingegen einen kompletten Balken.“ Ferner „Das balkenwindungs-
lose Gehirn von Vespertilio schliesst sich den der Monotremen und Marsu-
pialier an, während Pteropus mit der zapfenförmigen Balkenwindung sich
den Edentaten, Nagern, Insektivoren und Carnivoren nähert“ (38, pag. 29).
Dazu wäre allerdings zu bemerken, dass die Nager und besonders die
Carnivoren einen hochentwickelten Balken und durchaus keinen „zapfen-
förmigen‘“ besitzen.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 153
Smith und Beddard kurz über den Balken von Üentetes be-
richtet, hat dann Leche auch eine Abbildung (l. ce. Fig. 5) eines
mediosagittalen Längsschnittes von Centetes veröffentlicht. Aus
seiner Beschreibung und auch aus seinen anderen Abbildungen geht
es deutlich hervor, dass das Balkensystem von Centetes ursprüng-
licher als jenes von Erinaceus ist, womit auch zusammenhängen
würde, dass die Querfurche hinter dem Stirnpole fehlt, wie denn
auch das Pallium eine geringere Breite aufweist.
Was Talpa anbelangt, so ist dort wie aus den Angaben von
Ganser (12) zu entnehmen ist, und wie ich es auch aus eigener
‚Erfahrung weiss, ein höherer Zustand des Balkensystems vor-
handen, und damit im Einklang und trotz des Ausfalles vom
pallialen Sehgebiet eine grössere Ausdehnung der Grosshirn-
hemisphären vorhanden — sie bedecken zum Teil die Vierhügel —
wie bei Erinaceus. Sorex weist sogar noch ein entfalteteres
Balkensystem auf als Talpa oder mindestens steht sein Balken-
system auf gleicher Stufe, wie dies ja gerade aus Ärnbäcks
Abbildung (l. c. Fig. 5) hervorgeht, und darum lässt sich sein
Balkensystem mit dem von Vesperugo durchaus nicht auf die
gleiche Entwicklungsstufe stellen wie Augusta Ärnbäck es
meint. Die Stufenleiter für die Balkenentfaltung würde somit
bei den Insektivoren bei Centetes beginnen und mit Erinaceus,
Talpa und Sorex fortsetzen, wobei freilich zukünftige Forschungen
‚möglicherweise nach beiden Enden, Erinaceus und Sorex hin, noch
ausbauen könnten.
Es hat sich somit auch bei den Insektivoren
das Balkensystem ganz unabhängig in der Abteilung
entfaltet und wir brauchen darum nicht auf die Chiropteren
überzugreifen, doch wäre es ja immerhin möglich, ja sogar
wahrscheinlich, dass beide Abteilungen gemeinsame Wurzeln
besitzen, die sehr nahe der der Monotremen stehen
könnten.
Völlig balkenlose Gehirne, d.h. solche, deren
Commissura superior nur Ammonalkommissur ist
und das gesamte Coronalsystem des Palliums in
der Commissura anterior kreuzt, sind mit Sicherheit
nur bei den Monotremen bekannt, womit durchaus nicht be-
hauptet werden soll, dass es nicht solche Zustände auch unter den
Marsupialiern vielfach geben würde. So halte ich es sogar für
154 B. Haller:
sehr wahrscheinlich nach Abbildungen anderer, so von Retzius,
dass Didelphys virgiana keinen Balken, sondern oben nur eine
ammonale Kommissur besitzt. So dürften sich auch Phascolaretos
verhalten indessen bei Aepyprimnus, Pseudochirus und Macropus
ein beginnender Balken, wohl noch ursprünglicher als bei
Vesperugo, wohl aufgedeckt werden wird und vollends für
Parameles glaube ich nach der Abbildung eines Sagittalschnittes
von Ziehen (37, Fig. 93) annehmen zu dürfen, dass ein
Kommissurensystem auf der Stufe wie bei Vesperugo etwa schon
besteht. Indessen dürfte Phascolomys ein Balkensystem besitzen,
das jenem von Erinaceus fast gleichkommt. Begründete Angaben
stehen leider noch immer aus. Jedenfalls würde sich auch hier
bewähren, dass die Grosshirnentfaltung innerhalb der
Abteilung, doch nach den gleichen Gesetzen sich
vollzog wie bei den Chiropteren und den Insektivoren.
C. Musteliden.
Mehr als ein Grund bewog mich dazu, das Grosshirn der
Musteliden zu einer Betrachtung heranzuziehen. Erstens wusste
ich aus eigener Erfahrung, dass ihr Grosshirn, was die Oberfläche
betrifft, unter allen vollzogenen gyrencephalen Pallien zu den
primärsten gehört, dann aber war auch die leichtere Beschaffung
des Materials und die geringe Grösse des Gehirns, mit dessen Be-
arbeitung geringere Kosten verbunden sind, freilich entscheidend.
Das Material bestand aus den Gehirnen von Mustela foina,
Eckleben, von Putorius putorius L. und einigen Hirnen von
Putorius vulgaris Briss. Dieses reiche Material verdanke ich
Herrn A. Siegel, Besitzer des Schwefelbades Langenbrücken
bei Bruchsal, der, wie sein greiser Vater es meisterhaft versteht,
bei einem frischen Schnee durch Fallenlegen diese Carnivoren
zu erbeuten. Die Köpfe dieser wurden mir dann frisch zuge-
schickt. Hierfür nochmals meinen innigsten Dank!
Über das Gehirn der Musteliden sind einige Angaben in
der Literatur vorhanden. So haben Leuret und Gratiolet
in ihrem rühmlichst bekannten Werke (20) auch das Gehirn
des Steinmarders, des Wiesels, des Fischotters beschrieben und
abgebildet. Auch findet sich die Beschreibung und Abbildung des
Gehirns zweier anderer Sohlengänger, des braunen Bären und des
braunen Coati (Nasua rufa) dort.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 155
Das Grosshirn von Mustela foina ist von oben naturgetreu
wiedergegeben, da jedoch weder eine Seitenansicht noch ein
medianes Bild entworfen ward, so will ich gleich an meine eigene
Beschreibung gehen, da die Nomenklatur dies doch erfordert.
Gleich vorausschicken möchte ich, dass ich auch das Gehirn
von Putorius putorius jenem des Steinmarders durchaus gleich
fand; die Unterschiede beziehen sich auf einige sekundäre Furchen
bei dem Steinmarder, wodurch dieser etwas phyletisch jünger
erscheint,
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Mustela foina. A Das Grosshirn (linke Seite) von oben. B von der Seite.
C Putorius putorius. Das Grosshirn von der Seite. Die Linien be-
zeichnen die Schnittrichtung der Textfiguren gleicher Nummern. In € ist mit
schwarz die Lage des Insulagebietes bedeckt von Operculum op eingetragen.
gp — Gyrus pyriformis; lsi = Lobus supra insularis; Fs = Fissura Sylvü-
‚st!! = äusserer und innerer Stirnlappen; k = Kniegyrus; s — Sulcus inter-
frontalis (Zwischenstirnlappen-Furche); s! = F. genualis externa; s? = F.
genualis lateralis; s®—=F, lateralis; st = Fissura eruciata; s® — F. antesylvia;
s° — F. postsylvia (postsplenialis Aut.); s®’ = F. ocecipitalis; s® — F. tem-
poralis; ss — F. suprasylvia; gl = Gyrus lateralis; srh = Sulcus rhinalis.
Der Bulbus olfactorius setzt sich unten mit der bekannten
Einschaltung in den Gyrus pyriformis fort (Textfig. 9 gp). An
‚ersteren stösst nach hinten der Lobus, an diesen der Stirnlappen.
156 B. Haller:
Dieser zerfällt durch eine vertikal gerichtete Furche (Textfig. 16 s)
in einen äusseren (stl) und inneren (stl‘) Lappen. Es gelangt
diese Furche erst auf Horizontalschnitten zur Beobachtung, da
zwischen den beiden Lappen der Bulbus olfactorius (bof) liegt.
Der innere Lappen ist schmal (Textfig. 9 A stl‘), der äussere
breiter. Zwischen dem äusseren Lappen und dem Bulbus zieht
somit scheinbar eine Furche nach ventralwärts (C s), doch ist
diese Furche eigentlich identisch mit jener zwischen den beiden
Stirnlappen; sie möge der Kürze wegen Interfrontalfurche
heissen. Mit ihr ist eine Abgrenzung des Stirnlappens gegeben,
die sich bis zum Menschen hinauf erhält. Diese Furche geht
dann ventralwärts in die seitliche Rhinalfurche über (srh). Dem-
entsprechend setzt sich der äussere Frontallappen unten in einem
schmalen Gyrus fort, der oben von der Fissura genualis
externa (s!) begrenzt wird und welche Furche nach seitwärts
und oben beginnend von hinten den äusseren Stirnlappen um-
säumt. Unten bildet diese Furche gleichzeitig die Grenze des
ÖOperculums (op) jenem Gyrus gegenüber, der von unten von der
Rhinalfurche begrenzt wird. Diesen Gyrus heisse ich den
Suprainsulargyrus (lsi.. Dann geht die F. genualis externa
hinter dem Operculum in die Sylvische Furche (Fs) über oder
besser letztere mündet in sie.
Ober biegt aus dieser Furche der Fissura genualis
lateralis (s. Fissura coronalis E. Smith) nach oben und hinten
gerichtet im schönen Bogen ab (s?), dadurch nach auswärts den
Kniegyrus (k) begrenzend.
Der innere Frontallappen biegt dorsalwärts in diesen Gyrus
über (A) und dieser Umbiegungsschenkel ist von der hinteren
des Kniegyrus durch die Fissura eruciata (s?) getrennt.
Jener vordere Schenkel trägt eine seichte Längsfissur, die
Fissura sagittalis.
Während der äussere Frontallappen glatt ist, ist die Innen-
fläche des inneren Stirnlappens wie bei allen Carnivoren durch-
furcht.:. Eine Fissura genualis interna (Textfig. 10 sg)
trennt den inneren Stirnlappen von dem Gyrus suprasplenialis (gf)
und von der Area praecommissuralis, doch da diese Furche bei
dem Iltis nach unten zu kürzer wird, findet bei ihm die letzte
Begrenzung nicht statt. Aus dieser Furche gehen zwei Furchen-
äste nach vorne zu ab. Es ist die obere nicht bei allen
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 157
Exemplaren vom Steinmarder gleich mächtig, doch grenzt die
untere Furche den unteren Teil des inneren Stirnlappens immer
so genau ab, wie bei dem abgebildeten Exemplar. Beim Iltis
ist die obere dieser Seitenfurchen bloss angedeutet.
Die Fissura genualis lateralis, nachdem sie den
Kniegyrus umsäumt, gelangt nach dorsalwärts und wird hier
ohne Unterbrechung zur Fissura lateralis (s?), die dann
entlang des ganzen dorsalen Palliums nach hinten zieht, dann
den Oceipitallappen erreichend sich nach aussen wendet, zuvor
jedoch sich gabelt, wobei der innere Gabelast, allerdings nur
Fig. 10.
Mustela foina. Die rechtsseitige Hälfte des Grosshirns nach
medio - sagittaler Durchtrennung. bof == Bulbus olfactorius;
cc — Balken; ca = Commissura anterior; gp — Gyrus pyriformis;
gf = Gyrus suprasplenialis s. fornicatus s. supracallosus; gl = Gyrus
lateralis; st!’ = innerer Stirnlappen ; stl'' = dessen unterster Teil;
k = Kniegyrus; sg = Fissura genualis interna; s* = Fissura
eruciata; fsp — Fissura suprasplenalis.
beim Steinmarder, den hinteren Rand des Occipitallappens erreicht
und bei manchen Individuen sogar nach innen auf denselben um-
greift. Es wird dann durch die Medianspalte und die Fissura
lateralis ein Gyrus begrenzt, der Gyrus lateralis (gl), der
vorne ganz kontinuierlich in den Hinterschenkel des Kniegyrus
übergeht. Zwischen beiden befindet sich zwar eine Querfurche,
doch ist diese besonders bei dem Iltis sehr gering und erreicht
dann nicht immer die Medianspalte.
Es findet der Gyrus lateralis seine innere Begrenzung nicht
durch die Medianspalte, diese bildet vielmehr nur die äussere
7
158 B. Haller:
Begrenzung, sondern die Fissura suprasplenialis (Textfigg. 10
und 12 fsp) ist es, welche die Grenze zwischen ihm und
dem Gyrus suprasplenialis (gf) bildet. Die F. suprasplenialis ist
tief und zieht auf der medianen Seite mit der Fissura
cruciata (Textfig. 11 s*) verschmelzend, entlang des Balkens (ce)
bis an dessen Knie, biegt dann nach hinten und auswärts, um in
oceipitalem Gebiet die obere Begrenzung des Gyrus pyriformis
zu erreichen (Textfig. 10). Auf diese Weise ist der Gyrus supras-
plenialis auch dort hinten deutlich abgegrenzt.
Etwas bevor die Furche an die Grenze des Gyrus pyri-
formis anlangt, gibt sie nach auswärts eine Zweigfissur ab, die
sich dann bei dem Steinmarder, mit einem hinteren Ast der
Fissura suprasylvia (Textfig.9 B s’) vereinigend, den Fortsatz
des Oceipitallappens (Textfig. 10 ol) nach innen umsäumt.
An der freien (inneren) Fläche des Gyrus suprasplenialis
befinden sich zwei konstante Fissuren: die eine hinter der
Fissura genualis interna und eine andere weiter nach hinten.
Hinter dem Balkenknie biegt der Gyrus um dasselbe medianwärts
und geht in die Ammonswindung über.
Über der Sylvischen Furche (Textfig. 9 Fs) befindet sich eine
Bogenfissur. Der vordere Schenkel dieser setzt sich bei
dem Steinmarder weit auf das Operceulum hinab, ganz kurz ist
er bei dem Iltis, und ist die Fissura antesylvia. Der
hintere Schenkel ist die Fissura postsylvia (s°), der den
bereits erwähnten Ast abgibt und welcher bei dem Steinmarder
sich mit dem einen Endast der Fissura suprasplenialis ver-
einigt. Die Bogenfissur und die Fissura ante-et postsylvia zu-
sammen bilden den Arcus suprasylvius, den ich aus später
anzugebenden Gründen Arcus suprasylvius primarius nenne.
An dem Temporallappen möchte ich noch einer Furche gedenken,
die bei dem Steinmarder sich findet; sie zieht am ventralen Ende
gegen die Sylvische Furche (B s?).
Das Grosshirn bedeckt die Vierhügel, was zu erwähnen fast
überflüssig ist.
Zum Schlusse möchte ich noch einmal darauf hinweisen,
dass das Pallium des Steinmarders reicher an Nebenfissuren ist,
als jenes vom Iltis. Dieses wieder ist reicher gegiiedert als das
Pallium des Wiesels. Bei diesem sehen wir die Lateralfurche
(Textfig. 24 ec) in gleicher Weise entfaltet, doch ganz ohne Neben-
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 159
furche. Die Bogenfurche über der Sylvischen Furche ist gleich-
falls ohne Zweige.
Demgegenüber verhält sich die Pallialoberfläche von Lutra
vulgaris nach Leuret und Gratiolet wesentlich verändert
verglichen mit dem von Mustela und Putorius. Da sehen
wir denn (Textfig. 26 B) die Lateralfurche unterbrochen (rot),
indem der vordere Teil, der in den Sulcus genualis lateralis
übergeht, von der hinteren occipitalen Hälfte getrennt ist und
diese mit seinem durchtrennten Ende auf den Übergangsschenkel,
auf den Kniegyrus, übergreift. Gleichzeitig entsendet die Lateral-
furche einen geringen Ast nach seitwärts gegen die Fissura ante-
sylvia zu. Dieser wie auch der Arcus suprasylvius primarius
sind gleichfalls da, indessen die Fissura postsylvia kurz ist.
Dann finden sich eine Zahl von Furchen vor, die auch auf
sekundäre Umgestaltung Mustela und Putorius gegenüber hin-
weisen.
Ich glaube, dass meine Auffassung über die Gyri bei Lutra
durchaus nichts Erzwungenes sei, wenn man die Zustände bei
Putorius und Mustela im Auge behält.
Ähnliche Zustände zeigen sich auch bei anderen Sohlen-
gängern, so nach Leuret und Gratiolet bei Nasua. Hier
(1. c. Figg. 1, 2, Taf. VI) verhält sich die Lateralfurche genau wie
bei dem Steinmarder und Iltis und ist auch der Arcus supra-
sylvius primarius mit seinen beiden Schenkeln da. Auch die Kreuz-
furche verhält sich genau so, was um so bemerkenswerter ist,
als sie bei Lutra mit der Längsfurche auf dem Stirnhirn, der
Coronalfurche vereint ist.
Es ist bei Nasua dann genau in derselben Weise wie bei
den Musteliden durch eine Fissura genualis lateralis, die in die
Fissura lateralis nach hinten übergeht, ein Kniegyrus mit einem
vorderen und hinteren Schenkel, zwischen denen die Kreuzfurche
liegt, begrenzt.
Die nächsten Formen von Sohlengängern, die ich hier auf
die Grosshirnfurchen besprechen möchte, sind Meles und Ursus.
Ich will hier dies nach Angaben Anderer wiedergeben.
Bei dem Dachs — ich halte mich hier nach den Beob-
achtungen Flatau und Jacobsohns (l.c. Fig.45) — geht
die Fissura interfrontalis in die Sylvische Furche über, wie
bisher, doch tritt von ihr auf dem Öperculum eine laterale
PR
160 B. Haller:
Furche ab, welche die Autoren Fissura praesylvia nennen. Ver-
glichen mit Mustela ist dies jedoch das ventrale Stück der Fissura
genualis externa. Dies ist dorsalwärts zu unterbrochen und
setzt sich nicht fort in die deutlich vorhandene Fissura lateralis
(von den Autoren Fissura coronalis benannt, diese Fortsetzung
jedoch Fissura lateralis).
Der Arcus suprasylvius prim. ist mit seinen beiden Schenkeln,
der Fissura ante- et postsylvia, deutlich.
Bezüglich der Grosshirnoberfläche vom braunen Bären halte
ich mich an die Abbildung Leuret und Gratiolets (l.c. Taf. VD),
wobei ich bei dem Vergleiche als Ausgang das von Putorius und
Mustela betrachte.
Hier greift der vordere Schenkel des Arcus suprasylvius
prim., die Fissura antesylvia unter das Operculum ein und sein
weiteres Verhalten unter diesem ist an der Abbildung nicht zu
erkennen. Das Operculum wölbt sich mächtig herunter, wobei
allem Anscheine nach die Fissura antesylvia in die Fissura
genualis externa übergeht. Die Fissura lateralis über dem Arcus
suprasylvius prim., dessen Hinterschenkel den Temporallappen wie
bei Mustela entlang der Länge durchfurcht, bildet einen zweiten
Arcus suprasylvius — den ich secundarius nenne — da ersterer
infolge sekundärer Entfaltung und Durchfurchung
des Gyrus lateralis stark lateralwärts verschoben ward. Infolge
davon ist auch die Fissura cruciata stark lateralwärts verlängert
und endet mit mehreren Ästen. Die Fissura auf dem Vorder-
schenkel des Kniegyrus zeigt sekundäre Verzweigungen und
Unterbrechungen, wie den der ganze Kniegyrus sich
mächtiger entfaltet hat.
Fassen wir nun bezüglich der Sohlengänger das hier Mit-
geteilte zusammen, so ergibt sich folgendes: Bei diesen zeigt
sich eine Furchenbildung, die in diesem schon
höherem Grade noch immer im Verhältnis zu
anderen Furchungsbildungen als ursprünglich
zu betrachtenist. Im ursprünglichen Falle (Pu-
torius vulgaris, putorius und Mustela foina) zeigt
die Fissura eruciata die Grenze eines Stirnhirnteils
an, wobei derStirnlappen schon in einenäusseren
und inneren Unterlappen zerfallen ist. Der
Übergang zum dorsalen Pallium, dem Gyrus
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 161
lateralis, wird durch den Kniegyrus vermittelt.
Die Begrenzung dieses erfolgt durch die Fissura
genualis lateralis, die ununterbrochen sich in
die Fissura lateralis fortsetzt, wobei sie sekundär von
jenem getrennt sein kann (Lutra).
Zeigt sich schon bei Lutra und in geringerem Grade wohl
auch bei Meles eine höhere Entfaltung des Kniegyrus, so ist
diese Entfaltung noch fortgeschrittener bei Ursus. Eine
Fissura interfrontalis trennt die beiden Stirn-
lappen von einander und geht dann ventralwärts
in den Sulcus s. Fissura rhinalis kontinuierlich
über. Eine Fissura genualis externa begrenzt
nach unten das Operculum und findet ihre Fort-
setzunginderSylvischen Furche. Diese wird über-
wölbt durch einen Arcus suprasylvius primarius,
dessen vorderer Schenkel, die Fissura ante-
sylvia, sich aufs Operculum fortsetzt, indessen
der hintere Schenkel, die Fissura postsylvia, in
gleicher Weise den Schläfenlappen zerlegt.
An diesen bezüglich einer Gyrencephalie noch immer ur-
sprünglichen Zustand im allgemeinen Teile anknüpfend, soll hier
nun der innere Bau des Grosshirns von Mustela foina und
Putorius putorius erörtert werden.
In den vorigen zwei Abschnitten wurde ausgeführt, dass
die einheitliche Cingularbahn der Chiropteren, in der nicht
nur Pallialfasern vom Oceipitallappen in den Stirnpol gelangen,
sondern auch ammonale Fasern verlaufen, die zum Teil Faser-
bündel des Funiculus olfacto-corticalis superius sind, sich nach
seinen zwei Bestandteilen in eine palliale und ammonale Bahn
trennt bei Erinaceus. Dieselben Verhältnisse finden sich auch
bei der Maus und bei allen Placentaliern, mit Ausnahme eben
der Chiropteren. Mit der Trennung wird auch der Ort des Ver-
laufes bestimmt. Die palliale Bahn verläuft wie bei Chiropteren,
das gesamte Cingulum median an der Corona radiata, indessen das
palliale in der plexiformen Schicht der Rinde jederseits über dem
Balkenkörper sich befindet. Die Ränder der Bündel beider Cingula
berühren sich aber fast überall, so auch bei Mustela und Putorius.
Es zieht in dieser Weise diese mächtige Bahn in gleicher
Richtung über den Balkenkörper und auf sagittalen Längs-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. al
162 B. Haller:
schnitten Weigertscher Präparate, die doch immer ansehnliche
Dicke besitzen, wird eine einheitliche Bahn vorgetäuscht (Text-
fig. 11 cm), was es ja doch nicht ist.
Das Verhalten ist vielmehr folgendes. Die ammonalen
Fasern kommen (oder gehen vielmehr hin) aus der Höhle der
Fascia dentata, biegen dann am Rande des Balkenknies über
den Balken und ziehen auf diese Weise nach vorne, gerade wie
bei Erinaceus in gleicher Weise Fibrae perforantes abgebend.
Die pallialen Fasern sammeln sich gleich oberhalb des
Gyrus ammonis hinter dem Balkenknie aus dem hinteren Um-
schlagsrande des Gyrus splenialis (Textfigg. 11, 10), wie ich dies
bereits für die Maus abgebildet habe (17, Fig. 6), doch ebenso wie
dort (Fig. 5) gelangen entlang des ganzen Verlaufes neue Fasern
aus der Rinde in das Bündel, wie dies dann auch für Erinaceus
festgestellt ward.
Vorne vor dem Balkenkopf biegt dann das Bündel nach
unten, vermengt sich hier aber dann mit dem Bündel des
ammonalen Cingulums. Da auch aus dem Stirnhirn Fasern hin-
zutreten, so wird die Sache hier kompliziert. Immerhin liess
es sich schon für die Maus feststellen, dass ein Teil des Bündels
vor dem Septum pellueidum nach ventralen Rindengebieten ge-
langt, indessen der andere Teil in den Fasciculus vlfactorio-
corticalis superior einbiegt. Ein Teil dieser letzteren geht aber
im Stirnhirn auf. Ähnliches sieht man ja auch bei den Muste-
liden (Textfig. 11), allein Horizontalschnitte geben noch weiteren
Aufschluss. Man sieht an solchen (Textfig. 16), dass aus dem
nun gemeinsamen Cingularbündel (cm) in das Septum ein aus
feinen, doch noch immer markhaltigen Fasern bestehendes Bündel
(c) in das Septum pellueidum (sp) einbiegt, um dann dort in
einen lateralen und medialen Teil zu zerfallen, die sich beide
im Septum aufsplittern. Es sind dies die sogenannten „weissen
Bündel des Septum“, Freilich ist dieses Bündel nichts besonderes,
sondern in dieser Weise greift das ganze nach unten biegende
Bündelsystem, mit Ausnahme des vordersten Teiles, in den lateral
vom Ganglion areae olfactoriae (Textfig. 11 gao) gelegenen Rinden-
teil ein. Aber damit wäre die Sache noch nicht erledigt.
Horinzontal oberhalb des Balkens durch die Rinde geführte
Schnitte weisen in dem ceingularen System noch eine Längsbahn
auf, welche den inneren und äusseren Stirnlappen, besonders aber
163
u.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere.
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164 B. Haller:
ersteren mit dem oceipitalen Mantel verbindet. Aber auch hier
handelt es sich eigentlich nur um eine Bahn innerhalb des Gyrus
suprasplenialis, wenngleich auch ein Teil von ihr den Oceipital-
lappen selbst mit dem Stirnhirne in Verbindung bringt. Das
eine dieser Bündel kommt aus dem schon angegebenen Teil des
N
h
N
AR
1
Fig. 12.
Mustela foina. Querschnitt durch die rechte Hälfte des Grosshirns durch
die Commissura anterior (ca). gao— Ganglion areae olfactoriae. opt —
Optieus; ce—Capsula externa; ci — Capsula interna; srh — Fissura rhinalis,
in—Insula; s' —Fissura genualis externa; s° —Fissura antesylvia; s’—= Fissura
genualis lateralis; gl— Gyrus lateralis; fsp — Sulcus splenialis; gf — Gyrus
suprasplenialis; cm — Cyngulum; cc — Corpus callosum; fls — Fasciculus
longitudinalis epistriaticus; str — Striatum (Nucleus caudatus); sp = Septum
pellueidum.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 165
Gyrus suprasplenialis, erreicht vorne dann die beiden Frontal-
lappenteile (Figg. 23, 24 cm), gabelt sich hier entsprechend der
Corona radiata und gelangt durch die Marklage hindurch in die
Lappen. Besonders gut war dies für den inneren Lappen (stl‘)
zu sehen. Das andere im Fasersystem lateralwärts gelegene
Bündel (Fig. 24 cm‘) ist durch die supraammonal gelegene Corona
radiata bis in den Oceipitallappen (ol) verfolgbar. Sein vorderes
Verhalten ist gleich dem des inneren Bündels.
Es ist somit das cingulare Bündelsystem der Musteliden
ein solches, das Fasern aus dem Funiculus olfacto-corticalis
superior in die Fascia dentata befördert, andererseits aber Rinden-
teile des Palliums untereinander in Verbindung setzt. Diese
Verbindung ist nun aber keine beschränkte, sondern dehnt sich
auf den Oceipitallappen, den ganzen Gyrus suprasplenialis, die
Stirnlappen, dem ventralen Rindenteil und auch auf das ganglien-
zellreiche Septum pellucidum aus. Es sind Associationfasern, die
sich ja auch bei den Lissencephalen vorfinden, doch mit der
Gyrencephalie eine entsprechende Vermehrung fanden. Im Balken-
kopf sich kreuzende Fasern dieser Art habe ich nie beobachtet.
Bezüglich jener Fasern, die in das Septum gelangen, glaube
ich, dass sie wohl zum grössten Teil dort enden, allein wie bei der
Maus (l. e. Fig. 15) Igel und Fledermaus habe ich auch hier deutlich
gesehen, dass aus dem Fascieulus areae-septalis Bündel sog. Fibrae
perforantes in das Cingulum gelangten, welche dem ammonalen
Teil zuzuzählen sind.
Noch eines anderen Längsbündelsystemes möchte ich hier
gedenken, obgleich ich volle Klarheit darüber nicht gewinnen
konnte. Aus sehr feinen markhaltigen Fasern bestehend, liegt
diese Längsbahn, eine breite dünne Lage bildend (Textfigg. 12,
14, 15 fls) über dem Striatum oder Nucleus caudatus, im Ven-
trieulus lateralis der Corona radiata oben über dem Gyrus
ammonis fest an (Textfig. 14 fis) und ist in dieser Lage bis in
das hinterste Ende des Gyrus splenialis (Textfig. 18 gf) verfolgbar.
Es kommt von dort, doch wo es vorne endigt, blieb mir unbe-
kannt. Vielleicht ist der Name Fasciculus longitudinalis
epistriaticus dafür einstweilen verwendbarer, als der bisher
übliche „Stratum subcallosum“, denn er drückt wenigstens
aus, dass es sich um ein Längsbündelsystem handelt. Ich habe
diese Bahn weder bei Chiropteren noch dem Erinaceus und der
166 B. Haller:
Maus gesehen, woraus ich schliesse, dass sie dort noch in der:
Corona radiata verborgen liegt. |
Das Balkensystem hoch entwickelt und bereits in der
horizontalen Lage (Textfig. 11), ist von ansehnlicher Länge. Die
Oberfläche des Balkens ist weder flach noch nach oben zu
konkav gebogen, wie die der Primaten, sondern von oben nach
unten etwas muldenförmig eingebogen. Ob dies möglicherweise.
postmortal in so hohem Grade erfolgt, möchte ich unentschieden
lassen; es ist mir unwahrscheinlich.
Bekanntlich kommen auf der Balkenoberfläche des Menschen
gewisse längsverlaufende Streifen vor, es sind dies jederseits eine
Stria medialis und eine Stria lateralis. „Beide diese Teile“ sagt
Kölliker (l. c. pag. 770) „gehen aus dem äusseren embryonalen
Randbogen oberhalb des Balkens hervor und sind demzufolge
Teile der medialen Hirnwand, die bei dem Hervorwachsen des
Balkens gewissermaßen von demselben mitgenommen werden und
vom Gyrus fornicatus abzweigen.“ Es sollen die Striae mediales
dabei durch die sogenannte Fasciola cinerca in die Fascia dentata
übergehen. Es wird dann allgemein angenommen, dass nachdem
der Gyrus ammonis und mit ihm seine Fascia durch das Corpus
callosum nach rückwärts gedrängt wird, von ihm ein rückge-
bildetes Stück auf dem Balken bleibt, eben die genannten Streifen.
Es hat bereits Golgi darauf aufmerksam gemacht, dass
ein unmittelbarer Übergang von der Stria in die Fascia dentata
nicht immer wahrnehmbar sei (50) und das Bindeglied im besten
Falle eine sehr dünne mikroskopische Lage sei. So bei dem Hunde.
Auch bei den Musteliden sind ähnliche Verhältnisse wie bei
dem Hunde. Es gibt nur Striae laterales, d. h. eins auf jeder
Seite. In der Gegend der Commissura anterior am mächtigsten,
doch nur mikroskopisch wahrnehmbar, führt die ganz platte
Bildung Cingularfasern in sich (Textfig. 12 cm). Weiter nach
hinten wird dann das Bändchen immer schmäler und liegt hier
unter den Cingularfasern (Textfigg. 12, 14). So geht es dann in;
die Fascia dentata über.
Das die Stria terminalis bei den Primaten in solch mächtiger‘
Entfaltung auftritt, wäre wohl darauf zurückzuführen, dass sie,
hinten noch eine verhältnismässig junge Formation darstellt.
Ihre Zusammengehörigkeit mit der Faseia dentata wird.
übrigens auch daraus klar, dass sie Cingularfasern führt.)
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 167
Wo der Gyrus ammonis mit seiner Fascia dentata bis weit
nach vorne reicht, ist letztere, wie ich es von Echidna her weiss,
glatt, und so verhält sie sich auch bei Chiropteren, Erinaceus
und selbst bei Glires. Erst bei Musteliden finde ich eine gezähnte
Fascia dentata. Es wäre also wohl anzunehmen, dass die Fascia
dentata bei ihrer Bedeutung als Endstätte von Cingularfasern
von so hoher Bedeutung sei, dass sie den von vorne nach hinten
erfolgten Verlust durch kräftigeres Entfalten ersetzt, was in einer
Flächenvergrösserung besteht, und in Ermangelung des Raumes
sich faltet, wodurch die Bezahnelung entsteht.
Schon bei der Maus hatte ich bemerkt, dass der vordere
Abschnitt, beiläufig die vordere Hälfte, des Balkens aus gröberen
Fasern besteht als die hintere. Dies sehe ich auch bei den
Musteliden so (Textfig. 11), hierbei setzt sich die Lage der
sröbern Fasern dorsalwärts ein Stück noch auch auf die hintere
Balkenhälfte fort. Das darunter liegende Stück, sowie das ganze
Balkenknie (bk) bestehen aus feinern Fasern.
Wie Kölliker für das Kaninchen und ich für die Maus
es wohl am deutlichsten dargestellt haben, begibt sich die
Columna fornicis als „Fornix longus“ ins Balkenknie, nachdem
es sich bedeutend verschmälert, dort in mehrere Endbündelchen
zerfallend. Diese streben nach oben, und in die untere psalteriale
Hälfte des Balkenknies, wie dies letztere Kölliker wiedergibt.
Ich habe dieses Verhalten bei den Musteliden besser ver-
folgen können als bei der Maus. Das Balkenknie besteht, wie
denn überall, aus einem dorsalen ganz pallialen und einem
ventralen ausschliesslich ammonalen Abschnitte. Es splittert sich
nun das Ende des Fornix longus mit seinen Endbündeln sowohl
im dorsalen, als auch dem ventralen Teil des Knies, also im
ganzen Knie auf. Von der Aufsplitterung in dem ammonalen
Knie gelangte bei den Nagern nichts zur Beobachtung. Es zieht
dann bei den Musteliden der Fornix longus, zwischen Balken-
körper und Psalterium gelegen, nach vorne um dann als Columna
fornieis (ef) nach unten zu biegen. Was nun bei diesem Ver-
halten auffällt, ist der Umstand, dass der lange Balken vom
Balkenknie angefangen bis zum Fornixteil fortwährend an Faser
zunimmt. Y6
Ich habe bei der Maus gezeigt (l. e. Fig. 4), dass der
eigentlichen Columna fornieis sich ein gleiches Bündel aus dem
168 B. Haller:
Psalterium zugesellt, das ihn dann kreuzt und ins Ganglion areae
olfactoriae gerät; diese nannte ich Columnae ammonis.
Bekanntlich hat Kölliker den Ursprung des Fornix longus
in die oberflächliche Lage des Ammonshorns, in das Subiculum
verlegt. Dazu hatte ich dann bemerkt, „dass jene Fasern, die
aus dem dorsalen Teil der oberflächlichen Faserlage des Gyrus
ammonis oder des Alveus herzukommen schienen, eigentlich auch
aus dem Subiculum herrühren und sich jener Faserlage bloss für
kurze Strecke angeschlossen haben, um dann durch den ventralen
Abschnitt des hintern Balkens in den Fornix longus zu gelangen.
Das Gleiche gilt von jenen dorsalwärts durch den Balken zum
Fornix longus hinziehenden Fasern. Auch diese gelangen aus der
Zellenschicht des oben in die Ammonsfalte sich umbiegenden
Rindenteils, des Subiculums, über den Balken.
EEE ELLE EIS
SF FE
Sa
Nr
Maag
Fig. 13.
Putorius putorius. Stück aus einem Sagittalschnitte weiter lateralwärts
als Fig. 11, das Hinterende des Balkens zeigend.. cm = Cingulum;
cc = Corpus callosum; cf = fornix longus; Fi = Fimbria; fd = Fascia dentata.
Meiner Erfahrung nach entspringt (oder endigt) der Fornix
longus im Subiculum und nicht in der eigentlichen Ammons-
windung, wie dies Ganser (l.c.) für Talpa berichtet. Die so
allmählich, oft bis zur Balkeneinsenkung sich sammelnden Bündel
vermehren dann den Fornix longus immer mehr, bis er dann,
jederseits ein ansehnliches Bündel unter dem Balken bildend,
schliesslich im Septum pellucidum einen Bogen beschreibt und
als Columna fornieis weiter zieht“ (l.c. pag. 458). Mit der
Columna fornieis zieht dann kurze Strecke die Columna ammonis.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 169
Ich habe also hier einen doppelten Ursprung des Fornix
ermittelt, einen pallialen und einen ammonalen. Diesen Befund
sehe ich nun nicht bloss bestätigt bei den Musteliden, sondern
kann durch diese letztere meine Beobachtungen an der Maus
ergänzen.
Die Teilung des Fornix in einen oberen pallialen Abschnitt
und einen unteren fimbrialen Teil, ist hier noch deutlicher. Auf
einem etwas von der medio-sagittalen Ebene lateral gelegenen
Sagittalschnitte (Textfig. 13) sehe ich nun, dass der dorsale Teil
des Fornix longus (cf) einen grossen Zuschuss aus dem pallialen
Balken erhält, welcher doch nicht ausschliesslich auf das Subiculum
sich beschränken kann und gleichfalls rein pallialen Ursprungs
ist. Allenfalls rühren die meisten Fasern aus dem Hinterende des
Gyrus splenialis her. Der psalteriale Abschnitt (cfi) beschränkt sich
völlig auf die Ammonsfalte und bezieht Fasern aus dieser selbst,
wie auch aus der Fascia dentata (fd) und zwar aus beiden Seiten-
hälften, wobei die gekreuzten Fasern das Psalterium durchsetzen.
Die Verhältnisse waren denn auch bei Erinaceus deutlich erkennbar.
Somit ist der Fornix eine ähnliche gemischte Bahn wie das
Cingularsystem. Dabei verbindet der Fornix pallialis
hinterste Teile der Gyrus splenialis beider Seiten-
hälften und ammonale Teile mit dem Ganglion
mammillare, derammonale Fornix denGyrusammonis
und dieFascia dentata beider Seiten mit demGanglion
areae olfactoriae posterius.
In gleicher Weise wie überall erfolgt die Bildung des
alveolaren Faserüberzuges über den Gyrus ammonis. Zum
Teil ist es die Ganglienzellage um den Gyrus selbst, zum Teil
die Höhle der Fascia dendata von wo aus die Fasern herkommen
(Textfigg. 14, 16, 17, 18) und in gleicher Weise erfolgt auch die
Verbindung der beiderseitigen Gyrii untereinander durch das
Psalterium hindurch (Fig. 25, Textfig. 15 ps). So verhält sich
auch die Verbindung zwischen dem ventralen und dem dorsalen
Gyrus ammonis (Textfig. 14 ga’ und ga). Diese Verbindung, auf
dem abgebildeten Querschnitte noch durch die coronale Ein-
strahlung in den Thalamus unterbrochen, verbindet als mächtiges
Faserbündel die beiden Gyrusteile, wobei sie aber von dem von
unten nach oben ziehenden Gyrusteil (Textfig. 15) ja nicht
getrennt ist, vielmehr dessen vordere Seite darstellt. Dabei zeigt
170 B. Haller:
es sich, dass sein die beiden Teile (oben und unten) der Fascia
dentata verbindender Abschnitt, im Gyrus sich auch weiter
nach hinten zu erhält (t). Es lässt sich somit eine alveoläre
und eine fasciale Verbindung zwischen der untern und obern
bihb.str
Fig. 14.
Mustela foina. Querschnitt durch die rechte Grosshirnhemisphäre und
den Thalamus in der Epiphysengegend. cc = Corpus callosum; ep =
Epiphyse; cp, cp‘ —= Commissura posterior; III = Oculomotorius; IIIok =
dessen Ventralkern; ghy —= Gangl. hypothalam. und bvhb — basales Vorder-
hirnbündel; bvhb. str — dessen striataler Teil; nlt = Nucl. lat. thalami;
ga — Gyrus ammonis ventralis ; ga’ — Gyrus ammon. dorsalis; srh = Fissura
rhinalis; s® —= Fissura temporalis ; Fs = Fiss. Sylvii; cl = Capsula lateralis;
ss == Fissura suprasylvia; s® —= Fiss. genualis lateralis; r. t. th — Radiatio
temporo-oceipitalis thalami.
Gyrushälfte unterscheiden. Sehr ausgedehnt ist die Querver-
bindung zwischen den beiden Ammonsfalten, das Psalterium, wie
Sagittalschnitte zeigen (Textfig. 11). | 3809
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere, 171
Der -jederseitige Funiculus areae-septalis zieht, von dem
(Ganglion arcae olfactoriae anterius (gao) wie vom posterius (gao‘)
Fasern erhaltend, in das Septum (Textfig. 12), um dann nach
FIN
Din
B%7
St heran
U
N eat ren,
AIETET
N Wii
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ER
3
Fig. 15.
Mustela foina. Querschnitt durch die rechte Grosshirnhemisphäre in der
Oceipitalgegend. gl = Gyrus lateralis; gf = Gyrus suprasplenialis; ce —
Corpus callosum; ga’ = Gyrus ammonis dorsalis und ga = ventralis;
nlt = Nucl. lat. thalami; Fs = Fissura Sylvii; gps == Gyrus postsylvius;
ss — Fissura suprasylvia; s? — Fiss. lateralis; gp = Gyrus pyriformis ;
srh = Fiss. rhinalis.
rückwärts biegend (Textfig. 11 rs) und am Ende des Septum
pellucidum nach aussen der Fascia dentata anlagernd, als Fimbria
den Gyrus ammonis zu erreichen. Es gelangt die Fimbria an
172 B. Haller:
den ganzen vordern freien Rand des Gyrus und seine Fasern
durchsetzen dann zum Teil die alveolare Verbindung zwischen
der dorsalen und ventralen Gyrushälfte, wobei die beiderlei
Fasern sich unter sehr spitzem, nach hinten und lateralwärts zu
gerichteten Winkel schneiden. Den richtigen Begriff hierüber
gewährt die Vergleichung der Textfigg. 14, 18 und der Fig. 25
miteinander.
Es treten auch die Fimbriafasern mit der Ganglienzellage
des Gyrus ammonis und mit der Höhle der Fascia dentata in
Verbindung, wie die verschiedenen Abbildungen zeigen.
Es sammeln sich die Fasern aus der Pallialrinde in der
Corona radiata und es gewährt deren Verhalten nun infolge
der Gyrencephalie ein wesentlich anderes Bild als bei den Lissen-
cephalen. Dazu kommt noch der Umstand, dass obgleich schon
mit noch bestehender Lissencephalie bei den Formen mit starker
Balkenbildung, wie etwa bei den Glires, eine physiologische
Differenzierung im Pallium erfolgt ist, diese bei den gyren-
cephalen Placentaliern doch schärfer umgrenzt erscheint, indem
die bestimmten Bereiche schärfere Sonderung eingehen. Denn
zweifellos ist die physiologische Manteldifferenzierung der
Musteliden schon eine unvergleichlich höhere als jene der Glires,
wie denn erstere auch eine höhere Intelligenz aufweisen wie
letztere. Dies wird wohl kein Tierkenner, dessen Sinn für die
Tierwelt nicht bloss auf das Laboratorium beschränkt bleibt,
bezweifeln. Das schwierigere Erlangen ihrer Beute musste die
Raubtiere auf eine höhere Potenz der Gehirntätigkeit erheben,
wie die gleichförmige Lebensweise der Nagetiere diese zu fördern
vermöchte. Dass auch unter den Nagern eine höhere Entfaltung
bestehen kann, dass wissen wir für Dolichotis patagonica durch
Beddard, der ja bei dieser Form eine Fissura Sylvii und eine
Lateralfurche neben andern Furchen feststellen konnte. Diese
Form ist aber wie zuerst nach Darwins Reise bekannt wurde,
ein höchst intelligentes Tier.
Am Stirnhirn der Musteliden ist, wie schon mitgeteilt,
die Teilung in zwei Lappen erfolgt. Der innere Lappen ist der-
jenige Teil, der mit dem Bulbus olfactorius wie der Stirnpol der
Chiropteren, Insektivoren u. A. in nächster Beziehung bleibt, in
erster Linie durch den Funiculus olfacto-corticalis superior, in-
dessen der äussere Lappen auf höhere Entfaltung zurück-
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 173
zuführen ist, was unter anderm sich auch in seiner nächsten
Beziehung zum Inselgebiet äussert.
Was zunächst den innern Frontallappen betrifft, so steht er,
wie eben erwähnt, mit dem Bulbus olfactorius (Textfig. 11 bof)
in Beziehung dadurch, dass der Funiculus olfactorio-corticalis
superius (f. oc. s), zuerst im Lobus olfactorius gelegen, aus dessen
Ganglienlage es sich sammelt, nach oben zu biegt und im Mark-
teil des Lappens (stl‘) sich auflöst. Das nähere histologische
Verhalten dieser Fasern ist zur Zeit nicht bekannt. Aus dem
Markteile gelangen dann Fasern in den Balken und lateralwärtige
in den Markteil des äusseren Lappens (Figg. 23, 24, 25). Ein
Teil der Lappenfasern gelangt als Associationsfasern in den
äussern Lappen, ein anderer aber gelangt in diesem Lappen in
das Netzwerk des Inselgebietes, in der Capsula lateralis (Textfig. 16 cl)
zur Auflösung. Ein dritter Teil endlich biegt in die Capsula
interna (ci) ein, um zu Fasern des basalen Vorderhirnbündels zu
werden.
Der äussere Stirnlappen steht mit dem Lobus
olfactorius in keiner Verbindung, denn jener Markstreifen, welcher
sich zwischen dem vordern Teil des Lappens und dem Lobus
olfactorius befindet (Textfig. 18 cl) ist die Capsula lateralis, wie
wir es noch sehen werden. Es entsendet dann der äussere
Lappen auch Fasern in die Capsula interna, doch vielleicht nicht
so viele als der innere Stirnlappen. Wesentlich an dem äussern
Lappen ist aber sein enger Zusammenhang mit dem
Inselgebiet, denn nicht nur setzt sich die Capsula lateralis
(Textfig. 16, 17, 18 cl) direkt in seine Markmasse fort, dort ihr
Ende findend, sondern auch das Claustrum (cla) mit seinem
vordern Ende hört in ihm auf, gleich der Capsula externa (ce),
wodurch aber der äussere Stirnlappen mit dem grossen Assoziation-
gebiet, dem Inselgebiet nämlich in der engsten Verbindung ist.
Es hat sich somit dem Stirnhirn der Chiropteren, Insekti-
voren, Glires und auch gewissermassen den Fdentaten gegen-
über mit der morphologischen Differenzierung des Stirnhirns
in einen innern und äussern Lappen, welche Differenzierung sich
dann ja überall unter den Gyrencephalen findet, wohl auch eine
physiologische vollzogen, was wir aus dem histologischen Ver-
halten einstens erkennen werden. Während dann der
innere Lappen die Beziehung mit der Lobus-
174 B. Haller:
‘olfactoriusrinde sich behält, erringt der äussere
Lappen eine mehr selbständige Stellung und die
direkte Beziehung zum Inselgebiete.
Die Corona radiata oder die Markstrahlung erhält ihre
Fasermassen aus den beiden Stirnlappen, dem Operculum, dem
‘Kniegyrus, dem Lateralgyrus, dem Gyrus suprasplenialis, dem
Gyrus suprasylvius, den beiden Sylvialgyri und dem Oceipital-
lappen, das Inselgebiet bleibt davon aber ganz ausgeschlossen.
Eine mächtige Markmasse bildet die Corona auf diese Weise
(Textfig. 12, 14, 15, 18; Figg. 23, 24), in welcher Fasern nach
allen Richtungen verlaufen und aus welcher die Fasern auch dem
pallialen Balken (cc) zugeführt werden.
Entsprechend der Mächtigkeit der Gyri sind die Mark-
lamellen in den Frontallappen, dem Laterallappen und dem Gyrus
suprasplenialis, ferner den beiden Prosylviallappen, die sich im
Öperculum vereinen, schmal, in letzterem jedoch mächtig. Am
mächtigsten ist jedoch die Markmasse des Temporallappens hinter
der Fossa Sylvii (Textfig. 15 gps) oder dem Gyrus postsylvius.
Jener Gyrus zwischen dem Lateralgyrus und Fissura suprasylvia,
der in dem Oeceipitallappen endet (Textfig. 9) besitzt gleichfalls
eine ansehnliche Markmasse (Textfig. 18). Nur die Markmasse des
hinteren Gyrus pyriformis (Textfig. 14, 15 gp) ist eine dünne Lamelle.
Die centrale Corona radiata ist am mächtigsten im Bereiche
des Thalamus opticus, wegen der Fasermasse die sich hier
sammelt um in den Thalamus zu gelangen (Textfig. 14). Diese
Stelle liegt genaustens in der Höhe der Fissura suprasylvia (ss).
Aus der Corona radiata gelangt ein gut Teil in von frontal
nach unten und kaudal gerichtetem Verlaufe (Textfig. 15) an die
Seite des Striatums oder des Nucleus caudatus um hier die unter
dem Namen Capsula interna bekannte breite Markmasse zu
bilden (Textfig. 16). Es durchzieht somit dieses Fasersystem
nicht mehr in jener diffusen Weise den Streifenkörper wie noch
bei den Glires, sondern bildet lateral vom Streifenkörper die
breite Capsula interna und im Streifenkörper befinden sich nur jene
verhältnismässig schmale, zerstreut liegende Faserbündel (Text-
figur 12, 16, 18), welche sich im Streifenkörper, dem Striatum, ent-
springen oder dort endigen. Es ist somit bei den Musteliden
zum ersten Male eine Sonderung zwischen dem nach
unten und hinten ziehenden Bündelsystem aus der
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176 B. Haller:
Corona radiata und den Striatumbündeln einge-
treten, was ja wieder nur auf die höhere Differenzierung im
Pallium zurückzuführen ist.
Es fasst die Capsula interna zweierlei Bündelsysteme in
sich: erstens die, welche dem basalen Vorderhirnbündel ange-
hören und zweitens jene, welche das Pallium mit dem eigent-
lichen Thalamus verbinden. Es sollen die Verhältnisse dieser
beiden Bündelsysteme zum Schlusse erörtert werden, hier möchte
ich zuvor noch die Commissura anterior und das Inselgebiet
besprechen.
Es besteht die Commissura anterior (Textfig. 11 ca)
aus einem aus groben Fasern gebildeten vordern, und einem aus
feinen doch auch markhaltigen, viel kleineren hintern Abschnitte.
Der vordere Abschnitt gehört ausschliesslich dem Tractus eruciatus
olfactorii an. Es ist also von dem nicht olfactorialen Abschnitt
nur wenig noch übrig, wie übrigens ja auch bei den Glires.
Dieser letzte Abschnitt (Textfig. 12 ca‘) durchsetzt dann jeder-
seits basalwärts die Capsula interna und gelangt so in den
basalsten Abschnitt des Linsenkerns (Ik). Auch diesen zum Teil
durchsetzend in bogenförmig nach kaudalwärts zu gerichteter
Orientierung (Textfig. 17 ca‘), gabelt sich das Bündel in dem
lateralen Drittel der Breite des Linsenkerns (Ik) in zwei Unter-
bündel, einen lateralen und einen medialen. Der mediale zer-
splittert sich im Linsenkerne, der laterale, viel schwächere aber
legt sich unter spitzem, nach hinten zu gekehrtem Winkel der
Capsula externa (ce) an, mit ihr verschmelzend. Da ja auch der
Linsenkern ursprünglich, wie weiter oben gezeigt wurde, dem
Pallium angehört hat, so ist von dem ursprünglich mächtigen
Teil der Pallialkommissur in der Commissura anterior, wie schon
bei den Nagetieren, dieser geringe Rest für Linsenkern und
Oceipitallappen übrig geblieben, der sich als solcher dann auch
noch bei dem Menschen erhält.
Übrigens möchte ich hier noch bemerken, dass nicht alle
Faserbündel, die aus dem Linsenkern sich der Capsula externa
anschliessend in den Mark des ÖOceipitallappens gelangen, der
Commissura anterior angehören, vielmehr ist ein guter Teil von
ihnen (Textfig. 21 bei Ik‘) anderen Ursprungs.
Der Linsenkern hat eine basalwärtige Lage, ist schmäler
(Textfigg. 12, 16, 17 Ik) als bei den Primaten, bei weitem nicht
Phylogenese des: Grosshirns der Säugetiere. 177
so hoch entfaltet — denn es sind die verschiedenen Abschnitte:
Putamen und die beiden Globi pallidi noch nicht differenziert —
und erstreckt sich weit bis vorne bis an die Vorderlappen
(Textfig. 18). Er besteht aus einem vorderen (lk) und einem
hintern Abschnitte (Ik), deren Grenzen die Commissura anterior,
Krntiern
Fig. 17.
Putorius putorius. Horizontalschnitt durch das Grosshirn, Thalamus
und dem vorderen Teil des metameren Hirns die Commissura anterior treffend.
stl = äusserer Stirnlappen; Ik — vorderer Teil des Linsenkerns; cla —=
Claustrum; ce — Capsula externa; cl = Caps. lateralis; rfth — radiatio
fronto-thalamica; op — Operculum; fsth = Fasciculus thalamo-lenticularis
(Linsenschlinge); nlt — Nucleus lateralis thalami; ghy = Ganglion hypo-
thalamicum laterale; amb‘' — ungekreuzte laterale Associationsbahn der
Vierhügel; tho — Thalamus opticus; cf = Columna fornieis; ca‘ — hinterer,
ca — vorderer Teil der Commissura anterior.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 12
178 B. Haller:
beziehentlich deren hinteres Bündel bildet. Der vordere Ab-
schnitt hat seitwärts abgeplattete Linsenform (vergl. Textfigg. 17
und 18), der hintere ist keulförmig, mit nach frontal gerichteter
Spitze, ventralwärts breiter als weiter oben. Innen wird er wie
überall durch die Capsula interna, aussen von der Capsula externa
begrenzt. Es wird von zerstreut liegenden, von oben nach unten
und hinten gerichteten Faserbündeln durchzogen, die sich an
seinem hintern untern Ende, zwischen der Capsula interna und
dem Opticus zu einem Bündel zusammen tun. Es besteht dann
dieses Bündel (Textfig. 16 f.th.1]) aus feinen markhaltigen Fasern,
wodurch es sich von der ihm nach innen zu fest anliegenden
Capsula interna gut unterscheidet. Dieses ganze Bündelsystem
im Linsenkern hat seinen eigenen Ursprung, der nicht in dem
Pallium gelegen ist. Wohl kann es sein, dass ein Teil von
seinen Fasern im Linsenkern entspringt, beziehentlich dort endet,
die meisten aber kommen aus dem Striatum oder dem Nucleus
caudatus. Besonders deutlich sieht man dies auf Querschnitten
(Textfig. 19). Es durchsetzen die einzelnen Bündelchen aus dem
Striatum (str) das Bündelsystem der Capsula interna, überall
einzeln zwischen die Einzelbündel derselben eindringend. Unter-
halb der Capsula interna im Linsenkerne (Ik) angelangt, durch-
ziehen sie diesen zwar auch einzeln, doch sammeln sie sich dann,
wie schon mitgeteilt ward, zu einem Bündel.
Einzelne Bündel des Systems schliessen sich indessen dem
einheitlichen Bündel nicht an, sondern legen sich einzeln der
Capsula externa (Textfig. 21 ce) an, um mit dieser dann in
den Temporallappen, beziehentlich in das Ende des Gyrus
pyriformis zu gelangen. Es kommt auf diese Weise eine Striato-
temporalverbindung zustande. Damit will ich freilich
nicht sagen, dass das ganze Bündelsystem zwischen Linsenkern
und Temporallappen (Textfig. 16 y) nur solche Fasern führen
würde, denn es sind ausser jenen Fasern ihn ihm auch solche
vorhanden, die vom Temporallappen aus in den Thalamus ziehen,
wie dies auf der Abbildung deutlich zu sehen ist, und dann
kommen in ihm auch noch die Fasern der Capsula interna mit
in Betracht.
Es ist dieses Bündelsystem wohl mit dem Fasciculus
longitudinalis inferior beim Menschen homolog. Der
erste Darsteller dieses Fasersystems Burdach (4) schildert es
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 179
als solches, das vom Ende des Oceipitallappens beginnend, im
äussern Teil des Unterhornbodens nach vorne zu zieht, einen
Teil aus sich in den Unterlappen entsendet, indessen der übrige
Teil unter dem Linsenkern zum Stammlappen gelangt. Der letzte
Autor der über dieses Bündelsystem berichtete, Redlich (33)
findet, dass: „Im Gegensatz zum Cingulum, dass wir bei niederen
Tierklassen (der Säugetiere, Haller) viel mächtiger entwickelt
gefunden haben als bei höhern, beim Menschen in direkt
rudimentärem Zustande treffen, finden wir umgekehrt das Stratum
sagittale laterale, respektive den Fasciculus longitudinalis lateralis
inferior komplizierter entwickelt, je höher wir in der Tierreihe
aufsteigen, sodass er beim Menschen die komplizierteste Gestalt
gewinnt.“ Es stellt nach Redlich dieser Fascieulus, der sich
hinten in das Mark des Gyrus hippocampi erstreckt, eine zum
grössten Teil der optischen Bahn zugehörendes System dar, denn
es steht in Zusammenhang mit dem Thalamus und dem Corpus
geniculatum externum. Eine Verbindungsbahn zwischen Hinter-
hauptslappen und Schläfenlappen soll indessen nach Redlich
dieses System nicht sein, sondern bloss eine solche zwischen
Gyrus hippocampi und der basalen oralen Schläfenlappenrinde
und den basalen Ganglien, indessen der dorsale Teil des Systems
eine Verbindung zwischen oceipitaler Rinde und Scheitellappen
und den genannten Gebilden ist. Es ist nur ein geringer Teil
Associations-, der weit grösste Teil Projektionssystem.
Insofern stimme ich denn Redlich auch bei, dass dieses
System-bei Nagetieren sich noch aus dem Stratum sagittale occipitale
laterale nicht herausdifferenziert hat. Bei den Musteliden tritt
es deutlich zutage (Textfig. 16 y). Da zeigt es sich denn,
dass beiden Musteliden ein Teil des Systems und
zwar derinnere, inden latero-kaudalen Teil des
Thalamus gerät und hier hauptsächlich mit dem
Ganglion hypothalamicum laterale sive Nucl.
genic. internus (ghy‘) in Verbindung steht, in-
dessen der äussere Teil eine direkte Verbindung
zwischen oceipitalen und temporalen Lappen (gps)
und somit dieser Teil sicherlich ein Associations-
system ist.
Es liegt im hintersten Abschnitt des Linsenkerns ein kleiner,
fast runder Kern (Textfigg. 20, 21 g). Er befindet sich genauestens
122
180 B. Haller:
neben dem obern Rande des bandförmigen Opticusbündels (op)
vor der Fimbria (Textfig. 16 Fi). Er kann seiner Lage nach dem
untern oder beiden Kernen des grossen Linsenkerns bei Glires
gleichgestellt werden. Auch dieser Kern steht ja dort in direkter
Beziehung mit der Ammonswindung, wie ich es für die Maus
gezeigt hatte (l. cc. Taf. XXIII st‘‘), gerade so wie bei den
Musteliden. Es treten in diesem Linsenkernganglion (Textfig. 20 g)
Fasern aus der Fimbria ein und sammelt sich aus dem Ganglion
ein Bündelsystem, das dann nach aussen biegend (r), in die
Markmasse (b) des Gyrus pyriformis gelangt, doch gesellen sich
diesem Bündel auch Fasern aus der Striatotemporalverbindung an.
An dieser Stelle, also gerade am vordern Ende des ventralen
Teiles des Gyrus ammonis, wo diese Verbindung sich findet und
somit nicht weit hinter dem Ganglion areae olfactoriae posterius,
zeigt das in die Ammonwindung übergehende Pallium einen
eigenartigen Bau. An gleicher Stelle hört ja auch die Fissura
rhinalis anterior, welche unterhalb der Fissura Sylvii liegt, in
die Inselspalte hineinführt und mit der Fissura Sylvii den Lobus
suprainsularis begrenzt auf (Textfig. 9). Es beginnt dann weiter
hinten jene Fissur, die als Fissura rhinalis posterior bezeichnet
zu werden pflegt (Textfig. 21 srh‘). Also gerade an dieser Stelle
liegt jene Differenzierung im Pallium des Gyrus pyriformis. Es
zeigt sich hier in dem medianen grossen Teil der Rinde eine
starke Verdichtung der Rindenzellen, wobei sich diese Verdichtung
auf viele Rindenschichten erstreckt und welche, nur einheitlich
auf Tinktionspräparaten deutliche Lage (Textfig. 20 g‘) als eine
direkte Fortsetzung des Linsenkernganglions erscheint. In dieser
Lage findet sich eine Faserlage längsverlaufender, markhaltiger
Fasern (b‘), welche dann in den Alveus der Ammonswindung (ga)
kontinuierlich übergeht. Auf der medianen Seite der Rinde,
innen von der geschilderten Faserlage, befindet sich eine andere,
sehr feinfaserige, die bis zum Linsenkernganglion hinzieht. Diese
beiden Faserlager liegen somit nach innen und weit entfernt von
der Markstrahlung (b) des Gyrus pyriformis in diesem. Sie sind
Fasern aus der bereits beschriebenen Striatotemporalverbindung. Es
zeigt sich hier somit abermals ein sehr enger Zusammenhang
zwischen dem Linsenkern und der Pallialrinde, sowohl zwischen der
Ganglienzellage als zwischen der Faserung, was mit den weiter
oben geschilderten Verhältnissen bei Chiropteren, Insektivoren
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 181
und Glires gut im Einklang steht und die dort besprochene Ab-
stammung des Linsenkerns aus dem Pallium zu stützen hilft.
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Fig.18. Putorius putorius. Sagittalschnitt durch das Grosshirn und den Thalamus. bof = Bulbus
frontalis; Ik — vorderer, Ik‘
olfactorius; stl — äusserer Stirnlappen; cela
Bei der Besprechung des Inselgebietes werde ich auf
diese Stelle noch zu sprechen kommen und hier möchte ich auf
das konzentrierte Bündelsystem im Linsenkern zurückkehren.
Nach seinem Verhalten im sogenannten Zwischenhirn zer-
fällt dieses Bündelsystem in zwei Teile. Der untere Teil
182 B. Haller:
(Textfig. 19 bvhb. str) legt sich dem aus der Capsula interna
nach unten ziehenden Vorderhirnbündel (bvhb) an, um dann
etwas weiter nach hinten im Ganglion hypothalamicum medium
(Textfig. 21 ghy) einzustrahlen. Die Frage, ob dabei noch Fasern
von ihm im Vorderhirnbündel verbleiben oder sich solche ihm
beimengen, lasse ich unberührt. Auch weiss ich nicht, wie weit
dieses Bündel sich an der Commissura postoptica (nc‘) beteiligt.
Der hintere andere Teil des Bündels (Textfig. 17 f. sth)
durchsetzt weiter nach hinten von der Anschlusstelle an das
Vorderhirnbündel, diesen, oben einheitlich weiter unten in der
Ebene der Commissura anterior in viele Einzelbündel zerfallend, die
Capsula interna. So gelangt dann dieser Teil an zwei Endstellen,
nämlich in den latero-kaudalen, vom Hauptkern wohl differenzierten
Teil des Ganglion laterale thalami (nlt‘) und in ein dahinter ge-
legenes, sehr distinktes Ganglion, dem Ganglion hypothalamicum
laterale (ghy). Dies Letztere ist im Vergleich mit dem der Nager
sekundär weit nach oben verschoben worden.
Das ganze Bündelsystem aus dem Striatum und dem
Thalamus, das wir soeben erledigt, entspricht offenbar der
„Linsenkernschlinge“ in der Literatur. Ich habe ihn unter dem
Namen Fasciculus strio-thalamieus bei der Maus aufgeführt.
Was nun die Bezeichnungen betrifft, so möchte ich nur
jenen Teil des Systems „Linsenkernschlinge“ der Musteliden mit
dem Namen Fasciculus thalamo-lenticularis bezeichnen,
der in dem Nucleus thalami lateralis endet (Textfig. 17 fsth),
denn nur dieser Teil ist identisch mit jenem gleichbenannten der
Maus; dabei aber gleich bemerken, dass an der Bildung des
Bündels der Linsenkern ebenso beteiligt ist, als das Striatum,
was ja wie ich dies zeigte (l. c. Fig. 11 f.sth) bei der Maus sehr
deutlich zu erkennen ist.
Jener Teil des Systems „Linsenkernschlinge“ aber, der in
die Ganglia hypothalamica gerät, enthält bei Musteliden auch
den Funiculus striati mihi bei der Maus (Stria terminalis,
Autorum), der Striatum und Linsenkern verbindet. Mit Ausnahme
dieses letzten Bündels ist das noch übrig gebliebene aus dem
System „Linsenkernschlinge“ bei den Chiropteren, Insektivoren
und Glires mit im basalen Vorderhirnbündel enthalten, denn
es legen sich die Striatafasern völlig den Fasern aus der Corona
radiata an. Die Trennung bei Musteliden (und anderen höheren
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 1835
Formen) mag wohl aus der hohen Differenzierung des Mantels seine
Erklärung finden. Und diese beeinflusste auch den Thalamus
opticus, denn gesondert sind nun die einzelnen Teile des bei niedern
Placentaliern in zwei Bündelsystemen, dem Fasciculusthalam.o-
prosencephalicus und thalamo-lenticularis enthaltenen
Teile. Sie zerfallen nach der nun gut getrennten Pallialgegenden
in die bei höheren Formen gut bekannten Radiationen, als die
sind: die Radiatio fronto-thalamica und R. temporo-oceipitalis
thalami.
Die Radiatio fronto-thalamica war bei den niedern
Formen auch schon selbständig, allein der Funiculus thalamo-
lenticularis enthält ausser dem Linsenstriatumteil auch noch die
Radiatio .fronto- und temporo-thalamicus. Dieser Zustand war,
wie ich weiter oben bei Chiropteren anführte, ein von Stego-
cephalen-Ahnen ererbter.
Zuerst vor der Commissura anterior mit den Fasern der
Corona radiata aus den Stirnlappen gleiche Richtung einhaltend
und darum von ihnen nicht zu unterscheiden (Textfig. 12, 17),
wenden sich dann die Bündel der Radiatio fronto-thalamica
ventral vor dem Thalamus angelangt (Textfigg. 17, 18, 22 r. f. th),
nach oben und innen und den Thalamus von unten schalenförmig
umgreifend, strahlt die Faserung ventral in die Zona intermedia
(Textfig. 17 zi), aber auch zum Teil in den innern grossen Ab-
schnitt des Nucleus lateralis-thalami aus.
Eine entschieden mächtigere Faserung ist die Radiatio
temporo-occipitalis thalami. Ihr Sammlungsgebiet dürfte
die schwarze Bogenlinie auf der oceipito - temporalen Fläche
des Palliums auf Textfig. 9 B annähernd richtig angeben. Es
erstreckt sich an der Fissura Sylvii nur wenig auf den Gyrus
praesylvius (Textfig. 14 r.t. th), nimmt aber die hintere Hälfte
des Bogengyrus unter den Arcus suprasylvius ein, erstreckt sich
auf den lateralen Ocecipitallappen, doch greift sie nicht über den
Suleus lateralis hinüber. Das Sehgebiet der Grosshirnrinde ist
somit bei den Musteliden weit grösser, wie dies für den Menschen
durch das Experiment festgestellt wurde, was wohl so zu er-
klären wäre, dass der Temporallappen bei den Primaten eine
mächtige Entfaltung erlangt aus noch kleinen Anfängen, wie sie
Musteliden auch besitzen und, dass dadurch die Sehsphäre weit
nach oben auf den Oceipitallappen verschoben ward, indem dann
184 B. Haller:
andere physiologische, sich höher entfalteten Gebiete ihren frühern
lateralen Platz einnehmen. Es kommt ja in den ventralen Gyrus
postsylvius hauptsächlich die Gehörrinde zur Geltung und da
wäre es denn möglich, dass die allmähliche Entfaltung eines
feinen Gehöres bei dem Menschen hier mit andern Differenzierungen
grössere Entfaltung des Hirnmantels bewirkte.
Auf Längsschnitten sieht man deutlich (Fig. 25, Textfig. 18
r.t.th) die Strahlung als mächtige Längsfasermasse in der Corona
nach vorne zu ziehen und dann von oben und lateralwärts in
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Fig. 19.
Mustela foina. Untere rechte Hälfte eines Querschnittes durch das
Grosshirn, durch die Stelle, wo die Einstrahlung des Funiculus thalamo-
prosencephalicus in den Thalamus erfolgt. cm — Cingulum; ce — Corpus
callosum; Fi = Fimbria ; ndt — Nucleus dorsalis thalami; fth.p = Funiculus
thalamo prosencephalicus; bvhb — basales Vorderhirnbündel; bvhb. str = der
striatale Teil desselben ; opt = Opticus; gp = Gyrus pyriformis; Ik — Linsen-
kern; ce = Capsula externa; cl = Caps. lateralis; in = Insula; srh = Sulcus
rhinalis; Isi = Gyrus suprainsularis; s! — Fissura genualis extrem; str —
Striatum; fls — Funiculus longit. epistr. (Stratum subcallosum Autorum).
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 185
den Thalamus einbiegen. Es greifen dann die Fasern ventralwärts
im grossen Lateralkerne bis an dessen untern Rand, wodurch
es zu einer Durchkreuzung von Fasern der Radiatio temporo-
oceipitalis und der R. thalamo -frontalis gelangt (Textfig. 18).
Wenn nun auch Fasern von der temporo-oceipitalen Strahlung
in die Zona intermedia gelangen, so ist es doch hauptsächlich
der grosse laterale Thalamuskern, wohin sie ausstrahlt.
Auf Querschnitten in der Epiphysengegend (Textfig. 14),
also durch den hintern Teil des grossen lateralen Thalamuskerns
(nit), lässt sich die Faserung von diesem Kerne aus bis in die
Pallialrinde verfolgen und es sieht dann auch so aus, als wenn
solche Fasern in die Habenularganglien gelangen würden, deren
Commissur (cp‘) jedoch nicht erreichen. Ob diese Fasern aber
nicht etwa aus dem Habenularganglion nur bis in den Lateral-
kern ziehen, und Strahlungsfasern sich bloss anlegen, dies wird
nur die histologische Erforschung entscheiden.
Ein starkes Bündel aus der Radiatio temporo-oceipitalis
verhält sich im vordern Thalamusteil insofern anders, als es
genau an der Grenze zwischen Thalamus und dem Hypothalamus,
also dem Vereinsgebiet, von aussen nach innen und oben im
schönen Bogen (Textfig. 19 r. th.t) zum Dorsalkern des Thalamus
(ndt) hinaufgreift und sich in demselben aufsplittert.
Es war nicht meine Absicht hier das Verhalten innerhalb
des Thalamus weiter zu behandeln als es geschehen ist und will
darum hier auch mit der Erörterung des Vorderhirnbündels
beginnen.
Es giebt bei niedern Placentaliern, auch noch bei den
Glires, ein einheitliches basales Vorderhirnbündel, das Fasern
aus dem gesamten Pallium, sowie aus dem Striatum oder Nucleus
caudatus in das Vereinsgebiet des subthalamalen Zwischenhirns
befördert. Wie wir nun gesehen, hat sich der Teil aus dem
Striatum bei den Musteliden vom Hauptbündelsystem, das die
Capsula interna bildet, abgesondert und endigt allein für sich
im Ganglion hypothalamicum medium.
Das auf diese Weise für sich gebliebene Vorderhirn-
bündel führt somit Fasern nur aus dem Pallium und zwar aus
dem gesamten Pallium.
Es ziehen dann jene Fasern, die zu dem Vorderhirnbündel
gehören, aus der Masse der Fasern in der Corona radiata, je
156 B. Haller:
nach der Stelle ihres Beginns oder Endens, in der Rinde senk-
recht oder in schiefer Richtung nach ventralwärts zu, um sich
so in der Capsula interna zu sammeln (Figg. 23—25). Es er-
streckt sich dann die Capsula externa vom Kopf des Streifen-
körpers, diesem lateralwärts anlagernd, bis auf die laterale Seite
des Thalamus (Textfigg. 16, 17). Jener hintere, am Thalamus
gelegene Teil ist einheitlich, zerfällt nicht wie der vordere Teil
der Capsula interna in Bündeln. An laterosagittalen Schnitten
sieht man dann diesen Teil als ausschliessliches Vorderhirnbündel
(Textfigg. 18, 22 bvhb) ganz ventrolateralwärts gelangen und so
Fig. 20.
Mustela foina. Stück aus einem Querschnitte hinter dem auf der vorigen
Figur. Fs = Fissura Sylvü; l1.si = Lobus suprainsularis; cl = Capsula
lateralis; ce — Capsula externa; in = Insula; r = Bündel in den Gyrus
pyriformis; g = oberes, g' — unteres Linsenganglion (Kern); ga = Gyrus
ammonis; opt = Opticus; bvhb — basales Vorderhirnbündel; bvhb. str =
dessen striataler Abschnitt; Ik — Linsenkern.
den Hypothalamus, unser Vereinsgebiet erreichen. Es liegt
hier oberhalb und innen vom Bündel, diesem ein langer, über
den Ganglia mamillaria knopfförmig verdickter (Textfig. 21 ghy),
dann aber bandförmig von lateral nach innen zu zusammenge-
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 187
drückter (Textfig. 14 ghy) Kern an, der in dieser Form bis weit
hinten, bis an die Brücke reicht (Textfig. 22 ghy). Verglichen
mit den Zuständen wie ich sie für die Maus geschildert und ab-
gebildet habe (1. c. Fig. 9) hätten wir es in diesem Kerne mit dem
Ganglion hypothalamicum medium zu tun. Hinter ihm in der
gleichen Sagittalebene liegt bei der Maus das Ganglion hypo-
thalamieum laterale (l.c. Figg. 9, 14) und beide, Gangl. hypo-
thalamicum med. und laterale, werden dort von einem schräg nach
Fig. 21.
Mustela foina. Dieser Qnerschnitt folgt auf den in der vorigen Figur.
nlt — Nucleus lateralis thalami; in = Insula; Ik = Linsenkern; ce — Capsula
externa; ga — Gyrus ammonis; ghy —= Gangl. hypothal. med.; gm — Ganglion
mammillare; cf = Columna fornieis; f — Fasciculus thalamo-mammillaris
superior; nc — Commissura postoptica.
dorsalwärts und etwas hinten gerichtetem Bündel getrennt,
welches (bvhb’ dort) dem basalen Vorderhirnbündel angehört.
Dieses Bündel ist auch bei Musteliden vorhanden (Textfig. 22 bvhb‘),
es zieht lateralwärts an dem einheitlichen Kern aufwärts. Nach
dieser topographischen Orientierung sind wir dann berechtigt zu
der Annahme, dass der fragliche einheitliche Kern der Summe
vom Ganglion hypothalamicum mediale und laterale entspricht,
was wir vor Augen behalten wollen, wenn wir für ihn den Namen
roter Kern für Musteliden und überall nur dort, wo er sich so
188 B. Haller:
findet beibehalten. Es hängt darum der rote Kern kontinuierlich
mit einem Kern hinter dem äussern untern Teil des Nucleus
lateralis thalami zusammen (Textfigg. 16, 17 ghy‘), der nach dem
Verhalten zu andern Faserbündeln, so u. a. zu unserem gemischten
Längsfasersystem des metameren Hirns (M), als ein Teil des
Ganglion hypothalamicum laterale der Maus gedeutet werden muss.
Der Kopf des roten Kerns (Textfig. 21 ghy) befindet sich
genau oberhalb des Ganglion mammillare (gm) und etwas
lateralwärts von ihm. Das Ganglion mammillare ist einheitlich
(Textfig. 11 gm). Ausser diesem Ganglion mammillare nun, der
dem Ganglion mammillare medium der Maus entspricht, findet
sich bei Musteliden kein anderer Kern vor, der mit dem Ganglion
mammillare laterale der Maus gleichgestellt werden könnte, als
der Kopf des roten Kerns. Dass der Kopf des roten Kerns tat-
sächlich einem stark nach oben gerückten Ganglion mammillare
laterale entspricht, ist auch aus der topographischen Lage zu
andern Teilen zu schliessen; so liegt der Fasciculus thalamo-
mammillaris superior oder der Viq d’Azyrsche Strang genau
über ihn (Textfig. 21 f) und gelangen auch Fasern aus dem ge-
mischten Längsfasersystem des metameren Hirns in ihn. So er-
weist sich denn der rote Kern als eine Vereinigung
von den beiden Ganglia hypothalamica und des
Ganglion mammillare laterale der Maus.
Zwischen der Brücke und dem Boden des Vereinsgebietes
am Zwischenhirne, zwischen den Grosshirnschenkeln findet sich
eine Spalte bei Chiropteren, Insektivoren und Glires, welche die
äussere Grenze zwischen prächordalem und metameren Hirne
bezeichnet und in welcher muldenförmigen Vertiefung teilweise
die Hypophysis lagert. Es ist diese Fossa interpeduncularis sehr
eingeengt bei den Carnivoren überhaupt und hier drängt sich
das Ganglion interpedunculare stark in den Boden des Vereins-
gebietes vor.
Schon aus diesem Umstand geht es hervor, dass am
Boden des Gehirns zwischen Brücke und dem hypo-
thalamalen Gebiete ein starkes Zusammenschieben
stattfand im Vergleich zu den Zuständen bei der
Maus. Dieses feste Aneinanderlagern mag den auch veranlasst
haben die Lageveränderung des Ganglion mammillare laterale und die
ganze Einheitlichkeit oder das Zustandekommen des roten Kernes.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 189
Aus dem Vorderhirnbündel begibt sich ein Bündel in den
Kopf des roten Kernes, das zum Teil wenigstens zum Fasciculus
thalamo-lenticularis angehört, dem aber wohl auch Fasern aus
dem Vorderhirnbündel zugesellen; eine gleiche Abstammung hat
dann auch die Kommissur über dem Ganglion mammillare
(Textfig. 21 ne‘) welche der Commissura postoptica der niedern
Placentalier (Glires mit einbegriffen) entspricht.
Des nach oben ziehenden Bündelchens aus dem Vorderhirn-
bündel (Textfig. 22 bvhb’) wurde schon gedacht und auf Näheres
darüber verweise ich auf meine Ausführungen bei der Maus (l. c.)
Das weitere Verhalten des Vorderhirnbündels ist aber bei
den Musteliden schon schwer festzustellen und ich wundere mich
nicht darüber, dass diejenigen, welche sich nur mit den höhern
Placentaliern abfanden, an einer direkten Fortsetzung der Gross-
hirnbahnen in das metamere Hirn festhalten. Allein diese Zu-
stände sind bei der Maus, Chiropteren und Insektivoren zu
untersuchen, wo ich denn auch in dieser Arbeit zeigte, dass die
Bahnen aus dem Grosshirn nur vermittelst des Vereinsgebietes
mit dem metameren Hirne und dem Rückenmark zusammen-
hängen. Ein Totschweigen dieser Zustände bei niedern Formen
(auch Ichthyden, Amphibien und Reptelien mit inbegriffen) fördert
die Sache nicht!
Erkennen konnte ich, dass Fasern aus dem Vorderhirn-
bündel bei Musteliden im roten Kern aufsplittern, welcher ja weit
nach hinten in das metamere Hirn eingeschoben ist (Textfig. 22),
ja bis zum Oculimotoriusursprung reicht (Textfig. 21). Es ist
das eine ungemein feine Aufsplitterung und der Kern ist von
einem dichten Nervenfasernetzwerk, das immerhin verhältnis-
mässig zu feinen Netzen noch grob ist, förmlich durchwebt. Da
dieses Netz sich viel gröber auf Markscheidefärbungen erweist
als auf Golgischen Präparaten, so ist wohl die Annahme gestattet,
dass das grobe markhaltige Netz in ein feineres markloses über-
geht. Aber erst nach Betrachtung beiderlei Präparate gewinnt
man den richtigen Eindruck von der Reichhaltigkeit dieses
Netzes. Es ist also sicher, dass sich hier eine grosse Zahl von
Längsfasern auflöst.
Allein den Eindruck gewinnt man doch nicht darum, als
wenn ‚das Vorderhirnbündel hier anders würde. Wenn man
(uerschnitte betrachtet, so sieht man die innere Lage des
190 B. Haller:
Vorderhirnbündels (Textfig. 14 bvhb‘‘) immer undeutlicher nach
dem Kerne zu (ghy) werden. Dies ist aber auch alles, die
Hauptfaserung (bvhb) erhält sich bis zur Brücke (Textfig. 22 bvhb).
‘Ich kann mir dieses Verhalten in Anbetracht der Zu-
stände bei niederern Formen nur auf eine Weise erklären.
Erstens hat sich dem Vorderhirnbündel bei der grossen Gedrängt-
heit in der betreffenden Gegend ein Bündelsystem aus dem
Thalamus angeschlossen, wie dies schon aus Textfig. 21 ersichtlich
ist, und welches Bündelsystem bei der Maus von ihm völlig
getrennt ist, es ist das der Fasciculus thalamo-prosencephalicus
As ‚Str
F
I
!
I
Fig. 22.
Putorius putorius. Lateraler Sagittalschnitt durch das basale Grosshirn
dem Thalamus und den Vierhügeln. tbs — Tractus cruciatus olfactori;
t. bip — Tractus lobi olfactorii; op — Opticus; bvhb — basales Vorderhirn-
bündel; bvhb‘ — dessen Dorsalbüudel; ghy — Ganglion hypothalamicum med.;
gm *= Ganglion mammillare; M = Gemischtes Längsfasersystem des
metameren Hirns (Haubenbahn); y‘ — Gekreuzter Bindearm; vh — hinterer
Vierhügel; ol = Schläferlappen; tho — Thalamus opticus; Fi — Fimbria;
fls — Fasciculus longitud. epistriaticus; str — Striatum.
(l. c. Fig. 7 f“) und diese Fasern sind dann, die sich weiter in
das metamere Hirn fortsetzen. Dann aber ist es die Pyramiden-
bahn, die bei der Maus, Chiropteren und Insektivoren nur bis in das
Vereinsgebiet reicht, die sich dem Vorderhirnbündel beimischt.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 191
Ein grosses Gebiet umfasst das Inselgebiet bei den
Musteliden. Unter diesem Gebiet verstehe ich die Differenzierung
innerhalb des Palliums, eines Bezirkes, das ventralwärts entlang
der Fissura rhinalis lateralis anterior, vom äussern ventralen Teil
der Frontal- oder Stirnlappen bis auf den Temporallappen hin-
zieht, äusserlich aber so ziemlich von der Fissura genualis
externa begrenzt wird, ventralwärts aber etwa bis unterhalb der
Fossa rhinalis anterior reicht (Textfig. 9 C). Das Gebiet wird
äusserlich durch eine Einstülpung des Palliums gekennzeichnet,
durch eine spaltförmige Einstülpung, welche innere Spalte durch
die ganze Fissura rhinalis anterior nach aussen mündet und die
Ränder dieser Spalte unten von dem Lobus pyriformis, oben
durch einen Längsgyrus, der dem Inselgebiete angehört, dem
Lobus suprainsularis (lsi) begrenzt wird.
Nur dort, wo die Fissura rhinalis anterior in die Fossa
Sylvii mündet, an der Vallecula Sylvii, dient die Fossa zur Aus-
mündung der Spalte Hier greift dann das Inselgebiet auch
weiter nach oben wie sonst, doch ist es dort sehr eingeengt und wird
nur noch durch einen geringen Zellstreifen über den die Capsula
lateralis (Textfig. 14 el: Fig. 24) liegt, markiert. Es greift hier
ein wenig auf den Gyrus antesylvius mit seinem obern Ende über.
Das histologische Kennzeichen des Inselgebietes ist die
Trennung seines Marklagers, seiner Corona radiata in eine obere
und untere Lage. Dadurch besitzt die Rinde des Inselgebiets
eine äussere breite Zellage (Textfig. 12, 16, 17, 19, 20, 21), eine
darunter sich befindende, aus einem markhaltigen Netze gebildete
Faserlage, die Capsula lateralis (cl), eine darauftolgende dünne
Zellenlage, das Claustrum (cla) und eine innere sehr schmale
Marklage, die Capsula externa. Von diesen Teilen zeigen sich
nur die Capsula externa und das Claustrum bei Chiropteren,
Insektivoren und Glires, indessen die Capsula lateralis dort, noch
mit der Rindenmarklamelle zusammenfällt, doch schon als drittes
Netzgebiet in der Rinde auftritt (s. Chiropteren). Das Inselgebiet
ist somit vorgebildet, doch gelangt es erst bei den Musteliden
zur vollen Differenzierung.
Es besitzt dann die Capsula lateralis entsprechend der
Form des Inselgebietes eine nach aussen zu konvexe Form,
welche oben und unten in die Markmasse der sie begrenzenden
Gyri kontinuierlich übergeht. Oben, in jene des Gyrus supra-
192 B. Haller:
insularis (l. si), und da dieser Gyrus ja in den äusseren Frontal-
lappen übergeht (Textfig. 16, 17), in jene dieses Lappens. Ergänzt
wird dann dieses Bild durch Sagittalschnitte, die zeigen, dass
die Capsula lateralis (Textfig. 15 cl) in die Cortikalrinde zwischen
Lobus olfactorius (l. of) und äusserem Stirnlappen (stl) sich fort-
setzt, indessen die Capsula externa mit der Markmasse zwischen
diesem Lappen und dem Kniegyrus verschmilzt. Dazwischen liegt
das Claustrum (cla). Dieses ist hier am mächtigsten, wird aber
dann lateralwärts ganz schmal (Textfig. 16 cla), wobei es dann
von seiner dicksten Stelle an nach innen bis hinter den inneren
Stirnlappen einen schmalen Fortsatz entsendet (Textfig. 17). Es
steht somit hier das Inselgebiet auch mit dem Lobus olfactorius
in irgend einer Beziehung.
Unten geht die Capsula lateralis bis zur Vallecula Sylvii
in die Markmasse des Lobus pyriformis kontinuierlich über
(Textfig. 12, 19) und zeigt sich im vorderen Teil dieses Ab-
schnittes die Markmasse des Lobus pyriformis in innigster Be-
ziehung mit dem Ganglion areae olfactoriae (gao), wobei der
Fascieulus olfaeto-corticalis inferior einen geschlossenen Überzug
über der lateralen Seite des Gyrus bis tief hinein in die Spalte
des Inselgebietes zeigt (Textfig. 12 f. oc. i), wie er auch dann die
laterale Fläche desselben in bescheidenem Maße überdeckt.
Hinter der Vallecula Sylvii ändert sich auf dem Temporal-
lappen die Sache insofern, als sich da die Marklage im Gyrus
pyriformis teilt und während dann die innere Lamelle nach innen
zur Ammonswindung hinzieht (Textfig. 20, 21), die äussere,
in welcher sich die Capsula lateralis auflöst, wie zuvor nach oben
in der Gyruswand liegt. Dadurch erweist sich erst hier eine Trennung
zwischen Capsula lateralis und dem eigentlichen Riechgebiet.
Die Capsula externa erweist sich als eine dünne Mark-
lamelle, welche vorne, an der Umbiegungsstelle der Corona
radiata frontalis in die Capsula interna, zwar sich dieser fest
anschliesst, weiter vorne in den Stirnlappen aber ventralwärts
und entlang des ganzen Inselgebietes von der Capsula interna
durch den Linsenkern getrennt ist.
Sie besteht aus vertikalen und auch aus wenigen horizontalen
Fasern, doch überwiegen erstere. Dorsalst hängt sie mit der
Corona radiata zusammen (Textfig. 12, 19, 20, 21 ce), aus welcher
ihre Fasern herstammen und die sich dann im Mark des Gyrus
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 193
pyriformis auflösen. Es erweist sich somit die Capsulu externa
als eine direkte Verbindung zwischen dorsalem
Pallium und Gyrus pyriformis und dürfte darum nicht
als ein direkter Zubehör zum Inselgebiet betrachtet werden, wie
denn hierauf auch die Verhältnisse bei den oben besprochenen
niedern Placentaliern und den Glires hinweisen. Nur die Capsula
lateralis und das Olaustrum, sowie selbstverständlich die Rinde
aussen von der Capsula lateralis, gehören dem Inselgebiete an.
Hier hat denn auch der Vergleich mit den niedern Formen
ohne Insel einzusetzen.
Wir haben bei den Chiropteren bezugnehmend auf die
niedern Glires speziell der Maus schon festgestellt, dass jenes
unten breite, dorsalwärts schmäler werdende Kerngebiet neben
der Capsula externa, das sich dort, zum Teil wenigstens, als
Faserung aus der Commissura anterior ergab, Rindengebiet sei.
Der eigentlichen Rinde gegenüber wird dieses Gebiet durch die
Marklamelle, in der ja viele Fasern aus der Commissura anterior
in den oceipitalen Mantelteil gelangen, abgegrenzt. Dann wurde
für die zwei Fledermäuse gezeigt, dass bei ihnen in der lateralen
Rinde ein ovales Gebiet sich vorfindet, in dem ein markhaltiges
Geflecht besonders ansehnlich ist, und eine gewisse gute Ab-
grenzung nach oben, vorne und hinten aufweist. Hier entwickelt
sich dann bestimmter formuliert das bereits vorgebildete Insel-
gebiet, noch ähnlich wie bei Chiropteren und Insektivoren bei der
Maus, indessen bei andern Glires — eingeleitet mit der Maus und
weiter entfaltet bei Seiurus — wie bei Lepus, sich höher gestaltet.
Hier zeigt sich dies Inselgebiet schon so vorgebildet, dass es direkt
an höhere Formen anschliessen hann. Ich verweise diesbezüglich
auf drei Querschnittsbilder durch das Kaninchenhirn von €. u. O.
Vogt (30, Bd. 1, Taf. 56, Fig. 1—3), aus denen ersichtlich ist,
dass hier entlang der Fissura rhinalis anterior — aber auch noch
auf das Gebiet der F. rh. posterior übergreifend, wie denn auch
bei Musteliden — das Inselgebiet sich bestimmter formuliert mit
einer Capsula lateralis und externa und dazwischen liegendem
Claustrum (von den Autoren nicht beachtet), obgleich es ja hier,
ausser einer Andeutung der Fissura lateralis, zu keinen Spalten-
bildungen gelangt.
Verglichen dieses Verhalten mit dem der Musteliden, liesse
sich folgendes feststellen:
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 13
194 B. Haller:
1. Bezüglich des Linsenkerns findet sich ein Homologen bei
niedern Placentaliern nur für den hintern Linsenkernteil der
Musteliden, eben für jenen Teil, der hinter der Commissura
anterior gelegen ist.
2. Das Claustrum der Musteliden findet sich schon bei
jenen niedrigen Placentaliern in dem postkommissuralen Teil, jedoch
unvergleichlich mächtiger, was wieder mit der geringeren Mächtig-
keit des Stirnhirns bei ihnen in Zusammenhang zu bringen wäre.
3. Während die Capsula externa vorne als auch hinter der
Commissura posterior bei den niedern Formen noch im Bereiche
dieser Kommissur steht (physiologisch), erhält sich bei den
Musteliden im vorkommissuralen Teil nur die vertikale Faserung,
indessen im postkommissuralen noch ein Bündel der Commissura
anterior für das Oceipitalgebiet sich erhält (vergl. Textfig. 17).
4. Eine Abgrenzung der Marklamelle in der temporo-
occipitalen Gegend in eine äussere und innere, speziell für den
inneren Teil des Lobus pyriformis bestimmten Lamelle, ist bei
Musteliden vollzogen und die äussere Lamelle tritt mit einer
Markfaserung, der Capsula lateralis in direkte Beziehung.
5. Diese Markfaserung, die Capsula lateralis nämlich, zeigt
sich bereits in der temporalen Gegend des Palliums, und grenzt
sich bei Musteliden ab,'!) wodurch auch das Ulaustrum beein-
flusst wird.
So sehen wir denn ein grosses Gebiet, das Inselgebiet, mit
der Furchung des Hirnmantels allmählich entstehen und selbst
in der Differenzierung schon vorgeschrittenem Pallium noch
eine grosse Ausdehnung einnehmen. Hier setzt nun der Vergleich
nach aufwärts in der Reihe der Placentaliern ein.
Vor allem zwingt uns das ganze Verhalten des Insular-
gebietes zu der Annahme, dass wir es hier mit einem
grossen Associationsgebiet zu tun haben. Denn erstens
besitzt dieses Gebiet eine besonders entfaltete Zwischenmarklage,
die Capsula lateralis, bestehend aus einem dichten Flechtwerk
markhaltiger Fasern, welches nirgends nach innen zu
mit der Corona radiata in Verbindung tritt und somit
auch keine Fasern in den Thalamus oder dem Vereinsgebiet
!) So ist es auch bei der Katze, worüber ich auf die Tafeln 8, 12
und 16 des ersten Teils der Vogtschen Tafeln verweise (l.c. I. Bd.).
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 195
entsendet, dann aber, weil ein Zusammenhang des Randes dieses
Plexus mit allen Gebieten, dem Stirnhirn, dem Geruchshirn, dem
dorsalen, temporalen und occipitalen Pallium besteht und somit
bloss das das Inselgebiet deckende Operculum keine direkte Be-
ziehung mit ihm besitzt. Die Reilsche Insel umfasst nicht das
gesamte Inselgebiet, denn als Insel wird bloss nur die innere
Seite dieses Gebietes bezeichnet, nicht aber auch seine obere
und untere Seite.
Die Ausdehnung des Inselgebietes nach vorne dem Stirn-
hirne zu ist bei den Carnivoren allgemein und der Lobus
suprainsularis ist bei allen vorhanden, obgleich er bisher un-
beachtet blieb.
Bei den andern Abteilungen der Gyrencephalen scheint
aber dieser Lobus reduziert, was wohl daher kommt, dass das
ganze Inselgebiet auf das, was als Reilsche Insel bezeichnet
wird, nämlich auf die innere Seite des Inselgebietes, sich be-
schränkt. Darum wird aber der Zusammenhang dieses Gebietes
weder aufgehoben noch eingeschränkt, denn was die „Insel“
an Länge, durch die grosse Entfaltung des Stirnhirns und
des Temporallappens, mit denen sie ja unvermittelt zusammen-
hängt,') einbüsst, wird an ihr durch eine Flächenvergrösserung
ersetzt. Es ist ja eine bekannte Tatsache, dass die „Insel“ sich
in Windungen legt, wodurch bei dem Menschen ein frontales
Gyrus brevis und ein Gyrus longus zustande kommt. Ent-
sprechend den Gyri legt sich auch die Capsula lateralis in Falten,
zwischen welchen und der Capsula externa oben das Claustrum
sich befindet.?)
Über die äussere Form der Reilschen Inseln handeln die
Arbeiten von Clark (5), Waldeyer (31) und Marchand (21).
Letzterer kam zu dem Ergebnis, dass von den beiden Abschnitten
der Insula Reilii der hintere der wichtigere sei und in der
Säugetierreihe am konstantesten sich verhält.
(sewiss ist es, dass das vordere Inselgebiet und mit ihm
der Gyrus suprainsularis sich nur bei den Carnivoren erhält und
schon bei den Perissodactylen das Inselgebiet sich auf die Insula
!) Wie Waldeyer (31, pag. 274) es richtig schildert für Hylobates
und Mensch, biegt „die pars frontalis der Insel in die dritte Stirnwindung
um, die pars temporalis in die obere (erste) Schläfenwindung.“
2) C. und O0. Vogt, 1.c. Bd. I, Taf. 2b.
13%
196 B. Haller:
Reilii reduziert,') und dass dann diese unter die Fissura Sylvii
hinaufgelangt, indem „sein breiteres Ende (Polende) zum Eingang
der Fossa Sylvii hin gewendet ist, während das spitzere sich
zum Ende der Fossa Sylvii hin erstreckt“ (Waldeyer).
Allgemeine Betrachtungen.
Es kann nicht die Aufgabe vorliegender Arbeit sein, die
gesamte phyletische Hirnentfaltung der Säugetiere zu einer Be-
trachtung zu machen. Dies wird vielmehr die Aufgabe zukünftiger
Arbeit sein, wozu der Stoff in erfreulicher Weise sich zu ver-
mehren beginnt. Ausserdem bietet aber auch die Entfaltung des
metameren Hirns, mit Ausnahme des Kleinhirns, wegen ihrer
(rleichmässigkeit nirgends Aussicht zur Feststellung von neuen
wichtigen Tatsachen. Aber auch die Betrachtung der Grosshirn-
entfaltung stösst zurzeit noch auf grosse Hindernisse. Es gehört
dazu die volle histologische und physiologische Bearbeitung des
(zrosshirnpalliums, was aber noch aussteht. In Anbetracht dieser
Umstände kann hier nur auf einige Fragen eingegangen werden.
Diese wären, der Ursprung des Balkens, das Gesetz nach welchem
es entsteht, und die Faserung des Grosshirnmantels im allgemeinen.
Unsere Betrachtung setzt dort ein, wo die bei Ichthyden
noch einheitliche Basalkommissur zuerst unter dem Einfluss der
Sonderung des Riechhirns vom übrigen Grosshirne in einen
obern Abschnitt: der Commissura superior und in einen untern,
der Commissura anterior sich geteilt hat. Dies erfolgte mit dem
Beginn des Landlebens, also mit der Quadrupedie. Lebende
Amphibien und Reptilien weisen diese Sonderung auf und es ist
darum die Annahme berechtigt, dass der gemeinsame Vorfahr,
der Stegocephale, sie schon besessen und von diesem auch auf
die niedersten recenten Säugetiere, den Monotremen vererbt
wurde. Denn diese sind noch auf jener primären Stufe jener
Sonderung, wo die Basalkommissur in eine Riechkommissur, die
ammonalen Kommissur, und die Vorderkommissur sich teilte.
Letztere verbindet die Bulbi olfactorii untereinander und die
beiden Pallialhälften, erstere gehört dem mächtigen Riech-
pallium an.
!) Die Ansicht Turners (27, pag. 554), dass die Primateninsel die in
die Tiefe versenkte Sylvische Windung der Carnivoren sei, ist somit
unrichtig.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 19%
Wenn wir von der Ansicht Owens (22) absehen, der in
seinen Betrachtungen über das Balkensystem Monotremen und
Marsupialier unter der üblichen Bezeichnung Aplacentarier zu-
sammen behandelt, wobei er die Commissura superior als blos
ammonale betrachtet, später aber doch von einem Balkenrudiment
spricht, so waren es Flower (10), Eliot Smith (23, 24, 25)
und Symington (26) welche den Ursprung des Balkens zuerst
aufgriften.
Eliot Smith sieht in der obern Kommissur der Monotremen
— die Marsupialier will ich hier aus Gründen, die ich weiter
oben angegeben habe, bei Seite lassen — eine reine ammonale
Commissur und lässt in der Commissura anterior die Pallialfasern
verlaufen. An diese Annahme und den weitern Gedankengang
Smiths möchte ich hier anknüpfen.
Aus obigem Zustand nun leitet Eliot Smith den
Balken auf jene Weise ab, dass Pallialfasern durch
sein Kommissurenbett, worunter nur die Area
praecommissuralis verstanden werden kann, im
Laufe der Phylogenie sich allmählich nach oben be-
gaben, sich dann der ammonalen Kommissur an-
schlossen — diesen mit ihrer weitern Vermehrung
weiter nach hinten verdrängten und, mit ihr auch
den Gyrus ammonis — und insofern die Vermehrung
dieser pallialen Elemente einen gewissen Grad er-
rungen, sie die dorsale Lamelle des Balkensystems
bilden. Dieser Ansicht hatte ich mich angeschlossen (17) und
hier wünsche ich diese Auffassung weiter auszuführen, damit die
Schilderung des phyletischen Werdeganges vom Grosshirn be-
ginnend. Nach den Feststellungen anderer, welche Beobachtungen
ich zu bestätigen Gelegenheit hatte, verlaufen in der Commissura
anterior der Monotremen die Fasern des Tractus cruciatus
olfactorii (Fig. 22 u. Textfig. 23, schwarz) und die gesamten Pallial-
fasern (blau), von denen in der obern Kommissur jede Spur
fehlt (s. 17, Fig. 46). Diese ist vielmehr eine rein ammonale
Querverbindung, insofern die Verbindung zwischen den beiden,
bis nach ganz vorne reichenden Ammonsfalten (s. 17, Fig. 42, 45)
in Betracht kommen. Doch finden sich ventral in ihr zwei
Bündelsysteme, die beiden Riechbögen Ziehens. Das vordere
Bündelpaar sind die Tractus areae-septales (Textfig. 23 rs) welche
198 B. Haller:
nach hinten jederseits je zu einer Fimbria werden (Fig. 22 violett)
um so in diesem hintern Abschnitt zur Ammonsfalte zu gelangen.
Die Querfaserung in der obern Kommissur enthält ausserdem das
Psalterium.
Von diesem Zustande an würde somit nach Eliot Smith,
Symington und wohl auch Flower die Balkenbildung einsetzen,
indem wie gesagt, angenommen wird, dass durch Smiths
Kommissurenbett Pallialfasern von der Vorderkommissur in die
ammonale Oberkommissur wandern. Diese phyletische Wanderung
erfolgt nach Smith auf die Weise, dass die Faserbündel der
Echidna. Querschnitt (Halbschema) durch das Grosshirn, die
Commissura anterior treffend. Die Ammonalkommissur rot;
Stabkranz blau; Striatum blaupunktiert; die ÖOlfactorial-
kommissur in der Commissura anterior schwarz.
Commissura, welche an den Seitenkammernwinkel liegen, anstatt
nach der andern Seite durch die Vorderkommissur zu ziehen,
medianwärts nach dorsalwärts biegen und eben auf diese Weise
das Kommissurenbett passierend zur Oberkommissur gelangen.
Dieser Auffassung widerspricht indessen Zuckerkandl (39),
indem er annimmt, dass die Tatsache, wonach bei placentalen Säuge-
tieren nach der Rückbildung „des dorsalen Ammonshorns und
der Hippocampusfaserung der dorsale Schenkel der Commissura
superior eine Verstärkung erfährt, offenbar auf die Massenzunahme
der Rinde zu beziehen“ sei. Es würde sich, meint Zuckerkandl,
nach seiner Annahme, „die Abschwächung der vordern Commissur
bei den placentalen (macrosmatischen) Tieren leicht erklären,
aber man sucht in den Schriften der Anhänger dieser Theorie
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 199
(der Smithschen, Haller) vergeblich nach einer anatomischen
Tatsache, die die Behauptung stützen könnte.“
Es unterscheidet Zuckerkandl drei Balkenarten, nämlich
solche in denen die Pallialfasern überwiegen (höhern Säugetiere),
solche mit mehr Hippocampusfasern (Aplacentalier) und solche in
denen im vordern Teil der Commissura superior mehr die Mantel-
fasern, im hintern mehr die Hippocampusfasern vorwiegen.
„Diese Form ist von Bedeutung, denn sie bietet Anhaltspunkte
dar, zu erschliessen, in welcher Weise phylogenetisch die Um-
wandlung des dorsalen Schenkels der Commissura superior in
den Balken sich vollzogen haben mag. Man ersieht ferner aus
dem Vergleiche der drei Formen klar und deutlich, dass der
Balken sich aus dem dorsalen Schenkel der Commissura superior
entwickelt.“
Aus all dem geht aber unzweideutig hervor, dass Zucker-
kandl bei der Balkenbildung dort einsetzt, wo in der Ober-
kommissur schon Pallialfasern vorhanden sind, also
die Monotremen und solche Marsupialier, bei denen Monotremen-
zustände bestehen, völlig ausser Betracht lässt. Da nun aber
diese Zustände einmal bestehen, so können die Pallialfasern in
der Commissura superior, wo sie eben sich zeigen, entweder
durch eine phyletische Aufwärtswanderung von dort aus, wo sie
sich eben vorher befanden, also aus der Commissura anterior im
Sinne Smiths erfolgt oder müssen sie an Ort und Stelle
entstanden sein. Da sich hierüber Zuckerkandl direkt nicht
ausspricht, — er nimmt ja gleich jenen Zustand zum Ausgang,
in welchem die Pallialfasern in der Commissura superior schon
vorhanden sind, — so ist wohl anzunehmen, dass er sich
hier die Pallialfasern an Ort und Stelle entstanden denkt eben
„durch die Massenzunahme der Rinde“.
Dann aber steht Zuckerkandl auf dem Standpunkt der
Nervenauswachsungs-Theorie, der in den letzten Zügen liegenden
Neuronenlehre, denn nur mit Zuhilfenahme dieser, lässt sich das
erste Auftreten von Pallialquerfasern in der obern Kommissur
erklären. Allerdings hat Zuckerkandl versucht bei Parameles
jene Fasern aus dem Grenzgebiet zwischen Ammonswindung
und Oceipitallappen, die dann in dem Alveus gelangen zu Hilfe
zu nehmen, — sie könnten ja dann auch bei Monotremen bestehen
— für seine Auffassung. Es wären dann dies aber die einzigen
200 B. Haller:
Pallialfasern bei Beginn der Balkenbildung und musste dann die
Mantelentfaltung vom oceipitalen Gebiete ihren Beginn
genommen haben.
Abgesehen nun von dem Umstand, dass sich jene Fasern
bei den Chiropteren in vorliegender Arbeit als solche erwiesen,
die nicht zur Kreuzung gelangen in der oberen Kommissur —
dies hat ja übrigens Zuckerkandl gar nicht nachgewiesen,
auch nicht versucht —, sondern palliale Cingularfasern sind,
welche den Oceipitallappen mit dem Stirnpol des gleichseitigen
Mantels verbinden, stünde Zuckerkandls Annahme, denn das
wären die Konsequenzen seiner Auffassung, von der Entfaltung
des Mantels von oceipitalwärts mit allen Tatsachen im Widerspruch.
Es ist also zurzeit keine andere Erklärung für die Ent-
stehung von Pallialfasern in der oberen Kommissur möglich, als
die Smithsche. Freilich, das muss man ja Zuckerkandl
gegenüber einräumen, jene von Smith angenommene Aufwärts-
wanderung ist bisher weder anatomisch noch embryologisch fest-
gestellt. Damit aber kann man der Theorie den Boden nicht
entziehen, obgleich das letzte Wort die Ontogenese bei Vesperugo
und vielen ursprünglichen Marsupialiern hier zu reden haben wird,
oder möglicherweise die genaue Erforschung (histologische)
jener Marsupialier, die bezüglich des Balkenbeginnes die ursprüng-
lichsten Zustände aufweisen.
Dann könnte noch ein anatomisches Verhalten gegen die
Aufwärtswanderung ins Feld geführt werden. Wenn nämlich die
Querfasern des Palliums in der vorderen Kommissur glatte, von
einer Seitenhälfte zur anderen hinziehende (Querfasern wären,
dann würde eine Aufwärtswanderung ganz unmöglich sein, denn
vor der Commissura anterior befindet sich ja die Faserung des
Tractus arco-septalis. Allein, dem ist nicht so, denn jene Quer-
fasern sind nicht glatt, d.h. ohne Äste.
Wenn im Grossen und Ganzen der Tractus eruciatus
olfactorii bei Vesperugo auch vor der übrigen Querfaserung liegt,
so liegt von dieser doch ein Teil oben auf. Es lässt sich nur
an Methylenfärbungen von Horizontalschnitten der Nachweis
erbringen, dass diese Fasern keine einfachen Querfasern sind,
sondern dass sie Äste abgeben, die ein reiches Geflecht vor der
Commissura anterior bilden, um dann so die andere Seitenhälfte
zu gewinnen. Diese Faseräste fassen viele Fasern des Tractus
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 201
areae-septalis zwischen sich. Es soll dies in einer späteren Arbeit
ausführlicher dargestellt werden.
Bei der Aufwärtswanderung der Pallialfasern im „Kom-
missurenbett“ lässt sich diese Tatsache gut verwerten. Es nimmt
dann die Wanderung der Pallialfasern ihren Weg vom oberen Rande
der Commissura anterior an beginnend, medianwärts durch das
Septum pellueidum hindurch, wobei lateralwärts ‚schon früher mit
dem vorderen Stabkranz ein enger Zusammenhang bestand
(Figg. 20, 21cr‘). Hier lateralwärtsist der Weg somit
gut vorgezeichnet. Andererseits kommt es aber auch in
Betracht, dass Fasern des Riechbündels bei Monotremen die
Commissura anterior durchsetzen und diese dann später als
Fibrae perforantes sich erhalten.
Eine andere Frage ist es nun, ob sämtliche Pallialfasern
aus der vorderen Kommissur hinauf in die obere gelangen und
somit dieser phyletische Prozess bei Vesperugo, Vespertilio,
Erinaceus und ähnlichen noch im Fortschreiten begriffen ist, oder
nachdem dieseWanderungdenGrad desVesperugo
etwa erreicht, innehält und die weitere Vermehrung
der pallialen Querfaserung in der oberen Kom-
missur durch Abspaltung von diesen Fasern aus
erfolgt.
Tatsache ist bloss, dass mit fortschreitender Entfaltung des
Palliums, dort, wo eine Balkenbildung eingesetzt
hat,') die Vermehrung der Pallialkommissurfasern im Balken
zunimmt und damit jene in der vorderen Kommissur schritt-
haltend abnimmt, dass sich dann bei manchen Nagern (Maus) an
letztem Orte kaum was von ihnen erhält und in höheren phyle-
tischen Stufen völlig fehlt.
Ob nun dieser spätere Ausfall auf vollständige Aufwärts-
wanderung oder Rückbildung zurückzuführen ist, dies bedarf
noch der Beantwortung. Sicher ist es nur, dass mit der
Differenzierung im Pallium wirkliche commissurale
Pallialfasern in die obere Lamelle des Balkens gelangen, ferner,
!) Dass die Balkenbildung nicht von einer allgemeinen Massen-
entfaltung des Palliums herrühren kann, wie Zuckerkandl möchte, darauf
habe ich schon hingewiesen (17), deutend auf den Umstand, dass bei
Echidna eine grosse Gyrencephalie sich schon eingestellt hat, ohne Balken-
bildung.
202 B. Haller:
dass sie sich dort vermehrt haben müssen, denn die Zahl der
pallialen Kommissuralfasern und der Commissura anterior deckt
sich nieht mit der viel grösseren im pallialen Balken.
Es hat hier somit die Differenzierung im Pallium selbst
begonnen und die Querfaserung ist infolge der Associationscentren
vermehrt worden, wie ich dies schon früher annahm.
Damit treten wir an das Pallium heran.
Das einfachste Pallium unter den Säugetieren weist Ornitho-
ıhynchus auf. Es ist, wie uns zuletzt Ziehen dargestellt hat
(37, pag. 34 ff.), ein durchaus glattes, an der sich nur eine An-
deutung einer Silvischen Furche findet, und zwar in Form
einer seichten Mulde, die sich dorsalwärts zuspitzt. Das Pallium
von Echidna ist vielfach gefaltet, wie denn auch das Pallium
von Örnithorhynchus trotz seiner vollständigen Lissencephalie
eine grössere Oberfläche aufweist wie bei vielen höheren Formen
mit eingesetzter Balkenbildung, bei denen die Pallien die Vier-
hügel noch freilassen, indessen sie bei den Monotremen dieselben
verdecken. Es hat somit beiMonotremen ohne höherer
physiologischerDifferenzierung dasPallium sich
bedeutend vergrössert. Wir wollen diesen Zustand hier
nicht weiter berücksichtigen.
Der nächste Schnitt der äusserlich wahrnehmbaren Pallial-
differenzierung ist ausser einer Vertiefung der Fossa Sylvii zu
einer Sylvischen Spalte durch das Auftreten einer Grenzfurche
hinter dem Frontalpol der Fissura primigenia Ziehens
gegeben, wodurch das Stirnhirn dem übrigen Pallium gegenüber
sich abzugrenzen beginnt. Dieser Zustand scheint selbständig
in den verschiedenen Gruppen erreicht worden zu sein. Es zeigt
sich am besten unter den Marsupialiern nach Ziehens Dar-
stellung bei Parameles obesula (l. ec. pag. 110 ff.), unter den In-
sectivoren bei Erinaceus, noch wenig bei Üentetes, doch nach
Leche (l.c.) mehr wie bei diesem bei Microgole. Es tritt dieser
Zustand, wie wir unter andern auch in vorliegender Arbeit sahen,
auch unter den Chiropteren bei Vespertilio auf. Dazu aber sind
sehr viele Übergänge da.
Bei anderen Lissencephalen, den Glires nämlich, wäre an-
zuführen, dass bei den meisten es noch nicht einmal zum Beginn
einer Sylvischen Furche gelangte, bei Sciurus hierin der erste
Schnitt geschah, und trotzdem ist bei ihnen eine höhere physio-
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 203
logische Differenzierung des Palliums eingetreten, worauf die schon
hohe Entfaltung des pallialen Balkens hinweist.
Die allerersten Furchenbildungen können
somit nicht durch höhere funktionelle Differen-
zierung desMarktes erreichtworden sein — worauf
auch die Zustände bei Echidna hindeuten —, sondern sind
die Folge wohl von Raumeinschränkungen, aller-
dingsinfolge einer Pallialvergrösserung.
Jenen Zustand, in dem sich die Fossa Sylvii zuerst zeigt
und die Abgrenzung des Stirnpoles beginnt, möchte ich, ohne
Fig. 24.
Gehirn von oben gesehen. A von Pseudochirus peregrinus (nach Ziehen),
B von Macropus [spec.?] (nach Leuret und Gratiolet), C von Putorius
vulgaris. Gelb = Fissura Sylvi; blau = Arcus suprasylvius prim.; rot =
Fissura lateralis, unterbrochen = Fiss. genualis lateralis; schwarz punktiert =
Fiss. cruciata.
Rücksicht auf den phyletischen Stand der betreffenden Tierform
und andere Umstände, als den ersten phyletischen Zu-
stand bezeichnen.
Ein weiterer Zustand äussert sich dann darin, dass ausser
der besseren Entfaltung der Sylvischen Spalte auf der lateralen
Seite eine Fissura postsylvia auftritt, und dass hinter der Grenz-
furche am Frontalpol, noch eine beginnende Lateralspalta, die
sich übrigens schon bei Parameles zeigen soll, sich einstellt
(37, pag. 84 ff.). So bei Pseudochirus peregrinus (Textfig. 24 A)
unter den Marsupialiern. Es stellt sich dann bei diesen ein
204 B. Haller:
weiterer Zustand bei Macropus ein, der sich jedoch bei ver-
schiedenen Arten in verschiedenem Grade zu äussern scheint.
So ist nach Leuret und Gratiolet das Grosshirn einer
nicht näher bestimmten Art mit einer gut ausgebildeten
Sylvischen Spalt versehen (Textfig. 24 B), die ein Arcus supra-
sylvia überwölbt. Die laterale Furche gelangt mit der Fissur
hinter dem Stirnpol noch nieht in Verbindung und reicht auch
nicht weit nach hinten. Bei Macropus rufus ist nach Ziehen
die Sylvische Furche von einer Fissura postsylvia umwölbt,
allein eine Fissura antesylvia fehlt und es scheint, als wenn
wenigstens auf der rechten Seite, die Lateralfurche, welche
auch hier ohne Verbindung mit der Querspalte hinter dem Stirn-
pol bleibt, mit ihr in Verbindung treten wollte. Dieser Zustand
bei Macropus möge der zweite phyletische Zustand
heissen.
Diesen zweiten Zustand erreichen bis zu einem gewissen
Grade die Glires selbständig, aber erst nachdem der Balken
eine hohe Entfaltung errungen hat.
Die Manteloberfläche ist bis auf eine kurze sagittale Furche
bei Mus auf dem Stirnpol völlig glatt. Erst bei Lepus zeigt
sich dann eine Längsfurche auf dem dorsalen Mantel. Diese
hatte ich früher mit jenen oben erwähnten bei Mus als Suleus
coronalis gleichgestellt. Ich möchte diese Furche aber lieber
sagittale Stirnfurche nennen, da Eliot Smith etwas anderes
mit jenem Namen belegt hat. Nach ihm heisst untere Fissura
genualis lateralis so, wenn sie ausser Zusammenhang mit der
Lateralfurche ist. Die Sagittalfurche fehlt bei Lepus, doch ist eine
Lateralfurche vorhanden. Erst bei Dolichotis, wie die Unter-
suchungen Beddards (3) festgestellt haben, zeigt sich diese
Längsfurche entlang der ganzen dorsalen Fläche des Palliums
bis auf den Stirnpol hin. Bei Lagopus soll nach demselben
Forscher diese Furche, etwa in gleicher Höhe mit dem freien
Ende der Sylvischen unterbrochen sein, so dass eine vordere
und hintere Furche gleicher Richtung _sich bei dieser Form findet.
Bei Dolichotis ist jedenfalls ein Zustand vorhanden, der
sich in der starken Entfaltung einer Lateralfurche kund gibt,
die sich bis auf das Stirnhirn erstreckt. Bei Doli-
chotis macht diese laterale Furche vor der Sylvischen Furche
eine nach seitwärts gerichtete Biegung und an dieser
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 205
Stelle zeigen sich nach aussen gerichtete beginnende
Furchenanlagen. Nehmen wir diese für eine beginnende Fissura
genualis lateralis, so ist hier ein Beginn vorhanden, der in
gleicherweise sich bei Musteliden einstens zeigen musste. Löst
sich dann das vordere Stirnende der Glireslateralfurche ab, wie
dies sich bei Lagobus einstellt, so wird der Beginn zu weiterer
Gestaltung noch evidenter.
Es zeigt sich bei den Glires auf der ventralen lateralen Seite
des Gehirns, entlang der Fissura rhinalis eine Rindendifferenzierung,
die bei der Maus noch gering und chiropterenähnlich ist, bei Sciurus
sich weiter entfaltet und bei Lepus wohl den höchsten Grad (vielleicht
höher bei Dolichotis und auch anderer) unter den Glires erreicht.
Es trennt sich da, vom Stirnhirn beginnend, wie wir schon gesehen
haben, und bis auf das Temporallappengebiet ziehend, ein Plexusteil
in der Lateralrinde ab, wodurch zwischen ihm und der Capsula
externa ein Ganglienzellstreifen sich sondert. Es ist dieses ein
primäres, doch sich weit erstreckendes Claustrum, wie aus
C. u. 0. Vogts Querschnittabbildungen am Kaninchengehirn (l. c.
I. Teil, Taf. 56, Figg. 1—3) hervorgeht. Eine beginnende Fossa
Sylvii wird dann bei Lagostomus und Dolichotis zur Fissura Sylvii.
Von xenanthren Edentaten habe ich Gelegenheit ge-
habt durch die Güte des Herrn Kollegen Göppert, dem hier
dafür abermals mein innigster Dank gebührt, das Gehirn von
Choloepus didactylus kennen zu lernen. Es sind bei diesem
Choloepus Zustände am Grosshirn vorhanden, welche jene der
Glires übertreffen. Ein wohl gleichstarker Balken (Texthig. 25 A. ce)
wie bei den Nagern ist vorhanden, was aber diesen Edentaten
höher als die Glires stellt, das ist eben die Furchung am Gross-
hirn. Schon über dem Balken findet sich eine Fissura supra-
splenialis (A. fsp), welche nicht wie Flower (11) berichtet und
abbildet, frei am Stirnpol endet, sondern vorne bis. zur Schluss-
platte, der Area praecommissuralis, hinunterreicht. Fast an
gleicher Stelle, wo diese Furche vorne aufhört, mündet in die-
selbe eine andere, von vorne nach unten und etwas hinten zu
ziehend. Diese Furche (sg) ist die Fissura genualis interna und
gelangt dorsalwärts, dort als Suleus interfrontalis (B. s) auf die
laterale Mantelseite übergreifend um dann in die Rhinalfurche
(srl) zu münden. Es wird durch die Fissura genualis interna
und der Interfrontalfurche ein Stück Stirnhirn (stl‘) abgegrenzt,
206 B. Haller:
das in Anbetracht seiner Beziehung zu dem Lobus und Bulbus
olfactorius, mit dem innern Stirnlappen der Musteliden gleich-
gestellt werden dürfte. Ein gut Teil Stirnhirn verbleibt dann
im übrigen grossen Pallium. An letzterem ist vorne eine Furche
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vorhanden, die am Stirnpol einen Bogen beschreibt (mit roter,
unterbrochener Linie) und sich dann dorsalwärts wendend (B. C)
bis in die oceipitale Gegend zieht. Auf der rechten Seite des
von mir beobachteten Exemplares war diese Fissur kontinuierlich,
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 207
links unterbrochen. Es kann sich hier nur um die Lateralfurche
handeln, die vorne einen beginnenden Kniegyrus umgrenzt (vgl.
Textfig. 9. Nun aber zeigen sich eigenartige Zustände, denn
ein Suleus eruciatus fehlt und findet sich parallel mit der Lateral-
furche eine andere, die sich vorne bis auf den Stirnpol erstreckt.
Dadurch wird der mächtige Lobus s. Gyrus lateralis, der median-
wärts die dorsale Fläche auch einnimmt, seiner Länge nach
halbiert. Diese innen von der Lateralfurche gelegene Furche
kann man als eine Eigenartigkeit auffassen, wobei freilich bezüg-
lich ihrer Genese kaum etwas feststellbar wäre.
Anders verhält sich die laterale Palliumseite, denn hier
findet sich der Arcus suprasylvius primarius (blau) in durchaus
ursprüngliche Weise um eine seichte Fossa Sylvii die in zwei
Dorsalhörner ausläuft (gelb).
Turner hat das Gehirn eines andern xenanthren Edentaten
des Dasypus sexeinetus beschrieben (27). Darnach endet die
Lateralfurche am Stirnpol gegabelt ohne jene zu umsäumen,
was eine andere weiter nach hinten sich nicht fortsetzende
Furche besorgt. Die innere Furche ist am .dorsalen Pallialteil
zwar vorhanden, doch nur kurz, hat eine occipitale Lage und ist
nach auswärts zu gerichtet. Zeigt sich somit schon in der
Furchenbildung — der Arcus fehlt — ein primärerer Zustand
als bei Choloepus, so wird dieser noch klarer durch das Verhalten
des Balkensystems, das keine so hohe Entfaltung wie bei
Choloepus hat, ja kaum höher stehen dürfte wie jenes
von Erinaceus, wie dies deutlich auch Abbildungen zweier
Längsschnitte durch den Balken von Dasypus villosus Zucker-
kandls (41) illustrieren. Auch ist dementsprechend die Commissura
anterior ansehnlich.
Die Abbildungen der Längsschnitte der Hirne von Dasypus
novemeinctus und Bradypus tridactylus die in Zuckerkandls
Riechhirnwerk sich finden, sind so mangelhaft, dass sie bei der
Beurteilung der Zustände nicht in Betracht kommen können,
denn wenngleich jene über das Dasypusgehirn einen primitiven
Zustand vermuten lassen, behauptet der Autor „der Balken“ der
Edentaten „erfreue sich der für die meisten Säuger typischen
Form und relative Grösse (38, pag. 18).“
Die Abbildung eines sagittalgeschnittenen Gehirns von
Dasypus setosus durch Flatau und Jacobsohn lassen dort
208 B. Haller:
auch keinen höhern Zustand für das Balkensystem vermuten, wie
es Turner für die obengenannte Art angab.
Aus all dem lässt sich aber jetzt schon feststellen, dass
bei den xenanthren Edentaten zwei verschiedene
phyletische Zustände bezüglich des Balkensystems
bestehen, und bei diesen wohl aller Wahrscheinlich-
keit nach, von niedern Zuständen die höhere, wie
überall, in der Abteilung erreicht wurden.
Als weitern Zustand der Palliumentfaltung können wir jenen
der Musteliden anreihen, welche die ursprünglichste in der
komplizierten Manteloberflächenentfaltung bei den Placentaliern
ist, selbstverständlich von gewissen Zuständen der Glires abge-
sehen, und den wir den dritten phyletischen Zustand
nennen wollen.
Dieser Zustand wurde schon im speziellen Teil dieser
Arbeit besprochen und hier zur Wiederholung nur so viel, dass
der Stirnlappen in einen äussern und innern Abschnitt zerlegt
ist, wobei die Fissura cruciata nach dem übrigen Pallium zu
eine Grenze bildet. Eine weitere Abgrenzung am Pallium erfolgt
durch die Fissura lateralis, welche mit der Fissura supra-
splenialis den Gyrus lateralis abgrenzt. Über der Sylvischen
Furche wölbt sich der Arcus suprasylvius primarius.
Diese Urfurchen finden sich nun auch bei den übrigen
Carnivoren wieder. Die meiste Ähnlichkeit mit der Furchen-
bildung der Sohlengänger weist das Grosshirn der Felinen auf.
Ich verweise diesbezüglich auf Tafel V von Leuret und
Gratiolet. Bei der Katze, von der ich nach diesen Autoren
die Grosshirnoberfläche kopiert habe (Textfig. 26 C), ist die Lateral-
furche in ihrer Ursprünglichkeit deutlich vorhanden und steht
im Zusammenhange mit der Fissura genualis lateralis (rechts),
doch kann dieser Zusammenhang auch unterbrochen sein (links).
Der Arcus suprasylvius prim. ist deutlich ausgeprägt. Beim
Löwen und dem Panther erhält sich die Fissura lateralis in ihrer
Ursprünglichkeit, allein in der Gegend des Mittellappens und
um die Sylvische Furche herum stellten sich sekundäre Zustände
ein. Während der Arcus suprasylvius prim. sich in vollem Um-
fange erhält, haben sich auf dem Gyrus antesylvius und postsylvius
zwei neue Furchen gebildet. Auf ersterem zieht eine Furche
fast parallel mit der Fissura antesylvia auf dem Opereulum weit
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 209
nach vorne, erstere überragend. Die Furche auf dem Gyrus
postsylvius halbiert diesen und biegt über dem dorsalen Ende
der Sylvischen Spalte etwas bogenförmig nach dem Gyrus
antesylvius um, ohne sich mit der sekundären Furche auf ihm
zu verbinden. Diese beiden neuen Furchen könnte man am
besten Fissura antesylvia secundaria und F. postsylvia
secundaria nennen.
Fig. 26.
Gehirn von oben gesehen. A Mustela, B Lutra, C Katze, D Fuchs.
Die drei letzten (nach Leuret und Gratiolet). Gelb — Fissura
Sylvii; blau = Arcus suprasylvius prim.; rot — Fissura lateralis, unter-
brochen F. genual. lateralis; schwarz punktiert — Fissura cruciata.
Die Fissura genualis externa ist als Fortsetzung der
Sylvischen Furche nach vorne und als Begrenzung des Operculum
vorhanden, allein ihr Zusammenhang mit der F. gen. lateralis
ist unterbrochen.
Die beiden Furchen F. ante- und postsylvia secundaria sind
auch bei der Katze vorhanden — wie dies auch Flatau und
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 14
210 B. Haller:
Jacobsohn zugeben, welche erstere Fissura ectosylvia anterior
und letztere posterior bezeichnen — und wir können sie als be-
zeichnendes Merkmal für die Felinen auffassen.
Fig. 27.
Rechte Hälfte des Gehirns von oben gesehen. A Reh; B Wild-
schwein. Beide nach Leuret und Gratiolet. Gelb = Fissura
Sylvi; blau = Arcus suprasylvius prim.; rot —= Fissura
lateralis; unterbrochen — F. gen. lateralis; schwarz punktiert
— Fissura cruciata.
Bei den Caninen haben sich diese beiden Furchen
ober dem Ende der Sylvischen Spalte mit einander verbunden
(Textfig. 26 D und Textfig. 23 A), wodurch ein sekundärer
(also zweiter) Arcus suprasylvius für sie kennzeichnend
wird.!) Die gut erhaltene Fissura lateralis ist entweder im Zu-
!) Die halbbogenförmige Anordnung der Furchen um die Sylvische
Furche wurde bekanntlich durch Hutschke, Leuret und Meynert (43) als
ein Urzustand gedeutet, denen gegenüber Ziehen die Meinung vertritt, es
handele sich um ein relativ spätern Erwerb in diesen Bogenfurchen (34, pg. 154).
Wie wir aber sahen, ist die Fissura postsylvia gerade nach den Unter-
suchungen Ziehens etwas sehr altes, da schon bei Marsupialiern vorhanden
und auch für die antesylviale Furche findet sich ein Beginn dort, und es
kann sogar zu einem geschlossenen Bogen, dem Arcus suprasylvius primarius
gelangen (bei einen Macropus nach Leuret und Gratiolet).
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 211
sammenhang mit der Fissura genualis lateralis (Fuchs, Hund,
doch nicht immer) oder ist eine Unterbrechung zwischen ihnen
vorhanden (beim Wolf).
Eine Anzahl sekundärer anderer Furchen zeigt sich sowohl
bei Felinen (mehr beim Löwen als dem Panther) als auch bei
den Caninen.
Bei den Pinnipediern zeigen sich infolge zahlreicher
sekundärer Furchen, dann Unterbrechungen und neuen Ver-
bindungen zwischen den Urfurchen, so verschwommene Zustände,
dass der ursprüngliche Zustand stark verschleiert wird. Ich
verweise hier hauptsächlich auf eine Abbildung Flatau und
Jacobsohns (I. c. Fig. 57), welche das Grosshirn von Phoca
vitulina von der Seite darstellt. Es verbindet sich die Lateral-
furche vorne mit der Fissura antesylvia prim. und das nach
vorne zu ziehende Verbindungsstück dürfte am ehestens mit der
Fissura genualis lateralis verglichen werden. Ausser Zusammen-
hang mit ihr steht eine senkrechte, die die Autoren als F.
praesylvia bezeichnen, die möglicherweise aber unsere F. genualis
externa sein könnte. Auch die Sylvische Furche zeigt oben eine
Gabelung, deren vorderen Ast Flatau und Jacobsohn als
Fissura ectosylvia anterior bezeichnen. Von allen diesen
sekundären Veränderungen, die im grossen und ganzen den
ursprünglichen Typus doch nicht verwischen, möchte ich nur
darauf hinweisen, dass der Stirnlappen sich in starker Konkurrenz
mit dem Öperculum zeigt.
Vollends bei den Cetaceen würden wir vergeblich nach
den Urfurchen suchen, denn mit Ausnahme der Sylvischen Furche
ist infolge einer immensen sekundären Durchfurchung der Gross-
hirnoberfläche alles verwischt. Eine starke sekundäre Veränderung
zeigt sich auch bei den Ungulaten, wobei die Zustände von
Hyrax leider noch zu wenig bekannt sind. Unter den Artiodactylen
liesse sich noch ein Vergleich wagen bei dem Reh und dem
Schwein in Anbetracht dessen, dass die Lateralfurche bei Lutra
unter den Carnivoren sich sicherlich aufgelöst und der Bogen-
furche gegenüber eine gewisse noch indirekte Beziehung eingeht
(Textfig. 26 B). Darnach hätte sich denn bei dem Schwein
(Textfig. 27 C) die Lateralfurche aufgelöst in einen vordern und
hintern Abschnitt, wobei der vordere die Beziehung zur Fissura
genualis lateralis aufgab und letztere mit der Fissura cruciata
14*
212 B. Haller:
sich verband. Das hintere Ende des vorderen Teiles der Lateral-
furche verband sich mit der Fissura praesylvia.
Bei dem Reh (A) wären dann die Zustände so zu deuten,
dass jene Verbindung der Fissura genualis lateralis mit der
Fissura eruciata wieder aufgegeben und eine Verbindung mit
dem vordern Ende des vordern Teils der Lateralfurche einge-
sangen ward, oder sich diese von Anfang an erhält. Diese scheint
für die Carnivoren kennzeichnend zu sein, da nach Krueg (42)
eine solche Verbindung zwischen der Fissura genualis lateralis
(s. F. coronalis) und dem Arcus suprasylvius — bei Krueg
Fissura suprasylvia — auch bei Dama platyceros, Uervus elaphus
und Rangifer tarandus besteht.
Die Verbindung des vordern Teils der Lateralfurche mit
der Fissura praesylvia ist beim Reh eine viel innigere geworden,
die beiden fallen zusammen.
Bei den Equiden geht der oben gebildete Zustand noch
weiter und ein Vergleich wird beim völlig entwickelten Gehirn
zur Unmöglichkeit. Gut erkenntlich ist der primäre Arcus
suprasylvius bei Elephant, sonst aber nichts mehr.
Mit der exquisiten Stellung der Sirenia zeigt sich bei
ihnen ein eigenartiges, jedenfalls ursprüngliches Verhalten, indem
volle Lissencephalie besteht und ausser der ansehnlichen Sylvischen
Spalte keine Furche sich an der Palliumoberfläche zeigt.
Beiden Affen (Textfig. 28 B) zeigt sich ein Zustand, der bisher
nirgends auftrat, nnd besteht in der stark Nachhintenver-
setzung des Sulcus eruciatus, denn mit Ziehen halte
ich Turner gegenüber daran fest, dass die Fissura coronalis der
Carnivoren nicht der Fissura centralis der Primaten homolog ist,
sondern, letztere ihr Homologon in der Fissura ceruciata der
Carnivoren hat. Diese Verschiebung wird durch die hohe Ent-
faltung des Stirnlappens bedingt.
Gegen die Gleichstellung der Fissura cruciata mit dem
Suleus centralis könnte man allerdings geltend machen, dass die
Hitzigschen vier Bewegungszentren bei dem Hunde hinter der
Kreuzfurche, in dem hinteren Schenkel des Kniegyrus nämlich,
bei Simiern jedoch vor der Zentralfurche, in der vorderen
Zentralwindung liegen. Darum u.a. willPantsch (44) wie auch
Hitzig die Zentral- oder Rolandosche Furche, welche, wie
Meynert zuerst annahm (43), als Grenze für den Stirnlappen
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 215
nach hinten gilt, der Kreuzfurche nicht gleichstellen, und erstere
aus anderen Gründen als eine Verschmelzung von Furchen
auffassen. Die hohe Entfaltung am Stirnlappen!), nicht weniger
im dorso-oceipitalen Gebiet des Mantels bringen allerdings
sekundäres Zusammendrängen mit sich, wie denn auch in die
Sylvische Spalte vieles hineingerät, allein darum bleibt Meynerts
Annahme doch bestehen.
Wenn die Zentralfurche bis zur Medianspalte reicht, so
weist sie eben hierdurch ein ursprüngliches Verhalten auf. Dafür
A B
Fig. 28.
A — Grosshirn vom Hund (Pintsch) von der Seite. B dasselbe von Semno-
phitecus von oben. Isi = Lobus suprainsularis. Gelb — Fiss. Sylvii; blau —
Arcus suprasylvius prim.; rot — Fiss. lateralis, punktiert — Fiss. genualis lat.;
schwarz punktiert — Fissura ceruciata (beim Affen F. centralis).
greift sie sowohl bei den Prosimiern als auch den Simiern weit
lateralwärts bis oft auf das Operculum vor, doch kann sie bei
Halbatfen öfter bloss angedeutet sein.
Die Sylvische Furche ist überall mächtig entfaltet. Über
ihr kann sich der primäre Arcus suprasylvius deutlich erhalten
wie etwa bei Semnophitecus und bei Cebus nach Zuckerkandl(40).
Der vordere Schenkel, die Fissura praesylvia nämlich, führt hier
vielfach den Namen Sulcus infraparietalis, die Fissura postsylvia
!) Sowohl diese als jene im dorso-oceipitalen Gebiete gegenüber dem
viel geringeren im Inselgebiete bringen es dann mit sich, dass eine direkte
Vergleichung der Furchen noch viel mehr erschwert wird. Ganz richtig
bemerken hierzu Flatau und Jacobsohn (l. c. pag. 549), dass die „wenigste
Ähnlickkeit im Verlauf ihrer Furchen die laterale Fläche des Stirn- und
Scheitelhirns aufweisen, vom occipitalen gar nicht zu sprechen, welches in
seiner Form ja so ausserordentlich wechselt‘.
214 B. Haller:
wird die Affenspalte genannt. Diese soll sich nach Cunning-
ham (7) bei dem Menschen nur noch vorübergehend onto-
genetisch erhalten.
Oben mündet in den primären Bogen eine Querfurche bei
Cebus (Fissura parieto-oceipitalis medialis bei Zuckerkand])
oder fehlt diese Verbindung wie bei Semnophitecus. Es kann
aber der Arcus auch völlig aufgelöst und dann mit anderen
Furchen in Beziehung treten, wie denn dies bei höheren Formen,
insbesondere bei den Primaten zur Regel wird. Ein Arcus
semieireularis kann, wenigstens teilweise, wie bei Cebus etwa,
sich erhalten.
Ein Kennzeichen des Affenhirns ist noch das Fehlen der
Lateralfurche. Es erklärt sich dies am Frontalhirn aus der dort
erfolgten kräftigen Umgestaltung. Ein Überrest müsste, wenn
überhaupt noch vorhanden, hinter dem Sulcus centralis zu
suchen sein.
Auf weiteres soll hier aber nicht eingegangen werden, denn
es war bloss meine Absicht, darauf hinzuweisen, dass die Primär-
furchen: Fissura crueciata, lateralis, Arcus suprasylvius primarius
und die Sylvische Furche bei allen Abteilungen der Säugetiere,
wo nicht absolute Lissencephalie herrscht, nachweisbar sind.
Selbst dort, wo die Gyrencephalie eben einsetzt — ich verweise
diesbezüglich auf die Zustände bei Dolichotis nach Beddard (3)
— sind die ersten Eindrücke vorhanden, so die Fossa Sylvii,
eine bis weit nach vorne aufs Stirnpol sich fortsetzende Lateral-
furche, wobei allerdings die Zentralfurche bloss durch eine Delle
angedeutet ist.
Es ist gewiss richtig, dass die Furchung des Grosshirn-
mantels, polyphil, d. i. in den einzelnen Ordnungen der Säugetiere
selbständig entstanden ist, wie dies wohl zuerst Gegenbaur (13)
aussprach und welcher Ansicht sich auch Flatau und Jacob-
sohn anschlossen. Diese Ansicht teile ich auch, doch dürfen
wir dabei freilich nie vergessen, dass ja im gewissen Sinne alle
Organe der Säugetiere einen ähnlichen Weg einhalten mussten,
insofern, als die einzelnen Abteilungen sich als Äste eines
Stammes zeigen.
Ich habe im speziellen Teil dieser Arbeit darauf hinge-
wiesen, dass die Furchenbildung bei Marsupialiern, Chiropteren
und Insectivoren in der Abteilung selbst sich abspielte. Insofern
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 215
schliesse ich mich somit dieser Annahme an, allein, bemerken
möchte ich dazu nach meinen bisherigen Ausführungen, dass
die Furchung des Palliums bis zu einem gewissen
Grade aus gleichen Gründen erfolgen musste,
sonst wäre das Vorhandensein der Urfurchen unerklärlich, und
erst von einem gewissen Stadium intensiverer
Ausdehnung des Palliums an die eigenartige
Entfaltung — durch Bildung neuer Furchen, durch Unter-
brechung von Urfurchen, - durch Entwicklung von sekundären
Furchen zu Hauptfurchen, wie Ziehen dies uns zuerst klar
Fig. 29.
Schema der Mantelgebiete am Grosshirn eines Säugetiers.
Das Stirngebiet quer-, das Inselgebiet längsschraffiert;
punktiert das dorso-oceipitale Gebiet; das Riechhirn unten
mit unterbrochener Linie; Fs = Fissura Sylvii.
gemacht hat (17,18, 19) — in den Abteilungen beginnt.
Mit anderen Worten: Die Furchen an dem Grosshirn-
pallium entwickeln sich bis zu einem gewissen
(Urfurchen) Grade nach demselben Schema.
Es geschieht dies, weil an dem ursprünglich glatten Hirn-
mantel drei, wohl auch physiologisch einigermaßen begrenzte
Gebiete sich entfalten. Das erste Gebiet ist am Stirnpol das
Stirngebiet (Textfig. 29). Es reicht dorsalwärts nicht weit
ursprünglich (Marsupialier, Chiropteren, Insectivoren) und wird
dem nächstfolgenden Gebiet gegenüber durch eine oft sehr geringe
Grenzmarke abgegrenzt, die sich jedoch zur Kreuzfurche gestaltet
216 B. Haller:
in höheren Stadien. Es umfasst das Stirngebiet den ganzen
Mantel, vorn von der Fissura rhinalis bis zur Medianspalte.
Dadurch unterscheidet es sich von dem nächstfolgenden Gebiet,
welches nur die untere Grenze mit ihm gemeinsam hat, die
Medianspalte aber nicht erreicht. Es ist dieses Gebiet das
Inselgebiet. Es zeigt sich bereits bei völliger Lissencephalie,
ohne Fossa und Fissura Sylvii. lateralwärts hinter dem Stirn-
gebiet (Textfig. 1C) in der Rinde in bestimmter Weise, wie dies
im speziellen Teil bei den Chiropteren erörtert wurde. Durch die
dem übrigen Pallium entsprechende Vergrösserung dieses Gebietes,
das ja mit der höheren Forderung als spezielles Associationsgebiet
sich gleichfalls vergrössern musste, musste es hier naturgemäss
zu einer Einfaltung gelangen, wodurch es zur Bildung der Fossa
und Fissura Sylvii und an ihrem Mündungsteil zur Rhinalfurche
gelangte. Es verschwand so dies Gebiet in die Tiefe, aber erst
später als Insula. Es deckt sich der Begriff der Insel (makro-
skopisch) nicht völlig mit dem histologischen Begriff des Insel-
gebietes, denn die Insel ist ursprünglich — wie wir sahen, sogar
bei den Carnivoren — nur ein Teil davon. In späteren phyletischen
Stadien aber, wenn an dem Randgebiet der Fissura Sylvii höhere
Entfaltung von Stirn- und Temporallappen beginnt, gelangt
das ganze Inselgebiet in die Fossa Sylvi. Was da an Umfang
verloren geht, wird durch Faltungen an der Insula Reilii ersetzt.
Dabei zeigt sich eine hohe Differenzierung im Pallium des Insel-
gebietes. Es ist wohl anzunehmen, wie dies schon weiter oben
erörtert wurde, dass das Inselgebiet ein grosses Associationszentrum
in sich fasst.
Das dritte Gebiet des Palliums umfasst alles, was nun
übrig geblieben, den ganzen dorsalen Teil über dem Inselgebiet,
sowie den ganzen oceipitaltemporalen Lappen. Am besten könnte
es dorso-occipitales Gebiet bezeichnet werden.
Ganz schematisch lässt sich ja meine Einteilung freilich
nicht nehmen, da ja das vermeintliche Associationsgebiet, gekenn-
zeichne durch die Capsula lateralis, Claustrum und nach innen
begrenzt durch die Capsula externa, bei den Carnivoren lateral-
wärts weit in die beiden anderen Gebiete eingreift, wie denn auch
die Sylvische Furche weiter oben aus dem Inselgebiete rückt.
Auch bezeichnet der Sulcus lateralis nicht ganz genau die
laterale Grenze.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 217
Mit dem Versinken des Inselgebietes berühren sich dann
als Ränder der Sylvischsn Furche Frontal- und Dorso-oceipital-
gebiet. Je höher aber die physiologische Differenzierung des
Palliums gelangt, um so mehr greifen diese zwei letzten Gebiete
an ihren Grenzen ineinander.
Wollen wir nun diese drei Gebiete nach ihrem physiolo-
gischen Werte schätzen, so wäre dem Stirnhirn das Bewusstsein
und die höheren Fähigkeiten — worauf ja auch die Entfaltung
des Sprachgebietes in ihm (an Stelle des früheren Operculums)
hinweist u. v. a., eigen. Der obere Teil des dorso-oceipitalen
Gebietes umfasst motorische und sensorische Centren, im hinteren
Gebiet gelangt Seh- und Hörvermögen zu höherer Entfaltung.
Dabei sind durch die immerwährende Vergrösserung des
gesamten Palliums, hauptsächlich aber des Stirn- und Temporal-
lappens, wie dies zuerst Meynert ausdrücklich betonte (43),
eine grosse Anzahl sekundärer, ja tertiärer Faltungen und in
direktem Zusammenhang damit Fissurbildungen entstanden.
Früher oberflächlicheres wurde in den Windungen tiefer verlegt,
wodurch eben die Tiefspalten als ursprünglichere Bildungen von
der Oberfläche schwinden mussten.
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Tafelerklärung.
Allgemeine Bezeichnungen.
= 7 a Bündel der Commissura anterior.
ca — basales J
ce. = externa
el. — lateralis } Deponie.
tbs. = .Tractus cruciatus olfactorü.
b.of. == Bulbus olfactorius.
f. oc.s. = Funiculus cortico olfactorius superius.
f.oc.i. — Funiculus cortico olfactorius inferius.
TS. — Fasciculus areae-septalis (Riechbündel).
t.bipr. — Tractus lobi olfactorii.
ga. = Ganglion areae olfactoriae (Tuberculum olfactorium).
spt. — Septum pellucidum.
220 B. Haller:
str. — Striatum (Nucleus caudatus).
ghy.. = Ganglion hypothalamicum.
gm. — Ganglion mammillare.
g.ip. = Ganglion interpedunculare.
bvhb. — basales Vorderhirnbündel.
C: — dessen innerer Abschnitt mit seiner Kreuzung der
e' — Commissura postoplica.
ga. — Gyrus ammonis. |
fd. — Fascia dentata.
fed. — Funiculus fasciae dentatae.
al. — Alveolarfaserung.
PS. — Psalterium.
Fi. — Fimbria.
er. — Corona radiata.
cc. — Corpus callosum s. pallialer Balken.
Chr — Corpus fornieis.
bK. — Balkenknie (Splenium).
cm. — cingulares Fasersystem.
szi.sze. — Stratum zonale externe et interne.
stl. — Stirnlappen.
gf. — Querfurche zwischen diesen und dem hinteren Pallium (sl).
ol. — Oeceipitallappen.
Ik. — Linsenkern.
ph. — Pyramidenbahn.
ela. — Claustrum.
f.st. = Funiculus striati (s. Stria terminalis).
zi. — Zona intermedia thalami.
nlt. — Nucleus lateralis thalami.
f.th.1. — Funieulus thalamo-corticalis.
op. — Öperculum.
Fs. — Fissura Sylvi.
Ex — Suleus interfrontalis.
s' — Fissura genualis externa.
5’ — Fissura antesylvia.
s® — Fissura postsylvia.
Tafel V.
Vespertilio murinus.
Schnitte Weigertscher Präparate von derselben horizontalen, doch
etwas frontalwärts nach unten geneigter Schnittserie über die rechte Gross-
hirnhemisphäre (s. die Schnittrichtung auf Textfig.1, 0).
Fig. 1. Dorsaler Schnitt ober dem Striatum. Vergr. ?/» Reichert.
Fig. 2. Etwas tiefer bereits das Striatum treffend. Vergr. dieselbe.
Fig. 3. Noch tiefer, die ganze Ammonsfalte seiner Länge nach dorsalst
treffend. Vergr. dieselbe.
Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 221
Fig. 4. Dieser Schnitt liegt viel tiefer wie der vorige und geht durch das
Balkenknie. Vergr. dieselbe.
Fig. 5. Einige Schnitte tiefer, das Septum pellucidum treffend. Vergr.
dieselbe.
Fig. 6. Stück eines Querschnittes durch den kaudalen Teil der Ammonsfalte,
etwas tiefer als der obige Schnitt. Vergr. */2 Reichert.
Fig. 7. Schnitt durch das Septum pellucidum vom vorigen Präparat. Vergr.
dieselbe.
Tafel VI.
Vespertilio murinus, Fortsetzung derselben Serie.
Fig. 8. Viel tiefer als der Schnitt auf Fig. 7, doch noch das Septum
pellucidum treffend. Die Fimbria violett, der Funiculus thalamo-
prosencephalicus (f”) rot, ebenso der Funiculus striati s. Stria ter-
minalis. Vergr. ?/’» Reichert.
Fig. 9. Dieser Schnitt ist durch die dorsale Hälfte der Commissura anterior
geführt. Vergr. dieselbe.
Fig. 10. Schnitt: folgt auf den auf der vorigen Figur und ist durch die untere
Hälfte der Commissura anterior geführt. Fimbria, sowie die vor
der Columna fornieis (cf) sich in das Basalhirn versenkenden Psal-
teriumfasern, wie vorher violett, der Funiculus striati rot. Vergr.
dieselbe.
Fig. 11. Ist unterhalb der Commissura anterior geführt, die Ganglia areae
olfactoriae ant. (gao) treffend. Vergr. dieselbe.
Fig. 12. Dieses Stück ist von einem Horizontalschnitte, der zwei Schnitte
tiefer wie jener auf Fig.10 liegt, also auch höher als Fig. 13.
Vergr. */a Reichert.
Fig.13. Gleichfalls bloss ein Stück aus einem Horizontalschnitt, deren
Schnittrichtung durch die Ganglia hypothalamica lateralia (ghy‘)
führt und der ;ober jenem auf Fig. 10 gelegen ist. Vergr. dieselbe.
Tafel VII.
Alle Schnitte, mit Ausnahme von ’Fig. 14 B, rühren von derselben
Sagittalserie über das Grosshirn von Erinaceus europaeus her.
Fig. 14. Medianer Sagittalschnitt entlang des Balkens A von Erinaceus,
Bvon Vespertilio murinus. Vergr. ?/» Reichert.
Fig. 15. Dieser Schnitt liegt lateralwärts von dem vorigen, das ammonale
Cingulum cm treffend. Vergr. dieselbe.
Fig. 16. Liegt mehrere Schnitte weiter lateralwärts von dem vorigen.
Fig.17. Ein Stück von einem Schnitte, der bald auf der der vorhergehenden
Figur folgt. Vergr. */» Reichert.
Fig. 18. Aus einem Schnitt weiter von dem auf der vorigen Figur. fst. =
Funiculus striati. Vergr. dieselbe.
Fig.19. Ein Stück aus einem Schnitte, das weiter lateralwärts von dem der
vorhergehenden Figur liegt und den Bulbus olfactorius (bof) getroffen
hat. Vergr. dieselbe.
222
Fig. 20.
Fig. 21.
Fig. 22.
Fig. 23.
Fig. 24.
Fig. 25.
B. Haller: Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere.
Tafel VIII.
Dieser sagittale Schnitt gehört noch zu der Serie auf Tafel III von
Erinaceus. Der Schnitt führt lateralst seitwärts vom Bulbus
olfactorius. Vergr. ?/2 Reichert.
In gleicher Sagittalebene geführter Schnitt durch das Grosshirn von
Vespertilio murinus. Vergr. dieselbe.
Echidna. Zwei Horizontalschnitte durch das Grosshirn über-
einander gezeichnet. Es führt der untere Schnitt durch die Com-
missura anterior, wobei der Tractus cruciatus olfactorii schwarz;
der Pallialanteil der Comm. ant., sowie die Corona radiata blau und
die ammonale Commissura superior rot eingetragen sind.
Putorius putorius. Horinzontalschnitt durch die rechte
Grosshirnhemisphäre. Starke Lupenvergrösserung.
Putorius putorius. Ebenso, doch tiefer ventralwärts. Vergr.
ebenso.
Putorios putorius. Ebenso, doch über den Pallialbalken ce.
Vergr. ebenso.
DD
186)
(38)
Aus dem Zoologischen Institut München.
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den
Daphniden.
Von Alexander Jssaköwitsch.
Mit 12 Tabellen.
Einleitung.
In den berühmten Beiträgen zur Naturgeschichte der
Daphnoiden begründete A. Weismann (1) die Lehre von der
cyklischen Fortpflanzung dieser Tiere. Er glaubte nachgewiesen
zu haben, dass die Veränderung der äusseren Lebensbedingungen
keinen modifizierenden Einfluss auf die Fortpflanzungsart der
Daphnoiden ausüben könne. Unter cyklischer Fortpflanzung ver-
stand Weismann eine Art Heterogonie — es werde die
parthenogenetische Fortpflanzung (durch Sommereier) nach einer
bestimmten Zahl parthenogenetischer Generationen von der ge-
schlechtlichen Fortpflanzung (durch Dauereier) abgelöst. Die
Zahl der zwischen zwei Geschlechtsperioden gelegenen partheno-
genetischen Generationen sei eine für jede Art eigentümliche —
sie sei um so kleiner, je häufiger die Kolonien der betreffenden
Art von Vernichtungsperioden heimgesucht werden, um so grösser,
je seltener Vernichtungsperioden eintreten. Solche Arten, welchen
regelmässig nur einmal im Jahre die Existenzbedingungen (durch
die Winterkälte) entzogen werden, haben den längsten Cyklus;
Arten, welche sehr häufig der Vernichtung (durch Austrocknen,
Kälte etc.) ausgesetzt sind, haben einen sehr kurzen Cyklus. Im
ersten Fall kann sich nur ein Cyklus im Jahr abspielen, im
letzteren deren zwei oder mehrere. Daher unterscheidet Weis-
mann mono- und polycyklische Arten. Diese Verschiedenheiten
in der Form der Fortpflanzung, in der Aufeinanderfolge der
Generationen, sind also im Anschluss an die äussern Existenzbe-
dingungen, im Kampf ums Dasein, entstanden, jedoch allmählich
zu festen Einrichtungen geworden, die unabhängig von den
äussern Lebensbedingungen sind.
Diese Lehre A. Weismanns bedeutete für viele Zoologen
die endgültige Lösung der Fortpflanzungsfrage bei den Daphnoiden.
Wie konnte es auch anders sein? Brachten doch alle Anhänger
224 Alexander Jssaköwitsch:
der Ansicht, dass das Abwechseln der Perioden der partheno-
genetischen und geschlechtlichen Fortpflanzung durch äussere
Lebensbedingung bewirkt wird, viel mehr theoretischer Erwägungen
als exakte Beobachtungen. Weismann würdigte die betreffenden
Arbeiten von Herbert Spencer, Kurz (2) und Schmanke-
witsch (3) eingehender Besprechung und wies die Unzulänglich-
keit ihrer Beweisführung mit Deutlichkeit nach.
Auf andern Gebieten zeitigte dagegen der Gedanke, dass
die äussern Existenzbedingungen geschlechtsbestimmend wirken,
wichtige Resultate.
An kryptogamen Pflanzen wurden Beobachtungen gewonnen,
die von hohem Interesse sind. Ich will sie nur in Kürze er-
wähnen, da sie ausführlich in den Arbeiten von Oskar Schultze (6)
(„Zur Frage von den geschlechtsbestimmenden Ursachen“),
Cuenot (7) (Sur la determination du sexe chez les animaux),
Lenhossek (20) (Das Problem der geschlechtsbestimmenden
Ursachen) etc. besprochen werden.
K. Prantl zeigte, dass die Prothallien von Osmunda regalis
und Ceratopteris thalietroides auf stickstofffreier Nährlösung
kultiviert nur männliche Geschlechtsprodukte entwickelten; die
Bildung weiblicher Geschlechtsprodukte trat aber sofort nach
Zusatz von Ammoniak zur Nährlösung auf. Auch dichte Aussaat,
die einer schlechteren Ernährung der entstehenden Pflanzen ent-
spricht, veranlasst bei Osmunda das Überwiegen der die männ-
lichen Geschlechtsprodukte entwickelnden Vorkeime.
C. Klebs stellte fest, dass durch ungenügenden Lichtzutritt
bei Farnprothallien das weibliche Organ mit Sicherheit unter-
drückt werden kann — sodass aus zwittrigen Pflanzen rein
männliche werden. Dasselbe Resultat erzielte er an der Alge
Vaucheria repens durch Aufzucht in verdünnter Luft.
Buchtien fand, dass bei dichter Aussaat der Sporen von
Equisetum die männlichen Prothallien in stark überwiegender
Mehrzahl auftraten; bei dünner Aussaat die weiblichen dagegen
die gleiche Zahl mit den männlichen aufwiesen.
Auf Sand oder Wasser ausgesäte Sporen entwickelten sich
entweder garnicht oder nur zu männlichen Prothallien.
Equisetum pratense erzeugte auf gutem Nährboden weib-
liche Geschlechtsprodukte, auf magern Sand verpflanzt — nur
noch männlıche.
[SS}
DD
a
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden.
Auch unter den Phanerogamen kennen wir ein Beispiel, an
dem die geschlechtsbestimmende Wirkung äusserer Existenzbe-
dingungen sehr deutlich vor Augen geführt werden kann, —
die monocotyle Maispflanze. K. Müller und Cugini haben
beobachtet, dass bei Dichtsaat die kolbenartigen weiblichen
Blütenstände unentwickelt bleiben: pflanzt man aber Maiskörner
an sonnigen Plätzen einzeln und sorgt für reichliche Ernährung,
so entwickeln sich die weiblichen Blütenstände sehr schön.
Für niedere Tiere glaubten Nussbaum (8) und Maupas ganz
unzweideutige Resultate erzielt zu haben. Nussbaum kam zum
Ergebnis, dass bei dem Hermaphroditen Süsswasserpolypen Hydra
die Ernährung geschlechtsbestimmend wirke, indem bei reich-
lichem Futter rein weibliche, bei ärmlichem Futter rein männ-
liche Individuen entstehen. Er beobachtete, dass entsprechend dem
(Grade der Ernährung derselbe Polyp Eier oder Hoden erzeugte.
Diesen Resultaten schliessen sich die an Hydatina senta
(Rädertier) von Maupas (10, 11, 12) und Nussbaum (9) erzielten
aufs engste an.
Maupas fand, dass in Wärmekulturen 85—95°/o der Weibchen
Eier legten, die sich zu Männchen entwickelten, während in
Kältekulturen die grosse Mehrzahl der Weibchen (76-88 °/o)
Eier legte, aus denen sich weibliche Tiere entwickelten. Er schrieb
daher der Temperatur einen geschlechtsbestimmenden Einfluss zu.
Nussbaum, der die Untersuchungen Maupas wiederholte
und seine Angaben prüfte, fand, dass es sich dabei nicht um die
Einwirkung der Temperatur, sondern um die Einwirkung der
Ernährung handelte. Er zeigte, dass, „wenn bei hoher Temperatur
nur wenige Weibchen in den kleinen Aquarien gezüchtet werden,
nie Männchen auftreten; dass aber, sobald infolge der hohen
Temperatur die Zahl der Weibchen sich schnell vermehrt —
Hunger eintritt und mit ihm die Männchen erscheinen“.
Lenssen hat die Nussbaumschen Resultate bestätigt.
Alle diese an Pflanzen und Tieren gewonnenen Tatsachen
sind geeignet die Lehre Weismanns von der cyklischen Fort-
pflanzung der Daphnoiden etwas zweifelhaft erscheinen zu lassen.
Die in den Jahren 1892 und 1895 erschienenen Arbeiten von de
Kerherve (4,5) „De l’apparition provoqu6e des ephippies chez les
Daphnies“ und „De l’apparition provoquce des males chez les
Daphnies“ brachten einige Beobachtungen über die Einwirkung
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 15
226 Alexander Jssaköwitsch:
verschiedener Ernährung auf die Fortpflanzungsweise der Daphnia
magna. De Kerherve fand, dass durch reichliche Ernährung
die parthenogenetische Fortpflanzung der Daphnia magna unend-
lich lang hinausgezogen werden kann, während durch mangelhafte
Ernährung man das Auftreten von Ephippien und Männchen her-
beizuführen imstande sei. Doch kann man sich beim Durchlesen
der genannten zwei Arbeiten des Eindruckes nicht erwehren,
dass die Beobachtungen sehr flüchtig und ohne die nötige Sorg-
falt und Genauigkeit gemacht wurden. Die angeführten Versuche
lassen vieles an Deutlichkeit zu wünschen übrig und sind beinahe
ausschliesslich an grossen Massen von Tieren ausgeführt worden,
wobei die Sterblichkeit und die Regulierung der Ernährung kaum
genau kontrolliert werden konnten. Immerhin trugen auch diese
Untersuchungen bei, die Ansichten Weismanns noch zweifel-
hafter erscheinen zu lassen.
Die von mir auf Anregung von Herrn Professor R. Hertwig
im Sommersemester 1904 begonnenen Untersuchungen hatten
nun das Ziel, durch möglichst genaue Kulturführung einerseits
tiefer in die Frage nach den geschlechtsbestimmenden Ursachen
bei den Daphnien einzudringen, andererseits die Ansichten
Weismanns über die cyklische Fortpflanzung zu prüfen. Es
galt die Lebensbedingungen der Tiere auf verschiedene Weise
zu verändern und die Resultate untereinander zu vergleichen.
Die Versuche stellte ich an isolierten einzelnen Tieren an, die
ich auch von ihrer Nachkommenschaft trennte: dieses Vorgehen
erhöht die Schwierigkeit der Kulturführung, hat aber den grossen
Vorteil für sich, dass es ein vollkommeneres Überwachen und mög-
lichste Würdigung aller Vorgänge an jedem einzelnen Individuum
gestattet. Im folgenden will ich nun über die Ergebnisse, welche ich
1. durch das Studium der Temperatureinwirkungen bei gleichen
Ernährungsbedingungen und
durch das Beobachten der Einwirkung verschiedentlicher Er-
nährungsbedingungen bei gleicher Temperatur erzielt habe.
berichten.
1)
Experimenteller Teil.
Für meine Versuche dienten mir Simocephalus vetulus
OÖ. F. Müller und Daphnia magna Straus; zuerst werde ich
die am ersten Tier erzielten Resultate besprechen, worauf die
auf den ersten Blick sonderbaren Erscheinungen, welche ich bei
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 227
den Kulturen von Daphnia magna kennen lernte, leichter ver-
ständlich sein werden. Simocephalus vetulus fand ich in den
ersten Tagen des Februars 1905 in grosser Anzahl in einem die
Zeit vorher täglich kontrollierten Zuchtglas des Instituts. Die
Tiere waren in dem Gefäss, das Schlamm enthielt, neu aufge-
treten, somit aus den Dauereiern hervorgegangen. Mit diesen
Tieren stellte ich nun Versuche an, die mir über die Wirkung
der Temperatur und Ernährung klare Auskunft gaben.
Wirkung der Temperatur.
Die Kulturen führte ich bei drei verschiedenen Temperaturen:
a) Wärmekultur b) Zimmerkultur c) Kältekultur
DAN 100. 8160.
a) Wärmekulturen.
In einem 1 m langen, !/s m breiten und 20 cm hohen mit
Wasser gefüllten Zinkgefäss wurde ein Drahtnetz angebracht,
in dessen Maschen ich zahlreiche 200 cem fassende Becher-
gläser so einhängte, dass sie nur mit dem obern Rand
über Wasser waren. Das Wasser im Zinkgefäss wurde durch
Gasflammen von unten erwärmt und die Temperatur durch
einen Quecksilbertermoregulator auf 24° C fixiert. In zwei
Gläser wurde je eine Handvoll Schlamm und pflanzlichen Detritus
gebracht, mit Wasser bis zu °/ı der Höhe des Glases übergossen
und ein kleiner Zweig von frischer Elodea densa hineingeworfen.
In beide Gläser wurde je ein parthenogenetisches Simocephalus
Weibchen hineingegeben. Die von diesen Weibchen abstammenden
Jungen wurden sofort in neuen ebenso hergerichteten Gläsern
vom Muttertier isoliert. Ihre Nachkommenschaft wiederum ge-
trennt erzogen usw. Die von dem einen Muttertier abstammende
Zucht will ich mit „Wärmekultur A“, die vom andern Muttertier
ihren Ursprung nehmende mit „Wärmekultur B* bezeichnen.
Wärmekultur A
ergab vom 6. Februar bis zum 15. April sechs parthenogenetische
(Generationen mit 75 Würfen — ungefähr 500 Individuen. Alle
Tiere waren parthenogenetische Weibchen! Die Kultur ist am
27. Mai ausgestorben. Die Zahl der Individuen hatte sich seit
dem 15. April bis zum 27. Mai beinahe verdoppelt — doch waren
es immer und immer wieder nur parthenogenetische Weibchen,
die geboren wurden, kein einziges Männchen. Schliesslich hatte
15*
228 Alexander Jssaköwitsch:
die Kultur einen Punkt erreicht, wo ihre Fortpflanzungsfähigkeit
zu erschlafien begann: Die Weibchen bildeten jetzt seltener Eier
oder es waren letztere entwicklungsunfähig und zerfielen im
Brutraum des Muttertieres. Nach längerer Unfruchtbarkeit
starben die senilen Weibchen eines natürlichen Todes. Tabelle I
‚gibt den Stammbaum dieser Kultur, wie er am 15. April aussah,
wieder. Für alle Tabellen gelten die folgenden Zeichen: !)
Weibechetft spa SR AN EIIET AO ae
Männchen. Zilerkane‘ Zar DirAu®,
Kinyleeres /Ephippiumn '.. 10... 3,,3115/ sr
Ein 1 Dauerei enthaltendes Ephippium MD
Wie man aus der Tabelle ersehen kann, zog ich nach der
vierten Generation nicht alle Würfe weiter. Es würde eine nicht
zu bewältigende Menge von Kulturgläsern ergeben haben. Es
gab auch so Tage, wo ich 60 bis 70 Gläser kontrollieren musste.
Wärmekultur B
lieferte vom 6. Februar bis zum 15. April auch sechs Generationen
mit 85 Würfen — ebenfalls rund 500 Tiere. Die grosse
Mehrzahl der Tiere waren parthenogenetische Weibchen, doch
traten in geringer Zahl hie und da auch Männchen und Weibchen
mit befruchtungsbedürftigen Dauereiern auf. Je länger die Tiere
der Temperatur von 24°C ausgesetzt waren, desto deutlicher
trat die Tendenz zutage zur reinen Parthenogenesis überzugehen
— in 80°) der beobachteten Fälle ist dieser Übergang tatsäch-
lich konstatiert worden und ich glaube die Überzeugung aus-
sprechen zu dürfen, dass bei einer noch längeren Fortführung
der Kultur man diesen Übergang in jedem einzelnen Falle würde
haben nachweisen können. Am 30. Mai habe ich diese Kultur,
da sie nichts neues mehr zu bieten vermochte, abgeschlossen.
Tabelle II soll das Bild der Kultur, wie es am 15. April
aussah, vor Augen führen. Der grösseren Übersichtlichkeit wegen
löste ich die Tabelle II in drei Teile auf.
') Die Zeichen bedeuten jedes nicht ein einzelnes Tier, sondern einen
ganzen Wurf. Gemischte Würfe werden mit Rücksicht auf das Verhältnis
in dem die Geschlechter darin vertreten sind, wie folgt bezeichnet:
% (ebensoviel Männchen wie Weibchen)
\
Q,
(mehr Weibchen als Männchen)
(mehr Männchen als Weibchen).
O4 40 40
>E
>=?
229
Muttertier
1. Generat.
2. Generat.
3. Generat.
4. Generat.
5. Generat.
6. Generat.
Muttertieı.
1. Generat.
Dre Nachkommenschaft
von diesen 9 siehe ladelle
N2c<
Ga
>
ur
> —=
?
2.Generat.
N
3. Generat.
4. Generat.
!1.Generat.
2. Generat.
3. Generat.
4. Generat
5. Generat.
6. Generat.
5. Generat.
6. Generat.
Muttertier. |.
1. Generat,
2 Generat.
. Generat.
. Generat. |
. Generat. |
. Generat. ||
230 Alexander Jssaköwitsch:
Tabelle IIc (Wärmekultur B).
b. Zimmerkulturen.
Bei 16° C. führte ich zwei Kulturen, deren jede von je einem
parthenogenetischen Weibchen ihren Ursprung nahm.
Die erste (Zimmerkultur A) ergab vom 6. Februar bis zum
15. April zwei Generationen mit 13 Würfen, etwa 100 Tiere.
Der erste Wurf des Ausgangsweibchens bestand aus Weibchen,
worauf fünfmal nur Männchen geboren wurden. Im siebenten Wurf
wurden parthenogenetische Weibchen abgesetzt. Darauf folgten
wieder zwei Würfe nur männlicher Tiere. Die sechs Weibchen
des ersten Wurfes bildeten Dauereier und Ephippien, die im
siebenten Wurf abgesetzten parthenogenetischen Weibchen gebaren
im ersten Wurf mehr Männchen als Weibchen, im zweiten und
dritten Wurf nur Männchen. Die Kultur ist aus Mangel an
Weibchen ausgestorben.
Tabelle III (Zimmerkultur A).
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 231
Die Zimmerkultur B lieferte vom 6. Februar bis zum 15. April
drei Generationen mit 31 Würfen etwa 250 Tiere. Sie verhielten
sich dem Geschlecht nach ähnlich wie in der eben beschriebenen
Kultur — doch war zwischen die rein weiblichen und rein männ-
lichen Würfe ein gemischter Wurf vermittelnd eingeschaltet.
Zum Schluss bildete das Muttertier ein Dauerei. Die Weibchen
der zwei ersten Würfe der ersten Generation bildeten, wie in der
Zimmerkultur A, Dauereier und Ephippien, warfen aber ihre
Ephippien, weil die Tiere von Männchen isoliert und unbefruchtet
waren, in beiden Fällen leer ab. Der erste Wurf nach ab-
gestreiftem leerem Ephippium bestand immer nur aus partheno-
genetischen Weibchen, der zweite war entweder rein männlich
(selten wenigstens zur Mehrzahl männlich), oder bestand wiederum
aus einem Ephippium. Nach Abwurf des letzteren wieder-
holte sich der beschriebene Vorgang: der erste Wurf war rein
weiblich, der zweite männlichen Charakters oder wieder ein
Ephippium usw. Diese Kultur ist ebenfalls aus Mangel an
Weibchen erloschen.
Tabelle IV (Zimmerkultur B.
Muttertier.
1. Generat.
2. Generät.
u KA Eis ] 3. Generat.
c. Kältekulturen.
Diese Kulturen waren immer kurz, daher wurden sie oft
wiederholt; sie hatten eine noch stärkere Tendenz zur Bildung
von Geschlechtstieren als die Zimmerkulturen. Es traten meist
schon im ersten Wurf Männchen auf und bald starb aus Mangel
an Weibchen die Kultur aus. Manchmal bildeten die Tiere, in
die Kälte gebracht, sofort Ephippien. Nach Abwurf derselben
bestand der erste Wurf, wenn das Tier vorher unbefruchtet war,
aus Weibchen. War dagegen das Tier vorher befruchtet und
das Dauerei im Ephippium abgeworfen, aus Männchen oder
232 Alexander Jssaköwitsch:
wieder aus einem Ephippium. Es ist klar, dass diese Kulturen
bald ausstarben. Als Beispiel einer Kältekultur möge Tabelle V
dienen.
Tabelle V (Kältekultur).
Muttertier. EEE
| >
N N
1. Generat. = + =
Para | ?
2. Generat. | > . =
Wenn wir nun die zitierten Resultate schon zusammenfassen
wollten, so könnten wir den folgenden Satz aufstellen: „Die
Temperatur ist eine geschlechtsbestimmende Ursache und zwar
begünstigt die hohe Temperatur die Entwicklung der Eikeime
zu parthenogenetischen Weibchen, die mittlere und niedere
Temperatur die Entwicklung zu geschlechtlichen Tieren, mit von
mittlerer zur niedrigen Temperatur steigender Kraft.“
Die Resultate scheinen auch darauf hinzuweisen, dass die
Ernährung vollkommen jedes Einflusses auf das Geschlecht der
Daphniennachkommenschaft entbehrt. Nahrung wurde den Tieren
in allen diesen Versuchen in gleich reichem Maße geboten und
die Veränderungen im Geschlecht der Nachkommen verliefen
parallel den Veränderungen der Temperatur. Um diesen zweiten
Schluss auf seine Richtigkeit zu prüfen, erschien es angemessen,
Versuche anzustellen, die speziell auf die Erforschung der Wirkung
der Ernährung gerichtet wären. Dazu war es erforderlich, bei
einer konstanten Temperatur die Tiere verschiedenen Ernährungs-
bedingungen auszusetzen.
Als konstante Temperatur wurde nun die hohe von 24°C.
gewählt, da sie bei guter Ernährung die Parthenogenesis
begünstigt und das Auftreten von Geschlechtstieren verhindert:
wird ihr bei mangelhafter Ernährung dieselbe hohe Bedeutung
zuzuschreiben sein?
Mit Rücksicht auf die grosse Schwierigkeit, eine allmähliche
Abstufung in der Ernährung der Tiere zu erzielen (die Schwierig-
keit ist in der Beschaffenheit des Nährstoffes — Detritus —
gegeben), beschloss ich, mich auf Hungerversuche zu beschränken.
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden.
Ich brachte dazu die Tiere in reines filtriertes Wasser und
liess sie längere Zeit (bis S Tage) in diesem ausharren. Zu diesen
Versuchen wählte ich Weibchen, bei denen eben Eier in den
Brutraum übergetreten waren; das tat ich, um später sicher zu sein,
dass die nach diesen in den Brutraum gelangenden Eier ihre
ganze Entwicklung bei mangelhafter Ernährung durchzumachen
gezwungen waren. Ich berücksichtigte daher nur die Brut,
welche sich aus diesen zweiten Eiern entwickelte; und diese
Brut bestand immer aus Geschlechtstieren. Wenn nach acht
Hungertagen das Muttertier dem Sterben nahe war, brachte ich
es für drei bis vier Stunden in ein mit Futter versehenes Glas,
worauf das Tier noch fünf bis sechs Tage im Hungerglas aus-
zuharren und einen zweiten Satz Eier zur Entwicklung zu
bringen imstande war, bevor es starb. Ungeachtet der hohen
Temperatur waren die Jungen entweder Männchen oder Dauereier
entwickelnde Weibchen. Das Muttertier brachte in zwei Fällen nach
der ersten Hungergeburt ein Ephippium. Siehe Tabellen VI u. VII.
Tabelle VI (Hungerkultur).
Muttertier.
1. Generat.
2. Generat.
Tabelle VII (Hungerkultur).
Muttertier.
1. Generat.
Ehe ich nun aus den am Symocephalus vetulus gewonnenen
Ergebnissen meine Schlussfolgerungen ziehe, will ich die inter-
essanten Daphnia magna-Kulturen besprechen.
Im Sommersemester 1904 begann ich an dieser Spezies
meine Untersuchungen, die bis zum Januar 1905 dauerten und
234 Alexander Jssak6witsch:
aller meiner Bemühungen, bestimmte Resultate zu erzielen, zu
spotten schienen. Die Tiere holte ich aus dem Treibhaus einer
Kunstgärtnerei: sie bewohnten dort ein Zementbassin, aus dem
das Wasser zum Begiessen der Pflanzen geschöpft wird. Es sei
mir gestattet, hier auf Einzelheiten einzugehen, da sie für die
Ergebnisse der Kultur sich als von hoher Bedeutung erwiesen
haben. Wie ich später vom Gärtner erfuhr, werden jeden Abend
etwa 10 Eimer Leitungswasser in das Bassin eingelassen: das
Wasser wird infolge der hohen Temperatur des Treibhauses über
Nacht so warm, dass man am nächsten Morgen die Pflanzen
damit begiessen kann. Da das Bassin etwa 30 Eimer fasst und
immer eine Menge faulender Pflanzen und Erde enthält, so fanden
die Tiere dort gute Existenzbedingungen und waren in über-
raschender Menge vorhanden.
Auf eben solche Weise, wie es für Symocephalus beschrieben
wurde, setzte ich auch hier Kälte-, Zimmer- und Wärmekulturen
an. Die in die Kälte oder in die Zimmertemperatur versetzten
Tiere gingen meist, ohne sich fortzupflanzen, nach zwei, drei
Tagen zu Grunde oder brachten eine spärliche Nachkommenschaft
in die Welt, die bald zusammen mit dem Muttertiere einging.
Und alle meine Bemühungen, die Tiere in diesen Temperatur-
bedingungen am Leben zu erhalten, blieben erfolglos: Ich änderte
die Ernährung der Tiere (gab ihnen Diatomeen, faulendes
Muschelfleisch, Paramaecien), durchlüftete die Gefässe, wechselte
schliesslich täglich Wasser und Futter, nichts half.
Die Wärmekulturen gediehen besser, waren jedoch auch von
kurzer Dauer, denn bald nach dem Ansetzen der Kulturen, öfters
schon in der zweiten Generation trat hier eine Erscheinung ein,
welche wir bei Simocephalus vetulus erst nach 4 Monaten an-
dauernder Parthenogenesis (Wärmekultur A) beobachten konnten:
Die Weibchen waren nicht mehr im Stande, sich parthenogenetisch
weiter fortzupflanzen, sie bildeten immer seltener Eier und
schliesslich konnten die gebildeten Eier sich nicht weiter ent-
wickeln: sie zerfielen im Brutraum. Nachdem dieser Vorgang
sich zwei- bis dreimal wiederholt hatte, starben die Tiere
entweder ab oder bildeten Dauereier und Ephippien: letztere
Erscheinung wurde dreimal registriert. In einem der drei Fälle
zeigte das Ephippium eine etwas abnorme Gestalt. Tabelle VIII
gibt eine der längsten Daphnia magna-Wärmekulturen wieder.
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 235
Da diese Kulturen den Simocephalus vetulus-Kulturen zeit-
lich vorausgingen, konnte ich mir lange Zeit über die sonder-
baren Ergebnisse gar nicht klar werden. Erst im Zusammenhange
Tabelle VIII (Daphnia magna-Wärmekultur).
| Muttertier.
1. Generat.
2, Generat.
|
| 2 Zorfgl. RR
frer.
S |
| |
/ | |
ZLZerfsl. Zerf3l. II
£rer Erer. | 4. enerat.
mit den am letzten Tier erzielten Resultaten wurden sie mir
verständlich. Daher wende ich mich nun der Besprechung der
am Simocephalus vetulus gewonnenen Tatsachen zu.
3. Generat.
Folgerungen.
Die Hungerkulturen haben gezeigt, dass ausser der Tempe-
ratur auch die Ernährung ein geschlechtsbestimmender Faktor
sei. Derselbe gewinnt noch mehr an Bedeutung, wenn wir der
folgenden Erscheinung unsere Aufmerksamkeit schenken. Nach
dem Abstreifen eines leeren Ephippiums besteht die nächstfolgende
Brut (auch bei 16 und S® C.) immer nur aus parthenogenetischen
Weibchen. Diese Regel kennt keine Ausnahmen, und wir hätten
doch, wenn die niedrige Temperatur einen unmittelbaren Einfluss
ausüben würde, Geschlechtstiere zu erwarten gehabt. Daraus
folgt, dass die Ursache dieser Erscheinung im Innern des Tieres
zu suchen sei. Die Vorgänge im Innern des Weibchens sind
nun folgende: Das unbefruchtete Dauerei wird im Eierstock autf-
gelöst und resorbiert, was bedeutet, dass dem Eierstock des
Tieres die Nahrung in grosser Menge zugeführt wird. Man hat
daher Ursache, die darauffolgende Geburt weiblicher Tiere auf
diese reiche Ernährung zurückzuführen. Nach Geburt dieser
Tiere werden die vorherigen Beziehungen zwischen Temperatur
und Ernährung wieder hergestellt und die nächste Geburt bringt
236 Alexander Jssaköwitsch:
Y
bei niedriger Temperatur (S oder 16° C.) wieder Geschlechtstiere
in die Welt. Will es nicht scheinen, dass in diesem Vorgange
alles zu Gunsten der Ernährung als geschlechtsbestimmender
Ursache spricht?
Es lässt sich nun noch eine schwerwiegende Tatsache für
die Wichtigkeit der Ernährung in der uns interessierenden Frage
anführen. Diese Tatsache war schon Weismann bekannt, wurde
aber meiner Meinung von ihm falsch gedeutet. Ich spreche von
der interessanten Tätigkeit des Eierstocksepithels während der
Sommereibildung. Das Epithel der Röhre, die bei den Daphnoiden
als Eierstock funktioniert, besteht bei einem erwachsenen Indivi-
duum, wenn das Lumen der Röhre von Eigruppen und Eizellen
ausgefüllt ist, aus so flachen Zellen, dass es längere Zeit über-
sehen wurde. Bei den eben geborenen Weibchen sind diese
Zellen dagegen so blasig aufgetrieben, dass die Röhre wie ein
Strang blasiger Zellen erscheint. Wenn nun aus dem Keimlager
junge Keimzellen vorzudringen anfangen, so drücken sie sich in
die Masse der blasigen Epithelzellen ein, die unter dem Einfluss
des Druckes die sie anfüllende Flüssigkeit an die Keimzellen ab-
geben und selbst auf ihre unscheinbare Normalgrösse zusammen-
schrumpfen. Das ist ein Ernährungsvorgang — die Epithelzellen
funktionieren gewissermassen wie Zwischenhändler —, sie beziehen
aus dem umgebenden Medium, in dem der Eierstock liegt,
Nährmaterial, verbrauchen es aber nicht für sich, sondern über-
gehen es dem vorrückenden Ei zu seiner Entwicklung. Sind die
Eier reif und aus dem Eierstock in den Brutraum übergetreten,
so imbibieren sich die zusammengeschrumpften Epithelzellen von
Neuem von aussen und füllen wieder das ganze Eierstockslumen
aus, um abermals ihren Inhalt an die nachrückenden neuen Ei-
eruppen abzugeben.
Bei der Wintereibildung existiert dieser Vorgang nicht.
Die Epithelzellen bleiben dabei flach und untätig, das Winterei
wächst und ernährt sich auf Kosten der anderen Eikeimgruppen,
die sich im Eierstock befinden. Warum funktioniert hier der
Epithelzellenapparat nicht ?
Weismann suchte diese Frage zu beantworten, indem er
annahm, dass die Tätigkeit dieser Epithelzellen nur für die
Schnelligkeit der Eibildung von Bedeutung sei und schloss daraus,
dass bei der Dauereibildung, wobei es auf Schnelligkeit nicht
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 27
ankomme, die Tätigkeit der Epithelzellen überflüssig wäre und
daher eingestellt wird. Meiner Ansicht nach ist diese Erklärung
Weismanns nicht richtig.
Ich denke, dass Weismann hier den kausalen Zusammen-
hang der Erscheinungen nicht richtig aufgefasst hat; ich glaube
nicht, dass die Epithelzellen ihre Tätigkeit einstellen, wenn ein
Dauerei sich bildet, sondern umgekehrt, dass das Dauerei entsteht,
wenn die Epithelzellen ihre Tätigkeit eingestellt haben. Den
Grund hierfür erblicke ich in den Ernährungsverhältnissen des
Tieres; wenn der Organismus des Tieres reich an freien Nähr-
stoffen und Reservestoffen ist, so werden diese leicht durch Ver-
mittlung der Eierstockepithelzellen den Eiern zugeführt. Ist der
Organismus dagegen schlecht ernährt, so können die Epithel-
zellen ihm keine Nährstoffe entziehen und das in Entwicklung
begriffene Ei nimmt seine Zuflucht zur Auflösung und Resorption
jüngerer Keimgruppen, was die Entstehung eines Dauereies zur
Folge hat.
Wenn wir nun annehmen, dass bei niedriger Temperatur
die assimilatorische Tätigkeit der Zelle herabgesetzt wird und in
Betracht ziehen, dass der Stoftwechsel eines in Entwicklung
begriffenen Eikeimes ein viel intensiverer ist als der aller anderen
Zellen des Organismus, so müssen wir daraus schliessen, dass
bei niedriger Temperatur die Ernährung des Eies eine sehr
ungünstige ist, da das Tier dem Eierstock nicht genügend Nähr-
stoffe zuführen kann. Wir müssen daher erwarten, dass dann
ein Dauerei oder die wegen ihrer geringen Grösse und Kurzlebig-
keit weniger Nährstoffe bedürfenden männlichen Tiere im nächsten
Wurf abgesetzt werden. Dass es sich tatsächlich so verhält,
konnten wir aus den besprochenen Temperaturkulturen ersehen.
Ich hoffe, schon durch diese Beweisführung die Anschauung
gekräftigt zu haben, für welche auch die folgenden Parallel-
kulturen sprechen, nämlich, dass die Ernährung eine geschlechts-
bestimmende Ursache ist und dass die Temperatur nur indirekt
durch Rückwirkung auf die assimilatorische Tätigkeit der Zelle
diese Bedeutung besitzt.
Die Parallelversuche, die ich als letzten Beweis für die Be-
rechtigung dieser Anschauung anführen will, stellte ich in
folgender Weise an: Ich entnahm aus der Wärmekultur A die
gesamte Nachkommenschaft eines parthenogenetischen Weibehens
Muttertiere |
Nachkommen
1. Wurf |
2. Wurf |
3. Wurf
4. Wurf |
U5. Wurf |
238° Alexander Jssaköwitsch:
(dem schon mehrere parthenogenetische Generationen voraus-
gegangen waren), teilte die Jungen in zwei gleich grosse Partien,
beliess die eine davon unter den alten Temperaturverhältnissen
(24°C), während ich die andere der Kälte (8° C) aussetzte und
verglich die Vorgänge in den beiden Hälften der Brut unterein-
ander. Diese Versuche stellte ich sechsmal an und die Resultate
waren in allen Fällen so übereinstimmend, dass ich die folgenden
zwei Tabellen als Typus derselben erläutern kann.
Tabelle IX. Tabelle X.
Ausgangstiere! 2 Geschwisterweibcehen Ausgangstiere: 10 Gesehwisterweibehen
der 4. Gen. (Wärmekultur A). der 6. Gen. (Wärmekultur A).
240 80 240 80
In der Tabelle IX sieht man den Charakter der Nach-
kommenschaft zweier Geschwisterweibchen (aus der 4. Generation
der Wärmekultur A), nachdem sie getrennt und das eine bei der
Temperatur von 24° C belassen, das andere der Temperatur von
S’C ausgesetzt wurde, in zwei Parallelreihen neben einander
wiedergegeben. Vor dieser Trennung lebten beide gemeinschaft-
lich bei der Temperatur von 24° C und hatten dreimal partheno-
genetische Weibchen geboren. Das bei der ursprünglichen
Temperatur belassene Weibchen pflanzte sich in der partheno-
genetischen Weise unverändert fort, bis es altersschwach wurde
und starb. Das in die Kälte versetzte Tier brachte dagegen
einmal Weibchen, darauf zweimal Männchen und schliesslich zwei
Wintereier zur Welt. Die folgende Erwägung veranlasst mich,
zu glauben, dass es sich hierbei um keine direkte Temperatur-
einwirkung handelt: den poikilothermen Daphniden muss sich
die Temperatur der Umgebung sofort mitteilen; daher wäre es,
gesetzt, dass die Temperatur geschlechtsbestimmend wirke, zu
erwarten, dass schon im ersten Wurf die durch die neuen
Temperaturverhältnisse bedingte Wirkung sich offenbaren wird.
Doch sehen wir in diesem Falle, wie in den Zimmer- und Kälte-
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 239
kulturen (Tabellen III, IV, V), dass die Veränderung allmählich
Platz greift, eine Erscheinung, die auf eine langsamer wirkende
Ursache hindeutet. Eine solche erblicke ich in der Ernährung.
Wenn dieselbe durch die Temperatur auch sofort herabgesetzt
wird, so wird dadurch der während des Lebens bei hoher
Temperatur aufgespeicherte Vorrat an Nährmaterial nicht ver-
nichtet und kommt noch den nächsten sich ausbildenden Eiern
zugute. Wenn der Vorrat erschöpft ist, tritt mangelhafte Er-
nährung in ihre Rechte, und es entstehen Geschlechtstiere. Man
könnte mir nun vorwerfen, dass das in der Tabelle X wieder-
gegebene Resultat dem Gesagten widerspreche, indem in diesem
Fall sofort nach Übertragung der Tiere in die niedrige
Temperatur Dauereier gebildet wurden. Die für die Tabelle X
verwerteten Ergebnisse wurden an 10 Geschwisterweibchen, die
der 6. Generation der Wärmekultur A entstammen, gewonnen.
Um dem Vorwurf vorzubeugen, muss ich, etwas voraussreifend,
darauf hinweisen, dass die an Daphnia magna-Kulturen gemachten
Erfahrungen mich überzeugt haben, dass ausser den äusseren
Existenzbedingungen auch der jeweilige Zustand des Eierstockes
eine gewisse Rolle als determinierender Faktor spielt. Es hat
sich nämlich dabei herausgestellt, dass, je länger die Tiere sich
parthenogenetisch fortpflanzen, desto grösser in ihnen die
Tendenz wird zur geschlechtlichen Fortpflanzung überzugehen,
desto leichter kann man sie durch eine geeignete Massregel dazu
veranlassen.
Diese Anschauung gewann ich erst, nachdem ich die Daphnia
magna-Kulturen mit den Simocephalus vetulus-Kulturen ver-
gleichen konnte.
In der Simocephalus Wärmekultur A haben wir beobachtet,
dass nach vier Monate lang dauernder erzwungener partheno-
genetischer Fortpflanzung die Tiere keine entwicklungsfähigen
Eier mehr zu erzeugen imstande waren. Die Eier, wenn sie
überhaupt in den Brutraum gelangten, zerfielen dort. Im Eier-
stock waren also durch die zu stark ausgezogene Parthenogenesis
Missstände eingetreten. Als ich zu diesem Schluss gelangte,
wurden mir die an Daphnia magna Wärmekulturen beobachteten
Ereignisse auf einmal vollkommen verständlich. Die Tiere
stammten ja aus dem Bassin eines Treibhauses, in dem das
Wasser notwendigerweise eine hohe Temperatur besitzen musste.
240 Alexander Jssaköwitsch:
Die Tiere waren also, als ich sie holte, schon an dem Punkte
der parthenogenetischen Entwicklung angelangt, den meine
Simocephalus vetulus Wärmekulturen erst nach vier Monaten er-
reichten. Wenn mein Schluss richtig ist, so müsste es im Bassin
immer Tiere geben, die zerfallende Eier im Brutraum aufweisen.
Ich holte mir nun von neuem Tiere aus diesem Bassin und tat-
sächlich fand ich, da ich darauf achtete, in dem Fang von
110 Tieren, wovon mehr als die Hälfte im Brutraum Embryonen
und Sommereier aufwiesen, — sechs mit zerfallenden Eiern im
Brutraum und drei Weibchen mit Ephippien. Von den Ephippien
war nur eins befruchtet. Das Bassin enthielt also auch Männchen,
aber in sehr geringer Zahl — unter meinen 110 Tieren war zu-
fällig kein einziges zu finden.
Die Beobachtungen geben für folgende interessante Er-
wägungen Veranlassung. Es sei mir gestattet hier etwas weit
auszuholen.
R. Hertwig- (13, 14, 15, 16, 17,:18,:19) ist "durch "seme
Versuche an Protozoen zu dem Ergebnis gekommen, dass „für
die Zelle ein Normalmaß des Kerns gegeben sei: dass übermässiges
Ansteigen der Kernmasse Funktionsunfähigkeit der Zelle verur-
sache und daher bei Protozoen Reorganisationen der Zelle nötig
mache, unter denen die wichtigste in der Befruchtung gegeben sei.“
Der nun von Hertwig eingeführte Begriff der „Kern-
plasmarelation“ besagt, „dass für jede Zelle ein bestimmtes
(Grössenverhältnis von Kernmasse zu Zellmasse gegeben sei,
welches man durch den @uotienten = (d.h. Kernmasse durch
Protoplasmamasse dividiert) ausdrücken kann.“ Zu diesem
Resultat führten u. A. die an Aktinosphärium Eichhorni ge-
machten Beobachtungen. R. Hertwig fand, dass bei andauernden
Futterkulturen die Kerne allmählich an Grösse gewannen.
Schliesslich kamen Tiere zustande, mit Riesenkernen, „deren
Durchmesser bis zum zehnfachen des gewöhnlichen Kerndurch-
messers betragen konnte, was auf den Inhalt umgerechnet eine
Zunahme der Kermasse auf das Tausendfache bedeutet. Das
Ende des Prozesses war immer dasselbe: Der oder die Riesen-
kerne wurden ausgestossen; das zurückbleibende Protoplasma
enthielt dann keine Kerne mehr und starb nach ein bis zwei
Tagen ebenfalls ab. Innerhalb 14 Tagen gingen in der ge-
schilderten Weise nach Tausenden von Individuen zählende
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 241
Futterkulturen bis auf spärliche Reste zu Grunde.“ . Die Ursach e
welche den zum Untergang der Aktinosphären führenden Riesen-
wuchs der Kerne veranlasst haben mochte, sieht Hertwig in,
der überaus starken durch übermässige Ernährung und Ver-
mehrung bedingten Funktion der Zellbestandteile, welche an den
Kern als dem leitenden Faktor zuerst zum Ausdruck kommt.
Er sagt weiter:
„Im vorliegenden Fall würde nach meiner Ansicht durch
die übermässige, in der Natur in solcher Ausdauer wohl schwer-
lich vorkommende Fütterung und durch das Ausbleiben der Be-
fruchtung eine Überanstrengung der Zelltätigkeit eingeleitet
worden sein, welcher die regulatorischen Einrichtungen nicht
mehr gewachsen waren, sodass schliesslich das riesige Wachstum
der Kerne zustande kommen konnte.“
Diese Vorgänge bezeichnet R. Hertwig mit den Worten
„physiologische Degenerationen*“.
An meinen Daphnia magna und Simocephalus vetulus Wärme-
kulturen haben wir nun Beobachtungen gewonnen, die den an
Aktinosphärium Futterkulturen erzielten, vollkommen parallel zu
verlaufen scheinen. Man wird durch den Gang der Wärme-
kulturen zu der Auffassung gedrängt, dass, wie bei Aktinosphärium
so auch hier „die übermässige in der Natur in solcher Ausdauer
wohl schwerlich vorkommende Fütterung und das Ausbleiben der
Befruchtung“ zur physiologischen Degeneration der Eikeime führte.
Die Eier wurden ja gegen Ende der Kulturen entwicklungs-
unfähig, zerfielen im Brutraum. Die Tatsache, dass hier und da
Tiere mit physiologisch degenerierenden Eiern Dauereier ausbilden,
muss infolge dieser Auffassung als ein Kernregnerationsvorgang
verstanden werden, was um so leichter wird, als wir bei Oladoceren
den bis jetzt rätselhaften Vorgang des Entstehens eines Eies
aus einer grossen Menge Eikeimzellen vor uns haben. Wie be-
kannt zerfallen alle zur Bildung des Dauereies herangezogenen
Fikeime ausser einem, dem eigentlichen Ei, allmählich zu einer
Masse, in der die Kerne nicht mehr nachzuweisen sind; auf diese
Weise entsteht ein grosses Dotterreiches Ei mit einem verhältnis-
mässig kleinen Kern. Möglicherweise wird durch diese grosse
Aneignung von Protoplasma die Kernplasmarelation des durch
angestrengte Funktion in den Zustand physiologischer Degeneration
gelangten Eikeimes zu einer für die Entwicklung gedeihlichen
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 16
242 Alexander Jssaköwitsch:
zurückgeführt. Dadurch wird auch die gegenüber dem Subitanei
auftallende Grösse des Dauereies verständlich; — durch das
funktionelle Wachstum ist das K in = grösser geworden — es
muss also, um das alte Gleichgewicht in der Zelle wieder herzu-
stellen, auch P eine entsprechende Vergrösserung erfahren. Um
zu entscheiden, ob diese Folgerungen richtig sind, wäre es von
grosser Wichtigkeit die Kernplasmarelation der Eikeime bei
Tieren auf den verschiedensten Ernährungsstufen zu studieren.
Würde es sich dabei herausstellen, dass das Verhältnis von Kern
zu Plasma, was ich vermute, durch bestimmte andauernde äussere
Wirkungen wirklich verändert wird, so muss das bis jetzt aus-
nahmslose Misslingen der Versuche bei höheren Tieren das Ge-
schlecht zu beeinflussen, viel leichter verständlich werden: Die
Kernplasmarelation der Eier wird bei hoch organisierten Tieren
durch kompliziertere regulatorische Einrichtungen der Einwirkung
äusserer Existenzbedingungen viel leichter Widerstand leisten
können!
Für die Richtigkeit der Auffassung, dass die Dauereibildung
ein Vorgang ist, der die durch lange parthenogenetische Ent-
wicklung oder mangelhafte Ernährung gestörte Kernplasmarelation
zu regulieren bestimmt ist, spricht noch die folgende an meinen
Kulturen gewonnene Tatsache: Bei sinkender Temperatur oder
Ernährung schliesst das Winterei die Reihe der Fortpflauzungs-
produkte immer ab. (Das sahen wir an den Zimmer-, Kälte-
und Hungerkulturen). Immer also, wenn durch einen langen
und in derselben Richtung wirkenden Reiz die Eikeime in ihrer
Ausbildung und Entwicklung stark behindert werden, tritt das
Dauerei auf! Es will mir scheinen, dass wir es im Dauerei mit
einer Einrichtung zu tun haben, welche im Anschluss an die Aus-
bildung der parthenogenetischen Fortpflanzungsweise entstanden
ist, und die durch diese Fortpflanzungsart bedingte einseitige
Veränderung der Kernplasmarelation zu regulieren bestimmt ist.
Wenn ich nun alles Gesagte zusammenfasse, so komme ich
zu den folgenden Ergebnissen:
1. Die Ernährung und die Temperatur (letztere durch ihre
Rückwirkung auf die Ernährung) sind ausschlaggebend für das
Auftreten oder Verschwinden der Geschlechtstiere. Wenn die
Ernährung des mütterlichen Organismus soweit gesunken ist, dass
er nicht mehr imstande ist, dem Ei zu seiner Entwickung zum
Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 243
Weibchen genügend Nährstoffe zu bieten — so entwickelt sich
das anspruchslosere Männchen daraus. Sinkt die Ernährung des
Muttertieres noch tiefer, ist es nicht mehr fähig das Ei wenigstens
zum männlichen Tier zu entwickeln, so tritt eine grosse Anzahl
primärer Eizellen zusammen, um auf Kosten der ganzen Menge
ein einziges befruchtungsbedürftiges Winterei zu bilden.
2. Die Untersuchungen machen es wahrscheinlich, dass die
geschlechtsbestimmende Wirkung der äusseren Existenzbedingungen
in letzter Instanz auf die Beeinflussung der Kernplasmarelation
der Eizelle zurückzuführen sein wird.
3. Aus dem Verlauf der Kulturen kann eine praktische
Regel gezogen werden: Wenn man dauernd grosse Mengen
von Daphniden besitzen will, so ist es ratsam zwei Kulturen
nebeneinander zu führen — eine Hauptkultur bei 22° C und eine
kleine Nebenkultur bei 8 bis 16° ©. Die kleine Kultur bei der
niedrigen Temperatur ist notwendig um die durch andauernde
Parthenogenesis bald erschöpften Weibchen der Hauptkultur in
gewissen Zwischenräumen teilweise durch kräftige, fortpflanzungs-
fähige aus der Nebenkultur ersetzen zu können. Durch die
regelmässige Zufuhr kleiner Mengen fortpflanzungsfähiger Weibchen
wird es möglich ununterbrochen grosse Mengen parthenogenetischer
Tiere in der Hauptkultur zu züchten.
4. Eine ceyklische Fortpflanzungsweise im Sinne Weismanns
besitzen die Daphnoiden nicht.
Es sei mir gestattet, an dieser Stelle meinem hochverehrten
Lehrer Herrn Professor Dr. Richard Hertwig für die mir
zuteil gewordenen Anregung, Unterstützung und Entgegenkommen
meinen innigsten Dank auszusprechen.
Herrn Assistenten Dr. Richard Goldschmidt bin ich
für das meinem Studium entgegengebrachte Interesse aufs tiefste
verpflichtet.
Literaturverzeichnis.
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die Fortpflanzung der Daphnoiden. Zeitschrift f. Wiss. Zool., Bd. 33.
2) Die Eibildung bei den Daphnoiden. Zeitschr. f. Wiss. Zool., Bd. 28.
3) Über die Wintereibildung bei Leptodora hyalina. Zeitschr. f. Wiss.
Zool., Bd. 27.
16*
244
oa
I]
ss
12.
17.
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Bayr. Akad. d. Wiss., Bd. 32 1902, Heft 1.
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Derselbe: Über Korrelationen von Zell- u. Kerngrösse u. ihre Bedeutung
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Centralbl., Bd. 23, No. 2.
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niden. (Vorläufige Mitteilung.) Biol. Centralbl., Bd. XXV, 1905, p. 529.
a
245
Zur Kenntnis der Spinalganglienzellen.
Von
M. v. Lenhossek in Budapest.
Hierzu Tafel IX und X.
Das Kapitel „Spinalganglienzelle“ ist, trotz der vielen
einschlägigen Arbeiten, noch immer nicht erschöpft. Noch
immer lassen sich an diesen Zellen, besonders mit neuen Me-
thoden, neue Einzelheiten ermitteln. Eine solche neue Methode,
die uns in mancher Hinsicht neue Aufklärungen über diese Zellen
gibt, ist die Cajalsche Fibrillenfärbung, namentlich in jener von
Cajal selbst angegehenen Modifikation, bei der die Objekte vor
der Silberbehandlung mit einem Ammoniakalkoholgemisch be-
handelt werden. Ich habe diese Methode, die man, zum Unter-
schied von der eigentlichen Fibrillenmethode, als Cajalsche
Achsenzylinderfärbung bezeichnen kann, in letzter Zeit an den
Spinalganglien des Menschen und einiger anderer Säuger aus-
giebig angewendet und habe mit ihr Anschaupngen gewonnen,
die mir vielfach neu waren und in denen, wie ich glaube, einiges
enthalten ist, was der Mitteilung wert ist. Der erste, der die
neue Silbermethode für das Studium der Spinalganglien verwertet
hat, ist Cajal selbst').
Methode. Als Hauptuntersuchungsobjekt dienten die
Spinalganglien des erwachsenen Menschen; daneben wurden noch
untersucht die Spinalganglien des Neugeborenen, der Katze, des
Hundes, des Pferdes und des Rindes.
Obwohl die Cajalsche Methode nicht nur von ihrem
Urheber ausführlich mitgeteilt, sondern auch schon von anderer
Seite verschiedentlich referiert ist, scheint es mir nicht überflüssig,
sie, speziell in ihrer Anwendung auf die Spinalganglien, hier kurz
zu beschreiben. Sie verdient in der Tat das allgemeinste Interesse,
da sie u.a. eine der vollkommensten Achsenzylinderfärbungen
ist, die wir besitzen.
) S.R.Cajal, Tipos celulares de los ganglios sensitivos del hombre
y mamiferos. Revista de la Real Acad. de Ciencias de Madrid. Tomo II, 1905.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 17;
246 M. v. Lenhossek:
Kleinere Spinalganglien können im ganzen behandelt werden,
bei grösseren ist es zweckmässig, das Ganglion der Länge nach
entzwei zu schneiden.
Die Stücke kommen zunächst auf 24 Stunden in folgende
Mischung:
Alkohol 96° 100
Ammoniak 0,5
Nach 24 Stunden werden sie flüchtig in destilliertem Wasser
abgewaschen und in eine 2°/oige Silberlösung gebracht.
Man stellt die Schälchen in den auf 35° C erwärmten
Paraffinofen. Einwirkungsdauer: drei Tage. Nach Ablauf dieser
Zeit nimmt man die Schälchen aus dem Paraffinofen, wäscht die
Stückchen in destilliertem Wasser ab und überträgt sie, nunmehr
bei Tageslicht und Zimmertemperatur, zur Reduktion auf
24 Stunden in folgende Mischung:
Acidum pyrogallicum 1,5
Aqu. dest. 100
Formalin )
Hierauf Entwässerung, Einbettung in Paraffin, Mikrotom-
schnitte von nicht allzugrosser Dünne, die mit Eiweiss auf den
Objektträger aufgeklebt werden.
Unentbehrlich ist nach meinen Erfahrungen das Vergolden
der Präparate. Zu diesem Zwecke behandelt man die mit den
Präparaten belegten Öbjektträger mit Xylol, Alkohol und
destilliertem Wasser und bringt sie dann in eine Goldlösung, die
in der Weise hergestellt wird, dass man zu 150 ccm destilliertem
Wasser 4 ccm von der gewöhnlich vorrätigen 1°/oigen Gold-
chloridlösung zusetzt. Darin bleiben sie nun verschieden lange
Zeit, 10 Minuten bis eine Stunde, so lange nämlich, bis der ge-
wünschte Erfolg eingetreten, d. h. das Silber ganz in Gold über-
geführt ist. Dies erkennt man mit freiem Auge daran, dass die
braune Farbe der Schnitte einer blass stahlgrauen gewichen ist.
Noch sicherer aber lässt sich der Erfolg mikroskopisch nach-
weisen; der richtige Zeitpunkt zur Beendigung der Goldbe-
handlung wird eingetreten sein, wenn die Zellenfortsätze und
Nervenfasern des Ganglions intensiv dunkel erscheinen und die
Zellkörper nirgends mehr die von der Silberbehandlung her-
rührende braune oder gelbe Färbung erkennen lassen. Hierauf
bringt man die Präparate für einige Minuten in eine 5"/oige
WERNER lg Ca
—
Die Spinalganglienzellen. 24
Lösung von Fixiernatron und wäscht sie dann gründlich in
fliessendem Wasser aus.
Damit ist aber das Verfahren noch immer nicht beendigt,
es folgt nun noch etwas wichtiges, nämlich das Nachfärben der
Schnitte. Hierzu wählt man am besten wegen des Kontrastes
Karmin; ich habe mit bestem Erfolge das Mayersche Karm-
alaun angewendet. Die vergoldeten Schnitte nenmen den Farb-
stoft geradezu gierig auf, so dass schon nach 5, längstens
10 Minuten eine sehr schöne Färbung der Zellkerne erreicht ist.
Die auf diese Weise behandelten Schnitte übertreffen die nicht-
nachgefärbten beträchtlich an Schönheit. Nur an diesen lassen
sich die „Mantelzellen“ die die Spinalganglienzellen umgeben, in
allen ihren Verhältnissen schön beobachten und lässt sich ihr
Verhalten zu den Zellfortsätzen und anderweitigen Faserbildungen
gründlich untersuchen.
Die Cajalschen Silberbilder stehen in Betreff der Spinal-
ganglien den Methylenblaubildern, die Dogiel, Cajal und
andere in ihren Abhandlungen geben, in vielen Beziehungen be-
trächtlich nach, hauptsächlich aus dem Grunde, weil hier das
Objekt in verhältnismässig dünne Schnitte zerlegt werden muss,
wodurch die Faserknäuel usw. in dünne Fragmente zersplittert
werden. Die Bilder sind also bei weitem nicht so übersichtlich
wie die Methylenblaubilder, lassen aber dafür in manchen Be-
ziehungen ein eindringlicheres Studium zu.
Zellkörper. Die Spinalganglien des Menschen sind, wie
bekannt, von verschiedener Grösse und haben im aligemeinen
eine !plumpe, rundliche oder leicht eckige Gestalt; von einer
Birnform oder von einer besonderen Vertiefung neben der
Ursprungsstelle des Fortsatzes, wie beim Frosche, kann hier
nicht die Rede sein. Sie sind in eine bindegewebige Zwischen-
substanz eingebettet, die gerade beim Menschen verhältnis-
mässig stark entwickelt ist, im Gegensatz zu kleineren
Säugern, wo die Zellen viel näher beieinander liegen. —
In den Ammoniakalkoholsilberbildern erscheint der Zellkörper
zumeist so durch und durch dunkel gefärbt, dass von seiner
inneren Struktur nichts wahrzunehmen ist; hin und wieder be-
gegnet man aber immer auch in diesen Präparaten Zellen. die
aus unbekannten Gründen inmitten der dunkel gefärbten heller
und durchsichtiger geblieben sind, und in denen sich die Zell-
17%
248 M. v. Lenhossek:
struktur ebenso gut untersuchen lässt, wie an den mit der
eigentlichen Cajalschen Fibrillenmethode oder nach Biel-
schowsky behandelten Präparaten.
Wir sehen an solchen Zellen eine enorm dichte Proto-
plasmastruktur, bestehend aus einem ungemein engen Gespinnst
feinster Fäserchen, das sich gleichmässig über den ganzen Umfang
der Zelle ausbreitet und am Fortsatz in dessen fibrilläre
Streifung übergeht. Bei der Dichtigkeit des Fasergewirres ge-
lingt es nicht, völlige Sicherheit darüber zu erlangen, ob diese
Fäserchen netzförmig miteinander verwachsen oder nur unter
Wahrung ihrer Selbständigkeit filzartig verflochten sind. Der
vorherrschende Eindruck ist allerdings der, dass es sich um ein
richtiges anastomotisches Netzwerk handelt.
Die neuen Silberbilder ergeben hinsichtlich der Spinal-
ganglienzellen, dass jene früheren Forscher, die an diesen Zellen
eine sog. „fibrilläre Struktur“, d.h. einen Aufbau aus verhältnis-
mässig groben, längeren, konzentrisch und parallel angeordneten
Faserbildungen beschrieben haben, im Unrecht waren. Ich weise
mit Befriedigung darauf hin, dass ich in meinen verschiedenen,
aus den 90er Jahren stammenden Arbeiten gegenüber diesen
Darstellungen mit Cajal und Held stets einer fein netzförmigen
Struktur der Spinalganglienzellen das Wort geredet habe.
Ausserordentlich nahe zur Wahrheit ist Flemming in seiner
Arbeit vom Jahre 1882!) gekommen.
Mantelzellen (Amphicyten). Darunter verstehe ich jene
die Spinalganglienzelle mantelartig umgebenden kleineren
Elemente, die man bisher sehr unrichtig als „Kapselzellen“ be-
zeichnet hat. Diese Bezeichnung ist unangebracht, da die frag-
lichen Zellen mit der Bindegewebskapsel, wo eine solche vor-
handen ist, in Wahrheit nichts anderes zu tun haben, als dass
sie ihr von innen her anliegen. Ihre vollkommene Unabhängig-
keit von der Kapsel ergibt sich schon daraus, dass diese fehlen
kann, während die Amphicyten an keiner Spinalganglienzelle
vermisst werden. Fraentzel?) hat die Gesamtheit dieser
Zellen vor vielen Jahren nicht unzutreffend „das Epithel der
) W.Flemming. Vom Bau der Spinalganglienzellen. Festschrift
für Henle. Bonn 1882, S. 12.
?®) Fraentzel, Beitrag zur Kenntnis von der Struktur der spinalen
und sympathischen Ganglienzellen. Virchows Archiv. Bd. 38.
Die Spinalganglienzellen. 249
Ganglienzellen“ genannt. Auf diesen Namen könnten sie beim
Menschen in der Tat dadurch Anspruch erheben, dass sie be-
sonders bei den grössern Zellen die Nervenzelle in Form eines
zusammenhängenden epitheloiden Mantels umgeben. Sie bilden
ein förmliches Nest, worin die Spinalganglienzelle eingebettet ist.
Die Ähnlichkeit mit den Verhältnissen bei den jungen, noch
keinen Hohlraum aufweisenden Eierstockfollikeln ist in die Augen
fallend. Dieselben Mantelzellen finden wir, vielleicht noch stärker
entwickelt, in den Ganglien der Kopfnerven und zwar nicht nur
bei denjenigen, die nach dem Typus der Spinalganglien gebaut
sind, wie das Ganglion Gasserii oder geniculi, sondern auch bei
den nach „sympathischem“ Typus gebauten, wie z. B. bei dem
Ganglion .oticum. Letzteres ist deshalb bemerkenswert, weil die
Amphieyten in den eigentlichen Grenzstrangganglien vollkommen
fehlen. Bei diesen sind die multipolaren Nervenzellen direkt
in das Bindegewebe eingebettet. Es ist dies ein nicht unwesent-
licher Unterschied zwischen den eigentlichen sympathischen
Ganglien und den Hirnnervenganglien von sympathischem Typus.
Da auch sonstige Unterschiede, namentlich in Bezug auf das
Verhalten der protoplasmatischen Fortsätze, vorhanden sind,
scheint mir die gegenwärtig herrschende Auffassung, dass das
Ganglion ciliare, sphenopalatinum, oticum, usw. einfach „Grenz-
strangganglien des Kopfes“ sind, zumindest einer gewissen Ein-
schränkung zu bedürfen. Merkwürdigerweise vermisse ich diese
Amphicyten auch in den Acusticusganglien des Menschen, die ja
sonst bekanntlich dem Typus „Spinalganglion“ zuzuteilen sind.
Bei diesen Zellen liegt die bindegewebige Kapsel dem Zellkörper
überall direkt an.
Die Mantelzellen zeigen beim Menschen eine verhältnis-
mässig ansehnliche Entwicklung, sie sind grösser, zahlreicher,
protoplasmareicher, als in den Spinalganglien der Katze, des
Hundes, des Rindes. Sie bilden einen schönen und, mit Ab-
rechnung der allerkleinsten Nervenzellen, zusammenhängenden
Zellkranz um die Nervenzelle herum. Wir sehen verhältnis-
mässig protoplasmareiche, polsterartig nach innen vorspringende,
mit einem schönen runden oder leicht ovalen Kern versehene
epitheloide Zellen, die mit Ausnahme einer einzigen Stelle
überall einen einschichtigen Zellbelag um die Nervenzelle herum
bilden und mit dieser in innigstem Kontakt sind. Die Ober-
250 M. v. Lenhossek:
fläche der Nervenzelle empfängt durch diese Anlagerung stellen-
weise leichte napflörmige Vertiefungen. Die Abgrenzung der
Mantelzellen gegen einander scheint mir im allgemeinen nicht
sehr deutlich zu sein. Ihre Kerne sind von verschiedener Grösse,
oft fallen einzelne durch ibre grossen Dimensionen auf. Die
Kerne liegen im Zellkranze selten in gleichen Abständen von
einander.
An einer Stelle bilden nun diese Mantelzellen eine etwas
stärkere Ansammlung; es ist dies die „Polstelle“, d. h. die Gegend,
wo der Fortsatz aus dem Körper der Nervenzelle hervortritt
um gleich darauf seinen Anfangsknäuel zu bilden. Dieser Knäuel
gibt auch ohne Frage die Veranlassung ab zu der Entstehung
dieser Zellanhäufung. Die bindegewebige Kapsel passt sich
natürlich dieser oft kegelförmigen Zellgruppe an, und dadurch
kommt die Birnform zustande, die uns die Spinalganglienzelle
einschliesslich ihrer accessorischen Bestandteile, d, h. der sie um-
gebenden Mantelzellen und der bindegewebigen Kapsel bei vielen
Tieren, z. B. bei der Katze, zeigt. Beim Menschen ist diese
Birnform selten deutlich ausgesprochen, was sich, wie wir sehen
werden, aus-dem etwas abweichenden Verhalten des Fortsatzes
erklärt.
Bei den ganz kleinen Zellen scheint der Zellmantel oft nicht
ganz kontinuierlich zu sein. Manchmal sieht man nur ein bis
zwei Mantelzellen den Spinalganglienzellen anliegen.
In besonders grosser Zahl sind die Amphicyten in den
Spinalganglien des Pferdes entwickelt; sie sind hier allerdings
etwas kleiner als bei den anderen von mir untersuchten Säugern.
Sie erscheinen hier oft durchweg in mehrschichtiger Anordnung
im Umkreise der Zelle und bilden an der Polstelle einen aus vielen
kleinen Zellen bestehenden lockeren, nach aussen nicht scharf
begrenzten Haufen. Infolge ihrer lockeren Anordnung rufen sie
hier mehr den Eindruck von „interstitiellen Zellen“ als von
Mantelzellen hervor.
Ich will hier gleich meiner Ansicht über diese Zellen Ausdruck
geben. Ich halte die Amphicyten nicht für Bindegewebszellen,
wie sie bisher allgemein aufgefasst wurden, sondern für Schwester-
zellen der Spinalganglienzellen, d.h. für Elemente, die ebenso
ektodermalen Ursprungs sind, wie diese selbst. Meinen embryo-
logischen Beobachtungen nach differenzieren sich die anfangs
Die Spinalganglienzellen. 251
ganz gleichartigen embryonalen Elemente der Ganglienanlage in
zwei Richtungen. Ein Teil gestaltet sich durch Vergrösserung,
spindelförmige Gestaltung des Zellkörpers und Anlage von Fort-
sätzen zu den eigentlichen Spinalganglienzellen, während ein
anderer Teil durch Zurückbleiben in der Entwicklung und durch
typische pericelluläre Gruppierung zu den Mantelzellen wird.
Wieder drängt sich hier die Ähnlichkeit mit den Verhält-
nissen im Eierstock auf. Näher noch liegt aber eine andere
Analogie, diejenige nämlich mit den Verhältnissen im Central-
organ, wo sich bekanntlich die anfangs gleichartigen Ektoderm-
zellen ebenfalls nach zwei Richtungen scheiden, indem sie teils
zu Nervenzellen, teils zu Stützzellen werden.
Weiterhin glaube ich, dass diese Mantelzellen vollkommen
den Lemmocyten (Sch wannschen Zellen)der peripherischen Nerven-
fasern entsprechen. Es lässt sich dieser Beweis nach meinen
Beobachtungen vor allem embryologisch führen, indem sich nach-
weisen lässt, dass die Lemmoblasten der peripherischen Nerven-
wurzeln und Nerven, sowohl der sensiblen wie der motorischen,
Abkömmlinge der Ganglienanlagen sind. Der in den Ganglien-
anlagen verbleibende Rest von Bildungszellen gestaltet sich zu den
Nervenzellen und Mantelzellen. In den Grenzstrangganglien und
den Ganglien des Acusticus wird der ganze Vorrat zu Nerven-
zellen aufgebraucht. — Ich werde für diese meine Auffassung
weiter unten noch eine direkt histologische Stütze beibringen
können.
Über die physiologische Bedeutung der Mantelzellen ist
uns nichts näheres bekannt. Ob sie einfach nur Nähr- und
Schutzzellen der von ihnen umfassten Spinalganglienzellen sind,
oder auch auf deren nervöse Funktion irgendwelchen Einfluss
nehmen, entzieht sich einstweilen unserer Beurteilung, Um
einer modernen Richtung Rechnung zu tragen, möchte ich auch
die Möglichkeit nicht unerwähnt lassen, dass diesen Zellen
irgend welche secretorische Funktion zukommt und dass sie so
in ihrer Gesamtheit ein „glandula interstitialis“ der Spinal-
ganglien darstellen. Cajal legt Gewicht darauf, dass diese
Zellen im höheren Alter eine Art phagocytäre Einwirkung auf
die von ihnen umfasste Nervenzelle ausüben, indem sie Hand in
Hand mit ihrer Wucherung die peripherischen Teile der Nerven-
zelle zum Schwunde bringen.
252 M. v. Lenhosseck:
In einigen der dieser Abhandlung beigegebenen Abbildungen
(z.B. Fig. 7 und 17) erblickt man zwischen Mantelzellen und
Zelloberfläche eine Anzahl von Lymphoeyten. Sie sind an ihrem
kleinen dunkel gefärbten runden Kern sowie an dem freistehen-
den spindelförmigen, schwach entwickelten Zellkörper leicht
kenntlich. Es handelt sich hier ohne Frage um eine pathologische
oder zumindest senile Erscheinung. Ich habe diese Lymphocyten
nur in den Spinalganglien der Menschen beobachtet, hier aller-
dings recht häufig, wozu aber zu bemerken ist, dass ich mein
Material ausschliesslich Spitalleichen entnommen habe.
Kapsel. Die Spinalganglienzelle ist beim Menschen, wie
bekannt, mitsamt den dazugehörigen Mantelzellen, von einer
zarten bindegewebigen Membran, der sog. Kapsel umgeben, die
sich in die Endoneuralscheide !) des Ausläufers festsetzt. Dieser
Übergang ist von mir?) im Jahre 1836 an den Spinalganglien-
zellen des Frosches zum erstenmal richtig erkannt worden,
nachdem man bis dahin die Zellkapsel in das Neurilemm des
Fortsatzes übergehen liess. Letzteres ist schon deshalb nicht
möglich, weil, wie wir noch sehen werden, das Neurilemm an
dem Fortsatz schon innerhalb der Kapsel auftritt. Bie Zell-
kapsel ist ein äusserst dünnes Häutchen und weist an ihrer
äussern Fläche längere, ovale, stark färbbare Kerne auf, die nicht
mit den Zellkernen der einwärts von der Kapsel gelegenen
Mantelzellen verwechselt werden dürfen. Es entsprechen diese
Zellkerne den Kernen der Endothelzellen, aus denen sich die
Kapsel aufbaut und deren Grenzen sich, wie dies schon lange
bekannt ist (vergl. Fig. 2 meiner angeführten Arbeit) mit sal-
petersaurem Silber schön nachweisen lassen. Nach aussen hängt
diese Endoneuralkapsel der Zelle sehr innig mit dem Zwischen-
gewebe der Spinalganglien zusammen; sie ist überhaupt nichts
anderes, als die Grenzschichte dieses Bindegewebes gegen das
Zellgebiet hin.
Die Bedeutung dieser Kapsel ist, wie ich sehe, bisher sehr
überschätzt worden. Schon beim Menschen, der Katze und dem
Hunde, wo sie im allgemeinen vorhanden ist, hat man bei vielen
Zellen Mühe, sie als wirkliche zusammenhängende Membran nachzu-
!) Von Ranvier fälschlich Henlesche Scheide genannt.
?) M. v. Lenhossek, Untersuchungen über die Spinalganglien des
Frosches. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 26, 1886, S. 370.
Die Spinalganglienzellen. 253
weisen; vollkommen fehlt sie aber in den Spinalganglien des Pferdes.
Hier finden wir die Spinalganglienzelle, wie wir hörten, von einem
förmlichen Schwarm von kleinen Mantelzellen umgeben, der nach
aussen hin durch keine ausgesprochene Membran abgegrenzt ist und
an den Stellen, wo mehrere Ganglienzellen dicht nebeneinander
liegen, mit der entsprechenden Zellgruppe der benachbarten
Spinalganglienzellen stets ohne jede scharfe Grenze zusammen-
fliesst. Ähnlich liegen die Verhältnisse, wie ich finde, in sämt-
lichen Kopfganglien von sympathischem Typus auch beim Menschen,
insofern als sich auch hier keine eigentliche bindegewebige
Kapsel um die Zelle herum nachweisen lässt. Die Kapsel gehört
mithin nicht zur allgemeinen Charakteristik der Spinaiganglien-
zelle, sie ist überhaupt keine wesentliche Bildung. Wesentlich
ist nur die Spinalganglienzelle selbst und der sie umgebende
Belag von kleinen „Mantelzellen“.
Fortsatz. Die überwiegende Mehrzahl der Spinalgang-
lienzellen entspricht dem altbekannten unipolaren Typus. Der
Fortsatz entspringt an einer beliebigen Stelle der Zelloberfläche
mit einem kegelförmigen Ansatzstück, worin sich bei den Zellen,
die heller geblieben sind, eine deutliche fibrilläre Streifung nach-
weisen lässt. Die Fibrillen dieses Kegels gehen nachweislich
aus dem dichten Filz des Zellkörpers hervor. Das weitere
Verhalten des Fortsatzes ist nun das folgende. Es ist eine
grosse Seltenheit, dass der Fortsatz sofort nach seinem Ursprung
geradlinig das Zellgebiet verlässt; typisch ist vielmehr das Ver-
halten, dass er gleich nach seinem Ursprung einen einfacheren
oder dichteren Knäuel bildet, wonach er die Kapsel noch immer
nicht verlässt, sondern sich, wieder gradliniger geworden, noch
immer innerhalb der Kapsel, in einem hübschen Bogen um die
Zelle herum schwingt, um erst am gegenüberliegenden Pol das
Gebiet der Zelle zu verlassen. Ja der Bogen kann sich noch
weiter ausdehnen, so dass der Fortsatz wieder zu seiner Aus-
gangsstelle zurückkehrt und sich erst dort von seiner Zelle
trennt. Letzteres ist aber ein seltenes Verhalten. Das Typische
ist, dass der Fortsatz die Zellkapsel am gegenüberliegenden
Pol verlässt.
Dieser pericelluläre Bogen des Fortsatzes ist etwas ungemein
charakteristisches und ist speziell typisch für die Spinalganglien-
zellen des Menschen. Bei keinem anderen Säuger habe ich dies,
254 M. v. Lenhossek:
wenigstens als regelmässiges Verhalten, bisher wahrgenommen.
Der Bogen ist sogar typischer als der Knäuel. Letzterer kann,
besonders bei kleineren Zellen, und besonders in den Ganglien
jüngerer Individuen, fehlen oder bloss ganz leicht angedeutet
sein, wie dies in den Figuren 1 und 2 zu sehen ist; dagegen
fehlt die Krümmung nur bei einer grossen Minderheit von Zellen.
Während seines bogenförmigen Verlaufes verdünnt sich der Fort-
tsatz stets. Der Fortsatz ist während jenes Bogenstückes weder
zwischen Mantelzellen und Zelle, noch zwischen Mantelzellen und
Kapsel eingeschaltet, sondern läuft zwischen den Mantelzellen,
hüllenartig von ihnen umfasst.
Wendet man stärkere Vergrösserungen an und sieht man
genau zu, so kann man sich, besonders bei den grösseren Zellen,
überzeugen, dass sich während dieses endokapsulären Verlaufes
allmählich eine feine membranartige Scheide um den Fortsatz
herum anlegt; wir haben hier das erste Auftreten eines Neurilemms,
jener Scheide, die dann den Nervenfortsatz auf seinem langen
Wege an der Peripherie treu begleitet. Man gewinnt entschieden
den Eindruck, dass sich diese Scheide als Ausscheidungsprodukt
der dem Fortsatz anliegenden Mantelzellen entwickelt. Besonders
schön lässt sich die Gegenwart eines Neurilemms an solchen
‘Stellen nachweisen, wo der Fortsatz quer durchschnitten ist...
Man sieht hier um den etwas geschrumpften Fortsatz einen feinen
scharf gezeichneten Ring, entweder als innerste Schichte der dem
Fortsatz anliegenden Mantelzellen, oder auch, wenn letztere
etwas geschrumpft sind, als selbständige Bildung. Damit ergibt
sich meiner Ansicht nach von selbst die Analogie der Amphicyten mit
den Schwannschen Zellen oder Lemmocyten des pheripherischen
Achsencylinders. In vielen Fällen schien es mir, als würde um
den Fortsatz herum noch innerhalb der Kapsel auch noch eine
Markscheide auftreten. Dafür sprechen auch sehr überzeugend
die Bilder, die wir in einer Arbeit von Babes und Krem-
nitzer!) über die Spinalganglienzellen sehen. Diese Forscher
haben sich bei ihren Untersuchungen der Weigertschen Mark-
scheidenfärbung bedient; ich selbst habe hierüber keine ent-
!) V. Babes et F. Kremnitzer, L’anatomie microscopique des
ganglions spinaux et la pathog&nie du tabes. Archives des sciences medicales
1886, pg. 134.
Die Spinalganglienzellen. 255
scheidenden Erfahrungen. Dogiel gibt ebenfalls an, dass der
Fortsatz bereits intracapsulär eine Markscheide aufweisen kann.
Nun zu dem Knäuel. Die erste literarische Andeutung
dessen, dass der Fortsatz bei vielen Tieren, besonders bei Säugern,
nicht gradlinig von der Zelle hinweg tritt, sondern unmittelbar
nach seinem Ursprunge knäuelförmige Windungen bildet, finden
wir in einer Abhandlung von Retzius!) aus dem Jahre 1880.
Der nächste, der diese Erscheinung wahrgenommen, erwähnt und
abgebildet hat, ist Daae?°), doch leiden sowohl die Abbildungen,
wie namentlich der Text der Daaeschen Arbeit an bedenklichen
Mängeln und Unklarheiten, die allerdings teilweise darin ihre
Entschuldigung finden mögen, dass die Verhältnisse des Fortsatzes
gerade beim Pferde, wie wir noch sehen werden, ausnehmend
kompliziert sind. Die erste ausführliche Beschreibung dieser
Knäuelbildungen verdanken wir Dogiel,°?) der sie mit dem
Methylenblauverfahren in den Spinalganglienzellen in klarer und
erschöpfender Weise nachweisen konnte. Weitere ausführliche
Darstellungen, Ergänzungen und Abbildungen brachten dann die
Arbeiten Cajals,*) der diesen Knäuel den Anfangsglomerulus
des Fortsatzes nennt.
Es ist vor allem hervorzuheben, dass bezüglich dieses
Knäuels beträchtliche Abweichungen zwischen den einzelnen
Säugetieren bestehen. Viel stärker entwickelt als beim Menschen
ist z. B. der Knäuel bei der Katze und dem Hunde. Das typische
Verhalten bei diesen Tieren vergegenwärtigen die Fig.3 (Katze)
und 4 (Hund). Hier ist der Knäuel kompliziert, aus einer
grösseren Zahl von Schlingen bestehend, und schliesst sich auch
') G. Retzius, Untersuchungen über die Nervenzellen der cerebro-
spinalen Ganglien und der übrigen peripherischen Kopfganglien. Archiv f.
Anat. und Physiol. Anat. Abt. 1880, S. 369.
?®) H. Daae, Zur Kenntnis der Spinalganglienzellen beim Säugetier.
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XXXI, 1887.
°) A. Dogiel. Der Bau der Spinalganglien bei den Säugetieren.
Anat. Anzeiger 1896, Bd. XII, S. 140. Derselbe: Z. Frage über d. feineren
Bau der Spinalganglien und deren Zellen bei Säugetieren. Internat.
Monatsschr. f. Anat. u. Phys. Bd. XIV, 1897, Heft 4 u. 5.
*) Zusammenfassung in: F. Ramön y Cajal, Textura del sistema
nervioso del hombre y de los vertebrados. Tomo I, 1899, p. 352. Siehe auch
l. c.: Tipos celulares, ete. 1905.
256 M. v. Lenhossek:
nicht so dicht wie beim Menschen an den Zellkörper an, sondern
spinnt sicn in etwas lockerer Anordnung weiter von der Zelle
hinweg, begleitet von Mantelzellen und von einer dütenförmigen
Verlängerung der Kapsel, wodurch das ganze Zellgebilde der
Spinalganglienzelle ausgesprochen birnförmig wird. An der Spitze
des Kegels, tritt aber der Fortsatz hervor; ein rückläufiger
Bogen ist hier gewöhnlich nicht vorhanden. Die starken, weit
ausgesponnenen Knäuel verleihen den Präparaten aus den nach
Cajal behandelten Spinalganglien der genannten Tiere schon
bei schwacher Vergrösserung ein eigenartiges Gepräge. Überall
zwischen den Zellen sieht man die auffallenden schwarzen Knäuel.
Anders beim Menschen. Hier ist die Knäuelbildung im Vergleich
zur Katze geradezu rudimentär zu nennen, der Knäuel besteht
auch bei den grossen Zellen oft nur aus zwei oder drei Schlingen,
oft nur aus leicht welligen Krümmungen, die dann, ohne eigent-
liche Schlingenbildung, in das bogenförmige rückläufige Stück
des Fortsatzes übergehen. (Vergl. Figg. 5—7.) Die Windungen
können sich auch auf diesen bogenförmigen Abschnitt bis zu
seinem Ende fortsetzen, wodurch natürlich kompliziertere Bilder
zustande kommen, die bloss durch Vergleichung der zusammen-
gehörigen Bruchstücke in den Nachbarsehnitten klarzustellen
sind. Die Ausbildung dieser Knäuel gehört der postfoetalen
Periode an. Beim Neugeborenen findet man noch keine Spur
einer Knäuelbildung, auch ist hier der rückläufige Bogen des
Fortsatzes noch nicht an allen Zellen angelegt, oder wenn
auch vorhanden, erst auf ein kurzes Stückchen beschränkt,
wie das in den Figg. 8—10 zur Ansicht gebracht ist. Des
weiteren habe ich mich bestimmt überzeugen können, dass der
Knäuel auch noch bei jüngeren erwachsenen Individuen ent-
schieden einfacher ist, als bei älteren. Daraus kann man also
folgern, dass jene merkwürdige Tendenz des Längswachstums, die
dem ersten Stücke des Fortsatzes in der postfoetalen Periode
innewohnt, nicht nur die Wachstumsenergie des Spinalganglions
im ganzen beträchtlich übertrifft, sondern ausserdem auch noch
die zeitlichen Grenzen des allgemeinen Wachstums des Organis-
mus überschreitet, daher durch Raumbeschränkung eine allmählich
ausgesprochene Knäuelbildung Platz greifen muss. Eine grössere
Bedeutung in funktioneller Hinsicht dürfte dieser Schlingen-
bildung nicht zuzuschreiben sein.
Die Spinalganglienzellen. 257
Überall wo der Fortsatz Windungen bildet, finden wir eine
Vermehrung der Mantelzellen. Die Windungen sind vollkommen
zwischen diese Zellen eingebettet. Wir sehen so die innigsten
Beziehungen zwischen dem Fortsatz und den Mantelzellen.
Im Jahre 1897 hat Ramön y Cajal in Verbindung mit
F. Oloriz'!) ein interessantes Verhalten an den Spinalganglien-
zellen der Säuger beschrieben. Es kommt vor, dass eine feine,
offenbar dem Sympathicus entstammende Nervenfaser die Kapsel
betritt und sich in der aus Mantelzellen gebildeten polaren An-
häufung, die sich um den Glomerulus herum befindet, zwischen
den Zellen zu einem komplizierten Geflechte verästelt. Cajal
nennt dieses Geflecht Arborizaciones periglomerulares.
Bei den Menschen kommen diese Faserverästelungen jeden-
falls äusserst selten vor. Ich habe sie trotz sehr gelungener
Faserfärbungen nur in sehr wenigen Fällen beobachten können.
Fig. 11 zeigt das Bild, das diese Verästelungen an den Silber-
präparaten darbieten. Natürlich ist hier das Geflecht in viele
Fragmente zerstückelt; man sieht eine Menge kürzerer oder
längerer Fasersbruchstücke zwischen den Polzellen und auch
weiter zwischen den übrigen Mantelzellen. Die Silberpräparate
stehen in dieser Beziehung den Methylenblaubildern beträcht-
lich nach.
Das wenn auch nur sporadische Vorhandensein dieses Ge-
flechtes scheint mir einen Hinweis darauf zu enthalten, dass die
Mantelzellen mehr als einfache Schutzzellen der Nervenzelle sind.
Die Gegenwart einer besonderen Innervation dieser Zellen ist
nur bei der Annahme verständlich, dass sie eine ganz besondere
Funktion haben.
Zellschlingen. Eine merkwürdige Wahrnehmung an
den Spinalganglienzellen des Menschen besteht in der Gegenwart
von schlingenförmigen Zellfortsätzen, die von dem Zellkörper
ausgehend bogenförmig in ihn wieder zurückkehren. (Fig. 12,
Mensch). Die Schlingen haben durchaus nicht den Charakter
von undeutlich begrenzten Protoplasma-Aufsplitterungen oder
von Protoplasınafortsätzen, sondern stellen sich durchaus in der
Schärfe von Nervenfortsätzen dar. Sie können flacher oder höher,
zarter oder dicker sein und sind manchmal in grösserer Zahl
!) S. R. y Cajal y F. Oloriz, Los ganglios sensitivos craneales de los
mamiferos. Revista trimestral microgr. 1897, Nr. 4.
258 M. v. Lenhossek:
— 5—6 — an derselben Zelle wahrzunehmen. Diese merk-
würdigen henkelartigen Zellanhänge sind zuerst von Cajal ge-
sehen worden. In der von diesem Forscher in Gemeinschaft mit
Dalmacio Garcia verfassten Arbeit über die Veränderungen
der Nervenzellen bei der Hundswut') werden diese Schlingen in
Fig. 2 und 5 vom Kaninchen sehr gut abgebildet und auch im
Texte unter der nicht gerade glücklich gewählten Bezeichnung
Celulas con protoplasma fenestrada beschrieben. Cajal ist in
jener Arbeit geneigt, diese Form als etwas pathologisches, als
das Ergebnis der künstlich gesetzten Erkrankung aufzufassen,
von welcher Auffassung er aber in seiner letzten Arbeit (Tipos
celulares ete. 1905), wo diese Schlingen abermals geschildert
werden, zurückgekommen ist. Ich habe diese Schlingen an den
Spinalganglienzellen des Menschen, allerdings immer nur als
sporadische Erscheinung, stets wahrgenommen, aber nur beim Er-
wachsenen, niemals beim Kinde. Ar derSchlingenbildung kann auch
der Fortsatz beteiligt sein, in der Weise etwa wie in Fig. 19, dass
er sich in einiger Entfernung von der Zelle in zwei gleichstarke
Äste teilt, wovon der eine als eigentlicher Fortsatz der Zelle
weiterschreitet, der andere dagegen schlingenförmig in die
Zelle zurückkehrt, oder auch in der Weise (Figg. 14 und 15),
dass gleich am ersten Abschnitt des Fortsatzes, gewöhnlich an
einer Stelle, wo er sich krümmt, ein feinerer Nebenast entspringt,
der sich zum Zellkörper zurückbegibt. Die Schlingen sind
zwischen die Mantelzellen eingeschaltet. In physiologischer Be-
ziehung können wir mit ihnen einstweilen nichts anfangen.
Fortsätze mit Protoplasmalappen. Ein merk-
würdiges Verhalten vergegenwärtigt uns Fig. 16. Wir sehen
von der Oberfläche des Zellkörpers gegenüber der Ursprungs-
stelle des Hauptfortsatzes eine zarte Faser entspringen, die sich
eine ziemlich ansehnliche Strecke zwischen den Mantelzellen hin-
schlängelt, um dann in einem merkwürdigen birnförmigen Proto-
plasmakörper sein Ende zu finden, der der Färbung nach genau
aus demselben Protoplasma zu bestehen scheint, wie die Spinal-
ganglienzelle selbst. Ein Kern lässt sich in dem Klumpen nicht
nachweisen. In Fig. 17 sehen wir dasselbe Verhalten, nur mit dem
"8. R.y Cajaly Dalmacio Garcia, Las lesiones del reticulo
de las c&lulas nerviosas en la rabia. Trab. del labor. de invest. biolog. de
la Univ. de Madrid. T. III. 1904, pg. 224.
Die Spinalganglienzellen. 259
Unterschiede, dass der zarte Fortsatz, an dem der Protoplasma-
körper hängt, nicht vom Zellkörper selbst, sondern vom Zellfort-
satz seinen Ursprung nimmt. Das Bild stellt einen polaren
Flachschnitt dar; der Zellkörper selbst ist nicht zu sehen,
sondern nur der Anfangsknäuel des Fortsatzes mit den ihn um-
gebenden Polarzellen. Dieser Befund erinnert an die Be-
obachtungen von Huber.') Dieser Forscher hat mit Hilfe der
Methylenblaumethode an den Spinalganglienzellen einiger Amphibien
nachweisen können, dass der Nervenfortsatz manchmal gleich
nach seinem Ursprung noch innerhalb der Kapsel einige zarte
Ästehen abgibt, die schon nach kurzem Verlaufe ungeteilt oder
einigemale geteilt in der Gegend der Ursprungsstelle des Fort-
satzes mit merkwürdigen scheibenförmigen Verdickungen endigen.
— Diese merkwürdigen Protoplasmalappen kommen beim Pferde
besonders häufig zur Beobachtung. Sie scheinen, nach den soeben
veröffentlichten Beobachtungen Levis”) auch beim Vogel (Tauben-
embryonen) vorzukommen. Ich möchte die Vermutung aus-
sprechen, dass diese Lappen sekundär abgelöste Teile des Zell-
protoplasmas der Spinalganglienzelle sind und dass die Faser, an
der sie hängt, ursprünglich eine Zellschlinge war. Ich habe
beim Pferde einige Beobachtungen gemacht, die mir für diese
Auffassung zu sprechen scheinen. Eine sehr ausführliche
Schilderung dieser lappenartigen Fortsätze finden wir bei Cajal
(1905). Die Angabe dieses Forschers, dass sie gerade nur beim
Menschen häufig sind, bei Säugetieren dagegen selten angetroffen
werden, möchte ich dahin berichtigen, dass dies nur für ein-
zelne Säugetiere gilt; beim Pferd sind sie häufiger als beim
Menschen.
Multipolare Zellen. Dass sich in den Spinalganglien
neben den typischen Unipolarzellen sporadisch auch multipolare
Elemente finden, wissen wir seit dem Jahre 1903, als Disse’)
in den Spinalganglien des Frosches mit Hilfe der Golgischen
Methode solche Zellen nachweisen konnte. Bestätigungen haben
!) GC. Huber, The Spinal Ganglia of Amphibia. Anat. Anzeiger,
Bd. XII, 1896, S. 417.
?) G. Levi, Beitrag zur Kenntnis der Struktur des Spinalganglions.
Verhandl. d. Anat. Gesellschaft. Genf 1905, S. 158.
3) J. Disse, Über die Spinalganglien der Amphibien. Verhandl. der
Anat. Gesellschaft. Göttingen 1893, S. 201.
260 M. v. Lenhossek:
dann geliefert: ich!) (1894) für das Hühnchen, Spirlas”) (1896)
für Säugerembryonen, Dogiel°) (1896, 1897) und Cajal*) (1898)
für verschiedene Tiere. Das Schicksal dieser überzähligen Fort-
sätze konnte aber bisher nicht aufgeklärt werden. Im allge-
meinen herrscht die Auffassung vor, dass wir es hier mit
dendritenartigen Ausläufern zu tun haben.
Ich habe im Verlaufe vorliegender Untersuchungen diese
multipolaren Zellen in den Spinalganglien des Menschen wieder-
gefunden, allerdings auch hier nur als sporadische Elemente.
Die Beobachtungen aber, die ich über das Verhalten dieser Fort-
sätze machen konnte, weichen von der bisherigen Auffassung
sehr beträchtlich ab und lassen sie in einem ganz anderen Lichte
erscheinen. Ich finde vor allem, dass diese Fortsätze, von denen
man an einem Durchschnitt der Zelle oft sechs, sieben nach-
weisen kann, durchaus nicht den Charakter von Dendriten haben.
Sie stellen sich vielmehr vollkommen in der Glätte und Schärfe
echter Nervenfortsätze dar und sind von sehr verschiedener Dicke.
Manchmal sind es grobe Balken, viel häufiger aber zarte Fäserchen,
die mit einem kleinen hügelartigem Anfangsstück ziemlich un-
vermittelt von der Oberfläche der Zelle entspringen. Was aber
am meisten überrascht, ist das weitere Verhalten dieser Fort-
sätze (Fig. 18). Geht man ihnen nämlich nach, so findet man,
vorausgesetzt, dass sie nicht gleich an ihrem Ursprunge oder
nach kurzem Verlauf abgeschnitten sind, dass sie innerhalb der
Kapsel, zwischen den Mantelzellen in bogenförmigen und
winkligen Anastomosen mit Nachbarfortsätzen ihr
Ende finden, und zwar bilden nicht nur je zwei mit einander
solche Verbindungen wie es bei den oben beschriebenen Schlingen
der Fall ist, sondern es können sich mehrere solche Fortsätze
nach einander gegenseitig vereinigen, so dass um die Nerven-
zelle herum ein zierliches, von der Zelloberfläche weit ab-
!, M.v. Lenhossek, Beiträge zur Histologie des Nervensystems und
der Sinnesorgane. Wiesbaden 1904, S. 129.
®) Spirlas, Zur Kenntnis der Spinalganglien der Säugetiere. Anat.
Anzeiger, Bd. 11, 1896, S. 629.
®) A.S. Dogiel. Der Bau der Spinalganglien bei den Säugetieren.
Anat. Anz., Bd. 12, 1896, S. 140. — Derselbe. Zur Frage über den feineren
Bau d. Spinalganglien. Internat. Monatschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. 14, 1897.
#) S.R. Cajal y Oloriz, 1.c.
aa a ee
Die Spinalganglienzellen. 261
stehendes weitmaschiges Gitterwerk zustande kommt. Das Gitter
ist, wie gesagt, zwischen die Mantelzellen eingebettet, die an
solchen multipolaren Exemplaren eine besonders starke Ent-
wicklung zeigen. Gewöhnlich lassen sich die multipolaren Zellen
schon bei schwacher Vergrösserung an der stärkeren Entwicklung
des Zellmantels erkennen. Den Bereich der Mantelzellen scheinen
diese Fortsätze im allgemeinen nicht zu verlassen.')
Wir haben also hier eine ganz eigenartige Beobachtung,
die meines Wissens im ganzen Nervensystem einzig dasteht.
Nirgends konnte bisher, soviel ich weiss, eine derartige schlingen-
förmige, auf wahrer Anastomose beruhende Verbindung der Fort-
sätze je einer Zelle unter sich ganz einwandfrei nachgewiesen
werden. Dem möglichen Verdachte, dass hier etwas Patho-
logisches vorliege, muss ich entschieden entgegentreten. Übrigens
dürfte schon ein Blick auf Fig. 24 die Grundlosigkeit dieses Ver-
dachtes ergeben; derartige Bilder können doch durch pathologische
Vorgänge kaum entstehen. Diese schlingenförmigen Fortsätze
geben uns sowohl nach der physiologischen, wie nach der
histogenetischen Seite hin Rätsel auf. Die gewöhnliche Art der
Erklärung über die Entstehung der Dendriten kann hier nicht
zutreffen. Sie können unmöglich nach Art der gewöhnlichen
Dendritenbildung als freie Auswüchse vom Zellkörper entstehen,
da man sich dabei ihre sekundäre Verbindung nicht recht vor-
stellen könnte. Naheliegender ist die Annahme, dass sie durch
peripherische Dehiscenzen, nach Art der Entstehung der Bogen-
gänge des membranösen Labyrinthes zustande kommen. Eine
prinzipielle Bedeutung für die grossen Fragen des elementaren
Aufbaues des Nervensystems kommt diesen Verbindungen nicht
zu, da es sich nicht um Anastomosen von Nachbarzellen mit
einander, sondern um Verbindungen im Bereich einer und der-
selben Zelle handelt. — Ich bemerke, dass diese anastomosierenden
Fortsätze auch in den Ganglien der Hirnnerven, und zwar sowohl
in den spinalganglienartig gebauten, wie in den nach Art der
sympathischen Ganglien beschaffenen anzutreffen sind.
!) Die multipolaren Elemente, die Cajal als c&lulas multipolares con
dendritas recias y cortas beschreibt, habe ich in meinen Präparaten aus den
Spinalganglien nicht wahrnehmen können, dagegen sie als gewöhnliche Zell-
form in den Hirnnervenganglien vom sympathischen Typus beobachtet.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 18
262 M. v. Lenhossek:
Das Verhalten des Fortsatzes beim Pferde. Eine
merkwürdige Eigenart besteht bezüglich des Fortsatzes beim
Pferde. Multipolare Zellen kommen hier nach meinen Be-
obachtungen nicht vor, dagegen finden wir als sehr häufige Er-
scheinung, dass der Fortsatz bald nach seinem Ursprung inner-
halb der polaren Anhäufung von Mantelzellen während seiner
Windungen eine Reihe von stärkeren und schwächeren Nebenästen
abgibt, die sich merkwürdigerweise miteinander und mit dem Fort-
satze anastomotisch verbinden und so ein geschlossenes Reticulum
bilden. Es entspricht dieses Reticulum dem oben beschriebenen
Gitterwerk der multipolaren Zellen beim Menschen, nur mit dem
Unterschied, dass sich das Gitter hier nicht um die ganze Zelle
ausbreitet, sondern sich auf die Polgegend beschränkt, die aller-
dings wegen der starken Anhäufung der polaren Mantelzellen
dem Gitter eine grosse Ausdehnung gestattet. Auch ist diese
Gitterbildung hier viel häufiger, als diejenige beim Menschen ;
ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich behaupte, dass etwa bei
jeder zweiten Zelle dieses merkwürdige Verhalten besteht. Voll-
ständige Anschauungen des ganzen Gitterwerkes erhält man
niemals an den Schnitten; immer liegen nur Fragmente vor, wie
sie in den Figg. 19 und 20 zur Ansicht gebracht sind. Sehr
häufig kommen auch Schlingenbildungen am Fortsatze vor, ent-
weder in Form von Seitenschlingen, d.h. von schwächeren
Nebenästen, die sich bald wieder mit dem Fortsatz vereinigen
(Fig. 21—23), oder in der Form, dass sich der Fortsatz buch-
stäblich in zwei oder mehr gleichstarke Äste aufsplittert, die
sich schon nach kurzem Verlauf wieder vereinigen (Fig. 24). Es
sind dies recht auffallende Befunde, bie physiologisch einstweilen
nicht verwertet werden können.
Budapest, den 28. März 1906.
Die Spinalganglienzellen. 263
Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX und X.
Fig. 1 u. 2. Spinalganglienzellen vom Menschen, ohne Knäuelbildung des
Fortsatzes.
Fig. 3. Katze, Fig. 4 Hund.
Fig. 5—7. Mensch. Der Fortsatz zeigt eine zunehmende Knäuelbildung.
In Fig. 7 ein Leukocyt zwischen Zelloberfläche und Mantelzellen.
Fig. 8-10. Spinalganglienzellen vom Neugeborenen.
Fig. 11. Mensch. Nervenendigungen zwischen den Mantelzellen (Termina-
ciones periglomerulares von Cajal). Zwischen Zelloberfläche und
Mantelzellen zwei Leukocyten.
Fig. 12—15. Mensch. Zellschlingen.
Fig. 16 u. 17. Mensch. Lappenförmiger, an einer dünnen Faser hängender
Anhang der Zellen. In Fig. 16 geht die Faser vom Zellkörper, in
Fig. 17 vom Fortsatz aus.
Fig. 18. Mensch. Multipolare Spinalganglienzelle mit anastomotischer Ver-
bindung der Fortsätze.
Fig. 19 u. 20. Pferd. Flachschnitt aus der polaren Gegend; die Zelle selbst
ist nicht mehr getroffen, dagegen sieht man Fragmente der Ver-
ästlung des Fortsatzes.
Fig. 21—23. Pferd. Schlingenbildungen am Fortsatz. Die umgebenden
| polaren Mantelzellen sind weggelassen.
Sämtliche Zellen sind mit dem Zeichenapparat und nach Präparaten
gezeichnet, die mit der Cajalschen Ammoniak-Silbermethode hergestellt sind.
132
264
Aus dem Institut für menschliche Anatomie der königl. Universität zu Siena
(Prof. S. Bianchi).
Konformation, Struktur und Entwicklung
der Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten.
Von
Dr. Bernardino Lunghetti, Volontär-Assistent.
Hierzu Tafel XI und XII und 11 Textfiguren.
Die Bürzeldrüse ist bekanntlich eine besondere Hautdrüse
der Vögel. Durch ihre Ansehnlichkeit und ihre Gestalt zog sie
recht bald die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich. Wir
finden ihrer Erwähnung getan in den alten Werken von
Friedrich U, Willughby, Ray, Schneider, Bechstein,
welche vor allem die Funktion und äussere Gestaltung des
Organs erforschten. Die ersten auf den inneren Bau der Drüse
bezüglichen Mitteilungen stammen von Cuvier, welcher be-
hauptete, dass die Drüse aus geschlossenen secernierenden
Bläschen bestehe. Später beschäftigten sich mit dem Gegenstand
Tiedemann, Blainville, Müller, welch letzterer in der
Bürzeldrüse die Anwesenheit nicht verzweigter Schläuche ent-
deckte, die nach einem inneren Hohlraum konvergieren, in den
sie münden. Nitzsch untersuchte eingehend die Anwesenheit
und Verteilung der Federn auf dem Ausführungsgang, ja wollte
daraus taxonomische Daten ziehen. Einige spärliche Notizen
finden sich in der Folge in allen Lehrbüchern der vergleichenden
Anatomie.
Eine methodische und wahrhaft wissenschaftliche Unter-
suchung des Organs wurde erst später von Kossmann unter-
nommen und neuerdings durch Pilliet und Orlandi weiterge-
führt. Diese Untersuchung darf als unter einem zweifachen
Gesichtspunkt angestellt bezeichnet werden. Auf der einen Seite
suchte Kossmann durch Untersuchung der Drüse in ver-
schiedenen Vogelarten die innerste Konstitution derselben fest-
zustellen, auf der anderen bestrebte er sich, durch Erforschung
ihrer genauen Struktur deren wirkliche Funktion abzuleiten.
Doch kann weder die eine noch die andere dieser beiden Unter-
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 265
suchungen vollständig genannt werden. Während in der Tat
einerseits die vergleichenden Forschungen an vier oder fünf aufs
Geratewohl genommenen Vogelarten ausgeführt wurden, wodurch
er nicht zu allgemeinen Schlüssen gelangen konnte, war anderer-
seits die bei dem histologischen Studium angewandte Technik
allzu einfach und nicht immer korrekt. Man begreift so, dass
den einzelnen Beobachtern bemerkenswerte Umstände entgangen
sind und über verschiedene Punkte Meinungsverschiedenheiten
bestehen.
Was wir über die Bürzeldrüse wissen, lässt sich also zu-
sammenfassen: Obschon die Drüse bei den meisten Vögeln vor-
handen ist, fehlt sie bei vielen Arten.) Dies könnte nach
Kossmann in Beziehung gebracht werden zu der Lebensweise
des Vogels selbst und zu den von ihm bewohnten Gegenden.
Bei den mit der Drüse ausgestatteten Arten bestünde gleichfalls
eine Beziehung zwischen Grösse der Drüse, Grösse des Vogels
und Lebensgewohnheiten. Dieselbe zeigt sich verschiedenartig
gestaltet, obschon sie stets aus zwei seitlichen von einander un-
abhängigen Hälften besteht. Sie wird gebildet durch eine grosse
Menge strahlenförmiger Drüsenschläuche, die sämtlich in zwei
zentrale Höhlen einmünden, die in einigen Fällen fehlen (Ente
nach Kossmann), in anderen dargestellt sind durch eine Er-
weiterung des Ausführungsganges (Taube, Reiher). Diese sind im
allgemeinen in Zweizahl vorhanden, je einer für jede Drüsenhälfte,
können jedoch bis zu sechs betragen (nach Nitzsch beim
Pelacanus crispus), oder auf einen heruntergehen (Hupupa epops).
Die Drüsenschläuche sind einfach, obschon sie nach Kossmann
eine Spur von Gabelung bieten können, und schwanken in Zahl
(in einem Querschnitt sollen sich ihrer bei der Ente 48, bei der
Taube 30—40 finden), Länge und Durchmesser. Sowohl
!) Sie fehlt bei den Ratiten, Otis, Argus giganteus, Ptilopus, Erythroenas,
Didunculus, Goura, Starnoenas, Treron, Brotogerys, Chrysotes, Ponus, Cacatua
sulphurea cristata, Podargus. (Gadow in Bronns Klassen und Ordnungen
des Tierreichs). Der Apterix sec. Beddard besitzt noch eine Drüse: ebenso
wie sie bei jungen Dromaeus Novae Hollandiae und bei den Embryonen von
Rhea americana vorhanden sein soll (Pycraft). Nach Darwin soll sie bei
der Columba laticauda, militaris, coronata fehlen. Nach Nitzsch wäre sie
bei vielen Papageien (Psittacus rufirostris, deminicensis leucocephalus). bei
der Columba militaris und coronata, im Genus Otis, beim Argus giganteus
und in der ganzen Ordnung der Laufvögel abwesend.
266 Bernardino Lunghetti:
Kossmann wie Pilliet und Orlandi beschreiben sie als
durch ein mehrschichtiges Epithel polyedrischer Zellen ausge-
kleidet, von denen die oberflächlichst gelegenen sich in Auflösung,
die untersten in aktiver Regeneration befinden.
In den Zellen der oberflächlichen Schichten beschreibt
Kossmann zahlreiche Fettropfen, die Pilliet in Abrede stellt,
da er sie an Präparaten von in Osmiumsäurelösungen fixierten
Stücken nicht hat wahrnehmen können. Orlandi beschreibt
darin nur ein granulöses Protoplasma.. Um die Drüse herum
wird von allen eine Muskelhülle beschrieben, deren Fibrozellen
nach Kossmann sich zwischen die Schläuche einschieben, nach
Orlandi auf die äussere Hülle beschränkt bleiben sollen.
Eine wichtige Frage ist die, welche die Form der Drüse
betrifft. Kaum angedeutet von Kossmann, der sich darauf
beschränkt zu bemerken, dass die Bürzeldrüse aus vielen einfachen
Drüsenschläuchen bestehe, wurde sie neuerdings von Pilliet
unter dem Gesichtspunkte neuer Vorstellungen über Form und
Klassifikation der Drüsen wieder aufgenommen und eingehend
behandelt. Nachdem er darauf aufmerksam gemacht, dass hin-
sichtlich ihrer Form die Glandula uropygii sich mit keinem
der gewöhnlichen Drüsentypen vergleichen lasse, schliesst er,
dass dieselbe einen besonderen Drüsentypus bilde, „que nous
avons designe sous le nom de glande en tube compose et qui
est si constant chez les Oiseaux“. Diese Form zeige sich
„beaucoup plus developpee chez les Chelonenus; M. Mac Leod
l’a constatee sur la glande de Harder de ditferents oiseaux, sur
les glandes ä venin des Serpents; enfin la glande superanale
etudice par M. R. Blanchard, pouis par nous“.
Orlandi hingegen schliesst, dass die Bürzeldrüse aus
zahlreichen zusammengesetzten Drüsen hervorgeht, deren Aus-
führungsgang an Länge zurückgegangen ist, während sich die zu
Schläuchen gestalteten Verzweigungen entwickelt haben, da er
nämlich beobachtet hat, dass die Drüsenschläuche nicht direkt
in die zentrale Höhle einmünden, sondern durch Vermittlung
einiger Gänge, die Verfasser als Hauptgänge bezeichnet und die auf
die Verschmelzung mehrerer Drüsenschläuche zurückzuführen sind.
Die Entwicklung ist von Kossmann und Orlandi einzig
beim Huhn studiert worden und, wie wir später sehen werden,
stimmen dieselben in den allgemeinen Zügen überein. Pilliet
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 267
gibt nur einige summarische Mitteilungen über die Entwicklung
der Drüse beim Hühnchen.
Bei Ausführung vorliegender Arbeit habe ich gesucht, so
viele Vogelarten als möglich zu beobachten; weiter habe ich
mich bestrebt, bei meinen Untersuchungen die besten Methoden
zu verwenden, welche uns die histologische Technik liefert. Zu
diesem Zweck wählte ich unter den zahlreichen Härtungs-,
Färbungs- usw. Verfahren diejenigen, welche mir am geeignetsten
erschienen, andere derselben erdachte ich neu. Nachstehend
kurz die von mir eingeschlagene Technik. Zur Fixierung ver-
wandte ich unterschiedslos 70°/oigen Alkohol, Sublimat,
Zenkersche, Folsche, Flemmingsche Lösung. Während ich zur
Färbung nicht von den gewöhnlichen Methoden abging, musste
ich zur Einbettung und Zerlegung der Stücke eine besondere
Technik einschlagen und zwar zum Zwecke der Vermeidung
einer übermässigen Härte gewisser fibröser Teile. Für die Ein-
bettung habe ich konstant die schnelle Methode im Vakuum
angewandt, und auf diese Weise eine vollkommene Durchtränkung
des Stückes bei kurzem Verbleiben in der Wärme erhalten,
wobei die Stücke geschmeidiger und in besserem Zustande der
Erhaltung bleiben. Auf Rat von Prof. Ruffini legte ich die
Stücke auch für kurze Zeit in gereinigtes Schweineschmalz ein.')
Zur Zerlegung derselben verwendete ich dann lange schräg an
dem Mikrotom in der gleichen für Celloidin verwandten Weise
angebrachte Rasiermesser.
Es ist mir so möglich gewesen, vollständige Serien sowohl
von Drüsen ausgewachsener Individuen als auch von embryo-
logischen Stücken zu erhalten und auf diese Weise wichtige Tat-
sachen zu beobachten. Bei dem- Studium einer Art habe ich
ausserdem gesucht, viele Individuen zu untersuchen und aus der
Untersuchung aller einen synthetischen Schluss zu ziehen. Stets
!) Es ist dies ein Verfahren, welches wir seit einiger Zeit im Labo-
ratorium verwenden. Die entwässerten und geklärten Stücke werden auf
eine Stunde oder länger je nach der Dicke in gereinigtes Schweineschmalz
bei 37° eingelegt; alsdann werden sie auf die gleiche Zeit in bei niedriger
Temperatur (36—42°) schmelzbares Paraffin gelegt. Schliesslich werden sie
im Vakuum bei 55° in dem von Picconi modifizierten Apparat Garbinis ein-
gebettet. Die Stücke fibröser Teile werden dadurch erheblich geschmeidig
gemacht. Auch Kossmann fügte, um die Brüchigkeit des Einbettungs-
paraffıns zu verhüten, ein Drittel Fett hinzu.
268 Bernardino Lunghetti:
habe ich die Untersuchung der Drüse vorgenommen, indem ich
sie sowohl in Längsrichtung wie in Querrichtung zerlegte und
die erhaltenen Schnitte in Serien ordnete.!)
Gallus gallus?)
Die Drüse ist ziemlich umfangreich. Sie liegt entsprechend
den letzten Kaudalwirbeln in der Dicke des subkutanen Fett-
polsters, in dem sie vollkommen verborgen ist. Von aussen sieht
man nur eine leichte Erhöhung der Region, aus deren Mitte
sich ein kleiner Vorsprung erhebt, auf dessen Kuppe die Aus-
führungsgänge der Drüse nach aussen münden und der ganz das
Aussehen einer kleinen Zitze hat. Diese ist länglich, leicht
konisch, bisweilen zweiteilig und an der Spitze mit einem Feder-
büschelchen ausgestattet. Die sie bekleidende Haut ist glatt
und zart und dieses Aussehen der Epidermis erhält sich für eine
gewisse Strecke um die Basis der Zitze herum, wo sich so eine
Art Hof bildet. Ausser durch die Kontinuität der Zitze mit der
Haut wird die Drüse festgehalten durch starke Bindegewebssepten,
die, besonders gegen die Zitzenbasis hin, ihre tief gelegene
Fläche an die letzten Kaudalwirbel anhängen.
Herausgeschält erscheint sie in der Form einer kleinen
rundlichen, im vorderen Teil zweilappigen, glatten Masse von
gelblicher Farbe, welche sich nach hinten in die Zitze fortsetzt.
Führt man einen Schnitt durch ihre ganze Dicke, so findet man,
*) In diesen meinen Untersuchungen habe ich mich nicht ausdrücklich
mit der Physiologie und Biochemie der Drüse und ihres Sekrets befasst.
Für wen es jedoch Interesse haben könnte, erwähne ich, dass physiologische
Versuche ausgeführt wurden von Philipeaux, Goubaux, Bert, welche
bei verschiedenen Vögeln die Bürzeldrüse mit recht verschiedenem Resultat
exstirpierten, insofern als sie in einigen Fällen Alterationen im Gefieder er-
hielten, die in anderen ausblieben. Ich für meinen Teil, unterzog dieser Be-
handlung zwei junge Hühner (drei Monate alt), jedoch mit vollkommen
negativem Erfolg. Was die chemische Zusammensetzung des Sekretes angeht,
so haben wir, abgesehen von der alten Analyse Chevreuils, die von
de Jonge und in neuerer Zeit die in dem Lehrbuch von Bottazzi mitge-
teilte und die von Röhman.
?) Ich beschreibe zuerst die Drüse des Huhns, insofern ich sie, da ich
an ihr die ausgedehntesten Untersuchungen ausgeführt habe, zum Vergleich
mit den übrigen Arten heranziehen kann. Diese folgen sich dann nach der
in dem Lehrbuch der Zoologie von Emery angegebenen Klassifikation; ihre
Nomenklatur ist die in dem ornithologischen Atlas von Arrigoni gebrauchte.
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 269
dass die Mitte eingenommen wird durch zwei unregelmässige
Höhlen, welche mit einer zuerst öligen, dann dicken, wachsartigen
Flüssigkeit, dem Sekretionsprodukt, angefüllt sind. Nach hinten
verjüngen sich die beiden Höhlen und münden vermittels zweier
Ausführungsgänge nach aussen. Die Wände der Höhlungen sind
von einer grossen Anzahl Zwischenwände durchzogen, welche
durch Verflechtung untereinander eine grosse Anzahl Gruben
von äusserst verschiedener Gestalt und Tiefe begrenzen. Das
Ganze gleicht der Innenfläche der Herzventrikel.e. Um die Höhle
herum liegt eine dicke Schicht von Drüsensubstanz.
Rh
2
WER BE
|
Fig. 1.
Mikroskopische Untersuchung. An einem Längs-
schnitt sieht man, dass die Drüse aus zwei wohl unterschiedenen,
obschon eng aneinander gedrängten Lappen besteht (Kossmann,
Orlandi). Ein jeder Lappen zeigt sich in Form einer rund-
lichen Tasche in dem vorderen Teil, wo er mit blindem Boden
endigt, verjüngt nach hinten, wo er sich in einen Ausführungs-
gang fortsetzt. Die Wandung wird aussen gebildet durch eine
kräftige Faserhülle, innen durch eine Schicht von Drüsensubstanz,
deren Dicke gegen den blinden Boden ein Maximum erreicht
270 Bernardino Lunghetti:
und je mehr sie sich dem Ausführungsgang nähert, allmählich
abnimmt (Tafel XI, Fig. 1). Die Drüsensubstanz besteht aus
einer grossen Anzahl einfacher Schläuche die mit den blinden
Enden in unmittelbarer Berührung stehen mit der Faserhülle,
gegen die Höhlung hin in mehr oder weniger grosse Einsenkungen
münden, welche nichts anderes sind als die mit blossem Auge auf
den Wandungen der Höhlung bemerkten Einsenkungen.
Die Anwesenheit dieser Einsenkungen gibt der innersten
Zone der Drüsenschicht ein von dem der äusseren sehr ver-
schiedenes Aussehen. Diese besteht einzig aus regelmässig in
der schon erwähnten Weise angeordneten Schläuchen und wir
können sie als Schlauchabschnitt bezeichnen. Die innerste
Zone wird gebildet durch Trabekel und unregelmässige Scheide-
wände, welche zwischen sich ausgebuchtete Zwischenräume be-
grenzen: wir können sie Schwammabschnitt nennen. Diese
Unterscheidung der Drüsensubstanz in zwei Abschnitte hat eine
gewisse Bedeutung nicht nur inbezug auf die Form sondern auch
in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht und gestattet uns, einigen
Erscheinungen, deren Interpretation meiner Ansicht nach nicht
exakt gewesen war, ihre rechte Würdigung angedeihen zu lassen.
Den Beobachtern, die mir vorausgegangen sind, namentlich
Orlandi war die Anwesenheit dieser Einsenkungen, die sich
mehr oder weniger tief in die innersten Schichten des Drüsen-
gewebes einschieben, nicht entgangen. Da sich Orlandi jedoch
auf die Untersuchung mikrotomischer Schnitte beschränkt hatte,
erklärte er sie als echte Ausführungsgänge, von denen sich zahl-
reiche Drüsenschläuche abtrennen sollten. Er kam deshalb zu
dem Schluss, dass „die Drüsenschläuche nicht als selbständig
anzusehen seien, sondern als Teile einer grossen Zahl multipler
Drüsen, welche alle zusammen sich zur Bildung einer definitiven
Masse vereinigen“. ÖObschon im Grunde genommen dieser Schluss
richtig ist, so muss doch darauf aufmerksam gemacht werden,
dass die vermeinten gemeinschaftlichen Ausführungsgänge oder
Hauptgänge, wie sie Orlandi nennt, ganz und gar keine Gänge
sind, sondern weite Gruben, die, wie wir sehen werden, nichts
weiter sind als ein geringer Rest der Gänge selbst. Dazu sind
die Wandungen dieser Einsenkungen mit einem Epithel ausge-
kleidet, welches alle Eigenschaften des Drüsenepithels besitzt.
Deshalb halte ich es nicht für richtig, zwischen Drüsenschläuchen
a rn
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 271
und Grubenwandungen jenen Unterschied zu machen, welcher
zwischen Drüse und Ausführungskanal besteht. Es ist vielmehr
dieser schwammige Teil mit dem Drüsengewebe in Verbindung
zu bringen.
Was nun die feinere Struktur dieser Teile angeht, so
werden wir die Schläuche, die Trabekel des Schwammabschnittes,
die Kapsel und die Zitze gesondert untersuchen.
Im Querschnitt erscheinen die Schläuche eng unterein-
ander zusammengepackt und von polygonalem Aussehen: sie sind
getrennt durch wenig schlaffes Bindegewebe, das von der Faser-
kapsel herkommt und in dem zahlreiche Blutgefässe und Nerven-
fasern verlaufen. Dieses Bindegewebe geht leicht bei den ver-
schiedenen Manipulationen auseinander und erscheint alsdann
gebildet aus einer feinfibrillären Grundsubstanz und einer gewissen
Menge Zellen, von denen einige sich eng an die Schlauchwände
anschmiegen.!) Doch ist dieses Aussehen des Bindegewebes in
dem Schlauchabschnitt ein ganz und gar künstliches Produkt.
In den Präparaten der in Celloidin eingebetteten Stücke, in
denen die Beziehungen in höherem Grade erhalten werden, stehen
die Schläuche in unmittelbarer Berührung untereinander und das
Bindegewebe erscheint als ein dünner Zwischenstreifen. Jeder
Schlauch besteht aus einer Basalmembran und einem Epithel.
Die Anwesenheit der ersteren habe ich an einigen Präparaten
von hyperfixierten Stücken wahrnehmen können, bei denen das
Epithel sich losgelöst hatte, dabei die Basalmembran in Form
einer äusserst dünnen Lamelle freilassend.
Das Epithel besteht aus vielen Schichten mit verschiedenem
Charakter ausgestatteter Zellen. Die tiefst gelegenen Zellen sind
klein von meistens dreieckiger Form, die gemäss der Schlauch-
achse etwas platt gedrückt sind. Sie besitzen einen kleinen
chromatinreichen Kern: das Protoplasma ist verhältnismässig
spärlich und körnig und die Zelle hat im ganzen eine dunkle
Färbung. Hier und da finden sich in dieser Schicht karyo-
kinetische Bilder, die jedoch infolge des geringen Umfangs der
!) Durch einige Eigenschaften ähneln diese Zellen den Korbzellen, die
von Boll bei der den Drüsen eigenen Membran beschrieben und jüngst von
Lacroix in der Brustdrüse aufgefunden worden sind. Da es mir jedoch
nicht gelungen ist, sie frei zu erhalten durch Dissociation, kann ich nicht
genau bestimmen, welches ihre Form und ihre Bedeutung ist.
272 Bernardino Lunghetti:
Kerne und der dunklen Färbung der Zellen selbst wenig in die
Augen fallend sind. Es ist also diese unterste Schicht die Keim-
schicht. Mehr nach der Oberfläche hin werden die Zellen um-
fangreicher, heller, gut untereinander abgegrenzt (Taf. XII, Fig. 4).
Der Kern ist gross, vesikulär, arm an Chromatin. Das reichliche
Protoplasma war bisher beschrieben als feinkörnig. Dasselbe
zeigt sich hingegen gebildet durch ein höchst zierliches Netzwerk
mit einer grossen Anzahl polygonaler Maschen von schematischer
Regelmässigkeit, welche kleine offenbar mit einem meta-
plasmatischen Produkt angefüllte Räume umschreiben (Taf. XI,
Fig. 2). Dieses Netzwerk, dessen Anwesenheit nur mittelst ge-
eigneter Fixierungen zu gewahren ist, färbte sich diffus mit den
Protoplasmafarben und nach allen seinen Eigenschaften zeigt es
sich gebildet durch Protoplasmafäden.
In den Zellen der oberflächlichen in direkter Berührung
mit dem Lumen des Schlauches stehenden Schichten bemerkt
man Anzeichen tiefgehender Degeneration. Während in der Tat
die Zellform sich ziemlich erhält, schrumpft der Kern zusammen,
zerstückelt sich und man bemerkt die Überreste desselben im
Lumen des Schlauches. Auch das Protoplasma verändert sich,
das Netzwerk verschwindet allmählich und die Zeilen verschmelzen
schliesslich zu einer formlosen Masse.
Was die Natur der im Innern der Zellen beobachteten
Sekrettropfen angeht, auf deren Anwesenheit das netzartige Aus-
sehen des Protoplasma zurückzuführen ist, so sind dieselben,
teilweise wenigstens, fettiger Natur. In der Tat färben sie sich bei
Berührung mit Osmiumsäure intensiv schwarz und sind, teilweise
wenigstens, in Äther, Xylol usw. löslich. Wegen des ausserordent-
lichen Reichtums des Organs jedoch an Fett erschöpfen sich die
ÖOsmiumflüssigkeiten rasch und die Reaktion kann ganz und gar
ausbleiben oder nur zum kleinsten Teil vor sich gehen. Eben
dies ist der Grund, der Pilliet dazu führte, den obenerwähnten
Granulationen die Fettnatur abzusprechen.. Doch verhalten sich
die Granulationen der verschiedenartigen Zellschichten den Rea-
gentien gegenüber nicht gleichmässig. Während ich in der Tat
in den oberflächlichen Schichten sehr häuflg Schwärzung der
Fettropfen erhalten habe, ist mir dies bei denen der tiefliegen-
den Schichten nicht gelungen (Taf. XI, Fig. 4), für die wir also
eine verschiedene chemische Konstitution annehmen müssen.
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 273
Welches dieselbe sein möge, ist mir nicht gelungen festzustellen.
So viel Färbungen ich auch versucht habe, so haben die Tropfen
sich doch konstant farblos und gänzlich durchsichtig erhalten.
Gleich Winkler und Schrötter habe ich keine Eleidintropfen
darin angetroffen. |
Kurz zusammengefasst, können wir also in dem Epithel
drei Hauptschichten unterscheiden. Eine tief gelegene mit einer
oder zwei Reihen kleiner in Vervielfältigung begriffener Zellen:
die Keimschicht. Eine zweite mittlere Schicht, deren Zellen
gross werden und die in ihrem Innern ein reichliches Sekretions-
material enthalten, welches jedoch noch nicht Fett ist, sondern
eine Art präadipöser Substanz darstellt. Sie besteht aus zahl-
reichen Zellreihen und wir können sie ohne weiteres als Mittel-
schicht bezeichnen. Endlich eine oberflächliche Auflösungs-
schicht, deren Zellen die Merkmale der Zerstörung zeigen und
bei denen die Anwesenheit von Fettropfen im Innern der Zellen
selbst vollkommen ersichtlich ist.
Die nach Form und Umfang unregelmässigen Trabekel
sind bekleidet mit einem Bindegewebsbalkenwerk und einem Be-
kleidungsepithel. Das Bindegewebe ist eine Abstammung des
intertubulären Bindegewebes, in das es sich direkt fortsetzt. Es
ist schlaff und reich an Gefässen. Das Bekleidungsepithel ist
seiner Struktur nach nicht von dem der Drüsenschläuche ver-
schieden und es lassen sich an ihm die drei Schichten: Keim-
schicht, Mittelschicht, Auflösungsschicht unterscheiden. Die ober-
flächlich gelegenen Zellen enthalten auch hier Fettropfen und
nehmen an der Sekretbildung lebhaften Anteil.
Die Faserhülle bildet zwei Arten von enganeinander
gedrängten Säckchen (Kossmann, Orlandi) die nach hinten
mit dem Zäpfchen verbunden sind. Die Dicke der Kapsel ist
grösser nach dem blinden Grund hin als gegen die Verengerung
des Drüsenlappens. Sie besteht aus mehreren Schichten von
bündelförmigem Epithel, dessen Bündel sich in verschiedenartiger
Richtung untereinander verflechten. Von der äusseren Fläche
gehen zahlreiche Bindegewebsbündel aus, die zur Fixierung des
Organs dienen: von der Innenfläche trennen sich dünne Scheide-
wände ab, die dann das intertubuläre Bindegewebe und das Balken-
werk der Trabekel bilden. Medialwärts treten die Fasersäckchen
untereinander in Berührung, doch bleiben die beiden Wände
274 Bernardino Lunghetti:
deutlich unterschieden und sind durch etwas schlaffes Bindege-
webe getrennt, in dem Gefässe in sagittalem Sinne verlaufen.
Dieses Verhältnis dauert an bis an die Basis des zitzenförmigen
Zäpfchens, wo die Tunicae infolge der Verjüngung des Lappens
von einander abrücken und durch ein Fettläppchen getrennt
sind. Gleichzeitig verdünnen sich die Faserscheiden mit dem
allmählichen Annähern an die Basis der Zitze und verschwinden
schliesslich fast gänzlich. Von verschiedenen Autoren (Koss-
mann, Orlandi) werden in diesen Häuten reichliche glatte
Muskelfasern beschrieben. Ihre Anwesenheit ist jedoch auf das
zitzenförmige Zäpfchen und die Verengerung des Lappens be-
schränkt; dazu bilden sie keinen integrirenden Teil der Tunicae
selbst, sondern sind mit einer besonderen Anordnung in Bündel
vereinigt. Der Drüsenkörper und der blinde Boden schliesslich
sind derselben vollkommen bar. Die Faserhülle ist hingegen
ausserordentlich reich an elastischen Fasern.
Zitze. Ich bezeichne in dieser Weise jenen kleinen
konischen Wulst, der über die Drüse emporragt und durch die
Vereinigung der beiden Ausführungsgänge gebildet wird, die ihm
in seiner ganzen Länge durchziehen und auf der Kuppe inmitten
eines Federbüschelchens nach aussen münden. Dieselbe hat eine
sehr komplexe Struktur. Aussen mit einer dünnen, glatten und
haarlosen Hautschicht bedeckt, ist sie zum grössten Teil durch
schlaffes, fettreiches Bindegewebe gebildet, in dem die beiden
Ausführungsgänge mit ihren Häuten versenkt liegen. Diese
haben einen parallelen Verlauf und ihre Wandung ist gebildet
durch ein Bekleidungsepithel und durch eine darunterliegende
Bindegewebsschicht, das etwas verdichtet ist. Das Epithel setzt
sich oben in die Epidermis fort und behält eine gewisse Strecke
lang deren Eigenschaften bei: es ist ein Pflasterepithel mit
wenigen Lagen von Zellen, von denen die oberflächlichsten in
Verhornung begriffen sind. Nach unten hin nimmt es an Dicke
zu und die oberflächlichen verhornten Schichten beginnen zu
verschwinden. In der bisher glatten Wand erscheinen Längs-
ausbiegungen, auf deren Grund das Epithel anfängt die Eigen-
schaften des Drüsenepithels anzunehmen, .bis sich dort echte
secernierende Schläuche bilden. Die Bindegewebshaut ist sehr
dünn und nichts weiter als die Fortsetzung der derben Drüsen-
haut. Oben setzt sie sich in das Hautderma fort.
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 275
Um die Ausführungsgänge herum liegt eine gewisse Menge
glattes Muskelgewebe, welches man in zwei Gruppen unterscheiden
kann. Die erste ausschliesslich auf die Zitze beschränkte besteht
aus zahlreichen kontraktilen Faserzellenbündelchen, welche um
die beiden Ausführungsgänge herum einen gemeinschaftlichen
Gurt bilden. Innen von diesem befindet sich ein zweiter Muskel-
ring, der einem jeden Ausführungsgang eigen ist und unmittelbar
in Berührung mit ihrer Wand steht. In den Zwischenräumen
zwischen diesen Muskelschichten finden sich einige Bündelchen
mit längsgerichtetem Verlauf (Taf. XI, Fig. 5). Das zweite
Muskelsystem nimmt hauptsächlich die Verengerung eines jeden
Lappens ein und entspricht der haarlosen Hautzone, die die
Basis der Zitze umgibt. Auch hier bilden die Muskelfasern einen
äusseren Ring, welcher die Verengerung beider Lappen umgibt
und einen inneren, der einem jeden derselben eigen ist. Einige
spärliche Bündelchen schieben sich nach unten gegen den Lappen-
körper vor. Sowohl die eine Muskelgruppe wie die andere hat
mit der Faserkapsel nur eine Contiguitätsbeziehung, da sie auf
ihrer äusseren Fläche nur aufgelegt sind. Mit ihren Enden
jedoch inserieren sich zuweilen die einzelnen Muskelbündelchen
auf derselben. Was die Wirkung dieser beiden Muskelgruppen
angeht, so stehen wir zweifellos vor zwei antagonistischen
Muskeln. Das auf die Zitze beschränkte System ist ein echter
Schliessmuskel. Das System des Hofes hingegen vermindert
mit seiner Kontraktion die Weite der Drüsenhöhlung, wodurch
die Entleerung des Sekrets verursacht wird: es ist also ein
Detrusormuskel. Gleich der Kapsel ist. auch die Zitze
äusserst reich an elastischen Fasern. Dieselben sind am reich-
lichsten im Hautderma und in der Bindegewebshaut der Aus-
führungsgänge. Sie haben die verschiedenartigste. Richtung und
bilden durch Kreuzung untereinander Netze von einem ausser-
ordentlichen Reichtum. Obgleich spärlicher, finden wir sie auch
in dem schlaffen Bindegewebe und zwischen den Muskelbündel-
chen verstreut. Ja sie versorgen diese sogar mit echten Sehnchen,
welche sich auf der einen Seite in Kommunikation setzen mit
den kontraktilen Muskelfaserzellen, auf der anderen sich. entweder
in dem Derma oder in dem Bindegewebe der Wand der Aus-
führungsgänge ausfransen und an der Bildung des dort be-
schriebenen Netzes Teil nehmen. Auch in der Dicke der
276 Bernardino Lunghetti:
Faserkapsel der Drüse bilden die elastischen Fasern äusserst
reiche Netze.
Gefässe und Nerven. Wie zuerst Kossmann bei der
Ente und dem Huhn wahrnahm, wird die Bürzeldrüse durch
einige Äste der Arteria caudae versorgt, welche zusammen mit
den entsprechenden Venen zwischen den Apophysen der ersten
Schwanzwirbel hindurchgehen. Diese Äste sind im allgemeinen
in Dreizahl für jede Seite und gelangen zur Drüse, indem sie
durch eine Artzwischen demM. spinalis caudae und dem M. levator
rectricium gelegenen Rinne hindurchgehen. Die Gefässe durch-
brechen schräg die Faserhaut und teilen sich, zwischen den
Schläuchen angekommen, in eine grosse Menge von Ästchen, die
dadurch, dass sie sich untereinander anastomosieren, um die
Schläuche herum ein äusserst reiches Capillarnetz bilden (Taf. XIIa,
Fig. 1). Von diesem trennen sich hier und da Capillarschlingen
ab, welche für eine gewisse Strecke in die Dicke des Epithels.
eindringen, indem sie die Basalschichten desselben vor sich her-
schieben. Diese bei der Taube äusserst reichlichen Schlingen
sind beim Huhn sehr selten und auf den dem Ausführungsgang
nahe gelegenen Teil beschränkt.
Die Nerven stammen zum Teil aus dem Rückenmark und
haben einen dem der Gefässe ähnlichen Verlauf. An der Drüse
angekommen, durchbrechen sie die Faserkapsel und bilden zwischen
den Schläuchen ein äusserst reiches Netz von dünnen myelinfreien
Fasern (Taf. XI, Fig. 5a), welche, ausgestattet mit einem vor-
liegend längsgerichteten Verlauf, sich wiederholte Queranasto-
mosen zuschicken. Obschon hier und da einige Erscheinungen
sich vorfinden, welche es annehmen lassen, ist es mir nicht
möglich gewesen in absoluter Weise festzustellen, ob von diesem
Netz sich intraepitheliale Fäden abtrennen.
Anas var. domestica.
Die Bürzeldrüse ist bei der Ente enorm ausgebildet. Von
aussen bemerkt man nur die Zitze, die kurz, dick, leicht in
sagittalem Sinne komprimiert ist. Die rundliche Kuppe ist mit
etwas Flaum versehen und zeigt die Öffnungen von zwei Aus-
führungsgängen in Form von zwei schräg nach innen und hinten
gerichteten Spalten. Die beiden die Drüse bildenden Lappen
sind deutlich untereinander unterscheidbar und haben das Aussehen
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 277
von zwei zylindrischen Körpern, die, nach vorn voneinander ab-
gerückt, sich gegen die Basis der Zitze hin vereinigen, indem
sie einen nach vorn offenen Winkel einschliessen. Die Zitzen-
achse bildet mit der Achse der Lappen einen fast rechten Winkel.
Jeder Lappen ist in seiner ganzen Länge von einem wenig
in die Augen fallenden, gewundenen Kanal durchzogen, der sich
in die Ausführungsgänge fortsetzt und der centralen Höhlung ent-
spricht. Um die Höhle herum liegt eine reichliche Schicht Drüsen-
gewebe, die nach aussen durch eine dünne Faserhaut begrenzt
wird. Das Drüsengewebe besteht aus einfachen, schräg von dem
Grund des Lappens nach dem Ausführungsgang ziehenden
Schläuchen (Kossmann) und kann in zwei Zonen eingeteilt
werden. Eine äussere, die einzig durch regelmässig parallel zu
einander angeordnete Schläuche gebildet wird. Eine innere von
mehr oder weniger grossen Zwischenräumen durchzogene, die,
mit der gleichen Richtung der Schläuche ausgestattet, mehr oder
weniger tief in das Drüsengewebe eindringen. Diese Zwischen-
räume, die nichts weiter als Verästelungen des centralen Ganges
sind, werden begrenzt durch unregelmässige Scheidewände und
in sie münden, mehr oder weniger zahlreich, die Drüsenschläuche.
Man hat also auch bei der Ente einen von dem Schlauchabschnitt
unterschiedenen Schwammabschnitt.
Die Drüsenschläuche sind wie beim Huhn im allgemeinen
einfach, nur selten zeigen sie gegen das blinde Ende hin eine
Spur von Gabelung. Sie sind eng untereinander zusammen-
gedrängt und von polygonalem Durchschnitt. Das Epithel besteht
aus mehreren Zellreihen und wir können in ihm die beim Huhn
beobachteten Schichten unterscheiden. Das heisst, eine tief ge-
legene Schicht kleiner, dunkler, in Vervielfältigung begriffener
Zellen. Eine Mittelschicht von grossen polygonalen Zellen, deren
reichliches Protoplasma zierlich netzförmig ist, und eine ober-
flächliche Schicht, deren Zellen reich an Fett sind und in Auf-
lösung begriffen. Aussen von dem Epithel bemerkt man die
Basalmembran.
Die Trabekel des schwammigen Teiles sind bedeutend aus-
gebildeter als beim Huhn und zeigen sich in Form von Septa,
welche weit in die Lappenhöhlung geöffnete Zwischenräume ein-
schliessen. Sie sind gebildet durch ein Bindegewebsbalkenwerk
und mit einem Epithel bekleidet, das, obschon es etwas dünner
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 19
278 Bernardino Lunghetti:
ist als das der Schläuche, alle wesentlichen histologischen Eigen-
tümlichkeiten desselben bietet.
Die Faserhaut bildet um einen jeden Lappen eine Hülle,
die gänzlich von der des entgegengesetzten Lappens unterschieden
ist. Sie ist viel dünner als beim Huhn und wie bei diesem besteht
sie ausschliesslich aus Bindegewebe. Von der Aussenfläche aus
sendet sie Faserbündel zwischen die umliegenden Organe: von
der inneren Fläche gehen zahlreiche, dünne Septa ab, welche sich
zwischen die Drüsenschläuche hinein erstrecken, diesen das Stütz-
bindegewebe liefern und das Gerüst des Schwammabschnittes
bilden. Hier und da jedoch nehmen diese Septa eine gewisse
Dicke an und bilden, indem sie sich in die Drüse einschieben,
darin eine sekundäre Sacculation. Diese Erscheinung ist jedoch
stets von geringer Bedeutung und hat nicht den mindesten Ein-
fluss auf die Gestaltung des Organs.
Die Zitze ist kurz und dick und bildet mit der Achse der
Lappen einen ungefähr rechten, oben offenen Winkel. Sie ist
überzogen mit einer dünnen, glatten und haarlosen Hautschicht,
die jedoch mit einem ziemlich ausgebildeten Derma ausgerüstet
ist. Längs der Längsachse liegen, in abundantem, fettreichen,
schlaffen Bindegewebe eingebettet, die Ausführungsgänge. Sie
sind bekleidet mit einem Epithel, das oben die Charaktere des
Hautbekleidungsepithels besitzt, in das es sich fortsetzt, und wie
dieses ist es ein dünnes, geschichtetes Pflasterepithel, in Auf-
blätterung begriffen. Unten nimmt es infolge des Verschwindens
der Hornschichten und einer allmählichen Dickenzunahme die Eigen-
schaften des Drüsenepithels an. Innen wird dieses Epithel ver-
stärkt durch eine etwas verdichtete Bindegewebsschicht, die von
der Faserkapsel herkommt.
Querquedula circia L.
Obschon in kleineren Proportionen, erinnert die Bürzeldrüse
der Querquedula stark an die der Anas: im Verhältnis zu der
Grösse des Vogels ist sie gleichfalls sehr ausgebildet. Die beiden
länglichen Lappen sind vorn auf eine gewisse Strecke getrennt
untereinander. Hinten vereinigen sie sich zur Bildung einer
kurzen, dicken Zitze, die auf ihrer Spitze mit einem reichlichen
Büschel sehr weicher Federn versehen ist. Die Drüse liegt ganz
und gar in dem Fett der Region verborgen.
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 2419
Ein jeder Lappen der Drüse besitzt einen Ausführungsgang,
welcher in eine Höhlung führt, welche in Form eines engen
gewundenen Kanals die Achse des Lappens durchzieht. Sie ist
auf allen Seiten vom Drüsengewebe umgeben und genauer durch
die Schwammportion. In der Tat beobachtete man, dass an den
Wänden des Hohlraumes sich zahlreiche breite, mit denen des
Huhns vergleichbare Grübchen befinden, deren Scheidesepta sich
in die Höhlung einschieben und den grössten Teil derselben ein-
nehmen. Dieselben sind fast vollständig mit Drüsenepithei über-
zogen. Der Schlauchteil ist gleichmässig um die Schwammportion
herum angeordnet. Die Schläuche sind wie bei der Ente
orientiert und haben die gleiche, bei dieser beobachtete Struktur.
Wie gesagt, schiebt sich ihr Epithel auf die Septa, den grössten
Teil derselben bekleidend: auf der Spitze jedoch befindet sich ein
geschichtetes Pflasterepithel.
Bei einem Vertreter dieser Art habe ich auf der Dorsal-
fläche eines der Lappen eine interessante Disposition beobachtet
Längs der Mediane dieser Fläche des Lappens bemerkte man eine
Längsfurche, in die die Faserkapsel sich internierte, wobei sie die
blinden Enden der Schläuche etwas von einander abrückte und
zwischen sie ein dünnes Längsseptum einschob. Diese Anordnung,
die ich, obschon weniger ausgeprägt, bei anderen gefunden habe,
kann als die Linie bezeichnend angenommen werden, längs der
die Verlötung der Lefzen der Einsenkungen stattgefunden hat, aus
denen die Drüsenlappen hervorgegangen sind.
Die Ausführungsgänge sind weit und ihre Wandung ist von
Längsfalten durchzogen. Dieselbe ist ausgekleidet durch ein sehr
dünnes, geschichtetes Pflasterepithel, das aussen durch eine Schicht
von verdichtetem, aus der Lappenkapsel stammendem Bindegewebe
verstärkt ist. Das Lumen der Ausführungsgänge nimmt das
Zentrum der Zitze ein, die sehr dick ist und nach der Basis hin
einige Drüsenschläuche aufnimmt, die sich in dieselbe von der
dorsalen Seite des entsprechenden Lappens einschieben. Die
Anwesenheit derselben bewirkt, dass unten das Lumen des Aus-
führungsganges auf eine kleine Querspalte zurückgeht. Die die
Zitze bekleidende Cutis ist sehr dünn und von der Wand der
Ausführungsgänge durch reichliches, schlaffes Bindegewebe ge-
trennt, in dem die Follikel der die Kuppel besetzenden Federn
eingebettet liegen.
132
280 Bernardino Lunghetti:
Tinnuneulus tinnuneulus L.
Auch beim Turmfalken ist die Drüse recht gross, rundlich,
über die Hautoberfläche hervorragend, ausgestattet: mit einer
kurzen zylindrischen, an der Spitze zweilappigen und mit einem
Federbüschelchen versehenen Zitze.
Die beiden Lappen der Drüse sind eng aneinander gedrängt
und die beiden Kapseln verschmelzen an der Berührungsstelle zu
einer einzigen sagittalen Scheidewand. Jeder Lappen besitzt im
Zentrum eine kleine Höhlung, die an den Schnitten in Form
eines gewölbten Zwischenraumes mit unterer Konkavität erscheint.
Dieses Aussehen ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die
Drüsenschicht, die die untere Fläche der Höhlung auskleidet,
eine halbkugelige, in diese hineinragende Erhebung bildet; die
dorsale Schicht hingegen bildet eine Art Kuppel. Das Drüsen-
gewebe bildet im übrigen um die Höhlung herum eine beinahe
gleichmässige Schicht und besteht aus Drüsenschläuchen, die in
der Nähe ihres blinden Endes häufig eine Spur von Gabelung
zeigen. Das Epithel ist sehr dick und nimmt fast vollständig
den Hohlraum des Schlauches ein, dessen Lumen auf eine dünne
Ritze reduziert ist, oft mit einem Sekret angefüllt, welches
ausserordentlich reich an einem bräunlichen Farbstoff ist. Durch
seine Eigenschaften ist das Epithel der Drüsenschläuche sehr
ähnlich dem des Huhnes. In unmittelbarer Berührung mit den
Wänden der Höhlung besteht eine kleine Schwammportion, deren
Zwischenwände vollkommen mit Drüsenepithel bekleidet sind.
Die Zitze ist von zwei Ausführungsgängen durchzogen, die
auf der Spitze der Zweilappung derselben nach aussen münden.
Ihre Innenfläche ist ausgekleidet durch ein geschichtetes Pflaster-
epithel und von zahlreichen Längsfalten durchzogen, die mit ihrer
Annäherung an die Drüse sich mehr und mehr vertiefen und all-
mählich in Drüsenschläuche übergehen. Der Übergang zwischen
Bekleidungsepithel und Drüsenepithel erfolgt unmerklich. Die
Faserkapsel ist sehr dünn und setzt sich in der Zitze in die
Epidermis fort. Kontraktile Muskelfaserzellen fehlen gänzlich.
Larus ridibundus L.
Die Glandula uropygüi der Möwe besteht aus zwei läng-
lichen, eng untereinander verbundenen Lappen und ist im ganzen
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 281
genommen, recht ausgebildet. Die Zitze ist dick, konisch und
auf der Kuppe mit einem Federbüschelchen ausgestattet. Die
Ausführungsgänge in Zweizahl münden nach aussen vermittelst
zweier Öffnungen, die die Kuppe der Zitze einnehmen. Sie sind
weit und rundlich. Auf einer äusserst kurzen Strecke erhalten
sie sich einfach, insofern von ihren Wänden weite sekundäre
Gänge abzugehen beginnen, die dadurch, dass sie sich ihrerseits
wiederholt weiter teilen, zu einer grossen Anzahl von sekundären
Gängen führen, die voneinander durch dünne Scheidewände
getrennt sind. Die Anwesenheit dieser sekundären Gänge, die
allseits von dem Hauptausführungsgang abgehen, bewirkt, dass
die zentrale Höhlung fast gänzlich fehlt. Im Zentrum eines jeden
I.appens bemerkt man jedoch, dass die Scheidewände der Aus-
führungsgänge sich verjüngen und grossen Teils verschwinden,
wodurch man einen Anfang der Bildung einer von jeglicher
Scheidewand freien Sammelhöhlung bekommt.
Die Drüsenschläuche beginnen von der ventralen Seite her
zu erscheinen und münden in kleinen Gruppen (2-3) in den
Boden der sekundären Gänge. Sie sind radial gegen das Zentrum
gerichtet und bilden in ihrer Gesamtheit eine stärker auf der
ventralen Seite ausgebildete Schicht. Inbezug. auf ihre Struktur
sind sie denen des Huhnes sehr ähnlich und zeigen sämtliche
Eigentümlichkeiten derselben. Ihr Epithel setzt sich eine gewisse
Strecke lang auf der Wandung der Ausführungsgänge fort, um
den den Drüsenschläuchen anliegenden Teil derselben zu bekleiden,
welcher vollständig der Schwammportion des Huhnes entspricht.
Dahingegen ist der der Sammelhöhlung nächst gelegene Teil der
sekundären Gänge mit einem dünnen, geschichteten Pflasterepithel
bekleidet.
Die Faserhaut bildet eine für einen jeden Lappen unab-
hängige Hülle. Von der Innenfläche sendet sie ausser den
gewöhnlichen dünnen Septa zwischen die Schläuche weitere
dickere aus, die fast ein sekundäres Läppchen inmitten der
Drüse bilden. Mit der Annäherung an die Zitze verschwindet
die Faserhaut fast gänzlich. Die Zitze ist dick und fast ganz
und gar eingenommen durch die weiten Ausführungsgänge, deren
glatte Wand mit einem dünnen geschichteten Pflasterepithel
bekleidet ist, das durch eine dünne Bindegewebsschicht verstärkt
wird. Dasselbe steht fast in unmittelbarer Berührung mit der
282 Bernardino Lunghetti:
die Zitze bekleidenden Cutis, da es nur durch die Federbälge
von derselben getrennt ist.
Pavoncella pugnaxl.
Im Verhältnis zur Grösse des Individuums ist die Bürzel-
drüse stets recht klein. Wie bei den bisher untersuchten Arten
besteht sie aus zwei deutlichen Lappen und ist mit einer kurzen,
an der Kuppe mit zartem Flaum überzogenen Zitze versehen.
Jeder Lappen besitzt einen sehr breiten Ausführungsgang, der
in eine kleine zentrale Höhlung führt. Auch bei Pavoncella
entspringen aus den Wänden des Ausführungsganges und der
zentralen Höhlung zahlreiche weite und tiefe sekundäre Gänge,
in einen jeden von denen eine gewisse Anzahl Drüsenschläuche
einmünden: bei der Pavoncella sind also gleichfalls jene Septa.
die beim Huhn die Schwammportion bilden, stark entwickelt und
bis zu einem gewissen Punkt bewahren sie auch deren Struktur.
In der Tat bestehen sie aus einem Bindegewebsbalkenwerk und
einer Epithelbekleidung, welche gegen die Schläuche hin sämtliche
Eigenschaften des Drüsenepithels zeigt, gegen die Kuppe hin
dagegen geht es allmählich in ein dünnes, geschichtetes Pflaster-
epithel über, das dem ähnlich ist, welches die Innentläche der
Ausführungsgänge auskleidet.
Die Drüsenschläuche besitzen dieselbe Struktur und dieselbe
Anordnung wie die der Möwe, noch zeigen sie irgend welche
bemerkenswerte Eigentümlichkeit. Die Faserkapsel ist nicht sehr
ausgebildet, bildet aber für jeden Lappen eine deutliche Hülle.
Man kann sie in der ganzen Länge der Zitze verfolgen, wo sie
eine dem Bekleidungsepithel der Ausführungsgänge aufgelegte
Bindegewebsschicht bildet, wodurch sie einen wichtigen Teil ihrer
Wand ausmacht. Oben setzt sie sich ins Hautderma fort.
Die Zitze ist fast in ihrer Gesamtheit eingenommen durch
die beiden weiten Ausführungskanäle, wodurch ihre Wände äusserst
dünn sind und aus dem sich Anlegen der Wand der Ausführungs-
gänge an die Cutis hervorgehen. In dem engen Zwischenraum
sitzen die Follikel der fadenförmigen, die Kuppe besetzenden
Flaumfedern.
Limosa limosa L.
Die Bürzeldrüse ist ziemlich ausgebildet und besteht auch
bei Limosa aus zwei seitlichen Hälften, die, vorn getrennt, sich
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 283
hinten in einer kurzen, dicken, an der Kuppe mit kleinen regel-
mässig um die Ausmündung eines jeden Ausführungsganges an-
geordneten Federn versehenen Zitze vereinigen.
Die Ausführungsgänge sind sehr weit und breit nach aussen
geöffnet. Recht bald jedoch teilen sie sich weiter in eine grosse
Menge sekundärer Gänge, die zuerst von der ventralen Wand,
später von dem Grund und den seitlichen und dorsalen Wänden
abzugehen beginnen. In einen jeden von diesen sekundären
Gängen mündet eine Gruppe von Drüsenschläuchen. Bei der
Limosa fehlt also vollständig eine zentrale Höhlung des Lappens.
Wir finden hingegen bei ihr, dass in den Ausführungsgang eines
jeden Lappens direkt zahlreiche sekundäre Ausführungsgänge ein-
münden, welche im Verein mit den zugehörigen Schläuchen fast eine
Drüse für sich bilden; und das Organ im ganzen genommen geht
nur aus der Gesamtheit aller dieser sekundären Drüsen hervor.
Diese Konstitutionsart der Drüse könnte auf den ersten
Blick von. den bisher untersuchten Typen sehr verschieden
scheinen; wir werden sehen, dass die eine Form unschwer auf
die andere zurückzuführen ist. In der Tat haben wir gesehen,
dass beim Huhn an den Wänden der zentralen Höhlung zahlreiche
kleine Gruben ausgehöhlt sind, in die die Drüsenschläuche ein-
münden und die wegen ihrer Form und weil sie mit Drüsenepithel
ausgekleidet sind, wie gesagt, nicht für Ausführungsgänge im
gewöhnlichen Sinne des Wortes angesehen werden können. Wir
haben vielmehr ihre Scheidewände mit dem Drüsengewebe unter
der Bezeichnung der Schwammportion vereinigt. Bei der Ente,
der Querquedula, der Möwe haben wir dann gesehen, dass die
Scheidewände der Schwammportion allmählich an Höhe zunehmen
und dass ihr der zentralen Höhlung des Lappens nächst gelegener
Teil eine wichtige Modifikation erfährt, insofern als er nur durch
ein einfaches Bekleidungsepithel überzogen ist. Man kann alsdann
von echten sekundären Ausführungsgängen sprechen, die in den
Wänden der zentralen Höhlung münden, welche selbstverständlich
in dem gleichen Maße, wie die Ausführungsgänge und ihre
Scheidewände ausgebildeter werden, allmählich an Weite verliert.
Bei der Limosa haben wir weiter nichts als eine Exageration
dieser Erscheinung. Die ganze Höhlung ist durch die Scheide-
wände der Schwammportion invadiert worden und die sekundären
Ausführungsgänge haben ihre grösste Länge erreicht.
284 Bernardino Lunghetti:
Was die Struktur des Organs anbelangt, so besteht auch
hier das Drüsengewebe aus zahlreichen sezernierenden Schläuchen,
welche eine dicke und deutliche Schicht bilden Sie beginnen
zuerst auf der ventralen Seite aufzutreten und sind kurz, weit
und senkrecht zu der Achse des Lappens, dann werden sie
länger, dünn und nehmen eine schräge Richtung gegen den
Ausführungsgang an. Sie sind einfach. Ihr Lumen ist sehr un-
regelmässig. An einigen Stellen verschwindet es wegen der
starken Dicke des Epithels fast gänzlich, an anderen hingegen,
wo das Epithel schmäler ist, ist es ziemlich evident Zuweilen
aber sammelt sich in dem Lumen eine solche Sekretmenge an,
dass der Schlauch dadurch leicht ausgedehnt wird. Das Schlauch-
epithel hat dieselben Merkmale wie das bis jetzt beschriebene.
Hier und da zeigt es in seiner Dicke Capillarschlingen, die wir
in grösserer Zahl bei der Taube finden werden, wo sie eingehend
beschrieben werden sollen.
Das intertubuläre Bindegewebe ist spärlich und eine Ab-
stammung der Bindegewebskapsel; zentralwärts jedoch nimmt es
in der Schwammportion zu. Diese ist, wie wir gesehen haben,
höchst ausgebildet, entspricht aber nur zum Teil der Schwamm-
portion beim Huhn und zwar nur mit dem den Schläuchen
nächstgelegenen Teil, der mit Drüsenepithel bekleidet ist. Der
oberste mit Bekleidungsepithel ausgerüstete Teil ist beim Huhn
nicht vertreten. Die Faserkapsel ist dünn und bildet für jeden
Lappen eine deutliche Hülle. Sie ist ausschliesslich von Binde-
gewebsnatur und zeigt nichts von Interesse.
Die Zitze ist mit einer Cutisbekleidung ausgerüstet, deren
Derma ziemlich entwickelt ist, während hingegen das Epithel
dünn und in aktiver Aufblätterung begriffen ist. In der Mitte
befinden sich die beiden Ausführungsgänge, deren zuerst voll-
kommen glatte Wände durch ein Epithel ausgekleidet sind,
welches die Eigenschaften der Epidermis hat und aussen durch
eine von der Faserhaut herkommende Bindegewebsschicht ver-
stärkt wird. Aussen von dieser Schicht bemerkt man eine ge-
wisse Menge glatter unregelmässig angeordneter kontraktiler
Muskelfaserzellen.
Scolopax rusticola.
Ausgeschält, und so habe ich sie beobachten können,
erscheint die Drüse der Waldschnepfe von rundlicher, leicht
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 285
zweilappiger Form, überragt von einer langen, verjüngten Zitze,
die auf der Puppe mit einem Büschelchen äusserst feiner faden-
förmiger Flaumfedern versehen ist. Die beiden Hälften, aus
denen die Drüse resultiert, sind aufs engste zusammenhängend.
Das Zentrum der Lappen wird eingenommen durch einen engen,
unregelmässigen Hohlraum. An den Wänden desselben öffnen
sich zahlreiche sekundäre Ausführungsgänge, welche nichts anderes
sind als die zwischen den Septa der stark ausgebildeten Schwamm-
portion begriffenen Zwischenräume von verschiedentlicher Weite
und Gestaltung, die, da sie ziemlich tief und mit einem geschich-
teten Pflasterepithel bekleidet sind, wirklich die Struktur der
Ausführungsgänge besitzen.
Die Drüsenschläuche bilden eine kontinuierliche Schicht um
die Schwammportion herum und besitzen die nämliche bei der
Ente beobachtete Orientierung. Auch ihrer Struktur nach sind
sie nicht erheblich von den bisher untersuchten verschieden.
Nur auf der äusseren Fläche der Basalmembran finden wir zahl-
reiche den beim Huhne beobachteten ähnliche Bindegewebszellen
aufgelegt und aufs engste mit ihr verwachsen. Ausserdem
nehmen wir in den Septa der Schwammportion zahlreiche Lymph-
follikel wahr, die verschiedenen Umfang haben und auf ihrer
Höhe leicht das Epithel emporheben, welches in seiner Struktur
keinerlei Abänderung zeigt. Die Faserhaut bildet um jeden der
Lappen eine vollkommen selbständige Hülle. Die Zitze ist mit
dünner haarloser Cutis bekleidet und wird in der Mitte durch
die beiden Ausführungsgänge eingenommen, die ihre Achse
parallel zu einander Aurchziehen. Ihre Wände sind mit einem
dünnen zesehichteten Pflasterepithel bekleidet: oben sind sie
vollkommen glatt, unten werden sie immer faltenreicher, bis
schliesslich das Drüsengewebe erscheint.
Perdix perdix L.
In ihrer Gesamtheit hat die Drüse eine kugelförmige
Gestalt: sie ist augenscheinlich zweilappig und mit einer läng-
lichen, zylindrischen Zitze versehen, welche an der Spitze mit
wenigen Federn besetzt ist und sich unter Bildung eines oben
offenen Winkels auf den Drüsenkörper aufsetzt. Jeder Lappen
wird im Zentrum eingenommen durch eine sehr weite Höhlung,
welche nur an den Wänden und auf dem blinden Boden mit
256 Bernardino Lunghetti:
Drüsengewebe ausgekleidet ist; einer weiten dem Ausgangspunkt
der Ausführungsgänge anliegenden Strecke geht es gänzlich ab.
Das Drüsengewebe besteht weniger aus echten Schläuchen
als aus einer Anzahl von Falten, welche sich in verschieden-
artiger Weise untereinander verflechten und anastomosieren,
indem sie höchst unregelmässige kleine Gruben begrenzen. Das
diese Falten bekleidende Epithel ist dem der Schläuche des
Huhns sehr ähnlich: nur ist es etwas dünner und hier und da
mit kleinen Capillarschlingen ausgestattet. Das das Balkenwerk
der Falten bildende Bindegewebe ist spärlich, zeigt aber ziemlich
voluminöse Lymphfollikel, die unmittelbar unterhalb des Epithels
gelegen sind, welches ganz und gar nicht modifiziert erscheint.
Diese Follikel sind ausgerüstet mit einem äusserst reichen Grefäss-
netz. Der des Drüsengewebes entbehrende Teil der Höhle ist
nur von einigen kleinen Ausbiegungen durchzogen und mit ein-
fachem Bekleidungsepithel bedeckt.
Jeder Lappen besitzt eine selbständige Faserhülle, welche
sich in die Schichten der Zitze fortsetzt. Diese wird in der
Mitte durch die beiden Ausführungsgänge eingenommen, deren
Wandung durch die gleichen bei den übrigen Arten beobachteten
und in der gleichen Weise angeordneten Schichten gebildet wird.
In dem Zwischenraum, der die Hautbekleidung von der Wand
der Ausführungsgänge trennt, liegen zahlreiche Bündelchen glatter
Muskelfasern, deren Anordnung mit der beim Huhn beobachteten
identisch ist.
Numida meleagris.
Die Drüse des Perlhuhns ist gross, rundlich und hat im
ganzen genommen dieselbe Konfiguration wie die des Huhns.
Der einzige erhebliche Unterschied ist der, dass sie inbezug auf
das Volumen des Tieres etwas mehr entwickelt ist. Im übrigen
aber wiederholen das reichliche Drüsengewebe, die weite Höhlung
der Lappen, die derbe Faserhaut in allem die beim Huhn beob-
achtete Anordnung und Struktur.
Columba var. domestica.
Bei der Taube ist das Volumen der Bürzeldrüse stark
reduziert und demgemäss bemerkt man von aussen nur die
kleine, konische, leicht in sagittalem Sinne zusammengedrückte,
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 287
ganz haarlose Zitze. Sie ist mehr oder weniger deutlich
zweilappig.
Die Konfiguration der Drüse ist von der bisher beobachteten
sehr verschieden. Dies hatte zum Teil auch Kossmann wahr-
genommen, welcher unter anderen Vögeln auch die Taube unter-
suchte und darauf hinweist, dass ihre Drüse in einer von den
übrigen Arten etwas verschiedenen Weise gebildet ist: die Be-
Fig. 2.
durch eine grosse Anzahl nach der Höhle selbst weit geöffneter
schreibung jedoch, die er von ihr gibt, ist äusserst kurz und
nicht ganz exakt. Die beiden stark verlängerten und aufs engste
unter einander zusammenhängenden Lappen der Drüse werden
zum grössten Teil von einer zentralen ausserordentlich entwickel-
ten Höhlung eingenommen. Die Wände dieser Höhle werden
28
[0 9}
Bernardino Lunghetti:
Taschen eingenommen, welche mit ihrem blinden Ende fast un-
mittelbar an die Faserkapsel reichen. Auf den Wänden und
dem Grunde dieser Taschen sind weitere kleinere Grübchen aus-
gehöhlt, die sowohl nach Form als nach Umfang höchst unregel-
mässig sind. Es fehlen also echte Drüsenschläuche (im Gegensatz
zu dem, was Kossmann behauptet) und das Organ ist in seinem
(esamtkomplex recht verschieden von den bisher untersuchten
Formen (Taf. XII, Fig. 2), auf die es unmöglich scheint es zurück-
zuführen. Beobachten wir jedoch die Beziehung, die zwischen
den Drüsentaschen und den Grübchen besteht, die deren Wände
einnehmen, so können wir mit einiger Begründung annehmen,
dass letztere nichts anderes als echte Schläuche vorstellen, die
sich nicht in ihrer ganzen Länge entwickelt haben, und dass
weiter die Drüsentaschen nur die den Vertiefungen der Schwamm-
portion entsprechenden Bildungen sind. Infolgedessen würde das
Drüsengewebe bei der Taube fast ausschliesslich durch die
Schwammportion dargestellt.
Das Drüsenepithel erstreckt sich auf sämtliche Drüsen-
taschen und auf die Vertiefungen, welche sich auf ihren Wänden
befinden. Wie gewöhnlich kann es in drei Hauptschichten unter-
schieden werden: Keimschicht, Mittelschicht, Auflösungsschicht.
Auf den Spitzen der Septa, welche die Taschen untereinander
trennen, ist es schmäler und gleichmässiger als auf den blinden
Böden, ausserdem ist hier die Auflösung der oberflächlichen
Zellen weniger ausgeprägt. In dem Drüsenepithel der Taube
finden wir eine Eigentümlichkeit, welche sich bei den bisher
untersuchten Vögeln selten und bei jungen Individuen findet.
Hier und da sieht man, dass von dem unter dem Epithel
gelegenen Bindegewebe ein feines Capillargefässchen ausgeht,
welches eine gewisse Strecke lang in die Dicke des Epithels
eindringt, eine sehr enge Schlinge bildet und auf demselben Weg
in das subepitheliale Bindegewebe zurückkehrt. Diese Capillar-
schlingeu sind ausserordentlich abundant, und obschon sie auf
den ersten Blick als intraepitheliale Gefässe ausgelegt werden
können, haben sie durchaus nicht diese Bedeutung. In der Tat
hat man bei diesen Bildungen nie ein wirkliches Eindringen der
Capillare in die Dicke des Epithels: dieses wird vielmehr einfach
durch die Schlinge selbst ausgestülpt (Taf. XI, Fig. 6; Taf. XII,
Fig. 4), welche infolgedessen allseits von der Keimschicht des
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 289
Epithels umgeben wird: ausserdem wird sie von einer kleinen
Menge Bindegewebe begleitet.
Die Faserkapsel wird einzig und allein durch Bindegewebe
gebildet und hat im Zusammenhang mit der speziellen Kon-
formation der Drüse eine ganz besondere Anordnung. Sie bildet
um jeden Lappen eine deutliche Hülle, die jedoch in der medianen
Linie da, wo die beiden Lappen in Berührung kommen, zu einem
einzigen sagittalen medianen Septum verschmelzen. Ventralwärts
befindet sich an der medianen Linie entlang eine Längsfurche.
welche die ursprüngliche Trennung der beiden Lappen anzeigt;
über diese gehen brückenartig gemeinsame Fasern. Von ihrer
tiefgelegenen Fläche aus entsendet die Kapsel nach dem Innern
der Lappen dicke Bindegewebssepta, welche die auf den Wänden
der Höhle beobachteten Taschen begrenzen. Von diesen Septa
trennen sich weitere dünnere ab, welche das zwischen den den
Schläuchen entsprechenden kleinen Gruben befindliche Binde-
gewebe bilden.
Die Zitze ist wie gewöhnlich mit einer dünnen glatten
und haarlosen Hautschicht bekleidet und wird in der Mitte durch
die beiden weiten Ausführungsgänge eingenommen. Das Epithel,
welches die Innenfläche auskleidet ist in ihrer ganzen Ausdehnung
ein geschichtetes Pflasterepithel. Es zeigt jedoch starke Dicken-
variationen je nach den Teilen, in denen man es untersucht.
Unten ist es sehr dünn, und als solches erscheint es in dem
grössten Teil des Ausführungsganges; der Übergang in das
Drüsenepithel erfolgt ohne scharfe Grenze. Oben wird es auf
einer kleinen Strecke, der Mündungsstelle der Ausführungsgänge
nach aussen entsprechend, plötzlich sehr dick, derart dass der
Ausführungsgang sich an dieser Stelle auf eine feine Öffnung
reduziert.
Tereur-tnrturde
Ihrer Gestaltung nach ist die Drüse der Turteltaube der
der Taube sehr ähnlich; sie weicht nur dadurch von ihr ab, dass
sie sowohl im ganzen genommen als in den einzelnen Teilen viel
weniger entwickelt ist als die der Taube. Die Lappen sind fast
in ihrer Totalität eingenommen durch eine weite zentrale Höhlung,
die nach aussen mittelst eines Ganges kommuniziert, der, zuerst
weit und ausgedehnt, auf einer gewissen Strecke, der Mündungs-
stelle entsprechend, sehr eng wird. Auch bei der Turteltaube
290 Bernardino Lunghetti:
werden die Wände der zentralen Höhle durch zahlreiche Taschen
eingenommen, welche ausser auf dem Grund der Höhle bedeutend
weniger tief sind als die der Taube. Doch zeigen auch sie auf
ihren Wänden zahlreiche unregelmässige Grübchen, die, obschon
kaum angedeutet, dieselbe Bedeutung wie die entsprechenden der
Taube besitzen; das heisst es sind stark reduzierte Drüsenschläuche.
Das Drüsenepithel weicht von dem soeben beobachteten
insofern ab, als die Zellen seiner oberflächlich gelegenen Schichten
nicht die Beute einer sehr reichlichen Auflösung sind, sondern
vielmehr sich ziemlich gut konserviert erhalten unter Annahme
einer etwas abgeplatteten Form. Nichtsdestoweniger ist auch
bei der Turteltaube die Sekretbildung von Zerstörung der ober-
flächlichen Zellen begleitet; der Prozess ist nur bedeutend weniger
aktiv als bei den übrigen Arten. In der Dicke des Epithels be-
finden sich reichliche Capillarschlingen.
Die Kapsel verhält sich im grossen und ganzen wie die
der Taube; sie ist jedoch sehr zart und in ihrer Anordnung
weniger kompliziert. Die Zitze wird in der Mitte vollständig
durch die Ausführungsgänge eingenommen und hat äusserst
dünne Wände. Die Ausführungsgänge setzen sich direkt in die
zentrale Höhle der Lappen fort und haben oben vollkommen
glatte Wände, in denen nach der Drüse hin immer tiefere
Grübchen sich zu zeigen beginnen, welche allmählich die Struktur
der Drüsentaschen annehmen. Das Bekleidungsepithel ist ein
sehr dünnes geschichtetes Pflasterepithel, ausser an der Mündungs-
stelle der Ausführungsgänge, wo es sehr hoch wird, dadurch
das Lumen der Ausführungsgänge stark einengend. Höchst
interessant ist die Tatsache, dass hier und da von der tief ge-
legenen Fläche des Epithels zahlreiche feste Epithelzapfen von
Zellen mit nicht recht deutlichen Grenzen und grossem, rund-
lichen Kern abgehen, welche sich etwas in die dünne Wand der
Zitze vertiefen und in ihr eine gewisse Strecke parallel zu ihren
Oberflächen verlaufen. Vielleicht sind diese Bildungen nichts
anderes als Rudimente von Drüsenschläuchen.
Cuculus canorus_L.
Die beiden die Drüse bildenden Lappen sind ziemlich volu-
minös, stark länglich und fast gänzlich untereinander getrennt. Nur
gegen das hintere Ende schliessen sie sich auf einer kurzen Strecke
eng aneinander und bilden so vereint eine kurze, kleine Zitze.
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 291
Jeder Lappen ist in seiner ganzen Länge von einem engen
Sammelhohlraum durchzogen, auf dessen Wänden sich zahlreiche
Drüsentaschen befinden, in die kurze, dicke Schläuche einmünden,
Man hat demnach ein dem der Taube und Turteltaube ähnliches
Verhalten. Beim Kuckuck jedoch ist die Drüse bedeutend
voluminöser; dazu kommt, dass, wenn auch die Grübchen, die
die Wände der einzelnen Drüsentaschen einnehmen, keine denen
des Huhns gleiche Schläuche bilden, diesen doch bedeutend näher
kommen als die der Taube; wir können so diese kleinen Gruben
ohne weiteres als Drüsenschläuche bezeichnen.
Das Epithel der Schläuche erinnert an das des Huhnes
dadurch, dass es durch mehrere Schichten grosser polygonaler
Zellen gebildet wird; von diesem jedoch weicht es insofern ab,
als man in denselben nicht das beim Huhn beobachtete Netzwerk
wahrnimmt, die Zerstörung recht wenig ausgeprägt ist und die
Unterscheidung in die drei Zonen, Keimschicht, Mittelschicht,
Auflösungsschicht keine so scharfe ist. Nichtsdestoweniger sieht
man in den tief gelegenen Schichten zahlreiche Karyokinesen und
in den oberflächlichen in Zerstörung begriffene Zellen.
Die Faserkapsel ist bedeutend ausgebildet und neben den
Septa. die sie in das Innere der Drüsenhöhle zur Bildung der
Scheidewände zwischen den einzelnen Taschen ausschickt, ent-
sendet sie deren viele von der äusseren Fläche aus in die um-
liegenden Organe. Unter diesen ist eins von höchster Wichtig-
keit hervorzuheben, welches von der Basis der Zitze abgeht, an
der Stelle, wo die beiden Lappen in Berührung stehen, und sich,
nach Herstellung einer äusserst engen Verknüpfung mit den
Follikeln der Steuerfedern, an der Wirbelsäule inseriert.
Der Ausführungsgang ist für jeden Drüsenlappen ein einziger.
Er ist sehr kurz, insofern an den Wänden desselben sehr bald
sich zuerst einfache und kleine, dann tiefere und breitere Ver-
tiefungen zu zeigen beginnen. Seine Wände sind bekleidet mit
einem sehr dicken geschichteten Pflasterepithel. Die Aussenfläche
der Zitze ist mit einer ziemlich dicken, aus einem an Pigment-
zellen reichen Derma und einer sehr hohen Epidermisschicht
bestehenden Cutis bekleidet.
Sperlingsvögel.
Bei den von mir untersuchten Sperlingsvögeln von geringer
Grösse Passer Italiae [Vieillot], P. montanus, Fringilla coelebs L,
292 Bernardino Lunghetti:
Serinus, Coccothraustes coccothraustes L, Aedon luscinia L,
Sylvia simplex [Latham], Turdus musicus L.) zeigt die Bürzel-
drüse eine vollkommene Gleichförmigkeit in der Konformation,
weshalb ich von einer individuellen Beschreibung derselben Ab-
stand nehme.
Sie ist im allgemeinen sehr klein und hat eine ellipsoidische
Form, wobei die grössere Achse transversal verläuft. Etwas
mehr ausgebildet ist sie beim Sperling und Finken, sehr klein
bei der Nachtigall und Grasmücke. Überzogen ist sie mit einer
äusserst dünnen Hautschicht und von aussen nimmt man sehr
schön ihre Grenzen und Form wahr. Sie ist überragt von einer
Zitze, welche das Aussehen einer kleinen und rundlichen Blase
hat. Ihre tief gelegene Fläche hängt aufs engste mit den
Follikeln der Steuerfedern zusammen, in deren Zwischenräumen
sie zuweilen Abzweigungen entsendet. Wie zum Teil auch
Kossmann beim Sperling gesehen hatte, besteht bei dieser
Vogelgruppe die Drüse anscheinend aus einem einzigen medianen
Lappen; es scheint daher auf den ersten Blick, als ob wir eine
neue Drüsenform, eine einlappige Drüse, vor uns hätten. Wir
werden jedoch sehen, dass dies ein blosser Schein ist und dass
vielmehr in ihr augenscheinliche Anzeichen für einen ursprüng-
lichen zweilappigen Bau vorliegen.
Das Drüsengewebe bildet eine Schicht, welche ihre höchste
Dicke auf dem Grunde des Hohlraumes erreicht, sich an den
Wänden verdünnt und gegen die Zitzenbasis hin gänzlich ver-
schwindet. Es besteht aus einer grossen Zahl einfacher unter-
einander zusammengedrängter Schläuche, welche strahlenförmig
nach der Höhlung konvergieren, in die sie direkt einmünden.
Es fehlt also eine Schwammportion innerlich von der Schlauch-
portion. Ihre Spuren jedoch findet man in einigen Epithelkämmen,
die, stets wenig entwickelt, die Wände der Höhle durchziehen,
indem sie sich untereinander anastomosieren und so weite leicht
vertiefte Flächen abgrenzen.
Das Epithel der Schläuche hat eine Konstitution, die auf
den ersten Blick stark von der bisher beobachteten abweicht.
Es ist in der Tat sehr dünn und besteht aus wenigen Schichten
von Zellen mit sehr verschiedenem Charakter. Die tiefst ge-
legenen, in unmittelbarer Berührung mit der Basalmembran
stehenden sind klein, dunkel mit wenig ersichtlichen Grenzen,
a Sn ae ee Ki 5 A
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 293
dichtem chromatinreichem Kern und spärlichem körnigen Proto-
plasma. Die oberflächlichsten Zellen sind voluminös, von deutlich
ausgeprägter polygonaler Form, das Protoplasma ist reichlich
und zeigt das gleiche beim Huhn beobachtete Netzwerk. Der
Kern ist hell, vesikulär. Sie sind zumeist in einer einzigen
Schicht angeordnet und von dem Grunde nach der Mündung des
Schlauches dachziegelartig übereinander gelegt. Innen von diesen
Zellen finden wir weitere, die. sei es im Kern, sei es im Proto-
plasmakörper, Anzeichen von Auflösung bieten. Letztere jedoch
bilden niemals eine kontinuierliche Schicht (Taf. XII, Fig. 3).
Vergleicht man nun dieses Epithel mit dem des Huhnes,
so muss man zugestehen, dass der zwischen denselben bestehende
Unterschied mehr die Form als das Wesen betrifft. In der Tat
können wir auch beim Drüsenepithel des Sperlings und Ver-
wandter die drei beim Huhn beschriebenen Hauptschichten unter-
scheiden. Die kleinen tiefgelegenen Zellen stellen die Keim-
schicht dar, die mittleren grossen die Mittelschicht, innen von
welcher man, unvollständig, die Auflösungsschicht hat. Der
einzige Unterschied geht also auf eine Verschiedenheit in der
Dicke des Epithels zurück, insofern beim Sperling eine jede
Schicht dargestellt ist durch eine einfache Zellenreihe, die sogar
bei der Auflösungsschicht unvollständig ist.
Das intertubuläre Bindegewebe ist sehr spärlich, jedoch
höchst reich an Gefässen, die infolge ihre Weite an den
Schnitten oft ohne jegliche künstliche Präparierung zu sehen
sind. Die Faserkapsel ist dünn und bildet eine gleichförmige
Hülle um die ganze Drüse. Zuweilen zeigt sie auf dem Grund der
Drüse eine wegen ihrer Bedeutung wichtige Anordnung. Bei
Fringilla, Passer, und namentlich bei P. montanus ist sie hier
sehr häufig von einer sagittalen Medianfurche durchzogen. Längs
dieser Furche dringt die Faserkapsel zwischen die Schläuche ein,
dadurch auf einer gewissen Strecke deren blinde Enden ab-
rückend.. Auf dem Grunde der Furche aber entsendet die
Kapsel zwischen die Schläuche ein dünnes Bindegewebsseptum,
welches auf den Wänden der Drüsenhöhlung angelangt, sich
etwas in dieselbe hineinschiebt und frei darin wogt. Das Binde-
gewebe dieses Septums ist sehr schlaff und gibt leicht nach,
dadurch den seitlichen Teilen der Drüsen ein gewisses Entfernen
ermöglichend. Dieses Septum ist zweifellos nichts anderes als
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 20
294 Bernardino Lunghetti:
-
der Repräsentant des medianen Septums, das bei anderen Vögeln
die beiden Lappen der Drüse trennt.
Die Zitze erscheint als eine rundliche Blase, mit dünnen
Wänden und halbdurchsichtig. Die glatte, haarlose Aussenfläche
ist mit einer dünnen Hautschicht bekleidet, deren Derma in un-
mittelbarer Berührung mit den Wänden der Ausfübrungsgänge
steht. Diese haben das Aussehen von zwei kleinen durch eine
sagittale Scheidewand getrennten Höhlen, die das Zentrum der
Zitze vollständig einnehmen. Die Mündung nach aussen geschieht
mittelst zweier kleiner Öffnungen, die sich sehr nahe beieinander
auf der Kuppe an den Seiten des medianen Septums befinden.
Eine interessante Erscheinung, die den mir voraufgegangenen
Beobachtern gänzlich entgangen ist, ist die, dass zwischen der
Drüsenhöhle und den kleinen Höhlen der Zitze eine direkte
Kommunikation fehlt, und zwar infolge der Anwesenheit eines
dünnen Scheideseptums, welches gewölbeartig die Drüsenhöhle
selbst verscehliesst. Mit der einen Fläche ist dasselbe gegen die
Höhlung der Zitze hin gelegen, mit der anderen gegen die
Drüsenhöhle, aus welch letzterer eine gewisse Anzahl Falten ab-
gehen, die auf eine gewisse Strecke in die Drüsenhöhle selbst
hineindringen. Von diesen ist die mediane zuweilen höchst aus-
gebildet und stellt, da sie mit dem Medianseptum der Zitze in
Zusammenhang steht, einen weiteren Überrest der medianen
Drüsenscheidewand dar. Die Kommunikation mit der Drüsen-
höhle geschieht mittelst zahlreicher Röhrchen, die, auf den
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 235
Wänden der Zitzenhöhle entspringend, in die Wölbung der
Drüsenhöhle münden. Sowohl die Wände der Zitzenhöhle, wie
die Ausführungsgänge, die von ihnen ausgehen, als auch die
Flächen der Scheidewand sind mit einem dünnen geschichteten
Pflasterepithel bekleidet.
Pica pica L.
Ziemlich umfangreich ist die Drüse der Elster, kugelförmig,
in transversalem Sinne verlängert und mit einer kurzen dicken
Zitze versehen. welche auf ihrer Kuppe mit wenigen faden-
förmigen Flaumfedern bewachsen ist. Obgleich sie von aussen
nur eine leichte Andeutung von Zweilappigkeit zeigt, besteht sie
aus zwei Lappen von halbkugeliger Form, die mit den flachen
Flächen aufs engste aneinander schliessen. Ihre Faserhüllen sind
in der Mittellinie verschmolzen unter Bildung einer dünnen
Bindegewebsscheidewand, welche die beiden Drüsenhälften und
ihre Hohlräume trennt. Letztere sind sehr klein, nehmen den
dem Ausführungsgange anliegenden Teil des Lappens ein und
sind nur durch das mediane Septum von einander geschieden.
Das Drüsengewebe bildet eine sehr dicke Schicht, welche
die Höhle auf allen Seiten umgibt, ohne sich auf den oberen
Teil der medialen Wand zu erstrecken, welcher ganz und gar
frei bleibt. Es besteht aus zahlreichen sehr langen Drüsen-
schläuchen, die strahlenförmig nach der Höhle des Lappens hin-
ziehen und dort in unregelmässige Zwischenräume münden, die
den Lakunen der Schwammportion des Huhnes entsprechen. Bei
der Elster wird diese dargestellt durch zahlreiche dünne Scheide-
wände, die sich weit in die zentrale Höhlung hineinschieben und
sie fast gänzlich einnehmen. Das die Schläuche auskleidende
Epithel besteht aus wenigen Schichten Zellen. Von diesen sind
die tiefst gelegenen stark abgeplattet und der Krümmung der
Schlauchwand gemäss gekrümmt. Sie besitzen ein feinkörniges
Protoplasma, dichten, häufig in Karyokinese begriffenen Kern
und bilden eine Schicht von einer oder zwei Zellreihen. Die
mehr oberflächlich gelegenen Zellen haben die Eigenschaften der
Mittelschichtzellen des Huhnes; jedoch finden sich davon nur
eine oder zwei Reihen vor. Endlich beobachtet man in direkter
Berührung mit dem Lumen der Schläuche in Auflösung begriftene
Zellen, die jedoch nie eine ununterbrochen fortlaufende Schicht
bilden. Man steht also vor einer Epithelform, welche dem bei
20*
296 Bernardino Lunghetti:
den soeben beschriebenen Sperlingsvögeln beobachteten sehr
nahe kommt.
Die Bindegewebskapsel ist sehr dünn und bildet um beide
Lappen eine gemeinschaftliche Hülle, welche längs der Mediane
in die Drüse eine sagittale Scheidewand entsendet, welche sich
bis in die Zitze hineinschiebt. Letztere wird eingenommen durch
zwei verhältnismässig weite Höhlen, die durch eine Mittelscheide-
wand getrennt sind und durch zwei kleine an den Seiten der
Mittelscheidewand auf der Zitzenkuppe gelegene Öffnungen nach
aussen kommunizieren. Auf der Drüsenseite kommunizieren sie
nicht direkt mit der Höhlung der Lappen, sondern wie beim
Sperling sind sie davon durch eine derbe und vollständige Scheide-
wand getrennt. Die Kommunikation erfolgt auch bei der Elster
vermittels zahlreicher, feiner Gänge, welche, ausgehend von dem
Gewölbe der Lappenhöhle, an den Wänden der Zitzenhöhlen ein-
münden. Alle diese Gänge sowie die Höhle der Zitze sind mit
einem dünnen geschichteten Pflasterepithel bekleidet, das innen
durch ziemlich dichtes Bindegewebe verstärkt wird, das auf der
Zitzenbasis sich zum Teil in das Hautderma, zum Teil in die
Faserkapsel der Drüse fortsetzt.
Cypselus apus_L.
Die Bürzeldrüse der Mauerschwalbe ist klein, deutlich zwei-
lappig, mit einer dicken, haarlosen, vesikulären Zitze versehen,
welche sich in die Lappen fortsetzt, indem sie die gleiche
Richtung derselben verfolgt. Die beiden Ausführungsgänge
münden mittels zwei feiner auf der Spitze der Zitze gelegener
Öffnungen nach aussen. Gleich darauf jedoch verbreitern sie
sich und bilden zwei ziemlich weite, rundliche Höhlen mit voll-
kommen glatten Wänden, welche den ganzen zentralen Teil der
Zitze einnehmen.
Dem Grunde dieser Höhlen entspringen eine grosse Zahl
sekundärer, unregelmässiger Gänge, die dadurch, dass sie sich
ihrerseits in weitere kleinere weiterteilen, vollständig das Zentrum
der Drüsenlappen einnehmen. Die secernierenden Schläuche
bilden eine kontinuierliche Schicht um diesen zentralen Teil
herum. Sie sind von verschiedenartiger Länge und haben im
allgemeinen einen sehr unregelmässigen Durchschnitt. Nur in
ihrem proximalen Teil sind sie durch ein Lumen ausgehöhlt,
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 297
während der distale Abschnitt vollständig fest ist. Das Epithel
nähert sich seiner Struktur nach sehr dem der Pica; das heisst,
es ist ein Übergangsepithel zwischen dem des Huhns und dem
der Sperlingsvögel. Das intertubuläre Bindegewebe ist sehr
spärlich, obschon sich hier und da zwischen die Schläuche ziem-
lich dicke Bindegewebssepta einschieben, die von der Faserkapsel
herstammen. Diese bildet um einen jeden Lappen eine Hülle,
welche sich auch in der medianen Linie ganz und gar unabhängig
von der der entgegengesetzten Seite erhält.
Die Zitze ist mit einer dicken Hautschicht bekleidet, deren
Derma von zahlreichen Längskämmen durchzogen ist, auf die,
die Zwischenräume einnehmend, sich die Epidermis zieht, die
auf ihrer. oberflächlichen Seite vollkommen glatt ist. Im Zentrum
befinden sich die beiden weiten Ausführungsgänge, deren Wände
mit einem geschichteten Pflasterepithel ausgekleidet sind, das
sich nach unten hin verjüngt, wo es die Wände der sekundären
Ausführungsgänge und ihre Verästelungen zu bekleiden beginnt.
In der Zitze fehlen ganz und gar kontraktile Muskelfaserzellen ;
dagegen ist es sehr reich an Blutgefässen.
Chelidon urbica L.
Ihrer Gestaltung und Struktur nach nähert sich die Drüse
der Hausschwalbe sehr der der Sperlingsvögel. Wie bei diesen
ist sie sehr klein und in dem Drüsenkörper fehlt jegliche Unter-
scheidung in zwei Lappen. Dies jedoch ist nicht bei der Zitze
der Fall, welche durch zwei seitliche Hohlräume eingenommen
wird, die zu der Lappenhöhlung die gleiche beim Sperling be-
schriebene Beziehung haben.
Auch das Drüsengewebe und die es zusammensetzenden
Schläuche haben die gleiche Anordnung und die gleiche Struktur
wie die des Sperlings.
Carine noctua Scopoli.
Die Drüse ist ziemlich entwickelt und hat eine äusserst
oberflächliche Lage. Sie besitzt die Form eines leicht in sagittalem
Sinne zusammengedrückten Kegels und ist an den umliegenden
Geweben einzig und allein durch ihre Basis befestigt. Die zu-
gespitzte Kuppe ist durch die Zitze gebildet, welche mit ihrer
Achse auf der Verlängerung der Achse des Drüsenkörpers ange-
ordnet ist, in den sie sich ohne scharfe Grenze fortsetzt.
298 Bernardino Lunghetti:
Wie auch Kossmann beobachtet hatte, besitzt die Drüse
vier Ausführungsgänge, die unter wiederholter Verzweigung sich
ohne scharfe Grenze in die Drüsenschläuche fortsetzen. Diese
Erscheinung, die auf den ersten Blick zu dem Gedanken führen
könnte, dass die Drüse des Käuzchens stark von den bisher
untersuchten abweicht, bringt keine starken Abänderungen in
ihrer Struktur mit sich. Hiervon können wir uns überzeugen,
wenn wir eine Serie von Querschnitten untersuchen, derart dass
wir dabei das Verhalten der einzelnen Ausführungsgänge ver-
folgen. Man beobachtet alsdann, dass wir von der Kuppe der
Zitze nach der Drüse hin zunächst in den Schnitten die vier
Ausführungsgänge antreffen, die in zwei Paare geschieden sind,
das eine rechts, das andere links von der Mittellinie, getrennt
durch eine dicke sagittale Scheidewand; ein dünneres transversales
Septum trennt die Gänge eines jeden Paares untereinander.
Recht bald jedoch teilen sich die Gänge weiter in zahlreiche
sekundäre Gänge, die gegen die Hälfte der Zitze in vier deut-
lichen Gruppen vereint erscheinen. Mit der Annäherung an die
Drüse nehmen die sekundären Gänge bedeutend an Zahl zu, so
dass die verschiedenen Gruppen sich näher rücken und mit ein-
ander verschmelzen. Dies jedoch ist nur für die Gruppen des
nämlichen Paares der Fall; insofern die beiden Paare unterein-
ander durch eine dieke Mittelscheidewand getrennt bleiben,
welche in gleicher Weise durch den ganzen Drüsenkörper hin-
zieht, der derart in zwei seitliche Hälften unterschieden wird.
Wir können also behaupten, dass auch die Drüse des
Käuzchens sich ihrer Konstitution nach nicht von dem gewöhn-
lichen Typus entfernt. Man begreift weiter, dass infolge der
Art, wie die Verzweigung der Ausführungsgänge erfolgt, im
Zentrum der Lappen überhaupt kein Sammelhohlraum anzutreffen
ist. Bei alten Individuen jedoch können die Scheidewände,
welche die einzelnen sekundären Gänge abgrenzen, zum Teil ver-
schwinden, wodurch man eine Andeutung zur Bildung einer
zentralen Höhlung der Lappen bekommt.
Das Drüsengewebe bildet eine auf den Boden eines jeden
Lappens und einen kleinen Teil seiner Wände beschränkte
Schicht. Gebildet wird es durch kurze, einfache, eng einander
aufgelegte Drüsenschläuche. Das Epithel besitzt, obschon es
etwas weniger dick ist, die Struktur des des Huhnes. Unmittelbar
.
Bi;
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 299
innen von der Drüsenschicht finden wir die Gesamtheit der
Scheidewände, welche die Verästelungen der Ausführungsgänge
von einander trennen, Scheidewände, die nichts anderes darstellen
als den ausserordentlich entwickelten Schwammabschnitt. Die-
selben sind auf einer gewissen Strecke in der Nähe der Schläuche
mit Drüsenepithel bekleidet, im übrigen sind sie mit einem
dünnen geschichteten Pflasterepithel bedeckt.
Die Faserkapsel bildet um jeden Lappen eine Hülle, welche
in der Mittellinie mit der der gegenüber liegenden Seite ver-
schmilzt und so die erwähnte sagittale Scheidewand bildet. Sie
ist ausschliesslich von Bindegewebsnatur und besteht aus zwei
Schichten; eine tiefgelegene von Bündeln mit vorwiegend kreis-
förmiger Richtung, eine oberflächliche schlaffere, beiden Lappen
gemeinschaftliche.
Die Zitze wird theoretisch von der Drüse durch eine Ebene
geschieden, die durch den Punkt geht, wo die Drüsenschläuche
endigen. Bekleidet ist sie mit einer sehr dünnen Cutis und ist
in der Mitte fast vollständig durch die Ausführungsgänge und
ihre Verzweigungen eingenommen. Die Wände dieser Gänge
sind bekleidet mit dünnem geschichteten Pflasterepithel, auf
dessen Aussenseite sich verschiedene konzentrische Bindegewebs-
häute befinden. Von diesen ist eine in unmittelbarer Berührung
mit der tief gelegenen Fläche des Epithels stehende einem jeden
Ausführungsgang eigen. Ein jedes seitliche Schlauchpaar wird
demnach von einer gemeinschaftlichen Tunica umgeben. Schliess-
lich sind die vier Ausführungsgänge durch eine äussere von dem
Derma herstammende Haut umhüllt. Von diesen Häuten ist die
wichtigste die zweite, welche sich in die Häute der Lappen fort-
setzt. Es fehlen gänzlich kontraktiie Muskelfaserzellen.
Strix flammea L
Die Bürzeldrüse der Strix zeigt zahlreiche Analogien mit
der der Carine, von der sie die gleiche oberflächliche Lage und
das charakteristische Aussehen besitzt; jedoch weicht sie in
einigen interessanten Einzelheiten davon ab.
Die Ausführungsgänge betragen im allgemeinen sechs, drei
für jede Drüsenhälfte. Ihre Zahl kann etwas schwanken, da
einige Gänge derartig zusammengerückt nach aussen münden
können, dass sie auf eine kurze Strecke verschmelzen. Dies
300 Bernardino Lunghetti:
jedoch nur in dem obersten Teil. Zuerst besitzen sie ein sehr
enges Lumen und sind zu je drei in zwei an den Seiten der
Mittellinie angeordneten Gruppen vereinigt. Mit ihrer An-
näherung an die Drüse nimmt ihr Diameter ständig zu, vor
allem auf Kosten der transversalen Septa. Gegen die Mitte der
Fig. 4.
Zitze sehen die Ausführungsgänge wie drei an den Seiten der
Mittellinie angeordnete transversale Spalten aus. Recht bald
jedoch teilen sich die Gänge in zahlreiche sekundäre Gänge,
und auch bei der Strix erfolgt die Teilung derart, dass die Ver-
ästelungen der Gänge auf der einen Seite sich scharf von denen
as
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 301
der entgegengesetzten Seite unterschieden erhalten, da sie durch
eine derbe Mittelscheidewand getrennt werden, die sich bis auf
den Grund der Drüse fortsetzt.
Man hat also bei der Strix eine Anordnung, die der beim
Käuzchen etwas ähnelt, der gegenüber sie jedoch etwas kompli-
zierter ist. Wie beim Käuzchen fehlt eine freie Drüsenhöhlung
Fig. 4‘.
vollständig. Als Sekretbehälter funktionieren die einzelnen
sekundären Ausführungsgänge, die ziemlich ausgeweitet sind.
Die Anordnung des Drüsengewebes und seine Struktur
geben genau die beim Käuzchen beobachtete wieder. Einige
Unterschiede findet man hingegen in der Zitze und zwar nicht
nur inbezug auf die grössere Zahl der Ausführungsgänge, sondern
auch inbezug auf ihre Struktur. Die Anordnung der Faserhäute
302 Bernardino Lunghetti:
um die Ausführungsgänge herum ist, obschon sie vorwiegend
eine konzentrische ist, nicht so regelmässig wie beim Käuzchen;
deutlich unterschieden ist nur die äusserste allen Gängen gemein-
schaftliche Tunica, welche nichts anderes ist als ein integrirender
Teil des Derma.
Das Epithel der Ausführungsgänge zeigt einige interessante
Eigentümlichkeiten. Überall ist es ein geschichtetes Pflaster-
epithel. Oben jedoch ist es sehr dick und sendet von der tief-
gelegenen Fläche in die darunter liegenden Schichten zahlreiche
Zapfen und feste Kämme von Epithelzellen aus, deren Grenzen
wenig sichtbar sind, die aber mit grossen chromatinreichen
deutlich erkenntlichen Kernen ausgestattet sind. Dieses Aussehen
des Epithels setzt sich weit nach unten fort; es hört an der
Stelle auf, an der die Ausführungsgänge sehr weit werden. Hier
trifft man ein dünnes geschichtetes Pflasterepithel.
Entwicklung.
Gallus gallus.
Für das Studium der Entwicklung der Bürzeldrüse beim
Huhn habe ich mich auf natürlichem Wege entwickelter Em-
bryonen und aus im Thermostat ausgebrüteten Eiern erhaltener
Embryonen bedient. Der einzige Unterschied, den ich bei den
beiden Beobachtungsreihen gefunden habe, ist eine gewisse Be-
schleunigung in der Entwicklung der künstlich ausgebrüteten
Eier, die am Ende ungefähr 24 Stunden erreicht. Das steht
vielleicht im Zusammenhang mit der grösseren Regelmässigkeit
in der Erwärmung.
Nach Kossmann und Orlandi tritt die erste Anlage der
Drüse am zehnten Tage in Form von zwei Einstülpungen der
Epidermis auf, an «deren Bildung sämtliche Schichten derselben
teilnehmen. Nach Kossmann wäre in derselben eine aus einer
oder zwei Reihen von polyedrischen Zellen mit deutlichen Kernen
gebildete Hornschicht und eine tiefgelegene, der Malpighischen
entsprechende aus drei oder vier Lagen von Zellen zu unter-
scheiden, die in der untersten Lage zylindrisch, mehr nach der
Oberfläche hin abgeplattet sind. Orlandi hingegen beschreibt
die Epidermis als durch eine einzige Reihe deutlich unterschiedener
zylindrischer Zellen gebildet und an Stelle der Hornschicht eine
» Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 3053
dünne Schicht, in der man noch keine deutliche Abgrenzung der
Zellen wahrnimmt, während die Differenzierung bei Embryonen
von 15 Tagen Brutzeit höchst ersichtlich wird.
Die beiden Einstülpungen nehmen immer mehr zu und be-
ginnen am 13. bis 14. Tage (Orlandi) oder am 16. Tage (Koss-
mann) dem Drüsengewebe den Ursprung zu geben. In ver-
schiedenen Stellen proliferiert die äussere Schicht der Epidermis-
bekleidung der Höhle und bildet feste Knospen, die sich dann
stufenweise aushöhlen und zahlreiche Verästelungen aussenden,
die sich eng aneinander legen. Am 18. Tag sind viele dieser
Knospen schon hohl und die Struktur ihres Epithels nähert sich
sehr dem des ausgewachsenen Individuums, da die Wände dieser
Schläuche in ihrem zentralen Teil durch grosse, längliche, poly-
edrische Zellen gebildet sind, die einen deutlichen Kern besitzen
und zur Bildung jener dicken sezernierenden, den engen inneren
Gang begrenzenden Schicht eng aneinander geschlossen sind und
an der Peripherie durch zahlreiche, aber noch undeutliche Zellen,
von denen nur die grossen Kerne ersichtlich sind (Orlandi).
Pilliet hat die Entwicklung der Bürzeldrüse unter dem
Gesichtspunkt der entstehenden Drüsenform betrachtet und schliesst
mit der Behauptung, dass die Drüse aus zwei Epithelknöpfen be-
ginnt, von denen kurze geschwollene Verästelungen abgehen, von
welchen eine jede sich unter Bildung eines sehr tiefen zylindrischen
Schlauches streckt. Sowohl Pilliet als Orlandi ziehen aus
dem Studium der Entwicklung Argumente zugunsten der von
ihnen inbezug auf die Form der Drüse verfochtenen Thesen, in-
dem der eine sie als einen besonderen Typus (glande ä tube
composee), der andere als einen Komplex verästelter Schlauch-
drüsen anspricht.
Durch meine Untersuchungen bin ich zu etwas verschiedenen
Ergebnissen gelangt. Schon gegen die Hälfte des neunten Tages
können wir einige Modifikationen der Epidermis an der Stelle,
wo sich die Drüse entwickeln wird, wahrnehmen. Das Hornblatt
ist in diesem Stadium wirklich didermisch und besteht aus einer
oberen ‚Schicht von platt gedrückten Zellen mit gut sicht-
barem Kern und ziemlich scharfen polygonalen Umrissen und aus
einer unteren Schicht von zylindrischen Zellen. Das heisst,
es findet sich die gewöhnliche Struktur der embryonalen Epi-
dermis, wie sie von Krause beschrieben wird, nach dem in
304 Bernardino Lunghetti:
derselben zwei Schichten zu unterscheiden sind: eine untere
und eine obere oder Periderma (Mehnertsches Telo-
derma). Die erste Veränderung, die man wahrnimmt, betrifft
eben die untere Schicht, deren Zellen höher werden, und
die Schicht erlangt eine grössere Dicke. Die bis jetzt ebene
Region sinkt ein und am zehnten Tage haben sich an den Seiten
der Mittellinie zwei längliche Vertiefungen gebildet, die mit
ihrem hinteren Ende einander sehr nahe, mit dem vorderen von
einander abgerückt sind. Gleichzeitig hebt sich die Region nach
Art eines kleinen Wulstes empor. Die Wände dieser beiden
Grübchen sind vollständig glatt und mit einem Epithel ausge-
kleidet, das alle Eigenschaften des Hautepithels besizt. Auf dem
Boden jedoch ist die Schicht der zylindrischen Zellen bedeutend
dicker als an den Wänden. Diese Einsenkungen vertiefen sich
immer mehr, während ihre Ränder sich emporheben und einander
nähern, bis sie, in Kontakt gekommen, sich verlöten, derart über
die beiden Grübchen eine Art Gewölbe bildend. Dies ist jedoch
nur in dem vorderen Teil der Fall, nach hinten kommunizieren
die Höhlungen weiter nach aussen, und in diesem Punkte ent-
wickeln sich auf den Rändern der Vertiefung die Keime der
Zitzenfedern.
In der Folge (zwölfter Tag) bemerkt man wichtige Ände-
rungen in dem Bekleidungsepithel. In: der Tat beginnen die
zylindrischen Zellen an verschiedenen Stellen in der Wand dieser
primären Säcke aktiv zu proliferieren und bilden feste
Knospen von polygonalen Epithelzellen, die sich mitten in das
umliegende embryonale Bindegewebe einschieben Ich bemerke
sogleich, dass diese Knospen keine rundlichen Höcker, sondern
echte, mehr oder weniger ausgebildete Kämme sind (Fig. 7).
Diesen Knospungen entsprechend erhält sich die innere Wand
der primären Säcke zuerst ganz eben und die Knospe ist voll-
kommen fest. Die Aushöhlung bildet sich später in besonderer
Weise.
Gleichzeitig mit der Bildung dieser grossen Knospen erfährt
das Epithel Veränderungen in seiner Struktur und nimmt alle
Eigenschaften des geschichteten Pflasterepithels an. Im Ganzen
wird es viel dicker und besteht aus mehreren Schichten von
Zellen, von denen die tiefstgelegenen wenig sichtbare polygonale
Form und einen grossen rundlichen Kern besitzen. Nach den
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 305
oberflächlichen Schichten hin werden sie immer mehr abge-
plattet, bis diejenigen, welche unmittelbar die Wand des primären
Sackes begrenzen, lamellär und in Aufblätterung begriffen sind.
Gegen den 14. Tag beginnen die bisher vollkommen festen
Knospen sich auszuhöhlen. Dies geschieht nicht etwa, weil die
zentralen Zellen eine Fettentartung erfuhren, wie gemeiniglich
behauptet wird, sondern weil, während zuerst sich in dem Innern
der Knospen nur die untersten Schichten des Epithels befinden,
Fig. 5.
Fig. 6.
später infolge des peripheren Wachstums derselben sich auch die
mehr oberflächlichen Schichten in sie einschieben, welche dann
den Hohlraum begrenzen, der sich so stufenweise in der Knospe
gebildete hat. Wenn die Knospen sich vollständig ausgehöhlt
haben, finden wir, dass sich an den Wänden der primären Säcke
zahlreiche sekundäre, nach Form und Weite unregelmässige
Taschen gebildet haben. Aus diesen wird der Schwammabschnitt
hervorgehen, dessen Aussehen also seine Erklärung in der Ent-
wicklungsweise findet.
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 307
Diese Knospen, die wir als primäre bezeichnen werden,
können einfach oder leicht verzweigt sein, stets jedoch sind sie
sehr gross und von einer weiteren Erzeugung von Epithelzapfen
zu unterscheiden, aus denen die Drüsenschläuche ihren Ursprung
nehmen. Diese beginnen gegen den 15. Tag aufzutreten, wenn
die primären Knospen erst zum Teil ausgehöhlt sind. Sie haben
das Aussehen von kleinen festen Epithelknöpfen, die durch Zellen
mit wenig sichtbaren Umrissen und grossem vesikulären Kern
gebildet sind. Sie wachsen sehr rasch an Zahl und drängen sich
eng aneinander, indem sie diese Eigenschaften bis zum Verlassen
des Eies beibehalten. Sobald das Kücken aus dem Ei ausge-
krochen ist, erfahren dieselben bedeutende Modifikationen, wo-
durch die Drüse ein anderes Aussehen bekommt. Die Anlagen
der Drüsenschläuche, die bisher feine zylindrische fingerförmige,
gruppenweise von den primären Knospen sich abtrennende
(Gliederungen waren, werden grösser und zwar deshalb, weil sich
in ihrem Innern ein Lumen zu bilden beginnt. Diese Bildung
setzt in ihrem proximalen Ende ein, und das Lumen entsteht
nicht etwa infolge Auflösung und Sekretbildung der Zellen, sondern
zum grössten Teil infolge des ‘gleichen Prozesses, mit dem die
primären Knospen sich ausgehöhlt haben.
In der Tat ordnen sich die Zellen des proximalen Endes
der Schläuche an ihren Wänden zur Bildung eines Pflasterepithels
mit verhornten oberflächlichen Schichten, welche ein feines, zen-
trales Lumen begrenzen. Gleichzeitig wird dieser Teil des
Schlauches bedeutend dicker als der periphere. Dieser behält
noch eine gewisse Zeit lang die embryonalen Eigenschaften bei
und wächst weiter peripheriewärts an. Am 15. Lebenstage sind
die Schläuche fast vollständig durchgängig: ausserdem beginnt
man in ihrem Epithel Sekretbildung zu bemerken.
Das Sekret erscheint in Form von winzigen Fetttropfen, die
sich in den Zellen der mittleren Schichten des Epithels gebildet
haben (Tafel XII, Fig. 6), die polygonale Form besitzen und zu
der Malpighischen Schicht gehören. Die Hornschicht wird
so gänzlich isoliert und fällt in das Schlauchinnere, wo sie einen
bräunlichen Detritus bildet. Diese Erscheinungen sind schon am
achten Tage augenscheinlich, an welchem die Fetttropfen in grosser
Zahl auftreten und man in vielen Zellen des Epithels schon das
Protoplasmanetzwerk wahrnimmt.
308 Bernardino Lunghetti:
Diese Modifikationen trifft man zum Teil auch in den
Wänden der Grübchen der Schwammportion; hier jedoch schreiten
die Erscheinungen viel langsamer fort. In der Tat hat auch bei
einen Monat alten Kücken das Epithel dieses Teiles in seiner
Gesamtheit eine dunklere Färbung als das der Schläuche: und
die es zusammensetzenden Zellen sind kleiner und körniger als
die der Schläuche. Erst beim Ausgewachsenen nimmt es Drüsen-
struktur und Funktion an.
Fassen wir das Gesagte in wenigen Worten zusammen, so
können wir die Entwicklung der Bürzeldrüse beim Huhn schematisch
in drei Hauptphasen einteilen, die selbstverständlich etwas unter
einander verschmelzen:
1. Es bilden sich die beiden primären Einbuchtungen in
Fiascoform, aus denen der Drüsenhohlraum hervorgeht.
2. Aus den Wänden derselben bilden sich
zahlreiche grosse, unregelmässige Knospen
nach Art von Kämmen, die zuerst fest sind
und dann hohl werden, und aus denen die
Schwammportion hervorgehen wird.
35. Aus diesen primären Knospen ent-
stehen weitere sekundäre kleinere Knospen
die gleichfalls zuerst fest sind und die den
Drüsenschläuchen den Ursprung geben werden.
Passer.
Wie man begreift, habe ich mich für diesen Teil meiner
Untersuchungen dadurch erzielter Embryonen bedienen müssen,
dass ich in verschiedenen Nestern, die ich mir habe verschaffen
können, vorgefundene Eier öffnete. Es ist mir deshalb nicht
möglich gewesen, genau das Alter der untersuchten Entwicklungs-
stufen zu bestimmen und habe ich mich darauf beschränken
müssen, die Aufeinanderfolge festzusetzen, indem ich mich dabei
auf die grössere oder geringere Entwicklung des ganzen Embryos
und seiner am meisten sichtbaren Organe stützte. Nur in einem
Fall gelang es, in der Brutmaschine die Ausbrütung einiger Eier
des Genus Sylvia zu erreichen, und die dadurch erlangten Jungen
waren mir von grösstem Nutzen.
Auch beim Sperling und den verwandten Vögeln gibt sich
die erste Anlage der Bürzeldrüse in Form von zwei weiten, an
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 309
den Seiten der Mittellinie gelegenen Einsenkungen kund. Diese
Einsenkungen haben vollkommen glatte Wände und sind mit
einer nicht modifizierten (oder nur etwas dickeren) Epidermis
ausgekleidet, welche die gleichen Eigenschaften der beim Huhn
beobachteten besitzt. Von den Einstülpungen beim Huhn weichen
sie jedoch dadurch ab, dass sie weniger tief und nach aussen
Fig. 10.
weiter offen sind. Diese Einsenkungen vertiefen sich in der
Folge und ihre Ränder nähern sich, indem sie sich emporheben,
einander und streben sich zu verschmelzen, was jedoch erst sehr
spät erfolgt. Auf dieser Stufe hat die Drüsenanlage das Aus-
sehen von zwei parallel zu der Hautoberfläche gelegenen feinen
Spalten angenommen, die leicht gewölbt sind und mit der Kon-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 21
310 | Bernardino Lunghetti:
kavität nach unten und nach aussen vermittelst einer länglichen
in ihrer Wölbung angebrachten Öffnung kommunizieren. Gleich-
zeitig sehen wir, dass von diesen primären Einbuchtungen sich
zahlreiche grosse und fast von Beginn an hohle Ausstülpungen
ablösen, welche mit einem geschwellten, rundlichen Ende ab-
schliessen. Im Gegensatz zum Huhn jedoch trennen sich diese
Abzweigungen nur von den Rändern der primären Einbuchtung
ab, namentlich vom Aussenrand, insofern vom Innenrand nur
kleine und spärliche Zapfen abgehen. Keinen sieht man aus
dem Boden hervorgehen. Das Epithel, welches den primären
Hohlraum und seine Ausstülpungen bekleidet, hat das ursprüng-
liche Aussehen verloren und ist in ein geschichtetes Pflaster-
epithel übergegangen, dessen oberflächliche Schichten in Auf-
blätterung begriffen sind.
Bei fortschreitender Entwicklung sieht man, dass aus diesen
Ausstülpungen, die immer mehr an Zahl und Umfang zunehmen,
eine grosse Menge fester Epithelknöpfe hervorgeht in Form von
mehr oder weniger langen Zylindern, die in der Folge in Drüsen-
schläuche übergehen. In der Zwischenzeit erfährt auch der
Hohlraum Änderungen. Die Ränder der primären Einsenkungen
haben sich fast vollständig verlötet, und die Kommunikation nach
aussen erfolgt nur vermittelst zwei feiner Öffnungen, die die
Kuppe einer kleinen halbkugeligen, die Anlage der Zitze dar-
stellenden Erhöhung einnehmen. Während jedoch alle Teile der
Drüse zunehmen, verbleibt die Höhlung fast stationär und kommt
in das Innere der Zitze unterhalb der Epidermis zu liegen. Diese
Erscheinungen sind beim Verlassen des Eies höchst evident.
Bei jungen, ungefähr einen Monat alten Sperlingen hat die
Drüse schon eine äussere Konformation angenommen, die der
des ausgewachsenen Sperlings sehr ähnlich ist. Innerlich jedoch
besitzt sie eine Konstitution, die von dieser stark abweicht, in-
dem sie noch eine embryonäre Disposition wiedergibt. Die beiden
primären Höhlungen nehmen die Mitte der Zitze ein, welche
schon vesikuläres Aussehen angenommen hat Sie sind klein,
rundlich. Von ihren Wänden, namentlich von der äusseren, gehen
zahlreiche Gänge ab, die, sich vertiefend, gegen die Drüse sehr
weit werden und von einander durch ‘dünne Scheidewände ge-
trennt sind. Ein jeder von diesen Gängen nimmt zahlreiche
Drüsenschläuche auf, welche schon eine der des ausgewachsenen
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. all
Sperlings sehr nahe kommende Struktur haben. In diesem
Stadium fehlt also im Zentrum der Drüse der weite Hohlraum,
den wir in dem vollkommen entwickelten Organ antreffen. Die
Bildung desselben erfolgt viel später infolge Verschwindens der
Scheidewände, welche die sekundären Gänge von einander
trennen. Das jedoch, was beim ausgewachsenen Individuum ver-
bleibt, ist die untere Wand der primären Höhlung, welch
jene den Hohlraum der Zitze von dem der Drüse trennende
Scheidewand zu bilden scheint.
su Rn
a *
*
ö
Nachdem wir so die Bürzeldrüse in verschiedenen Vogel-
arten untersucht und ihre Entwicklung bei zwei höchst ver-
schiedenen Arten verfolgt haben, wollen wir zusehen, ob es möglich
ist, einige Schlüsse inbezug auf die Art, wie die innerste Kon-
stitution der Drüse aufzufassen ist, zu ziehen, und ob es möglich
ist, die mannigfachen beobachteten Formen auf eine Grundform
zurückzuführen.
Zunächst geht aus meinen Untersuchungen hervor, dass die
Bürzeldrüse auf keine der gewöhnlichen Drüsentypen zurück-
geführt werden kann. Es ist somit die schon von Pilliet auf-
gestellte Ansicht bestätigt, der sogar, wie schon erwähnt, aus der
Bürzeldrüse (im Verein mit wenigen anderen Beispielen) einen
Drüsentypus für sich machen möchte, dem dieser Autor den Namen
einer glande a tube compos&e gegeben haben würde.
Inbezug auf die innerste Konstitution des Organs ist be-
kannt, dass Gegenbaur seit langer Zeit die Ansicht aufgestellt
hat, dass in demselben „eine grössere Summe ursprünglich selb-
ständiger Drüsen“ zu erblicken sei, welche „zu einem gemein-
samen Organ sich vereinigt hätten.“ Neuerdings schloss Orlandi
bei Betrachtung der Drüse des ausgewachsenen Huhns unter
diesem Gesichtspunkt, auf Grund einiger beobachteten Erschei-
nungen, dass die Drüse wirklich als aus zahlreichen einfachen
verzweigten Schlauchdrüsen hervorgehend angesehen werden könne.
Aus den von uns gemachten Beobachtungen ergibt sich, dass
in der Tat bei vielen Vögeln (Limosa, Strix) die Drüse aus zahl-
reichen sekundären, in zwei Hauptausführungsgängen konver-
gierenden Drüsen gebildet ist, von denen eine jede aus einer
kleinen Gruppe von Drüsenschläuchen besteht, welche in einen
21*
312 Bernardino Lunghetti:
höhlungsartig erweiterten Ausführungsgang (sekundärer Aus-
führungsgang) münden. Eine jede von diesen Drüsen lässt sich
vergleichen mit einigen von Schwalbe im äusseren Gehörgang
beim Huhn und von Oppel in der Magenschleimhaut dieses
‚Vogels beschriebenen Drüsenformen; ebenso zeigen sie Berührungs-
punkte mit den von Batelli und Giacomini beschriebenen
Drüsenformen. Die Wände der Ausführungsgänge sind gegen die
Schläuche mit Drüsenepithel bekleidet, gegen die Spitze mit ein-
fachem Bekleidungsepithel: sie schieben sich sehr weit gegen den
zentralen Hohlraum vor, welcher vollständig verschwindet. - Dieser
Drüsentypus (a) ist meines Erachtens wohl als der ursprüngliche
Fig. 11.
anzusehen und zwar nicht nur, weil wir ihn bei den niedersten
Vogelgruppen (Limosa) vorfinden, sondern auch, weil wir ihn bei
einigen Arten (Sperlingsvögel) als Übergangsstufe in der Ent-
wicklung des Organs antreffen.
Von dieser ursprünglichen Form aus gelangt man stufen-
weise zu verschiedenartigen sekundären Formen infolge eines
leicht begreiflichen Prozesses, der im wesentlichen in einer all-
mählichen Verkürzung . der sekundären Ausführungsgänge und
ihrer Scheidewände besteht, welche bewirkt, dass im Zentrum
eines jeden Lappens eine von jeglicher Zwischenwand freie
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 313
Sammelhöhlung (b, Machaetes Larus) entsteht. Wenn dann ’diese
Verkürzung an einen Punkt gelangt ist, wo von den sekundären
Ausführungsgängen nichts als der mit. Drüsenepithel bekleidete
Teil übrig bleibt (Gallus Humida), so können wir innen von der
Schicht der Drüsenschläuche (Schlauchabschnitt) eine zweite
Drüsenschicht von schwammiger Struktur (Schwammabschnitt)
unterscheiden, deren weite unregelmässige Zwischenräume auf
den Wänden des zentralen Hohlraums als ebensoviele mehr oder
weniger tiefe Grübchen sichtbar werden (Fig. 10c).
Schwieriger auf die ursprüngliche Form zurückzuführen ist
der bei der Columba und dem Cuculus beobachtete Drüsentypus.
In dieser Hinsicht darf man jedoch annehmen, dass der Schlauch-
teil der Drüse sich fast garnicht entwickelt habe und nur die
Sackgassen der (der Schwammportion entsprechenden) sekundären
Ausführungsgänge vorhanden sind, welche die Funktion der
Sekretbereitung übernommen haben.')
Ein augenscheinlich involvierter Typus ist der bei den
Sperlingsvögeln beobachtete, und’ zwar nicht nur weil bei der-
selben eine enge Verschmelzung der Lappen in einen medianen
Lappen unter erheblicher Volumenverminderung der Drüse statt-
gefunden hat, sondern weil die Schläuche und ihr Epithel eine
bedeutend einfachere Konstitution zeigen als die der Vögel ist,
bei denen die Drüse eine höchst aktive Funktion vollführt.
Zusammenfassende Schlussbemerkungen.
1. Die Bürzeldrüse zeigt sich sehr verschiedenartig gebildet
und es lassen sich in ihr eine primäre Form und weitere abge-
leitete unterscheiden. Erstere resultiert augenscheinlich aus der
Vereinigung einer grossen Anzahl von sekundären Drüsen. Bei
der zweiten ist eine derartige Unterscheidung nicht mehr offen-
bar. Keine von diesen Drüsen lässt sich auf die gewöhnlichen
‚Drüsentypen zurückführen.
2. Die Drüse besteht immer aus zwei gleichen Lappen, die
bei einigen Arten (Anas, Machaetes, Limosa, Cuculus) deutlich
!) Dies vielleicht in Zusammenhang mit einer Involution des Organs,
die in besonderem Masse bei den Tauben bemerkbar ist, von denen viele
Varietäten drüsenlos sind (Darwin). Auch ich bin in die Lage gekommen,
ein Individuum der untersuchten, normalerweise mit der Drüse versehenen
Art zu beobachten, welches derselben gänzlich entbehrte, ohne dass dadurch
das Gefieder gelitten hätte.
314 Bernardino Lunghetti:
unterschieden und eine gewisse Strecke lang getrennt sind; bei
anderen sind sie aufs engste zusammengeschlossen, aber nicht
verschmolzen (Gallus, Falco, Athene); bei noch anderen endlich
verschmelzen sie zu einem einzigen medianen Lappen, der jedoch
stets auf die ursprüngliche Form zurückgeführt werden kann
(Passer).
3. Im Zentrum eines jeden Lappens befindet sich im allge-
meinen ein Sammelhohlraum, der stets weiter ist bei den aus-
gewachsenen Individuen als bei den jungen. Er fehlt bei einigen
Arten, bei anderen findet sich nur einer, der aus der Vereinigung
der Höhlungen der Lappen resultiert. In jedem Falle ist er als
eine sekundäre auf Verschmelzung der Ausführungsgänge der
sekundären Drüsen zurückzuführende Einrichtung anzusehen.
4. Bei vielen Arten sind die Wände der zentralen Höhlungen
durch zahlreiche nach Form und Tiefe unregelmässige Grübchen
eingenommen, welche die Sackgassen der Ausführungsgänge der
einzelnen sekundären Drüsen sind, auf deren Verschwinden die
Bildung des zentralen Hohlraums beruht.
5. Das Drüsengewebe bildet um den Hohlraum der Lappen
eine Schicht von verschiedentlicher Dieke und kann in zwei nach
ihrer morphologischen Bedeutung und dem Zeitpunkt ihrer Ent-
wicklung verschiedene Zonen unterschieden werden; eine äussere
ausschliesslich aus Schläuchen bestehende Zone (Schlauchabschnitt)
und eine innere unregelmässige durch die Überreste der sekun-
dären Ausführungsgänge gebildete (Schwammabschnitt). Die
beiden Portionen sind in den zwei Arten in verschiedenem
Maße repräsentiert.
6. Das Drüsenepithel besteht aus mehreren Reihen von
Zellen, von denen die äussersten überaus reich sind an Fett-
tropfen und in Auflösung begriffen. Es kann in drei Haupt-
schichten unterschieden werden:
a) unterste Keimschicht,
b) mittlere Übergangsschicht,
c) oberflächliche Auflösungsschicht.
Es kann sehr dick sein (Gallus) und aus drei bis vier Zellen-
reihen bestehen (Passer), wobei es jedoch stets die Unterscheidung
in die drei eben genannten Schichten beibehält. In seiner Dicke
besitzt es zahlreiche Kapillarschlingen.
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 315
7. Die Kapsel bildet eine deutliche Hülle für einen jeden
der Lappen da, wo diese getrennt sind. Sind dieselben hingegen
verschmolzen, so erfährt die Kapsel allmählich dasselbe Schicksal
und bildet zuletzt um die ganze Drüse eine einzige Hülle. Die-
selbe ist ausschliesslich von Bindegewebsnatur und stammt aus
dem Hautderma, in das es sich direkt fortsetzt. Die kontraktilen
Muskelfaserzellen, die man bei vielen Vögeln an der Zitze und
der Verengerung der Lappen antrifft, sind von derselben ganz
und gar unterschieden. Dieselben bilden an der Zitze einen
Schliessmuskel, an der Verengerung der Lappen einen Detrusor-
muskel.
8. Die Zitze kann länglich und dünn, kurz und dick und
zuweilen an der Spitze mit Federn ausgerüstet sein. Bei den
Sperlingsvögeln ist sie kugelförmig, in der Mitte durch zwei
Höhlungen ausgehöhlt, welche ihr ein vesikuläres Aussehen ver-
leihen. Im allgemeinen zeigt sie immer zwei Ausführungsgänge.
Wie die Kapsel ist sie überaus reich an elastischen Fasern.
9. Gefässe und Nerven bilden in dem intertubulären Binde-
gewebe ein reiches Netz, welches die Drüsenschläuche eng um-
spinnt. Von dem Gefässnetz gehen Capillarschlingen ab, welche
in die Dicke des Epithels eindringen. Bei vielen Vögeln be-
merkt man zwischen den Schläuchen und an den Wänden der
zentralen Hohlräume eine gewisse Anzahl von Lymphfollikeln.
10. Beim Huhn geht die Drüse aus zwei Vertiefungen her-
vor, welche zwischen dem neunten und zehnten Tag der Be-
brütung an den Seiten der Mittellinie sichtbar werden, und in
ihrer Entwicklung lassen sich drei Phasen unterscheiden:
a) Bildung von zwei Einbuchtungen in Faserform (primäre
Einbuchtungen), ans denen der Drüsenhohlraum hervor-
gehen wird.
b) Aus den Wänden dieser Einbuchtungen entstehen feste
FEpithelknospen in Form von Kämmen (primäre Knospen),
die sich bald aushöhlen und der Schwammportion den
Ursprung geben.
c) Aus den primären Knospen entstehen dünne lange Epithel-
zapfen (sekundäre Knospen), aus denen sich die Schläuche
bilden werden.
11. Beim Sperling findet man den Unterschied, dass die
primären Einbuchtungen der grösseren Achse gemäss abgeplattet
316 Bernardino Lunghetti:
und bedeutend der Cutis genähert sind und «ass die primären
Knospen nur aus ihren Rändern hervorgehen. Die Drüsenhöhlung
bildet sich durch Verschmelzung der Zwischenräume der Schwamm-
portion; aus den primären Einbuchtungen bilden sich hingegen
die beiden Höhlungen der Zitze.
Anmerkung.
Seit geraumer Zeit schon hatte ich diese Untersuchungen
zu Ende geführt und kurz darüber auf der vom 5. bis 10. April
1905 in Portoferraio gehaltenen Zusammenkunft der italienischen
zoologischen Vereinigung berichtet, als ich Gelegenheit hatte, im
zweiten Heft des Arch. f. mikr. Anatomie und Entwicklungs-
geschichte (11. Mai 1905) eine Arbeit der Frau Stern mit dem
Titel „Histologische Beiträge zur Sekretion der Bürzeldrüse“ zu
lesen. Obschon sich nun Frau Stern in derselben nur mit dem
Sekretionsprozess der Bürzeldrüse der Ente beschäftigt, über den
ich infolge des Charakters meiner Arbeit gezwungen gewesen bin
hinwegzugehen, so halte ich es doch für angebracht, bei dieser
Gelegenheit folgende Beobachtungen zu machen.
Die Unterscheidung in drei Zonen, die Frau Stern bei dem
Drüsengewebe der Ente macht, ist durchaus verschieden von der
von mir geübten in Schwammabschnitt und Schlauchabschnitt.
Ersterer beruht auf der Verschiedenheit der chemischen und
chromatischen Eigenschaften der verschiedenen Teile des Drüsen-
gewebes, die zweite hingegen auf rein morphologischen Eigen-
schaften.
Was dann die Struktur dieser verschiedenen Teile angeht, so
ist die von Frau Stern davon gegebene Beschreibung beinahe iden-
- tisch mit der von mir in meiner ersten Mitteilung, die ich über
diesen Gegenstand im Jahre 1892 veröffentlichte, davon ge-
lieferten und dann in der Folge bestätigten Schilderung. In
derselben rückte ich in der Tat die verschiedenen Eigenschaften
der verschiedenartigen Epithelschichten, das Netzwerk im Zellen-
protoplasma und verschiedenartige sonstige Eigentümlichkeiten
ins Licht.
Ebenso stimmen unsere Forschungen in der Annahme
überein, dass der der Drüsenhöhlung nächstgelegene Teil der
Schläuche durch ein Epithel bekleidet ist, das viel dünner ist
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 317
als das des Bodens der Schläuche. Recht verschieden hingegen
sind die Schlüsse, die wir daraus gezogen haben. Hat doch Frau
Stern, nachdem sie beobachtet hatte, dass an diesen Stellen das
Lumen des Schlauches weiter ist und eine grössere Menge Sekret
enthält, angenommen, die Dünnheit des Epithels sei auf eine
stärkere Zellenzerstörung zurückzuführen. Ich im Gegenteil
deutete, gestüzt auf die Untersuchung zahlreicher Vogelarten, bei
denen es augenscheinlich ist, dass dieser Abschnitt der Schläuche
durchaus keine Drüsenfunktion besitzt, diesen Teil des Schlauches
als einen einfachen Ausführungsgang. Diese Ansicht scheint mir
auch in vollkommener Übereinstimmung mit dem allgemeinen
Prinzip der Physiologie zu sein, nach dem mit einer stärkeren
Funktionalität (wie sie eben von Frau Stern beim Epithel dieses
Abschnittes der Schläuche angenommen wird) auch eine stärkere
Entwicklung der funktionierenden Entität Hand in Hand gehen
muss; während in unserem Falle ganz das Gegenteil statt hätte.
Was endlich die verschiedenartigen, von Frau Stern im
Innern der Epithelzellen beschriebenen Körnchenarten angeht, so
kann ich mich in dieser Hinsicht nicht äussern, da die von uns
verwandten Untersuchungsmethoden grundverschieden sind. Ich
werde mich daher darauf beschränken, zu bemerken, dass schon
Pilliet mitgeteilt hatte, dass die im Innern der Epithelzellen
angetroffenen Sekrettropfen nicht von Fettnatur waren; und dass
ch infolge der erzielten Reaktionen diese Behauptung nur für
Zellen der untersten Schichten bestätigt hatte.
Am Schlusse dieser Untersuchungen erfülle ich die angenehme
Pflicht, den Herren Prof. Bianchi und Prof. Ruffini für die
Hospitalität und Ratschläge, mit denen sie mir in der zuvor-
kommendsten Weise entgegengekommen sind, meinen Dank aus-
zusprechen: wie auch Herrn Arrighi-Griffoli, dessen Liebens-
würdigkeit ich einen grossen Teil des Untersuchungsmaterials
verdanke. '
318
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
[1
1
Bernardino Lunghetti:
Erklärung der Tafeln XI und XII.
Tafel XI.
Längsschnitt durch die Bürzeldrüse des Huhns, bei geringer Vergrösse-
rung gesehen. c.e. = Ausführungsgang; caps = Faserkapsel; cav =
Sammelhöhlung, um die herum man die Scheidewände der Schwamm-
portion und die schrägen Schnitte der Drüsenschläuche sieht.
Färbung: Hämatoxylin, Eosin.
Gruppe von Zellen der Mittelschicht bei starker Vergrösserung, bei
denen das Protoplasmanetzwerk deutlich sichtbar ist. In einigen
Kernen bemerkt man Anzeichen beginnender Alteration. Safranin.
Drei Drüsenschläuche mit dem Netzwerk aus Nervenfasern. Methode
Golgi-Cajal. Reichert Oec. 2, Ob. 2.
Schräger Schnitt durch einen Drüsenschlauch des Huhns, in
Flemmingscher Lösung fixiert und mit Safranin gefärbt. Die ober-
flächlichen Zellen erscheinen angefüllt mit Fettropfen. Koristka
Ve.’t, Ob. 8.
Längsschnitt durch die Bürzeldrüse eines ungefähr einen Monat alten
Hühnchens. Färbung nach von Gieson. In der Zitze (cap) sieht
man die gelbgefärbten Muskelbündel eingebettet in das rotgefärbte
Bindegewebe. Im Drüsengewebe bemerkt man die verschiedene
Färbung des Epithels der Drüsenschläuche im Vergleich zu dem
der Schwammportion. Reichert Oc. 1, Ob. 2.
Capillarschlinge der Taube injiziert mit Berlinerblaugelatine. Koristka
0e1,0b.8%
Tafel XI.
Gruppe von Drüsenschläuchen des Huhns mit ihrem Capillarnetzwerk.
Methode Golgi-Cajal. Koristka Oc. 2, Ob. 2.
Längsschnitt der Drüse der Tanbe bei geringer Vergrösserung.
Färbung nach Calleja. Bezeichnung wie in Fig. 1, Tafel XI.
Gruppe von Drüsenschläuchen des Sperlings, zum Nachweis des
verschiedenen Aussehens des Epithels im Vergleich zu dem des
Huhns im Querschnitt gesehen. Safranin. Koristka Oc. 3, Ob. 8*.
Drüsenepithel der Taube, in dessen Dicke man eine längsdurch-
schnittene Capillarschlinge (a. c.) und links von derselben zwei
weitere transversal durchschnittene bemerkt. Koristka Oc. 3, Ob. 8*.
Längsschnitt durch einen Lappen der Drüse des Käuzchens. Bezeich-
nungen wie bei Fig.2. Gegen den Grund des Lappens sieht man
die Schnitte der Drüsenschläuche, gegen den Ausführungsgang liegt
die Schwammportion.
Schräger Schnitt durch einen Drüsenschlauch eines fünf Tage alten
Hühnchens, in dessen Zellen man die ersten Sekrettropfen sieht.
Koristka Oc. 3, Ob. 8*.
Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 319
Erklärung der in dem Text eingeschalteten Figuren.
Fig. 1. Bürzeldrüse des Huhns im Längsschnitt und bei geringer Ver-
grösserung, welche die charakteristische Gestaltung der zentralen
Höhlungen der Lappen zeigt.
Fig. 2. Dasselbe bei der Taube.
Fig. 3. Längsschnitt durch die Bürzeldrüse von Luscinia, bei geringer Ver-
grösserung gesehen. ca = Zitze mit ihren beiden Höhlungen;
cav — Drüsenhöhlung, in der man inmitten von Sekretansammlungen
die Überreste der Scheidewände der Schwammportion sieht. s. i. —
Überreste der Zwischenlappenscheidewand.
Fig. 4—4'. Querschnitte durch die Bürzeldrüse von Strix flammea, in ver-
schiedener Höhe von der Zitze gegen den Drüsenkörper hin geführt,
welche das Verhalten der Ausführungsgänge zeigen.
Fig. 5. Plastische Rekonstruktion der Bürzeldrüse des Huhns am zehnten
Tage der Entwicklung.
Fig. 6. Plastische Rekonstruktion der Bürzeldrüse des Huhns am 14. Tage
der Entwicklung, bei der die Bildung der Drüsenkämme schon
deutlich sichtbar ist.
Fig. 7. Querschnitte durch der Bürzeldrüse des Huhns in verschiedenen Ent-
wicklungsstufen und bei verschiedener Vergrösserung gesehen.
2),9. Tag, b) I1..Tag ete., c) 13. Tag, d)- 15. Tag, e) 19. Tag,
f) 21. Tag.
Fig. 8. Schema der Entwicklung der Bürzeldrüse beim Huhn.
Fig. 9. Entwicklung der Bürzeldrüse beim Sperling (halbschematisch).
Fig. 10. Plastische Rekonstruktion der Bürzeldrüse von Passer.
'Fig.11. Schemata der verschiedenen Formen der Bürzeldrüse. a) Limosa,
b) Ente, ce) Huhn, d) Taube.
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322
Aus dem pathologisch-anatomischen Institut in Wien.
Vorstand: Prof. Weichselbaum.
Über die Chromreaktion der Glandula coccygea
und die Beziehungen dieser Drüse zum
Nervus sympathicus.
Von
Privatdoz. Dr, Oskar Stoerk.
Mit zwei Textfiguren.
Dr. Thomson Walker beschäftigte sich 1897—1898 als Hospitant
des Wiener pathologisch-anatomischen Instituts unter meiner Anleitung mit
der normalen Anatomie und Histologie der Steissdrüse. Das zwei Jahre nach
Walkers Abgange aus dem Institute in London fertiggestellte Manuskript
kam infolge von Verzögerung durch äussere Umstände erst 1902 zur Über-
setzung aus dem Englischen und schliesslich 1904 zur Drucklegung.!) Dem
Originalmanuskript wurde (mit Ausnahme der Anmerkung über die Langer-
hansschen Zellhaufen S. 153) nichts Wesentliches hinzugefügt.
Die Angabe dieser Daten sei mit Rücksicht auf das Folgende ent-
schuldigt. Im „Anatomischen Anzeiger“ (25. Bd., S. 209—216, 27. Juli 1904)
veröffentlichte nämlich A. Schaper „Einige Bemerkungen über das Wesen
und die morphologische Stellung der Glandula coceygea (Glomus coceygeum),“
deren Inhalt eine Kritik der Walkerschen Arbeit bildet — in dem Sinne,
dass deren histologische Befunde zwar „manches Neue bringen,“ dass aber
das Kapitel über das Wesen der Drüse in einigen Punkten der Ergänzung
bedürfe. Die morphologische Übereinstimmung, welche Walker zwischen
der Glandula coceygea und anderen „Drüsen ohne Ausführungsgang“ zu
konstatieren suchte, könne ausschliesslich für eine derselben, die Carotica,
Geltung haben; „eine eingehendere Benutzung der spezielleren Literatur
über diesen Gegenstand“ würde diesbezüglich Walker „auf etwas sicherere
Wege geführt haben.“ Diese speziellere Literatur der Carotica ist nach
Schaper: Schaper (1892)°?), Stilling (Rec. de l’univ. Lausanne 1892),
Kohn (1900)°). Die beiden letzteren Autoren haben in der Carotica
chromaffine Zellen nachweisen können, Kohn habe auch die histogenetische
Beziehung der Carotica zum Sympathicus dargelegt, das gleiche Jacobsson
(1899) °) für die Coceygea, Walker jedoch die Prütung der Chromreaktion
1) „Über die menschliche Steissdrüse.* Archiv f. mikroskop. Anatomie.
Bd. 64 (1904), S. 121.
2) Archiv. f. mikroskop. Anatomie, Bd, 40, S. 287,
3) Dasselbe Archiv, Bd. 56, S. 263.
*) Dasselbe Archiv, Bd. 53, S. 78.
Über die Chromreaktion der Glandula coceygea ete. 323
für die Coceygea unterlassen, und darum sei es noch nicht möglich, „ohne
jedes Bedenken die Steissdrüse als eine Schwesterdrüse der Carotisdrüse zu
bezeichnen und mit ihr in die Gruppe der Paraganglien einzuordnen.“
In einem „P. S.“ der Mitteilung Schapers heisst es dann, er habe
„erst nach Drucklegung des Vorstehenden ...... bei nochmaliger Einsicht
der Walkerschen Arbeit“ die Anmerkung Walkers (auf der ersten Seite)
gelesen, nämlich: „Aus äusseren Gründen hat sich die Drucklegung des
Manuskriptes dieser Arbeit um mehr als zwei Jahre verzögert. Ich wäre
seinerzeit nicht darauf verfallen, mich mit der Frage der Chromaffinität
der Coccygea zu beschäftigen, ich behalte mir vor, auf diese nunmehr aktuelle
Frage später einmal einzugehen.“ Wenn auch Schaper bezüglich des
„seinerzeit“ nicht wissen konnte, dass „mehr als zwei Jahre“ tatsächlich
einer Verzögerung von sieben Jahren entsprochen hatte, hätte er doch auf
die eben zitierte Bemerkung Walkers hin (Schapers Veröffentlichung
erfolgte etwa ein halbes Jahr nach dem Erscheinen der Arbeit Walkers)
demselben noch Frist gewähren können, das Versprechen bezüglich der
Chromaffinitätsprüfung einzulösen. Damit wäre Schapers Mitteilung
eigentlich gegenstandslos geworden; wenn er Walkers Arbeit ergänzen
zu können glaubte, so wäre vielleicht zu erwarten gewesen, dass er selbst
etwas Positives über die Chromaffinität der Coceygea auszusagen gewusst
hätte und damit hätte er sich auch die Aufstellung der (vor ihm schon
durch Kohn formulierten) Hypothese erspart, die wohl so ziemlich das
einzig Wesentliche des Inhaltes seiner Mitteilung darstellt: „Heute schon
scheint es mir auf Grund der bisher bereits aufgedeckten Tatsachen über
die Entwicklung und Struktur der Steissdrüse kaum noch zweifelhaft, dass
die typischen Zellen derselben sich als chromaffine Elemente entpuppen
werden.“ Wir können aus dem folgenden vorwegnehmen, dass sich diese
Voraussage nicht erfüllt hat. Hiermit sei der Hauptsache nach die Er-
widerung an Schaper beendet. Im folgenden soll über die Ergebnisse
der im Titel gekennzeichneten Untersuchungen berichtet werden, welche im
Einverständnis mit Walker aufgenommen wurden, nachdem Walker selbst
(derzeit Vorstand eines chirurgischen Spitals in London) nicht in der Lage
war, sich mit wünschenswerter Beschleunigung dem Thema zu widmen.
Es erscheint angezeigt, einleitend in aller Kürze die Entwicklung der
Kenntnis der Chromreaktion zu skizzieren. (Ausführl. diesbezügl. Kohn,
das chromaffine Gewebe, Ergebn. der Anat. u. Entw., 1902, S. 254.) Seit ihrer
Entdeckung durch Henle an den Markzellen der Nebenniere (1865) hat sie
sich, wie man nunmehr wohl schon sagen darf, geradezu als eine spezifische
Reaktion für eine bestimmte Gewebsart erwiesen, welche in histogenetischer
Beziehung zum Sympathicus steht. Als die wichtigsten Etappen dieser
Erkenntnis seien nur die folgenden angeführt. Stilling hat (1892) die
Cbromreaktion an Zellen der Glandula intercarotica beobachtet, ferner bei
Hund, Katze und Kaninchen (menschliches Material stand ihm in erforderlicher
!) Du Ganglion intercarotidien, l. c.; aus Prioritätsgründen ausführlich
zitiert in „Die chromophilen Zellen und Körperchen des Sympathicus“ des-
selben Autors, Anat. Anzeiger, 31. Dez, 1898, S. 229.
324 Oskar Stoerk:
Frische post mortem nicht zur Verfügung) analoge Zellgruppen in den
Bauchganglien des Sympathicus, sowie aus solchen Zellen bestehende
Körperchen, namentlich in der Nachbarschaft der Semilunarganglien.
A. Kohn hat sich dann (1898 und die folgenden Jahre) unabhängig von
Stillings Untersuchungen der Frage gewidmet und seinen Arbeiten ist die
Auffassung der Gesamtheit der chromaffinen Zellen, Gewebe und Organe
als eines Einheitlichen, eines Systems im Einzelindividuum wie in der Tier-
reihe zu danken.
Zur Prüfung der Frage der Chromreaktion der Zellen der
Coccygea wurden die Steissenden einer beträchtlichen Anzahl
menschlicher Embryonen verschiedener Fötalperioden '), wie
auch an zahlreichen Exemplaren die entsprechende Region .des
Neugeborenen an Serienschnitten und schliesslich auch neu-
präparierte Cocceygeae des postuterinen Lebens verschiedenen
Alters nach Fixation des Gewebes in der für die Chromreaktion
von Kohn empfohlenen Weise untersucht.
Das Ergebnis war übereinstimmend und ausnahmslos ein
negatives. Es erwiesen sich nicht nur die durch Form,
Stellung und Protoplasmabeschaffenheit so charakteristischen
Coceygeazellen selbst gegen die Chromierung refraktär, sondern
es ist mir auch niemals gelungen, zwischen diesen Zellen einge-
lagerte Einzelelemente mit positiver Chromreaktion zu sehen.)
Mit diesen wenigen Worten wäre das Ergebnis einer ziemlich
langwierigen Untersuchungsreihe erledigt, ich kann mir aber
nicht versagen, auch noch auf die dabei gewonnenen Befunde
hinsichtlich der Beziehungen zwischen Steissdrüse und Sympathicus
einzugehen, welche, wie mir scheint, in den bisherigen Darstellungen
eine keineswegs einwandsfreie Schilderung erfahren und dem-
gemäss zu Schlussfolgerungen geführt haben, welche nicht aufrecht
zu erhalten sein dürften.
ı) Für die gütige Unterstützung bei der Bearbeitung dieses Teiles
meines Materiales bin ich Herrn Dr. H. Thaler, ehemaligem Hospitanten
des Institutes, zu besonderem Dank verpflichtet
2) Bei Schaper, l.c. (S. 214), heisst es: „Weder aus dem Text noch
aus den der Walkerschen Arbeit beigegebenen Textfiguren ist etwas über
das Vorhandensein gelb oder bräunlich gefärbter Zellen zu ersehen. Sollte
dies vielleicht nur darauf zurückzuführen sein, dass Walker sich keiner
Chromsalzlösungen zur Fixation seiner Organe bediente?* Schaper hat
die Tabelle auf Seite 156 der Walkerschen Arbeit übersehen, aus welcher
in genauer Spezifizierung hervorgeht, dass in 28 Fällen im Gemisch von
Müllerscher Flüssigkeit mit Formol fixiert worden war.
Über die Chromreaktion der Glandula cocceygea etc. >25
Schon die grundlegende Beschreibung Luschkas') bringt
die bis zum heutigen Tage gültige diesbezügliche Anschauung in
präziser Fassung (S. 55): „Ich habe dieses Organ, mit dem
Vorbehalte, es für einen integrierenden Bestandteil des
sympathischen Nervensystems zu erklären, einstweilen
gewisser äusserer Qualitäten wegen in die sehr gemischte Gesell-
schaft der Drüsen ohne Ausführungsgang eingereiht.“
Beim Studium der Begründung dieser Ansicht von seiten
Luschkas tauchen unvermeidliche Zweifel auf. Es ist zu be-
wundern, welche feine Einzelheiten seinen anatomischen und
mikroskopischen Untersuchungen zugänglich waren, aber die um
ein halbes Jahrhundert weiterentwickelte mikroskopische Technik
gestattet und zwingt uns, eine Reihe seiner Angaben als unrichtige
und irrtümliche zu bezeichnen. Wenn Luschka beispielsweise
zwei Befunde von Nervenfasern beschreibt, welche an der Ober-
fläche, resp. im Innern eines Steissdrüsenkörperchens mittels
einer Ganglienzelle endigten, so kann ich mich eines Verdachtes
nicht erwehren, der sich mir auch an einzelnen anderen Stellen
seiner Schilderungen ergeben hat, dass er nämlich statt der
Drüse, .resp. statt einzelner Teildrüsen, gelegentlich beim Fötus
und beim Neugeborenen verschiedenartige andere Gebilde dieser
Gegend auspräpariert habe.
Ich möchte nur des genaueren auf Luschkas Mitteilungen
über die Beziehung des Sympathicus zur Coccygea eingehen. Er
beschreibt als erster die zarten Sympathicusästchen, „welche in
der Mittellinie der unteren Steissbeinwirbel herablaufen und durch
die rundliche Lücke in der Sehnenplatte des Afterhebers hindurch-
treten. Es sind 2 bis 3 Fädchen von äusserster Feinheit, welche
die sehr verdünnte Fortsetzung des Stammes der Arteria sacralis
media begleiten... ...“ Es heisst dann weiter: „Nach dem
Eintritt des Nerven in das Parenchym der Steissdrüse findet
grösstenteils eine Auflösung desselben in Geflechte statt, welche
mitunter eine wahrhaft netzförmige Anordnung zu erkennen
geben.“ Dieser Eintritt „in das Parenchym“ ist aber nur im
Sinne der anatomischen Präparation zu verstehen, nicht im
mikroskopischen Sinne, denn es heisst dann gleich: „Mit nicht
geringen Schwierigkeiten ist die Erforschung der Endigungsweise
der Nervenfasern der Steissdrüse verknüpft. Meist entzieht
!) Der Hirnanhang und die Steissdrüse des Menschen. Berlin 1860.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 2
326 Oskar Stoerk:
sich dieselbe in der Faserhülle der Blasen und Schläuche
dem Blicke gänzlich. Eine Art der Endigung habe ich
jedoch im Parenchym jenes Organes wiederholt mit vollkommener
Bestimmtheit erkannt ..... .,“ es folgt nun die Beschreibung der
beiden erwähnten Fälle mit Endigung der Nervenfaser in eine
Ganglienzelle. Es ist demnach Luschka ausser in diesen beiden
Fällen nicht gelungen, die Nervenfasern weiter als bis zu den binde-
gewebigen Hüllen der Teildrüsen zu verfolgen und die erwähnten
„Geflechte“ verlaufen in und mit diesen Hüllen. Das Gleiche
gilt dann auch für Luschkas bezügliche Angaben in der
„Anatomie des menschlichen Beckens“ (Tübingen 1864, S. 195).
In einer mit der eben vorgebrachten übereinstimmenden
Auffassung führt auch Jacobsson') den Befund Luschkas an,
indem er von den zwei oder drei feinen Sympathicuszweigen spricht,
welche „zur Drüse verlaufen, in deren Stroma sie späterhin
eine plexusartige Verbreitung bilden. Ich kann die Richtigkeit
dieser Angaben Luschkas..... bestätigen.“
Ich habe nun an einer Reihe von lebenswarmen Früchten
in späteren Abschnitten der Fötalzeit wie auch an Neugeborenen
(unmittelbar post mortem) die Steissdrüse samt Umgebung in
Serienschnitten (von 4 bis 6 « Schnittdicke) mittels des Ramon y
Cajalschen Ammoniakalkohol-Verfahrens wie auch mittels der
Markscheidenfärbung geprüft und kann diesbezüglich aussagen,
dass in keinem der untersuchten Fälle ein Eintreten
von Nervenfasern, weder Remakscher noch markhaltiger in
den Komplex, resp. die Komplexe der epithelähnlichen Coceygea-
zellen nachzuweisen war — wenn auch Nervenfaserbündel in
nächster Nachbarschaft der Drüse, resp. der Teildrüsen, fast stets
sichtbar waren. Es soll dieses Verhalten noch eingehender zur
Sprache kommen, ich möchte zunächst aber versuchen, die Ursache
dieses engen räumlichen Nebeneinander aus den Befunden der
früheren Embryonalperioden zu erklären.
Beim Studium der Schnittserien vom Steissende junger
Föten (von etwa 20 mm Scheitelsohlenlänge angefangen) gewann
ich nämlich den Eindruck, dass die Entwicklung der Sympathicus-
ramifikation derjenigen der A. sacr. media und insbesondere der
Ausbildung der Ramifikation der letzteren voraneile, derart, dass
!) Beitr. zur Kenntnis der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. Arch.
f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 53, 1899, S. 78.
Über die Chromreaktion der Glandula coceygea etc. 327
sich die Arterie im Längswachstum ihres Endabschnittes, inbe-
griffen der Ästchen desselben, vielfach der präexistierenden
Sympathicusramifikation gewissermassen als Geleise bedient.
Eine strenge Gesetzmässigkeit der Verlaufsrichtung von Arterie
und Nerv scheint dabei nicht zu bestehen; sowohl in der Sagittal-
wie in der Frontalebene tauschen sie gelegentlich ihren Platz.
Erst in späteren Fötalperioden scheint sich diesbezüglich das
typische Verhältnis herzustellen, jedoch gilt das nur für die
Hauptstämmchen und nicht für die Ramifikation.
Auf diese Weise sieht man also zwar nicht allenthalben,
aber überaus häufig, Sympathicusfaserbündel und Arterienstamm
oder -ästchen im innigsten Kontakt, ja an manchen Stellen auch
derart, dass jegliche Zwischengewebselemente zwischen ihnen zu
fehlen scheinen. Gerade gegen die Umbiegungsstelle um die
Steissbeinspitze hin schien mir dieses Verhältnis häufig besonders
ausgeprägt — also an jener Stelle, in deren Bereiche die Steiss-
drüse hauptsächlich zur Entwicklung kommt.
Die enge räumliche Beziehung zwischen A. sacr. media und
N. sympathicus ist demnach von vornherein gegeben und besteht
schon zu einer Zeit, wo von dem Vorhandensein einer Steissdrüse
nichts erkennbar ist. Zu dieser Zeit ist das Verhalten des
Zwischengewebes dieser Gegend ein gewissermassen noch in-
differentes, erst später findet eine Strukturierung im Sinne der
deutlichen und gesonderten Umhüllung einzelner Gebilde durch
dichteres Zusammenrücken der Zwischengewebselemente an ihrer
Peripherie statt, wie das zunächst in der Umgebung der Kreuz-
und Steissbeinwirbel zu sehen ist. Aber auch beim Neugeborenen
ist die Zwischengewebsgliederung bei weitem noch nicht in jener
Schärfe zu sehen, welche sie in den Bildern des späteren
Lebens zeigt.
Diese Beschaffenheit des Zwischengewebes scheint mir ins-
besondere bei den Verhältnissen jener bindegewebigen Anteile
erwähnenswert, welche als Stroma und als Hülle oder Kapsel
der Drüse, resp. der Teildrüsen beschrieben werden. Dem von
Walker (l.c.) diesbezüglich Mitgeteilten, möchte ich noch
folgendes anfügen. Beim Neugeborenen sieht man (mit Vorteil
nach Färbung mittels der van Giesonschen Methode) wohl schon
eine Art Kapsel um die Drüse in Form einer ziemlich gleich-
mässig breiten Lage eines kernärmeren, gröberfaserigen Binde-
22*
323 Oskar Stoerk:
gewebes; jedoch ist dasselbe gegen das benachbarte Bindegewebe
an vielen Stellen unscharf abgesetzt, geht an solchen Stellen ohne
Grenze in die Faserung der Nachbarschaft über und es umkreist
nicht, wie in den späteren Lebensabschnitten, das Drüsenparenchym
in ausgeprägten Zirkulärtouren. Auch das Drüsenstroma zeigt
noch ein ganz anderes Aussehen, wie ja überhaupt der Bau der
Drüse des Neugeborenen sich sehr wesentlich von dem der Drüse
des späteren Lebens unterscheidet; die Drüse oder die Teildrüsen
des Neugeborenen stellen je ein mehr kompaktes Ganzes mit
einfacher Kontourierung in Form einer rundlichen oder ovalen,
bisweilen auch einer hackenförmig um die Steissbeinspitze ge-
krümmten Bildung dar, innerhalb welcher allerdings die zukünftige
konglomerierte Konfiguration schon angedeutet ist, indem die
Drüsenzellen sich zu mantelartigen Lagen um je eines der kleinen
Gefässlumina anordnen, deren stets eine gewisse Anzahl (etwa
fünf bis zehn im Schnittbild einer mittelgrossen Einzeldrüse) in
verschiedenartiger Verlaufsrichtung in einer solchen Bildung zu
sehen ist; zwischen diesen Mänteln sind dann auch mehrfach,
aber nicht durchgreifend, sehr zarte und spärliche Bindegewebs-
lagen zu sehen — die Anlage des späteren Drüsenstromas.
In der Regel ziehen nun — beim Neugeborenen — die
Sympathicusfaserbündel, durch die besprochene Kapsel vom
Drüsenparenchym getrennt, an der Drüse vorbei; gelegentlich
findet sich aber auch ein (meist ganz dünnes) Bündel, welches in
die Kapsel selbst eintritt und eventuell auch eine Strecke weit
sich unmittelbar an die Peripherie des Parenchyms anlegen kann,
um dann nach kurzem intrakapsulären Verlauf in unveränderter
Stärke den Kapselbereich wieder zu verlassen. Es macht den
Eindruck, als wäre das betreffende Nervenästchen bei Ausbildung
der Kapsel mehr zufällig in dieselbe gefasst worden, hineingeraten.
Bei der postuterinen Entwicklung der Coccygea, welche
wesentlich in einer Verlängerung jener Gefässchen, deren Lumina
vorhin erwähnt wurden, samt umkleidenden Zellmänteln besteht
(die Zahl der Zellagen um je ein Gefässlumen scheint mir nicht
in gleichem Verhältnis anzuwachsen,!) das Protoplasma der
ı) Beim Neugeborenen und bei einem 34 cm-Fötus hatte ich Gelegen-
heit, schöne Mitosen zu sehen, ich glaube aber, dass die Zellvermehrung
hauptsächlich ein Längen- und weniger ein Dickenwachstum der Mäntel zur
Folge hat.
Über die Chromreaktion der Glandula coceygea etc. 329
Einzelzelle nimmt aber deutlich an Volumen zu), wird der
kompakte Verband der Einzeldrüse zur Formation eines etwa
maulbeerartigen Gebildes gelockert. Bei diesem Auswachsen der
von den Zellagen umscheideten Gefässe mag es wohl auch häufig
zur Durch- und Umwachsung nachbarlich gelagerter Nervenab-
schnitte kommen. Auch die während der Wachstumsvergrösserung
sicherlich häufig sich ergebende Verschmelzung benachbarter,
ursprünglich gesonderter Teildrüsen zu gemeinsamen grösseren
Gebilden mag das Bild einer Einverleibung von Nervenfaserbündeln
in das Drüsenstroma gelegentlich hervorrufen. Dem früher be-
schriebenen, nämlich der innigen topischen Beziehung zwischen
den Ramifikationen von Sympathicus und A. sacr. med. ent-
sprechend, scheint mir die Annahme der Häufigkeit solcher
„Pseudoeinverleibungs“ - vorgänge recht wahrscheinlich. Die
Drüsen-„Kapsel“ des Neugeborenen ist dabei wohl sicherlich kein
endgültiges Gebilde und werden dem früher skizzierten weiteren
Entwicklungsgang gemäss wohl mehrfach Anteile der ursprüng-
lichen „Kapsel“ zu späterem „Stroma*.
Es erscheint mir nach dem Ausgeführten recht begreiflich,
dass sich in der nächsten Umgebung der Drüse und mehrfach
auch in den bindegewebigen Partien zwischen den Teildrüsen,
resp. dann im „Stroma“ der Drüse des späteren Lebens, Nerven-
faserbündel in grösserer oder geringerer Reichlichkeit nachweisen
lassen, weil eben diese Bindegewebspartien vorwiegend Anteile
des nervenreichen Zwischengewebes der Üoccygealgegend sind,
welche erst allmählich im Laufe der Entwicklung und des Wachs-
tums in das Gebiet der Drüse einbezogen wurden. Ich könnte
auch durchaus nicht behaupten, dass der Reichtum an Nerven-
fasern des intraglandulären Zwischengewebes grösser sei als der
des extraglandulären, vielmehr scheint mir eher das Gegenteil
der Fall zu sein; die Art und Weise der Nervenverteilung im
intraglandulären Gebiet scheint mir auch nicht die von seiten
mehrerer Autoren gegebene Darstellung im Sinne einer „plexus-
artigen Anordnung“ zu rechtfertigen.
Ich muss also auf Grund meiner histologischen Befunde eine
innigere Beziehung (und zwar auch im Sinne der Histogenese)
zwischen Sympathicus und Steissdrüse entschieden in Abrede
stellen und schliesse mich der Auffassung Arnolds!) an (natür-
ı) Virch. Arch., Bd. 32, $. 293.
330 Oskar Stoerk:
lich nur im morphologischen und genetischen Sinne, mit Aus-
schaltung seiner irrtümlichen Deutung der Drüsenzellen), welche
in seiner Namensgebung für die Drüse „glomeruli arteriosi
coceygei“ (1. c. S. 322) zum Ausdruck kommt; das formgebende
und zunächst in die Augen springende an der Steissdrüse sind
die achsial in ihren Einzelanteilen verlaufenden Gefässchen, welche
Arnold als zum Teil ampullenförmige Säcke, zuerst durch
Injektion von der A. sacr. med. aus, als Ramifikationen derselben
darzustellen in der Lage war. Diese typische achsiale Gefäss-
lagerung entspricht auch den Verhältnissen bei den fötalen
Bildern der Drüse, deren Jüngstes mit Sicherheit agnoszierbares
Stadium ich bei einem Fötus von 150 mm in Form einer Zell-
masse gesehen zu haben glaube, welche in zwei- bis fünffacher
Lage noch wenig protoplasmareicher, vorwiegend längsgestellter
ovaler Zellen die Arterie im Bereiche ihres Endabschnittes bis
zur Steissbeinspitze und einzelne kleine Ästchen auf eine Strecke
hin mantelartig umgab; eine morphologische scharfe Abgrenzung
von den (in diesem Fötalstadium noch) plumpen Mediazellen war
hier nicht allenthalben möglich, nur stellenweise war eine deut-
lichere Unterscheidung dadurch gesichert, dass die Drüsenzellen,
wenn mit ausgesprochen längsovaler Form, der Gefässachse
parallel, also mit ihrer Achse senkrecht auf die Längsachse der
Mediazellen gelagert waren.) Aber auch bei den späteren
Stadien, in welchen die Drüse schon leicht erkennbar ist, indem
ihre Form beiläufig der des Neugeborenen gleicht, kommt dieser
achsiale Gefässverlauf, . resp. die mantelartige Konfiguration der
Drüsenzellmasse um das Endothelrohr unzweideutig zur Ansicht
— ein Verhältnis, welches, wie früher erwähnt, dann auch noch
während des postuterinen Drüsenwachstums zu Recht besteht.
Auf die weiteren Einzelheiten der Darstellung Arnolds
einzugehen, ist hier nicht der Platz. Dass er in den mikro-
skopischen Bildern von seinen Injektionspräparaten die wirklichen
!) Tatsächlich glaube ich, beträchtlich jüngere Drüsenstadien in meinen
Fötenserien gesehen zu haben, nämlich im Niveau des Steissbeinendes gelegene
Formationen unter dem Bilde einer umschriebenen und ringsum gleich-
mässigen Mediazellwucherung an der Art. sacr. med., es wäre aber zur ein-
wandstreien Feststellung ihrer Steissdrüsennatur das vergleichende Studium
der Bilder einer lückenlosen Reihe menschlicher Föten erforderlich gewesen,
was mir mein Material leider nicht gestattete.
Über die Chromreaktion der Glandula coccygea ete. 331
Gefässendothelien im Drüsenbereiche nicht zu Gesicht bekam,
sondern die Drüsenzellagen als einen lumenumkleidenden Anteil
ansah, welcher in „unverhältnismässiger Entwicklung“ die Fort-
setzung des Gefässendothels darstellen sollte, ist durch die Unter-
suchungen Sertolis') und Eberths?) in endgültiger Weise
als Irrtum gekennzeichnet und richtig gestellt worden. Ob die
von Eberth für das Organ angewendete Benennung „Plexus
vasculosus coccygeus“ (S. 213) derjenigen Arnolds vorzuziehen
sei, scheint mir eine nicht eben wesentliche Frage, ich akzeptiere
lieber den Vorschlag Sertolis, vorläufig „die alte, vom Entdecker
ihm gegebene Benennung „Steissdrüse“ beizubehalten,“ „in der
Erwartung, dass neue Untersuchungen etwas Licht über die
Funktion dieses Organs bringen werden.“ Beiläufig gesagt, hat
sich letztere Erwartung bisher noch nicht erfüllt und wird, wie ich
befürchte, noch lange unerfüllt bleiben. Dafür scheint mir der
Umstand zu sprechen, dass trotz sehr zahlreicher Exstirpationen
der Drüse bisher noch niemals von spezifischen Ausfallser-
scheinungen berichtet worden ist; ich meine nämlich die so
häufigen Fälle von Resektion des Kreuz- und Steissbeines, welche
ja gegenwärtig in ausgedehnter Weise von den Chirurgen vor-
genommen werden und zweifellos eine radikale Entfernung der
Drüse mit sich bringen; obwohl eine grosse Zahl solcher Fälle
viele Jahre hindurch, beispielsweise wegen der Gefahr eines
Karkinomrezidivs, genau in Evidenz gehalten werden, ist noch
niemals über Symptome, welche im Sinne von Ausfallser-
scheinungen gedeutet werden könnten, berichtet worden. Vielleicht
wird doch noch der vergleichenden Anatomie, trotz der diesbe-
züglich wenig befriedigenden bisherigen Ergebnisse, in der
Coccygeafrage die Aufklärung vorbehalten bleiben.
Ich hatte im früheren Gelegenheit gehabt, meine Zweifel
über die Befunde Luschkas hinsichtlich der innigeren Beziehung
zwischen Sympathicus und Drüse zu begründen. Ähnlicher
Zweifel ergibt sich mir bei der einzigen modernen Publikation,
welche sich, vorwiegend entwicklungsgeschichtlich, mit diesem
Teil der Coceygeafrage, und zwar gleichsinnig mit Luschkas
Ergebnissen, beschäftigt, der bereits zitierten Veröffentlichung
Jacobssons.
ı) Virch. Arch., Bd. 42, 1868, S. 370.
2) Strickers Handbuch der Lehre von den Gew., 1. Bd., 1871, S. 209.
332 Oskar Stoerk:
An einem Fötus von 11 em Körperlänge findet er 150 „ über der
Steissbeinspitze ein zellreiches Gebilde, Arterie, Vene und sympathische
Nerven enthaltend: „Die Nerven, von denen die Gefässe dicht umsponnen
werden, enthalten ausser Fasern noch zahlreiche Zellen; hauptsächlich die
letzteren verleihen der betreffenden Partie ihr kompaktes Aussehen.“ Weiter
kranialwärts 500 (!) « von der Steissbeinspitze ein analoges Knötchen.
„Beide Zellenanhäufungen dürften .... auf die Drüsenanlage Bezug haben.“
Bei einem 24 cm langen Fötus werden dann, unter Hinweis auf diese beiden
Knötchen, ebenfalls zwei analoge Bildungen, 60 und 430 „ über der Steiss-
beinspitze, besprochen und werden diese Bildungen als „Steissdrüsen en
miniature* bezeichnet.
Zum erstenmal begegnet er .der Steissdrüse als einem selbständigen
und scharf markierten Gebilde* bei einem 15 cm langen Fötus. Sie lagert
in der Gabel zwischen A. sacr. med. und einem Ästchen der Steissbeinspitzen-
umbiegung, ersterer entsprechend, und ist bereits bindegewebig abgekapselt.
„Der dicht vorbeiziehende Sympathicus gibt an die Drüse mehrere Äste ab,
die in mehreren Verästelungen durch die Kapsel zwischen die Parenchym-
zellen der Drüse hinein“ dringen, „wo man sie dann als feine von Eosin
schwach rot gefärbte Fibrillen verfolgen kann. In welchem Verhältnis
diese Nervenfasern zu den Parenchymzellen stehen, erhellt nicht aus den
Bildern.“ Die Drüse erscheine nur spärlich und zwar in ihren Randpartien
vaskularisiert.
Ich stehe nicht an, bezüglich aller dieser Gebilde, deren
Beschreibung nach Jacobssons Darstellung hier in Kürze
wiedergegeben wurde, mit Entschiedenheit anzunehmen, dass
sie mit der Steissdrüse durchaus nichts zu tun
haben. Er selbst charakterisiert die Gebilde am besten, wenn
er bezüglich des zuletzterwähnten sagt, es stehe „dieses Zell-
klümpchen in einer so engen Verbindung mit dem sympathischen
Ganglienstrange und entspricht auch in seiner Lage dessen
unterem Ende, dass man gezwungenerweise das Parenchym als
einen abgeschnürten Teil desselben, und die Zellen als modifizierte
Ganglienzellen betrachten muss.“
Jacobsson hat die „sympathischen Bildungszellen“ und
ihre weiteren Entwicklungsstadien, mit deren Bildern wir heute
— dank der Forschungen der eingangs erwähnten Autoren —
vertraut sind, nicht gekannt, sonst hätte er die bisher angeführten
Gebilde richtig klassifiziert, nämlich als junge chromaffine
Körperchen.
Seine Föten bis zur Körperlänge von 24 cm sind in Sublimat,
Formalin oder Alkohol fixiert, es bestand also keine Möglichkeit
der Chromreaktion, nur der 11 cm und der 12,2:.cm lange in
Müllerscher Flüssigkeit; aber auch bei denen von 24,5 cm bis
Über die Chromreaktion der Glandula coccygea etc. 333
zur Reife, welche in letzterer Flüssigkeit fixiert waren, scheinen
die chromaffinen Elemente seiner Beachtung entgangen zu sein.
Zu dieser Auffassung zwingen mich verschiedene Umstände;
zunächst die Topographie und die Beschreibung der kleineren
Gebilde, insbesondere dann aber auch die Abbildung und
Schilderung der grösseren Bildung vom 15 cm langen Fötus.
Ausschlaggebend gerade bezüglich der letzteren erscheinen
mir zwei Momente in der Darstellung Jacobssons: seine An-
gaben über das Verhalten der Gefässe und diejenigen über den
Nervenbefund. An Gefässen, heisst es in der Beschreibung des
grösseren Gebildes vom 15 cm langen Fötus, „gibt es... . äusserst
wenige; nur sehr spärliche Kapillaren kommen in der Kapsel
und den am meisten peripherisch gelegenen Teilen des Parenchyms
vor.“ Dem früher Ausgeführten gemäss, scheint mir dieser an
Schnittserien erhobene Befund allein schon für die Annahme
massgebend, dass das beschriebene Gebilde mit der Steissdrüse
nicht identisch ist — eben wegen des Fehlens eines zentralen
arteriellen Gefässchens. Die (zitierte) Beschreibung der in das
Parenchym eintretenden, als eosinrote Fibrillen zwischen die
Parenchymzellen verfolgbaren sympathischen Nervenfasern, ent-
spricht genau demjenigen, was man immer wieder, insbesondere
auch an den jungen Formen der chromatffinen Körperchen, sehen
kann und steht im diametralen Gegensatz zu allen Bildern,
welche ich von der fötalen Steissdrüse gewonnen habe.
Bezüglich der Drüse des nächstgrösseren Fötus (24 cm
Körperlänge) wird ausdrücklich auf ihr differentes Aussehen hin-
gewiesen: „Anstatt der äusserst spärlichen Kapillaren, welche
wir in der Kapsel und den peripherischen Teilen der Drüse
fanden, sehen wir hier die ganze Drüsenmasse von einer Menge
sinuös erweiterter vorkapillarer Arterien durchzogen.“ Die zu-
gehörige Abbildung (Fig. 7) bringt dieses Verhalten auch klar
zum Ausdruck. Hinsichtlich der Nerven beschränkt sich die Be-
schreibung leider auf den Satz: „Nerven ziehen von dem dicht
nebenan gelegenen Sympathicus reichlich in das Organ ein“ und
die Abbildung lässt sie vollkommen vermissen. Wären sie in
diesem Falle mit gleicher Eindeutigkeit zu sehen gewesen, wie
im vorangehenden, so wäre vielleicht eine eingehendere Be-
schreibung zu erwarten gewesen, und ich wage den Zweifel aus-
zusprechen, ob dasjenige, was er in diesem Falle an seinen
334 Oskar Stoerk:
(15 « dieken) Serienschnitten als Nervenfasern gedeutet hat,
nicht vielmehr Anteile des Zwischengewebes waren, von welchem
es heisst: „Von der Kapsel schieben sich kleinere Bindegewebs-
streifen. in das Parenchym hinein.“
In der Beschreibung der weiteren Stadien, bis zum Er-
wachsenen, kommt das Verhalten der Nerven nicht mehr zur
Sprache. Auch in der Zusammenfassung wird auf den intra-
glandulären Nervenbefund nur anlässlich der Erwähnung des
Befundes beim 15 cm Fötus hingewiesen; im weiteren heisst es
dann: „Dagegen müssen wir die Entstehung der Drüse aus dem
Sympathicus als mehr denn wahrscheinlich erachten. Die primäre
Drüsenanlage erscheint auf dem Platze des kaudalen Endes der
Sympathicusanlage und hängt bereits von ihrem ersten Auftreten
an und fortwährend mit dem Sympathicus nahe zusammen.“
Den Beweis für die Richtigkeit letzterer Annahme einer
genetischen Beziehung zwischen Drüse und Sympathicus scheint
mir Jacobsson nicht erbracht zu haben und meine eigenen
Befunde sprechen durchaus dagegen; ich muss auch seiner Dar-
stellung: „Die Gefässe spielen bei der Entstehung des Organs
eine sekundäre Rolle und wachsen erst, nachdem dieses bereits
als ein selbständiger, distinkt markierter und gefässloser Zellen-
haufen angelegt worden, in dasselbe hinein“ mit Rücksicht darauf
entgegentreten, dass sich die Anschauung Jacobssons aus-
schliesslich auf die Befunde gerade jener im früheren genauer
besprochenen Gebilde zu stützen scheint, welche ich nicht als
Frühstadien der Steissdrüsenentwicklung gelten lassen kann,
sondern als chromaffine Körperchen ansprechen muss. Vielmehr
habe ich aus meinen Fötenserien die Anschauung gewonnen, dass
die ersten Formationen der Drüse an die Art. sacr. media resp.
ihre Ästehen gebunden sind, welche sie als eine mantelartig
angeordnete Zellmasse konzentrisch umlagern.
Die Darstellung Jacobssons über die Entstehung der
Steissdrüse hat zur Folge gehabt, dass dieselbe als ein Glied in
die Reihe der chromaffinen Gebilde reklamiert wurde, insbesondere
seitdem das Gleiche für die Carotisdrüse, welche ja in manchen
Punkten Ähnlichkeit mit der Steissdrüse aufweist, mit unzwei-
deutigem Ergebnis ausgeführt worden war. So schreibt Kohn!)
(S. 311): „Seit ihrer Entdeckung durch Luschka wird die Steiss-
le:
Über die Chromreaktion der Glandula coccygea etc. 335
drüse immer in einem Atem mit der Carotisdrüse genannt. Von
allen Wandlungen der Ansichten sind beide gemeinsam betroffen
worden. Auch diesmal dürfte die Steissdrüse diesem Schicksale
nicht entgehen. Die Untersuchungen Jacobssons haben ihre
Abkunft vom Sympathicus sehr wahrscheinlich gemacht. Damit
wäre eine wesentliche Vorbedingung für ihre Aufnahme unter die
Paraganglien erfüllt.“ „Carotis- und Steissdrüse sind aber nur
die zwei Endglieder der fortlaufenden Paraganglienkette, die dem
Sympathiceus angeschlossen ist.“
Minder vorsichtig und umfänglicher hat Schaper (wie
einleitend besprochen wurde) eine gleichsinnige Hypothese im
darauffolgenden Jahre vertreten.
Es wurde im bisherigen — dem Vorschlag Sertolis ent-
sprechend — von der Steissdrüse und von Drüsenzellen
gesprochen. Damit sollte aber natürlich bezüglich der tat-
sächlichen Natur der Coccygea nicht präjudiziert werden. Die
Frage, ob dem Protoplasma der Zellen der Steissdrüse eine
spezifische (physikalische oder chemische) Funktion zukommt,
entzieht sich vorläufig der Beantwortung, wenn auch manches
morphologische Detail für eine solche Annahme zu sprechen
scheint; abgesehen von der überaus reichlichen Vaskularisation !)
würde der Annahme vielleicht auch die eigentümliche Proto-
plasmabeschaffenheit der Drüsenzellen nicht widersprechen. Es
lässt sich nämlich an den embryonalen Drüsenbildern verschiedener
Altersstufen verfolgen, wie die ursprünglich spindelige Zellform
mehr und mehr in die ovale und gegen das Ende der Fötalzeit
in eine unregelmässig rundliche (resp. infolge gegenseitiger
Abplattung der Zellen polygonale) übergeht, proportionell der
zunehmenden Succulenz des Protoplasmas, welche vom Ende der
Fötalzeit an bleibend in der für die Steissdrüsenzelle so charak-
tersstischen Protoplasmaunfärbbarkeit zum Ausdruck kommt: es
macht den Eindruck, als würde der Kern inmitten einer die
ganze Zelle erfüllenden Vakuole schweben. Nur an einzelnen
Zellen wird gelegentlich ein zart färbbarer peripherer Proto-
plasmaanteil sichtbar. Ich habe alle in Betracht kommenden
Färbungsmethoden (an Schnitten gehärteter Objekte, Gefrier-
ı) Vergl. hierzu Walker (l. ce.)
336 Oskar Stoerk:
schnitte kamen nicht in Anwendung) mit negativem Erfolg
angewendet, ebenso die Reaktionen auf Glykogen und Fett. Ins-
besondere sei auch das negative Ergebnis der Schleimreaktionen
betont.
Vielleicht steht zu dem eben besprochenen auch die überaus
häufig zur Beobachtung kommende eigentümliche Beschaffenheit
des an die Drüsenzellen zunächst angrenzenden Zwischengewebes
in Beziehung: es zeigt nämlich — von den späteren Stadien des
Fötallebens an — eine Anordnung in auffallend weiten, oft fast
rundlichen Maschen, wobei der Mascheninhalt gleichfalls bei den
verschiedenartigsten Tinktionsmethoden ungefärbt bleibt.
Die Verfolgung des Entwicklungsganges der Steissdrüse
lehrt, dass sie mit keinem der in Betracht kommenden Nachbar-
Fig. 1.
Spezif. Bindegewebsfärbung. Vergr. 600/1
organe (Canalis neurenterieus, kaudales Chordaende, Steisswirbel;
vergl. hierzu auch Jacobsson, |. c., S. 95) in genetische Beziehung
gesetzt werden kann,!) und nachdem ich mich bemüht habe, ein
!, Andere nur gelegentlich in nachbarliche Beziehung zur Drüse
tretende Gebilde bedürfen hierzu keiner Berücksichtigung; ich meine damit
zunächst die bisweilen. in auffallender Reichlichkeit vorhandenen Gebilde
nach Art der Pacinischen Körperchen, insbesondere aber auch jene anormalen
Formationen, welchen in der Histogenese der Sakralgeschwülste eine wichtige
Rolle zukommt, über die in jüngster Zeit H.A. Thaler (Deut. Zeitschr. f
Chir., Bd.79, S. 112) und R. Meyer (Virch. Arch., Bd. 180, S. 334) berichtet
haben.
Über die Chromreaktion der Glandula coceygea etc. 337
Gleiches für den Sympathicus darzutun, käme gewissermassen
schon per exclusionem nur mehr die Art. sacr. media in Betracht.
Wesentlicher als diese Exelusion ist aber der Befund der Bilder
früher Fötalperioden, in welchen die Steissdrüse, wie erwähnt,
als umschriebene kurzspindelförmige Wandverdickung der Art.
sacr. med. in Form einer ringsum gleichmässigen, die Gefäss-
peripherie bildenden kleinen Zellmasse erscheint, deren spindelige
Elemente zunächst von den Mediazellen nicht unterscheidbar
sind.') Die morphologische Übereinstimmung mit den kontraktilen
Mediazellen, welche einen nicht unbeträchtlichen Abschnitt des
Fig. 2
Spezif. Elasticafärbung. Vergr. 600/1,
Fötallebens hindurch besteht, ist dabei vielleicht doch mehr als eine
zufällige Ähnlichkeit räumlich aneinander grenzender Gebilde.
Vielleicht ist eine andere Beobachtung gleichsinnig ver-
wertbar. Es lässt sich wiederholt konstatieren, dass eine in den
Drüsenbereich eintretende Arterie ihre Media verliert, also mit
kapillarer Wandbeschaffenheit ihren Weg fortsetzt — als wären
die Mediazellen durch die Drüsenzellen abgelöst worden.
‚Ein weiteres Moment, welches ich hier heranziehen möchte,
ist der Befund, welcher sich (bei Anwendung spezifischer Färbungen)
!) Bemerkenswert erscheint auch die gelegentliche Multiplizität solcher
Bildungen in ganz gleichartiger Form, auch in relativ grösseren Abständen
voneinander, beispielsweise vor und hinter dem Steissbein gelagert.
338 Oskar Stoerk:
sowohl für Bindegewebs- wie auch für elastische Fasern im
Bereiche der Drüsenzellen ergibt. Bezüglich beider Faserarten
zeigt sich nämlich eine von der Wand des Zentralgefässes des
betreffenden Drüsenanteiles ausstrahlende Ausbreitung zwischen
die Drüsenzellen, in nächster Nachbarschaft des Zentralgefässes
letztere stellenweise geradezu umspinnend, peripherwärts sich
allmählich verlierend. !) An der Drüsen- resp. Teildrüsenperipherie
zeigt sich häufig ein ähnliches Eindringen beider Faserarten und
zwar in entgegengesetzter Richtung, zentripetal, meist nur auf
die kurze Erstreckung von 2 bis 3 Zellagen, vom umgebenden
Stroma her. (Bezüglich letzteren Befundes liesse sich an die
Möglichkeit eines peripheren, gleichsam „infiltrativen“ Drüsen-
wachstums denken; gegen eine soiche Erklärung müsste ich
einwenden, dass ich Mitosen niemals in dieser Randschichte,
sondern immer nur inmitten der Zellmantelbreite gesehen habe.)
Die Bindegewebslagen um das zarte achsiale Gefäss sind oft
recht reichlich, die elastischen Fasern” spärlich, resp. letztere
bestehen meist nur aus einer einzigen, dem Endothel anliegenden
Faserlage, welche also einer Elastica interna entsprechen würde.
Die von diesen Faserlagen abzweigenden, intercellulär sich ver-
ästelnden Bindegewebs- und elastischen Fasern scheinen mir
in denjenigen Drüsenanteilen, welche das achsiale Gefäss nahe
seinem Eintritt umgeben, am reichlichsten zu sein.
Dieser Befund einer intimen Beziehung der beiden Faser-
arten zu den Drüsenzellen scheint mir mit einer Vorstellung der
letzteren als metamorphosierten Mediaelementen in einem gewissen
Einklang zu stehen.
Natürlich hätte ein solcher Interpretationsversuch nur den
Wert einer — noch sehr stützbedürftigen — Hypothese.
Es wäre vielleicht gerade im Anschluss an die letzten Aus-
führungen verlockend, auf die von einer Reihe von Autoren ver-
tretene Anschauung der „perithelialen“ Natur der Steissdrüse
einzugehen. Ich möchte mich aber dessen vor allem aus dem
Grunde enthalten, weil die Fassung des Begriffes des „perithelialen“
nach den bisherigen Darstellungen durchaus keine einheitliche
!) Vergl. hierzu auch die übereinstimmende Angabe von Hleb-
Koszanska („Peritheliom der Luschkaschen Steissdrüse im Kindesalter‘).
Zieglers Beiträge, Bd. 35, 1904, S. 589,
Über die Chromreaktion der Glandula coccygea etc. 339
ist und diesbezügliche Erörterungen den Rahmen des Vorliegenden
weitaus überschreiten müssten. Ich beabsichtige mich an anderer
Stelle mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen.
Resume.
1. Die Zellen der Steissdrüse geben weder im
fötalen noch im postfötalen Leben die Chrom-
reaktion.
2. Eine histogenetische Beziehung zum Sympathicus
ist nicht vorhanden.
3, Vielmehr ist eine solche Beziehung zu den
Mediaelementen der Arteria sacralis media,
respektive ihrer Ästchen, mit einiger Wahr-
scheinlichkeit zu vermuten.
Nachschrift. Nach Abschluss dieses Manuskriptes erlangte ich
noch Kenntnis der Publikation v.Schumachers „Über die Nerven des
Schwanzes der-Säugetiere und des Menschen, mit besonderer Berücksichtigung
des sympathischen Grenzstranges‘,!) in welcher (pag. 601) über sein
negatives Ergebnis bei Untersuchung der Chromreaktion der Zellen zweier
lebenswarm fixierter Steissdrüsen berichtet wird. In mündlicher Besprechung
teilte mir der Autor mit, dass er, wie eine in Bälde abzuschliessende Unter-
suchungsreihe zeigen wird, bezüglich der Histogenese der Steissdrüse zu
Ergebnissen kommt, welche mit denjenigen des Vorliegenden durchaus über-
einstimmen.
2) Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Kl., 1905
340
Die erste Anlage der Arterien der vorderen
Extremitäten bei den Vögeln.
Von
Hans Rabl.
Hierzu Tafel XIII—XV und 14 Textfiguren.
Die Frage nach dem Ursprung der Extremitätenarterien
schien bis vor kurzem zu denjenigen Problemen zu gehören,
welche bereits eine prinzipielle Lösung gefunden haben. Hoch-
stetter, dem wir bekanntlich eine Reihe der wichtigsten
Untersuchungen über die Entwicklung der Gefässe verdanken,
lässt in seiner neuesten Bearbeitung dieses Gegenstandes!) keinen
Zweifel aufkommen, dass die Arterien der Extremitäten Äste der
Segmentalarterien seien. Auf Seite 35 schreibt er bezüglich der
Arterien der Leibeswand und der Extremitäten: „Die Äste der
ersten Art entspringen gewöhnlich aus dem dorsalen Umfang
der Aorta paarig, in regelmässiger Aufeinanderfolge. — Sie sind,
da sie zwischen den Ursegmenten verlaufen, zunächst inter-
segmental angeordnet. — Ihr Verbreitungsgebiet umfasst das
Medullarrohr und die Leibeswandungen. — Die im Gebiete der
Extremitätenanlagen abgehenden Arterienpaare sind stärker aus-
gebildet und werden später zu den Arterien der Extremitäten.“
In der Tat sprachen bis vor kurzem sämtliche Unter-
suchungen zugunsten dieser Lehre. So nennt Dohrn’) bei
Gelegenheit der Schilderung der Arterienanordnung bei Selachier-
Embryonen die A. subelavia schlechtweg eine Vertebralis, aller-
dings „die in vieler Beziehung interessanteste.“ Die Bezeichnung
A. vertebralis erscheint hier synonym mit dem von Hochstetter
verwendeten Ausdruck „Segmentalarterie“. Ich will diese
Arterien, die Interprotovertebralarterien P. Albrechts, im
!) Die Entwicklung des Blutgefäss-Systems. Handbuch der vergleichen-
den und experimentellen Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere, herausge-
geben von OÖ. Hertwig, III. Bd.
?) Studien der Urgeschichte des Wirbeltierkörpers XV. Neue Grund-
lagen zur Beurteilung der Metamerie des Kopfes. Mitteilungen aus der
zool. Station zu Neapel, IX. Bd.
Extremitäten bei den Vögeln. 341
folgenden als „dorsale Segmentalarterien“ bezeichnen, da neuere
Untersuchungen gezeigt haben, dass es auch andere Segmental-
arterien gibt, die im Gegensatz zu jenen aus dem seitlichen und
ventralen Umfange der Aorta entspringen. Das interessante im
Verhalten der Subelavia liegt nach Dohrn in ihrer Beziehung
zum Grenzstrang des Sympathicus, welcher von dem Gefäss in
der Weise gekreuzt wird, dass ein kleinerer Teil vor, ein
grösserer hinter der Arterie zu liegen kommt; ferner darin,
dass abgelöste Ganglien die Subelavia auch in ihrem weiteren
Laufe begleiten. Sie liegt unmittelbar vor der Spitze der
Segmentalorgane und ist daher — von vorne gezählt — die letzte
Vertebralis, welche keinen Ast zur Niere entsendet.
Betreffs der A. subelaviae der Amphibien liegen zwar
keine speziellen Angaben vor, doch entspringen diese Gefässe
auch hier direkt aus der Rückenaorta, so dass ihrer Auffassung
als Äste eines besonderen Paares von Leibeswandarterien keine
Schwierigkeit im Wege steht.
In der Klasse der Amnioten kann man zwei verschiedene
Subelavien unterscheiden, wie zuerst Mackay') auseinander
gesetzt hat; ein dorsales und ein ventrales Gefäss. Das erstere
ist bei den Lacertiliern und bei den meisten Säugetieren vor-
handen, das letztere erscheint bei Cheloniern und Krokodiliern,
bei allen Vögeln und bei den Cetaceen. Doch bildet es gerade
das Verdienst Hochstetters,’) gezeigt zu haben, dass die erste
Anlage des Gefässes bei den Vögeln in derselben Weise wie bei
den Lacertiliern und Säugetieren erfolgt. Es erscheint nämlich
bei allen untersuchten Arten die Subelavia ursprünglich mit einer
dorsalen Segmentalarterie verbunden. Bei Lacerta ist dies die
siebente Segmentalarterie, beimHühnchen die 15., beim Kaninchen
und ebenso beim Menschen die sechste. Während aber bei den
Lacertiliern die Subelavien zeitlebens aus den Aortenwurzeln ent-
springen und sie bei den meisten Säugetieren nur infolge
sekundärer Vorgänge im Bereiche der Aortenbogen zu schein-
baren Ästen derselben werden, gehen sie bei den Vögeln zu
!) The Development of the Branchial Arterial Arches in Birds, with
special reference to the Origin of the Subelavians and Carotids. Phil.
Trans. R. Soc. London, Vol. CLXXIX, 1889.
?) Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. Morphol.
Jahrbuch, Bd. XVI, 1890.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 69. 23
342 Hans Rabl:
Grunde und werden hier durch ein Gefäss ersetzt, das aus dem
ventralen Umfange des dritte Arterienbogens entspringt.
Aus der Übereinstimmung in der Lage der bleibenden Sub-
clavia der Vögel mit der der Schildkröten, Krokodile und Wale,
bei welchen sie, wie bei den Vögeln, ventral vom N. vagus liegt,
darf wohl geschlossen werden, dass dieselbe auch bei den letzt-
genannten Ordnungen durch die gleichen entwicklungsgeschicht-
lichen Vorgänge zustande kommt und dass demnach bei allen
Amnioten wie bei den Anamniern die Subelavia als dorsales Ge-
fäss angelegt wird. Der sekundäre Zustand bildet sich nach der
Darstellung Hochstetters dadurch aus, dass sich das aus dem
dritten Arterienbogen hervorwachsende Gefäss an der Basis der
Extremitätenanlage mit der primitiven Subelavia verbindet. Nur
diese selbst, nicht aber ihre bereits angelegten Äste werden
zurückgebildet, und so sind diese bei allen Vertebraten von
gleichem Ursprung.
Übrigens darf die sekundäre Subelavia nicht als ein voll-
ständig neu auftretendes Gefäss betrachtet werden. Nach der
Angabe Mackays existiert bei Chamaeleo vulgaris ein Ast der
aus dem Carotidenbogen entspringenden A. cervico-lingualis,
welcher sich zu den Muskeln der Schulter begibt und daselbst
mit Ästen der A. subelavia anastomosiert. Das Gefäss entspricht
hinsichtlich seines Ursprunges und seiner Lage genau der
A. subelavia der Krokodile (untersucht wurde ein Exemplar von
Crokodilus niloticus), bei welchen aber die dorsale Subelavia fehlt.
Es mag hier übrigens angemerkt werden, dass auch bei
vielen Plagiostomen eine Anastomose zwischen den Kiemenge-
fässen und der Subelavia existiert. Sie wird von der ventralen
Verlängerung der Venen des zweiten Kiemensackes hergestellt,
deren Verlauf von Hyrtl!) bei Raja clavata ausführlich be-
schrieben und durch schöne Abbildungen erläutert wurde. Durch
die Anastomose werden die Muskeln an der Kehle, die untere
Wand der Kiemensäcke und die Herzwand mit Blut versorgt;
ihre Weite ist an der Verbindungsstelle mit der Subelavia,
welche vor dem Durchtritt dieses Gefässes durch den Kanal der
Clavieula gelegen ist, nicht geringer als an ihrem cranialen Ur-
!) Das arterielle Gefäss-System der Rochen. Denkschriften der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der k.k. Akademie der Wissen-
schaften, Wien 1858.
”
Extremitäten bei den Vögeln. 343
sprung, so dass angenommen werden muss, dass sie sowohl durch
die Subelavia wie durch die Kiemenvene mit Blut gefüllt wird.
Im Gegensatz zu Raja clavata fehlt diese Anastomose bei
Torpedo Narke. Dagegen kommt hier eine besonders interessante
Verbindung zwischen Subelavia und Carotis externa vor, welche
letztere durch Vermittlung der Carotis communis aus der oberen
Kommissur des ersten Kiemensackes entspringt. — Bei zwei
Rhinobatis-Arten (R. electriecus und Horkelii) ist es die dritte
Kiemenspalte, deren Vene eine ventrale Verlängerung erzeugt, aus
welcher die A. coronaria entspringt und welche zuletzt mit der
A. subelavia anastomosiert. — Ähnlich wie die Angaben von
Hyrtl betreffend Raja clavata lauten diejenigen Pitzornos')
über die Verästlung der Subelavia und über deren Anastomose
mit dem System der Hypobranchial-Arterien bei Squatina angelus,
Mustelus vulgaris und Selache maxima. Ob wir darin Homologien
mit den Verhältnissen bei den höheren Wirbeltieren erblicken
dürfen, wie dies von Pitzorno angenommen wird, kann wohl
nur die Entwicklungsgeschichte entscheiden.
Ich darf wohl gestehen, dass meine Kenntnis von der
Literatur über die Entwicklung der Extremitätengefässe bis
vor kurzem nicht über jene Arbeiten hinausreichte, welche ich
bei der vorstehenden Skizzierung dieses Gegenstandes benützt
habe. Ich war daher nicht wenig überrascht, als ich bei Durch-
sicht meiner Serien von Enten-Embryonen vom Anfang des
fünften Tages nicht ein Gefäss, sondern mehrere Arterien fand,
welche in die Extremitätenanlage eintreten, und welche überdies
nicht Äste dorsaler Segmentalarterien waren, sondern direkt aus
der Aorta entsprangen. Dieser merkwürdige Befund soll im
folgenden näher gewürdigt werden. Zunächst aber will ich noch
über die Arbeiten jener Autoren referieren, welche so glücklich
waren, die segmentale Gefässversorgung der vorderen Extremitäten
vor mir zu entdecken.
Unstreitig ist es das Verdienst Erik Müllers?) als
erster genaue Beobachtungen in dieser Hinsicht veröffentlicht zu
!) Ricerche di Morfologia Comparata sopra le Arterie Succlavie ed
Ascellare. Selaci. Monitore Zoologico Italiano, A. XVI, 1905, Nr. 4.
?) Beiträge zur Morphologie des Gefäss-Systems. II. Die Armarterien
der Säugetiere. Anatomische Hefte, 27. Bd., 1904.
23%
344 Hans Rabl:
haben. Zwar hatten schon vor ihm Macalister') und
Mackay?°) die Vermutung ausgesprochen, dass die Extremitäten
von mehreren Segmentalarterien aus mit Blut versorgt werden.
Doch handelt es sich bei diesen Äusserungen lediglich um
Hypothesen, zu deren Stütze keine Tatsachen angeführt werden.
E. Müller dagegen schreibt: „Die Untersuchungen, die ich
über die Entwicklung der Gefässe der vorderen Extremitäten bei
Selachiern (Acanthias, Spinax) und Reptilien (Lacerta) angestellt
habe, haben mir ganz unzweideutig gezeigt, dass die Gefässe
eine so deutliche metamere Anlage wie die Nerven zeigen.“ Bei
einem Embryo von Acanthias von 20 mm Länge konnte Müller
„Äste von sicher drei oder vier (vielleicht mehreren) deutlichen
Segmentalarterien“ beobachten, welche sich zur Extremitäten-
anlage begaben. „Diese verlaufen von der Aorta durch oder in
unmittelbarer Nähe von den Sympathicus - Ganglien - Anlagen in
der Körperwand ventralwärts zwischen dem Coelomepithel und
der Myotomverlängerung. Etwas nach vorn von dem Vorniengang
sendet jede von den Arterien einen kräftigeren Ast ab, der unter
dem betreffenden Segmentalnerven dorsalwärts verläuft und hier
in feine Kapillaren im proximalen Teile der Extremität über-
geht“ (p. 84). — Diese Beschreibung befindet sich in guter Über-
einstimmung mit der Angabe Molliers,’) dass bei Mustelus die
(refässe „ursprünglich segmental in der Seitenleiste angeordnet“
seien. „Mit stärkerer Konzentration gehen sie basale quere
Anastomosen ein. Nach Öbliterierung des medialen Abschnittes
derselben kommt es so zur Bildung von Längsstämmen, welche
in gleichmässigen Interstizien lateralwärts Zweige abgeben, die
immer mit den Nervenästen verlaufen“ (p. 54).
Wie bei den Haien, fand Müller auch bei einem Embryo
von Lacerta von 4 mm Länge drei segmentale Arterien. „Sie
verlaufen in sehr regelmässiger Anordnung zwischen den
segmentalen Nerven und kreuzen diese medialwärts kommend
und lateralwärts verlaufend. Hier, lateral von den Myotom-
!) Morphology of the Arterial System in Man (Part. I). The journal
of Anatomy and Physiology, Vol. XX, 1886. f
?) The arterial system of vertebrates homologically considered. Memoirs
and Memoranda in Anatomy, Vol. I, 1889.
?) Die paarigen Extremitäten der Wirbeltiere. I. Das Ichthyopterygium,
Anat. Hefte 1893.
Extremitäten bei den Vögeln. 345
knospen, verbinden sie sich bogenförmig miteinander, und von
diesen Bögen gehen feine Kapillaren aus und bilden durch die
gesamte Mesenchymmasse ein zusammenhängendes Netzwerk von
Kapillargefässen, die in segmental angeordnete Venen über-
gehen“ (p. 86).
Neben diesen direkten Beobachtungen erbrachte Müller’)
auch für die Säugetiere den Beweis einer segmentalen Blutver-
sorgung der Extremitäten und zwar dadurch, dass er eine
Plexusbildung der A. axillaris bei menschlichen Embryonen ent-
deckte und durch vergleichende Untersuchung zahlreicher Säuge-
tierarten eine analoge Plexusbildung aus den Verhältnissen bei
den erwachsenen Tieren erschliessen konnte. Dieser Plexus
axillaris bei menschlichen Embryonen von 9—11 mm Länge be-
steht in seinen Hauptzügen einerseits aus zwei Längsstämmen.
von denen der eine medial, der andere lateral von der Wurzel
der ventralen Nerven liegt, andererseits aus queren Anastomosen,
welche Müller auf Grund ihrer Beziehungen zu den Nerven als
Reste segmentaler Arterien auffasst; doch meint er, dass die-
selben nicht die Fortsetzungen einer gleichen Anzahl von
Subelavien seien, da er weder bei einem menschlichen Embryo
von 5 mm, noch bei einem Renntier-Embryo von 8/s mm mehr
als eine Subelavia gesehen hatte. Die Entstehung der Anastomosen
darf vielmehr lediglich als eine „Verkürzung oder Fälschung der
ontogenetischen Rekapitulation im Sinne Häckels“ gedeutet
werden. Ich möchte hierzu gleich bemerken, dass ich mich
dieser Ansicht nicht anschliessen kann, sondern überzeugt bin,
dass auch bei den Säugetieren segmentale Subclavien vorhanden
sind. Ob aber die queren Anastomosen nichts weiter als die
Verlängerungen derselben darstellen, welche durch Verbindung
untereinander die beiden Längsstämme gebildet haben, kann erst
durch genaues Studium am Objekte selbst bewiesen werden.
Mit Rücksicht auf die Lage der A. axillaris zu den Teilen des
Plexus brachialis kommt Müller zum Ergebnis, dass es bei den
Säugetieren vier Segmental-Arterien gibt, welche ursprünglich
zur Blutversorgung der vorderen Extremitäten dienen. Von
diesen ist es gewöhnlich die siebente, d. h. jene, welche zwischen
siebentem und achtem Spinalnerv verläuft, die erhalten bleibt,
'!) l. ec. und Beiträge zur Morphologie des Gefäss-Systems. I. Die
Armarterien des Menschen. Anat. Hefte 1903.
346 Hans Rabl:
während die übrigen Teile des Plexus arteriosus veröden und
verschwinden. Nur selten bildet die sechste oder neunte, ganz
ausnahmsweise die achte Segmentalarterie die Anlage der
bleibenden Arteria axillaris. Doch stammen bemerkenswerter-
weise die Subelavien der beiden Seiten nicht immer von einer
gleichnamigen Segmentalarterie ab, wie auch bei ein und der-
selben Tierart nicht immer dieselben Segmentalarterien zum
Hauptgefässe ausgeweitet werden. So konnte Müller beispiels-
weise bei einer Echidna aculeata die A. axillaris der rechten
Seite als die sechste, die der linken als die siebente Segmental-
arterie bestimmen. Von zwei untersuchten Exemplaren von
Cebus capucinus entsprachen die beiden Axillararterien des einen
Tieres der siebenten, die des anderen Tieres der neunten
Segmentalarterie. — Ähnliche Beobachtungen wurden übrigens
auch schon von Hochstetter!) mitgeteilt. Derselbe fand
sowohl bei einem Hühnerembryo von 106 Stunden, wie bei einem
grossen Exemplar von Chamaeleo vulgaris die beiden Subelavien
nicht in demselben Segmente, sondern in aufeinander folgenden
Segmenten entspringen.
Die Frage, ob auch die hinteren Extremitäten eine segmentale
Versorgung durch direkte Äste der Aorta erhalten, lässt Müller
unberührt; dagegen finde ich in einer erst unlängst erschienenen
sorgfältigen Untersuchung von Grafe?) die Angabe, dass bei
Hühnerembryonen der zweiten Hälfte des dritten Tages „mehr
oder weniger voluminöse laterale Stämme von den Aorten aus-
gehen, welche hart an den Cardinalvenen vorbei, mit denen auch
ab und zu Verbindungen vorhanden zu sein scheinen, nach der
Peripherie hinziehen.*“ Grafe bezeichnet diese Gefässe, welche
„besonders stark in der Gegend der Gliedmassen entwickelt“
sind, als die primitiven Extremitätenarterien. Die Gefässe, welche
aus ihnen hervorgehen, münden teils nach kurzem Verlaufe in
die Kardinalvenen, teils in die Subintestinalvenen, mit denen sie
gelegentlich auch in direkter Verbindung stehen. Obgleich eine
Angabe fehlt, wie viele Extremitätenarterien jederseits angelegt
werden, so geht doch aus der Darstellung hervor, dass es deren
mehrere sind. Die erläuternde Abbildung (Textfig. 9) zeigt eine
2). 1:0.
?) Beiträge zur Entwicklung der Urniere und ihrer Gefässe beim
Hühnchen. Archiv f. mikroskop. Anatomie, 67. Bd., 1905.
Extremitäten bei den Vögeln. 347
primitive A. femoralis in derselben Lage, wie sich die A. sub-
clavia findet.
Meine eigenen Nachforschungen über diesen Punkt sind
recht unvollkommen. Da die Embryonen quer zur Längsachse
in der Region der vorderen Extremitäten geschnitten wurden,
sind die hinteren Extremitäten zumeist ungünstig getroffen, so
dass sich die Präparate zum Studium ihrer Arterien wenig
eignen. Nur bei einem Embryo (8, vergl. die folgende Tabelle)
sind deutliche Segmentalarterien auch der hinteren Extremitäten
zu sehen. Ich verschiebe aber die Beschreibung derselben, bis
ich über mehr einschlägiges Material verfüge.
Man kann in Bezug auf die Entwicklung der Subelavia der
Vögel vier Perioden unterscheiden. Die erste ist jene, in welcher
mehrere segmentale Subelavien vorhanden sind. Da aber die-
selben nicht gleichzeitig angelegt werden, so findet sich auch
hier — und zwar im Beginne der Entwicklung — ein Stadium,
in welchem nur eine Subelavia zur Extremitätenanlage zieht.
Dieses Stadium darf selbstverständlich nicht mit der zweiten
Periode verwechselt werden, die dadurch charakterisiert ist, dass
sich sämtliche angelegte Subelavien bis auf eine zurückbilden,
welche ihrerseits in nähere Beziehung zur benachbarten dorsalen
Segmentalarterie tritt. Dieses Stadium wurde zuerst von Hoch-
stetter beschrieben. In der dritten Periode erscheint die
Anastomose, welche den dritten Arterienbogen mit der A. axillaris
verbindet und später zur definitiven Subelavia wird. In dieser
Periode funktionieren demnach primäre und sekundäre Subelavia
nebeneinander. Am Ende derselben bildet sich die primäre
Subelavia zurück, während sich die sekundäre Subelavia aus-
weitet, so dass die Extremität in der vierten Periode, welche
den bleibenden Zustand darstellt, durch diese allein ihr Blut erhält.
Auf der folgenden Tabelle habe ich die Lage der Subelavien
meiner Embryonen der ersten Periode zusammengestellt. Es
handelt sich durchwegs um Enten. Die Embryonen waren in
!) Es wurden stets sämtliche Segmente von der Anlage des Gehör-
organes an gezählt. Die vier vordersten, welche in die Anlage des Hinter-
hauptes eingehen, sind demnach in der obigen Numerierung inbegriffen.
348 Hans Rabl:
Pikrinsäure-Sublimat gehärtet, in Cochenille-Alaun in toto gefärbt
und in Celloidin eingebettet worden. Die Schnittdicke betrug
fast stets "/ıoo mm.
f
Be a | > | eine Subclavia vorfand
Embryo ao | | rechts | links
1 s3ı |aT.38t. EN
5 2 32—33 a T.4 St. Fo 18 Hr
a Eee
4 36 |4T.38t.| 18,19,20 | 18,19
5 er AT. 3 St. 16, 17, 18 18, 3% 20
TEDER BE EN.
6 ca I ETT SL. IS BOT
or 7 re A 4 T. 7. ; 18, 19,20 18, 19, 20 f
n 8 = j 6 m. | 20, 21 20, 21
Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, könnte man die
Embryonen dieser Periode abermals gruppieren und zwar in zwei
Abteilungen: In die erste Abteilung gehören die Embryonen
1—3, in die zweite die Embryonen 4—8. Die Embryonen der
ersten Abteilung besitzen nur eine Subelavia und zwar ist es ein
Gefäss der rechten Seite, das zuerst auftritt. Hingegen
repräsentieren die Embryonen der zweiten Abteilung das wichtige
Stadium, in welchem mehrere Subelavien auf beiden Seiten vor-
handen sind. Aber wenn man auch von dieser Einteilung absieht
und beide Abteilungen zusammenfasst, ergibt sich dennoch, dass
sich die erste Periode nur auf einen kurzen Zeitabschnitt er-
streckt, denn der ganze Prozess des Auftretens und Wiederver-
schwindens der segmentalen Subelavien scheint sich, sofern man
von Embryo 8 absehen darf, gewöhnlich in den ersten Stunden
des fünften Bebrütungstages abzuspielen. Die geringste Urwirbel-
zahl, die ich bei einem Embryo mit beginnender Entwicklung
der Subelavien feststellte, betrug 31. Beim nächst jüngeren
Embryo meiner Sammlung mit 30 Urwirbeln war bestimmt noch
keine Subelavia vorhanden.
Extremitäten bei den Vögeln. 349
Ehe ich das Aussehen und den Verlauf der Subelavien im
speziellen schildere, will ich einige Angaben über den Ent-
wicklungsgrad der Embryonen obiger Tabelle voranstellen. Die
Embryonen 1—3 lassen sich gemeinsam besprechen. Für sie gilt
folgendes: Die Riechgruben sind als flache Einsenkungen ange-
lest. Das Linsensäckchen ist noch in ganz kurzer Strecke mit
dem Eetoderm verbunden; auch die Gehörbläschen kommunizieren
noch mit der äusseren Oberfläche. Am Hinterhirn lassen sich
fünf Neuromeren unterscheiden. Es sind vier Kiemenspalten zu
erkennen. Die Lungenrinnen haben sich noch nicht vom Vorder-
darm abgeschnürt. Der ceraniale Lebergang ist noch unverästelt,
der hintere an seiner vorderen Spitze in mehrere kurze Äste ge-
teilt. Die dorsale Pancreasanlage tritt eben als Wucherung der
noch offenen Darmrinne auf. Der Wolffsche Gang hat die Cloake
noch nicht erreicht.
Entsprechend der grösseren Urwirbelzahl der Embryonen
3—8 ist auch die Entwicklung ihrer Organe weiter vorgeschritten.
Ich werde die Notizen, die ich mir darüber gemacht habe, vor
Besprechung des Verhältnisses ihrer Subelavien einschalten.
Was die Extremitäten-Anlagen hei den Embryonen 1—
betrifft, so sind dieselben bereits gut ausgeprägt. Sie erscheinen
als Leisten der seitlichen Rumpfwand (Wolffsche Leisten),
welche von verdichteten Mesodermzellen gebildet werden. Ihre
vordere und hintere Grenze sind nicht genau zu bestimmen.
Die erstere fällt ungefähr in das 16., die letztere in das 20. bis
21. Segment. Dieselben Grenzen der Extremitätenanlage hat
auch Fischel!) für einen Entenembryo mit 34 Urwirbeln ange-
geben. Ihre grösste Dicke erreicht die Leiste im 19. Segment,
von wo sie nach vorn und hinten gleichmässig und allmählich
absinkt. Das Epithel über ihrer Mitte ‘und dem äusseren Ab-
hang fällt bei Embryo 1 mehr als bei 2 und 3 durch eine etwas
dunklere Färbung auf. Es hängt dies damit zusammen, dass hier
die Zellen dichter als auf der Innenfläche der Leiste beisammen
liegen, so dass jene Intercellularräume fehlen, durch welche
sich das Eetoderm der Vogelembryonen im Anfange der Ent-
wicklung bekanntlich auszeichnet. Auch sind die Zellen proto-
plasmareicher als dort.
!) Die Entwicklung der ventralen Rumpf- und der Extremitäten-
muskulatur der Vögel und Säugetiere. Morpholog. Jahrbuch, XXIII. Bd. 1895.
350 Hans Rabl:
Ich komme nun zur Beprechung der Subelavien selbst; die-
selbe muss für die einzelnen Embryonen getrennt erfolgen.
Die rechte Subelavia des Embryo 1 ist ein ausserordentlich
dünnes Gefäss. Sie liegt am hinteren Ende des 18. Segmentes
und entspringt direkt aus der Aorta (Textfig. 1). Auf der linken
Seite ist das Gefäss noch nicht gebildet; doch besitzt die Aorta
ventral von der Abgangsstelle der 18. Segmentalarterie eine late-
rale Vorbuchtung, welche vielleicht als die Anlage des Ursprungs-
trichters aufgefasst werden darf. Ähnliche Ausweitungen der
Aorta sind an diesem Embryo sowohl rechts wie links auch an
anderen Stellen zu sehen: so z. B. rechts 0,03 mm vor dem Ab-
gang der zwischen 19. und 20. Segment gelegenen dorsalen
Segmentalarterie, also
an derselben Stelle, an
der proximal eine Sub-
clavia angelegt ist;
ferner links in der
gleichen Höhe, in der
die 19.Segmentalarterie
abgeht und rechts an
der Grenze zwischen
17. und 18. Segment.
Im Gegensatz zur
Fig. 1. Subelavia des Embryo 1
A.s. = Arteria subelavia, d. S. = dorsale ist die auf Taf. XII,
Segmentalarterie. Vergr. 50. Fig. 2 wiedergegebene
on lo}
Subelavia des Embryo 2
ein weites Rohr, dessen Verlauf leicht festzustellen ist. Gleichwie
bei Embryo 1 zieht die Subelavia auch hier zunächst in hori-
zontaler Richtung nach aussen; unmittelbar nachdem sie die dor-
sale Wand der Kardinalvene passiert hat, biegt sie auf eine
kurze Strecke nach rückwärts ab und tritt hierauf — sich über
die Spitze der Leibeshöhle hinüberschlagend — an die Basis der
Extremität. Hier verbindet sie sich mit den venösen Gefässen
der Leibeswand.
Diese letzteren verdienen unsere besondere Beachtung, weil
sie schon vor den Arterien vorhanden sind. Sie liegen knapp
über dem Peritonealepithel und bilden ein Netz weiter Röhren,
dessen äussere Grenze von der V. umbilicalis, dessen innere
Extremitäten bei den Vögeln. 35l
Grenze von der V, cardinalis posterior gebildet wird. Die queren
Anastomosen zwischen diesen beiden Längsstämmen sind es,
welche den wesentlichsten Bestandteil des Netzes bilden. Eine
solehe Anastomose ist es auch, in welche die Subelavia ein-
mündet, und welche in Fig. 2 zur Darstellung gebracht wurde.
Untersucht man die Extremitätenleiste bei einem etwas jüngeren
Embryo mit 30 Urwirbeln, bei welchem noch keine Subelavia zur
Anlage gekommen und die Wolffsche Leiste nur schwach aus-
geprägt ist, so findet man die Venen noch sehr eng. Ich habe
einen Querschnitt durch die Körperwand eines solchen Embryo
in der Gegend des 18. Segmentes in Fig. 1, Taf XIII, abgebildet.
Verfolgt man die Serie kopfwärts vom gezeichneten Schnitt, so
findet man, dass die Venen immer weiter werden, schwanzwärts
dagegen verschwinden sie bald vollständig; denn auch die Aus-
- bildung der Längsstämme (V. umbilicalis und V. cardinalis posterior)
schreitet von vorne nach rückwärts fort. Man darf wohl an-
nehmen, dass das Blut in diesem Netze anfangs nur eine sehr
geringe Bewegung besitzt. In dem Augenblick aber, in dem sich
die Subclavia mit ihm verbindet, wird diese Bewegung zu einer
lebhaften, da ja das Blut nunmehr direkt aus der Aorta in das
Netz einströmt. Dadurch wird auch mit einem Male das Wachs-
tum der Extremitätenleiste ein rascheres.
Kehren wir nach dieser Abschweifung zu den Embryonen
unserer Tabelle zurück, so ist in bezug auf Embryo 3 zu be-
merken, dass bei demselben ebensowenig wie bei Embryo 2 eine
Andeutung des Abganges einer zweiten und dritten Subelavia
nachweisbar war. Auch liess sich die Arterie nicht so weit in
die Extremität hinein verfolgen, als dies bei Embryo 2 der Fall
war. Die Subelavia besitzt hier einen ziemlich weiten Ursprungs-
trichter; sie verschmälert sich aber, noch ehe sie die Kardinal-
vene erreicht hat und ist weiterhin nicht mehr mit Sicherheit
im Gewebe aufzufinden. Bei beiden letztgenannten Embryonen
läuft das Gefäss, ebenso wie dies von Embryo 1 angegeben wurde,
knapp cranial vor der zugehörigen dorsalen Segmentalarterie.
Der unmittelbare Ursprung der Subclavia aus der Aorta ist
hier nicht zum ersten Male beschrieben. C.G.Sabin!) unter-
suchte im Vorjahre die Entwicklung der Subelavia des Hühnchens
2 The Origin of the Subelavian Artery in the Chick. Anat. Anzeiger,
26. Bd., 1905.
352 Hans Rabl:
und schildert die Verhältnisse bei einem SO Stunden alten Embryo
folgendermassen: ‚Ihe wing-artery is here formed by a lateral-
dorsal derivative of the Aorta and is, in the early stages, en-
tirely separate from the dorsal portion of the Segmental artery of
this somite. The course taken by the primary Subelavian is first
an upward and a lateral one, when, bending in a broad
curve ... . it sweeps downward into the wing. This broad
angled turn in the course of the artery remains about the same
throughout the existence of the primary Subelavian.“
Was den hier beschriebenen Bogen anbelangt, den die Arterie
in ihrem Verlaufe zurücklegt, so ist zu bemerken, dass derselbe
in den frühesten Stadien nicht vorhanden ist. Erst wenn die
Kardinalvenen eine grössere Mächtigkeit erlangen, müssen die
Subelavien, um die Extremität zu erreichen, einen Bogen be-
schreiben. Dass diese Schlussfolgerung richtig ist, geht sowohl
aus den Abbildungen von Sabin wie aus dem Vergleiche meiner
Jüngsten Embryonen mit denen aus dem zweiten Teil der ersten
Periode hervor. Dass Sabin an seinem Material, das offenbar
in einer ziemlich vollständigen Entwicklungsreihe des Hühnchens
gerade aus der uns hier interessierenden Zeit bestand, die
Segmentalarterien vollständig übersah, nimmt mich wunder.
Ich bin überzeugt, dass sowohl er, wie Kollege Fischel an
seinen Entenembryonen,') die Richtigkeit meiner Darstellung ohne
weiteres bestätigen können. Übrigens muss ich hervorheben,
dass Fischel in seiner Figur 4 den Querschnitt eines Enten-
embryo mit 42 Urwirbeln abbildet, an welchem gerade die dor-
salen Segmentalarterien getroffen sind, und an dem man auch
jederseits die Abgangsstelle einer Subclavia sehen kann. Jene
auf der linken Seite des Bildes liegt ein beträchtliches Stück
ventral von der dorsalen Arterie, während die Subelavia _der
segenüberliegenden Seite bereits näher an die Segmentalarterie
herangerückt ist.
Ich wende mich nun zur Schilderung der Embryonen aus
dem zweiten Teil der ersten Periode. Die Embryonen 4 und 5
sind einander nahezu vollkommen gleich. Es gelten daher die
folgenden Angaben betrefis des Entwicklungsgrades einiger
Organe für beide: Die Riechgruben haben sich gegen früher be-
deutend vertieft. Die Gehörbläschen sind nur mehr durch einen
RC:
Extremitäten bei den Vögeln. 39
>
kurzen soliden Faden mit dem Ectoderm verbunden. Auch der
Zusammenhang zwischen Linse und Cornea wird nur mehr durch
zwei oder drei Zellen vermittelt, andere Zellen mit deutlichen
Zeichen von Degeneration liegen frei im. engen Spalte zwischen
den beiden Organen. Der Augenstiel ist noch hohl, das Pigment
der Retina noch nicht gebildet. Von den vier Kiementaschen
Fig. 2.
A. = Aorta, A.s. (1 und 2) = Arteria subelavia, V.u.—= Vena umbilicalis.
Vergr. 200.
ist die erste nahezu, die zweite vollends durchgebrochen, die dritte
stark vertieft. Die Anlagen der Bronchien beginnen sich bereits
vom Vorderdarm abzuschnüren. Der craniale Lebergang ist noch
unverästelt. Von den Pankreasanlagen sind neben der dorsalen
Anlage nun auch die ventralen sichtbar. Die Wolffschen Gänge
endigen noch blind.
Was die Subelavien der beiden Embryonen anbelangt,
so verweise ich zunächst auf Textfig. 2, welche das Ver-
halten dieser Gefässe auf der linken Seite von Embryo 4 zeigt.
Es handelt sich um eine Rekonstruktion der Arterien und des
in der Leibeswand gelegenen Gefässnetzes bei 200facher Ver-
grösserung, projiziert auf die Frontalebene. Die Leibeswand
354 Hans Rabl:
stellt bei diesem Embryo in der bezeichneten Region eine stark
gebogene Platte dar, deren am weitesten lateralwärts vorspringende
Partie die Kuppe der Extremitätenanlage bildet. Wollte man
die Gefässe direkt auf die Frontalebene projizieren, so würde
man mit Rücksicht auf die Einrollung der Leibeswand, welche
so stark ist, dass die Umbilicalvene genau ventral von der Kardi-
nalvene gelegen ist, ein nur sehr schwierig zu deutendes Bild
erhalten. Ich habe daher die Gefässe so eingetragen, als ob die
Leibeswand flach auf dem Dotter liegen und mit der dorso-
ventralen Achse des Embryo einen Winkel von 90° bilden würde.
Abgesehen von dieser willkürlichen Änderung vermag ich für die
absolute Richtigkeit des Gefässnetzes selbst auch aus dem Grunde
nicht einzustehen, da mir möglicherweise Gefässe, die ganz eng
sind, entgingen. Immerhin glaube ich, dass man nach der ab-
gebildeten Rekonstruktion eine deutliche Vorstellung des schon
bei Gelegenheit der Beschreibung des Embryo 2 erwähnten Ge-
fässnetzes erhalten wird. Überdies habe ich in Fig. 3, Taf. XIII
einen Querschnitt der Extremitätenanlage mit jenem Netze ab-
gebildet.
Diejenigen Kanäle, welche in Textfig.2 nach links (medial-
wärts) offen erscheinen, sind Venen, welche sich nach kurzem
Laufe in die V. cardinalis ergiessen, die selbst, um die Zeichnung
nicht zu komplizieren, nicht eingetragen wurde. Die vordere
Subelavia endet blind; ihre äussere Spitze befindet sich über der
dorsalen Wand der V. cardinalis. Die hintere Subelavia teilt sich,
noch ehe sie auf die seitliche Körperwand übergetreten ist, in
einen grösseren Ast, welcher zwischen Kardinalvene und Leibes-
wand nach rückwärts zieht, und einen kleineren, der direkt in
das Gefässnetz der Körperwand mündet. Der nach rückwärts
ziehende Ast hat eine Länge von 0,13 mm und gibt mehrere
weitere und engere Zweige ab, welche, im Bogen nach aussen
verlaufend, sich gleichfalls mit jenem Gefässnetze verbinden. Die
Lage dieses letzteren ist fast an allen Stellen die gleiche, indem
es sich in einer Entfernung von ca. 0,02 mm vom Coelomepithel
ausbreitet. Gegen die Extremitätenanlage zu zweigen mehrfach
Röhrchen ab, welche schon nach kurzem Verlauf in der dichten
Zellmasse zugespitzt enden.
Von den drei Subclavien der rechten Seite verhalten sich
die erste und dritte analog der ausgebildeten linken Subelavia.
Extremitäten bei den Vögeln. 355
Sie spalten sich nämlich noch vor ihrem Durchtritte zwischen
ventraler Urwirbelkante und Peritonealepithel in zwei Äste, von
denen der dünnere Ast direkt auf die seitliche Leibeswand über-
tritt, während sich der stärkere zunächst caudalwärts wendet und
ein bis drei Zweige an das Gefässnetz der Leibeswand abgibt,
ehe er selbst in dasselbe einmündet. Die mittlere der drei Sub-
clavien zeigt eine besondere Eigentümlichkeit, indem sie sich un-
mittelbar nach ihrem Ursprung teilt. Ich habe wieder eine Re-
Konstruktion derselben auf Millimeterpapier in der Projektion
auf die Frontalebene vorgenommen. Sie ist in Textfig. 3 wieder-
gegeben. Von der oberen Spalthälfte zweigen in proximaler
Richtung zwei Divertikel ab, von denen das eine nach kurzem,
das andere nach längerem, cranial und medialwärts gerichtetem
Fig. 3.
A. — Aorta, L—-L = dorsale Kante der Leibeshöhle.
Vergr. 200.
Verlaufe endigt. Die Insel, welche die beiden Arme umfliessen
wird von einer Intervertebralvene zum Durchtritt benützt, um
von der Dorsalseite her in die Vene cardinalis posterior einzu-
münden. Die laterale Vereinigung der Spalthälften befindet sich
an jener Stelle, an der bei den übrigen Subelavien das in cau-
daler Richtung. abzweigende Gefäss zu finden ist. Von dem im
vorliegenden Falle kurzen, weiten Längsstamme treten bloss zwei
Gefässe, welche als die Fortsetzungen der beiden Subelavien-
Hälften erscheinen, auf die seitliche Körperwand über.
Der zweite Entenembryo der gleichen Entwicklungsstufe
(Embryo 5) zeigt nicht genau dieselben Verhältnisse, wie sie
eben geschildert wurden. Ich finde hier nämlich jederseits drei
Subelavien, rechts im 16. bis 18., links im 18. bis 20. Segment.
Das Vorkommen einer Subelavia im 16. Segment konnte hier zum
356 Hram sauna:
ersten und einzigen Male konstatiert werden; doch ist diese Er-
scheinung nicht befremdend, da die craniale Sjitze der Extre-
mitätenanlage — wie bereits oben erwähnt wurde — im 16 Segment
gelegen ist. Was das Epithel über der Extremitätenleiste an-
belangt, so ist der Unterschied im Aussehen desselben zwischen
dorsaler und ventraler Seite — wie er von jüngeren Embryonen
geschildert wurde — auch hier sehr auffallend. Dorsal sind die
Zellen schlank, die Interzellularräume weit, ventral liegen die
Zellen dieht aneinander und sind protoplasmareicher; etwas unter-
halb der Kuppe der Extremi-
tätenleiste sind sie am höchsten
und am dunkelsten gefärbt. Da-
durch lässt sich bereits in diesem
Stadium jene Zellgruppe unter-
scheiden, welche später als Eeto-
dermkappe (Kölliker) über
den Rand der Extremität vor-
wächst.
Die Subelavien sind beim
vorliegenden Embryo von sehr
ungleicher Entwicklung. Was
die rechte Seite anbelangt, so
entspringt die Subelavia des
16. Segmentes mit einem weiten
Trichter aus der Aorta, ist aber
nicht bis an die Basis der Ex-
un © tremitätenanlage zu verfolgen.
Fig. 4. Dagegen sind die Arterien des
Embryo 5. A.s. = Arteria sub- 17. und 18. Segmentes gut‘ aus-
clavia am hinteren Ende des Er: I Bl. :
Be er Mo gebildet. | Links hinwieder ist
rn 5 die erste Subelavia die breiteste
(Textfig. 4), während die zweite
und dritte zwar bis in das Gefässnetz der Extremitätenbasis zu ver-
folgen sind, aber ein vollkommen lumenloses Anfangsstück besitzen.
An den grösseren Subelavien sind dieselben Inselbildungen innerhalb
des Rumpfes zu beobachten wie oben ein Fall bei Embryo 4 ge-
schildert wurde. Textfig. 5 zeigt eine solche Insel in der Strom-
bahn der Subelavia des 18. Segmentes rechts. Es wurden vier
(uerschnitte kombiniert. Wie man sieht, spaltet sich die Sub-
Extremitäten bei den Vögeln. 357
clavia etwa auf halbem Weg von ihrem Ursprung zur dorsalen
Kante der Leibeshöhle in ein gerade fortlaufendes und ein etwas
ventral ablenkendes Gefäss. Dieses letztere teilt sich, unter dem
Peritonealepithel angekommen, abermals in zwei Äste, von denen
der eine dorsal zieht, um wieder in das Hauptgefäss einzumünden,
während der andere in der Sagittalebene nach rückwärts läuft
und daher nicht eingezeichnet werden konnte. Auch er biegt
schliesslich über die Dorsalkante der Leibeshöhle hinüber und in
die Extremitätenanlage ein. Eine weitere Eigentümlichkeit dieser
Subclavia besteht darin, dass ca. 0,015 mm hinter ihr aus der
Aorta ein zweites Gefäss entspringt, das aber wesentlich kleiner
als das vordere ist. Es ist also
ug eine Spaltung des Rohres von
A seinem Ursprung an erfolgt, so
R
—
dass die Subclavia als verdoppelt
bezeichnet werden darf. Ich’
werde auf diese Erscheinung
EN beim Embryo 7, bei welchem
die beiden Spalthälften gleich-
Fig. 5. weit sind und sich besser zur
A. = Aorta, A.s. — Arteria sub- Rekonstruktion eignen, noch-
clavia, V.c. = Vena cardinalis poste- mals zurückkommen.
rior, L. = Leibeshöhle. Vergr. 200. Der eben genannte Embryo 7
sowie Embryo 6 haben aber-
mals ungefähr denselben Entwicklungsgrad erreicht. Da ich nur
den ersteren in eine komplette Serie zerlegt habe, so gelten die
folgenden Angaben für diesen allein.‘) Die Gehörblasen und
Linsensäckchen haben bereits jeden Zusammenhang mit der Epi-
dermis verloren. Auch die Zellen zwischen Cornea und Linse
sind verschwunden. Die Riechgruben bilden schon taschenförmige
Vertiefungen. Es sind fünf Kiementaschen und fünf Arterien-
bogen vorhanden. Die paarigen Lungenanlagen sind bereits mit
A.s
!) Kopf und Hals von Embryo 6 wurden bei Gelegenheit einer embryo-
logischen Übung geschnitten. Aus dem Entwicklungsgrad der Halsorgane
erkannte ich, dass hier die erste Periode in der Entwicklung der Subeclavia
vorliegen müsse. In dieser Meinung wurde ich auch nicht getäuscht. Da
aber die Schnitte durch die vordere Körperhälfte bereits an Studenten aus-
geteilt waren, so kann ich über die Gesamtzahl der Urwirbel dieses Embryo
sowie über die Lage der Subelavien nur Mutmassungen äussern.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 24
358 Hans Rabl:
ihren caudalen Spitzen vom Vorderdarm abgeschnürt und die Liga-
menta mesolateralia mit dem Mesocardium posterius verwachsen.
Der vordere Lebergang beginnt sich zu verästeln, der hintere
besitzt mehr Zweige als bei den jüngeren Embryonen. Die
ventralen Pancreasanlagen sowie die dorsale Anlage beginnen
Sprossen zu treiben. Die Wolffschen Gänge sind schon mit
dem Entoderm verbunden.
Wie aus der Tabelle (S. 348) hervorgeht, sind bei den
Embryonen 6 und 7 jederseits drei Subelavien vorhanden. Ver-
mutlich liegen sie beim
erstgenannten Embryo in
denselben Segmenten wie
beim letzteren. Die Ex-
tremität ist gegen früher
wesentlich in die Länge
gewachsen (Textfig. 6). Die
Epidermis über ihr ist
hochzylindrisch und unter-
scheidet sich dadurch von
der des übrigen Körpers,
welche bereits abgeplattet
Fig. 6.
Embryo 7, Kombination von 3 Schnitten. Di Doch IE} der Unter-
Hinteres Ende des Segmentes. A.s. — Ar- schied in der Höhe der
teria subelavia, d. S.— dorsale Segmental- Zellen zwischen dorsaler
arterie. Die Linie am Ursprung der letzteren und ventraler Seite der
zeigt die Aortenwand an der Abgangsstelle Extremität noch immer
der Subelavia, da die beiden Arterien nicht in
FR erkennbar. Die grösste
der gleichen Transversalebene entspringen. ? 3 ’
Vergr. 50. Höhe erreichen die Zellen
der Ventralseite nahe der
Spitze der Extremität, wo sie eine am Querschnitt (Tafel XIII, Fig. 4)
knopfförmig vorspringende Bildung, die Anlage der bereits
erwähnten Ectodermkappe erzeugen. Doch sitzen die Zellen der
letzteren in diesem Stadium noch alle direkt dem Bindegewebe
auf und haben sich noch zu keiner ausschliesslich epithelialen
Duplikatur zusammen gelegt. Aus dem angezogenen (uer-
schnittsbilde kann man auch die Anordnung der Blutgefässe
ersehen. Sie bilden darnach in dem zentralen Teile der Extremi-
tätenleiste ein ziemlich enges Netz. Dieses ist mit Rücksicht
auf die Lehre von einem primären achsialen Gefässe in der
Extremitäten bei den Vögeln. 359
Extremität von grosser Wichtigkeit. Wie man sieht, liegt es
inmitten eines lockeren Bindegewebes, während die Rinde der
Extremitätenanlage von einem ausserordentlich dichten Gewebe
gebildet wird. Ähnliche Verhältnisse sind auch schon in Fig. 2
und 3 zu erkennen. Nur erscheint hier, entsprechend der
geringeren Entwicklung der Extremitätenanlage das lockere
Bindegewebe als Begrenzung der Leibeshöhle, während das dichte
Gewebe allein die Wolffsche Leiste bildet. Das Gefässnetz
gehört in beiden Fällen dem lockeren Gewebe an. Zweifellos
ist diese Anordnung der Blutgefässe in Gestalt eines gleich-
mässigen Netzwerkes die-
jenige, welche dem Gewebe
im vorliegenden Falle die aus-
giebigste Ernährung sichert.
Wie bei den erwachsenen
Tieren die Anordnung der
Blutgefässe in innigster Be-
,
ers) Yh ziehung zum Baue des zu
' versorgenden ÖOrganes und
. Gewebes steht, so muss das
/ gleiche Moment auch die Ge-
fässverteilung des Embryo
beherrschen. Jede Phase der
Entwicklung muss ihre spe-
zielle Gefässanordnung be-
A.ax.
Vu.
Fig. 7.
A. ax. —= Arteria axillaris, V.c.p. = Vena
cardinalis posterior, Un. — Urniere, V.u. f a k
— Vena umbilicalis. Vergr. 100. sitzen, deren endgültige Um-
wandlung in die bleibenden
Formen eine Folge der allmählichen Ausbildung der Organe des
Embryo ist.
Um eine noch klarere Vorstellung des Gefässnetzes in der
Extremitätenanlage zu geben, teile ich in Fig. 7 ein Kombinations-
bild aus vier Schnitten mit, welche die Eintrittsstelle der Subelavia
des 19. Segmentes dieses Embryo betreffen. Man sieht, dass
sich die eintretende Subclavia analog jener, welche in Textfig. 4
dargestellt ist, in zwei Gefässe spaltet. Das eine Gefäss ent-
spricht hinsichtlich seiner Lage der in Fig. 2 und 3, Taf. XIII
‚dargestellten Subelavia, indem es annähernd parallel mit der
Leibeswand nach aussen zieht. Das zweite setzt sich in der
Richtung des Blutstromes der Subelavia in die Extremität hinein
24*
360 Hans Rabl:
fort; dieselbe Richtung schlägt aber auch der Hauptast des
ersten Gefässes ein, während nur ein dünnerer Ast an der Basis
der Extremität verbleibt. Die beiden nach der Spitze der Ex-
tremität gerichteten Arterien verbinden sich zunächst durch eine
Anastomose und münden hierauf zusammen, um dadurch abermals
ein grösseres Rohr zu bilden, welches Zweige einerseits nach der
Spitze der Anlage, andererseits nach unten zu den Venen der
Leibeswand abgibt. Ein ähnliches Verhalten zeigt auch die erste
und dritte Suclavia, von denen ich ebenfalls Rekonstruktionen
angefertigt habe. Die Netze, in welche sich die drei metameren
Subelavien auflösen. stehen untereinander durch Anastomosen in
Verbindung, von denen ich es dahingestellt lassen muss, ob
dieselben als Arterien oder Venen aufzufassen sind. Jedenfalls
Fig. 8.
A — Aorta, L—L — dorsale Kante der Leibeshöhle.
Vergr. 200.
setzen sie sich an zahlreichen Stellen in Venen fort, welche teils
direkt in die hintere Kardinalvene, teils in ihre grossen segmen-
talen Zuflüsse einmünden, die von der Dorsalseite des Körpers
herkommen. Die bereits erwähnte Fig. 4, Taf. XIII ist einer Stelle
entnommen, welche zwischen erster und zweiter Subelavia gelegen
ist. Man erkennt auf derselben die Einmündung zweier Gefässe
in eine an der Extremitätenbasis verlaufenden Vene und sieht
eine Fortsetzung der V. cardinalis posterior nach aussen, welche
sich am folgenden Schnitte mit jener Vene verbindet.
Ehe ich die Embryonen 6 und 7 verlasse, habe ich des
bereits erwähnten Vorkommens der Längsspaltung einer Subelavia
zu gedenken, das bei Embryo 7 beiderseits im 20. Segment zu
beobachten ist. Die Verhältnisse der linken Seite zeigt Textfig. 8.
Hier entspringen aus der Aorta unmittelbar hintereinander zwei
Extremitäten bei den Vögeln. 361
Gefässe, die zunächst noch im Bereiche des Rumpfes eine Ana-
stomose eingehen, hierauf aber getrennt weiter verlaufen, bis sie
sich an der Basis der Extremität neuerdings vereinigen. Die
letztere Verbindung muss samt ihren beiden Zuflüssen als
Teil des Gefässnetzes der Extremität betrachtet werden. Ich
glaube, dass diese Verdoppelung der Subelavia in der Weise
erklärt werden darf, dass die Wand des Gefässes an einer Stelle
oder an zwei gegenüberliegenden Stellen einsinkt, bis sie die
gegenüberliegende Wand berührt, dann kommt es zu einer Ver-
schmelzung, welche aber nicht den vollen Abschluss des Gefässes,
sondern nur eine Teilung der Strombahn bedingt, da ja die
anderen Partien des Rohrumfanges ihre Lage beibehalten. Eine
andere Ursache dieser Verdoppelung scheint mir nicht wahr-
scheinlich. Man muss zwar die Möglichkeit in Betracht ziehen.
dass hier Subelavien verschiedener Segmente vorliegen, welche
durch Verschiebung entlang der Aorta schliesslich in unmittelbare
Nachbarschaft geraten. Dagegen aber spricht die ganz bestimmte
Lage der Extremitätengefässe am hintersten Ende eines Körper-
segmentes. Diese Lage nehmen auch die Gefässe im Falle ihrer
Verdoppelung ein. Wollte man annehmen, dass eines dieser
Gefässe dahin gewandert sei, so müsste man es auch einmal auf
dieser Wanderung, etwa in der Mitte eines Segmentes, antreffen.
Dies ist aber nie der Fall: Eine andere Möglichkeit: die von
Haus aus selbständige Anlage zweier Subelavien im gleichen
Segment scheint mir auch nicht wahrscheinlich, denn die segmen-
talen Subelavien sind jedenfalls sehr ursprüngliche Gefässe, die
zwar sekundär die mannigfachsten Veränderungen, Weiter- und
Rückbildungen erfahren können, in ihrem ersten Auftreten aber
“inneren Gesetzen der Vererbung folgen und daher in diesem
Stadium der Variabilität kaum in hohem Grade unterworfen sind.
Wird die Wahrscheinlichkeit des beschriebenen Vorganges
für einen Fall der Gefässbildung zugegeben, so darf man wohl
auch einen Sehritt weiter tun und die Inselbildungen (Textfig. 3
und 5) durch den gleichen Prozess erklären. Ich will’ daneben
die Entstehung von Gefässinseln durch Bildung zweier Sprossen
eines Stammgefässes, die sich miteinander vereinigen und so eine
geschlossene Masche erzeugen, nicht in Abrede stellen, muss aber
gestehen, dass mir für manche Gefässformationen die oben vor-
getragene Entstehungsart wahrscheinlicher dünkt.
362 Hans Rabl:
Der letzte Embryo der obigen Tabelle, der durch den Besitz
zweier Subelavien jederseits ausgezeichnet war, entsprach seinem
Alter weder hinsichtlich seiner Grösse noch des Entwicklungs-
zustandes seiner Organe. Doch war er noch am Leben, als er
konserviert wurde, und mit Ausnahme dessen, dass hier die
hinterste Subelavia auf die Grenze zwischen 21. und 22. Segment
fällt, was bisher noch nicht notiert werden konnte, wies er
durchaus normale Verhältnisse auf. Übrigens darf auch der
Ursprung einer Subelavia im 21. Segment nicht wundernehmen,
da früher von jüngeren Embryonen angegeben wurde, dass sich
die Wolffsche Leiste bis dahin erstrecke, und auch im vor-
liegenden Falle der Querschnitt des Extremitätenstummels im
21. Segment noch eine ansehnliche Grösse besitzt. Die Extremi-
täten sind wesentlich länger als bei den Embryonen 6 und 7,
übertreffen aber nicht die eines nur 4 Tage S Stunden alten
Embryo, welcher links zwei, rechts aber nur mehr eine Subelavia
besitzt und daher unter jene Embryonen eingereiht wurde, welche
den Übergang der ersten in die zweite Periode der Entwicklung
der Subelavia darbieten.
Die Subelavia am Ende des 20. Segmentes zieht bei
Embryo S rein transversal, die des 21. Segmentes proximalwärts
und betritt die Extremität erst im Bereich des 20. Segmentes.
So kommt es zu einer Konzentrierung in der Anordnung der
zuführenden Arterien. Ausserdem aber zeigt die hintere Sub-
clavia noch vor ihrem Übertritt in die Extremität eine Spaltung
in zwei Gefässe, so dass drei Axillararterien knapp hintereinander
in die Extremität eintreten. Zwei davon sieht man in Textfig. 9.
Es handelt sich hier um die beiden Äste der Subelavia des
21. Segmentes, welche sich in je eine Arteria axillariıs und
brachialis fortsetzen. Ebenso wie diese senkt sich auch die
Arteria brachialis, welche die Fortsetzung der Subelavia des
20. Segmentes bildet, in das Gefässnetz im distalen Teile der
Extremität ein. Am Übergang der beiden hinteren Axillararterien
in die Arteriae brachiales ist eine Anastomose der beiden Längs-
stämme vorhanden. Eine Anastomose zwischen ihnen und der
vorderen Subelavia konnte ich nicht auffinden. Dagegen ist
eine solche links zwischen der dort nur einfachen hinteren
und der vorderen Subelavia leicht festzustellen. Diese Ver-
bindung liegt unmittelbar distal vor der Spitze des in die Ex-
Extremitäten bei den Vögeln. 363
tremität einwachsenden Nervenplexus, also an derselben Stelle,
an der sie auch rechts zwischen den beiden Ästen der Subelavia
gelegen ist.
Wie sich aus dieser Schilderung ergibt, hat die Gefässan-
ordnung in der Extremitätenanlage gegenüber dem Embryo 7
eine wesentliche Änderung erfahren. Diese darf wohl als Folge
MP
Ä. rbr
De a
Fig. 9.
Kombination mehrerer Schnitte. A. br. = die beiden Arteriae brachiales,
A.pr. br. — Arteria profunda brochii, S.R. V.— Seitenrumpfvene, V.c.p. — Vena
cardinalis posterior, Un. — Urniere, Lh. = Leibeshöhle, N. Pl. — Nervenplexus.
Die eine Axillaris ist nur punktiert dargestellt.
Vergr. 100.
der fortgeschrittenen Entwicklung der Extremität aufgefasst
werden. Denn während beim ersteren Embryo die Arteriae
brachiales nicht weiter als die anderen Gefässe des Extremitäten-
stummels sind, RA sie in vorliegendem Falle deutlich als
achsiale Hauptgefässe der Extremität hervor. Wie sich aus dem
364 Hannah
Vergleiche dieses Embryo mit älteren Stadien, bei welchen die
Knochen des Vorderarmes — wenn auch nur als Knorpel —
angelegt sind, ergibt, entspricht das Gefäss, welches ich in
Textfig. 9 als Arteria brachialis bezeichne, der primitiven Arm-
arterie, wie sie von Hochstetter, Zuckerkandl und
anderen in den embryonalen Extremitäten nachgewiesen wurde.
Sie ist nicht nur die Hauptarterie des Oberarmes, sondern auch
die des embryonalen Vorderarmes. Das Netz, in welches sich
die achsialen Arterien an der Spitze der Extremität auflösen, liegt
in der Gegend der künftigen Handwurzel. Man vermag hier
demnach schon Regionen des Flügels zu unterscheiden, während -
dies bei anderen Embryonen mit mehreren Subelavien nicht
möglich ist. Dagegen lässt sich diese Unterscheidung bereits
fast durchgehends bei Embryonen treffen, welche nurmehr eine
Subelavia besitzen. Von diesem Verhalten beobachtete ich bloss
eine Ausnahme, indem bei einem Embryo — ich komme später
noch ausführlicher auf denselben zu sprechen — zwar beiderseits
nur eine einzige Subelavia vorhanden war, dagegen die Extremität
noch keine solche Längenentwicklung erreicht hatte, dass eine
einzige Arterie als Hauptarterie ausgebildet gewesen wäre. Dieser
Embryo steht demnach im Gegensatz zum vorliegenden Embryo 8,
welcher trotz der stärkeren Ausbildung seiner Extremität noch
zur ersten Periode in der Entwicklung der Subeclavia gezählt
werden muss.
Die zweite Periode ist, wie schon bemerkt, dadurch
charakterisiert, dass während derselben bloss ein Gefäss diesen
Namen verdient. welches gemeinsam mit einer dorsalen Segmental-
arterie aus der Aorta entspringt. Am Ende dieser Periode
kommt die Anastomose zwischen drittem Arterienbogen und
Axillaris zur Entwicklung, wodurch die zweite Periode von der
dritten abgelöst wird. Mein Material an Entenembryonen dieser
Periode ist ziemlich reich, doch will ich nur über wenige berichten,
welche besonders klare und interessante Verhältnisse darboten.
Das Alter dieser Embryonen beträgt von 4 Tage S Stunden bis
6 Tage. Zunächst soll das Verhalten der primären Subelavia und
hierauf die Entwicklung der Anastomose, wel mir viel Schwierig-
keiten bereitete, besprochen werden.
Extremitäten bei den Vögeln. 365
Ein Embryo von 4 Tagen 8 Stunden (6Y/s mm N.-St.-L.,
46—47 Urwirbel) besitzt Extremitäten etwa von der Grösse des
bereits geschilderten Embryo 8; ihre Länge beträgt 0,63 mm.
Das äussere Keimblatt über ihnen ist wie bei den Embryonen 7
und 8 hochzylindrisch. An der Spitze der Extremität bildet es
eine Duplikatur, die Ectodermkappe, welche eine grössere dorsale
von einer kleineren ventralen Fläche scheidet. Die Extremität
besteht aus dichtgelagerten Mesodermzellen, zwischen denen bloss
Gefässe, aber noch keine Nerven zu unterscheiden sind. Diese
letzteren scheinen an der Basis der Extremität zu endigen. Ver-
folgt man die Serie vom Kopf an nach rückwärts, so findet man
die vorderste Spitze der Mesodermverdichtung in der Gegend
des 15..Segmentes. Hier läuft die Extremitätenanlage als eine
kaum merkliche Vorwölbung der seitlichen Leibeswand flach aus.
Das hintere Ende der Anlage fällt ungefähr mit dem Ende des
21. Ursegmentes zusammen. Die grösste Länge ist an Quer-
schnitten des 19. Segmentes zu sehen.')
!) Dieser Embryo zeigt eine Anomalie, die darin besteht, dass hier
das vorderste Spinalganglion dem achten und nicht, wie dies sonst der Fall
ist, dem siebenten Myotom gegenüberliegt. Man kann dies auf zweierlei
Weise erklären: entweder ist das erste Spinalganglion ausgefallen oder ein
Myotom hinzugekommen. Im ersteren Falle würde demnach bei diesem
Embryo der dritte Halsnerv dieselbe Eigentümlichkeit darbieten, durch welche
sich erster und zweiter Halsnerv auszeichnen, welche bekanntlich bei den
Vögeln aus vorderen Wurzeln allein bestehen. Für die zweite Möglichkeit
spricht der Umstand, dass das erste Myotom dieses Embryo schwächer
entwickelt ist, als dies sonst der Fall zu sein pflegt. Nun wissen wir seit
den genauen Untersuchungen Frorieps (Zur Entwicklungsgeschichte der
Wirbelsäule, insbesondere des Atlas und Epistropheus und der Oceipital-
region. I. Beobachtung an Hühnerembryonen. Arch. f. Anatomie und Physio-
logie, anat. Abteilung, 1883), dass die ersten vier Urwirbel bei den
Vögeln in der Bildung des Hinterhauptes aufgehen. Es ist aber sehr
wahrscheinlich, dass sich der Schädel der Vögel, wie auch der anderen
Wirbeltiere, rücksichtlich seiner Phylogenese aus einer grösseren Zahl von
Urwirbeln zusammensetzt, als ontogenetisch nachweisbar ist. Daher könnte
es nicht wundernehmen, dass vor der Reihe der regelmässig auftretenden
Myotome gelegentlich noch eines sichtbar wird, dessen Differenzierung
normaler Weise unterdrückt ist. Ohne mich für eine der beiden Ursachen
entscheiden zu wollen, habe ich bei der Numerierung der Segmente dieses
Embryo die letztere Möglichkeit in Rechnung gezogen und das erste Myotom
als überzählig ausser Betracht gelassen. Es ist also das als 19. Segment
bezeichnete eigentlich das 20., entspricht aber vielleicht dem 19. eines Embryo
mit der Normalzahl von vier eranialen Somiten.
366 Hans Rabl:
Dieser Embryo besitzt rechts eine, links zwei Subelavien.
Die rechte Subelavia, deren Kaliber der Summe der Lichtungen
der beiden Gefässe der linken Seite gleichkommt, entspringt hier
bereits gemeinsam mit einer dorsalen Segmentalarterie (Textfig. 10)
und zwar mit jener, welche an der Grenze vom 19. und 20. Ur-
segment die Aorta verlässt. Da auch bei jüngeren Embryonen
die Abgangsstellen der beiden Gefässe stets dicht beisammen
liegen, so bedarf es keiner wesentlichen Verschiebung, um ihre
Ursprungstrichter zur vollen Vereinigung zu bringen.
Ich halte diese Verschiebung für die Folge innerer
Spannungszustände der Gefässwand. Keinesfalls glaube ich, dass
man die Änderung in der
Lage der Subelavia etwa in
der Weise erklären darf, dass
sich die Wand des Ursprungs-
trichters an der einen Stelle
neu-, an der anderen zurück-
bildet, wenngleich der in der
Literatur gebräuchliche Aus-
druck des „Wanderns“ der
(refässe auf dieser Vorstellung
zu beruhen scheint. Eskommt
meiner Meinung nach zu einer
Kontraktion im Bereiche des
Embryo von 4 Tagen 8 Stunden. dorsalen Umfanges der Aorta,
A.s. — Arteria subelavia, d.S.—dorsale durch welche jener Bezirk
Segmentalarterie. Vergr. 30. ihrer Wand, von dessen seit-
lichstem Ende die Subelavia
und von dessen dorsalstem Teile die dorsale Segmentalarterie ent-
springt, verkleinert wird. Dadurch werden die Abgänge der beiden
Gefässe in eine gemeinsame transversale und frontale Ebene zu-
sammengerückt. Als Ursache dieser Kontraktion dürfte die be-
ginnende Entwicklung der akzessorischen Aortenwand zu betrachten
sein. Bisher war die Wand sämtlicher Blutgefässe von einem ein-
fachen Endothel gebildet. Beim vorliegenden Embryo aber findet
man um die Aorta zwei bis drei, um ihre unmittelbaren Äste ein
bis zwei Reihen spindeliger Zellen mit stark färbbarem Proto-
plasma, die dem Endothel auf das dichteste angeschmiegt liegen.
Vielleicht handelt es sich hier um die ersten Anfänge der
Fig. 10.
a ee
Extremitäten bei den Vögeln. 367
glatten Muskulatur. Dass mit der Verdickung der Gefässwand
auch der Tonus derselben eine Änderung erfährt, geht unter
anderem daraus hervor, dass die Arterien von Embryonen eines
gewissen Alters enger sind als die gleichen Gefässe jüngerer
Stadien. Der Vereinigung der Abgänge von Subeclavia und
dorsaler Segmentalarterie folgt alsbald durch Verlängerung des
gemeinsamen Trichters die Bildung eines gemeinsamen Ursprungs-
stammes. Später kommt es, wie zuerst von Hochstetter
beschrieben wurde, zur Vereinigung der beiden so gebildeten
Trunei in der Mittellinie (Textfig. 11). Man kann diesen Vorgang
als Abschnürung der Äste vom Hauptrohre bezeichnen. Er
dürfte auf denselben Ursachen beruhen wie die erste Annäherung
Ers-1i.
Embryo von 6 Tagen 8 Stunden. A. s. — Arteria subelavia,
d.S. — dorsale Segmentalarterie. Vergr. 20.
der Subelavia an die dorsale Segmentalarterie. Wie ich mir
seinen Ablauf denke, zeigt die umstehende Fig. 12. Die aus-
gezogene Linie 1 stellt den Kontur der Aorta mit den ein-
mündenden Gefässen etwa im Stadium des Embryo 7 der ersten
Periode dar. Die gestrichelte Linie 2 zeigt diesen Kontur im
Stadium des Embryo von 4 Tagen S Stunden, die punktierte
Linie im Stadium eines abermals älteren Embryos.. Um die
Zeichnung nicht allzu schematisch zu gestalten, wurde der Höhen-
und Breitendurchmesser der Aorta verschiedener Embryonen
gemessen und daraus das Mittel genommen. Doch fehlt zur
vollkommenen Richtigkeit des Bildes die Darstellung der fort-
schreitenden Verengerung der aus der Aorta entspringenden
Gefässe sowie des fortschreitenden Längenwachstumes der neu-
368 Hans Rabl:
gebildeten gemeinsamen Ursprungsstämme, auf welche mit Rück-
sicht auf die Deutlichkeit der Zeichnung verzichtet werden musste.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf eine, meines Wissens
noch nicht beschriebene Form der Verbindung der beiden
dorsalen Segmentalarterien aufmerksam machen. Man findet
nämlich jene Arterien in der Halsregion bei Embryonen vom
Ende des fünften Tages und vom sechsten Tag häufig getrennt
aus der Aorta entspringend, aber durch eine Anastomose mit-
einander knapp hinter ihrem Ur-
sprung wieder in Verbindung ge- N
setzt. Dieses Verhalten ist in
Textfig. 13 zur Ansicht gebracht.
Im unmittelbar vorhergehenden
Stadium entspringen die Arterien
gemeinsam aus einem in der Mittel-
linie gelegenen und sagittal ge-
Fig. 13.
Ursprung der beiden dorsalen
Segmentalarterien (d. S. A.) aus
der Aorta (A.) an der Grenze
Fig. 12. zwischen 8. und 9. Segment bei
Schema der Abschnürung der einem Embryo von 4 Tagen
dorsalen Sesmentalarterien und der 23 Stunden. Ch. — Chorda,
Subelavien von der Aorta. M.= Medullarrohr. Vergr. 100.
stellten kurzen und weiten Stamm. Die Umbildung desselben
in die gezeichnete Gefässanordnung scheint mir am einfachsten
durch eine Einfaltung seiner Wand ermöglicht zu werden, wie
ich diesen Vorgang zur Erklärung der Spaltung der Subelavia
herangezogen habe. Später kommt es zu einer Verkürzung der
Anastomose, welche zur Folge hat, dass die von Bindegewebe
ausgefüllte Lücke zwischen den Ursprüngen der beiden Arterien,
die im vorliegenden Falle elliptisch ist, am Querschnitt die
Gestalt eines Dreieckes mit dorsal gekehrter Spitze enthält.
Dieses Stadium dürfte den Übergang zur Wiedervereinigung der
Extremitäten bei den Vögeln. 369
beiden Arterien bilden. Denn nach meinen Erfahrungen ist ein
einziger kurzer und enger Stamm bei älteren Embryonen als
gemeinsamer Ursprung der beiden Dorsalarterien ausnahmslos
vorhanden. Auch scheint mir die Bildung einer Anastomose
nicht ein notwendiges Durchgangsstadium beim Übergange des
weiten in den engen Truncus darzustellen. Es dürfte neben der ver-
ımuteten Einfaltung und dadurch bedingten Verdoppelung desRohres
auch eine allmähliche Verengerung ohne Einfaltung vorkommen.
Ich kehre nach dieser Abschweifung zum Embryo von
4 Tagen 8 Stunden zurück. Was seine rechte Subelavia betrifft,
so lässt sich leicht feststellen, dass sich das Gefäss noch inner-
halb des Rumpfes unmittelbar über der dorsalen Kante der
Leibeshöhle in zwei Arterien spaltet, welche beide in die Extremität
eintreten, wo sie eine achsiale Lage einnehmen. Das eine Gefäss
liegt fast in derselben Transversalebene wie die Subeclavia, das
andere etwas grössere (Fig. 6, Taf. XIV) zieht eine geringe
Strecke nach rückwärts, bevor es in die Extremität übergeht.
Dieses Verhalten lässt sich verstehen, wenn man sich an die
Verhältnisse bei jüngeren Embryonen erinnert, welche eine
analoge, nur noch öftere Teilung der Subelavia vor ihrem Über-
gang zur seitlichen Leibeswand zeigen. Beide Gefässe geben in
ihrem Verlauf durch die Extremität an mehreren Stellen Äste
ab. Unter diesen erscheint mir ein Ast, welcher von der vorderen
der beiden Arterien noch in der Schulterregion medialwärts
abzweigt und sich mit den Venen der seitlichen Leibeswand zu
verbinden scheint, von Bedeutung, weil darin vielleicht jene
Arterie erblickt werden darf, welche in einem viel früheren
Stadium als Ast der Subelavia direkt ins Venennetz der Leibes-
wand übergeht. An der hinteren Brachialis, welche in Fig. 6
abgebildet ist, kann man bereits eine Verdickung der Wand ihres
proximalen Abschnittes erkennen. Die medial von ihr gelegene
Vene ist die Seitenrumpfvene von Hochstetter, welche schon
in früheren Stadien angelegt, jetzt aber erst zu grösserer Selbst-
ständigkeit gelangt ist. Sie differenziert sich als Längsstamm
aus dem Gefässietz der Körperwand. Wie an jüngeren Embryonen,
ist auch hier ein deutlicher Unterschied zwischen dem lockeren
zentralen und dichteren peripheren Gewebe der Extremität vor-
handen. Die achsialen Gefässe verlaufen der medialen Seite etwas
mehr genähert als der lateralen.
370 Hans Rabl:
Von den beiden Subelavien der linken Seite entspringt die
erste am hinteren Ende des 18., die zweite am hinteren Ende
des 20. Segmentes. Die eine durchsetzt den Rumpf in der
Richtung von vorne nach hinten und tritt 0,12 mm hinter ihrem
Ursprung aus der Aorta in die Extremität ein. Die andere,
welche etwas grösser als die vordere ist, verläuft nach vorn und
erreicht die Extremität 0,21 mm vor ihrem Abgang aus der
Aorta. Es findet also wie bei Embryo S der ersten Periode eine
Konzentrierung der Arterien statt, indem ihre Eintrittsstellen
in die Extremität einander genähert werden. Beide Eintritts-
stellen liegen im Bereiche des 19. Segmentes. Doch besteht keine
Anastomose zwischen den Subelavien innerhalb des Rumpfes;
auch setzt sich jede selbständig in ein grösseres achsiales Gefäss
und von demselben abzweigende kleinere Arterien. die dorsal-
wärts ziehen, fort. Beide Subelavien dieser Seite entspringen
noch direkt aus der Aorta, die vordere auffallend tief, etwa an
der Grenze von oberstem und zweitem Viertel ihres Umfanges.
Ein etwas älterer Embryo von 4 Tagen 17 Stunden
(Sch.-St.-L. 6 mm) besitzt jederseits nurmehr eine einzige Sub-
clavia, welche mit der 20. Segmentalarterie verbunden ist.
Dieser Embryo ist jener, den ich bereits im vorigen Kapitel
erwähnt habe; er illustriert die Tatsache, dass die Subelavien
bereits bis auf eine zurückgebildet sein können, obgleich in den
Extremitäten noch kein achsiales Gefäss differenziert ist. Immer-
hin sind noch Reste der segmentalen Subelavien nachweisbar, sowie
sich andererseits die unmittelbaren Äste der Subelavia durch be-
deutendere Grösse auszeichnen. So stellt dieser Embryo ein
interessantes Zwischenglied zwischen den Embryonen 6 und 7
einerseits und den Embryonen 8 und dem früher geschilderten
von 4 Tagen S Stunden andererseits dar und verdient eine -
eingehende Beschreibung. — Was zunächst seine Subelavia be-
trifft, so erscheint — wie gesagt — beiderseits diejenige, welche
dem Gefässnetze der Extremitätenanlage das Blut zuführt mit
der 20. Segmentalarterie verbunden. Links ist von der Subelavia,
welche am hinteren Ende des 18. Segmentes gelegen war, nur-
mehr der weite Ursprungstrichter vorhanden; von der Subelavia
des 19. Segmentes dagegen ist noch ein grösseres Stück zu
sehen, das bis an die Basis der Extremität reicht, dort aber
endigt. Die Wand dieses letzteren Gefässes ist an mehreren
Extremitäten bei den Vögeln. 371
Stellen nach innen zu leicht eingebogen, so dass das Lumen eine
ungleiche Weite besitzt. Im übrigen aber kann man keinerlei
Erscheinungen von Degeneration des Endothels, vor allem keine
Chromatolyse der Kerne der Zellen wahrnehmen. Rechts ist im
18. Segment keine Andeutung einer Subelavia mehr zu erkennen;
im 19. Segment aber ist ähnlich wie links noch ein Rest des
Gefässes vorhanden, nur ist derselbe kürzer als dort. Es dürfte
demnach die Rückbildung der Subelavia von der Peripherie gegen
das Zentrum zu erfolgen, indem sie sich zuerst vom Gefässnetz
a Fr
>,
I EN
Fig. 14.
A.ax. — Arteria axillaris, V.c.p. — Vena cardinalis
posterior, S. R. V. — Seitenrumpfvene, W. G. — Wolff-
scher Gang. Vergr. 100.
der Extremitätenbasis ablöst und hierauf nach dem Zentrum zu
obliteriert. — So wie die vorderen Subelavien, scheinen auch
die zugehörigen A. brachiales spurlos zu verschwinden. Ob dies
aber ausnahmslos der Fall ist, und nicht gelegentlich einmal eine
zweite Brachialis als Varietät erhalten bleibt, vermag ich mangels
einer grösseren Zahl untersuchter erwachsener Enten nicht zu
entscheiden.
Über das Verhalten der Verästlung der Subelavia des
20. Segmentes gibt Textfig. 14 Aufschluss. Sie ist wie Fig. 7
aus vier Schnitten kombiniert und lässt, wie bereits hervor-
312 Hans Rabl:
gehoben wurde, eine grosse Übereinstimmung mit dieser erkennen,
insofern noch kein grösseres achsiales Gefäss ausgebildet ist. Den
Unterschied zwischen lockerem zentralem und dichtem peri-
pherem Bindegewebe zeigt Fig. 5, Taf. XIII, welche ich auch
aus dem Grunde mitteile, um eine Vorstellung von den engen
Maschen des Venennetzes an der Grenze dieser beiden Formationen
zu geben, da es sich in der genannten Figur um einen einzigen
Schnitt handelt. Über die Bedeutung der verschiedenen aus der
Axillaris hervorgehenden Arterien ist es schwierig, sich zu äussern,
da die Extremität noch so unentwickelt ist, dass sich nicht einmal
die späteren Regionen derselben unterscheiden lassen. Es sei
nur das eine bemerkt, dass der kleine, ventralwärts gerichtete
Ast (A. th. pr. Fig. 5) möglicherweise zu jenem Gefässe wird, das
später als mächtige Arterie die Leibeswand versorgt und die
kaudale Partie der sekundären Subelavia liefert. Vielleicht ist
es auch mit jenem Gefässe identisch, das in jüngeren Stadien
den unmittelbaren Anschluss der Subelavia an das Venennetz
der Leibeswand vermittelt.
Ein Embryo von 4 Tagen 23 Stunden (7!/s mm Sch.-St.-L.)
besitzt noch auf der rechten Seite zwei Subelavien, die eine
liegt an der hinteren Grenze des 20., die andere an der hinteren
Grenze des 21. Segmentes. Doch die vordere allein erstreckt sich
bis in die Extremität. Die hintere zieht nur ein kurzes Stück
lateralwärts, etwa bis zur Mitte der Dorsalwand der Kardinal-
vene, und biegt hierauf nach rückwärts ab, um sich noch inner-
halb des Rumpfes mit der Subelavia des 20. Segmentes zu ver-
einigen. Ob die Subelavia des 21 Segmentes bei diesem Embryo
in früherer Periode bis in die Extremität reichte, lässt sich jetzt
nicht mehr angeben; wenn dies aber der Fall war, was mir
recht wahrscheinlich erscheint, so muss das proximale Stück dieses
(refässes als Längsanastomose der beiden Subclavien aufgefasst
werden.
Wie beim Embryo von 4 Tagen 17 Stunden und in diesem
Falle erschienen auch bei zehn anderen Embryonen dieser Periode
die primären Subelavien mit der 20. Segmentalarterie verbunden.
Es bildet dieses Verhalten demnach die Regel; nur ausnahms-
weise liegt die Subclavia am hinteren Ende des 19. Segmentes.
An einer anderen Stelle fand ich sie, sofern sie das einzige zur
Extremität ziehende Gefäss bildete, nicht. Immerhin darf es
Extremitäten bei den Vögeln. 373
nicht als ausgeschlossen betrachtet werden, dass an einer noch
grösseren Reihe von Embryonen gelegentlich einmal eine Subelavia
beobachtet wird, die gemeinsam mit der 18. oder 21. Segmental-
arterie entspringt.
Die primären einfachen Subelavien besitzen stets einen
nach vorn gerichteten Verlauf und treten erst im Bereiche des
19. Segmentes in die Extremität ein. Beim Embryo von 4 Tagen
23 Stunden setzt sich die rechte Subelavia in geradem Verlauf
in die primitive Armarterie fort. Die linke Subelavia dagegen
spaltet sich an der Stelle, an der sie sich über die dorsale Kante
der Leibeshöhle hinüber in die Extremität begibt, in zwei Äste.
Dieselben vereinigen sich jedoch wieder sofort, trennen sich aber
unmittelbar nach ihrer Vereinigung abermals und bleiben fortan
getrennt, indem sie an zwei übereinander gelegenen Stellen den
Plexus brachialis durchbohren. Diejenige Brachialis, welche die
distale Lücke im Plexus zum Durchtritt benützt, zeigt “weiterhin
das Verhalten der gewöhnlichen Brachialis, während die obere
nicht weiter verfolgt werden kann.
Da hier zum ersten Male von Nerven in der Extremität
die Rede ist, muss deren Verteilung hier berührt werden. Der
Plexus brachialis setzt sich bei der Ente nach meinen Unter-
suchungen an Embryonen aus dem 15., 16. und 17. Nerv zu-
sammen.!) Es sind dies die drei letzten Halsnerven, da der
Hals der Hausente nach Zählungen, die ich an mehreren Skeletten
vornahm, meist aus 16 Wirbeln besteht.) Die Fasern des
15. Nervs sind in ihrem Verlauf durch den Rumpf nach rück-
wärts, die des 16. transversal, die des 17. nach vorne gerichtet;
letzteres aber nur bei den jüngsten Embryonen; bei älteren ziehen,
gleich wie der 15., auch der 16. und 17. Nerv caudalwärts. An
der Wurzel der Extremität angekommen, teilt sich der Plexus in
zwei Stämme, die nach Fürbringer’) als Nn. brachiales superiores
!) Nach Cuvier wird der Plexus brachialis von Anas boschas aus
dem 16., 17. und 18. Nerv gebildet. Die Differenz erklärt sich leicht durch
die Variabilität, der die Halswirbelsäule der Vögel unterworfen ist.
?) Von den 16 Wirbeln sind 14 echte Üervicalwirbel. Zwei müssen
nach Fürbringer (Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der
Vögel etc. Amsterdam 1888.) als cervico-dorsale Wirbel bezeichnet werden,
da sie mit Rippen versehen sind, die das Sternum nicht erreichen. Die
Rippen des 15. Wirbels sind sehr kurz, die des 16. sehr lang.
2) ].c.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69, 25
374 Hans@Rsaipile
und inferiores zu bezeichnen sind. Die ersteren verlaufen in der
Nähe des lateralen Randes der Extremität, die letzteren in der des
medialen. Die Hauptäste unter den N. brachiales superiores sind
— ohne Berücksichtigung der Nerven für die Schultermuskeln —
der N. cutaneus brachii superior und der N. brachialis longus
superior s. radialis. Die allein für die Extremität bestimmten
N. brachiales inferiores sind: der N. cutaneus brachii et anti-
brachii inferior und der N. brachialis longus inferior, von manchen
Autoren auch als N. medianus oder mediano-ularis bezeichnet.
Da in den meisten Fällen, wie gerade angegeben wurde, die Arteria
subelavia im Bereich des 19. Segmentes in die Extremität eintritt,
so befindet sie sich in Gesellschaft des 16. Cervicalnerven.
Ich habe diese Tatsache durch genaue Zählung sowohl der
segmentalen Arterien wie der Spinalganglien bei fast sämtlichen
Embryonen dieser Periode sichergestellt. Sie ergibt sich aber
auch aus den Angaben Frorieps, denn nach diesem Autor
verläuft der erste Halsnerv neben dem caudalen Rande jener
Interprotovertebralarterie, die zwischen der vierten und fünften
Muskelplatte gelegen ist. Den parallelen Verlauf der A. subelavia
und des 16. Halsnervs kann man in Fig. 7 an einem Embryo
von 5 Tagen S Stunden erkennen. Da die Arterie ventral vom
Nerv gelegen ist, muss sie, um in die Gabel der Armnerven
zu gelangen, den Plexus durchbohren. Diese Durchtrittsstelle ist
in Fig. 8 abgebildet. Der Schnitt liegt 0,05 mm vor dem früher
genannten; das Nervenbündel, das auch hier der Arterie parallel
zieht, ist, wie das in der früheren Figur dargestellte, ein Teil
des 16. Cervicalis. Dieser erscheint als Hauptbestandteil des
Plexus, der 15. Nerv beteiligt sich daran in geringerem Maße,
der 17. mit noch weniger Fasern; ja es scheint mir sogar, dass
er in manchen Fällen gar nicht in die Extremität eintritt.
Der eben erwähnte Embryo von 5 Tagen S Stunden ist der
jüngste, bei welchem man die aus der A. axillaris entspringenden
Äste bereits mit einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit
als die Anlagen bestimmter bleibender Arterien der Schulter und
des Oberarms erkennen kann. Besser schon gelingt die Unter-
scheidung bei Embryonen des siebenten Tages. Immerhin bleibt es
auch dann noch schwierig, die bei der erwachsenen Ente aus-
gebildeten Äste der A. axillaris: die Aa. subcapsularis, eircumflexa
humeri anterior und profunda brachii, die sich unmittelbar nach
Extremitäten bei den Vögeln. 375
ihrem Ursprung in die circumflexa humeri posterior und collateralis
ulnaris teilt, am Embryo aufzufinden.!) Übrigens war es nicht
meine Absicht, die Entwicklung dieser Gefässe näher zu ver-
folgen. Ich will mich daher begnügen, nur noch einen Längs-
schnitt durch die Extremitätenanlage eines Embryo von 5 Tagen
22 Stunden (10 mm Sch.-St.-L.) mitzuteilen, an welchem eine
besonders deutliche Gefässanordnung in die Augen fällt. Schon
in Fig. 5 erscheint eine spitze Vorbuchtung des Lumens der
axillaris nach aussen. Die Arterie, deren Ursprung dort ge-
troffen ist, verläuft mit dem N. radialis an der Aussenseite des
Armes distalwärts und gibt schliesslich ein Gefäss ab, das mit
..der primitiven Armarterie anastomosiert. Ich glaube darin einen
Ast der Arteria profunda brachii erblicken zu dürfen. Diese
Anastomose ist sehr deutlich in Fig. 9 zu sehen. Man erkennt
auf dem Präparate zwei hintereinander liegende Skelettanlagen und
dazwischen ein Netz weiter Gefässe, aus dem die Arterien der
Hand entspringen.
Unter den Arterien, welche von der A. axillaris abgegeben
werden, zieht schon bei Embryonen des sechsten Tages ein
medial und ventral gekehrter Ast die Aufmerksamkeit auf sich,
da er durch seine Mächtigkeit die übrigen Gefässe bedeutend
übertrifft. Es ist dies das distale Ende der Anlage der Anasto-
mose, die sich zwischen dem dritten Arterienbogen und der
Axillaris entwickelt und später zur definitiven Subeclavia wird.
Nach den Darstellungen in der Literatur wäre man geneigt zu
glauben, dass dieses Gefäss von der Kiemenregion aus nach
rückwärts wächst, vorne weiter ist, sich nach hinten verjüngt
und schliesslich mit der Axillaris verbindet. Dem ist aber nicht
so. Vielmehr geht die sekundäre Subelavia aus zwei Arterien
hervor, die sich beide in Kapillaren auflösen. Die beiden Kapillar-
gebiete liegen ursprünglich weit voneinander getrennt. Sie werden
aber kontinuierlich durch das venöse Netz der Leibeswand ver-
bunden, das seinen Abfluss in die Kardinalvene nimmt. Die
weitere Entwicklung vollzieht sich — kurz ausgedrückt — in
!) Die zwischen dem Abgange der A.axillaris aus der Subelavia und
dem Ursprunge dieses Gefässes aus dem Truncus brachio-cephalicus liegenden
Aste der Subelavia (A. sterno-acromialis und Mammaria interna) sind Aste
der sekundären Subelavia und kommen daher hier nicht in Betracht.
25*
376 Hans Rabl:
folgender Weise: Es nähern sich durch Neubildung von Gefässen
die Kapillargebiete einander; im gleichen Maße verlängern sich
durch Umgestaltung bevorzugter Kapillaren die Arterien. Schliess-
lich vereinigen sich zuerst die Kapillargebiete, später die Arterien
zu einer geschlossenen Bahn.
Ich beginne die Schilderung dieses Vorganges beim Embryo
von 5 Tagen 5 Stunden und verweise zunächst auf Fig. 10,
welche den Ursprung der Anastomose von der Axillaris wieder-
gibt. Nach einwärts von ihr liegt die Seitenrumpfvene, ventral
von der letzteren eine kleine Vene, die eben im Begriffe steht,
sich mit dieser zu vereinigen. Ganz das gleiche Bild zeigt
Fig. 12, indem auch hier die Einmündung einer kleinen Vene
in den ventralen Umfang der Seitenrumpfvene getroffen ist.
Diese kleine Vene verdient aber unsere besondere Aufmerksam-
keit, weil sie das Ende eines cranialen Astes der Anastomose
bildet. In Fig. 11 ist ein ventral und medial gerichteter Ast
dieser letzteren seiner Länge nach zu sehen. An der mit * be-
zeichneten Stelle entspringt von diesem Ast ein kleinerer Zweig,
welcher cranialwärts verlaufend sich schliesslich in der darge-
stellten Weise mit der grossen Vene vereinigt. Der Haupt-
stamm der Anastomose aber besitzt eine caudale Richtung,
während er sich gleichzeitig immer weiter nach innen und unten
vorschiebt, so dass er schliesslich genau ventral von der Seiten-
rumpfvene zu liegen kommt. An seiner grösseren Weite leicht
kenntlich, ist er 0,3 mm von seinem Ursprung aus der Axillaris
nach rückwärts zu verfolgen; erst am hinteren Ende der Extremi-
tätenbasıs, an derselben Stelle, an der die ulnare Randvene
Hochstetters in die Seitenrumpfvene einmündet, löst er sich
in mehrere gleichweite Kapillaren auf.
Aus dieser Schilderung ergibt sich, dass das erste Ver-
zweigungsgebiet der Anastomose in der seitlichen Körperwand
und zwar hinter ihrem Ursprung gelegen ist, wo sich ihre Ästchen
gleich anderen Wurzeln der Seitenrumpfvene mit dieser verbinden.
Es darf daher diese Arterie als A. thoracica primitiva bezeichnet
werden. Sie ist die Anlage der A. thoracica externa von Hahn
und Gadow, der A.thoracica suprema von Pitzorno. Ihr
Verlauf ist, wie gesagt, im ganzen caudal gerichtet und nur Äste
zweiter Ordnung zweigen in cranialer Richtung ab, um jedoch
schon in kurzer Entfernung in die Seitenrumpfvene zu münden.
-
Extremitäten bei den Vögeln. 377
Ebensowenig, wie bei diesem Embryo ein grösserer kopfwärts
gerichteter Ast der Anastomose zu sehen ist, so wenig kann man
auch ein aus dem dritten Kiemenbogen entspringendes Gefäss
wahrnehmen. Doch will ich mich aus Gründen, die im folgenden
dargelegt werden, über die Nichtexistenz des eranialen Anfanges
der Anastomose nicht dezidiert äussern. Ich kann nur sagen:
der dritte Arterienbogen scheint in diesem Stadium noch un-
verästelt. Nur an seinem medialen Rande gibt er ein grösseres
Gefäss ab, das sich in der Kiemenbogenregion verzweigt. Doch
ist dasselbe nichts anderes als das craniale Ende des Truneus
arteriosus, welches sich weiterhin in zweiten und ersten
Arterienbogen teilt und das Anfangsstück der Carotis externa
darstellt... Beiläufig sei bemerkt, dass bei diesem Embryo
auch noch der fünfte Arterienbogen existiert, der gemeinsam
mit dem sechsten entspringt und an der Stelle der grössten
lateralen Ausladung desselben in ihn wieder einmündet.
Betrachtet man die Bahn, in welcher sich später die Anasto-
mose entwickelt, so findet man daselbst durchweg ein
lockeres Netz von Gefässen, welche mit grösseren Venen in Ver-
bindung stehen. Von der Region der Kiemenbogen an bis zu
den Ductus Cuvieri sind diese Gefässe Ästchen einer grossen
Vene, die ihr Blut aus der Kiemenbogen-Region bezieht und in
die V. cardinalis anterior einmündet. Ich glaube sie als V. jugu-
laris externa ansprechen zu dürfen. In der Gegend der Ductus
Cuvieri hängen die Gefässe sowohl mit der vorderen wie
mit der hinteren Kardinalvene zusammen, und weiter caudal
sind sie teils direkte, teils, wie wir bereits gesehen haben, in-
direkte Äste der hinteren Kardinalvene, indem sie das Blut zu-
nächst in die Seitenrumpfvene leiten.
Was die Ursache betrifft, dass ich mich hinsichtlich des
Abganges eines Gefässes aus dem dritten Arterienbogen nur vor-
sichtig äussern kann, so liegt dieselbe darin, dass beim Embryo
von 4 Tagen 17 Stunden mit aller wünschenswerten Deutlichkeit
zu sehen ist, dass aus dem dritten Arterienbogen, und zwar an
der Stelle seines Durchtrittes durch den dritten Kiemenbogen,
an seiner ventralen Seite ein Ast abgeht, welcher anfangs eine
Weite von 0,006 mm besitzt. Leider ist derselbe in dem dicht-
zelligen Gewebe dieser Region nur auf eine kurze Strecke zu ver-
folgen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass dieses Gefäss die
378 Hans Rabl:
Anlage der sekundären Subelavia bildet, deren Ursprung in einem
späteren Stadium deshalb nicht zu erkennen ist, weil — wie bereits
früher hervorgehoben wurde — alle Gefässe zur Zeit der ersten
Entwicklung einer akzessorischen Wandung enger als früher sind
und andererseits der Arterienbogen selbst mit Rücksicht auf seinen
Verlauf schief vom Schnitt getroffen wird und daher vielfach
keine scharfen Grenzen darbietet. Hierzu kommt noch die Ver-
dichtung des Gewebes in der unmittelbaren Umgebung der
Arterienbogen, welche die Auffindung kleiner Gefässe ungemein
erschwert. Will man auf Grund dieser Überlegung die Hypo-
these aufstellen, dass auch bei dem Embryo von 5 Tagen 8 Stunden
die sekundäre Subelavia bereits aus dem Carotidenbogen hervor-
gewachsen sei, so lässt diese Annahme doch keinen weiteren
Schluss auf die Bildung der Anastomose zu, denn jedenfalls hört
dieses Gefäss entweder bald nach seinem Ursprung blind auf
oder verbindet sich, was mir viel wahrscheinlicher scheint, mit
den venösen Gefässen der lateralen Leibeswand und endigt somit
in einem Netz. Dass neben diesem Netze in der späteren Bahn
der Anastomose kein selbständiges Gefäss existiert, lässt sich für
sämtliche Embryonen zwischen 4 Tagen 17 Stunden und 5 Tagen
8 Stunden mit Sicherheit behaupten.
Als nächsten Embryo, bei dem ich die Anlage der sekun-
dären Subelavia schildern will, wähle ich einen Embryo von
5 Tagen 22 Stunden (10 mm Sch.-St.-L.). Die Arteria thoracica
primitiva teilt sich hier unmittelbar, nachdem sie den vorderen
Rand des medialen Armnervs überschritten hat, ventral von ihm in
zwei Hauptäste, von denen der eine auf eine weite Strecke caudal-
wärts, der andere auf eine kürzere kopfwärts verfolgt werden
kann. Der letztere ist wesentlich enger als der erstere
und endigt ca. 0,64 mm kopfwärts von seinem Ursprunge, d.h.
während die genaue Verfolgung der Serie in der bestimmten
Region der Leibeswand stets einen Gefässquerschnitt zeigt, welcher
grösser als die übrigen Gefässe ist, so kann man nach vorne von
der angegebenen Stelle kein grösseres Gefäss mehr unterscheiden.
Die Ebene, in welcher die A. thoracica anterior (so könnte man
das Gefäss in diesem Stadium nennen) nach vorne zieht, entspricht
etwa derjenigen Frontalebene, die durch die Mitte der meso-
dermalen Lungenanlage gelegt werden kann (Fig. 13). Die Distanz
des Gefässes vom Pleuro-Peritonealepithel schwankt nur inner-
Extremitäten bei den Vögeln. 379
halb geringer Grenzen; die grösste Nähe beträgt 0,09, die grösste
Entfernung 0.11 mm. An zahlreichen Stellen begegnet man
Teilungen. Oftmals kann man auch mehrere dünne Ästchen in
gleicher Höhe entspringen sehen. Dieselben verbinden sich entweder
mit gleichdünnen Gefässen oder münden in grössere ein, welche
direkte Wurzeln der Kardinalvene bilden. Was den histologischen
Charakter der Arterie betrifit, so lässt ihre Wandung am Ur-
sprung aus der Axillaris bereits eine Zusammensetzung aus
mehreren Schichten erkennen. Bald aber schwindet dieser Unter-
schied gegenüber den umliegenden Venen und Kapillaren. Die
Arterie erscheint nurmehr als Teil des Gefässnetzes der Leibes-
wand und gleich diesem als einfaches Endothelrohr, dessen künftige
Bestimmung man allein durch genaue Beobachtung seiner nur
wenig wechselnden Lage erschliessen kann. Um in dieser Hin-
sicht ganz sicher zu gehen, habe ich mich übrigens nicht be-
gnügt, die Serie genau zu durchmustern, sondern ich habe
Reihen von Schnitten gezeichnet, Pausen der Zeichnungen ange-
fertigt und dieselben miteinander verglichen, um mich dadurch von
der Kontinuität des präsumptiven Arterienrohres zu überzeugen.
Was den vorderen Teil der sekundären Subelavia betrifft,
so habe ich bei diesem Embryo ebensowenig wie bei dem Embryo
von 5 Tagen 8 Stunden ein aus dem dritten Arterienbogen ent-
springendes Gefäss wahrnehmen können. Dasselbe negative
Resultat ergab auch die Untersuchung einiger anderer Embryonen
des gleichen Alters. Allerdings sind auch hier die bereits oben
erwähnten Momente vorhanden, welche einen klaren Einblick in
die feinere Gefässanordnung in der Halsregion verhindern. Vor
allem ist es der Umstand, dass die laterale Wand der Arterienbogen
auf jedem Schnitt schief getroffen ist, welcher es sehr schwierig
macht, eine sichere Entscheidung über den Abgang eines Gefässes
aus diesem Teile des Rohres zu fällen. Wenn sich aber die
Subelavia von vorne nach hinten entwickeln würde, so müsste
man mindestens jenseits der Kiemenbogenregion, vor allem in
dem lockeren Bindegewebe der Leibeswand, dorso-lateral vom
Herzen, ein Gefäss finden, das sich etwa durch dieselbe Form
des Querschnittes wie die A. thoracica anterior auszeichnet. Da-
von ist aber keine Spur zu sehen. Hier liegen wie vordem nur
Gefässe, welche allein mit den Venen (V. jugularis interna und
externa) in nachweisbarem Zusammenhange stehen.
380 Hiamn SieRranpıl:
Mein jüngster Embryo, bei welchem die Anastomose bereits
in ihrer ganzen Länge ausgebildet ist, und der demnach der
dritten Periode in der Entwicklung der Subelavia angehört, ist
ein Embryo von 6 Tagen S Stunden, derselbe, von dem ich be-
reits in Textfigur 11 einen Schnitt auf S. 367 abgebildet habe.
Der Abgang der sekundären Subelavia aus dem dritten Arterien-
bogen ist auf Fig. 15 sichtbar. Er liegt am hinteren Ende der
Schilddrüse, in derselben Höhe wie der Ursprung der äusseren
Carotis. Während aber die letztere an der Umbiegungsstelle der
ventralen in die mediale Wand entspringt, verlässt die Subelavia
den Arterienbogen an der Umbiegungsstelle der ventralen in seine
laterale Seite. Den Ursprung der Anastomose aus der Axillaris sieht
man in Fig. 14. Das hier in schräg ventraler Richtung absteigende
Gefäss, die A. thoracica primitiva, teilt sich alsbald in zwei Haupt-
äste, die sich wie beim jüngeren Embryo von 5 Tagen 22 Stunden
nach entgegengesetzten Seiten wenden. Um einen Überblick
über die Bahn der sekundären Subelavia zu geben, teile ich noch
in Fig. 16 und Fig. 17 zwei Schnitte aus deren Verlauf mit.
Das erstere Bild zeigt das Gefäss an der Herzbasis, das zweite
in der Höhe der Lungenanlagen. Ausser den Lungen sieht
man am zweiten Schnitte dorsal die Urnieren, ventral die Spitze
des Herzventrikels (in der Zeichnung nicht mehr dargestellt).
Am ersten Schnitte erkennt man die beiden Bronchien, die
Kuppen der Vorkammer und den an dieser Stelle noch unge-
teilten Truncus arteriosus. Die Lichtung der Arterie ist, be-
sonders auf Fig. 16, eine unregelmässige, da das Gefäss nach
mehreren Richtungen Zweige abgibt; in Fig. 17 liegt bloss der
Ursprung eines ventralen Astes vor. Dieses Aussehen ist weit-
aus häufiger anzutreffen als ein kreisrunder oder einfach ovaler
Querschnitt. Auch Inselbildungen kommen sehr häufig zur Be-
obachtung. Im hinteren Abschnitt der Anastomose erfolgt die
Verästlung mehr oder weniger in einer Ebene, so dass man meist
nur dorsale und ventrale Äste unterscheiden kann. Weiter nach
vorne zu aber, besonders dort, wo das Gefäss gleich jener Vene,
welche das Blut aus der Kiemenbogenregion abführt (V. j. e.), in
einer gegen die Pericardialhöhle vorspringenden Falte liegt,
weigen die Äste nach allen Richtungen ab. Hier ist die Wand
der Arterie auch noch so dünn wie die einer Vene, während sie
in der Nähe ihres Ursprunges aus der Axillaris schon merklich
u ei
Extremitäten bei den Vögeln. 381
verdickt ist. Nur das vorderste Stück, das unmittelbar an den
Carotidenbogen anschliesst, zeigt das gleiche Verhalten wie das
hintere Ende. Es ist somit bei diesem Embryo das Gefässnetz
der Leibeswand sowohl caudal wie proximal an das Arterien-
system angeschlossen, ohne aber seinen Charakter noch wesent-
lich verändert zu haben; nur beginnt eine Längsader durch be-
sondere Weite hervorzutreten. Die Strecke, in der die Anasto-
mose auf dieser Serie, welche in senkrechter Richtung durch die
Rumpfregion in der Höhe der vorderen Extremitäten gelegt war,
erscheint, misst 2 mm. Da das Gefäss aber nicht rein schwanz-
wärts, sondern überdies von der Mitte nach aussen zieht, so be-
trägt seine Länge noch etwas darüber.
Vergleichen wir nun mit diesem Gefäss die ausgebildete
sekundäre Subclavia im Anfang der vierten Periode der Ent-
wicklung dieser Arterie. Ich wähle hierzu einen Embryo von
9 Tagen 9 Stunden. Die primäre Subelavia ist bereits ver-
schwunden. Die arterielle Natur der ehemaligen Anastomose lässt
sich hier in ihrer ganzen Länge sofort aus der verdickten Wand
ersehen, die aus mehreren Schichten spindeliger Zellen besteht.
Die Länge des Gefässes von seinem Ursprunge aus dem Üaro-
tidenbogen bis zur Teilung in die nunmehrige A. axillaris (ehe-
mals A. thoracica primitiva) und A. thoracica posterior (A. thoracica
suprema Pitzorno) beträgt nur wenig über 0,7 mm. Da auch
dieser Embryo in der gleichen Richtung wie der Embryo von
6 Tagen S Stunden, d. h. senkrecht zur Schultergegend, ge-
schnitten wurde, ergibt sich, dass das Gefäss eine starke Ver-
kürzung erfahren hat. Dieselbe dürfte wohl mit der gleichzeitig
auftretenden Verdickung seiner Wand zusammenhängen. Ausser-
dem mag sich die Obliteration der zahlreichen Seitenäste ebenfalls
im Sinne einer Verkürzung des Rohres geltend machen. Im vor-
liegenden Stadium sind es nurmehr wenige Arterien, welche die
Subelavia verlassen. Ein Bild des letzteren Gefässes ist in Fig. 19
zu sehen. Die Anhäufung spindeliger Zellen konzentrisch zum
Lumen lässt sie leicht von den weiten Venen unterscheiden,
welche lateral und ventral von ihr ein engmaschiges Netz bilden.
Zwischenstadien zwischen den Verhältnissen. welche einer-
seits beim Embryo von 6 Tagen 8 Stunden, andererseits bei dem
von 9 Tagen 9 Stunden vorliegen, finden sich bei den Embryonen
von der zweiten Hälfte des siebenten Tages und vom achten und
382 Hans Rabl:
neunten Tage. Hier ist noch die primäre Subclavia vorhanden,
die sekundäre als ununterbrochene Gefässbahn bereits ausgebildet
und im Begriffe, auch histologisch den Typus einer Arterie in
ihrer ganzen Länge zu erwerben. Es liegt demnach die dritte
Periode, welche man im Verlaufe der Entwicklung der Subelavia
unterscheiden kann, vor. Bei einem Embryo von 8 Tagen
5 Stunden besitzt das Gefäss eine Länge von mindestens 1,2 mm,
so dass es darin etwa die Mitte zwischen den Gefässen der oben
genannten Embryonen einhält. Die Zahl der abzweigenden
Arterien ist geringer als beim Embryo von 6 Tagen S Stunden,
grösser als beim Embryo von 9 Tagen 9 Stunden. Ein Bild
dieser Arterie in der Höhe der Einmündung der oberen Hohlvene
in den rechten Vorhof ist in Fig. 15 wiedergegeben.
Wenn wir auf Grund der vorstehenden Beschreibung den
Verlauf der beiden Subelavien überblicken, so ergibt sich zunächst
für die primäre Subelavia folgendes: Das Gefäss zieht im Bogen
von rückwärts nach vorne, gelangt ventral vom Nervenplexus in
die Axillargegend, durchsetzt den ventralen Teil des Plexus und
kommt so in die Gabel zwischen lateralen und medialen Armnerv
zu liegen. Hier gibt die Axillaris zunächst die primitive Arm-
arterie ab, zieht hierauf nach vorne weiter und teilt sich
schliesslich einerseits in die Arterien, welche zur Schulter und
radialen Seite der Extremität ziehen, andererseits in die A. thora-
cica primitiva. Die letztere verläuft über den vorderen Rand
der N. brachiales inferiores medial- und ventralwärts.
Die sekundäre Subelavia zieht zunächst in der seitlichen
Leibeswand in der Längsrichtung des Tieres nach rückwärts. Bei
der erwachsenen Ente ist jedoch das Herz soweit kaudalwärts
gerückt, dass die Subelavia fast horizontal zur Extremität zieht. Sie
lagert sich hier, wie ich mich durch eigene Beobachtung überzeugte,
auf die ventrale Seite des hinteren Teiles des Plexus, ohne dass
es zu einer Schlingenbildung seitens der Nerven kommen würde,
und gelangt mit denselben an die mediale Seite des Oberarms.
Bei Embryonen findet man sie hier in derselben Lage zum
N. mediano-ulnaris wie die A. brachialis der Säugetiere zum
N. medianus gelegen ist. Beim erwachsenen Tiere hingegen liegt
infolge Änderung in der Stellung der Extremität das Gefäss auf
dem Nerv.
Extremitäten bei den Vögeln. 383
Ich bin hiermit am Schluss der Arbeit angelangt und
möchte nun noch auf einige Punkte, die mir von besonderer
Bedeutung sind, zurückkommen.
Betrachten wir die seitliche Leibeswand in einem frühen
Stadium an der Stelle der späteren Extremitätenanlagen, aber noch
ehe die Wolffsche Leiste deutlich hervortritt, so finden wir darin
— wie geschildert wurde — einige netzförmig verbundene Gefässe,
die mit der hinteren Kardinalvene in Zusammenhang stehen,
somit als Venen bezeichnet werden müssen. In dieses Netz
wachsen, während gleichzeitig das Bindegewebe der Extremitäten-
anlage zunimmt, die segmentalen Arterien aus der Aorta hinein.
Erst von diesem Augenblicke an wird die Zirkulation in den
Gefässen der Leibeswand eine lebhafte, denn bis dahin waren
die Venen derselben nur Divertikel der Kardinalvene gewesen.
Wie aus der Betrachtung von Textfig. 2 hervorgeht, sind die
ersten Arterien der Leibeswand, d.h. die Anlagen der A. axillares,
zunächst sehr kurz, denn die Einmündungsstellen derselben in
das Gefässnetz liegen vielfach dicht neben den Austrittsstellen
der Venen aus demselben. Bald aber kommt es, parallel mit
der Zunahme des Bindegewebes in der Wolffschen Leiste, zu
einer Verlängerung der Axillaris in die Extremitätenanlage
hinein, d.h. zur Bildung der primitiven Armarterie. In diesem
Stadium, welches durch die Embryonen 6 und 7 der ersten
Periode repräsentiert wird, verdienen zwei Momente besondere
Erwähnung. 1) Dass sich jede Subelavia in eine Brachialis fort-
setzt und zwar auch in dem Falle, als sie sich innerhalb des
Rumpfes spaltet; dann » erscheinen eben entsprechend viele
Brachiales in der Extremität. 2) Dass die Anlagen der Brachiales
zunächst Teile eines Netzes sind, welches das zentrale, lockere
Gewebe der Extremitätenanlage durchzieht. Dieses Netz darf
wohl nach seinem direkten Anschluss an die Subclavien als
arterielles bezeichnet werden, wenngleich eine Grenze zwischen
Arterien und Venen mit Rücksicht auf die Gleichheit der Wände
vorderhand nicht gezogen werden kann. In der nun folgenden
weiteren Ausbildung der Extremität kommt es zu einer be-
deutenden Verlängerung der Maschen dieses Netzes, vor allem
in der Längsrichtung der Extremität, während die Zahl der
Gefässe im zentralen Teile keine — oder mindestens keine
wesentliche — Zunahme erfährt. So glaube ich, die Entwicklung
354 Hans Rabl:
der Armarterien mit jenem ursprünglichen Netze in Zusammen-
hang bringen zu müssen.
Ich verkenne nicht, dass ich mich hier auf dem Boden der
Hypothese befinde; doch legt das Vorkommen eines primitiven
arteriellen Gefässnetzes diese Hypothese nahe. Zu ihrer Be-
gründung erinnere ich an das bei den einzelnen Embryonen
Gesagte und verweise auf die wiedergegebenen Rekonstruktionen
und Kombinationsbilder. Selbstverständlich kann man nur an
der Hand plastischer Modelle einer geschlossenen Entwicklungs-
reihe, die bei Embryo 6 anfangen und bis zum ausgebildeten
Zustande reichen müsste, einen Aufschluss über die Anlage
sämtlicher Arterien des Flügels erhalten. Diese Untersuchung
muss der Zukunft vorbehalten bleiben. Da aber die primitive
Armarterie nicht als unverästelter, seinem Ziele gradlinig zu-
strebender Stamm, sondern als Teil eines Netzes angelegt wird,
so darf der Gedanke nicht von der Hand gewiesen werden, dass
auch noch andere Arterien ursprünglich Abschnitte eines Netzes
bilden, welche infolge ihrer günstigen Lage zur Strömungsrichtung
des Blutes eine Weiterentwicklung erfahren, während andere Teile
des Netzes zurückgebildet werden.
Insofern scheint mir auch, dass in der bereits für über-
wunden gehaltenen, von E.Müller erst zu neuem Leben wieder-
erweckten Lehre von Baader und Krause bezüglich der Er-
klärung der Arterienvarietäten ein richtiger Kern steckt. Aller-
dings ist der Unterschied zwischen der alten und dieser neuen
Auffassung, welche sich auf die jüngsten Entwicklungsstadien
stützt, ein grosser, indem ich niemals die Existenz eines gleich-
mässig ausgebildeten Netzwerkes anerkennen möchte, sondern die
Maschen desselben von vornherein gesetzmässig gelagert finde.
Dagegen bin ich auch genötigt, der Ansicht vonRuge entgegenzu-
treten, „dass gewisse Bahnen sich früher anlegen als andere, wozu
auch die A. brachialis gehört.“ Das Irrtümliche dieser Meinung
lässt sich ohne weiteres durch die Textfig. 7 widerlegen. Dass sich
die Arteria brachialis schon in früher Zeit durch grössere Weite
vor den übrigen Ästen der Axillaris auszeichnet, hängt einerseits
mit ihrer Lage zusammen, derzufolge das Blut bei seinem Ab-
fluss in dieselbe dem geringsten Widerstande begegnet, anderer-
seits mit ihrem Verbreitungsgebiet, welches die wachsende Spitze
der Extremität umfasst. Der Einfluss der Grösse des Aus-
Extremitäten bei den Vögeln. 385
breitungsgebietes für die Entwicklung einer Arterie dürfte auch
die Ursache sein, dass die A. thoracica bald eine so mächtige
Ausbildung erfährt.
Ein zweiter Punkt, auf den ich kurz verweisen möchte,
betrifft das zeitliche Verhältnis im Auftreten der Arterien und
Nerven. Schon E. Müller hat einen menschlichen Embryo von
5 mm beschrieben, bei welchem zahlreiche Biutgefässe in der
Extremitätenanlage enthalten waren, indessen die Nervenplatte in
ihrem Wachstum erst bis an die Wurzel der letzteren vorgedrungen
war. Unter den Blutgefässen konnte man bereits die Arterien
unterscheiden, welche in der Achse der Extremität „ein Wunder-
netz“!) von grosser Distinktion und Schönheit bilden. Doch
liessen sich in diesem Netze noch nicht jene Zweige erkennen,
welche Müller bei älteren Embryonen (S mm, 11,7 mm) als die
Anlagen definitiver Arterien deutete. Bei diesen aber sind
bereits die Nerven in die Extremität eingewachsen und gerade
ihre Laeebeziehung zum arteriellen Netze gestattet die nähere
Bezeichnung der Elemente des letzteren. — Wie Müller beim
Menschen, findet auch de Vriese bei Säugetieren als erstes
Stadium der Gefässanlage in der Extremität ein indifferentes Netz.
Erst parallel mit dem Eindringen der Nerven differenzieren sich
in dem Netze bestimmte Gefässbahnen, welche die Nerven be-
gleiten und die Anlagen der definitiven Arterien darstellen.
Hingegen sind bei mehreren meiner Entenembryonen die
bedeutungsvollsten Arterien (A. brachialis, thoracica primitiva,
profunda brachii) bereits als solche bestimmbar, indessen die
Nervenplatte noch an der Wurzel der Extremität halt macht.
So ergibt sich demnach, dass sich bei den Vögeln gewisse Arterien
vor den Nerven in den Extremitätenanlagen differenzieren.
Ob auch noch andere Arterien bereits zu so früher Zeit
angelegt sind, vermag ich vorläufig noch nicht anzugeben. Der
Widerspruch, der zwischen meinen Befunden und jenen der
genannten Autoren, vor allem von de Vriese liegt, dürfte
!) Die Bezeichnung dieses Netzes als „Wundernetz‘‘ halte ich für eine
höchst unglückliche. Es ist ein embryonales Kapillarnetz, aus dem das Blut
in mehrere Venen abfliesst, weiter nichts. Darum stimme ich auch mit den-
jenigen Autoren überein, welche die Ableitung der Wundernetze der Edentaten
von embryonalen Verhältnissen für irrtümlich halten.
386 Hans Rabl:
meiner Meinung nach weniger in einem prinzipiellen Gegensatze
zwischen der Klasse der Vögel und jener der Säugetiere beruhen,
als darin, dass mir ein günstigeres Material, jüngere und besser
konservierte Embryonen, zur Verfügung standen. Darum vermute
ich, dass man auch bei den Säugetieren ähnliches finden wird,
wenn die Untersuchungen fortgesetzt werden. Doch möchte ich
nicht dahin verstanden werden, als ob ich die Anlage aller Arm-
arterien auf die früheste embryonale Periode beschränkt glaubte.
Es soll vielmehr durch die vorliegenden fragmentarischen Mit-
teilungen nur darauf hingewiesen werden, dass neben der Anlage
von Arterien entlang den Nerven, worauf zuerst Zuckerkandl))
aufmerksam gemacht hat, auch eine direkte Ausgestaltung früh-
zeitig angelegter Bahnen vorkommt.
Sucht man nach den ursächlichen Momenten in der Ent-
wicklung der Arterien, so kann man nicht umhin, die erste
Anlage derselben, die Bildung mehrerer segmentaler Gefässe aus
der Aorta, als Ausdruck der Vererbung, als eine notwendige
Folge der Stammesentwicklung, zu betrachten. Dadurch wird
auch ein bedeutungsvolles Licht auf die Frage nach dem Ur-
sprunge der Extremitäten geworfen. Wir wissen nunmehr, dass
sie von Nerven, Muskeln und Gefässen mehrerer aufeinander
folgender Segmente versorgt werden. Für jeden vorurteilsfreien
Beurteiler wird der Nachweis segmentaler (Gefässe ein neues,
schwer wiegendes Argument gegen die Gegenbaursche Archi-
pterygiumtheorie bilden. — Nach dem Ergebnisse der embryo-
logischen Untersuchungen möchte man die segmentalen Sub-
clavien zunächst nur als die Arterien der seitlichen Leibeswand
betrachten, da sie an den jüngsten Embryonen bloss mit dem
venösen Gefässnetz dieser letzteren verbunden erscheinen. Erst
in dem Maße als sich die seitliche Leibeswand zur Extremitäten-
leiste erhebt, wächst auch in diese ein Ast der Subelavia, die
primäre Axillaris ein, welche sich verästelt und durch Wieder-
vereinigung ihrer Zweige ein Netz liefert, das mit dem der
Leibeswand aufs innigste zusammenhängt. Die Ausbildung dieses
Netzes darf bereits unter diejenigen embryologischen Prozesse
gezählt werden, welche Roux in die zweite Entwicklungsperiode,
!) Über die Entstehung der Vorderarmgefässe beim Kaninchen und bei
der Katze. Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft in Göttingen 1893.
weh
Extremitäten bei den Vögeln. 387
die Periode des funktionellen Lebens verweist. Denn dieselbe
entspricht einem physiologischen Bedürfnisse der wachsenden
Extremität. Die weitere Umgestaltung des Netzes zu den
primären Hauptarterien ist die Folge hydrodynamischer Gesetze,
die jedoch niemals rein zur Geltung kommen, sondern sich den
biologischen Eigenschaften der zu versorgenden Gewebe an-
passen müssen.
Ähnliche Gedanken haben auch schon E. Müller und
neuestens Göppert in seinem kritischen Referat „Die Beur-
teilung der Arterienvarietäten der oberen Gliedmaßen bei den
Säugetieren und dem Menschen“ (Ergebnisse der Anatomie und
Entwicklungsgeschichte, 14. Bd.) ausgesprochen. Auf das letztere
seien zum Schlusse jene Leser verwiesen, welche sich über den
derzeitigen Stand der Phylogenese und Ontogenese der Extremi-
tätenarterien im speziellen genau zu unterrichten wünschen.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIII, XIV u.XV.
Sämtliche Figuren wurden mit dem Zeichenapparat von Oberhäuser entworfen.
Der Abstand der Zeichenebene von der Tischplatte betrug 23 cm.
Für alle Figuren gültige Bezeichnungen.
A. — Aorta. Pl.br. = Plexus brachialis.
A.ax. = Arteria axillaris. S. R. V. = Seitenrumpfvene.
Aus B subelavia. Un. — Urniere.
E. — Extremität. Uw. = Urwirbel.
Ek. == Ectodermkappe. V. ec. p. = Vena cardinalis posterior.
N. — Nerv. Vezus —EErmbiealise
Lh. = Leibeshöhle. W4.G: 5: —Woläfscher ‚Gang:
Fig. 1. Querschnitt der W olffschen Leiste eines Embryo von 30 Urwirbeln.
Am. — Amnion. Objektiv 7a von Reichert, eingeschobener Tubus.
Fig. 2. Querschnitt der Wolffschen Leiste eines Embryo von 32—33
Urwirbeln. V.s. = V. segmentalis. Vergr. wie bei Fig. 1.
Fig. 3. Querschnitt der W olffschen Leiste eines Embryo von 36 Urwirbeln.
Am. = Amnion. Man sieht die Eintrittsstelle einer segmentalen
Vene in die V.c.p. Vergr. wie bei Fig. 1.
Fig. 4
Fig. 5
Fig. 6.
Hans Rabl:
Querschnitt der Extremitätenanlage eines Embryo von ca. 40 Ur-
wirbeln. M.K.—= Malpighisches Körperchen. Vergr. wie bei Fig.1.
Querschnitt der Extremitätenanlage eines Embryo von 4 Tagen
17 Stunden. A.th.pr. — Arteria thoracica primitiva. V.Rn. =
Venöses Randnetz. Vergr. wie bei Fig. 1.
Extremität eines Embryo von 4 Tagen 8 Stunden (6!/s mm N.-St.-L.
A. br. = Arteria brachialis. Obj. 4b von Reichert, Tubuslänge 175.
Fig. 7 u. 8. Rechte Körperhälfte eines Embryo von 5 Tagen 8 Stunden
Bio; 9
($!/ mm Sch.-St.-L.). N. br. ss = Nervi brachiales superiores.
N. br. i. = Nervi brachiales inferiores. A.pr. br. — Arteria profunda
brachii. Obj. 1a von Reichert, Tubuslänge 175 mm.
Rechte Körperhälfte eines Embryo von 5 Tagen 22 Stunden (10 mm
Sch.-St.-L.) R. v. = Randvene der Extremität, die übrigen, Be-
zeichnungen wie früher. Obj. 1a von Reichert, Tubuslänge 175 mm.
Fig. 10—12. Basis der linken Extremität eines Embryo von 5 Tagen
Fig. 13.
Fig. 14—
Fig. 18.
Fig. 19.
5 Stunden (8!/s mm Sch.-St.-L.) S. A. —= Seitenast der A. thoracica
primitiva. V. — eine kleine Vene, welche das Ende des aus dem
Seitenaste bei * hervorgehenden Gefässes darstellt. In Fig. 12 ist
der Ursprung der A. profunda brachii getroffen. Obj. 7a von
Reichert, eingeschobener Tubus.
Embryo von 5 Tagen 22 Stunden. Ms. L. — Mesodermale Lungen-
anlage (freies kaudales Ende des Lig. hepato-pulmonale). O. a. t. —
Östium abdominale tubae. M. — Magen. Obj. 1a von Reichert,
Tubuslänge 175 mm.
17. Teile von Querschnitten durch einen Embryo von 6 Tagen
8 Stunden (12 mm Sch.-St.-L.) An. — Anastomose. Lu. — Lunge.
Le. —= Leber. L.h.p. = Ligamentum hepato-pulmonale. Plp. H. —
Pleuroperitoneal- Höhle. N. th. = N. thoraeicus. N.v.—N. vagus:
V. j. i. = V. jugularis interna. V. j. e. = V. jugularis externa.
Pc. H. — Pericardialhöhle. Oe. — Ösophagus. Tr. — Trachea.
Th. = Thyreoiden Ab. — Arterienbogen. Gangl. j. v. = Ganglion
jugulare vagi. Br. ss. — Bronchus sinister. Atr.s. —= Atrium
sinistrtum. O. a.t. — ÖOstium abdominale tubae, Obj. 4b von
Reichert, Tubuslänge 155 mm.
Partie aus einem Querschnitt durch einen Embryo von 8 Tagen
5 Stunden. Lu. Sp. = Lungenspitze. Pl. R. — Pleuraraum. Pc. H.—
Pericardialhöhle. V.c.s. = V. cava superior. Atr. d. = Atrium
dextrum. A.p.d. = Art. pulmonalis dextra. Kn. = Knorpel.
Obj. 4b von Reichert, eingeschobener Tubus.
Partie aus einem Querschnitt durch einen Embryo von 9 Tagen
9 Stunden. Tr.a. = Truncus arteriosus. Br. s. = Bronchus sinister.
N. v. = Nervus vagus. A.p.s. = Arteria pulmonalis 'sinistra.
Ab. — Arterienbogen. V.j.i. und V.j.e. = V. jugularis interna
und externa. Kn. = Knorpel. Obj. 4b von Reichert, eingeschobener
Tubus.
389
(Aus dem anatomischen Institut in Strassburg.)
Studien über das Blut und die blutbildenden und
-zerstörenden Organe.
IV. Weitere Mitteilungen über rote Blutkörperchen. ')
Technisches, Tylopoden - Erythrocyten, Kernreste, basophile
Körnelung, Pseudostrukturen.
Von
Dr. Franz Weidenreich,
a. o. Professor und Prosektor am Institut.
Hierzu Tafel XVI u. XVI.
1. Technisches.
In der ersten Mitteilung meiner Studien über das Blut
habe ich die Aufmerksamkeit der Morphologen auf die Tatsache
gelenkt, dass sich im Laufe der Zeit eine falsche Vorstellung
von der normalen Form der Säugererythrocyten herausgebildet
hat. Ich habe dort und auch in den folgenden Aufsätzen einzelne
Methoden und Kunstgriffte angegeben, mit denen es mehr oder
weniger leicht gelingt, meine Angaben auf ihre Richtigkeit
zu prüfen, ohne dass es mir geglückt wäre, alle Zweifler von der
so sinnfälligen Tatsache zu überzeugen. Auch heute glaube ich
nicht, dass es mir vergönnt sein wird, die liebgewordene Vor-
stellung völlig zu zerstören; trotzdem möchte ich denjenigen,
die ohne Voreingenommenheit an die Anfertigung und Prüfung
eines Blutpräparates herantreten, ein Mittel an die Hand geben,
das nicht nur mit Leichtigkeit die normale Napfform der Blut-
körperchen als Dauerpräparat zu fixieren gestattet, sondern auch
in jedem Anfängerkurs rasch gelehrt und erlernt werden kann.
An anderen Orten ist zwar bereits die Methode von mir
publiziert worden (1906 a); da aber die betreffenden Zeit-
schriften den Anatomen weniger zugänglich sind und ich gerne
9) Studien über das Blut ete.
I. Form und Bau der roten Blutkörperchen. Dies. Arch. Bd. 61. 1902.
II. Bau und morphologische Stellung der Blutlymphdrüsen. Ebenda Bd. 65.
1904,
IH. Über den Bau der Amphibienerythroeyten. Ebenda Bd. 66. 1905.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 26
390 Franz Weidenreich:
die bildlichen Belege für den Wert des Verfahrens geben möchte,
so will ich hier nochmals auf die Technik eingehen.
Die bisherige Methodik des Blut-Trockenpräparates beruht
im wesentlichen auf den Angaben Ehrlichs, die ihrerseits
wieder, wie Ehrlich ausführt (1878S—79, 1379), auf dem von
Rob. Koch für die Bakteriendarstellung angewandten Verfahren
basieren. Das Charakteristische besteht hierbei darin, dass das
Blut in möglichst dünner Schicht ausgebreitet und rasch zum
Trocknen gebracht wird, ehe stärkere Schrumpfungen auftreten.
Zunächst war diese Methode von Ehrlich nur für die Dar-
stellung der Granulationen in den Leukocyten bestimmt; er hielt
das einfache Antrocknen für die beste Fixationsmethode, weil
dadurch die „chemische Individualität‘ am wenigsten sich ändere:
auf die Erhaltung des morphologischen Bildes kam es ihm also
gar nicht an. Derartige nicht weiter behandelte Präparate ge-
statteten keine Untersuchung der roten Blutkörperchen, weil bei
Anwendung wässeriger Farblösungen das Hämoglobin aus ihnen
austrat. Ehrlich begegnete diesem Übelstande dadurch, dass
er die Präparate einer längerdauernden Hitzeinwirkung von 120
bis 130° unterwarf (1879). Alle histologischen Fixationsmittel,
wie Alkohol, Osmiumsäure, Chromsäure u. a., wurden anfänglich
als unbrauchbar zurückgewiesen, weil sie den chemischen Charakter
ändern sollten. Ehrlichs Nachfolger haben sich nicht mehr
streng an diese Abweisung der chemischen Mittel zu Fixations-
zwecken gehalten und später hat Ehrlich selbst (ef. Ehrlich und
Lazarus, 1898) auch diese Mittel akzeptiert. Ich glaube, die
weitere Literatur der Technik übergehen zu dürfen, die zudem
in der „Encyclopädie der mikrosk. Technik‘‘ eine eingehende Be-
rücksichtigung erfahren hat, da ja am Prinzip der Ehrlich-
Kochschen Methode nicht gerüttelt wurde; alle vorgeschlagenen
Varianten beziehen sich nur auf die Fixation mit chemischen
Mitteln nach dem Antrocknen, die bald als Flüssigkeiten, bald
in Dampfform Verwendung fanden.
Ich will mir kein Urteil darüber gestatten, ob die ur-
sprüngliche Voraussetzung Ehrlichs richtig ist, d. h. ob wirklich
das einfache Antrocknen den chemischen Charakter der Blut-
elemente weniger alteriert als eine Reihe der sonst gebräuchlichen
Reagentien, ganz abgesehen davon, dass man mit der Hitze-
fixation wenig Definitives über die ‚chemische Individualität“
Studien über das Blut. 391
bisher erfahren hat. Ich beurteile den Wert einer Methode nach
der Erhaltung des morphologischen Bildes und kann
aus diesem Grunde der Hitzefixation vor der mit chemischen
Mitteln keinen Vorzug geben; von diesem Gesichtspunkte aus
betrachtet, haben aber beide Methoden ihre Nachteile, die sich
an den verschiedenen Blutelementen in verschieden hohem Grade
äussern. Hier interessieren uns zunächst die roten Blutkörperchen ;
die farblosen Elemente werden in der Hand des Geübten mit der
Ehrlichschen Methode recht gut konserviert, doch habe ich
auch hier ein Verfahren angewendet, das ungleich bessere Bilder
liefert und Kern- und Protoplasmastrukturen, Granulationen und
Zentralkörper, ebenso wie die verschiedenen Phasen der amöboiden
Bewegung an den weissen Blutkörperchen im Trockenpräparat zu
sehen gestattet; ich werde diese Methode in Bälde publizieren.
Jedenfalls gibt die einfache Trockenmethode keine richtige Vor-
stellung von der Form der roten Blutkörperchen, sie erscheinen
mehr oder weniger als plattgedrückte Scheiben und nur in den
bestgelungenen Präparaten tritt die zentrale Depression einiger-
massen deutlich hervor: Kantenansichten, Geldrollen oder Maul-
beerformen erhält man nur sehr gelegentlich und unvollkommen
als ein Produkt des Zufalls; dazu kommt, dass nur solche Präparat-
stellen brauchbar sind, an denen die Erythrocyten in einfach
ausgebreiteter Schicht liegen, während an dickeren Stellen die
Blutkörperchen zusammensintern.
Das Verfahren, das ich anwende, vermeidet nicht nur diese
Übelstände, sondern es erhält auch die natürliche Napfform der
Erythroeyten, gibt stets reichlich Kantenansichten und gestattet,
Geldrollen und Maulbeerformen absichtlich darzustellen und als ge-
färbtes Dauerpräparat zu fixieren. Bei alle dem ist die Methode
sicherer und einfacher als die Ehrlichsche, sodass ich sie wohl
empfehlen darf. Das Verfahren beruht auf einem der Ehrlichschen
Methode gerade entgegengesetzten Prinzip. Um jede Alteration
der Blutelemente zu verhindern, lässt Ehrlich das Blut rasch
antrocknen und fixiert erst dann, d. h. er macht durch thermische
oder chemische Reagentien die Zellen für die weitere Behandlung
geeignet. Ich verfahre umgekehrt; da ich fand, dass das An-
trocknen schon das morphologische Bild alteriert, fixiere ich vor
dem Antrocknen und benutze das Antrocknen, das ohne Einfluss
auf die bereits fixierten Elemente ist, nur um die korpusculären
26*
392 Franz Weidenreich:
3estandteile des Blutes in bequemer Form auf dem Deckglas,
bezw. Objektträger, der weiteren Behandlung zugänglich zu
machen. Die Idee, frisches Blut direkt mit den fixierenden
Reagentien in Verbindung zu bringen, ist ja keineswegs neu;
entweder wurde empfohlen, die auf dem Objektträger ausgebreitete
Blutschicht ohne weiteres in die Fixationsflüssigkeit (Sublimat,
Osmium, Flemmingsche Lösung ete.) einzutauchen, oder aber
einen Tropfen Blut in das Fixativ direkt einlaufen zu lassen und
dann gewissermassen im feuchten Verfahren die Blutelemente wie
ein Gewebestück weiterzubehandeln. Aber diese Methoden haben
grosse Nachteile; die farbigen Blutkörperchen namentlich sind
recht leicht vulnerable Gebilde und bekanntlich osmotischen Ein-
tlüssen in hohem Masse ausgesetzt, darum ist jeder Flüssigkeits-
zusatz zum frischen Blut gefährlich und alteriert das morpho-
logische Bild. Aber abgesehen davon leidet noch das erst er-
wähnte Verfahren an dem Mangel, dass die Blutschicht leicht
weggeschwemmt wird, und das zweitgenannte an der übergrossen
Kompliziertheit.
Nach langen Versuchen bin ich dazu gekommen, die einfache
Dampffixation als die alleinig brauchbare und den weitestgehenden
Ansprüchen genügende Methode zu erproben. Dadurch wird
natürlich die Zahl der zur Verfügung stehenden Reagentien eine
beschränkte; in Betracht kommen nur solche, deren Dämpfe
konzentriert genug sind, um eine augenblicklich wirkende Fixation
herbeizuführen, und auch wirklich fixierende Eigenschaften be-
sitzen. Dabei zeigt sich, dass gerade die Mittel, welche bei An-
wendung des Ehrlichschen Prinzips als Ersatz für die Hitze-
fixation besonders anempfohlen wurden, nämlich absoluter Alkohol
und Äther, bei meinem Verfahren versagen, da ihre Dämpfe
fast augenblicklich das Blut lackfarben machen; ihre „fixierende‘*
Wirkung erstreckt sich also nur auf die bereits durch Eintrock-
nung „fixierten‘“ Blutkörperchen, sodass man diese beiden Rea-
gentien aus der Reihe der reinen Fixationsmittel zu streichen
hat. Dagegen erweisen sich in hervorragendem Masse Osmium-
säure und Formalin brauchbar. Ich schildere nun zunächst die
Art, wie ich verfahre. !)
'‘) Nachdem ich bereits den grössten Teil dieser Abhandlung nieder-
geschrieben hatte, erschien eine Publikation J. Jollys (Fol. haematol. 1906,
No. 4), worin er für Malassez und sich die Priorität des Verfahrens be-
Be ‘»
Studien über das Blut. 393
Man bringt in eine niedrige Glasschale oder Glasdose, deren
Öffnung ausreicht, um zwei oder drei Objektträgern nebeneinander
Platz zu bieten, einige ccm einer 1°/oigen Lösung von Ösmiumsäure
(Osmiumtetroxyd) und setzt die Objektträger, die man auf die
offene Schale legt, 1 Minute den Dämpfen aus. Dann sticht man
in die gereinigte (schweissfreie !) Fingerbeere ein und streicht den
austretenden Bluttropfen mit dem Finger rasch auf der Dampf-
seite des Objektträgers in möglichst dünner Schicht aus. wobei
man allerdings den Finger nicht zu sehr aufdrücken darf, um
die Blutkörperchen nicht platt zu pressen. Ebenso rasch bringt
man den Objektträger, die Blutschicht den Dämpfen zugekehrt,
wieder auf die Glasdose und belässt sie dort '/a bis !/s Minute
(nicht länger!!), gleichviel ob das Blut getrocknet ist oder nicht: im
letzteren, dem häufigeren Falle überlässt man dann das Trocknen
einfach der Luft. Ist das geschehen, so ist eigentlich das Präparat
schon fertig; denn es eignet sich so schon vollständig für das
Studium der Form der Blutkörperchen. Man hat nämlich nur
nötig, einen Tropfen Wasser und ein Deckglas auf den Objekt-
träger zu bringen, die roten Blutkörperchen erscheinen dann in
gleicher Form und Farbe wie im frischen Blutpräparat. Ein
derartiges Präparat lässt sich auch als Dauerpräparat aufbewahren,
man braucht nur das Deckglas wieder abzunehmen und das Wasser
ansprucht. Malassez hat schon 1882 für Ausstrichpräparate des Knochen-
marks die Osmiumdampf-Fixation vor dem Eintrocknen empfohlen und Jolly
hat 1902 dieselbe Methode auf das Blut angewandt. Wie ein Blick in die
Zusammenstellungen der allgemeinen mikroskopischen und speziell-häma-
tologischen Hand- und Lehrbücher zeigt, sind Jollys Angaben unbekannt
geblieben und infolgedessen auch mir entgangen; der Grund hierfür ist darin
zu suchen, dass die betr. Angaben nur nebenbei gemacht wurden und ausserdem
die Autoren selbst wieder von der Methode abkamen, weil sie die Färbbarkeit
herabgesetzt fanden (cf. meine Ausführungen in Fol. haematol. 1906, No. 5).
Was diesen Mangel angeht, so trifft er nur dann zu, wenn man die Dämpfe
zulange einwirken lässt; hält man sich an meine Zeitvorschriften, so wird
man überhaupt nicht unter erschwerter Färbbarkeit zu leiden haben. Dann
aber bin ich doch genötigt, hervorzuheben, dass Jolly den Wert der Methode
gerade für die Darstellung der natürlichen und der passageren Formen der
Erythrocyten (und auch der Blutplättehen — Verh. d. anat. Gesellschaft,
Rostock 1906) vollständig übersah, während ihre grosse Bedeutung, wie ich
nachwies, vor allem in diesem Vorzug liegt. Endlich ist die fixatorische
Vorbehandlung des Objektträgers vor dem Ausbreiten der Blutschicht weder
von Malassez noch von Jolly geübt worden.
394 Franz Weidenreich:
mit Filtrierpapier abzutrocknen; die auf dem Glase haftende und
fixierte Blutschicht hält sich dauernd.
Will man dagegen in Balsam einbetten, so muss man zuvor
färben, da die natürliche Farbe gegenüber dem stark lichtbrechenden
Balsam nicht ausreicht. Als Farbstoffe lassen sich alle die ver-
wenden, die man auch sonst für rote Blutkörperchen gebraucht,
also besonders Eosin, Methylviolett oder Gentianaviolett: vor
allem aber möchte ich auch Ehrlichs Triacid und die Giemsasche
Farblösung für Romanowsky-Färbung empfehlen, die man am
besten fertig von G. Grübler & Co. in Leipzig bezieht; mit Triacid
färbt man !/ı Stunde, mit der verdünnten Giemsaschen Lösung
dagegen eine Stunde und länger, weil man bei dieser Färbung
erst nach längerer Zeit die schönen Farbenunterschiede der
einzelnen Blutelemente herausbringt. Da die ÖOsmiumsäure,
namentlich nach längerer Einwirkung die Empfänglichkeit für
die Tinktionsmittel vermindert, kann man die Präparate vor dem
Färben mit einer sehr schwachen, hellroten Lösung von Kalium-
permanganat für einen Augenblick übergiessen; doch wird dieser
Behelf unnötig, wenn man die von mir oben angegebene Fixations-
zeit nicht überschreitet. Nach beendeter Färbung spült man mit
gewöhnlichem Wasser ab, trocknet mit Filtrierpapier und schliesst
in Balsam ein.
In den bereits erwähnten Publikationen habe ich noch
einige Modifikationen dieses Verfahrens angegeben, die aber für
die Fixation der roten Blutkörperchen belanglos sind, so die Art
der Ausbreitung des Bluttropfens und den Zusatz von Eisessig
zur Osmiumsäure. Ich glaubte besonders mit letzterem Mittel
die Kerne der farblosen Blutelemente besser darstellen zu können;
doch genügt auch die reine Osmiumsäure für gewöhnliche Zwecke
und für genauere Untersuchungen der Leukocyten ist das später
zu publizierende Verfahren vorzuziehen. An Stelle der Osmium-
säure lässt sich auch Formol (unverdünnt!) gebrauchen. Die
Osmiumsäure kann natürlich immer wieder verwendet werden,
solange sie nicht zersetzt ist und noch kräftig riecht.
Um nun eine Vorstellung davon zu geben, wie die roten
Blutkörperchen in den nach meinem Verfahren angefertigten
Präparaten aussehen, gebe ich in Fig. 1 eine ausserordentlich
charakteristische Gruppe von Erythrocyten wieder; man erkennt
die natürlichen Napfformen ohne weiteres Kommentar und ein
Studien über das Blut. 395
Vergleich mit den Formen, wie sie im frischen Präparat oder
nach Verdünnung mit menschlichem Serum zur Beobachtung ge-
langen (ef. Fig. 1 und 3 meiner Arbeit 1902), zeigt ihren aus-
gezeichneten Erhaltungszustand.
Diejenigen, die geneigt sind, die Napfform als ein Kunst-
produkt oder eine Modifikation der normalen bikonkaven Scheiben-
form aufzufassen, werden selbstverständlich auch zunächst den
Verdacht hegen, dass es sich bei den nach meiner Methode
darstellbaren Napfformen nicht um die Erhaltung der natürlichen
Form, sondern um eine artifizielle Änderung der Scheibe handelt.
Aus diesem Grunde möchte ich die Frage hier kurz erörtern, ob
mein Verfahren diesen Einwand rechtfertigt. Nimmt man an,
dass die Napfform nur eine künstlich alterierte Scheibe darstellt,
so können nach dem, womit wir bei der Formveränderung der
roten Blutkörperchen als absolut gesicherte Erkenntnis rechnen
dürfen, nur zwei Momente in Betracht kommen, die imstande
sind, die Scheibe in die Napfform überzuführen, das eine ist
die Hitzewirkung, das andere die Quellung. Es ist schon längst
bekannt (ef. mein Referat 1904), dass bei starker Erwärmung
die roten Blutkörperchen aus der Scheiben- in die Kugelform
übergehen und dabei durch die Napfform hindurchpassieren ;
Albrecht (1904) hat darauf aufmerksam gemacht, dass meine
ursprünglichen Befunde so erklärt werden könnten. Demgegenüber
habe ich schon nachgewiesen, dass die Napfform ganz unabhängig
von der Temperatur in jedem vorsichtig angefertigten, frischen
Präparat zu sehen ist. Bei der Fixation mit Osmiumdämpfen
kann natürlich von einer Hitzealteration gar keine Rede sein, da
ja alle Manipulationen nur bei Zimmertemperatur vorgenommen
werden.
Das zweite Moment, die Quellung, ist von Jolly (1905 a)
als Ursache des Auftretens der Napfform beschuldigt worden;
meine Angaben, dass man die Napfformen am leichtesten zur An-
schauung bringen könne, wenn man frisches Blut in 1°/oige Osmium-
säure einlaufen lasse, konnte dieser Autor bestätigen, nur glaubt
er, dass dieses Fixativ eine Quellung der ursprünglichen Scheiben-
form verursache. Dass ich diese und andere Einwände, die Jolly
gegen meine Anschauung erhoben hat, nicht als zutreffend aner-
kennen kann, habe ich vor kurzem (1905c) näher ausgeführt
und begnüge mich mit dem Hinweis auf den Inhalt dieses Artikels.
396 Franz Weidenreich:
Bei meinem Verfahren der Osmiumdampf-Fixation ist die
Möglichkeit einer Quellung aus folgenden Gründen auszuschliessen :
Die Napfform entsteht dann aus der Scheibenform, wenn der
Blutkörperchen-Inhalt Wasser aus dem umgebenden Medium auf-
nimmt, das ist aber dann der Fall, wenn der Salzgehalt des Blut-
körperchens gegenüber diesem letzteren ein höherer wird; dass
aber die blossen Osmiumdämpfe die Konzentration des Blutplasmas
verringern oder die des Blutkörperchen-Inhaltes bei gleichzeitiger
Indifferenz des Plasmas erhöhen, wäre ohne jedes Analogon und
schon deswegen absolut unwahrscheinlich, weil für osmotische
Vorgänge eine gewisse Zeit erforderlich ist, nach meinen besonders
darauf gerichteten Untersuchungen aber nur eine 3—5 Sekunden
lange Einwirkung der Dämpfe genügt, um die Form (nicht das
Hämoglobin) der Erythrocyten zu fixieren. Aber angenommen
die Osmiumdämpfe könnten tatsächlich durch Quellung Glocken
hervorbringen, dann wäre es unmöglich, die bikonkaven Scheiben
mit ihnen zu erhalten und zu fixieren, weil diese ja dann zu
Näpfen aufquellen müssten; in Wirklichkeit gelingt es aber recht
gut, Scheiben zur Darstellung zu bringen, wie ich weiter unten
näher ausführen werde. Endlich lässt sich noch der zahlen-
mässige Nachweis führen, dass es sich bei der Napfform der
Osmiumdampf-Fixation um keine Quellung handelt. Misst man
nämlich den Durchmesser der Napfform im natürlichen Serum
und vergleicht ihn mit dem der fixierten, so ergibt sich, dass
er hier um etwas geringer ist als dort (6,54 gegen 7,04); das
gleiche lässt sich aber auch für die Scheiben konstatieren (natür-
liches Serum: 7,52. — Osmiumdampf-Fixation: 7,04). Eher wäre
man also berechtigt von einer geringen Schrumpfung statt von
Quellung zu reden. Die Osmiumsäure gilt bekanntlich schon lange
ganz allgemein als das Reagenz, das die Form der Zellen am
getreuesten erhält; Kaiserling und Germer (1893), die ein-
gehende Untersuchungen hierüber vorgenommen haben, kamen
zu dem Ergebnis, dass die Lösungen der Osmiumsäure „neben
geringfügigen Grössenveränderungen die Formen und Konturen
mit grosser Schärfe erhalten“; was für die Lösung gilt, gilt
natürlich in noch höherem Masse für die Dämpfe, da hier ja
osmotische Einflüsse des Lösungswassers überhaupt nicht inbetracht
kommen können.
Aus all dem ergibt sich, dass die Form, die uns die
Studien über das Blut. 397
Osmiumdampf - Fixation liefert, das getreue Augenblicksbild
darstellt, wie es gerade das frische Blutpräparat zeigt. Wir
haben somit ein Mittel, passagere Formen, die als Veränderungen
in dem sich selbst überlassenen Blute auftreten, dauernd festzu-
halten und genauer zu studieren. Um solche Bilder zu bekommen,
hat man nur nötig, den Tropfen auf einem Objektträger auszu-
breiten, der nicht vorher den Osmiumdämpfen ausgesetzt war,
und das Blut eine entsprechend lange Zeit sich selbst zu über-
lassen. Will man z. B. ausgeprägte Geldrollen darstellen, so
bringt man den Objektträger mit der ausgestrichenen Blutschicht,
die dafür aber nicht zu dünn und auch nicht zu dick sein darf,
sofort für ca. !/s Minute in eine feuchte. Kammer und setzt ihn
dann rasch den Dämpfen aus. Ein derartiges Präparat gibt Fig. 2
wieder; je nach der Zeit, die bis zur Fixation vergeht, gelingt
es auf diese Weise auch reichlich bikonkave Scheiben und Maul-
beerformen zu konservieren (in Fig. 2 ist diese letztere Form zu
sehen). Beginnende Geldrollenbildung kann man schön in jedem
Präparat beobachten, das nach der für die Darstellung der Napf-
formen empfohlenen Methode angefertigt wurde. Wie Fig. 3 er-
kennen lässt, legen sich die Näpfe mit besonderer Vorliebe zunächst
wie aufeinandergesetzte Teller oder Schüsseln ineinander, wenn
auch, wie ich schon früher (1902) am frischen Präparat konstatiert
habe, manche Körperchen mit den Napfwölbungen aneinander
haften; doch ist der erstgenannte Befund der ungleich häufigere.
Ich möchte darauf noch besonders deshalb hinweisen, weil
Heidenhain (1904) in seiner Fig. 3 die bikonkaven Scheiben
als Ausgangsform für die Geldrollenbildung nimmt, für deren
Entstehung er den Kapillardruck verantwortlich macht. Ich habe
bereits früher (1905 a) gezeigt, dass ich eine Deutung des Geldrollen-
phänomens in der von Heidenhain gewollten Richtung nicht
akzeptieren kann; meine Fig. 3 lehrt zudem, dass die bikonkave
Scheibe nicht als Ausgangsform bei der Geldrollenbildung ange-
sprochen werden darf.!)
') Zusatz während der Korrektur: „In allerletzter Zeit hat
Retterer (C.r. Soc. Biol. T. 60, No. 22) die Behauptung aufgestellt, dass
die eigentliche Form der Säugererythrocyten eine Kugel wäre, die nur den
farbigen Bestandteil, das Hämoglobin, in Napf- oder Scheibenform enthalte,
‚während eine farblose Masse in Wirklichkeit die Form zur Kugel vervoll-
ständige. Diese Auffassung lässt sich, ganz abgesehen von anderem, nicht
398 Franz Weidenreich:
2. Die Erythrocyten der Tylopoden.
Im Jahre 1838 machte Mandl der französischen Akademie
die Mitteilung, dass nach seinen Befunden bei Dromedar und
Alpaka die roten Blutkörperchen nicht kreisförmige, sondern
elliptische Form wie die der Vögel, Reptilien und Fische hätten.
Gulliver (1839) bestätigte zunächst Mandls Angaben auch
für Auchenia pacos und A. lama; kurz darauf (1540—41) sagt
er, dass die Kamelidenerythrocyten in ihrer Gestalt Ähnlichkeit
mit denen niederer Wirbeltiere zeigten, während sie in Grösse
und Struktur dem Säugertypus entsprächen; sie seien kleiner als
die von Vögeln und Reptilien und besässen keinen Kern. Was die
Grössenverhältnisse angeht, so beträgt nach demselben Autor
(1842) für Camelus bactrianus die Länge !/s123 engl. Zoll (= 8,0 u),
die Breite !/ssrse (= 4,25u) und die Dicke !ıszıo (= 1,65u); für
Lama gibt er (1845) an: -Länge !/sssı (= 7,45«) und Breite
Ugo9ı (= 4,04). Gullivers Schilderung erfuhr nun von Nasse
(1842) folgende Darstellung: Kamel, Dromedar und Lama be-
sässen keine runden, sondern längliche Blutkörperchen, sie hätten
in der Mitte keine Vertiefung, sondern eine bauchförmige Hervor-
ragung; es fände sich somit hier ein Übergang zu den unteren
drei Klassen der Wirbeltiere. Nach Wharton-Jones (1846)
sind bei Auchenia pacos die embryonalen Blutkörperchen kreis-
förmig und gehen später in die ovale Form über; Wasserzusatz
verändert die ovale in die runde Form. Ecker (1854) stellt
die Kamelblutkörperchen in elliptischer Form, aber nur von der
Fläche gesehen. dar; die Länge gibt er auf 8,7« an. Milne-
Edwards (1857) fand beim erwachsenen Alpaka einige sehr
hämoglobinarme kreisförmige Blutkörperchen und sah alle Über-
gänge zwischen diesen und den elliptischen; doch blieb es fraglich,
ob jene nicht alterierte Blutkörperchen sind. Welcker (1864)
liefert keine Beschreibung der Form, sondern nur Maße; für
Lama gibt er die Länge auf S«, die Breite auf 4« und Dicke
auf 1,64 an, die Zahl der Blutkörperchen in cmm auf 13 890 000.
Laut einer späteren Angabe Gullivers (1875) finden sich bei
mit der Tatsache vereinbaren, dass bei der Geldrollenbildung das eine Blut-
körperchen mit seiner Konvexität in die Höhlung des andern zu liegen
kommt (cf. Fig. 3); das zeigt doch deutlich, dass in der Tat eine Höhlung
vorhanden ist und diese nicht etwa, wie Retterer glaubt, durch eine farb-
lose Masse nur vorgetäuscht wird.“
Studien über das Blut. 399
Kamel gelegentlich auch halbrunde und kreisförmige Scheiben.
Nach Hayem (1389) sind die Blutkörperchen von Camelus bactr.
und Auchenia vicunna elliptisch und weniger stark bikonkav als
die scheibenförmigen, denen sie sonst völlig gleichen; die Maße
sind für Camelus baetr. im Mittel: Länge = 7,6, Breite = 4,5 u ; für
Auchenia guanaco: Länge = 7,5, Breite 4,2 «im Mittel; ihre Zahl in
Kubikzentimeter beträgt beijenem 10 930 000, bei diesem 13 156000.
Dagegen betrachtet Howell (1891) die Blutkörperchen als bikonvex,
wobei allerdings nicht recht ersichtlich ist, ob dieser Auffassung
eigene Untersuchungen zugrunde liegen. Pappenheim- (1900)
hatte, wie er beiläufig (Anmerkung S. 310) bemerkt, Gelegenheit,
Blut eines toten Kamels zu untersuchen; er fand nur bikonvexe
ovale Blutkörperchen, die kernhaltigen des Knochenmarks waren
durchweg rund und hatten runde Kerne.
In der vorstehenden Literaturübersicht habe ich eine Zu-
sammenstellung aller Angaben über die Blutkörperchen der
Tylopoden gegeben, soweit ich solche auffinden konnte und soweit
sie auf eigener Untersuchung und nicht nur auf Übernahme der
Angaben anderer Autoren zu beruhen scheinen. Darnach ergibt
sich, dass die Form der Erythrocyten dieser Tiere von der der
übrigen Säuger abweicht, und zwar herrscht Einstimmigkeit
darin, dass sie von der Fläche gesehen keinen kreisförmigen,
sondern einen elliptischen Umriss haben. Keine Klarheit besteht
dagegen darin, welche Gestalt die Kantenansicht darbietet. Die
ersten Untersucher haben sich in dieser Beziehung überhaupt nicht
bestimmt ausgesprochen, eine Unterlassung, die, wie es scheint,
in der Folge zu einer missverständlichen Auffassung geführt hat.
Da nämlich Mandl und Gulliver die Tylopodenerythrocyten
mit denen niederer Wirbeltiere (Vögel und Amphibien) ver-
glichen, war man geneigt, wie aus Nasses Zitat direkt her-
vorgeht, anzunehmen, dass diese Ähnlichkeit nicht nur für die
Flächen- sondern auch für die Kantenansicht gelte, und be-
zeichnete dementsprechend die Körperchen als bikonvex. Nur so
ist es verständlich, dass Welcker später das Modell eines
Lama-Erythrocyten bikonvex darstellen konnte, ohne dass in dem
beschreibenden Texte (1572) auf diese Besonderheit hingewiesen
wurde. Wie ich früher gezeigt habe (1902), hatte man vielfach
in der Zeit, wo diese ersten Untersuchungen vorgenommen
wurden, auch noch keine richtige Vorstellung von der eigent-
400 Franz Weidenreich:
lichen Form der Säugerblutkörperchen überhaupt, die erst später
als bikonkav beschrieben wurden; von da an übertrug man dann
auch die gleiche Vorstellung auf die Tylopodenerythrocyten.
Hayem ist der einzige der älteren Autoren, der sich in dieser
Hinsicht bestimmt äussert, und sie als bikonkav, allerdings
weniger stark als die scheibenförmigen, bezeichnet. In der letzten
Zeit haben sie nur Howell und Pappenheim direkt als
bikonvex beschrieben.
Bei dieser Sachlage schien es mir angezeigt, den Versuch
zu machen, durch Nachprüfung die bestehende Unklarheit zu
lösen, umsomehr als ich in meiner oben mitgeteilten Methode ein
ausgezeichnetes Mittel in der Hand hatte, die Form im Dauer-
präparat zu fixieren. Durch das gütige Entgegenkommen der
Herren Prof. J. Kollmann, Dr. Fritz Sarasin und Direktor
Hagemann in Basel, denen ich für ihre grosse Liebenswürdig-
keit zu besonderem Danke verpflichtet bin, war ich in der Lage,
die Untersuchung an Tieren des Zoologischen Gartens in Basel
und zwar am Camelus bactrianus und Auchenia lama vor-
zunehmen.
Zunächst konnte ich feststellen, dass weder in der Form
noch in der Grösse wesentliche Unterschiede zwischen den Blut-
körperchen von Kamel und Lama zu erkennen sind. Wie Fie. 4,
die eine Präparatstelle des Lamablutes wiedergibt. zeigt, sind
die Erythrocyten tatsächlich elliptische Gebilde. Von der Fläche
gesehen und bei seitlicher Beleuchtung betrachtet, erkennt man,
dass die Mitte eine seichte Depression aufweist, gegen die der
Rand schärfer hervortritt (linke Hälfte der Fıg. 4); bei direkt
durchfallendem Licht wird. die mittlere Aushöhlung weniger
deutlich sichtbar (rechte Hälfte). Die Beurteilung der Gestalt
von der Kante gesehen wird dadurch erschwert, dass die
Körperchen sich fast durchaus in der Flächenansicht einstellen:
Kantenansichten sind recht selten, immerhin kommen sie an
dicken Präparatstellen gelegentlich zur Beobachtung. Aus Fig. 4
geht nun hervor, dass die Erythrocyten auf der einen Seite aus-
gehöhlt und auf der anderen Seite vorgewölbt sind, sie sind also
konvex-konkav und gleichen hierin den Körperchen der
übrigen Säuger; doch unterscheiden sie sich von diesen durch
den ausserordentlich geringen Grad der Auswölbung (ef. Fig. 4
mit Fig. 1 und Hayems oben zitierte Angabe) und durch ihren
Youä
Studien über das Blut. 401
bedeutend geringeren Dickendurchmesser. Sie machen demnach
nicht den Eindruck von Glocken oder Näpfen, sondern von
dünnen, leicht gebogenen elliptischen Plättchen.
Diese Form erklärt auch, warum Kantenansichten so selten sind;
die Körperchen fallen gewissermaßen auf die Fläche etwa wie
Geldstücke, die man auf einen Tisch ausschüttet. So wird auch
verständlich, dass die Neigung zur Geldrollenbildung eine
geringere ist und die sich aneinanderlegenden Körperchen, wie
Fig. 5 lehrt, ein ganz anderes Bild geben, als man es sonst
gewöhnt ist; die Reihen stellen sich in Flächenansichten und
nicht in Kantenansichten dar (cf. Fig.5 mit Fig. 2) und die
Aufeinanderlagerung wird meist keine so vollständige. Wo dies
aber doch der Fall ist — in Fig. 4 sind zwei derartige Körperchen
abgebildet — schiebt sich die Konvexität des einen in die Kon-
kavität des anderen.
Aus dieser Darlegung geht also hervor, dass die Tylopoden-
erythrocyten einen elliptischen Umriss besitzen, aber ebensowenig
bikonkav wie bikonvex sind, sondern schwach, doch sehr deutlich
konvex-konkav.
Was die Grösse angeht, so stimmen meine Resultate für
den Längen- und Breitendurchmesser im Ganzen mit denen von
Gulliver, Welcker und Hayem überein. Ich habe für
Kamel und Lama die Länge auf S « und die Breite auf 4 « im
Mittel bestimmt. Dagegen schätze ich den Diekendurchmesser
geringer als diese Autoren. Seine genaue Bestimmung wird, wie
Fig. 4 verständlich machen dürfte, dadurch erschwert, dass man
von der Kante her überhaupt nicht exakt die eigentliche Dicke
messen kann; da die Körperchen nur wenig konkav-konvex sind,
so ist man geneigt, die ganze sich darstellende Höhenausdehnung
als Dicke zu nehmen, während korrekterweise die Tiefe der
einseitigen Depression in Abzug zu bringen ist. Berücksichtigt
man das, so lässt sich die Dicke auf etwa 1 « bestimmen. Die
geringere Dicke gegenüber den Blutkörperchen der anderen
Säuger erklärt wohl auch den schwächeren Hämoglobingehalt
der Tylopodenblutkörperchen, der sich durch einen deutlich
blässeren gelb-grünen Farbenton verrät, wie wir ihn sonst bei
Säugern beobachten können. Nach einer alten Erfahrung steht
damit die Tatsache im Einklang, dass das Blut der Tylopoden
ausserordentlich viel reicher an farbigen Elementen ist als das
402 Franz Weidenreich:
von Tieren mit grösseren und hämoglobinreicheren Blutkörperchen ;
ich habe zwar keine Zählungen vorgenommen, aber man kann diese
Beobachtung auch ohne exakte Zählung an jedem Blutpräparat
machen; die oben mitgeteilten Zahlen Hayems und Welckers
bringen diesen Reichtum deutlich zum Ausdruck.
3. Kernreste.
Gelegentlich der Untersuchung leukämischen Blutes war
mir aufgefallen, dass sich in den polychromatophilen Erythrocyten,
d.h. in solchen, die eine stärkere Vorliebe für die basische
Komponente der benutzten Farbgemische zeigen, fast konstant ein
Gebilde fand, das beim ersten Anblick durchaus den Eindruck
eines Zentralkörperchens mit Diplosomencharakter machte. Ich
gebe in Fig. 6 eine Gruppe von Blutkörperchen aus einem der-
artigen Präparate wieder, wobei ich bemerken möchte, dass
dieses Präparat nach der oben erwähnten Methode zur Dar-
stellung der Leukocyten angefertigt ist, bei der die farbigen Ele-
mente leicht plattgedrückt werden und dadurch ihre Form verlieren;
zur Färbung dient die Giemsasche Farblösung, die bei dieser
Methode die polychromatophilen Elemente dunkelblaugrün und
die normalen Blutkörperchen hellgrün tingiert. Wie die drei
nebeneinanderliegenden, in derZeichnung etwas dunkler gehaltenen
Blutkörperchen erkennen lassen, besteht jenes Gebilde aus einem
helleren, mehr ovalen Hof, in dem zwei kleine, meist ungleich
grosse Körnchen liegen, die sich dunkelblau färben. Die weitere
Untersuchung ergab, dass sich das fragliche Gebilde nicht .nur
in den polychromatophilen, sondern auch in den normal ortho-
chromatisch gefärbten Erythrocyten, allerdings nicht in allen,
aber immerhin reichlich genug, fand. Die Fig. 6 zeigt drei solcher
Körperchen; der helle Hof wird hier meist vermisst.
Anfänglich glaubte ich, es mit einem pathologischen Be-
funde zu tun zu haben, und war daher nicht wenig überrascht,
als ich die Anwesenheit solcher granulierter Körperchen auch im
völlig gesunden Blut des erwachsenen Menschen feststellen konnte.
Macht man ein Blutpräparat nach der Methode der Osmiumdampf-
Fixation und färbt mindestens eine Stunde lang oder länger mit
der Giemsaschen Lösung (auf 1 ccm destillierten Wassers
ein Tropfen der Farbe), so nehmen die Blutkörperchen einen
sehr hellen gelblichgrünen Ton an; in sehr vielen, gelegentlich
Studien über das Blut. 403
in den meisten von ihnen fällt ein dunkelviolettes, scharf kon-
turiertes feinstes Körnchen auf, das sich stets in der äussersten
Peripherie des Körperchens findet, wie man ohne weiteres kon-
statieren kann, da die Erythrocyten ihre normale Napfform be-
wahren. Fig. 7 gibt eine Gruppe von Blutkörperchen mit solchen
Körnchen wieder. Die Körnchen sind nur mit Immersionssystem
und starken Okularen (8 oder 12) gut zu erkennen.
Was ihr allgemeiner Habitus angeht, so erscheinen sie ent-
weder als Doppelkorn, ab und zu auch von einem helleren Hof
umgeben (Fig. 7a, Fig. Sa), oder sie sind strichförmig oder
es ist nur ein einfaches Körnchen vorhanden. Gelegentlich findet
man noch seitlich von dem Doppelkorn ein weiteres Körnchen
(Fig. 7a).. Die Grösse ist schwer genau zu bestimmen, ich be-
rechne die Ausdehnung eines Körnchens auf etwa 0,2 «.
Die Lage ist eine vollkommen periphere, sie finden sich
meist hart am Rande, so dass man hie und da den Eindruck
hat, das Blutkörperchen sei an dieser Stelle etwas vorgebuchtet.
Doch ist ihr Vorkommen nicht etwa auf eine bestimmte Stelle
des Napfes beschränkt, sie zeigen sich bald im Napfrand,
bald an den konvexen Partien; nie dagegen sah ich die Körnchen,
vorausgesetzt dass die Blutkörperchen ihre normale Form be-
wahrt hatten und nicht plattgedrückt waren, in der Napfhöhlung.
Inbetreff' der Anzahl der in einem Blutkörperchen vor-
kommenden Gebilde ist bemerkenswert, dass sich fast ausschliess-
lich nur ein einziges solcher Körnchen oder Doppelkörnchen findet;
selten habe ich mehrere in dem gleichen Erythrocyten gesehen,
ich gebe in Fig. Sb ein derartiges Blutkörperchen wieder.
Soweit der Befund. Selbstverständlich ist nun zunächst
die Frage zu beantworten, handelt es sich bei dem beschriebenen
Gebilde um eine vorgebildete Strukturbesonderheit, oder nicht
einfach um eine Ausfällung, einen Farbstoffniederschlag oder eine
zufällige Auflagerung? Obwohl ich glaube, dass schon all das,
was ich mitgeteilt habe und was meine Abbildungen zeigen,
gegen die Artefactnatur spricht, möchte ich doch näher auf diese
Frage eingehen. Zunächst habe ich allerdings hervorzuheben,
dass es mir nicht geglückt ist, an frischen oder einfach fixierten
und ungefärbten Körperchen das Gebilde zu sehen; doch darf
dem bei der ausserordentlichen Kleinheit des Objektes keine Be-
deutung beigelegt werden; wir wissen zudem, dass es anerkannte
404 Franz Weidenreich:
Strukturen gibt, die nur bei Färbung deutlich werden. Dass es
sich um keine Ausfällung handelt, die bei roten Blutkörperchen
leicht vorkommt, folgt aus der Behandlung der Blutkörperchen,
die in der denkbar schonendsten Weise fixiert wurden, da sie
nur mit den Osmiumdämpfen in Berührung kamen. Die Deutung
als Farbstoffniederschläge ist deswegen unmöglich, weil sich fast
ausschliesslich nur ein derartiges Gebilde.in einem Blutkörperchen
findet und weil bei der angegebenen Fixierung und Färbung
Niederschläge im Präparate überhaupt nicht vorkommen. Eine
Auflagerung im Plasma befindlicher Gebilde kann das Körnchen
nicht sein, da es deutlich innerhalb der Blutkörperchen liegt, oft
dazu von einem hellen Hofe umgeben und meist als Doppel-
körnchen auftritt. Gegen die Artefactnatur spricht ausserdem
der Umstand, dass sich die Herkunft der Gebilde nachweisen
lässt, wovon später.
Es fragt sich nun, handelt es sich bei dem Gebilde um
etwas Neues, bisher Unbekanntes, oder ist in der Literatur schon
ähnliches beschrieben worden? Man ist geneigt, zunächst an
die sogenannten basophilen Körnchen, die punktierten Erythro-
ceyten Jollys und die endoglobulären Körperchen Schmauchs
zu denken. Vorerst sei bemerkt, dass es damit wenigstens un-
mittelbar nichts zu tun hat. Wohl aber sind gerade in diesem
Jahre von zwei Seiten und völlig unabhängig von einander Dinge
beschrieben worden, die mit den von mir gesehenen Körnchen
identisch sein dürften. Grawitz und Grüneberg (1906)
haben bei den Untersuchungen mit ultraviolettem Licht Gebilde
in den Erythrocyten gesehen, die sie allerdings für Auflagerungen
halten; sie sagen darüber (8. 6): „Gelegentliche punktförmige
dunklere Flecke auf den Zellen sind unzweifelhaft als Auf-
lagerungen anzusprechen, da sie in ganz gleicher Weise auch
im umgebenden Medium des Plasmas frei angetroffen wurden
und da an einzelnen Stellen deutlich ihr Anhaften an der Peri-
pherie zu sehen ist.“ In Fig. 2 geben sie eine Abbildung.
v.Schrötter (1906), der mit der gleichen Methode allerdings
nicht am frischen Objekt, sondern am ungefärbten Trocken-
präparat arbeitete, hat offenbar ähnliches gesehen. In den Ery-
throcyten verschiedener Provenienz komme vereinzelt je ein
kleines, dunkles, kreisrundes Gebilde zur Darstellung, das ent-
weder scharf konturiert oder von einer schmalen hellen Zone
u hi
Studien über das Blut. 405
umgeben sei; dasselbe wäre stets exzentrisch gelagert; es handle
sich dabei immer nur um einen rundlichen Körper von gleicher
Grösse und Lagerung. Den Durchmesser des Gebildes gibt der
Autor auf '/ıs der Blutscheibe an, das wären also 0,5 «. Die
Beobachtungen Schrötters stimmen nun fast genau mit meinen
überein, nur die Grössenangaben differieren; der Grund hierfür
dürfte wohl darin liegen, dass dieser Autor, der mit der gewöhn-
lichen Trockenmethode arbeitete, mehr oder weniger platt-
gedrückte Blutkörperchen vor sich hatte; meine Erfahrungen
zeigen nämlich, dass in solchen Erythrocyten tatsächlich das Ge-
bilde mehr Raum einnimmt, wie ein Vergleich meiner beiden
Figuren 6 und 7 ergibt. Dass Schrötter den so auffälligen
häufigen: Doppelcharakter anscheinend nicht gesehen hat, liegt
vielleicht daran, dass im ultravioletten Licht die beiden Körnchen
als ein Korn imponieren, das dann natürlich auch wieder einen
grösseren Durchmesser aufweisen müsste. Grawitz und Grüne-
berg liessen sich bei der Beurteilung des von ihnen Gesehenen
durch die periphere Lagerung und das Vorkommen gleicher Ge-
bilde im Plasma leiten; aber es fragt sich, ob die nur photo-
graphischen Darstellungen, die man bei der Methode des ultra-
violetten Lichts erhält, geeignet sind, um mit Sicherheit eine so
subtile Unterscheidung zwischen blosser Auflagerung und peri-
pherer Einlagerung treffen zu können. Meine Befunde sprechen
mit Bestimmtheit für die intraglobuläre Lage der Körnchen. Auf
das Vorkommen ähnlicher Gebilde im Plasma werde ich noch
einzugehen haben.
Die Frage nach dem Wesen und der Herkunft der Körnchen
glaube ich gleichfalls befriedigend beantworten zu können. In
neuester Zeit hat Jolly (1905 b) in dem Blut neugeborener
Tiere rote Blutkörperchen beschrieben, deren Zentrum ein färb-
bares Korn wechselnden Volumens aufweist, das sehr oft den
sechsten, achten oder zehnten Teil des Durchmessers des Blut-
körperchens erreicht. Dieses Korn ist einzeln vorhanden, von
kugeliger Form, scheint von homogener Struktur zu sein und
färbt sich leicht mit Kernfarbstoffen. Mit den sogenannten
Nucleoiden oder den basophilen Granulationen hat das Gebilde
nichts zu tun. Auch bei der erwachsenen Ratte treten solche
punktierten Blutkörperchen nach ausgedehntem Aderlass auf
(Jolly et Stini 1905). Jolly hält das Korn für einen Kern-
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 69. an.
406 Franz Weidenreich:
rest; ohne sich mit absoluter Bestimmtheit zu äussern, diskutiert
er die Wahrscheinlichkeit, dass der grössere Teil des pyknotisch
gewordenen Kernes auf ein- oder zweimal ausgestossen wird,
während der kleinere Teil, eben jenes Korn, zurückbleibt. Was
aus diesem Korn schliesslich wird, das vermag Jolly nicht zu
sagen.
Die gleichen Beobachtungen, die Jolly mitteilt, sind nun
schon früher von Howell (1390) gemacht worden. Bei Katzen,
denen stark zur Ader gelassen worden war, enthielten die meisten
Blutkörperchen 24 Stunden später ein einzelnes Stück Kern-
substanz, grösser als eine gewöhnliche Granulation und von der Form
eines grossen Kernkörperchens; mit Methylgrün war es färbbar;
es lag peripher. Normale Katzen zeigten nichts davon. Howell
deutet das Gebilde als ein Stück Kernrest, das noch eine Zeit
nach der Ausstossung des übrigen Stückes zurückbleibt.
Späterhin hat Schmauch (1899) gleichfalls bei Katzen,
„endoglobuläre‘‘ Gebilde beschrieben, die von ihm auch als Kern-
reste gedeutet werden. Er will sie bei normalen Tieren jeden
Alters gesehen haben. Ihre Grösse und Form unterliegt grossen
Schwankungen, sie werden als grünliche dunkle Körper bezeichnet,
die eine deutliche Eigenbewegung und zwar eine äusserst lebhafte
rotierende und eine viel langsamere Ortsbewegung innerhalb des
Blutkörperchens erkennen lassen; besonders deutlich treten sie
nach Färbung mit Methylviolett und vornehmlich auch in den
Blutkörperchenschatten hervor; sie liegen häufig in der Nähe des
Randes, oft aber auch ganz zentral. Über ähnliche Befunde be-
richtet auch Bloch (1901).
Ich selbst habe in dem II. Teil meines Referates über die
roten Blutkörperchen (1905 b) Beobachtungen mitgeteilt (S. 426
und 439 u. f.), die ich an Schnittpräparaten von Knochenmark
und embryonaler Leber machen konnte. Ich fand in zahlreichen
roten Blutkörperchen noch ein einzelnes kleines Chromatinkorn,
über dessen schliessliches Schicksal ich nichts auszusagen ver-
mochte; jedenfalls war es in den fertigen Erythrocyten des
strömenden Blutes nicht mehr nachweisbar.
Um mir womöglich am gleichen Objekt ein Urteil über die
Befunde Schmauchs bilden zu können, habe ich das Blut neu-
geborener und einige Tage alter Kätzchen zunächst nach meiner
Methode der Osmiumdampf-Fixation untersucht und fand dabei
Studien über das Blut. 407
Folgendes: In vielen roten Blutkörperchen lässt sich ein in der
Grösse wechselndes, stets aber rundes bezw. kugeliges und meist
in der Einzahl vorhandenes Korn nachweisen (Fig. 9), das sich mit
Kernfarbstoffen intensiv färbt, besonders schön dunkelviolett bei
Anwendung der Giemsaschen Lösung in der oben angegebenen
Zeit. Dieses Korn ist meist homogen und gleichmäßig gefärbt,
gelegentlich ist das Zentrum etwas heller, wie auch schon Jolly
hervorgehoben hat. Ich gehe also mit diesem Autor bis hierher
völlig einig; dagegen habe ich, was die Lage des Kornes angeht,
eine andere Ansicht gewonnen. Nach Jolly liegt das Korn im
Zentrum des Körperehens und in der Tat kann es auch da an-
scheinend gefunden werden; ich gebe in Fig. 10a ein solches
Körperchen wieder; wie ich aber gleich hinzufügen möchte und
wie auch aus der Abbildung hervorgeht, handelt es sich hierbei
um ein Blutkörperchen, das ziemlich plattgedrückt ist. In allen
den Erythrocyten nun, die ihre natürliche zentrale Depression
bei dem Fixationsverfahren bewahrt haben, nimmt aber das Korn
eine exquisit exzentrische Lage ein, die bei dem Verfahren der
Osmiumdampf-Fixation, das viel schonender ist als das einfache
Antrocknen und nachherige Fixieren durch Erhitzen, kein arti-
fizielles sein kann. Stellen sich die betreffenden Blutkörperchen
so ein, dass die Napföffnung genau nach oben sieht, so liegt
das Korn stets an der höchsten Stelle des Randes (Fig. 9a, b. c,d, g);
präsentieren sich die Körperchen mehr in der Profilansicht
(Fig. 9 e, f), so erscheinen sie von dieser Stelle weggerückt und
zwar mehr nach der konvexen Seite hin. Man hat danach durch-
aus den Eindruck, dass das Korn keine festfixierte Lage hat,
sondern sich im Blutkörperchen-Innern frei bewegen kann und
sich dabei stets in der jeweils höchsten d.h. obersten Stelle des
Körperchens, gleichgültig welche Lage dieses gerade einnimmt,
einstellt. Das ist auch der Grund, warum es bei der wohl-
erhaltenen Napfform nicht im Zentrum der Depression, d.i. der
tiefsten Stelle der gerade nach oben gekehrten Blutkörperchen-
fläche, gefunden wird. Damit stimmt die Beobachtung, die ich
wiederholt machen konnte, dass bei solchen Erythrocyten, die
gerade die Napföffnung nach unten kehren und die Wölbung
nach oben, was bei Anwendung der Mikrometerschraube leicht
zu konstatieren ist, das Korn an der höchsten bezw. obersten
Stelle der Kugel (Fig. 9 h) sichtbar ist und dadurch den Anschein
Pe
408 Franz Weidenreich:
erweckt, als läge es im Zentrum. All das lässt sich nur an
solchen Blutkörperchen feststellen, die nicht nach der gewöhn-
lichen Trockenmethode gewonnen sind, da dieses Verfahren nur
mehr oder weniger plattgepresste, in ihrer natürlichen Form
alterierte Elemente bietet (Fig. 10). Meine Beobachtungen am
frischen Objekt bestätigten diese Vorstellung von der Lage des
Korns; das Gebilde, das als dunklerer Fleck erscheint, liegt
durchaus peripher und an der jeweils höchsten Stelle; auch
glaubte ich mich von der langsamen Ortsveränderung, wie sie
Schmauch angıbt, überzeugen zu können, jedoch nur bei
gleichzeitiger Lageveränderung des Blutkörperchens. Ich komme
also hinsichtlich der Lage zu demselben Resultate wie Howell,
mit dessen Fig. 4 auf Taf. IV meine Abbildungen sehr schön
übereinstimmen.
Alle diese Feststellungen "weisen auf die Kernnatur des
Gebildes hin: dazu passt, dass man in Schnittpräparaten, wie
embryonaler Leber und Knochenmark, solche einfach punktierte
Blutkörperchen mit allen Übergängen zu zweifellos kernhaltigen
antrifft: damit stimmt ferner überein, dass man, wenn auch seltener,
im strömenden Blut junger Kätzchen deutlich kernhaltige Elemente
mit fragmentierten Kernen findet (Fig. 9 1).
Wie entsteht nun dieses Chromatinkorn und was wird aus
ihm? In meinem bereits zitierten Referate habe ich nachge-
wiesen, dass nach den übereinstimmenden Befunden zahlreicher
Untersucher und nach meinen eigenen Ergebnissen der Kern der
Erythroblasten einer fortschreitenden Fragmentierung bei gleich-
zeitiger Homogenisierung seiner Struktur unterworfen ist, wobei
möglicherweise auch direkte Teilungen der Blutkörperchen statt-
finden. Während die grösseren Fragmentstücke ausgestossen
werden, bleiben kleinere Absprossungen und zwar meist ein
einziges Ohromatinkorn in den Blutkörperchen zurück, das dann
unter den von Howell, Schmauch und Jolly beschriebenen
Bildern erscheint. Ich habe in Fig. 11 eine Auswahl von roten
Blutkörperchen wiedergegeben, die aus der Leber eines ca. 3'/a
Monate alten menschlichen Embryos stammen; der lebend aus-
gestossene Embryo gelangte zur Untersuchung, als er gerade
aufgehört hatte, Lebenszeichen zu geben; das Leberblut wurde
auf dem Objektträger ausgestrichen und mit Osmiumdämpfen
fixiert; gefärbt habe ich mit Unnaschem Hämatein und Eosin.
Studien über das Blut. 409
Bei einem derartigen Ausstreichen lässt sich ein sofortiges Fest-
haften und Plattdrücken der Blutkörperchen oft nicht vermeiden:
daher kommt es, dass die in der Fig. 11 wiedergegebenen
Elemente ihre natürliche Form eingebüsst haben — für die uns
hier beschäftigende Frage ein nebensächlicher Umstand. In
a sieht man wie ein kleiner Spross vom Kern sich eben ab-
schnürt, in b ist derselbe selbständig geworden und seine
Struktur verwischter, in c zeigt er eine Aufhellung seines
Zentrums; d gibt einen „punktierten“ Erythrocyten wieder mit
noch dichtem Chromatinkorn, in e und auch f erscheint das Korn
heller und homogener. Darauf aufmerksam machen möchte ich,
dass das Hämatoxylin das Korn lange, nicht so intensiv färbt,
wie die Giemsasche Lösung. In den drei zuletzt bezeichneten
Blutkörperchen ist das grosse Kernfragment bereits ausgestossen.')
Ich glaube also, dass ein Vergleich des morphologischen Bildes
zwischen den „punktierten“* ‘Erythrocyten und den typischen
kernhaltigen zusammen mit der Tatsache, dass jenes Korn sich
leicht mit jedem Kernfarbstoff tingieren lässt, für seine sichere
Kernnatur spricht; dazu kommt die exzentrische Lagerung, die
schon längst von vielen Autoren als ein Charakteristikum
homogenisierter Kerne erkannt wurde (cf. mein Referat 1905).
Das Schicksal des Chromatinkorns kann gleichfalls aus dem
Blute der embryonalen Leber erkannt werden. Die Fragmentierung
erstreckt sich auch auf dieses Korn; Fig. 11g zeigt es hantel-
förmig eingeschnürt, bei h und i ist die Zerschnürung durch-
geführt und von da zu k, I, m ist der Übergang ohne weiteres
gegeben. Diese letzteren Körnchen stimmen nun aber wieder
morphologisch und färberisch mit denen überein, die ich in den
Blutkörperchen des erwachsenen Menschen sowohl im gesunden
(Fig. 7 u. 8) wie im leukämisch veränderten Blut (Fig. 6) ge-
funden habe. Danach unterliegt also das Chromatinkorn der
„punktierten“ Erythrocyten einer fortschreitenden Zerschnürung
bis zuletzt nur ein feinstes Körnchen oder Doppelkörnchen übrig
bleibt. In diesem Stadium gelangen die Erythrocyten in das
strömende Blut, wo sich bei sehr vielen dieser letzte winzige
!) Da es mir in dieser Abhandlung nicht darum zu tun ist, bild-
liche Belege für die fortschreitende Fragmentierung und Ausstossung des Kerns
zu geben, habe ich mich mit diesen Figuren beschränkt; bei anderer Gelegen-
heit werde ich das aber nachholen.
410 Franz Weidenreich:
Rest noch eine Zeitlang erhält, bis er schliesslich gleichfalls
schwindet.
Es bleiben nun noch eine Reihe von Besonderheiten zu be-
sprechen. In Fig. 11 erkennt man in f und i nicht ein
Chromatinkorn, bezw. Doppelkorn, sondern noch mehrere feinste
Kernpünktchen. Das erinnert an Fig. Sb und das oben gesagte,
wonach auch in den Blutkörperchen des strömenden Blutes des
Erwachsenen, wenn auch selten, mehrere solcher feinster
Körnchen vorkommen. Wie sie zu erklären sind, erhellt aus
dem Fragmentierungsmodus des Kernes; oft findet sich nämlich
nicht nur ein kleiner Spross,. sondern manchmal auch zwei und
noch sehr viel seltener mehr Sprosse, die dann ihrerseits jeder
für sich nach Ausstossung des grossen Kernstückes der weiteren
Zerkleinerung verfallen. In Fig. 9 habe ich in k vom Kätzchen
ein Blutkörperchen wiedergegeben, in dem zwei getrennte kleine
Chromatinkörner liegen, die wohl aus einer solchen Zerschnürung
eines grossen (wie in a, f oder g) hervorgegangen sein dürften.
Aufmerksam machen möchte ich noch auf Fig. Iln; hier hat es
den Anschein, als wenn das fragliche Doppelkorn ein Zentral-
körperchen, bezw. Diplosom, wäre; allein ich glaube, dass diese
Deutung nicht zutreffend ist, weil das Doppelkorn mit Hämatein
gefärbt ist und in den Leukocyten des gleichen Präparates keine
Zentralkörperchen dargestellt sind, es dürfte hier die Zer-
schnürung bereits bei noch erhaltenem übrigen Kern erfolgt sein.
Aus den mitgeteilten Befunden folgt also, dass das in sehr
vielen roten Blutkörperchen des Menschen nachweisbare Körnchen
der letzte Rest des Zellkernes darstellt. Dieser Kern unterliegt
nämlich einer fortschreitenden Fragmentierung und wird dadurch
kleiner, die Kernfragmente werden ausgestossen. Wenn die
Blutkörperchen aus dem Knochenmark in die Zirkulation gelangen,
ist dieser Prozess bereits zum Abschluss gelangt; nur die aller-
letzten und kleinsten Fragmentstücke lassen sich noch als
winzige Chromatinkörnchen (meist nur eins oder zwei in jedem
Blutkörperchen) nachweisen. Ich bezeichne diese Gebilde von
jetzt an als Chromatinstäubchen.
Es wird vielleicht nun mancher Leser, der in der Literatur
weniger bewandert ist, auf den Gedanken kommen, dass ich
hier gar nichts neues beschrieben habe, da ja Kernreste, Innen-
körper oder Nukleoide, alles also Gebilde, die auf den Kern
Studien über das Blut. 411
zurückzuführen seien, schon längst von den verschiedensten
Autoren in den zirkulierenden Blutkörperchen nachgewiesen wären.
Aus meiner Schilderung geht aber hervor, dass das Chromatin-
stäubchen mit diesen Bildungen keineswegs identisch ist; die
Nukleoide oder Innenkörper werden von den Forschern, die an
ihr Vorhandensein glauben, als zentrale, verhältnismässig grosse
Gebilde beschrieben, die die Hälfte oder ein Drittel der Erythrocyten
ausfüllen und nur bei besonderer Behandlung oder Färbung zur
Darstellung gebracht werden können. Ich habe schon in meiner
ersten Publikation über die roten Blutkörperchen (1901) und
dann im ersten Teil meines Referates (1904) nachgewiesen, dass
es sich bei diesen Nukleoiden um Missdeutungen handelt, die
das optische und färberische Verhalten der zentralen Depression
betreffen. Die Kernreste, die z. B. Petrone beschreibt, sind da-
gegen Ausfällungen des Hämoglobins und mit den alten sogenannten
Robertsschen Körperchen vergleichbar; hierher gehört auch
sicher ein Teil der von Schmauch beschriebenen endoglobulären
Körperchen. Von allen diesen Dingen unterscheiden sich die
COhromatinstäubchen erstens durch ihre ausserordentliche Klein-
heit, zweitens durch ihre ausgesprochen exzentrische Lagerung,
drittens durch ihre leichte Darstellbarkeit am einfachen dampf-
fixierten Präparat mit Hilfe der üblichen Kernfarbstoffe, besonders
der Giemsaschen Lösung, und viertens endlich durch ihren Nach-
weis mit Hilfe des ultravioletten Lichtverfahrens, das gerade, wie
besonders Grawitz und Grüneberg betonen, das Fehlen eines
Innenkörpers oder Nukleoides bestätigt hat.
Der Nachweis der Chromatinstäubchen in den Erythroeyten
des zirkulierenden Blutes und die Möglichkeit ihrer Ableitung
aus kleinen punktförmigen Kernresten („punktierte Erythrocyten“
Jollys), die sich noch als letztes Residuum der kernhaltigen
Elemente im Blut neugeborener Tiere finden, spricht aber auch
zugunsten der Ausstossungstheorie des Kernes und gegen die
Auflösung desselben im Innern. Ich habe in meinem schon öfters
zitierten Referate auseinandergesetzt, dass alle die Autoren, welche
sich zu der letzteren Ansicht bekennen, zuletzt noch ein grosses
Kernstück nachweisen konnten, das dann seine Farbenaffinität
verliere und so nicht mehr darstellbar sei; daraus wurde
dann auf die Auflösung geschlossen. Demgegenüber habe ich
betont, dass man an gut fixierten Präparaten stets eine fort-
412 Franz Weidenreich:
dauernde Fragmentation des Kernes mit gleichzeitiger Homo-
genisierung des Inhaltes feststellen könne; während die grösseren
Fragmente der Reihe nach die Zelle verlassen, bleibt zuletzt
noch ein kleines Bruchstück übrig, dessen Endschicksal ich damals
aber nicht bestimmen konnte; ich liess es daher in suspenso, ob
es gleichfalls schliesslich das Blutkörperchen verlässt, oder der
Auflösung anheimfällt.e Die vorliegende Mitteilung bringt nun
auch darüber Klarheit; die durchaus exzentrische Lagerung weist
schon auf die Tendenz zum Austritt hin: vor allem unterliegt
es aber noch einer weiteren Fragmentierung bis zu dem Stadium
der Chromatinstäubehen, die gleichfalls stets in der äussersten
Peripherie sich finden. Ich glaube nun, dass auch diese Stäub-
chen die Zelle verlassen, zunächst trifft man sie schon in sehr
vielen Blutkörperchen überhaupt nicht mehr, dann aber sieht
man ganz ähnliche Gebilde frei im Plasma. Untersucht man
ein eben angefertigtes frisches Blutpräparat, so fallen feinste
Körperchen auf, die bald zahlreicher, bald nur spärlich vorhanden
sind; diese Körnchen unterscheiden sich von den Blutplättchen
erstens durch ihre Kleinheit, zweitens dadurch, dass sie im
Plasma liegen bleiben und nicht am Glase festbaften, und drittens
durch ihre lebhafte Molekularbewegung. Es sind das dieselben
Elemente, die H. F. Müller (1896) als Hämokonien bezeichnet
hat. Mir scheint es nun, als wenn ein grosser Teil dieser Blut-
stäubchen mit den ausgestossenen Chromatinstäubehen zu iden-
tifizieren wäre, und zwar deswegen, weil nicht nur die Grössen-
verhältnisse die gleichen sind, sondern weil auch in den mit
Osmiumdampf fixierten und mit Giemsascher Lösung gefärbten
Präparaten diese Hämokonien in dem gleichen roten Farbenton
darstellbar sind, und weil jene Stäubehen, wie H. F. Müller
zeigte, gegen Essigsäure sich resistent erweisen. Vielleicht liesse
sich in diesem Sinne auch die Beobachtung von Grawitz und
Grüneberg (l. ec.) verwerten, die bei ultraviolettem Lichtver-
fahren feinste dunkle Körnchen im Plasma fanden, was diese
Autoren gerade veranlasste, die peripheren Körnchen in den
Blutkörperchen für Auflagerungen solcher Plasmabestandteile zu
halten: die Tatsache, dass diese Plasmakörnchen für ultraviolettes
Lieht undurchlässig sind, spräche ohnedies zugunsten ihrer
Chromatinnatur. Ob alle Hämokonien auf die Chromatinstäubchen
zurückführbar sind, ist schwer zu sagen; auch ist bei der Fein-
“ Studien über das Blut. 413
heit der in Betracht kommenden Gebilde leider eine exakte
Prüfung des mikro-chemischen Verhaltens schwer möglich, so
dass ich mich auf das Gesagte beschränken muss.
Es wäre nun noch auf einen Punkt zurückzukommen. Ich
habe gezeigt. dass Kernbestandteile noch bis zur letztmöglichen
Fragmentierung in feinste Stäubchen als morphologisch und tink-
toriell wohlumschriebene Gebilde in den Erythrocyten nachweisbar
bleiben. Das berechtigt aber auch zu dem Schlusse, dass andere
Bildungen von fraglicher Natur, die in den gleichen Zellen viel-
fach beschrieben werden, nicht aus dem Kern ableitbar sind und
vor allem nicht aus den chromatischen Elementen desselben. Ich
habe dabei zunächst die sogenannten Nukleoide und Innenkörper
im Auge; diese Gebilde treten nur bei besonderer Vorbehandlung
oder Farbenkombination hervor, und der Nachweis, dass sie
wirklich dem aufgelösten Kern entstammen, wurde bisher nicht
auf vergleichend -morphologische Weise geführt, sondern ihre
Zusammengehörigkeit nur aus den Farbenbildern erschlossen.
In meinem Referate habe ich auseinandergesetzt, dass dieses
Verfahren sehr trügerisch ist; hier zeigt sich nun, dass die
wirklichen, in den Zellen des strömenden Blutes noch eine Zeit-
lang verbleibenden Kernfragmente sowohl ihrer Lage wie ihrem
morphologischen und färberischen Charakter nach etwas durchaus
anderes sind als die bisher als solche Kernreste gedeuteten und
Nukleoide oder Innenkörper genannten Bilder. Dass ausser den
Chromatinstäubchen keine Kernreste (ebensowenig wie sonst eine
Struktur) in den Erythrocyten vorhanden sind, haben zudem die
Untersuchungen von Grawitz und Grüneberg (l. ec.) und
v. Schrötters (l.c.) bestätigt. Da also in den zirkulierenden
roten Blutkörperchen derartige Gebilde fehlen, können natürlich
auch die Blutplättchen nicht solche ausgeschlüpfte Nukleoide
sein; wie ich in einem augenblicklich im Drucke befindlichen
Aufsatze (1906 b) eingehend ausführte, bekenne auch ich mich
zu der Ansicht, dass die Blutplättchen Abkömmlinge der Erythro-
cyten sind, aber die Ableitung ist auf einem anderen Wege, den
ich gleichfalls dort gezeigt habe, zu suchen. Die als Kerne der
Plättehen angesprochene Masse findet sich nämlich durchaus nicht
in den gewöhnlichen Blutkörperchen vorgebildet, sondern ent-
steht offenbar erst während der Metamorphose, die das Blut-
körperchen oder seine Teile bei der Plättchenwerdung erleidet,
414 Franz Weidenreich:
und ist überhaupt nicht als intakter oder umgewandelter Kern
aufzufassen. Dass die Chromatinstäubehen nicht etwa zu Blut-
plättchen werden können, oder dass wenigstens der körnige
Innenkörper der Plättchen nicht diesen Stäubchen entsprechen
kann, folgt ohne weiteres aus den Grössendifferenzen; die
Chromatinstäubehen sind um ein vielfaches kleiner als die
Körnchenmasse auch der kleinsten Plättchen; ein einzelnes
Granulum dieser Masse kommt schon an Grösse einem Chromatin-
stäubchen gleich.
So zeigt sich, dass die Feststellung dieser Gebilde in den
Erythrocyten des zirkulierenden Blutes auch neues Material für
die Beurteilung der Nukleoide und Blutplättchenfrage zu liefern
imstande ist.
IV. Basophile Körnelung.
Zu denjenigen Gebilden, deren Natur noch eine lebhaft
umstrittene Frage ist, gehören eigentümliche Körnchen, die unter
pathologischen Verhältnissen in den Erythrocyten des mensch-
lichen Blutes auftreten, aber auch experimentell, besonders nach
Einwirkung gewisser Gifte, in den Blutkörperchen der meisten
Säugetiere zu erzeugen sind. Diese Körnchen sind in Blut-
trockenpräparaten nachweisbar und lassen sich mit basischen
Farbstoffen (Hämatoxylin, Methylenblau) färben; sie erscheinen
unter dem Bilde feinster Stäubehen und erfüllen den Zelleib in
grösserer oder geringerer Menge.
Die Kontroverse betrifft hauptsächlich die Herkunft der
Körnchen; während die einen sie für Degenerationsprodukte des
kernlosen Erythrocytenleibes halten, sehen andere in ihnen die
letzten Reste des Kernes. Für die Kliniker ist diese Frage von
einiger Bedeutung geworden und zwar deswegen, weil das Auf-
treten der Körnchen in prognostischer Hinsicht Verwertung fand,
die je nach der Beurteilung ihrer Genese verschieden ausfiel.
Wenn ich mich nun im Folgenden mit dieser Körnelung
der Erythrocyten beschäftige, so geschieht das ausschliesslich vom
morphologischen Standpunkte aus. Ob sie als Plasmadegeneration
oder als Kernresiduum aufzufassen ist, ist eben eine rein morpho-
logische Frage und klinische Erfahrungen spielen meines
Erachtens dabei eine durchaus sekundäre Rolle. Aus diesem
Grunde ist es also nicht angängig, aus dem Auftreten der
Studien über das Blut. 415
Körnelung bei gleichzeitiger Besserung der Erkrankung
auf eine Blutregeneration und in weiterer Folgerung auf Kern-
abstammung zu schliessen und umgekehrt bei gleichzeitiger
Verschlimmerung auf Blutzerfall, demgemäss auf Degeneration.
Mich leitet bei dieser ablehnenden Stellung gegenüber den
klinischen Tatsachen die Überlegung, dass das klinische Bild
allzu leicht zu Trugschlüssen veranlassen kann, wie ich im Folgenden
zeigen will. Weil die fragliche Körnelung gerade bei Besserung
der Krankheit, z. B. der Bleivergiftung, auftritt und weil siein den
schweren Phasen fehlt, können die Körnchen nicht der Ausdruck
einer Plasmadegenration sein, so schlossen viele Kliniker, und
noch in der allerletzten Zeit haben sich Meyer und Sperino
(1906) in diesem Sinn geäussert. Dabei übersehen alle, die so
denken, doch offensichtlich die Tatsache, dass der Zerfall roter
Blutkörperchen ein physiologischer und tagtäglich notwendiger
ist; wir wissen, dass allein zur Bereitung des Gallenfarbstoffes
immerwährend grosse Mengen von Erythrocyten aus der Zirku-
lation ausgeschaltet werden, und wir können sogar durch ver-
hältnismässig einfache Rechnung feststellen, dass etwa innerhalb
vier Wochen sämtliche farbige Blutkörperchen durch neue ersetzt
werden. Unter den Erythrocyten des zirkulierenden Blutes findet
sich also schon bei normalen Verhältnissen stets eine sehr be-
trächtliche Zahl dem Untergang geweihter Elemente; welche das
sind, das entzieht sich bis jetzt völlig unserer Kenntnis und zwar
deswegen, weil ihre physiologische Abnutzung keinen deutlichen
morphologischen oder tinktoriellen Ausdruck findet. Wäre es
denn nun aber nicht möglich, dass unter pathologischen Ver-
hältnissen d. h. unter dem Einfluss einer besonderen Giftwirkung,
die sonst nicht erkennbaren, dem physiologischen und darum
natürlich auch in den Zeiten der Besserung stattfindenden Zer-
fall preisgegebenen Erythrocyten gewissermaßen gezeichnet werden,
also gekörnelt erscheinen? In Wahrheit wissen wir ja über die
besondere Art der Giftwirkung auf die Blutzellen so gut wie
nichts; wir wissen also nicht, ob das Gift nur auf physiologisch
vollwertige oder abgenutzte oder auf beide Sorten einwirkt;
wir wissen nicht, ob es dauernd oder nur zeitweise einen Ein-
fluss auszuüben vermag; kurz wir sind in all diesen Fragen nur
auf Spekulation und Vermutungen angewiesen, und da ist die
Folgerung, dass die Körnelung nur eine ganz besondere Stig-
416 Franz Weidenreich:
matisierung der physiologisch dem Untergang geweihten Elemente
ist, mindestens ebenso berechtigt wie die, dass sie als ein Zeichen
neu in die Zirkulation gelangter Elemente zu deuten sei. Ab-
solut beweisend sind demnach die klinischen Beobachtungen in
keinem Falle, und darum kann nur auf rein morphologischem
Wege die Frage entschieden werden; ich werde daher literarische
Angaben nur insoweit berücksichtigen, als sie morphologisch ver-
wertbare Tatsachen enthalten; wer sich auch für die übrige
Literatur interessiert, der sei auf die ausgezeichneten Zusammen-
stellungen Lutoslawskis (1904) und Pols (1905) verwiesen!
Die basophile Körnelung, die, wie ich bereits in dem ersten
Teil meines Referates 1904) erwähnte, zuerst von S. Askanazy
und Ehrlich gesehen worden war, tritt bei allgemein anämischen
Zuständen in den Erythrocyten des menschlichen Blutes auf, mit
besonderer Vorliebe aber bei Bleivergiftung. Ausser bei diesen
Gifte zeigt sie sich aber auch noch bei einer Reihe von anderen
Giften (ef. die Zusammenstellung Pols), die Tieren, besonders
Kaninchen, Meerschweinchen und Mäusen eingeführt wurden, oder
bei sonstigen schädlichen Einwirkungen (Aderlass, Ueberhitzen).
Darnach hätte man es eigentlich mit Bildungen zu tun, die
ausgesprochen pathologischer Natur sind. Nun finden sich aber
schon in der Literatur vereinzelt Angaben, die hervorheben, dass
die Körnelung auch manchmal in solchen Fällen beobachtet
wurde, wo keine nachweisliche Schädigung eingewirkt hatte.
Rosin und Bibergeil geben (1904) an, dass auch bei ge-
sunden Menschen ab und zu gekörnte Erythrocyten angetroffen
werden; vor allem aber haben Bloch (1899) und Löwenthal
(1902) bei Meerschweinchen ihr gelegentliches Vorkommen bei
anscheinend gesunden Tieren festgestellt. Bloch berichtet, dass
er einmal im Blute eines gesunden Meerschweinchens basophile
(ranulationen fand, bei 20 anderen dagegen nicht, während
Löwenthal ihre Anwesenheit bei der gleichen Tierart unter
acht Fällen siebenmal feststellen konnte; es handelte sich dabei
um zum Teil frisch gekaufte, zum Teil um länger im Keller ge-
haltene Exemplare. Trotz dieses Befundes glaubt der letzt-
genannte Autor nicht an ein physiologisches Vorkommen, weil
die Tiere zeitweise körnchenfrei waren und ausser Bloch niemand
der Tatsache Erwähnung getan habe Löwenthal hielt die
Tiere zur Entscheidung der Frage im Freien und will bei solchen
Studien über das Blut. 417
Exemplaren weniger gekörnte Elemente gefunden haben als bei
den im Keller lebenden; Kälte und Nässe begünstigen seiner
Ansicht nach das Auftreten der Körnchen.
(Gelegentlich der Untersuchung zirkulierenden Meer-
schweinchenblutes war mir der ausserordentliche Reichtum an
gekörnten Erythrocyten aufgefallen; das Tier war völlig gesund
und stammte aus der Zucht des anatomischen Institutes. Ich
habe darnach eine Reihe weiterer Tiere untersucht, junge und
alte, darunter auch ein trächtiges, stets aber konnte ich den
gleichen Befund erheben. Die Tiere werden bei uns nicht im
Keller, sondern in einem eigenen, gut gelüfteten und 'einge-
richteten Stallbau gehalten; die untersuchten Tiere waren völlig
gesund und kräftig, so dass ich nicht einsehen kann, warum die
gekörnten Erythrocyten nicht einen normal-physiologischen Be-
fund des Meerschweinchenblutes darstellen sollen. Dass, wie
Löwenthal angibt, körnchenfreie Zeiten vorkommen, ist durch-
aus kein Gegenbeweis; die Menstruation findet bekanntlich auch
nur alle vier Wochen statt, ohne dadurch ihren physiologischen
Charakter zu verlieren, und vorerst wissen wir ja über die
Gründe des Auftretens und Verschwindens der gekörnten Ele-
mente im Meerschweinchenblut gar nichts Bestimmtes. Der Um-
stand, dass anderen Untersuchern der Körnchengehalt nicht auf-
fiel, dürfte wohl darin seinen Grund haben, dass vielfach das
Blut normaler Tiere nicht untersucht wurde, weil man von vorne
herein die Körnchen für ein pathologisches Produkt hielt: aber
dass gerade die Meerschweinchen für die Vergiftungsversuche
bevorzugt wurden, zeigt, dass die Körnchen sehr leicht bei diesen
Tieren nachweisbar waren, nötigt aber nunmehr auch dazu, die
an dieser Tierart gewonnenen Resultate mit Vorsicht aufzunehmen
oder lieber überhaupt nicht zu verwerten, da man ja nicht weiss.
ob die gefundene Körnelung in diesen Fällen pathologischer
Natur war.
Macht man von dem Blute eines Meerschweinchens (Ein-
stich in das Ohr) ein Präparat nach der oben mitgeteilten Methode
der Osmiumdampf-Fixation und färbt mit der Giemsaschen
Lösung, so dokumentiert sich die sogenannte basophile Körnelung
der Erythrocyten durch die mehr oder weniger reichliche An-
wesenheit blauer feinster Flecke, die sich von dem hellen, gelb-
grünen Grunde des Zellleibes scharf abheben. Die Grösse dieser
418 Franz Weidenreich:
blauen Körnchen ist keine konstante, sie treten bald unter dem
Bilde feinster Stäubchen auf (Fig. 12a), bald erscheinen sie als
grobe Bröckel oder Körnchen (Fig. 12b), gröbere und feinere
können in der gleichen Zelle vorkommen. Auch die Form der
Granula ist keine bestimmte, neben abgerundeten trifft man viel-
fach eckige oder kurze oder längere stäbchenförmige Gebilde (b).
Ganz ausserordentlich variiert die Zahl der Körnchen; während
viele Blutkörperchen nur wenige (c, d), oft nur drei oder vier,
aufweisen, finden sich auch solche Erythrocyten in grosser Zahl,
die vollgepfropft von Granula sind (b, e, f, g). Hinsichtlich der
Lage der Körnchen in der Zelle lässt sich folgendes feststellen:
In denjenigen Blutkörperchen, die infolge der Behandlung die
Napfform verloren haben und als platte Scheiben erscheinen,
erfüllen sie die ganze Zelle (Fig. 12e) gleichmässig; in den
Fällen aber, in denen die natürliche Napfform erhalten ist, sind
sie hauptsächlich um den Napfrand herum angeordnet (g—i),
das zeigt sich besonders dann, wenn nur wenige Granulationen
vorhanden sind (a, ce); in manchen Blutkörperchen, die sehr viele
Körnchen enthalten, kommt es aber auch zu einer ausgesprochen
kranzartigen Anordnung der dicht gedrängt liegenden Gebilde
um die Napföffnung herum (k, 1); dabei liegen die Körnchen in
der äussersten Peripherie der Zelle.
Bevor nun auf die Natur der Körnchen eingegangen
werden kann, ist die Frage zu erörtern, ob sie nicht noch auf
andere Weise dargestellt oder sichtbar gemacht werden können.
Vor allem interessiert natürlich, ob sie am frischen unfixierten
Objekt nachweisbar sind. In der älteren Literatur finden sich
darüber keine genaueren Angaben, jedenfalls ist es niemanden
geglückt, sie ungefärbt zu sehen. Nur Schaudinn (1903) er-
wähnt, dass in den von Malariaparasiten befallenen Erythrocyten
farblose Flecke auftreten, die an Trockenpräparaten basische
Farbstoffe annehmen. Mir selbst ist es nicht gelungen, im
Meerschweinchenblut am unfixierten und ungefärbten Präparate
die gekörnten Elemente herauszufinden. Ich möchte darum
glauben, dass die Körnchen das gleiche Lichtbrechungsvermögen
besitzen wie das rote Blutkörperchen; aus den gleichen Gründen
also, aus denen man einen in Kanadabalsam eingetauchten farb-
losen Glasstab nicht sehen kann, entziehen sich die Granulationen
in den frischen Blutkörperchen der Beobachtung. In allerletzter
Studien über das Blut. 419
Zeit hat Grüneberg (1906) die für die Frage nach der Natur
der Körnchen wesentliche Feststellung gemacht, dass sie auch
im ultravioletten Lichtverfahren nicht hervortreten; Präparate
von Blut, das nachweislich sehr grosse Mengen von gekörnten
Elementen enthielt, zeigten auf der photographischen Platte keine
granulierten Erythrocyten ; ich werde auf diesen Punkt zurück-
zukommen haben.
Nicht minder von Belang für die Frage nach der Natur
der Körnchen ist ihr Verhalten den sog. vitalen Farbstoffen gegen-
über. Seit Pappenheim (1895) sind wiederholt und mit den
verschiedensten Farben in den roten Blutkörperchen Körnchen
nachgewiesen worden, die teils vereinzelt liegen, teils durch
feinste Fäden verbunden, zierliche Netzwerke bilden können.
Die Literatur hat im ersten Teil meines Referates (1904) ihre
Besprechung gefunden. Es fragt sich nun: sind die in den
Trockenpräparaten darstellbaren Granulationen mit den bei vitaler
Färbung auftretenden identisch? Oder vielmehr, sind jene Granu-
lationen auch vital färbbar? Rosin und Bibergeil (1904)
bejahen diese Frage ohne weiteres; sie konnten schon im nor-
malen menschlichen Blute zahlreiche gekörnte Elemente nach-
weisen, die im pathologischen Blute enorm vermehrt waren. Die
Körnchen erscheinen im normalen Blute zärter als im patho-
logischen, im letzteren Falle gleichen sie kurzen, dicken, etwas
zugespitzten Stäbchen und liegen im Zentrum der Blutkörperchen
entweder in Stern- oder Kranzform. Diese Angaben hat Fleisch-
mann (1905) nachgeprüft und kommt zu einem entgegen-
gesetzten Resultat; er nahm gewöhnliches Blut und fertigte davon
drei Präparate; das erste behandelte er als Trockenpräparat,
das zweite färbte er mit vitalen Farbstoften, das dritte überliess
er eine zeitlang sich selbst und behandelte es als Trocken-
präparat, nachdem im zweiten Granulationen aufgetreten waren.
Während nun im ersten Präparat keine gekörnte Erythrocyten
sich fanden, konnte er im dritten solche feststellen. Da sie aber
erst während des Aufenthaltes in der feuchten Kammer ent-
standen waren, benannte er sie „Metagranula“* und trennt sie
von den eigentlichen basophilen; die Metagranula wären die mit
vitalen Farbstoffen darstellbaren Körnchen. Pol (1905) wendet
sich gleichfalls gegen Rosin und Bibergeil und bestreitet
die Identität der basophilen Granula mit den vital darstellbaren,
420 Franz Weidenreich:
ohne diese Ansicht näher zu begründen; er erwähnt nur, dass
die vital darstellbaren Körnchen sich in jedem Blut fänden,
allerdings erst einige Zeit nach der Entnahme und zunächst
spärlich, reichlicher und rascher treten sie im pathologischen
Blute auf. |
Nach meinen Untersuchungen muss ich mich ganz ent-
schieden auf die Seite Rosins und Bibergeils stellen. Ich
will zunächst einmal nicht behaupten, dass alle mit vitalen Farb-
stoffen darstellbaren Granulationen der Erythrocyten identisch
sind mit den basophilen des Trockenpräparates, aber ganz sicher
sind diese letzteren mit vitalen Farbstoffen in frischem Blute
färberisch nachweisbar. Das geht schon ohne weiteres aus folgendem
Versuch hervor: Fertigte ich ein Blutpräparat von normalem
menschlichem Blute und färbte vital nach der von Rosin und
Bibergeil angegebenen Methode, so sah ich keinerlei Körnchen
in den Erythrocyten und erst nach einer Viertelstunde etwa
konnte ich sehr spärlich gekörnte Elemente erkennen; nahm ich
dagegen Meerschweinchenblut, in dem, wie Kontrollpräparate
zeigten, gekörnte Elemente in grossen Mengen vorkommen, so
erhielt ich sofort sehr zahlreiche granulierte Blutkörperchen.
Abgesehen von anderen gleich zu erörternden Gründen spricht
diese Feststellung zugunsten der vitalen Darstellbarkeit. Aller-
dings habe ich also in dem von mir untersuchten, normalen
menschlichen Blute auch nach langer Zeit nur sehr vereinzelt
sranulierte Erythrocyten gefunden, was im Widerspruch zu
den Angaben von Rosin und Bibergeil steht: doch ist daran
zu denken, dass hier individuelle und zeitliche Verschiedenheiten
eine grosse Rolle spielen können. Die vital darstellbaren Grann-
lationen des Meerschweinchenblutes zeigen nun in einigen Punkten
völlige Übereinstimmung mit den basophilen des Trockenpräpa-
rates, in anderen Unterschiede. Übereinstimmung ist vor allem
in der Form und Grösse und in der Art der Anordnung zu kon-
statieren. Ich gebe in Fig. 13 solche mit Neutralrot, in Fig. 14
mit Toluidinblau dargestellte Körnelungen wieder und bitte, die
Fig. 12k und | mit Fig. 13a und b und 14a zu vergleichen.
Die Unterschiede bestehen darin. dass die vitalen Granulationen
sehr häufig durch Fäden verbunden sind und Netze oder Ringe
bilden, wie Fig. 13 erkennen lässt; diese Fäden bestehen also
aus aneinander gereihten Körnchen. Die Körnchen liegen an-
u >
Studien über das Blut. 421
scheinend nie im Zentrum der Zelle, sondern sie sammeln sich
in den peripheren Teilen des Körperchens an und zwar in den
alleräussersten Randgebieten, so dass sie bei Seitenansichten über
den Rand hervorragen (Fig. 13b bis f). Etwas derartiges lässt
sich nun allerdings für die basophile Körnelung des Trocken-
präparates nicht feststellen; zwar findet auch sie sich in der
äussersten Peripherie (Fig. 12k, |), man vermisst hier aber die An-
ordnung zu Fäden und Netzen. Nur glaube ich nicht, dass diese
Verschiedenheit auf einer Verschiedenheit der Granulation be-
ruht, sondern eine Folge der verschiedenen Methodik ist. Die
vitalen Farbstoffe schädigen die Zelle: es kommt zu Gerinnsel-
bildungen und Abscheidungen, die die Körnchen, die wir uns frei
beweglich zu denken haben, miteinander verkleben. Das folgt
schon daraus, dass die Verklumpung und Netzbildung umso aus-
gedehnter wird, je länger der Farbstoff einwirkt.
Nach diesen Feststellungen halte ich die vitale Darstellbar-
keit der basophilen Körnelung für erwiesen. Was Fleischmann
gegen eine derartige Auffassung geltend gemacht hat, hält einer
Kritik überhaupt nicht Stand; wenn man dartun will, dass sich
die basophilen Körnchen nicht mit vitalen Farbstoffen darstellen
lassen, so muss man selbstverständlich von körnchenhaltigem
Blute ausgehen und darf nicht körnchenfreies benutzen. Wenn
nun seine Angaben richtig sind, dass Blut, dem die gekörnten
Elemente fehlen, einige Zeit ausserhalb des Körpers gehalten,
solche bekommen und zwar basophile, in Trockenpräparaten dar-
stellbare, während in einem Präparate, das mit vitalen Farb-
stoffen behandelt wurde, gleichzeitig gekörnte Elemente auftreten,
so folgt daraus doch gerade, dass erstens basophile Körnchen in
Erythrocyten ausserhalb des Körpers entstehen können und
zweitens dass sie vital färbbar sind. Wie man auf Grund der-
artiger Befunde das Gegenteil behaupten kann, ist mir unerfindlich,
umsomehr, da Angaben, wie sich diese im überlebenden Blute
gebildeten „Metagranula“ von den vorgebildeten eigentlichen baso-
philen unterscheiden, überhaupt nicht gemacht werden; es betont
Fleischmann sogar ausdrücklich, dass färberisch keinerlei Unter-
schiede festgestellt werden konnten, so dass beide Körnelungen
wohl aus identischen Substanzen bestünden. Pol, der eigene
Angaben inbezug auf Unterschiede ebensowenig macht, beruft
sich bei seinem ablehnenden Standpunkt auf Fleischmann, der‘
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 28
422 Franz Weidenreich:
die Nicht-Identität durch „vergleichende Färbung klar“ nach-
gewiesen habe; ich verstehe nicht, wie das aus jenen Beobachtungen
herauszulesen ist. Ich habe selbst nicht nachgeprüft, ob wirklich
nach einiger Zeit im überlebenden Blute basophile Körnelung
auftritt; ist das richtig, so folgt daraus, dass der gleiche Prozess,
der sich im zirkulierenden Blute an den Erythrocyten abspielt,
auch ausserhalb des Körpers einsetzen kann; es wäre das ein
schlagender Beweis für die degenerative Natur der Körnelung.
Ich möchte nun noch auf einige Besonderheiten zurück-
kommen, die bei Einwirkung vitaler Farbstoffe an den roten Blut-
körperchen zu beobachten sind. Zunächst fällt auf, dass sich an
manchen Erythrocyten von der Oberfläche eine zarte, durchsichtige,
farblose Haut abhebt, in der Körnchen festsitzen können (Fig.
13, d, g); ich möchte glauben, dass in dieser Haut die Membran
gesehen werden darf. Nach länger dauernder Einwirkung des
Farbstoffs werden viele Blutkörperchen kugelig und die Körnchen
schliessen sich zu einem Kranz zusammen, der wie ein Schnür-
ring das Körperchen umkreist (Fig. 13 f, Fig. 14 b, ec). Wie diese
Bilder zu deuten sind, ist schwer zu sagen; ich glaube, dass die
Körnchen an dem ursprünglichen Napfrande (Fig. 13 a, b) sich
ansammeln und mit der Membran verklebend einen Ring bilden;
quillt dann das Körperchen auf, so kann die verklebte Stelle nicht
nachfolgen und bleibt in ihrem früheren Umfang erhalten, sodass
sie als Schnürkranz erscheinen muss. Etwas ähnliches konnte
ich an den Salamandererythrocyten beobachten (1905d); bei Ein-
wirkung von Salpetersäure entsteht dort durch Verklebung des
Randreifen mit der Membran am äussersten Rande ein Schnür-
ring, der beim Aufquellen des Blutkörperchen als tiefer Falz ein-
schneidet. Alle diese Veränderungen sind natürlich eine Folge
des schädigenden Einflusses des Farbstoffes; weiterhin äussert sich
dieser darin, dass die Erythrocyten sämtlich kugelig werden und
den Blutfarbstoff abgeben. Man findet dann nur noch die leere
Membran (Schatten), in denen aber die Körnchenmasse einge-
schlossen ist; ich gebe in Fig. 13 h und i zwei derartige zer-
störte Körperchen wieder, die Körnchen habe ich dabei- stets
durch feine Fäden verbunden gesehen. Rosin und Bibergeil
geben an, dass die Granulationen sich auch frei im Plasma finden
sollen; wenn sie das Blut mehrere Tage sich selbst über-
liessen, lösten sich allmählich die Leiber der Erythrocyten auf, die
Studien über das Blut. 493
basophilen Granula aber blieben unverändert an der Stelle liegen,
wo vorher die Erythrocyten sich befanden., Ich habe zu dieser
Darstellung zu bemerken, dass die Granula dabei stets von dem
zarten „Schatten“ d.h. der Membran umschlossen werden, was
den genannten Autoren anscheinend entgangen ist.
Die Frage nach der Natur der Granulationen hängt eng zu-
sammen mit der nach ihrer Herkunft. Zwei Ansichten stehen
sich in diesem Punkte einander gegenüber, während die einen
Autoren in den Körnchen Kernreste sehen, sprechen sie die
anderen für eine Plasmadegeneration an. Wie ich schon oben be-
tont habe, kann ein Entscheid nur durch das genaue Studium
der Morphologie und der Entwickelung der Körnchen getroffen
werden; ‘aus klinischen Beobachtungen ist nichts zu erschliessen.
Von den Anhängern der Kernnatur (Literatur in meinen
beiden Referaten und besonders bei Lutoslawski) werden be-
sonders zwei Momente geltend gemacht: 1. die Färbbarkeit der
Körnchen mit Kernfarbstoffen und 2. der angeblich nachweisliche
Zerfall des Erythroblastenkernes in Körnchen; dazu kam später die
hauptsächlich von Nägeli (1904) und Lutoslawski gemachte
Angabe, dass die gekörnten Eirythrocyten aus dem Knochenmark
stammen. Gegen diese Auffassungen hat sich vor allem Bloch
(1901) in einer ausgezeichneten Abhandlung gewendet, indem er
vier Punkte aufstellte, die gegen die Ableitung der Körnchen
vom Kerne sprechen, nämlich: 1. das gleichzeitige Vorkommen
von Kernteilungsfiguren und Körnelung in denselben Erythrocyten ;
2. das tinktorielle Verhalten; 3. das Fehlen gekörnter Elemente
oder von Übergangsformen in den blutbildenden Organen und
4. die ganze Art und Weise des Entkernungsvorganges bei den
Erythroblasten. In diesen vier Punkten hat Bloch in der Tat
alles zusammenfasst, was gegen die Ableitung vom Kern spricht,
und ich will mich deswegen in meinen Ausführungen auch an
diese Einteilung halten.
Was zunächst das Vorkommen der Körnelung in-mitotisch
sich teilenden Erythroblasten angeht, so hat Bloch derartige
Zellen abgebildet, die er im anämischen Blute beobachtet haben
will. Mir selbst stehen keine Erfahrungen in dieser Beziehung
zu Gebote; im strömenden Merschweinchenblut kommen Erythro-
blasten nicht vor und im Knochenmark habe ich keine gekörnten
kernhaltigen Elemente finden können. Ich will nun keineswegs
28*
424 Franz Weidenreich:
die Richtigkeit der Beobachtung leugnen, doch haben mich die
Blochschen Abbildungen nicht völlig überzeugt und zwar des-
wegen, weil gerade in den Erythroblasten ausserordentlich leicht
Kernteilungsfiguren vorgetäuscht werden, während es sich, wie
nur bei sehr guter Fixation zu erkennen ist, um rosettenartige
Kernsprossungen des noch einheitlichen oder schon fragmentierten
Kernes handelt. Sollte aber die Beobachtung richtig sein, so
beweist sie für sich allein schon mit absoluter Sicherheit, dass
die Körnchen nicht Kernfragmente sein können; denn ein in
einzelne Körnchen aufgelöster Kern ist selbstverständlich mitotischer
Teilung unfähig. Nun haben allerdings einzelne neuere Autoren
(auch Nägeli [1904], Meyer und Sperino [1906]) diesen
Einwand dadurch zu widerlegen versucht, dass sie auf das Vor-
kommen zweier Kerne hinweisen, und die Körnchen auf den Zerfall
nur des einen beziehen, während die Mitose in dem zweiten
sich abspiele. Dieser Ausweg ist völlig ungangbar; zwar kommen
Erythroblasten mit zwei oder drei völlig getrennten grossen Kern-
fragmenten vor, wie ich ausführlich im zweiten Teil meines
Referates (1905b) dargetan habe; allein der Doppelkern ist stets
das Resultat eines Fragmentierungs- und Degenerationsprozesses:
sind also zwei Kernstücke in einer Zelle vorhanden, so sind sie
stets auch schon in dem Stadium der Chromatinverklumpung und
mitotischer Teilung nicht mehr fähig. Ich möchte bei dieser
(Gelegenheit gleich hervorheben, dass Körnelung in sich mitotisch
teilenden Zellen natürlich durchaus nicht etwa gegen eine Deutung
der Körnchen als Plasmadegeneration spricht, wie man merk-
würdigerweise auch bei Anhängern der Kernresttheorie lesen kann;
denn es ist doch selbstverständlich, dass die Schädigung, die die
basophile Körnelung verursacht, alle rote Blutelemente befallen
kann; trifft sie also einen in Teilung befindlichen Erythroblasten,
so treten in seinem Plasmaleib die Körnchen auf; was weiter aus
einer derartigen Zelle wird, ist ja unbekannt, es ist möglich, dass
der weitere Ablauf der Mitose dann auch gestört wird; aber der
einfache Befund der Körnchen neben Kernmitose spricht sicher
nicht dagegen, dass diese Zelle von einem degenerativen Prozess
betroffen worden ist.
Auf das tinktorielle Verhalten der Körnchen ist gleichfalls
von Bloch hingewiesen worden; er fand, dass sie sich bei An-
wendung der Giemsaschen Farblösung blau färben, während die
Studien über das Blut. 425
Erythroblastenkerne und ihre Fragmente einen mehr violetten
Farbenton annehmen; ich kann diese Beobachtung durchaus be-
stätigen, ohne dass ich aber auf diese Differenz ein allzu grosses
Gewicht legen möchte. Bedeutungsvoll ist diese tinktorielle Ver-
schiedenheit immerhin, das wird sich aus später zu erörternden
Gründen näher ergeben.
Was das Fehlen gekörnter Erythrocyten im Knochenmark an-
geht, das Bloch gegen die Kernnatur der Granulationen verwertet,
so haben andere Untersucher entgegengesetzte Ansichten geäussert.
Aus klinischen Gründen haben Nägeli (l. ec.) und Lutoslawski
(l. e.) die Bildung der gekörnten Elemente gleichfalls in das
Knochenmark verlegt, ohne aber anscheinend das Mark daraufhin
zu untersuchen. Ich selbst habe auch im Knochenmark die baso-
philen Granulationen in Erythrocyten gefunden, allein — und das
ist wichtig — in durchaus denselben Mengenverhältnissen, wie
man sie auch im zirkulierenden Blute findet. Das Vorkommen
der gekörnten Elemente beweist also an und für sich nichts für
ihre Entstehung im Marke; denn wenn sie sich überhaupt in der
Zirkulation befinden, müssen sie selbstverständlich auch im Blute
des Knochenmarks vorhanden sein. Würden sie aber wirklich
in diesem Organe entstehen und das wäre dann der Fall, wenn sie
Kernreste sind, dann müssten sie natürlich im Mark in besonderer
Menge nachgewiesen werden können. In Wirklichkeit trifft dies
aber durchaus nicht zu und schon aus diesem Grunde ist die
Annahme, dass der Ort der Körnchenbildung das Mark ist und
sie selbst Kernreste sind, abzulehnen.
Der vierte Punkt der Blochschen Antithese betrifft den
normalen Entkernungsvorgang der Erythroblasten. Wären die
basophilen Körnchen Kernreste, dann müsste eben der Kern im
Knochenmarke in eine Anzahl gröberer und feinerer Partikel
zerfallen. Ich kann mich in diesem Punkte sehr kurz fassen, da
ich die Frage des Kernzerfalls eingehend und mit weitester
Literaturberücksichtigung in dem zweiten Teile meines Referates
(1905b) besprochen habe, worauf hiermit verwiesen sei. Es hat
sich herausgestellt, dass von einer derartigen Zerstäubung des
Kernes, wie sie die Annahme der Kernnatur der Granulationen
zur Voraussetzung hätte, unter normalen Verhältnissen gar keine
Rede sein kann. Der Kern zerfällt in einzelne Fragmente, die
allerdings ziemlich an Zahl und Grösse variieren können; dabei
426 Franz Weidenreich:
entstehen aber niemals Bilder, die den mit Körnchen voll-
gepfropften Erythrocyten, wie sie in Fig. 12 dargestellt sind,
auch nur im entferntesten ähneln. Als letzter Kernrest bleibt ein
kleines, oft nur punktförmiges Stück zurück (punktierter Erythrocyt
Jollys), dessen weiteres Schicksal im III. Abschnitt dieser Ab-
handlung seine Darstellung gefunden hat. Ich muss alle anders
lautenden Angaben als unrichtig zurückweisen. Nun habe ich
allerdings in meinem Referate den Vorbehalt gemacht, dass unter
den pathologischen Verhältnissen, die zu dem Auftreten gekörnter
Erythroceyten führen, möglicherweise die Kernfragmentation
unter einem anderen Bilde verlaufen und dass es in diesen Fällen
vielleicht doch zu einer Zerstäubung des Kernes kommen könnte.
Allein die Autoren, die die Körnchen vom Kern ableiteten,
stützten sich nicht auf Präparate pathologischer, sondern normaler
Erythroblasten, was dann überhaupt unzulässig wäre oder aber
gerade zum entgegengesetzten Schlusse führen muss. Mit der
Feststellung, dass die gekörnten Erythrocyten einen normalen
Bestandteil des Meerschweinchenblutes ausmachen, fällt natürlich
dieser Vorbehalt; der Entkernungsmodus der Meerschweinchen-
Erythroblasten ist völlig der gleiche wie beim Menschen,
Kaninchen etc. und somit können jene Granulationen auch un-
möglich als Kernreste gedeutet werden.
Ich komme nunmehr zu einer Reihe weiterer Punkte, die
gegen ihre Kernnatur sprechen. Hier wäre vor allem die bereits
erwähnte, von Grüneberg (1906) gefundene Tatsache hervor-
zuheben, dass die Körnchen für ultraviolettes Licht durchlässig
sind, während es gerade eine Besonderheit von Kernsubstanzen
ist, das konträre Verhalten zu zeigen. Dieses Lichtverfahren ist
nun ein ganz ausgezeichnetes Reagenz; wie ich im III. Abschnitt
dieses Aufsatzes ausführte, haben Grawitz und Grüneberg
und v. Schrötter einen scharfen dunklen Punkt erkannt, der
offenbar mit dem von mir beschriebenen und sicher als letzten
Kernrest zu deutenden Chromatinstäubcehen identisch ist. In
diesem Falle wäre also die Kernnatur allein schon aus dem Ver-
halten des Körpers gegenüber dem ultravioletten Lichte zu er-
schliessen gewesen; um wieviel mehr müssten also bei diesem
Verfahren die basophilen Granulationen hervortreten, wenn sie
wirklich nukleärer Herkunft wären.
Von einzelnen Autoren, besonders von Bloch, wird als
Studien über das Blut. AT
weiterer Beweis gegen die Kernnatur das Verhalten der Körnchen
dem Methylgrün gegenüber hervorgehoben, in dem manche ein
färberisches Reagenz auf Kernsubstanzen sehen. Methylgrün
färbt die basophilen Granulationen nicht. Ich kann diese An-
gaben bestätigen; auch mir ist es nicht geglückt, sie mit diesem
Farbstoff zur Darstellung zu bringen, während das bei anderen
basischen Farbstoffen, wie ich oben ausführte, leicht gelingt.
Gegen die Auffassung der Körnchen als Kernreste, spricht
aber nun vor allem das ganze Bild der gekörnten Erythrocyten
im normalen Meerschweinchenblut. .Ich habe in Fig. 12 eine
Reihe von Zellen zusammengestellt, die nur spärliche Granu-
lationen (ec, d) enthalten, und andere, die damit vollgepfropft
sind (b, e, g). Diejenigen Autoren, die die Körnchen als Kern-
reste bezeichnen, müssen natürlich in den letzteren die jugend-
lichen und in jenen die älteren Formen sehen. Die Körnchen
müßten dann allmählich an Zahl abnehmen und zwar in der
Zirkulation, indem die Körnchen sich entweder im Innern auf-
lösen oder die Zelle verlassen. Nun gibt es im Knochenmark
überhaupt keine Erythroblasten, bei denen eine Zerstäubung des
Kernes nach Art der Fig. 12 (b, e, g) stattfände, zweitens aber
verlassen, wie ich gezeigt habe, die Kernfragmente die Zelle und
lösen sich nicht im Innern auf. Folgerichtig müsste man dann
auch erwarten im Plasma des zirkulierenden Blutes freie baso-
phile Granulationen zu finden, ebenso wie man in ihm. freie
Kernfragmente bei Leucämie etc. antrifit. Das ist nun durchaus
nicht der Fall. Aber noch weiter, wenn im normalen Meer-
schweinchenblut Erythrocyten mit Kernbröckel vorkommen, müssten
sich doch auch Erythroblasten mit noch teilweise unfragmentierten,
also grossen Kernresten, finden. Niemals habe ich aber solche
Bilder gesehen; andrerseits lässt sich dagegen zeigen, dass in
den Fällen, wo nachweislich kernhaltige rote Blutkörperchen noch
in die Zirkulation gelangen, wie bei der neugeborenen Katze
(vgl. III. Abschnitt dieses Aufsatzes und Fig. 9), basophil gekörnte
Erythrocyten nach Art der Fig. 12 überhaupt vollständig fehlen.
Nun sind es aber noch besonders zwei Momente, die für die
Beurteilung der Frage von Wichtigkeit sind. Man findet nämlich
im Meerschweinchenblut Erythrocyten, die offenbar ein weiteres
Stadium der basophil gekörnten Elemente darstellen; diese Blut-
körperchen färben sich mit der Giemsaschen Lösung schmutzig
4285 Franz Weidenreich:
dunkelblau-grün und zeigen deutlich noch verschwommene Granu-
lationen (Fig. 15b). Vor allem fällt aber an diesen Erythrocyten.
auf, dass sie kleiner sind als die normalen oder die gewöhnlichen
gekörnten Elemente!) und dass sie, gleichfalls im Gegensatz zu
den übrigen, eine unregelmässige Form besitzen: sie sind bald
da bald dort eingedellt und die Konturen sind oft auffallend
eckig, statt abgerundet; kurz, sie sehen wie halb zerdrückt oder
zusammengepresst aus und machen den Eindruck einer geringeren
Resistenz als die übrigen Erythrocyten. Die gleichmässige Homo-
genität des Zelleibs normaler Formen fehlt vollständig, statt dessen
scheinen sie aus einer körnig-klumpigen Masse zu bestehen, die
sich auch färberisch durchaus vom gewöhnlichen Endosoma der
Erythrocyten unterscheidet. Diese so veränderten Zellen sind
durch kontinuierliche Übergänge mit den typischen basophil ge-
körnten verbunden. Es besteht also kein Zweifel, dass wir in
ihnen ein weiteres Entwicklungsstadium zu sehen haben und
zwar stellen sie das Endstadium des Degenerationsprozesses
dar, soweit es sich im strömenden Blute abspielt.
Der zweite Punkt, der für die Frage nach der Natur der
Granulationen noch berücksichtigt werden muss, ist das Verhalten
des von mir im III. Abschnitt dieser Abhandlung beschriebenen
Chromatinstäubehens zu den basophilen Körnchen und ihren
Trägern. Auch im strömenden Meerschweinchenblut finden sich
zahlreiche Erythrocyten, die dieses Stäubcehen enthalten, es liegt
wie beim Menschen stets exzentrisch und färbt sich intensiv rot-
violett (Fig. 12 m). Dieses Stäubchen kann nun in allen Stadien
der basophilen Körnelung angetroffen werden oder fehlen; in
Fig. 12 a, ce und d liegt es neben noch spärlichen Granulationen;
in b und ee, die vollgepfropft mit Körnchen sind, wird es ganz ver-
misst. Nun sieht man aber gelegentlich in manchen gekörnten
Elementen ein etwas grösseres Korn, das sich von der charak-
teristischen blauen basophilen Körnelung deutlich durch einen
rötlichen Farbenton unterscheiden lässt; ich habe solche Formen
in Fig. 12 f—i abgebildet. Offenbar handelt es sich dabei um
das gleiche Korn, auf das E. Schwalbe und Solley (1902)
schon bei vergifteten Tieren aufmerksam gemacht haben, und
!) In Fig. 15 sind versehentlich die Erythrocyten mit Ocular S wieder-
gegeben, wodurch die Grössendifferenz im Vergleiche mit Fig. 12 (Oc. 12)
erheblicher erscheint, als sie in Wirklichkeit ist.
Studien über das Blut. 429
das diese Autoren im Gegensatz zu der eigentlichen feineren
Körnelung für einen Kernrest erklären. Vergleicht man dieses
Korn mit dem feinen Chromatinstäubchen in nicht gekörnten
Elementen, so fällt sofort auf, dass es viel grösser und gröber
ist als jenes. Nun ist etwa nicht daran zu denken, dass dieses
Korn eben den noch nicht in feinere Körnchen zerfallenen Kern-
rest darstellt; denn man findet ja nur sehr spärlich basophil ge-
körnte Elemente, in denen dieses Korn kleiner ist als in den schon
stark granulierten (cf. Fig. 12a und g) und andrerseits kommen
sowohl stark wie spärlich granulierte Elemente vor, in denen es
ganz fehlt oder in gleicher Grösse vorhanden ist. Es ist also
deswegen ausgeschlossen, dass Korn und Granulation in Grösse
und Zahl in irgend einem bestimmten Verhältnis zu einander
stehen. Tatsächlich liegt die Sache so, dass Chromatinstäubchen
und basophile Körnelung nichts miteinander zu tun haben, die
Körnelung befällt sowohl solche Erythrocyten, die kein Stäubchen
mehr besitzen als auch solche, in denen es noch vorhanden ist;
im letzteren Falle scheint es häufig zu einer Verklumpung in
in der unmittelbaren Umgebung der Chromatinstäubchen zu
kommen, denn stets — und das unterscheidet gerade diese grösseren
groben Körner von jedem reinen grösseren Kernrest ohne weiteres —
besitzt die sich rötlich färbende Masse unregelmässig eckige
Konturen oder ganz verschwommene Grenzen (cf. Fig. 12 f—i mit
Fig. 9a—h), während wirkliche Kernreste mehr abgerundete tropfen-
artige Gebilde sind. Ich glaube also, dass es zu einer Ver-
schmelzung des Chromatinstäubcehens mit basophilen Körnchen
kommen kann, und dass dann das daraus resultierende grössere
und gröbere Bröckel dadurch einen anderen Farbenton annimmt;
in denjenigen Erythrocyten, die das Chromatinstäubchen schon
verloren haben, ehe sie von der basophilen Körnelung befallen
wurden, muss darum auch dieses gröbere anders gefärbte Korn
fehlen.
Fassen wir nun all das zusammen, was die Untersuchung
hinsichtlich der basophilen Körnchen ergeben hat, und berück-
sichtigen wir das, was wir vom Kernzerfall in den Erythroblasten
wissen, so zeigt sich, dass von einer Ableitung der Granu-
lationen aus dem Kern keine Rede sein kann, mit
Kernresten haben diese Bildungen auch nicht
das geringste zu tun, und wer das auf Grund klinischer
430 Franz Weidenreich:
Beobachtungen behauptet, der beweist, dass er mit den ana-
tomischen Tatsachen nicht genügend vertraut ist oder sich über
sie hinweggesetzt hat. Erythrocyten also, die diese Granulationen
enthalten, legitimieren sich dadurch keineswegs als jugendliche
Elemente.
Die mitgeteilten Beobachtungen sprechen alle dafür, dass
die basophile Körnelung als eine Zerfallserscheinung aufzufassen
ist, wie das von Grawitz zuerst behauptet und stets (1899)
verfochten wurde. In diesem Sinne spricht vor allem der ganze
Entwicklungsgang der gekörnten Elemente. Ich habe aber ge-
zeigt, dass im zirkulierenden Meerschweinchenblut sich Blut-
körperchen finden, die verkleinert sind, weniger resistent er-
scheinen und nur noch aus einer körnigklumpigen Masse be-
stehen (Fig. 15), diesen Zustand hat man als das Endstadium des
Prozesses aufzufassen; der Beginn dokumentiert sich durch das
vereinzelte Auftreten feinster staubartiger Körnchen (Fig. 12, d).
Im Meerschweinchenblut lässt sich aber nun nachweisen, dass die
Körnelung nicht die einzige Veränderung ist. die sich an diesen
Erythrocyten abspielt; sie ändern nämlich auch ihre Farben-
affinität, und zwar geht dies Hand in Hand mit der Zunahme der
Körnelung. Färbt man mit Giemsascher Lösung, so nehmen
die gekörnten Elemente nicht mehr die hellgelb-grünliche Farbe
an, sondern sie tingieren sich in einem schmutzigen blauen Tone;
sie zeigen also das Verhalten, das man als Polychromatophilie be-
zeichnet hat. Nun haben schon eine Reihe von Autoren auf
diese Tatsache aufmerksam gemacht, so besonders Schmidt (1903):
aber auch sonst ist das gleichzeitige Vorkommen gekörnter und
polychromatophiler Blutkörperchen in dem gleichen Blute vielfach
beobachtet worden (Grawitz 1900). Ich beabsichtige nicht, die
Literatur über die Polychromatophilie hier zu besprechen, zumal
ich zu dieser Frage bereits in dem ersten Teil meines Referates
(1904) Stellung genommen habe; ich führte dort aus, dass die
Bevorzugung der basischen Farbkomponente von seiten der roten
Blutkörperchen sowohl ein Zeichen degenerativer Umsetzungen
des Zellleibes wie auch eine Besonderheit des Erythroblasten ist.
Meine inzwischen fortgesetzten Untersuchungen über diesen Gegen-
stand haben mich zu dem gleichfalls an jener Stelle schon aus-
gesprochenen Resultate geführt, dass unter normalen Verhältnissen
die Erythroblasten den basischen Färbungscharakter nur solange
Studien über das Blut. 431
zeigen, als der Fragmentierungsprozess des Kernes noch nicht
zu weit vorgeschritten ist. Bei neugeborenen Tieren z. B., bei
denen, wie ich im dritten Teile dieses Aufsatzes ausführte, noch
kernhaltige Erythrocyten — die punktierten Erythrocyten Jollys
— in die Zirkulation kommen (Fig. 9a bis g), sind diese ge-
kernten Elemente schon nicht mehr polychromatophil, sondern
färben sich in derselben Nuance wie die kernlosen Formen. Dass
nun die basophil gekörnten Blutkörperchen des Meerschweinchen-
blutes stets auch im ganzen basophilen Färbungscharakter be-
sitzen, scheint mir von Bedeutung für die ganze Frage des
Degenerationsvorganges, der sich hier abspielt; denn offensichtlich
bestelit ein inniger Zusammenhang zwischen der Basophilie und
der basophilen Körnelung. Schmidt (1903) hat geglaubt, dass
die Polychromatophilie auf einer Beimischung aufgelöster Kern-
substanzen zum Hämoglobin beruhe, eine Ansicht, die schon des-
wegen nicht richtig sein kann, weil ja gerade die intaktkernigen
Erythroblasten des Knochenmarks besonders polychromatisch sind,
worauf auch schon Boellke (1904) mit Recht hingewiesen hat,
und weil (cf. III. Teil meines Referates) eine derartige Auflösung
des Kernes nicht vorkommt. Meines Erachtens haben wir es zu-
nächst mit Veränderungen des flüssigen Endosomas zu tun, die
in fein tlockigen Ausscheidungen bestehen; diese Ausscheidungen
sind spezifisch leichter als das übrige Endosoma, sie haben des-
halb die Neigung, eine periphere Lage einzunehmen und setzen
sich an der Membran fest, mit der sie unter Umständen eine
innigere Verbindung eingehen können (siehe oben). Die Aus-
scheidungen haben im Gegensatz zu dem normalen Endosoma
basophilen Charakter, aber das gleiche Lichtbrechungsvermögen,
weshalb sie im ungefärbten Blutkörperchen unsichtbar bleiben.
Neben diesen Ausfällungen verändert sich das Endosoma im
Ganzen d.h. es wird basophil, und schliesslich bildet es nur noch
eine körnige, klumpige, basophile Masse; Hand in Hand damit
findet eine Verkleinerung des Blutkörperchens statt. In den
Fällen, wo es nur zu einer Polychromatophilie kommt und die
körnigen Ausscheidungen fehlen, dürfte es sich um eine gleich-
mässige Umsetzung des Endosomas handeln.
Wir haben es also bei der basophilen Körnelung mit einem
Degenerationsprozess zu tun, der zum Untergang der
betroffenen Erythrocyten führt. Freilich muss es noch zweifel-
432 Franz Weidenreich:
haft bleiben, ob die letzte Phase sich innerhalb des strömenden
Blutes oder in den Blutorganen abspielt. Aber das ist jedenfalls
sicher, dass die Körnchen, wie Grawitz von Anfang an betont
hat, innerhalb der Zirkulation entstehen und nicht, wie Nägeli
(1904) behauptet, im Knochenmark; denn im strömenden Blut
findet man alle Phasen der Entwicklung und im Knochenmark
überhaupt nicht mehr gekörnte Elemente als auch sonst in de
Zirkulation. Da nun beim Meerschweinchen diese Erythrocyten
einen normalen Blutbestandteil bilden, so ist man wohl zu der
Annahme berechtigt, dass es Blutkörperchen sind, die infolge
ihrer physiologischen Abnutzung geschädigt und aus dem Kreis-
lauf schliesslich ausgeschaltet werden. Im menschlichen Blute
gehören die gekörnten Elemente jedoch nicht zum normalen Be-
fund; wenn sie hier also unter pathologischen Verhältnissen auf-
treten, so sind sie als der Ausdruck einer besonderen, das Endo-
soma befallenden Schädigung aufzufassen. Im übrigen verweise
ich auf das, was ich oben bei der Kritik der klinischen Beob-
achtungen in dieser Hinsicht gesagt habe.
V. Pseudostrukturen.
In der Frage nach der Struktur der roten Blutkörperchen
habe ich meinen Standpunkt schon wiederholt (vergl. meine Refe-
rate 1904 und 1905 b) dahin präzisiert, dass die Säugererythro-
cyten keinerlei Gerüstwerk enthalten, sondern lediglich als mem-
branumhüllte Flüssigkeitsblasen aufzufassen sind. Ich habe dort
auch nachgewiesen, dass alle die Strukturen, die manche Unter-
sucher bei Anwendung bestimmter Reagentien erhalten haben,
als fädige oder fädig-körnige Ausfällungen des Endosomas aufzu-
fassen sind. Diesem Standpunkt und meiner Beurteilung der
Strukturbilder hat sich auch Meves (1905) angeschlossen, und
neuerdings sind Grawitz und Grüneberg (1906) und
v.Schrötter (1906) auf Grund der Untersuchung mit dem
ultravioletten Licht-Verfahren zu dem Ergebnis gelangt, dass die
Erythrocyten völlig homogen sind und irgend eine Innenstruktur
nicht an ihnen nachweisbar ist. Nun hatte schon früher Ruzicka
(1903) Netzwerke, die er mit vitaler Methylenblaufärbung zur
Darstellung gebracht hat, als präformierte Bildungen beschrieben.
Trotz meiner und Meves’ Einwände gegen die Beurteilung der-
artiger Zeichnungen als Protoplasmagerüste hat derselbe Autor,
Studien über das Blut. 455
an seiner Deutung festhaltend, in dieser Zeitschrift (1905) ein
Verfahren publiziert, mit dessen Hilfe es ihm geglückt ist, in
Meerschweinchenerythrocyten richtige Wabenstrukturen darzu-
stellen, die er für vorgebildet hält. Die von ihm angewandte
Methode ist sehr kompliziert: Er lässt das Blut auf dem Glase
antrocknen, übergiesst dann mit einer Mischung von °”'3 Prager
Leitungswasser und !/s destilliertem Wasser (!!), lässt verdünnte
Essigsäure nachfolgen, „fixiert“ (!) nun mit Sublimat und färbt
mit Karbolchinablau; statt Essigsäure benutzte er auch 7 Joige
Salzsäure. Auf diese Weise erhielt er ein „Strukturbild“, das nicht
in allen Blutkörperchen gleich ist, aber doch eine Wabenstruktur
mit grösseren oder kleineren Waben wiedergibt. Er glaubt
weiter, dass die Stromata aus einer dem Nuklein nahen Substanz
bestünden. Ich habe demgegenüber geltend gemacht (1905 ec), dass
es sich bei den von Ruzicka erzielten Bildern um Kunstprodukte
handelt und dass, wie erst von Pascucei (1905) überzeugend
dargetan worden ist, die Stromata keinerlei kernähnliche Sub-
stanzen enthalten. In einer neueren Publikation hält trotzdem
Rüzicka (1906) an seiner Auffassung fest.
Ich beabsichtige nun keineswegs, hier nochmals den Nach-
weis zu erbringen, warum die von Ruzicka für Protoplasma-
strukturen erklärten Zeichnungen Artefakte sind; ich habe das
in dem ersten Teil meines Referates (1904) getan, das R. an-
scheinend überhaupt nicht gelesen hat, da er es nicht zitiert.
Seine Aufgabe ist es also zunächst, die dort von mir und in-
zwischen auch von Meves (l. c.) gemachten Einwände zu wider-
legen. Ich halte diese Strukturfrage vorerst für erledigt, und
wenn Ruzicka seine Waben für den Ausdruck einer natürlichen
Bildung hält und sie trotz des auf chemischem Wege bewiesenen
(regenteils (Pascucci 1905) auf Grund seiner für die Beurteilung
dieser Frage völlig unzureichenden Reaktionen aus Kernsubstanzen
bestehen lässt, so bleibt ihm das unbenommen; wir haben es hier
eben mit einer rein subjektiven Auffassung zu tun, die für das
allgemeine Urteil wohl wenig Bedeutung haben dürfte.
Immerhin ist es interessant, eine Methode zu kennen, die
solche Pseudostrukturen in Erythrocyten hervorzubringen vermag,
und darum möchte ich einige Mitteilungen in dieser Beziehung
machen. Das Verfahren Ruzickas habe ich nicht versucht, weil
ich kein Prager Leitungswasser zur Verfügung hatte und mich
454 Franz Weidenreich:
nicht der Enttäuschung aussetzen wollte, mit Strassburger Leitungs-
wasser operierend schliesslich negative Resultate zu erhalten. Da-
gegen ist es mir auf weit weniger komplizierte Weise gelungen,
die wabigen oder vielmehr netzförmigen Artefakte in den mensch-
lichen Erythrocyten zu erhalten und im Dauerpräparate zu fixieren.
Nach der von Rosin und Bibergeil (l. c.) empfohlenen Methode
bringe ich eine wässerige Methylviolettlösung auf dem Deckglas
zum Eintrocknen und decke damit ein frisches Blutpräparat zu:
umrandet wird mit warmem Paraffın, das nach dem Erkalten
einen starren Ring bildet; hat der Farbstoff längere Zeit
(!/g Stunde und länger) eingewirkt, so ist aus einer grossen Zahl
von Erythrocyten das Hämoglobin in Lösung gegangen, während
es in anderen in Form sehr zierlicher blauer Netze zur Aus-
tällung kommt. Ist dies eingetreten, so schneidet man mit einem
Messer das Paraffıin weg, zieht das Deckglas sehr rasch ab und
hält das noch feuchte Blutpräparat auf dem Objektträger für etwa
eine Minute über Osmiumdämpfe. Dann Jässt man es lufttrocken
werden, übergiesst mit einer 10°/oigen Lösung von Ammonium-
molybdänat zum Fixieren der Farbe und wäscht mit Wasser ab. Es
empfiehlt sich alsdann des Kontrastes wegen mit Eosin ein wenig
nachzufärben. Man trocknet und bettet in Balsam ein. Die
Methode eignet sich, um überhaupt vital dargestellte Bilder im
Dauerpräparat zu fixieren; ich habe z. B. auf diese Weise auch
solche Präparate von den mit vitalen Farblösungen dargestellten
basophilen Granulationen erhalten.
In unserem Falle zeigt sich nun in den meisten Erythro-
cyten ein ausserordentlich schön ausgeprägtes Netz, von dem Fig. 16
(Taf. XVI) eine gute Vorstellung gibt. Das Gerüstwerk ist intensiv
blau gefärbt und hebt sich vom eosinroten Grunde sehr scharf
ab. Wie die Abbildung zeigt, sind die Netzmaschen bald grösser,
bald kleiner, die Netzfäden bald gröber und bald zärter; kurz,
es herrscht die allergrösste Variation in der Anordnung; in den
Knotenpunkten finden sich meist punktförmige Verdickungen.
Das Ganze macht ohne weiteres den Eindruck von Artefakten;
die Bilder sind aber besonders zierlich und instruktiv, und darum
wollte ich die Aufmerksamkeit auf sie lenken.
or
Studien über das Blut. 43
Literaturverzeichnis.
Albrecht, E. (1904): Cytopathologische Mitteilungen. Verh. d. deutsch.
path. Gesellsch., ausserord. Tag., Berlin.
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Erklärungen der Figuren auf Tafel XVI und XVII.
Fig. 1. Menschliche Erythrocyten (Blut des Verfassers). Napfformen.
Osmiumdampf-Fixation — Gentianaviolett-Färbung. Zeiss Ap. 2 mm.
GEH:
Fig. 2. Objekt wie oben. Geldrollen- und Maulbeerform. Osmiumdampf-
Fixation — Eosinfärbung. Zeiss Ap. 4 mm, Oe. 6.
Fig. 3. Objekt: das gleiche. Beginnende Geldrollenbildung. Osmiumdampf-
Fixation — Gentianaviolett-Färbung. Zeiss Ap. 2 mm. 0e. 6.
Fig. 4. Erythrocyten vom Auchenia lama. Flächen- und Kantenansichten.
ÖOsmiumdampf-Fixation — ungefärbt. Zeiss Ap. 2 mm, Oec. 6.
Fig. 5. Dasselbe Objekt. Geldrollenbildung.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69, 29
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
. 10.
ne
12.
13.
14.
15.
16.
Franz Weidenreich: Studien über das Blut.
Menschliche Erythrocyten von gemischtzelliger Leukämie. Chromatin-
stäubchen. Die etwas dunkler gehaltenen Körperchen sind polychro-
matophil. Agarmethode — Osmium-Fixation — Giemsasche Färbung.
Zeiss Ap. 2 mm, Oec. 8.
Menschliche Erythrocyten (Blut des Verfassers). Chromatinstäubchen.
Osmiumdampf-Fixation — Giemsasche Färbung. Zeiss Ap. 2 mm,
Oe. 8.
Objekt und Technik wie bei Fig. 8. Zeiss Ap.2 mm, Oec. 12.
Erythrocyten aus dem Blute eines 2 Tage alten Kätzchens. Kern-
reste (punktierte Erythrocyten Jollys). Osmiumdampf-Fixation —
Giemsasche Färbung. Zeiss Ap. 2 mm, Oc. 8.
Objekt, Technik und Vergrösserung wie bei Fig. 9. Plattgedrückte
Erythrocyten mit Kernresten.
Menschliche Erythrocyten aus dem Leberblut eines 3!/2 Monate
alten Fötus. Übergänge von Kernfragmenten und -resten zu
Chromatinstäubchen. Osmiumdampf-Fixation — Färbung: Hämatein,
Eosin. Zeiss Ap. 2 mm, Oc.8.
Erythrocyten aus dem Blute eines normalen, ausgewachsenen Meer-
schweinchens. Basophile Körnelung. Osmiumdampf -Fixation —
Giemsasche Färbung. Zeiss Ap. 2 mm, Oc. 12.
Objekt wie bei Fig. 12. Vital dargestellte basophile Granulationen.
Neutralrotfärbung nach Rosin und Bibergeil. Zeiss Ap. 2 mm, Oc. 12.
Objekt, Technik und Vergrösserung wie bei Fig. 13. Toluidinblau-
färbung.
Objekt und Technik wie bei Fig. 12. Endstadien basophil gekörnter
Erythrocyten. Zeiss Ap.2 mm, Oc. 8.
Menschliche Erythrocyten (Blut des Verfassers). Pseudostrukturen.
Vitale Methylviolettfärbung nach Rosin und Bibergeil. Zeiss
Ap. 2 mm, Oe. 8.
439
Die „minimalen Räume“ im Körper.
Von
P. Schiefferdecker.
Es ist wahrscheinlich, dass es im Körper Spalträume gibt,
welche so fein sind, dass sie mit unseren Mikroskopen nicht er-
kennbar sind. Trotzdem sie so fein sind, ist man genötigt, anzu-
nehmen, dass diese Räume für die Ernährung bestimmter Ge-
websteille von grosser Bedeutung sind. Ich habe schon im
Jahre 1587 einen solchen Raum beschrieben (5), den „periaxialen
Spaltraum“ der markhaltigen Nervenfaser, und bin vor kurzem
in einer neueren Arbeit (6) wieder auf diese Frage bei der Be-
sprechung des Baues der Nervenfaser eingegangen. In einem
Vortrage, den ich am 21. Mai dieses Jahres in der Nieder-
rheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn hielt,
habe ich dann allgemeiner über das Vorkommen von „minimalen
Räumen“ im Körper gesprochen und möchte auch in dieser kurzen
Arbeit die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese, meiner Meinung
nach, so wichtigen Räume lenken. Gut ausgesprochene Beispiele
für diese „minimalen Räume“ finden wir in der Bindegewebs-
gruppe und im Nervengewebe. Eins der klarsten Beispiele
liefert das Knochengewebe. Die feste Knochenmasse ist be-
kanntlich ausser von den Haversschen Kanälchen durchsetzt von
einem ausserordentlich reichen Netzwerke, das aus den Knochen-
lücken und den von diesen ausgehenden, sie untereinander ver-
bindenden feinen Kanälchen besteht. In den Knochenlücken liegen
die Knochenzellen und in den Kanälchen die Fortsätze dieser,
die mit denen benachbarter Zellen anastomosieren. Sehr schöne
Bilder von solchen Knochenzellen und den Anastomosen zwischen
ihren Fortsätzen hat uns Vivante (4) gegeben. Vorher schon
hatte Renaut (l.p. 491 fi.) in seinem schönen Werke nachge-
wiesen, dass die Knochenzellen weithin in die Kanälchen ihre
Fortsätze hineinschicken, mit anderen Zellen anastomosieren, und
dass sowohl die Zellen wie ihre Fortsätze die Lücken und
Kanälchen, in denen sie liegen, völlig ausfüllen. Auch ich habe
in meiner Gewebelehre (2, S. 305) nach meinen Präparaten an-
genommen, dass die Knochenzellen die Lücken vollständig aus-
: a
440 P. Schiefferdecker:
füllen; ich sagte: „der Raum zwischen dem Zelleib und der
Wand der Knochenhöhle kann meiner Meinung nach nur ein sehr
schmaler Spalt sein.“ Nun ist es zweifellos, dass durch dieses
Lücken- und Kanälchenwerk fortwährend ein Flüssigkeitsstrom
hindurchgehen muss, in welchem einmal die aus den Blutgefässen
ausgetretene Ernährungsflüssigkeit enthalten ist, die den Knochen-
zellen zugeführt wird, und in dem weiter die Abscheidungsstoffe
dieser Zellen fortgeführt werden. Dass dieser Strom innerhalb
der Zellkörper und ihrer Fortsätze geleitet werden sollte, ist so
unwahrscheinlich, dass man diese Annahme ruhig beiseite lassen
kann; es bleibt also nur übrig, anzunehmen, dass der Strom
hindurchgeht zwischen den Zellen mit ihren Fortsätzen einerseits
und der Wand der Knochenlücken und der Knochenkanälchen
andererseits. Wenn es also auch durchaus den Anschein hat,
als ob diese Lücken und Kanälchen von den Zellen und ihren
Fortsätzen völlig erfüllt würden, so ist man doch genötigt, an-
zunehmen, dass zwischen ihnen und der Wand ein sehr feiner
Spaltraum existiert. Dass dieser für die Ernährung des gesamten
Knochengewebes von der grössten Bedeutung sein muss, geht
aus dem eben Gesagten hervor. Ganz ähnlich liegen nun die
Verhältnisse in dem-Bindegewebe. Hier finden wir, deutlich
ausgeprägt in dem festeren, geformten, weniger deutlich ausge-
prägt in dem lockeren, ungeformten Bindegewebe, das bekannte
Saftlückennetz, d. h. ein Netz von Lücken und Kanälchen, in
welchem wieder die Bindegewebszellen mit ihren Fortsätzen sich
befinden. Je fester die Grundsubstanz des betreffenden Gewebes
ist, um so deutlicher tritt dieses Saftlückennetz hervor, um so
deutlicher sieht man die Konturen desselben. Im Prinzipe haben
wir hier also dasselbe wie im Knochengewebe, nur werden die
Konturen immer nndeutlicher, je weicher die Grundsubstanz ist.
Auch hier füllen, nach unseren Kenntnissen, die Zellen und ihre
Fortsätze das gesamte Netz völlig aus. Bei der Besprechung
der Lehre von den Saftkanälchen, wie sie v. Recklinghausen
aufgestellt hat, sagt v. Ebner (3, S. 684): „Der schwache Punkt
dieser Lehre ist der Nachweis der selbständigen Spalten zwischen
den Zellkörpern und deren Ausläufern einerseits und der Grund-
substanz andererseits im lebenden Gewebe, ein Nachweis, der
von niemanden erbracht wurde.“ Weiter sagt v. Ebner bei
der Besprechung der Silberbilder (3, S. 684 u. 685) das folgende:
Die „minimalen Räume“ im Körper. 441
„Stellt man sich die hellen Räume als von Flüssigkeit erfüllt vor,
so hätte man anschaulich den Zusammenhang von Lymph- und
Blutkapillaren vor sich. Allein in Wirklichkeit ist das Bild ganz
anders zu deuten. Die anscheinenden Saftkanälchen sind nichts
anderes, als die Negativbilder von Bindegewebszellen, welche
gerade so wie die Endothelzellen, wenn man lebendes Gewebe
mit verdünnten Silbernitratlösungen behandelt, dieselben in das
Protoplasma nicht eindringen lassen, während die Zwischensubstanz
zwischen den Zellen sowohl in den Lymphkapillaren (Endothel-
zellengrenzen) als im Bindegewebe (Grundsubstanz) das Silbersalz
aufnimmt und sich am Lichte schwärzt. Die anscheinend leeren
Räume des Silberbildes sind also in Wirklichkeit protoplasmatische
Zellkörper und daher keineswegs ein Kanalsystem. Ganz ähn-
liche, anastomosierende, sogenannte Saftkanälchen erhält man
auch in der, der Blut- und Lymphgefässe entbehrenden Cornea,
welche hier ebenfalls den Negativbildern der anastomosierenden
Protoplasmakörper, den Corneazellen oder Uorneakörperchen ent-
sprechen. Die Silberbilder können für die Existenz von wirk-
lichen Saftkanälchen, d.h. von mit Flüssigkeit erfüllten Spalten
nichts beweisen, sie zeigen im Gegenteil, dass verdünnte Silber-
nitratlösungen in Räume, welche von lebenden Zellen erfüllt sind,
nicht eindringen. Die Injizierbarkeit der Saftkanälchen der
Cornea kann ebenfalls nicht für die Präexistenz der Saftkanälchen
ins Gewicht fallen, da ja eine Verdrängung und Zertrümmerung
von weichen Zellen durch Injektionsdruck leichter sich vollziehen
wird, als die des relativ festeren Gewebes der Grundsubstanz. Ganz
und gar nicht fügt sich in die Lehre von den Saftkanälchen der
Bau des typischen Hyalinknorpels, der nur rundliche oder abge-
plattete, in weitaus den meisten Fällen nirgends anastomosierende
Zellen zeigt, die — wie man hier am lebenden Gewebe zweifellos
sehen kann — die Höhlen der Grundsubstanz, in welchen sie
liegen, vollständig ausfüllen.“ Sodann weiter: „Im typischen
Hyalinknorpel gibt es weder Blut noch Lymphgefässe. Die Er-
nährungsflüssigkeit kann hier nur durch die Grundsubstanz selbst
zu den Zellen gelangen und zwar zwischen den feinen Fäserchen
derselben und durch die Kapseln, welche die Zellen umhüllen,
wobei von einem regelmässigen Strome keine Rede sein kann.
Dasselbe gilt auch für die Hornhaut, für welche insbesondere
die Versuche von Leber experimentell zeigten, dass ein Flüssig-
AD P. Schiefferdecker:
keitsstrrom durch die Saftkanälchen bei Filtrationsversuchen
mit der lebenden Cornea nicht stattfindet. Was für diese
Gewebe gilt, darf wohl auch auf die anderen Bindesubstanzen
übertragen werden.“ Auf Seite 790 sagt v. Ebner bei der
Besprechung der Cornea sodann: „v. Recklinghausen hält
auch in seiner letzten Mitteilung (in Anat. Anz., Bd. 3, S. 612)
noch an den Saftkanälchen fest; es wird jedoch auch bei dem
besten Willen seine erste Aufstellung nur in sehr beschränkter
Weise sich retten lassen. Mit Recht behauptet Koelliker,
wie auch Kühne, Engelmann, Rollett, Ranvier u.a.,
dass die Hornhautkörperchen einer normalen Hornhaut die Lücken
in der Grundsubstanz ganz erfüllen und dass sonach kein
Grund vorliegt, diese Lücken besonders zu bezeichnen. Hiermit
soll jedoch nicht gesagt sein, dass diese Lücken sich nicht in-
jizieren lassen oder dass nicht auch unter anderen Umständen
fremde Elemente unter teilweiser Verdrängung der Hornhaut-
zellen in sie einzutreten imstande seien, wie dies in der Tat
auch Engelmann von den wandernden Zellen gesehen hat.
Noch weiter als v. Recklinghausen geht in der Verteidigung
eines besonderen Saftkanalsystems, teilweise auf die Befunde
Schweigger-Seidels sich stützend, G. Schwalbe (in
Anat. d. Sinnesorg., S. 156), indem dieser Forscher den fixen
Hornhautzellen den Charakter von plättchenartigen, da und dort
mit seitlichen Flügeln versehenen, jedoch nicht anastomosierenden
(Grebilden zuschreibt und die von anderen Autoren beschriebenen
Fortsätze als Niederschläge betrachtet. Doch ist diese Ansicht
mit den gesicherten Erfahrungen über die Natur der Hornhaut-
zellen nicht vereinbar.“ Ich habe hier die Ansicht von v. Ebner
ausführlicher mitgeteilt, da in ihr ein kurzer Extrakt der neueren
Literatur zu sehen ist, zugleich mit der eigenen Ansicht eines
hervorragenden Histologen. Auch H. Virchow spricht sich in
seiner neuesten Arbeit über die Cornea dahin aus, dass die
Lücken von den Zellen in der Cornea völlig erfüllt sind (12, S. 158),
und dass in der Anordnung des Zellgerüstes keine Züge erkennbar
sind, welche auf eine Strombahn mit bestimmter Richtung be-
zogen werden könnten. Wir sehen also, es existiert in dem
Bindegewebe ein System von Lücken, die durch Kanälchen anasto-
mosieren, und dieses wird ausgefüllt von den Bindegewebszellen
und ihren Fortsätzen; so völlig ausgefüllt, dass irgend welche
Die „minimalen Räume“ im Körper. 445
Spalträume nicht zu erkennen sind. v. Ebner meint daher,
um die notwendig anzunehmende Zirkulation des Säftestromes
zu erklären, dass dieser überall durch die Grundsubstanz hindurch-
gehe. Dass durch die Grundsubstanz des Bindegewebes ein Saft-
strom hindurchzieht, kann man wohl mit Sicherheit annehmen,
eine andere Frage ist es aber, wie weit man ihn als für die
Ernährung der Zellen bestimmt und notwendig anzusehen hat.
Zunächst spricht gegen die Annahme von v. Ebner das
Verhalten des Knochens. Dass bei diesem der nötige Saftstrom
durch die Grundsubstanz hindurchgehen soll, ist äusserst unwahr-
scheinliich. Wenn beim Knochen aber das Lückensystem zur
Zirkulation des Saftstromes genügt, dann ist es nicht einzusehen,
warum es bei dem Bindegewebe nicht genügen soll, und man
braucht dann die durch die Grundsubstanz hindurchgehenden
Ströme hier nicht zu Hülfe zu nehmen. Nun aber der Knorpel.
Wie wir eben gesehen haben, nimmt v. Ebner an, dass im
typischen Hyalinknorpel die Ernährungsflüssigkeit nur durch die
Grundsubstanz selbst zu den Zellen gelangen kann und zwar
zwischen den feinen Fäserchen derselben und durch die Kapseln,
welche die Zellen umhüllen. Hier wäre nun zunächst zu bedenken,
dass es bei bestimmten niederen Tieren, so bei Sepia, bei Stör,
einen Hyalinknorpel mit stark verästelten Zellen gibt, die unter-
einander anastomosieren; hier haben wir also wieder ein System
von Lücken und Kanälchen, woraus folgt, dass eine Zirkulation
der Ernährungsflüssigkeit resp. der Abfuhrstoffe durch die Grund-
substanz keine prinzipielle Eigentümlichkeit des Knorpelgewebes
darstellt. Was den Hyalinknorpel der höheren Tiere anlangt,
mit seinen unverästelten Zellen, so ist es richtig, dass man in
ihm von einem Saftlückennetze nichts sehen kann. Es ist aber
ebenso unzweifelhaft nachgewiesen worden, dass in dieser schein-
bar ganz homogenen Grundsubstanz durch Behandlung mit
Alkohol, mit Äther-Collodium und durch Färbung nach Alkohol-
behandlung sehr eigenartige Bildungen deutlich sichtbar zu machen
sind, welche dafür sprechen, dass die scheinbar so homogene
Grundsubstanz in Wirklichkeit durchaus nicht so homogen ist.
Ich verweise dieserhalb auf die beiden Arbeiten von Wolters
(1891 [7, 8]), welcher unter meiner Leitung arbeitete, und auf
das, was ich in meiner Gewebelehre (2, S. 287 ff.) gesagt habe.
Ich würde an dem damals Gesagten noch jetzt festhalten und
444 P. Schiefferdecker:
annehmen, dass die Grundsubstanz des Hyalinknorpels von mehr
oder weniger ausgebildeten Streifen durchsetzt ist, welche die
Zellen untereinander mit dem Perichondrium und mit eventuell
in der Knorpelsubstanz enthaltenen Blutgefässen verbinden. Diese
Streifen würden so beschaffen sein, dass sie dem Saftstrome einen
geringeren Widerstand entgegensetzen als die Umgebung und
würden in diesem Sinne als Saftbahnen aufzufassen sein, Saft-
bahnen, in denen natürlich keine Zellfortsätze liegen würden, die
nicht scharf gegen die Umgebung abgegrenzt sein würden, und
die nicht injizierbar sein würden. Die Knorpelzellen selbst
würden im frischen Zustande ihre Höhlen genau so ausfüllen,
wie die übrigen bisher besprochenen Zellen auch. Diese „Saft-
bahnen“, wie man sie nennen könnte, würden also von den
„Saftkanälchen“ wesentlich verschieden sein, da keine Zellfortsätze
in ihnen liegen. Sie würden einfach als Differenzierungen der
den Saftstrom im Sinne von v. Ebner leitenden Grundsubstanz
anzusehen sein, Differenzierungen, welche eine leichtere Strömung
an bestimmten Stellen erlauben und würden nicht immer gleich
stark entwickelt sein. Die Cornea würde sich ganz ebenso
verhalten wie das Bindegewebe sonst. Ähnlich wie der Knochen
würde sich auch das Zahnbein verhalten, soweit die Zahnfasern
in ihren Kanälchen liegen. In allen diesen Geweben
würde man also annehmen müssen, dass ein sehr
schmaler Spaltraum zwischen der Grundsubstanz
und der Zelle, eventuell den Fortsätzen dieser,
übrigbleibt, in welchem ein Saftstrom zirkulieren
kann.
Aus dem bisher Gesagten würde folgen, dass ein offenes
Saftkanalsystem im Sinne von v. Recklinghausen nicht
existiert. Die für dieses in Anspruch genommenen Lücken-
systeme würden in der Tat nichts weiter sein als die zur Auf-
nahme der Zellen nötigen Räume in der Grundsubstanz, die man
aber dessenungeachtet praktischer Weise doch als Lücken und
Kanälchen noch besonders bezeichnen kann, denn sie sind eben
als besondere Bildungen der Grundsubstanz nachzuweisen. Trotz-
dem dieses Lückensystem nun von den Zellen und ihren Fort-
sätzen erfüllt ist, würde in ihm dennoch ein Saftstrom zirkulieren,
so dass die von v. Recklinghausen gemachte Annahme von
der Bedeutung des Saftlückensystems, wenigstens bis zu einem
Die „minimalen Räume“ im Körper. 445
gewissen Grade, aufrecht erhalten werden kann. Die Breite der
feinen Spalträume, in denen diese Zirkulation vor sich geht, wird
sehr verschieden sein können, je nach dem Zustande der Zellen.
Schrumpfen die Zellen, so können die Spalträume sehr breit
werden, meist aber werden sie so schmal sein, dass sie für
unsere Vergrösserungen kaum sichtbar oder ganz unsichtbar sind.
Die Kraft für die Fortbewegung der Flüssigkeit in dem Spalt-
raume kann erstens geliefert werden durch den Druck. unter
welchem die aus den Gefässen austretende Ernährungsflüssigkeit
steht (wie weit dieser Druck wirklich mitwirken wird, ist sehr
schwer zu sagen), und zweitens durch die eigene Tätigkeit der
Zellen, welche Nahrungsstoffe aktiv in sich aufnehmen und Aus-
scheidungen aktiv abgeben. Hasse (13) hat in einer Arbeit
die Muskelbewegung als wesentliches Moment herangezogen. Dass
das innerhalb und zwischen den Muskeln befindliche Bindegewebe
durch die Zusammenziehung dieser derartig beeinflusst werden
kann, dass eine Fortbewegung der in ihm enthaltenen Flüssig-
keiten nach einer bestimmten Richtung hin gefördert wird, ist
wohl möglich. Indessen ist es immerhin nicht so leicht, anzu-
nehmen, dass die in diesen feinen Räumen in ganz verschiedenen
Richtungen das Bindegewebe durchziehende Flüssigkeit stets
durch diesen Muskeleinfluss weitergeschoben wird. Wenn man
einfach eine direkte Durchtränkung der Grundsubstanz mit der
Ernährungsflüssigkeit annimmt, wie das Hasse ja allerdings
auch tut, ohne auf die Saftbahnen Rücksicht zu nehmen, dann
liegt die Sache weit einfacher, und es ist wohl möglich, dass in
solchem Falle in der Tat die Muskelzusammenziehung wesentlich
mitwirken kann. Wenn man aber annimmt, dass der .Haupt-
saftstrom durch die vorgezeichneten Bahnen geht, so wird der
Einfluss der Muskulatur wahrscheinlich als ein sehr viel geringerer
anzusehen sein. Was den Knorpel anlangt, so hat Hasse eine
sehr vollkommene Ernährung der Zellen auf dem Wege der
Imbibition der Kittsubstanzen angenommen. „Allein auch das
Herausdringen ist gesichert (so sagt er, 13, S.55) und zwar, wie
ich mich überzeugt halte, durch Vermittlung der Saftkanäle oder
Safträume des umgebenden bindegewebigen, weichen Perichondrium,
an welches sich entweder Muskeln mit ihren Fascien anlehnen,
oder an welches sich Muskelfasern direkt oder indirekt anheften.
Ziehen sich die Muskeln zusammen oder erschlaffen dieselben, so
446 P. Schiefferdecker:
wird sowohl bei einer Anlagerung, als bei einer Anheftung der-
selben an das Perichondrium das Saftraumsystem innerhalb des-
selben notwendig verändert, je nachdem erweitert oder verengt,
ganz abgesehen von der gleichen Wirkung auf die Blutgefässe.
Die seröse Flüssigkeit, welche sich in diesen Räumen befindet,
muss also entweder aspiriert oder an andere Orte verdrängt
werden, und im ersteren Falle bei der Erweiterung der Saft-
lücken können wir voraussetzen, dass dadurch das Austreten der
imbibierten Ernährungsflüssigkeit des Knorpels in dieselben be-
wirkt wird. Einfacher noch gestaltet sich die Sache bei den
Knochen. Auch bei diesen lehnen sich Muskeln an das Periost,
oder setzen sich direkt oder indirekt an dasselbe an. Sie müssen
deshalb auf die Safträume der Beinhaut denselben Einfluss aus-
üben, wie bei der Beinhaut des Knorpels. Da nun aber aller
Grund vorliegt, anzunehmen, dass das seröse Kanalsystem des
Knochens, das System der Knochenkanälchen, welche die Er-
nährungsflüssigkeit infolge der Obertlächenansaugung erfüllt, mit
den Safträumen des Periostes in Verbindung steht, so ist das
Abströmen der serösen Ernährungstlüssigkeit aus dem starren
Knochen durch die Aktion der Skelettmuskulatur in vollkommener
Weise gesichert.“ Es ist durchaus möglich, dass die hier vor-
getragene Anschauung von Hasse in der Tat beim Knorpel und
beim Knochen insoweit zu Rechte besteht, als die Muskeln die
Strömung befördern werden, trotzdem möchte ich aber doch die
von den Zellen selbst gelieferte Kraft als haupt-
sächlich wichtig ansehen. Haben wir doch Stellen, an denen eine
Muskelwirkung vollkommen ausgeschlossen ist, so z. B. in der
Cornea. Allerdings sagt Hasse: „Dasselbe gilt auch meines Er-
achtens für die Gelenkflüssigkeit, für die serösen Flüssigkeiten
der Bauch-, Brust-, der Perikardialhöhle, sowie der vorderen
Augenkammer. Durch die Bewegung der Gelenkmuskeln, der
Muskeln an der Bauchwand, des Zwerchfelles, des Herzens und
des Ciliarmuskels werden luftleere Räume erzeugt, in welche
hinein die serösen Flüssigkeiten gesogen werden, um von da in
der nächsten Phase wieder andere Orte aufzusuchen.“ Ob diese
Annahme für die Gelenkknorpel, für die Cornea wirklich als
richtig anzusehen ist, erscheint mir sehr zweifelhaft, jedenfalls
aber würde es sich immer nur um eine Hülfskraft handeln.
Wenn ich hier von der Tätigkeit der Zellen gesprochen
Die „minimalen Räume“ im Körper. 447
habe, so verstehe ich darunter die Fähigkeit der Zelle, durch
eine ihr innewohnende Kraft Nahrungsstoffe in sich aufzunehmen
und Stoffwechselprodukte auszuscheiden. Ich will an dieser Stelle
nicht näher darauf eingehen, wie weit hierbei chemische oder
physikalische Kräfte und von welcher Art in Frage kommen, es
genügt hier, dass es eine der Zelle innewohnende Kraft gibt,
welche die genannten Tätigkeiten auszuführen imstande ist. Ob
man dabei anzunehmen hat, dass die Bindegewebszelle auch
ihre Form und Grösse zu verändern vermag, ist sehr schwer zu
sagen. An der normalen Bindegewebszelle sind: irgendwelche
aktive Bewegungen bis jetzt nicht nachzuweisen gewesen. Man
könnte ja aber daran denken, dass während des Stoffwechsels
eine geringe Grössenzunahme bei der Nahrungsaufnahme und
eine geringe Grössenabnahme bei der Ausscheidung vorkommt,
die so gering sind, dass sie bisher unbeobachtet blieben, die aber
bei den minimalen Räumen, um die es sich hier handelt, doch
von Bedeutung sein könnten. Dies ist aber nur eine Möglichkeit,
man weiss darüber nichts.
Der wesentliche Grund für die Entstehung von besonderen
„Saftbahnen“ oder „Saftlückensystemen“ scheint mir in der Be-
schaffenheit der Grundsubstanz zu liegen. Während der Ent-
wicklung liegen die Bindegewebszellen ja zuerst so dicht an-
einander, dass eine Zwischensubstanz kaum vorhanden ist. Die
erste Zwischensubstanz, welche sich bildet, ist ausserdem so flüssig,
dass von gesonderten Saftbahnen in ihr ebenfalls nicht die Rede
sein kann. Erst später, wenn die Entfernung zwischen den
Zellen grösser geworden ist, und wenn die Zwischensubstanz an
Konsistenz zugenommen hat, wird die Notwendigkeit für die Aus-
bildung besonderer, besser leitender Wege, mehr und mehr hervor-
treten. Ganz gut kann man diese Verhältnisse auch am Nabel-
strange verfolgen. Während man hier zunächst die bekannten
verästelten Zellen in einer sehr weichen Grundsubstanz liegend
findet, ohne dass man irgendwelche Saftlücken nachweisen kann,
vermag man bei älteren Nabelsträngen, in denen die Grundsub-
stanz erheblich an Festigkeit zugenommen hat, wohl Saftlücken
zu sehen. Man wird also annehmen müssen, dass zunächst die
Grundsubstanz für die Stoffwechselflüssigkeiten derartig leicht
durchgängig ist, dass eine besondere Bahn für dieselben
wenigstens nicht sichtbar zu machen ist; ob sie trotzdem vor-
445 P. Schiefferdecker:
handen ist, weiss man ja nicht. Später aber tritt eine solche
Bahn mehr und mehr hervor; natürlich nur in der Breite und
Ausdehnung, wie sie gerade notwendig ist; sie bildet sich ja nur
durch die Notwendigkeit. In dieser Weise muss man sich natür-
lich auch, wie ich das oben schon hervorgehoben habe, jene Saft-
bahnen im Knorpel entstanden denken, welche nicht als wirkliche
Lücken auftreten, sondern nur als Streifen in der Grundsubstanz,
die für die Stoffwechseltflüssigkeiten durchgängiger sind als die
übrige Grundsubstanz, und die man nur auf ganz bestimmte
Weise einigermassen deutlich zu machen vermag. Verästeln sich
die Zellen und anastomosieren die Aeste derselben untereinander,
so bilden sich auf eine sehr einfache Weise in der Grundsubstanz
Kanälchen. Diese treten um so deutlicher hervor, je consistenter
die Grundsubstanz ist. So findet man also je nach der Art der
Grundsubstanz und je nach dem Stoffwechselbedürfnisse der Zellen
des betreffenden Gewebes alle möglichen Arten der Entwicklung
der Saftbahnen, von den unscheinbarsten Anfängen an bis zu
schön ausgebildeten, komplizierten Lückensystemen. Es ist dabei,
wie ich hier noch besonders hervorheben möchte, durchaus
anzunehmen, dass von denselben aus bestimmte Stoffwechsel-
produkte auch in die Grundsubstanz eindringen. Die Zelle hat’
zuerst die Grundsubstanz gebildet und wird sie auch später
voraussichtlich ernähren und beeinflussen. Meiner Meinung nach
muss man annehmen, dass die Grundsubstanz ein lebendes Gebilde
ist, das unter dem Einflusse der Zelle steht; auch in meiner
(Gewebelehre (2) habe ich mich schon in diesem Sinne aus-
gesprochen.
Ausser in den Bindesubstanzen findet man, wie schon er-
wähnt, derartige feine Spalträume auch im Nervensysteme.
In einer Arbeit über den Bau der Nervenfaser (5) habe ich zuerst
im Jahre 1557 darauf aufmerksam gemacht, dass man zwischen
dem Achsenzylinder und der Markscheide in der markhaltigen
Nervenfaser einen für gewöhnlich unsichtbaren, sehr feinen Spalt-
raum annehmen müsse, den „periaxialen Spaltraum®. In einer
weiteren Arbeit habe ich im Anfange dieses Jahres ausgeführt,
dass man bei der marklosen, aber mit einer Schwannschen
Scheide versehenen Nervenfaser ebenfalls einen „periaxialen Spalt-
raum“ annehmen müsse, und bei der markhaltigen, mit einer
Sehwannschen Scheide versehenen Nervenfaser ausserdem auch
Die „minimalen Räume“ im Körper. 449
noch einen „perimyelinen Spaltraum“ zwischen Markscheide und
Schwannscher Scheide. Alle solche Spalträume können natür-
lich nur zwischen Gebilden vorkommen, welche völlig unabhängig
voneinander sind (im morphologischen Sinne) und sich daher auch
direkt voneinander abheben können. Das ist der Fall. Sowohl
die Bindegewebszellen mit ihren Fortsätzen wie die Grundsubstanz,
sowohl der Achsenzylinder und die Markscheide wie die
Schwannsche Scheide sind selbständige, organisierte Bildungen,
welche einander nur anliegen, sich aber gegebenenfalls glatt
voneinander zu trennen vermögen. Dass dies der Fall ist, sieht
man sofort, wenn eine Veränderung der Teile eintritt, durch
welche ein Abheben bedingt wird: dann treten deutlich die Räume
der Saftlücken hervor, dann sieht man deutlich Räume entstehen
zwischen Achsenzylinder und Schwannscher Scheide. zwischen
Achsenzylinder und Markscheide, zwischen Markscheide und
Schwannscher Scheide. Ich habe in meiner ersten Nerven-
arbeit (5) das Verhalten des Achsenzylinders zu der Markscheide
verglichen mit dem Verhalten der beiden Pleurablätter zueinander.
Die Lunge mit dem sie überziehenden Pleurablatte liegt unter
normalen Verhältnissen dem parietalen Pleurablatte zweifellos
dicht an. Zwischen den beiden Blättern liegt sicher eine ausser-
ordentlich feine Flüssigkeitsschicht, welche eben das leichte Gleiten
der beiden Blätter aufeinander gewährleistet. An den Stellen,
an denen aus irgend einem Grunde die Blätter auseinander-
weichen, so z. B. bei dem Übergange in die Sinus pleurae, wird die
Flüssigkeitsschicht an Dicke zunehmen. An den Stellen des engen
Aneinanderliegens der beiden Blätter wird sie wahrscheinlich so
fein sein, dass sie auf einem Durchschnitte ebenfalls unsichtbar
sein würde. Die Blätter sind eben auf ihrer Oberfläche einfach
feucht. Wenn wir zwei Blätter feuchten Papiers nehmen und
diese aufeinanderlegen, so wird sich zwischen beiden eine feine
Flüssigkeitsschicht befinden. Die Blätter sind feucht, weil auf
ihrer Oberfläche eine feine Flüssigkeitsschicht liegt. Lege ich
die Blätter aufeinander, so verbinden sich die beiden Schichten
zu einer. Die Dicke dieser Schicht wird verschieden sein, je
nach dem Drucke, durch welchen die beiden Blätter aufeinander
gepresst werden. Wird dieser Druck sehr gross, so werde ich
die gesamte Flüssigkeit aus den beiden Blättern auspressen
können, dann werden die Blätter trocken werden und die Flüssig-
450 P. Schiefferdecker:
keitsschicht zwischen ihnen wird verschwinden; bei einem mässigen
Drucke aber werden die Blätter feucht bleiben und die Flüssig-
keitsschicht zwischen ihnen wird nur, je nach der Stärke des
Druckes, verschieden dick sein. Im Körper wird es sich immer
nur um einen mässigen Druck handeln, die Gewebsteile werden
stets hinreichend feucht sein, aber auch hier wird der Druck
innerhalb gewisser Grenzen schwanken können, und die Dicke
der Flüssigkeitsschicht wird demgemäss verschieden sein. Der
Druck der in dem Körper aufeinanderwirkenden Teile wird
einmal abhängen von der inneren Spannung der aufeinander-
wirkenden Teile, von der „Protoplasmaspannung“, wenn man so
sagen darf, und dann von dem in der betreffenden Körpergegend
gerade herrschenden Flüssigkeitsdrucke. Ist die Spannung der
organisierten Teile, die nicht einfach physikalisch von der Flüssig-
keit durchsetzt werden, gering, so wird der Flüssigkeitsdruck
überwiegen und die Spalten werden breiter werden und umge-
kehrt. Ich glaube allerdings nicht, dass die Verhältnisse immer
so einfach liegen werden, ich möchte vielmehr annehmen, dass
sie oft sehr kompliziert sein werden, besonders auch unter patho-
logischen Verhältnissen. Hierauf hier näher einzugehen, hat
keinen Zweck.
Wenn ich vorher davon gesprochen habe, dass diese feinen
Spalträume so fein sein können, ja unter normalen Verhältnissen
sogar gewöhnlich so fein sind, dass sie auch bei unseren stärksten
Vergrösserungen unsichtbar bleiben, so könnte es scheinen, dass
es unmöglich ist, in ihnen eine Zirkulation anzunehmen. Ich
möchte indessen annehmen, dass das nicht der Fall ist. Liegen
zwei Punkte nicht weiter von einander entfernt als 0.2 u, so ist
es bekanntlich für die besten Mikroskope und die stärksten Ver-
grösserungen nicht mehr möglich, diese Punkte getrennt zu sehen.
Wenn die von mir angenommenen Spalträume also diese Breite
besitzen, so wird es physikalisch unmöglich sein, sie als solche
zu erkennen. Wie breit sie in Wirklichkeit sind, weiss man
nicht, da sie eben unsichtbar sind. Vergleichen wir eine solche
Breite des Spaltraumes aber mit der wahrscheinlichen Grösse der
Moleküle, so finden wir, dass er im Verhältnis zu dieser immer-
hin noch breit ist, ja selbst noch dann, wenn seine Breite zehn-
mal geringer sein sollte. Wir werden also auch in einem so kleinen
Spaltraume eine Zirkulation noch annehmen können und dieses um
Die „minimalen Räume“ im Körper. 451
so eher, da es sich nicht um einen von starren Wänden begrenzten
Raum handelt, und da die Wände selbst mehr oder weniger an
der Ausscheidung von Flüssigkeit in den Spaltraum teilnehmen
und so also auch die nötige Kraft für die Zirkulation liefern.
Ganz anders werden die Verhältnisse aber liegen, wenn
pathologische Veränderungen eintreten. Tritt z. B. eine Quellung
eines der aneinanderliegenden Gebilde ein, so wird der Spaltraum
in mehr oder weniger grosser Ausdehnung und in mehr oder
weniger hohem Grade verengert werden können. Noch mehr
wird dies der Fall sein, wenn eines der aneinanderliegenden Ge-
bilde derartig verändert wird, dass es sich nicht mehr glatt von
dem anderen abheben lässt, sondern an ihm anhaftet, anklebt,
oder wenn es Stoffe ausscheidet, welche den Spaltraum ver-
engern oder völlig unterbrechen, event. so beschaffen sind, dass
sie ebenfalls an dem anliegenden Gebilde zu haften vermögen.
Dann werden auf mehr oder weniger lange Strecken völlige Ver-
legungen des Spaltraumes möglich sein und als Folge davon eine
Unterbrechung der Zirkulation des Stoffwechselstromes, und als
Folge hiervon wieder Ernährungsstörungen eintreten können.
Alle diese Veränderungen werden ihrer Grösse nach so gering
sein können, dass sie unsichtbar bleiben, zumal wenn man nicht
besonders an die Möglichkeit des Vorkommens derartiger Ver-
änderungen denkt und die Untersuchung besonders auf sie richtet.
So ist es wohl möglich, dass manche Erkrankungen, bei denen
man bisher eine morphologische Veränderung in den Geweben
nicht hat auffinden können, auf Veränderungen in diesen so
feinen Spalträumen zurückzuführen sind. Wie weit das der Fall
ist, müssen erst nähere Untersuchungen lehren. Es wird oft
nicht leicht sein, nachzuweisen, dass diese feinen Spalträume
dabei beteiligt sind, und es wird dies wahrscheinlich zunächst
nur dann gelingen, wenn die Räume infolge der Veränderungen
so breit werden, dass man sie sehen kann. Von solchen Fällen
aus wird man dann event. Rückschlüsse auch auf andere machen
‚können, in denen sie unsichtbar geblieben sind. Es liegt die
Sache hier ja ganz ähnlich wie bei dem Auffinden dieser Räume
unter normalen Verhältnissen. Ich bin seinerzeit bei der Nerven-
faser zu der Annahme dieser Räume auch nur dadurch gekommen,
dass ich beobachtete, wie die einzelnen Teile unter bestimmten
Umständen sich voneinander. abhoben. Ich habe angenommen,
452 P. Schiefferdecker:
dass der periaxiale Spaltraum für die Ernährung des Achsen-
zylinders bei der markhaltigen Nervenfaser von grosser Bedeutung
sein müsse: die durch die Ranvierschen Einschnürungen
hindurchgetretenen Nahrungsstoffe verbreiten sich meiner Meinung
nach in dem periaxialen Spaltraume längs des Achsenzylinders
und umhüllen ihn so als eine Flüssigkeitsscheide. In diese Flüssig-
keitsschicht treten aber natürlich auch die von dem Achsen-
zylinder abgegebenen Stoffe ein und ebenso die von der Mark-
scheide abgegebenen. Dass sich der Achsenzylinder und die
Markscheide während des Lebens gegenseitig beeinflussen, ist sehr
wahrscheinlich, wenn man an die starken Veränderungen denkt,
welche in der Markscheide eintreten, wenn der Achsenzylinder
erkrankt, z. B. wenn er nach Durchschneidung degeneriert. Ein
Teil der von dem Achsenzylinder ausgeschiedenen Stoffe muss
aber natürlich als unbrauchbar auch wieder aus dem Periaxial-
raume nach aussen hin entleert werden. Ganz ähnlich liegen die
Verhältnisse bei der marklosen Faser, nur einfacher. Hier werden
von den Zellen der Schwannschen Scheide nur bestimmte
Stoffe aus der von aussen zutretenden Ernährungsflüssigkeit
hindurchgelassen, die dann die Ernährung des Achsenzylinders
bewirken; ähnliches gilt für die Ausscheidungsprodukte. Auch
bei der markhaltigen Faser wird die Schwannsche Scheide
elektiv wirken, dazu wird dann noch die Wirkung der Mark-
scheide mit den Zwischenscheiben und Zwischentrichtern kommen.
Sowohl in dem periaxialen wie in dem perimyelinen Spaltraume
wird man eine Zirkulation der Stoffe annehmen können. Es ist
klar, dass schwere Ernährungsstörungen des Achsenzylinders und
vielleicht auch der Markscheide eintreten werden, wenn die
Zirkulation in diesen Räumen unterbrochen wird. Das kann
nun, wie ich oben schon ausgeführt habe, durch Erkrankung der
einzelnen aneinanderliegenden Teile geschehen, es könnte hier
aber noch an andere Hindernisse gedacht werden. So wäre es
möglich, dass bei jenen eigenartigen Erkrankungen der Caisson-
arbeiter, bei denen bekanntlich ein Gasaustritt in den Blut-.
gefässen beobachtet worden ist, sich minimale Gasbläschen in
diesen Spalträumen bilden und so die Zirkulation in ihnen hemmen.
Herr Prof. Rumpf machte mich in der Diskussion zu meinem
Vortrage hierauf aufmerksam. Durch die Beobachtungen von
L. v. Schrötter (10) ist festgestellt worden, dass bei diesen
Die „minimalen Räume“ im Körper. 453
Erkrankungen Stickstoffgasblasen im Blute auftreten und so eine
Zirkulationsbehinderung eintritt. Solche Gasblasen konnten auch
bei Versuchstieren nach rascher Dekompression in den Coronar-
gefässen des Herzens beobachtet werden. L. v. Schrötter (10)
und ebenso H. v.Schrötter (11) nehmen daher an, dass das
Wesen der sogenannten „Caissonkrankheit“, von den selteneren
Hirnerscheinungen abgesehen, in ischaemisch entstandenen, be-
grenzteren oder disseminierten Nekrosen, namentlich der weissen,
in der geringeren Anzahl von Fällen aber auch der grauen Sub-
stanz des Rückenmarkes besteht. Die Ischaemie wird bewirkt
durch die Gasblasen; von Blutungen ins Gewebe findet man
nichts. Die Grösse und Form der Nekroseherde wird durch die
Art der Gefässverzweigung (Endarterien der Tractus antero- und
posterolaterales) bestimmt. So entstehen Höhlenbildungen, da
durch die Nekrose nicht nur die Nervenelemente, sondern auch
die Stützsubstanz zugrunde gegangen sind. Diese multiplen,
herdweisen Nekrosen treten, wie schon oben bemerkt, insbesondere
in der weissen, seltener in der grauen Substanz des Rücken-
markes auf, da diese letztere infolge des grösseren Reichiumes
an Kapillaren in der Mehrzahl der Fälle verschont bleibt. Wie
H. v. Schrötter (9) hervorhebt, besteht die beste Therapie
dieser Erkrankungen in einer möglichst bald ausgeführten
Rekompression, infolge deren augenscheinlich die Gasblasen
wieder gelöst werden und so die Behinderung in der Blutbahn
fortfällt.
Es ist wohl möglich, dass die von den genannten Autoren
für die Veränderungen im Rückenmarke angenommene Ursache, die
durch die Gasblasen bewirkte Ischaemie, als die alleinige anzu-
sehen ist. In der Tat würde der grössere Gefässreichtum der
grauen Substanz, die grössere Möglichkeit von Anastomosen der
Blutgefässe es wohl verstehen lassen, dass die Erkrankung hanpt-
sächlich die weisse Substanz befällt. Immerhin ist dabei zu be-
denken, dass die graue Substanz auch einer sehr viel reichlicheren
Ernährung bedarf als die weisse. So meine ich, wäre es immer-
hin zu überlegen, ob nicht neben der ja wohl unzweifelhaft vor-
handenen Ischaemie auch noch eine andere Ursache für die
Erkrankung speziell der weissen Substanz zu finden wäre. Da
könnte man dann an eine solche Behinderung der Zirkulation
innerhalb der Nervenfasern wohl denken. Vielleicht könnte man
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 30
454 P. Schiefferdecker:
bei der Untersuchung von weiteren derartigen Erkrankungen auf
diesen Punkt die Aufmerksamkeit richten.
Herrn Dr. H. v. Schrötter sage ich an dieser Stelle
meinen Dank für die freundliche Beantwortung meiner Anfragen
und für die Zusendung der oben zitierten Arbeiten.
Wie weit jene feinen Spalten zwischen den Zellen der
Epithelien ebenfalls zu diesen „minimalen Räumen“ zu rechnen
sind, ist schwer zu sagen. Einmal sind diese Spalten mitunter
verhältnismässig recht breit und dann kommen hier Zellbrücken,
Kittsubstanz und dergleichen Dinge in Frage, durch welche die
Verhältnisse. wesentlich geändert werden können. Wir wissen
ausserdem über diese hier in Frage kommenden Dinge noch zu
wenig, um ihren Einfluss ermessen zu können. Ich will daher
auf diese Spalten zwischen den Epithelzellen hier nicht weiter
eingehen. lag es mir doch überhaupt nicht so sehr daran, nach-
zuweisen, wo überall im Körper solche „minimalen Räume“ vor-
kommen, als daran, die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese
bisher noch gar nicht beachteten Verhältnisse zu lenken. Ich
hoffe, in dieser kurzen Mitteilung so weit wenigstens die Ver-
hältnisse klar gelegt zu haben, dass man diese „minimalen
Räume“ und ihre Bedeutung, wenn auch noch nicht als sicher
bewiesen, so doch wenigstens als wahrscheinlich vorhanden an-
sehen wird. Damit aber wäre für das Verständnis der Ernährungs-
vorgänge im normalen Körper schon viel gewonnen und ebenso
auch für das Verständnis so mancher pathologischer Vorgänge.
Man würde dann auch zu verstehen vermögen, dass es Vorgänge
im Körper gibt, die im Verhältnisse zuden Molekularveränderungen,
die wir als die Grundursache unseres ganzen Lebens anzusehen
haben, verhältnismässig noch sehr grob sind, die aber dennoch
so fein sind, dass unsere optischen Hilfsmittel nicht mehr genügen,
um sie uns sichtbar zu machen. Daraus würde dann folgen, dass
wir unter Umständen auch dann Veränderungen in den Geweben
anzunehmen berechtigt sind, Veränderungen, welche nicht mole-
kularer Natur sind, wo wir solche nicht wahrzunehmen vermögen.
Vielleicht dürfte es dann aber doch, wenn die Aufmerksamkeit
einmal hierauf gerichtet ist, auf irgend eine Weise gelingen,
solche Vorgänge sichtbar zu machen.
Pr
ot
©.
-]
Sa
10.
11:
13:
Die „minimalen Räume“ im Körper. 455
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Hasse, C.: Über die Ursachen der Bewegung der Ernährungsflüssig-
keiten im tierischen Körper. Pflügers Arch., Bd.33, 1884, S. 52—59.
30*
457
Über die Entwicklung des Mittelohres von
Emys europaea nebst Bemerkungen zur Neurologie
dieser Schildkröte.
Von
Dr. phil. Noack.
Hierzu Tafel XVIII und 6 Textfiguren.
Darlegung der Frage und Literarisches.
Die. Entstehung des Mittelohres der Reptilien sowohl, wie
der Amphibien, vor allen Dingen aber die Bildung des Gehör-
knöchelchens bildet noch immer einen strittigen Punkt in der
Entwicklungsgeschichte dieser Tiere. Eine grosse Zahl der
älteren und neueren Anatomen haben die Entwicklung der Ge-
hörknöchelchen bei den verschiedensten Wirbeltieren untersucht,
und leider sind ziemlich widersprechende Ansichten als End-
resultate dieser Untersuchungen aufgestellt worden. In aller
Kürze möchte ich hier zunächst eine Zusammenstellung der haupt-
sächlichsten Meinungen geben, die dem vortrefflichen Referat
E. Gaupps: „Ontogenese und Phylogenese des schall-leitenden
Apparates bei den Wirbeltieren* entnommen, hier aber des
besseren Verständnisses wegen kaum zu entbehren sind.
Die ersten verlässlichen Angaben stammen von Rathke (1832), der
das Operculum und die Ohr-Columella des Frosches als eine Bildung der
Labyrinthwand betrachtet, in einer späteren Arbeit aber (1839) bei der Natter
die Entstehung der Ohr-Columella von dem zweiten Visceralbogen ableitet.
Ebenso gehört nach Huxley (1869) die Columella der Sauropsiden
zum Hyoidbogen, der ja dem zweiten Visceralbogen entspricht. Er ver-
gleicht die Columella dem Stapes 4 Incus der Säuger und behauptet diese
beiden Teile noch deutlich als Stapes und Suprastapediale (— Incus der Säuger)
unterscheiden zu können. Beide Teile seien nun aber bei den Sauropsiden
noch kontinuierlich verbunden, während bei den Säugern zwischen beiden
ein Gelenkspalt bestehe. Der dritte Abschnitt „Extrastapediale“ der Saurop-
siden-Columella, der die Verbindung mit dem Trommelfell vermittle, gehe
bei den Säugern zu Grunde.
Als nächster sprach nun Stoehr (1879) die Vermutung aus, dass bei
einer Columella, die aus einem Operculum und einem Stiel besteht, der letztere
vielleicht dem Zungenbeinbogen entstammt, somit eine derartige Columella
eine zusammengesetzte Bildung sei. Diese Vermutung, die in der „Morphology
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 31
458 Noack:
of the Skull“ (1877) schon als Tatsache proklamiert war, ist von Parker
noch in mehreren Spezialarbeiten als zu Recht erklärt worden.
Für die Anuren haben Villy (1890), Killian (1890) nnd Gaupp
(1893) bestätigt, dass das Operculum eine rein labyrinthäre Bildung sei, die
Columella aber aus einem Strange entsteht, der anfangs von der Labyrinth-
kapsel zum Quadratum zieht und von der Ohrkapsel aus verknorpelt.
Vorher schon (1889) hatte C. K. Hoffmann bei Embryonen von
Lacerta agilis gefunden, dass ein medialer Abschnitt der Columella auris als
ein Fortsatz der Labyrinthkapsel entsteht, daher lässt er die Columella sich
aus zwei Teilen bilden: Otostapes und Hyostapes. Der weitaus grösste Teil,
der Otostapes, soll aus dem mesoblastischen Labyrinth entstehen, der andere
kleinere Teil, der Hyostapes, soll ein vom Hyoidbogen abgetrennter Skelet-
teil sein.
Bis hierhin reichen die älteren Angaben aus dem Gauppschen Referat.
In neuerer Zeit sind nun zwei bemerkenswerte Arbeiten erschienen und zwar
von Versluys jr. (1903): „Entwicklung der Columella auris bei den Lacer-
tiliern“ und von Moeller (1905): „Zur Kenntnis der Entwicklung des
Gehörknöchelchens bei der Kreuzotter und der Ringelnatter.“
Letzterer spricht bei den bezüglich des Gehörorgans weit tiefer stehenden
Ophidiern der Columella jedweden hyoidalen Ursprung ab. Nach ihm bildet
das Gehörknöchelchen im Gegensatz zu Parker und Hoffmann ein ein-
heitliches Gebilde, das aus dem caudalen Ende der Blastemkapsel des häutigen
Labyrinthes entsteht.
Im geraden Gegensatze zu den Ergebnissen von Moeller steht
nun Versluys jr. mit seinen Befunden, deren Beschreibung mit einigen
Abkürzungen beinahe wörtlich wiedergegeben ist: „Hoffmanns Angaben, dass
sich bei jüngeren Lacerta-Embryonen der Stapes nicht gegen die Ohrkapsel
abgrenzen lässt, kann ich bestätigen; Aehnliches finde ich auch bei Hemi-
dactylus. Andererseits war bei Platydactylus und Gecko immer eine
Abgrenzung möglich, wie Kingsley von Sceleporus beschrieben hat.“
Nachdem Versluys dann noch näher auf die einzelnen Unterschiede
eingeht und betont, dass seine Präparate nur für Gecko und Pladydaectylus,
nicht aber für Lacerta und andere Sauropsiden eine Beteiligung der Labyrinth-
kapsel am Aufbau des Stapes ausschliessen, fährt er folgendermassen fort:
„Wohl aber beweisen meine Präparate, dass bei Gecko und Pladydactylus
die Fussplatte des Stapes ein vom Labyrinth unabhängig entstehender Skelet-
teil ist. Und dann wird man doch wohl gezwungen, für die Fussplatte bei
allen Lacertiliern eine Entstehung ganz oder grösstenteils von der Labyrinth-
kapsel aus zu verneinen. Hierin schliesse ich mich Kingsley an.“
Wie sich aus dieser literarischen Darstellung ergibt, bieten
sich nunmehr für die weiteren Untersuchungen dieser Verhältnisse
vor allen Dingen die Hydrosaurier dar, umsomehr, als unsere bis-
herigen Kenntnisse darüber fast ausschliesslich aus älteren Arbeiten
stammen. (Geeignetes Crocodilier- Material zu beschaffen dürfte
wohl mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden sein. Dagegen
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 459
ist mir die Beschaffung eines sehr brauchbaren Schildkröten-
Materials gelungen, das dem anatomisch-biologischen Institut zu
Berlin entstammt, und für dessen Überlassung ich gleich an
dieser Stelle Herrn Geheimrat Prof. Dr. OÖ. Hertwig meinen
verbindlichsten Dank aussprechen möchte.
Die erst in neuerer Zeit wieder hervorgetretenen oben
näher charakterisierten Meinungsverschiedenheiten über die Ent-
wicklung der Columella rechtfertigen wohl ohne weiteres meine
hauptsächlich diese Frage betreffenden Untersuchungen.
Material und technische Methoden.
Aus der Reihe der 15 Schnittserien, die zur Untersuchung
gelangten, war bei den den sechs jüngsten Stadien angehörenden
noch keine Spur einer Columella-Anlage vorhanden. Die folgende
Untersuchung bezieht sich demnach auf neun Serien Embryonen
von Emys europaea.
Nach Durchfärbung der durchgeschnittenen Köpfe mit Boraxkarmin
wurden dieselben in Paraffinblöcke eingebettet und in dorso-ventraler Richtung
in Serien von 10 „ zerlegt. Es wurde dann noch eine Schnittfärbung mit
Bismarck-Braun und Bleu de Lyon angewandt zur besseren Differenzierung
des Knorpels und des Nervengewebes.
Von zweien der Embryonen wurden nun nach der Bornschen Methode
plastische Rekonstruktionen der sämtlichen in Betracht kommenden’knorpligen
Teile, der Kiementaschen, Gefässe, Nerven und der Knochenanlagen, soweit
letztere vorhanden waren, hergestellt einmal, um die Lageverhältnisse der
einzelnen Organe zu einander in 'situ zu konstatieren, vor allen Dingen aber,
um den Verlauf der Columella zwischen der knorpligen Labyrinthkapsel und
der eigentlichen Mittelohranlage zu bestimmen. Die Schnitte wurden in
hundertfacher Vergrösserung projiziert, die Skizzen aus Wachsplatten von
1 mm Dicke ausgeschnitten und unter Anwendung der an sämtlichen Schnitten
vorhandenen Richtungsebene zu den Modellen zusammengefügt.
Ergebnisse der früheren Untersuchungen.
Über das Mittelohr der Schildkröten liegen hauptsächlich
ältere Angaben vor. Eine sehr genaue anatomische Beschreibung
des Gehörorgans der Schildkröten gab zuerst Hasse. Zum besseren
Verständnis des Folgenden möchte ich, bevor ich auf die spezielle
Entwicklungsgeschichte eingehe, an ihn mich anlehnend, zunächst
eine kurze Anatomie des Gehörorgans vorausschicken.
Das Quadratum ist bekanntlich bei allen Schildkröten mit
dem Schädel in feste Verbindung getreten. Oberhalb des Proc.
3
460 Noack:
articularis, den das Quadratum an seiner unteren Fläche zur
Verbindung mit dem Unterkiefer besitzt, vertieft sich das Quadra-
tum sehr stark und nimmt in sich den vorderen oder äusseren
Teil der Paukenhöhle auf, der nach lateral von dem im Quadra-
tum ausgespannten Trommelfell begrenzt wird. In diesen äusseren
Abschnitt mündet jederseits die Tube. Die Kommunikation des
äusseren mit dem inneren Teil des Cavum tympani wird durch
einen Kanal hergestellt, der bei einigen Formen ganz vom
Quadratum umlagert wird, bei anderen Formen dagegen, wie
auch bei Emys, nur, teilweise. Der knöcherne Paukenhöhlen-
kanal ist z. B. bei Emys nach hinten und unten spaltförmig offen
und wird erst durch accessorische Weichteile verschlossen. Nach
medial gelangen wir durch den Paukenhöhlenkanal in den inneren
Raum der Paukenhöhle, der teils von Knochen, teils von Weich-
teilen begrenzt sich gegen die Labyrinthkapsel erstreckt. Durch
den Kommunikations-Kanal nun tritt die Columella hindurch.
Gaupp schreibt in seiner vorher erwähnten Zusammen-
stellung: „Alle Autoren schildern die Columella auris als ein
einheitliches Gebilde, das einen längeren medialen knöchernen
Stiel und eine laterale knöcherne Endscheibe unterscheiden lässt.
Der mediale Stiel verschliesst mittels einer Fussplatte die Fenestra
vestibuli, die laterale Endscheibe ist in das Trommelfell eingewebt
und wird daher auch Insertionsplatte genannt.“
Wenn schon in den Entwicklungsgeschichten der Schild-
kröten von Agassiz und Clark und in dem noch älteren Werke
von Rathke von der Entwicklung des häutigen Labyrinthes mit
seiner Kapsel wenig mitgeteilt wird, so sind die Angaben über
die Bildung des Mittelohres mit seinen zugehörigen Organen noch
spärlicher. Nachdem Agassiz bei einem Embryo von Chelonia
Midas die frühesten Stadien der Ohrentwicklung als zwei becher-
artige Vertiefungen an jeder Seite des Kopfes geschildert hat
und dann kurz die Bildung und Lage des Vestibulums mit seinen
drei Bogengängen beschrieben hat, geht er etwa mit folgenden
Worten zur Schilderung des Antevestibulums über: „Das Ante-
vestibulum oder die Paukenhöhle, die den Steigbügel des Ohres
enthält, ist sehr breit und in zwei Abteilungen geteilt, eine bei-
nahe kugelförmige, den S. mastoideus, der sich in seine breitere
Abteilung, die richtige Paukenhöhle, öffnet. Das Antevestibulum
breitet sich sowohl nach vorn als auch nach hinten viel weiter
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 461
aus als das Vestibulum. Der Steigbügel, das einzige Gehör-
knöchelchen, das die Schildkröte besitzt, ist ein kurzer und dicker
Knorpelzylinder mit sehr breiten äusseren und inneren Enden.“
Rathke hat nun seine entwieklungsgeschichtlichen Unter-
suchungen über die Schildkröten an mehreren ausländischen
Tieren, aber auch an vier Exemplaren von Emys europaea ange-
stellt. Jedoch auch seine Angaben speziell über den Gehör-
apparat, die sich auf ein junges und ein erwachsenes Exemplar
von Chelonia Midas und zwei ziemlich gleichaltrige Embryonen
von Emys europaea beziehen, beschränken sich im wesentlichen
auf die Beschreibung der Form und der Lage des Vestibulums
mit seinen Anhängen. Nur macht er noch einige für mich
unwesentliche Angaben über das Gehörknöchelchen, das er bei
den reiferen Embryonen schon vollständig ausgebildet vorfand,
so dass er über seine Entwicklung nichts angeben konnte. Rathke
schildert das Gehörknöchelchen als einen’ stabförmigen Knorpel,
der an beiden Enden eine fast linsenförmige Anschwellung besitzt.
Von letzteren verschliesst die etwa um ein Drittel kleinere die
Öffnung des inneren Ohres, während die andere mit ihrer schwach
gewölbten äusseren Seite dem Trommelfell anliegt und mit dem-
selben ziemlich fest zusammenhängt.
Als letzter hat wohl Parker, der verschiedene Entwicklungs-
stadien des Chelone-Schädels untersuchte, eine Reihe Bemerkungen
über die Columella gemacht, jedoch kann man über den wichtigsten
Punkt, eine etwaige Beteiligung des Hyalbogens an der Columella-
Bildung, nichts mit Sicherheit entnehmen. Nach seiner Ansicht
muss man genetisch zwei verschiedene Abschnitte der Columella
unterscheiden, einen labyrinthären, der die Fussplatte der Colu-
mella bildet, und einen hyalen, der den Stiel mit der Endplatte
oder Insertionsplatte bildet. Irgend ein Moment, welches die
Zugehörigkeit des letzteren Abschnittes zum Hyalbogen ergäbe,
ist dagegen bei Parker nicht angeführt.
Nach dem heutigen Standpunkt der Wissenschaft wären
demnach drei verschiedene Möglichkeiten für die
Entstehung der Columella auris der Schild-
kröten denkbar. Entweder hat sie rein labyrin-
thären Ursprung, oder aber rein hyalen Ursprung,
und drittens könnte sie einGemisch von labyrin-
thärem und hyalem Ursprung darstellen.
462 Noack:
Welche von den drei Ansichten für meine Untersuchungs-
objekte die zutreffende ist, werde ich in der folgenden Darstellung
auseinanderzusetzen versuchen.
Nachdem so die Entstehungsmöglichkeiten der Columella
auris speziell für die Schildkröten erwogen wurden, gehe ich nun-
mehr zur Darstellung der Untersuchungen selbst über.
Nach einer kurzen Schilderung der äusseren Form des Embryos
folgen die an den Schnittserien gewonnenen Beobachtungen, welch
letzteren dann bei den beiden betreffenden Serien gleich die
Beschreibung der beiden Modelle angefügt wird.
Embryonalstadium VI.
Das Äussere des Embryos.
Dieser Embryo hat in seiner stark gekrümmten Lage eine
kranio-kaudale Länge von 12,5 mm. Im Innern der Augenblase
ist die Linse bereits als zentraler, weisslicher Körper wahrzu-
nehmen. Die beiden ersten Visceraltaschen kommen nicht mehr
zum Durchbruch, was auf dem vorhergehenden Stadium noch der
Fall war. Die Anlagen der Gliedmaßen lassen sich schon deutlich
als warzenförmige Erhebungen erkennen.
Rings vom Mesenchymgewebe umgeben treten lateral vom
Hinterhirn zunächst die Qnerschnitte des Labyrinthanhanges, dann
die der epithelialen Labyrinthblase hervor. Letztere zeigt bereits
die Anfänge der Bogengangsbildung. Durch Verdichtung des
Mesenchymgewebes bildet sich nach kaudalwärts um die Labyrinth-
blase herum allmählich das Blastem der Labyrinthkapsel, das
durch seine stärkere Färbung von dem embryonalen Bindegewebe
leicht zn unterscheiden ist. Von den umgebenden Organen der
Labyrinthblase fällt zunächst der mächtig entwickelte N. trige-
minus auf. Kurz nach seinem Austritt ans dem Gehirn schwillt
er zu einem deutlich in zwei Abschnitte zerlegbaren Ganglion
an, das aus dem einen Teil den gegen den hinteren Augenpol ver-
laufenden R. ophthalmieus abgibt, aus dem anderen Teil einen
dicken Strang, der sich bald in den R. supramaxillaris und den
R. inframaxillaris teilt. Beide Äste verlaufen kaudalwärts noch
eine kurze Strecke neben einander, bis man den R. supramaxillaris
zu einer Muskelanlage abbiegen sieht. An der medialen Seite
des Kapselblastems erscheint dann das gemeinsame Ganglion des
N. acusticus und des N. facialis. Bald verlässt dieses Ganglion
Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 463
der N. facialis als dichter Zug von Nervenfasern in latero-kaudaler
Richtung, um dann an der lateralen Blastemseite zu dem besonderen
Ggl. faciale s. geniculi anzuschwellen. Nach ventral und nach
dorsal geht vom letzteren Ganglion je ein Nervenast ab. Der
zwischen der A. carotis interna und der ersten inneren Schlund-
spalte nach ventral ziehende Ast bildet den vorderen Hauptstamm
oder R. palatinus älterer Embryonen, der vor dem sich bald
zeigenden Columellablastem nach dorsal ziehende Ast bildet den
hinteren Facialis-Hauptstamm älterer Embryonen. Lateral von
der A. carotis interna befindet sich die weite V. capitis lateralis.
Wie ich schon vorher kurz erwähnt hatte, ist dies das erste
Stadium, auf dem die erste Kiemenspalte nicht mehr zum Durch-
bruch gelangt. Den eigentümlichen Vorgang, der mir bei der
Verschlussbildung der Kiemenspalte aufgefallen ist, möchte ich
am Schluss der Betrachtungen über diese Serie noch eingehender
behandeln. Erwähnen möchte ich hier noch, dass, wie aus Tafel-
fig. I ersichtlich ist, sich lateral von der Spitze der ersten inneren
Kiemenspalte das Blastem des Quadratums (Bl. Qu.) zeigt,
noch in innigem Zusammenhange mit dem Kieferbogen (K. B.)
stehend.
Kurz bevor nun das Blastem des Labyrinthes in dieser
Serie zu verschwinden beginnt, bemerkte ich medial von der
V. capitis lateralis und vom hinteren Facialisstamme, direkt im
Labyrinthblastem, eine nur schwach zu erkennende konzentrische
Schichtung von Blastemzellen (Tafelfig. I, Bl. Col.), die ich glaube
mit ziemlicher Bestimmtheit als die erste Anlage des Gehör-
knöchelchens oder der Columella auris bezeichnen zu dürfen.
Denn stets werden wir in den älteren Entwicklungsstadien die-
selben Lagebeziehungen des Gehörknöchelchens zu den betreffenden
Gefässen und Nerven wieder auftreten sehen.
Während nun das Kapselblastem mehr und mehr schwindet,
zeigt diese konzentrische Schichtung das Bestreben, sich etwas
nach ventral zu verschieben, um sich an die dorsale Wand der
Kiemenspalte anzulegen; hier verdichtet es sich bedeutend mehr
und dehnt sich an der Wand der Kiemenspalte nach lateral zur
Körperoberfläche hin aus (Tafelfig. II und III).
Gerade auch diese Lage zur Kiemenspalte bestärkt mich
in der Meinung, dass ich es mit der Columellaanlage zu tun habe.
Denn auch bei den späteren Stadien, bei denen eine Verwechselung
464 Noack:
des Gehörknöchelchens mit anderen Organen ausgeschlossen ist,
werden wir immer wieder die engen Beziehungen des Gehör-
knöchelchens zur ersten Kiemenspalte wahrnehmen können.
Vom dorsalen Facialisstamme (Tafelfig. III, VII r. d.) trennt
sich bald ein feiner Nervenstrang (Ch. ty.) ab, den man bei auf-
merksamer Betrachtung deutlich das Columellablastem durchziehen
und sich scharf an der lateralen Spitze der ersten Kiemenspalte
vorbei auf die ventrale Seite der Spalte hinüberwenden sehen
kann. Die nahen Beziehungen, die dieser Nerv zum Blastem
der Ohrcolumella hat, lassen nur auf die Chorda tympany schliessen,
die diesen Weg nimmt, um sich in das Gebiet des Unterkiefers
zu begeben. Der Hauptteil des dorsalen Facialisastes verliert
sich etwas weiter kaudalwärts in einer Muskelanlage.
Bevor ich nun meine Bemerkungen über diese Serie schliesse,
möchte ich noch mit wenigen Worten die Vorgänge bei der Ver-
schlussbildung der Kiemenspalte behandeln. Zu diesem Zweck
musste ich allerdings auf die nächstjüngere, für meine haupt-
sächlichen Untersuchungen noch nicht brauchbare Serie zurück-
greifen. Die etwas schematisierten Tafelfiguren IV’— VIII dieser
Serie mögen zum besseren Verständnis der folgenden Beschreibung
dienen.
Die erste Kiemenspalte (l, K. S.) ist bei diesem Embryo
noch vollständig durchgängig. Der auf den bei weitem am meisten
Schnitten fast gestreckte Verlauf der Kiemenspalte erfährt plötz-
lich eine Störung, indem der laterale Endteil — etwa ein Drittel
von der ganzen Länge der Spalte — wie Tafelfıg. IV zeigt, scharf
nach dorsalwärts umbiegt. An der .dorsalen und ventralen Wand
der Spalte treten nun gerade an dieser Umbiegungsstelle Epithel-
wucherungen (Tafelfig. VI, Epw.) auf. Letztere wachsen nun ein-
ander entgegen und bilden eine Verschlussmembran (Tafelfig. VII
und VIII, Verm.) für den medialen Abschnitt der Spalte. Das
auf diese Weise abgeschnürte laterale Drittel (Tafelfig. VII, abg. D.)
der Kiemenspalte obliteriertt nun aber nicht, sondern vollführt
mit seinem jetzt blinden Ende gewissermaßen einen zweiten Durch-
bruch (Tafelfıg. VIII, 2. Db.) nach ventralwärts hin, dadurch ein
länglich ovales Epithelstück von dem übrigen Querschnitt isolierend.
Bei dem älteren, vorher beschriebenen Stadium, bei dem
die Reihenfolge dieser Vorgänge nicht mehr im Zusammenhange
zu erkennen ist, da der Verschluss der Spalte, das heisst die
Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 465
Lostrennung des lateralen Endes der Kiementasche bereits statt-
gefunden hat, tritt aber dennoch dieser laterale Endteil (Tafel-
fig. IL, 1.K.S.‘) auf, um ebenfalls die Abschnürung des betreffenden
Epithelstückes zu vollführen. Nur bei diesen beiden Serien konnte
ich diese eigentümliche Art der Verschlussbildung konstatieren.
Vielleicht hat diese Zweiteilung der ersten Kiemenspalte
mit zu der irrtümlichen Behauptung Veranlassung gegeben, dass
die Paukenhöhle und Ohrtrompete sich aus einer sekundären Aus-
stülpung des Rachens bilde, indem dann dieser abgeschnürte End-
teil für den Rest der ganzen Kiemenspalte angesehen wurde.
Von den oben angeführten Beobachtungen fasse ich die
wichtigsten. noch einmal kurz zusammen.
1. Ziemlich zu gleicher Zeit treten in diesem Entwicklungs-
stadium die Blasteme des Quadratums und der Columella auris
auf. Das erstere, allerdings noch. im- Zusammenhang mit dem
Meckelschen Knorpel, wird von dem der Columella durch die
V. capitis lateralis und später durch die erste Schlundspalte ge-
trennt.
2. Das Colomellablastem wird durch seine Lage zum hinteren
Hauptstamm des N. facialis und zur V. capitis lateralis, ausserdem
durch seine Beziehungen zur ersten Kiemenspalte bestimmt.
3. Der vom hinteren Hauptstamme des Facialis sich los-
trennende Nervenstrang kann nur die Uhorda tympani sein.
4. Der bei der Verschlussbildung der ersten Kiemenspalte
losgetrennte laterale Endteil derselben darf nicht für die ganze
Spalte angesehen werden.
Embryonalstadium VII.
Das Äussere des Embryos.
Dieser Embryo hat bei. seiner ausserordentlich stark aus-
geprägten Nackenbeuge eine kranio-kaudale Länge von ungefähr
14 mm. Eine Mundöffnung ist noch nicht vorhanden. An den
vorderen und hinteren Extremitäten kann man deutliche End-
platten wahrnehmen, ausserdem beginnt die Anlage des Rücken-
schildes sichtbar zu werden.
Nicht gerade bedeutende Unterschiede zur vorigen Serie
treten uns bei diesem Stadium entgegen. Die Labyrinth- und
Mittelohranlage lassen etwa folgendes Bila erkennen.
466 Noack:
Lateral vom Gehirn, mehr nach dorsal als nach ventral ver-
lagert, befindet sich die häutige Labyrinthanlage. Wir haben es
hier mit einem Stadium zu tun, auf dem alles schon vorhanden
und alles dabei soweit differenziert ist, dass man kaum mehr von
Taschen und Anlagen sprechen darf, sondern von embryonalen
Teilen des häutigen Labyrinthes.
Die pars inferior hat sich schon deutlich in den Sacculus
und die Cochlea gesondert. An der medialen Wand des Sacculus
mündet der Ductus endolymphaticus ein. Sacculus und Utrieulus
kommunizieren noch ganz frei mit einander, ein canalis utriculo-
saccularis ist also noch nicht vorhanden. Die pars superior
labyrinthi lässt nun schon deutlich die drei Bogengänge erkennen.
Diese ganzen Teile sind von anfangs spärlichem, später sich
immer mehr verdichtendem Knorpelblastem umgeben.
Über die umgebenden Organe ist folgendes zu bemerken.
Der N. trigeminus lässt nach seinem Austritt aus der Hirn-
blase wieder zwei deutlich von einander zu trennende gangliöse
Anschwellungen erkennen, von denen die eine den ziemlich starken
R. ophthalmieus zum Auge entsendet, die andere umfangreichere
dagegen die Rr. maxillares abgibt.
Von dem sich nun bald an der medialen Seite des Kapsel-
blastems zeigenden Ggl. acustico-faciale trennt sich wieder der
N. facialis ab. In latero-kaudaler Richtung durchzieht er die
ventrale Spitze des Blastems (Tafelfig. IX, N. fac.) und bildet
zwischen letzterem und der V. capitis lateralis sein eigenes
Ganglion (Tafelfiıg. X, Ggl. fac.). Das Verhalten der beiden Haupt-
äste dieses Ganglions ist genau wie in der vorigen Serie. Schon
vor dem Erscheinen des Facialis Ganglions sieht man in dieser
Serie den N. glossopharyngeus vom Gehirn aus ebenfalls latero-
kaudalwärts das Kapselblastem durchziehen und an der dorsalen
Spitze des Blastems sein Ganglion bilden (Tafelfig. IX, Ggl. gloss.).
Lateral vom Kapselblastem, von diesem durch die V. capitis
lateralis und die erste Kiemenspalte getrennt, liegt dicht unter
dem äusseren Epithel das rundliche Quadratumblastem (Tafelfig. IX,
Bl. Qu.). Die später sich im Quadratum bildende Höhlung, die
zur Aufnahme des tympanalen Raumes bestimmt ist, lässt sich
schon deutlich durch leichte zentrale Zellauflockerung im Blastem
erkennen. Dorsal von diesem Blastem zeigt sich die Öffnung der
ersten inneren Kiemenspalte (1. K. S.).
Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 467
Genau wie in der vorigen Serie lässt das Blastem des Laby-
rinthes medial von der V. capitis lateralis und vom hinteren
Facialisstamme einen dichteren Zellenkomplex erkennen (Tafelfig. IX,
Bl. Col.).. Wenige Schnitte weiter kaudalwärts, nachdem der
dorsale Facialisast zwischen Kapselblastem und Kiemenspalte nach
dorsal gezogen ist, dehnt sich dieser Zellenkomplex nach lateral-
wärts aus. Dadurch kommt er wieder an die dorsale Wand der
Kiemenspalte zu liegen, wo er als dichte, von dem umgebenden
Mesenchymgewebe scharf abgesonderte Blastemmasse zu erkennen
ist (Tafelfig. X, Bl. Col.). Der ganzen Form und vor allen Dingen
der ganzen Lage zu den umgebenden Organen nach kann ich
dieses Gebilde nur für das in der Entstehung begriffene Gehör-
knöchelchen halten.
Kaudalwärts von der ersten Kiemenspalte bemerkte ich jeder-
seits eine blastematöse Spange, die in der Medianlinie zusammen-
fliessen. Diese Elemente des Zungenbeinbogens treten erst auf,
nachdem von dem Columellablastem auf den Schnitten nichts mehr
zu bemerken ist, ein Zusammenhang zwischen diesen beiden An-
lagen war daher nicht zu konstatieren.
Der hintere Facialisstamm begibt sich wieder zu einer
Muskelanlage (Tafelfig. X, M VII), nachdem er vorher die Chorda
tympani abgegeben hat. Letztere durchsetzt ziemlich weit kaudal-
wärts die Gehörknöchelchen-Anlage, um sich ventral von der
Kiemenspalte zum Blastem des Quadratums zu begeben.
1. Als wichtigste Betrachtung dieser Serie wäre die vom
Gehörknöchelchen vollständig getrennte Anlage des Zungenbein-
bogens zu bemerken.
2. Die Anlage des Gehörknöchelchens ist durch seine dichtere
Zellschichtung sowohl gegen das Blastem der Labyrinthkapsel,
als auch gegen das umgebende Mesenchymgewebe ganz gut abzu-
grenzen.
Embryonalstadium g.
Der Embryo g war in der ursprünglichen Serienreihe noch
nicht vorhanden. Zwischen Emys VIII und IX war ein so grosser
Entwicklungsunterschied, dass wir uns nach einem Zwischenstadium
umsehen mussten. Durch die Freundlichkeit von Herrn Prof.
Koltzoff in Moskau ist es uns gelungen, diese Lücke in der
468 Noack:
Entwicklungsreihe zu überbrücken. Ich möchte daher nicht ver-
säumen Herrn Prof. Koltzoff für die freundliche Überlassung
einiger Embryonen aus seiner Sammlung meinen verbindlichsten
Dank auszusprechen.
Das Äussere des Embryos.
Der Embryo g hat eine Länge von 15 mm. Der Kopf hat
sich beträchtlich aufgerichtet, und es hat sich ein deutlicher
Hals herausgebildet. Immerhin ist aber die Nackenbeuge noch
gut zu erkennen. Die Extremitäten lassen an ihren Endplatten
eine deutliche Gliederung erkennen, auch die Ausbildung des
Rückenschildes hat Fortschritte gemacht.
Es ist dies das erste Stadium, bei dem gelblich schimmernde
Blastemkapseln um die epithelialen Labyrinthblasen auftreten.
Der Übergang der Kapseln in das Vorknorpelstadium ist noch
nicht überall eingetreten, sondern stellenweise bestehen sie noch
aus blastematösen Schichten. Oralwärts stehen die beiden Kapseln
durch einen epithelialen Bogen in Verbindung, in dem das bereits
auch knorplige Basi-sphenoid auftritt. Lateral von der Labyrinth-
kapsel liegt das Quadratum, dessen Blastem ebenfalls schon in
das Vorknorpelstadium übergegangen ist. Oralwärts vom Quad-
ratum tritt der ovale Querschnitt des Meckelschen Knorpels her-
vor. Alle Knorpelteile werden von einem dichten Blastemmantel
umhüllt.
Medial und etwas dorsal vom Auge treten zwei feine Nerven-
fasern zu einem gemeinsamen Stamm zusammen, der kaudalwärts
dann in das Trigeminus-Ganglion eintritt. Nach wenigen Schnitten
nun verlässt der uns schon bekannte R. ophthalmicus dasselbe
Ganglion, um sich nach vorn zum Auge zu begeben. Er kreuzt
auf seinem Wege einen dichten Nervenstrang, den Oculomotorius.
Aus dem langgestreckten Ganglion acusticum tritt wieder der
N. facialis heraus. Er schlingt sich um die orale Spitze der
Kapsel herum, an deren lateraler Seite er dann zum Ganglion
faciale anschwillt. Vom Hinterhirn trennt sich bald der N. glosso-
pharyngeus ab. Dicht bei dem Acusticus-Ganglion vorbei dringt
er in die Labyrinthkapsel ein und durchzieht sie in lateraler
Richtung. Durch einen eigenen Kanal kommt er an der lateralen
Kapselwand wieder zum Vorschein, um dann hier mit einem
Facialis- Aste unter Bildung einer gangliösen Anschwellung
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 469
eine Verbindung einzugehen. Dieser betreffende Facialis - Ast
(Tafelfig. XI, VITI— IX) kommt ventral vom hinteren Facialis-
stamm direkt aus dem Facialis-Ganglion und begibt sich in
geradem Verlauf zum Glossopharyngeus. Ausserdem treten dann
noch aus dem Gehirn die Wurzeln des Accessorio-vagus zu dem
gleichnamigen dicken Nervenstamm zusammen und einige Schnitte
hinterwärts aus der Medulla oblongata die beiden Wurzeln des
N. hypoglossus hervor.
Zwischen die Labyrinthkapsel und den Quadrat-Knorpel
schiebt sich nun die V. capitis lateralis, ventro-dorsalwärts nach
vorn ziehend. Dicht an ihrer lateralen Wand zeigt sich bald
das Lumen der ersten inneren Kiemenspalte, an ihrer medialen
Wand liegt das Ganglion faciale und von ihm ausgehend der
hintere Facialisstamm. Wenn letzterer Nerv eben etwa die Mitte
der lateralen Labyrinthwand passiert hat, beginnt diese Stelle der
Wand dicht an der ventralen Kante gegenüber der vorher erwähnten
Vene, allmählich sich mehr und mehr zu verdicken, bis sie schliess-
lich zu einem langen kegelförmigen Fortsatz nach lateralwärts
auswächst. Gegen die übrige Labyrinthwand ist die mediale
verbreiterte Partie der Columella, denn das ist der aus der
Labyrinthwand herauswachsende Zapfen (Tafelfıg. IX, Col.), durch
einen dichten Kranz etwas mehr rot gefärbter, also noch blas-
tematöser Zellen, abgesetzt. Das blinde Ende der Kiemenspalte,
die aus ihrer ursprünglichen aboralen Richtung abbiegt, und sich
mit dem Gehörknöchelchen nach. lateralwärts erstreckt, wird von
der Columella überragt. Die noch nicht verknorpelte verbreiterte
laterale Partie der Columella ist die sich bildende Insertions-
platte im Trommelfell, während die vorher erwähnte mediale -
Verbreiterung die Fussplatte bildet.
An der lateralen Wand der V. jugularis, zwischen ihr und
der für den hinteren Facialisstamm bestimmten Muskelanlage,
tritt der Zungenbeinbogen als ziemlich starke Knorpelspange auf.
Zwischen dem Rest der ersten und zweiten Kiemenspaite zieht
er in nach hinten offenem Halbbogen zur Medianlinie, wo er mit
dem Bogen der anderen Seite zusammen stösst. Irgend ein
Zusammenhang mit dem viel weiter nach vorn gelegenen Gehör-
knöchelchen war nicht festzustellen.
470 Noack:
l. Als wichtige Tatsache dieses Stadiums wäre die bereits
eingetretene Verknorpelung fasst aller Blastemteile und die Ana-
stomose des Facialis mit dem Glossopharyngeus durch einen direkt
aus dem Facialis-Ganglion kommenden Ast hervorzuheben.
2. Die Columella- Anlage lässt an ihren verdickten Enden
bereits die sich bildende Fussplatte und Insertionsplatte erkennen.
Beschreibung des Modells.
Die Labyrinthkapsel hat in diesem Stadium polyedrische
Form, man könnte sie vielleicht am besten mit einem dreiseitigen
liegenden Prisma vergleichen, das zwei grössere — eine mediale
N.hpgl. A.car int.
ventral
Fig. 1.
(Textfig. 1, 1) und. eine laterale (Textfig. 3, 2) — und eine
kleinere dorsale Fläche (Textfig. 2 und 3, 3) besitzt. Es wären
dann noch die vordere orale, auf den Abbildungen allerdings
nicht sichtbare, und die hintere aborale Grundfläche (Textfig. 2
und 3, 4) zu erwähnen, die aber nichts bemerkenswertes auf-
weisen. Auch von der kleineren, nach dorsalwärts gekehrten
Fläche ist nur zu bemerken, dass sie von medial nach lateral
leicht konkav ist und im Vergleich zu den anderen Wänden eine
noch ziemlich unebene Verknorpelung zeigt.
Während die Verknorpelung im allgemeinen bereits überall
eingetreten ist, lässt nur die mediale Seite noch zwei grosse
Lücken erkennen. Die grössere Lücke, nur teilweise vom Ganglion
acusticum (Textfig. 1, Ggl. act.) verdeckt, gewährt dem N. acusticus
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 471
und dem N. glossopharyngeus (Textfig. 1, N. gl.) Eintritt in das
Innere des Labyrinthes. Dicht am hinteren Rand der Lücke
dringt der letztere Nerv in das Innere des Labyrinthes, um den
Binnenraum der Kapsel in lateraler Richtung zu durchlaufen.
Nahe dem hinteren Rand der lateralen Kapselwand erscheint er
dann wieder (Textfig. 3, N. gl.) und geht dann hier die schon
vorher bei der Serienbeschreibung erwähnte Anastomose mit dem
betreffenden Facialisast (Textfig. 3, VIT—-IX) ein. Die kleinere an
der dorsalen Kante gelegene Lücke (Textfig. 1, F. D. e.) ist von
der grösseren nur durch eine schmale Knorpelspange getrennt.
Durch sie tritt der Ductus endolymphaticus zum häutigen
Labyrinth.
Die Labyrintnkapsel selbst steht mit den umliegenden
Knorpelteilen im engen Zusammenhang. WVentralwärts geht sie
ventral
VI
Alyınsn Col. vjgl.
Zbg.
Fig. 2.
in die Rathkeschen Trabekel (Textfig. 1, R. Tr.) über, die als
ein vorübergehendes Verknorpelungsstadium der mesenchymalen
Skelettanlage bekanntlich den Knorpelboden für das Gehirn bilden.
Nach vorn gehen die Trabekel in diejenigen Knorpelteile über,
die zur Begrenzung der lateralwärts davon gelegenen Augenhöhle
dienen, während medialwärts von ihnen das Vorderhirn liegt.
Im wesentlichen bilden sie die knorpelige Anlage des Parietale
(Textfig. 1—3, Par.). Zwischen der Labyrinthkapsel und den
eben erwähnten Knorpelteilen ist ein freier Raum ausgespart für
das mächtige Trigeminus-Ganglion (Ggl. trg.) mit zwei in das
Ganglion hereintretenden Wurzeln, einer vorderen dorsalen und
472 Noack:
einer hinteren ventralen. Von der lateralen Seite des Ganglions
tritt nach vorn der R. ophtalmieus (Textfig. 2, R. opht.) ab, während
der hintere Abschnitt des Ganglions nach lateralwärts den gemein-
samen Stamm des R. supra et inframaxillaris (Textfig. 2, Rr. m.)
entsendet. Nach kaudal schliesst sich an die Rathkeschen Trabekel
die knorplige Anlage des Oceipitale laterale (Textfig. 1—3, O. 1.)
und an diese wieder die der Wirbel (W.) an. Zwischen der Kapsel
und dem Oceipitale laterale befindet sich das Foramen internum
pro nervo vago et accessorio, das in lateraler Richtung von den
beiden vereinigten Nerven (Textfig. 1, N. vg. acc.) durchzogen
wird. Ausserdem wird das Oceipitale laterale etwas weiter kaudal-
wärts dann noch von dem Canalis pro nervo hypoglosso (Textfig. 1,
N. hpgl.) durchbohrt.
Betrachten wir jetzt das Modell von der lateralen Seite,
so wird uns durch das Quadratum (Textfig. 2, Qu.) die laterale
Labyrinthwand (2) fast vollständig verdeckt. Erst nach Ent-
fernung dieses Knorpelteiles zeigt sie sich uns als ziemlich ebene
Fläche, aus der an der ventralen Kante konusartig die Columella
(Textfig. 2 und 3, Col.) hervorwächst. Die kolbig verdickte mediale
Partie des Gehörknöchelchens bildet die Anlage der Fussplatte,
die verbreiterte laterale Partie die Anlage der Insertionsplatte.
Beide Teile werden durch einen kompakten, leicht gebogenen
Stiel verbunden. Dieser läuft zwischen den beiden hinteren
Zweigen des Facialis-Ganglions hindurch, ventral von ihm läuft
der-Verbindungszweig zum Glossopharyngeus (Textfig. 3, VII—IX),
dorsal von ihm der hintere Hauptstamm des Facialis (Textfig. 3,
VII r.d.). Letzterer gibt an der aboralen Seite der Columella
die Chorda tympani (Textfig. 2 und 3, Ch. ty.) ab, die, um in
das Gebiet des Kieferbogens zu gelangen. nun wieder über die
dorsale Seite des Stieles hinweg sich nach oralwärts begeben muss.
Das Quadratum selbst, noch ziemlich unregelmässig ver-
knorpelt, zeigt bereits die noch unvollkommene, nach lateral-
wärts weit offene Höhlung, die später zur Aufnahme der Pauken-
höhle dient. Deshalb ragt auch von medial die erste innere
Kiemenspalte (Textfig. 2, 1. K. S.) mit ziemlich breiter Aussackung
in die Quadrathöhlung, wenn man sie als solche bezeichnen darf,
hinein. Zwischen Quadratum und lateraler Labyrinthkapselwand
verlaufen nun die grösseren Gefässe. Die V. capitis lateralis
fliesst als mächtig weiter Venensinus, ebenso wie es Rathke in
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 473
der Entwicklungsgeschichte der Natter angibt, etwas hinter dem
Auge aus zwei Gefässen zusammen. Von ventral ergiesst sich
in sie die V. facialis (Textfig. 2, V. fac.), die von vorn aus dem
Gebiet des Oberkieferfortsatzes kommt, von dorsal die V. cerebralis
(Textfig. 2, V. erb.), die allerdings auch von vorn, aber mehr von
innen kommt. Nur bezeichnet Rathke das so gebildete Gefäss
dann schon als V. jugularis, während ich nach Hochstetter
diesen vorderen Abschnitt lieber mit V. capitis lateralis bezeichnen
möchte. Dicht vor der Ohrkapsel nimmt die Vene dann noch
einen kleineren Ast auf und läuft dann über der Columella und
dorsal par
? 2 I
TER
E
UR/Chb,
>
4
Nvg.ace, ventral
N.hpgl,
Acarint Col. nal. €
Fig. 3:
der ersten Schlundspalte, dorsal und lateral vom Facialisstamme
bis zum hinteren Ende der Ohrkapsel, wo sie sich lateral von den
Ganglien der Vagusgruppe in die V. jugularis ergiesst. Ventral
von der V. capitis lateralis, derselben ziemlich parallel, verläuft
die A. carotis interna (Textfig. 1 und 3, A. car. int... Vorn liegt
sie dem Dach der Mundbucht (Textfig. 1, Mb.) dicht auf.
Lateral von der V. jugularis und ein beträchtliches Stück
ventral von der Columella befindet sich ein Knorpelstück (Textfig. 2,
Zbg.), das den hinteren Abschnitt des Zungenbeinbogens darstellt.
Ohne irgend wie eine Annäherung an die Columella zu suchen,
würde es sich bei vollständiger Rekonstruktion bogenförmig nach
medialwärts erstrecken.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 32
474 Noack:
Embryonalstadium IX.
Das Äussere des Embryos.
Die Länge dieses Embryos beträgt 16 mm. Er lässt nun
unzweifelhaft die typische Schildkrötengestalt erkennen, wenn
auch Kopf und Hals dem Rumpf gegenüber noch sehr gross sind.
Die Nackenbeuge hat sich fast ganz zurückgebildet. Eine deut-
liche Schnauze ist zur Ausbildung gekommen, an der man nun
auch schon äusserlich den Unterkiefer wahrnehmen kann.
Auf diesem Stadium treten zum ersten Male Spuren von
Belegknochen und deutlich erkennbare Muskelplatten auf. Das
häutige Labyrinth ist jetzt allseitig von einer kompakten Knorpel-
kapsel umgeben. Im Inneren der Kapsel sind zwischen den
häutigen Bogengängen trennende Knorpelsepten bemerkbar.
Noch bevor auf den Schnitten irgend etwas von der Labyrinth-
kapsel zu sehen ist, fällt schon das mächtig entwickelte Trigeminus-
Ganglion ins Auge. Überhaupt lässt diese Serie schon eine viel
regelrechtere Anordnung der einzelnen Organe zu einander er-
kennen, ich möchte damit sagen, dass der embryonale Charakter
schon vielmehr geschwunden ist. Der R. ophthalmieus verläuft
jetzt vom Trigeminus-Ganglion aus als sehr dünner Strang nach
vorn und dorsal. Auf diesem Wege kreuzt er sich mit dem
N. oculomotorius, der ganz in seiner Nähe das Ggl. ciliare bildet,
von dem -auch er Fasern in seine Bahn aufnimmt. Dann setzt
er nach Abgabe feiner Aeste zum Augapfel hin seinen Weg nach
vorn zur Nasenhöhle fort. Kurz nachdem der R. ophthalmicus
das Trigeminus-Ganglion verlassen hat, geht noch ein zweiter
feiner Ast vom Ganglion nach vorn ab. An der lateralen Seite
der V. cerebralis gabelt er sich. Der schwächere Teil läuft
ventral am Auge entlang, während der stärkere Teil sich mit
der erwähnten Vene zusammen auf die dorsale Fläche des Aug-
apfels begibt. Es ist das der auch schon von Bronn angegebene
vierte Trigeminusast, der zur Innervation des M. depressor palpebrae
superioris et inferioris dient.
Der R. supramaxillaris und inframaxillaris entspringen jetzt
nicht mehr mit einer gemeinsamen Wurzel, sondern getrennt
voneinander, der eine mehr dorsalwärts und hinten, der andere
mehr ventralwärts und vorn. Das Ganglion selbst hat seine bei
den jüngeren Stadien konstatierte Zweiteilung aufgegeben und
Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 475
bildet nunmehr ein zusammenhängendes Ganze. Kaum hat sich
der Knorpelbogen hinter dem Rest des Trigeminus-Ganglions ge-
schlossen, so tritt lateral von der vorderen Spitze der Labyrinth-
kapsel das Fascialis-Ganglion auf, das etwas weiter kaudalwärts
durch ein sich von neuem im Knorpelbogen öffnendes Loch den
vom Gel. acusticum kommenden N. facialis aufnimmt. Nachdem
das Ggl. facialis den vorderen Hauptstamm abgegeben hat, setzt
es sich direkt in den hinteren Hauptstamm (Tafelfig. XII, VII r. d.)
fort, der immer dicht an der Wand der V. capitis lateralis (Tafel-
fig. XII, V. ec. 1.) kaudalwärts zieht. Von der Mundbucht beginnt
sich nun zwischen die Labyrinthkapsel und das bedeutend grösser
gewordene Quadratum die erste Kiemenspalte (Tafelfig. XII, 1. K.S.)
vorzustülpen, die bald umbiegt und zusammen mit der aus der
Labyrinthwand herauswachsenden Columella nach lateralwärts
zieht. Die Columella ist, wegen der eingetretenen Biegung des
Stieles, auf dem Schnitt (Tafelfig. XII), dreimal getroffen. Der
Stiel (St. Col.) und die laterale kolbige Verdickung der Columella
mit der Insertionsplatte (In. Col.) werden zu beiden Seiten von
Elementen der ersten Kiemenspalte umgeben, die die sich
bildende Paukenhöhle (Pk.) darstellen. Immer noch steht die
Fussplatte (Fp. Col.) mit der Labyrinthwand in engem Zusammen-
hang. Zwar ist durch mehr bindegewebige Zwischenschichten
eine Unterscheidung der Fussplatte vom Labyrinthknorpel möglich,
immerhin hat aber die Bildung des Foramen ovale noch nicht
stattgefunden, demnach auch noch nicht die vollständige Los-
trennung des Gehörknöchelchens von seiner Bildungsstätte.
Ventral von der Trachea liegt der Zungenbeinbogen. Weit
kaudalwärts von der Columella schiebt er sich erst nach dorsal-
wärts hinauf.
1. Bei der nochmaligen kurzen Zusammenfassung der wich-
tigsten an diesem Stadium gewonnenen Beobachtungen wäre
zunächst das Auftreten von Belegknochen und von deutlicher
Körpermuskulatur hervorzuheben.
2. Wenn auch die Elemente des Gehörknöchelchens gegen
den Labyrinthknorpel durch Zwischenschichten bereits abgrenzbar
sind, so kann man doch immer noch den Zusammenhang zwischen
diesen beiden Organen konstatieren.
32*
476 Noack:
3. Der R. ophthalmicus nimmt in seine Bahn Fasern vom
Ggl. eiliare des N. oculomotorius auf.
4. Im Gegensatz zu den Beobachtungen der jüngeren Stadien
haben die Rr. maxillares von jetzt ab einen getrennten Ursprung.
Das Trigeminus-Ganglion hat dagegen seine Zweiteilung auf-
gegeben.
5. Die Erweiterung des lateralen blinden Endes der ersten
inneren Kiemenspalte deutet auf den Beginn der Paukenhöhlen-
bildung hin.
Beschreibung des Modells.
An diesem Modell ist die Gestalt der Labyrinthkapsel.
ebenso die Form fast aller anderen Gebilde im Vergleich zum
x N
girl
r
jüngeren Modell beträchtlich verändert. Die knorplige Labyrinth-
kapsel, die bis auf die Foramina für die betreffenden Nerven und
den Ductus endo-Iymphaticus an der medialen Seite sonst überall
geschlossen ist, zeigt an ihren Wänden Hervorwölbungen und
Einsenkungen, die durch die vorgeschrittene Ausbildung der
häutigen Bogengänge bedingt werden. Vorn schliesst sich an
die Kapsel die knorplige Anlage des Pterigoideum (Textfig. 4, Ptg.)
an, die dem Dach der Mundbucht (Mb.) aufgelagert der Chorda
dorsalis zur Stütze dient. Auf der vorderen Spitze der Kapsel
liegt das Trigeminus-Ganglion (Textfig. 5, Ggl. trg.). An der
lateralen Seite sieht man aus ihm voneinander getrennt den
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 477
R. supramaxillaris (R. spm.) und .den R. inframaxillaris (R. ifm.)
entspringen. Letzterer gabelt sich nach seinem Ursprung sofort
in einen vorderen und hinteren Ast, von denen der erstere nach
vorn an die laterale Seite des Meckelschen Knorpels zieht,
während der andere die in der Nähe befindliche Muskulatur auf
dem Quadratum zu versorgen scheint. An der medialen Kapsel-
wand befindet sich zu oberst das Ggl. acusticum (Textfig. 4, Ggl.
act.). Ins Innere der Kapsel lässt es den Hörnerven eintreten,
von seiner vorderen dorsalen Spitze entsendet es dagegen durch
ein besonderes Loch im Knorpelbogen nach lateralwärts den
N. facialis zu seinem Ganglion. Eine längliche Öffnung (Textfig. 4,
z gem
vjgı
/ventral VIrd-K
F.D.e.) in der Kapselwand, ventral vom Acusticus-Ganglion,
wird, wie die Schnittserie lehrt, vom Ductus endo-lymphaticus
durchzogen. Durch zwischenliegende Knorpelmassen vom Acusticus-
Ganglion jetzt weit nach ventral verschoben sehen wir den N.
glossopharyngeus (Textfig. 4, N. gl.) in die Kapsel eindringen, die
er, um zu seinem Ganglion zu gelangen, in lateraler Richtung
durchlaufen muss. An die Kapsel selbst schliesst sich nach ventral
das Occipitale laterale (Textfig. 4, O.1.) an. Zwischen beiden Or-
ganen bleibt wieder das Foramen internum für den N. vagus et
accessorius offen. Die laterale Seite des Modells (Textfig. 5) zeigt
uns hauptsächlich wieder den jetzt schon ziemlich kräftig ent-
wickelten Quadratknorpel (Qu.) der von der Labyrinthkapsel (L.K.)
478 Noack:
nur die hintere Partie sichtbar lässt. Nach oben setzt sich das
Quadratum in das knorplige Prooticum (Pro.) fort, dessen
knöcherne Anlage (Kn.1.) bereits vor ihm zu erkennen ist. Durch
den Gelenkspalt schon deutlich getrennt schliesst sich nach oral-
wärts an das Quadratum der lange stabförmige Meckelsche
Knorpel (M.K.) an.
Das Quadratum selbst nun erinnert mit seiner tiefen nach
lateralwärts offenen Höhlung schon stark an den ausgewachsenen
Zustand. An seinem hinteren lateralen Ende tritt ebenfalls
schon die Verknöcherung (Kn. 2) auf. Das laterale Ende der
mit der Mundbucht (M. B.) noch durch weite Kommunikation im
Zusammenhang stehenden Kiemenspalte (1. K. S.) liegt nun nicht
mehr nur neben der mit ihr zusammen von medialwärts kommenden
Columella (Col.), sondern hat bereits begonnen das Gehör-
knöchelchen zu umwachsen. Dorsalwärts hat sie sich über die
kolbige Endverdickung des Gehörknöchelchens hinweggeschoben
und lässt durch die Aussackung an ihrem blinden Ende das Be-
streben erkennen sich noch weiter nach dorsalwärts in die Aus-
höhlung des Quadratums hineinzuschieben, um hier in der
Quadrathöhlung die epitheliale Auskleidung, mit anderen Worten
die Paukenhöhle zu bilden. Zwischen Quadratum und Labyrinth-
kapsel treffen wir nun wieder die grossen Gefässe und wichtigen
Nerven an. Von den Gefässen, deren Verlauf mehr ein ventro-
dorsaler geworden ist, gibt die A. carotis interna (Textfig. 6)
ventral vom Gehörknöchelchen einen Ast nach hinten zwischen
Quadratum und Labyrinthkapsel ab. Auch die V. capitis lateralis,
die jetzt einen, das Trigeminus-Ganglion dicht umspinnenden, aus
der Vereinigung der V. cerebralis und mehrerer kleinerer Venen
entstehenden mächtigen Venensinus bildet, entsendet in der Höhe
des hinteren Endes des Quadratums einen umfangreichen Ast
nach dorsalwärts auf die Labyrinthkapsel (Textfig. 5). Das
Facialis-Ganglion setzt sich nach kaudalwärts wieder in den
hinteren Facialisstamm fort. Nach Überschreitung des Columella-
stieles gibt dieser einen Ast ab (Textfig. 5 und 6, VIlr.d.-IX),
der ventral vom Columellastiel wieder nach vorn verläuft und
sich mit einem direkt vom Facialis-Ganglion kommenden Ast
medial von der Abzweigungsstelle des vorher erwähnten Carotis-
astes vereinigt. Die vereinigten Facialisäste bilden dann die be-
kannte Anastomose mit dem Glossopharyngeus-Ganglion, doch
Über die Entwicklung des Mittelohres ete, 479
spielt wohl der stärkere direkte Ast die Hauptrolle dabei. Der
hintere Hauptstamm läuft nach Abgabe des erwähnten Astes
etwas nach lateralwärts und hinten. Die Chorda tympani (Text-
fig. 5 und 6, Ch. ty.) läuft von ihm aus an der aboralen Seite
der Columella bis zu der lateralen kolbigen Verdickung derselben,
dringt hier von ventral in die Knorpelmasse des Gehörknöchelchens
ein, durchzieht es in schräg dorsaler Richtung, um sich dann an
der Spitze der ersten inneren Kiemenspalte vorbei auf die innere
Seite des Meckelschen Knorpels zu begeben. Zum Schluss der
Betrachtungen dieses Modells möchte ich dann noch erwähnen,
VIrd. Wrd:K \ ty.
Fig. 6.
dass in der Nähe der Fussplatte der Columella eine einzige
kleine Lücke im Kapselknorpel auf die beginnende Lostrennung
des Gehörknöchelchens von der Labyrinthkapsel hindeutet.
Embryonalstadium X—-XIV.
Die Beschreibung der Befunde der folgenden Embryonen
von 17, 19, 24, 26 und 28 mm möchte ich jetzt nicht mehr im
einzelnen vornehmen, da ja die Entwicklung der hauptsächlich in
Frage kommenden Mittelohrgebilde so ziemlich abgeschlossen ist,
es sich demnach nur noch um verhältnismässig geringfügige Ver-
änderungen handelt, die auch bei einer zusammenfassenden Be-
schreibung genügend hervorgehoben werden können.
Äusserlich lassen die Embryonen gegen die vorhergehenden
eben hauptsächlich nur durch die Grössenunterschiede, den sich
480 Noack:
immer regelmässiger gestaltenden Kopf, die fortgeschrittene Aus-
bildung der Extremitäten, Abweichungen erkennen.
Sehr eingehend habe ich mich gerade bei diesen Embryonen
mit den Nervenverhältnissen beschäftigt, deswegen möchte ich
auch die zusammenfassende Beschreibung meiner Befunde hierüber
an erster Stelle mitteilen.
Zunächst fielen in den Serien ziemlich weit oralwärts, vom
Trigeminus-Ganglion und der Labyrinthkapsel war auf den
Schnitten noch nichts zu erkennen, dagegen war das Auge noch
im ganzen Querschnitt zu sehen, konstant zwei Nervenquer-
schnitte auf. Beide erstrecken sich nach oralwärts zum Auge
hin, wo sich der mehr lateral gelegenere Nerv in zwei feine Äste
gabelt. Kaudalwärts rücken sie immer dichter aneinander, um
schliesslich ziemlich zu gleicher Zeit in das Trigeminus-Ganglion
einzutreten. Der mehr medial verlaufende Ast ist der schon
vorher mehrmals erwähnte R. ophthalmicus, der auf seinem Weg
zur Nasenhöhle hin mit dem Gel. eiliare anastomosiert. Der andere
steilt den R. palpebralis superior et inferior dar. Stets ist erin
der Nähe der V. cerebralis anzutreffen, nach deren Verästelung
er dann ebenfalls seine Teilung vollzieht; der schwächere Strang
verliert sich ventral vom Auge in seiner Muskulatur, der stärkere
aber setzt mit einem Ast der Vene zusammen seinen Weg noch
weiter nach dorsalwärts fort.
Nachdem die beiden erwähnten Nerven das Trigeminus
Ganglion erreicht haben, verlässt einige Schnitte weiter kaudal-
wärts ein nicht gerade sehr starker Nervenast das Ganglion.
Nach ventral und oral sich begebend geht er unter schleifen-
förmiger Umbiegung seine Verbindung mit dem R. palatinus des
Facialis-Ganglions ein, der von kaudalwärts kommend sich immer
in der Nähe der knöchernen Pterygoideus-Anlage hält. Auch bei
Bronn wird schon dieser R. recurrens ad nervum facialem erwähnt,
jedoch soll er nicht direkt aus dem Trigeminus-Ganglion kommen,
sondern wird als R. communicans rami supra maxillaris nervi
trigemini bezeichnet.
Diese drei beschriebenen Äste kommen hoch oben aus der
dorsalen Spitze des Ganglions, während die beiden Kieferäste
aus der mehr verdickten ventralen Partie entspringen. Trotz-
dem ist es nicht möglich, die in der Jugend festgestellte Zwei-
teilung des Ganglions aufrecht zu erhalten. Es fehlt nicht an
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 481
Zwischenstadien, bei denen durch die verschiedene Faserschichtung
die beiden dicht an einander liegenden Abschnitte des Ganglions
noch zu unterscheiden sind. Später findet aber eine so innige
Verflechtung der verschiedenen Nervenbahnen statt, dass man nur
noch von einem einzigen zusammenhängenden Trigeminus-Ganglion
sprechen kann. Den wichtigeren von den beiden Kieferästen, den
R. infra maxillaris, konnte ich nach Durchquerung einer breiten
Muskelmasse ventro-lateralwärts bis zum Meckelschen Knorpel
verfolgen. In einem freien Raum zwischen diesem und den ihn
umgebenden Knochenlamellen, also in dem sich bildenden Unter-
kieferkanal, ist sein Querschnitt als R. alveolaris inferior leicht
aufzufinden.
Das Facialis-Ganglion, das nun als nächstes auf den Quer-
schnitten erscheint, steht nach medialwärts mit dem sich auch
bald zeigenden Acusticus-Ganglion durch den N. facialis in Ver-
bindung. Von vorn tritt der R. anterior s. palatinus in das
Ganglion ein, nach hinten setzt es sich direkt in den R. posterior
fort, der über die Columella hinweg nach kaudalwärts verläuft.
Dicht an der vorderen Seite des Gehörknöchelchens verlässt ein
feiner Nervenstrang den R. posterior (Tafelfiıg. XIII, VII r. d.),
die schon vorher mehrmals erwähnte Chorda tympani (Tafelfig. XIII,
Ch. ty.). Während sie bei den jüngeren Embryonen an der aboralen
Seite der Öolumella weit nach lateral ziehend die kolbige End-
anschwellung des Gehörknöchelchens durchsetzt, kreuzt sie bei
den älteren Stadien viel weiter medial den Columellastiel. Sie
zieht nun nicht mehr an der äusseren lateralen, sondern an der
medialen Wand des Quadratums entlang, über die Tubenanlage
hinweg zur medialen Seite des Meckelschen Knorpels, wo sie
zwischen diesem und einer an dieser Seite bald auftretenden
Knochenlamelle, anfangs in einer Rinne des Knochens, eine Art
halboffenen Kanal, als feiner Nervenquerschnitt weit nach vorn
zu verfolgen ist. Mittlerweile hat sich nun der Knorpel an
allen Seiten mit Knochenlamellen umgeben und lässt in dem so
gebildeten Unterkieferkanal den vorher erwähnten R. alveolaris
inferior erkennen. Hier in dem Kanal findet auch die Ver-
einigung der Chorda tympani mit dem Unterkieferast statt.
Letzterer teilt sich in drei Äste, der innere verbindet sich mit
der Chorda tympani und dringt von dem nun an der medialen
Seite wieder vollständig von Knochenlamellen entblössten Knorpel
482 Noack:
fort zwischen die Muskulatur des Bodens der Mundhöhle. Der
mittlere Ast schlingt sich zwischen der einzigen an der lateralen
Seite übrig gebliebenen Knochenlamelle und dem Knorpel um
letzteren herum und zieht nun an der unteren Seite des Knorpels
ebenfalls zur Muskulatur. Nur der äussere Ast bleibt innerhalb
des Unterkieferknochens auf der dorsalen Seite übrig. Die Haupt-
masse des R. posterior selbst aber verläuft noch eine ganze Strecke
nach kaudalwärts und verliert sich dann in eine ventral vom
Quadratum gelegene Muskelmasse, die jedenfalls den M. sqamoso-
maxillaris darstellt. Bevor er aber in die Muskulatur eindringt,
gibt er Fasern zu dem gleich zu beschreibenden dritten Facialisast
ab. Bei den jüngeren Embryonen verlässt dieser Nervenzweig
nur wenig früher als die Chorda tympani, also ziemlich weit kaudal-
wärts den hinteren Facialis-Hauptstamm, bei den älteren Embryonen
nur kurze Zeit nach dem Austritt des Hauptstammes aus dem
Ganglion. Wegen dieser Verschiebung machte mir auch das Auf-
finden dieses rücklaufenden Nerven bei dem ältesten Embryo, bei
dem er einen ganz dünnen unscheinbaren Ast darstellt, ziem-
liche Mühe.
Kurz nachdem der R. palatinus in. das Facialis-Ganglion
eingetreten ist, verlässt nun der dritte Ast (Tafelfig. XII,
VII—IX) dieses Ganglion. Ventral vom Pterygoideum zieht er
mit der beträchtlich verengten A. carotis interna (Tafelfig. XIII,
A. car. int.) zusammen kaudalwärts. An der lateralen Seite der
Arterie findet auch die Vereinigung mit dem eben erwähnten
Ast des R. posterior des Facialis statt. Nachdem nun der von
medial nach lateral und kaudal die Labyrinthkapsel durchziehende
N. glossovaryngeus an der lateralen Kapselwand das Ggl. petrosum
gebildet hat, treten die vereinigten Facialiszweige in dieses
Ganglion ein.
Der N. vago-accessorius bildet nach seinem Durchtritt durch
sein Foramen das Ggl. radieis nervi vagi, das von dem Ggl.
petrosum des Glossopharyngeus zwei umfangreiche Äste empfängt.
C.K. Hoffmann lässt diese Verbindungsäste zwischen diesen
beiden Ganglien in umgekehrter Weise aus dem Vagus-Ganglion
abstammen, aus welchem Grunde ist mir nicht klar; ich sehe sie
deutlich aus dem Ganglion petrosum kommen und in das rundliche
Gel. radieis nervi vagi eintreten. Aus der Medulla oblongata
sieht man nun schliesslich die beiden Wurzeln des N. hypoglossus
Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 483
kommen. Nach ihrer Vereinigung laufen sie dicht neben einem
dicken Ast, der die Fortsetzung des Gel. radicis bildet. Den
weiteren genaueren Verlauf dieser Nervenäste zu schildern würde
den Rahmen dieser Arbeit überschreiten.
Betrachten wir nun den Gehörapparat dieser Stadien, so
finden wir, dass die Labyrinthkapsel (Tafelfiıg. XIII, L. K.) an der
medialen Seite bis auf die meist sehr kleinen Eintrittsöffnungen
für Nerven, ein Gefäss und den Ductus endo-Iymphaticus bei
allen fünf Embryonen vollständig geschlossen ist. Die laterale
Seite lässt dicht an ihrer ventralen Spitze eine grosse Öffnung,
das Foramen orale erkennen, das sich durch die bei den älteren
Embryonen jetzt ziemlich schnell erfolgte vollständige Los-
trennung ‘der Fussplatte der Columella (Tafelfig. XIII, Fp. Col.)
von der Labyrinthwand gebildet hat. Die Knorpelmasse nicht
nur der Kapsel, sondern auch der anderen Organe, besteht aus
reifem embryonalen Korpel, der von einem intensiv rot gefärbten
dichten Bindegewebssaum umgeben wird. Dieser bildet eine
Scheidegrenze zwischen dem Primordialeranium und den sich nun
an vielen Stellen zeigenden Deckknochen. Lateral von der Kapsel
liegt das tief ausgehöhlte Quadratum (Tafelfig. XIII, Qu.), das, je
höher wir in der Entwicklungsreihe hinaufsteigen, immer deut-
licher den grössten Teil der Paukenhöhlenanlage (Tafelfig. XIII,
Pk.) in seinem Hohlraum erkennen lässt. Die Aussackung, die
wir bei dem Embryo IX an der Spitze der ersten inneren Kiemen-
spalte beobachten konnten, war das erste Zeichen zur Bildung
der Paukenhöhle. Jetzt können wir sie nun bei dem ältesten
Embryo schon deutlich im Quadratum erkennen, und erst nach
mehreren Schnitten öffnet sich in sie vom Rachen her die bereits
bedeutend verengte erste innere Kiemenspalte, die man jetzt
schon eher als Tubenanlage (Tafelfıg. XIII, Tb.) bezeichnen kann.
Die Columella, mit ihrer Fussplatte im Foramen ovale durch
bindegewebige Massen befestigt, erstreckt sich zwischen der
hinteren Wand des Quadratums und der Tubenanlage hindurch
nach lateralwärts, sodass ihre Insertionsplatte (Tafelfig. XIII, In.
Col.) mit der lateralen Quadratwand in eine Flucht zu liegen
kommt.
484 Noack:
Vielleicht darf ich an die bei diesen letzten Embryonen
gemachten Beobachtungen gleich die Resultate derjenigen Be-
trachtungen, die ich über die in der Nähe der Labyrinthkapsel
befindlichen Nerven angestellt habe, anschliessen. Und zwar
möchte ich hier nur einige Befunde, die ©. K. Hoffmann in
Bronns „Klassen und Ordnung des Tierreiches“ anders oder gar
nicht angibt, kurz mitteilen:
1. Aus dem vom Acusticus-Ganglion deutlich getrennten
Ganglion-faciale s. geniculi konnte ich ausser dem R. palatinus
s. anterior und dem R. posterior noch einen dritten Ast heraus-
treten sehen. An der ventralen Seite des knorpligen Ptery-
goideums entlang läuft er nach kaudalwärts zum Ggl. petrosum
des N. glossopharyngeus, vorher empfängt er noch Verstärkungs-
zweige vom R. posterior des Facialis. Hoffmann spricht zwar
auch von einer Anastomose zwischen N. glossopharyngeus und
Facialis, bezeichnet sie aber als einen sympathischen Zweig, den
der R. palatinus aufnehmen soll.
2. Wohl aber kann ich die Anastomose zwischen dem R.
palatinus und Trigeminusfasern bestätigen, sehe letztere aber
nichtt vom zweiten Trigeminusast, sondern direkt aus dem
Trigeminus-Ganglion kommen.
3. Eine Anastomose zwischen Facialis und Abducenz konnte
auch ich nieht beobachten.
4. Gar keine Erwähnung findet aber bei Hoffmann die
vom hinteren Facialisaste kommende Chorda tympani. Ihren
Verlauf habe ich in der zusammenfassenden Beschreibung der
ältesten Stadien genau geschildert, möchte deswegen hier nicht
noch einmal näher darauf eingehen.
5. Die Verbindung zwischen Ggl. petrosum und Ggl. radieis
nervi vagi glaube ich für Glossopharyngeus-Elemente ansehen zu
müssen.
Zusammenfassung der Ergebnisse.
Meine Untersuchungen über die Entwicklung des Mittel-
ohres, vor allen Dingen aber über die Entstehung des Gehör-
knöchelchens haben mich zu den folgenden Resultaten geführt.
Das Gehörknöchelchen stellt in der jüngsten von mir be-
obachteten Anlage einen verdichteten Zellenkomplex der blaste-
za
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 485
matösen Kapsel dar, der in dem kaudalen Ende der Kapsel
auftritt. Zapfenartig dehnt sich dieser Komplex von hier aus an
der Wand der ersten inneren Kiemenspalte nach lateralwärts aus,
bis er das blinde Ende der Spalte nur wenig überragt. Nie ist
es mir bei meinen Beobachtungen gelungen auch nur den
geringsten Zusammenhang des Columellablastems mit dem Blastem
des Zungenbeinbogens zu konstatieren, deswegen muss ich der
Schildkröten-Columella jedweden hyalen Ursprung absprechen.
Mit dieser Meinung stehe ich im direkten Widerspruch zu
den Ergebnissen zahlreicher anderer Arbeiten, die die Columella-
Frage meist der Lepidosaurier behandeln. Der von Rathke,
Gaupp und noch mehreren anderen Autoren ausgesprochene
hyale Ursprung der Sauropsiden-Columella ist, wie ich in der
Einleitung bereits angegeben habe, auch neuerdings wieder von
Versluys jr. für die Lacertilier ausgesprochen worden. Trotz-
dem ich nun gerade bei den jüngsten Stadien mein ganzes Augen-
merk darauf gerichtet hatte, ist es mir dennoch nicht gelungen,
den Zusammenhang des Columellablastems, wie es Versluys in
seinen Abbildungen zeigt, mit dem Blastem des Zungenbeinbogens
festzustellen.
Aus dem oben Gesagten ist es vielmehr ersichtlich, dass
ich das Gehörknöchelchen für eine rein labyrinthäre Bildung halte.
Mit dieser Meinung schliesse ich mich der kürzlich von Moeller
geäusserten Ansicht über die Entwicklung des Gehörknöchelchens
bei der Kreuzotter und Ringelnatter vollständig an.
Durch meine Befunde werde ich auch gezwungen, die in
der Einleitung von C.K. Hoffmann für Lacerta angegebene
gemischte Entstehung der Columella aus dem Labyrinth und dem
Zungenbeinbogen für die Schildkröten zu verneinen. Denn erstens
ist es mir, wie vorher schon erwähnt wurde, niemals gelungen,
zwischen dem Blastem des Gehörknöchelchens und derjenigen
blastematösen Spange, die dem Zungenbeinbogen zum Ursprung
dient, einen Zusammenhang zu konstatieren, zweitens war nie-
mals in der ganzen Entwicklungsreihe eine Gliederung der Anlage
des Gehörknöchelchens, aus der man auf eine gemischte Ent-
stehungsmöglichkeit hätte schliessen können, festzustellen.
Der Zusammenhang nun des Gehörknöchelchens mit der
lateralen Labyrinthwand bleibt lange Zeit bestehen, erst ziemlich
spät, nach bereits vollständig eingetretener Verknorpelung, kommt
456 Noack:
es zur Ausbildung des Foramen ovale. Nach der Verknorpelung,
die von der Fussplatte aus einzutreten scheint, stellt die Colu-
mella ein einheitliches Gebilde dar, das in meinem ältesten
Stadium etwa folgende Gestalt hat. Das Foramen ovale ver-
schliesst die an ihrer ventralen Seite von der Labyrinthwand
überragte Fussplatte ziemlich genau. Sie stellt eine rundlich
ovale, nicht zu grosse, aber verhältnismäßig dicke Platte dar,
aus der konusartig der Columellastiel herauswächst. Letzterer
verjüngt sich nach lateralwärts sehr stark und erfährt kurz vor
dem Ansatz der Insertionsplatte eine beinahe rechtwinklige Knickung
nach dorsalwärts. Die Insertionsplatte der Columella hat ihren
grössten Durchmesser in dorso-ventraler Richtung. Nach ventral-
wärts verkleinert sich ihr Querdurchmesser unterhalb des Stieles
ziemlich plötzlich. Diese untere Partie der Insertionsplatte möchte
ich daher eher als einen Pre. ventralis auffassen, der an seinem
Ende knieförmig nach medialwärts umbiegt.
Die Entwicklung der Paukenhöhle nun leitet sich von der
ersten Kiementasche ab. Letztere bricht für kurze Zeit nach
aussen durch, stellt dann also eine offene Schlundspalte dar, die
aber durch Zellwucherungen bald wieder verschlossen wird. Nun
erweitert sich das laterale blinde Ende der Kiementasche zu-
sehends, umwächst zunächst an der dorsalen, später aber auch
an der ventralen Seite das Gehörknöchelchen, und füllt so all-
mählich die Quadrathöhlung fast vollständig aus. Anfangs bildet
der mediale Abschnitt der Kiementasche eine weite Kommuni-
kation der lateralen erweiterten Partie der Tasche mit dem
Rachen. Später verengt sich dieser Teil der Tasche deutlich
und bildet sich dadurch zur Tuba auditiva um.
Begonnen wurde diese Arbeit im anatomisch-biologischen
Institut zu Berlin. Deswegen will ich es nicht versäumen, dem
Direktor dieses Institutes, Herrn Geheimrat Professor Dr. ©. Hert-
wig, für das mir zur Bearbeitung übergebene Material der Schild-
krötenembryonen und für das stete Interesse, das er meiner Arbeit
entgegenbrachte, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
Im zoologischen Institut zu Marburg konnte ich meine Arbeit
zur Vollendung bringen. Es ist daher eine angenehme Pflicht
für mich, auch dem Direktor dieses Institutes, Herrn Professor
Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 487
Dr. E. Korschelt, für das liebenswürdige Entgegenkommen bei
der Ausführung meiner Arbeit vielmals zu danken.
Zu sehr grossem Danke bin ich schliesslich noch Herrn
Professor Dr. R. Krause verpflichtet. Auf seine Anregung hin
habe ich diese Arbeit unternommen, stets hat er mich bei Aus-
führung derselben in liebenswürdigster Weise mit Rat und Tat
unterstützt.
Zeichenerklärung.
A. car. int. — Arteria carotis interna.
abg. D. — abgeschnürtes laterales Drittel der ersten Kiemenspalte.
Bl. Cal. — Blastem der Columella auris.
151.0), — Blastem der Ohrkapsel.
Bl. Qu. — Blastem des Quadratum.
Ch. d. — Öhorda dorsalis.
Ch. ty. — Chorda tympani.
Col. — Columella auris.
Epd. — Epidermis.
Epw. — Epithelwucherungen.
ae: — Foramen zum Durchtritt des Ductus endo-Iymphaticus.
Fp. Col. — Fussplatte der Columella auris.
Ggl. act. = Ganglion acusticum.
Ggl. face. = Ganglion faciale.
Ggl. glos. — Ganglion glossopharyngeum.
Ggl. trig. — Ganglion trigeminum.
h.L. — häutiges Labyrinth.
In. Col. — Insertionsplatte der Columella auris.
RB. — Kieferbogen.
Krer. — knöcherne Anlage des Prooticum.
Kn 2. — knöcherne Anlage des Quadratum.
Kn 3. — knöcherne Anlage des Unterkiefers.
E2K — Labyrinthkapsel.
Mb. — Mundbucht.
M.K. — Meckelscher Knorpel.
MV. = Muskelanlage im Trigeminusgebiet.
M. VII. — Anlage des Muskulus squamoso-maxillaris.
N. fac. — Nervus facialis. ;
N. gl — Nervus glossopharyngeus.
N.hpgl.e = Nervus hypoglossus.
N.ocm. . = Nervus oculomotorius.
N. vg. acc. = Nervus vago-accessorius.
DET = knorplige Anlage des Oceipitale laterale.
as
=
|
—= knorplige Anlage des Parietale.
488
Noack:
DK: — Paukenhöhlen-Anlage.
Pte. — knorplige Anlage des Pterygoideum.
Pro. — knorplige Anlage des Prooticum.
Pro. vent. — Processus ventralis der Columella auris.
Qu. — knorplige Anlage des Quadratum.
R. ifm. — Ramus inframaxillaris.
Rr. m. — gemeinsame Wurzel des Ramus supra- et inframaxillaris.
R. opht. — Ramus ophthalmicus.
R.sprm. = Ramus supramaxillaris.
R..Tr: —= Rathkesche Trabekel.
St. Col. — Stiel der Columella auris.
TR: — Tubenanlage.
Ve. = Vena capitis lateralis.
V. crb. —= Vena cerebralis.
NV. Tac. — Vena facialis.
V.iel. = Vena jugularis.
Verm. — Verschlussmembran der ersten Kiemenspalte.
W. » = knorplige Wirbelanlage.
Zbg. — Zungenbeinbogen.
il, — mediale Wand der Labyrinthkapsel.
2. — laterale Wand der Labyrinthkapsel.
3. — dorsale Wand der Labyrinthkapsel.
4. — aborale Wand der Labyrinthkapsel.
1.K.S) = erste Kiemenspalte.
1.K.S.‘ == abgeschnürter lateraler Endteil der ersten Kiemenspalte.
2.Db. — zweite Durchbruchstelle des abgeschnürten lateralen
Endteils der ersten Kiemenspalte.
2.8, — zweite Kiemenspalte.
VI.r.d. = hinterer Hauptstamm des Nervus facialis.
VI—IX. = direkt aus dem Ganglion faciale kommender Ast zum
Glossopharyngeus.
VIlr.d.-IX. = vom hinteren Hauptstamm des Nervus facialis kommender
Fig. 1.
Fig. II.
Ast zum Glossopharyngeus.
Erklärung der Tafelfiguren.
Tafel XVIIl.
Querschnitt durch den Kopf vom Embryonalstadium VII. Ohrgegend
des Schnittes, der das direkt im Labyrinthblastem liegende Colu-
mellablastem zeigt. Das Blastem des Quadratum steht noch im
Zusammenhang mit dem Kieferbogen. Vergr. 1:45.
Der etwas !weiter nach kaudalwärts gelegene Schnitt durch die
Ohrgegend desselben Embryos zeigt die Anlagerung des Columella-
blastems an die erste Kiemenspalte. Vergr, 1:60.
Fig. III.
Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 48%)
Der von demselben Embryo noch weiter nach kaudalwärts gelegene
Schnitt zeigt, wie sich das Columellablastem an der dorsalen Wand
der ersten Kiemenspalte nach lateralwärts ausdehnt. An der Spitze
der ersten inneren Kiemenspalte vorbei zieht die Chorda tympani
durch das Blastem des Gehörknöcheichens nach ventralwärts. Ausser-
dem ist der abgeschnürte laterale Endteil der ersten Kiemenspalte
auf dem Schnitte zu bemerken. Vergr. 1:60.
Fig. IV— VIII. Etwas schematisierte Schnitte von einem jüngeren Embryonal-
stadium, die die Vorgänge bei der Verschlussbildung der ersten
Kiemenspalte zeigen sollen. Vergr. 1:60.
Fig. IX und X, Querschnitte durch die Ohrgegend vom Embryonalstadium VII.
Fig. XL.
Fig. XIII.
Archiv
Das Blastem der Columella auris noch im Zusammenhang mit dem
Labyrinthblastem dehnt sich an der Wand der ersten Kiemenspalte
nach lateralwärts aus. Durchzogen wird es wieder von der Chorda
tympani. Vergr.1:45 und 1:60.
Querschnitt durch die Ohrgegend vom Embryonalstadium g. Die
Verknorpelung ist auf diesem Stadium bereits eingetreten. Die
gegen die Labyrinthwand schon schärfer abgesetzte knorpelige An-
lage der Columella auris lässt an ihrer dorsalen Seite den hinteren
Hauptstamm des N. facialis und die von letzterem abgezweigte
Chorda tympani erkennen. Vergr. 1:60.
Querschnitt durch die Ohrgegend vom Embryonalstadium IX. Fuss-
platte der Columella auris durch zwischen gelagerte mehr binde-
gewebige Massen von der Labyrinthwand zu unterscheiden. Der
Stiel und die laterale kolbige Verdickung des Gehörknöchelchens
werden jetzt schon von Elementen der ersten Kiemenspalte, der in
Bildung begriffenen Paukenhöhle, umgeben. Vergr. 1:45.
Querschnitt durch die Ohrgegend vom Embryonalstadium XIV. Im
segensatz zu den anderen Schnitten ist diesmal die rechte Hälfte
abgebildet. Im Foramen ovale liegt die Fussplatte der Columella
auris. Die vom hinteren Facialis-Hauptstamm kommende Chorda
tympani nimmt jetzt einen viel weiter medialeren Verlauf, und
zwar sieht man sie in mehr kaudalen Schnitten an der medialen
Wand des Quadratum entlang zum Unterkiefer ziehen. Die
Paukenhöhlenanlage hat schon bedeutenden Umfang angenommen.
Vergr: 1:45.
f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 33
490 Noack: Über die Entwicklung des Mittelohres etc.
189)
Erklärung der Rekonstruktionsmodelle,
welche als Figuren 1—6 in den Text gedruckt sind.
. Rekonstruktionsmodell zum Embryonalstadium g von der medialen Seite
gesehen.
. Dasselbe Modell von der lateralen Seite gesehen.
. Dasselbe Modell ebenfalls von der lateralen Seite gesehen, aber nach
Entfernung des Quadratum, der V. capitis lateralis und der Mundbucht
mit Kiemenspalte.
. Rekonstruktionsmodell vom Embryonalstadium IX. von vorn und medial
gesehen.
. Dasselbe Modell von der lateralen Seite gesehen.
6. Dasselbe Modell von medial aber nach Entfernung der Labyrinthkapsel
betrachtet.
Literaturverzeichnis.
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Vol. 2: The Embryologie of the Turtle. New-York 1857.
. Gaupp, E.: Öntogenese und Phylogenese des schalleitenden Apparates
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4. Hochstetter: Die Entwicklung des Blutgefäßsystems. Hertwig, Hand-
6.
1
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. Hoffmann, C.K.: Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs,
Bad. VI, Abtlg. III, Leipzig 18%.
Krause, R.: Entwicklungsgeschichte des Gehörorgans. Hertwig, Hand-
buch der vergleichenden und experimentellen Entwicklungslehre der
Wirbeltiere. Jena 1902.
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Kreuzotter und der Ringelnatter. Arch. f. mikrosk. Anatomie und Ent-
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Rhynchocephalia. Jena 1898.
. Derselbe: Entwicklung der Columella auris bei den Lacertiliern. Spengels
zoologische Jahrbücher. Jena 1903.
491
Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Universität Berlin.
Zur Kenntnis der Heterochromosomen.
Von
S. Gutherz.
Hierzu 12 Textfiguren.
In den während der letzten anderthalb Jahrzehnte er-
schienenen zahlreichen Untersuchungen über die Geschlechts-
zellenbildung wirbelloser Tiere hat neben den viel erörterten
Problemen des Reduktionsvorganges, des Synapsisstadiums und
der Grössenunterschiede der Chromosomen auch das Studium der
von Montgomery so genannten Heterochromosomen in be-
sonderem Maße die Aufmerksamkeit der Forscher gefesselt.
Unsere Kenntnis der Heterochromosomen datiert seit der
merkwürdigen Beobachtung Henkings (1891), dass in der
Spermiogenese') von Pyrrhocoris apterus bei der zweiten Reifungs-
teilung ein Chromosom ungeteilt in die eine Tochterzelle über-
geht, so dass zweierlei Spermiden — solche mit und solche ohne
jenes Chromosom — entstehen. Schon diesem Autor war in den
Spermiocyten der grosse, mit Chromatinfarbstoffen stark tingier-
bare und während der ganzen Wachstumsperiode äusserst kon-
stante Nucleolus aufgefallen, und es lässt sich bereits aus seiner
Darstellung mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Beziehung
zwischen diesem „Nucleolus“ und dem nur in die Hälfte der
Spermiden übergehenden Chromatinelement ableiten. Mit Sicher-
heit wird eine solche Beziehung erst in späteren Untersuchungen
an anderen Objekten behauptet, und zwar in dem Sinne, dass
jenes im Verlaufe der Reifungsteilungen nur in die Hälfte der
Spermiden gelangende Element während der Wachstumsperiode
des Spermiocyten nicht wie die übrigen Chromosomen in ein
mehr oder minder deutliches Ruhestadium eintrete, sondern
unter der Gestalt eines Nucleolus in dem sonst nur für den
!) Entsprechend dem Vorschlage v. Lenhosseks auf dem inter-
nationalen Anatomen-Kongress (Genf 1905) seien für die verschiedenen Zell-
generationen der Samenentwicklung die Ausdrücke: Spermiogonien, Spermio-
cyten, Präspermiden, Spermiden verwandt.
492 S. Gutherz.:
Höhepunkt der Mitose charakteristischen Zustande der Chromatin-
konzentration verharre; man sprach daher von Chromatin- oder
Chromosom-Nucleolus. Andererseits wurden Fälle mitgeteilt, in
denen zwar während der Wachstumsperiode ein oder mehrere
„Chromatinnucleoli‘‘ vorkämen, die sie darstellenden Chromosomen
aber sich während der Reifungsteilungen wie die übrigen ver-
hielten und so auf sämtliche Spermiden verteilt würden. Auf die
im einzelnen mancherlei Besonderheiten enthaltenden Darstellungen
der Autoren soll bald näher eingegangen werden.
So viel geht aber bereits aus diesem kurzen Referat hervor,
dass in den Heterochromosomen Gebilde von hohem. Interesse
vorliegen. Dürfen wir doch, ganz allgemein gesprochen, bei ihrer
starken Abweichung vom gewöhnlichen Chromosomentypus die
Hoffnung hegen, es möchte ihre Untersuchung vielleicht auf die
Jedeutung der chromatischen Substanz überhaupt Licht werfen,
etwa in der Weise, wie pathologische oder experimentell hervor-
gerufene Erscheinungen so häufig für normale Verhältnisse auf-
klärend gewirkt haben.
Aber auch im speziellen ist das Studium der Heterochromo-
somen bereits theoretisch verwertet worden. So sind sie als
Stütze für die Theorie der Chromosomenindividualität verwandt
worden, so hat man sie mit dem vielfach und doch meist ver-
geblich bearbeiteten Problem der sexuellen Differenzierung in
Verbindung gebracht. In letzterer Beziehung sind die Hypo-
thesen Mc Clungs (1902) und E. B. Wilsons (1905) zu
nennen. Beide Autoren stimmen darin überein, dass sie den
durch die ungleiche Verteilung der Heterochromosomen auf die
Spermiden morphologisch verschiedenwertig gewordenen Spermien
auch eine funktionelle Verschiedenheit zuschreiben, und zwar
derart, dass die eine Hälfte der Spermien männliche, die andere
weibliche Individuen in Verbindung mit dem Ei hervorbringe.
Während aber Me Clung die Spermien mit Heterochromosom
für das männliche Geschlecht in Anspruch nimmt, lässt Wilson!)
gerade diese Weibchen hervorbringen. Hierbei ist zu betonen,
dass Me Clungs Ansicht rein vermutungsweise geäussert wird, ?)
'‘, Hierbei ist nur der einfachste Fall der Wilsonschen Befunde
(Formen mit „heterotropischem Chromosom“, s. u.) berücksichtigt.
®) Später erhielt Mc Clungs Hypothese durch Sutton eine tat-
sächliche Grundlage (s. S. 500).
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 493
während Wilson die seine auf einen Vergleich männlicher und
weiblicher (Oogonien, Follikelzellen, Nährzellen) Mitosen stützt.
Aus den nur flüchtig skizzierten Anschauungen Me Clungs
und Wilsons ergibt sich für den Untersucher der Heterochromo-
somen das wichtige Postulat, neben dem Studium der Spermio-
genese auch das der Oogenese zu berücksichtigen. Ja, wir
können noch weiter gehen: eine vollständig gesicherte Stellung-
nahme zu den eben erwähnten Anschauungen wird erst möglich
sein, wenn auch männliche und weibliche Körpermitosen, der Be-
fruchtungsvorgang, die embryonalen Mitosen bis zur Keimdrüsen-
anlage, kurz möglichst sämtliche Chromatinprozesse eines Unter-
suchungsobjektes in den Kreis der Betrachtung gezogen sein
werden.
I. Die verschiedenen Typen der Heterochromosomen.
Nicht eine erschöpfende Bearbeitung der Heterochromo-
somenliteratur soll hier gegeben werden, sondern eine Über-
sicht der sich aus den Darstellungen heraushebenden Typen
Auch ein solches Unternehmen möchte überflüssig erscheinen,
nachdem Mc Clung (1902, 7) und Montgomery (1905, 8)
ausführliche Zusammenfassungen unseres Gebietes gegeben haben.
Indessen hat seitdem Wilson (1905/06) seine an Tatsachen wie
Gesichtspunkten reichen Chromosomenstudien (14, 16, 17) ver-
öffentlicht, und sie lassen eine erneute Zusammenstellung
wünschenswert erscheinen.
Heterochromosomen sind vorwiegend in der Spermiogenese
beschrieben worden; ihr gebührt daher in unserer Übersicht die
Hauptstelle; nur anhangsweise sollen einige Angaben über
Oogenese und somatische Zellen referiert werden.
Bevor wir uns den Heterochromosomen selbst zuwenden,
sei kurz einer Anschauung gedacht, die in den neueren Arbeiten
regelmässig wiederkehrt und an die merkwürdige Tatsache an-
knüpft, dass in vielen Fällen die Zahl der in der ersten Reifungs-
teilung auftretenden Chromosomen annähernd oder genau die
Hälfte derjenigen in den Spermio- resp. Oogonien beträgt. Man
hat nun diese Erscheinung dahin zu erklären gesucht, dass es
sich hier um eine Vereinigung (Kopulation) je zweier Chromosomen
zu einem bivalenten Körper handele, und Häcker (3) hat den
hier angenommenen Vorgang der Chromosomenpaarung als
494 S. Gutherz:
„Syndese“ bezeichnet. Der Vorgang der Syndese ist vielfach in
das Synapsisstadium verlegt worden, jenen Zustand der zentralen
oder exzentrischen Chromatinanhäufung im Kernraum, der sich
bei fast allen Untersuchungsobjekten im Beginn der Wachstums-
periode des Spermio- resp. Oocyten vorfand. In anderen Fällen
wieder wurde die Syndese für einen späteren Zeitpunkt an-
genommen, da nach dem Synapsisstadium noch die Chromatin-
fäden sich in der vollen unreduzierten Zahl vorfanden. Eine
weitere Konsequenz der Annalıme einer Chromosomenkopulation
ist dann die Vorstellung, dass in einer der beiden Reifungsmitosen
die Copula wieder gelöst wird, und es so zu einer wahren
Reduktionsteilung kommt. Den Begriff der Syndese, der bei den
meisten unserer Autoren Eingang gefunden hat, möchte ich im
Interesse der Einfachheit auch der folgenden Darstellung zugrunde
legen, ohne dass ich den für viele Fälle sicherlich noch durchaus
hypothetischen Vorgang der Chromosomenpaarung etwa als all-
gemein bewiesen ansähe.
Nunmehr sei eine Definition der uns beschäftigenden Gebilde
gegeben, die ich entsprechend dem vorliegenden mannigfaltigen
Tatsachenmaterial sehr weit fassen zu müssen glaube: Hetero-
chromosomen!) sind solche Chromosomen, welche sich
von den übrigen in bezug auf die sich an ihnen ab-
spielenden Prozesse in wesentlicher Weise unter-
scheiden; charakteristische Grössen- oder Gestalts-
abweichungen gegenüber den gewöhnlichen Chromo-
somen sind häufig. brauchen aber nicht vorhanden
zu sein. Der Zusatz ‚in wesentlicher Weise“ ist leicht erklärt.
Wie alle biologischen Vorgänge, spielt sich auch der mitotische
Prozess nicht mit mathematischer Regelmässigkeit ab, hier und
da bleibt ein Chromosom ein wenig hinter den übrigen zurück
oder eilt ihnen etwas voraus; diese sozusagen physiologische
) Neuerdings hat Montgomery (9) statt des von ihm eingeführten
Ausdrucks „Heterochromosom‘‘ der Kürze wegen die Bezeichnung „Allosom‘
vorgeschlagen. Ohne mir zu verhehlen, dass eine von einem so hervorragenden
Kenner unseres Gebietes kommende Anregung alle Beachtung verdient, glaube
ich doch dem Ausdruck „Heterochromosom“ den Vorzug geben zu sollen,
da er ohne weiteres beim Leser die richtige Vorstellung erweckt, während
„Allosom‘‘ zu unbestimmt (Plasma- oder Kernbestandteil?) erscheint. Die
für die Unterteilung der „Allosomen“ von Montgomery vorgeschlagenen
Ausdrücke „Monosomen‘“ und ‚„Diplosomen“ scheinen mir sehr glücklich gewählt
und auch bei Beibehaltung der Bezeichnung ‚„Heterochromosomen‘“ anwendbar.
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 495
Breite der Abweichung muss überschritten werden, damit von
einem Heterochromosom die Rede sein kann.
Drei Hauptphänomene im abweichenden Verhalten der
Heterochromosomen lassen sich unterscheiden, für die ich die
folgenden Bezeichnungen mir vorzuschlagen erlaube.
1.Heteropyknose. Es handelt sich um eine Abweichung
betreffs des Konzentrationsgrades der chromatischen Substanz,
und zwar fast stets im Sinne eines dichteren Baues. Die Er-
scheinung ist mehrfach im Ruhestadium der Spermiogonien, bei
fast allen Heterochromosomentypen aber in der Wachstumsperiode
der Spermiocyten beschrieben worden. Es finden sich hier,
während die übrigen Chromosomen einen Zustand mehr oder
minder starker Auflösung durchmachen, ein oder mehrere nuc-
leolusartige Körper, die ihrer färberischen Reaktion sowohl als
ihrem weiteren Verhalten nach als modifizierte Chromosomen
aufgefasst werden. Diese Erscheinungsform der Heterochromo-
somen ist unter dem Namen der „Chromatin“- oder „Chromo-
som-Nucleoli“ geschildert worden.‘) Für die rein objektive Be-
schreibung scheint mir die mehr indifferente Bezeichnung
„Chromatinnucleolus“ sehr gut brauchbar; sie drückt aus, dass
es sich um einen nucleolusartigen, d. h. scharf begrenzten, an-
nähernd rundlichen Körper handelt, der die färberischen resp.
auch chemischen Reaktionen des Chromatins?) aufweist. Dem
Chromatinnucleolus steht der aus Pyrenin bestehende und dem
entsprechend anders reagierende echte Nucleolus gegenüber. In
z !) Es sei hier gewisser interessanter Befunde Mc Clungs an Locu-
stiden (The Spermatocyte Divisions of the Locustidae. Kansas Univ. Sci.
Bull. I, 1902) gedacht, die ich nur aus dem Referate Blackmans (la)
kenne, da mir die Originalarbeit nicht zugänglich war: In der Spermiocyten-
prophase von Örchesticus und anderen Locustiden nimmt auch das Hetero-
chromosom ein Spiremstadium an, in welchem jedoch das Chromatin weniger
diffus verteilt ist als bei den übrigen Chromosomen; voran geht ein Stadium,
in dem das Heterochromosom so dicht aufgewickelt ist, dass seine Fadennatur
erst bei stärkster Vergrösserung erkennbar wird; in der späteren Prophase
verdickt und entfaltet sich der Faden und unterscheidet sich von den übrigen
Chromatinelementen nur noch durch etwas homogeneren Bau. In unserer
Ausdrucksweise würde es sich hier um eine Heteropyknose geringeren Grades
als im Falle des Chromatinnucleolus handeln.
?) Dass bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens diese Reak-
tionen keine absolut sicheren sind, braucht kaum betont zu werden. Immer-
hin bieten sie einen wertvollen Anhaltspunkt für die Annahme der Chromatin-
natur eines untersuchten Gebildes.
496 S. Gutherz:
seltneren Fällen kann Heteropyknose auch in einem stärkeren
Auflösungsgrade der Heterochromosomen im Vergleich zu den
übrigen Chromosomen zutage treten').
2. Heterosyndese. Das abweichende Verhalten macht
sich einmal im Zeitpunkte der Chromosomenpaarung (zeitliche
Heterosyndese), sodann in verschiedener Grösse der Kopulanten
geltend (Heterosyndese inbezug auf die Kopulantengrösse).?) Beide
Formen der Heterosyndese können kombiniert vorkommen. Solche
Heterochromosomen, die in den Spermiogonien unpaar auftreten,
finden keinen Partner für die Syndese und bleiben daher während der
Wachstumsperiode und der Reifungsteilungen univalent (Asyndese).
3. Heterokinese. Hierunter sei die Erscheinung ver-
standen, dass in der Mitose ein Chromosom’), anstatt in zwei nach
verschiedenen Polen auseinander weichende Teile zu zerfallen
(Eukinese), ungeteilt dem einen Po! zuwandert und so nur in eine
Tochterzelle gelangt. Dieser Vorgang kann sich entweder in der
ersten oder in der zweiten Reifungsteilung abspielen.*)
!‘, In dieser Beziehung sei an das von Sutton (12) bei Brachystola
magna beschriebene Verhalten des Heterochromosoms in den Spermiogonien
erinnert: Im Ruhestadium geht das ein eigenes Kernbläschen besitzende
Heterochromosom in ein typisches Reticulum über, während die übrigen
Ohromosomen sich nur etwas diffus ausbreiten, in den Spermiogonienmitosen
zeigt sich sein etwas weniger dichter Bau häufig an seiner rauhen Oberfläche,
?) Gerade bei gewissen Heterochromosomen (Idiochromosomen, Mikro-
chromosomen) lässt sich nach Angabe der Autoren der Vorgang der Syndese
direkt beobachten. Somit ergibt sich hier aus dem Studium der abweichenden
Chromosomen eine Stütze für die Annahme einer weiteren Geltung des Pro-
zesses der Chromosomenpaarung.
®) Der Ausdruck „Chromosom“ wird hier im Sinne Wilsons (14, p. 374)
für jede in die Äquatorialplatte eintretende zusammenhängende Chromatin-
masse ungeachtet ihrer Form, Entstehungsart und Valenz gebraucht.
*, Fälle von Heterokinese in beiden Reifungsteilungen berichtet
Wallace (19) bei verschiedenen Spinnen (insbesondere Agalena naevia).
Die paarweise auftretenden Heterochromosomen sollen sowohl in der ersten
wie in der zweitenReifungsmitose nur in die eine Tochterzelle übergehen, so
dass sie schliesslich nur in ein Viertel der Spermiden gelangen. Verfasserin
gibt aber selbst zu, dass die zweite Reifungsmitose hier Schwierigkeiten
für die Untersuchung biete und stützt ihre Darstellung besonders auf den
Umstand, dass sie ca. 3’ der Spermiden der Degeneration anheimfallen sieht;
diese Spermiden betrachtet sie als solche, denen die Heterochromosomen
mangeln. Es dürfte daher das Vorkommen einer doppelten Heterokinese noch
nicht als sicher bewiesen zu betrachten sein, zumal Blackman (la) bei
der Spinne Lycosa keine derartige Degeneration antraf.
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 497
Zusatz bei der Korrektur. Mehrere Wochen nach Abschluss
vorliegender Arbeit wurde es mir bekannt, dass Weismann schon 1892 die
Bezeichnung „Heterokinesis“ (Gegensatz „Homoeokinesis“) für die vonRoux
und ihm hypothetisch angenommene „qualitative“ („erbungleiche“) Kernteilung
angewandt hat.
Nicht berücksichtigt wurde bei der Bildung unserer drei
Hauptbegriffe ein interessantes Phänomen, das bisher nur in
wenigen Fällen beschrieben ist und darin besteht, dass ein Hetero-
chromosom im Ruhestadium eine eigene Membran erhält und so
gewissermaßen einen kleinen selbständigen Kern neben dem
grossen bildet (Spermiogonien von Brachystola magna nach
Sutton (12,) Präspermiden von Gryllus domesticus nach Baum-
gartner (1).')
Die folgende Darstellung der verschiedenen Heterochromo-
somentypen gliedert sich in einen allgemeinen und einen speziellen
Teil, von denen der erstere sie losgelöst vom Einzelfall betrachtet,
während der letztere sie in ihrem Vorkommen bei bestimmten
Tierarten verfolgt.
Allgemeine Darstellung der Heterochromosomen-
typen.
I. Monosomen. (Montgomery).
(Synonym. Akzessorisches Chromosom [Me Clung], Chromosome
special [de Sin&ty], heterotropisches Chromosom [Wilson].)
In den Spermiogonien in der Einzahl, in der Wachstums-
periode des Spermiocyten Heteropyknose in Form eines Chromatin-
nucleolus, Asyndese, Heterokinese in einer der Reifungsmitosen.
Sie treten in zwei Typen?) auf:
a) mit Heterokinese in der ersten Reifungsteilung
b) mit Heterokinese in der zweiten Reifungsteilung.
II. Diplosomen. (Montgomery).
In den Spermiogonien paarweise.
a) ohne Heterosyndese:
in der Wachstumsperiode Heteropyknose in Gestalt eines
eine Einschnürung aufweisenden oder einheitlichen
Chromatinnucleolus, in den Reifungsteilungen Eukinese.
b) mit Heterosyndese:
!) Vgl. meine Fig. 6.
?, Diese Typen seien abgekürzt als Monosomen mit Heterokinese I
resp. II bezeichnet.
498 S. Gutherz:
1. Mikrochromosomen (Wilson).
Bedeutend kleiner als die übrigen Chromosomen, unter sich
von gleicher Grösse; zeitliche Heterosyndese (Syndese geschieht
erst in der Metaphase der ersten Reifungsmitose; ihr folgt sofort
die Anaphase); in der ersten Mitose Trennung der Kopulanten,
in der zweiten Äquationsteilung. Im Verhalten während der
Wachstumsperiode ergeben sich zwei Typen:
«) mit Heteropyknose in Form zweier Chromatinnucleoli,
5%) ohne Heteropyknose.
2. Idiochromosomen (Wilson).
Kleiner als die meisten übrigen Chromosomen; zeitliche
Heterosyndese (Syndese erst am Ende der ersten Reifungsmitose);
in der Wachstumsperiode Heteropyknose in Form entweder zweier
Chromatinnucleoli oder eines einheitlichen Chromatinnucleolus,
der jedoch vor der ersten Mitose in seine Komponenten zerfällt:
in der ersten Mitose teilt sich jedes Idiochromosom für sich äqual,
in der zweiten Mitose Trennung der Kopulanten.
«) Idiochromosomen von ungleicher Grösse: das kleine Idio-
chromosom fast stets das kleinste vorhandene Chromosom; Hetero-
syndese in bezug auf die Kopulantengrösse. In die eine Hälfte
der Spermiden gelangt das grosse, in die andere das kleine Idio-
chromosom. |
&) Idiochromosomen von gleicher Grösse.
Spezielle Darstellung der Heterochromosomentypen.
A. Formen mit einem Heterochromosomentypus.
I. Monosomen.
a) Mit Heterokinese 1.!)
Beispiele: Die Orthopteren Orphania denticauda (de Sinety)
(Heterochromosom von kolossaler Grösse, in sämtlichen Stadien
identifizierbar), Brachystola magna (Sutton), Grylius domesticus
'‘, Eine Modifikation dieses Typus findet sich nach de Sinety (10)
bei gewissen Phasmiden (Leptynia attenuata), indem hier während der Hetero-
kinese das Monosom mit einem gewöhnlichen Chromosom zu einem L-förmigen
Körper eng verbunden ist; dementsprechend zeigt sich der Chromatinnucleolus
der Wachstumsperiode oft in Zusammenhang mit dem Kernfaden.
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 499
(Baumgartner), der Myriopode Scolopendra Heros (Black-
man).‘)
b) Mit Heterokinese II.
Beispiel: Die Hemiptere Pyrrhocoris apterus (Henking).
II. Diplosomen.
a) Ohne Heterosyndese.
Beispiele : Die Orthoptere Syrbula acuticornis(Montgomery),
die Spinne Lycosa insopita (Montgomery).
b) Mit Heterosyndese.
1. Mikrochromosomen nur in Verbindung mit einem Mono-
som (s. u).
2. Idiochromosomen.
«) Von ungleicher Grösse. Beispiele: Die Hemipteren
Lygaeus tureicus, Coenus delius (Wilson), der Käfer Tenebrio
(Stevens).
3) Von gleicher Grösse. Beispiel: Die Hemiptere Nezara
hilaris (Wilson).
B. Formen mit mehreren kombinierten Hetero-
chromosomentypen.
I. Monosom und Mikrochromosomen.?)
a) Monosom mit Heterokinese II.
«@) Mit Heteropyknose der Mikrochromosomen. Beispiel:
Die Hemiptere Alydus pilosulus (Wilson).
8) Ohne Heteropyknose der Mikrochromosomen. Beispiel:
Die Hemiptere Anasa tristis (Wilson).
‘!) Hier zeigt sich nach Blackmans Darstellung (1a) insofern eine
Besonderheit, als während der Wachstumsperiode des Spermiocyten die
Chromatinelemente sich um das Heterochromosom als Zentrum in Form eines
dichten kugeligen Haufens, der „Karyosphäre“, anordnen, aus der sie in der
folgenden Prophase durch einfaches Abwickeln wieder hervorgehen.
2, Hierher scheint auch die Hemiptere Syromastes marginatus zu ge-
hören, obwohl deren Untersucher Gross (2) zu der Annahme gelangt, dass
sich hier die an den Heterochromosomen abspielenden Veränderungen über
zwei Generationen erstrecken und zwar so, dass in jeder Generation beide
verschiedenen Stadien der Heterochromosomen nebeneinander erscheinen-
Jedenfalls ist eine Nachprüfung unter diesem Gesichtspunkte erforder-
lich, da die von Gross beschriebenen Chromatinnucleoli im Beginn der
Wachstumsperiode weit grösser sind als im späteren Stadium derselben
(trotz gleicher Vergrösserungszahl,, so dass die Möglichkeit einer Ver-
wechslung vorliegt.
500 S. Gutherz:
b) Monosom mit Heterokinese I.
Beispiel: Die Hemiptere Archimerus calcarator ') (Wiison).
II. Monosom und ungleiche Idiochromosomen.
Monosom mit Heterokinese I; es resultieren vier verschiedene
Spermidensorten. Beispiel: die Hemiptere Banasa calva (Wilson).!)
Eine vergleichende Untersuchung von somatischen und
Keimbahnzellen des Weibchens bei solchen Objekten, die in der
Spermiogenese Heterochromosomen besitzen, ist erst von wenigen
Autoren vorgenommen worden. Sutton (13) fand in den
Spermiogonien der Orthoptere Brachystola magna 22 gewöhnliche
Chromosomen und ein Monosom, in den Oogonien und Follikel-
zellen des Ovariums nur 22, von denen sich keines wie das Hetero-
chromosom verhielt. Im Gegensatz hierzu konstatiert Wilson
(15—17) bei zahlreichen von ihm untersuchten Hemipteren, dass
in weiblichen Körper- und Keimbahnmitosen im Falle des Mono-
soms ein Chromosom (von der Grösse des Monosoms) mehr, im
Falle der ungleichen Idiochromosomen an deren Stelle zwei gleiche
Chromosomen von der Grösse des. grossen Idiochromosoms vor-
handen sind. Er lässt daher Weibchen durch diejenigen Spermien
hervorbringen, die das Monosom resp. das grosse Idiochromosom
empfangen haben, Männchen dagegen durch Spermien, denen das
Monosom fehlt oder das kleine Idiochromosom zuerteilt wurde,
und nimmt für diese Fälle eine konstante Beziehung zwischen
Chromosomen und Geschlechtsdifferenzierung an. Zu ähnlichen
tesultaten gelangte nach Wilsons Angabe bei dem Käfer Tenebrio
(ungleiche Idiochromosomen) N. M. Stevens (11), deren Arbeit
mir nicht zugänglich war.
II. Untersuchungen an Gryllus domesticus
und Pyrrhocoris apterus.
1. Material und Methoden.
In erster Linie wurden männliche und weibliche Geschlechts-
drüsen von Gryllus domesticus L. untersucht, mit besonderer
Berücksichtigung jüngerer Larven, so dass sich auch die Ge-
!) Im allgemeinen findet sich bei Orthopteren ein Monosom mit Hetero-
kinese I, bei Hemipteren dagegen ein solches mit Heterokinese Il. Die beiden
von Wilson eingehend untersuchten Fälle der Hemipteren Archimerus und
Banasa zeigen, dass diese Regel nicht ohne Ausnahme ist.
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 01
legenheit zur Beobachtung von somatischen Mitosen ergab. Das
Material wurde von Januar bis April 1906 gesammelt. Als
Fixationsmittel benutzte ich hauptsächlich das von Baumgartner
für unser Objekt besonders empfohlene starke Flemmingsche
(Gemisch, das ich in der Regel 24 Stunden einwirken liess.
Daneben kam unter anderem Zenkers Flüssigkeit zur Anwendung.
Von Färbungsmethoden leisteten mir neben der häufig verwandten
Heidenhainschen Eisenhämatoxylinmethode die Flemming-
sche Dreifachfärbung') (nach Flemmings starkem Gemisch)
und das Biondische Gemisch (nach Zenkerscher Flüssigkeit)
ganz besonders gute Dienste.
Die in Paraffın eingebetteten Objekte wurden meist in
Serienschnitte von 5 « Dicke zerlegt. Für gewisse Zwecke er-
wiesen sich dickere Schnitte als nützlicher.
Fig. 1.°)
Gryllus domesticus. Spermiogonienmetaphase.
h Heterochromosom, violett gefärbt, die übrigen Chromosomen rot.
Flemmings Dreifachmethode.
Neben Gryllus gelangte unter ähnlichen Methoden Pyrrho-
coris apterus L. zur Untersuchung, von der im folgenden nur
der Beginn der Wachstumsperiode des Spermio- und Oocyten
Berücksichtigung finden soll.
2. Das Heterochromosom in der Spermiogenese von Gryllus
domesticus.
Die Geschichte des Heterochromosoms in der Spermiogenese
von Gryllus domesticus?) hat bereits durch Baumgartner (1)
!) Dieselbe wurde nach der im Strasburgerschen Institut aus-
gebildeten Modifikation angewandt (Enzyklopädie der mikr. Technik, p. 1102).
:) Sämtliche Figuren, von Fräulein M. Techow angefertigt, sind halb-
schematisch gehalten und wurden bei Zeiss’ Apochromatimmersion 2 mm,
Apert. 1,30, Kompensationsokular 12 mittels des Abbeschen Zeichenapparates
in Höhe des Arbeitstisches in den Konturen angelegt. Die den Figuren 1—10
zugrunde liegenden Präparate wurden mit Flemmings starkem Gemisch fixiert.
°, Zuerst aufgefunden wurde dieses Heterochromosom von de Sinedty
(10), der es indessen nicht in allen Stadien verfolgte.
502 S. Gutherz:
eine eingehende Schilderung erfahren, die ich in der Hauptsache
durchaus bestätigen kann. Ich möchte an der Hand einer Reihe
von Abbildungen, welche z. T. die von Baumgartner gegebenen
ergänzen, einige wichtige Stadien aus der Geschichte unseres
Elementes besprechen.
In den Spermiogonien (Fig. 1) findet sich neben den zwanzig
länglich ovalen oder bohnenförmigen gewöhnlichen Chromosomen
ein wesentlich grösseres, vielfach hufeisen- oder magnetförmiges
Chromatinelement, welches sich bereits durch sein unpaares Auf-
treten als Heterochromosom charakterisiert. Bei der Flemming-
schen Dreifachfärbung nimmt es, während die übrigen Chromosomen
leuchtend rot gefärbt sind, einen
violetten Ton an, eine Erscheinung,
welche wohl auf dem etwas weniger
dichten Bau dieses Chromosoms be-
ruht. Ein ausserordentlich charak-
teristisches Bild gewährt die Sper-
miogonienanaphase (Fig. 2), indem
hier die durch Längsspaltung des
Heterochromosoms entstandenen
beiden, mit den freien Ende neinander
zugekehrten magnetförmigen Körper
fast den ganzen Raum zwischen den
durch die übrigen Chromosomen ge- Fig. 2.
bildeten Häufchen einnehmen. Dieses Gryllus domesticus.
Stadium soll uns später zum Vergleich S'Permiogonienanaphase.
} { i \ h Heterochromosom.
mit somatischen Mitosen dienen. Ich
möchte aber darauf hinweisen, dass
diese charakteristische Lagerung der Heterochromosomen nicht
mehr besteht, nachdem die Auflösung der Chromosomen in der
Telophase begonnen hat.
Während der gesamten Wachstumsperiode zeigen sich im
Spermiocyten zwei nucleolusartige Körper (Fig. 3), von denen
Baumgartner den einen als Heterochromosom, den andern
als echten Nucleolus auffasste. Ich kann mich dieser Ansicht
anschliessen, einmal auf Grund von Färbungsreaktionen, sodann
im Hinblick auf die weiteren Entwicklungsvorgänge Baum-
gartner gibt an, dass es ihm mit der Flemmingschen
Dreifachmethode nur gegen Ende der Wachstumsperiode gelang,
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 503
das Heterochromosom vom echten Nucleolus zu differenzieren.
Setzt man bei dieser Methode die Extraktion mit Nelkenöl etwas
länger fort, so dass das Chromatin im Ruhestadium blass violett
gefärbt wird, so gelingt es in fast allen Stadien des Spermiocyten
(abgesehen von den jüngsten), die beiden Körper voneinander zu
unterscheiden, dadurch, dass der als Heterochromosom aufgefasste
leuchtend rot, der andere blass violett erscheint. Allerdings ist
dieses Färbungsresultat kein ganz konstantes, indem mitunter
sich in einzelnen Zellen beide Körper rot färben. Ein vollkommen
Fig. 3.
Gryllus domesticus. Spermiocyt inmitten der Wachstumsperiode.
h Heterochromosom (rot gefärbt), n echter Nucleolus (blassviolett).
Flemmings Dreifachsmethode.
eindeutiges Resultat gibt dagegen das Biondische Gemisch,
und zwar in sämtlichen Stadien des Spermiocyten: stets wird
der eine meist längsovale, der Kernmembran dicht anliegende
Körper grün gefärbt, während der andere meist voluminösere
und mehr im Kerninnern liegende Körper rot erscheint. Der
erstere weist demnach die färberischen Eigenschaften eines
Chromatinnucleolus, der letztere die eines echten Nucleolus auf.
Eine Bestätigung dieses Ergebnisses erhielt ich bei Einwirkung
von wässriger Methylgrünessigsäure (Methylgrün 0,3 Proz., Essig-
säure 0,5 Proz.) auf die frisch zerzupfte Geschlechtsdrüse Es
fand sich in den Spermiocyten ein leuchtend grün gefärbter, der
Kernmembran dicht angeschmiegter Chromatinnucleolus, während
504 S. Gutherz:
der echte Nucleolus ungefärbt blieb oder eine sehr blasse
Färbung annahm.
In der auf die Wachstumsperiode folgenden ersten Reifungs-
mitose finden wir ein Chromosom vor den übrigen in dreierlei
Hinsicht ausgezeichnet: 1. durch seine häufig charakteristische
wurstförmige Gestalt, 2. durch Heterokinese, 3. durch sein Ver-
halten zum Spindelapparat. Es ist dies das Heterochromosom.
In der Metaphase zeigt es sich (Fig. 4 und 5) häufig dem einen
Spindelpol genähert, häufig aber auch noch in der Äquatorebene.
Etwas genauer sei auf sein Verhalten zum Spindelapparat ein-
gegangen, da in dieser Beziehung meine Darstellung von der
Baumgartners abweicht. Baumgartner lässt in den meisten
seiner Figuren von dem Pole aus, dem das Heterochromosom
Fig. 4.
Gryllus domesticus. Spermiocytenäquatorialplatte.
h Heterochromosom (erst bei Hebung des Tubus um 4 « sichtbar).
genähert liegt, eine Faser an dasselbe herantreten, die sich in
ihrer Dicke von den sich an die übrigen Chromosomen begebenden
nicht unterscheidet. Merkwürdigerweise bildet Baumgartner
sehr kurze Polstrahlen ab, während an meinen Präparaten gerade
die ausserordentliche Länge dieser Gebilde ins Auge fällt, die
sich in der Äquatorebene kreuzen (Fig. 5) und mitunter sogar
bis in das Niveau des gegenüberliegenden Üentrosoms reichen
können. Da in den meisten Figuren Baumgartners die an
das Heterochromosom herantretende Faser um das Vielfache
länger ist als die abgebildeten Polstrahlen, so kann es sich
nicht um einen zufällig in der Nähe des Heterochromosoms
gelegenen Polstrahl handeln, Baumgartner scheint vielmehr
ausdrücken zu wollen. dass, wie an die übrigen Chromosomen
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 505
doppelseitig, sich an das Heterochromosom einseitig eine Zugfaser
begibt. Dies kann ich nicht bestätigen. An Heidenhainschen
Eisenhämatoxylinpräparaten, die nicht zu stark differenziert sind,
ist ein sehr deutlicher Unterschied in der Dicke der an die
Chromosomen herantretenden Halbspindelfasern und der viel
zarteren Polstrahlen zu beobachten (Fig. 5). Besonders macht
sich die grössere Dicke der Halbspindelfasern gegen ihren Ansatz
an die Öhromosomen zu bemerkbar, indem sie nach dem Spindel-
äquator hin gewissermassen anschwellen, während sie in der Nähe
der Pole eben so zart gebaut sind wie die Polstrahlen. An
das stets ausserhalb der Spindel im Polstrahlengebiet gelegene
Gryllus domestieus. Spermiocytenmetaphase.
h Heterochromosom.
Heterochromosom habe ich nun niemals eine derartig verdickte
Faser herantreten sehen. Die zarten Polstrahlen können in der
Nähe des Heterochromosoms endigen, gehen aber eben so häufig
an ihm vorbei. Neben den verdickten Halbspindelfasern finden
sich zarte durchgehende Fasern. Eine solche habe ich mehrfach
dicht am Heterochromosom vorbeiziehen sehen; ob es sich hier
um einen zufälligen Befund oder um eine „Gleitfaser“ für das
Heterochromosom handelt, sei dahingestellt.
Über das weitere Schicksal des Heterochromosoms gewähren
die Fig. 6—S rasche Orientierung. In dem nach der ersten
Reifungsteilung eintretenden Ruhestadium, welches Baumgartner,
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69, 34
506 S. Gutherz:
da die Auflösung des Chromatins nicht bis zur Bildung eines
Kernreticulums führt, als „semiresting stage“ bezeichnet, finden
wir das Heterochromosom in seiner besonderen Membran vom
übrigen Kern isoliert (Fig. 6), und zwar, entsprechend der vor-
angegangenen Heterokinese, nur in der einen Tochterzelle Für
die Untersuchung dieses Stadiums eignen sich etwas dickere
Schnitte besser als solche von 5 «, da sonst durch eventuelles
Fortschneiden des Heterochromosoms die Klarheit des Bildes
getrübt wird. Sehr lehrreich ist der Vergleich der in Fig. 7
und 8 dargestellten Präspermidentelophasen; die eine stammt
von einer Präspermide, die durch Heterokinese ein Heterochro-
mosom erhielt, die andere von einer solchen, die frei davon blieb.
Man sieht hier mit grosser Anschaulichkeit, wie schliesslich nur
Fig. 6.
Gryllus domesticus. Spermiocytentelophase.
h Heterochromosom im eigenen Kernbläschen.
die Hälfte der Spermiden ein Heterochromosom empfängt. In
der Tat findet man nur in einem Teile der Spermiden, wenn ihr
Kern bläschenförmig geworden ist, einen der Kernmembran dicht
anliegenden längsovalen Körper, der dem in den Spermiocyten
heschriebenen CUhromatinnueleolus durchaus ähnlich ist, nur dass
er etwa die halbe Grösse besitzt, und auch die gleichen Färbungs-
reaktionen aufweist.!)
Überblicken wir die eben gegebene Darstellung, so drängt
sich die Frage auf: Ist der in der Wachstumsperiode des Spermio-
eyten vorhandene Uhromatinnucleolus auch wirklich identisch mit
dem in den Spermiogonien auftretenden hufeisenförmigen Chro-
matinelement, und ist das in der ersten Reifungsteilung Hetero-
kinese erfahrende Chromosom wiederum auf jenen zurückzuführen ?
!) Allerdings wurde er nicht frisch mit Methylgrünessigsäure untersucht.
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 507
Mit absoluter Sicherheit lässt sich diese Frage nicht bejahen, da
das Heterochromosom seine in den Spermiogonien so charak-
teristische Gestalt nicht weiter bewahrt, und auch sein in den
Spermiogonien hervortretender beträchtlicher Grössenunterschied
gegenüber den gewöhnlichen Chromosomen doch nicht so bedeutend
ist, um in den Reifungsmitosen, in welche die übrigen Chromo-
somen nach starkem Wachstum eintreten, noch besonders aufzu-
fallen. Hier treten die an anderen in dieser Beziehung günstigeren
Untersuchungsobjekten gewonnenen Frgebnisse helfend ein, und
Fig. 8.
Gryllus domesticus. Gryllus domesticus.
Präspermidentelophase ohne Präspermidentelophase mit
Heterochromosom. Heterochromosom h.
ich glaube, dass wir nach den Erfahrungen an Objekten wie
Orphania denticauda oder Protenor belfragei, bei denen sich das
„Heterochromosom infolge seiner exzessiven Grösse stets mit
Gewissheit wiedererkennen lässt, die Identität jener drei Gebilde
als so gut wie sicher annehmen können. Einen Hinweis auf die
Beziehung zwischen dem hufeisenförmigen Element in den Spermio-
gonien und dem Chromatinnucleolus in den Spermiocyten glaube
ich in einer Beobachtung erblicken zu dürfen, die man mitunter
an Spermiocyten machen kann: statt eines Chromatinnucleolus
findet sich ein dünner, der Kernmembran dicht anliegender und
34*
508 Sr Gurt henrize
etwa fast ein Viertel ihres Umfanges einnehmender Faden; ich
fasse dies so auf, dass hier das Heterochromosom seiner ursprüng-
lichen langgestreckten Gestalt (allerdings unter Anlagerung an
die Kernmembran) treu geblieben ist, anstatt in den länglich-
ovalen Nucleolus überzugehen.
3. Somatische Mitosen des Männchens
von Gryllus domesticus.
Gelegenheit zur Untersuchung somatischer Mitosen ergab
sich beim Studium sehr junger Larvenhoden, die erst bis zur
Bildung von Spermiogonien fortgeschritten waren. Hier fanden
Fig. 9. Fig. 10.
Gryllus domesticus. Gryllus domesticus.
Anaphase einer somatischen Zelle Anaphase einer Endfadenzelle
(Hodenwandzelle) aus dem Larvenovarium.
aus dem Larvenhoden.
sich Hodenwandzellen, Spermiocystenzellen, Fettzellen reichlich
in Mitose. Es fiel mir bald auf, dass das so charakteristische
Bild der Spermiogonienanaphase sich bei den Körperzellen nicht
wiederfand. Ein Vergleich von Fig. 9 mit Fig. 2 zeigt dies sehr
deutlich; man gewinnt bereits aus dem Bilde der Anaphase den
Eindruck, als ob das Heterochromosom in den Körperzellen nicht
vorhanden sei In der Tat konnte ich bei Untersuchung zahl-„
reicher Metaphasen niemals ein durch Grösse und hufeisenförmige
(restalt ausgezeichnetes Uhromatinelement auffinden. Allerdings
sind zur Zählung geeignete Äquatorialplatten äusserst selten, da
die Chromosomen nie streng in einer Ebene liegen. So ergab
sich in den wenigen, für Zählung brauchbaren Fällen auch nur
annähernd die Zahl 20. Bemerkt sei noch, dass sämtliche Chromo-
somen länger und dünner sind als in den Spermiogonien.
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 509
4. Mitosen aus den Endfäden des Larvenovariums
von Gryllus domesticus.
Die hier beobachteten Mitosen sind den männlichen somatischen
sehr ähnlich; auch hier zeigt die Anaphase (Fig. 10) einen
bemerkenswerteu Gegensatz zur Spermiogonienanaphase, indem
kein magnetförmiges grosses Element zu sehen ist; auch hier
ist das Verhalten in der Metaphase ein gleiches, und es ergibt
sich nur mit Wahrscheinlichkeit als Zahl der Chromosomen 20,
unter denen kein durch Grösse oder Gestalt sich auszeichnendes
Chromatinelement gefunden wird.
Oogonienmitosen habe ich nur äusserst spärlich angetroffen
und auch dann in ungünstiger Lagerung.
Ob. die Endfadenzellen zum Teil der Keimbahn angehören,
ist mindestens sehr fraglich. Folgt man der embryologischen
Darstellung von Heymons (6), so sind sie, da mesodermalen
Ursprungs, als Körperzellen aufzufassen.
Ich kann daher nur mit Wahrscheinlichkeit eine Überein-
stimmung zwischen männlichen und weiblichen Körperzellen fest-
stellen, über weibliche Keimbahnzellen aber noch nichts aussagen.
Ich hoffe, die hier vorhandenen Lücken durch weiteres Suchen
nach günstigen Körpermitosen beider Geschlechter sowie nach
Oogonienmitosen später ausfüllen zu können.
5. Synapsisstadium des Spermio- und Oocyten
von Pyrrhocoris apterus.
Im dritten Teile seiner „Uhromosomenstudien“ berichtet
Wilson (17), dass er bei einer Reihe von Hemipteren, die im
Synapsisstadium des Männchens einen Chromosomnucleolus auf-
wiesen, keine Spur eines derartigen Körpers im entsprechenden
Stadium beim Weibchen gefunden habe. Wilson zieht hieraus
einen allgemeinen Schluss auf grössere Aktivität gewisser
Chromosomen beim Weibchen als beim Männchen, indem er den
in Form eines Chromatinnucleolus ausserhalb des Synapsisknäuels
verbleibenden Chromosomen eine mehr passive Rolle zuschreibt.
Da ich nun bei Pyrrhocoris apterus zum entgegengesetzten
Untersuchungsergebnis gelangt bin, so sei darüber kurz berichtet.
Ein Vergleich der Synapsisstadien beider Geschlechter (Fig. 11
und 12) ergibt bei beiden einen nucleolusartigen Körper, der
ach Behandlung mit dem Biondischen Gemisch grün und bei
510 S. Gutherz:
Flemmingscher Dreifachmethode leuchtend rot erscheint. Das
weibliche Synapsisstadium weist ausserdem einen echten Nucleolus
auf, der durch Biondis Gemisch rot und mittels Flemmings
Dreifachmethode blass violett gefärbt wird. Den Chromatin-
nucleolus des Männchens dürfen wir, da nach Henkings (4)
Pyrrhocoris apterus. Spermiocyt im Synapsisstadium.
h Heterochromosom. Fixation mit Hermanns Gemisch.
Fig. 12.
Pyrrhocoris apterus. Oocyt im Synapsisstadium.
x Körper mit den Färbungsreaktionen eines Chromatinnucleolus,
n echter Nucleolus. Fixation mit Hermanns Gemisch.
Darstellung Pyrrhocoris ein Monosom besitzt, als Hetero-
chromosom im Zustande der Heteropyknose betrachten.
Welche Deutung dem Chromatinnucleolus beim Weibchen zu
geben ist, vermag ich nicht zu sagen. Es sei hervorgehoben,
dass er im Synapsisstadium mit absoluter Konstanz auftritt, während
der echte Nucleolus öfters vermisst wird, vielleicht weil er im
Zur Kenntnis der Heterochromosomen. a
Chromatinknäuel verborgen liegt. Ich fand den Chromatinnucleolus
auch in grösseren Oocyten nach der Synapsis, wenn die einzelnen
Chromatinfäden sich bereits voneinander isoliert haben, und zwar
manchmal mit einer deutlichen Einschnürung, daneben den blassen
echten Nucleolus.
Übrigens ist der Chromatinnucleolus des Oocyten H enking,
dem Entdecker der Heterochromosomen, nicht entgangen. Nach-
dem er eine anschauliche Schilderung des damals noch nicht
besonders benannten Synapsisstadiums gegeben hat, heisst es in
seiner Darstellung (5): „Neben dem Fadenknäuel sieht man oft
einen deutlich gesonderten kompakteren Chromatinkörper“ und
an späterer Stelle: „Der nucleolusartige Körper behält seine
kompakte Form länger als der Fadenknäuel. Wenn dieser aber
völlig gelockert ist, vergrössert sich auch dessen Oberfläche,
indem er knotenförmige Vorsprünge erhält, so dass er schliess-
lich wie ein Haufen von Körnchen erscheinen kann.“
6. Zusammenfassung der Ergebnisse.
A. Gryllus domesticus.
1. In der Spermiogenese findet sich ein Heterochromosom
vom Monosomentypus mit Heterokinese I, welches sich in den
Spermiogonien vor den 20 gewöhnlichen Chromosomen durch
besondere Grösse und Gestalt auszeichnet.
2. In der ersten Reifungsmitose begeben sich an die
gewöhnlichen Chromosomen Halbspindelfasern, die von stärkerer
Dicke sind als die Polstrahlen; das Heterokinese erfahrende
Monosom erhält keine derartige Faser.
3. In männlichen somatischen Mitosen sowie in Mitosen
aus den Endfäden des Ovariums findet sich kein dem Hetero-
chromosom der Spermiogonien vergleichbares Element; die Zahl
der Chromosomen beträgt wahrscheinlich 20.
B. Pyrrhocoris apterus.
Im Synapsisstadium sowohl des Spermio- als des Oocyten
ist ein Chromatinnucleolus vorhanden.
Eine kurze Diskussion gewisser Untersuchungsergebnisse
sei angefügt. ;
Betrefis der Beziehungen des in Heterokinese begriffenen
Monosoms zum Spindelapparat hat de Sin&ty (10) bei Orphania
512 S. Gutherz:
denticauda angegeben, dass es, exzentrisch gelegen, häufig mit
der Spindel verbunden sei, zuweilen aber auch mitten im Cyto-
plasma angetroffen werde. Boveri (15) hat nach den Abbildungen
de Sinetys die Vermutung geäussert, dass der Transport des
Monosoms nicht durch den karyokinetischen Fadenapparat bewirkt
werde und es je nach seiner zufälligen Lage in die eine oder
andere Tochterzelle gelange. Auf Grund der von mir mitgeteilten
Beobachtungen glaube ich Boveris Annalıme für Gryllus domesticus
bestätigen zu können.
Der zwischen den Spermiogonien und den somatischen Zellen
von Gryllus domesticus sich darstellende Unterschied lässt es
wünschenswert erscheinen, eine Untersuchung der Embryonal-
entwicklung von Gryllus bis zur Sonderung der Keimzellen mit
besonderer Berücksichtigung der Chromatinverhältnisse vorzu-
nehmen. Heymons (6) ist auf Gruud embryologischer Unter-
suchungen zu der Vorstellung gelangt, dass bei Gryllus domesticus
die Trennung der Keimbahnzellen von den somatischen Zellen
sehr frühzeitig erfolge; vielleicht gelingt es bei Beachtung des
Verhaltens der Chromosomen, diesen Zeitpunkt exakt zu ermitteln.
Nehmen wir, was ich bisher nur als wahrscheinlich angeben kann,
die Zahl der Chromosomen in den Körperzellen als 20 an, so
erbebt sich die interessante Frage, in welcher Weise die Son-
derung in Zellen mit Heterochromosom und ohne Heterochromosom
vor sich gehe. Stellen wir uns auf den Standpunkt der Indivi-
dualitätstheorie der Chromosomen, so müssen wir eine Art von
„Diminutionsprozess“ annehmen; andernfalls besteht die Möglich-
keit, dass das Heterochromosom im Beginn der Entwicklung noch
nicht vorhanden ist und erst später auftritt. Jedenfalls scheint
sich mir im Studium der frühen Embryonalentwicklung von
Gryllus domesticus ein ausgezeichneter Prüfstein für die Theorie
der Chromosomenindividualität darzubieten.
Da mir sichere weibliche Keimbahnzellen von Gryllus
domesticus nicht zur Verfügung standen, so kann ich zu der
interessanten von Sutton und Wilson an verschiedenen Objekten
verschieden beantworteten Frage nach der Beziehung zwischen
Chromosomen und Geschlecht noch keine Stellung nehmen.
Zur Kenntnis der Heterochromosomen, 513
Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Geheimrat
O. Hertwig, der mir die Anregung zur vorliegenden Unter-
suchung gab, hierfür sowie für sein liebenswürdiges Interesse
am Verlaufe der Arbeit, sodann für freundliche Unterstützung
mit neuester Literatur und die ausserordentliche Liberalität, mit
der er mir die Institutsmittel zur Verfügung stellte, meinen herz-
liechsten Dank auszusprechen. Ferner seien die Herren Prof.
R. Krause, Privatdozent Dr. H Poll und Dr. W. Berg für
mannigfache wertvolle Ratschläge meines ergebensten Dankes
versichert.
Berlin, Ende Juli 1906.
Literaturverzeichnis.
(Eine ausführliche Zusammenstellung der Heterochromosomen-Literatur
findet sich bei 7 und 8.)
1. Baumgartner, W. J.: Some new Evidences for the Individuality of
the Chromosomes. Biol. Bull. VIII. 1904.
la. Blackman, M. W.: The Spermatogenesis of Scolopendra Heros. Bull.
Mus. Uomparat. Zool., Harvard College. Bd. 48. 1905.
2. Gross, J.: Die Spermatogenese von Syromastes marginatus L. Zool
Jahrb., Anatomie XX. 1904.
9. Häcker, V.: Bastardierung und Geschlechtszellenbildung. Zool. Jahrb.
Suppl. VII. 1904.
4. Henking, H.: Untersuchungen über die ersten Entwicklungsvorgänge
in den Eiern der Insekten. II. Über Spermatogenese und deren Be-
ziehung zur Eientwicklung bei Pyrrhocoris apterus L. Zeitschr. wiss.
700]. Bd. 51. 1891.
9. Derselbe: Untersuchungen über die ersten Entwicklungsvorgänge in den
Eiern der Insekten. III. Spezielles und Allgemeines. Zeitschr. wiss.
Zool, Bd. 54. 1892.
6. Heymons, R.: Die Embryonalentwicklung von Dermapteren und
ÖOrthopteren. Jena 189.
Me Clung, C. E.: The Accessory Chromosome — Sex Determinant ?
Biol. Bull. III. 1902.
'8. Montgomery, Th. H.: The Spermatogenesis of Syrbula and Lycosa,
with general considerations upon chromosome reduction and the hetero-
chromosomes. Proc. Acad. of Nat. Sc. of Philadelphia. 1909.
9. Derselbe: The Terminology of aberrant Chromosomes and their Behavior
in certain Hemiptera. Science. Vol. XXIII. Jan. 1906.
10. de Sinety, R.: Recherches sur la biologie et l’anatomie des Phasmes.
La Cellule. XIX. 1901.
=]
S. Gutherz: Zur Kenntnis der Heterochromosomen.
. Stevens, N.M.: Studies in Spermatogenesis with especial Reference to
the „Accessory Chromosome“. Publication No. 36. Carnegie Institution,
Washington. 1905.
2. Sutton, W. S.: The Spermatogonial Divisions in Brachystola magna.
Bull. Univ. Cansas. IX. 1900.
Derselbe: On the Morphology of the Chromosome Group in Brachystola
magna. Biol. Bull. IV. 1902.
Wilson, E.B.: Studies on Chromosomes. I. The Behavior of the Idio-
chromosomes in Hemiptera. Journ. Exper. Zool. Vol. II. 1905.
5. Derselbe: The Chromosomes in Relation to the Determination of Sex in
Inseets. Science. Vol. XXII. Okt. 1905.
3. Derselbe: Studies on Chromosomes. II. The paired Microchromosomes,
Idiochromosomes and Heterotropic Chromosomes in Hemiptera Journ.
Exper. Zool. Vol. II. 1905.
. Derselbe: Studies on Chromosomes. III. The sexual Differences of the
Chromosome Groups in Hemiptera with some Considerations on the
Determination and Inheritance of Sex. Journ. Exper. Zool. Vol. III. 1906.
. Boveri, Th.: Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Sub-
stanz des Zellkerns. Jena 1904.
Wallace, L. B.: The Spermatogenesis of the Spider. Biol. Bull. VIII.
1905.
Die Analogie in der Entwicklung der Knochen-
und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere nebst
kritischen Bemerkungen über die Osteoblasten-
und Odontoblastentheorie.
Von
Dr. K. v. Korif,
ll. Prosektor am anatom. Institut zu Kiel. ®
Hierzu Tafel XIX,
Meine mitgeteilten Befunde über die erste Anlage der
histologischen Bestandteile des Dentins stehen in scharfem Gegen-
satz zu der bisherigen Auffassung von der Genese des Dentins.
Ich habe gezeigt, dass die Grundsubstanz nicht homogen, sondern
von vornherein fibrillär angelegt wird. Nicht die Odontoblasten,
‘sondern die Fibrillen der Pulpa bilden die ersten Fibrillen des
Dentins.
Die deutlich erkennbaren Strukturen der ersten Dentinanlage
wiesen mich auf histogenetische Untersuchungen des Knochen-
gewebes. Ich habe geprüft, ob hier ähnliche oder dieselben
Entwicklungserscheinungen wie bei der Histogenese des Dentins
vorliegen, ob die von Gegenbaur aufgestellte, von Waldeyer
bestätigte Osteoblastentheorie auch bei Anwendung von scharf
differenzierenden Untersuchungsmethoden weiter anerkannt werden
muss, ob sie imstande ist, die späteren Wachstumserscheinungen
zu erklären.
Meine histogenetischen Befunde über das Dentin werde ich
später in Anbetracht der analogen genetischen Erscheinungen
der Hauptsache nach wieder anführen und bezüglich der Um-
lagerung der ersten Fibrillen vervollständigen.
Das Material meiner Untersuchungen stellen die in Entwicklung
begriffenen Bindegewebsknochen von Säugetieren (Embryonen, Neu-
geborenen) dar. Vor allem wurden untersucht die in lockerem
embryonalem Bindegewebe gelegenen Knochenbälkchen des Unter-
kiefers, Oberkiefers, Palatinums (Schwein, Katze, Hund, Meer-
schweinchen), dann die Deckknochen an der Dorsalseite des
516 RE yEaRWo TI:
Schädels (Katze), die aus dem Periost hervorgehenden Knochen-
bälkchen der langen Röhrenknochen (Hund, Mensch, Meer-
schweinchen). dann der etwa 1 cm lange Stirnbeinhöcker vom
neugeborenen Kalbe. Die noch wenig Kalksalze enthaltenden
Knochen wurden durch ‘die fixierende Flüssigkeit meist selbst
entkalkt; als solche wählte ich hauptsächlich öfter gewechseltes
Flemmingsches Gemisch, Sublimat-Alkohol-Eisessig, Zenkersche
Flüssigkeit oder Sublimat. Vor der Fixierung wurden die Objekte
in möglichst dünne Längs- oder Querschnitte zerlegt, so dass
eine "schnelle Entkalkung, ein in alle Gewebsschichten gleich-
mässig schnelles Eindringen der Flüssigkeiten stattfinden konnte.
Die angewandten Färbemethoden sind folgende:
I. Eisenalaun-Hämatoxylinfärbung nach M. Heidenhain
mit nachfolgender Bindegewebsfärbung.
1. Färben der aufgeklebten Schnitte in der von M. Heiden-
hain angegebenen Weise (24 Stunden).
2. Differenzieren mit Eisenalaunlösung, bis die bereits
verkalkt gewesenen Stellen der Grundsubstanz, welche
sich am intensivsten färben, sich zu entfärben anfangen.
Abspülen im fliessenden Wasser (etwa 15 Minuten).
4. Färben der fibrillären Grundsubstanz:
Die Schnitte kommen aus Wasser in 95°%o Alkohol,
dann auf 10—15 Minuten in sehr dünne alkoholische
Lösungen von Rubin S (ca. 0,25 Rubin S 500—1000
Alkohol) oder in konzentrirte oder verdünnte alkoholische
Lösungen der von M. Heidenhain eingeführten
Farbstoffe für Bindegewebe, der Chromotropen. Die
Osteoblasten, Knochenzellen. Odontoblasten färben sich
stärker schwarz als die Bindegewebszellen. Die Aus-
läufer von Osteoblasten und Knochenzellen und weichen
Zahnfasern erscheinen homogen blassgrau, die unver-
kalkten Stellen der Grundsubstanz differenzieren sich
als rot gefärbtes Flechtwerk von Fibrillen. Die ver-
kalkt gewesenen Stellen färben sich homogen tiefschwarz.
ll. Färbung in einer Mischung von zwei Farbstoften von
Präparaten, die in chromsäurehaltigen Flüssigkeiten fixiert
waren: Rubin S 2, Orange G 1, Glycerin 7, aq. destill.
ad 100. Dieses Gemisch färbt fast momentan ("es Min).
Die gefärbten Schnitte werden in 95° 0 Alkohol extrahiert.
o
—1
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 5l
Östeoblasten und Knochenzellen und Odontoblasten färben
sich orange, ebenso, wenn auch nicht so scharf, deren
homogene Ausläufer; die Fibrillen der unverkalkten
Grundsubstanzen und die in sie übergehenden Fibrillen-
bündel erscheinen deutlich rot. Die verkalkt gewesenen
Stellen der Grundsubstanzen färben sich orange oder
gelb mit verschiedenen Nuancierungen.
Die von M. Heidenhain eingeführten Chromotropen färben
die Bindegewebsfibrillen ebenso deutlich wie Rubin S. Dieselben
sind dem -Rubin S insofern vorzuziehen, als die mit ihnen gefärbten
Bindegewebsfibrillen nach den Erfahrungen von M. Heidenhain
den einmal angenommenen Farbenton beibehalten, während die
Rubin S-Färbung der in Kanadabalsam eingeschlossenen Fibrillen
bald mehr bald weniger schnell verblasst. Die von vielen Autoren
angewandte Färbung von Hämatoxylin und Eosin hat sich als
unzweckmässig erwiesen; die Fibrillen werden mit Eosin nicht
scharf difterenziert.
Das lockere embryonale Bindegewebe, in dem sich die
Knochenbälkchen entwickeln, ist reich an Bindegewebsfibrillen und
jungen Bindegewebszellen, die sich durch mitotische Teilung stark
vermehren, ähnlich dem Gewebe von wachsenden Zahnpulpen.
Besonders in der innersten periostalen Schicht der langen Röhren-
knochen kann man die markantesten Stadien des Monasters und
Diasters während der Mitose häufig antreffen. Das Verhalten
der Zellen zu den Fibrillen ist an vielen Bindegewebszellen zu
erkennen. An den in Flemmingschem Gemisch fixierten Prä-
paraten erkennt man, wie aus dem Protoplasma der Binde-
gewebszellen die Fibrillen hervorgehen. Der Sachverhalt erscheint
nicht etwa so, dass an einer bestimmten Stelle das Protoplasma
aufhört und die Fibrille anfängt, sondern so, dass der Übergang
ein sehr allmählicher ist, dass die Protoplasmafärbung an einer
Übergangsstrecke immer schwächer, die Fibrillenfärbung mit
Rubin S dagegen peripheriewärts immer markanter wird.
Öfter habe ich Bilder gesehen, welche den Entwicklungsmodus
der Fibrillen, wie ihn Spuler in seinen ausführlichen und
genauen Untersuchungen über die Entstehung der Fibrillen aus
dem Protoplasma der Bindegewebszellen beschreibt, dartun. Im
Zellleib gelegene, geradlinig verlaufende Reihen von dicht an-
einander gelagerten feinen Körnern des Protoplasmas, gehen in
518 Kay Kork:
Fibrillen, unter Verschwinden trennender Zwischenräume, über.
Erst ausserhalb des Zellieibes nehmen die Fibrillen die intensive
Bindegewebsfärbung an. Sie lassen sich auf weite Strecken ver-
folgen, kreuzen in geschlängeltem Verlauf die Bindegewebszellen
und deren Ausläufer. Sie zeigen charakteristische glatte Ober-
fläche, erscheinen immer homogen. Auf Schnittpräparaten sieht
man natürlich die bei weitem grösste Anzahl von Fibrillen nicht
in ihrer ganzen Ausdehnung, welche als sehr lang angesehen
werden muss. Bei der ausserordentlichen, kaum messbaren
Feinheit und grossen Anzahl derselben, liegen sie selbst in den
feinsten Schnitten überall massenhaft übereinander und kreuzen
sich in allen möglichen Richtungen (Fig. 2, L. e. B.). (Fig. 1.)
In der innersten Schicht des Periostes (Fig. 1, I. Sch.), in
dem „ossificierenden Blastem“ (Koelliker), oder dem „osteoiden
(sewebe des Periostes* (Virchow) ist von Rollet und anderen
ein Reticulum des Gewebes beschrieben. Dies findet sich, wie ich
besonders hervorheben möchte, nach meinen Präparaten niemals in
dem lockeren, stark wachsenden Bindegewebe. Die Bindegewebs-
zellen setzen sich nicht miteinander zur Konstitution eines Reticulums
in Verbindung. Ebensowenig treffen wir im analogen (sewebe
der wachsenden Zahnpulpa jemals ein Reticulum an. Wir haben
es hier wie dort vielmehr mit einem Gewebe zu tun, das bei stets
stattfindender und nachweisbarer mitotischen Vermehrung seiner
zelligen Elemente die eine Hauptaufgabe hat, immer neue, zu-
nächst isoliert laufende Bindegewebsfibrillen zu differenzieren, die,
wie ich später zeigen werde, für die Bildung der Grundsubstanz
das hauptsächlichste Moment bilden.
Nach Sublimatfixierungen färbt Rubin S oft im lockeren
embryonalen Bindegewebe, in dem sich die Knochenbälkchen ent-
wickeln, sowie in der Zahnpulpa die sich bildenden Fibrillen nicht
so intensiv wie die mit diesen kontinuierlichen Fibrillen der
ersten Anlage von Knochen- und Dentingrundsubstanz. Es ist
wahrscheinlich, dass diese nuancierende Reaktion auf Rubin S
der Ausdruck ist für eine, wenn auch nur geringe Verschiedenheit
in der chemischen Zusammensetzung, oder für die verschiedene
Dichtigkeit der färbbaren Fibrillensubstanz bei den verschiedenen
Abschnitten der Bindegewebsfibrillen. Demnach bilden die ersten,
jüngst entstandenen, oft noch in nachweisbarem Zusammenhang
mit den Bindegewebszellen stehenden Abschnitte der Fibrillen
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 519
chemisch eine Vorstufe zu den echten oder collagenen Binde-
gewebsfibrillen sowohl der Knochen als der Dentingrundsubstanz.
Die collagene Fibrille ist hiernach ein sekundäres Produkt. Der
Collagengehalt derselben, der sie charakterisiert, bildet schliess-
lich wohl den Hauptbestandteil derselben, die anderen kon-
stitulerenden Teile treten bei der reifen Fibrille zurück. Bei
der „unreifen Fibrille‘ dürften sie mehr überwiegen.
An dem wachsenden Knochenbälkchen lassen sich besonders
leicht zweiEntwicklungsstadien histologisch unterscheiden. Daserste
ist charakterisiert lediglich durch sich kreuzende Fibrillenbündel
ohne färbbare Interfibrillarsubstanz, wir finden es an der Peripherie,
das zweite dadurch, dass ausser der fibrillären auch eine färb-
bare interfibrilläre homogene Substanz entwickelt ist. Diese
Stellen entsprechen den zentralen Abschnitten des Knochen-
bälkchens (Fig.2). In diese interfibrilläre fär bbare Substanz werden
wahrscheinlich die Kalksalze abgelagert (Spuler). Gleichzeitig mit
der Verknöcherung entsteht ein dem Stofiwechsel dienendes
Röhrensystem, in das differenzierte Bindegewebszellen ganz oder
nur mit ihren Fortsätzen zu liegen kommen (Knochenzellen, Osteo-
blasten, |[Fig. 3]).
An den Stellen, wo wir die Bildung der fibrillären Grund-
substanz als erstes Stadium erkennen können, an der Peri-
pherie des wachsenden Bälkchens, ist ein Flechtwerk von sich
kreuzenden Fibrillenbündeln mit zwischenliegenden, sich modi-
fizierenden Bindegewebszellen, angelegt. Das Gewebe der Fibrillen-
bündel ist bald mehr locker, bald mehr dicht. Bei den sich
hauptsächlich der Fläche nach ausbreitenden Knochen, wie den
dorsalen Schädeldeckknochen, sind die sich kreuzenden Fibrillen-
bündel in ähnlicher Orientierung mehr oder weniger parallel zur
Schädeloberfläche gelegen. Ihre Herkunft ist daher auf Flach-
schnitten verhältnismässig leicht zu erkennen. Schwieriger ist
die Orientierung bei unregelmässiger sich ausbreitenden Knochen-
anlagen. Hier werden die Fibrillenbündel, einerlei, wie man die
Schnittrichtung wählt. selten der Länge nach, öfter quer, am
häufigsten schräg durchschnitten. In beiden Fällen handelt es
sich um ein sehr kompliziert zusammengesetztes Flechtwerk von
Fibrillenbündeln, die meist in verschiedenen Ebenen liegen und
sich in allen möglichen Richtungen kreuzen.
Die Bindegewebsfibrillen dieser ersten unverkalkten Anlage
520 K. v. Korff:
von Knochengrundsubstanz bilden nun nicht etwa ein in sich ab-
geschlossenes (rewebe, sondern stehen mit den beschriebenen
Fibrillen des peripheren embryonalen, stark wuchernden Binde-
gewebes in kontinuierlichem Zusammenhang. Die Bindegewebs-
zellen vermehren sich hier, wie erwähnt, durch mitotische Teilung
und differenzieren sehr zahlreiche Bindegewebsfibrillen. Die letz-
teren laufen, von verschiedenen Richtungen kommend, pinselartig
zusammen; dann legen sie sich zu Fibrillenbündeln aneinander
und gehen kontinuierlich in die Fibrillenbündel der ersten Knochen-
grundsubstanz über. Da sich die so zahlreich entstehenden Fib-
rillenbündel nach einer bestimmten Stelle konzentrieren und von
den verschiedensten Richtungen kommen, finden die mannigfachsten
Kreuzungen statt. Es entsteht ein Flechtwerk von Fibrillenbündeln
als erste Anlage des Knochengewebes. Einzelne Fibrillen des
lockeren peripheren Bindegewebes strahlen selten in das Knochen-
bälkchen ein, meist immer Fibrillenbündel (Fig. 1, 2).
A. Spuler, welcher die von mir zuerst angeführte
Untersuchungsmethode ebenfalls bei seinen osteogenetischen Unter-
suchungen benutzte, hebt ausdrücklich hervor, dass auch die
weiter vom Knochenbälkchen entfernt gelegenen Bindegewebszellen
sich an der Bildung der collagenen Fibrillen der Knochengrund-
substanz beteiligen. Dass die von den Bindegewebszellen gebildeten
Fibrillen einzeln in den fibrillären Saum übergehen, habe ich zwar
auch beobachtet, doch die bei weitem grösste Menge der Binde-
gewebsfibrillen geht erst nach der Formation von Fibrillenbündeln
in die Grundsubstanz über.
Ganz anders sieht das Gewebe am Saume eines wachsenden
IKnochenbälkchens aus, welches nur mit einer gewöhnlichen Proto-
plasmafärbung gefärbt wurde. Die fibrilläre Struktur tritt nicht
deutlich hervor: die ganze Grundsubstanz erscheint homogen.
Am Saume liegen scheinbar nur die Osteoblasten, welche bei den
häufigen Tangentialschnitten des Bälkchens eine dichtgedrängte
Lage vortäuschen, und mit ihren Fortsätzen scheinbar kontinuier-
lich in die Grundsubstanz übergehen. Dass dies, wie die scharf
differenzierende Eisenalaun-Hämatoxylinmethode zeigt, nicht der
Fall ist, und dass die Angaben Gegenbaurs und Waldeyers
über das spezielle Verhalten der Osteoblasten bei der Knochen-
substanzbildung nicht zutreffen oder wenigstens in keiner Weise
erkannt werden können, werde ich später erörtern.
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 521
Die von mir beschriebenen Erscheinungen am Saume des
Knochenbälkchens müssen als osteogenetische aufgefasst werden.
Dies geht daraus hervor, dass sie immer da zu beobachten sind.
wo ein ständiges Wachstum der Knochen erfolgen muss. Daher
finden wir das Einstrahlen der von Bindegewebszellen gebildeten
Fibrillen in den Saum des Knochenbälkchens an den Endphan-
langen junger Tiere, den peripheren periostalen Knochenbälkchen,
in der Spitze wachsender Rehgehörne, im Stirnzapfen vom Kalbe.
Anderseits fehlen diese Vorgänge, wo das Wachstum der Knochen-
bälkchen ruht oder die Knochensubstanz resorbiert wird, wie
an denjenigen periostalen Knochenbälkchen, welche in der Nähe
der Markhöhle der langen Röhrenknochen liegen.
Das: zweite Entwicklungsstadium finden wir in den zentralen
Stellen der Knochenbälkchen. Hier tritt eine zweite färbbare
homogene interfibrilläre Substanz auf, welche die Fibrillenbündel
maskiert, die Grundsubstanz homogen erscheinen lässt und in welche
die Kalksalze abgelagert werden (Fig. 2). Diese verkalkten zentralen
Stellen haben gegenüber den peripheren, sich nur acidophil färbenden,
eine ausgesprochene „Basophilie‘, was auf die Anwesenheit der
interfibrillären färbbaren Substanz zurückgeführt werden muss.
Entfernt man nämlich durch längeres Verweilenlassen der Präparate
in Macerationsflüssigkeit (Salpetersäure, 2—5 "/o) die interfibrilläre
Substanz, so erscheinen die verkalkt gewesenen Stellen wieder
fibrillär und zugleich mit dem Wiedersichtbarwerden der fibrillären
Struktur färbt sich die Grundsubstanz intensiv mit sauren
Farbstoffen. Auch Flemmingsches Gemisch zersetzt die färbbare
basophile Interfibrillärsubstanz, wenn sie öfter erneuert wird und
mehrere Monate auf nicht zu sehr verkalkt gewesene Knochen-
stücke einwirkt. Gegenüber diesen zentralen, für gewöhnlich
homogenen, verkalkten, basophilen Abschnitten, bleibt der Saum
des wachsenden Knochenbälkchens unverkalkt, ohne färbbare
Interfibrillarsubstanz, also rein fibrillär und färbt sich nur
acidophil.
Die Osteoblasten zeichnen sich vor den gewöhnlichen Binde-
gewebszellen durch ihre stärkere Färbbarkeit aus. Ihr Kern ist sehr
chromatinreich, liegt stark exzentrisch zum Zelleib, meist an
der dem Knochenbälkchen abgewandten Seite. Ihrer Form nach
sind sie sehr verschieden. Auf Schnittpräparaten trifft man lange,
den Elfenbeinzellen gleichende, öfters werden kurze, nach aussen
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 35
522 K vaKkoriir:
abgerundete, beobachtet. Der Zellleib zeigt ähnlich den Elfenbein-
zellen zwei differente Abschnitte, einen stark gekörnten, basalen,
dem Kern anliegenden, und einen mehr homogenen peripheren,
nach dem Saume des Knochenbälkchens zu gerichteten. Hier
sehen aus dem Protoplasma mehr oder weniger zahlreiche Fort-
sätze hervor, die Fortsätze sind von der Grundsubstanz des Knochens
scharf abgesetzt (Fig. 3), liegen von Anfang an in den Kanälchen
der Knochensubstanz und anastomosieren mit den Protoplasmafort-
sätzen der Knochenzellen (Fig. 3), welche ebenfalls in ein Kanal-
system eingelagert werden, in das vom Saume des Bälkchens die
Gewebeflüssigkeit für den Stoffwechsel eindringen kann.
Im Zellleib der Osteoblasten entwickeln sich zahlreiche
basophile Körner, die scheinbar in die Fortsätze übergehen.
Spuler gibt an, dass dieselben durch Vermittlung der Fortsätze
in die Grundsubstanz abgelagert werden. Wahrscheinlich wird
in diesen Körnern die interfibrilläre Substanz des Knochens
vorgebildet, welche später verkalkt.
Entwicklungsgeschichtlich müssen die Osteoblasten als stark
modifizierte Bindegewebszellen aufgefasst werden. Sie gehen in
ähnlicher Weise aus denselben hervor, wie die Elfenbeinzellen
aus den Pulpazellen. Die Differenzierung der peripheren Pulpa-
zellen ist leichter zu erkennen, weil die sehr allmählich inein-
ander übergehenden Entwicklungsstadien ziemlich dicht aneinander
in einer Zellreihe liegen. Wir können hier das charakteristische
in die Länge wachsen des Zellleibes, die exzentrische Verlagerung
des Kerns, verfolgen. Schwieriger ist diese allmähliche Umbildung
der Bindegewebszellen in Osteoblasten und Knochenzellen zu
erkennen. Doch aus der Fig. 2 können wir, möchte ich glauben,
entnehmen, wie der Vorgang der allmählichen Differenzierung
sich macht. Die weit vom Knochensaume entfernt gelegenen
Bindegewebszellen sind meist spindelförmig, einzelne sternförmig.
In der Nähe des Saumes, wo sich die aufs Knochenbälkchen
zulaufenden Fibrillenbündel näher aneinanderlegen, nehmen die
Zellen an Grösse zu, ganz dicht am Bälkchensaume entwickeln
sie stärkere, fast ausschliesslich nach dem Bälkchen gerichtete
Protoplasmafortsätze, aber keine Fibrillen mehr. In ihrem Zell-
leib bilden sich basophile Körner. Die Protoplasmafortsätze
dringen in die Lücken zwischen den Fibrillenbündeln ein. Die
Zellen sind zu Osteoblasten geworden. An ganz im Innern des
oO
[&)
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere.
Bälkchens liegenden Zellen haben sie noch mehr Fortsätze nach
allen Richtungen hin entwickelt, die sich, wie aus Fig. 3 hervor-
geht, mit denen der Osteoblasten verbinden und in Knochen-
kanälchen liegen. Dies charakteristische Verhalten der Osteo-
blasten und Knochenzellen macht meiner Meinung nach eine
Beteiligung derselben an der Bildung der collagenen Fibrillen
der Grundsubstanz unmöglich, denn andere Fortsätze als die in
den Knochenkanälchen gelegenen lassen sich nicht nachweisen.
Offenbar ist mit der Umwandlung zur Osteoblastenzelle auch die
Funktion der Zelle eine wesentlich andere geworden. Als Binde-
gewebszelle differenziert sie Fibrillen, als Osteoblast entwickelt
sie nur in Knochenkanälchen gelegene Fortsätze und in den
basophilen Körnern des Zelleibes wahrscheinlich die später in die
Grundsubstanz» eingelagerte Interfibrillarsubstanz, wie wir es auch
für die Elfenbeinzelle annehmen müssen.
Die Angaben Waldeyers und Gegenbaurs, dass die
Osteoblasten sich öfter durch Teilung vermehren, habe ich in
keinem Falle zu bestätigen vermocht. Osteoblasten, wie sie von
Gegenbaur wiedergegeben sind, mit sehr kleinem, in der Mitte
des Zellleibes gelegenen Kern, dann solche mit fünf Kernen, habe
ich nie gefunden. Gegenbaur und Waldeyer betonen, dass
die Osteoblasten nach Art der Zellen eines Epithels dicht gedrängt
aneinander liegen ohne Zwischenraum. Diese irrige Anschauung,
dass das Knochenbälkchen durch eine Osteoblastenschicht voll-
kommen von der Umgebung abgeschlossen werde, liess vor allem
den Glauben an die Grundsubstanz bildende Kraft der Osteoblasten
aufkommen. In Wirklichkeit sind jedoch die Osteoblasten des
wachsenden Knochenbälkchens ebenso wie die Elfenbeinzellen
stets durch Zwischenräume voneinander getrennt; bei den häufigen
Flachschnitten der Knochenbälkchen bekommt man die Zellen
der Osteoblastenreihe meistens schräg durchschnitten, was ein
Aneinanderstossen der einzelnen Zellen im mikroskopischen Bilde
vortäuscht. Dies tritt besonders deutlich beim Vergleich von
Flächen- und Querschnitten von Schädeldeckknochen auf.
Nach meinen früher mitgeteilten Befunden über die fibrilläre
Struktur der ersten Dentinanlage und ihre Genese gehen die
Entwicklungsvorgänge derselben prinzipiell in derselben Weise
vor sich, wie bei der Anlage der fibrillären Grundsubstanz des
Knochens. In beiden Fällen wird nicht zuerst eine homogene
524 Key; Küoir tat:
Substanz gebildet, in der sich sekundär die collagenen Fibrillen
differenzieren, sondern die Grundsubstanz ist vom allerersten
Anfang an fibrillär. Die Fibrillen beider Bindegewebsarten werden
von den Bindegewebszellen gebildet. welche in dem Gewebe der
Zahnpulpa und in dem analogen lockeren embryonalen Binde-
gewebe liegen, das die Knochenbälkchenanlage umgibt. Nach
der Differenzierung der Bindegewebsfibrillen, wachsen letztere, auf
weite Strecken verfolgbar, lang aus. Sie laufen einzeln oder
sehr zahlreich zu Bündeln oder Strängen aneinandergelegt, zum
Teil in sehr charakteristischer Weise dorthin, wo wir mit Sicher-
heit die erste Anlage des Dentins und Knochens erkennen können.
Die von mir beschriebenen intercellulären collagenen Fasern oder
Stränge zwischen den ersten Elfenbeinzellen, welche aus den
Bindegewebsfibrillen der Zahnpulpa gebildet werden, durchsetzen
die Zwischenräume zwischen den Elfenbeinzellen in stark ge-
schlängeltem Laufe. Für die Bildung der ersten Fibrillen des
Dentins zeigen sie ein sehr charakteristisches Verhalten. Sie
lösen sich zwischen den peripheren Enden der Elfenbeinzellen in
ihre Bestandteile, nämlich in Bindegewebstibrillen, auf. Von hier
aus nämlich gehen aus den intercellulären Bindegewebssträngen oder
Fasern sehr zahlreiche, äusserst feine Fibrillen hervor. Letztere
strahlen dann als Radiärfibrillen büschelförmig oder pinsel-
artig nach allen Richtungen bis zur Schmelzmembran aus. Sie
kreuzen sich hierbei gegenseitig in den verschiedensten Richtungen.
Zu den weichen Zahnfasern liegen die ersten Fibrillen des Dentins
zunächst sehr verschieden, die meisten kreuzen die Zahnfasern in
sehr verschiedenen Richtungen, andere liegen schräg oder parallel
zu ihnen. Auf diese Weise wird ein der Hauptsache nach von
Fibrillen zusammengesetztes, filzartiges Gewebe als erste Anlage
des Dentins gebildet, dessen Fibrillen jedoch immer in büschel-
förmiger oder pinselartiger Anordnung bis zu den peripheren
Enden der intercellulären Stränge verfolgbar sind. Es finden
also zunächst nur Kreuzungen einzelner Bindegewebsfibrilien in
der ersten Dentinsubstanz statt, nicht solche von Fibrillenbündeln.
Das Gewebe der ersten Knochensubstanzanlage, welches von mir
am Saume des Knochenbälkchens beschrieben wurde, entwickelt
sich also in analoger Weise. Die Grandsubstanz bildenden Fibrillen
kommen ebenfalls zu Bindegewebsbündeln aneinandergelegt aus
der Peripherie und legen sich an den Saum des jungen Knochen-
DD
(or
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. )
bälkchens an. Hier behalten sie jedoch ihre Anordnung zu
Fibrillenbündeln und gehen kontinuierlich in die des Knochen-
bälkchens über. Da sie sich schon am Saume des Knochen-
bälkchens in mannigfacher Weise durchflechten, werden die
Osteoblasten durch die so gebildete neue Knochensubstanz von
der Peripherie ins Innere des verbreiterten Knochenbälkchens
verlagert und entwickeln sich zu Knochenzellen.
Dass die Fibrillen des Dentins in ihrer ersten Anlage nicht
parallel zur Pulpaoberfläche laufen und die Dentingrundsubstanz
von Anfang an nicht aus einer homogenen Substanz, in der sich
später Fibrillen differenzieren, sondern aus collagenen Fibrillen
angelegt wird, hat bereits vor mir C. Hansen konstatiert; er
äussert sich folgendermassen: „Wie bekannt, hat v. Ebner nach-
gewiesen, dass die Bindegewebsfibrillen des Zahnbeins der Pulpa-
oberfläche annähernd parallel verlaufen, also der Hauptsache nach
senkrecht auf der Richtung der Odontoblastenausläufer. Er ge-
braucht auch dieses Verhältnis als ein eklatantes Beispiel, wo die
leimgebenden Fibrillen senkrecht auf die Längsrichtung und den
Verlauf ihrer Bildungszellen sich entwickeln, zugunsten der extra-
cellulären Genese der Bindegewebstibrillen in diesem Falle. Soviel
ich aber sehen kann, hat weder v. Ebner noch die Verfasser,
welche sich in der neuesten Zeit (z.B. E. Hoehl) mit dem
Dentin beschäftigt haben, die allererste Anlage im Dentin be-
obachtet. Durch meine Bindegewebsfärbung ist mir aber dies
gelungen. Das Collagen wird nämlich nicht als (längere) senk-
recht zu den Ausläufern der Odontoblasten gebildet, sondern
zuerst um jene Ausläufer als eine filzähnliche Lage von ungeheuer
dünnen und feinen kurzen Fibrillen. welche sich gegenseitig
kreuzen und -aneinanderlegen, anfangs in allen möglichen
Richtungen; später aber, wenn sie von der Pulpaoberfläche weg-
rücken, findet eine Umlagerung statt. Die Richtungen werden
minder unregelmässig, zu den Odontoblastenausläufern mehr quer
verlaufend.“
Nach meinen Präparaten geht nun an vielen Stellen die
Umlagerung der von mir beschriebenen ersten Fibrillen des Dentins
in einer bestimmten Weise vor sich. Je weiter der Zahnkeim
vom Umschlagsrande des äusseren ins innere Schmelzepithel in
die Tiefe wächst, desto mehr werden die Fibrillen des Dentins
zur Oberfläche der Pulpa annähernd parallel gestreckt. An der
526 K x. Korff:
Innenseite der älteren, stärker verkalkten Zone nämlich liegen
die Fibrillen nicht mehr radiär zur Oberfläche, wie es immer die
jüngsten an der Basis der Pulpa tun, sondern schräg zur Pulpa-
oberfläche mit ihren peripheren Abschnitten nach der Spitze des
Zahnes zu, mit ihren unteren Abschnitten nach der Basis zu. Die
äusseren Abschnitte legen sich immer mehr aneinander, die büschel-
förmige Anordnung verschwindet, sie liegen dann mehr zu Bündeln
zusammen, welche schräg, beinahe quer zur Zahnfaser laufen. Auch
die intercellulären Fasern liegen bald nicht mehr in der Längs-
richtung der Elfenbeinzellen zwischen ihnen, sondern kreuzen die-
selben. Dass diese Verlagerung auf eine nach der Basis der Pulpa
zu gerichtete Zugwirkung des in tiefere Schichten der Kiefer
wachsenden Pulpagewebes zurückgeführt werden muss, ist sehr
wahrscheinlich (vergl. Fig. 5).
So lange der Zahnkeim wächst, findet in den basalen
Abschnitten der Pulpa eine ständige Neubildung der von mir
beschriebenen intercellulären Fasern statt, aus welchen immer
neue Fibrillen des Dentins gebildet werden. Aus dem charakte-
ristischen Verhalten, aus dem ständigen Vorkommen der inter-
cellulären Fasern, einerlei, wie weit das Entwicklungsstadium des
Zahnes vorgeschritten ist, aus der Umlagerung der Radiärfibrillen
annähernd parallel zur Pulpaoberfläche, geht meines Erachtens
hervor, dass die ersten Radiärfibrillen auch für die des fertigen
Dentins von fundamentaler Bedeutung sind. Wie diese Fibrillen
bei dem weiteren Wachstum des Zahnes den Zusammenhang mit
der Pulpa verlieren, wie sie sich dann in der Grundsubstanz
vermehren, entzieht sich vorläufig unserer Beurteilung.
Die Elfenbeinzellen und die Zahnfasern lassen sich bei der
von mir angewandten Methode auf das deutlichste von den
intercellulären Fasern und den Fibrillen der Dentingrundsubstanz
unterscheiden (Fig. 4, 5); sie haben offenbar eine ganz andere Be-
deutung, als man bisher angenommen hat. Schon in einer früheren
Abhandlung habe ich es als wahrscheinlich hingestellt, dass die
später angelegten Neumannschen Zahnfaserscheiden von den
Zahnfasern gebildet würden und zwar von einer aus feinen Körnern
zusammengesetzten, die Aussenfläche membranartig bekleidenden
Substanz, die sich später von der Zahnfaser abhebt. Die zahl-
reichen Zahnfasern und ihre Scheiden, welche nıiteinander durch
Kommunikationen verbunden werden, konstruieren ein dem Stoff-
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 927
wechsel und der Ernährung dienliches Kanalsystem in derselben
Weise wie die Osteoblasten beim Knochen.
Auf das erste rein fibrilläre Stadium der Dentinanlage folgt
bald wie beim Knochen das der Verkalkung. Die älteren Partien
an der Spitze verkalken zuerst, es folgen die jüngeren, nach der
Basis zu liegenden. Der zuletzt angelegte, jüngste, am tiefsten
gelegene Abschnitt bleibt immer unverkalkt. In den älteren
Abschnitten wird die fibrilläre Struktur des Dentins maskiert,
zugleich mit dem Auftreten einer sekundär angelegten Inter-
fibrillarsubstanz, dem die Verkalkung unmittelbar folgt (Fig. 4, 5)-
Die verkalkt gewesenen Stellen der Präparate unterscheiden sich
wie beim Knochen durch ihre Färbbarkeit von den unverkalkten.
Sie haben 'eine grosse Affinität für basische Farbstoffe, mit denen
sie sich intensiv und homogen färben; die unverkalkten Stellen
dagegen färben sich nur acidophil. Die ausgesprochene Basophilie
der verkalkten Stellen, das Verschwinden der fibrillären Struktur
beruht auf der Anwesenheit der erwähnten zweiten Substanz, der
homogenen stark färbbaren basophilen Interfibrillarsubstanz. Durch
dieselbe wird für gewöhnlich die fibrilläre Grundsubstanz maskiert.
Die Frage, wie die Interfibrillarsubstanz gebildet wird, lässt
sich an meinen Präparaten nieht bestimmt entscheiden. Sehr
auffallend ist immerhin, dass zur Zeit, wo die ersten Spuren der
Einlagerung der Interfibrillarsubstanz in der Zone der Verkalkung
konstatiert werden, in dem Zelleib der Elfenbeinzellen ausser-
ordentlich zahlreiche basophile Körner sich färben, ähnlich den
Körnern der Osteoblasten. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, —
wie A. Spuler es bei den Osteoblasten für den Knochen anzu-
nehmen scheint, wenn ich ihn recht verstehe —, dass in den
basophilen Körnermassen der Elfenbeinzellen die Interfibrillar-
substanz vorgebildet wird, welche unter Vermittlung der weichen
Zahnfasern in die Zahnbeingrundsubstanz transportiert und zwischen
die Fibrillen eingelagert wird.
Die Ansichten von Koelliker, Waldeyer und v. Ebner,
dass die Odontoblasten durch einen Sekretionsprozess das erste
Elfenbein lieferten, lassen sich durch mikroskopische Präparate
weder beweisen noch wahrscheinlich machen. Schon in einer
früheren Abhandlung habe ich ihre diesbezüglichen Anschauungen
kritisieren müssen.
[br
D&D
[0 0)
SV KS or:
Fleischmann vertritt in einer kürzlich erschienenen
Abhandlung die Ansicht, dass ein nicht färbbares und nicht
fixierbares Häutchen, welches nach Zerstörung der Dentingrund-
substanz durch 40°/. Natronlauge zunächst als Rest übrig bleibt,
später aber auch vergeht und welches die zentralen Enden der
Zahnbeinkanälchen verbinden soll, die erste Anlage der Dentin-
substanz ist. Dieses Häutchen soll nach Fleischmann unter
chemischer Umwandlung in collagene Grundsubstanz übergehen.
Es soll von den Elfenbeinzellen gebildet werden und den peri-
pheren Enden derselben aufliegen. Das Häutchen soll von
Koelliker entdeckt sein und wird als Koellikersches Häutchen
bezeichnet. Dass das von Fleischmann beschriebene Häutchen
von Koelliker gesehen wurde, geht zunächst aus der Literatur
nicht hervor. Koelliker beschreibt an dem Dentin von aus-
gewachsenen nicht aber sich entwickelnden Zähnen, dass nach
dem Auflösen der Grundsubstanz durch Salzsäure, Salpetersäure,
Schwefelsäure oder kaustische Alkalien „eine dünne Lamelle der
Grundsubstanz übrig bleibt, welche viel resistenter ist, als die
übrigen Teile derselben und als ein weisses Häutchen die Anfänge
der Röhrchen verbindet.“ Nach der von Koelliker gegebenen
Zeichnung geht dies Häutchen nicht in die die Öffnungen der
Zahnbeinröhrehen begrenzenden Abschnitte der Neumannschen
Scheide über, sondern wird von den Röhrchen durchsetzt. Es
kann also nicht wie das von Fleischmann geschilderte Häutchen
die der Pulpa zunächst gelegene Schicht der Grundsubstanz sein.
Wie das Koellikersche Häutchen histologisch zusammengesetzt
ist, wie es sich färbt, wie es gebildet wird, ob es eine histo-
genetische Bedeutung hat, wird von Koelliker nicht angegeben,
konnte auch wohl kaum erkannt werden.
Auch Fleischmann gibt über die histologische Struktur
des Häutchens und der vor ihr gebildeten Grundsubstanz nichts
genau an: „Zunächst beteiligen sich an der Bildung des Dentins
die Odontoblasten, indem sie das Koellikersche Häutchen
bilden, das sich in leimgebende Substanz umwandelt. Während
der weiteren Neubildung von Grundsubstanz nach diesem Mecha-
nismus wachsen die Odontoblasten in ihre Dentinfortsätze, die
Zahnfasern aus, die sich aber an der Neubildung von Dentin
zunächst noch nicht beteiligen. Diese wird nur von den Körpern
der Odontoblasten besorgt. Dadurch, dass die Substanz, die
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 529
seitens der Odontoblasten gebildet wird, sich um die schon vor-
handenen Fortsätze herumbildet, entstehen die Kanälchen. Wenn
nun die Kanälchen bezw. die Zahnfasern bis zu einer gewissen
Länge herangewachsen sind, beginnen auch die Fasern sich an
der Bildung der Grundsubstanz zu beteiligen.“
Derartige schwer verständliche Ansichten lassen sich mit
histologischen Präparaten nicht beweisen. Die von Fleischmann
wiedergegebenen diesbezüglichen Figuren lassen durchaus nicht
erkennen, dass der Bildungsprozess so vor sich geht. wie er
beschrieben wird. Zunächst Fig. 2. Sie stellt ein sehr junges
Stadium der Dentinentwicklung dar. Hier ist als erste Zahn-
beinschicht eine homogene, ziemlich dicke Masse dargestellt, die
nicht den. Eindruck eines dünnen Häutchens macht. Auch ist
an ihr nicht eine innerste Schicht zu erkennen, aus der die
peripheren Partien hervorgehen könnten, und welche sich scharf
gegen die Intercellularräume zwischen den Elfenbeinzellen ab-
setzte. Die Elfenbeinzellen dieser Fleischmannschen Figur,
trotzdem sie in ihrer ganzen Länge geschnitten sind, setzen sich
nicht in Zahnfasern fort, sondern erscheinen in der Peripherie
fast stumpf ohne lange Fortsätze. Derartige Elfenbeinzellen
existieren an gut fixierten und gefärbten Präparaten nicht; viel-
mehr haben die Elfenbeinzellen von Anfang an die für sie
charakteristische weiche Zahnfaser entwickelt, in die der Zelleib
der Elfenbeinzellen allein übergeht, und welche von der ersten
fibrillären Anlage des Dentins sich scharf absetzt. Eine homogene
Substanz als erste Anlage gibt es in keinem meiner Präparate,
ist überhaupt nie vorhanden.
Zu Fig.5 Fleischmanns muss ich folgendes bemerken:
Das Präparat wurde in 40°/o Kalilauge gebracht und auf dem
Objektträger bis zur Auflösung der Grundsubstanz erwärmt. Der
dabei unlöslich gebliebene Rückstand wird als Koellikersches
Häutchen bezeichnet. Was man als Produkt dieser meiner Meinung
nach für histogenetische Untersuchungen ganz unbrauchbaren
Methode zurückbehält, entzieht sich doch wohl jeder Beurteilung
für den Histologen. Elfenbeinzellen mit zahlreichen kurzen Fort-
sätzen, wie sie Fleischmanns Figur zeigt, habe ich nie gesehen.
Zu der Bemerkung Fleischmanns auf Seite 308: „Mit
diesem Nachweis des genetischen Zusammenhangs der Scheiden
und der Grundsubstanz ist auch die Behauptung v. Korffs hin-
530 KR. v. Korff:
fällig, dass die Odontoblasten bezw. deren Fortsätze, die Fasern,
mit der Zahnbeinbildung nichts zu tun hätten, da ja die Scheiden
ein Produkt der Fasern sind,“ erwidere ich, dass dieser Nach-
weis von Fleischmann nicht erbracht wurde und überhaupt
nicht gebracht werden kann. Dass die Scheiden als ein Produkt
der Zahnfasern aufgefasst werden müssen, ist auch meine Ansicht,
und ich habe bereits mitgeteilt, in welcher Weise sie höchst-
wahrscheinlich gebildet werden. Die Scheiden sind aber in
chemischer Beziehung so verschieden von der Grundsubstanz,
haben von Anfang an einen so bestimmten funktionellen Wert,
dass der Versuch, von ihnen die Bildung der Grundsubstanz ab-
leiten zu wollen, von vornherein aussichtslos erscheinen muss.
Warum man überhaupt, nachdem durch positive Befunde fest-
gelegt ist, wie die Fibrillen des Dentins angelegt werden, versucht,
die Verhältnisse der Genese und Struktur des ersten Dentins
anders hinzustellen als sie sind, ist ganz unverständlich.
Das nicht färbbare und nicht fixierbare und seiner
histologischen Beschaffenheit nach nicht präzisierte Häutchen
Fleischmanns wird nun mit dem Namen Lamina terminalis
interna belegt. Ich betone, dass es ein solches Häutchen in
meinen Präparaten nicht gibt, welches die Zahnbeinsubstanz
gegen die Pulpa abschliesst. Ein solches Häutchen ist schon des-
halb unmöglich, da, wie ich nachgewiesen habe, die Fibrillen der
Pulpa durch die Vermittlung der von mir beschriebenen inter-
cellulären, zwischen den Elfenbeinzellen gelegenen Fasern in die
Fibrillen der Dentinanlage massenhaft übergehen. Von einem
zusammenhängenden, über den peripheren Enden der Elfenbein-
zellen gelegenen, die Pulpa von der Dentinanlage abschliessenden
Häutchen kann also keine Rede sein. Das Häutchen ist nach
Fleisehmanns Angabe anscheinend homogen. Die erste An-
lage von Elfenbein ist jedoch niemals homogen, sondern immer
aus Fibrillen zusammengesetzt, wie ich nachgewiesen habe.
Die Arbeiten, welche die noch jetzt allgemein anerkannte Lehre
von den Osteoblasten als Knochengrundsubstanz bildende Zellen
hervorgehen liessen, liegen weit zurück; es sind dies die von
Gegenbaur (1864, 1867) und die von Waldeyer (1865).
Gegenbaur ist der Ansicht, dass die Osteoblasten die sklero-
sierende Grundsubstanz abscheiden, sowohl bei der enchonchralen
wie intramembranösen Verknöcherung. Den Beweis seiner Theorie
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 531
hat er in keiner Weise erbracht, sondern uns über den Modus
der Abscheidung völlig im Unklaren gelassen. Wenn auch das
plötzliche Auftreten und auffallende Aussehen der Osteoblasten
die Wahrscheinlichkeit einer spezifischen Funktion dieser Zellen
nahelegte, so ist doch die Art dieser Funktion damit noch nicht
bezeichnet. Die. damaligen Untersuchungsmethoden genügten
auch wohl kaum, um die vorliegenden Strukturverhältnisse genau
zu erkennen.
Über den Entwieklungstypus der Knochengrundsubstanz
teilt Gegenbaur in seiner ersten Abhandlung (1864) folgende
Beobachtungen mit: „Die Osteoblasten laufen zuweilen in so
blasse, zarte Gebilde aus, dass man sie von der gebildeten Grund-
substanz schwer unterscheiden kann. In solchen Fällen ergibt
sich, dass die Osteoblasten mit Fortsätzen in die abgesonderte
Grundsubstanz eindringen und dass zwischen beiden Teilen eine
Grenze besteht, dass also ein unmittelbares Übergehen des Proto-
plasmas der Zelle in die Grundsubstanz nicht stattfindet.“
Was soll man sich unter den blassen zarten Gebilden vor-
stellen, in welche die Osteoblasten auslaufen und die schwer
von der gebildeten Grundsubstanz zu unter-
scheiden sind? Aus den weiteren Auseinandersetzungen
muss man schliessen, dass es die Fortsätze der Osteoblasten sind,
von denen jedoch gleich darauf angegeben wird, dass zwischen
ihnen und der Grundsubstanz eine. Grenze be-
steht. Eine Aufklärung über diese sich widersprechenden An-
gaben gibt Gegenbaur ebensowenig, wie darüber, ob diese
Fortsätze identisch sind mit den von ihm später beschriebenen
Protoplasmaausläufern der Osteoblasten, welche „in die feinen
Kanälchen sich erstrecken und mit den Knochenzellen in Zu-
sammenhang stehen“.
Hinsichtlich der Knochenbildung der Schädeldeckknochen
äussert sich Gegenbaur: „Die erste Entwicklung der bekannten
Knochenbälkchen des Scheitel- und Stirnbeins erfolgt innerhalb
einer ganz kontinuierlichen Schichte von Zellen, welche etwas
grösser als die aus fötalen Markzellen hervorgehenden Osteo-
blasten, mit letzteren sonst ganz übereinstimmen. Zwischen diesen
Zellen sondert sich eine alsbald sklerosierende, meist eckig ge-
formte Masse ab, die von den Zellen allseitig umgeben wird und
durch fernere Abscheidung von seiten dieser Zellen weiter-
532 K.v. Korft:
wächst. Eine faserige Beschaffenheit dieser Anlage habe ich nicht
wahrzunehmen vermocht.“
Diese bestimmten Angaben Gegenbaurs habe ich an
Präparaten vom Os frontale einer neugeborenen Katze in keiner
Weise bestätigen, vielmehr konstatieren können, dass man am
wachsenden Bälkchen keine zusammenhängende Osteoblasten-
schicht vorfindet, sondern stets voneinander getrennte Osteoblasten.
dass das Protoplasma der Osteoblasten nicht in die Grundsubstanz,
sondern nur in die in den Knochenkanälchen gelegenen homo-
genen Fortsätze übergeht, dass die Fibrillen der Grundsubstanz
mitdenen desumgebenden lockeren Bindegewebes kontinuierlich sind.
Doch Gegenbaur gibt dann den direkten Übergang von
faserigem Bindegewebe in die Knochensubstanz an den Deck-
knochen des Schädels und den langen Röhrenknochen an einzelnen
Stellen zu. Über die Bedeutung dieser Erscheinung gegenüber
den Osteoblasten äussert er sich verschieden. Zunächst ist er
der Ansicht, dass ein und dasselbe Gewebe auf verschiedene Weise
entstehen könne. Dann meint er, dass an den Stellen, wo Binde-
gewebe in Knochensubstanz übergehe, der Knochenbildungsprozess
aufhöre, da er hier immer noch spindelförmige Zellen dazwischen-
liegend gefunden habe, niemals aber in Bildung begriftene Knochen-
körperchen. .‚Es erscheint mir daher gerechtfertigt, fährt er fort,
jenen Stellen der Begrenzungsschicht einen von der Osteoblasten-
schicht differenten Wert zuzulegen und in ihnen Abschnitte zu
erkennen, an denen mit dem Übergang der letzten Osteoblasten
in Bindegewebszellen die abscheidende Tätigkeit und damit die
Entstehung neuer Knochensubstanz an diesen Partien ein Ende
erreicht.“ Nach meinen Beobachtungen findet an den betreffenden
Stellen, wo Bindegewebe in Knochensubstanz übergeht, niemals
ein Stillstand der Knochenentwicklung, sondern vielmehr eine
lebhafte appositionelle Neubildung von Knochensubstanz statt.
So wird niemand behaupten können, dass an den jungen,
dem Periost zugekehrten Knochenbälkchen, wo der Übergang
von Bindegewebsfibrillen in die Knochengrundsubstanz auf Längs-
oder Flachschnitten ausserordentlich deutlich ist, die Knochen-
bildung aufhöre. Gerade an diesen Stellen zeigt sich der typische
von mir beschriebene Entwickelungsmodus des Knochens.
Auch Waldeyer erkennt die Auffassung Gegenbaurs
in diesem Falle nicht an, sondern bemerkt hierzu mit Recht:
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. )90
„Ich muss indessen bekennen, dass man an den Stellen, wo deut-
lich faseriges Bindegewebe direkt an den Knochen stösst, ohne
alle Schwierigkeiten alle die Bündelformationen, nicht bloss ein-
zelne, als etwaige Sharpeysche Fasern, so wie sie gerade vor-
liegen, noch ziemlich weit mit ganz kontinuierlichem Übergange
hinein in den fertigen Knochenbalken verfolgen kann, der sich
nur dadurch, dass er sklerosiert ist, von dem anstossendem Binde-
gewebe unterscheidet.“
Waldeyer schreibt in einer ein Jahr später erschienenen
Arbeit den Osteoblasten ebenfalls die Bildung der ersten Knochen-
substanz zu. Der Entwicklungsmodus ist der, dass „das Proto-
plasma der Osteoblasten unter formaler und chemischer Um-
wandlung in die Grundsubstanz übergeht“. Spezieller äussert
sich dann Waldeyer: „Soviel ich sehe, ist ein doppeltes Ver-
halten der Osteoblasten bei der Ossification möglich. Einmal
können einzelne Osteoblasten ganz zu leimgebendem Gewebe
werden, wobei der Kern schwindet; das anderemal, und das erachte
ich nach meinen Untersuchungen als bestimmt erwiesen, findet
eine teilweise Umwandlung der Osteoblasten in Knochengrund-
substanz statt, während der um den Kern gelegene Teil als Zelle
“zackiges Knochenkörperchen“ persistiert. Diese Angaben Wal-
deyers treffen nach meinen Beobachtungen nicht zu. Der zuerst
angenommene Umwandlungstypus, bei dem die Osteoblasten ganz
in leimgebendes (ewebe übergehen und der Kern schwindet, kann,
wenn er wirklich stattfindet, sich kaum mit den jetzt üblichen
histologischen Untersuchungsmethoden der Beobachtung entziehen.
Man müsste die sich auflösenden Kerne im Zustande der Karyo-
lyse antreffen. Dies ist jedoch nirgends zu beobachten, sondern
die Kerne der Osteoblasten eines wachsenden Knochenbälkchens
zeigen immer ein und dasselbe Verhalten. Der zweite Umwandlungs-
modus kann sich nur auf die in den Knochenhöhlen gelegenen
Osteoblasten beziehen. Das hier gelegene „zackige Knochen-
körperchen" setzt sich jedoch stets scharf gegen die Grundsub-
stanz ab, so dass hier eine teilweise Umwandlung des Protoplas-
mas in Knochengrundsubstanz unmöglich beobachtet werden kann.
Zur Stütze seiner Umwandlungstheorie führt Waldeyer
ferner an: „Ich verfehle nicht, auf einen Umstand aufmerksam
534 KVARorTtT: N
zu machen, dass nämlich die ÖOsteoblasten immer grösser sind
als die bereits eingeschlossenen Knochenkörperchen. Hierzu
kommt noch die Tatsache, dass man nicht selten an grösseren
Östeoblasten bemerkt, wie eine dem Knochenbalken zugekehrte
periphere Schicht sich in Form einer anders lichtbrechenden
Masse. oft feinfaserig erscheinend, von ihnen ablöst und direkt
in die Knochensubstanz übergeht. Einen für meine Ansicht
sprechenden Eindruck machen auch diejenigen Stellen, wo zwei
Knochenbalken einander entgegenwachsen. Sind die Balken
einander ziemlich nahe gekommen, so füllt sich der Raum zwischen
beiden durch eine Schicht dicht gelagerter Osteoblasten, welche
einen Zellenbalken von ganz derselben Dicke bilden, wie die
beiden zu verbindenden Knochenbalken. Wir haben hier ganz
denselben Anblick, wie bei dem Gewebe einer neu sich bildenden
Sehne. Die Osteoblasten sind spindelförmig mit ihrer Längs-
richtung von einem Ende zum anderen gestreckt und lagern
parallel dicht aneinander.“
Zu dieser Beweisführung muss ich bemerken, dass die von
mir. beobachteten Knochenkörperchen des wachsenden Knochens
meistens ebenso gross erscheinen als die Osteoblasten ; doch selbst,
wenn sie als kleiner nachgewiesen würden, so kann man hieraus
nicht schliessen, dass das fehlende Quantum von Protoplasma in
die Grundsubstanz übergegangen ist: vielmehr liegt die Ver-
mutung in diesem Falle nahe, dass es zur Entwickelung der
länger und zahlreicher werdenden Fortsätze gebraucht wird. Wie
sich eine anders lichtbrechende Masse vom Protoplasma ablösen
und in die Knochensubstanz übergehen soll, ist ohne nähere Er-
klärung des Ablösungsmodus unverständlich und dürfte wohl kaum
je direkt zu beobachten sein. Dann setzen sich die zwischen
zwei sich entgegen wachsenden Knochenbalken gelegenen spindel-
förmigen, langgestreckten, parallel aneinander gelagerten Zellen
nicht aus Osteoblasten, sondern aus spindelförmigen Bindegewebs-
zellen zusammen.
Bei der periostalen Knochenbildung ist auch von Waldeyer
das Übergehen der Fibrillen des lockeren Gewebes in die Grund-
substanz beobachtet. Er fasst diese feinen übergehenden Fibrillen
als eine Zwischenstufe „deutlich faserigen Gewebes auf, das nicht
gut von echtem Bindegewebe zu unterscheiden ist“. Nach
Waldeyer werden nun diese übergehenden Fibrillenbündel von
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 535
den zwischen ihnen gelegenen Osteoblasten gebildet: „Bei auf-
merksamer Beobachtung gewahrt man, dass die neugebildeten
Östeoblasten es sind, auf deren Rechnung das Wachstum und
Stärkerwerden der Faserzüge beruht. Ein Teil derselben wandelt
sich nämlich in bindegewebige Intercellularsubstanz um und er-
zeugt dadurch die Verdickung der Bündel. Man sieht kleine,
faserige Bündel, die noch ganz die Form einer grossen Spindel-
zelle haben und an denen sogar in der Mitte noch rudimentäre
Kerne zu erkennen sind.“
Diese Angaben lassen sich an meinen Präparaten nicht be-
stätigen. Die einstrahlenden Fibrillenbündel haben mit den eigent-
lichen, am Rande des Knochenbalkens gelegenen Osteoblasten
keine genetische Beziehung; sie kommen aus dem lockeren embryo-
nalen Bindegewebe des Periostes. Ihr Ursprung liegt weit ent-
fernt von der Stelle, wo man Osteoblasten bestimmt erkennt.
Die von Waldeyer hier für Osteoblasten erklärten Zellen sind
offenbar — dies geht schon aus der Beschreibung hervor —
keine Osteoblasten, sondern spindelförmige Bindegewebszellen ; die-
selben erscheinen jedoch dort, wo die Fibrillenbildung vor sich
geht, niemals rudimentär.
Wenn man die stark differenzierten, nur am Rande
des Knochenbalkens gelegenen Bindegewebszellen, die wirkliche
Östeoblasten geworden sind, von den im lockeren Gewebe gelegenen
nicht differenzierten Bindegewebszellen scharf unterscheidet, so
wird man sich vergeblich bemühen, zu erkennen, wie die Osteo-
blasten die erste fibrilläre Grundsubstanz produzieren.
Eine weitere Arbeit Gegenbaurs bringt gegenüber der
ersten nichts Neues. Es wird dargetan, dass die Umwandlungs-
theorie Waldeyers deshalb unmöglich sei, weil die stärkeren
Fortsätze der Osteoblasten sich zwar in die Grundsubstanz ver-
folgen, aber ebenso wie die Osteoblasten von der Grundsubstanz
unterscheiden lassen.
(Gerade diese Tatsache jedoch macht auch die von Gegen-
baur aufgestellte Ausscheidungstheorie unhaltbar; denn bei ge-
wöhnlich stattfindender Sekretion kann man keine scharfe Grenze
zwischen Sekret und secernierender Zelle erkennen.
Trotzdem Gegenbaur auch in dieser Arbeit keine be-
weisenden Beobachtungen für seine Auffassung anführen kann
536 Key: Kortt:
und öfters zugibt. dass faseriges Bindegewebe in Knochengrund-
substanz übergeht, hält er an seiner Ausscheidungstheorie fest.
Doch plötzlich am Schluss seiner Auseinandersetzungen stellt
er folgende Sätze auf:
1. „Bindegewebe bildet für sich allein Teile von Knochen
oder auch selbständige Verknöcherungen, indem die sklerosierende
Intercellularsubstanz des Bindegewebes in die Grundsubstanz vom
Knochen übergeht, die Bindegewebszellen aber zu Knochenzellen
werden.
2. Von einer bindegewebigen Grundlage ossifieiert nur die
faserige Intercellularsubstanz. Sie bildet ein Gerüste, auf dem
weitere Knochensubstanz abgesetzt wird. Zellige Elemente im
Bindegewebe bilden unter reicher Vermehrung Osteoblasten-
schichten, welche auf jenem ossifizierten Balkengerüste der Inter-
cellularsubstanz neue Knochengewebsmassen bilden.“
Hiermit stellt Gegenbaur zunächst als Resultat seiner
Untersuchungen das hin, was er früher meistens bestritten, manch-
mal als ausnahmsweise vorkommend zugegeben hat, dass sich
nämlich die erste Anlage der Knochengrundsubstanz ohne Osteo-
blasten aus der bindegewebigen Intercellularsubstanz entwickelt.
Warum der Knochenbildungsprozess zunächst ohne, dann mit
Osteoblasten vor sich geht, wird nicht erörtert.
Die von Gegenbaur in seiner zweiten Abhandlung ange-
stellten Untersuchungen beziehen sich auf Säugetiere, Vögel und
Amphibien. Es wird jedoch nicht erwähnt, ob sich bei diesen
verschiedenen Wirbeltierklassen ein Unterschied in der Knochen-
entwicklung gezeigt hat. Ich muss es indessen für höchstwahr-
scheinlich halten. dass bei den niederen Wirbeltieren die Ent-
wicklungsvorgänge des Knochens einfacher sind als bei den
höheren. Ähnlich verbält es sich bei der Genese des Dentins,
welches bei niederen Klassen nicht so stark differenziert ist als
bei den höheren, sich also auch einfacher in seiner ersten Anlage
entwickelt. So sind z. B. die Elfenbeinzellen der jungen Sala-
manderlarvenzähne, soweit ich bisher gesehen habe, nicht von
den Pulpazellen differenziert, sondern in bezug auf Struktur und
Funktion identisch. Es müssen demnach auch die weichen Zahn-
fasern und die Zahnbeinkanälchen der ersten Anlage des Dentins
fehlen,
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 337
Die älteren Arbeiten über Knochenwachstum die von
R. Virchow, H. Müller, Koelliker und Lieberkühn,
sprechen, soweit die Histogenese der Grundsubstanz behandelt
wird, dieselbe keinen bestimmten Zellen zu; vielmehr geht aus
ihnen hervor, dass fibrilläres Bindegewebe nach Imprägnation
mit Kalksalzen zu Knochengewebe wird. Virchows Ansicht
über das „osteoide Gewebe“ in der innersten Schichte des Periostes
der langen Röhrenknochen ist folgende: „Man sieht vom Knochen
her dichtere balkenartige Züge senkrecht hervortreten und in
grösseren Bogenlinien die Masse durchziehen, so dass eine alveoläre
Anlage hervortritt, verschieden von dem früheren feinmaschigen
Netz des Periostes. In diesen Richtungen verdichtet sich die
(Grundsubstanz allmählich, sie bekommt ein derberes homogenes.
mehr knorpelähnliches Aussehen, wie bei der Sklerose des Binde-
gewebes, und zu gleicher Zeit werden die kleinen Zellen eckiger,
geräumiger und sternförmig; sie fangen an, kleine Ausläufer und
Fortsätze zu bekommen, genug, diese Zellen gewinnen den
osteiden Charakter, und wenn sich die Kalksaize in sie ablagern.
so entstehen daraus die Balken und Netze des jungen Knochens.“
H.Müllergibtan, dass er von einem direkten Hervorgehen
der Grundsubstanz aus Zellen nichts habe wahrnehmen können.
Doch er bezweifelt nicht die Möglichkeit, dass sie unter dem
Einflusse der mit ihr in Berührung stehenden sternförmigen Zellen,
vielleicht auch der benachbarten sogenannten Markzellen zustande
kommt.
Koelliker hat bei der periostalen Verknöcherung der
langen Röhrenknochen dieselben Beobachtungen wie Virchow
gemacht; er ist der Ansicht, dass die Grundsubstanz des Knochens
aus der innersten, der Hauptsache nach aus Fibrillen zusammen-
gesetzten Schichte des Periostes entsteht durch „einfache gleich-
mässige Ablagerung von Kalksalzen, jedoch wie es scheint, in der
Regel ohne vorheriges Auftreten von Kalkkrümeln“. In bezug
auf die Herkunft der Fibrillen des ossificierenden Gewebes gibt
Koelliker an, dass sie sich aus einer Zwischensubstanz der
embryonalen Zellen entwickeln, welche sich nach und nach ab-
scheidet, „später faserig wird“. Hierzu muss ich bemerken. dass
ich eine homogene, von Bindegewebszellen abgeschiedene färbbare
Intercellularsubstanz, die sich sekundär zu Fibrillen differenziert,
niemals angetroffen habe. Vielmehr ist die Intercellularsubstanz
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 36
538 K. v Korff:
von vornherein fibrillär, setzt sich aus einer ungeheuren Masse
der allerfeinsten Fibrillen zusammen, welche nicht selten noch
mit den Bindegewebszellen in Zusammenhang stehen.
Lieberkühn beschreibt an einem Schnitt durch die Naht
zwischen Stirn und Seitenbein eines Rehkalbes nahezu parallel zur
Oberfläche die Verknöcherung folgendermassen: „In der Mitte des
sogenannten Nahtknorpels erscheint die Bindesubstanz bei der hier
angewandten schwachen Vergrösserung homogen, gegen die Ränder
des Knochens dagegen streifig, so zwar, dass die Streifen von der
Mitte der Naht aus ihren Anfang nehmen und sich eine Strecke weit
in mehr oder weniger gerader Richtung in die Knochensubstanz
hinein fortsetzen, wo man sie für längsgetroffene Lamellen halten
könnte, zwischen denen sich die Knochenkörper hinziehen. Bei
stärkerer Vergrösserung erkennt man in der homogenen struk-
turlosen Substanz zahllose Bindesubstanzkörper, die sich in die
Streifen hinein fortsetzen und in dem Knochen die Form der
Knochenkörper annehmen.
Von neueren Arbeiten ist die von Spuler am bemerkens-
wertesten. Spuler wandte die Eisenalaun-Hämatoxylinmethode
mit nachfolgender Rubin S-Färbungan: „Ich finde, dass zunächst
collagene fibrilläre Massen gebildet werden, welche in direktem
Zusammenhang mit den in Fortsätze auslaufenden Osteoblasten
getroffen werden. Aber nicht nur die eigentliche Osteo-
blastenschicht, sondern auch die weiter von dem
entstehenden Knochen abliegenden Bindegewebs-
zellen können sich an der Lieferung dieser colla-
genen fibrillären Massen beteiligen.“
Spuler gibt nicht an, ob die Fibrillen aus den Fortsätzen
oder aus dem eigentlichen Zellleib der Osteoblasten hervorgehen. Da
er beschreibt, dass diefeinen Fortsätze derOsteoblasten untereinander
und mit den Knochenzellen von Anfang an in Verbindung stehen, und
in Knochenkanälchen liegen, so muss ein anderer Abschnitt, der Zell-
leib derOsteoblasten, gemeint sein, der jedoch nicht näher angegeben
wird. Ich selbst habe nur gesehen, dass der Zellleib der Osteoblasten
in die feinen, in den primären Knochenkanälchen liegenden Fortsätze
übergeht und glaube, dass er deshalb an der Bildung der ersten
Fibrillen nicht teilnehmen kann. Dagegen halte ich die Ansicht
Spulers, dass die in die Grundsubstanz übergehenden Fibrillen
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 539
auch von den weiter entfernt gelegenen Bindegewebszellen ge-
bildet werden, für die einzige Möglichkeit, wie die Fibrillen der
Knochengrundsubstanz entstehen. Über den zweiten organischen
Bestandteil der Grundsubstanz, die interfibrilläre färbbare Substanz,
gibt Spuler folgendes an: „Nachdem also zunächst die fibrilläre
Grundsubstanz gebildet ist, findet zweitens die Einlagerung einer
kalkhaltigen Kittsubstanz statt.“ Auf Grund seiner Färbemethode,
verglichen mit Hämatoxylin-Eosin- und Karminfärbungen, kommt
Spuler zu dem Schlusse, dass die mit Eisenalaun-Hämatoxylin
sich schwarz färbenden Massen junger Knochenbalken „den
organischen Rest darstellen, mit dem die bei der Entkalkung
entfernten anorganischen Salze verbunden waren“. Dieser Auffassung
Spulers kann ich mich nach meinen Untersuchungen nur an-
schliessen.
Die von mir erwähnten Körner im Zelleib der Osteoblasten,
hat bereits Spuler beschrieben: „Häufig begegnet man Bildern,
bei denen sich jene schwarzen Körner an den feinen Protoplasma-
fortsätzen der Östeoblästen befinden. Sie werden offenbar so an
die Stelle transportiert, wo sie abgelagert werden. Dieser Prozess
ist vielfach noch an Zellen zu beobachten, welche allseits von
neugebildeter Grundsubstanz umgeben, welche also schon richtige
Knochenzellen sind.“ Diese Beobachtungen Spulers, dass die
Körner des Protoplasmas der Osteoblasten in die Fortsätze über-
gehen, kann ich ebenfalls bestätigen. Ich möchte jedoch nicht
glauben, dass diese Körner schon kalkhaltig sind, sondern nur zur
Bildung der zunächst kalklosen Interfibrillarsubstanz abgegeben
werden.
v. Ebner scheint ebenfalls die Osteoblasten für die die
erste Knochenanlage bildenden Elemente zu halten, von welchen
er allerdings nur angibt, dass sie sich mit ihrem Protoplasma in
der unverkalkten Knochensubstanz verliere. Er beschreibt, dass
von dem fibrillären unverkalkten Saume aus „dickere und dünnere
jündel nicht verkalkter Fibrillen ausgehen und sich in den
angrenzenden Weichteilen verlieren.“ Zwischen denselben liegen
die Osteoblasten. v. Ebner deutet diese Fibrillenbündel als
Sharpeysche Fasern und misst ihnen keine genetische Bedeutung
bei. Nähere Angaben über das Verhalten der Osteoblasten zu der
neugebildeten Grundsubstanz teilt v. Ebner nicht mit.
Die Arbeiten von Retterer über Ursprung und Struktur
36*
540 RKvRowft:
der Osteoblasten und des Knochengewebes bringen nichts Neues,
sondern vertreten im wesentlichen die Waldeyersche Um-
wandlungstheorie.
Nachträgliche Bemerkungen.
Während der Drucklegung dieser Untersuchungen erschien
eine Abhandlung v. Ebners: „Über die Entwicklung der leim-
gebenden Fibrillen insbesondere im Zahnbein“, in welcher er
meine früher mitgeteilten Befunde über die Struktur und Genese
der ersten Dentinanlage angreift. Vorläufig kann ich an dieser
Stelle nicht auf alle Einwendungen, welche gegen meine Befunde
und ihre Deutung gemacht werden, eingehen; doch die wichtigsten
Punkte möchte ich schon kurz beantworten. v. Ebner behauptet.
dass nach seinen angestellten Untersuchungen die erste Anlage
des Dentins, welches als Prädentin bezeichnet wird, nicht fibrillär.
sondern homogen sei und dass sich in dieser seiner Ansicht nach
von den Elfenbeinzellen gebildeten Grundsubstanz sekundär
collagene Fibrillen differenzieren. Diese bestimmten Angaben
v. Ebners sind in keiner Weise durch histologische Präparate
bewiesen worden — wenigstens lassen die von v. Ebner
wiedergegebenen Figuren dies nicht erkennen. Dann muss ich
erklären, dass die Anschauungen v. Ebners den tatsächlichen
Strukturen der ersten Dentinsubstanz nicht entsprechen. Schon
vor mir, wie erwähnt, stellte ©. Hansen fest, dass das Dentin
vom allerersten Anfang an aus collagenen Fibrillen der Haupt-
sache nach zusammengesetzt ist. Die von mir beschriebene
periphere Aufsplitterung der intercellulären, zwischen den Elfen-
beinzellen gelegenen Bindegewebsfasern in zunächst büschel-
förmig oder pinselartig angeordneten Fibrillen des ersten Dentins,
hat v. Ebner in seinen Präparaten nicht erkennen können.
Trotzdem existieren diese Fibrillen, was gut fixierte und scharf
differenzierte Schnittpräparate immer wieder auf das deutlichste
zeigen (Fig. 4,5). Dann geht aus den v. Ebnerschen Figuren
nicht hervor, wie sich die intercellulären Fasern aus den Binde-
gewebsfibrillen der Pulpa zusammenlegen. Die von v. Ebner
wiedergegebene Fig. 1 lässt zwar erkennen, dass die von mir
beschriebenen Fasern aus der Pulpa kommen und in die erste
Dentinsubstanz übergehen, doch keineswegs die für die Deutung
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 541
meiner Befunde so wichtige Tatsache, dass die Bindegewebs-
fibrillen der Pulpa sich in sehr charakteristischer Weise zur
Bildung der intercellulären Fasern aneinanderlegen. Die Ver-
mutung v. Ebners, dass die von mir in embryonalem Pulpa-
gewebe gefärbten Bindegewebsfibrillen mit Protoplasmafäserchen
verwechselt wären, muss ich zurückweisen, da ich beide als durch-
aus verschiedene Gebilde dargestellt und wiedergegeben habe.
Literaturverzeichnis.
R. Virchow: Das normale Knochenwachstum und die rachitische Störung
desselben. Virchows Archiv, Bd. 5, 1853.
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über den Bau rachitischer Knochen. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie,
Bd. 9, 1858.
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von Reichert und du Bois Reymond, 1864.
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schrift für Med. und Naturwiss., Bd. 1, 1864.
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Bd. 1, 1865.
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Jenaische Zeitschrift für Mediz. u. Naturwiss., Bd. 3, 1867,
A. Rollet: Von den Bindegeweben. Strickers Handbuch der Lehre von den
Geweben, Bd. 1, 1871.
Spuler, Arnold: Beiträge zur Histologie und Histogenese der Binde- und
Stützsubstanzen. Anat. Hefte, Bd. 7, 1896.
Derselbe : Beiträge zur Histogenese des Mesenchyms. Verhandl. d. anat.
Gesellsch., 13. Versammlung, 1899.
Retterer, E.: Origine et structure des osteoblastes et du tissu osseux.
Compt. rend. hebd. de la Soc. de Biologie, 1898.
v. Ebner: Histologie der Zähne mit Einschluss der Histogenese. Handbuch
der Zahnheilkunde, herausgeg. von Scheff, II. Auflage, I. Band, 1902.
Leo Fleischmann: Die Entwicklung der Zahnscheiden; gleichzeitig ein
Beitrag zur Entwicklung der Zahnbeingrundsubstanz. Arch. f. mikro-
skop. Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 68, 1906.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 3.
Ra Kioske
Erklärung der Figuren auf Tafel XIX.
Saum eines periostalen Knochenbälkchens von dem humerus eines
neugeborenen Hundes. Flemmin gsches Gemisch. Eisenalaun-Häma-
toxylinfärbung, dann Rubins S-Färbung. Die innerste Schichte des
Periostes setzt sich aus spindelförmigen und sternförmigen Binde-
gewebszellen zusammen und ausserordentlich zahlreichen Binde-
gewebsfibrillen. Die Fibrillen laufen nach dem Knochenbälkchen in
Fibrillenbündel zusammen. Letztere kreuzen sich in der Zone des
Knochengewebes in den verschiedensten Richtungen. Es entsteht
ein Flechtwerk sich durchkreuzender Fibrillenbündel als erste Anlage
neuer Knochengrundsubstanz. Die von sich kreuzenden Fibrillen-
bündeln eingeschlossenen Bindegewebszellen differenzieren sich. Sie
werden in den Nestern der Fibrillenbündel sternförmig, entwickeln
sich zu Knochenzellen. K — Gewebe des Knochenbälkchens. Fb —=
Fibrillenbündel. Kz= Knochenzelle. I. Sch. — Innerste Schicht des
Periostes.. 0 — Osteoblasten.
Teil eines Knochenbälkchens vom os maxillare einer neugeborenen
Katze. Fixierung und Färbung wie in Fig. 1. K = Gewebe des
Knochenbälkchens. Fibrillenzüge rot, teils längs-, teils schräg-, teils
quergeschnitten, teils ohne färbbare Interfibrillarsubstanz, welche
wahrscheinlich schon vorhanden, aber durch die Fixierungsflüssigkeit
aufgelöst wurde. In den grauen Stellen ist die Interfibrillar- oder Kitt-
substanz noch vorhanden. Sie maskiert hier die Fibrillen der Grund-
substanz. Die Knochenzellen werden von roten Fibrillenzügen um-
geben. S.d. K. — Saum des Knochenbälkchens, setzt sich zusammen
aus einstrahlenden, sich kreuzenden Fibrillenbündeln. Zwischen
ihnen werden die eingeschlossenen Osteoblasten durch Entwicklung
zahlreicher Ausläufer zu sternförmigen Knochenzellen. O-Osteo-
blasten. L.e.B. = Lockeres embryonales Bindegewebe, besteht
aus meist spindelförmigen Bindegewebszellen, aus denen Binde-
gewebsfibrillen hervorgehen. Die überaus zahlreich sich ent-
wickelnden Fibrillen legen sich nach dem Saume des Knochen-
bälkchens zu zum Teil geschlängelt verlaufenden Fibrillenbündein
aneinander. Die Bündel, an einzelnen Stellen quergetroffen, er-
scheinen als rote Punkte. Die Fibrillenbündel werden nach dem
Knochen zu, da sich immer mehr Fibrillen anschliessen, dicker,
durchfiechten sich im Saume des Knochenbälkchens, bilden ein
Flechtwerk neuer fibrillärer Knochensubstanz, die zunächst ohne
färbbare Interfibrillarsubstanz ist. Einzelne einstrahlende Fibrillen-
züge lassen sich noch weiter bis ins Innere des Knochenbälkchens
verfolgen.
Stück eines Knochenbälkchens aus dem Unterkiefer eines Schweine-
embryo. Sublimat. Eisenalaun-Hämatoxylin, ohne Bindegewebs-
färbung. Am Rande liegen die Osteoblasten mit schwarz gefärbten
Körnern des Zellleibes. Der periphere Abschnitt des Zellleibes setzt
Fig. 4.
Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 543
sich in zahlreiche Fortsätze fort, welche sich mit denen der im Innern
des Knochenbälkchens gelegenen Knochenzellen verbinden. Es ent-
steht eine netzförmige Verbindung von Zellfortsätzen, welche in
einem Kanalsystem liegen. An einigen Stellen liegen in den Fort-
sätzen der Osteoblasten und Knochenzellen schwarze Körner
welche wahrscheinlich mit denen im Zellleibe der Zellen differen-
zierten identisch sind und in die Grundsubstanz als Interfibrillar-
substanz eingelagert werden. Grundsubstanz des Knochens blass-
grau; eingelagerte Interfibrillarsubstanz an zwei Stellen besonders
dicht, schwarz gefärbt.
Erste Dentinarlage vom Eckzahn eines Schweineembryo ohne
Bindegewebsfärbung. Sublimat. Eisenalaun-Hämatoxylin. Elfen-
beinzellen meist lang-, einige schräggetroffen. Der Zölleib ent-
hält zahlreiche schwarze Körner, er geht nur in die weiche Zahn-
faser über, die an ihrer Oberfläche von einem scheinbar aus feinen
Körnern zusammengesetzten Mantel bekleidet ist, aus dem sich
wahrscheinlich später die Neumannsche Zahnfaserscheide ent-
wickelt. Die Interfibrillarsubstanz des Dentins ist nach der Peri-
pherie zu schwarz gefärbt. Diese Stellen entsprechen denen der
späteren Kalkeinlagerung. Die schwarzen Körnermassen, aus denen
die Interfibrillarsubstanz zusammenfliesst, werden wahrscheinlich in
der Substanz der Körner im Zelleib der Elfenbeinzellen vorgebildet.
I = gefärbte Interfibrillarsubstanz des Dentins. E — Elfenbein-
zellen mit weichen Zahnfasern.
Dasselbe Präparat und derselbe Schnitt, dieselbe Färbung wie in
Fig. 4, aber mit Rubin S nachgefärbt. Es ist nur die rechte
Hälfte von Fig. 4 wiedergegeben. Elfenbeinzellen dieselben wie in
Fig. 4 auf der rechten Seite. Die vorher ungefärbte Intercellular-
substanz zwischen den Elfenbeinzellen tritt deutlich als inter-
celluläre Bindegewebsfasern oder Stränge hervor. Sie splittern
sich büschelförmig auf in die ersten Fibrillen des Dentins, welche
sich untereinander kreuzen und schräg zu den weichen Zahnfasern
liegen. Nach aussen werden die Fibrillen von der schwarzen
Interfibrillarsubstanz verdeckt. Die intercellulären Fasern zwischen
den Elfenbeinzellen entstehen aus den Fibrillen der Pulpa.
I — Interfibrillarsubstanz des Dentins. B.v. F. — Büschel von
Fibrillen des Dentins. I. F. — Intercelluläre Fasern zwischen den
Elfenbeinzellen. F.d.P. = Fibrillen der Pulpa.
544
Über den Bau und die Bedeutung
der Aussencuticula der Amphibienlarven.
Von
Oskar Schultze.
Hierzu Tafel XX.
Gelegentlich meiner Untersuchungen über die Entwicklung
der peripheren Nerven bei Amphibienlarven bin ich zu der Über-
zeueung gekommen, dass im Bereiche des Integumentes nicht
nur noch manche wichtige Fragen der Lösung harren, sondern
dass sich auch aus eigenartigen mikroskopischen Quer- und Flach-
schnittsbildern vornehmlich der tiefen Epidermiszellen und deren
Beziehungen zu dem allgemeinen, die Anlage des späteren Plexus
nervosus profundus darstellenden Zellennetze sowie zur Binde-
substanz neue Fragen ergeben. Da es sich hier um recht
schwierig aufzudeckende Strukturen handelt, deren Schwierigkeit
meine Bemühungen trotz gewisser Resultate noch zu keinem
Abschluss kommen liess, möchte ich das Verhalten der basalen
Fpidermisfläche jetzt ausser Acht lassen. Viel einfacher, wenn
auch durchaus noch nicht zur Genüge untersucht. ist der Bau
des freien Flächengebietes, das unter dem Namen Cuticula,
tandsaum, gestreifter Basalsaum, poröser Cutieularsaum u. a.
bekannt ist. Die genauere Untersuchung dieses Saumes hat
zunächst insofern allgemeineres Interesse, als bekanntlich eine
gleiche oder ähnliche Randzone die Aussenfläche von zahlreichen
wasserbewohnenden Wirbeltieren, besonders im Jugendzustand,
vom Amphioxus und von vielen Wirbellosen bedeckt. Dazu kommt
dann die Frage nach dem Bau und der Bedeutung entsprechender
Säume an inneren Epithelien, vor allem des Darmes und mancher
Drüsenkanäle und der genetischen Beziehungen der Cutieular-
säume zu dem Flimmerbesatz. Dass die Bedeutung des Saumes
als einer Schutzvorrichtung des Protoplasmas eine allgemeine ist,
darüber dürfte kaum ein Zweifel bestehen. Im speziellen aber
ergeben sich, wie es scheint, im Bereiche dieser Schutzvorrichtung
verschiedenartige Strukturen, welche teils auch direkt diesem
Schutze dienen, teils — in verschiedenem Grade — die durch die
Die Ausseneuticula der Amphibienlarven. 545
Funktion erforderte Beziehung des Zellprotoplasmas zu dem um-
gebenden Medium oder dem umschlossenen Hohlraum unterhalten.
In der folgenden Mitteilung möchte ich die Aufmerksam-
keit aller derer, welche in Zukunft sich mit der Struktur der
Cutieularsäume beschäftigen, auf die betreffende Aussenzone der
Larven und zwar vornehmlich der erst vor kurzem ausgeschlüpften
Larven der anuren Amphibien lenken, bei denen die Cuticula
durch ihre, man muss sagen, verhältnismässig grobe Struktur eine
genauere Beachtung herausfordert, als sie bisher gefunden hat.
Und wenn es auch durchaus nicht angängig erscheint, die charak-
teristischen Befunde, welche diese Cutieula ergibt, ohne weiteres
zu verallgemeinern, so ist, wie ich zeigen möchte, das was sich
hier findet, doch geeignet, als Ausgangspunkt für weitere Frage-
stellungen bezüglich des Baues der Cuticularsäume im allgemeinen
zu dienen.
Der Cuticularsaum der Epidermis, wie er bei niederen Wirbel-
tieren vorkommt, wird ziemlich allgemein als ein „poröser Saum“,
„Porensaum“ oder „eine von Porenkanälen durchsetzte Membran“
und ähnlich bezeichnet. Eine Literaturzusammenstellung finden wir
bei Studnicka.') Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Vor-
stellung der porösen Aussencutieula durch eine Übertragung der
gleichen Vorstellung von dem Cntienlarsaum der Darmepithelzellen
auf die Aussenfläche des Integumentes entstand, und sie erscheint
auch in der Tat in gewisser Weise berechtigt, da man im Flächen-
bild bei manchen Aussencutienlae eine feine an Poren erinnernde
Punktierung und im senkrechten Durchschnitt die bekannte feine
vertikale Strichelung wahrnimmt. Freilich fehlte es auch nicht
an — bisher allerdings wenig durchgedrungenen — Angaben,
welche für eine andere Deutung sprechen. Von diesen beansprucht
hier vor allem Interesse, was F. E. Schulze, wenn auch nur
kurz, an mehreren Stellen über den Grenzsaum der Larven von
Pelobates fuscus angegeben hat, um so mehr, als dieser Saum auch
meine folgenden Angaben veranlasst hat. Schon im Jahre 1869
hat F. E. Schulze?) eine kurze Beschreibung des Saumes von
) F.R. Studnicka: Über die intercellularen Verbindungen, den so-
genannten Cuticularsaum und den Flimmerbesatz der Zellen. Sitzungsb. der
K. Böhm. Gesellsch. d. Wiss., math.-nat. Klasse 1898.
») F.E. Schulze: Über cuticulare Bildungen und Verhornung von
Epithelzellen bei den Wirbeltieren. Dieses Archiv Bd. 5, 1869.
546 Oskar Schultze:
grossen Larven von Pelobates fuscus und Rana esculenta gegeben,
‚wobei er sich auf ähnliche Angaben von Eberth'!) an Bombinator
Larven bezog. Im Text spricht F. E. Schulze von „nischen-
artigen, nach aussen sich öffnenden Hohlräumen, welche seitlich
von den Balken eines netzförmigen Leistengitters umschlossen,
sich fast bis an die untere Grenze des ganzen Cutieularsaumes
erstreckten und mit abgerundetem Ende blind endigten“. In den
nischenartigen Räumen lagen — bereits von Eberth gesehene —
rundliche, glänzende Körperchen, die gelegentlich aus den Nischen
herausfallen. Durch fünf Abbildungen und die zugehörige Figuren-
erklärung (Taf. XVII, Fig. 21—25) werden diese Struktur-
verhältnisse im wesentlichen richtig (s. u.) erläutert, wobei das
Hauptgewicht auf die „Maschen“ des Cuticularsaumes und die
darin enthaltenen glänzenden Körperchen gelegt wird.
Zum zweiten Male hat F.E. Schulze?) unter Hinweis auf
seine frühere Beobachtung der gleichen Struktur im Jahre 1885
gedacht. Er beschreibt hier von der überlebenden Oberhaut
des abgeschnittenen Larvenschwanzes „bei Einstellung auf die
äusserste Oberfläche ein höchst zierliches Leistengitternetz.“ Stark
lichtbrechende breitere Leisten umschliessen eckige ziemlich
unregelmässige Polygone, das sind die Zellgrenzen der Aussen-
ephithelschicht, und in diesen Polygonen ist ein viel zarteres
Gitternetz ausgespannt, das aus zahlreichen rundlichen oder ab-
gerundet sechseckigen Maschen von zirka 3—5 «u Breite besteht.
Auch betont F. E. Schulze, dass das Lichtbrechungsvermögen
der Maschen im Bereich der einzelnen Zellen dasselbe sei wie
das der Zellgrenzen d. h. dessen, was wir jetzt als Kittleisten
der oberflächlichsten Zellschicht bezeichnen. Der Inhalt der
Maschen dagegen erscheint schwach lichtbrechend und „es macht
den Eindruck, als ob eine weniger feste, etwas zähflüssige Masse
gleichmässig die ganze Maschenlücke ausfülle“ (vergl.unten 8.558).
Die auf Taf.-II von F. E. Schulze gegebenen Abbildungen lassen
nicht den geringsten Zweifel darüber, dass es sich um die näm-
) C. T. Eberth: Zur Entwicklung der Gewebe im Schwanz der
Froschlarven. Dieses Archiv Bd. 2, 1866.
2) F. E. Schulze: Über die inneren Kiemen der Batrachierlarven
I. Mittlg. Über das Epithel der Lippen, der Mund-, Rachen- und Kiemen-
höhle erwachsener Larven von Pelobates fuscus. Abhandlungen der K.
Preuss. Ak. d. Wiss. zu Berlin 1888.
Die Aussencuticula der Amphibienlarven. D47
lichen Strukturen handelt, welche ich hier zu beschreiben im
Begrifte bin.
Zum dritten Male hat der Berliner Forscher!) in einer
Anmerkung (S. 7) den in Rede stehenden Bau der Cuticula ge-
streift, wobei er gleichzeitig eine nach einer Mikrophotographie von
F. Schaudinn bei 1200 facher Vergrösserung angefertigte
Abbildung (Taf. VIII, Fig. 5) eines Tangentialschnittes der Haut
einer in CUhromsäure conservierten erwachsenen Pelobates-Larve
gab. Unter diesen Umständen erscheint es auffallend, dass diese
zweifellos unter allen bei Wirbeltieren vorkommenden gröbste
Cutieula bisher selbst in Arbeiten, die sich speziell mit der Er-
kenntnis des Baues der Cutieula im allgemeinen beschäftigten, keine
Nachuntersuchung fand. Ausser den Angaben von F. E. Schulze
finden wir in der Literatur über die Struktur der Aussenceutieula
noch andere, welche sich auf einen „lamellös-vacuolisierten“ oder
„gitternetzartigen“ Bau der Cuticula beziehen. So äussert sich
Studnicka?) über den Cutieularsaum von Ammocoetes, dass
man an ganz feinen, parallel mit der Oberfläche der Cutieula
geführten Schnitten sieht, dass diese „aus ihre ganze Dicke durch-
setzenden Lamellen gebaut ist, die so miteinander verbunden sind,
dass sie die Wände langer röhrenförmiger Vacuolen vorstellen“.
Das Lamellensystem geht kontinuierlich in das Zellprotoplasma
über und entspricht als dessen Fortsetzung nach aussen den
Stäbchen der gewöhnlichen Auffassung oder dem Inhalt der Poren.
Aber von solchen Stäbehen und Poren ist nichts bei Ammocoetes
vorhanden. Studnicka weist auf die Übereinstimmung dieser
Struktur mit der von F. E. Schulze bei Pelobates-Larven be-
schriebenen hin. Sehr richtig bemerkt dann Studnicka: „Es
wird nötig sein, die einzelnen der Angaben von der Existenz
der Stäbchen zu revidieren; es ist möglich, dass auch anderswo
statt der Stäbchen solch ein Septensystem, wie wir es z.B. beim
Ammocoetes haben, existiert. Die Seitenansicht ist ja in beiden
Fällen dieselbe und auch die Flächenansicht, welche die bekannte
Punktierung zeigt, kann bei schwächerer Vergrösserung die-
selbe sein.“
» F. E. Schulze: Über die Verbindung der Epithelzellen unterein-
ander. Sitzungsb. d. K. Preuss. Ak. d. Wiss. 30. Juli 1896.
2) 1.c. 8.2.
548 Oskar Schultze:
Auch Leydig!) hat den Uuticularsaum nicht einfach als eine
von Poren durchsetzte Membran aufgefasst, sondern er sagt von
dem Saume des Schwanzes der Urodelenlarven, dass sich zwar in
der Seitenansicht die feinen Strichelchen des Saumes als lineare
Ausläufer des Spongioplasmas erweisen, dass aber das „was sich
im Profil als Strich zeigt, in der Flächenansicht eigentlich eine
blatt- oder leistenförmige Erhöhung ist.“
Nach Flemming?) hat der Cuticularsaum an den Kiemen-
blättern der Salamanderlarve „eine Art Vacuolenbau.“ Ein solcher
ist aber nach Flemming an dem übrigen Körperepithel nicht
vorhanden. Demgemäss bildet dieser Forscher vom Schwanz der
Salamanderlarve einen porösen Saum im Flächenbild ab°) und
sagt, dass der Saum im Querschnitt eine Stäbchenstrichelung
besitze. Nun aber schliesst die Querstrichelung des Durchschnitt-
bildes durchaus nicht den „vacuolären“ Bau aus, sobald diese
Vacuolen Röhrenform besitzen. Eine, von der einfachen Poren-
saumstruktur abweichende Beschreibung des Cuticularsaumes bei
Salamanderlarven hat K. C. Schneider *) gegeben, welche
hinsichtlich der Flächenbilder mit meiner später zu gebenden
Beschreibung übereinstimmt. Die den gestrichelten Grenzsaum
hier durchsetzenden Protoplasmafäden „sind durch eine leicht
färbbare Kittsubstanz zu Alveolenwandungen verbunden, welche
auf flächenhaften Ausschnitten der Zellen hexagonale Maschen
bilden und, bei Mangel an Pigment, eine hellere Zwischen-
substanz zeigen“. Entsprechend lauten Schneiders Angaben für
Ammocoetes.
Indem ich zu meinen eigenen Befunden übergehe, aus welchen
sich ergibt, wie ausserordentlich günstig für die Untersuchung
des Grenzsaumes die Larven mancher anuren Amphibien und in
Übereinstimmung mit F. E. Schulze besonders diejenigen von
Pelobates fuscus sind, beginne ich mit dem auffallendsten Bilde,
') F. Leydig: Zelle und Gewebe 1885.
>) W.Flemming: „Zelle“ in Merkel-Bonnets Ergebnissen Band V, 1896,
S. 267.
>) Derselbe: Zellsubstanz, Kern und Zellteilung. Leipzig 1882, Taf. Ila,
Mira.
») K. ©. Schneider: Lehrbuch der vergleichenden Histologie der
Tiere. Jena 1902.
Die Ausseneuticula der Amphibienlarven. 549
wie es durch die Betrachtung der lebenden bezw. überlebenden
Epidermis junger Larven der Knoblauchkröte von 1—2 cm Länge
mit Leichtigkeit zu erhalten ist. Hier liegt eine auf den ersten
Blick durchaus fremdartige Struktur der Aussenfläche einer Wirbel-
tierepidermis vor, wie sie in dieser Ausbildung von keinem anderen
Wirbeltier bekannt ist. Am bequemsten ist es natürlich, den
ganzen abgeschnittenen Schwanz in Wasser oder physiologischer
Kochsalzlösung unter gestütztem Deckglas zu untersuchen. Der
Pigmentgehalt der äussersten Fpidermiszellen, der bei anderen
Larven der genannten Länge, z. B. bei Rana fusca und Bufo
vulgaris, die Struktur der äussersten Zellschicht fast ganz ver-
deckt, fehlt hier an vielen leicht auffindbaren Stellen. Neben
der Fremdartigkeit der Struktur überrascht die ausserordentliche
Zierlichkeit. Schon bei verhältnismässig schwacher Vergrösserung
erscheint bei Einstellung auf die Oberfläche diese wie von einem
feinen bei bestimmter Einstellung glänzenden d.h. stark licht-
brechenden Netz überzogen, dessen in bestimmten Grenzen
schwankende Maschen verhältnismässig weit und dessen Bälkchen
im allgemeinen zart erscheinen. Ein solches Bild ist von dem
Schwanzflossensaum einer 12 mm langen Pelobates-Larve in Fig. 1
Tafel XX nach dem Leben naturgetreu bei nur zirka 500 facher
Vergrösserung (!) gezeichnet. Ausser dem Netz als solchem ist
in vielen Fällen und an vielen Stellen das völlige Fehlen der
Zellgrenzen der Aussenschicht des Epithels überraschend. Daneben
existieren alle Übergangsformen von fehlenden bis zu deutlich
ausgebildeten Zellgrenzen. So kommt es, dass man oft erst nach
einer genaueren Betrachtung oder einer gewissen Übung innerhalb
des auffallenden Flächenbildes Zellgrenzen herausfindet. In der
Fig. 1 ist dieses charakteristische Verhalten gut zum Ausdruck
gekommen, wobei ich nochmals hervorhebe, dass es sich nicht
etwa um ein durch präparatorische Wirkung entstandenes Bild
handelt. Am deutlichsten lässt sich die mittlere zirka siebeneckige
Zelle innerhalb des Maschennetzes herauserkennen, von ihr läuft
nach dem oberen Tafelrand vertikal eine deutliche Grenze; auch
nach dem unteren Rande hin sieht man deutliche Grenzen.
Dagegen ist es in den beiden Seitenteilen der Abbildung kaum
möglich die Zellen zu trennen. Da wir wissen, dass die Grenzen
dieser Aussenschicht durch die die Intercellularräume nach aussen
abschliessenden Kittleisten (Th. Cohn) gebildet werden, so er-
550 Oskar Schultze:
hält man den Eindruck, dass diese Abgrenzung innerhalb des
auf diesem Jugendstadium noch teilweise syneytialen Verbandes
erst in allmählicher Ausbildung begriffen ist. Da, wo es zu einer
solehen Ausbildung gekommen ist, erkennt man, dass die die
Zellerenzen bildende Substanz sich optisch genau ebenso, nämlich
in gleichem Grade stark lichtbrechend, verhält, wie die Bälkchen,
welche die annähernd kreisrunden Maschen begrenzen. Man er-
hält den Eindruck, dass aus der lichtbrechenden Substanz des
Gitternetzes die Zellgrenzen sich allmählich einzelnen Strassen
vergleichbar als etwas breitere Massen derselben Substanz, welche
innerhalb der Grenzen einer Einzelzelle die Netzsubstanz bildet,
herausdifferenzieren. Nach dieser Auffassung, die sich, wie gesagt,
dem optischen Verhalten und dem Charakter des ganzen Bildes
nach, aufdrängt, wäre die Kittleisten-Substanz identisch mit der-
jenigen des gesamten Netzes, sodass die ganze Aussenfläche bei
ausgebildeten Zellgrenzen von einem Netze einer einheitlichen
Substanz in Anspruch genommen wäre, welches gröbere Bälkchen
— die Kittleisten der FEpithelzellen — und innerhalb dieser die
zahlreichen feineren Bälkchen bildet.
Schon im lebenden Präparat lässt sich erkennen, dass das
zierliche Netz nur die äusserste Zone der oberflächlichen Zell-
schicht einnimmt. Bei geringer Senkung des Tubus verschwindet
das Bild und — mehr oder weniger deutlich — erscheinen die
blassen Kerne der zugehörigen Deckzellen. Die ganze „Netz-
struktur“ liegt also, bei Einstellung von oben betrachtet, über
der Kernzone der Zelle. Dies tritt deutlich in der Fig. 2 hervor.
Auch diese entstammt dem Flossensaum einer 12 mm langen
Pelobates-Larve und zwar einer Region, in welcher die Zellgrenzen
gut ausgeprägt waren. Übrigens hatte ich öfters den Eindruck,
als ob durch die Konservierung innerhalb des Netzes Zellgrenzen
in schärferer und gradlinigerer Ausprägung hervortraten, als sie
sich am lebenden Objekt darboten. Das in Fig. 2 dargestellte
Präparat wurde mit Osmiumsäure von 0,5°/o vorbehandelt und
nach Übertragung und Auswaschen in 1°/o wässrige Kalium-
bichromatlösung in Alauncochenille gefärbt!) in Wasser aus-
‘) Das Auswaschen der Osmiumpräparate mit häufig gewechselter 1°,o
Kaliumbichromatlösung — mehrere Tage hindurch und die direkte Über-
tragung in (nicht alte) Alauncochenillelösung kann ich als einfache und
vortreffliche Kernfärbemethode von Osmiumpräparaten sowohl für Schnitte
als für Stücke sehr empfehlen.
>|
je
Die Aussencutieula der Amphibienlarven. 3.
gewaschen und in KMW !) eingeschlossen. Man sieht in der
Abbildung unter dem Gitternetz, welches die beiden Zellen
gleichsam bedeckt, die Kerne und deren Inhalt in dem Tone
(nicht in der Farbe), dargestellt, wie er durch die Vochenillefärbung
erzielt war.
Dass es sich bei der beschriebenen Struktur um die „Uuti-
cula“ handelt, braucht kaum hervorgehoben zu werden, obwohl
eine deutliche Vorstellung natürlich erst von den später zu
gebenden Durchschnittsbildern gewonnen werden kann. Schon die
Übereinstimmung mit der Schilderung, die F. E. Schulze von
der Cuticula gab, lässt hierüber keinen Zweifel. Vergleicht man
aber das oben (S. 547) zitierte Bild, welches von F. E. Schulze
von der Cutieula bei 1200 facher Vergrösserung nach einer Mikro-
photographie stammt mit meinen bei nur 500 facher Vergrösserung
mit dem Zeichenapparat gezeichneten Figuren 1 und 2, so fällt
sofort der annähernd gleiche Durchmesser der „Maschen“ des
„Netzes“ auf. Die Erklärung gibt ein Vergleich meiner Figur 1
mit der Figur 3. Beide sind bei der gleichen Vergrösserung
(Leitz Objektiv 7, Okular III, Tubuslänge 160) von ea. 500 ge-
zeichnet, und winzig erscheinen die Maschen des Netzes in Fig. 3
gegenüber denen von Fig. 1. Beide Bilder rühren von ver-
schieden alten Larven her; Figur 1 von einer 12 mm langen,
Figur 3 von einer 6,5 mm langen, fast ausgewachsenen Larve.
Mit der Abnahme der Zellengrösse im Verlauf des Wachstums
der Larven ist an die Stelle des bei jungen Larven so groben
„Netzes“ allmählich ein viel feineres getreten. Zum Studium des
Saumes, sowie zu der noch dunklen, aber an diesem Objekt
vortrefflich zu untersuchenden Genese des Saumes hat man also
von jüngsten Larven auszugehen. Die genannte Abbildung von
F.E. Schulze stammt von einer ausgewachsenen Larve.
Wenn es nun auch möglich ist, die beschriebene auffallende
Struktur ohne weiteres am lebenden Objekt zu erkennen, diese
Struktur tadellos zu konservieren und dieselbe mit meiner Kalium-
bichromatosmiumhämateinmethode ?) gefärbt im Lackpräparat zu
!) Mit KMW bezeichne ich das von mir viel angewandte, schon
mehrfach erwähnte schwachlichtbrechende Medium, das aus gleichen Volum-
teilen Kali aceticum, Methylalkohol un! Wasser besteht.
®) O0. Schultze:. Über Stückfärbung mit Chromhämatoxylin. Zeitschr.
für wiss. Mikroskopie, 1904.
552 Oskar Schultze:
erhalten (vergl. Fig. 14 und 15), so gelingt es doch auch mit Hülfe
einer kombinierten Wirkung von Silbernitrat und Überosmium-
säure das eigenartige Obertlächenbild in so guter Weise prägnant
darzustellen, dass ich diese Bilder hier wiedergeben möchte. Die
betreffenden Präparate haben den Figuren 4 und 5 von Pelobates-
Larven von 15 mm Länge zugrunde gelegen, die zugleich genau
in der erzielten Farbe wiedergegeben sind. Die angewandte
Methode dürfte sich auch sonst zur Darstellung von Zellgrenzen
empfehlen. Figur 4 wurde in folgender Weise gewonnen. Die
lebende Larve wurde für 30 Minuten in Argentum nitrieum von
2° mit 0,1°/o Osmiumsänregehalt übertragen, dann in Aq. dest.
abgespült und in vollem Sonnenlicht 30 Minuten lang reduziert.
Nach Einlegen in Alkohol von 50° wurde in üblicher Weise
in Canadabalsam eingeschlossen. Zur Abbildung wurden absichtlich
einige Zellen gewählt, in denen einige der „Netzmaschen“ sich
durch auffallende, fast abnorme Grösse auszeichneten. Auch die
Figur 5 ist einem Silbernitratpräparat entnommen. Es unter-
scheidet sich von den vorigen vor allem dadurch, dass der bei
der Silbernitratreduktion eingetretene Niederschlag ein tief-
schwarzer ist und vielfach auch die Kerne erfüllt hat. Es wurde
eine Stelle zur Abbildung gewählt, in welcher vollständige neben
unvollständiger Reduktion zugleich vorhanden war. In diesem
Falle war die lebende Larve für 24 Stunden in Osmiumsäure von
0,5°/o eingelegt und dann für 24 Stunden in Arg. nitr. von 2°o
übertragen worden. Nach Abspülung in Wasser erfolgte innerhalb
von wenigen Minuten die Reduktion in 1°/'oiger wässeriger Hydro-
chinonlösung in der abgebildeten Weise. Auch mit 1°/oiger Pyro-
gallussäurelösung erhielt ich gute Resultate.
Von anderen Anuren erwiesen sich die Larven von
Bufo cinereus auf frühem Stadium wegen ihres starken
Epidermispigmentes als ungeeignet. Sehr brauchbar jedoch
sind die Larven des grünen Wasserfrosches. Geeignete
(nicht zu piementreiche) Stellen des Flossensaumes von Rana
esculenta-Larven von erst S mm Länge geben zierliche
Bilder (s. Fig. 6 und 7). Die Figur 6 ist nach dem im Wasser
liegenden Schwanz der lebenden Larve gezeichnet. Die fünf dar-
gestellten Zellen enthalten noch einige kugelförmige Dotter-
elemente. Die Maschen des Saumes sind sehr gleichmässig aus-
gebildet und in die sie begrenzenden Bälkchen (bezw. Alveolen-
Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 553
wände, s. unten) sind ebenso wie in die Zellgrenzen feine Pigment-
körnchen abgelagert, während die Alveolen selbst frei sind und
im Leben blasser erscheinen als das sie einschliessende Netz.
Auch die Figur 7 ist aus dem Flossensaume einer Esculenta-
Larve’von 1,0 em Länge gewonnen. Sechs Zellen umgeben in dem
nach Osmiumkonservierung in Wasser eingeschlossenen und ge-
zeichneten Präparate eine der typischen, mit ausserordentlich
langen Cilien versehenen Flimmerzellen. In manchen Stellen des
Netzes fehlten die Pıgmentgranula vollständig. Ein Vergleich der
bei gleicher Vergrösserung gezeichneten Säume ungefähr gleich-
langer Larven von Rana esculenta und Pelobates ergibt, dass bei
Pelobates die Struktur zwar bedeutend gröber ist als bei dem
grünen Frosch, jedoch auch bei diesem finden wir einen für ge-
nauere Untersuchungen vortrefllich geeigneten Saum. Viel weniger
ist dies bei dem braunen Frosch der Fall. In Figur 8 ist das
Flächenbild des Saumes der Deckzellen bei homogener Immersion
und Okular III (Leitz) dargestellt, wie man es bei jungen Rana
fusca-Larven (16 mm Länge) nach Einlegen in Argentum nitrieum-
Osmiumlösung (s. oben) und Reduktion im Sonnenlicht erhält.
In diesem Falle fanden sich neben vollständig imprägnierten
Stellen viele unvollständige, in denen im Bereiche mancher Zellen
nur wenige oder gar keine Wabenwände zur Anschauung ge-
kommen waren.
Am schwierigsten ist es, gute Oberflächenbilder von Uro-
delenlarven zu erhalten. Bei Salamanderlarven hat man solche
Stellen zu wählen, wo keine Pigmentkörncheneinlagerung die
Saumstruktur verdeckt. Am besten geeignet fand ich die Epi-
dermis des Kiemendeckels. Da es aber nicht möglich ist, hier
ein frisches Flächenbild bei der erforderlichen starken Ver-
grösserung zu erhalten, muss man Flächenschnitte wählen.!)
!) Hier wie auch in anderen Fällen habe ich das überaus wichtige
Erfordernis tadelloser Konservierung und Vermeidung von Schrumpfung, sei
es durch die Konservierung oder durch Prozeduren der Paraffineinbettung, in
folgender Weise tunlichst vermieden und bin zu befriedigenden Ergebnissen
gelangt, die ich hier einschalten möchte. Zahlreiche Messungen mit dem
Zehntelmillimetermaf, die ich immer wieder bei Anwendung verschiedenster
Konservierungen machte, haben ergeben, dass die chromsäure- und sublimat-
haltigen Flüssigkeiten, so gut sie für viele Fälle zweifellos sind, hinter der
Osmiumsäure und Kaliumbichromatosmiumsäure bezüglich der zu vermeidenden
Schrumpfung weit zurückstehen. Aber auch diese sind bei der üblichen
Archiv f. mikrosk. Anat. Ba. 69. 37
Oskar Schultze:
{eb} |
(ST
Ha
Ein solcher ist in Fig. 9 nach einem Schnitt von 3 « Dicke
abgebildet. Es hat zweifellos die äusserste Schicht der Deck-
zellen getroffen. Es ist jede Verwechslung mit dem bekanntlich
ähnliche Bilder liefernden „Netz“ der Intercellularen zwischen
der oberflächlichen und tiefen Epithelschicht ausgeschlossen, wie
wir es durch Fiemming und J. E. Schulze zuerst kennen
gelernt haben. Man sieht, dass das Charakteristische des Saumes
nicht das einer porösen Membran ist, dass vielmehr das Flächen-
bild in guter Übereinstimmung mit dem Verhalten bei den
Anuren wie ein Gitter erscheint, dessen Maschen sich hier
allerdings weniger kreisrund, als vielmehr polygonal erweisen.
Ich muss dieses Aussehen als das normale bezeichnen, denn die
genau gleiche Behandlung des Saumes bei Pelobates und Rana
esculenta konserviert die Struktur, welche dieser im Leben zeigt,
tadellos.
Die richtige Vorstellung von dem Bau des Saumes gewinnen
wir natürlich erst, wenn wir die eigenartigen Flächenbilder mit
Querschnittsbildern vergleichen. In Fig. 10 sehen wir ein Quer-
schnittsbild der Epidermis der seitlichen Kopfgegend einer sehr
jungen, noch dotterhaltigen Pelobates-Larve (Osmium-Alaun-
Cochenille-Präparat). In der Deckzellenschicht waren keine deut-
lichen Zellgrenzen zu erkennen. Anstatt einer „porösen Cuticula“
sehen wir einen „wabigen“ Saum, der der äussersten Zone der
Paraffineinbettung, welche mit oft lange wirkenden Hitzegraden von 50—60°
arbeitet, bekanntlich nachträglichen Schrumpfungen ausgesetzt. Meine Methode
ist deshalb folgende: In die Schale, welche die in Alkohol absolutus liegenden
und einzubettenden Stücke entbält, giesse ich vom Rande her langsam so
viel Cedernöl, dass die am Boden sich ansammelnde Ölschicht hoch genug
ist, um die zunächst mit dem Alkohol auf dem Öl schwimmenden, allmählich
untersinkenden Stücke ganz aufzunehmen. Nach einigen Stunden oder länger
(je nach der Grösse der Objekte) wird die Flüssigkeit abgegossen und schnell
durch reines Cedernöl ersetzt. Aus diesem kommen die Stücke in Paraffın
von nur 36° Schmelzpunkt (bezogen von Grüber) und schliesslich mög-
lichst kurz (je nach der Grösse, dünne Stücke z. B. Retina nur für einen
Moment) in Paraffin von 45—48°. Dieses schneide ich im Winter in mög-
lichst kaltem Zimmer und bei offenem Fenster. Im Sommer lege ich die Blöcke
vor dem Schneiden in eine mit Eisstückchen gefüllte Porzellanschale oder
auch in eine Eis-Salzmischung, die leicht bis zu 10° heruntergeht und schneide
nach schnellem Abtrocknen der Blöcke möglichst schnell, bevor der Block
wieder warm geworden. So erhält man auch von Paraffin von 48° leicht
Schnitte, die wenige Mikren dick sind. Oft habe ich auch das Messer in
geeignet vorsichtiger Weise auf einem Eisblocke gekühlt.
Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 555
Deckzellen entspricht und zweifellos als modifizierte Zellsubstanz
zu deuten ist. Wir sehen, wie das Protoplasma von innen her
zwischen die einzelnen Waben eindringt und sich nach aussen
verschmälernd die Septen zwischen den Waben bildet, dieselben
Septen, die uns im Flächenbilde als Netzbälkchen erscheinen
(vergl. Fig. 10 mit Fig. 1). Im ganzen hat jedoch der in
Fig. 10 abgebildete Schnitt etwas Unvollkommenes, sodass man
auch keinen sicheren Schluss ziehen möchte mit bezug auf die
Frage, ob die Waben alle nach aussen abgeschlossen sind. Ver-
schiebungen oder Verzerrungen der Waben im Querschnitt sind
hier offenbar im Spiel. So wird man sich auch nicht berechtigt
fühlen, die eine der Waben, die links von der Mitte des Randes
geöffnet erscheint, als in natura geöffnet gewesen zu deuten.
Bessere Bilder geben die in den Figuren 11—13 abgebildeten
Querschnitte von Rana esculenta-Larven, die ich mit den Flächen-
bildern derselben Larve (Fig. 6 und 7) zu vergleichen bitte. In
Fig. 11 ist die Epidermis noch reich an Dotterelementen und
Pigmentkörnchen; Zellgrenzen treten nicht hervor. Bei der
14 mm langen Larve (Fig. 12 und 13) ist die Struktur des
Saumes in bester Weise konserviert. Die Epidermis ist noch
zweischichtig. Der Coriumanlage sitzen pyramidenförmige, nicht
immer im Bereich des Kernes getroffene Zellen mit ihrer Basis
auf, während der periphere Fortsatz — die Spitze der Pyramide
— nach aussen verlängert gedacht auf die Zellgrenzen (Kitt-
leisten) der Deckzellen trifft. Diese sind durch Interzellularen mit
der tieferen Zellschicht allenthalben verbunden, haben eine einer
Halbkugel zu vergleichende Form und bilden mit ihrem peri-
pheren Teil die sogenannte Cuticula. Sie lässt sich nunmehr
direkt mit einer Bienenwabe vergleichen, deren Wände nichts
sind als pigmentkörnchenführende, nach aussen zwischen die
Waben in Form eines aus dünnen Wänden gebildeten Fachwerks
gleichsam vorgeschobene, wenn auch, wie die starke Lichtbrechung
im Flächenbilde lehrt, modifizierte Zellsubstanz, die im Flächen-
bild naturgemäss den Eindruck des Pigmentkörnchen ein-
schliessenden Netzes macht. Indem die röhrenartigen Proto-
plasmafortsätze, welche die Waben begrenzen, breit aus dem Zell-
körper sich erheben, nach aussen sich gleichsam zuschärfend, er-
scheint zugleich die einzelne Wabe gegen den Zellkörper konvex
vorspringend. Obwohl die Form der Waben sich im allgemeinen
37*
556 Oskar Schultze:
gleich bleibt, sehen wir doch solche von besonderer Weite (s.
Fig. 13) und Tiefe (s. Fig. 12) zwischen die übrigen eingelagert.
Nur im Bereich der spärlichen, mehr und mehr der Rückbildung
verfallenden Flimmerzellen ist der Saum hie und da unterbrochen
(s. Fig. 12).
Viel schwieriger als dieser Saum bei den genannten Anuren
ist der der Urodelen im Querschnitt zu untersuchen, was schon
aus der Tatsache zu entnehmen ist, dass das Vorhandensein des
Saumes bei Urodelenlarven bereits überhaupt angezweifelt worden
ist. Für die Untersuchung des Querschnittes ist der grösste Teil
der Oberhaut bei Salamanderlarven ungeeignet, da die Cuticula
mit Ausnahme der Bauchfläche fast überall von feinsten Pigment-
körnchen durchsetzt ist, man müsste dann pigmentlösende Reagentien
in Anwendung bringen. Übrigens ist auch die Cutieula keines-
wegs an allen Stellen des Integumentes von gleicher Dicke. Sehr
geeignet ist das Operculum, das sich ausserdem infolge seiner Dünn-
heit empfiehlt, die man dadurch noch steigern kann, dass man
dessen Muskel- und Innenepithelschicht vorher durch Spaltung
entfernt. An dem dünnen Querschnitt des mit Hämatein intensiv
geschwärzten Präparates sind die den Abschluss der Interzellularen
bildenden Kittleisten der äusseren Epidermiszellen (Deckzellen)
deutlich als schwarze Linien imprägniert zu erkennen. Der Saum
zeigt die bekannte Querstrichelung. Dunklere sehr feine Linien
finden sich in ziemlich regelmässigen Abständen durch breitere
hellere Zwischenräume getrennt. Bei der Betrachtung mit der
Immersion erscheinen die dunkleren Linien jedoch nie so gleich-
mässig in einer Ebene gelagert, wie dies in Fig. 24 nach der
Einstellung auf mehrere Ebenen eingezeichnet ist. Dieses Bild
deckt sich vortrefflich mit dem Flächenbild der Fig. 9, wobei
zu beachten ist, dass diese mit einem stärkeren Okular als Fig. 14
gezeichnet wurde. Es unterliegt aber keinem Zweifel, dass wir
es hier, ebenso wie bei den Anuren, mit einem wabenartigen,
aus nebeneinander gereihten röhrenförmigen
Alveolen aufgebauten Saum zu tun haben. Die feinen
dunklen Querlinien entsprechen den je nach der Einstellung bald
im Flächenbild bald im optischen Querschnitt sichtbaren dünnen
Alveolenwänden. Diese Auffassung wird in solchen Fällen noch
klarer, in denen, wie es unvermeidlich ist, neben genauen
Querschnitten geringe Schiefschnitte vorliegen. Man sieht hier
Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 957
mit der Immersion oft den der Dicke des Schnittes entsprechenden
Teil des Saumes in schiefer Aufsicht und überzeugt sich auf
das deutlichste, dass die feinen Querlinien des Durchschnitts am
freien Durchchnittsrande des Saumes genau in das bei etwas
tieferer Einstellung schief von der Fläche sichtbare „Oberflächen-
netz“ übergehen; ebenso sieht man, dass die breiten helleren
Z/wischenräume zwischen den feinen dunkler erscheinenden Septen
genau den Maschen des Flächenbildes entsprechen.
Eine Unterscheidung in eine dem gestrichelten Saum ent-
sprechende „Pseudocutieula* und eine aufgelagerte „Cuticula*
wie sie &. Wolff!) ausgehend von der CGuticula des Amphioxus,
bei Petromyzon und bei Salamandra atra unterschied, erscheint
mir hier nicht berechtigt. Oft auch erhält man die, auch von
Flimmerzellen und Darmepithelzellen her bekannten Bilder, in
welchen die Querlinien oder „Stäbchen“ am freien Rande in.
kugelförmige Anschwellungen übergehen. An solchen Objekten
sieht man klar, dass da, wo solche „Knöpfchen“ als dunkle
Pünktchen vorliegen, diese hier nichts anders sind, als die
optischen Durchschnitte des freien Randes von Alveolenwänden
oder Knotenpunkten mehrerer zusammentreffender Alveolenwände.
Man überzeugt sich mit Sicherheit, dass hier von Stäbchen oder
Protoplasmafäden mit kugelförmigen Endanschwellungen nichts
vorhanden ist. Eine wesentliche Vorbedingung für solche das
Durchschnittsbild mit der Flächenansicht des der Schnittdicke
entsprechenden schmalen, etwas schief geneigten und je nach der
Einstellung eine Aufsicht ermöglichenden Teiles des Saumes
kombinierende Betrachtung ist jedoch, dass man die Paraffin-
schnitte nach der Fixierung auf dem Objektträger nicht trocknet.
Denn die — vollends im Wärmeschrank — vorgenommene, dem
Aufkleben mit Wasser, Alkohol u. a. folgende völlige Auftrocknung
der Schnitte führt zu einer innerhalb des auch dünnsten Schnittes
bei Betrachtung mit Immersion höchst störenden Verflachung
des Bildes und zu einer Zerstörung des auch noch im dünnsten
Schnitte vorhandenen Reliefs. Man hat sich vielfach an diese
aufgetrockneten verflachten Bilder ganz gewöhnt. Und doch
werden sie demjenigen der, wie ich, in folgender Weise vorgeht,
bald ebenso nur als Notbehelf erscheinen, wie mir. Hierzu kommt
2) G. Wolff: Die Cuticula der Wirbeltierepidermis. Jenaische Zeit-
schrift, Bd. 23. 1889.
558 Oskar Schultze:
freilich, dass ich ein Feind des Färbens auf dem Öbjektträger
bin, obwohl sich solches ja nicht völlig vermeiden lässt. Aber
ich bin überzeugt, dass jeder, der die von mir beschriebene!) und
sehr viel ausgeübte Doppelfärbung im Stück mit Osmiumchrom-
hämatein und Alauncochenille versucht hat, zu der Überzeugung
kommt, dass sie die Objektträgerfärbung für eine grosse Menge
von Strukturverhältnissen — einschliesslich feiner Zellstruktur —
ersetzt bezw. übertrifft. Man klebe zwei von völlig gleichen Schnitten
den einen mit Wasser auf und trockne und „verflache“ ihn auf
diese Weise, den andern mit Nelkenölcollodium, das den Schnitt
nicht antrocknet und vergleiche: man wird, wo es sich um feine
Strukturverhältnisse handelt, dem Aufkleben mit Nelkenöl-
collodium bei weitem den Vorzug geben.
Ich komme nun zu der Frage nach der Bedeutung der
. beschriebenen Saumstruktur. Die Betrachtung der Fig. 11 und
anderer erinnert ohne weiteres an die bekannten Bilder. die wir
von dem sekreterfüllten Teil einer Becherzelle kennen, und es
erscheint sonach, wenn ich mich auch niemals überzeugen konnte,
dass die Waben des Saumes nach aussen geöffnet sind, zum
mindesten berechtigt, auch hier die Frage nach einem sekretorischen
Vorgang zu stellen. Schon F. E. Schulze vermutete einen
innerhalb der Maschenräume des Leistennetzes bei Pelobateslarven
sich abspielenden Sekretionsvorgang. Er sagt’): „Eine merk-
würdige Veränderung tritt durch die Chromsäure - Einwirkung
an dem cuticularen Grenzsaume der oberen Epidermiszellen auf.
In jeder der kleinen Maschen des cuticularen Leistennetzes zeigt
sich ein zentral gelegener ziemlich stark lichtbrechender Körper
von der Gestalt eines oben abgerundeten unten mit schwacher
Verbreiterung aufliegenden Zapfens oder Kegels, welcher in vielen
Fällen sich leicht von dem Grunde der Leistenmaschen ablöst
und dann als ein kleines eiförmiges Gebilde aus der Maschen-
lücke herausfallen kann (Taf. II Fig. 10—12). Lässt man auf
ein überlebendes, eben frisch abgeschnittenes Hautstückchen,
dessen Cuticularsaum zunächst noch nichts von diesen Körperchen
zeigt, langsam ein coagulierend wirkendes Reagenz, etwa Chr 0?
oder Au Cl einwirken, so sieht man, wie sich in jedem Maschen-
raume der vorher gleichmässig helle Inhalt zu einem zentralen
') 0. Schultzel.c.
®) F.E.Schulze: Über die inneren Kiemen etc. |. c. S. 24.
Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 299
Coagulum zusammenzieht, und so die eben beschriebenen stark
lichtbrechenden Klümpchen entstehen. Da ich bei der reinen
Seitenansicht feiner senkrechter Durchschnitte keine scharf vom
Plasmakörper der Zelle abgesetzte besondere Basalplatte des
2 bis 3 a dieken Uuticularsaumes habe wahrnehmen können (Taf. II
Fig. S u. 10), so bin ich zu der Ansicht gelangt, dass es sich
hier um ein im Plasmakörper der Grenzzellen ausgeschiedenes
weiches Sekret handelt, welches die Maschenräume des Leisten-
netzes des Cuticularsaumes im Leben vollständig ausfüllt, und
dessen äussere freie Oberfläche direkt vom umgebenden Wasser
bespült wird“.
Obwohl ich die von F. E. Schulze hier beschriebenen
Coagulationserscheinungen nicht verfolgt habe, bin ich doch voll-
kommen in Übereinstimmung mit ihm, insofern als auch ich hier
die Bildung eines Sekretes für zweifellos halte, wenn auch
auf Grund anderer, die Beobachtung F. E. Schulzes er-
weiternder Angaben. Die Untersuchung des lebenden bezw.
überlebenden Saumes lässt zwar in zahlreichen Fällen die Waben
desselben homogen erscheinen. In vielen Fällen beobachtet man
jedoch in jeder Wabe ein mehr oder weniger glänzendes Korn,
sodass es nach diesem Befunde am frischen Präparat keinem
Zweifel unterliegen kann, dass diese Granula vitale Bildungen
sind. Es ist nur ein Zufall, dass unter meinen hier gegebenen
Abbildungen, die ich nicht noch vermehren wollte, keine solchen
Granula nach dem Leben dargestellt zeigt. Die Behandlung mit
der nicht coagulierend wirkenden Osmiumsäure oder Kalium-
bichromatosmiumsäure ermöglicht die Konservierung und nach-
trägliche Hämateinfärbung dieser Granula in trefflicher Weise
sowohl bei Pelobates- als bei Rana esculenta-Larven. Fig. 15
zeigt sechs solcher Zellen im Flächenbild des gefärbten und durch
Abziehen median halbierten Saumes von einer 13 mm langen
Pelobates-Larve. Instruktiver ist der von der Esculenta-Larve
in Fig. 14 dünne Flachschnitt der Cuticula einer Zelle und an-
grenzender Zellteile.. Ergänzend wirkt das in Fig. 25 gegebene
(Juerschnittsbild, das die in den Waben des Saumes gelegenen
Granula von einer jungen Rana esculenta zeigt. Im allgemeinen
gilt, wenn auch nicht immer genau wiederkehrend, folgendes:
Die kleineren Waben enthalten stärker gefärbte Granula. Die
grössten sind entweder leer oder sie enthalten eine ganz blass
560 Oskar Schultze:
gefärbte Masse. Dazwischen finden wir Übergangstadien, sodass
man zu der Überzeugung kommt, dass hier, wie in vielen Drüsen-
zellen, Sekretgranula unter „Aufquellung“* in das Sekret sich
umwandeln. Wir werden in dieser Auffassung bestärkt, wenn
wir finden, dass die Deckzellen in ihrem Plasma reichlich mit
blassen Körnern erfüllt sind, die ich als Vorstadien der oft in
den Waben gefundenen Granula deute. Fassen wir alles zu-
sammen, so sind wir berechtigt zu sagen, dass hier innerhalb
der Epidermisdeckzellen ein Sekretionsvorgang
stattfindet, der an die weitverbreitete, zumteil enorme ab-
scheidende Tätigkeit der Oberhaut bei vielen wirbellosen Tieren
erinnert. Auch denken wir hier an die bei den höheren Wirbel-
tieren aus den Keratohyalinkörnern der Epidermiszellen hervor-
gehende Abscheidung des Keratins.
Es liegt nahe, an Mucinbildung zu denken. Jedoch ver-
sagen, wie ich. schon in meiner vorläufigen Mitteilung!) bemerkte,
die üblichen Reaktionen auf Muein vollkommen (Delafields
Hämatoxylin, Mucinkarmin nach P.Mayer, Thionin nach Hoyer).
Eine Verallgemeinerung dieser hier geschilderten sekre-
torischen Bedeutung der Aussencuticula liegt mir jetzt fern:
jedoch wird man zugeben, dass eine Prüfung auch anderer
Cutieulae von diesem Gesichtspunkte aus gerechtfertigt ist. Mir
scheint, dass-.es sich hier bei den Amphibienlarven um einen im
Verhältnis zu anderen Cutieulae — besonders von Wirbellosen —
geringeren Ausbildungsgrad einer von der sezernierenden Zelle
sich weniger emanzipierenden Schicht handelt, die während der
ganzen Zeit ihres Bestehens ein typischer Zellbestandteil bleibt.
Mit der Verhärtung des in den Alveolen gebildeten Sekretes
könnte die bei den Amphibien nicht zur Ausbildung kommende
Ablösbarkeit und grössere Selbständigkeit des Sekretes, d. h. der
Cutieula, zur Ausbildung kommen. Der alveoläre Bau könnte bei
weiterer Ausbildung durch Schwund der plasmatischen Alveolen-
wände und Verschmelzung der in den Alveolen gebildeten Sekret-
massen in einen porösen übergehen, sodass (vergl. Fig. 1) nur in
den Knotenpunkten des Netzes oder, besser ausgedrückt, nur da,
wo die Wände mehrerer Waben zusammenstossen, die plasma-
tischen Teile als nunmehr in feinen Röhrchen oder Poren liegende
5) 0. Schultze: Über Sekretionsvorgänge in Epidermiszellen. Sitzungs-
bericht der phys. med. Gesellsch. zu Würzburg. 19. Juli 1906.
Die Aussencutieula der Amphibienlarven. 561
„Plasmastäbehen* sich erhalten. Die Entwicklung zweifellos
„poröser“ Cutieulae würde hier Aufschluss geben. Allerdings
müssen wir auch hier wohl bedenken, dass die Aussencuticulae
von Wirbeltieren und Wirbellosen gewiss nicht ohne weiteres
einen Vergleich zulassen. Man denke nur an die zierliche aus
sich rechtwinklig kreuzenden Fasern aufgebaute Struktur der
Cuticula eines Lumbrieus. Auch hier hat freilich Sukatschoff')
ebenso wie bei Hirudo, Aulostomum und im Chitinpanzer von
Gammarus eine feinwabige Struktur beschrieben. In jedem Falle
aber glaube ich gezeigt zu haben, dass die Bildung der Aussen-
cuticula mit typischen, morphologisch nachweisbaren Sekretions-
vorgängen innerhalb der Deckzellen einhergehen kann und dass
sie bei den beschriebenen Objekten nichts ist, als ein durch
die sekretorische Funktion erklärter Zellbe-
standteil.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX.
Fig. 1. Flächenbild der Cutieula in Deckzellen einer 12 mm langen Pelobates-
Larve. Flossensaum, lebend. Leitz Oc. III, Obj. 7.
Fig. 2. Zwei Deckzellen mit Cuticula aus dem Flossensaum einer 12 mm
langen Pelobates-Larve. Osmium-Kaliumbichromat-Alauncochenille-
Präparat. Vergr. wie Fig. 1.
Fig. 3. Sechs Deckzellen aus dem Flossensaum einer 65 mm langen Pelobates-
Larve. Lebend. Vergr. wie Fig. 1 und 2. Die Zellen und Waben
der Cuticula sind bedeutend kleiner geworden.
Fig. 4. Vier Deckzellen aus dem Flossensaum einer 15 mm langen Pelobates-
Larve. Zellgrenzen und Wabenwände durch Argentum nitricum
dargestellt. Leitz Oc. I, Obj. 7.
Fig. 5. Osmium-Argentum nitricum - Hydrochinon - Präparat der Deckzellen-
schicht einer 15 mm langen Pelobates-Larve. Die Reaktion hat
die Waben der Cuticula nicht überall gleich deutlich kenntlich
gemacht. Vergr. wie Fig. 4.
Fig. 6. Cuticula einer 8 mm langen Larve von Rana esculenta; lebender
Flossensaum in Wasser untersucht. Vergr. wie Fig. 1—9.
Fig. 7. Flächenbild der Deckzellenschicht des Flossensaumes einer 1,0 cm
langen Larve von R. esculenta. In der Mitte eine Flimmerzelle.
Die umgebenden Zellen mit den Waben der Cuticula, deren Wände
teilweise Pigment-Körnchen enthalten. Osmium-Präparat. Leitz
Oc. I. Hom. Immers. !/ı2.
ı, B. Sukatschoff: Über den feineren Bau einiger Cuticulae und
der Spongienfasern. Zeitschr. f. w. Zoologie. Bd. 66, 1899.
562
Fig.
Fig.
Fig.
8.
3
10:
a
13,
. 14.
. 16—
24.
25
zu).
Oskar Schultze: Die Aussencuticula der Amphibienlarven.
Cuticula der Deckzellen einer 16 mm langen Larve von Rana fusca.
Die Waben sind durch Argentum nitricum nur zumteil sichtbar
gemacht.
Flächenbild der Cuticula der Larve von Salamandra maculata.
Flachschnitt des Operculum. Osmium-Kaliumbichromat-Haematein-
Präparat. Leitz Oc. III. Hom. Immers. !ı2.
Querschnitt der Epidermis einer jungen Larve von Pelobates fuscus.
Osmium-Alauneochenille-Präparat. Vergr. 500.
Querschnitt der Epidermis einer jungen Larve von Rana esculenta.
Osmium-Kaliumbichromat-Boraxkarmin. Leitz Oc.I. Hom. Imm. !' 12.
Querschnitt der Epidermis einer 14 mm langen Larve von Rana
esculenta. In der Mitte eine in Rückbildung stehende Flimmer-
zelle. Osmium-Haematein-Präparat. Leitz Oc. Ill. Hom. Immers.'/ı2.
Querschnitt wie vorher.
Flachschnitt der Cuticula einer 14 mm langen Larve von Rana
esculenta. Granula in den Waben. Leitz Oc. III. Hom. Immers.'ı2.
Flächenbild des Cuticularsaumes einer 13 mm langen Pelobates-
Larve mit Sekret in den Waben. Osmium - Kaliumbichromat-
Haematein-Präparat des Flossensaumes. Leitz Oc. III, Obj. 7.
23. Diese Figuren zeigen je eine Deckzelle gezeichnet bei Ein-
stellung auf die Cuticula nach Einlegen des der lebenden 1,0 cm
langen Larve von R. esculenta abgeschnittenen Schwanzes in ver-
schiedenartige Reagentien, um deren Wirkung auf die Cuticula zu
prüfen. Es zeigte sich, dass der wabige Bau im allgemeinen gegen
die verschiedenen Reagentien sich als gleich widerstandsfähig er-
weist. Die Zeichnungen wurden alle an Präparaten gefertigt, die
innerhalb eines Tropfens der angewandten Fixierungsflüssigkeit —
ohne Anwendung von Färbemitteln — lagen. Das Vorhandensein
bezw. Fehlen der Sekretkörner in den Waben steht in keiner Be-
ziehung zu der Reagentienwirkung.
Fig. 16: Chromsäure 0,25°/o.
Fig. 17: Salpetersäure 3°)o.
Fig. 18: Sublimat, concentriert.
Fig. 19: Formollösung 10° o.
Fig. 20: Alkohol absol.
21: Osmium 0,5°/o.
Fig. 22: Chromosmiumessigsäure (starke Mischung).
23: Kaliumbichromatosmiumsäure. Das Bild nach Fixie-
rung in Zenkerscher Flüssigkeit gleicht dem der
Fig. 16.
Querschnitt der Epidermis mit Cuticula des ÖOperculum einer
Salamander-Larve von 3,0 cm Länge. Kaliumbichromatosmium-
säure-Haematein. Leitz Oc.I. Kom. Immers. !jı..
Querschnitt der Epidermis mit Cuticularsaum einer 14 mm langen
Larve von Rana esculenta. Behandlung und Vergr. wie Fig. 24.
563
Die Paraganglien bei den Vögeln.
Von
M. U. Dr. Wilhelm Kose, Dresden.
Hierzu Tafel XXI—XXIII und 1 Textfigur.
Erster Teil.
1. Einleitung.
In der Geschichte der sog. „Nebenniere“ der Autoren
sind zwei grosse Perioden zu verzeichnen. Bis auf Kohn be-
trachtete man ganz allgemein die Zellen der „Marksubstanz“
als eigene, der „Nebenniere“ zukommende Elemente und
nahm überdies noch eine Umwandlung von Rinden- in Mark-
zellen an. Damals schon kannte man bereits viele von der
„Nebenniere“ völlig getrennte und dem sympathischen
Nervensysteme angeschlossene Gruppen von „Marksubstanz“.
Schon dieser Namen deutet darauf hin, in welcher Weise mau
sich dies Vorkommen zu erklären versuchte. Man betrachtete
alle diese Zellanhäufungen eben nur als versprengte Mark-
substanz der Nebenniere. Auch entwicklungsgeschicht-
liche Untersuchungen, die den Ursprung der sogenannten „Mark-
substanz“ der Nebenniere aus den Anlagen sympathischer
Ganglien demonstrierten, beirrten die Forscher nicht in ihrer
Auffassung.
Erst Kohn stellte sich durch seine aus zahlreichen Unter-
suchungen gewonnene Theorie in einen direkten Gegensatz zu
dieser allgemein angenommenen Meinung. Es liegt nun nicht
im Plane meiner Arbeit, eine chronologische Darstellung der
sämtlichen diesbezüglichen Arbeiten aller Autoren zu geben;
auch wäre dies überflüssig, da Kohn in seinen Publikationen,
besonders aber in „Die Paraganglien“ (9) und „Das
chromaffine Gewebe“ (10) sich dieser Aufgabe in einer
übersichtlichen und erschöpfenden Art und Weise entledigt hat.
Ich verweise daher hier auf diese Arbeiten. Es sei mir aber an
dieser Stelle gestattet, nur in grossen Zügen die prinzipielle
Wandlung in der Beurteilung der sog. „Marksubstanz“ der
„Nebenniere“ hervorzuheben.
564 Wilhelm Kose:
Die Publikationen Kohns erweckten das lebhafteste Inter-
esse an der Entscheidung der Frage nach dem geweblichen
Charakter der sog. „Marksubstanz“. Es folgten nun eine
ganze Reihe von weiteren Untersuchungen und es wurden nicht
bloss alle Wirbeltierklassen, sondern auch die Wirbellosen mit in
den Bereich der Betrachtungen gezogen.
Die Lösung der schwebenden Fragen wurde sowohl durch
histologische und entwicklungsgeschichtliche Methoden als auch
auf experimentell physiologischem Wege versucht; pathologische
Erfahrungen wurden ebenfalls hierzu verwertet. Nur die
Histologie des chromaffinen Gewebes der Vögel
erfuhr bis jetzt keine eingehende Berücksichtigung. Meine Arbeit
soll nun versuchen, diese Lücke in dem sonst ziemlich ge-
schlossenen Ringe von Untersuchungen auszufüllen. Ich be-
schränke mich in ihr ausschliesslich auf die Histologie
des chromaffinen Gewebes und kann daher nur die in
dieses Gebiet gehörigen Arbeiten, nicht aber auch die ent-
wicklungsgeschichtlichen Untersuchungen eingehender berück-
sichtigen. Aus der Fülle der Abhandlungen der anderen Autoren
werde ich, sofern sie die Vögel nicht zum Gegenstande haben,
nur jene gelegentlich hervorheben, die zur Erklärung meines
eigenen Standpunktes dienen können. Ich hatte ursprünglich
die Absicht, noch viel mehr Material von Vögeln zu bearbeiten,
und es liegt auch schon mindestens ein dreimal so reiches
schnittfertig im Paraftin. Allein manche Untersuchungen, so Z. BD.
die vielen spezifischen Bindegewebsfärbungen und die nach-
trägliche Durchmusterung der Serien mit den stärksten Ver-
grösserungen, nahmen so viel Zeit in Anspruch, dass mir die
vollständige Ausführung meines ursprünglichen Planes unmöglich
wurde, wollte ich die Publikation nicht auf unbestimmte Zeit
hinausschieben. Die dadurch entstandenen Lücken in meiner
Arbeit sind mir gar wohl bekannt, doch hoffe ich durch diesen
Hinweis eine Entschuldigung für sie gefunden zu haben.
Und nun wende ich mich den! Arbeiten Kohns zu, die
einen Wendepunkt in der Entwicklung der Ansichten über das
sog. „Mark der Nebennieren“ bedeuten. Es ist am besten,
ich lasse ihn für sich selbst sprechen. „Die Paraganglien“
(9) Seite 263—265: „Die Stellung der Marksubstanz der
Nebenniere war in Dunkel gehüllt. Seit Henle (32) wusste man,
Die Paraganglien bei den Vögeln. 565
dass sich ihre Zellen in Chromatlösungen braun färben. Über
ihre Entwicklung ‚gingen die Meinungen auseinander, über ihr
eigentliches Wesen war nichts Zuverlässiges zu ermitteln.
Es gelang auch mir nicht, die Zellen der Marksubstanz
auf eine der bekannten Zellarten zurückzuführen. Da half ich
mir in der Weise, dass ich für sie einen neuen Typus begründete,
die chromaffine Zelle. Ich habe aber den neuen Namen
nicht gewählt, um damit bloss die bekannte Chromreaktion mehr
hervorzuheben, sondern hauptsächlich darum, um diese Zelle
durch eine besondere Bezeichnung von den anderen Zellformen
zu unterscheiden, um sie alseine neue Zellart den bekannten
Zelltypen gegenüberzustellen. Ausser der Epithelzelle, der Binde-
substanzzelle, der Muskel-, der Nervenzelle usw. haben wir noch
besonders zu unterscheiden die chromaffine Zelle.
Ihre fundamentalen Verschiedenheiten von allen bekannten
Zellarten und ihre spezifischen Besonderheiten rechtfertigen die
Forderung, ihr eine Sonderstellung einzuräumen. Ihre Eigen-
art ist ausgeprägt in ihrer besonderen Abkunft, ihrem morpho-
logischen Habitus, ihrer Anordnung, inren Reaktionen und Lage-
beziehungen und in dem besonderen Charakter des Gewebes und
der Organe, deren Bauelement sie ist.
Die chromaffinen Zellen stammen von Elementen des Nerven-
systems ab, aus den embryonalen Anlagen der sympathischen
Ganglien. Sie sind also eigentlich nahe Verwandte der sym-
pathischen Ganglienzellen, von denen sie sich aber in ihrem
weiteren Entwicklungsgange sehr unterscheiden. Es enthalten
demnach jene Zellkomplexe, die man ungenau als die Anlagen
der sympathischen Ganglien bezeichnet, neben den Keimen für
die sympathischen Ganglien auch noch jene für die chromaffinen
Körper, die ich Paraganglien nannte.
Diese ursprüngliche Verwandtschaft hinterlässt deutliche
Spuren. Die chromaffinen Zellen und Organe bewahren nahe
Beziehungen zum sympathischen Nervensystem.“
Seite 265. (9): „Da die chromaffinen Gewebskomplexe
ganglienartige Körper bilden, da ihre Elemente aus Ganglien-
anlagen entstehen, da sie an das sympathische Nervensystem
gebunden erscheinen und doch keine echten Ganglien sind, habe
ich sie auch „Paraganglien“ genannt. Man kann also
Paraganglia intercarotica, suprarenalia, aortica abdom. etc. unter-
566 Wilhelm Kose:
scheiden.“ Weiter unten Seite 265: „Auf diesem Wege war
ich dahin gelangt, eine neue Zellart — die chromaffine
Zelle, eine neue Gewebsform — das chromaffine Ge-
webe, einen neuen Organtypus — diechromaffinen Organe
oder Paraganglien — aufzustellen.“
Kohn erbrachte nun in seiner Arbeit „Die Paraganglien“
(9) für die Säugetiere den noch von keiner Seite ge-
lieferten Beweis, dass nicht bloss die Zellen der sog. „Mark-
substanz der „Nebenniere“, sondern alle chromaffinen
Zellen, wo immer sie sich auch finden mögen, ausnahmslos
aus embryonalen Anlagen der sympathischen Ganglien entstehen.
Infolgedessen kann fortan kein Zweifel mehr an der Gleich-
wertigkeit aller chromaffinen Zellanhäufungen bestehen. Waren
auch durch diese Ergebnisse die chromaffinen Zellen ihrer bis-
her angenommenen genetischen Zugehörigkeit zur „Rinde“ der
„Nebenniere“ (eigentliche Nebenniere nach Kohn) vollkommen
entkleidet, so ergab sich nun die nicht minder schwierige Frage
nach ihrer Stellung unter den bereits bekannten Gewebstypen.
Kohn (9) sagt auf Seite 349: „Wo soll also das chromaffine
Gewebe eingereiht werden ? Seiner Herkunft nach steht es dem
nervösen Gewebe nahe; sein definitiver Bau ist aber ein vor-
wiegend zelliger. Es ist kein nervöses Gewebe im ge-
wöhnlichen Sinne, da seine Zellen keine Nervenfortsätze besitzen
und auch nicht einmal ausschliesslich in echten nervösen Organen
vorkommen ; es ist auch kein epitheliales Gewebe, weil
es nicht von einem Epithel, sondern aus hochdifferenziertem,
sympathischem Gewebe abstammt und weder in seiner Anordnung
noch in seinem feineren Bau dem Fpithelcharakter entspricht.
Es ist ein Gewebe sui generis, das unter keinen der
bekannten Gewebstypen eingereiht werden kann;
es repräsentiert selbst einen neuen Gewebstypus.“
Durch diese Auffassung stellt sich aber Kohn in Gegensatz zu
den meisten der neuesten Autoren. Er sagt auf Seite 346 (9):
„Sehr schroff stehen die Meinungen betrefis des morpho-
logischen Charakters der Paraganglien einander gegenüber.
Ich hatte von allem Anfange an die Meinung vertreten,
dass die chromaffinen Körper Organe eigener Art seien,
Derivate der embryonalen sympathischen Ganglienanlagen, die aber
bei voller Entwicklung sowohl von den Ganglien, als
Die Paraganglien bei den Vögeln. 567
auch von allen anderen Organen durchaus unter-
schieden werden müssen. Man dürfe sie auch nicht
den epithelialen Organen oder gar den Drüsen zu-
rechnen, wenn ihnen auch ihr zelliger Bau eine gewisse ober-
tlächliche Ähnlichkeit mit Epithelgebilden verleiht.
Diese Auffassung wird nur von wenigen Autoren geteilt:
fast alle bezeichnen das Gewebe der chromaffinen Organe als
ein epitheliales oder drüsiges, oder schreiben ihm — ohne
weitere Berücksichtigung der besonderen Bauart — auf Grund
physiologischer Experimente eine innere Sekretion zu.“
Die sichere Entscheidung dieser strittigen Frage ist bis
heute nicht gefallen. Für beiderlei Ansichten lassen sich eine
Menge von Befunden als Stütze anführen. Überblicke ich meine
eigenen Beobachtungen in der Absicht, sie in diesem oder jenem
Sinne zu verwerten, so muss ich offen eingestehen, dass sie es mir
nicht gestatten, einen ganz bestimmten Standpunkt einzunehmen.
Ich kann es aber nicht leugnen, dass mir die histologischen und
cytologischen Eigenschaften des chromaffinen Gewebes beim Vogel
weit mehr für als gegen eine sekretorische Taler,
der chromaffinen Zellen sprechen. In erster Linie
wäre hier auf ihre auffallende Verbindung mit dem Gefäss-
systeme hinzuweisen. Die innige und gesetzmässige Lagebeziehung
des chromaffinen Gewebes zum sympathischen Nervensysteme
erweckte ja auch in Kohn den Gedanken einer genetischen
Zusammengehörigkeit beider. Meiner Meinung nach muss die
mindestens ebenso gesetzmässige und innige Ver-
bindung der chromaffinen Zellen mit den Blut-
gefässen zum Nachdenken anregen. — Ihr regelmässiges
Vorkommen innerhalb der verschiedensten Paraganglien, mögen
diese nun mit dem sympathischen Nervensysteme verbunden sein
oder nicht, böte an und für sich noch nicht so viel Charakte-
ristisches, um daraus allein schon eine sekretorische Tätigkeit
. der cbromaffinen Zeilen zu erschliessen. Es ist vielmehr der
unverhältnismässig grosse Gehalt an Kapillaren und
Venen und die Lagebeziehung der einzelnen chromaffinen
Zellen zu diesen, die hier bestimmend wirken können. Die
Kapillaren und Venen bilden ganz besonders schön im Para-
ganglion caroticum bei der Krähe ein dichtes Netz
zwischen den chromaffinen Zellen, so dass nur kleine Gruppen
568 Wilhelm Kose:
von ihnen überall von den Blutgefässen umgeben sind. Studiert
man die Lage der chromaftinen Zellen der verschiedensten Para-
ganglien genauer, so sieht man, wie die einzelnen Zellen entweder
dem dünnen Gefässendothel unmittelbar anliegen, oder wie sich
nur einige dünne bindegewebige Fäserchen zwischen beide ein-
schieben. Ich muss aber hier ausdrücklich hervorheben, dass
durchaus nicht alle chromaffinen Zellen den Gefässen auf diese
Weise unmittelbar anliegen. Sie bilden vielmehr in den ver-
schiedensten Paraganglien häufig kleinere und -grössere Zell-
gruppen, bei denen die Gefässe bloss in ihrer Peripherie verlaufen.
Wenn ich mich nun frage, ob diese Anordnung der chrom-
affınen Zellen sich mit einer sekretorischen Tätigkeit der letzteren
vereinigen lässt, so muss ich folgendes sagen: Alle jene Zellen,
die dem Gefässendothel direkt aufliegen, könnten ihr Sekret nach
Art einer Drüse mit innerer Sekretion leicht in das Gefässlumen
abgeben. Tatsächlich findet man im Innern vieler Venen des
Paraganglion suprarenale Granula, die infolge ihres morpho-
logischen Aussehens jenen der chromaffinen Zellen auffallend
ähnlich sind. Ich komme später nochmals auf diese Tatsache
zu sprechen Bei allen jenen chromaffinen Zellen, welche
weiter von den Blutgefässen entfernt liegen, muss erst der
einwandfreie Beweis erbracht werden, auf welchem Wege ein
eventuell gebildetes Sekret in die Blutbahn gelangen könnte.
Es ist mir nach der Methode von Heidenhain nicht mit Sicher-
heit gelungen, typische interzelluläre Sekretkapillaren zwischen
den chromaffıinen Zellen nachzuweisen. Dafür ist hier das ganze
bindegewebige Stützgerüste von einem weitverzweigten und bis
zwischen die einzelnen chromaffinen Zellen sich erstreckenden
Systeme von Lücken und Spalten durchzogen, von dem ich
annehme, dass es der Abfuhr eines spezifischen
Zellsekretes dient. Dieser histologische Befund wird bei
Beschreibung des Paraganglion suprarenale genau geschildert
werden.
Weit mehr noch als der auffallende Gefässreichtum der
verschiedenen Paraganglien spricht folgende Tatsache für eine
sekretorische Tätigkeit der chromaffinen Zellen. Es ist ja bekannt,
dass innerhalb des sympathischen Nervensystemes ganz ver-
einzelte chromaffine Zellen vorkommen. Die grösste Mehrzahl
von ihnen war nun ebenfalls Kapillaren unmittelbar angeschlossen.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 569
Besonders schön konnte man häufig die quergetroffene Kapillare
von dem hüllenlosen Plasmaleib der einzelnen chromaffinen Zellen
halbmondförmig umgeben sehen. Ich gebe gerne zu, dass eine
gewisse Anzahl dieser isolierten chromaffinen Zellen mitten unter
den Ganglienzellen oder Nervenfasern liegt, ohne dass der
Nachweis von Kapillaren in ihrer Nähe gelingt. Bedenkt man
aber, dass die Kapillaren oft so dünn sind, dass gerade nur ein
einziges rotes Blutkörperchen in ihnen Platz hat, so werden sich
viele von den ersteren, besonders wenn sie quergetroffen und
noch dazu kollabiert sind, gewiss der Beobachtung entziehen.
Trotzdem gibt es unter diesen vereinzelten chromaffınen Zellen
solche, die z. B. Ganglienzellen unmittelbar anliegen
und bei.denen man doch den Eindruck erhält, dass sie nicht
mit Kapillaren in Verbindung stehen.
Ganz abgesehen von der gesetzmässigen Verknüpfung der
chromaffinen Zellen mit dem Blutgefäss-System, die auch darin
noch ihren Ausdruck findet, dass die Wand der verschiedensten
abdominalen Arterien und Venen von zahlreichen Para-
ganglien durchsetzt sein kann, sprechen mir für eine sekretorische
Tätigkeit der chromaffinen Zellen die weitgehenden Differenzen
in der Grösse und Struktur ihrer Kerne, ferner die auffallenden
Schwankungen in der Färbbarkeit des Plasmas der verschiedenen
Zel.en mit den diversen Kern- und Plasmafarbstoffen, die häufig
auftretende Vakuolisierung der Zellen. die oft zu ihrer fast
vollständigen Unkenntlichkeit führen kann und endlich
die Bereitung ganz spezifischer Granula im Plasma (Huhn, Taube).
Alle diese Struktureigentümlichkeiten werden später genau be-
sprochen werden.
Wenn ich nun zum Schlusse meiner eigenen Überzeugung
Ausdruck gebe, so muss ich sagen: Ich fühle mich mit Kohn
und den meisten anderen Autoren eines Sinnes in der Auffassung
der chromaffinen Zellen als eines von den „Rindenzellen
grundverschiedenen Zelltypus“ (Kohn). Überblicke ich
aber die Summe der von den verschiedenen Autoren angegebenen
morphologischen Kennzeichen der chromaffinen Zellen im Zu-
sammenhange mit den von mir beim Vogel beobachteten histo-
logischen und ceytologischen Details, dann kann ich mich, trotz
der von Kohn (9), Seite 345—349 gegen eine solche Auffassung
vorgebrachten schwerwiegenden Einwände, der Überzeugung nicht
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 38
570 Wilhelm Kose:
entziehen, dass es sich bei den chromaffinen Zellen
doch um sekretorisch tätige Zellen handeln muss.
Das letzte und entscheidende Wort werden hier wohl die
physiologischen Experimente zu sprechen haben. Kohn selbst
schenkt den bisher erzielten experimentellen Erfolgen seine grösste
Beachtung, nur verlangt er, bevor aus ihnen bindende Schlüsse
gezogen werden, noch eine einwandfreie Wiederholung dieser
Versuche. Das chromaffine Gewebe ist eben ein Gewebe „sui
generis“, das eine eigenartige Stellung unter allen anderen bekannten
Geweben einnimmt und daher auch in funktioneller Beziehung
seine ganz besonderen Eigenheiten besitzen wird, die nicht
von dem gewöhnlichen Standpunkte aus beurteilt
werden dürfen.
Den gesamten Stoff teile ich nun in drei grössere Abschnitte
ein. Auf diese Weise werden das Paraganglion suprarenale,
das Paraganglion caroticum urd endlich alle übrigen
Paraganglien der Reihe nach besprochen werden.
2. Material.
Das gesamte von mir untersuchte Material war folgendes:
I. Paraganglion caroticum.
A. Von beiden Halsseiten.
©
RA
wD
Zeisige 4 (Fringillus spinus L.),
Gimpel 2 (Pyrrhula europaea),
Kreuzschnabel 2 (Loxia curvirostra),
Würger 2 (Lanius collurio),
alte Krähe 2 (Corvus frugilegus),
junge Nestkrähe (Corvus frugilegus),
Käuzchen Z (Athene noctua),
junge Nestdrossel (Turdus musicus),
zwei Monate alte Drossel 2 (Turdus musicus),
alter Hahn (Gallus domesticus) d,
alte Hennen (Gallus domesticus) 2.
Key
[89]
je}
Du
Da A
B. Von nur einer Halsseite.
erwachsene Henne (Gallus domesticus) 9,
alte Taube 2 — links — (Columba 1. domestica),
alte Krähe 3 — links — (Corvus frugilegus),
alte Kreuzschnäbel d — links — (Loxia curvirostra),
mE
—
Ve et
je?
m
[89)
Die Paraganglien bei den Vögeln.
&
—
1‘
St
—1
je
alter Fink & — rechts — (Fringilla coelebs),
junge Wasseramsel — rechts — (Cinelus aquaticus Brehm).
lm)
—
je
II. Paraganglion suprarenale.
A. Von beiden Seiten.
a) 3 junge, noch blinde Nestkrähen (Corvus frugilegus),
b) 1 junger Hahn Z (Gallus domesticus),
ec) 1 alte Taube 2 (Columba 1. domestica),
d) 1 Käuzchen Z (Athene noctua),
e) 2 junge Nestdrosseln (Turdus musicus),
f) 1 zwei Monate alte Drossel 2 (Turdus musicus),
g) 1 alter Kreuzschnabel (Loxia eurvirostra),
h) 1 alter Würger 2 (Lanius collurio),
ı) l alter Zeisig (Fringillus spinus L.),
k) 1 alter Fink (Fringilla coelebs) 4,
l) 2 alte Amseln (Turdus merula L.).
B. Von nur einer Seite.
1 junge und 5 alte Hennen (Gallus domesticus) 2.
III. Grenzstränge.
A. Diverse Ganglien des Halssympathicus.
a) Ganglion cervic. suprem.
2 Nestdrosseln (Turdus musicus),
1 Nestkrähe (Corvus frugilegus),
1 alter Würger 2 (Lanius collurio).
b) 6 Ganglien des innerhalb der Querfortsätze der
Halswirbelsäule gelegenen Grenzstranges.
1 alte Krähe (Corvus frugilegus).
B. Diverse Brust-Grenzstrangganglien.
a) 1 blinde Nestkrähe (Corvus frugilegus),
b) 1 eben flügge Krähe (Corvus frugilegus),
c) 2 alte Krähen (Corvus frugilegus),
Il alter Fink & (Fringilla coelebs),
e) 5 junge Nestdrosseln (Turdus musicus),
ft) 1 alte Taube (Columba 1. domestica),
g) 1 alte Henne (Gallus domesticus).
C. Diverse Bauch-Grenzstrangganglien.
a) 4 junge, noch blinde Nestkrähen (Corvus frugilegus),
b) 1 junge Nestdrossel (Turdus musicus),
38*
572 Wilhelm Kose:
c) 2 junge Nestamseln (Turdus merula L.),
d) 1 alter Würger 2 (Lanius collurio),
e) 1 alte Schwalbe (Hirudo rustica, domestica).
3. Methoden.
I. Fixierung, Härtung, Einbettung.
Die Erzielung einer deutlichen Gelbfärbung der chromaffinen
Zellen ist zum Studium ihrer Verbreitung im Körper durchaus
notwendig. Aus diesem Grunde wurden die meisten Präparate
in Chromatlösungen fixiert. Folgende Fixierungsflüssigkeiten
kamen zur Anwendung:
1. Reine Müllersche Flüssigkeit.
2. Reines 3°/o Kaliumbichromat.
3. Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1 (Formalin conc. 40 °/o).
4. 3°/o Kaliumbichromat 9: Formol 1.
5. Müllersche Flüssigkeit 100 :: Eisessig 5 ccm.
6. 3°/o Kaliumbichromat 100: Eisessig 5 cem.
Die Fixationsdauer betrug bei Nr. 1—6 stets 3—10 Tage.
7. Zenkersche Lösung. Dauer 3—7 Tage.
8. Konzentrierte Sublimat-Kochsalzlösung. Dauer 6—24 Stunden.
9. Carnoysches Gemisch (6 Alkohol absolutus [99,8°/o] —
3 Chloroform — 1 Acid. acetic. pur. conc.). Dauer 4—5 Std.
10. Alkohol absolutus (99,8 °/o, Gewichtsprozent).
11. Flemmingsche Lösung.
Die besten Resultate, mit denen sich alle anderen nicht
messen können, erzielte ich stets mit der Müller-Formol-
lösung; Kaliumbichromat-Formol gab fast genau so gute Bilder.
Erst in zweiter Reihe sind dann zu nennen: Müller- oder
Kaliumbichromat-Eisessig, Zenker, Sublimat-Kochsalz und schliess-
lich Carnoy und Flemming. Reine Müllersche Flüssig-
keit konserviert die chromaffinen Zellen auch nicht schlecht,
reines Kaliumbichromat 3°/o macht dagegen schon merk-
liche Schrumpfungen.
Ganz abgesehen davon, dass die Zellformen in Müller-
Formol am besten erhalten werden, stelle ich dieses Fixierungs-
gemisch auch darum an die Spitze aller anderen, weil erstens
ein längeres Verweilen der Präparate in ihm diesen nicht schadet
und zweitens sämtliche Nachfärbungen am besten gelingen.
Kaliumbichromat-Formol verhält sich diesbezüglich ähnlich. Die
Die Paraganglien bei den Vögeln. 573
Fixation mit Sublimat-Kochsalz oder Alkohol absolutus vereitelte
oft vollständig die Bindegewebsfärbungen. Ein Nachteil aller
Essigsäure enthaltenden Mischungen war die dabei auftretende,
vollkommene oder fast vollständige Farblosigkeit der chromaffinen
Zellen. Diese Eigenschaft teilen also die chromaffinen Zellen
des Vogels mit jenen der Säugetiere. Zum Studium feiner
Plasmastrukturen innerhalb der chromaffinen Zellen erwiesen
sich auch diese Flüssigkeiten manchmal als vorteilhaft.
Sämtliche Präparate befanden sich, von ihrer Herausnahme
aus dem Tierkörper angefangen, während der ganzen Nach-
behandlung bis zum Einlegen in das Paraffin stets in einem voll-
kommen finsteren Kasten. Um sie in den obersten Schichten der
verschiedenen Medien schwebend zu erhalten, verwendete ich mit
grösstem Vorteile die Fairchildschen Porzellanzylinder. Diese
sind in fünffacher Grösse bei der Firma Leitz in Berlin erhältlich.
Aus den Fixierungsflüssigkeiten kamen die Präparate in
steigenden Alkohol 30, 40, 50, 60, 70, 80, 90, 96°/o, dann in
Alkohol absolutus 99,8%, der mindestens dreimal gewechselt
wurde, Alkohol-Xylol, Xylol, Xylol-Paraffin, reines Paraffın. Sämt-
liche Präparate wurden in Paraffin eingebettet und für gewöhnlich
in Serienschnitte von 10 oder 5 « zerlegt. Seltener wurden
dünnere (3 «) oder dickere (15—20 «) Schnitte angefertigt;
letztere hauptsächlich aus dem Grunde, um sich über den weiteren
Verlauf von bindegewebigen und elastischen Fasern zu orientieren.
Da ich zum Einbetten stets eine Mischung von drei Teilen
Paraffin 58° C und einem Teil Paraffin 52° C verwendete, ge-
langen mir selbst im Sommer die 3 « dicken Schnitte fast immer
ohne weiteres. Selten nur bediente ich mich zu letzterem Zwecke
‚der von C. Rabl!) oder Mark?) angegebenen Methoden. Die
Schnitte wurden entweder mit reinem destillierten Wasser,
30°/o Alkohol, oder aber nach Mayer mit Eiweiss-Glyzerin auf-
geklebt und in Canadabalsam, Xylol-Damarlack oder Terpentin-
Colophonium (Grübler) eingeschlossen.
II. Färbung.
Zum Durchfärben der ganzen Stücke verwendete ich ent-
weder Cochenille-Alaun in der von C. Rabl angegebenen Zu-
sammensetzung oder Hämalaun (Mayer) in der Verdünnung 3
'!) C. Rabl, Zeitschr. f. wiss. Mikroskopie, 11. Band, 1894, p. 170.
?) Mark, Amer. Natural., Vol. 19, 1885, p. 628.
574 Wilhelm Kose:
oder 2:1 Aqua destillata, ferner Parakarmin (Mayer). Letzteres
färbte aber nach den Fixierungen mit Chromatlösungen viel zu
schwach und wurde daher auch nicht oft verwendet.
Behufs Nachfärbung einzelner Schnitte wurden zur all-
gemeinen Orientierung Doppelfärbungen mit Hämatoxylin (Dela-
field)- Eosin oder Hämatoxylin - Pikrinsäure in Anwendung
gebracht. Zu ganz speziellen Färbungen des Paraganglion
caroticum und suprarenale dienten folgende Methoden:
A. Färbungen des Plasmas der chromaffinen Zellen.
«) Kernfarbstofte.
Hämatoxylin (Delafield), Bismarckbraun, Methylgrün,
Thionin, Neutralrot (schwach rötliche Lösung in 0,15 °/o Koch-
salzlösung; Färbungsdauer ein- bis zweimal 24Stunden), Cochenille,
Saffranin, Hämatoxylin-Eisenalaun nach M. Heidenhain. Be-
treffs der Färbung mit Saffranin will ich nur bemerken, dass ich
mit der von Stöhr!) angegebenen Mischung und einer Färbungs-
dauer von fünf Minuten bis eine Stande keine Färbung des
Plasmas erhielt, dagegen um so schönere Resultate mit der von
Pfitzner?) angegebenen Lösung und einer Färbungsdauer von
24 Stunden. Es handelte sich dabei stets um dieselben
Schnitte.
ß) Plasmafarbstoffe.
Bleu de Lyon (ganz schwachblaue Lösung — Dauer ein- bis
zweimal 24 Stunden), Pikrinsäure, Orange G, Eosin (1°/o Stamm-
lösung — die Verdünnung wurde stets ausprobiert). Säure-
fuchsin 1:500 Aqua destillata, Säurefuchsin-Pikrinsäure (siese Binde-
gewebsfärbungen), Ehrlich-Biondi-Heidenhain, Triacid
(Mayer).’)
Das Biondi-Ehrlieh-R. Heidenhainsche Gemisch be-
zog ich von Grübler in fester Form und löste es genau nach
der Vorschrift auf. Die Resultate waren recht brauchbar. Das
Orange der Blutkörperchen und das Methylgrün der Kerne kamen
neben dem Fuchsin, das allerdings etwas stark hervortrat, dennoch
gut zur Geltung. Weniger gute Erfahrungen machte ich mit
dem Triacid-Mayer. Hier wurde die gewünschte Farben-
!) Lehrbuch der Histologie, 11. Auflage.
>) Böhm und Oppel, Taschenbuch. 4. Auflage. Seite 62.
3) Grundzüge der mikroskopischen Technik, 2. Auflage, Seite 212.
Die Paraganglien bei den Vögeln. au
differenzierung infolge einer Überfärbung seitens des Säurefuchsins
unmöglich.
B. Spezifische Bindegewebsfärbungen.
1. Hansen. — Anatom. Anzeiger, 15. Bd., Seite 151—153.
2. Schaffer. — Böhm u. Oppel, Taschenb., 4. Aufl., $ 323.
3. Freeborn. — Böhm und Oppel, Taschenbuch,
4. Auflage, S 323.
4. Mallory. — Stöhr, Lehrbuch der Histologie, 8. Auflage,
Seite 8 und 24.
Salnna,
a) Polychrom. Methylenblau - neutr. Orcein. Seite 693.
b) Orcein - polychr. Methylenblau-Glyzerinäther. S. 694.
ce) Polychrom. Methylenblau-Säurefuchsin-Tannin. S. 690.
d) Säurefuchsin-Pikrinsäure (Modifikation der v. Gieson-
schen Methode). Seite 692.
e) Säurefuchsin-Orange. Seite 694.
f) Wasserblau-Orcein. Seite 695.
a- f Eneyklopädie der mikroskopischen Technik.
&) Karbolfuchsin - Tannin - Wasserblau. (Methode für
basophiles Kollagen.) — (Joseph und Löwen-
bach. — Dermatohistologische Technik, 3. Aufl., S. 72.)
6. Holmgren.
a) Toluidinblau-Erythrosin. — Anat. Anz., 16. Bd., S. 389.
b) Thiazinrot R-Toluidinblau. „ el 7,
Von allen diesen Methoden eigneten sich für die Vögel
nur die von Hansen, Schaffer, Unna (d), Freeborn und
Mallory. Ich werde darauf bei Besprechung der Verteilung
des Bindegewebes im Paraganglion caroticum und Paraganglion
suprarenale noch genauer zurückkommen. Bei allen diesen
Methoden habe ich mich stets peinlichst an die von den Autoren
angegebenen Vorschriften gehalten und nur im Falle des Miss-
lingens einer Färbung diese verschiedentlich variiert.
C. Elastische Fasern.
1. Weigerts Resorzin-Fuchsin (von Grübler in Lösung
bezogen). Färbungsdauer 1—2— 24 Stunden.
2. Unnas .Orcein.
Orcein für elast. Fasern 0,3 gr.
Alkohol 70°/o 100,0
Acid. hydrochlor. pur. 3,0
»
”
Wilhelm Kose:
[eb |
a
(op)
Färbedauer 24 Stunden. Mit beiden Methoden erzielte
ich in Sublimat - Kochsalz und in Müller-Formol fixierten
Präparaten stets nur beste Resultate.
D. Methylenblaufärbungen.
1. Injektion von !/2”/o Methylenblau rectif. Ehrlich
in die Carotis communis. Blosslegen der Halsorgane und
1—24 Stunden im Körper liegen gelassen.
2. Pikrinsaures Ammonium !/s—2—24 Stunden.
Oder aber ich nahm die Halsgefässe samt den Epithel-
körpern und der Thyreoidea heraus, befeuchtete sie fortwährend
neu durch !/—1 Std. mit einer !/ıo°/o Methylenblaulösung, die
im Thermostat auf 35° C. erwärmt wurde, und stellte auch die
Präparate während der ganzen Dauer des Versuches in den
Wärmekasten. Im Anschlusse an die Nachbehandlung mit pikrin-
saurem Ammonium konnte man unter dem Mikroskope schöne
Nervenfärbungen wahrnehmen. Ihre Verteilung im Innern des
Paraganglion caroticum war aber auf diese Weise nicht zu ver-
folgen. Hier konnten nur Schnittpräparate Aufklärung bringen.
Ich machte nun oft den Versuch, die Objekte in Paraffın einzu-
betten, doch stets mit vollkommen negativem Erfolge.
Bis auf wenige Fäserchen hatten sich alle Nerven vollkommen
entfärbt. Ich befolgte dabei genauestens die von Bethe!) ange-
gebenen Vorschriften. Die Nachbehandlung der Präparate erfolgte
mit Ammoniummolybdat 1 gr:10 Aq. dest. : !/a°/o Osmiumsäure
10: Salzsäure 1 Tropfen. Zur Vorsicht wurden die Glasgefässe
ausserdem stets ganz in Eis vergraben.
Il. Verdauungsversuche.
Hierzu kamen in Verwendung:
a) Pankreatinglyzerin.
b) Pepsinglyzerin.
Beide Lösungen waren von Grübler frisch bezogen worden
und wurden genau nach Vorschrift mit 0,3°/o Soda- oder 0,3°/o
Salzsäurelösung verdünnt. Die Paraganglia suprarenalia, von
denen die Schnitte stammten, waren entweder in Alkohol absolutus
(99,8°/o), 0,03°/o reiner Chromsäurelösung, Sublimat-Kochsalz oder
in Müller-Formol fixiert gewesen. Die mit Eiweissglyzerin
oder Wasser aufgeklebten Schnitte wurden in Benzin zweimal
!) Anatomischer Anzeiger, XII, 1896, Seite 438.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 57T
24 Stunden im Thermostat bei einer Temperatur von 40° C. ent-
fettet und dann erst in die Verdauungsflüssigkeiten — Thermostat
37—40° C., — für ein- oder zweimal 24, seltener dreimal 24 Stunden
eingelegt. Die Nachfärbungen der Schnitte erfolgten entweder
mit dem Hämatoxylin-Eisenalaun nach Heidenhain oder nach
Höhl.!) Ausserdem kamen noch die meisten übrigen spezifischen
Bindegewebsfärbungen zur Anwendung.
4. Besprechung der einschlägigen Literatur.
Die Literatur über das chromaffine Gewebe der Vögel
scheidet sich naturgemäss in zwei Gruppen, je nachdem die be-
treffenden Autoren bloss seine Entwicklung oder aber seine
Histologie zum Gegenstande ihrer Untersuchungen gemacht
haben. Dem lebhaften Interesse an der Entwicklung der sog.
„Marksubstanz“ der Nebenniere ist es zu danken, dass wir über
diese Frage durch eine ganze Reihe von Arbeiten heute in zu-
verlässiger Weise orientiert sind. Nach den Angaben von
H. Rabl (20), Fusari (eit. nach Kohn [10]), Swale Vincent
(24), insbesondere aber durch die schöne Arbeit Soulie@s (22), kann
im Gegensatze zu der Ansicht von Janosik, Mihalcovics,
Valenti (ecit.nach Kohn [10]) und in neuester Zeit von R.Mi-
nervini (19), keinZweifel mehr an dem Ursprung der sog. „Mark-
substanz“ — des eigentlichen Paraganglion suprarenale
— aus embryonalen sympatlischen Ganglien - Anlagen bestehen.
Minervinis Ansicht steht in einem gar zu schroffen Gegen-
satze zu den überzeugenden Untersuchungen Soulies (22), als
dass ich sie hier nicht wörtlich anführen sollte: Minervini (19)
sagt auf Seite 644: „Je m’associe & cette derniere facon de
voir, etant convaincu que les cellules medullaires sont de la
meme nature epitheliale que celles de la corticale.* Weiter
auf Seite 645: „Si je pouvais formuler une hypothese fondee
exclusivement sur les caracteres morphologiques, je dirais que
les cellules medullaires me paraissent representer un etat moins
avance en evolution que les corticales, et leur plus grande
affinit&E pour les substances oxydantes ne me semble pas une
preuve suffisante de differeneiation plus grande.
D’autre part, comme on l’a vu, les cellules qui constituent
tout l’organe surrenal durant la vie embryonnaire ressemblent
:2) Böhm und Oppel, Taschenbuch, 4. Auflage, Seite 105.
578 Wilhelm Kose:
bien plus aux cellules de la substance medullaire quw’ä celles
de la corticale de l’adulte.“
Es muss nun in Zukunft, gerade so wie es durch Kohn
für die Säugetiere geschah, auch für die Vögel der Beweis
erbracht werden, dass nicht bloss das Paraganglion suprarenale,
sondern dass sämtliches chromaffines Gewebe, wo immer es sich
auch im Körper findet, aus embryonalen sympathischen Ganglien-
anlagen sich entwickelt. Durch diese entwicklungsgeschichtlichen
Untersuchungen würde auch bei den Vögeln die Gleichwertigkeit
aller Paraganglien ausser Zweifel gesetzt, eine gewebliche Identität,
welche man meiner Meinung nach schon bei der ausschliesslichen
histologischen Untersuchung mit Sicherheit erschliessen kann.
Ich zweifle auch keinen Moment an dem positiven Ausfalle dies-
bezüglicher entwicklungsgeschichtlicher Beobachtungen.
Die histologische Beschreibung des chromaffinen Gewebes
der Vögel dagegen erfreute sich bis in die Neuzeit nur geringer
jeachtung. Mit Ausnahme von Eberth (2), v. Brunn (1) und
H. Rabl (20), der in seiner vorwiegend entwicklungsgeschichtlich
gehaltenen Arbeit etwas näher auf die histologischen Verhältnisse
eingeht und in neuester Zeit Swale Vincent (24) und
R.Minervini (19), wüsste ich keinen anderen Forscher zu nennen,
der sich diesem Gegenstand zugewendet hätte. Wie ich schon
eingangs erwähnte, will ich diese Lücke in der Reihe der Unter-
suchungen durch eine eigene ausführlichere Arbeit auszufüllen
versuchen. Ich habe bereits in zwei vorläufigen Mitteilungen über
die wichtigsten dabei erzielten Ergebnisse berichtet (Kose [12, 13}).
Hat das chromaffine Gewebe des Paraganglion suprarenale
(Marksubstanz) nur eine so geringe Anzahl von Bearbeitern ge-
funden, so steht es um alle anderen von ihm getrennt vor-
kommenden Paraganglien noch viel schlechter Diese haben
überhaupt von keiner Seite eine Berücksichtigung erfahren. Nur
das Paraganglion caroticum (Carotisdrüse) wird zweimal
in der Literatur erwähnt. Schaper (21) suchte erfolglos nach
einer sog. „Carotisdrüse* und sagt: „Bei den Vögeln fehlt
sie (die Carotisdrüse) bereits, wenigstens trifitt man in der Um-
gebung der Carotisbifurkation kein homologes Organ, wie mir
meine vergeblichen Nachforschungen bei der Gans und bei alten
Hühnerembryonen erwiesen haben.“ Diese Beobachtung Schapers
ist völlig richtig, da tatsächlich an dieser Stelle das Paraganglion
Die Paraganglien bei den Vögeln. 9.19
caroticum bei keinem Vogel liegt. Dieses findet sich vielmehr
kaudalwärts gerückt, in der Nähe der Kiemenspaltenderivate.
Verdun (23) war in dieser Beziehung glücklicher. Es gelang
ihm der Nachweis einer „Carotisdrüse“ an der eben erwähnten
Stelle. Er behauptet: „Vers le neuvieme jour (chez l’embryon du
poulet) la tunique externe de la carotide s’&paissit vis-a-vis des
glandules branchiales et fournit un organ qui repond par sa
structure histologique a la glande carotidienne. Celle-ci peut
affeeter avec les divers derives branchiaux et le corps postbranchial,
des connexions assez intimes pour qu’on ne puisse l’en distinguer
qu’a l’aide d’un examen tres attentif.“ Verdun beschränkt
sich aber ausschliesslich auf diese blossen Angaben eines Vor-
kommens : der Carotisdrüse und gibt keine histologische Be-
schreibung. Er erwähnt bezüglich der Carotisdrüse nur ganz
kurz, dass sie den gewöhnlichen Aufbau besitze. So kommt es,
dass man im unklaren darüber bleibt, was für ein Organ Verdun
eigentlich vor sich gehabt hat. Es macht allerdings den Ein-
druck, dass Verdun wirklich die „Uarotisdrüse“ (Paraganglion
caroticum) entdeckt hat; darum waren hier Nachuntersuchungen
dringend geboten.
Dies war der Stand der Forschungen als ich zur Unter-
suchung des chromaffinen Gewebes der Vögel schritt. Die
Arbeiten der einzelnen Forscher werden im Texte näher be-
rücksichtigt werden.
5. Das Paraganglion suprarenale und die Nebenniere.
A. Histologie des Paraganglion suprarenale.
Unter der „Nebenniere“ versteht man für gewöhnlich das
aus der sogenannten „Rinde“ und dem sogenannten „Marke“
zusammengesetzte Gesamtorgan. Wie wir aber durch entwicklungs-
geschichtliche Untersuchungen für Reptilien (Braun) zit. nach
Kohn [10], Vögel Souli& [22] und Säugetiere (Kölliker,
Inaba, Mitsukuri, Fusari, Wiesel, zit. nach Kohn [10]
und Kohn selbst [9]) wissen, entsteht das „Mark“ bei diesen Tier-
gattungen völlig getrennt von der „Rinde“ innerhalb der Anlagen
des sympathischen Nervensystemes und verbindet sich erst später
mit der „Rinde“; diese geht ihrerseits aus dem Cölomepithel
hervor. Kohn (9) hat nun durch seine Untersuchungen in über-
zeugender Weise nachgewiesen, dass das sogenannte „Mark“
580 Wilhelm Kose:
d.h. alle mit der Rinde zu einem Gesamtorgane verbundenen
chromaffinen Zellen nur als ein sekundärer Organbestand-
teil der sogenannten „Nebenniere“ (Rinde + Mark) aufzu-
fassen sind. Er belegt daher auch ihre Gesamtheit mit dem
eigenen Namen — Paraganglion suprarenale — und wendet
den bisher für das Gesamtorgan üblichen Terminus „Nebenniere“
bloss für die „Rinde“ an.
Durch die Arbeiten Kohns von der Richtigkeit seiner An-
schauungen überzeugt, weiter infolge meiner eigenen histologischen
Untersuchungen an Vögeln, Säugetieren und dem Menschen,
schliesse ich mich seinem Standpunkte vollkommen an und werde da-
her auch die von ihm vorgeschlagene Nomenklatur in seinem
Sinne anwenden. Die Vereinigung der chromaffinen Zellen mit
der Nebenniere (Rinde) wird, wie bekannt, im Verlaufe der indi-
viduellen Entwicklung eine organische. Es ist daher von
diesem Standpunkte aus die frühere Benennung beider Gewebs-
systeme mit einem einzigen Namen verständlich. Wollte man
auch heute noch diesem Sprachgebrauch huldigen, dem a priori
eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, so
müsste man zur Vermeidung von Missverständnissen für das aus
dem Paraganglion suprarenale (Mark) und der Neben-
niere (Rinde) zusammengesetzte (sesamtorgan eine passendere
Bezeichnung als gerade „Nebenniere“ wählen. Dem allen
entgeht man am besten, wenn man die von Kohn vorgeschlagene
Nomenklatur annimmt.
Da ich zum Gegenstande meiner Arbeit ausschliesslich
das chromaffıne Gewebe gemacht habe, so werde ich nur wenn
es nötig ist, die Nebenniere (Rinde) mitbesprechen. Das ver-
gleichende Studium des Paraganglion suprarenale aller unter-
suchten Vögel ergab im wesentlichen dieselben Resultate. Zur
Beschreibung wähle ich hier das Paraganglion suprarenale
einer alten Henne und werde nur im Falle wirklicher Diffe-
renzen auf die anderen untersuchten Vögel hinweisen.
Das Paraganglion suprarenale setzt sich in der schon be-
kannten Weise aus unregelmässig geformten und an verschiedenen
Stellen verschieden mächtig entwickelten Zellsträngen und Zell-
gruppen zusammen, die ein reiches, vielfach miteinander zu-
sammenhängendes Balken- und Astwerk bilden, das nach allen
Riehtungen hin die Nebenniere durchdringt, (v. Brunn [1],
Die Paraganglien bei den Vögeln. ot
Seite 625; Eberth [2], Seite 509; H. Rabl [20], Seite 512;
Swale Vincent [24]; Minervini [19], Seite 487). Freie
Ausläufer der „Markstränge“, wie sie Eberth annimmt, scheinen,
wenn auch nicht sehr häufig, tatsächlich vorzukommen. Manche
Zellstränge bestehen nur aus ein oder zwei Lagen chromaffiner
Zellen und bilden dann gewissermassen schmale Verbindungs-
brücken zwischen den grossen Gruppen und Strängen. Die gegen-
seitige gewebliche Verknüpfung benachbarter Zellgruppen des
Paraganglion suprarenale wird öfters nur durch verschieden starke
bindegewebige Septa bewerkstelligt, welche während ihres Ver-
laufes durch die Zellanhäufungen der Nebenniere entweder
nur spärliche oder aber gar keine chromaffinen Zellen enthalten.
Im Gegensatze zu diesen innerhalb der bindegewebigen Septen
der Nebenniere befindlichen chromaffinen Zellen liegen manchmal
ganz isolierte chromaffine Zellen mitten unter jenen der
Nebenniere. Ebenso finden sich vereinzelte oder zu kleinen
Gruppen vereinte Zellen der Nebenniere mitten im Innern der
Zellstränge des Paraganglion suprarenale. An der Peripherie der
Nebenniere bildet das Paraganglion suprarenale eine nur wenig
Zellen enthaltende Schichte, wie dies H. Rabl (20) schon angibt,
und Swale Vincent (24) für das Bankivahuhn (Gallus
bankiva) hervorhebt. Letzterer Autor erwähnt, dass bei diesem
Vogel die periphere Randschichte des Paraganglion suprarenale
verschiedene Unterbrechungen besitzt. Diese Beobachtung habe
ich bei allen daraufhin untersuchten Vögeln auch gemacht. Durch
die verschieden weiten Lücken in dieser peripheren Randschichte
reichen nun die Zellstränge der Nebenniere bis an die binde-
gewebige Kapsel des Gesamtorganes (Nebenniere + Paragang-
lion) heran. Das chromaffıne Gewebe setzt sich an manchen
Stellen der Oberfläche des Paraganglion suprarenale in kon-
tinuierlichem Zuge aus dem Innern des letzteren nach aussen
fort und dringt in die daselbst gelegenen sympathischen Ganglien
und Nerven ein. Schon H. Rabl (20), Seite 518, beobachtete
eingestreute chromaffine Zellen zwischen den Ganglienzellen der
Kapsel. Swale Vincent (24) beschreibt folgendes: „The
medullary masses in the outer portion of the suprarenal body
are always more abundant in the neighbourhood of the nerve-
ganglia.“
Aber auch in das in der Umgebung des Paraganglion supra-
582 Wilhelm Kose:
renale befindliche lockere Bindegewebe lassen sich solche aus-
tretende Partien des Paraganglion suprarenale direkt verfolgen.
Dort zerfallen sie häufig in eine Anzahl von verschieden grossen
Gruppen, die durchaus nicht immer mit dem sympathischen
Nervensystem in Verbindung treten.
Das Verhalten des Bindegewebes ist sowohl für die
Histologie des Paraganglion suprarenale alsauch
der Nebenniere so charakteristisch, dass ich mich nun seiner
näheren Besprechung zuwende. Da muss ich nun vor allem auf
die Schwierigkeiten einer sicheren und deutlichen
Bindegewebsfärbung aufmerksam machen. Im ganzen
wurden die Paraganglia suprarenalia von acht Hühnern und
zwei Tauben mit den im Kapitel „Methoden“ erwähnten Farb-
stoffen behandelt. Anfänglich hielt ich mich, wie ich nochmals
betonen will, stets peinlichst genau an die von den betreffenden
Autoren selbst angegebenen Vorschriften, und nur im Falle eines
wiederholten Misslingens der einzelnen Färbungen variierte ich
sie in der verschiedensten Weise. Ich widmete volle fünf Monate
diesen zeitraubenden Untersuchungen. Es wurden dabei mehrere
hundert Präparate angefertigt. Ich erwähne dies alles nur aus
dem einzigen Grunde, um zu zeigen, dass ich erst nach aus-
sedehnten Versuchen zu einem abschliessenden Urteile kam.
Zwei Momente tragen gleichzeitig zum Gelingen einer
guten Bindegewebsfärbung bei: erstens die Art der Fixierung
der Präparate und zweitens die Wahl eines geeigneten Farb-
stoffes. In höchstem Maße war die Tatsache auffallend, dass
in den mit Sublimat-Kochsalz, absolutem Alkohol oder dem
Carnoyschen Gemische fixierten Präparaten mit allen Säure-
fuchsin enthaltenden Farblösungen entweder gar
keine oder doch nur eine äusserst mangelhafte
Färbung des fibrillären Bindegewebes erzielt werden
konnte. Fast regelmässig blieb das gesamte im Innern des
Paraganglion suprarenale und der Nebenniere enthaltene Binde-
sewebe vollständig farb!los, oder aber es färbte sich durch
die Pikrinsäure gelb. Nur selten erreichte ich im Innern dieser
zwei Organe eine stellenweise mattrote Färbung des Binde-
gewebes. Leider nahm in diesen Fällen das Plasma der chromaffinen
Zellen ebenfalls eine lebhaftere rote Farbe an, so dass dadurch
eine differenzierende Säurefuchsinfärbung des Bindegewebes nicht
os
Die Paraganglien bei den Vögeln. 98:
zustande kam. Das ausserhalb des Paraganglion suprarenale und
der Nebenniere gelegene Bindegewebe zeigte entweder ganz das-
selbe Verhalten, oder aber es färbte sich stellenweise in einem
mattroten oder rötlich-gelben Tone.
Im Gegensatze zu diesen Methoden ergaben mir, bei den-
selben Fixierungen, Färbungen mit dem Freebornschen
(Gemische recht gute Resultate. Besonders in einem mit Alkohol
absolutus fixierten Paraganglion suprarenale einer alten Henne
färbte sich das Bindegewebe schön blau. Das nach aussen von
dem Paraganglion suprarenale vorhandene Bindegewebe wurde
aber noch intensiver blau. Das Plasma der chromaffinen Zellen
besass nur einen blaugrünlichen schwachen Mischton. Die Faser-
bündel und stärkeren Fasern konnten infolge ihrer ausgesprochenen
Blaufärbung ohne weiteres vom Plasma der chromaffinen Zellen
differenziert werden. Die schwachen Fasern dagegen zeigten einen
ähnlichen Farbenton wie das Plasma selbst, so dass sie in ihrem
weiteren Verlaufe nicht mit Sicherheit zu verfolgen waren.
Schliesslich ergaben mir noch Versuche mit der Unnaschen
Methylenblau-Orceinmethode gute Resultate. Das ausserhalb
des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere befindliche
Bindegewebe wies eine schöne und lebhafte Orceinfärbung auf.
Auch im Innern der zwei Organe färbten sich die Faserbündel
und stärkeren Fasern, wenn auch merklich schwächer, so doch
noch intensiv genug. Die feinen Fäserchen dagegen besassen
dieselbe Farbe wie das Plasma der chromaffinen Zellen, so dass
sie bloss auf Grund dieser Farbe niemals als Binde-
gewebe hätten angesprochen werden dürfen. Dass es sich dabei
trotzdem um ein solches handelte, bewiesen die stellenweise in
den Verlauf der Fäserchen eingeschalteten und schön blau ge-
färbten Bindegewebskerne.
Alle anderen angegebenen Methoden lieferten keine so
scharfen und kontrastreichen Bilder, als dass ich sie für die
Untersuchungen über die Endausbreitung des Bindegewebes
im Innern des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere
hätte verwenden können.
Da ich in diesen Präparaten keine charakteristischen Säure-
_fuchsinfärbungen erzielen konnte, so versuchte ich nun alle die-
selben Färbungen der Reihe nach an den Paraganglia suprarenalia
von sechs verschiedenen Hühnern und zwei Tauben,
584 Wilhelm Kose:
die entweder in reiner Müllerscher Flüssigkeit oder in
der Mischung Müller 9:Formol 1 durch 5—7 Tage
fixiert worden waren. Aber auch hier fehlte dem fibrillären
Bindegewebe, besonders nach Vorbehandlung mit reiner Müller-
scher Flüssigkeit, die Affinität zu dem Säurefuchsin mehr oder
weniger. Je nachdem blieb also ersteres gerade so wie früher
entweder ganz farblos oder es färbte sich nur sehr
schwach. Ein Teil des Bindegewebes und ganz besonders das
endoneurale Bindegewebe der sympathischen Nerven und
und Ganglien wurde durch die Pikrinsäure gelb tingiert.
Im Gegensatze dazu färbte sich das Bindegewebe in einem mit
Müller-Formol fixierten Paraganglion suprarenale einer ein-
jährigen Henne und eines gleichaltrigen Hahnes,
wenigstens zum grossen Teile, bis in seine feinsten Aus-
läufer mit aller nur wünschenswerten Schärfe und Deutlichkeit.
In einem anderen Paraganglion einer erwachsenen Henne,
das ebenfalls in der gleichen Weise mit Müller-Formol vor-
behandelt worden war, versagten die verschiedenen Säure-
fuchsinmischungen wieder vollkommen. An dieser Stelle will
ich nur erwähnen, dass ich die einzelnen Färbungen stets von
Zeit zu Zeit unter dem Mikroskope kontrollierte. Es lassen sich
meiner Erfahrung nach keine bestimmten Zeitangaben zur Er-
zielung der besten Resultate angeben. Zum Beweise dafür, dass
auch die Dauer der Färbung einen gewissen Einfluss auf den
Ausfall der letzteren besitzt, mögen folgende kurze Angaben
dienen. Bei Verwendung des Hansenschen Gemisches waren
die ganzen Schnitte durch das in Müller-Formol fixierte
Paraganglion suprarenale einer Henne nach zehn Minuten noch
ganz gelb; nach 26 Minuten färbten sich bloss einzelne Faser-
bündel und Fasern rot: erst nach sechs Stunden war die Färbung
eine gute. Bei anderen Paraganglien erzielte ich: dieselben
günstigen Resultate schon nach einer Stunde. Ein längeres, bis
24 stündiges, Verweilen in der Farbe änderte daran nichts mehr.
Im Gegenteil war dies manchmal eher schädlich als nützlich. Es
wurden dabei öfters sämtliche oder doch die meisten chromaffinen
Zellen dunkel braun-violett. Das Bindegewebe färbte sich
nicht rot, sondern ebenfalls mehr violett oder blieb einige-
male vollständig farblos; stellenweise färbte die
Pikrinsäure dasselbe gelb. Diese intensive Braunfärbung der
Die Paraganglien bei den Vögeln. 585
chromaffinen Zellen trat nur bei Anwendung der Hansenschen
Methode, manchmal schon sogar nach kurzer Zeit auf.
Auch bei den anderen Methoden schwankt die Intensität der
Färbung der chromaffinen Zellen in gewissen Grenzen, insofern
sie das Säurefuchsin verschieden stark aufnehmen. Sie wurden
aber selbst durch das Unnasche starke Säurefuchsin-Orange-
gemisch niemals so intensiv braun oder rot, dass nicht das
leuchtende Rot des Bindegewebes sicher zu erkennen gewesen wäre.
Betreffs der Güte der einzelnen Säurefuchsinfärbungen be-
standen wohl geringe, aber keine wesentlichen Unterschiede
zwischen den verschiedenen Methoden. Jene von Hansen lieferte
wenigstens stellenweise die kontrastreichsten Bilder. Eine
ausgedehntere Färbung erbrachten die Methoden von
Schaffer und Unna (Säurefuchsin-Pikrinsäure). Die Verteilung
des Bindegewebes konnte hier insbesondere auch aus dem Grunde
auf weitere Strecken hin verfolgt werden, weil die lebhafte und
störende Braunfärbung der chromaffinen Zellen in Wegfall kam.
Mit keiner der als zweckdienlich angeführten Methoden
erhält man aber eine gleichmässige Färbung des gesamten
Bindegewebes. Streckenweise wurde letzteres tadellos dargestellt,
daneben fanden sich aber stets ganze Bündel und einzelne
Fasern, die gar nicht oder nur schwach gefärbt waren.
Diese liegen oft mitten in den lebhaft gefärbten Abschnitten
des Bindegewebes. Die schlecht gefärbten Faserbündel sehen
wie trüb, wie angehaucht aus. Ihre Zusammensetzung aus ein-
zelnen Fasern war nicht immer gut zu erkennen, häufig
schien sie vollkommen zu fehlen. Wenigstens bildeten
viele Faserbündel homogene, nicht scharf konturierte breitere
oder schmälere Bänder. Es bestand kein wesentlicher
Unterschied in der Färbung des im Innern des Paraganglion
suprarenale und der Nebenniere befindlichen und dem nach
aussen von ihnen gelegenen Bindegewebe, nur stellenweise machte
es allerdings den Eindruck, als ob ersteres schwerer färbbar
wäre. Eine eigene Stellung nimmt das endoneurale
Bindegewebe des sympathischen Nervensystemes
ein, indem es sich ganz besonders schwer durch das
Säurefuchsin färbt.
Aus all dem Gesagten ist ohne weiteres ersichtlich, dass
selbst die gelungensten Fuchsinfärbungen infolge ihrer nur teil-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 39
>86 Wilhelm Kose:
weisen Wirkung kein sicheres Urteil über die tatsächliche
Verbreitung des fibrillären Bindegewebes im Paraganglion
suprarenale und der Nebenniere der Vögel fällen lassen
Diesen grossen Übelstand kann man am besten auf die Art und
Weise vermeiden, dass man inMüller-Formol fixierte Präparate
mit dem Freebornschen Gemisch behandelt. Das gesamte
bindegewebige Stützgerüst wird dabei bis in seine feinsten
Verzweigungen in einer Deutlichkeit wie mit keiner anderen
Methode dargestellt. Jene Stellen, die das Säurefuchsin voll-
ständig oder teilweise zurückgewiesen hatten, färbten sich dabei
dunkel saphirblau. Bei diesen vergleichenden Versuchen handelte
es sich stets um Schnitte durch dasselbe Paraganelion
suprarenale. Sehr viele chromaffine Zellen nehmen bei der
Freebornschen Methode nur ein schwach gelbgrünes Aussehen
an. Dies ist ein weiterer günstiger Umstand, der es ermöglicht,
selbst den Verlauf der schwächsten Fäserchen gut verfolgen zu
können. Nirgends findet man solche ungefärbte Stellen wie
in den Säurefuchsinpräparaten. Der Grad der Blaufärbung
schwankt aber auch bei der Freebornschen Methode in ge-
wissen Grenzen. Die Intensität der Färbung ist für gewöhnlich
der Stärke der Faserbündel und einzelnen Fasern direkt pro-
portional, doch können auch grössere Faserbündel weniger lebhaft
als die schwächeren gefärbt sein. Die dünnsten Fäserchen färbten
sich häufig relativ am wenigsten, andere wieder, ebenso schwache,
wurden im Gegensatze dazu lebhaft blau. Dort, wo die Fäserchen
so dünn sind, dass sie eben an der Grenze der Wahr-
nehmbarkeit stehen, entziehen sie sich, besonders bei einer
schwachen Färbung, leicht einer sicheren Beobachtung. Mit Ab-
nahme der Intensität ändert sich auch stellenweise die Nüance der
blauen Farbe. Das schöne Saphirblau geht dabei in ein schmutziges
Blaugrau über. Die intensive Färbung der starken Faserbündel
ist für gewöhnlich der Grund, warum man ihre Zusammen-
setzung aus einzelnen Fasern nur schwer oder gar nicht erkennen
kann. Im Gegensatze dazu gibt es nun eine Anzahl ebenso
starker Faserbündel, die, trotzdem sie merklich schwächer gefärbt
sind, in ihrem Innern ebenfalls keine einzelnen Fasern zu ent-
halten scheinen. Diese Faserbündel besitzen ein ähnliches Aus-
sehen wie jene, die sich mit dem Säurefuchsin nur schlecht
gefärbt hatten. Trotzdem ihnen eine Innenstruktur fehlt, müssen
L
Die Paraganglien bei den Vögeln. 987
sie aber dennoch aus einzelnen Fasern zusammengesetzt sein,
weil sie sich später teilen und in einzelne gut ge-
färbte Fasern auflösen.
Verwendet man zur Fixierung der Präparate reine Müllersche
Flüssigkeit, dann färbt sich erstens das Bindegewebe viel weniger
schön blau, es wird mehr blaugrau und dann bleibt auch ein
grösserer Teil der feinsten Fäserchen ungefärbt. Keine der noch
von mir erprobten Methoden kann sich mit jener von Freeborn
messen. Sehr gute Resultate erzielte ich auch mit dem von Unna
angegebenen Gemisch zur Färbung basophilen Kollagens.
Hier waren die Resultate vollkommen gleich, ob nun die Präparate
in reiner Müllerscher Flüssigkeit oder aber inMüller-Formol
fixiert wurden. Das intensiv türkisblaue Bindegewebe hob sich
sehr schön von den rein gelb gebliebenen chromaffinen Zellen
ab. Keine einzige Faser tärbte sich rot; es handelte sich
also stets um ein normales Kollagen im Sinne Unnas.
Nur die feinen und allerfeinsten Fäserchen waren öfters schwach
blau oder gar nicht gefärbt. Die übrigen Methoden, selbst jene
von Mallory-Stöhr, ergaben mir darum keine gut brauchbaren
Resultate, weil die feinen Ausläufer des Bindegewebes sich zu
wenig ausgesprochen färbten, um mit Sicherheit von dem ebenfalls
lebhaft tingierten Plasma der chromaffinen Zellen differenziert
werden zu können.
Wie wir aus dem vorhergehenden ersehen, sind also tat-
sächlich die Art der Fixierung und Färbung von Einfluss auf
den Ausfall der letzteren. Denn bei derselben Fixation geben
die verschiedenen Farbstoffe verschieden gute Resultate, und um-
gekehrt erzielt man mit derselben Methode bei den einzelnen
Fixierungen sehr differente Färbungen. Rätselhaft bleibt nur
die fehlende oder geringe Affinität des fibrillären Bindegewebes
zu dem Säurefuchsin. die unter allen Umständen sich
mehr oder minder kundgibt. Die Art der Vorbehand-
lung des Präparates kann diese Eigentümlichkeit verstärken
oder abschwächen. Die einzige Ursache dafür dürfte in
einer veränderten chemischen Zusammensetzung des Binde-
gewebes gesucht werden. Um basophiles Kollagen z. B. kann
es sich nach dem regelmässig negativen Ausfall der Unnaschen
Färbungen nicht handeln. Würden sich nur wenige Fasern oder
Faserbündel schlecht oder gar nicht färben, dann müsste man
39*+
585 Wilhelm Kose:
daran denken, dass es sich vielleicht um degenerierendes oder erst
neugebildetes und noch nicht vollentwickeltes Bindegewebe handeln
könnte. Diese Möglichkeit kommt aber in Anbetracht des Um-
standes, dass oft sehr grosse Abschnitte, ja das ganze im Schnitte
enthaltene Bindegewebe sich schlecht oder gar nicht mit dem
Säurefuchsin färbt, in Wegfall. Eine strukturelle Ver-
änderung des Bindegewebes kann man auch nicht gut annehmen,
weil dieses schlecht gefärbte Bindegewebe nach der Methode von
Freeborn in wunderbarer Deutlichkeit bis in seine feinsten
Ausläufer dargestellt wird. Diejenigen Abschnitte des Binde-
sewebes, die durch das Säurefuchsin ungefärbt geblieben waren,
zeigten dann eine normale Struktur und Verteilung. So bleibt
vorläufig nur die Annahme übrig, dass dasBindegewebeder
Vögel eine eigene chemische Zusammensetzung
besitzt, die sich durch eine fehlende oder mangel-
hafte Affinität zu dem Säurefuchsin kundgibt.
Nachdem ich die Schwierigkeiten hervorgehoben habe, die
sich einer verlässlichen Bindegewebsfärbung in den Weg stellen,
gehe ich zur Beschreibung der Verteilung des fibrillären Binde-
sgewebes im Innern des Paraganglion suprarenale
und der Nebenniere über. Das aus diesen beiden Organen
zusammengesetzte Gesamtorgan, die sog. „Nebenniere“,
wird an seiner Oberfläche von einer gemeinsamen bindegewebigen
Kapsel umgeben. Diese bildet entweder ein aus dichtgedrängten
Fasern und Faserbündeln zusammengesetztes, mehr einheitliches
Häutchen, oder zeigt stellenweise eine Auflockernung ihres
(refüges und eine Durchsetzung mit chromaffinen und stellenweise
mit Ganglienzellen. Ein Teil der von der Kapsel nach innen zu
abzweigenden Septen gelangt in die Nebenniere (Rinde), der
andere zu den Zellsträngen des Paraganglion suprarenale. An
vielen Stellen verwebt sich aber das Bindegewebe beider Organe
durch einen wechselseitigen Austausch von Fasern. Die stärksten
Septen ziehen regelmässig ins Paraganglion suprarenale; die
im Innern der Nebenniere sind absolut schwächer. Die einzelnen
/ellstränge und Zellgruppen des Paraganglion suprarenale
werden überall stets von Bindegewebe an ihrer Oberfläche umkleidet.
Stärkere oder schwächere Faserzüge dringen aber an vielen Stellen
auch in ihr Inneres. Dort zerfallen die stärkeren Faserbündel
entweder sofort in eine Anzahl dünnerer Bündelchen. welche sich
Die Paraganglien bei den Vögeln. 589
dann ihrerseits mehr gleichmässig weiterverteilen, oder aber es
durchsetzt ein starkes Faserbündel als ein achsialer Strang auf
kürzere oder weitere Strecken die chromaffinen Zellgruppen,
bevor es eine Zerfällung erfährt. Zahlreiche einzelne binde-
gewebige Fasern, die von dem äusseren Überzuge der Zellstränge
abbiegen, verstärken das im Innern der letzteren gelegene
Stützgerüste. Das gesammte Bindegewebe des Paraganglion
suprarenale ist durchausnicht gleichmässig verteilt.
Die einzelnen Stränge und Ballen chromaffiner Zellen besitzen
bei demselben Vogel einen sehr verschiedenen Gehalt davon.
Aber auch zwischen den Paraganglia suprarenalia verschiedener
Vögel derselben Art machen sich ebenfalls diesbezüglich
individuelle Schwankungen bemerkbar, insofern als manche Para-
ganglien entschieden mehr Bindegewebe als die anderen enthalten.
Ob hier das Alter eine Rolle spielt, wie R. Minervini (19) auf
Seite 437 hervorhebt, kann ich nach meinen Beobachtungen nicht
mit Sicherheit entscheiden. Das meiste Bindegewebe fand ich
stets bei den Hühnern vor. Eine ähnliche Angabe macht
R. Minervini (19) Seite 487: „Le tissu conjonetif, formant
un reseau de cloisons entre les cordons et se continuant avec
l’enveloppe exterieure, parait plus abondant dans certaines especes,
comme le poulet et la dinde, que dans les autres.“ Im Innern
des Paraganglion suprarenale entsteht durch eine weitgehende
Teilung und Verflechtung der Faserbündel und einzelnen Fasern
ein so dichtes Netz, dass von den chromaffinen Zellen
die allermeisten, jede für sich, von Bindegewebs-
fasern in Gestalt von einfachen Maschen oder
Körben umsponnen werden. Da aber die Dicke der
einzelnen Faserbündel und Fasern bedeutend schwankt, so sind
die verschiedenen Abschnitte dieses bindegewebigen Netzwerkes
von einer sehr ungleichen Stärke. So kommt es, dass die
einzelnen chromaffinen Zellen entweder nur von starken, oder
aber von starken und schwachen Faserzügen und einzelnen Fasern
gleichzeitig umhüllt werden. Die perizellulären Netze
sehr vieler chromaffiner Zellen werden ausschliesslich nur
von den allerfeinsten Fäserchen zusammengesetzt. Fig. 2, Taf. XXI,
stellt einen Abschnitt durch das Paraganglion suprarenale einer
einjährigen Henne dar. Letzteres wurde in der Mischung
Müller 9: Formol 1 fixiert und nach Hansen gefärbt. Man
590 Wilhelm Kose:
sieht hier nicht bloss die verschiedene Stärke der einzelnen
Fasern sehr deutlich, sondern auch wie schön das Säurefuchsin
an denjenigen Stellen färbt, an denen es seine volle Wirkung
ungehindert entfalten kann. Ein Teil der chromaffinen Zellen
nahm bei dieser Behandlung eine braune Farbe an, der andere
wurde durch die Pikrinsäure noch lebhafter gelb gefärbt. Manche
Zellen dagegen, wie die in der Mitte der Zeichnung gelegene,
blieben ganz schwach gelb. Die braunen und gelben Zellen ver-
mischen sich ganz regellos miteinander oder bilden jedes-
mal für sich ganze Zellstränge und Gruppen. Fast alle
chromaffinen Zellen sind in der Figur maschenartig von den
bindegewebigen Fäserchen umsponnen, die wie in der Mitte und
am rechten Rande der Zeichnung die Zellen auch verschiedentlich
überqueren. In manchen Zellen fehlt der Kern; er lag
dann stets im vorhergehenden oder nachfolgenden Schnitte der
Serie. Die kleinen braunen oder gelben Felder an der rechten
Seite der Figur sind Zellanschnitte. Jene Zellen, die in der
Figur ohne ein trennendes Zwischengewebe unmittelbar anein-
anderstossen, wurden im folgenden Schnitte ebenfalls durch binde-
gewebige Fasern voneinander getrennt. Manche Zellen, wie z. B.
die links befindlichen zwei braunen Zellen, sind nur zum
Teile auf diese Art voneinander geschieden. Die stärkeren,
zwischen den chromaffinen Zellen verlaufenden, scheinbar einheit-
lichen Fasern sind sehr oft nur Faserbündel, wie ihre spätere
Zerklüftung beweist. Die dünnsten Fäserchen stehen eben an
der Grenze der Wahrnehmbarkeit; es ist ungemein schwer, be-
sonders wenn sie nicht lebhaft gefärbt sind, ihren weiteren Ver-
lauf, besonders zwischen den braunroten Zellen, zu verfolgen.
Die Faserbündel und einzelnen Fasern sind aber nicht bloss im
Längs-, sondern auch im Querschnitte getroffen (qu). Diese er-
scheinen in Gestalt runder oder ovaler leuchtend roter Felder
oder nur kleiner Punkte. In dieser Figur sind nur relativ
wenige zu sehen. Vergleiche hier die Fig. 1, Taf. XXI, in der
viele Faserbündel (Mitte der Zeichnung) und einzelne Fasern
quer getroffen sind. Häufig sind die einzelnen chromaffinen Zellen
nur von einer Anzahl allerfeinster rot oder blau gefärbter
Pünktchen (Faserquerschnitte) an ihrer Peripherie umgeben.
Manche Zellen enthalten zwischen sich oft nur einen einzigen
solehen Faserquerschnitt und grenzen in ihrer übrigen Aus-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 91
dehnung unmittelbar, epithelartig aneinander. In Erwägung der
ausserordentlichen Feinheit vieler Fäserchen und des Um-
standes, dass sich viele von den letzteren nur ungenügend oder
gar nicht färben, wird man zugeben müssen, dass ein grösserer
Teil des bindegewebigen Netzes, insbesondere zwischen den
braunen chromaffinen Zellen, der Beobachtung entgehen muss.
Manche der längsgetroffenen Fäserchen zeigen knopfartige
Verdiekungen. Zum Teile sind dies Knickungen und Verbiegungen
dieser Fasern, zum Teile aber Querschnitte von in einer anderen
Richtung verlaufenden Fäserchen. Ein Vergleich der Fig. 1 und 2,
Taf. XX1, ergibt ohne weiteres die völlige Gleichheit der Bilder,
nur waren die Bindegewebsfasern in Fig. 1 nach der Freeborn-
schen Methode blau gefärbt gewesen. Vergleiche mit diesen
Figuren noch Fig. 3, Taf. XXI. Der Schnitt stammte aus einem
in Müller-Formol fixierten Paraganglion suprarenale einer
alten Henne und wurde nach der Methode von Mallory-
Stöhr gefärbt. Die blaue Farbe des Bindegewebes ist da nicht
so intensiv wie in der Fig. 1. Ferner vergleiche noch sämtliche
Figuren auf Taf. XXIL Fig. 6,7, 8, 9 stammen von einer
einjährigen Henne, die übrigen von einem einjährigen Hahne.
Alle Präparate wurden nach der Freebornschen Methode ge-
färbt. In Fig. 13, 14, 18, 20, 21 sind die chromaffinen Zellen der
Einfachheit halber nur in einem gleichmässig grauen oder gelben
Tone gehalten.
Diese Zeichnungen wurden mit zu dem Zwecke angefertigt,
um die ungemein grosse Mannigfaltigkeit in der Verteilung des
Bindegewebes wenigstens zu einem ganz kleinen Teile im Bilde
vorzuführen. Manchmal (Fig. 8 und 10, Taf. XXII) besitzen die
chromaffinen Zellen in ihrer Peripherie seichtere oder tiefere
Ausbuchtungen, in welche die in den Interzellularräumen
befindlichen bindegewebigen Fasern direkt hineinziehen, um da-
selbst sich zu korbartigen Geflechten zu vereinen (Fig. 10) oder
bloss schlingenartig umzubiegen. Diese faserhaltigen Aus-
buchtungen dehnen sich manchmal bis in die Nähe der Kerne aus.
Auf diese Weise liegen also die allermeisten chromaffinen
Zellen in separaten bindegewebigen Maschen und Körben.
Aber selbst in den gelungensten Freebornschen Präparaten
bleibt eine geringe Anzahl von Zellen übrig, bei welchen man
diese Anordnung nicht erkennen kann. Sie werden vielmehr
592 Wilhelm Kose:
durch das Bindegewebe zu kleinen Gruppen zusammen-
gefasst. Ich glaube aber nach allem, dass an diesen Stellen sich
öfters die feinsten Fäserchen nicht genügend stark färbten
oder zu dünn waren, um zwischen den dichtgedrängten Zellen
wahrgenommen werden zu können. Es ist mir aber sehr wahr-
scheinlich, dass es trotzdem eine gewisse Anzahl von Zell-
gruppen gibt, in denen die einzelnen Zellen ohne jedes
trennende Zwischengewebe epithelartig anein-
ander grenzen.
Innerhalb der Lücken des bindegewebigen Geflechtes stossen
die einzelnen chromaffinen Zellen unmittelbar aneinander. Darum
kommt es häufig vor und ist auch in Fig. 1 und 2, Tafel XXI.
zu sehen, dass manche Zellen nicht durch Bindegewebe von-
einander getrennt sind; im nächsten Schnitte aber waren sie
von diesem maschenartig umgeben.
Viele chromaffine Zellen verschmelzen jedoch inner-
halb der Lücken der perizellulären Fasernetze zum Teile mit-
einander. Auf diese Art kommen, — wenigstens im fixierten
Präparate, — kleinere oder grössere kernhaltige Syneytien
zustande. Die Zerfällung in einzelne Zellen ist bei den letzteren
oft in verschiedenem Grade ausgesprochen. Es ist unmöglich,
so ohne weiteres zu entscheiden, ob diese Synceytien durch eine
unvollständige Trennung einer ursprünglich einheitlichen
Protoplasmamasse, oder aber durch eine nachträgliche Ver-
schmelzung schon selbständig gewesener Zellen entstanden
sind. Möglicherweise spielen hier beide Momente eine
Rolle. Wenn ich daher von einer syncytialen Ver-
schmelzung der chromaffinen Zellen spreche, so
ist diesnur im bildlichen Sinne gemeint, um damit
den protoplasmatischen Zusammenhang unter ihnen
zu charakterisieren.
Die bindegewebigen Faserbündel oder einzelnen Fasern um-
spinnen an jenen Stellen, an welchen das Syneytium eine un-
vollständige Zerfällung in einzelne Zellen zeigt, letztere in der
früher geschilderten Weise. Stellenweise aber dringen
die Fasern in das Innere des noch ungeteilten
Protoplasmas. Sie durchziehen das letztere auf kürzere
oder weitere Strecken, um ‚schliesslich wieder aus ihm heraus-
zukommen und sich mit den perizellulären Netzen zu vereinen.
or
6)
Die Paraganglien bei den Vögeln.
Fig. 6, 7 und 9, Taf. XXII, geben drei Beispiele für dieses
Verhalten. In den beiden ersten Zeichnungen handelt es
sich scheinbar um einzelne von bindegewebigen Fasern
vollständig oder doch zum grössten Teile umgebene selbständige
chromaffine Zellen. Beide wurden von je einem intensiv blau-
schwarz gefärbten, quergetroffenen Faserbündel durchzogen.
In Fig. 6 verlief dieses in einer schrägen von rechts oben nach
links unten abfallenden Richtung an der Unterseite des Kernes
weiter. An der mit einer Klammer und einem Stern bezeichneten
Stelle hing aber diese Zelle, oder richtiger gesagt, diese kern-
haltige Protoplasmapartie, in breiter Ausdehnung ohne
jede Unterbrechung mit einer etwas höher gelegenen Nach-
barzelle zusammen. In Fig. 7 zweigte von dem interstitiellen
bindegewebigen Stützgerüste an der mit (qu) bezeichneten Stelle
ein schwächeres Faserbündel in einer zur Bildebene senkrechten
Richtung nach unten ab. Anfänglich verlief es an der unteren
Fläche der Zelle und durchsetzte dann diese in einer nach links
und oben schräg aufsteigenden Richtung. In der unmittelbaren
Nähe des Kernes gelangte das Bündel wieder an die Oberfläche,
um dann weiter nach links und oben ziehend, sich an der mit **
bezeichneten Stelle mit dem interzellulären bindegewebigen Gerüste
abermals zu vereinigen. Die Zelle war an drei Seiten von binde-
gewebigen Fasern umsponnen, mit der vierten (Klammer *)
stiess sie aber unmittelbar an eine benachbarte Zelle, mit welcher
sie auch teilweise syncytial verschmolz. Ausserdem bestand
noch in der oberen Hälfte der Zelle (Fig. 7) ein breiter und
ununterbrochener plasmatischer Zusammenhang mit
einer dritten, etwas höher gelegenen chromaffinen Zelle. In
Fig. 9, Taf. XXII, liegt rechts neben einer einkernigen Zelle (a)
eine zweikernige, die allseitig von dünnen und etwas schwächer
gefärbten bindegewebigen Fasern eingehüllt wird. In der linken
Hälfte dieser Zelle verläuft ein deutliches Bindegewebsbündel.
Dieses legt sich dem einen Kerne unmittelbar an, biegt an
seinem oberen Ende in die Tiefe, um im welligen Verlaufe später
wieder an die Oberfläche der Zelle zu gelangen. Die beiden in
der Fig. 9 getrennt wiedergegebenen Abschnitte dieses Bündels
hingen in der Tiefe ohne Unterbrechung zusammen. Der Deut-
lichkeit halber wurden in den Figuren breite Bindegewebsbündel
ausgewählt. Es zeigen aber auch die verschiedensten
594 Wilhelm Kose:
einzelnen Fasern dieselbe eigentümliche Lagerung.
Je nachdem man sich nun die Entstehung der Syneytien vor-
stellt, muss man entweder ein selbständiges Einwachsen
der bindegewebigen Fasern in das Protoplasma annehmen, oder
aber daran denken, dass erstere durch die gegenseitige Ver-
schmelzung benachbarter Zellen erst sekundär von deren
Plasma allseitig umschlossen werden. In Fig. 6 und 7 könnte
es sich wohl um letzteren Modus handeln, in Fig. 9 wird man
aber mehr dazu neigen, die erste Auffassung gelten zu lassen.
An dieser Stelle muss nun ganz besonders hervorgehoben werden,
dass nur dort, wo die einzelnen Zellen miteinander in einem
deutlichen, schmäleren oder breiteren plasmatischen Zusammen-
hange standen, die bindegewebigen Fasern und Faserbündel an
verschiedenen Stellen im Innern der einheitlichen
Protoplasmapartien vorgefunden wurden. Überalldort,
wo die Zellen vollkommen von allen Nachbarzellen isoliert
waren, breitete sich das bindegewebige Netz nur an ihrer
Oberfläche aus. An jenen Stellen, an welchen es dennoch
den Anschein hatte, als ob einzelne Fasern auch in das Innere
dieser wirklich selbständigen Zellen eingedrungen seien, handelte
es sich nur um eine Überlagerung seitens des Binde-
gewebes.
Die bisher besprochenen, die chromaffinen Zellen einhüllenden
Netze, wurden ausschliesslich durch Fasern des allge-
meinen bindegewebigen Stützgerüstes zusammen-
gesetzt. Viele chromaffine Zellen werden im Gegensatze dazu
von bindegewebigen Flechtwerken umgeben, die auf eine andere
Art zustande kommen. Man kann nämlich an solchen Präparaten,
die nach der Methode von Freeborn gefärbt wurden, mit aller
Deutlichkeit sehen, dass die im Innern des Paraganglion
suprarenale verlaufenden sympathischen Nerven sich stellen-
weise teilen und in einzelne Faserbündel auflösen. Die Fort-
setzungen des endoneuralen Bindegewebes umgeben dabei
in ganz genau derselben Art und Weise, wie ich dies
bei Beschreibung des Paraganglion caroticum der Krähe
noch eingehend schildern werde, jede einzelne chromaffine
Zelle korb- oder maschenartig. An diesen Stellen besteht also
das interzelluläre Flechtwerk der Hauptsache nach aus den
Endverzweigungen des endoneuralen PBindegewebes; zum
Die Paraganglien bei den Vögeln. 395
Teile wird ersteres aber noch durch Fortsetzungen des übrigen
bindegewebigen Stützgerüstes verstärkt.
Die Verteilung des endoneuralen Bindegewebes
gibt auch hier, gerade so wie im Paraganglion caroticum, eine
Handhabe zur Beurteilung der Endausbreitung der mark-
losen Nervenfasern. Diese letzteren müssen in derselben
Weise wie das endoneurale Bindegewebe jede einzelne
chromaffine Zelle umflechten. Ich verweise hier auf die dies-
bezüglichen genauen Ausführungen im Kapitel „Paraganglion
cearoticum‘“.
Die wichtigsten Ergebnisse über die Verbreitung des
fibrillären Bindegewebes und die Anordnung der chromaffiınen
Zellen sind in kurzer Zusammenfassung folgende:
1. Das Bindegewebe bildet im Innern des Paraganglion
suprarenale ein sehr dichtes Gitter- und Maschenwerk.
Die allermeisten chromaffinen Zellen werden jede
für sich von bindegewebigen Fasern umsponnen. Eine
geringe Anzahl von ihnen aber scheint durch das Binde-
gewebe zu kleinen Gruppen zusammengefasst zu werden.
Infolge der schweren Färbbarkeit des Bindegewebes und
in Anbetracht der kolossalen Feinheit sehr vieler Fäserchen,
kann es sich aber öfters auch darum handeln, dass letztere
einfach nicht wahrgenommen werden. Eine sichere Ent-
scheidung kann man daher, heute wenigstens, in diesem
Punkte nicht fällen.
[6]
. Die Lücken in den bindegewebigen perizellulären Ge-
flechten sind sehr verschieden gross. Viele chromaffine
Zellen werden von einer grossen Anzahl von Fasern aufs
dichteste umsponnen, andere sind von den letzteren nur
maschenartig eingehüllt.
3. Die chromaffinen Zellen grenzen innerhalb der Lücken
der perizellulären Netze entweder epithelartig an-
einander, oder aber sie sind stellenweise syneytial
verschmolzen.
4. Die bindegewebigen Fasern dringen auch stellenweise in
das Innere der syncytial vereinigten Zellen ein,
um schliesslich wieder aus dem Zellplasma herauszuziehen
und sich mit den perizellulären Geflechten zu verbinden.
596 Wilhelm Kose:
Eine gewebliche Verbindung dieser intrazellulären
Fasern mit dem Zellkerne konnte ich niemals nachweisen.
5. Die Netzwerke um die einzelnen chromaffinen Zellen
werden zum grössten Teile ausschliesslich von dem
bindegewebigen Stützgerüste zusammengesetzt. Stellen-
weise dagegen verdanken die ersteren ihre Entstehung
der Endausbreitung des endoneuralen
Bindegewebes der sympathischen Nerven.
Vergleiche ich nun mit meinen Ergebnissen die in der
Literatur vorliegenden Angaben, so ist H. Rabl (20), Seite 517,
der Ansicht, dass alle chromaffınen Zellen in separaten binde-
gewebigen Maschen liegen, während dagegen v. Brunn (Il),
Seite 625, behauptet, dass die meisten Markzellen (chromaffine
Zellen) gruppenweise angeordnet sind. Ich kann keinem
dieser zwei Autoren vollkommen beistimmen, indem mir nur
der sichere Nachweis gelang, dass die allermeisten
chromaffinen Zellen, jede für sich, von bindegewebigen
Fäserchen eingehüllt werden, während eine geringe Menge von
ihnen zu kleinen Gruppen vereint ist. Möglich ist es ja, dass
man mit besseren und noch sichereren Methoden, als es heute
die Freebornsche ist, das Eindringen von bindegewebigen
Fäserchen auch in diese kleinsten Gruppen beobachten wird.
Über eine syneytiale Verschmelzung oder aber über das
Eindringen von bindegewebigen Fäserchen indas Innere dieser
Syneytien finde ich in der Literatur keine Angaben.
Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich noch erwähnen,
dass ich zur Darstellung des fibrillären Bindegewebes im Innern
des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere auch die künst-
liche Verdauung der Schnitte mit Pankreatin- und Pepsin-
elyzerin anwendete. Im letzteren Falle wurden die Präparate
in einer 0.03°o Chromsäurelösungim Tageslichte durch
mehrere Tage fixiert und dann im fliessenden Wasser ausgewaschen.
Alle weiteren Prozeduren, bis zum Einlegen in das Paraffin, er-
folgten dann ebenfalls bei Tageslicht. Die kollagenen Fasern
werden, wie bekannt, auf diese Weise im Gegensatze zu den
elastischen für gewöhnlich in Pepsin unverdaulich.
Ich halte nun alle diese Untersuchungen aus mehreren
Gründen für meine Zwecke für gänzlich ungeeignet. Infolge
seines eigentümlichen färberischen Verhaltens muss man dem
Die Paraganglien bei den Vögeln. 397
Bindegewebe der Vögel eine eigene, spezifisch
veränderte chemische Beschaffenheit zuschreiben.
Es ist daher schon von vornherein fraglich, ob ein Teil des
Bindegewebes der künstlichen Verdauung widerstehen wird.
Diese Vermutung wird durch die dabei erzielten Resultate zum
grossen Teile bestätigt. Es gelingt nämlich nur ausnahmsweise,
feinste Netzwerke im Innern des Paraganglion suprarenale und
der Nebenniere darzustellen, die allem Anscheine nach dem
bindegewebigen Fasergerüste entsprechen. Sonst sind die Lücken
im letzteren durchwegs viel grösser, als in den nicht verdauten
Kontrollpräparaten. Es gelingt in einzelnen Schnitten ganz gut,
mit Hilfe der künstlichen Verdauung die Verteilung des gröberen
Bindegewebes und auch vieler einzelner Fasern nachzuweisen,
doch schauen manche der letzteren wie angedaut aus. Aber
selbst an jenen Stellen, an denen ein feines Maschen- und Gitter-
werk innerhalb der Zellstränge des Paraganglion suprarenale dar-
gestellt wird, welchen Anhaltspunkt besitzt man denn für die
Annahme, dass die einzelnen Lücken mehrere oder
bloss eine einzige chromaffine Zelle enthalten?
Die Grösse der einzelnen Lücken kann hier gar nicht entschei-
dend sein, da erstens die Grösse der einzelnen chromaffinen
Zellen bedeutend schwankt und zweitens letztere oft nur an-
geschnitten sind. Es kann z. B. ganz gut vorkommen, dass
öfters zwei kleinere Zellen zusammen die Ausdehnung einer
einzigen grösseren besitzen. Zwei gleichgrosse Lücken im Binde-
sewebe können daher entweder nur eine oder aber auch zwei
chromaffine Zellen enthalten. Dann wieder findet man (in Müller-
Formolpräparaten) oft ein kleines angeschnittenes Stück einer
chromaffinen Zelle neben einer anderen kleineren in einer ein-
zigen bindegewebigen Lücke, die nicht einmal so gross ist, dass
eine einzige grosse chromaffine Zelle in ihr Platz hätte. Die
Zellkerne, die eine Orientierung noch am ehesten ermöglichen
könnten, sind bei der richtigen Ausführung des Versuches mit
verdaut. Ist dies noch nicht vollständig der Fall, dann sind
auch noch stets Plasmareste vorhanden, und diese Resultate darum
nicht beweisend, weil öfters um die einzelnen Zellen eine feine
Randschichte stehen geblieben ist, die ebensogut eine ekto-
plasmatische Bildung als vielleicht Bindegewebe sein kann. Da wir
ferner gesehen haben, dass bindegewebige Fasern auch in das
595 Wilhelm Kose:
Innere der syneytial verschmolzenen Zellen eindringen, so fehlt
in den künstlich verdauten Schnitten die Handhabe zur Beur-
teilung, ob die Fasern den Zellen bloss aufliegen oder aber in
sie einbiegen.
Ich wiederhole daher nochmals, dass die Verdauungsmethoden
nach all dem Gesagten keine sichere Entscheidung über die Ver-
teilung des Bindegewebes zulassen, insbesondere darum, weil ein
grösserer oder kleinerer Teil des Bindegewebes bei ihrer An-
wendung mit verdaut wird.
Der Kapsel des Gesamtorganes (Paraganglion suprarenale
+ Nebenniere), aber auch jenem im Innern des Paraganglion
suprarenale und der Nebenniere befindlichen Bindegewebe sind
in sehr verschiedener Menge elastische Fasern beigegeben. Bei
einer einjährigen Henne enthielt die Kapsel die meisten
elastischen Fasern. Innerhalb der von der Kapsel zum Paraganglion
suprarenale verlaufenden Septen sind die elastischen Fasern teils
an die Gefässe gebunden, teils aber von diesen ganz unabhängig.
Im Innern des Paraganglion suprarenale zeigen die elastischen
Fasern ein ähnliches Verhalten.
Die selbständigen Fasern bilden in den Zellsträngen des
Paraganglion suprarenale (Huhn) oft auf weite Strecken
ungemein dichte und zarte Netze und umspinnen dabei nach
Art der bindegewebigen Fasern sehr viele einzelnechrom-
affine Zellen. Die Lücken dieser elastischen peri-
zellulären Gitter und Netze sind dabei häufig viel kleiner
als jene des bindegewebigen Stützgerüstes. Sehr
viele elastische Fäserchen sind mindestens so dünn wie die aller-
feinsten des Bindegewebes. (rerade so wie letzteres sind auch
die elastischen Fasern nicht gleichmässig im Paraganglion
suprarenale desselben Vogels verteilt. Manche Zellstränge
sind von ihnen in dichtester Anordnung durchsetzt, andere wieder
besitzen nur spärliche Fasern. Auch bezüglich des Gesamt-
gehaltes an elastischen Fasern bestehen zwischen den
Paraganglia suprarenalia verschiedener Vögel Difterenzen.
Nicht jedes Paraganglion suprarenale enthält auch gleichviel von
den ersteren; es spielen hier entschieden uns bisher unbekannte
individuelle Schwankungen eine Rolle.
Auffallend war die Armut des Paraganglion suprarenale
vieler Vögel an Nerven und Ganglienzellen. An seiner Aussen-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 599
seite dagegen wurde es stets von grösseren und kleineren Ganglien
und Nerven eingehüllt.e Diese Verhältnisse erwähnt schon
Eberth (2) in seiner Arbeit auf S. 515: „Grosse Ganglien
finden sich bei den Vögeln an der Oberfläche des Organs, da-
gegen ist letzteres selbst ziemlich arm an Nerven und Ganglien-
zellen.“ Auch H. Rabl (20) berührt diese Frage, er sagt auf
S. 518: „Echten Ganglienzellen und Nervenfasern begegnet man
nur selten im Innern des Organes. Die ersteren liegen dann — wie
Fig. 13 (G. Z.) zeigt — inmitten von Markzellen (chromaffine
Zellen). Die Nervenfasern, die man hie und da zwischen den
Strängen trifft, gehören nachweisbar zu diesen einzelnen zer-
streuten Ganglienzellen und besitzen keine Beziehung zu den
Zellen der Zwischenstränge (chromaff. Zellen).“ Swale Vincent
(24) beschränkt sich bloss auf die kurze Notiz: „Large nerve-
ganglia are found near the surface of the organ. The nerve-
supply is derived from the ovarian or spermatic plexus.“ Die
Verteilung der Nerven im Paraganglion suprarenale der Vögel
wurde dann eingehend von Giacomini — Sulle terminazioni
nervose nelle capsule surrenali degli Uccelli. Estr. dai Processi
verbali della R. Accad. dei Fisiocritiei in Siena. 1898. (zit.
nach Kohn [10|) — untersucht. Nach ihm endigen die Nerven an
den chromaffinen Zellen nach Art von Drüsennerven. Leider
war mir seine Arbeit im Originale nicht zugänglich und ich muss
daher auf dieses hier bloss hinweisen. Minervini (19) endlich
gibt auf Seite 457 über dieses Thema nur eine ganz allgemein
gehaltene Angabe: „Dans ce tissu interstitiel on rencontre des
vaisseaux & faibles parois et de petits ganglions nerveux, formes
de peu de cellules entourees d’une mince capsule. De ces ganglions
cependant on en rencontre de plus gros, situds immediatement
au-dessous de l’enveloppe et plus ordinairement sur la face
dorsale. Et chez les jeunes oiseaux, on trouve presque con-
stamment sur le bord posterieur interne de l’organe un gros
amas de ganglions nerveux.“
Ich habe diesbezügliche spezifische Methoden nicht in
Anwendung gebracht, aber auch so kann man mit Sicherheit
behaupten, dass oftmals nur spärliche Ganglienzellen oder Nerven-
stämmchen im Innern des Paraganglion suprarenale vorkommen.
Bei der Abstammung der chromaffinen Zellen aus den Anlagen
des sympathischen Nervensystemes berührt dies merkwürdig.
600 Wilhelm Kose:
Nur die Hühner und ein altes Würgerweibchen
(Lanius collurio 2) machten hier eine Ausnahme. Bei den
ersteren durchzogen stets starke und schwache,
marklose und markhaltige Nerven das Paragang-
lion suprarenale. Innerhalb dieser Nerven lagen
vereinzelte oder zu kleineren und grösseren
Ganglien vereinte Ganglienzellen. Die Nerven ent-
stammten meist denan der Aussenseite des Paraganglion suprarenale
befindlichen Ganglien. Wie wir bei Besprechung der Verteilung
des Bindegewebes gesehen haben, verteilen sich die sympathischen
Nervenfasern auf die Art, dass jede einzelne chromaffıne Zelle
von ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach umgeben wird. Ich hebe
dies hier im Gegensatze zu H. Rabl (20) hervor, der die Ansicht
vertritt, dass die Nerven mit den chromaffinen Zellen (Mark-
zellen) in keinem Zusammenhange stehen.
Bei dem alten Würgerweibchen war das ganze Para-
sanglion suprarenale von einer grossen Anzahl einzelner,
meist aber gruppenweise gehäufter Ganglienzellen
durchsetzt. Fast in keinem Zellstrange fehlten sie. Häufig waren
die Ganglienzellen ringsum von den chromaffinen Zellen umgeben.
Im Gegensatze zu diesem kolossalen Reichtume an Ganglienzellen
enthielt das Paraganglion suprarenale nur wenige und nicht
besonders starke sympathische Nerven.
Das Gefäss-System der Nebenniere und des Paraganglion
suprarenale ist ein durchweg einheitliches. Aus diesem Grunde
wird seine gemeinschaftliche Besprechung erst nach der Schilderung
der Zusammensetzung der Nebenniere (Rinde) erfolgen. Von
dieser seien hier nur die Grundzüge ihres Aufbaues einer
Besprechung unterzogen.
B. Grundzüge'im Aufbau der -Nebenniere
Die Nebenniere besteht in ähnlicher Weise wie das
Paraganglion suprarenale aus einem Systeme vielfach zusammen-
hängender Zellstränge und mehr unregelmässiger Zellgruppen.
Die Art und Weise, auf welche sich die ersteren gegenseitig
verbinden, kann eine verschiedene sein. Die einzelnen Zellstränge
besitzen einen gewundenen Verlauf (v. Brunn [1], Eberth [2],
H. Rabl [20], Sw. Vincent [24], R. Minervini [19]) und
durchflechten sich nach allen Richtungen. Viele von ihnen be-
rühren sich bloss an einzelnen Stellen; andere wieder verschmelzen
Die Paraganglien bei den Vögeln. 601
daselbst miteinander. In den Zwischenstrecken begrenzen die
Stränge aber verschieden grosse Lücken. Andere Zellstränge
wieder legen sich in mehr minder breiter Ausdehnung aneinander.
Dabei bewahren sie entweder ihre Selbständigkeit, oder sie ver-
einigen sich, wie ich später zeigen werde, zu mehr einheitlichen
Zeligruppen. Manche von den Zellsträngen endigen blind (Eberth
[2], Seite 509).
Das Parenchym der Nebenniere ist daher nach Art einer
Spongiosa angeordnet, deren Bälkchen und Plättchen eine sehr
ungleiche Grösse und Form aufweisen. Die im Innern der Neben-
niere auf diese Weise gebildeten Lücken und Hohlräume hängen
überall miteinander zusammen und werden von den Zellsträngen
des Paraganglion suprarenale zum allergrössten Teile vollständig
ausgefüllt, den Rest nehmen grössere Venen ein. Die Zu-
sammensetzung der Nebenniere ist daher keine gleichmässige.
Prägt sich dies schon in der gröberen Anordnung des Parenchyms
aus, so kommt dies noch deutlicher in der Struktur der einzelnen
Zellstränge und Gruppen, sowie in der gegenseitigen Anordnung
der Epithelzellen zum Ausdrucke. Hier sieht man ganz deutlich,
dass der Bauplan der Nebenniere kein einheitlicher ist.
Die Zellstränge bestehen in ihrer typischen und einfachsten
Form aus zwei Reihen zylindrischer Epithelzellen (Eberth [2].
S. 509; H. Rabl [20], S. 514), die senkrecht zur Längsrichtung
der Stränge orientiert sind und in der Achse der letzteren un-
mittelbar aneinander grenzen. Sw. Vincent (24), S. 23, spricht
von säulenförmigen Zellen, während R. Minervini (19), S. 486, für
die verschiedenen Spezies verschiedene Zellformen angibt. Die
Kerne liegen, wie H. Rabl (20), S. 515, angibt, häufig um
das Doppelte ihres Durchmessers von der Oberfläche der Stränge
entfernt. Eine genügende Anzahl von den ersteren ist dagegen
der Oberfläche viel mehr genähert, oder berührt letztere sogar.
Die Zellstränge besassen bei keinem Vogel ein
wirkliches Lumen. Dieser Meinung ist auch v. Brunn (1),
S. 625, H. Rabl (20), S. 514 und R. Minervini (19), S. 486— 487.
Rabl beobachtete nur bei der Taube in der äussersten Peripherie
der Nebenniere solche Zellstränge, welche ein enges Lumen hatten.
Mir gelang dieser Nachweis nicht. Ueberall dort, wo im Innern
der Zellstränge ein Jumenartiger Hohlraum vorkam, handelte es sich,
in meinen Präparaten wenigstens, um Kunstprodukte. Ich schliesse
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 40
602 Wilhelm Kose:
mich hier in der Deutung dieser Hohlräume R. Minervinis (19)
Ansicht an. Dieser sagt auf Seite 486—487: „Sur la seetion
transversale du cordon, elles apparaissent alors comme un faisceau
d’elöments allonges disposes en rajons autour d’un point souvent
excentrique et parfois, surtout quand il y a un espace vide, on
a l’image d’un vrai tube glandulaire avec un £pithelium eylindrique
tres haut.
Cette apparence se rencontre frequemment dans le corps
surrenal du pigeon, et elle a et@ deja observee par d’autres tels
que Stilling et Rabl, qui ont interpröt& ces formes comme de
vrais cordons creux. Mais, en observant attentivement un grand
nombre de ces sections, je me suis convaincu que le vide central
des cordons est un fait purement accidentel, dependant probab-
lement de la preparation, soit comme un effet de la retraction
subie par les elements cellulaires pendant la fixation, de facon
qu’ils n’arrivent plus a se toucher avec leurs extr@mites centrales,
soit comme une suite de la chute ou de la destruction, d’autres
elements situes dans le centre du cordon.“
Eine irrige Ansicht vertritt Eberth (2), Seite 509, der
hervorhebt, dass sich bei den Vögeln im Gegensatze zu den
Säugetieren keine soliden Zellstränge, sondern Zellschläuche mit
engem Lumen finden. Den Untersuchungen Sw. Vincents (24),
S. 23, zufolge, setzt sich die Nebenniere aus soliden und hohlen
Schläuchen zusammen: „In the small peripheral evlinders, there
is often only one laver, which bounds a distinet, round or oval,
lumen. But in most cases the structure is that of solid masses
of polyhedral cells surrounded by a layer of columnar ones and
having no lumen (Pl. XVII, fig. 14).“
Die einfachsten Stränge besitzen einen Breitendurchmesser
von 0,04--0,066 mm (Rabl [20], S. 514). Eine grössere Anzahl
von Zellsträngen ist aber durchaus nicht so einfach zusammen-
gesetzt. Es schieben sich hier in ihrer Achse zwischen die ur-
sprünglichen zwei Zellreihen verschieden grosse Zellansammlungen
ein. Erstere liegen nach wie vor in der äussersten Peripherie
der Stränge und bewahren die typische Anordnung ihrer Zellen
und Kerne. Sw. Vincent (24) gibt von diesen Strängen eine
Abbildung. Die in der Mitte der Stränge gelegenen Zellen sind
polyedrisch. Manchmal handelt es sich aber wohl um typische
zylindrische Zellen, die bloss mit ihrer Längsachse senkrecht zu
Die Paraganglien bei den Vögeln. 605
jener der am Rande der Stränge angeordneten zylindrischen
Zellen orientiert sind. Solche Stränge besitzen oft einen Breiten-
durchmesser von 0,1 mm und darüber.
Eine weitere Veränderung im Aufbaue der Nebenniere kommt,
wie schon früher erwähnt wurde, durch die Vereinigung benach-
barter Zellstränge zustande. Letztere besitzen in gleicher Weise
wie auch die grossen Zellgruppen an ihrer äusseren Oberfläche
eine dünne, mit elastischen Fasern vermengte, bindegewebige Hülle.
Diese besteht aus einem Geflechte stärkerer und schwächerer
Fasern. Die dünnsten von ihnen stehen eben an der Grenze
der Wahrnehmbarkeit. Ueberall dort, wo die Zellstränge sich
aneinander legen, sind sie entweder durch Kapillaren voneinander
geschieden, oder aber es berühren sich ihre Faserhüllen direkt
und verflechten sich gegenseitig zu mehr einheitlichen Septen.
Diese zeigen öfters eine Reduktion bis auf wenige, ja sogar eine
einzige bindegewebige Faser. Es fehlen nun öfters zwischen den-
jenigen Zellsträngen, welche sich unmittelbar aneinander legen, die
bindegewebigen Faserzüge vollkommen. Dadurch entstehen mehr
einheitliche Zellanhäufungen, deren Zusammensetzung aus ein-
zelnen Strängen oftmals nur an einer reihenförmigen Anordnung
der Zellkerne zu erkennen ist. Häufig aber ist letztere voll-
kommen verwischt. H. Rabl (20) gibt eine genauere Darstellung
dieser histologischen Verhältnisse. Er sagt auf S. 515: „Dadurch
aber, dass die Hauptstränge (Nebenniere) nur von einer sehr
dünnen Faserlage umhüllt sind und einer Membrana propria ent-
behren, verlieren sie dort, wo sie zusammenstossen, den Character
eines soliden Schlauches und erzeugen den Eindruck von Zell-
haufen, wofern nicht die reihenweise Anordnung der Kerne auf
einen speciellen Bau hinweist.“
Jene Zellstränge, die bloss aus zwei Zellreihen zusammen-
gesetzt sind, legen sich stellenweise in Gestalt eines völlig ge-
schlossenen Ringes um die an ihrer Aussenseite befindlichen
Kapillaren. Auf dem Querschnitte sind letztere dann von einer
doppelten Zellreihe umfasst. Die Kerne der inneren Schichte
liegen, wie sich von selbst ergibt, in den den Kapillaren zuge-
wendeten Zellhälften. Wenn nun mehrere solcher Zellstränge
sich miteinander vereinigen, dann lösen sich bloss ihre äusseren
Zellreihen auf, während diejenigen, welche die Kapillaren un-
mittelbar umgeben, in ihrer typischen Anordnung häufig erhalten
40*
604 Wilhelm Kose:
bleiben. Auf diese Weise gelangen die ursprünglich
an der Aussenseite der Stränge verlaufenden Kapillaren
in das Innere der Zellgruppen.
Man sollte nun eigentlich a priori annehmen, dass die Zellen der
Nebenniere, einesOÖrganes von anerkannt epithelialem
Ursprunge, zeitlebens auch eine diesbezügliche Anordnung
bewahren. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Meiner nun
folgenden Beschreibung lege ich hauptsächlich in der Mischung
Müllersche Flüssigkeit 9 : Formol 1 fixierte Präparate von
Hühnern zugrunde Nur eine gewisse Anzahl von Zellen
bleibt in einem typischen epithelialen Verbande. An anderen
Stellen erfährt dieser dadurch eine Lockerung und Auflösung
seines Gefüges, dass von der bindegewebigen Hülle der Zellstränge
und Gruppen feine und stärkere Fasern direkt zwischen
die einzelnen Epithelzellen hineinziehen. Diese meist längsver-
laufenden Fasern verbinden sich durch mehr quer oder schräg
angeordnete zu lockeren und weitmaschigen Gittern oder Körben
in der Art, dass jede Zelle für sich von ihnen umgeben
wird. Diese bindegewebigen perizellulären Netze erreichen aber
niemals eine so grosse Dichte wie im Paraganglion suprarenale.
Da das Bindegewebe der Nebenniere seiner Darstellung durch
spezifische Farbstoffe vielleicht noch grössere Schwierigkeiten als
jenes im Paraganglion suprarenale entgegensetzt, so glaube ich,
dass gerade so wie dort auch hier sich ein Teil von ihm der
Beobachtung einfach entzieht. Dennoch gibt es genügend viele
Stellen, in den nach der Methode von Mallory-Stöhr oder
Freeborn gefärbten Präparaten, wo man das oben geschilderte
Verhalten genau studieren kann.
Ganz besonders schön sieht man dort, wo die Kapillaren im
Querschnitt getroffen sind, von ihrer bindegewebigen Umhüllung
die Fasern pinsel- oder büschelartig zwischen die einzelnen Epithel-
zellen einstrahlen. Dass es sich hier sicher um fibrilläres
Bindegewebe handelt, geht erstens aus der direkten morpho-
logischen Betrachtung, zweitens aus dem positiven Ausfalle der
spezifischen Färbungen und endlich auch daraus hervor, dass
sichere, wenn auch nur sehr spärliche Bindegewebs-
kerne in den Verlauf der interzellulären Fäserchen eingeschaltet
waren.
Bevor ich nun die Art und Weise der gegenseitigen An-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 605
ordnung der Epithelzellen näher bespreche, will ich auf ihren
feineren Aufbau etwas genauer eingehen. Die Zellen der Neben-
niere (Rinde) sind im frischen Zustande vollständig von einer
Anzahl feinster, verschieden grosser Tröpfehen erfüllt. H. Rabl (20)
beschreibt dies genau auf S. 513: „Diese Farbe (gelb) rührt
von einer Menge feinster Tröpfehen her, welche in den Epithel-
zellen enthalten sind. Wenn man das Organ frisch, unter Zusatz
von Kochsalz, zerzupft, ist es ganz unmöglich, einen Einblick in
die Structur der Stränge zu erhalten. Sie sind von diesen Tröpfchen,
welche dann auch in grosser Menge frei in der Flüssigkeit
schwimmen, und auch offenbar bei der Präparation aus ihren
Zellen ausgefallen sind, dicht erfüllt. Die Tröpfehen sind zumeist
klein, doch trifft man auch grössere, und kann eine kontinuierliche
teihe von den kleinsten bis zu solchen von ansehnlicher Grösse
wahrnehmen. Sie sind stark lichtbrechend.....“ Rabl kommt
schliesslich zu der Überzeugung, dass diese Tropfen Fett
sind (S. 514): „Ich glaube daraus folgern zu dürfen, dass das
Nebennierenfett mit dem normalen Körperfett nicht identisch ist.
ohne aber — nach den anderweitigen Reactionen — seine Natur
als Fett leugnen zu können.“ Sw. Vincent (24) schliesst sich dieser
Anschauung an (S. 23): „The cells are finely granular and contain
in a fresh state numerous fat-globules.“ Auch R. Minervini (19),
S. 457, zweifelt nicht an der Fettnatur der Tröpfehen. „Leur proto-
plasma finement granuleux contient de tres petites gouttelettes
graisseuses, qui sont moins evidentes ou font defaut chez V’animal
tres jeune ou le nouveau-ne.“
Ich habe die Versuche Rabls nicht nachgemacht, da ja
kein Zweifel an ihrer Richtigkeit besteht. Ich kann aber so viel
sagen, dass diese Tröpfchen in den allermeisten Zellen meiner
sämtlichen Präparate — mögen diese wie immer fixiert ge-
wesen sein — entweder vollständig oder doch zum allerergrössten
Teile fehlten. Nur hier und da enthielten spärliche Zellen
wenige solcher Sekrettropfen. Da die Präparate stets durch
Alkohol absolutus (99,8 °/o Gewichtsprozent), der dreimal
binnen zweimal 24 Stunden gewechselt wurde, und ferner durch
Xylol, das ebenfalls dreimal in zweimal 24 Stunden erneuert
wurde, in Paraffin überführt wurden, so mussten die Tröpfehen
entschieden in diesen Reagentien aufgelöst werden, ein Umstand,
der ebenfalls für ihre Fettnatur zu sprechen scheint. Am deut-
606 Wilhelm Kose:
lichsten trat diese Erscheinung in solchen Präparaten auf, die in
dem Carnoyschen Gemische fixiert wurden. Hier waren
aus sämtlichen Zellen alle Tröpfchen extrahiert.
Nur manchmal fand ich in einem Schnitte zwei bis drei solcher
Tröpfchen.
Weiter unten auf Seite 514 fährt H. Rab (20) fort: „Eine
zweite Art von Körnchen finde ich neben diesen Fetttröpfehen
in der Nebenniere nicht. Braun beschreibt bei den Reptilien
ausserdem gelbe Körnchen, mit welchen die kleinsten dieser Fett-
tröpfchen leicht zu verwechseln wären. Sie sollten es auch sein,
welche die gelbe Farbe des Organes bedingen. Ich war nicht
im Stande, weder bei Vögeln, noch auch bei mehreren Reptilien
(Lacerta, Tropidonotus, Stellio), solche Körnchen zu sehen und
muss daher auch die gelbe Farbe des Organes als Wirkung des
Fettes auffassen.“ Entgegen diesen Angaben H. Rabls erwähnt
R. Minervini (19), Seite 487: „De plus elles (Nebennierenzellen
— Rindenzellen) contiennent tres souvent de tres petits grains de
pigment jounätre, qui sont aussi moins visibles chez le nou-
veau-ne.“
Es ist nun tatsächlich sekr schwer, in dieser Frage eine
sichere Entscheidung zu tretien. Stellenweise scheinen die Neben-
nierenzellen neben den Fettropfen noch kleine gelbe oder mehr
bräunliche Pigmentkörnchen zu enthalten. Man muss sich jedoch
sehr vor einer Verwechslung mit den allerkleinsten Fettropfen
hüten. Diese können überall dort, wo sie gehäuft liegen, bei
einer unscharfen Einstellung, dadurch, dass sie als kleine, dunkle
Punkte erscheinen, Pigmentkörnchen vortäuschen. Die Zahl
derjenigen Körnchen, bei denen es zweifelhaft bleibt, ob es sich
nicht doch um ein eigenes Pigment handelt, ist aber viel zu
gering, um durch sie allein die gelbe Farbe des Gesamtorganes
erklären zu wollen. H. Rabl hat daher auf alle Fälle recht,
wenn er die letztere auf die in den Zellen enthaltenen Fettropfen
zurückführt.
Für das Studium der Anordnung des eigentlichen Plasmas
ist der fast völlige Schwund der Fettröpfehen im fixierten Prä-
parate ein sehr günstiger Umstand. Auf diese Weise erkennt
man leicht, dass das Plasma die Zellen in Gestalt dünnster
Fädchen nach allen Richtungen durchsetzt, die sich ihrerseits zu
einem feinmaschigen Wabenwerke verbinden. Diese plasmatischen
Die Paraganglien bei den Vögeln. 607
Fädchen sind trotz ihrer ausserordentlichen Feinheit dennoch
nicht gleich stark. Das Gerüst ein und derselben Zelle besteht
teils aus etwas stärkeren, teils aber aus so schwachen Fädchen,
dass diese eben nur noch wahrgenommen werden. Die Maschen,
die durch die gegenseitige Verbindung der Fädchen gebildet
werden, sind meist gleich gross und sehr klein; eine Anzahl von
ihnen ist aber merklich grösser. Diese sind unter den kleineren
Maschen unregelmässig verteilt. In den Knotenpunkten des plas-
matischen Wabenwerkes liegen kleine Granula.. Es kommt nun
öfters vor, dass stellenweise infolge der Fixation oder aber der
Schnittführung das intrazelluläre Netz leichte Zerreissungen auf-
weist. Es gibt aber auch Stellen, an welchen der Einfluss
dieser zwei schädigenden Momente mit Sicherheit auszuschliessen
ist und das plasmatische Fadengerüst dennoch teils geschwunden
ist, teils Lockerungen seines Gefüges zeigt. Ich glaube, dass
dies im letzteren Falle nur den morphologischen Ausdruck des
physiologischen Lebensprozesses der betreffenden Zellen bildet.
Mögen nun welche Ursachen immer eine Rolle spielen, es werden
dabei die in den Knotenpunkten des Maschenwerkes gelegenen
Granula frei. Diese Zellen zeigen dann ein ähnliches granu-
liertes Aussehen wie die chromaffinen Zellen, nur sind die
Granula viel spärlicher als in den letzteren und liegen daher
weiter voneinander. Die plasmatischen Fädchen können ihrerseits
ebenfalls in feinste staubartige Körnchen zerfallen.
In den Lücken des plasmatischen Wabenwerkes liegen die
Fettropfen und die in Frage kommenden kleinen gelben Körnchen.
Man sollte nun annehmen, dass die grössten Lücken stets auch
die grössten Fettropfen umschliessen. Dies ist aber durchaus
keine unumstössliche Regel. Es liegen vielmehr oft mehrere
kleinste, dichtgedrängte Fettropfen in einer einzigen grösseren
Lücke.
Die plasmatischen Fadengerüste der einzelnen Zellen hängen
nun vielfach miteinander zusammen. Mögen nun die Zellen durch
Bindegewebsfasern voneinander getrennt sein oder nicht, man
sieht ganz deutlich, wie sich die intrazellulären Fädchen aus
einer in die andere Zelle fortsetzen. Auf diese Weise werden
die zwischen den Zellen gelegenen bindegewebigen Fasern von
den protoplasmatischen Fädchen über- und unterlagert
und erhalten so stellenweise einen ganz feinen protoplas-
608 Wilhelm Kose:
matischen Überzug. An solchen Stellen sind die binde-
gewebigen Fasern nur durch eine gelungene spezifische Färbung
von dem Protoplasma zu differenzieren. Wo diese ganz oder
zum grössten Teile versagt, macht es nur den Eindruck, als ob
die einzelnen Zellen durch eine etwas verdichtete protoplasmatische
Wandschichte voneinander getrennt wären. Es muss daher oft
unentschieden gelassen werden, ob letztere in ihrem Innern
bindegewebige Fäserchen birgt.
Es gibt nun eine grosse Anzahl von Zellen, die neben-
einander liegen, ohne dass sie in der eben be-
schriebenen Art eine gegenseitige Verbindung
eingingen. Diese bewahren den epithelialen
Typus am reinsten. An anderen Stellen zeigt die Neben-
niere endlich noch besondere Struktureigentümlichkeiten. Grössere
oder kleinere Abschnittte von ihr bestehen nur aus einem
vollkommen einheitlichen protoplasmatischen
Netzwerke, das jenem im Innern der einzelnen
Zellen befindlichen völlig gleich ist. Nirgends ist,
weder durch bindegewebige Fäserchen noch sonst wie, auch nur
eine Andeutung einer Zerklüftung in einzelne Zellen wahrzu-
nehmen. Die Kerne sind ohne eine bestimmte Anordnung in dem
protoplasmatischen Netze verteilt; nur stellenweise zeigen sie
noch eine reihenförmige Anordnung. Die syneytiale Ver-
schmelzung der einzelnen Epithelzellen tritt an solchen Stellen
am besten zutage.
Die Kerne der Nebennierenzellen sind meist rund und besitzen
ein oder mehrere grössere und einige kleinere Kernkörperchen.
Ihr Durchmesser schwankt zwischen 0,003— 0,006 mm. Als Bei-
spiele seien einige Kernmaße angeführt:
Kern a 0,004—0,006 mm
b 0,005—0,006 „
c 0.004—0,006
„. d 0,003—0,006
„7 e20,006=0;006
Artunterschiede machen sich Beiglich. a Kerngrösse nicht
bemerkbar. Es gelang mir nicht, so grosse Kerne von 0,008 mm,
wie H. Rabl (20), angibt aufzufinden. Grosse und kleine Kerne
sind bei ein und demselben Vogel oft bunt durcheinander ge-
mischt. Manchmal finden sich in den Schnitten vorwiegend nur
Die Paraganglien bei den Vögeln. 609
die grossen, dann wieder nur die kleinen Kerne, ohne dass ich
für diese verschiedene Verteilung einen Grund angeben könnte.
H. Rabl (20), S. 516, beobachtete, dass nach Härtung in
1°/o Chromsäure im Gegensatze zu den anderen Methoden
zweierlei Zellen in den Hauptsträngen (Nebenniere = Rinde)
auftreten. Er sagt: „Die eine (Zellart) characterisirt sich durch
eine weitbauchige, becherzellenartige Form des Zellleibes, in der
nur wenig Protoplasma und ein runder Kern mit Kernkörperchen
enthalten ist, die andere färbt sich gelbbraun, scheint zusammen-
gedrückt und nur die Lücken zwischen den Blasenzellen auszu-
füllen.“ Weiter unten: „Die Vertheilung der Blasenzellen in den
Strängen ist eine wechselnde. An manchen Punkten constituiren
sie dieselben fast ausschliesslich, an manchen fehlen sie voll-
ständig. An der Peripherie finden sich häufig Zelleomplexe,
welche den bei anderwärtiger Härtung erhaltenen Bildern ent-
sprechen. Doch kann man daraus nicht auf ungleiche Einwirkung
der Chromsäure entsprechend ihrem Eindringen in das Organ
schliessen, denn wie aus Fig. 16 hervorgeht, finden sich die
Blasenzellen auch in der Peripherie. Es besitzt also die Chrom-
säure eine specifisch quellende Wirkung auf gewisse Zellen der
Hauptstränge (Nebenniere — Rinde). Da aber gar keine Regel-
mässigkeit in dem Auftreten dieser Reaction liegt und bei anderen
Fixirungsmethoden ein Unterschied zwischen den Zellen der
Hauptstränge fehlt, möchte ich derselben keine weitere Bedeutung
beilegen.“
Ich konnte nun nach Vorbehandlung der Nebenniere der
Taube und des Huhnes mit reiner Müllerscher Flüssig-
keit eine ähnliche Difterenz im Aussehen der einzelnen Zellen
erkennen. Da ich aber ferner beim Huhne auch nach der
Fixierung mit Müller-Formol — der besten Methode für unsere
Zwecke — mitten unter den gewöhnlichen Epithelzellen, wenn
auch nur selten, blasenartige aufgetriebene Zellen fand, so glaube
ich, dass es sich dabei, wenigstens nicht ausschliess-
lich, um einen durch die Fixierung herbeigeführten Effekt
handeln kann.
Die eigentümliche Verteilung des fibrillären Bindegewebes
im Innern der Nebenniere wurde schon von v. Brunn (1) und
H. RablI (20) beobachtet. Ersterer nimmt aber irrigerweise an,
dass die Nebennierenzellen (Rindenzellen) Bindegewebszellen seien,
610 Wilhelm Kose:
während H. Rabl bloss die feinen interzellulären Fäserchen als
Ausläufer von Bindegewebszellen auffasst. Er sagt auf S. 514:
„Häufig findet man auch innerhalb der Stränge kernartige Ge-
bilde. welche Bindegewebszellen angehören, deren feinste Aus-
läufer Maschen bilden, in welchen die Epithelzellen enthalten sind.“
Ich muss hier nochmals betonen, dass ich diese Kerne nur sehr
selten aufzufinden vermochte. Weiter unten fährt Rabl fort:
„Ähnliche Netze finden sich auch in der Rinde der Säugethier-
nebenniere, nur sind sie dort noch reichlicher entwickelt, so dass
die einzelnen Epithelzellen einen höheren Grad von Selbständig-
keit erlangen, während sie hier noch zu Strängen zusammen-
geordnet sind.“ Die diesbezüglichen Beobachtungen über
die Nebenniere der Säugetiere von v. Brunn (1), Eberth (2).
u. a. waren auch mir bekannt. Angeregt durch die neueren
Untersuchungen von E. Holmgren (3) habe ich seine dies-
bezüglichen Angaben beim Igel (Erinaceus europeus L.) nach-
geprüft und in der Hauptsache vollkommen bestätigt gefunden.
Das fibrilläre Bindegewebe färbt sich beim Igel schon durch die
gebräuchlichsten Säurefuchsin enthaltenden Mischungen scharf
bis in seine feinsten Ausläufer, dass es ganz leicht ist, seine Ver-
teilung zu verfolgen. Tatsächlich lagen fast alle Zellen der Zona
reticularis und fasciculata in separaten bindegewebigen
Maschen, während in der Zona glomerulosa dies nicht eine
allgemeine Regel bildete. Da ich aber nur diesen einen Igel
untersuchte und dieser im Frühjahr noch im tiefsten Winter-
schlafe im Walde aufgefunden wurde — sein Ernährungszustand
daher ein sehr schlechter war — so könnte man daran denken,
dass dabei ein Teil der feinen bindegewebigen Fasern geschwunden
oder doch wenigstens chemisch so verändert war, dass er sich
nicht färbte. Ich werde zu dieser Annahme darum hingeleitet,
weil Holmgren (3) ausdrücklich folgendes angibt (S. 161:)
„Muss es also als sicher angesehen werden, dass die einzelnen
Epithelzellen der verschiedenen Regionen von Nebennierenrinde
des Igels von interstitiellem Gewebe ringsherum umgeben
werden, .....* Da ich aber nur diesen einen Igel untersuchte,
so möchte ich meinen obigen Befund nicht verallgemeinern. —
Auch bei der Maus (Mus musculus L.) lagen die einzelnen
Epithelzellen der Nebenniere, jede für sich, in einzelnen binde-
gewebigen Hüllen. Durch diese positiven Befunde bei Säuge-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 611
tieren erfahren die Beobachtungen an der Nebenniere bei Vögeln
eine weitere und wichtige Stütze.
Die organische Verbindung des Paraganglion supra-
renale mit der Nebenniere prägt sich nicht zum mindesten auch
in der Anordnung ihres allseitig zusammenhängenden Gefäss-
netzes aus. Die zuführenden Arterien verzweigen sich schon viel-
fach in der äusseren, das Paraganglion suprarenale und die Neben-
niere gemeinschaftlich umhüllenden, bindegewebigen Kapsel. Von
hier aus ziehen in das Innere der Nebenniere hauptsächlich
nur Kapillaren. Dem Paraganglion suprarenale wird aber
nicht bloss durch Kapillaren, sondern auch durch kleinere und
grössere Arterien, die öfters ziemlich weit in dasselbe ein-
dringen, ehe sie sich in Kapillaren auflösen, das Blut zugeführt.
Im Innern des Paraganglion suprarenale bilden die Arterien, vor
allem aber die Kapillaren, ein ungemein reiches und dichtes Ge-
flecht und gehen schliesslich in Venen über, die sich ihrerseits zu
grösseren Stämmchen vereinen. Es kommt aber häufig genug
vor, dass die Kapillaren direkt in die letzteren einmünden. Die
Venen ziehen dann aus dem Paraganglion suprarenale in die
Nebenniere. Dabei durchqueren sie öfters einen Zellstrang des
ersteren und treten an zwei entgegengesetzten Seiten gleichzeitig
aus ihm heraus. In der Nebenniere angelangt, nehmen diese
Venen auch die Kapillaren der letzteren auf. Diese umspinnen
auf ihrem Verlaufe von der Kapsel her die Zellstränge von aussen
und gelangen dadurch, dass sich die letzteren zu Gruppen ver-
einen, auch in das Innere dieser. Die Kapillaren erweitern sich
vor ihrem Eintritte in die Venen streckenweise ganz bedeutend.
Es kommt nun öfters vor, dass kleinere Venen unmittelbar nach
ihrem Austritte aus dem Paraganglion suprarenale in ungemein
breite Venen einmünden, die eigentlich zwischen die Nebenniere
und das Paraganglion suprarenale eingeschaltet sind. Sie liegen
nämlich in den von den Zellsträngen der Nebenniere begrenzten
Lücken, werden aber gleichzeitig auch von den Gruppen
chromaffiner Zellen umgeben. Eine grössere Anzahl von Kapillaren
der Nebenniere ergiesst nun ihr Blut direkt in diese breiten Venen.
Fürs erste erwecken die letzteren den Eindruck lakunenartiger,
wandungsloser Bluträume. Es handelt sich aber, wie wir gleich
sehen werden, stets um geschlossene Blutgefässe. In
den Venen der Nebenniere mischt sich demnach
612 Wilhelm Kose:
das Blut letzterer mit jenem des Paraganglion
suprarenale.
Die Wand sämtlicher Venen und Kapillaren, sowohl des
Paraganglion suprarenale, als auch der Nebenniere, besteht aus
einem einfachen Endothel und einer sehr verschieden starken
bindegewebigen Faserhülle. Im Paraganglion suprarenale wird
diese durch Fortsetzungen des Stützgerüstes gebildet.
Wie wir gesehen haben, besitzen die Zellstränge und Zell-
gruppen der Nebenniere an ihrer äusseren Oberfläche eine Hülle
netzartig miteinander verwebter bindegewebiger Fäserchen. Diese
legen sich den zwischen den Strängen verlaufenden Kapillaren,
die nur aus einem einfachen Endothel zusammengesetzt sind, un-
mittelbar an und spinnen auf diese Weise die letzteren gleich-
zeitig mit ein. Dass diese bindegewebigen Fäserchen nicht
als ein eigentlicher Wandbestandteil der Kapil-
laren aufzufassen sind, ergeben jene Stellen mit Sicherheit, an
denen keine Kapillaren die einzelnen Stränge voneinander trennen
und diese dennoch von derselben bindegewebigen Hülle bedeckt
sind. Man muss sich aber hier vor der Verwechslung mit solchen
Stellen hüten, wo die Kapillaren vollständig blutleer und kolla-
biert sind und die benachbarten Zellstränge nur scheinbar an-
einander grenzen.
Weder im Paraganglion suprarenale noch in der Nebenniere
steht die Weite des Lumens der Venen, und Kapillaren in einem
gesetzmässigen Verhältnisse zu der Dicke ihres bindegewebigen
Überzuges. Wenn auch für gewöhnlich die Kapillaren und kleineren
Venen den schwächsten Wandbelag haben, so sind es manchmal
gerade die grossen Venen die von nur wenigen Fäserchen um-
sponnen werden, während die Kapillaren eine ansehnliche adven-
titielle Scheide besitzen. Nur die allerstärksten Venen, welche
die Anfänge der Vena suprarenalis bilden, sowie letztere selbst,
nehmen insofern eine Ausnahmestellung ein, als ihre Wand ausser
dem Endothel regelmässig noch eine ansehnlichere Lage fibril-
lären, mit elastischen Fasern vermengten, Bindegewebes besitzt,
das ausserdem durch spärliche glatte Muskelfasern verstärkt wird.
Auf diese Art und Weise ist die gesamte Blutbahn im Paraganglion
suprarenale und der Nebenniere eine völlig geschlossene,
nirgends fand ich wandungslose Bluträume. Überall sind die
Epithel- und die chromaffinen Zellen ausser durch das Endothel
Die Paraganglien bei den Vögeln. 613
noch durch verschieden starke Züge feinster bindegewebiger
Fibrillen vom Lumen der Kapillaren und Venen getrennt.
Über die Gefässverteilung in der sogenannten „Nebenniere“
(Nebenniere + Paraganglion suprarenale) finde ich nur spärliche
Angaben in der Literatur. v. Brunn (1) bemerkt folgendes auf
Seite 628: „In der Nebenniere ((sesamtorgan) der Vögel ist der
Verlauf (der Gefässe) natürlich ein völlig anderer: die Arterien
treten zur Kapsel, verzweigen sich in ihr und treten in das
Organ ein.
Beim Eintritt sind sie am schwächsten. Sie verlaufen dann
geschlängelt zwischen den Zellsträngen hin, diese wie auch die
zwischen denselben liegenden Markzellenhaufen eng umstrickend.
Je weiter. nach dem Centrum hin werden sie immer weiter und
weiter und ergiessen sich dort in die mächtige Centralvene.“
H. Rabl (20) macht bloss die kurze Bemerkung (Seite 514:)
„Die Zellen (Nebenniere-Rinde) liegen dem Endothel der weiten
Kapillaren scheinbar direct auf, nur eine Lage feinster Fibrillen
trennt sie von demselben.“
R. Minervini (19), Seite 487, beschränkt sich bloss auf
die Bemerkung: „Dans ce tissu interstitiel, on rencontre des
vaisseaux & faibles parois...... “ Dies bezieht sich sowohl
auf die Nebenniere als auch auf das Paraganglion
suprarenale.
Es ist nun sicher, dass überall dort, wo die adventitielle
Faserlage eine besondere Mächtigkeit erreicht. die Parenchymzellen
sowohl im Paraganglion suprarenale als auch in der Nebenniere
unmöglich bis ans Gefässrohr heranreichen können. Sind dagegen
die Venen und Kapillaren nur von einem Netzwerke feinster
Fibrillen umgeben, dann grenzen die Zellen in seinen Lücken
vielfach unmittelbar an das Endothel. Aber selbst dort, wo dies
nicht der Fall ist, ermöglichen dennoch die Spalten in dem
bindegewebigen Faserwerke den freien Zutritt des Zellsekretes
zur Gefässwand. Man kann also darin, dass sich überall binde-
gewebige Fäserchen zwischen das Endothel und die Parenchym-
zellen einschieben, nicht eine morphologische Struktureigentümlich-
keit erblicken, die als ein Beweis gegen eine innere Sekretion
des Paraganglion suprarenale oder der Nebenniere anzuführen wäre.
Viel schwerer fiele hier ein anderer Umstand in die Wag-
schale. Wenn auch das im Innern des Paraganglion suprarenale
614 Wilhelm Kose:
von den Kapillaren und Venen zusammengesetzte Netz ein weit-
verzweigtes ist, so gibt es dennoch viele Stellen, welche nur
spärlicher vaskularisiert sind. Ist aber das Paraganglion supra-
renale eine Drüse mit innerer Sekretion, auf welchem Wege
gelangt dann das Sekret jener Zellen, die weiter von der Blut-
bahn entfernt sind, in diese? Die Antwort darauf kann ich nur
in Form einer Vermutung geben.
Es finden sich überall zwischen den chromaffinen Zellen
eigentümliche, häufig kreisrunde, seltener mehr unregelmässige
Lücken oder längliche Spalten. Diese besitzen eine sehr ver-
schiedene Grösse und Anordnung. Einige Zeichnungen mögen
diese histologischen Verhältnisse erläutern. In Fig. 1, Taf. XXI,
befindet sich rechts unten zwischen zwei ungleich intensiv gelb
gefärbten chromaffinen Zellen ein solcher mehr dreieckiger Hohl-
raum (Pfeil mit Vak’). Er wird gegen die chromaffinen Zellen
zu nur von je einer äusserst feinen bindegewebigen Faser ab-
gegrenzt. An der rechten Spitze dieses Hohlraumes ist ein
etwas stärkeres und sehr lebhaft blau gefärbtes Fäserchen im
Querschnitte getroffen (dunkelblau-schwarzes Pünktchen). Von
da aus erstreckt sich weiter zwischen die zwei chromaffinen Zellen
hinein ein sehr dünnes und nur schwach gefärbtes Fäserchen.
Dem Hohlraum lagert links ein länglicher Bindegewebskern un-
mittelbar an. Vergl. damit die vakuolenartigen Hohlräume Vak!
in Fig. 2, Taf. XXI, ferner auch die zwei am oberen Rande be-
findlichen je ein Kreuzchen (X) enthaltenden Hohlräume. Diese
werden aber nicht mehr allseitig von chromaffinen Zellen
eingehüllt. In Fig. 20, Taf. XXIL, ist eine von den allerkleinsten
zwischenzelligen und vom Bindegewebe ausgekleideten Lücken
gezeichnet (Pfeil mit Vak!). Vergl. damit auch die untere kleinere
Lücke in Fig. 14, Taf. XXII, die im Vergleiche zu Fig. 20 eine
ungemein viel grössere Ausdehnung besitzt. Sie wurde von drei
chromaffinen Zellen umgeben. Die eine von ihnen war gelb,
die anderen grau, und zwar ist von den letzteren die eine (dunkel-
graues schmales Feld) nur im Anschnitte zu sehen.
Man findet nun auch in solchen Schnitten, die nach der
Freebornschen Methode gefärbt wurden, Stellen, wo diese
interzellulären Lücken unmittelbar vom Plasma der chrom-
affınen Zellen umgeben werden, wo also kein fibrilläres Binde-
gewebe sich zwischen beide vorschiebt. Wie wir früher gesehen
Die Paraganglien bei den Vögeln. 615
haben, grenzen die chromaffınen Zellen innerhalb der Lücken der
bindegewebigen perizellulären Netze unmittelbar epithelartig
aneinander. Es nimmt daher nicht wunder, dass ein Teil dieser
zwischenzelligen Hohlräume auch an solchen Stellen sich vorfindet,
wo kein fibrilläres Bindegewebe ausgebreitet ist. Erstere
werden dann von den chromaffinen Zellen ganz nach
Art von Drüsenzellen umlagert. An den Begrenzungen
der Hohlräume beteiligen sich entweder bloss zwei, oder aber
mehrere chromaffine Zellen. Man erhält auf diese Weise Bilder
eines Querschnittes durch einen Drüsenalveolus. Es
ist selbstverständlich, dass in solchen Schnitten, die nicht mit
spezifischen Bindegewebsfarbstoffen behandelt wurden, diese Bilder
umso gehäufter auftreten.
Es kann nun aber vorkommen, dass diese zwischenzelligen
Lücken durch stärkere oder schwächere Züge oder bloss Fasern
des Bindegewebes umgeben und so gewissermassen von den
chromaffinen Zellen abgedrängt werden. Vak! und Vak? in
Fig. 1, Taf. XXI, geben ein Bild davon. Die Vak? ist von einem
eben an der Grenze der Wahrnehmbarkeit stehenden, aber intensiv
blauen Fäserchen umgeben. In seinen Verlauf sind vier quer-
getroffene stärkere Fäserchen eingeschaltet (dunkle Pünktchen).
Vergl. hier Fig. 20, Taf. XXIL, Vak?. Diese Lücke ist von einem
stärkeren, aber schwächer gefärbten bindegewebigen Fäserchen
umgeben. Links unten von der Lücke liegen die Querschnitte
zweier Bindegewebsfäserchen. Schliesslich vergl. auch die grössere
vakuolenartige Bildung in Fig. 14 und Fig. 12, Taf. XXI, Vak.
Das mikroskopische Bild erfährt aber oft eine gewaltige
Veränderung an jenen Stellen, an denen das zwischenzellige Binde-
gewebe angehäuft ist. Letzteres wird hier öfters von den vakuolen-
artigen Hohlräumen nach allen Richtungen durchsetzt. Fig. 18,
Taf. XXII, gibt ein Bild davon. Zwischen den der Einfachheit
halber gleichmässig grau gehaltenen chromaffinen Zellen liegt ein
bindegewebiges Netz- und Maschenwerk. Seine einzelnen Lücken
stehen alle miteinander in schmälerem oder breiterem Zusammen-
hange. In der Figur ist nur ein Teil dieses Flechtwerkes wieder-
gegeben. Die bindegewebigen Fasern sind teils längs-, teils
quergetroffen. Aus dem maschigen Gerüste setzen sich in un-
unterbrochenem Zuge verschieden starke bindegewebige Fasern
zwischen die einzelnen chromaffınen Zellen fort. Die Grösse der
616 Wilhelm Kose:
Lücken solcher interzellulären Maschenwerke, wie eines in der
Fig. 18 abgebildet ist, schwankt in denselben Grenzen wie jene
der vereinzelt liegenden Vakuolen. Diese wabigen bindegewebigen
Netze schieben sich manchmal bloss zwischen zwei chrom-
affıne Zellen in der Art ein, dass ihre einzelnen Lücken in einem
einfachen Zuge hintereinander angereiht sind. Es kommt aber
auch vor, dass einzelne chromaffıne Zellen von den angehäuften
Hohlräumen im Bindegewebe allseitig in einer schmäleren
oder breiteren Schichte umgeben und so aus dem Verbande der
anderen chromaffinen Zellen vollkommen isoliert werden. Ferner
findet man die einzelnen oder zu (Gruppen vereinten Hohlräume
und Lücken häufig an der Grenze zwischen dem Paraganglion
suprarenale und der Nebenniere. Infolge dieser Lage werden sie
dann an ihrer Peripherie zum Teile von den chromaffinen, zum
Teile aber von den Epithelzellen der Nebenniere umgeben.
Die vollständig im Bindegewebe vergrabenen Lücken
könnnen aber auch die Gestalt ganz unregelmässiger Spalten
haben. (Vergl. Fig. 1, Taf. XXI. Mitte der Zeichnung.)
Die interzellulären Hohlräume treten aber noch in einer
anderen Gestalt auf. Man findet nämlich häufig zwischen den
chromaftfinen Zellen schmale, parallelwandige Spalten,
die sofort lebhaft an Sekretkapillaren erinnern.
Diesen Befund beschreibt schon Sw. Vincent (24), Seite 23:
„After treatment with hardening fluids containing bichromate of
potassium, they (chromaffine Zellen) shew a tendency to separate
from each other, leaving clear spaces between them.“
Diese Spalten sind nun entweder von Bindegewebsfasern
ausgekleidet oder sie entbehren eines solchen Wandbelages.
In Fig. 21, Taf. XXII, verläuft zwischen der chromaffinen
Zelle a und b eine solche von zwei schwachen bindegewebigen
Fäserchen ausgekleidete Spalte (sk. kp!).
Am linken oberen Ende der unteren Faser liegt der Quer-
schnitt (qu) einer dritten bindegewebigen Faser. In Fig. 10,
Taf. XXI, sind die chromaffinen Zellen 1 und 2 durch einen
etwas breiteren Spalt (sk. kp) voneinander geschieden, welcher
aber keine bindegewebige Faser enthält. In Fig. 1, Taf. XXI,
ist an der rechten oberen Seite ebenfalls ein kleiner, vom Binde-
gewebe vollständig ausgekleideter Spalt (sk. kp) dargestellt. Sind
nun diese interzellulären kapillarartigen Spalten
u
Die Paraganglien bei den Vögeln. 617
quergetroffen, so können die Querschnitte der leb-
haft gefärbten Bindegewebsfibrillen, die bloss
als runde, schwarzblaue Punkte erscheinen, typische
Schlussleisten vortäuschen.
e Häufig enthalten die Querschnitte dieser kapillären Spalten
nur zwei, seltener mehrere solcher Punkte. Es kommt aber
auch vor, dass die bindegewebigen Fäserchen der benachbarten
chromaffinen Zellen sich streckenweise unmittelbar
aneinander legen, so dass dann in der Lücke scheinbar nur ein
einziges quergetroffenes Fäserchen aufzufinden ist. Dieses ver-
läuft entweder der Wand der Lücke angeschmiegt, oder in ihrem
Zentrum. Im letzteren Falle sieht man dann ohne weiteres, dass
es sich um „Schlussleisten“ nicht handeln kann.
Trachten wir, uns über den morphologischen Charakter dieser
interzellulären Lücken und Spalten Klarheit zu verschaffen, so
muss ich folgendes hervorheben. Um Schrumpfungsprodukte
kann es sich in diesen Fällen auf keinen Fall handeln.
Erstens waren sämtliche Präparate, in welchen die fraglichen
Strukturen beobachtet wurden, stets sorgfältigst in der Mischung
Müllersche Flüssigkeit 9:Formol 1 fixiert gewesen. Nur
ganz vereinzelte chromaffine Zellen zeigten dabei ausnahms-
weise hier und da unwesentliche Schrumpfungen. Gerade
jene Zellen, welche die interzellulären Längsspalten begrenzten,
zeigten einen tadellosen Erhaltungszustand. Sie erfüllten, ohne
die geringsten Schrumpfungen, die bindegewebigen Lücken, in
welchen sie lagen, vollständig. Es ist auch in Fig. 21, Taf. XXL,
zu sehen, wie die feinen bindegewebigen Fäserchen ohne die
geringste Abhebung den chromaffinen Zellen aufliegen. So kommt
es, dass die Spalten, mögen sie nun durch Bindegewebe aus-
gekleidet sein oder nicht, von scharfkantigen und un-
geschrumpften chromaffinen Zellen umgeben werden.
Weitere Gründe, die mich zu der Annahme bestimmen, dass diese
interzellulären Spalten nicht als Kunstprodukte, sondern, um es
gleich zu sagen, als Sekretkapillaren ähnliche, wenn
nicht gleichwertige, Strukturen aufgefasst werden
müssen, sind schliesslich noch ihr relativ häufiges Vorkommen
und der Umstand, dass sie sich ohne Unterbrechung in die
interzellulären, mehr unregelmässig geformten Hohlräume
verfolgen lassen. Sie bilden dann häufig ihre unmittelbare Ver-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 41 f
|
615 Wilhelm Kose:
längerung. In Fig. 21, Taf. XXII, setzte sich die zwischenzellige
vakuolenartige Lücke bei der geringsten Verstellung der Mikro-
meterschraube direkt in den kapillaren Spalt (sk. kp!) fort. Ebenso
sieht man deutlich, wie zwischen die Zelle (ce) und die Kapillare
(gelbes Feld) sich als unmittelbare Fortsetzung des Hohlraumes eine _
ganz schmale längsverlaufende und von Bindegewebe begrenzte
Spalte (sk. kp?) fortsetzt. Dies Verhalten kann stellenweise noch
viel deutlicher werden. In Fig. 13, Taf. XXI, begrenzen die
Nebenniere (nb) und zwei chromaffine Zellen (a. b.) ein aus
mehreren Lücken zusammengesetztes Hohlraumsystem. Von den
Lücken ist hier nur die grösste eingezeichnet worden, weil die
anderen in einer höheren Ebene lagen. Diese Lücke setzt sich
nach links unten in einen ziemlich breiten von Bindegewebe
ausgekleideten Spalt (sk. kp!) fort, der zwischen der Nebenniere
und der einen chromaffinen Zelle weiter verläuft. Bei Verstellung
der Mikrometerschraube öffnet sich diese vakuolenartige Lücke
auch in den kapillaren Spalt (sk. kp?), der sich dann seinerseits
nach oben zu verlängert. Der Spalt (sk. kp!) hat hier schon
den Durchmesser einer Blutkapillare. Ich konnte aber mit
aller Bestimmtheit feststellen, dass es sich nicht um
eine solche handelte. Dieser Längsspalt bildete
vielmehr die unmittelbare Fortsetzung des binde-
gewebigen zwischenzelligen Wabenwerkes.
Zum Schlusse will ich hier noch erwähnen, dass die Ent-
scheidung, ob man es mit zwischenzelligen Lücken oder aber mit
solchen vakuolenartigen Hohlräumen zu tun hat, die innerhalb
der Zellen selbst gelegen sind, nicht immer leicht, manch-
mal sogar unmöglich wird. Die intrazellulären Vaku-
olen liegen häufig in der äussersten Zellperipherie, wie dies später
noch ausführlicher besprochen werden wird. Sie sind dann häufig
nur durch eine äusserst dünne, ein bis zwei Reihen Zellgranula
enthaltende Plasmalage von dem interzellulären Gangsysteme
geschieden. (Vergl. in Fig. 13, Taf. XXII, die in der untersten
Peripherie der Zelle b gelegene grosse Vakuole und Fig. 2,
Taf. XXI, die braune, kernlose chromaffine Zelle in der Mitte
der Zeichnung.) Im letzteren Falle sitzt die Vakuole im äussersten
Ende der birnförmig gestalteten Zelle. Je nach der Schnittrichtung
kann esnun vorkommen, dass der schmale, die Vakuolen umgebende
protoplasmatische Wandbelag nur sehr schwer zu erkennen ist.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 619
Eine andere Frage ist nun die nach der funktionellen
Bedeutung dieses interzellulären weitverzweigten und vielfach
zusammenhängenden Hohlraumsystems.. Vor allem ist seiner
morphologischen Zusammensetzung nach mit Sicherheit aus-
zuschliessen, dass es sich um Kapillaren handelt.
Diese in Frage stehenden Lücken und Spalten enthielten ferner
niemals rote Blutkörperchen, während benachbarte Kapillaren
strotzend mit Blut gefüllt waren, auch fand ich niemals in
ihrer Wand typische Endothelkerne. Die Lücken und Spalten
waren entweder vollständig leer oder mit einer weisslichen, durch
das Nigrosin stellenweise leicht blaugrau gefärbten, homo-
genen, Masse erfüllt. Es gelang mir wenigstens nicht — selbst
mit den stärksten Vergrösserungen — auch nur eine leichte
Granulierung des Inhaltes nachzuweisen.
Betrachten wir die allgemeine Anordnung des zwischen-
zelligen Gang- und Wabensystems übersichtlich, so glaube ich,
dass man auf diese Weise am ehesten zu einer bestimmten Vor-
stellung über seinen geweblichen Charakter gelangen kann. Man
beobachtet öfters, dass die intrazellulären Vakuolen
sich direkt in das zwischenzellige Gangsystem
öffnen. In Fig. 13, Taf. XXH, verschwindet bei der geringsten
Verstellung der Mikrometerschraube der schmale, nur zwei
Granulareihen enthaltende, protoplasmatische Randsaum und es
mündet die grosse, in der untersten Zellperipherie befindliche
Vakuole direkt in das zwischenzellige Wabenwerk. Ich habe
die Zelle (b) absichtlich bei jener Einstellung gezeichnet, bei
welcher die schmale, trennende Protoplasmabrücke scharf zu
sehen war, um zu zeigen, wie dünn ein solcher Wandbelag der
Vakuolen sein kann. Von solchen Stellen aus, an denen die
binnenzelligen Vakuolen nach aussen münden, sind dann die
interzellulären Spalten häufig bis an die Kapillaren und Venen
zu verfolgen. Diese Blutgefässe werden dann streckenweise von
den im Bindegewebe gelegenen Vakuolen und Spalten zum Teile
oder aber vollkommen eingehüllt. Es ist mir aber niemals
gelungen einen sicheren Zusammenfluss der letz-
teren mit dem Blutgefäss-Systeme nachzuweisen. Ich
stelle aber einen solchen damit nicht in Abrede, da nur gelungene
Injektionspräparate eine sichere Entscheidung herbeiführen können.
Ich stelle mir nun vor, dass dieses zwischenzellige Gang-
41*
620 Wilhelm Kose:
system überall dort, wo die chromaffinen Zellen weiter weg von
den Blutgefässen liegen, für die Abfuhr der spezifischen
Zellsekrete zu sorgen hat. Wie wir später sehen werden,
sind, meiner Meinung nach, die innerhalb der chromaffinen
Zellen befindlichen vakuolenartigen Bildungen als Ausdruck
einer gesteigerten Zelltätigkeit aufzufassen. An
allen denjenigen Stellen, an welchen diese Vakuolen sich direkt
in das zwischenzellige Gangsystem öffnen, kann das Zellsekret
leicht und ungehindert abfliessen. Ich glaube aber nach meinen
Beobachtungen schliessen zu müssen, dass es viel häufiger auf
osmotischem Wege in die Sekretbahnen abgegeben wird. Ich bin
ferner der Meinung, dass es sich bei den interzellulären Hohl-
räumen und Spalten um keine präformierten, sondern
um vergängliche, dem jeweiligen Funktionszustande
der Zellen entsprechende Bildungen handelt. Damit
stünde auch im Einklange, dass dieses zwischenzellige Gangsystem
erstens in verschiedenen Abschnitten desselben Paraganglion
suprarenale, zweitens aber auch bei den einzelnen Vögeln eine
verschieden deutliche Entwicklung aufweist. Bei einem einjährigen
Hahne erreichte sie ihren Höhepunkt.
Im Gegensatze zum Paraganglion suprarenale konnte ich
nur ganz ausnahmsweise zwischen den Zellen der Nebenniere
ganz kleine, runde oder mehr längliche Spalten und Lücken
beobachten, ohne dass ich imstande wäre, hierfür eine Deutung
geben zu können.
Es würde mich nun zu weit vom eigentlichen Gegenstande
meiner Arbeit ablenken, wollte ich an dieser Stelle alle jene
Autoren anführen, die in neuerer Zeit bei den übrigen Wirbel-
tieren ein ähnliches zwischen den chromaffinen Zellen gelegenes
Grangsystem beschrieben haben. Ich bin nun der Ansicht, dass
es sich bei den Vögeln um ähnliche, wenn nicht identische
Strukturen handelt.
Die Resultate meiner Untersuchungen sind in kurzer Zu-
sammenfassung folgende:
1. Die Zellen der Nebenniere (Rinde) sind durchaus
nicht gleichmässig angeordnet. Nur eine gewisse Anzahl
von ihnen bleibt zeitlebens in einem typischen epithelialen
Verbande. Von den anderen aber wird jede Zelle für
sich von bindegewebigen Fasern umsponnen, welche direkt
ID
Die Paraganglien bei den Vögeln. 621
von der äusseren Hülle der Zellstränge und Zellgruppen
oder jener der Kapillaren und Venen abzweigen.
Es besteht fast überall ein ununterbrochener Zusammen-
hang der endozellulären plasmatischen Wabenwerke
benachbarter Zellen der Nebenniere, mögen diese nun
durch bindegewebige Fasern getrennt sein oder nicht.
Einzelne Zellstränge und auch ganze Gruppen setzen
sich ausschliesslich aus solchen vollkommen ein-
heitlichen plasmatischen Netzwerken zusammen, in welchen
auch nicht die geringste Andeutung einer
Einteilung in einzelne Zellen wahrzunehmen ist. Nur
eine undeutliche, reihenförmige Anordnung der Kerne
‘zeigt manchmal an, dass diese Grewebspartien durch
Verschmelzung einzelner Zellstränge hervorgegangen sind.
Das Gefäss-System des Paraganglion suprarenale und der
Nebenniere (Rinde) ist ein völlig geschlossenes. Die Wand
aller Kapillaren und Venen besteht aus einem einfachen
Endothel und einer meist dünnen bindegewebigen Faser-
lage. Nur die Anfänge der Vena suprarenalis
sowie diese selbst sind stets von einem reichlicheren
adventitiellen Bindegewebe eingehüllt. In diesem finden
sich auch spärliche glatte Muskelfasern. Die chrom-
affinen und auch die Zellen der Nebenniere werden
überall dort, wo die perivaskuläre Faserlage eine grössere
Stärke besitzt, durch diese von der Gefässwand getrennt.
Umgeben dagegen die bindegewebigen Fasern die Kapil-
laren und Venen nur in einer einfachen Lage, so reichen
die Zellen überall dort, wo die Lücken und Spalten in
letzterer gross genug sind, bis an das Gefässendothel
heran. Aber selbst in jenen Fällen, wo dies nicht der
Fall ist, kann sich das Zellsekret leicht zwischen den
bindegewebigen Fasern seinen Weg zur Gefässwand bahnen.
Die Venen der Nebenniere führen Blut aus dieser und
dem Paraganglion suprarenale.
Es findet sich durch das ganze Paraganglion suprarenale
verbreitet ein interzelluläres Lücken- und Spaltensystem,
welches meiner Meinung nach für die Ableitung der von
den chromaffinen Zellen ausgeschiedenen Stoffe mit zu
622 Wilhelm Kose:
sorgen hat. Ein Zusammenfluss mit den Blutgefässen
konnte nicht mit Sicherheit beobachtet werden.
C. Cytologie des Paraganglion suprarenale.
Die chromaffinen Zellen besitzen keine eigene Membran.
Ihre Gestalt ist, wie dies auch die verschiedenen Autoren an-
geben, eine unregelmässige. Eberth (2), Seite 509, sagt: Die
Zellen sind „in den medullären Partieen (d.h. „Marksubstanz“ )
mehr polymorphe, meist cylindrische und polygonale Elemente.“
v. Brunn (Il), Seite 627, gibt an: „Die Längsachse sowohl der
Markzellenconglomerate wie der einzelnen Zellen geht parallel
zum Zuge des Bindegewebes.“ Nach H. Rabl (20), Seite 518,
zeigen die chromaffinen Zellen folgende Formen: „Die echten
Markzellen besitzen einen Durchmesser von 0,017—0,019 mm
und sind rund bis oval, polygonal oder unregelmässig sternförmig
gebildet.“ Sw. Vincent (24), Seite 23, beschreibt die chrom-
affınen Zellen wie folgt: „The medullary cell-columns (Pl. XVII,
Fig. 14 me.) are smaller than the cortical, and shew no regular
glandular arrangement of the cells. These are considerably larger
than the cortical cells and more irregular in shape.“ R. Minervini
(19), Seite 487, der wie schon erwähnt die Epithelzellen der Neben-
niere (Rinde) und jene des Paraganglion suprarenale für identische
Zellen hält, beschränkt sich bezüglich der chromaffınen Zellen
auf folgende ganz allgemein gehaltene Angaben, ohne im ge-
ringsten die auffallenden cytologischen Differenzen anzugeben, die
zwischen den Zellen der Nebenniere und jenen des Markes
bestehen. Minervini sagt: „Dans les preparations traitdes
par les solutions chromiques, on voit que toute la masse de
l’organe a pris une tres faible teinte jaune, mais certains cordons
seulement sont plus fortement colores en jaune fonce. Ces cordons
speciaux et groupes de cellules chromophiles sont ordinairement
plus petits que les autres et disseminds irregulierement de facon
a donner aux sections un aspect jaspe, comme si ces elements
plus fonees remplissaient les interstices entre les gros cordons
incolores.“
Neben polygonalen Zellen liegen mehr rundliche oder läng-
liche, manchmal sind sie ganz unregelmässig geformt. Die
chromaffinen Zellen besitzen eben die Gestalt derjenigen binde-
gewebigen Maschen und Körbe, in welchen sie liegen und welche
Die Paraganglien bei den Vögeln. 623
sie für gewöhnlich vollkommen ausfüllen. Manchmal sind die
Zellen flach und länglich und an einer Seite in einen längeren
Fortsatz ausgezogen. Dabei handelt es sich aber nicht um faden-
artige Bildungen, sondern der ganze Zelleib verschmälert und
verlängert sich an dieser Stelle in der Art eines Fortsatzes. Die
Figuren auf Taf. XXI u. XXII enthalten eine kleine Auswahl der
verschiedenen Zellformen.
Der Durchmesser der chromaffınen Zellen schwankt in sehr
bedeutenden Grenzen. Infolge der ganz unregelmässigen Gestalt
der chromaffinen Zellen müsste man eigentlich, um sich eine
annähernd richtige Vorstellung von ihrer Grösse bilden zu können,
stets für ein und dieselbe Zelle viele Durchmesser angeben. Ich
beschränke mich daher auf die blosse Mitteilung, dass die grössten
von mir gemessenen Durchmesser 0,016—0,017 mm betrugen.
H. Rabl (20) Seite 518, gibt solche von 0,017—0,019 mm an.
Bei Besprechung der Verteilung des Bindegewebes haben
wir gesehen, dass die allermeisten chromaffinen Zellen einzeln
vom Bindegewebe umsponnen werden. Trotzdem grenzen sie in
den Lücken der perizellulären Gitter epithelartig aneinander.
Bei einer Anzahl von Zellgruppen machte es aber den Eindruck,
als ob die Zellen ohne ein trennendes Zwischengewebe in mehr
minder breiter Ausdehnung aneinander stossen würden. Auch
der syneytiale Aufbau gewisser Abschnitte des Paraganglion supra-
renale wurde bereits genauer geschildert, ebenso die zwischen
den Zellen verteilten Sekretspalten und Lücken. Ich verweise
daher auf die betreffenden detaillierten Angaben.
Bei einem einjährigen Hahne fand ich häufig eine ganz
eigentümliche Verbindungsart zweier benachbarter chromaffıner
Zellen. Die kleinere von beiden schob sich mehr minder weit in
eine in der Peripherie der anderen Zelle gelegene halbkreis-
föormige Ausbuchtung vor (Fig. 12, Taf. XXI). Fast regelmässig
war die kleinere Zelle leuchtend gold- oder mehr strohgelb und
deutlich granuliert, die grössere dagegen schmutzig grün- oder
bräunlichgelb ; ihre Granulierung erschien häufig verwischt. Manch-
mal war die kleine gelbe Zelle so weit in die grosse eingelagert,
dass sie fast an ihrer ganzen Peripherie von der letzteren um-
geben wurde. Ich war niemals imstande, zwischen den zwei
Zellen Bindegewebsfasern aufzufinden. Die Schnitte, in welchen
ich diese eigentümliche Anordnung beobachtete, waren 5 « dick
624 Wilhelm Kose:
und enthielten fast überall nur eine Zellage. Es war mit aller
Bestimmtheit auszuschliessen. dass es sich hier um eine gegen-
seitige Überlagerung der Zellen handelte. Ich brauche wohl erst
nicht zu erwähnen, dass an manchen Stellen ähnliche Bilder auch
auf die letztere Art zustande kommen können.
Durch alle chromhaltigen Fixierungsgemische werden die
chromaffinen Zellen des Paraganglion suprarenale lebhaft gelb
gefärbt. Es bleibt da ganz gleich, ob man reines 3°/o Kaliumbichromat
oder die Müllersche Flüssigkeit oder aber beide mit einem
Zusatze von Formol verwendet. In solchen Schnitten, die nicht
anderweitig nachgefärbt wurden, machten sich wohl in der Inten-
sität und Nüance der gelben Farbe der einzelnen Zellen
gewisse Unterschiede bemerkbar, niemals aber färbten sich
die Zellen ausgesprochen braun. Bloss bei den Hühnern
und den Tauben machen manche Zellen insofern eine Ausnahme,
als sie verschieden viele ganz spezifische Granula enthalten,
die sich im Gegensatze zu dem übrigen Zellinhalte, der lebhaft
gelb bleibt, intensiv braun färben. Meist sind diese Granula
nicht so zahlreich, dass man berechtigt wäre von braunen Zellen
zu sprechen. Nur spärliche Zellen sind von diesen braunen
Granulis so dicht erfüllt, dass auf sie die obige Bezeichnung
angewendet werden könnte. Die gelbe Farbe der chromaffinen
Zellen ändert sich aber in auffallender Weise, sobald man die
Schnitte mit den verschiedenen Kern- und Plasmafarbstoffen nach-
färbt. Davon soll später die Rede sein.
3evor ich nun das oben erwähnte eigentümliche Vorkommen
der braunen Granula beschreibe muss ich hier erwähnen, dass die ver-
schiedenen Autoren bezüglich der Färbung der chromaffinen Zellen
in Chromatlösungen bald von gelben und bald von braunen Zellen
sprechen. So erwähnt v. Brunn (1) auf S. 625: „Diese sog.
Rindensubstanz ist in Strängen, die ungeordnet, etwa wie die
Tubuli contorti der Niere, erscheinen, gleichmässig durch das
ganze Organ verbreitet, während die braun gefärbte Substanz in
den zwischen diesen Strängen freibleibenden Räumen liegt, ebenso
durch das ganze Organ verbreitet.“ Eberth (2) drückt sich
auf S. 513 folgendermassen aus: „Beim Menschen erfolgt nur
eine leichte Bräunung gegenüber der intensiven Färbung bei
dem Rind, Schwein, Hund, der Katze, dem Igel, Meerschweinchen,
IKaninchen, der Maus und Ratte, der Taube, Ente, dem Huhne,
Die Paragenglien bei den Vögeln. 625
der Schildkröte und Eidechse, dem Frosch und Salamander.“
H. Ra b1(20) gebraucht auf S. 518 den Ausdruck gelblich-braun :
» : . . der Zelleib färbt sich intensiv mit Kernfärbemitteln
und gelblich- braun in Chromsäure und chromsauren Salzen.“
Sw. Vincent (24) wieder spricht nur von einer braunen Färbung:
„Ihe most distinet feature of these cells is the brown pigmen-
tation which oceurs after such treatment“ (bichromate of potassium).
Die betreffende Stelle aus R. Minervinis (19) Arbeit S. 487
lautet: „.. .. mais certains cordons seulement sont plus
fortement colores en jaune fonce. es cordons speciaux et
groupes de cellules chromophiles . . . .*
Die gelbe Farbe der chromaffinen Zellen ist in erster Reihe
an die Granula, dann aber auch an das spärliche zwischen ihnen
verteilte eigentliche Plasma gebunden. Die Granula sind kleine,
runde, meist scharf begrenzte und stark lichtbrechende Kügel-
chen oder Körnchen, seltener mehr unregelmässige Bröckchen.
Die allermeisten Granula sind fast gleich gross; etwas grössere
sind öfters unter den kleineren ganz unregelmässig verstreut.
Die Granula liegen für gewöhnlich so dicht beisammen, dass es
den Anschein hat, als ob die chromaffinen Zellen ausschliesslich
von ihnen erfüllt würden. Durch Anwendung der Fixierungs-
gemische von Carnoy, absolutem Alkohol oder Sublimat-Kochsalz
werden stets verschieden viele Granula aus den chromaffınen
Zellen extrahiert. Hier sieht man nun, dass sich zwischen den
Granulis noch eine dünne Schichte Protoplasma in Gestalt feinster
Fädchen (fixiertes Präparat!) ausspannt. Diese können selbst
wieder in allerfeinste staubartige Körnchen zerfallen.
Nicht alle chromaffinen Zellen sind gleich deutlich granuliert.
Aber selbst in jenen Zellen, welche auf den ersten Blick wenig
oder keine Granula zu besitzen scheinen, waren diese bei starker
Abblendung, wenn auch nur sehr verschwommen, wahrzunehmen
(Fig. 10 u. 12, Taf. XXI). Völlig granulafreie Zellen habe
ich bei keiner Fixierungsmethode aufgefunden, dagegen findet
stellenweise eine Einschmelzung der Granula statt. Dieser
Vorgang wird später ausführlich besprochen werden. Bezüglich
der Deutlichkeit in der Granulierung der chromaffinen Zellen
siehe folgende Figuren. In Fig. 2, Taf. XXI, sind die braunen
Zellen entschieden deutlicher als die gelben granuliert. (In der
Reproduktion der Zeichnung ist dies nicht so deutlich zu sehen.)
526 Wilhelm Kose:
Dieser Schnitt wurde nach Hansen gefärbt. Die braune Farbe
vieler chromaffinen Zellen ist aber nur eine Mischfarbe zwischen
ihrem ursprünglichen Gelb und dem Rot des Säurefuchsins.
Vergl. auch Fig. 3, Taf. XXI, Zelle 4 u. 2, ebenso Fig. 10, 11, 12,
Taf. XXIl. Die‘ Fig. 1, Taf. XXI, ferner Fig. 6, 7,9, "Taf. X
zeigen, dass auch die gelben Zellen von deutlichen Granulis
durchsetzt sind. |
Wurden die chromaffinen Zellen in der Mischung M üllersche
Flüssigkeit 9: Formol 1 gut fixiert (andere Gemische wurden
diesbezüglich nicht angewendet), dann bewirkt auch tagelanges
Liegen der Schnitte in Chloroform oder Benzin bei einer
Temperatur von 40° ©. im Brutschranke, oder absolutem
Alkohol und Aether absolut bei 20° R. Zimmertemperatur
nicht die allergeringste Veränderung im Aussehen oder der Gelb-
- färbung der chromaffinen Zellen.
Eine verschieden grosse Anzahl von Granulis kann, wie
schon oben erwähnt, während des Lebens eine Einschmelzung
erfahren. Das Plasma vieler chromaffiner Zellen ist nämlich —
auch bei Fixierung der Präparate in Müller, oder Kalium-
bichromat-Formol — von einer verschieden grossen Anzahl leerer
vakuolenartiger Hohlräume durchsetzt. Der Einfachheit halber
will ich diese als Vakuolen bezeichnen und vor allem ihr
morphologisches Verhalten und ihre Verteilung genauer schildern.
Das Vorkommen der Vakuolen ist durchaus nicht an bestimmte
Abschnitte des Zellplasmas gebunden, sie sind vielmehr ganz
unregelmässig im Zellinnern verstreut. Fig. 11, Taf. XXII. Manche
Zellen enthalten eine so grosse Anzahl von diesen Vakuolen, dass
das Plasma nur als ein dünner Wandbelag zwischen den letzteren
aufgespart bleibt. Dadurch werden die betreffenden Zellen oft
bis zur Unkenntlichkeit verändert. Öfters legen sich einzelne
Vakuolen unmittelbar an den Kern, dabei kann es vorkommen,
dass letzterer eine seichte Einbuchtung besitzt, in welche die
Vakuole eingebettet ist. Fig. 2, Taf. XXI, Vak 5. Vergl. auch
Fig. 13, Taf. XXI. Die chromaffine Zelle b. enthält in ihrer
oberen Hälfte drei nebeneinander liegende, nur durch ganz dünne
Plasmaschichten voneinander getrennte, mehr länglich - ovale
Vakuolen. Die unterhalb des Kernes befindliche Vakuole ist
länglich und entstand allem Anscheine nach durch die Vereinigung
dreier nebeneinander liegenden Vakuolen. Diese grosse Vakuole
Die Paraganelien bei den Vögeln. 627
© < c
überlagerte bloss den Kern, ohne ihn im geringsten einzubuchten.
Die punktierte Linie, die am oberen Rande die Vakuole über-
schneidet, gibt bei veränderter Einstellung die unteren Kern-
grenzen an.
Die Vakuolen sind entweder vollkommen leer und dann
rein weiss, oder aber sie sind von einem homogenen Inhalte er-
füllt, der entweder fast farblos ist, häufiger aber die jeweilige
Farbe des Plasmas zeigt. Vergl. Fig. 6, 7, 9, 10, Taf. XXIl. Die
sämtlichen kleinen kreisrunden Vakuolen sind von einer homogenen
gelben oder schmutzig grünen Substanz erfüllt. Die Grösse
der einzelnen Vakuolen schwankt bedeutend. Es bestehen zwischen
den allerkleinsten, die kaum wahrnehmbar sind (Fig. 12, Taf. XXI,
zwei kleine weisse Vakuolen in der Zellmitte) und den ganz
grossen, die den Kern sogar an Ausdehnung übertreffen können,
alle möglichen Übergänge. Viele Zellen enthalten ausschliess-
lich die kleinen, andere wieder nur die grossen Vakuolen. Sehr
häufig findet man die verschiedensten Vakuolen in ein und der-
selben Zelle. Sämtliche Vakuolen sind scharf begrenzt und ent-
behren einer eigenen Wand.
Wie entstehen nun diese Vakuolen im Innern der chrom-
affinen Zellen? Die Antwort auf diese Frage kann ich nur in Form
einer subjektiven Anschauung geben. Betrachten wir die kon-
tinuierliche Reihe, die man ohne weiteres von den allerkleinsten
bis zu den grössten Vakuolen aufstellen kann, dann drängt sich
einem ganz von selbst die Vermutung auf, dass erstere den
morphologischen Ausdruck für die Anfangs-, letztere aber für die
vorgeschrittenen Stadien einer spezifischen Zelltätigkeit bilden.
Die im Plasma verteilte tropfenartige Substanz, durch deren
Fehlen eben die Vakuolen zustande kommen, besitzt offenbar
eine ähnliche chemische Zusammensetzung wie das Plasma selbst,
da sie dieselben Farbenreaktionen gibt. (Fig. 6, 7, 9, 10, Taf. XXII.)
Die kleinsten Vakuolen sind oft nur so gross, dass nur zwei bis drei
Zellgranula in ihnen enthalten sein könnten. Wenn sie mit
einem dem Plasma gleichgefärbten Inhalte erfüllt sind, entgehen
sie leicht der Beobachtung. Kleine und grosse Vakuolen liegen
häufig unmittelbar nebeneinander. An der Grösse und Form
vieler Vakuolen ist es leicht erkenntlich, dass sie durch eine
Vereinigung benachbarter Vakuolen hervorgegangen sind. (Fig. 13,
Taf. XXIL) Es wäre aber noch ein anderer Entstehungsmodus
628 Wilhelm Kose:
der grösseren Formen auf die Weise denkbar, dass im Umkreise
der kleineren Vakuolen eine konzentrisch fortschreitende Ein-
schmelzung der Zellgranula stattfändee Man könnte mir hier
den Einwand machen, und ich selbst habe auch schon daran ge-
dacht, dass die Granula bei Bereitung der fraglichen Tropfen
gar nicht aufgelöst zu werden brauchten. In diesem Falle würden
aber die Granula durch die zwischen sie ausgeschiedene Substanz
auseinander gedrängt werden und in der Peripherie der Vakuolen
besonders dicht angehäuft sein, was niemals der Fall war.
Nur diejenige Lage von Granulis, welche den Vakuolen unmittel-
bar anliegt, färbt sich manchmal etwas lebhafter und täuscht so
eine eigene Wandschichte vor.
Vergleiche ich meine sämtlichen Befunde, dann komme ich
zu der Überzeugung, dass von den chromaffinen Zellen durch
Einschmelzung einer verschiedenen Menge von Granulis spezifische
Stoffe gebildet werden, die in Gestalt grösserer oder kleinerer
Tropfen in den Zellen ganz unregelmässig verteilt sind. Diese
Substanz fehlt häufig im fixierten Präparate. Diese Stellen er-
scheinen im mikroskopischen Bilde als rein weisse, scharf kontou-
rierte, vakuolenartige Hohlräume.
Ich kann keine näheren Angaben über die chemische Zu-
sammensetzung dieser Sekrettropfen machen, ich will nur nochmals
hervorheben, dass sie sich fast stets genau so wie das übrige
Plasma resp. die Granula färben. Als eine weitere Stütze für
meine Anschauung möchte ich die Tatsache anführen, dass diese
intrazellulären Vakuolen sich öfters in das zwischenzellige Gang-
system direkt öffnen, das meiner Ansicht nach zur Ableitung der
Zellsekrete dient. (Vergl. Seite 619.)
Wenn auch eine grosse Anzahl von chromaffinen Zellen
von diesen Sekrettropfen durchsetzt ist, so ist das Vorkommen
der letzteren doch kein so gesetzmässiges, um daraus den Schluss
ziehen zu dürfen, dass dies die einzige Art sei, auf welche die
chromaffinen Zellen ihr Sekret bilden. Ich bin vielmehr
der Meinung, dass dies häufiger noch auf eine
mikroskopisch nicht wahrnehmbare Art durch Ab-
gabe flüssiger Stoffe stattfindet. Die Einlagerung der
tropfenartigen Substanz würde nur den morphologischen Ausdruck
einer ganz spezifisch differenzierten Tätigkeit einer
beschränkten Anzahl chromaffiner Zellen darstellen. Ich muss
Die Paraganglien bei den Vögeln. 629
noch an dieser Stelle erwähnen, dass ich öfters im Innern der
grossen Venen des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere
in gehäufter Menge Granula vorfand. die jenen der chromaffinen
Zellen sehr ähnlich waren.
Und nun gehe ich über zur Beschreibung des früher erwähnten
Befundes dunkelbrauner Granula im Innern der chrom-
affinen Zellen von Hühnern und Tauben. — Siehe Fig. 3, Taf. XXI.
Diese vier Zellen entstammten dem Paraganglion suprarenale einer
alten Henne. Der Schnitt wurde nach der Methode von Mallory-
Stöhr gefärbt. Das Bindegewebe nahm dabei eine viel hellere
blaue Farbe, als bei der Methode von Freebornan. Sämtliche
chromaffine Zellen waren mehr minder intensiv gelbgrün. In
der Zelle-2 und 3 liegt in der Nähe des Kernes je ein stumpf
dreieckiges goldgelbes Feld (fı und f2), welches eine Menge ver-
schieden grosser, mehr minder lebhaft braun gefärbter Granula
enthält. Diese Felder befinden sich durchaus nicht immer in
der Nähe des Kernes wie in Zelle 1, 2 und 3. Fig. 4 z.B. ist
der periphere Abschnitt einer chromaffinen Zelle, der weiter vom
Kern entfernt, ein Häufchen der braunen Granula enthielt.
Häufig ist nur ein einziges gelbes Feld, ebenso oft aber zwei oder
mehrere in ein und derselben Zelle vorhanden. Im letzteren
Falle sind die Felder kleiner (Fig. 3, Taf. XXI, Zelle 3).
Bei der Anwendung verschiedener Kernfarbstoffe, durch
welche das Plasma sich lebhaft färbt, bleiben diese Felder stets
goldgelb oder schwach gelblichweiss und die in ihnen enthaltenen
Granula braun. Nach der Färbung mit Hämatoxylin Delafield,
Mallory, ferner mit dem Freebornschen Gemische treten
diese Felder besonders schön hervor. Extrahiert man die nach
Heidenhain mit Hämatoxylin-Eisenalaun tief schwarz gefärbten
Schnitte sehr langsam, so erscheinen diese Felder bereits zu
einer Zeit, zu welcher das übrige Plasma noch schwärzlich ge-
blieben ist. Bei Nachbehandlung der Schnitte mit Plasma-
farben färbten sich diese Felder gewöhnlich mit, und nur bei
Anwendung von Cochenille-Alaun bewahrten sie teilweise ihre
gelbe Farbe. Einige Felder wurden auch durch das Hämatoxylin
(Delafield) schwach grünlich gelb.
Die einzelnen gelben Felder enthalten eine sehr verschiedene
Anzahl von Granula. Diese sind entweder gleich gross oder aber
es liegen mitten unter den kleinen Körnchen bedeutend grössere,
630 Wilhelm Kose:
mehr unregelmässige Bröckchen. Die braunen Granula sind für
gewöhnlich merklich grösser als die übrigen typischen Zellgranula,
doch überschreiten manche von den ersteren nicht die Grösse
der letzteren. Oefters lagen die gruppenweise gehäuften braunen
Granula in vakuolenartigen Hohlräumen. Der gelbe, von den
Granulis durchsetzte Inhalt hatte sich von der Wand der Vakuole
gewissermassen zurückgezogen. (Fig. 3, Taf. XXI, Zelle 4.) Die
braunen Granula sind sehr stark lichtbrechend und leuchten bei
einer gewissen Einstellung in einer goldgelben Farbe auf. Die
gelben Felder zeigen öfters zwischen den braunen Granula keine
eigene Struktur. Häufig aber sind sie nur scheinbar ohne eine
solche. Viele der gelben Felder enthalten nämlich ausser den
braunen Granula noch eine verschieden grosse Anzahl goldgelber
Tröpfchen, die, wenn sie dicht beisammen liegen, leicht eine
homogene gelbe Grundsubstanz vortäuschen. Auch dadurch kann
das Bild einer solchen hervorgerufen werden, dass die tiefer
liegenden Granula bei scharfer Einstellung der oberen Schichte
als goldgelbe winzige Kreise erscheinen. Es gibt nun eine ganze
Anzahl von chromaffinen Zellen, welche keine goldgelben Felder
enthalten, in welchen aber verschieden viele rostbraune Granula
ganz unregelmässig im Zellinnern verstreut sind. (Fig. 1, Taf. XXI.
Die chromaffinen Zellen in der Mitte). Aber auch im Plasma
jener Zellen, die von den gelben Feldern durchsetzt sind, findet
man entweder in der Nähe der letzteren oder weiter von ihnen
entfernt die braunen Granula. (Fig. 3, Taf. XXI, Zelle 1, 2, 3.)
Diese im Plasma verstreuten einzelnen Granula möchte ich als
freie Granula bezeichnen.
Das Plasma der chromaffinen Zellen besitzt eine lebhafte
Affinität zu den verschiedensten Kern- aber auch Plasma-
farbstoffen. Es wurden an Schnitten von in Müller- oder
Kaliumbichromat-Formol und Sublimat-Kochsalz fixierten Para-
ganglien mehrerer Hühner, Tauben, einem Kreuzschnabel
und einer Amsel stets folgende Farbstoffe ausprobiert. Kernfarb-
stoffe: Hämatoxylin (Delafield, Mallory, Heidenhain),
Bismarckbraun, Thionin, Methylgrün, Saffranin, Cochenille-Alaun.
Plasmafarbstoffe: Bleu de Lyon, Pikrinsäure, Gold-
orange, Eosin, Neutralrot, Säurefuchsin (1:500 Aq.), Gemisch
von Ehrlich, Biondi oder R. Heidenhain, Triaeid (Mayer),
dies letztere nur bei einem Huhne.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 631
Bei allen Paraganglia suprarenalia war die Reaktion eine
gleiche, auch die ausserhalb gelegenen Paraganglien zeigten die-
selben Farbennüancen. Die einzelnen chromaffinen Zellen desselben
Paraganglion suprarenale, oft ein und desselben Stranges, färben
sich in sehr verschiedenem Grade mit den einzelnen Farbstoffen.
Die infolge dieses Umstandes erzielten Bilder lassen an Mannig-
faltigkeit nichts zu wünschen übrig. Entweder besitzen grössere
oder kleinere Zellbezirke eine mehr gleichmässige Farbe, oder
aber es wechseln in bunter Reihenfolge stärker und schwächer
gefärbte Zellen miteinander ab. Manchmal liegen einzelne ganz
besonders intensiv gefärbte Zellen mitten unter ganz schwach
tingierten. Die schönsten diesbezüglichen Präparate erzielt man
bei Nachfärbungen mit Hämatoxylin (Delafield, Mallory,
Heidenhain). Die chromaffınen Zellen färben sich wohl im
grossen ganzen lebhafter mit den Kern-, als mit den Plasma-
farbstoffen, aber auch mit letzteren erreicht man prachtvolle
Bilder, die häufig denen mit Kernfarbstoffen hervorgebrachten
nicht nachstehen. Sowohl bei der Anwendung von Kern- als
auch Plasmafarbstofien findet man stets eine Anzahl von Zellen,
die sich fast gar nicht gefärbt haben und daher mehr minder rein
gelb geblieben sind. Sig. Mayer (18) hat in einer interessanten
Arbeit von der Reaktion der chromaffinen Zellen bei Amphibien
nach Fütterungsversuchen mit Neutralrot berichtet. Durch seine
und Kohns (10) Angaben beeinflusst, versuchte ich dem soeben
getöteten Vogel entnommene Stükchen des Paraganglion suprarenale
und des Plexus coeliacus mit einer durch Neutralrot nur
ganz schwach gefärbten Kochsalzlösung (0,75°/,) zu färben. Im
Zupfpräparate verschleiern die massenhaften gelben Tröpfchen
und Granula das Bild und es gelingt nur schwer, schön gefärbte
chromaffine Zellen zu entdecken. Dagegen waren die im Plexus
coeliacus enthaltenen Zellen schön rot gefärbt. Aber auch in
den Schnitten fixierter Präparate (M ülle r-Formol) bekommt man
mit derselben dünnen Lösung, je nachdem man kürzer oder länger
färbt (bis 24 Stunden), eine prachtvolle Tingierung des Plasmas
und auch vieler Kerne. Die Eigenschafteiner Anzahl von chromaffinen
Zellen, die Farbstoffe in sehr verschiedenem Maße aufzunehmen,
tritt in einer auffallenden Weise in solchen Präparaten hervor,
die mit irgend einer Säurefuchsin enthaltenden Mischung,
in erster Linie mit der von Hansen angegebenen Säurefuchsin-
632 Wilhelm Kose:
Pikrinsäurelösung behandelt wurden (Fig. 2, Taf. XXD). Man sieht
hier. wie neben den hellgelben Zellen, deren Eigenfarbe durch
die Pikrinsäure oft noch viel intensiver wurde, bräunlichgelbe
oder braunrötliche liegen, die im Gegensatze zu den ersteren
eine gesteigerte Affinität zu dem Säurefuchsin aufwiesen. Diese
braunrote Färbung des Plasmas kann aber wieder durch Waschen
der Präparate in Leitungswasser oder schwachem 30°/o Alkohol
vollständig entfernt werden, selbst wenn man dazu ältere Präparate
nimmt, die schon Monate in Xylol-Canadabalsam eingeschlossen
waren. Ebenso verblassen die mit Eosin und Neutralrot
erzielten Färbungen von selbst nach längerer Zeit.
An einem mit Cochenille-Alaun durchgefärbten und
einige Jahre im Alkohol (96°/o) aufbewahrten Paraganglion
suprarenale eines Kätzchens machte ich ebenfalls die
Beobachtung, dass die chromaffınen Zellen wieder vollständig
hellgelb geworden waren.
Ich glaube daraus schliessen zu dürfen, dass es sich bei den
verschiedenen Färbungen der chromaffinen Zellen weniger um
eine chemische Bindung der betreffenden Farbstoffe, sondern
vielmehr um einen physikalischen Vorgang handeln muss.
Die Kerne der chromaffinen Zellen zeigen in bezug auf
ihre Grösse, Form und Struktur ebenfalls merkliche Verschieden-
heiten. Entweder sind sie rund, oder mehr oval, dann wieder
länglich elliptisch, seltener mehr unregelmässig. (Vergl. die sämt-
lichen Figuren auf Taf. XXIu. XAXII). Ihre Durchmesser schwanken
zwischen 0,004—0,008 mm. Im ganzen wurden weit über hundert
ganz genaue Messungen bei verschiedenen Vögeln vorgenommen.
Die Kerngrössen bleiben sich bei den verschiedenen Vögeln aller
Arten innerhalb der angegebenen Grenzwerte gleich. Nur bei
einem einjährigen Hahne erreichten viele Kerne eine Aus-
dehnung von 0,008S—0,009 mm. Als Beispiel seien hier einige
Kernmassen angeführt:
Kern (a). 0,004—0,004 mm
„. .(b). 0,004—0,005 ,
-:'r(e):8501004--0,00647 „
„. (d). 0,005—0,005 „
„. (e). »0,005—0,006 ,
4(f)e: 0,006-=0,008° ;;
„.(@. 0,008—0,008 „
Die Paraganglien bei den Vögeln. 633
Die grossen Kerne sind deutlich konturiert und besitzen
entschieden eine sog. Kernmembran. Sie enthalten ein
oder zwei, seltener mehrere grosse Kernkörperchen. Gewöhnlich
liegt das letztere, wenn es in der Einzahl vorhanden ist, mehr
im Innern des Kernes, es kann aber auch der Kernmembran
mehr genähert sein, oder ihr direkt anliegen. Die kleineren
Chromatingranula sind ganz unregelmässig im Kerninnenraum
verstreut, manchmal liegen sie perlschnurartig an der Kern-
membran. Zwischen den Chromatingranula befindet sich für ge-
wöhnlich eine nur ganz schwach gefärbte, wolkig-staubige, aufs
feinste granulierte, oder aber leicht fädige Masse. Stellenweise
fehlt in manchen Kernen ein wahrnehmbarer Inhalt. Viele der
grossen Kernkörperchen sind sehr stark lichtbrechend und er-
scheinen bei einer bestimmten Einstellung als dunkelgelbe häufig
deutlich konturierte oder von feinsten Körnchen begrenzte Felder.
In den Fig. 1 u. 2, Taf. XXI, und Fig. 12, Taf. XXII sind die
meisten Kernkörperchen bei dieser Einstellung gezeichnet.
Die kleinen Kerne sind oft gar nicht scharf kontouriert
und mit einer sich lebhaft färbenden mehr homogenen Substanz
zwischen den Chromatinbrocken erfüllt. Sie besitzen öfters eine ganz
unregelmässige Gestalt (Fig. 17 Taf. XXII). Diese chromaffıne
Zelle war genau so gefärbt und granuliert wie jene in Fig. 19,
Taf. XXII. Da es sich mir in diesem Falle hauptsächlich um die
Kernform handelte, so habe ich die Zeichnung so vereinfacht.
Der genau so wie in Fig. 10 lebhaft graublau gefärbte Kern
besass eine ganz unregelmässige Gestalt und an seiner oberen
Peripherie eine Delle. Von einer Innenstruktur war nichts wahr-
zunehmen. In seiner Nähe lag im Plasma ein runder, genau so
wie der Kern, nur etwas schwächer gefärbter Körper, der die
Grösse und Gestalt eines grossen Kernkörperchens hatte. Ich
kann nicht sagen, um was für eine Bildung es sich da handelt,
muss aber erwähnen, dass ich solche runde Körper öfters in der
Nähe der kleinen Kerne beobachtet habe. Die kleinen Kerne
färben sich häufig so intensiv, dass von ihrer Innenstruktur gar
nichts oder doch nur sehr wenig zu sehen ist. Vergl. Fig. 15, 16,
Taf. XXII. Diese Zellen glichen vollkommen der in Fig. 17 ab-
gebildeten. Alle drei Figuren waren nach der Methode von Free-
born gefärbt und entstammten dem Paraganglion suprarenale
des einjährigen Hahnes. Manche von den grösseren Kernen
Archiv f. mikrosk. Anat. Bad. 69. 42
634 Wilhelm Kose:
besitzen ebenfalls, nach einer Färbung mit Hämatoxylin Dela-
field, Mallory oder dem Gemische von Freeborn, auch
wenn sie nur schwach tingiert sind, eine verwaschene Struktur.
Vergl. Fig. 6, 7, 9 (Paraganglion: suprarenale einer erwachsenen
Henne; Färbung nach Freeborn). Ganz besonders schön tritt
diese Erscheinung in solchen Schnitten auf, die nach Hansen,
dann aber auch mit sämtlichen anderen, Säurefuchsin enthaltenden
Gemischen gefärbt wurden. Sehr viele Kerne werden dabei
intensiv rot (Fig. 2 Taf. XXI). Bei den am meisten tingierten
Kernen ist eine Innenstruktur kaum oder gar nicht wahrzunehmen.
Es kann dies aber in derselben Weise auch bei den nur schwach
rötlichen Kernen der Fall sein.
Eine verschiedene Anzahl von Kernen besitzt die merk-
würdige Eigenschaft, sich mit den verschiedenen Plasmafarb-
stoffen lebhaft zu tingieren. Hier will ich noch erwähnen,
dass ich bei keinem Vogel Teilungsfiguren im Paraganglion
suprarenale auffinden konnte.
Es fragt sich nun, ob aus der verschiedenen Beschaffenheit
des Plasmas und der Kerne ein Rückschluss auf den physio-
logischen Zustand der einzelnen chromaffinen Zellen gezogen
werden kann. Hier unterstützen mich die Befunde, die ich an
dem Paraganglion suprarenale einer ausgewachsenen Taube erhob,
die während zweier Tage hungern gelassen wurde. Alle chrom-
affınen Zellen waren in hohem Masse geschrumpft, oft bildeten sie
nur dünne, längliche Protoplasmabrücken. Fast alle Kerne waren
klein und enthielten nur selten grössere Kernkörperchen. Aus-
nahmsweise nur fand ich die grösseren Kernformen. Alle Kerne
und das Protoplasma der allermeisten Zellen färbten sich mit
den verschiedenen Kern- und Plasmafarbstoffen viel intensiver
als es sonst der Fall war. Da es sich hier mit Sicherheit um
ermüdete oder erschöpfte Zellen gehandelt hat, so glaube ich,
dass auch bei gut genährten Vögeln die Kleinheit und lebhafte
Färbung vieler Zellen als Ausdruck einer weit vorgeschrittenen
Tätigkeit aufzufassen ist. Bei verschiedenen Vögeln, besonders
schön bei einer Nestdrossel und einer Krähe, fand ich noch
mitten unter den mit Cochenille lebhaft braunrot gefärbten Zellen
solche mit goldgelb gebliebenem Plasma. Diese goldgelben Zellen
setzen sich durch ihren feineren Aufbau in einen gewissen Gegen-
satz zu den anderen chromaffinen Zellen. Ihr Plasma war näm-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 635
lich in Form feinster Netzwerke angeordnet, deren Lücken keine
Granula enthielten. Ein anderer Teil dieser goldgelben Zellen
erwies sich aber in typischer Weise granuliert. Die Kerne
sämtlicher goldgelber Zellen waren klein, rund, dunkel gefärbt.
Nur wenige von ihnen zeigten eine erkennbare Innenstruktur;
die anderen bildeten gleichmässig gefärbte homogene Scheiben
oder mehr unregelmässige Körper (vergl. Fig. 24 b, Zellen 11,
Taf. XXIII). Die goldgelben Zellen setzten verschieden grosse
Gruppen zusammen und glichen vollständig jenen goldgelben
Zellen, die ich im letzten Kapitel 7. Abschnitt VIII, genauer
beschreiben werde. Ich verweise daher auf das an dieser Stelle
Gesagte. Vergl. hier auch Fig. 20a und 20b, Taf. XXVI zweiter Teil
der Arbeit. Man ersieht aus diesem Befunde, dass die goldgelben
chromaffinen Zellen nicht bloss in den peripheren Paraganglien,
sondern auch im Paraganglion suprarenale vorkommen. Ich
habe in dem erwähnten Kapitel auch die Schwierigkeiten näher
beleuchtet, die sich einem in den Weg stellen, sobald man aus
dem morphologischen Verhalten der einzelnen chromaffinen Zellen
auf ihren physiologischen Zustand schliessen will. Ich verweise,
um mich nicht wiederholen zu müssen, auf das an dieser Stelle
(esagte und will hier nur ganz kurz erwähnen, dass es mir bei
der ungeheuer grossen Mannigfaltigkeit in den Farbennüancen
der einzelnen Zellen nicht gelang, zwischen diesen und dem
sonstigen Aufbaue des Plasmas oder der Kerne einen gesetz-
mässigen Zusammenhang aufzudecken. Die zahlreichen im Plasma
verstreuten homogenen Tropfen und Vakuolen muss ich aber als
den morphologischen Ausdruck einer vorgeschrittenen Zelltätig-
keit auffassen. —
Ein ganz eigentümliches Bild bot das Paraganglion supra-
renale eines einjährigen Hahnes. Hier blieben nach Fixierung
in einer Mischung von Müllerscher Flüssigkeit 9: Formol 1
nicht bloss vereinzelte chromaffiıne Zellen — wie dies ja in jedem
Paraganglion suprarenale vorkommt — sondern kleinere und
grössere Gruppen von ihnen, ja ganze Zellstränge vollständig
farblos. Je nach den Methoden von Freeborn oder Hansen
tingierten sich diese Zellen entweder durch das Nigrosin ver-
schieden intensiv blaugrau oder durch die Pikrinsäure gelb.
Trotz des Mangels jeglicher Gelbfärbung bei der erwähnten
Fixierungsart konnte aber nicht der leiseste Zweifel bestehen,
42*
636 Wilhelm Kose:
dass es sich um typische chromaffine Zellen handelte. Wie wir
später bei der Beschreibung des Paraganglion caroticum sehen
werden, gibt es eine Abart der chromaffinen Zellen, die sich
von den übrigen dadurch in auffallender Weise unterscheidet.
dass sie sich bei einer Fixierung mit Chromver-
bindungen niemals auch nur eine Spur gelb färbt.
(Siehe Kapitel 6, B. Cytologie.) Sehen wir also von der Farb-
losigkeit dieser Zellen des Paraganglion suprarenale vorläufig
ganz ab, so war ihr Plasma in genau derselben Weise wie jenes
der gelben Zellen granuliert. Nur manchmal schienen die Granula
etwas grösser zu sein. Einige der farblosen Zellen waren nicht
so gut fixiert wie die gelben Zellen. Die Kerne der ersteren
glichen in bezug auf Grösse und Struktur den grösseren, blasen-
förmigen Kernen der gelben chromaffinen Zellen. Ihre Durchmesser
betrugen 0,006—0,008—0,009 mm. Sie enthielten entweder ein
oder zwei grössere und mehrere kleinere Kernkörperchen. Manch-
mal durchsetzte das Chromatin in Gestalt grösserer fast gleich
grosser Bröckchen das Kerninnere. Selten nur hatten die Chromatin-
stückchen die Gestalt winziger gebogener Stäbchen. Die
farblosen Zellen enthielten jedoch niemals, wie so viele gelbe
Zellen, kleine homogene und strukturlose Kerne. Fig. 1, Taf. XXI,
enthält rechts oben als ein Beispiel eine besonders grosskernige
farblose Zelle (gr. Z.).
Von diesen vollkommen farblosen Zellen unterscheiden sich
andere einzig und allein durch eine kaum merkliche gelbe
Farbe. Von diesen Zellen angefangen bis zu den intensiv gelben
konnte man mühelos eine kontinuierliche Reihe von Abstufungen
in der gelben Farbe der verschiedenen Zellen wahrnehmen.
Wenn ich die Gründe, die mich bestimmen, diese farblosen
Zellen als chromaffın zu bezeichnen, nochmals kurz zusammen-
fasse, so muss ich sagen:
1. Die farblosen und die gelben Zellen waren aufs innigste
miteinander vermengt. Ganze Abschnitte des Paragang-
lion suprarenale wurden dabei ausschliesslich von
den farblosen Zellen aufgebaut; letztere lagen gerade so
wie die gelben Zellen in separaten bindegewebigen
Maschen.
2. In Bezug auf die Grösse und Struktur von Plasma und
Kern glichen die farblosen den gelben chromaffinen Zellen.
u)
Die Paraganglien bei den Vögeln. 637
3. Die Farblosigkeit kann für sich genommen keinen Grund
bilden, die fraglichen Zellen. von den chromaffinen Zellen
zu trennen.
Meines Erachtens kommen bezüglich einer Erklärung des
auffälligen färberischen Verhaltens einer so grossen Anzahl von
chromaffinen Zellen dieses Hahnes verschiedene Möglichkeiten
in Betracht. Entweder handelt es sich hier um eine ganz eigene,
bei keinem der übrigen Vögel beobachtete Unterart der
chromaffinen Zellen oder bloss um den morphologischen Ausdruck
einer besonderen Phase ihrer physiologischen Tätigkeit. Ich
glaube, dass die letztere Annahme mehr Berechtigung besitzt.
Wie wir gesehen haben, gibt es sehr viele Zellen, die sich von
den farblosen nur durch eine kaum merkliche gelbe Farbe unter-
scheiden. Es kommt auch häufig vor, dass mitten in dem farb-
losen Plasma vereinzelte oder gruppenweise gehäufte gelbe
(Gsranula liegen. Diese gleichmässig schwach oder nur teil-
weise gelb gefärbten chromaffinen Zellen bilden den Übergang
zu den lebhafter gelben chromaffınen Zellen. Es ist daher meiner
Meinung nach unstatthaft, hier beim Hahne bloss daraufhin,
dass viele Zellen sich nicht gelb färbten, anzunehmen, dass die
farblosen Zellen eine eigene Unterart der chromaffinen Zellen
repräsentieren.
Die letzte Möglichkeit wäre die, dass die Farblosigkeit als
Ausdruck einer Ermüdung oder Erschöpfung anzusehen sei. Ein
Vergleich der farblosen Zellen mit den chromaffinen Zellen jener
Taube, die durch zwei Tage hungerte, ergibt aber ohne
weiteres, dass dies unmöglich der Fall sein kann.
Vergleiche ich nun zum Schlusse die Kerne der chromaffinen
Zellen und der ihnen stammverwandten sympathischen Ganglien-
zellen, so muss ich often eingestehen, dass oftmals zwischen beiden
eine grosse Ähnlichkeit besteht. Ich muss hier nur ganz kurz
erwähnen, dass Grösse und Beschaffenheit der Kerne sympathischer
Ganglienzellen so bedeutend schwanken können, dass man sichere
Ganglienzellen, wenn man sie nicht im Innern der Ganglien
liegen sehen möchte, niemals, für sich allein betrachtet,
als Ganglienzellen ansprecheri würde. Ich kann, so verlockend
es auch ist, hier leider nicht näher auf diese Frage eingehen,
ich gedenke sie aber zum Gegenstande einer eigenen Mitteilung
zu machen. Eine scharfe Grenze zwischen chromaffınen und
638 Wilhelm Kose:
Ganglienzellen zu ziehen, ist vom morphologischen Standpunkte
aus, wenn man ganz objektiv sein will, unmöglich. Ihre ver-
wandtschaftlichen Beziehungen finden, wie Kohn dies hervorhebt,
in dieser oftmals weitgehenden Ähnlichkeit den besten Ausdruck.
Besonders günstige Repräsentanten der Stammverwandtschaft
zwischen den chromaffinen und den Ganglienzellen würden die
farblosen chromaffinen Zellen des Hahnes darstellen. Vergl.
Fig. 1, Taf. XXI. Ein gleicher Befund ist in der Literatur nicht
erwähnt. Nur H. Rab] (20), S. 518, beschreibt sog. „Übergangs-
formen“ mit graubräunlichem Protoplasma. Ich setze seine eigenen
Worte an diese Stelle: „Man trifft dort (in der Kapsel) neben
echten Ganglienzellen mit kreisrundem Kern von 0,012 mm
Durchmesser ziemlich grosse Zellen mit graubräunlichem ge-
körntem Protoplasma und einem Kern, der häufig das Aussehen
des Kernes einer Ganglienzelle besitzt, der kreisrund ist und-ein
Kernkörperchen enthält, welches sich den Färbungs-Reactionen
gegenüber wie das einer echten Ganglienzelle verhält. Manchmal
fehlt jedoch diese typische Beschaffenheit des Kernes und es
kann an Stelle eines besonders hervortretenden Nucleolus ein
deutliches Gerüst erscheinen. Es liegen also hier Zellen vor,
von denen die einen den entschiedenen Eindruck kleiner
Ganglienzellen machen, während man über den Character anderer,
welche sich von jenen nur in den feinsten Details unterscheiden,
keine bestimmte Aussage machen kann. Ob die Zellen der ersten
Art mit Nervenfasern zusammenhängen, müsste mit Hilfe anderer
Methoden als der angewandten untersucht werden.“
Wenn ich auch, rein morphologisch gedacht, keine
Möglichkeit einer scharfen Abgrenzung der chromaffinen Zellen
von den Ganglienzellen sehe, so will ich damit nicht gesagt
haben, dass ich einen „Übergang“ der chromaffinen in
Ganglienzellen im Verlaufe des Lebens annehme. Ich bin viel-
mehr mit Kohn der Ansicht, dass die chromaffinen Zellen zeit-
lebens einen eigenen Zelltypus repräsentieren.
Die Frage von den sogenannten „Übergangsformen“ wird
wohl stets ein heikles Kapitel in der Histologie bleiben. Das
weitere Schicksal, das der einmal fixierten Zellen im Verlaufe
der individuellen Existenz des betreffenden Vogels geharrt hätte,
wer will es ergründen? Man wird stets beim Studium dieser
Verhältnisse nur auf die direkte histologische Beobachtung des
Die Paraganglien bei den Vögeln. 639
fixierten Präparates und die aus ihr gezogenen Schlüsse angewiesen
sein. Auf welche Art will man denn beweisen, dass diese so-
genannten „Übergangsformen“ zeitlebens auf ihrer im Präparate
zur Anschauung gebrachten Entwicklungsstufe entweder stehen
geblieben wären oder aber sich später weiter entwickelt hätten ?
Die interessanten Befunde, die ich nun erwähnen will, bringen
auch keine rechte Klarheit in die Sache, wenn sie auch darauf
hinzudeuten scheinen, dass selbst im vollentwickelten
Organismus vielleicht noch eine Umwandlung
eines nicht vollständig entwickelten Gewebesin
höher differenzierte Zellen stattfinden kann.
\
embr.nerv.
geWw.
bde. Hr nb.
Überraschend war das Vorkommen eines mir gänzlich fremden
(sewebes im Paraganglion suprarenale einer alten
Henne. Die Stränge und Ballen des gesamten Paraganglion
suprarenale setzten sich nur zu einem Teile aus den typischen
chromaffinen Zellen zusammen, zum anderen dagegen aus einem
merkwürdigen, äusserst kernreichen Gewebe, das sich bei der
Fixierung mit Müller-Formol auch nicht eine Spur gelb
färbte. Stellenweise waren die chromaffinen Zellen durch dieses
Gewebe vollständig verdrängt und die einzelnen Zellstränge des
Paraganglion suprarenale bestanden fast ausschliesslich
640 Wilhelm Kose:
aus dem nicht gelben Gewebe. Zur Übersicht über seine Ver-
teilung im Paraganglion suprarenale diene die beigegebene
Figur. Die gelb gefärbten Zellstränge und Gruppen sind schwarz
straffiert (chrz.). das fremdartige Gewebe durch schwarze Punkte
auf weissem Grunde dargestellt (embr. nerv. gew.) und die
epitheliale Nebenniere (nb.) gleichmässig grau gehalten. Die
zahlreichen das Innere der letzteren durchziehenden Linien sind
durchweg bindegewebige Septa (bdg), die sich an vielen Stellen
mit dem Paraganglion suprarenale direkt verbinden. Das
fremdartige Gewebe bildete entweder mehr selbständige
Gruppen und Stränge oder lag in (Gestalt verschieden grosser
Anhäufungen mitten unter den gelben chromaflinen Zellen,
oder es war endlich den letzteren nur von aussen angelagert.
Stellenweise hingen die grösseren nicht gelben Zellansammlungen
in ähnlicher Weise wie jene des Paraganglion suprarenale netz-
artig zusammen. Häufig besassen die einzelnen Gruppen dieses
rätselhaften Gewebes an ihrer Oberfläche einen dünnen Überzug
von gelben chromaftinen Zellen. Umgekehrt fand ich auch einzelne
oder gehäufte chromafline Zellen mitten in dem nicht gelben
Gewebe, mitten unter seinen eigenen Kernen und Zellen. (Fig. 22,
Taf. XXIII). Dieser Schnitt wurde nach Heidenhain mit Häma-
toxylin-Eisenalaun behandelt. Bei der Differenzierung gaben die
einzelnen chromaffinen Zellen den Farbstoff ungleich rasch ab,
und darum erschienen manche von ihnen noch gleichmässig schwarz,
die anderen aber schon undeutlich granuliert (chrz! und chrz ?),
chrz? ist ein Anschnitt einer solchen schwarz gebliebenen Zelle.
Betrachten wir die Anordnung der chromaffinen Zellen und
des rätselhaften Gewebes übersichtlich, so muss ich sagen, dass
ihre gegenseitige Verbindung eine ungemein innige, ja sogar eine
organische ist. Das gesamte Paraganglion suprarenale wurde
hier aus einem doppelten Ballen- und Strangsystem aufgebaut,
von dem aber nur der eine Teil aus gelben chromaffinen Zellen,
der andere aber aus einem kernreichen Gewebe bestand, das
sich bei der Fixation in Müller-Formol nicht gelb färbte.
Fig. 22, Taf. XXIII, gibt einen Abschnitt aus einer grösseren
Anhäufung dieses Gewebes wieder. Das erste, was einem auffällt,
ist die ganz bedeutende Differenz in der Grösse und Beschaffen-
heit der einzelnen Kerne. Ich habe hier absichtlich eine Stelle
wiedergegeben an welcher die verschiedensten Kerne bei-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 641
sammen liegen. Dieses fremdartige Gewebe setzt sich aber
durchaus nicht überall in dieser Weise zusammen, vielmehr über-
wiegt bald dieser, bald jener Kerntypus, so dass das Aussehen
der einzelnen Ballen und Stränge an verschiedenen Stellen be-
deutend schwankt. Und nun wende ich mich der Beschreibung
der einzelnen Kern- und Zellformen zu. Nur um verhältnis-
mässig wenig Kerne ist ein deutliches Protoplasma entwickelt,
und dieses färbte sich überdies nur sehr schwach. Das Plasma
erfüllt meist nur zum Teile die zwischen den Kernen befindlichen
Zwischenräume in Gestalt wolkig getrübter, unregelmässiger und
vielfach zusammenhängender Anhäufungen. Den Charakter
des ganzen Gewebes bestimmen in erster Linie die massen-
haften kleinen Kerne. Ich will sie zum Unterschiede von
den anderen als Kerntypus A. zusammenfassen. Rechts unten
und oben sind einige von ihnen so bezeichnet. Die Kerne lassen
sich nicht einem bekannten Zelltypus ohne weiteres einreihen.
Neben mehr rundlichen oder ovalen liegen bald dreieckige,
bald mehr unregelmässige Formen, kurz die Mannigfaltigkeit
ist eine sehr grosse. Die allermeisten Kerne färben sich mit
allen zur Anwendung gebrachten Kernfarbstoffen lebhaft. Das
Plasma wurde dagegen nur in auffallend schwachem
Grade mitgefärbt. Es bestand aus einer wolkig getrübten ent-
weder scholligen oder leicht fädigen und granulierten Masse, die
nur um relativ wenige Kerne herum eine deutliche Zerklüftung
in einzelne Zellen besass. Es wurden nun sehr häufig
grössere Abschnitte des nicht gelben Gewebes ausschliesslich
von den kleinen Kernen A zusammengesetzt. und es fanden
sich nur ausnahmsweise ganz vereinzelte grössere Kerne unter
ihnen. Alle diese Stellen sehen Iymphoiden Zellan-
häufungen auffallend ähnlich und ich würde in dem
Falle, dass ich diese Kerngruppen für sich allein gesehen hätte,
kaum gezweifelt haben, sie als solche aufzufassen. Betrachten
wir aber andere Stellen, an welchen die grösseren Kerne regellos
unter den kleinen verteilt sind, so erkennt man leicht,
dass es sich unmöglich um ein lymphoides Ge-
webe handeln kann. Wie ich hier vorweg betonen will,
fasse ich das fremdartige Gewebe in seiner Gesamtheit als ein,
wenigstens teilweise unfertiges, dem Nerven-
systeme genetisch zugehörigesGewebe auf undwill
642 Wilhelm Kose:
zur Begründung meiner Ansicht vor allem in der Beschreibung
der einzelnen Kernformen fortfahren.
Mitten unter den Kernen A. liegen sehr viele, die sofort
durch ihre Grösse auffallen. Sie übertreften die Kerne der
chromaffinen Zellen an Ausdehnung (Zelle 1, 2, 3). Diese Kerne
haben eine deutliche Kernmembran; ihr Inneres birgt ein oder
zwei auffallend grosse, und überdies manchmal mehrere
kleinere Kernkörperchen, die dann unregelmässig verteilt sind.
Das grosse Kernkörperchen setzte sich öfters aus mehreren
kleineren Kügelchen oder unregelmässigen Bröckchen zusammen,
die durch eine etwas weniger lebhaft gefärbte mehr homogene
Grundsubstanz zu einem Ganzen zusammengehalten wurden
(Kern 1, 2). Das grosse Kernkörperchen lag durchaus nicht immer
zentral, es stiess vielmehr häufig an die Kernmembran an. Die
kleineren Chromatinbrocken waren manchmal durch dünne und
geschlängelte Fädchen einer fast ungefärbten Substanz mit ein-
ander verknüpft (Zelle 3). Der übrige Kerninnenraum erschien
wie leer und war darum rein weiss. Diese grossen Kerne wurden
von einem schwach entwickelten Plasmamantel umgeben und so
gegen die benachbarten Zellen mehr minder deutlich abgegrenzt.
Das Protoplasma färbte sich weder mit Kern-
noch Plasmafarbstoffen.
Zwischen vielen dieser grossen Kerne und jenen sympathischer
Ganglienzellen besteht eine weitgehende Ähnlichkeit,
manchmal sogar völlige Gleichheit. Ich bezeichne
alle diese grossen Kerne als Kerntypus B.
Es gibt nun eine genügende Anzahl von Kernen, die etwas
kleiner als die Kerne 1, 2, 3 sind, trotzdem aber hierher gezählt
werden müssen. Bezüglich ihrer Zugehörigkeit zu Typus B ist für
mich ihr ganz besonders grosses Kernkörperchen maß-
gebend, durch welches sie sich deutlich von den anderen Zellen
unterscheiden (Zelle 16). An manchen Stellen bilden diese
Kerne B durch eine lokale Anhäufung Ganglien ähnliche
Bildungen. Diese sind öfters kugelrund und besitzen an ihrer
Oberfläche eine dünne bindegewebige Hülle. Ich fasse die
Kerne B als solche unvollständig entwickelter
Ganglienzellen auf und zwar aus folgenden
Gründen: Diese Kerne und Zellen B sind keiner der bekannten
vollentwickelten Kern- oder Zellarten einzureihen. Sie besitzen
Die Paraganglien bei den Vögeln. 645
infolge ihrer Grösse und Struktur am ehesten noch die grösste
Ähnlichkeit mit jungen Ganglienzellen. Das Kern-
körperchen erreicht in den Kernen vollentwickelter Ganglienzellen
fast niemals eine so enorme Grösse wie in Zelle 2, auch färbt
sich das Plasma bei den Ganglienzelien viel lebhafter,
wenn auch diesbezüglich zwischen den einzelnen Zellen gewaltige
Differenzen bestehen.
Neben diesen Kernen und Zellen B liegen in sehr ver-
schiedener Menge ganz regellos solche Zellen oder bloss Kerne,
die in jeder Beziehung den farblosen chromaffinen
Zellen des Paraganglion caroticum gleichen. Die
Kerne sind daher auch jenen der chromaffinen gelben Zellen
gleich. Vergl. Zelle 4 mit Zelle chrz!. Die fraglichen Kerne
sind in gleicher Weise gebaut. Sie sind blasenförmig und ent-
halten ein oder zwei grössere und mehrere kleinere Kern-
körperchen. Letztere waren der Kernmembran perlschnurartig
angereiht. Der übrige Kerninnenraum war nur mit einer spär-
lichen und matt gefärbten oder farblosen Substanz erfüllt. Diese
Kerne sind nicht immer rund, sondern öfters mehr längs-oval
(Kern 9) oder mehr stumpf-dreieckig (Kern 5). Ihre Grösse
schwankt in denselben Grenzen wie jene der Kerne der chromaffinen
Zellen. Auch diese Kerne umgibt öfters eine mehr minder deut-
liche Protoplasmaschichte (Zelle 8, 9). Manchmal dagegen lag
das Plasma nur in Gestalt kleinerer oder grösserer Abschnitte
den Kernen ein- oder mehrseitig an (Zelle 5, 6). Das Plasma
‘war mehr homogen oder nur äusserst fein gekörnt. Seine Granu-
lierung erreichte nicht im entferntesten eine solche Deutlichkeit wie
in den gelben chromaffinen Zellen. Man findet öfters in den Zellen
Vakuolen, die genau so wie in den gelben chromaffinen Zellen
dem Kern unmittelbar anliegen können (Zelle 8). Es sind aber
in ähnlicher Weise wie bei Typus B. auch hier eine ganze Anzahl
kleinerer Kerne oder Zellen hierher zu rechnen. Die kleineren
Kernformen (15, 10, 11) besitzen in ähnlicher Weise wie viele
Kerne der chromaffinen Zellen kein besonders grosses Kern-
körperchen. Die färbbaren Kernsubstanzen sind vielmehr, hier
wie dort, in Form kleinerer Bröckel unregelmässig verteilt. Das
Protoplasma hat sich für gewöhnlich um diese Kerne noch nicht
in abgegrenzten Partien angeordnet. Alle die zuletzt beschriebenen
grösseren und kleinen Kerne fasse ich unter dem Typus. zusammen.
644 Wilhelm Kose:
Es gibt nun unter den kleineren Kernformen auch solche,
welche ein auffallend grosses Kernkörperchen enthalten (Zelle 17).
Ich glaube sie infolgedessen eher zum Typus B. zählen zu
müssen.
Versuchen wir nun, uns eine Vorstellung über die näheren
Beziehungen der einzelnen Kerne und Zellen zueinander zu
verschaffen, so sind wir hier nur auf Vermutungen angewiesen.
Sehen wir also zu, welche von ihnen die grösste Wahrscheinlich-
keit besitzt. Meines Erachtens kann die grosse Mannigfaltigkeit
der Kerne auf eine dreifache Art und Weise erklärt werden.
Die verschiedenen Kerne könnten erstens einmal als eine
ununterbrochene Entwicklungsreihe einer einzigen Kernart
gelten. Als Ursprungsgewebe wären die Kerne A., als Mittelstufe
die Kerne Ü. und als Endglieder dieser Kette die Kerne B. auf-
zufassen, wobei es vorläufig unentschieden bleiben muss, ob letztere
ihre volle Entwicklung erreicht haben oder nicht. Alle jene zahl-
reichen Kernformen, deren Einreihung in eine der Gruppen A. B.Ü.
schwer fällt, müssten dann als typische „Übergangsformen“ gelten.
Da bis jetzt nur meine diesbezüglichen Beobachtungen vorliegen
und es mit Sicherheit nicht zu entscheiden ist, um was für Kerne
und Zellen es sich beim Typus B. handelt, so kann diese Ansicht,
bevor nicht weitere Untersuchungen unternommen sind, nicht so
ohne weiteres von der Hand gewiesen werden.
Man kann aber auch, und wie ich glaube, mit viel mehr
Recht, daran denken, dass sich aus dem noch scheinbar un-
differenzierten kleinkernigen Muttergewebe A. zwei ver-
schiedene Zellspezies B. und C. entwickeln. Diese würden
dann zeitlebens als vollständig selbständige Arten
nebeneinander bestehen.
Das von den kleinen Kernen A. zusammen-
gesetzte Gewebe besitzt alle Merkmale eines un-
fertigen, noch nicht differenzierten Gewebe»
Es wird, die Richtigkeit dieser oder jener Anschauung
vorausgesetzt, stets den Mutterboden für die anderen Typen B.
und C. abgeben. Man findet nun tatsächlich unzweifelhafte
„Übergangsformen* oder besser gesagt Entwicklungsstufen
zwischen den Kernen A. und den kleinsten Formen B. oder Ü.
Viele dieser „Übergangskerne“ unterscheiden sich von A. nur
durch eine schwächere Färbung. Ihr Inneres ist nicht mehr so
Die Paraganglien bei den Vögeln. 645
gleichmässig mit der färbbaren Substanz wie bei A. erfüllt. Da-
durch fallen sie unter den dunkeln kleinen Kernen A. sofort als
hellere Kerne auf. Sie besitzen aber noch kein merklich grösseres
Kernkörperchen. (Kerne 15, 10). Andere ebenso beschaftene
Kerne haben aber bereits ein solches.
Sind sie dabei ganz besonders schwach gefärbt, so zeigen
sie schon die Merkmale des Typus C. (Zelle 13). Erreicht das
Kernkörperchen eine ganz besondere Grösse (Zelle 17), so gehören
die Kerne schon zu Typus B. Von da an würde dann die
Scheidung in die Zellen B. und C. erfolgen.
Es gelingt tatsächlich, zwischen A. einerseits und B. und (.
andererseits, zwei kontinuierliche Reihen von Übergangsformen
nachzuweisen, wobei es aber manchmal unmöglich ist, eine scharfe
Trennung zwischen den einzelnen Kernformen herzustellen. Es
gibt genug Kerne, von denen man nicht weiss, ob sie zu den
kleinen Formen von B. oder Ü. gehören. Entweder kann man
diese noch nicht genügend charakterisierten Kerne als wirkliche
„Übergänge“ zwischen den kleinen Kernen B. und C., oder aber
als solche Kerne auffassen, denen wir es mit unseren Hilfs-
mitteln nur nicht ansehen können, in welcher
Richtung sie bereits differenziert sind.
Nach der im Vorhergehenden ausgesprochenen zweiten Hypo-
these würden also aus einem scheinbar noch einheitlichen,
tatsächlich aber schon potentia differenzierten
Muttergewebe A. zwei voneinander verschiedene
Zellarten B. und C. ihren Ursprung nehmen.
Frage ich mich nun, ob die Zellen B. und C. jenen irgend
eines wohlbekannten und vollentwickelten Gewebes gleichzustellen
sind, so muss ich dies zu einem Teile bejahen. Die Zellen C.
gleichen in jeder Beziehung denfarblosenchromaffinen
Zellen des Paraganglion caroticum. Infolge dieser
(Gleichheit besteht auch zwischen den Kernen C. und jenen der
gelben chromaffinen Zellen kein Unterschied.
An dieser Stelle möchte ich auch hervorheben, dass die
Zellanhäufungen des fraglichen Gewebes von einem reichen binde-
gewebigen Gerüste durchzogen werden. das die gleiche Verteilung
wie in den gelben Abschnitten des Paraganglion suprarenale
besitzt. Sehr viele Zellen werden auch hier separat vom Binde-
gewebe maschenartig eingeschlossen.
646 Wilhelm Kose:
Wie wir später bei Beschreibung der farblosen chromaffinen
Zellen des Paraganglion caroticum sehen werden, kommen diese
Zellen sicher auch im Paraganglion suprarenale wenn-
gleich nur ausnahmsweise vor. Da nun die unter Ü. zusammen-
gefassten Zellen den farblosen chromaffinen Zellen gleich sind,
so könnte es sich auch hier um solche handeln. Da sie aber
mitten in dem teilweise noch unentwickelten Gewebe A. in regel-
loser Anordnung verbreitet sind, muss man in seiner Auffassung
etwas vorsichtig sein. Nehmen wir aber einmal an, es seien
wirklich farblose chromaffine Zellen, wie verträgt sich
dies mit der Ansicht, dass es sich bei dem fraglichen Gewebe
um ein unentwickeltes, auf einer embryonalen Stufe stehen-
gebliebenes Gewebe handele? Ich habe deshalb schon eingangs
nur von einem teilweise unentwickelten Gewebe gesprochen.
Typus A. mit seinen kleinen gehäuften Kernen und dem kaum
entwickelten Plasma, sowie die Kerne und Zellen B., die man
am ehesten noch als junge Ganglienzellen auffassen kann, wären
die unentwickelten Partien dieses Gewebes, die Zellen C. dagegen
hätten schon das Ende ihrer individuellen Entwicklung erreicht.
Die dritte Möglichkeit einer Erklärung für die Polymorphie der
Kern- und Zellformen wäre folgende. Man müsste hier nämlich
die Annahme machen, dass dieses bei der Henne von mir
beschriebene neuartige Gewebe mit allen seinen Kernen und
Zellen seine Entwicklung bereits vollständig durchlaufen hätte.
Die verschiedenen Zellen und Kerne würden ebensoviele bisher
noch unbekannte Typen repräsentieren. die nicht ineinander
übergehen würden. Das Gewebe müsste seiner Verbreitung nach
auch physiologisch tätig sein. Ich glaube nicht, dass man sich
mit dieser Ansicht wird befreunden können, ich wollte sie nur
als eine fakultative Erklärung der vorliegenden Verhältnisse
anführen.
Meine an den Präparaten der alten Henne gewonnene
Ansicht (zweite Hypothese) erfuhr durch Beobachtungen bei
jungen Krähen und Amseln nicht nur eine Bestätigung,
sondern insofern auch eine gewisse Erweiterung, als ich annehmen
muss, dass aus dem kleinkernigen Gewebe A. sich
auch typische gelbe chromaffine Zellen entwickeln
können. Bevor ich darauf näher eingehe, muss ich es noch
begründen, warum ich das bei der Henne aufgefundene Gewebe,
Die Paraganglien bei den Vögeln. 647
ganz abgesehen von der Ähnlichkeit oder Gleichheit vieler seiner
Zellen mit typischen farblosen chromaffınen und jungen Nerven-
zellen, als ein dem Nervensysteme zugehöriges auffasse.
Das Paraganglion suprarenale dieser Henne war in der
bekannten Art und Weise von mehreren sympathischen Ganglien
und zahlreichen Nerven umgeben, die hauptsächlich aus den
ersteren ihren Ursprung nahmen. Die Nerven zogen an vielen
Stellen in das Innere des Paraganglion suprarenale. Sie waren
oft ziemlich stark und enthielten eine ganze Menge feiner mark-
haltiger Fasern. Einzelne Nervenstämmchen waren fast aus-
schliesslich aus diesen zusammengesetzt.
Fast alle Nerven drangen bloss in das fragliche (Gewebe
ein und verteilten sich hier zwischen den einzelnen Zellen ganz
unregelmässig. An vielen Stellen lagen innerhalb dieser Nerven,
aber auch zwischen ihnen oder den Zellen A. B. (., ganz
vereinzelte oder zu kleinen Gruppen angehäufte deutliche
Ganglienzellen. Die aus gelben chromaffinen Zellen
zusammengesetzten Abschnitte des Paraganglion suprarenale
waren geradezu arm an Nerven zu nennen; Ganglienzellen
fand ich in ihnen überhaupt nicht.
Der ganz auffallend grosse Gehalt an sympathischen Nerven
und Ganglienzellen, ferner die regellose und weitgehende Ver-
mischung dieser mit den Zellen des neuartigen Gewebes und
schliesslich seine innige organische Verbindung mit einem dem
sympathischen Nervensysteme stammverwandten Gewebe, — dem
Paraganglion suprarenale, sind die Gründe, die mich
bestimmen, das fremdartige Gewebe als ein dem sym-
pathischen Nervensysteme zugehöriges Gewebe
aufzufassen.
Ich fand das letztere in dieser mächtigen Ausbildung nur
bei dieser einzigen alten Henne. In den Paraganglia suprarenalia
mancher anderer Vögel dagegen kamen verschieden grosse den
chromaffinen Zellen beigegebene Kern- und Zellgruppen eines
nicht gelb gefärbten Gewebes vor, ‚die ich ohne Kenntnis der
Präparate von der Henne wohl für Iymphoide Zellansammlungen
gehalten hätte. So aber kann ich nun mit Bestimmtheit
sagen, dass es sich wenigstens in der Mehrzahl um
dasselbe Gewebe wie bei der Henne handelte. Diese
Kernanhäufungen bestanden nämlich meistens nur aus den
648 Wilhelm Kose:
Kernen A. und standen nur selten mit sympathischen Nerven
im Zusammenhange. Um ganz sicher zu gehen, entwarf ich mit
Hilfe des Zeichenapparates von den verschiedensten Zellgruppen
mehrerer Vögel ganz genaue Bilder und verglich diese miteinander.
Ich kann mit Sicherheit behaupten, dass es sich
in allen Fällen um dasselbe kleinkernige Gewebe A.
wie bei der Henne handelte. Diese Kerngruppen sind
entweder bei den verschiedenen Vögeln oder aber an einzelnen
Stellen desselben Paraganglion suprarenale verschieden gross.
Einige von ihnen verbinden sich ausser mit den chromaffınen
Zellen auch noch mit sympathischen Nerven und Ganglien. Als.
ein Beispiel dafür diene Figur 23, Tafel XXIII. Sie stellt einen
Ausschnitt aus der Peripherie der Nebenniere und des Paraganglion
suprarenale eines alten Würgerweibchens (Lanius collurio) 2
dar. Der gleichmässig grau gehaltene Teil ist die Nebenniere.
Ein kleines sympathisches Ganglion liegt an ihrer Aussenseite.
In der äussersten Peripherie der Nebenniere (nb.) befindet sich
so eine kleinkernige Anhäufung, die nicht scharf begrenzt ist.
Chromaffine Zellgruppen durchsetzen sie nach verschiedenen
tichtungen. An der dem Ganglion abgewendeten Innenseite der
kleinkernigen Anhäufung liegt ein kleines, von chromaftinen Zellen
vollständig eingehülltes Ganglion, welches, wie die folgenden
Schnitte lehren, nur die direkte Fortsetzung des ausserhalb der
Nebenniere befindlichen grossen Ganglions ist. Man findet daher
in den nächsten Schnitten zahlreiche Ganglienzellen und Nerven
zwischen den kleinen Kernen A. Die chromaffinen Zellen hatten
sich mit Cochenille so lebhaft braunrot gefärbt, dass ihre Kerne
nur stellenweise als dunkle Flecken zu sehen sind. Die zahlreichen
kleinen runden und helleren Stellen im Plasma sind Vakuolen.
Eine unmittelbare Fortsetzung der kleinkernigen Anhäufung A
(embr. nerv. gew.) erstreckte sich in das Innere des grösseren
Ganglions, um sich dort in seiner äussersten Peripherie nach Art
der gelben Paraganglien auszubreiten. In der Figur 23 ist nur
der Beginn dieses im Ganglion gelegenen Fortsatzes zu sehen.
Folgende weitere Tatsachen sprechen ebenfalls in über-
zeugender Weise für die Zugehörigkeit des fraglichen Gewebes
zum sympathischen Nervensysteme. Das Paraganglion supra-
renale ist nämlich gar nicht seine einzige Fundstätte.
Es verbindet sich vielmehr ausserdem in Gestalt verschieden
Br,
Die Paraganglien bei den Vögeln 649
grosser Gruppen mit zahlreichen abdominalen sympathischen
Nerven und Ganglien der verschiedensten Plexus, aber auch
mit jenen des sympathischen Grenzstranges. Die Zellgruppen
des, wenn ich so sagen darf, embryonalen nervösen Gewebes
liegen dabei entweder als typische Paraganglien den Nerven und
(Ganglien bloss von aussen an, oder aber sie versenken sich in
sie mit einem Fortsatze, gerade so, wie bei dem Würgerweibchen.
Manchmal liegen die Gruppen ganz im Innern der Ganglien und
Nerven und zwar wieder häufig wie die aus gelben chromaffinen
Zellen zusammengesetzten Paraganglien, nur in der äussersten
Peripherie der ersteren. Bei einer jungen Krähe besassen die
(Gruppen des embryonalen nervösen Gewebes manchmal die Gestalt
und Grösse kleiner Ganglien und waren durch stärkere Nerven-
stämmcehen mit verschiedenen abdominalen Grenzstrangganglien
direkt geweblich verbunden. Für die Zugehörigkeit des fraglichen
(rewebes zum sympathischen Nervensysteme spricht daher ausser
seiner gesetzmässigen Verbindung mit typischen chromaffınen
Zellen seine ebenso auffällige gewebliche Verknüpfung mit dem
sympathischen Nervensysteme selbst. Es gibt wohl vereinzelte
Zellgruppen, die in keinem nachweisbaren Zusammenhange mit
dem Sympathicus stehen. Sie können aber als ein Beweis gegen
die oben angeführte Zugehörigkeit zum Sympathieus nicht an-
geführt werden. Wir finden ja auch so viele chromaffine Zell-
gruppen, die unabhängig vom sympathischen Nervensysteme sind
und doch wird wohl niemand heute mehr an ihrer genetischen
Zugehörigkeit zu letzterem zweifeln können. .Die vom Sym-
pathicus abgetrennten Gruppen des embryonalen nervösen Gewebes
enthielten aber fast stets in verschiedener Menge deutliche gelbe
chromaffine Zellen. Gerade diese gewebliche Verbindung mit
letzteren weist meiner Überzeugung nach lebhaft auf verwandt-
schaftliche Beziehungen dieser beiden Gewebs-
arten hin.
Als letztes Beispiel dafür sei Fig. 24a und 24b, Taf. XXIII,
angeführt. Erstere stellt ein grösseres Ganglion des Plexus
coeliacus einer jungen Nestamsel (Turdus merula) dar.
An der rechten Seite des Ganglions (sy. gl.) liegt ein aus den
kleinen Kernen und Zellen A. (nerv. embr. gew.) und
chromaffinen Zellen (chrz) aufgebauter Körper, — ein echtes
Paraganglion. Dieses wurde mitsamt dem Granglion
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 43
650 Wilhelm Kose:
von einer gemeinsamen bindegewebigen Kapsel grösstenteils
eingehüllt. Hier in der Fig. 24a umgibt diese das Ganglion und
Paraganglion vollständig, in den folgenden Schnitten besass sie
aber verschieden grosse Unterbrechungen. In dem peripheren
Bindegewebe liegen die Querschnitte mehrerer grosser Venen (ven).
Dieses Paraganglion setzte sich bei Beginn der Serie fast aus-
schliesslich nur aus den gelben chromaffinen Zellen zusammen,
die eine ausgesprochene strangförmige Anordnung zeigten.
Die wenigen Kerne A. lagen in Gestalt kleiner Gruppen zwischen
den gelben Strängen. Das embryonale nervöse Gewebe A. (embr.
nerv. gew.) schob sich dann im Verlaufe der Serie immer mehr
und mehr zwischen die chromaffinen gelben Zellen vor und ver-
drängte diese schliesslich fast vollständig. Die Fig. 24a gibt
einen Schnitt aus der Mitte der Serie wieder. Das chromaffine
Gewebe ist noch deutlich zu sehen und bildet entweder isolierte
oder zusammenhängende Gruppen und Stränge. Vergleicht man
die Anfangs- und Endschnitte der Serie, so ist das Bild jedesmal
ein anderes. Das Paraganglion setzt sich einmal fast ausschliesslich
aus dem fraglichen Gewebe (embr.nerv.gew.), das anderemal fast nur
aus den gelben chromaffinen Zellen zusammen. Tatsächlichaber
durchdringen sich die beiden Gewebe aufs innigste
und bilden zusammen ein einziges Paraganglion.
Fig. 24b gibt einen Teil dieses Paraganglion bei starker Ver-
erösserung wieder. Einige der kleinen Kerne sind auch hier
mit A. bezeichnet, sie liegen hier etwas gedrängter beisammen
als in Fig. 22.- Auch besteht die Fig. 24b wiedergegebene Stelle
aus den etwas grösseren Kernformen des Typus A. Ich will
hier ‚nur erwähnen, dass sich auch bei der Henne ganze
Abschnitte des fraglichen Gewebes aus genau solchen Kernen
zusammensetzten. (Gerade so wie bei dieser Henne bildeten sie
auch bei der Amsel den Mutterboden für eine ganze Anzahl
anderer Kerne oder Zellen. Diesbezüglich bestanden aber
zwischen diesen beiden Vögeln gewisse Unterschiede. Sehen wir
einmal Fig. 24b etwas näher an. Die chromaffınen Zellstränge
und Gruppen bestanden nur zu einem Teile aus den grosskernigen
schmutziggelb oder braunrötlich gefärbten Zellen (6, 7), deren
Kern sich nur ganz schwach violett tingiert hatte. Mitten unter
ihnen oder aber in Gestalt selbständiger Gruppen treten hier
zahlreiche kleinkernige goldgelbe chromaffine Zellen auf, die
Die Paraganglien bei den Vögeln. 651
eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen haben, die auch im Innern
des Paraganglion suprarenale und vieler peripherer
Paraganglien vorkommen. Ich verweise hier aufden Abschnitt
U. Cytologie des Paraganglion suprarenale. S. 634—635. Im letzten
Kapitel dieser Arbeit werden sie bei Besprechung der peripheren
Paraganglien nochmals genau geschildert werden. Links unten
und rechts oben sind zwei solcher Gruppen mit (11) bezeichnet.
Zum Vergleiche mit ihnen siehe Fig. 20a und 20b, Taf. XXVI
zweiter Teil dieser Arbeit. Das Plasma der goldgelben chromaffinen
Zellen in Fig. 24b, Taf. XXIII, war entweder in ähnlicher Weise
wie in Fig. 20b, Taf. XXVL, netzförmig angeordnet, manchmal
aber wieder deutlich fein granuliert. Die goldgelbe Farbe war
-nur selten so lebhaft, wie in Fig. 20b, Taf. XXVI, doch unter-
schieden sich diese Zellen stets durch sie von den schmutzig
braungelben Zellen. Betreits der Kerne bestehen aber zwischen den
hier beobachteten und den in Fig. 20b, Taf. XXVI, abgebildeten
Zellen insofern durehgreifende Unterschiede, indem bei letzteren
fast alle Kerne rund oder oval waren und keine Struktur er-
kennen liessen, während die Kerne hier unregelmässig gestaltet
sind und trotz ihrer lebhaften Farbe deutliche Kernkörperchen
besitzen. Wie ein Vergleich mit den neben ihnen
liegenden Kernen A. lehrt, sind sie diesen in jeder
Beziehung gleich. Die Vermutung, die sich einem dabei
sofort aufdrängt, dass diese kleinkernigen chromaffinen Zellen
sich aus dem Grundgewebe A. entwickeln, findet eine weitere
Stütze in einer kontinuierlichen Reihe von Übergangsformen
zwischen beiden. Man sieht nämlich ganz deutlich, wie das
spärliche zwischen den Kernen A. befindliche und ungefärbte
Plasma stellenweise etwas angehäuft ist. Gleichzeitig besitzt es
einen ganz schwach gelblichen Ton. Die Kerne A. verändern
dabei weder ihr Aussehen noch ihre Anordnung. Hand
in Hand mit der Zunahme des Plasmas wird auch seine gelbe
Farbe immer deutlicher. Die Kerne färben sich dann intensiver
violett und wir. gleiten so, ohne irgend eine Grenze
fixieren zu können, durch eine kontinuierliche Reihe von
Abstufungen in der Entwicklung und Gelbfärbung des
Plasmas von dem kleinkernigen Gewebe A. zu den kleinkernigen
mehr goldgelb gefärbten chromaffinen Zellen hinüber. Die
einzelnen Zellstränge dieses Paraganglions werden auf diese Weise
43*
652 Wilhelm Kose:
häufig zur Hälfte aus den Kernen A., zur anderen aber aus den
kleinkernigen chromaffinen Zellen zusammengesetzt, ohne dass
es gelingt, anzugeben, wo die einen aufhören und
die anderen anfangen. Ich muss aber hier hervorheben,
dass die oftmals sehr merklichen Schwankungen in der Gelbfärbung
der Zellen häufig nur als Ausdruck einer verschieden
weit gegangenen physiologischen Tätigkeit aufzu-
fassen sind.
Ein so ausgesprochener Übergang zwischen den Kernen A.
und jenen der goldgelben chromaffinen Zellen besteht aber durch-
aus nicht überall. Vielmehr liegen häufig kleine und grosse
(Gruppen der chromaffinen Zellen mitten im Gewebe A., ohne
dass man imstande wäre, solche Übergänge nachzuweisen. Die
Abgrenzung der chromaffinen Zellen ist hier eine
scharfe und deutliche.
Es gibt nun unter den Kernen A. eine gewisse Anzahl,
welche die Durchschnittsgrösse dieses Typus mehr minder über-
schreitet. Zwischen ihnen, die sich bloss in bezug auf die Grösse,
sonst aber nicht, von den Kernen A. unterscheiden, und solchen
Kernen, die in jeder Beziehung den grossen Kernen chromaffiner
Zellen (6, 12, 2) gleichen oder ähnlich sind (13a, 9, 10), steht
eine ganze Reihe von Kernen, die man vielleicht doch als
„Übergangsformen“ auflassen kann. Das Zellplasma ist für
gewöhnlich um jene Kerne, die dem Typus A. noch am nächsten
stehen, ebenso spärlich wie um letztere entwickelt und findet sich
erst in der Umgebung der grösseren Kernformen in Gestalt
deutlicherer Anhäufungen. (Vergl. Kern 14.) Dieser nur schwach
violett gefärbte Kern besass das deutliche Aussehen der Kerne
gelber chromaffiner Zellen; links von ihm ist etwas Plasma an-
gehäuft (pl). Ferner vergleiche auch den Kern 13a mit dem
Kerne einer ihm anliegenden chromaffinen Zelle (12). Beide
Kerne sind vollkommen gleich. In der Umgebung des Kernes 13a
lag aber überhaupt fast kein wahrnehmbares Plasma, während
jenes der Zelle (12) schmutzig gelb gefärbt war (vergl. auch den
Kern 13b). Solche den Kernen chromaffiner Zellen vollständig
gleiche Kerne liegen häufig mitten unter den kleinen Kernen A.
in weiter Entfernung von den chromaffinen Zellen. Oft sind sie
ebenso kugelrund wie die Kerne der letzteren. Manchmal um-
gibt ein deutlicher nicht gelber Plasmahof diese Kerne (9).
Die Paraganglien bei den Vögeln. 653
Dieser war schwach violett gefärbt, das Plasma schmutzig-weiss.
Vergleichen wir mit dieser Zelle 9 die Zelle 1, so sehen wir,
dass beide einander ähnlich sind, nur war bei letzterer der Kern
lebhafter gefärbt und das Plasma schwach gelb. Nach all dem
(sesagten macht es mir den lebhaften Eindruck, als ob zwischen
den Kernen A. und den klein- und grosskernigen chromaffinen
Zellen Übergangsformen nachzuweisen wären. So viel steht
aber sicher, dass es unmöglichist, zwischen den
Kernen A. und jenen der chromaffinen Zellen eine
scharfe Grenze zu ziehen. Ich will bevor ich weiter fortfahre,
zur übersichtlichen Orientierung eine kleine Zusammenfassung der
einzelnen Kerne und Zellen geben.
1. Zelle 1, 2, 3. Das Plasma leicht gelblich, der Kern
ziemlich intensiv violett.
2. Zelle 4. Kern tief violett, vollkommen den Kernen A.
gleich und auch jenen der kleinkernigen chromaffinen Zellen (11).
Das Plasma schwach violett.
3. Zellen 6. Drei chromaffine Zellen, die unmittelbar an-
einander liegen. Deutliche Zellgrenzen. Plasma schmutzig braun-
gelb, Kern kaum violett.
4. Zelle 7. Kern viel deutlicher violett als in 6, Plasma
reiner gelb.
5. Zelle 8. Kern intensiv violett, wie diejenigen der
kleinkernigen chromaffinen Zellen (11). Plasma intensiv braunrot.
6. Zelle 9. Kern schwach violett, wie die freiliegenden
Kerne. Plasma ungefärbt, nur schmutzig weiss, keine Spur einer
gelben Farbe.
7. Zelle 10. Kern violett. Kein wahrnehmbares Plasma.
Dieser freie Kern glich auffallend jenem der Zelle 3, die deutlich
gelb war.
S. Zellen 11. Kerne dunkel violett, unregelmässig. Plasma
mehr goldgelb.
9. Zelle 12. Kern leicht violett, Plasma schmutzig gelb.
Vergl. mit dem Kern der oberen Zelle 12 den daneben liegenden
freien Kern 13a und auch Kern 135b.
10. Kerne 13a und 13b. Freie Kerne, die den Kernen
chromaffiner Zellen gleich sind.
ll. Kern 14. Freier Kern, lichtviolett, der ebenfalls jenen
der chromaffinen Zellen gleich ist. Links von ihm etwas Plasma (pl).
654 Wilhelm Kose:
Mitten unter diesen Kernen fand ich öfters solche, die den
Kernen typischer Ganglienzellen auffallend ähnlich waren, um
welche aber kein Plasma entwickelt zu sein schien. Ich kann
nicht sagen, um was für Kerne es sich in diesen Fällen handelte.
Um Kerne junger Ganglienzellen konnte es sich nicht gut handeln,
da sie den Kernen vollentwickelter Ganglienzellen glichen.
Ein Vergleich des fraglichen Gewebes der Amsel mit
jenem des Huhnes ergab bei beiden Vögeln mit Sicherheit
dieGleichheitdeskleinkernigenGrundgewebesA.
Bei der Amsel bildete es scheinbar den Mutterboden für die
klein- und grosskernigen chromaffinen Zellen sowie für eine
Anzahl von Kernen, die jenen vollentwickelter Ganglienzellen
sehr ähnlich waren. Trotzdem unterschied sich das Gewebe der
Amsel in gewisser Beziehung dadurch von jenem des Huhnes,
dass die Kerne A. vorherrschten und und nur relativ spärliche
Zellen vorkamen, die jenen des Typus Ü. ähnlich waren. Ein
durchgreifender Unterschied bestand zwischen der
Amsel und der Henne darin, dass der ersteren dieZellen
des Typus B. vollständig mangelten. —
Das Paraganglion war auch hier von zahlreichen sym-
pathischen Nerven durchzogen. Ebenso lagen mitten unter den
kleinen Kernen A. im Anschlusse an die Nerven, aber auch von
ihnen unabhängig, typische grosskernige Ganglienzellen. Das
fragliche Gewebe war hier auch von zahlreichen Venen und
Kapillaren durchzogen.
Ehe ich meine Befunde kurz zusammenfasse, muss ich
bemerken, dass R. Minervini (19), Seite 488, das Vorkommen
Iymphoider Zellansammlungen im Paraganglion suprarenale der
Vögel ganz kurz erwähnt. Aus den beigegebenen Zeichnungen
aber kann man nicht erkennen, was für ein Gewebe Minervini
vor sich gehabt hat. Seine Angaben lauten wörtlich: „On voit
de plus, dans le tissu interstitiel, de petits amas de cellules
Iymphoides, et dans quelques especes, comme dans le pigeon, on
trouve presque constamment un amas considerable de ces cellules
pres du bord interne ou sur le cöte dorsal, de facon a constituer
comme un petit lobe Iymphatique (voir fig. 22).* —
Ich will nun trotz meiner früheren Ausführungen nicht in
Abrede stellen, dass sich auch tatsächlich Iymphoide
Anhäufungen im Innern des Paraganglion suprarenale vorfinden
BE
Die Paraganglien bei den Vögeln. 655
können. Ich gestehe es offen ein, dass ich öfters über die
gewebliche Natur der kleinkernigen Anhäufungen im Zweifel blieb
und eher zu der Auffassung neigte, dass es sich um ein Iymphoides
(sewebe handelte. Bleibt man auch bei einer gewissen Anzahl
von Kern- und Zellgruppen über ihren histologischen Charakter
im unklaren, so ergibt ein genaues vergleichendes Studium mit
Sicherheit, dass sehr viele derjenigen Gruppen, die
fürs erste als Ilymphoide Zellanhäufungen impo-
nierten, als ein dem sympathischen Nervensysteme
genetisch zugehöriges Gewebe aufgefasst werden
müssen.
Die wichtigsten Ergebnisse meiner diesbezüglichen Unter-
suchungen sind in kurzer Zusammenfassung folgende:
1. Bei allen von mir untersuchten jungen Nestkrähen
und einer Nestamsel bestanden zahlreiche abdominale Para-
ganglien nur zu einem Teile aus den gelben chromaffinen Zellen.
Der übrige Abschnitt wurde aus einem grösstenteils kleinkernigen
(Gewebe, welches sich intensiv färbte, gebildet. Dieses setzte
sich der Hauptsache nach aus einer Summe kleiner, polymorpher
Kerne zusammen, die sich lebhaft mit allen Kernfarbstoffen
tingierten. Das zwischen ihnen gelegene spärliche Plasma blieb
fast farblos. Ich betrachte dieses kleinkernige gewebe
als ein teilweise unentwickeltes dem sympathischen
Nervensysteme zugehöriges (Gewebe, weil, wie es mir
scheint, die Entwicklung farbloser und gelber chromaffiner Zellen,
sowie von Ganglienzellen (Henne) aus ihm durch eine Reihe von
Übergangsformen gesichert zu sein scheint. Für seine Zugehörig-
keit zum Sympathicus spricht auch seine gesetzmässige
gewebliche Verbindung mit dem letzteren.
2. Das auf einer embryonalen Stufe der Entwicklung stehen
gebliebene Gewebe war bei jungen Vögeln viel reicher als bei
alten (Zeisig, Würger) entwickelt.
3. Den Höhepunkt seiner Ausbildung erreichte das fragliche
(Gewebe im Innern des Paraganglion suprarenale einer
alten Henne. Hier bildete es gut die Hälfte des letzteren.
Bei den anderen jungen und alten Vögeln war es nur in Gestalt
kleinerer oder grösserer mehr selbständiger Gruppen den Zell-
strängen des Paraganglion suprarenale angeschlossen, oder fehlte
in mehreren Paraganglia suprarenalia vollständig.
656 Wilhelm Kose:
Eine weitere Frage, die sich einem von selbst aufdrängt,
ist die nach der Bedeutung dieses fraglichen Gewebes. Es ist
vollständig unmöglich, heute schon eine Antwort darauf zu geben.
Ich will hier nur einige Möglichkeiten kurz erwähnen. Die
besonders reiche Entwicklung dieses Gewebes bei jungen Vögeln
und bei der alten Henne spricht dafür, dass es sich nicht um
ein bedeutungsloses Gewebe, sondern um Bildungen
handeln müsse, die entweder als solche für sich oder aber als
Mutterboden für andere (Gewebe bestimmt sind im physio-
logischen Haushalte des betreffenden Vogels eine wichtige Rolle
zu spielen. Das Vorkommen dieses fraglichen Gewebes auch bei
alten Vögeln könnte entweder in ähnlicher Weise gedeutet
werden, oder noch auf die Art, dass es sich bei ihnen um ein
Reservematerial für die Neubildung von chromaffinen oder
Ganglienzellen handeln könnte. Bei alten Vögeln habe ich mit
Ausnahme der einzigen Henne das Gewebe nur in Gestalt kleiner
(Gruppen vorgefunden. Doch sind meine Untersuchungen in bezug
auf alte Vögel viel zu wenig ausgedehnt, um mir hier ein be-
stimmtes Urteil zu gestatten.
Die ganz einzig dastehende Entwicklung des Gewebes bei
dieser alten Henne legte mir den Gedanken an eine patho-
logische, excessive Wucherung nahe Die vollständig
regellose Durchmengung der verschiedensten Kerne und Zellen
erhöhte noch diesen Eindruck. Jedenfalls befand sich das frag-
liche Gewebe bei der Henne auf einer weiter vorgeschrittenen
Entwicklungsstufe als bei irgend einem anderen Vogel. Das
chromaffine Gewebe wurde dadurch stellenweise vollkommen
ersetzt. Dass es sich hier um kein für das Tier bedeutungs-
loses Gewebe gehandelt hat, liegt auf der Hand.
Es müssen nun weitere diesbezügliche Untersuchungen
abgewartet werden, und ich 'selbst will mich ihnen bei Gelegen-
heit zuwenden, ehe man aus den blossen Vermutungen heraus-
kommen wird. Ich begnüge mich daher mit den gemachten
Angaben und gebe mich der Hofinung hin, durch sie den Anstoss
zu weiteren Arbeiten gegeben zu haben.
(Schluss mit Literaturverzeichnis im nächsten Heft.)
d
Die Paraganglien bei den Vögeln. 65
10. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI— XXIII.
Sämtliche Figuren sind mit Hilfe des Abb&schen Zeichenapparates
in der Höhe des Objekttisches entworfen worden. Folgende Figuren wurden
von mir selbst angefertigt: Taf. XXI, Fig. 1, 2, 3; Taf. XXII, sämtliche
Figuren; Taf. XXIII, Fig. 22 und 24b; die Zeichnungen 23 + 24a führte
Fig.
Herr Richard Scholz, Kunstmaler in Dresden aus.
Verzeichnis der Abkürzungen.
art. — Arterie.
bdg. — Bindegewebe.
bag. kr. — Bindegewebskern.
chrz. — chromaffine Zelle.
chr. kr. — Kerne einer chromaffinen Zelle.
embr. nerv. gew. — das auf einer embryonalen Stufe der Entwicklung
stehen gebliebene „nervöse* d. h. dem Nerven-
systeme genetisch zugehörige Gewebe.
endonr. kr. — Kern des endoneuralen Bindegewebes.
end. kr. — Endothelkern.
ep. kp. — Epithelkörper.
epnr. — Epineurium.
erythr. — rotes Blutkörperchen.
gl. — Ganglion.
82. — Ganglienzelle.
hil. —-<Hilus:
kpl. — Kapillare.
kps. — Kapsel.
lum. — Lumen.
nb. — Nebenniere (Rinde).
n. qu. — Nervenquerschnitt.
nr. kl. — Nierenkanälchen.
pg. — Paraganglion.
sk. kp. — Sekret kapillare.
sy.n. — sympathischer Nerv.
urn. knl. — Urnierenkanälchen.
vak. — Vakuole.
vit. chrz. — violette (nicht gelbe) chromaffine Zellen.
zb. — Zellballen.
zg — Zellgrenze.
Tafel XXI.
1. Partie aus dem Paraganglion suprarenale eines ein-
jährigen Hahnes (Gallus domesticus) d. Müllersche
Flüssigkeit 9: Formol 1. 5 «. Freeborn. Zeiss, hom. Im-
mersion 2. num. Ap. 1,30. Kompens.-Ok. 12. Tub. 160. Vergr. 1500.
Jede chromaffine Zelle wird für sich von verschieden starken
Bindegewebsbündeln und Fasern, die nach allen Richtungen ver-
Fig.
Wilhelm Kose:
laufen umgeben. In der Mitte liegt eine besonders mächtige An-
häufung von Bindegewebe. Manche von ihren getrennt gezeichneten
schwarz-blauen Feldern übergehen bei Verstellung des Tubus un-
mittelbar ineinander; es sind daher nur optische Durchschnitte
wellig gebogener Bündel. Am linken Rande der Zeichnung grenzen
zwei kernhaltige chromaffine Zellen unmittelbar aneinander.
“ Zwischen den chromaffinen Zellen vakuolenartige Spaltlücken im
Bindegewebe (vak.!”®). Die Vakuole (vak.?) wird an ihrer ganzen
Peripherie von allerfeinsten bindegewebigen Fäserchen umgeben,
von welchen vier quergetroffen sind und als dunkle schwarz-
blaue Pünktchen hervortreten. Auch an der rechten Spitze der
Vakuole (vak.°) liegt ein solcher Querschnitt. Oben rechts eine
mehr längliche Spalte (sk.kp.). Einige Bindegewebskerne (bdg.kr.
in dem interzellulären Fasergerüste. Die Granulierung aller Zellen
deutlich. Die Kerne gross und deutlich strukturiert. Die grossen
Kernkörperchen erscheinen bei einer gewissen Einstellung deut-
lich gelb. Sie sind in den meisten Fällen von allerkleinsten
dunklen Körnchen zum Teile eingerahmt. Oben rechts eine
grosse, graue Zelle (gr. Z.). Dies ist eine von denjenigen
chromaffinen Zellen, welche sich nur bei diesem Hahne in
einer solchen Menge, aus unbekannten Gründen, gar nicht
selb gefärbt hatten, sondern vollständig farblos geblieben
waren. Es handelt sich in diesem Falle, trotz der grossen Ähn-
lichkeit, um keine Ganglienzelle Genau so grosse und
strukturierte Kerne kommen auch in leuchtend gelben chrom-
affınen Zellen vor. Die Granulierung des Plasmas entspricht
ebenfalls jener der chromaffınen Zellen. Oben und rechts neben
dieser grauen Zelle, Randpartien weiterer solcher Zellen. Alle
farblosen chromaffınen Zellen färbten sich bloss durch das
Nigrosin schwach bläulich-grau.
Abschnitt aus dem Paraganglion suprarenale einer
alten Henne (Gallus domesticus)?. Müllersche Flüssigkeit 9:
Formol1. Hansen. 5 „. Zeiss, hom. Immersion 2. num. Ap. 1,30.
Kompens.-Ok. 12. Tub. 160. Vergr. 1500.
Diese Figur zeigt ebenfalls die Verbreiterung des fibrillären Binde-
gewebes innerhalb des Paraganglion suprarenale. Die meisten
einzelnen chromaffinen Zellen werden jede für sich von binde-
gewebigen Fasern und Faserbündeln an ihrer Peripherie maschen-
artig umgeben und von ihnen auch überquert. Einzelne Zellen
liegen unmittelbar aneinander; in den folgenden Schnitten wurden
aber auch sie durch feinere oder stärkere Bindegewebsfasern von-
einander geschieden. Manche chromaffıne Zellen sind bloss ange-
schnitten und enthalten daher keine Kerne. Die bindegewebigen
Fasern und Faserbündel sind öfters auch quergetroffen (qu.). Die
Farbe der einzelnen chromaffınen Zellen schwankt zwischen einem
ganz lichten Gelb (Zelle in der Mitte) und einem lebhaften Braun
Die Paraganglien bei den Vögeln. 659
oder häufig Braunrot. Die Granulierung ist in den braunen Zellen
lebhafter als in den gelben. Manche Kerne haben sich durch
das Säurefuchsin intensiv rot gefärbt. Ihre Innenstruktur ist
gar nicht oder nur in Gestalt dunkelroter verwaschener Flecken
zu sehen. Die übrigen Kerne besitzen im wesentlichen denselben
Farbenton wie das Plasma. Einige Zellen enthalten vakuolenartige
Hohlräume. Die Vakuole (vak.°) liegt dem Zellkern an und buchtet
ihn etwas ein. Vergleiche mit diesen intrazellulären Vakuolen
die im Bindegewebe befindlichen interzellulären vakuolenartigen
Spalträume (vak. !®).
Fig. 3. Vier gelbe chromaffine Zellen aus dem Paraganglion
suprarenale einer alten Henne (Gallus domesticus) 9.
Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. Mallory-Stöhr 5 .«.
Zeiss, hom. Immersion 2. num. Ap. 1,30. Kompens.-Ok. 12. Tub. 160.
Vergr. 1500.
In allen vier mehr minder lebhaft gelb- oder dunkelgrünen Zellen
liegen rein goldgelbe Felder (f!und f?), die eine Anzahl dunkel
rostbrauner, grösserer oder kleinerer Granula enthalten. Diese
finden sich manchmal auch ausserhalb dieser Felder, unregelmässig
im Plasma verstreut (gr. in Zelle 2). Vergl. auch Fig. 1, Taf. XXI.
Die Kerne der Zellen 1 und 3 sind gross, deutlich konturiert, blau-
grau und enthalten mehrere grosse oder kleine Chromatinbrocken.
Der Kern der Zelle 2 ist deutlich blau, ohne scharfe Konturen ;
seine Innenstruktur ist wie verwaschen. In allen Zellen zahlreiche
Vakuolen. Das perizelluläre Bindegewebe ist nicht so lebhaft blau
wie in Fig.1.
Tafel XXI.
Sämtliche Figuren stellen chromaffine Zellen des Paraganglion
suprarenale dar und sind mit der homogenen Immersion (Zeiss) 2. num.
Ap. 1,30 (resp. 1,40), Kompens.-Ok. 12, Tub. 160, Vergr. 1500, gezeichnet.
Fig. 6—9 stammen von einer alten Henne (Gallus domesticus) 2, die
übrigen von demselben einjähr. Hahne (Gallus domesticus) d,
von welchem auch Fig. 1, Taf. XXI, herrührt. Alle Schnitte wurden
nach Freeborn gefärbt, um die Mannigfaltigkeit in der Verteilung
des interzellulären Bindegewebes wenigstens teilweise im Bilde vor-
zuführen. Fig. 15,16, 17 sind nur der Kernformen wegen gezeichnet
und daher nicht näher ausgeführt worden.
Fig. 6, 7,9 sollen zeigen, wie Bindegewebsbündel auch im Innern kern-
haltiger Syneytien verlaufen. Betreffs ihrer näheren Erklärung
verweise ich auf den Text. (8. 593—-594.) Die Kerne der verschiedenen
Zellen sind rund oder oval, matt konturiert, schwach blaugrau und
haben eine undeutliche Struktur. Die Zellen sind lebhaft granuliert und
von einer verschiedenen Anzahl kleiner, runder, gelber, vollkommen
homogener Tröpfchen teilweise erfüllt. Letztere denke ich mir durch
eine physiologische Einschmelzung der Granula erzeugt. Fehlt,
im fixierten Präparate, der Inhalt dieser Tröpfchen, dann
PTR 222 2 SZ udn
u
660 Wilhelm Kose:
entstehen die runden, leeren und rein weissen Stellen, die ich der
Einfachheit wegen als Vakuolen bezeichne (Fig. 11, 12, Taf. XXIT).
Analoge, nur etwas grössere Sekrettropfen liegen auch in der
Zelle 1 in Fig. 10, Taf. XXI.
Fig. 5 u. 10 zeigen, dass die bindegewebigen Fasern und Faserbündel sich in
seichte, in der Zellperipherie befindliche Dellen einsenken können.
Fig. 8. Ein Teil einer chromaffinen Zelle. Ein ganz schwaches Faser-
bündel bildet in einer solchen peripheren Einbuchtung eine offene
Schlinge.
Fig. 10. Im einer solchen vertieften Stelle verflechten sich verschieden starke
bindegewebige Fasern und Faserbündel zu einem lockeren Korbe.
Der Kern der Zelle (1) ist etwas dunkler blaugrau als in den
vorhergehenden Figuren, seine Struktur ist fast ganz verwischt.
Die Granulierung der schmutziggrünen Zellen 1 und 2, die nicht
in ihrer ganzen Ausdehnung gezeichnet sind, ist ebenfalls undeut-
lich. Zwischen den Zellen 1 und 2 eine kapilläre Spalte, die kein
Kunstprodukt ist, sondern meiner Meinung nach, als eine —
Sekretkapillaren entsprechende — Bildung aufgefasst werden
muss. Vergl. Text S. 614—620.
Fig. 11. Die deutlich granulierte, mehr schmutzig gelbgrüne Zelle ist von
einer grösseren Anzahl verschieden grosser, meist kreisrunder und
vollkommen leerer Lücken durchsetzt (Vakuolen). Der Kern
matt bläulich grau mit einem ganz leichten Stich ins Violette.
Q
Fig. 12. Dieses Bild verdeutlicht die Ineinanderschachtelung zweier
benachbarter chromaffiner Zellen. Die kleinere lebhaft gelbe und
deutlicher granulierte Zelle liegt in einer halbkreisförmigen Aus-
buchtung der grösseren, schmutziggrünen und weniger deutlich
granulierten Zelle. Es handelt sich hier, wie mit aller
Bestimmtheit zu erkennen war, um keine Übereinander-
lagerung dieser zwei Zellen. Wo immer sich diese eigen-
tümliche Verbindung zweier chromaffıner Zellen vorfand, war die
kleinere von ihnen stets lebhaft gelb und die grössere schmutzig
grüngelb. Der Kern der grossen Zelle ist scharf konturiert, von
einer staubartig fein gekörnten Masse zum Teile erfüllt, die sich
schwach bläulich grau gefärbt hatte. Der Kern besitzt eine deut-
liche Struktur. Die Kernkörperchen des Kernes der kleinen
Zelle sind bei jener Einstellung gezeichnet, bei welcher sie orange-
gelb aufleuchten. In der grossen Zelle liegen links neben dem
Kern zwei von den allerkleinsten Vakuolen in einer gewissen
Distanz voneinander. Die am meisten links befindliche ist kaum
wahrzunehmen und nur so gross, dass ein bis zwei Granula in
ihr Platz hätten. Am oberen Rande der Zelle eine grössere Saft-
lücke (Vak.) im Bindegewebe.
Fig. 13. Die chromaffıne Zelle (b) enthält in ihrer oberen Hälfte drei ver-
schieden grosse und gestaltete, vollkommen leere, vakuolenartige
Hohlräume. Hart am unteren Rande der Zelle findet sich unter dem
Die Paraganglien bei den Vögeln. 661
Kern, diesen stellenweise sogar überlagernd (punktierte Linie), eine
sehr grosse, längliche Vakuole, die offenbar durch eine Verschmelzung
dreier benachbarter Vakuolen hervorgegangen ist. Rechts neben
ihr noch eine grosse runde Vakuole. Die längliche Vakuole ist nur
durch einen äusserst schmalen, 2—3 Granula breiten Protoplasma-
saum von dem interzellulären Gangsystem (sk.kp.'?) teilweise ge-
trennt, mit welchem sie dann bei der geringsten Verstellung des Tubus
in breiterer Ausdehnung kommuniziert. Die interzellulären Sekret-
spalten sind hier besonders breit. Der Zelle (b) liegt unten ein
länglicher Bindegewebskern (bdg. kr.) an. Von der Zelle (a) ist
nur ein Stück gezeichnet. Die Nebenniere („Rinde“) (nb.) ist gleich-
mässig grau gehalten.
Fig. 14, 18, 20, 21 zeigen verschiedene Abschnitte der interzellulären im Binde-
Fig. 14.
Fig. 18.
Fig.
2
.
I:
gewebe gelegenen Sekretlücken und -Spalten. Die gelben und
grauen chromaffınen Zellen sind der Einfachheit wegen nicht
näher ausgeführt.
Die obere Lücke erreicht eine besonders grosse Ausdehnung.
Das zwischenzellige Bindegewebe bildet ein lockeres, maschiges
Flechtwerk. Seine einzelnen Lücken stehen miteinander in einem
direkten Zusammenhange. Die bindegewebigen Fasern und Faser-
bündel sind in den verschiedensten Richtungen getroffen. Die
Zeichnung wurde bei einer Verstellung des Tubus um ce. 0,0025 mm
angefertigt, weil man sonst nur Bruchstücke des bindegewebigen
Gerüstes zu Gesicht bekommen hätte. Tatsächlich war dieses noch
viel reicher verschlungen, als es hier wiedergegeben ist. Die
straffierten Partien links und rechts oben sind Kapillaren (kpl.).
Eine runde, vaknolenartige Lücke (vak?) im Bindegewebe in der
Mitte der Zeichnung zwischen den chromaffinen Zellen 1, 2 und 3.
An ihrem linken unteren Rande zwei schwarzblaue Pünktchen
(Querschnitte von Bindegewebsfibrillen).. Zwischen den Zellen 1
und 2 liegt ebenfalls eine ganz von Bindegewebe eingehüllte, sehr
kleine runde Lücke (vak!).
Zwischen der Zelle a und b eine längliche Spalte (sk. kp.'), deren
Wandungen von längsverlaufenden, dünnsten bindegewebigen
Fäserchen ausgekleidet werden, die sich ihrerseits den chromaffinen
Zellen unmittelbar anlegen. Ganz oben links am Ende des unteren
Fäserchens der Querschnitt eines dritten dünnen Fäserchens.
Diese interzelluläre Spalte mündete in die vakuolenartige Lücke
(vak) ein. Diese wiederum setzte sich in die zwischen der Kapillare
(gelbes Feld) und der Zelle (ce) längsverlaufende Spalte (sk. kp.?)
fort. Beide kapillaren Spalten (sk. kp.'?) sind keine Kunst-
produkte, sondern Abschnitte des interzellulären Gangsystems,
das meiner Überzeugung nach der Ableitung der spezifischen Zell-
sekrete dient. Dass viele dieser kapillaren, zwischenzelligen Spalten,
der Anordnung des fibrillären Bindegewebes entsprechend, nicht
662 Wilhelm Kose:
immer von diesem ausgekleidet sein müssen, zeigt (Fig. 10,
Taf. XXI, sk. kp.)
Fig. 15, 16, 17. Diese Figuren sollen einige von den kleineren Kernformen
der chromaffinen Zellen vorführen. Die Kerne und das Plasma
waren genau so wie in der Zelle 1, Fig. 10, Taf. XXII, gefärbt.
Die Zellgrenzen sind nur durch einfache Linien angegeben.
.. 16 und 17. Die Kerne liessen fast gar keine Struktur erkennen, in Fig. 16
ist sie nur augedeutet. Der Kern in Fig. 17 ist ganz unregel-
mässig geformt und besitzt an seiner oberen Peripherie eine Ein-
buchtung. Etwas von ihm entfernt liest im Plasma ein kleiner,
rundlicher, etwas ‘weniger lebhaft gefärbter Körper, über dessen
Wesen ich nichts näheres aussagen “ann. Diese unregelmässigen
Kerne, in deren Nähe ein solches kugeliges Körperchen lag, kamen
zwar nicht häufig, aber doch in einer relativ genügend grossen Anzahl
von chromaffinen Zellen vor, so dass es sich nicht gut um einen
Effekt der Vorbehandlung des Präparates oder der Schnittführung
handeln konnte. In Fig. 15 liegt dem Kern oben eine mittelgrosse
Vakuole an.
Fig. 19. Dieses Bild ist ein schlagender Beweis dafür, dass sich auch die
Kerne der chromaffinen Zellen durch Chromverbindungen gelb
färben können. Der Kern war sehr klein (vergl. mit ihm die Kerne
in Fig. 12, 13, Taf. XXII und jenen der grauen chromaffinen Zelle
[gr. Z.) in Fig. 1, Taf. XXI) und besass keine eigentliche Struktur.
Diese war nur in Gestalt schattenhafter, etwas dunklerer Stellen
angedeutet. Die gelben Kerne, die durchaus nicht gar zu selten
vorkamen, waren stets klein. Die Nuance des Gelb schwankt bei
den einzelnen Kernen zwischen einem lichten Strohgelb — und
einem satten ÖOrangegelb.
Tafel XXIII.
Fi
‘e
Fig. 22. Partie aus dem embryonalen nervösen Gewebe, das sich
im Paraganglion s#@prarenale einer alten Henne (Gallus
dometsicus 9) vorfand. Mülllersche Flüssigkeit 9: Formol 1.
5 «. Heidenhain: Eisenalaun-Hämatoxylin. Zeiss Ap. 4. Kom-
pens.-Ok. 18. Tub. 160. Vergr. 1125.
Betreffs der ausführlichen Beschreibung dieser Figur muss ich
auf den Text verweisen (Seite 640646).
Fig. 23. Randpartie aus dem Paraganglion suprarenale und der
Nebenniere („Rinde“) eines alten Würperweibchens
(Lanius collurio). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 u.
Cochenille-Alaun. Zeiss Ap.4. Kompens. Ok.4. Tub. 160. Vergr. 250.
Diese Figur soll hauptsächlich in übersichtlicher Weise die innige
Verschmelzung des embryonalen nervösen Gewebes
(embr. nerv. gew.) mit einem sympathischen Ganglion (sy. gl.)
und zugleich dem Paraganglion suprarenale zeigen. Der gleich-
mässig grau gehaltenen Nebenniere (nb.) liegt links ein mittel-
grosses sympathisches Ganglion (sy. gl.) unmittelbar von aussen
a er ee ee ee
Fig. 24a.
Fig. 24h.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 663
an. Eine kleine Gruppe des embryonalen nervösen Gewebes (embr.
nerv. gew.) berührt das Ganglion von rechts und erstreckt sich
auch zungenförmig in das letztere hinein. Gleichzeitig ist
das embryonale nervöse Gewebe zwischen die Zellstränge der Neben-
niere eingegraben und verbindet sich nebstbei mit den chromaffinen
Zellen in der innigsten Weise. Diese durchziehen das embryonale
nervöse Gewebe (embr. nerv. gew.) nach allen Richtungen. An
seiner dem Paraganglion suprarenale zugewendeten Seite liegen
vereinzelte sympathische Ganglienzellen (sy. gz.) und sgehäufte
chromaffine Zellen. Die Ganglienzellen bilden nur die äusserste
Fortsetzung des aussen gelegenen sympathischen Ganglions.
Dieses setzt sich später in das Innere des Paraganglion supra-
renale fort. Die Braunfärbuug (Cochenillewirkung) der
chromaffinen Zellen ist eine so intensive, dass die Kerne vieler
Zellen gar nicht oder aber nur mit Mühe zu sehen sind. Zahlreiche
kleine, kreisrunde Vakuolen im Plasma.
Ein peripheres abdominales sympathisches Ganglion
einer jungen Amsel (Turdus merula L.) mit anliegendem,
embryonalem nervösem Gewebe (embr. nerv. gew.).
Müllersche Flüssigkeit 9 : Formol 1. 10 „. Cochenille-Alaun.
Zeiss Ap.8. Kompens. Ok. 4. Tub. 160. Vergr. 125. Das embryo-
nale nervöse Gewebe liegt hier in der Art eines Paraganglion
dem sympathischen Ganglion (sy. gl.) von aussen an. Eine gemein-
schaftliche bindegewebige Kapsel (bdg. kps.) umhüllt beide. Das
embryonale nervöse Gewebe (embr. nerv. gew.) wird von gelben
chromaffinen Zellen nach allen Richtungen durchzogen. Diese
bilden entweder mehr isolierte Zellballen oder aber ein teilweise
zusammenhängendes Netz von Zellsträngen. Zahlreiche Venen
(ven) und Kapillaren (kpl) in der Peripherie (aber auch im Innern)
des embryonalen nervösen Gewebes.
Ein Abschnitt aus dem embryonalen nervösen Gewebe
der Fig. 24a. Zeiss Ap.4. Kompens. Ok. 18. Tub. 160. Vergr. 1125.
In dem kleinkernigen Grundgewebe A liegen verstreute typische
grosskernige chromaffine Zellen (6, 7), ferner klein-
kernige, mehr /goldgelbe chromaftine Zellen (11). Diese Figur
zeigt die innige Vermengung aller Zellarten. Betreffs der genauen
Erklärung verweise ich auf den Text (S. 649—654). Ein Vergleich
mit Fig. 22 derselben Tafel soll ferner die Gleichheit des klein-
kernigen Gewebes A in beiden Fällen zeigen.
ri"
665
Die Paraganglien bei den Vögeln.
Von
M. U. Dr. Wilhelm Kose, Dresden.
Hierzu Tafel XXIV—XXVI und 2 Textfiguren.
Zweiter Teil.
6. Das Paraganglion caroticum.
I. Das Paraganglion earoticum der Krähen.
A. Histologie.
Die Zellen, welche am Halse und Herzen in innigster
Verbindung mit dem sympathischen Nervensystem stehen und
das Paraganglion caroticum sowie die anderen daselbst
befindlichen Paraganglien zusammensetzen, unterscheiden sich in
mehrfacher Beziehung von den gelben chromaffinen
Zellen. Am auffälligsten ist ihre Eigenschaft, bei Fixierung mit
Chromgemischen ausnahmslos ungefärbtzu bleiben.
Wie ich später genauer ausführen werde, müssen diese farblosen
Zellen trotz aller zwischen ihnen und den gelben chromaffinen
Zellen bestehenden Differenzen zu der Gesamtgruppe der
chromaffinen Zellen gezählt werden. Im folgenden
werde ich also die Zellen des Paraganglion caroticum,
zum Unterschiede von den gelben chromaffinen, als farblose
chromaffine Zellen bezeichnen.
Unter dem Paraganglion caroticum verstehe ich
eine besonders grosse Anhäufung dieser farblosen chromaffinen
Zellen, die konstant in der Nähe eines Epithelkörpers und
grossen sympathischen Ganglion liegt. Ich halte diese Zellgruppe
für ein der „Carotisdrüse“ der Säugetiere gleichwertiges
Organ und suche dies auch durch den Namen auszudrücken.
Der von Kohn für die „Carotisdrüse* der Säugetiere vor-
geschlagene Terminus — Paraganglion intercaroticum —
kann aber bei den Vögeln nicht angewendet werden, da bei
diesen das Paraganglion nicht an der Carotisbifurkation liegt.
Weil aber letzteres sich stets in der Nähe der Carotis communis
befindet und seine Hauptarterie ihren Ursprung aus dieser nimmt,
so nenne ich es Paraganglion caroticum.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 44
666
Wilhelm Kose:
Zum leichteren Vergleiche der bei den einzelnen Krähen
erhobenen Befunde stelle ich gleich hier eine gedrängte Zu-
sammenstellung der wichtigsten Ergebnisse an die Spitze meiner
diesbezüglichen Ausführungen.
Alte Krähe . d-
a) Paraganglion caroticum von der rechten Halsseite.
I:
ou
.
Die drei grössten, senkrecht aufeinander stehenden Durch-
messer betrugen:
dy" = .Oamm
de = 0,4 ”„
dis, 0,927,
Das Paraganglion caroticum lag dem kranialen Epithel-
körper nur von aussen an. Die dünne bindegewebige
Hülle des letzteren grenzte unmittelbar an das Geflecht
feiner markloser Nervenfasern, welches das Paraganglion
caroticum von aussen einhüllte.
. Der besonders grosse kraniale Epithelkörper setzte sich
aus zwei kleineren, teilweise miteinander verschmolzenen
Epithelkörpern zusammen. Es bestand keine Hilusbildung
in dem grossen Epithelkörper.
Das Paraganglion caroticum war vom Stamme der Carotis
communis durch einen kleinen aber deutlichen Zwischen-
raum getrennt.
. Der Reichtum des Paraganglion caroticum an marklosen
und feinen markhaltigen Nerven war ein sehr grosser.
Die Nerven umhüllten das Paraganglion caroticum nicht
bloss an seiner Oberfläche, sondern durchzogen auch sein
Inneres nach allen Richtungen.
. In der Nähe des kaudalen Epithelkörpers lag ein grosses
sympathisches Ganglion; vom Paraganglion caroticum
war es ziemlich weit entfernt. Vom Ganglion zog in
einem schwachen Bogen ein stärkeres Nervenstämmchen
zum Paraganglion caroticum. Im Ganglion fanden sich
nur zwei kleine Gruppen farbloser chromaffiıner Zellen.
Der zum Paraganglion caroticum hinziehende Nerv ent-
hielt nicht eine einzige von diesen Zellen. Gelbe chrom-
affıne Zellen waren nirgends aufzufinden.
. An verschiedenen Stellen der Vorhöfe lagen mehrere
Gruppen farbloser chromaffiner Zellen.
zw
Die Paraganglien bei den Vögeln. 667
. Aus derCarotis communis entsprang ein grösseres Arterien-
stämmchen, das sich nach kurzem Verlaufe in einen für
die Thyreoidea und einen für das Paraganglion caroticum
bestimmten Ast spaltete.
. Der postbranchiale Körper fehlte vollständig.
Alte Krähe « £.
b) Paraganglion caroticum von der linken Halsseite.
T
|)
Die drei grössten senkrecht aufeinander stehenden Durch-
messer betrugen:
de 20:52: mm
dia — 0,28 „
042 0,840
. Das Paraganglion caroticum zeigte in bezug auf den
kranialen Epithelkörper ganz genau dieselbe Lage wie
rechts.
. Das Paraganglion caroticum war vom Stamme der Carotis
communis durch einen kleinen aber deutlichen Zwischen-
raum getrennt. Die für das Paraganglion caroticum
bestimmte Arterie entsprang direkt aus der Carotis
communis.
Das grosse sympathische Halsganglion begann in der Nähe
des kaudalen und erstreckte sich bis zum kranialen
Epithelkörper. Vom Paraganglion caroticum war das
Ganglion ziemlich weit entfernt. Im Gegensatze zu der
rechten Halsseite war das Ganglion von zahlreichen und
schönen Gruppen farbloser chromaftiner Zellen durch-
setzt. Vom Ganglion aus zogen mehrere stärkere Nerven-
stämmchen zum Paraganglion caroticum. Während ihres
Verlaufes dorthin enthielten sie viele Gruppen der farb-
losen chromaffinen Zellen, die stellenweise sehr gehäuft
auftraten.
. Der postbranchiale Körper war hier mächtig entwickelt.
Er hüllte sämtliche zum Paraganglion caroticum hin-
ziehenden Nerven allseitig ein. Dadurch kamen die mit
den letzteren zusammenhängenden Anhäufungen der farb-
losen chromaffinen Zellen mitten zwischen die Zellgruppen
des postbranchialen Körpers zu liegen.
. Nirgends waren gelbe chromaffine Zellen aufzufinden.
44*
668
Wilhelm Kose:
Alte Krähe ?.
nn caroticum von der linken Ha
. Die drei grössten Durchmesser des eigentlichen in der
Nähe des kranialen Epithelkörpers befindlichen
Paraganglion caroticum betrugen:
dı = 0,65 mm
das=04 u
dia =—=.0,45
. Die Durchmesser des in der Nähe des kaudalen
Epithelkörpers befindlichen zweiten Paraganglion
caroticum betrugen:
dı —= 0,45 mm
de= 0.19
ds ==0)13
. Sowohl in der Nähe des ale als des kaudalen
Epithelkörpers lag je ein aus vielen Einzelgruppen farb-
loser chromaffiner Zellen zusammengesetztes Paraganglion.
Das eigentliche Paraganglion caroticum war merklich
grösser und befand sich in der Nähe des kranialen
Epithelkörpers. Es war von diesem durch einen deut-
lichen Spaltraum getrennt. Zahlreiche Nerven verbanden
das Paraganglion caroticum mit dem zweiten tiefer unten
liegenden Paraganglion und mit dem sympathischen
Ganglion. Die Nerven und das Ganglion enthielten zahl-
reiche Gruppen der farblosen chromaffinen Zellen.
Das Paraganglion caroticum lag der Carotis communis
unmittelbar an.
. Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie
nahm ihren Ursprung in folgender Weise aus dem
Stamme der Carotis communis. Von dieser zweigte an
einer dem Paraganglion caroticum zugekehrten Stelle
eine stärkere Arterie ab. Ehe aber noch diese die
Carotiswand völlig durchsetzt hatte, ging von ihr seitlich
eine kleinere Arterie ab, die später direkt in das Para-
ganglion caroticum zog. Die eigentliche Fortsetzung
der ursprünglichen grösseren Arterie teilte sich dann
ausserhalb der Carotis communis alsbald in zwei Äste.
Einer von ihnen war für die Thyreoidea, der andere für
den postbranchialen Körper bestimmt.
6.
es
Die Paraganglien bei den Vögeln. 669
Der postbranchiale Körper zeigte eine mächtige Ent-
wicklung und reichte bis zum Paraganglion carotieum.
Nirgends fand ich gelbe chromaffine Zellen.
Junge noch blinde Nestkrähe ,.
a) Paraganglion caroticum von der linken Halsseite
E
Die drei grössten Durchmesser betrugen:
dr. —0,36-:mm
des (O0
ds. 0,32
Vergleichsweise seien hier die Durchmesser der am Herzen
vorkommenden Paraganglien angeführt:
2.
o
ot
de 0.49: mm
des=20,16
ds==0.18
2
Das Paraganglion caroticum lag in der Nähe des kranialen
Epithelkörpers, von ihm durch einen kleinen Spaltraum
getrennt. In der Nähe des kaudalen Epithelkörpers fand
ich auch eine grössere Anhäufung der farblosen chrom-
affınen Zellen. Die Verhältnisse waren hier genau die-
selben wie bei den zwei anderen Krähen auf der linken
Halsseite.
Das Paraganglion caroticum berührte fast die Wand der
Uarotis communis, war aber sowohl von dieser als auch
vom Epithelkörper durch einen kleinen Zwischenraum
getrennt.
. Die Carotiswand enthielt bis zu zwei Drittel ihrer Dicke
zahlreiche schöne Gruppen farbloser chromaffiner Zellen.
Diese standen nirgends in einem geweblichen Zusammen-
hange mit dem eigentlichen Paraganglion caroticum.
Das Paraganglion caroticum war mit dem zweiten tiefer
unten liegenden Paraganglion und dem sympathischen
Halsganglion durch zahlreiche marklose Nerven ver-
bunden. Das Ganglion begann wie gewöhnlich in der
Nähe des kaudalen Epithelkörpers, reichte aber bis zum
kranialen hinauf. Das Ganglion und die aus ihm hervor-
kommenden Nerven enthielten zahlreiche Gruppen farb-
loser chromaffiner Zellen, dagegen nicht eine einzige
gelbe chromaffine Zelle.
6.
Wilhelm Kose:
Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie
entsprang für sich allein direkt aus der Carotis communis.
. Der postbranchiale Körper zeigte eine sehr mächtige
Entwicklung. Er umgab das Paraganglion caroticum
fast auf allen Seiten. Einzelne seiner Zell-
gruppen drängten sich bis in die Carotis-
wand vor.
Junge noch blinde Nestkrähe ;.
b) Paraganglion caroticum von der rechten Halsseite.
1
DD
3
=
oO
=
[0 0)
Die drei grössten Durchmesser betrugen :
darı== :0.A - mm
dis — 0,54
RE
Das Paraganglion caroticum lag diesmal ausnahms-
weise in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers.
Das Paraganglion caroticum berührte die Carotiswand
direkt. Diese enthielt gerade so wie auf der linken
Halsseite mehrere Gruppen der farblosen chromaffinen
Zellen.
Von der Carotis communis entsprangen an getrennten
Stellen zwei für das Paraganglion caroticum bestimmte
Arterien. Die innerhalb der Carotiswand gelegenen
Gruppen der farblosen chromaffinen Zellen waren längs
der einen Arterie angeordnet.
Das grosse sympathische Ganglion reichte vom kaudalen
bis zum kranialen Epithelkörper.
Beide Epithelkörper berührten sich fast.
Vom sympathischen Ganglion zogen zahlreiche Nerven
in das Paraganglion caroticum. Weder das Ganglion
noch die Nerven enthielten farblose chromaffine Zellen.
Der postbranchiale Körper war hier bis auf wenige Zell-
gruppen reduziert.
Nirgends fanden sich im sympathischen Nervensystem
am Halse und Herzen gelbe chromaffine Zellen, dagegen
mehrere grössere Gruppen der farblosen chromaffınen
Zellen an den Vorhöfen.
Eine vergleichende Durchsicht der gesamten bei den drei
Krähen erhobenen Befunde zeigt, dass sowohl in bezug der gegen-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 671
seitigen Lagerung des Paraganglion caroticum zu den Epithel-
körpern, der Carotis communis und dem grossen sympathischen
Ganglion, als betreffs des feineren Aufbaues des Paraganglion
caroticum bei den einzelnen Krähen fast genau dieselben Ver-
hältnisse vorlagen. Die kleinen und mehr unwesentlichen
Differenzen, die aufzufinden waren, sollen später genauer be-
sprochen werden.
Alle drei von mir untersuchten Krähen besassen in der
gleichen Weise ein Paraganglion caroticum. Dieses bildete eine
mächtige Anhäufung der zu Gruppen angeordneten farblosen
chromaffinen Zellen. Das Paraganglion caroticum lag nur mit
einerAusnahme stets in der Nähe des kranialen Epithel-
körpers;. bloss bei der Krähe y war es auf der rechten Halsseite
dem kaudalen Epithelkörper angeschlossen. Bei der Krähe «
lag es rechts und links, bei der Krähe y bloss rechts dem
Epithelkörper unmittelbar von aussen an, während es bei der
Krähe 5 undy auf der linken Halsseite durch einen Zwischen-
raum vom Epithelkörper getrennt war. Bei allen Krähen begann
in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers ein grosses sympathisches
Ganglion. Es reichte bei den einzelnen Krähen ungleich weit
am Halse kranialwärts hinauf. Infolge seiner bedeutenden Grösse
erstreckte es sich bis in die Nähe des kranialen Epithelkörpers,
war aber von diesem regelmässig weiter als vom kaudalen Epithel-
körper entfernt. Das Ganglion war stets in den Verlauf des
ausserhalb der Halswirbelsäule befindlichen und längs der
grossen Halsgefässe verlaufenden Abschnittes des sympathischen
Halsgrenzstranges eingeschaltet. Eine grössere oder geringere
Anzahl von verschieden starken Nervenstämmehen verband das
Ganglion mit dem Paraganglion caroticum. Sowohl das Ganglion
als diese Nerven enthielten in wechselnder Menge farblose chrom-
affıne Zellen, niemals dagegen auch nur eine einzige gelbe
chromaffine Zelle.
Bei der Krähe y fehlten auf der rechten Halsseite die
farblosen chromaffinen Zellen sowohl im Ganglion als auch in
den von ihm zum Paraganglion caroticum hinziehenden sym-
pathischen Nerven vollständig; bei der Krähe « fand ich.
ebenfalls auf der rechten Halsseite, nur zwei kleine Gruppen von
ihnen in der äussersten Ganglionperipherie, in den vom letzteren
ausstrahlenden Nerven dagegen nicht eine einzige chromaffine
672 Wilhelm Kose:
Zelle. Auffallend war es nun, dass bei allen drei Krähen sowohl
das grosse sympathische Ganglion als auch die verschiedensten
sympathischen Nerven auf der linken Halsseite stets von
den farblosen chromaffinen Zellen in reichem Maße durchsetzt
waren.
Im Innern des Ganglion bildeten letztere entweder ver-
schieden grosse und mannigfach gestaltete Gruppen, oder aber
sie lagen vereinzelt zwischen den Nervenfasern und Ganglien-
zellen, diesen oft sogar unmittelbar an. Die einzelnen Zell-
gruppen waren entweder rund, oval oder länglich und mehr
unregelmässige. Einigemale besassen sie eine ausgesprochen
dreieckige Form. In diesen Fällen waren die Paraganglien
keilförmig und zwar mit der Spitze des Keiles dem Innern
des Ganglion zugewendet, in die äusserste Peripherie
des letzteren eingesenkt. Überhaupt lag die grössere Mehrzahl
aller Paraganglien in der Peripherie des Ganglion. Einige Zell-
ballen und vereinzelte chromaffine Zellen befanden sich ausser-
halb des eigentlichen nervösen Gewebes des Ganglion mitten
zwischen den bindegewebigen Fasern seiner
Kapsel. Es kam aber auch stellenweise vor, dass manche
Paraganglien sich noch weiter aus dem Ganglion entfernten und
diesem nur von aussen unmittelbar anlagen. Eine Anzahl
kleinerer oder grösserer Nerven sorgte dann manchmal für die
Verbindung beider.
In bezug auf das Vorkommen der farblosen chromaffinen
Zellen innerhalb der sympathischen Halsnerven lässt sich Ähn-
liches wie vom Ganglion aussagen. Die einzelnen Zellballen liegen
auch hier mit Vorliebe in der Peripherie und viel seltener im
Innern der einzelnen Nerven. Bestehen die Zellballen nur aus
wenigen farblosen chromaffinen Zellen, oder aber besitzen sie im
Verhältnisse zu dem Dickendurchmesser des betreffenden Nerven
eine relativ geringe Grösse, so braucht der Nerv an diesen
Stellen keine sichtbare Verbreiterung aufzuweisen. Die grossen
Paraganglien dagegen führen zu einer lokalen Auftreibung der
Nervenstämmchen oder ragen teilweise aus ihnen hervor. Dabei
macht es öfters den Eindruck, als ob diese Paraganglien den
Nerven nur von aussen anlägen. Es gelingt aber stets der Nach-
weis ihres direkten gegenseitigen und geweblichen Zusammen-
hanges. Es drängt sich einem dabei von selbst die Frage auf,
oo
Die Paraganglien bei den Vögeln. 672
ob diese weitgehende und gesetzmässige Verbindung der
farblosen chromaffinen Zellen mit dem sympathischen Nerven-
system den Ausdruck ihrer genetischen Zusammenge-
hörigkeit bildet, oder aber bloss auf einer sekundären
geweblichen Verschmelzung beider beruht. Das letzte und
entscheidende Wort wird in dieser Frage gerade so wie bei den
gelben chromaffinen Zellen die Entwicklungsgeschichte zu sprechen
haben. Ich glaube aber, dass man gerade bei den
farblosen chromaffinen Zellen auch mit rein
histologischen Methoden dem Ziele sehr nahe
kommen kann. Da mir. wie schon in der Einleitung erwähnt
wurde, die vitalen Methylenblaufärbungen an den später in
Paraffin eingebetteten und geschnittenen Objekten nicht gelangen,
so versuchte ich auf andere Weise Klarheit in die betreffenden
Verhältnisse zu bringen. Zur genaueren Erkenntnis der geweb-
lichen Verknüpfung der farblosen chromaffinen Zellen mit dem
sympathischen Nervensystem eignen sich in erster Linie die
diversen Bindegewebsfärbungen. Bei Schilderung des
Paraganglion suprarenale habe ich die Schwierigkeiten
die sich einer scharfen und verlässlichen Färbung des fibrillären
sindegewebes mit allen Säurefuchsin enthaltenden Gemischen
entgegenstellen, ausführlich erwähnt. Im Kapitel „Paraganglıon
earoticum der Hühner“ werde ich auf diese Tatsache
nochmals zu sprechen kommen. Ich verweise daher, um Wieder-
holungen zu vermeiden, auf diese betreffenden Abschnitte, da
das Bindegewebe des Paraganglion caroticum der Krähen sich
gerade so verhält. Erwähnen muss ich an dieser Stelle nur
folgenden eigentümlichen Befund. Das gesamte in den durch
die Halsorgane der jungen Krähe y geführten Schnitten ent-
haltene fibrilläre Bindegewebe färbte sich mit der von Hansen
angegebenen Mischung gar nicht oder nur kaum merklich.
Das Präparat war in einer konzentrierten Sublimatkoch-
salzlösung fixiert gewesen. Dieselbe Farbmischung
färbte fibrilläres Bindegewebe, nach Vorbehandlung der Präparate
in Müller-Formol (9:1), tadellos. In den Schnitten des
ersten in Sublimatkochsalz fixierten Präparates ergab mir die
Methode Mallory-Stöhr gute Resultate. Auch die Free-
bornsche Methode gab stets eine schöne und verlässliche Färbung
des Bindegewebes, hauptsächlich nach Fixierung der Prä-
674 Wilhelm Kose:
parate in der Mischung Müllersche Flüssigkeit 9: Formoll.
Das schwärzlich blau gefärbte Bindegewebe sämtlicher sym-
pathischer Nerven war bis in seine feinsten Verzweigungen leicht
zu verfolgen. Die vom endoneuralen Bindegewebe
eingehüllten marklosen Nervenfaserbündel müssen
wenigstens zum grossen Teil denselben Weg wie
ersteres einschlagen. Man kann sich daher aus
der Verteilung des endoneuralen Bindegewebes
ein Urteil über die Verbreitung der marklosen
Nervenfaserbündel bilden. Dies ist der Grund. warum
ich dem Verlaufe des endoneuralen Bindegewebes meine
grösste Aufmerksamkeit zuwendete.
Bei Schilderung der feineren histologischen Details halte
ich eine gesonderte Besprechung der kleinen und grossen Para-
ganglien für zweckmässig. Da die letzteren ganz genau den-
selben Aufbau wie die Zellballen des Paraganglion caroticum
besitzen, so werden sie in (remeinschaft mit diesem besprochen
werden.
Die kleineren, oft nur aus zwei bis drei, manchmal dagegen
aus 10—20 farblosen chromaffinen Zellen zusammengesetzten
Paraganglien, mögen sie nun in den Nerven oder dem Ganglion
liegen, werden niemals durch eine eigene bindegewebige Kapsel
von den Nervenfasern geschieden. Diese umgeben vielmehr all-
seitig und unmittelbar die verschiedenen Gruppen der
farblosen chromaffinen Zellen. Sehr selten kommt es vor, dass
das endoneurale Bindegewebe in der nächsten Umgebung der
Paraganglien stellenweise eine leichte Verstärkung aufweist
und dadurch gewissermassen eine bindegewebige Kapsel bildet.
Tatsächlich setzt dieses verstärkte endoneurale Bindegewebe an
diesen Orten nur ein dichteres von Lücken durchsetztes Flecht-
und Gitterwerk zusammen, durch welches die marklosen Nerven-
fasern in das Innere des Paraganglion ziehen.
Das in der Peripherie der Paraganglien angeordnete endo-
neurale Bindegewebe dringt nämlich in das Innere der Para-
ganglien und verteilt sich hier in verschiedener Weise.
Entweder umfassen seine Fortsetzungen nur Gruppen von
ehromaffinen Zellen oder aber jede einzelne von ihnen wird von
bindegewebigen Fasern und Faserbündein korb- oder maschen-
artig umgeben. Nach meinen Beobachtungen kann ich
Die Paraganglien bei den Vögeln. 675
nicht daran zweifeln, dass im letzteren Falle jede
einzelne chromaffine Zelle auch von den marklosen
Nervenfasern in ähnlicher Weise umsponnen sein
wird. Verteilte sich aber das endoneurale Bindegewebe bloss in
der Peripherie des Paraganglion ohne in sein Inneres einzu-
dringen, dann fehlte mir an solchen Stellen die wichtigste Hand-
habe zur Beurteilung der Verbreitung der marklosen Nerven-
fasern. In allen diesen Fällen konnte ich nur soviel mit Sicher-
heit erkennen, dass diese Paraganglien an ihrer gesamten Ober-
fläche unmittelbar von marklosen Neryenfasern umsponnen
waren und sich nirgends eine bindegewebige Kapsel zwischen
beide trennend einschob.
Die vom Bindegewebe zu Gruppen zusammengefassten farb-
losen chromaffinen Zellen liegen entweder epithelartig und un-
mittelbar aneinander oder sind manchmal durch dünne inter-
zelluläre Spalträume teilweise voneinander getrennt. Diese Spalten
besitzen manchmal eine gewisse entfernte Ähnlich-
keit mit Sekretkapillaren. Bei einer Anzahl von ihnen handelt
es sich aber gewiss um Kunstprodukte.
Es gibt nun eine genügende Anzahl von Gruppen oder
kleinen Paraganglien, in denen, wenigstens im fixierten
Präparate, die einzelnen farblosen chromaffınen Zellen in
Gestalt eines kernhaltigen Syneytium angeordnet sind. Zur
Veranschaulichung des eben Gesagten mögen Fig. 2, Taf. XAIV
und die Figuren 9 und 15, Taf. XXV, dienen. Beide stammen
von derselben Krähe. Der Schnitt, aus welchem die Figur 15
stammt, wurde zuerst mit Hämatoxylin (Delafield) und dann
nach van Gieson gefärbt. Hier liegt mitten in einem längs
getroffenen sympathischen Nerven mittleren Kalibers eine Gruppe
von acht chromaffinen Zellen. Sie wird allseitig und unmittelbar
von den marklosen Nervenfaserbündeln umsponnen. An der rechten
Seite des Paraganglion liegt ein Zug schräg und quer getroftener
Nervenfaserbündel, dem spärliche und dünne markhaltige Fasern
beigemischt sind. Selbst mit den stärksten Vergrösserungen war
nirgends auch nur eine Andeutung einer Zerfällung des die Kerne
umgebenden Protoplasma in einzelne Zellen wahrzunehmen. Das
Plasma bildete vielmehr eine einheitliche Grundmasse, in
welche die dichtgedrängten Kerne eingesenkt waren. Nur am
oberen Rande des Paraganglion wurde ein einziger Kern mit
676 Wilhelm Kose:
einem Teile des Plasma durch eine bindegewebige Faser vom
übrigen Paraganglion abgetrennt. Der längliche helle, dem Para-
ganglion links oben unmittelbar anliegende Kern (endonr. kr.!)
gehört dem endoneuralen Bindegewebe an. Ein ähnlicher Kern
(endonr. kr.?) liegt am rechten Rande der Zeichnung.
Als zweites Beispiel sei Fig. 2, Taf. XXIV, angeführt. Dieser
Schnitt wurde nach der Methode von Mallory-Stöhr gefärbt.
Das Ganze stellt ein kleines Paraganglion aus dem Innern des
grossen sympathischen Halsganglion dar. Das Paraganglion
wurde gerade so wie jenes in der Figur 15 von den Nervenfasern
allseitig umgeben und besass k eine eigene bindegewebige Kapsel.
Die peripheren Nervenfasern sind der Einfachheit wegen diesmal
nicht miteingezeichnet worden. Die länglichen, dunkler blau
gefärbten Kerne in der Peripherie des Paraganglion gehören
schon dem endoneuralen Bindegewebe an. An der einen Seite
stiess eine Ganglienzelle (gz.) unmittelbar an das Paraganglion.
Dies bestand aus zwölf Zellen. Sieben von ihnen lagen so ziemlich
in derselben Ebene. Die Kerne befanden sich auch hier in einer
vollkommen einheitlichen. leicht bläulich-grau gefärbten proto-
plasmatischen Grundmasse. Von dem peripheren endoneuralen
Bindegewebe zog ein schwaches Faserbündel in das Innere des
Paraganglion und zerfällte es in zwei ungleiche Hälften. In den
Verlauf dieses dünnen, bindegewebigen Septum ist gleich am
hande des Paraganglion ein etwas dunkler blau gefärbter drei-
eckiger Kern (endonr. kr.!) eingeschaltet, der aber nur den
Anschnitt eines mehr länglichen Kernes bildet.
Fig. 9, Taf. XXV, ist endlich ein Querschnitt durch einen
kleinen sympathischen Nerven. Eine Hälfte wird von spärlichen
Nervenfasern, die andere von einer aus drei farblosen chromaffinen
Zellen bestehenden Gruppe eingenommen. Die Zellen (chrz.t)
und (chrz.?) lagen etwas höher als die Zelle (chrz.?),. deren Kern
nur als ein längliches weisses (wie leeres) Feld zu erkennen ist.
Eine zarte, vom Epineurium (epnr.) abzweigende bindegewebige
Faser trennt die Zellen 1 und 2 voneinander. Sie war aber
infolge ihres welligen Verlaufes ohne Verstellung der Mikro-
meterschraube nur bruchstückweise zu sehen und wurde deshalb
auch so wiedergegeben. Zelle (chrz.?) und (chrz.?) waren da-
gegen miteinander syncytial vereint. (Die Figuren 2 und 9 wurden
der Einfachheit wegen schwarz reproduziert.)
Die Paraganglien bei den Vögeln. 677
Beim Anblick solcher Paraganglien wie in Fig. 2, Taf. XXIV
und Fig. 15, Taf. XXV, wird man sofort in lebhafter Weise an
die von Sigm. Mayer (15—17) im Sympathicus von
Reptilien und Amphibien beschriebenen sog. „Kern-
oder Zellennester“ erinnert. Wiewohl diese Bildungen
schon früher von einigen Forschern wie Kölliker, Courvoisier
und Beale (eit. nach Sigm. Mayer) und auch Leydig be-
obachtet worden waren, so hat doch Sigm. Mayer als erster
im Jahre 1872 ihrer näheren Erforschung seine ausgedehnten
und systematischen Untersuchungen gewidmet. S. Mayer fand
im Sympathicus von Kröten, Salamandern und Tritonen
zwischen den typischen Bestandteilen eigenartige „vielkernige
Körper“, die er als „Kern- oder Zellennester“ be-
zeichnete. Die Beschreibung, die Mayer von ihnen gibt, passt
in so auffallender Weise auch für viele Paraganglien des Vogels,
dass ich an dieser Stelle einiges aus seiner Arbeit (16) wörtlich
anführen möchte.
Seite 3: „Entweder mitten unter den gewöhnlichen Nerven-
zellen oder zwischen markhaltigen und marklosen Nervenfasern,
auch wohl den genannten Fasern nur seitlich angelagert, oder
solitär im Bindegewebe, finden sich vielkernige Körper, die sich
auf den ersten Blick von dem Aussehen der Nervenzellen unter-
scheiden. In ihrer Grösse zeigen sie sich den grössten Differenzen
unterworfen. Ihrer Form nach zeigen sie ebenfalls sehr grosse
Verschiedenheiten; sie sind ebenso häufig rund als oval und ihre
Begrenzung erscheint umso regelmässiger, je kleiner sie sind;
die grössten vorkommenden Gebilde sind der Regel nach un-
regelmässig gestaltet. Die in Rede stehenden Körper sind ent-
weder von einer Hülle, welche öfters eingestreute Kerne zeigt,
umkleidet, oder sie entbehren einer solchen. Gar nicht selten
kommt es vor, dass sich die Hülle in das Innere eines Körpers
hereinzieht und denselben in zwei oder mehrere Abteilungen,
die immer mehrere Kerne enthalten, zerfällt, ähnlich wie sich
die Hülle eines Ganglion in dasselbe fortsetzt und Scheidewände
zwischen den einzelnen Zellen herstellt.“ Vergl. hierzu die
Ko: 2, Vai. XXIV und Fig.15, Taf.’ XXV.
Seite 4 unten fährt Mayer fort: „Die in einem Körper
vorkommenden Kerne sind entweder von deutlich voneinander
abgegrenzten Partien der Grundsubstanz umgeben, so dass man
678 Wilhelm Kose:
von einer Gruppe kleiner kernhaltiger Zellen zu sprechen berechtigt
wäre, öfters aber sind die Kerne in die feinkörnige Grundsubstanz
eingetragen, so dass eine Sonderung in discrete Zellen entweder
gar nicht oder nur undeutlich zu constatiren ist.“
Schon damals erkannte Mayer. dass die Kern- oder
Zellennester eine eigene Stellung einnehmen. Er sagt auf
Seite 7: „Wir ersehen aus diesen Angaben zur Genüge, dass
es nicht gestattet ist, die geschilderten Nester von Kernen oder
Zellen in die Kategorie der Nervenzellen schlechtweg zu verweisen.
Wir glauben vielmehr Gründe zu haben zur Aufstellung
der Behauptung, dass wir in den Kern- oder Zellennestern
Gebilde sui generis vor uns haben, welche aber zu
der morphologischen Gruppe des Nervengewebes
zu-rechnen sind.“
Gerade so wie bei den einzelnen Vögeln der Gehalt des
Sympathieus an chromaffinen Zellen ein sehr verschiedener sein
kann, so wurden auch von S. Mayer ähnliche Schwankungen
bei Reptilien und Amphibien nachgewiesen. Mayer konnte
die „Kern- oder Zellennester*“ bei Kröten, Salamandern
und Tritonen in allen Abschnitten des Sympathicus ausnahms-
los nachweisen, während bei Fröschen bei einzelnen Individuen
manchmal zwar die Zellen sehr gehäuft vorkamen, bei anderen
aber nur spärlich zu finden waren. Nach dem Stande der heutigen
Forschung unterliegt es keinem Zweifel, dass die von S. Mayer
beschriebenen Formationen echte Paraganglien, d. h. An-
häufungen von chromaffınen Zellen waren. Interessant ist nun
die weitgehende Ähnlichkeit, ja teilweise völlige Übereinstimmung
im Vorkommen und im Aufbaue der einzelnen Paraganglien sowohl
bei Reptilien und Amphibien als auch bei den Vögeln.
Nach dieser literarischen Abschweifung wende ich mich nun
der Beschreibung des eigentlichen Paraganglion carotiecum
zu. Zu Beginn und Schluss der Serie, vor dem Auftreten und
nach dem Verschwinden des eigentlichen zelligen Parenchynms
des Paraganglion caroticum, lag stets an seiner Stelle ein von
sympathischen Nerven gebildetes Netzwerk. Die
Nerven entsprangen grösstenteils aus dem grossen sympathischen
Ganglion. Die Lücken in dem nervösen Geflechte wurden im
Verlaufe der Serie von verschieden grossen Anhäufungen der
farblosen chromaffinen Zellen ausgefüllt. Fig. #, Taf. XXIV, gibt
‚a hi
Die Paraganglien bei den Vögeln. 679
einen kleinen Ausschnitt aus den äusseren Randpartien des Para-
ganglion caroticum wieder. Der untere, linke und rechte Rand
der Figur stellt die äussere Peripherie des Paraganglion caroticum
dar, während oben an der mit einer Klammer und einem
Kreuzchen (__-{___) bezeichneten Stelle das eigentliche-Parenchym
des Paraganglion caroticum sich weiter fortsetzt. Der Zellballen
(zb.') hat eine mehr längliche, jener (zb.?) eine mehr ovale Ge-
stalt. Der dritte Zellballen (zb.”) ist nur angeschnitten, er liegt
dem Zellballen (zb.') links an und besteht vorerst nur aus wenigen
farblosen chromaffinen Zellen. Das ganze Paraganglion caroticum
enthielt ca. 15—20 grössere Zellballen. Die meisten von ihnen
wurden in gleicher Weise wie die Zellballen (zb.'”?) von den
sympathischen Nerven (syn.) unmittelbar und allseitig
umgeben. Sie besassen keine eigene bindegewebige
Kapsel. Manche Zellballen, besonders die in der Peripherie
gelegenen, zeichneten sich im Gegensatze hierzu durch
den Besitz einer dünnen bindegewebigen Hülle
aus. Links, rechts und oben ziehen mehrere sympathische
Nerven (sy. n.) in das Paraganglion caroticum. Durch Teilung
und gegenseitige Verflechtung bilden sie dann das maschige
Grundgewebe, in welchem die einzelnen Zellballen ruhen.
Im Innern der zwischen den letzteren verlaufenden Nerven
findet man zahlreiche einzelne oder zu kleinen Gruppen gehäufte
farblose chromaffine Zellen (chrz.),. die an ihren, von scharf
konturierten und oft wie leeren Höfen umgebenen Kernen leicht
kenntlich sind. Ich kann es hier gleich vorweg erwähnen, dass
diese scharfen Begrenzungslinien durch das
endoneurale Bindegewebe erzeugt werden. Später
werden diese Verhältnisse ausführlich besprochen werden.
An vielen Stellen biegen stärkere oder schwächere Nerven-
faserzüge in das Innere der einzelnen Zellballen und zerfällen
diese vollständig oder teilweise in verschiedene Untergruppen.
Der Hauptsache nach werden die Zellballen aus den farblosen
chromaffinen Zellen aufgebaut. Zwischen ihnen befindet sich
aber ein kernreiches und faseriges Gewebe, über dessen Charakter
man bei der blossen Anwendung von Kernfarbstoffen im unklaren
bleibt. Dieses fragliche Gewebe besorgt seinerseits eine weitere
Einteilung der Zellballen in eine verschiedene Zahl von Unter-
abteilungen. Die Zellballen sind von einer auffallend grossen
680 Wilhelm Kose:
Zahl von Kapillaren und kleinen Arterien nach allen Richtungen
hin durchzogen und auch auf ihrer Aussenseite umsponnen.
Venen konnte ich mit Sicherheit nur in der Peripherie des Para-
ganglion caroticum auffinden.
Kurz zusammenfassend kann ich daher sagen: Das Grund-
.gewebe des Paraganglion caroticum, in dessen Lücken
die zu Gruppen gehäuften farblosen chromaffınen Zellen liegen,
wird ausschliesslich von sympathischen Nerven gebildet,
die sich nach allen Richtungen hin aufs innigste durchflechten.
Die meisten Zellballen besitzen an ihrer Peripherie keine
eigene bindegewebige Kapsel, sondern werden von den Nerven-
fasern direkt umsponnen. Nur wenige in der Peripherie des
Paraganglion caroticum befindliche Zellballen weisen eine dünne
bindegewebige Kapsel auf. Die grösseren Zellballen sind durch
deutliche Züge markloser Nervenfasern und ein vorläufig
noch nicht näher bestimmbares, kernreiches Gewebe in eine
Anzahl von Untergruppen gesondert. Die Vaskularisation des
Paraganglion caroticum ist eine äusserst reiche.
Das sind die Ergebnisse, die man beim Studium solcher
Schnitte erhält, die bloss mit Kernfarbstoffen gefärbt wurden.
Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass sich zu diesem
/wecke am besten das Hämatoxylin (Delafield) eignet, da
sich das endoneurale Bindegewebe dabei schwach violett mitfärbt
und daher viel leichter in seiner weiteren Verbreitung zu ver-
folgen ist, als z. B. in solchen Schnitten, die mit Cochenille
eefärbt wurden.
Benützen wir aber zur Klarlegung des Verlaufes der binde-
gewebigen und elastischen Fasern die eigens für diesen
/weck gebräuchlichen Färbungsmethoden, dann gestaltet sich die
/usammensetzung des Paraganglion caroticum in vieler Beziehung
komplizierter, auch findet meines Erachtens das zwischenzellige
kernreiche Gewebe dabei seine richtige Erklärung.
Das Paraganglion caroticum besass bei keiner Krähe
eine vom Nervensystem getrennte, bindegewebige Kapsel.
Seine äussere Begrenzung bildeten ausschliesslich die peri-
phersten Lagen des nervösen Grundgeflechtes. Die zum Para-
ganglion caroticum gehörigen Nerven sondern sich von selbst in
zwei grosse Gruppen. Ein Teil von ihnen verläuft hauptsächlich
nur an der Oberfläche des Paraganglion caroticum, der andere
e
Die Paraganglien bei den Vögeln. 681
dringt alsbald in sein Inneres zwischen die einzelnen Zellballen.
Alle Nerven besitzen vor ihrem Zusammentritte zum Paraganglion
carotieum ein verschieden starkes Epineurium. Dieses besteht
aus dünnen, dichtgedrängten, mit spärlichen elastischen Fasern
vermengten, bindegewebigen Faserbündeln, zwischen welche wenige
kleine und schmale Kerne eingelagert sind. Jene Nerven nun,
welche ausschliesslich an der Oberfläche des Paraganglion
caroticum weiterziehen, verlieren für gewöhnlich bald nach ihrer
Verbindung mit dem Paraganglion caroticum an ihrer dem
letzteren zugekehrten Seite ihr Epineurium. Dieses fasert
sich auf und dringt in gemeinschaftlichem Zuge mit den Fort-
setzungen des endoneuralen Bindegewebes in das Innere der
einzelnen ° Zellballen. Manchmal umgeben septenartige Fort-
setzungen des Epineurium die Zellballen zum Teil bloss an
ihrer Oberfläche. Die Nerven bleiben also bloss an ihrer
dem Paraganglion caroticum abgewendeten Seite vom Epi-
neurium eingehüllt. Das Bindegewebe der epineuralen Scheide
jener Nerven, die direkt in das Innere des Paraganglion caroticum
eindringen, verteilt sich meist bloss an der Oberfläche des Para-
sanglion caroticum, während die einer besondern Hülle ent-
kleideten Nerven weiter zwischen die einzelnen Zellballen
ziehen. Nur selten behalten diese Nerven ihr Epineurium
noch auf kürzere Strecken bei. So kommt es, dass die aller-
grösste Mehrzahl der im Innern des Paraganglion caroticum
befindlichen sympathischen Nerven hüllenlos ist. Die Nerven
liegen dann den Zellballen unmittelbar an. Nur an jenen
Stellen, an denen die Nerven noch vom Epineurium überzogen
sind, bildet dieses gewissermassen eine bindegewebige Scheide-
wand zwischen ihnen und den Zellballen. Wir werden aber
alsbald sehen, dass diese Trennung nur eine scheinbare ist.
Die an der Oberfläche des Paraganglion caroticum verlaufenden
Nerven bilden durchaus nicht eine überall geschlossene Gewebs-
schichte, sondern gerade so wie im Innern des Paraganglıon
caroticum nur ein maschiges Flechtwerk. Die ihnen zunächst
liegenden Zellballen ragen durch diese Lücken bis an die Ober-
fläche des Paraganglion caroticum, oder aber wölben sich mehr
minder über diese noch hervor. An diesen Stellen besitzen sie
eine dünne bindegewebige Umhüllung, die sich bei genauem
Zusehen als eine Fortsetzung des epineuralen Binde-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 45
682 Wilhelm Kose:
gewebes der benachbarten Nerven erweist. Auch
nach innen zu kann man diese Kapsel noch streckenweise ver-
folgen.
Kommt also auch dem Paraganglion caroticum keine
eigene, vom Nervensystem getrennte bindegewebige
Hülle zu, so wird es dennoch an seiner Oberfläche von dünnen
Lagen des epineuralen Bindegewebes aller jener Nerven um-
schlossen, die zum Paraganglion caroticum hinziehen. Auch die
über die Oberfläche hervorragenden Zellballen werden von den
Fortsetzungen dieses epineuralen Bindegewebes kapselartig zum
Teil umkreist.
Diese Verhältnisse sind im Paraganglion caroticum infolge
der Häufung der Zellballen und der gegenseitigen und weit-
gehenden Durchflechtung der sympathischen Nerven durchaus
nicht immer leicht zu erkennen. Man erlangt eine viel bessere
Übersicht, wenn man die zahlreichen Nerven vor ihrem Eintritte
in das Paraganglion caroticum durchmustert. Sie enthalten näm-
lich zahlreiche vereinzelte oder gruppenweise gehäufte farblose
chromaffine Zellen. Die kleineren Zellballen wurden im vorher-
gehenden bereits besprochen und es erübrigt nur noch eine
Beschreibung der grösseren Paraganglien. Diese führen entweder
zu einer lokalen Verbreiterung der betreffenden Nerven oder
treten zu einem kleineren oder grösseren Teil aus den letzteren
heraus. Würde man nicht die Serienschnitte genau verfolgen,
so müsste man manchmal annehmen, dass diese Zellballen den
Nerven nur von aussen anlägen. Es zeigte sich aber fast immer,
dass sie in Gestalt vereinzelter farbloser chromaffiner Zellen
zwischen den Nervenfasern beginnen und erst durch eine all-
mähliche Anhäufung der chromaffinen Zellen entstehen und an-
wachsen. Schliesslich ragen sie aus dem Nerven heraus. Das
Epineurium des letzteren wird an dieser Stelle dann vorgewölbt
und entsendet wohl auch Faserzüge in das Innere des Nerven,
die den Zellballen teilweise von dem Nerven trennen. Besitzen
nun solche Zellballen eine ganz besondere Grösse, dann ragen
sie so weit aus dem Nerven heraus, dass ihre periphersten
Abschnitte in einzelnen Schnitten einen von Bindegewebszügen
völlig eingehüllten, neben dem Nerven gelegenen Zellballen
darstellen. Ein genaues Studium der Serie ergibt aber, dass
diese Zellballen sich ohne Unterbrechung bis in das Innere
Die Paraganglien bei den Vögeln, 685
zen
der Nerven verfolgen lassen. Die bindegewebige Kapsel dieser
scheinbar isolierten Paraganglien ist nur das an dieser Stelle
besonders weit vorgetriebene Epineurium des Nerven. Die
Zellballen liegen also gar nicht, wie es den Anschein hat,
ausserhalb, sondern eigentlich innerhalb der sympathischen
Nerven und ragen manchmal nur streckenweise be-
sonders weit aus den letzteren heraus.
Überschreitet die Grösse der einzelnen Zellballen den
Diekendurchmesser der Nerven nur um ein Geringes, so führen
erstere, je nach ihrer Gestalt, entweder zu einer mehr spindel-
förmigen oder kugelförmigen Auftreibung des Nerven. Manch-
mal ragen die Paraganglien rosenkranzartig aus den Nerven
hervor. Das Epineurium überzog aber jedesmal ohne Unter-
brechung die Oberfläche dieser Zellballen. Treten an einen
grösseren Zellballen mehrere kleine Nerven heran, dann ge-
staltet sich ihre gegenseitige Verbindung folgendermassen: Das
Epineurium der Nervchen verteilt sich an der Oberfläche des
Paraganglion, während die Nerven zum grossen Teil in sein
Inneres gelangen. Verschieden starke Bündel markloser Nerven-
fasern umkreisen das Paraganglion auch an seiner Oberfläche.
Es gibt nun eine ganze Reihe von Vögeln (Gimpel,
Zeisig. Kreuzschnabel), bei welchen eine Anzahl kleiner
kugeliger chromaffiner Zellballen den Nerven nur von aussen
anliegen. ohne sich in das Innere der letzteren zu erstrecken.
Diese Paraganglien besitzen eine eigene bindegewebige Hülle,
von welcher ich nicht aussagen kann, ob sie als eine Fortsetzung
des Epineurium aufgefasst werden kann. Trotz dieser räum-
lichen Scheidung konnte ich fast immer den Eintritt von Nerven-
fasern in diese Paraganglien beobachten.
Ein Vergleich zwischen den mehr vereinzelt im peripheren
sympathischen Nervensystem gelegenen Paraganglien und dem
eigentlichen Paraganglion caroticum ergibt nun mit Sicherheit
die Tatsache. dass die gewebliche Verbindung der farblosen
chromaffinen Zellen mit dem sympathischen Nervensystem stets
die gleiche ist. Es besteht nicht der geringste wesentliche
Unterschied zwischen den peripheren Paraganglien und dem
Paraganglion caroticum. Letzteres ist eben nichtsanderes
als eine besonders grosse und dichtgedrängte Anhäufung
farbloser chromaffiner Zellen und sympathischer Nerven.
45*
654 Wilhelm Kose:
Es erübrigt nun zum Schlusse eine genauere Schilderung des
Verhaltens der Nerven im Innern der Zellballen, sowie eine Fr-
klärung des kernreichen zwischen den farblosen chromaffinen
Zellen liegenden Gewebes. Überall dort, wo die sympathischen
Nerven ohne ein trennendes Epineurium die Zellballen einhüllen,
erfolgt an der Grenze beider eine allmähliche und fortschreitende
Auflösung der Nerven. Einzelne oder zahlreiche marklose Nerven-
faserbündel biegen direkt aus dem Nerveninnern ab
und ziehen zwischen die chromaffinen Zellen. Ich lege der nun
folgenden Beschreibung, wie ich nochmals hervorheben will, nur
mit spezifischen Bindegewebsfarben tingierte Schnitte zugrunde
und werde mich bemühen, zu zeigen, dass man aus der
Verteilung des endoneuralen Bindegewebes auf
jene der marklosen Faserbündel,. nicht aber einzelner
markloser Achsenzylinder, schliessen kann.
Fig. 11 und 12, Taf. XXV, stellen Randpartien zweier im
Innern des Paraganglion caroticum gelegener Zellballen dar.
Diese waren allseitig von sympathischen Nerven umgeben, die
ihre epineurale bindegewebige Scheide bereits früher vollständig
verloren hatten. Beide Figuren stammen aus einem Schnitte,
der nach der Methode von Mallory-Stöhr gefärbt worden
war. Der Einfachheit halber wurden die Zeichnungen bloss schwarz
gehalten. Das Bindegewebe hatte sich in beiden intensiv schwarz-
blau gefärbt. Infolge der bekannten Anordnung des endoneuralen
Bindegewebes erhielten die längsverlaufenden sympathischen
Nerven ein streifiges Aussehen. Betrachten wir zuerst Fig. 12.
Direkte Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes
strahlen zwischen die einzelnen chromaffinen Zellen ein und um-
geben jede für sich in Gestalt von breiten Maschen. Im ganzen
liegen hier dem Nerven vier chromaffine Zellen unmittelbar an.
Zwei von ihnen (chrz.*, chrz.?) enthalten Kerne, während die
anderen zwei (chrz.?, die mittlerste ist unbezeichnet) kernlos sind.
Ihr zugehöriger Kern lag im folgenden Schnitte. Diese chrom-
affınen Zellen bilden daher in dieser Figur zum Teil leere nur
spärliches Plasma enthaltende Felder, die ebenfalls von direkten
Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes maschenartig ein-
gefriedet werden. Das kleinmaschige Gitterwerk (n. qu.) an der
oberen Seite der chromaffinen Zelle (chrz?) ist der Querschnitt
durch ein feines markloses Nervenfaserbündel. Links am Rande
Die Paraganglien bei den Vögeln. 685
der Zeichnung liegt noch eine vereinzelte farblose chromaffine
Zelle (chrz.?), die ebenfalls von Fortsetzungen des endoneuralen
Bindegewebes eingehüllt wird.
Der Verlauf der in das Innere der Zellballen eingedrungenen
Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes ist in den einzelnen
Zellballen, oder an verschiedenen Stellen ein und desselben Ballens
ein verschiedener. Entweder lösen sich die bindegewebigen Faser-
bündel alsbald netz- oder korbartig in der Peripherie der ein-
zelnen chromaffinen Zellen auf wie in Fig. 12 und 11, Taf. XXV,
oder aber sie durchziehen als schmälere und breitere Faserzüge
den Zellballen. Fig. 10, Taf. XXV, gibt eine solche Stelle aus einem
dritten Zellballen derselben Krähe wieder. Dieser war genau
so wie die beiden ersten überall von Nerven umhüllt, die kein
Epineurium mehr besassen. An seiner ganzen Peripherie bogen
aus den letzteren Fortsetzungen des endoneuralen Binde-
gewebes in das Innere des Zellballens. Sämtliche dunkeln
zwischen den farblosen chromaffinen Zellen verlaufenden Linien
sind Fortsetzungen des endoneuralen Binde-
gewebes. Sie bilden um die einzelnen chromaffinen Zellen
Maschen oder Körbe. In der Fig. 10 ist nur ein Bruchstück
dieses bindegewebigen Netzwerkes bei einer maximalen Ver-
stellung des Tubus um 0,002 mm wiedergegeben, um eventuellen
Ungenauigkeiten aus dem Wege zu gehen, die sich bei Kombi-
nierung der Zeichnung hätten vielleicht ergeben können. Das
bindegewebige Netzwerk ist tatsächlich aber ein viel reicheres
als es so den Anschein hat. Die ob ihres gekrümmten Verlaufes
nur teilweise getroffenen Faserbündel und einzelnen Fasern sind
bei einer weiter fortgesetzten Verstellung des Tubus und auch
in den folgenden Schnitten oft auf weitere Strecken hin zu ver-
folgen. In der Fig. 11, Taf. XXV, liegen dem hüllenlosen Nerven
bloss zwei farblose chromaffine Zellen direkt an. Die linke (chrz')
ist kernhaltig, die rechte (chrz.*) kernlos. Ihr Kern erschien
erst im folgenden Schnitte. Das Bild stimmt hier völlig mit
jenem in Fig. 12 überein. Auch hier verteilen sich die direkten
Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes zwischen den
chromaffinen Zellen. Diese Fig. 11 bietet aber noch gewisse
Eigentümlichkeiten dar. Die einzelnen farblosen chromaffinen
Zellen (chrz "**) sind stellenweise von einem kleinmaschigen Faser-
werke (n. qu. und n. qu.'=?) umgeben, das sich ebenfalls intensiv
656 Wilhelm Kose:
blau gefärbt hatte und auch durch die anderen Bindegewebs-
färbungen deutlich zur Darstellung gebracht werden konnte. Es
gelingt nun fast ausnahmslos .nachzuweisen, dass es sich
dabei um Querschnitte markloser Nervenfaserbündel handelt.
Oft bestehen diese nur aus zwei bis drei Bündeln und können
.so ein plasmatisches Netzwerk vortäuschen. Bei genauestem
Zusehen bemerkt man zahlreiche intensiv blau gefärbte Pünkt-
chen, die hauptsächlich in den Knotenpunkten des Netzwerkes
liegen, sonst aber auch ganz unregelmässig in den Faserzügen
des letzteren verstreut sind. Diese Pünktchen sind die Quer-
schnitte von längsverlaufenden Bindegewebsfibrillen oder Fibrillen-
bündeln der bindegewebigen Hülle der marklosen Nervenfasern.
Bei Verschiebung des Tubus setzen sich diese dunkelblauen
Pünktchen ohne die-geringste Unterbrechung in längs-
verlaufende Fasern des endoneuralen Bindegewebes fort. Über-
dies färbten sich manchmal die Querschnitte der marklosen Nerven-
faserbündel selbst mattgrau und erfüllten dann zum Teil als ver-
waschene Fleckchen und Pünktchen das Innere der Lücken
(n. qu.'). In seltenen Fällen konnte ich diese Gitterwerke nicht
mit Sicherheit für Querschnitte markloser Nervenfasern erkennen.
Es machte mir vielmehr den Eindruck, als ob sie durch eine
blosse Auffaserung stärkerer oder schwächerer Fibrillenbündel
des endoneuralen Bindegewebes entstanden wären. Die Fädchen
dieser Gitterwerke erreichen oft eine ausserordentliche Feinheit
und färben sich dann entweder nur schwach oder fast gar nicht
mit den Bindegewebsfarbstoffen, selbst mit dem Malloryschen
Hämatoxylin. Alle in den Fig. 11 und 12 gezeichneten Netze
sind aber sicher Querschnitte markloser Nervenfaserbündel.
In den Verlauf des interzellulären bindegewebigen Maschen-
und Gitterwerkes ist nun eine grosse Anzahl vielgestalteter
Kerne (endonr. kr.) eingelagert. (Vergl. die Fig. 10, 11, 12.)
Nach den oben: angeführten Befunden unterliegt es für mich
keinem Zweifel, dass das faserige Grundgerüst der Zellballen
von Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes der sym-
pathischen Nerven gebildet wird. Die Annahme, dass es sich
bei den in ihm vergrabenen, zwischen den chromaffinen Zellen
gelegenen Kernen um solche des endoneuralen Bindegewebes.
handeln müsse, ergibt sich dann von selbst. Eine Bestätigung
dafür erhält man durch einen Vergleich dieser Kerne mit jenen,
Die Paraganglien bei den Vögeln. 637
die sich im endoneuralen Bindegewebe der peripheren syın-
pathischen Nerven finden. Die Fig. 11 und 12, Taf. XXV, geben
besser als alle Beschreibung eine kleine Auswahl aller jener
Formen wieder, unter welchen die Kerne des endoneuralen Binde-
gewebes der in der Peripherie der Zellballen gelegenen sym-
pathischen Nerven im mikroskopischen Bilde. erscheinen.
Die einzelnen Kerne sind meist länglich, aber sehr verschieden
gross. Einige Kerndurchmesser seien an dieser Stelle angeführt,
Kern a 0,013mm — 0,004 mm
OO 0,004,
le oe 0,008,
Esel 0.002),
EEE N - ‚0,0049 5
or 10,000
00055 0,0080
21270100617: — 0,0045
Die Kerne bilden, je nachdem man sie mehr von der Kante oder
von der Fläche aus sieht, schmale, längliche oder breitere Körper,
die entweder glatt ausgestreckt oder aber verschiedentlich ge-
krümmt sind. Teils sind sie ganz im endoneuralen Bindegewebe
verborgen, teils ragen sie aus diesem heraus und liegen dann
an seiner Innenseite den marklosen Nervenfaserbündeln an. An
zahlreichen Stellen sieht man diese Kerne ganz von der Fläche.
In Fig. 14, Taf. XXV, sind vier solche in verschiedener Höhe in
einem sympathischen Nerven gelegene Kerne gezeichnet. Kern A.
ist mehr unregelmässig längs-oval, Kern B. stumpf dreieckig,
die Kerne C. und D. wieder mehr regelmässig elliptisch. Der
KernE. ist nur von der Kante aus zu sehen. Die Durchmesser
der vier ersten Kerne betrugen:
A 0,01mm — 0,006 mm
B 0,008 „ — 0,006 „
C.0,01 , . — 0,004 .,
D 0,008 „ — etwas weniger als 0,006 mm.
Die Dicke aller Kerne überschritt niemals 0,002 mm,
eher war sie noch kleiner. Besonders an jenen Stellen, an
welchen die Nervenfasern Krümmungen beschreiben, kann man
häufig beobachten, wie bei Verschiebung des Tubus ein schmaler,
am Rande der wellig gebogenen Nerven gelegener Kern sich
unter den Augen in seiner ganzen Länge und Breite aufrollt.
n
68 Wilhelm Kose:
Diese grossen endoneuralen Kerne stellen daher nur platte
Scheiben dar, die manchmal eine gewisse Ähnlichkeit mit den
Kernen der chromaffinen Zellen aufweisen können. Am Schnitt-
rande mehrerer kleinerer sympathischer Nerven konnte ich öfters
sehen, wie diese grossen Kerne, gleich einem Stücke zusammen-
geknitterten Papieres, verschiedene Einfaltungen und Biegungen
besassen. Diese Kerne besitzen mindestens ebenso häufig eine
Breiten- als eine Längskrümmung und umgreifen rinnenartig
zum Teil die marklosen Nervenfaserbündel. Den Kernen fehlt
eine Membran. Sie sind von zahlreichen oft staubartig feinen
Granula mehr minder erfüllt. Einzelne von den letzteren erreichen
eine etwas merklichere Grösse. Für gewöhnlich enthält jeder
Kern ein oder zwei grosse Kernkörperchen, die entweder zentral,
aber auch ganz in der Peripherie der Kerne gelegen sein können.
Viele der länglichen schmalen Kerne sind nur optische oder
wirkliche Durchschnitte durch solche platte grosse oder kleinere
Kerne. Von vielen Kernen kann ich dies aber nicht sagen, ich
bin vielmehr der Ansicht, dass die Spindelform ihre wahre Gestalt
ist. Es kann somit nicht wundernehmen, dass bei der verschie-
denen und noch dazu wellig gebogenen Verlaufsrichtung der
Nerven oder ihrer Faserbündel die einzelnen Kerne in den ver-
schiedensten Richtungen und Ebenen durchschnitten oder überhaupt
bloss angeschnitten sein werden. Man findet daher neben den
beschriebenen und gezeichneten Formen, besonders in den 3 «
und 5 « dicken Schnitten, aber auch in den obersten und tiefsten
Lagen der dickeren Schnitte noch unregelmässige, dreieckige oder
mehr runde Kerne im endoneuralen Bindegewebe. Besonders an
jenen Stellen, an welchen sich mehrere Nerven gegenseitig durch
Austausch ihrer Faserbündel durchtlechten, ist der Formenreichtum
der Kerne des endoneuralen Bindegewebes ein besonders grosser.
Verfolgt man aber die einzelnen Serienschnitte aufmerksam, so
lässt sich die grosse Mannigfaltigkeit der Kerne im obigen Sinne.
auf eine relativ geringe Anzahl von Grundformen zurückführen.
Diese Bemerkungen schicke ich, obwohl sie nur Bekanntes
enthalten, aus dem einzigen Grunde voraus, um zu zeigen, dass
alle Kernformen, die sich im Innern des Paraganglion caroticum
zwischen den farblosen chromaffinen Zellen finden, dieselben
sind wie jene, welche im endoneuralen Bindegewebe der sympa-
thischen Nerven vorkommen.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 659
Die Kerne liegen in dem bindegewebigen Grundgerüste
der einzelnen Zellballen entweder ganz vereinzelt oder aber zu
kleinen Gruppen angehäuft (Fig. 12%). Dabei umkreisen sie
öfters, wie es hier gezeichnet ist, in halbmondförmiger Anordnung
die einzelnen chromaffinen Zellen und bilden um diese kern-
haltige Hüllen. Manchmal erstrecken sich diese gehäuften
Kerne in einer ununterbrochenen Reihe noch tief in das
Innere der peripheren sympathischen Nerven hinein.
Nach all dem Gesagten kann ich mich nun ganz kurz fassen.
Alle die kleinen und grösseren Kernformen, welche man im
endoneuralen Bindegewebe der sympathischen Nerven antrifft,
findet man in dem bindegewebigen Grundgerüste der aus chrom-
affınen Zellen zusammengesetzten Ballen wieder und zwar häufig
in ganz genau derselben Anordnung. Auch hier im Innern der
Zellballen lässt sich der scheinbare Polymorphismus der Kerne
in derselben Weise wie in den sympathischen Nerven erklären.
In der Fig. 12, Taf. XXV, sind bloss die zwei mit einem Stern-
chen (*) bezeichneten Kerne in ihrer ganzen Ausdehnung zu
sehen, bei den anderen handelt es sich nur um wirkliche oder
optische Durchschnitte.
Die Dieke meiner Serienschnitte betrug 3, 5 und 10 «.
Die dünnen eigneten sich zum Studium der einzelnen Kernformen,
wie schon früher erwähnt, weniger. Ich verwendete zu diesem
Zwecke meist 10 « dieke Schnitte und studierte in erster Linie
die in der Mitte der Schnitte gelegenen Kerne, um Täuschungen
nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen. Die dünnen Schnitte
wurden behufs Erkenntnis des Verlaufes der dünnsten binde-
gewebigen und elastischen Fäserchen und dann auch wegen feiner
eytologischer Details angefertigt.
Ich glaube nun, dass ich nach meinen Beobachtungen be-
rechtigt bin, den Satz auszusprechen, dass das Grundgewebe
sämtlicher Paraganglien, d.h. der aus farblosen
-chromaffinen Zellen zusammengesetzten Gruppen
und Ballen nur eine Fortsetzung des sich weiter
auflösenden endoneuralen Bindegewebes der sym-
pathischen Nerven ist. Nur eine geringe Anzahl von
mehr rundlichen oder mehr unregelmässigen kleineren Kernen
scheint dem interzellulären Bindegewebe der Zeilballen eigens
. zuzukommen. Diese Kerne erinnern manchmal an jene runden
690 Wilhelm Kose:
Kerne, die um viele Ganglienzellen herum gehäuft liegen. Über
die Herkunft dieser fraglichen Kerne kann ich nichts Näheres
aussagen. Soviel will ich nur hervorheben, dass es sich auf
keinen Fall um Leukozyten gehandelt hat.
Fasse ich nun zum Schlusse die wichtigsten Ergebnisse
meiner Untersuchungen zusammen, so kann ich sagen: Das
Paraganglion caroticum ist eine besonders grosse Än-
häufung von farblosen chromaffınen Zellen und sympathischen
Nerven. Die einzelnen Ballen chromaffiner Zellen liegen eigentlich
nur scheinbar ausserhalb der sympathischen Nerven, in den
Lücken des von den letzteren gebildeten Gitter- und Flechtwerkes.
Die eines Epineurium entkleideten Nerven umhüllen nämlich
diese Zellballen nicht bloss von aussen, sondern
dringen überallauchinihr Inneres ein. Es besteht
nicht die geringste gewebliche Trennung zwischen den sympa-
thischen Nerven und den chromaffinen Zellgruppen. Fast das
sesamte faserige Grundgerüste der letzteren ist
nichts anderes als die unmittelbare Fortsetzung
des endoneuralen Bindegewebes der sympathischen
Nerven. Stellenweise nur wird das erstere durch
Fortsetzungen des epineuralen Bindegewebes
verstärkt. Am besten lassen sich diese feinen Details im
Aufbau der Zellballen in den peripheren Nerven verfolgen, dort
wo in diesen vereinzelte Zellballen liegen. Hier sieht man ganz
deutlich, wie durch die stetige Zunahme der zwischen den
Nervenfasern gelegenen und zuerst ganz vereinzelten farblosen
chromaffinen Zellen die Struktur der Nerven vollständig verändert
wird. Innerhalb der Zellballen werden die chromaffınen Zellen
durch das endoneurale Bindegewebe entweder jede für sich korb-
oder maschenartig umgeben, oder aber zu kleinen, meist nur aus
2—4 Zellen bestehenden Gruppen zusammengefasst. Innerhalb
dieser letzteren liegen die chromaffinen Zellen entweder neben-
einander oder bilden kernhaltige Syncytien. Ausser durch die .
bindegewebigen Faserzüge werden die einzelnen chromaffinen
Zellen durch quer- und längsgetroffene verschieden starke Nerven-
faserbündel direkt eingehüllt: stellenweise können die lokal
sehäuften endoneuralen Kerne zum Teil Hüllen um die einzelnen
Zellen herstellen.
Ich glaube wohl nicht zu weit zu gehen, wenn ich aus der
Die Paraganglien bei den Vögeln. 691
Verteilung des endoneuralen Bindegewebes auf eine ebenso weit-
gehende der von seinen Septen eingehüllten marklosen Nerven-
faserbündel zurückschliesse. Die genetische Zugehörigkeit
der farblosen chromaffinen Zellen zu dem sym-
pathischen Nervensystem ergibt sich aus dieser
weitgehenden und innigen Verbindung beider
Gewebsarten ohne weiteres von selbst.
Trotzdem die peripheren Paraganglien ihrem wesentlichen
Bau nach dem Paraganglion caroticum vollkommen gleich sind,
bestimmen mich folgende Gründe, ihre (Gesamtheit in einen ge-
wissen Gegensatz zum Paraganglion caroticum zu stellen und
dies auch durch eine diesbezüglich gewählte Bezeichnung aus-
zudrücken. Die im sympathischen Nervensystem des Halses
zerstreuten, aus farblosen chromaffinen Zellen zusammengesetzten
Paraganglien kommen nicht bloss bei den Krähen, sondern auch
bei allen anderen Vögeln nicht so gesetzmässig wie das
Paraganglion caroticum vor. Die peripheren Paraganglien können
auf einer Halsseite vollständig fehlen (Krähe 7 rechts) oder nur
in Gestalt vereinzelter kleiner Gruppen auftreten (Krähe « rechts).
Sie zeigen ferner keine konstanten Lagebeziehungen zu einem
der Epithelkörper oder der Carotis communis. Diese peripheren
Paraganglien sind vielmehr ohne jede bestimmte An-
ordnung in den Verlauf verschiedener sympathischer Nerven
eingeschaltet. Ausnahmsweise können sie dabei (Krähe 2 links)
dem kaudalen Epithelkörper besonders genähert sein. Schliesslich
möchte ich noch erwähnen, dass die am Halse gelegenen peri-
pheren Paraganglien niemals von Arterien versorgt werden,
die in Gestalt stärkerer Stämmchen aus der Carotis communis
entspringen.
In Berücksichtigung dieser Tatsachen und in Erwägung des
Umstandes, dass genau so gebaute Paraganglien an verschiedenen
Stellen der Vorhöfe vorkommen, die dann selbstverständlich in
keiner topographischen Beziehung zur Üarotis communis oder
einem der Epithelkörper stehen, möchte ich die Gesamtheit der
peripheren Paraganglien in die Paraganglia cervicalia
und Paraganglia cardiaca sondern und sie dem Para-
ganglion caroticum gegenüberstellen. Dabei darf man
aber nie vergessen, dass alle Paraganglien den gleichen histo-
logischen Aufbau besitzen.
692 Wilhelm Kose:
Das Paraganglion caroticumnimmt nur durch seine besondere
Grösse, sowie seine mehr gesetzmässigen Lagebeziehungen zu
den Epithelkörpern und dem Stamme der Carotis communis eine
Sonderstellung unter den aus farblosen chromaffiınen Zellen
zusammengesetzten Paraganglien ein.
Finden sich nun manchmal ganz besonders grosse Para-
ganglien innerhalb der Nerven kurz vor ihrem Eintritte in das
Paraganglion caroticum, dann hängt es wohl ganz von dem
subjektiven Ermessen des Beobachters ab, diese peripheren Para-
ganglien noch als zu dem Paraganglion caroticum gehörig zu
betrachten, oder sie schon zu den Paraganglia cervicalia zu zählen.
Im ersteren Falle müsste man eine teilweise Zerfällung des
Paraganglion caroticum in einzelne Zellballen an verschiedenen
Stellen seiner Peripherie annehmen. Dagegen lässt sich nichts
Stichhaltiges anführen. Wie wir später sehen werden, gibt es
eine Anzahl von Vögeln (Gimpel,Zeisig, Kreuzschnabel),
bei denen das Paraganglion caroticum aus zwei vollständig
getrennten, mit den beiden Epithelkörpern verbundenen Partien
besteht. Hier kann man mit Recht von einem doppelten
Paraganglion caroticum sprechen.
Wie schon früher erwähnt, enthält das Epineurium der
zum Paraganglion caroticum hinziehenden Nerven nur spärliche
elastische Fasern. Im endoneuralen Bindegewebe fehlten
letztere stets. So kommt es, dass das Paraganglion caro-
ticum an seiner Oberfläche und in seinem Innern nur dort einen
Gehalt an elastischen Fasern aufwies, wohin die Fortsetzungen
des Epineurium der verschiedenen Nerven reichten. Meist
verteilten sich demgemäss die elastischen Fasern nur an der
Oberfläche einzelner Zellballen, drangen aber stellenweise auch
in das Innere der letzteren ein, wo sie zwischen den einzelnen
chromaffinen Zellen selbständig verliefen und endigten. Selbst-
verständlich werden die verschiedenen im Innern der Paraganglien
verlaufenden Arterien und auch die Kapillaren von eigenen
elastischen Fasern umsponnen. Eine gewisse Anzahl der letzteren
dringt ebenfalls zwischen die chromaffinen Zellen ein.
Die Arterien im Innern des Paraganglion caroticum sind
die Endverzweigungen der von der Carotis communis herkommenden
Hauptarterie. Diese entsprang bei den einzelnen Krähen in ver-
schiedener Weise aus der Carotis communis. Bei der Krähe «
Die Paraganglien bei den Vögeln. 695
(rechts) ging von der Carotis communis ein kurzes Arterien-
stämmchen ab, das sich alsbald in eine für die Thyreoidea und
eine für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie teilte.
Auf der linken Halsseite entsprang die für das Paraganglion
bestimmte Arterie für sich, direkt aus der Carotis communis.
Die zum Epithelkörper hinziehende Arterie entsprang etwas weiter
davon ebenfalls direkt aus der Carotis communis. Nahe
der Thyreoidea ging von der dem Epithelkörper zugehörigen
Arterie ein kleinerer Zweig für die erstere ab.
Bei der Krähe £ (links) gestalteten sich die Verhältnisse
etwas komplizierter. Von der Carotis communis ging eine grössere
Arterie ab. Bevor sie aber noch die Carotiswand völlig durch-
brochen hatte, zweigte von ihr eine kleinere Arterie ab, die
später direkt in das Paraganglion caroticum zog. Die Fortsetzung
der ursprünglichen grösseren Arterie teilte sich in einer geringen
Entfernung von der Carotis communis in zwei Arterien. Die
eine gelangte in den postbranchialen Körper, die "andere in die
Thyreoidea.
Bei der Krähe y wurde auf der rechten Halsseite das
Paraganglion caroticum von zwei getrennt voneinander
und direkt aus der Carotis communis entsprin-
genden Arterien versorgt, während auf der linken Hals-
seite nur eine einzige, ebenfalls direkt von der Carotis
communis abgehende Arterie aufzufinden war.
Nach ihrem Eintritt in das Paraganglion caroticum zerfällt
die Hauptarterie sofort in viele kleine Teiläste, die zwischen den
Zellballen verlaufen. Stellenweise dringen diese kleinen Arterien
auch in das Innere der Zellballen, meist jedoch sind die letzteren
bloss von Kapillaren nach allen Richtungen hin durchquert. Die
Kapillaren hüllen die Zellballen aber auch von aussen ein. In der
Peripherie des Paraganglion caroticum lagen stets die (uer-
schnitte mehrerer Venen.
Anschliessend an die Schilderung der Gefässversorgung des
Paraganglion caroticum muss ich hier folgenden interessanten
Befund erwähnen. Bei der jungen, dem Neste entnommenen
Krähe y enthielt die Carotiswand auf beiden Halsseiten
reichliche Mengen der farblosen chromaffinen Zellen. Meiner
Beschreibung lege ich die Verhältnisse von der linken Halsseite
zu Grunde. Die Wand der Carotis communis besass an ihrer,
694 Wilhelm Kose:
dem Paraganglion caroticum zugewendeten Aussenseite eine Ein-
buchtung. Das Paraganglion caroticum war durch einen schmalen
aber deutlichen Spalt von der Gefässwand getrennt. Der normale
Aufbau der Carotiswand zeigte in der Umgebung der Vertiefung
gewisse Veränderungen. Ein Teil der elastischen und binde-
gewebigen Fasern bog am Rande der Delle in die Adventitia
um, ein anderer umkreiste in Gestalt dichtgedrängter Bündel
die Einbuchtung an ihrer dem Lumen der Carotis communis
zugekehrten Peripherie. Eine gewisse Anzahl von Muskelfasern,
dann aber auch von den bindegewebigen und elastischen Fasern.
endigte in der Peripherie der Ausbuchtung, ohne diese zu um-
kreisen. Letztere durchsetzte die zwei äusseren Drittel der
Carotiswand. Zahlreiche Gruppen farbloser chromaffiner Zellen
erfüllten diese Aushöhlung vollständig. Sie standen aber nirgends
in einem geweblichen Zusammenhange mit dem Paraganglion
earoticum. Durch ein allmähliches Zusammenrücken der normalen
3auelemente der Gefässwand schloss sich in den folgenden
Schnitten die letztere vollständig. Dadurch wurden die in
ihr befindlichen Zellballen von aussen abgetrennt. Nach und nach
nahmen die chromaffinen Zellen ab und schliesslich lagen nur
ganz vereinzelte Zellen zwischen den Muskelfasern. Die Gewebs-
elemente der Media hatten mittlerweile ihre normale Anordnung
grösstenteils wiedergewonnen. Nur eine grössere Anzahl von
Kapillaren durchsetzte an dieser Stelle die Carotiswand. Sie
bildeten die Ausläufer der innerhalb der Zellballen gelegenen
Kapillaren. Knapp vor dem Auftreten der ersten Zellballen
durchzog die für das Paraganglion caroticum bestimmte Haupt-
arterie die Carotiswand.
Nach einigen weiteren Schnitten traten neuerdings chrom-
affıne Zellballen innerhalb der Media der Carotis communis auf.
Diesmal erfüllten sie die inneren zwei Drittel der Gefässwand.
Auch hier war durch die gehäuften Zellballen die normale Zu-
sammensetzung der Carotis communis stellenweise vollkommen
zerstört. Die Zellballen waren an manchen Punkten bis an die
Intima vorgeschoben. Die innerhalb der Gefässwand gelegenen
Paraganglien standen nirgends in einem nachweisbaren Zusammen-
hange mit sympathischen Nerven. Obwohl es nun nicht Aufgabe
dieser Arbeit sein kann, auf die komplizierten Bau- und Lage-
verhältnisse des postbranchialen Körpers näher einzugehen, muss
Die Paraganglien bei den Vögeln. 695
ich dennoch folgenden Befund anführen. Die zahlreichen und
ganz verstreut liegenden Gruppen des postbranchialen Körpers
umgaben das Paraganglion caroticum auf allen Seiten. Sie drangen
auch zwischen dieses und die Carotis communis und gelangten
so in das Innere der in der Carotiswand befindlichen Aushöhlung.
Der Inhalt der vorhergehenden Ausführungen lässt sich
wie folgt. kurz zusammenfassen. In der unmittelbaren Nähe des
Paraganglion caroticum, mit diesem aber in keinem geweblichen
Zusammenhange, lagen innerhalb der Carotiswand zahlreiche
Gruppen der farblosen ehromaffinen Zellen. Sie durchsetzen im
Verlaufe der Serie die Carotiswand ihrer ganzen Dicke nach und
zwar an der Abgangsstelle der für das Paraganglion caroticum
bestimmten Hauptarterie. Die innerhalb der Carotiswand gelegenen
Zellballen besassen denselben Aufbau wie jene des eigentlichen
Paraganglion caroticum. Sie standen aber nirgends in einem
nachweisbaren Zusammenhange mit sympathischen Nerven.
Das Paraganglion caroticum und alle am Halse gelegenen
mit peripheren sympathischen Nerven im Zusammenhange stehenden
Paraganglien bilden durchaus nicht die einzigen Ansammlungen
dieser farblosen chromaffinen Zellen. Bei allen untersuchten
Vögeln lagen an verschiedenen Stellen der Vorhöfe mehr
minder zahlreiche Gruppen der farblosen chromaffinen Zellen,
die regelmässig mit sympathischen Nerven geweblich ver-
knüpft waren. Fig. 3, Taf. XXIV, gibt davon ein Bild. Das
Präparat stammte von der Krähe «. Ein Vergleich der Fig. 3
mit Fig. 4 derselben Tafel, ergibt ohne weiteres die völlige
(Gleichheit im Aufbaue beider Organe. Auch in Figur 3 liegen
fünf Zellballen (zb.'-?) in einem von sympathischen Nerven (sy. n.)
gebildeten maschigen Grundgewebe. Dieses entsteht durch die
Auffaserung eines grossen. von rechts herkommenden sympathischen
Nerven (sy. n.). Das ganze Paraganglion besass an seiner Ober-
fläche eine dünne, bindegewebige Hülle, die zum grossen Teil
aus den Fortsetzungen des Epineurium (epnr.) des sympathischen
Hauptnerven (sy.n.) bestand. Die Zellballen (zb.',?,*) sind mehr
kugelig, zb.” mehr oval, zb.? ist hier erst angeschnitten.
Die einzelnen Zellballen sind von genau denselben farblosen
chromaffinen Zellen wie das Paraganglion caroticum zusammen-
gesetzt. Man bemerkt auch hier in der Peripherie vieler chromaffiner
Zellen die scharfen Konturen. Die Vaskularisation der Zellballen
696 Wilhelm Kose:
ist in der Figur 3 deutlicher ausgesprochen als in Figur 4.
Wollte ich von den die Zellballen zusammensetzenden Zellen
eine Zeichnung bei starker Vergrösserung wiedergeben, so müsste
ich reine Kopien der Figuren 9—12, 15, Taf. XXV, anfertigen.
Der feine histologische Aufbau der Zellballen ist hier genau
derselbe wie jener des Paraganglion caroticum. Das wichtigste
Ergebnis bezüglich der an den Vorhöfen gelegenen
Paraganglien ist die gleich innige gewebliche
Verbindung der farblosen chromaffinen Zellen
mit dem sympathischen Nervensystem.
(Gleich gebaute, aber sehr verschieden grosse Paraganglien
fand ich noch längs des Arcus aortae, des Truneus art. brachio-
cephal. com. und der Carotis com. bis in die Nähe des Para-
ganglion caroticum.
Aber nicht bloss die Nerven, sondern auch das grosse in
der Nähe des Paraganglion caroticum gelegene sympathische
Ganglion enthielt häufig zahlreiche solcher Zellballen (zb.). Fig.5,
Taf. XXIV, ist ein Teil des Ganglion der Krähe «& von der
linken Halsseite. Mitten im Ganglion liegt ein rundlicher Ballen
(zb.) der farblosen Zellen. Er besitzt keine bindegewebige Kapsel,
sondern ist von den Nerven des Ganglion unmittelbar umgeben
und auch durchzogen. Ein Vergleich mit den Figuren 3 und 4
zeigt sofort, dass es sich um dieselben Zellen handelt. Man
beachte auch hier die scharf umrissenen Zellkonturen. Ein
Studium mit sebr starken Vergrösserungen ergab die völlige
(Gleichheit dieser Zellen mit jenen der anderen Figuren. Das
(ranglion enthielt eine grössere Anzahl solcher Zellballen.
Ich fand die farblosen chromaffinen Zellen weiter einmal
in Gestalt einer kleinen Gruppe im Ganglion cervicale
und ferner dreier Gruppen in einem Ganglion des
Brustgrenzstranges einer jungen Nestdrossel. Alle
vier Zellballen waren stets Kapillaren angeschlossen.
In besonders gehäufter Menge traten mir die farblosen
chromaffinen Zellen im Paraganglion suprarenale eines
alten Kreuzschnabels entgegen. Das Paraganglion suprarenale
wurde von zahlreichen sympathischen Nerven und mehreren
(anglien von aussen umgeben. Das Ganglion und auch die Nerven
enthielten reichliche Gruppen der farblosen chromaffinen Zellen.
Diese lagen gerade so wie am Halse sehr häufig in der äussersten
ae
Die Paraganglien bei den Vögeln. 697
Peripherie des nervösen Gewebes. Verschiedene Nerven zogen
dann in das Innere des Paraganglion suprarenale und ent-
hielten auch hier deutliche Anhäufungen der farblosen chromaffinen
Zellen. Weitere solche Ballen lagen ganz in der bindegewebigen
Kapsel des Paraganglion suprarenale. Endlich fanden sich die
zu Gruppen gehäuften farblosen chromaffinen Zellen noch im
unmittelbaren Anschlusse an die gelben chromaffinen Zellen des
Paraganglion suprarenale. Sie bildeten mit den letzteren zu-
sammen ganze Abschnitte der Zellstränge, aber nur in der
äussersten Peripherie des Paraganglion suprarenale. In
Fig. 1, Taf. XXIV, ist ein kleinerer Zellballen aus einem grösseren
im Innern des Paraganglion suprarenale gelegenen Paraganglion
gezeichnet. Dieses bestand im ganzen aus sechs bis sieben solcher
(Gruppen. In der Figur 1 sind die einzelnen Kerne in eine
einheitliche Protoplasmamasse eingelagert: nirgends waren auch
nur Spuren von Zellgrenzen wahrzunehmen. In manchen anderen
Zellgruppen dagegen waren die einzelnen farblosen chromaffinen
Zellen voneinander deutlich abgetrennt;und von bindegewebigen
Fäserchen genau so wie im Paraganglion caroticum einzeln für
sich umsponnen. Ich habe aber absichtlich hier zum Vergleiche
mit Fig. 2, Taf. XXIV, einen Zellballen gewählt, in dem die Zellen
zu einem Syneytium vereint sind ‚(fixiertes Präparat!). Besser
als alle Worte lehrt ein Blick auf beide Zeichnungen, dass es
sich nur um dieselben Zellen handeln kann. Die Form, Grösse
und Struktur der Kerne, das staubförmig gekörnte Plasma sind
beiderseits vollkommen gleich. Auch in der Figur 1 habe ich
unten von der Gruppe vergleichshalber eine Ganglienzelle (gz.)
aus dem in der Nähe des Paraganglion suprarenale gelegenen
sympathischen Ganglion einzeichnen lassen. Der Schnitt, von
welchem die Figur herstammt, war nach Mallory-Stöhr gefärbt
worden. Die farblosen chromaffinen Zellen besassen auch hier
dieselbe schwache Affinität zu,Kernfarbstoffen, wie die chrom-
affınen Zellen des Paranglion caroticum. Darauf werde ich noch im
Kapitel „Cytologie“* näher zu sprechen kommen. Das am
meisten charakteristische Moment der farblosen chromaffinen
Zellen der am Halse gelegenen Paraganglien, ihre innige gewebliche
Verbindung mit dem sympathischen Nervensystem, war auch hier
bei dem Kreuzschnabel bei den im Paraganglion suprarenale vor-
gefundenen farblosen chromaffinen Zellen deutlich ausgesprochen.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 46
698 Wilhelm Kose:
Als letzten Fundort der farblosen chromaffinen Zellen führe
ich ein stärkeres sympathisches Nervchen aus dem am meisten
kaudalwärts gelegenen Abschnitte des Plexus rectalis einer
jungen, noch blinden Nestkrähe an. Vergl. Fig. 17, Taf. XXVL
In dem sympathischen Nerven (sy. n.) liegt knapp vor seinem
Eintritt in das Ganglion, von welchem nur eine kleine Partie
(rechter Rand der Figur) miteingezeichnet wurde, eine Gruppe (pg.)
der farblosen chromaffinen Zellen. Sie ist von Kapillaren (kpl.)
umgeben. In ihrer Nähe finden sich auch die Querschnitte einer
Arterie (art.) und zweier Venen (ven.) In der Peripherie der
Zellgruppe liegen ganz vereinzelte braungelbe chromaffine Zellen.
Wo immer wir also die farblosen chromaffinen Zellen
antreffen, stehen sie in der denkbar innigsten Verbindung mit
dem sympathischen Nervensystem. Das ist doch kein zu-
fälliges Zusammentreffen, sondern muss der morphologische
Ausdruck ihrer gegenseitigen und genetischen Zu-
sammengehörigkeit sein.
Bevor ich zur eigentlichen Beschreibung der farblosen
chromaffinen Zellen übergehe, will ich hier nur ganz kurz die
Verbreitung des postbranchialen Körpers (Verdun)
erwähnen. Seine genaue Beschreibung muss zum Gegenstand
einer eigenen Arbeit gemacht werden. Der postbranchiale Körper
bildet, wie dies bereits Verdun angibt, kein nach aussen scharf
begrenztes Organ, sondern besteht meist nur aus lose aneinander
gereihten oder ganz vereinzelten Zellgruppen. Nur bei einem
alten Würgerweibehen und einer alten Eule bestand der
postbranchiale Körper aus mehr zusammengedrängten Zellmassen.
Die losen Gruppen des postbranchialen Körpers umgeben alle
in ihrer Nähe befindlichen Gewebe und Organe. Auf diese Weise
können von ihnen das Paraganglion caroticum, die Epithelkörper,
ferner zahlreiche sympathische Nerven und Paraganglien, schliesslich
auch stellenweise der Stamm der Carotis communis eingehüllt
werden. Anfänglich verwirrt dies Bild, besonders wenn der
postbranchiale Körper mächtig entwickelt ist. Die Kerne der
Zellen des postbranchialen Körpers sind oft sehr gross und jenen
der farblosen chromaffinen Zellen ähnlich. Mit der Zeit erwirbt
man sich aber eine genügende Sicherheit in der Erkenntnis der
wahren Verhältnisse. In zweifelhaften Fällen entscheidet immer
über den geweblichen Charakter der einzelnen Gruppen ihre
Die Paraganglien bei den Vögeln. 699
organische Verbindung mit dem sympathischen Nervensystem.
In 10 « dieken und bloss mit Cochenille gefärbten Schnitten
wird man tatsächlich öfter unsicher bleiben, weil man, wie ich
schon einmal erwähnt habe, den Verlauf des endoneuralen Binde-
gewebes nicht mit Sicherheit verfolgen kann. Als ein weiteres
differenzierendes Merkmal zwischen den vereinzelten Gruppen
des postbranchialen Körpers und jenen des Paraganglion caroticum
dienen die Hohlräume, die innerhalb der ersteren häufig
auftreten. Diese sind manchmal von einer wie kolloiden Masse
erfüllt, die sich mit Eosin, Pikrinsäure, Hämatoxylin
lebhaft färbt. Es ist am besten, anfänglich nur Präparate von
der rechten Halsseite zu studieren, und dann erst mit ihnen
solche von der anderen Seite zu vergleichen. Der postbranchiale
Körper fehlt nämlich bei vielen Vögeln auf der rechten Seite
entweder vollständig oder ist im Gegensatze zu der
linken Halsseite, wo er ausnahmslos vorkommt, viel schwächer
entwickelt. Auf der linken Seite erreicht der postbranchiale
Körper manchmal eine ganz besonders grosse Ausdehnung.
B. Cytologie.
Die farblosen chromaffınen Zellen des Paraganglion
caroticum und aller anderen peripheren aus denselben Zellen be-
stehenden Paraganglien stellen sich durch den absoluten und
gesetzmässigen Mangel jeglicher Gelbfärbung
bei Fixierung mit den verschiedenen Chromgemischen m
einen deutlichen Gegensatz zu der (sesamtheit der anderen
gelben chromaffinen Zellen. Das Plasma sehr vieler
farbloser chromaffiner Zellen wird wohl in ähnlicher Weise wie
jenes der gelben chromaffinen Zellen durch die Chromgemische
besser fixiert als durch alle anderen diesbezüglichen Lösungen
(Sublimat-Kochsalz, Alkohol, Carnoy ete.), es besteht aber auch
hier zwischen den farblosen und gelben Zellen ein gewisser Unter-
schied, insofern als von den ersteren viele, selbst bei Vorbehandlung
der Präparate mit Müller-Formol auffallend schlecht
.erhalten werden. Im Gegensatze zu den farblosen Zellen ver-
danken die gelben chromaffinen Zellen gerade ihrem
hervorragend guten Erhaltungszustande bei Anwendung von
Chromgemischen ihren Namen (Kohn).
Vor allem betrachte man folgende Zeichnungen. In Fig. 4,
46*
7090 Wilhelm Kose:
Taf. XXIV, fallen einem im Innern des Zellballens (zb.’) auch
bei dieser schwachen Vergrösserung sofort sechs Kerne auf, die
in scharf umrissenen, rein weissen Höfen liegen. Einer von ihnen
ist mit (ehrz.) bezeichnet. Es handelt sich, wie wir schon früher
gesehen haben, um Kerne der farblosen chromaffinen Zellen.
Die scharfen Konturlinien um letztere herum sind Bindegewebs-
fasern. Man findet diese vom endoneuralen Bindegewebe um-
gebenen, wie leeren Zellhöfe auch in allen anderen Zellballen
derselben und aller anderer Figuren. Sie finden sich aber auch
innerhalb der verschiedensten sympathischen Nerven (sy. n.). Das
Plasma dieser farblosen chromaffinen Zellen hat sich bei der
Fixierung mit Müller-Formol nur in spärlichen Resten erhalten
und ist daher bei so schwachen Vergrösserungen kaum oder
gar nicht wahrzunehmen.
Die bei 1500 facher Vergrösserung aufgenommenen Zeich-
nungen zeigen diese cytologischen Feinheiten ganz genau. Man
vergleiche die Fig. 9—12 und 15, Taf. XXV, miteinander. Der
in Figur 10 gezeichnete Schnitt wurde nach der Methode von
Mallory-Stöhr gefärbt. Die Bindegewebsfasern und Bündel
traten sehr schön als tiefblau gefärbte Linien hervor. Das Zell-
plasma hatte hier nur einen mattbläulichen Ton angenommen und
bildete in den verschiedenen chromaffinen Zellen wolkig getrübte,
fein gekörnte Massen. Rechts unten in der Figur erfüllt das
Plasma der Zelle (chrz.?) nur die kernhaltige Hälfte der binde-
gewebigen Masche, während ihre andere Hälfte vollständig leer
bleibt und den Charakter einer Vakuole an sich trägt (vak.) In
der angrenzenden Zelle (chrz.*) ist das Plasma ebenfalls stark
geschwunden. Oben rechts in der Zelle (chrz.?) fehlt es fast
vollständig. Man sieht auch bei allen anderen chromaffinen Zellen,
dass das Plasma die bindegewebigen Lücken niemals so voll-
ständig wie bei den gelben chromaffinen Zellen erfüllt. Man
erkennt so leicht, dass die farblosen chromaffınen Zellen
ebenfalls keine eigene Membran besitzen. Noch deutlicher ist
dies an jenen Stellen zu sehen, an denen kein Bindegewebe
zwischen die epithelartig aneinander gereihten Zellen hineinzieht.
Das Plasma der farblosen chromaffinen Zellen besitzt
nur sehr selten die deutliche Granulierung der gelben chromaffinen
Zellen, meist erscheint es nur als eine wolkig getrübte, aufs
feinste gekörnte Masse. Vergl. alle Figuren auf Taf. XXV. Der
Die Paraganglien bei den Vögeln. 01
grösseren Mehrzahl der farblosen chromaffinen Zellen fehlt die
lebhafte Affinität zu den verschiedenen Kern- und Plasmafarb-
'stoffen, die gerade für die gelben chromaffınen Zellen so
charakteristisch ist. Nur eine relativ geringe Anzahl von den
farblosen chromaffinen Zellen färbt sich in analoger Weise wie
die gelben chromaffinen Zellen intensiv mit Kernfarbstoffen.
Gegen Plasmafarbstoffe (ausgenommen Pikrinsäure) verhalten
sich die farblosen chromaffinen Zellen fast völlig
ablehnend.
Was nun die Kerne der farblosen chromaffinen Zellen be-
trifft, so schwankt ihre Grösse in merklichen Grenzen. Ich will
an dieser Stelle einige von den vielen Maßen angeben, die ich
an den verschiedensten Stellen sowohl im Paraganglion caroticum,
als auch den anderen peripheren Paraganglien aufgenommen habe.
Kern. dı —— 0.006 mm, ds-= 006mm I) ©
ed, 0007 .. da = 0,008 | S
a2 oo. de — 00080,
Bd: 20005 0... :de — 0,007 | 6
u ums de = 0,008 >
Kern a! dı = 0,004 mm de = 0,004 mm | =
„.bidı= 0005 „ de — 0,005 , | 2.
ed, O0. ide = 0,005. 0,2 2a
Bali 00 de 0,006 | .
Bed Ole, da. — 0,006, Suleaer
Die grossen Kerne sind entweder beinahe kugelrund oder
längsoval, doch findet man auch unregelmässige bis stumpf drei-
eckige Formen. Vergl. die Fig. 9—12, Taf. XXV miteinander.
Die Kerne scheinen eine eigene Membran zu besitzen, wie sich
nach solchen Präparaten urteilen lässt, die mit Hämatoxylin
(Delafield) gefärbt wurden. Bei Behandlung der Schnitte
nach der Methode von Mallory-Stöhr erhält man dagegen
nur undeutliche und verwaschene mattblaue Kernkonturen. Der
Kerninnenraum ist bei den grossen Kernen häufig mehr minder
leer (fixiertes Präparat), oder wird von einer staubartigen auf
das allerfeinste gekörnten oder leicht fädigen Masse hier und da
erfüllt, die sich überhaupt nur sehr schlecht färbt. Siehe Fig. 10—12,
Taf. XXV. Manchen Kernen fehlt sie fast ganz. Diese erwecken
den lebhaften Eindruck grosser rein weisser Blasen. Fig. 10,
702 Wilhelm Kose:
chrz.” ® und Fig. 11, chrz.!'”?. Im übrigen findet man in den
Kernen ein oder zwei grössere Kernkörperchen und mehrere
kleinere Chromatinbrocken. Die letzteren sind entweder ganz
unregelmässig verstreut oder manchmal perlschnurartig in der
Peripherie angeordnet. Die grossen Kernkörperchen liegen durch-
aus nicht immer zentral, sondern öfters auch exzentrisch. Manchmal
bestehen sie aus mehreren kleineren, sehr intensiv gefärbten
Kügelchen, die in einer etwas schwächer tingierten. entweder
mehr homogenen oder leicht fädigen Grundsubstanz beisammen
liegen. Vergl. den Kern der chromaffinen Zellen chrz.°,*,°, Fig. 10,
Taf. XXV. Genau so gebaute Chromatinbrocken besitzen die
Kerne mancher sympathischen Ganglienzellen. Siehe Fig. 2,
Taf. XXIV.
Die kleinen Kerne zeigen genau dieselben Unterschiede in
der Form wie die grossen Kerne. Ihre Struktur ist ebenfalls
die gleiche wie bei den grossen Kernen. Manche kleine Kerne
sind von der schwer färbbaren, aufs feinste gekörnten Substanz
sanz erfüllt. Bei einer relativ geringen Anzahl von Kernen
färbt sich aber die letztere intensiv mit Kernfarbstoffen.
Es ist mir nun nicht gelungen, zwischen der Grösse und Form
der Kerne und dem jeweiligen Erhaltungszustande des Plasma
irgend ein gesetzmässiges Verhältnis aufzudecken.
Ü. Schlussbetrachtungen und Zusammenfassung.
Angesichts der Differenzen, die in mehrfacher Beziehung
zwischen den gelben chromaffinen Zellen und jenen des
Paraganglion caroticum bestehen, muss ich nun die Gründe
besprechen, die mich bestimmen, die farblosen Zellen des Para-
ganglion caroticum den gelben chromaffinen Zellen als gleich-
wertigan die Seite zu stellen. Am auffälligsten ist der totale und
gesetzmässige Mangel jeglicher Gelbfärbung bei den Zellen
des Paraganglion caroticum. Wie wir nun aus der Erfahrung
wissen, findet man auch in den aus gelben chromaffinen
Zellen zusammengesetzten Paraganglien vereinzelte Zellen, ‘die
keine Spur einer gelben Farbe besitzen, infolge ihres sonstigen
Aussehens aber als sichere chromaffine Zellen aufzufassen sind.
Diese bei der Fixation mit Chromgemischen vollständig farblos
bleibenden chromaffinen Zellen setzten, wie wir bereits gesehen
haben, bei dem einjährigen Hahne einen grossen Teil des Para-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 703
gan glion suprarenale für sich allein zusammen, oder waren
mit den gelben chromaffinen Zellen aufs innigste vermengt. Wie
ich zu zeigen versucht habe, handelteessichhiernicht um
die eigentlichen farblosen chromaffinen Zellen.
Der Mangel jeglicher Gelbfärbung so vieler
Zellen bildete, meiner Meinung nach, in diesem
Falle nur den morphologischen Ausdruck einer
ganz bestimmten Phase in der physiologischen
Tätigkeit der gewöhnlichen gelben chromaffinen
Zellen.
Bei dieser Gelegenheit mache ich hier auf die bekannte
Tatsache aufmerksam, dass die Zahl der deutlich gelb gefärbten
Zellen auch im Paraganglion intercaroticum der Säuger
eine wechselnde, oft nur geringe ist.
Wir sehen also, Zdass die gelbe Chromfärbung des Zell-
plasma durchaus nicht etwas absolut Charakteristisches für an-
erkannt typische chromaffine Zellen ist. Wir müssen uns nur
immer die Bedeutung des Wortes „chromaffin“ vor Augen
halten. Nach Kohn, der diesen Namen eingeführt hat, soll mit
ihm nicht so sehr die Gelbfärbung bestimmter Zellen durch
Chromverbindungen zum Ausdrucke gebracht werden, als viel-
mehr der Umstand, dass die Zellen durch Chrom-
gemische besser als durch alle anderen Fixierungs-
flüssigkeiten erhalten werden.
Der Mangel einer Gelbfärbung bei den Zellen des Para-
ganglion caroticum würde demnach kein zwingender Grund sein,
sie von den chromaffinen Zellen zu trennen.
Der schlechte Erhaltungszustand vieler Zellen des Para-
ganglion caroticum bei der Fixierung mit Müller 9: Formol 1
fällt hier schwerer in die Wage. Wenn die Zellen im Sinne
Kohns „chromaffin“ sind, warum werden dann so viele von
ihnen durch Chromverbindungen schlecht erhalten? Sehen wir
von diesen schlecht fixierten Zellen vorläufig ganz ab, so gibt
es eine genügende Anzahl von Zellen, bei denen die Chrom-
affınität deutlich zum Ausdrucke kommt. Der Unterschied zwischen
den gelben chromaffinen Zellen und jenen des Paraganglion
caroticum besteht nur darin, dass erstere durch die Chromver-
bindungen ausnahmslos gut erhalten werden, während von
den Zellen des Paraganglion caroticum bloss ein Teil diese
704 Wilhelm Kose:
Eigenschaft in einer solchen Ausbildung besitzt. Bei manchen
Vögeln (Taube, Drossel) wurden dagegen fast alle Zellen
des Paraganglion caroticum durch die Mischung Müllersche
Flüssigkeit 9 : Formol 1 tadellos fixiert. Nach den
Ergebnissen der verschiedenen Fixierungen können wir nur so
viel schliessen. dass das Plasma der Zellen des Paraganglion
caroticum einen viel labileren Aufbau besitzen muss als jenes
der gelben chromaffinen Zellen.
Die Zellen des Paraganglion caroticum unterscheiden sich
aber noch in einem dritten Punkte von den gelben chrom-
affınen Zellen. Wir vermissen bei vielen von den ersteren die
lebhafte Affinität zu den Kernfarbstoffen, die in so hohem Maße
den gelben chromaffinen Zellen zukommt. Nur verhältnismässig
wenige Zellen des Paraganglion caroticum färben sich mit Kern-
farbstoffen intensiv, die grössere Mehrzahl aber nimmt die Farb-
stoffe nur schwach oder fast gar nicht auf. Die besten Resultate
erzielte ich mit dem Hämatoxylin (Delafield) und mit der
Eisenalaun-Hämatoxylinmethode von Heidenhain. Mit Plasma-
farbstoften tingieren sich die Zellen des Paraganglion caroticum,
Pikrinsäure ausgenommen, fast gar nicht.
Es ist nicht zu leugnen, dass diese Differenzen in der
Färbbarkeit, die zwischen den Zellen des Paraganglion caroticum
und den gelben chromaffınen Zellen bestehen, im ersten Moment
auffallen. Betrachten wir aber die verschiedenen Ansammlungen
der gelben chromaffinen Zellen, speziell das Paraganglion
suprarenale etwas genauer, so bemerken wir, dass die ein-
zelnen Zellen in sehr verschiedener Stärke die Kern- und auch
die Plasmafarbstoffe annehmen. Es gibt unter den gelben
chromaffinen Zellen eine genügende Anzahl, welche die
betreffenden Farbstoffe gar nicht aufnehmen und rein gelb
bleiben. Zwischen diesen und den maximal gefärbten Zellen
gibt es eine ununterbrochene Reihe von Übergängen und
Abstufungen in der Färbung der einzelnen chromaffinen Zellen.
Wir ersehen daraus, dass auch typische gelbe chrom-
affine Zellen sich mit den Kern- und Plasmafarbstoffen gar
nicht zu färben brauchen. Im Vergleiche zu der Summe der
lebhaft gefärbten chromaffınen Zellen bilden diese ungefärbt
gebliebenen Zellen die weitaus kleinere Minderzahl.
Im Paraganglion caroticum ist das Verhältnis zwischen den
Die Paraganglien bei den Vögeln. 705
gut und schlecht oder gar nicht gefärbten Zellen gerade umge-
kehrt. Das Vermögen einer lebhaften Tinktion geht den meisten
Zellen ab und tritt nur bei relativ wenig Zellen deutlich hervor.
Die im verstärkten Maße ausgebildete Abneigung der Zellen
des Paraganglion caroticum gegen Kern- und Plasmafarbstoffe ist
daher auch kein stichhaltiger Grund für ihre Lostrennung von
den chromaffinen Zellen, weil anerkannt typische gelbe chromaffıne
Zellen dieselbe Eigenschaft besitzen können.
Die bisher angeführten Differenzen zwischen den gelben
ehromaffinen Zellen und den farblosen Zellen des Paraganglion
earoticum sind also zu unwesentlich, um gegen die Zu-
gehörigkeit der letzteren zu der Gesamtheit der chromaf-
finen Zellen verwertet werden zu können. Ein genaues ver-
gleichendes Studium lehrt vielmehr, dass auch die Zellen des
Paraganglion caroticum alle jene Eigenschaften, wenn auch in
abgeschwächtem Grade besitzen, die für die gelben chromaffinen
Zellen charakteristisch sind. Ich würde mich aber trotzdem
niemals trauen, bloss auf Grund der bisher mitge-
teilten Tatsachen die Gleichheit resp. Stamm-
verwandtschaft der gelben mit den farblosen Zellen zu
behaupten. Es ist ein ganz anderes, und wie ich glaube aus-
schlaggebendes Moment, das mich zu dieser Annahme drängt.
Die Zellen des Paraganglion caroticum und aller anderen ihm
gleichenden peripheren Paraganglien besitzen nämlich eine noch
viel gesetzmässigere gewebliche Verbindung mit
dem sympathischen Nervensystem als die gelben
chromaffinen Zellen, von welchen im vollentwickelten
Organismus stets eine grössere Menge vom Sympathicus voll-
ständig abgetrennt ist.
Zur besseren Übersicht will ich zum Schlusse dieses Kapitels
das Wichtigste noch einmal kurz zusammenfassen. Wie wir im
vorhergehenden gesehen haben, bestehen das Paraganglion
earoticum und alle anderen ihm gleichgebauten Paraganglien aus
einem reichen ausschliesslich von sympathischen Nerven gebildeten
Grundgewebe, in welches die farblosen chromaffinen Zellen ein-
gelagert sind. Die Vermengung dieser mit den Nervenfasern
und auch Ganglienzellen ist überall eine so weitgehende, dass an
der genetischen Zugehörigkeit der farblosen Zellen zum
Sympathieus nicht gut gezweifelt werden kann. Die farblosen
106 Wilhelm Kose:
Zellen des Paraganglion caroticum und aller anderen aus denselben
Zellen bestehenden Paraganglien müssen daher zu der Gesamt-
heit der chromaffinen Zellen gezählt werden. Es
besteht betrefis der Verteilung zwischen den gelben und
farblosen chromaffinen Zellen, wie es scheint, ein merkwürdiger,
gesetzmässiger Gegensatz. Überall dort, wo die farblosen chrom-
affınen Zellen gehäuft auftreten, z.B. am Halse und den Vor-
höfen, findet man nur äusserst selten gelbe chromaffine Zellen
(1. Hahn, Hals; 1 Drossel; Hals; 1 Eules Noch
Innerhalb der Grenzstränge und peripheren sympathischen Nerven
im Abdomen, wo die gelben chromaffinen Zellen die verschieden-
sten Paraganglien zusammensetzen, trifft man wieder nur aus-
nahmsweise die farblosen chromaffınen Zellen an. (1 Drossel,
1 Krähe). Das gehäufte Vorkommen der farblosen chrom-
affınen Zellen im Paraganglion suprarenale eines alten
Kreuzschnabels steht einzig für sich als eine Ausnahme
da. Die gelben und die farblosen chromaffinen
Zellen vertreten einander in den verschiedenen
Abschnitten des sympathischen Nervensystems.
Wie ich im vorhergehenden nachzuweisen versucht habe,
müssen die farblosen Zellen des Paraganglion caroticum, trotz
mancherlei Eigentümlichkeiten, den gelben chromaffinen Zellen
als nächstverwandt an die Seite gestellt werden. Für die farb-
losen Zellen scheint mir nach allem die Bezeichnung chromatftfin
in mehrfacher Beziehung nicht charakteristisch genug. Beiden
Zellarten dagegen gemeinsam ist ihre weitgehende gewebliche
Verbindung mit dem Sympathieus,. die bei den farblosen Zellen
noch weit mehr als bei den gelben chromaffinen Zellen auf ihre
genetische Zugehörigkeit zu ersterem hinweist. Für die
farblosen chromaffinen Zellen würde wohl der von Kohn selbst
für die gelben chromaffinen Zellen vorgeschlagene Terminus
„parasympathische Zellen“ am besten passen. Da aber
seit den Untersuchungen Kohns sich mit der von ihm ein-
geführten Bezeichnung chromaffin ganz bestimmte Vor-
stellungsreihen verbinden und ein neuer Namen leicht zu irrigen
Anschauungen Veranlassung geben könnte, so behalte ich trotz
der geäusserten Bedenken die Bezeichnung „chromaffin“ bei.
Die farblosen chromaffinen Zellen fasse ich in-
folge ihres besonderen Verhaltens als eine eigene
Die Paraganglien bei den Vögeln. 707
Abart der chromaffinen Zellen auf und stelle sie
den gelben chromaffinen Zellenan die Seite.
II. Das Paraganglion caroticum der Hühner.
Der histologische Aufbau und die Lagebeziehung des Para-
ganglion caroticum zu dem in seiner Nähe befindlichen Epithel-
körper und der Carotis communis zeigen bei den Hühnern
im Gegensatze zu den anderen Vögeln mancherlei typische Ver-
schiedenheiten, so dass eine gesonderte Besprechung der be-
treffenden Verhältnisse gerechtfertigt erscheint.
Das Paraganglion caroticum lag bei der Henne % ın
ähnlicher Weise wie bei der Krähe y nicht wie es sonst die
Regel ist. dem kranialen, sondern dem kaudalen Epithelkörper
näher.
In erster Linie ist es nun die Anordnung des oft reich-
lichst mit elastischen Fasern vermengten, fibrillären Binde-
gewebes, die dem Gesamtbilde so viel Charakteristisches, zugleich
aber auch häufig Fremdartiges aufprägt, dass es auf den
ersten Blick schwer fallen kann, das Paraganglion caroticum des
Huhnes dem der anderen Vögel gleichzusetzen. Es wird daher
am besten sein. wenn ich die Beschreibung einer fortlaufenden
Serie gebe und in erster Linie das Bindegewebe dabei ins Auge
fasse. Zur leichteren Orientierung über die bei den einzelnen
Hühnern erhobenen Befunde diene die folgende ganz kurze
tabellarische Zusammenstellung.
Das Paraganglion caroticum wurde beiderseits bei
zwei alten Hennen « und £ und bei einem einjährigen
Hahne, ferner einerseits bei einer dritten alten Henne y
untersucht.
1. Das Paraganglion caroticum lag nur in der Nähe der
Carotis communis, von ihr durch einen deutlichen Zwischenraum
getrennt. Seine Verbindung mit der Carotis besorgte einzig und
allein die von letzterer abzweigende und zum Paraganglion
earoticum hinziehende Arterie. Diese histologischen Verhältnisse
fanden sich:
a) Henne « — rechts und links
b) Henne % — bloss rechts
c) Henne y — Halsseite unbekannt
d) Hahn —reechtsiundslinks:
708 Wilhelm Kose:
2. Die bindegewebigen und elastischen Fasern der Kapsel
des Paraganglion caroticum verflochten sich direkt mit jenen der
Adventitia der Carotis communis. Das Paraganglion caroticum
kam hierdurch unmittelbar an die Wand der Carotis zu liegen
und verschmolz streckenweise mit letzterer.
Henne $# — bloss links.
3. Das Kapselbindegewebe des Paraganglion caroticum
setzte sich in ununterbrochenen Zügen in einen mehr minder
deutlichen Hilus im Epithelkörper fort.
a) Henne «@ — links und besonders schön rechts.
b) Hahn — links war der im Epithelkörper befind-
liche Hilus viel tiefer als rechts.
4. Fehlte der Hilus im Epithelkörper, so kam es zu keiner
Fortsatzbildung der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion
caroticum.
a) Henne $# — links und rechts.
b) Henne y — Halsseite unbekannt.
5. Verschieden grosse aus den farblosen chromaffinen Zellen
zusammengesetzte Paraganglien wurden in den zum Paraganglion
caroticum hinziehenden Nerven nachgewiesen.
a) Henne « — rechts und links (reichlich).
b) Henne # — rechts zahlreiche Paraganglien, die in
ihrem Innern Ganglienzellen enthielten: links
nur ganz vereinzelte Paraganglien, neben welchen
wenige Ganglienzellen lagen.
ec) Henne y — reichlich.
d) Hahn — besonders reichlich rechts, sonst aber
auch links.
Ich wende mich nun der eigentlichen Beschreibung des
Paraganglion caroticum zu. Dieses wurde stets an seiner ganzen
Oberfläche von einer dicken bindegewebigen Kapsel eingehüllt.
Letztere besitzt bei den Hühnern eine so mächtige Ausbildung
wie bei keinem anderen der untersuchten Vögel. Die Dicke
der Kapsel schwankte jedoch bei den einzelnen Hühnern in
gewissen Grenzen; selbst aber in jenen Fällen, in denen die
letztere relativ am schmächtigsten entwickelt war, war sie dennoch
stets dicker als bei irgend einem der anderen Vögel. Die binde-
gewebige Kapsel zeigt durchaus nicht immer in der ganzen
Peripherie des Paraganglion caroticum die gleiche Stärke. Sie
Die Paraganglien bei den Vögeln. 709
verdickt sich vielmehr häufig streckenweise (Fig. 6, Taf. XXIV,
rechte Seite X), so dass das zellige Parenchym, dessen Konturen
hier durch die gestrichelte Linie angegeben sind, auf einem
Querschnitte innerhalb der bindegewebigen Kapsel exzentrisch
gelagert ist. Es kann dadurch der Dickendurchmesser der
Kapsel genau so gross werden wie jener des eigentlichen Para-
ganglion caroticum (vergl. dieselbe Stelle), An der unteren
Fläche des letzteren (XxX) ist die Kapsel wieder auffallend dünn.
Es kommt aber auch vor, dass die Kapsel überall gleich dick ist.
In der Fig. 6 ist das zellige Parenchym nicht mit ein-
gezeichnet worden, um nicht das Charakteristische der Anordnung
des Bindegewebes zu verwischen. Die Ausdehnung des erst in
den folgenden Schnitten auftretenden eigentlichen Paraganglion
caroticum ist, wie schon erwähnt, durch die gestrichelte Linie
angegeben. Das laraganglion caroticum setzte sich hier aus
zwei ungleich grossen Hälften zusammen, einer grösseren unteren
und einer kleineren dieser oben anliegenden.
Die ungleiche Kapseldicke hat nun zur Folge, dass zu
Beginn der Serie bloss die Kapsel in mehreren Schnitten an-
getroffen wird. Das histologische Bild dieses nur aus Binde-
gewebe bestehenden, rundlich-ovalen Körpers, der mit dem
Epithelkörper in einer typischen Art verbunden sein kann (vergl.
die Fig. 6), hat im ersten Moment etwas Fremdartiges. Zur
Illustrierung dieses Eindruckes diene die Fig. 6, Taf. XXIV. Links
befindet sich der Epithelkörper (ep. kp.) der nur in einem gleich-
mässig grauen Ton gehalten wurde. An seiner rechten Seite
ziehen in eine hilusartige Vertiefung (hil.) mächtige Züge fibrillären
Bindegewebes. Diese nehmen ihren Ursprung aus einem rechts
neben dem Epithelkörper liegenden, rundlich-ovalen und eben-
falls aus fibrillärem Bindegewebe zusammengesetzten Körper (bdg.).
Von den letzterem beigemischten elastischen Fasern wird später
die Rede sein. Das in den Hilus (hil.) eindringende Bindegewebe
(bdg.) verflicht sich nun mit den Bündeln und Fasern der binde-
gewebigen Kapsel des Epithelkörpers (kps.). Letztere gelangen
ebenfalls in den Hilus und überziehen seine Wände (kps.), während
das von dem aussen liegenden bindegewebigen Körper (bdg.)
abstammende Fasergewebe (bdg.) eine mehr achsiale Lage be-
wahrt. Innerhalb des in der Nähe des Epithelkörpers gelegenen,
aus Bindegewebe zusammengesetzten Körpers verlaufen die Faser-
10 Wilhelm Kose:
züge in verschiedener Richtung. Die periphersten umkreisen ihn
meist in konzentrischen Zügen. Von diesen zweigen nach innen
zu gröbere und feinere Bündel ab, die entweder im Längsschnitte
(bdg.) oder Querschnitte (qu.) getroffen sind. Letztere erscheinen
als vereinzelte oder gehäufte, grössere oder kleinere Punkte (qu.).
Solche Querschnitte trifft man sowohl im Zentrum als auch in
der Peripherie des bindegewebigen Körpers an.
Das gesamte Bindegewebe des letzteren setzt sich aus sehr
verschieden starken Fasern und Faserbündeln zusammen. Ein
stellenweiser Zerfall mancher anfänglich ganz homogener Fasern
in feinere und feinste Fäserchen zeigt, dass es sich bei ersteren
eigentlich um dünnste Faserbündel gehandelt hat. Die stärkeren
Fasern und Faserbündel bilden hauptsächlich die periphersten
Lagen, während die schwächeren das Innere des Körpers erfüllen.
Es finden sich aber auch sehr starke Bündel an der letzteren
Stelle, d. h. im Zentrum des bindegewebigen Körpers. Die Durch-
flechtung des Bindegewebes ist im Innern des Körpers eine viel
lockerere als in der Peripherie. Dadurch entstehen zwischen den
einzelnen Faserbündeln unregelmässige Lücken. In diesen treten
dann in den folgenden Schnitten die ersten chromaffinen Zellen
auf. Der ganze mit dem Epithelkörper verbundene Körper, der
sich fast ausschliesslich nur aus fibrillärem Bindegewebe zu-
sammensetzt, stellt nichts anderes als einen Querschnitt durch
die Kapsel des Paraganglion caroticum dar, und
zwar an einer Stelle, an welcher erstere besonders dick ist und
es noch nicht zur Entwicklung des eigentlichen chromaffinen
(rewebes gekommen ist.
Ich will an dieser Stelle das Verhalten des Bindegewebes
des Paraganglion caroticum den diversen Farbstoffen gegenüber
nur kurz erwähnen ünd die Schwierigkeiten, die sich seiner
sicheren Darstellung entgegenstellen, betonen. Im übrigen ver-
weise ich auf das analoge Verhalten des fibrillären Binde-
gsewebes im Paraganglion suprarenale. Alles was ich
dort ausführlich besprochen habe, passt mit geringen Modifikationen
auch für das Paraganglion caroticum. Wie bei allen anderen
von mir untersuchten Vögeln besitzt auch bei den
Hühnern das Bindegewebe des Paraganglion caroticum nur eine
auffallend geringe Affinität zu dem Säurefuchsin der bekanntesten
spezifischen Farbgemische. Angewendet wurden die eingangs
Die Paraganglien bei den Vögeln. 211
erwähnten Methoden. Die feinen bindegewebigen Fasern
nehmen dabei nur einen mattrosa Ton an oder bleiben voll-
ständig farblos. Neben solchen liegen aber wieder Fasern
und Faserbündel, die sich intensiv rot färben. In den
Fällen, wo eine Färbung mit dem Säurefuchsin negative
oder schlechte Resultate gibt, gelingt die Darstellung der feinen
Fäserchen manchmal noch nach der Methode von Mallory-Stöhr
oder Freeborn. Die innerhalb der gestrichelten Linie gelegenen
zentralen Fasern waren für gewöhnlich auch am schwersten färb-
bar. Trotzdem handelt es sich hier aber bestimmt um fibrilläres
Bindegewebe. Diese zentralen Fasern bilden die unmittel-
bare Fortsetzung des in der Peripherie gelegenen Bindegewebes.
Über dessen geweblichen Charakter kann aber, ganz abgesehen
davon, dass es sich grösstenteils sicher und leicht
Pechen liess, "schon infolge: 'derrein morpho-
logischen Betrachtung kein Zweifel herrschen.
Um ganz sicher zu gehen, wurden nun Kontrollfärbungen
mit Weigerts Resorzin-Fuchsin und dem Unnaschen Orcein
für elastische Fasern gemacht. Alle mit dem Säurefuchsin
ungefärbt gebliebenen deutlichen Fasern färbten
sich auch bei diesen zwei Methoden gar nicht. Es
unterliegt also nach dem negativen Ausfalle dieser Gegen-
versuche keinem Zweifel mehr, dass es sich bei den fraglichen
Fasern um fibrilläres Bindegewebe handeln muss.
Die Methoden von Weigert und Unna sind absolut ver-
lässlich, weil sie überall und immer mit aller nur wünschenswerten
Klarheit selbst die allerdünnsten elastischen Fäserchen färbten.
Im Verlaufe der Serie traten zwischen den im Zentrum
der bindegewebigen Scheibe gelegenen Fibrillenbündeln die ersten
farblosen chromaffinen Zellen auf. Entweder lagen sie ganz ver-
einzelt, oder aber sie erfüllten in Gestalt kleinerer und grösserer
Gruppen die bindegewebigen Lücken. Man konnte dann die
zwischen den Zellgruppen befindlichen Bindegewebsbündel, selbst
wenn sie nur schwach gefärbt waren, noch deutlich erkennen.
Hand in Hand mit der stetig zunehmenden Häufung der chrom-
affınen Zellen wurde die bindegewebige Abgrenzung der einzelnen
Zellballen immer undeutlicher und nur relativ selten gelang der
sichere Nachweis der Verbreitung der feinen und allerfeinsten
Fäserchen.
7L2 Wilhelm Kose:
Wie wir bei der Krähe gesehen haben, ist eines der
charakteristischen Kennzeichen des Paraganglion caroticum seine
organische Verbindung mit dem sympathischen Nervensystem.
Ähnliche Bauverhältnisse treffen wir bei der Wasseramsel
und noch bei manchem Vogel an. Ich werde im nächsten Ab-
schnitte genauer darauf zu sprechen kommen. Während also
bei manchen Vögeln das Stroma des Paraganglion caroticum,
in welchem die farblosen chromaffinen Zellen liegen, aus-
schliesslich nur von sympathischen Nervenfasern
gebildet wird, ist dies bei den untersuchten Hühnern ganz anders.
An Stelle des sympathischen Nervensystems
tritt: hierldas-.fibrilläre, mit elastischen Bags
vermengte Bindegewebe. Dieses bildet der Hauptsache nach
das Grundgewebe, welches die chromaffinen Zellgruppen um-
schliesst. Das Gefüge des Paraganglion caroticum ist nun, je
nachdem die einzelnen Zellgruppen von schwachen oder starken
bindegewebigen Scheidewänden umgeben werden, ein mehr ein-
heitliches oder aber ein aufgelockertes. Einzelne Abschnitte des
Paraganglion caroticum bestehen auf diese Weise nur aus lose
aneinander gereihten, öfters vollkommen selbständigen Zellgruppen.
Stets aber vereint eine gemeinschaftliche bindegewebige
Kapsel alle, wenn auch verstreut angeordneten Zellgruppen zu
einem einzigen Organ — dem Paraganglion caroticum.
Auf den ersten Blick kann dies Bild befremden, bei genauem
/usehen kann man aber auch bei den Hühnern den Zu-
sammenhang des Paraganglion caroticum mit dem sympathischen
Nervensystem nachweisen. Überäll durchbrechen kleinere und
erössere Nervenstämmchen die dicke Kapsel des Paraganglion
caroticum, um in sein Inneres zu gelangen. Auffallend war bei
dem Hahne der Reichtum der sympathischen Nerven an feinen
markhaltigen Fäserchen.
Das Paraganglion caroticum besass bei den einzelnen
Hühnern einen merklich verschiedenen Gehalt an Nervenfasern.
Die meisten fand ich bei dem Hahne. In der Nähe des Para-
ganglion caroticum enthielten seine vom grossen sympathischen
Halsganglion herkommenden Nerven kleine und grössere Gruppen
farbloser chromaffiner Zellen, die gerade so wie jene
des Paraganglion caroticum mit Vorliebe kugelrund waren. Im
Gegensatze zu den anderen Hühnern lag in einem am Para-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 713
sanglion vorbeiziehenden starken sympathischen Nerven eine
grosse, runde Gruppe leuchtend gelber chromaffiner Zellen;
auch in mehreren kleineren sympathischen Nerven fanden sich
schöne gelbe chromaffıne Zellen. Dieser Befund ist umso
bemerkenswerter, als gelbe chromaffine Zellen in den peripheren
Halsnerven nur noch einmal bei einer jungen Drossel vor-
kamen. Ihre Stelle wird hier von den farblosen chromaffinen
Zellen eingenommen.
Es finden sich nun verstreute Ganglienzellen sowohl inner-
halb der sympathischen Nerven als auch der Gruppen chromaffiner
Zellen. Öfters liegen sie den letzteren nur von aussen an.
Einzelne verstreute Ganglienzellen liegen ferner an verschiedenen
Stellen innerhalb der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion
earoticum.
Die Nerven verteilen sich im Innern des Paraganglion
caroticum nach allen Richtungen zwischen den einzelnen Zell-
gruppen und dringen gerade so wie bei der Krähe in das
Innere vieler von ihnen ein. Hier lösen sie sich in der gleichen
Weise auf und das endoneurale Bindegewebe bildet das
Maschenwerk, in dessen Lücken die einzelnen chromaffinen Zellen
liegen. Soweit besteht also eine völlige Übereinstimmung im
Aufbau der chromaffinen Zellgruppen zwischen den Krähen
und Hühnern. Bei den letzteren gibt es nun eine Anzahl
von Gruppen, die in keinem nachweisbaren Zusammenhange mit
sympathischen Nervenstämmchen stehen. Inr Stroma wird dann
von den Fortsetzungen des an ihrer Peripherie angehäuften
Bindegewebes gebildet. In anderen Gruppen wieder
ist das Stützgerüste ein zusammengesetztes, insofern als
sich hier das endoneurale Bindegewebe mit den Ausläufern
des übrigen Bindegewebes zu einem gemeinschaftlichen
Netze verflicht. In diesem doppelten Ursprunge des binde-
gewebigen Gitterwerkes vieler Zellballen des Paraganglion
caroticum kann ich keine prinzipielle Strukturverschiedenheit
zwischen dem Paraganglion caroticum der Hühner und jenem
der Krähen erblicken. Wie wir gesehen haben, setzt sich das
Stützgerüst in einem anerkannt typischen Paraganglion — dem
Paraganglion suprarenale — stets auf diese zwei-
fache Weise zusammen. Hier tritt das endoneurale Binde-
gewebe dem übrigen gegenüber vollständig in den Hintergrund.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 47
714 Wilhelm Kose:
In manchen Zellballen der Hühner sind gerade so wie bei den
Krähen die farblosen chromaffinen Zellen gruppenweise
angeordnet, wobei sie öfters ebenfalls syneytial verschmolzen
sein können.
Bedingt also auch bei den Hühnern die Verteilung des
fibrillären Bindegewebes eine gewisse Veränderung im Aufbau
des Paraganglion caroticum, so bestehen doch nirgends so durch-
greifende, morphologische Unterschiede, die dem Paraganglion
caroticum der Hühner eine Sonderstellung einräumen würden.
Soviel betreffs der Verteilung des Bindegewebes und der
Nerven. Ersterem sind bei den einzelnen Hühnern in sehr ver-
schiedener Menge elastische Fasern beigemengt. Diese finden
sich nicht bloss in der Kapsel, sondern auch im Innern des
Paraganglion caroticum. Die verschiedenen elastischen Fasern
sind von einer sehr ungleichen Stärke. Die feinsten von ihnen
stehen oft an der Grenze der Wahrnehmbarkeit. Bei der Henne £
bildeten die elastischen Fasern wie bei keinem anderen Huhne
mehr ausnehmend dicke Bündel und Balken in der Kapsel
und im Innern des Paraganglion caroticum. Stellen-
weise verdrängten sie das fibrilläre Bindegewebe
mehr minder vollständig. Die elastischen Fasern um-
geben für gewöhnlich die Gruppen chromaffiner Zellen nur von
aussen, doch dringen sie in ähnlicher Weise wie das fibrilläre
Bindegewebe auch in ihr Inneres ein und endigen dann zwischen
den einzelnen chromaffinen Zellen. Beim Hahne war die binde-
gewebige Kapsel des Paraganglion caroticum nur von wenigen
und dünnen elastischen Fasern durchwebt. Zum Teil zogen
welche ins Innere des Paraganglion und durchkreuzten es nach
allen Richtungen, wobei sie sich niemals zu grösseren Bündeln
vereinten. Beim Huhne y besass die Kapsel wieder viel mehr
elastische Fasern als beim Hahne, im Vergleiche zur Henne £
dagegen war sie arm an solchen zu nennen. Im Innern des
Paraganglion caroticum (Henne y) verliefen nur ganz vereinzelte
elastische Fasern ohne jede erkennbare systematische Anordnung.
Auch das fibrilläre Bindegewebe besass nur eine relativ schwache
Ausbildung. Diesem Umstande war es mit zu danken, dass in
diesem Falle das Paraganglion caroticum ein mehr einheitliches
(sefüge besass. Bei der Henne « war das reich entwickelte Binde-
gewebe der Kapsel nur von spärlichen elastischen Fasern durchzogen.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 715
8
Vorläufig kann ich de Schwankungen des Gehaltes an
elastischen Fasern im Paraganglion caroticum der verschiedenen
Hühner nur auf uns unbekannte, individuelle Ursachen
zurückführen.
Überall dort. wo ein Hilus im Epithelkörper ausgebildet war,
setzten sich sowohl die bindegewebigen als auch die elastischen
Fasern der Kapsel des Paraganglion caroticum in jenen hinein
kontinuierlich fort. Bei der Henne « war der Hilus besonders
auf der rechten Seite auffallend tief, aber auch auf der linken
Halsseite sehr deutlich entwickelt. Beim Hahne war der Hilus
rechts auffallend seicht, links erreichte er wohl eine grössere
Tiefe, blieb aber dennoch weniger ausgebildet als bei der
Henne «. Bei den übrigen Hühnern fehlte eine eigentliche
Hilusbildung im Epithelkörper. Höchstens machte sich an der
Stelle. an welcher sonst der Hilus gelegen zu sein pflegt, eine
leichte Einziehung der Oberfläche des Epithelkörpers bemerkbar.
In diesen Fällen entsendet die bindegewebige Kapsel des Para-
ganglion caroticum keinen Fortsatz zum Epithelkörper; trotz-
dem reicht die erstere dabei stellenweise bis an diesen heran.
Die gewebliche Verknüpfung des Paraganglion caroticum
mit der Wand der Carotis communis kann eben so wie jene mit
dem Epithelkörper eine mehr minder weitgehende sein. Für
gewöhnlich lag das Paraganglion caroticum nur in der Nähe der
Carotis communis, mit dieser nur durch die zuführende Arterie
zusammenhängend. Bei der Henne 3 kam es aber auf der
rechten Halsseite zu einer innigen Verschmelzung der
Carotiswand mit der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion
caroticum. Diese Vereinigung bestand jedoch nur in wenigen
Schnitten. Die bindegewebigen und elastischen Fasern der Kapsel
zogen ohne Unterbrechung zwischen jene der Adventitia der
Carotis und durchflochten sich mit dieser aufs innigste. Das
Paraganglion caroticum bildete hier tatsächlich, allerdings nur
auf eine ganz kurze Strecke, eine Wandverdickung der
Carotis communis. In den folgenden Schnitten löste sich das
Paraganglion caroticum wieder vollständig von der Carotis com-
munis ab. — Ihr gegenseitiger Zusammenhang wurde dann wie
bei den anderen Hühnern nur durch die zuführende Arterie
besorgt. Diese besass manchmal bald nach ihrem Ursprunge aus
der Carotis communis und noch vor ihrem Eintritte in das
47%
716 Wilhelm Kose:
Paraganglion caroticum eine Verdiekung ihrer Adventitia, die in
verschiedener Menge einzelne oder zu Gruppen gehäufte farblose
chromaffine Zellen enthielt.
In bezug des Ursprunges der für das Paraganglion caroticum
bestimmten Hauptarterie herrschten bei den einzelnen Hühnern
kleine Differenzen, die ich nun näher besprechen will. Bei der
Henne « waren die Verhältnisse rechts und links gleich. Von
der Carotis communis ging ein stärkeres Arterienstämmchen ab.
Dieses teilte sich alsbald in eine für den postbranchialen Körper
bestimmte und eine andere Arterie, die gegen das Paraganglion
caroticum zog. Vor ihrem Eintritt in das letztere teilte sich
diese Arterie in einen fürs Paraganglion caroticum bestimmten
Ast und in einen weiteren Zweig, welcher, die äussersten Schichten
der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion caroticum tangential
durchsetzend, direkt in den Epithelkörper zog. Bei der Henne 8
war die Gefässverteilung folgende. Linke Halsseite: Von
der Carotis communis ging eine grössere Arterie ab, von welcher
gleich nach ihrem Ursprunge zwei kleine Arterien in einer
kurzen Entfernung voneinander abzweigten. Beide zogen gleich-
zeitig in das Paraganglion caroticum, während die direkte
Verlängerung der ursprünglichen Arterie sich zum Epithelkörper
begab. Rechte Halsseite: Von der für den Epithelkörper
bestimmten Arterie ging nur eine einzige Arterie ab, sonst
herrschten hier dieselben Verhältnisse wie links. Interessant war
nur der Befund, dass nicht bloss die für das Paraganglion caro-
ticum, sondern auch jene für den Epithelkörper bestimmte Arterie
eine von farblosen chromaffinen Zellen durchsetzte Verdickung
ihrer Adventitia besass.. Beim Hahne war die Gefässverteilung
links und rechts dieselbe. Beidemal zweigte von der Uarotis
communis eine stärkere Arterie ab, die bald in zwei Äste zerfiel.
Einer von ihnen zog direkt in den postbranchialen Körper, der
andere wendete sich dem Paraganglion caroticum zu. In seiner
Nähe spaltete er sich seinerseits in zwei kleinere Arterien, von
denen eine in das Paraganglion caroticum einbog, die andere
dagegen an diesem vorüber zum Epithelkörper gelangte. Bei der
Henne y konnte die Gefässverteilung nicht mit Sicherheit er-
mittelt werden, weil einige Serienschnitte in Verlust geraten
waren. Doch schienen hier dieselben Verhältnisse wie bei der
Henne £ vorzuliegen.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 71T
Ein Vergleich der bei den Hühnern erhobenen Befunde lehrt
nun folgendes: Das allen Hühnern Gemeinsame besteht darin,
dass die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie nie-
mals direkt von der Carotis communis entsprang. Überall
dort, wo ein postbranchialer Körper entwickelt war, ging die für
den Epithelkörper bestimmte Arterie nicht unmittelbar von der
Carotis communis ab, sondern entstand erst durch die Teilung
einer gemeinsamen Arterie, von welcher der andere Zweig zum
postbranchialen Körper abbog. Bei der Henne % dagegen nahm
die für den Epithelkörper bestimmte Arterie ihren Ursprung
direkt aus der Carotis communis.
Schon innerhalb der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion
caroticum löste sich die Hauptarterie in mehrere Äste auf. Im
Innern des Paraganglion caroticum zerfielen diese alsbald in
Kapillaren, welche die Zellballen nicht bloss an ihrer Aussenseite
umgaben, sondern auch nach allen Richtungen durchzogen. Inner-
halb der Kapsel und in der Peripherie des Paraganglion earoticum
lagen stets mehrere deutliche Venendurchschnitte.
Zum Schlusse gehe ich zur näheren Beschreibung des eigent-
lichen zelligen Parenchyms des Paraganglion caroticum über.
Ich kann mich hier ganz kurz fassen, indem ich diesbezüglich
auf den Abschnitt „Uytologie“ (Seite 699—702) bei den
Krähen verweise. Sehen wir von dem ganz eigentümlichen Ver-
halten des fibrillären Bindegewebes ganz ab, so besteht das
Paraganglion caroticum der Hühner in derselben Weise wie
bei den anderen Vögeln aus den farblosen chromaffinen
Zellen. Diese waren entweder zu verschieden grossen Gruppen
vereint oder lagen ganz vereinzelt im Bindegewebe. Sämtliche
Gruppen chromaffiner Zellen wurden aber stets von einer ge-
meinsamen Kapsel zu einem (Gesamtorgan zusammengefasst.
Um einen vergleichenden Überblick über die Grösse des
Paraganglion caroticum der einzelnen Vögel zu gewinnen, wurden
stets mit dem Okularmikrometer seine zwei grössten in der Bild-
fläche gelegenen Durchmesser gemessen. Den dritten auf beiden
senkrecht stehenden Durchmesser erhielt ich durch Zählung der
einzelnen Serienschnitte.
Henne «: 1. rechts. Fixation in 100 cem 3°/o Kalium-
bichromat + 6 cem Eisessig durch 3 Tage.
715 Wilhelm Kose:
Mit Kapsel: wdr=!0,67 mm
de — 0,48
ds = 0,4
Ohne Kapsel: dı = 0,4
de,=3+0:31
dA NIE
2. Links. Fixation in 100 ecem Zenkerscher Lösung
+ 7 cem Eisessig durch 3 Tage.
MitKapsel: mdr=10,6y,.mm
dsr.0;52
ds==- 0MARE
Ohm e Kaps el:,.di=.0,32.:,
da; 0,22; „4;
ds=02 ,„
Henne 2: 1.rechts. Fixation in konzentrierter Sublimat-
Kochsalzlösung durch 24 Stunden.
Mit:Kapsel: zdı =.0.b,.mm
&=04 „
das 0:2 E
2. Links. Fixation in Müllerscher Flüssigkeit 9:
Formol 1 durch 4 Tage.
Mit Kapsel: dı = 0,61 mm
da — 0,41, ;,
Re
Hahn: rechts. Fixation n Müller 9: Formol 1 durch
9 Tage.
Mit Kapsel: dı =0,8 mm
de.==3037. u;
ds 0:6, ı.
Diese Maße mögen zum Beweise dafür dienen, dass die
(rössenschwankungen des Paraganglion caroticum sich bei den
einzelnen Hühnern in engen Grenzen halten. :
Das Plasma der einzelnen chromaffinen Zellen zeigt gerade
so wie bei den Krähen und den meisten anderen Vögeln nach
Fixierung in Müller 9: Formol 1. oder 3°/o Kaliumbichromat
9: Formol 1 einen verschieden guten Erhaltungszustand. Ich
fand oft neben tadellos fixierten Zellen solche, deren Plasma fast
oder gänzlich geschwunden war. Die Resultate, welche man bei
der Färbung mit den diversen Kern- und Plasmafarbstoffen bekam,
Die Paraganglien bei den Vögeln. 719
stimmten völlig mit jenen bei den anderen Vögeln überein. Es
bestand zwischen den Krähen und Hühnern nur insofern
ein kleiner Unterschied, als sich bei den letzteren das Plasma
mancher Zellen mit Kernfarbstoffen merklich intensiver
färbte, während die Kerne viel heller blieben.
Die Kerne gleichen in bezug auf Form, Grösse und Struktur
den Kernen der anderen Vögel. Sie sind entweder rund, oval
oder länglich, manchmal an einem Ende etwas aufgetrieben. Sie
enthalten ein oder zwei grössere Kernkörperchen und mehrere
kleinere Chromatinbrocken. Die Durchmesser einiger Kerne seien
hier noch angeführt:
Kern a dı = 0,006 mm de = 0,006 mm
bed 0,003, da 009.
Fed. 0.000: „. de O0
derdı 30.005, do NO
ed. —U00R de» — 0,005
0008 „da: 0.006, %
Ein zusammenfassender Überblick über die gesamten Be-
funde lehrt nun folgendes: Das Paraganglion caroticum der
Hühner stellt sich wohl infolge der ganz besonders reichen
Entwicklung seines bindegewebigen und elastischen Stützgerüstes
in einen gewissen Gegensatz zu dem Paraganglion caroticum
aller anderen untersuchten Vögel. Ein vergleichendes Studium
der eigentlichen Parenchymzellen lehrt aber, dass sie denjenigen
der übrigen Paraganglia carotica vollkommen gleich sind. Ihr
inniger Zusammenhang mit dem sympathischen Nervensystem
ist auch bei den Hühnern deutlich ausgesprochen, er wird nur
durch das reichlichst vorhandene Stützgewebe stellenweise ver-
dunkelt, teils aber in gewissem Sinne abgeändert. Ich stehe
Waher nicht an, das bei den Hühnmern vorge-
tundene. Organ ebenfalls als ein Paracanglion
caroticum aufzufassen und es dem der anderen
Vögel als gleichwertig an die Seite zu stellen.
III. Das Paraganglion earoticum der Wasseramsel.
Die Lagebeziehung des Paraganglion caroticum zu dem ihm
zunächst befindlichen Epithelkörper kann bei den einzeinen Arten eine
verschiedene sein. Wir haben die betreffenden Verhältnisse bei
den Krähen und Hühnern kennen gelernt. Bei den Krähen
720 Wilhelm Kose:
und in ähnlicher Weise bei einer Taube, einem Käuzchen,
einer alten Eule und manchem Huhne war das Paraganglion
caroticum vom Epithelkörper entweder eine Strecke weit entfernt
oder lag in seiner unmittelbaren Nähe. Die Oberfläche des Epithel-
körpers war an keiner Stelle in Gestalt eines Hilus eingebuchtet.
Bei anderen Hühnern wieder setzte sich ein deutlicher Fort-
satz der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion caroticum in
einen im Epithelkörper befindlichen Hilus fort. Das eigent-
liche zellige Parenchym des Paraganglion caroticum blieb
dabei stets ausserhalb des Epithelkörpers. Nur ein einziges-
mal fand ich wenige farblose chromaffine Zellen zwischen den
bindegewebigen Faserbündeln, die in den Hilus eindrangen.
Es gibt nun eine ganze Anzahl von Vögeln (Wasser-
amsel, Fink, Drossel, Gimpel, Zeisig, Kreuz-
schnabel), bei welchen das Paraganglion caroticum entweder
vollständig oder doch wenigstens zum grossen Teil in
das Innere des Epithelkörpers versenkt ist. Die gegen-
seitige Verbindung beider Organe wird dadurch
die denkbar innigste.
Meiner nun folgenden Beschreibung lege ich die Serie durch
das Paraganglion caroticum von der rechten Halsseite der
Wasseramsel zu Grunde. Das meiste meiner Ausführungen
kann auch auf die anderen hierher gehörigen Vögel angewendet
werden, da sich bei allen im wesentlichen dieselben Verhältnisse
vorfanden. Auf verschiedene kleinere Differenzen werde ich
später an geeigneter Stelle zu sprechen kommen. Ganz zum
Schlusse werde ich in einer kurzen tabellarischen Zusammen-
stellung die bei den einzelnen Vögeln erhobenen Befunde an-
einanderreihen.
Bei der Wasseramsel fanden sich nur zwei Epithelkörper
(rechts), die auf entgegengesetzten Seiten der Carotis communis
lagen. Den kaudalen trennte der Stamm der Vena jugularis von
der Carotis communis, der kraniale dagegen war der letzteren
viel mehr genähert und von ihr durch zahlreiche sympathische
Nerven getrennt, die in das Paraganglion caroticum zogen. Die
Nerven nahmen ihren Ursprung aus dem grossen in der Nähe
des kaudalen Epithelkörpers gelegenen sympathischen Ganglion
und zogen im Bogen um den letzteren herum. Dort wo sie den
kaudalen Epithelkörper fast berührten, besass dieser einen
Die Paraganglien bei den Vögeln. 721
schmalen aber ziemlich tiefen Hilus. Dieser war hauptsächlich nur von
Bindegewebe und der Hauptarterie des Epithelkörpers erfüllt.
Die sympathischen Nervchen bildeten vor dem Hilus ein ganz
lockeres (Geflecht, von welchem aus spärliche Fasern in den Hilus
einbogen. Farblose chromaffine Zellen waren nirgends im letzteren
aufzufinden. Dafür lag ein kleines aus farblosen chromaffinen
Zellen zusammengesetztes Paraganglion ausserhalb des Epithel-
körpers in der Nähe des Einganges zu seinem Hilus. Es wurde
allseitig von den sympathischen Nerven umgeben und durchzogen.
Von der für den Epithelkörper bestimmten Arterie zweigten vor
ihrem Eintritte in den Hilus mehrere kleinere Arterien ab, die
sich mit den vor dem Hilus liegenden Nerven durchflochten.
Eine von diesen Teilarterien durchzog das Paraganglion in der
Richtung seines grössten Durchmessers. Nachdem dieses schon
geschwunden war, lagen dann noch vereinzelte farblose chrom-
affıne Zellen in der Adventitia dieser Arterie.
Ehe das eigentliche kranialwärts gelegene Paraganglion
caroticum erschien, besass die Adventitia der Carotis communis
an der Stelle, an welcher später die für das Paraganglion caroticum
bestimmte Arterie abging. eine lokale bindegewebige Verdickung.
Diese Arterie durchsetzte die letztere und teilte sich gleich nach
ihrem Ursprunge in mehrere Äste, die sich miteinander geflecht-
artig verbanden. Das ganze Gefässkonvolut lag der Carotis
communis von aussen an. Die Wand der letzteren hatte mittler-
weile ihre normale Stärke wieder erreicht. An seiner der Carotis
abgewendeten Peripherie wurde das Arteriengeflecht von den zum
Paraganglion caroticum gehörigen Nerven kranzartig umfasst.
Diese enthielten feine markhaltige Fäserchen. Später drangen
die Nerven überall zwischen die Arterien. Dabei enthielten sie
anfänglich nur wenige, dann aber immer mehr gehäufte farblose
chromaffine Zellen und vereinzelte oder zu Gruppen angeordnete
Ganglienzellen. Der inzwischen aufgetretene kraniale Epithel-
körper hüllte in Gestalt eines sichelförmig gekrümmten Körpers
das aus Nerven, chromaffinen Zellen und Arterien zusammenge-
setzte Organ ein. Fig. 7, Taf. XXV, illustriert diese Verhältnisse.
Die Aushöhlung an der rechten Seite des Epithelkörpers (ep. kp.)
wird der Hauptsache nach von einem aus marklosen und auch
markhaltigen Nerven zusammengesetzten Plexus erfüllt. Ein be-
sonders starkes sympathisches Nervenstämmchen (sy. n.) zieht direkt
122 Wilhelm Kose:
in den Hilus hinein. Hier verlaufen die einzelnen Nerven oder
auch nur Nervenfaserbündel in den verschiedensten Richtungen.
In der Figur sind fünf grössere und drei kleinere Querschnitte
feiner Nerven zu sehen. Einer von ihnen, rechts oben in der
Zeichnung, ist mit (n. qu.) bezeichnet, die anderen sind ohne
weiteres leicht herauszufinden. Die Lücken des nervösen Flecht-
werkes werden nun in genau derselben Weise wie bei den
Krähen von zahlreichen aus farblosen chromaffinen Zellen zu-
sammengesetzten Gruppen (zb.!**) ausgefüllt. Hier sind erst
vier von ihnen zu sehen. Später werden die Nervenfasern durch
die stetige Zunahme des chromaffinen Gewebes immer mehr ver-
drängt. Die Zellgruppen liegen dann dicht nebeneinander. Dabei
können sie entweder ihre kugelrunde Gestalt behalten oder aber
es finden sich grössere mehr unregeimässige Zellkomplexe, bei
denen ihre Zusammensetzung aus einigen Untergruppen
mehr minder deutlich ist. Es kann sich aber in diesen Fällen
ebensogut um einen unvollständigen Zerfall einer
ursprünglich einheitlichen Anlage in einzelne Untergruppen
handeln. Die einzelnenZellballen werden von den
Nervenfasern unmittelbar umspöonnen. Zwischen
den Zellballen verlaufen in den verschiedensten Richtungen zahl-
reiche Arterien und Kapillaren. Fünf Querschnitte von kleinen
Arterien sind miteingezeichnet worden. Vier liegen am oberen
Rande des Paraganglion caroticum, der fünfte (art.) rechts unten
am Eingang in den Hilus. |
Die Gesamtheit aller innerhalb des Epithel-
körpers eingeschlossenen Nerven, chromaffinen
Zellen, Arterien und Kapillaren stellt eben nichts
anderes als das eigentliche Paraganglion caroti-
cum dar. An seiner dem FEpithelkörper zugekehrten Ober-
tläche wurde es von einer sehr dünnen bindegewebigen Hülle
(bdg.) umgeben, die sich gerade so wie bei den Krähen der
Hauptsache nach aus den Fortsetzungen des Epineurium der
verschiedenen sympathischen Nerven aufbaute. Spärliche binde-
gewebige Fasern, die teils von der Kapsel, teils aber von den
Septen des Epithelkörpers herrührten, verstärkten diese
Umhüllung. Das Paraganglion caroticum bildete aber durchaus
nicht in allen Schnitten einen so wohl abgegrenäten Körper wie
in der Fig. 7. Einzelne seiner Zellballen ragten vielmehr stellen-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 123
weise stark aus seiner Peripherie heraus und drangen oft ziemlich
tief zwischen die Zellstränge des Epithelkörpers vor. Ganz be-
sonders war dies bei einem alten Finken ausgeprägt. (Siehe
diesbezüglich S. 744.)
Der grosse in den Hilus hineinziehende Nerv (sy.n.) enthielt
mehrere Gruppen farbloser chromaffiner Zellen. Eine besonders
grosse (zb.’) lag ganz in seiner Achse. Nach oben von ihr be-
merkt man noch einen kleinen runden Zellballen (zb.), der dem
Nerven nur von aussen anliegt. In Fig. 8, Taf. XXV, ist die
rechte Hälfte des Zellballens (zb.’) und der Ballen (zb.%) ver-
grössert gezeichnet. Der grosse Nerv zerteilt sich in der
Peripherie des Paraganglion (zb.’) und umgreift dieses auf allen
Seiten. Ein grosser Teil seiner Fasern dringt aber in das
Innere des Zellballens zwischen die chromaffınen Zellen ein.
Nirgends scheidet eine bindegewebige Hülle
das Paraganglion vom eigentlichen Nervenge-
webe. Der kleine Zellballen (zb°) dagegen ist durch eine kern-
haltige bindegewebige Hülle von dem grossen Nerven getrennt.
Ein Vergleich der Fig. 8 mit Fig. 3—5, Taf. XXIV, zeigt, dass
es sich sowohl bei der Krähe als auch hier bei der Wasser-
amsel um dieselben farblosen chromaffinen Zellen handelt. In
der Fig. 8, Taf. XXV fallen einem sofort die von der Krähe
her so gut bekannten scharfen Begrenzungslinien vieler chrom-
affıner Zellen auf; auch bei der Wasseramsel sind viele der
von den Linien begrenzten Zellhöfe leer oder nur mit einer sich
fast nicht färbenden Substanz in spärlichen Resten erfüllt. Die
Zellkerne haben das genaue Aussehen, wie jene des Paraganglion
caroticum der Krähe.
Nach all dem Gesagten kann es keinem Zweifel unterliegen,
dass es sich bei dem vom Fpithelkörper umschlossenen Organ
um ein typisches Paraganglion caroticum handelt. Auffallend
bleibt nur im Gegensatze zu den anderen Vögeln seine Lage
innerhalb des Epithelkörpers. Die Verbindung beider Organe
wird dadurch bei der Wasseramsel und allen übrigen hierher
gehörigen Vögeln (Gimpel, Zeisig, Drossel, Kreuz-
schnabel etc.) eine organische. Zu Beginn und Schluss
der Serie, wenn der Eingang zum Hilus des Epithelkörpers noch
nicht angeschnitten ist, umschliesst der letztere das Paraganglion
caroticum in Form eines Ringes. Dies Bild erklärt sich dadurch,
124 - Wilhelm Kose:
dass das Paraganglion caroticum im Innern des Epithel-
körpers eine grössere Ausdehnung besitzt, als der Durch-
messer des Einganges in den Hilus beträgt. Unwillkür-
lich muss man beim Anblicke des ringsum vom Epithelkörper
umschlossenen Paraganglion caroticum an das Paraganglion
suprarenale der Säugetiere denken, das in ähnlicher Weise
von der Nebenniere (Rinde) umgeben wird. Ich glaube an dieser
Stelle am passendsten zwei schematische Zeichnungen einfügen
zu können, die Kohn auf S. 3 seiner Arbeit „Über die Neben-
niere“ (4) zur Illustrierung der Verbindung des Paraganglion
suprarenale mit der Nebenniere gibt.
Diese beiden Figuren könnten ebensogut auch von dem
Paraganglion caroticum der Vögel herstammen. Vergleichen wir
R
Fig. 1 Fig. 2
mit Fig. 2 die von der Wasseramsel herrührende Fig. 7,
Taf. XXV, so ergibt sich betrefis der Ineinanderschachtelung
von Paraganglion und Epithelkörper ohne weiteres eine völlige
(Gleichheit. Auch beim Vogel sitzt der Epithelkörper „pilzhut-
förmig‘“ dem Paraganglion caroticum auf, das sich nach aussen
stielförmig fortsetzen kann. Denken wir uns nun beim Vogel
den Epithelkörper längs der von mir gezeichneten punktierten
Linie (Fig. 2) durchschnitten, dann bekommen wir das genaue
Bild von Fig. 1. In der Mitte des ringförmigen Epithelkörpers
liegt gewissermassen als „zentrale Marksubstanz“ das
Paraganglion caroticum.
Sehen wir nun zu, ob sich der Vergleich zwischen dem
Paraganglion caroticum der Vögel und dem Para-
ganglion suprarenale der Säugetiere genauer durch-
führen lässt. Das Paraganglion caroticum der Vögel
besteht in ähnlicher Weise wie das Paraganglion suprarenale der
Säugetiere aus einer mehr minder scharf umgrenzten Anhäufung
von chromaffinen Zellen, die sich vom Epithelkörper ebenso
Die Paraganglien bei den Vögeln. 125
deutlich abhebt, wie das Paraganglion suprarenale von
der Nebenniere (Rinde). Bei den Vögeln und Säuge-
tieren bildet die Trennungslinie zwischen dem chromaffinen
und epithelialen Gewebe nicht immer eine regelmässige länglich-
ovale Figur, sondern besitzt an mehreren Stellen verschiedene
Knickungen. Dies kommt daher, weil sich aus der Hauptmasse
des Paraganglion caroticum und suprarenale Ballen und Stränge
chromaffiner Zellen ungleich weit in den Epithelkörper und die
Nebenniere vorschieben. Wie wir durch die Untersuchungen
über das Paraganglion suprarenale der Säuger wissen, können
seine chromaffinen Zellen an mehreren Stellen die ganze
Nebenniere (Rinde) durchsetzen und sich an der Aussenseite der
letzteren mit den daselbst befindlichen Anhäufungen von chrom-
affınen Zellen sog. „Marksubstanz“ verbinden.
Im Gegensatze dazu findet man bei allen jenen Vögeln,
bei denen das Paraganglion caroticum im Innern des Epithel-
körpers liegt, ausnahmslos nur eine einzige Lücke an
der einen Seite im Epithelkörper, durch welche das Paraganglion
caroticum teilweise frei herausragt und dadurch mit den ausser-
halb des Epithelkörpers befindlichen Anhäufungen chromaffinen
Gewebes in Verbindung stehen kann. Es schieben sich, wie
schon früher erwähnt, die chromaffinen Zellen des Paraganglion
caroticum wohl auch an anderen Stellen seiner Peripherie manch-
mal etwas tiefer in den Epithelkörper vor (Fink), niemals
aber erreichen sie dabei seine äussere Oberfläche, sondern sind
von ihr durch eine deutliche Lage von epithelialen Zellsträngen
geschieden.
Das Paraganglion caroticum ist nicht bei allen Vögeln gleich
tief in den Epithelkörper versenkt. Diesbezüglich bestehen ganz
unberechenbare individuelle Schwankungen. So kommt es,
dass das Paraganglion caroticum einmal fast ganz im Epithel-
körper steckt, das anderemal aber nur mit einem kleineren oder
grösseren Abschnitte. Auch die Weite der Lücke, durch
welche das Paraganglion caroticum nach aussen ragt, kann grösser
oder kleiner sein. Besitzt also die Lage des Paraganglion
caroticum der Vögel innerhalb des Epithelkörpers in mancher
Beziehung viel Ähnliches mit jener des Paraganglion suprarenale
der Säugetiere innerhalb der Nebenniere (Rinde), so besteht
doch zwischen beiden der Unterschied, dass bei den Vögeln der
726 Wilhelm Kose:
einseitige und breite Austritt des chromaffinen Gewebes aus
dem Epithelkörper die ausnahmslose Regel bildet, während
das Paraganglion suprarenale der Säugetiere von der Nebenniere
viel fester eingehüllt wird. Diese morphologischen Differenzen
sind aber meines Erachtens nur graduelle und keine essen-
tiellen und können infolgedessen gegen die oben angeführte
Analogie der Lage des Paraganglion caroticum vieler Vögel
und des Paraganglion suprarenale der Säugetiere nicht ver-
wertet werden.
Der Vergleich zwischen diesen beiden Paraganglien lässt
sich aber infolge weiterer wichtiger histologischer Befunde noch
vervollständigen. Dieorganische Verschmelzung des Paragang-
lion caroticum mit dem Epithelkörper kommt, ganz abgesehen
von ihrer Ineinanderlagerung, dadurch zum Ausdrucke, dass das
arterielle und venöse Gefässsystem beider teilweise ein ge-
meinschaftliches ist. Bei den Säugetieren erfolgt wie bekannt
schon innerhalb der bindegewebigen Kapsel an der Aussenseite
der Nebenniere (Rinde) eine Teilung der zuführenden Arterien.
Innerhalb der Nebenniere selbst verlaufen nur Kapillaren, die sich
direkt in das Paraganglion suprarenale (Mark) begeben und dort
schliesslich in Venen übergehen. Die Vena suprarenalis leitet
dann als einzige Sammelvene das Blut aus dem Paraganglion
suprarenale ab. Die Gefässversorgung bei den genannten Vögeln
(simpel, Zeisig, Wasseramsel, Drossel, Kreuz-
schnabel, Fink) ist ebenfalls eine gemeinschaftliche.
Meiner nun folgenden Beschreibung lege ich die Serie durch das
Paraganglion caroticum eines alten Zeisigs von der
linken Halsseite zugrunde.
Der kraniale Epithelkörper lag in der Nähe der Uarotis
communis. Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie
entsprang direkt aus letzterer. Während ihres gegen den Epithel-
körper gerichteten Verlaufes teilte sich die Arterie wiederholt.
Die einzelnen kleineren Arterien waren, ehe sie noch den Epithel-
körper erreichten, von Gruppen farbloser chromaffiner Zellen teil-
weise oder ganz umhüllt. Das Paraganglion caroticum entstand
durch eine fortgesetzte Häufung der chromaffinen Zellen in der
Richtung gegen den Epithelkörper. Die chromaffinen Zellgruppen
standen überall in der bekannten Weise mit sympathischen Nerven
in direkter geweblicher Verknüpfung. Gleichzeitig zerfielen die
|
[0
—I
Die Paraganglien bei den Vögeln.
im Innern des Paraganglion caroticum befindlichen Arterien in
immer kleinere Teiläste und schliesslich in Kapillaren, die das
Paraganglion caroticum nach allen Richtungen durchzogen. Dieses
wurde später genau so wie bei der Wasseramsel ganz vom
Epithelkörper umschlossen. Die Kapillaren des letzteren
gingen direkt aus den Arterien des Paraganglion
caroticum hervor. Bei manchem Vogel (Gimpel, Kreuz-
schnabel, Wasseramsel) bildete die für das Paraganglion
caroticum bestimmte Arterie im Hilus des Epithelkörpers noch
vor Auftritt der ehromaffinen Zellballen ein Maschenwerk. Inner-
halb seiner Lücken lagen dann später die chromaffinen Zellen.
Ein Teil dieses arteriellen Flechtwerkes kam dabei anfänglich
ganz an die Innenseite des Epithelkörpers zu liegen.
Die Arterien zerfielen nun entweder an der Innenseite des
Epithelkörpers in Kapillaren und diese erst zogen in das Innere
des letzteren (Wasseramsel, Gimpel, ein zweiter Zeisig), oder
aber es drangen nebenbei kleinere Arterien direkt in den Epithel-
körper und zerfielen erst innerhalb dieses in Kapillaren (1 Gimpel,
1Kreuzschnabel). Letztere umspinnen innerhalb des Epithelkörpers
die einzelnen Zellstränge in Form länglicher Maschen. Im Gegen-
satze dazu bilden sie im Paraganglion caroticum ein ganz unregel-
mässiges Flechtwerk. In der ganzen Peripherie des Para-
ganglion caroticum hängen seine Kapillaren mit jenen
des Epithelkörpers zusammen.
Wie verhält es sich nun mit der Abfuhr des venösen Blutes.
Dieses verlässt den Epithelkörper teils durch verschiedene
Venen, die von seiner äusseren Oberfläche entspringen,
teils durch solche, die aus dem Hilus herausziehen. Diese
letzteren leiten zugleich auch das Blut aus dem Para-
ganglion caroticum ab. Sie bilden nämlich die Sammel-.
venen zahlreicher die ganze Peripherie des Paraganglion caroticum
umspinnender Venen. Diese liegen somit eigentlich an der
Grenze zwischen dem Paraganglion caroticum und dem Epithel-
körper. Sie sind zwischen beide Organe so eingeschaltet, dass
sie auf der einen Seite vom Paraganglion caroticum, auf der
anderen vom Fpithelkörper unmittelbar umgeben werden. Die
Venenwand bestand nur aus einem einfachen Endothel nnd wenigen
bindegewebigen, mit elastischen Fäserchen vermengten Fasern.
Man kann ebensogut sagen, dass diese Venen dem Paraganglion
28 Wilhelm Kose:
caroticum wie dem Epithelkörper angehören. Sie nehmen nun
aus beiden Organen die Kapillaren und auch kleinere Venen
in gleicher Weise auf. Sie vereinten sich dann zu zwei grösseren
Sammelvenen, die aus dem Hilus des Epithelkörpers heraustraten.
Möglicherweise wird man nach Ausführung von Injektionspräpa-
raten noch mehrere solcher Venen entdecken. Ich konnte nur
zwei grosse Venen am Hilusrande auffinden. Ich muss es un-
entschieden lassen, ob das Paraganglion caroticum ebenso wie der
Epithelkörper seine eigenen ableitenden Venen besitzt, oder ob
alle seine Venen sich mit jenen des Epithelkörpers zu den zwei
grossen Sammelvenen verbinden. Ich möchte es aber für wahr-
scheinlich halten, dass auch das Paraganglion caroticum zum
Teil sein eigenes venöses System hat.
Ein zusammenfassender Überblick über die Gefässverteilung
im Paraganglion caroticum und Epithelkörper ergibt für alle
Vögel, bei welchen diese Organe in der eben ge-
schilderten Art ineinander geschoben sind, im wesent-
lichen die gleichen Verhältnisse. Es besteht überall ein inniger
Zusammenhang zwischen dem arteriellen und venösen Gefäss-
system des Paraganglion caroticum und des Epithelkörpers.
Letzterer besitzt aber zum Teil ein deutliches, vom Paraganglion
caroticum vollständig getrenntes Venensystem.
Das wichtigste Vergleichsmoment. welches der Homologie
der Paraganglia carotica aller Vögel zugrunde liegt, bleibt ihre
organische Verbindung mit dem sympathischen Nerven-
system. Diese war auch bei allen hierher zu rechnenden
Vögeln (Gimpel, Zeisig, Fink, Wasseramsel, Drossel,
Kreuzschnabel) im Wesen die gleiche wie bei der Krähe, nur
kam dies nicht immer so deutlich wie bei der letzteren zum
Ausdrucke. Es umgab nämlich manchmal gehäuftes, mit elastischen
Fasern vermengtes fibrilläres Bindegewebe manche von den Zell-
gruppen des Paraganglion caroticum. Auf diese Weise wurden
ähnliche Struktureigentümlichkeiten in der gröberen Zusammen-
setzung des Paraganglion caroticum geschaffen, wie ich dies ge-
nauer beim Huhn beschrieben habe. Ich verweise daher hier
auf dieses Kapitel. Das Paraganglion caroticum eines alten
Kreuzschnabels besass einen ganz besonders grossen Reich-
tum an bindegewebigen und elastischen Fasern. Hier war das ge-
samte Paraganglion caroticum an seiner Oberfläche von ihnen
Die Paraganglien bei den Vögeln. 729
umhüllt. Die bindegewebigen und elastischen Fasern scheiden
aber dabei keineswegs den Epithelkörper von dem Paraganglion
caroticum. Sie verflechten sich vielmehr mit den Fasern des
Stützgerüstes des Epithelkörpers aufs innigste. Das Binde-
gewebe des Paraganglion caroticum -hängt mit
jenem des Epithelkörpersin derselben Weise zu-
sammen, wie das Stützgerüst des Paraganglion
suprarenale mit dem der Nebenniere.
Zum Schlusse möchte ich nochmals kurz zusammenfassend
auf die Ähnlichkeit hinweisen, die betreffs der Lage zwischen
dem Paraganglion caroticum der Vögel und dem
Paraganglion suprarenale der Säugetiere besteht.
Beide Paraganglien stehen mit Epithelkörpern, denn auch die
Nebenniere (Rinde) ist, wie Kohn zeigte, eine Drüse vom Bau
eines Epithelkörpers, in einem ähnlichen, innigen Zusammen-
hange. Beidem Paraganglion suprarenale der Säuge-
tiere ist er noch viel deutlicher als beim Paraganglion
caroticum der Vögel ausgeprägt. Das arterielle und venöse
'Gefässsystem des Paraganglion caroticum und des Epithelkörpers
der Vögel hängt in ähnlicher Weise zusammen, wie jenes des
Paraganglion suprarenale und der Nebenniere bei den Säuge-
tieren. Es bestehen aber zwischen den hierher zu zählenden
Vögeln und Säugern auch gewisse Differenzen. Während bei den
letzteren das arterielle Blut auf dem Umwege durch die Neben-
niere ins Paraganglion suprarenale gelangt, ist bei den Vögeln
der Weg zum Teil ein umgekehrter. Hier verteilen sich die
Arterien meist erst im Innern des Paraganglion caroticum, ehe
sie an den Epithelkörper herantreten, um an seiner inneren
Oberfläche (im Hilus) in Kapillaren zu zerfallen, oder aber un-
aufgelöst in den Epithelkörper einzudringen. Ein anderer Teil
der für den letzteren bestimmten Arterien entspringt bei manchen
Vögeln aus dem Gefässkranze, welcher die äussere, im Hilus des
Epithelkörpers befindliche Oberfläche des Paraganglion caroticum
überzieht. Diese Arterien müssen nicht erst das
Paraganglion caroticum vor ihrem Eintritt in
den Epithelkörper passieren. Dieser Umstand kann
aber nicht in dem Sinne einer Trennung zwischen dem Gefäss-
system beider miteinander verbundenen Organe gedeutet werden,
da alle an der Grenze zwischen dem Epithelkörper und dem
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 48
730 Wilhelm Kose:
Paraganglion caroticum verlaufenden Arterien in gleich inniger
Weise mit jenen beider Organe zusammenhängen. Sie stellen
nur einen Abschnitt des gemeinsamen, im Epithel-
körper und Paraganglion caroticum gelegenen
arteriellen Gefässnetzes dar. Betreffs der Verteilung
der Venen bestehen zwischen den Säugetieren und den Vögeln
gewisse Unterschiede. Die Vena suprarenalis sammelt bei
den ersteren sowohl das aus der Nebenniere als auch aus dem
Paraganglion suprarenale abstammende Blut. Bei den Vögeln
dagegen sind der Vena suprarenalis der Säuger bloss jene Venen
gleichzusetzen, die durch den Hilus hervorkommen. Diese ent-
stehen durch den Zusammenfluss der Venen und venösen Kapil-
laren sowohl des Epithelkörpers wie des Paraganglion caroticum.
Der erstere, vielleicht aber auch das letztere besitzen überdies noch
ihre eigenen Venen. Es besteht also keine Trennung zwischen dem
arteriellen und venösen (refässnetze des Paraganglion caroticum
und des Epithelkörpers. Ich glaube aber, dass gelungene In-
jektionspräparate einen noch viel weitergehenden Zusammenhang
aufdecken werden.
IV. Schlussbetrachtungen.
Nach all dem Gesagten ist demnach die Verbindung des
Paraganglion caroticum vieler Vögel mit dem Epithelkörper jener
des Paraganglion suprarenale mit der Nebenniere der Säugetiere
sehr ähnlich, wenn auch nicht vollständig analog. Die Verbindung
des chromaffinen Gewebes mit einem Epithelkörper in Gestalt
zweier räumlich schärfer begrenzter Zellmassen
zu einem einheitlichen Organ, findet sich in der
Wirbeltierreihe nicht, wie bisher angenommen werden musste,
zum erstenmal zwischen dem Paraganglion suprarenale und der
Nebenniere der Säuger, sondern schon in ähnlicher Weise bei
manchen Vögeln zwischen dem Paraganglion caroticum uud einem
Epithelkörper. Diese organische Verknüpfung des Paraganglion
caroticum mit dem Epithelkörper beschränkt sich aber nur auf
eine gewisse Anzahl von Vögeln. Bei den anderen besitzt das
Paraganglion caroticum eine verschieden weitgehende Unabhängig-
keit vom Epithelkörper. Ich erinnere hier nur an die Befunde
bei der Krähe und manchem Huhne. Hierher zu rechnen
wäre auch eine alte Eule, ein Käuzchen, eine Taube und
—1
SE)
en
Die Paraganglien bei den Vögeln.
das alte Würgerweibcehen. Unwillkürlich wird man beim
Studium der Serien durch das Paraganglion caroticum der Vögel an
das Anfangs- und Endstadium in der phylogenetischen
Entwicklung des Paraganglion suprarenale bei den
Wirbeltiere n erinnert. Wir wissen durch zahlreiche Unter-
suchungen, dass sich das Paraganglion suprarenale in den einzelnen
Wirbeltierklassen entweder gar nicht (Fische) oder doch nur
in sehr verschiedener Art mit der Nebenniere (Rinde) verbindet.
Ich kann hier unmöglich auf die einschlägige Literatur eingehen,
erstens weil dies nicht in den Bereich meiner Arbeit gehört,
und zweitens weil Kohn in seinen diesbezüglichen Publikationen
eine erschöpfende historische Zusammenstellung der betreffenden
Arbeiten gegeben hat. Ich verweise daher auf seine verschiedenen
Untersuchungen.
Auf Seite 4 und 5 seiner Arbeit „Über die Neben-
niere“ (4) fasst Kohn in kurzen Sätzen und in übersichtlicher
Weise die bekannten Tatsachen über die wechselseitige Ver-
bindung des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere bei
den Wirbeltieren zusammen. Ich will die betreffenden Stellen
hier wörtlich anführen. Seite 4: „Ausser bei den Säugethieren
ist eine eigentliche Markschichte in der Nebenniere der Wirbel-
thiere nicht mehr anzutreffen. Man spricht allerdings auch bei
diesen häufig von Rinden- und Markzellen. Damit kann
aber nicht mehr ausgedrückt werden, als dass auch in ihrer
Nebenniere jene zwei differenten Zellarten sich finden,
die bei den Säugern — und nur bei diesen — zwei getrennte
Schichten, Rinde und Mark, aufbauen. Schon für die Nebenniere
der Vögel ist eine Unterscheidung in eine periphere Rinden-
und eine centrale Marksubstanz nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Die epitheliale Nebenniere wird hier von Strängen eines anders-
artigen (Gewebes, das der Marksubstanz der Säugethiere analog
ist, durchsetzt. Bei den Reptilien tritt der epitheliale
Charakter des Organs noch deutlicher in den Vordergrund,
wiewohl demselben immer noch ansehnliche Mengen von „Mark-
zellen“ eingelagert sind. Kein Zweifel kann mehr obwalten, dass
die Nebenniere der Amphibien einen Epithelkörper dar-
stellt, in dem, einzeln oder in kleinen Gruppen, einige anders-
artige Zellen, sagen wir vorläufig noch immer „Markzellen“, an-
‚getroffen werden. Die Nebenniere der Fische endlich ist rein
48*
132 Wilhelm Kose:
epithelial, aus verzweigten, durch dünnwandige Blutgefässe ge-
trennten Zellbalken zusammengesetzt, ohne dass noch eine zweite,
den „Markzellen“ der Säuger analoge Zellart an ihrem Aufbau
mitbeteiligt wäre.
Es besteht also der Satz zu Recht, dass die Nebenniere
aller Wirbelthiere als ein epitheliales Organ, als
ein Epithelkörper aufzufassen ist. Dieses Organ enthält, von den
Amphibien angefangen zu den Säugern aufsteigend, in zunehmender
Menge andersartige, eigenthümliche Einlagerungen.“
„Bei den Säugethieren ist diese secundäre Einlagerung so
bedeutend, dass sie als eine besondere Schicht des Organs, als
„Marksubstanz“, beschrieben werden konnte.“
Während also innerhalb der einzelnen Wirbeltier-
klassen eine strenge Gesetzmässigkeit in der Verbindung des
Paraganglion suprarenale (Mark) mit der Nebenniere (Rinde) be-
steht, herrschen bei den Vögeln in bezug auf die Vereinigung
des Paraganglion caroticum mit dem Epithelkörper und zwar
nicht bloss bei den verschiedenen Arten, sondern auch bei den
einzelnen Vögeln derselben Spezies, ja endlich sogar öfters bei
demselben Vogel gewisse Differenzen. Das Paraganglion caroticum
war bei den Krähen vom Epithelkörper stets räumlich getrennt;
beim Huhn war dies auch der Fall, oder aber es verband sich
das Paraganglion caroticum durch einen deutlichen Fortsatz seiner
mächtigen bindegewebigen Kapsel mit dem Epithelkörper; das
chromaffine Gewebe des Paraganglion caroticum
blieb aber dabei ausserhalb des Epithelkörpers
liegen. Beim Gimpel, Zeisig, Fink, Wasseramsel,
Drossel und Kreuzschnabel macht die gegenseitige Ver-
bindung des Paraganglion caroticum und des Epithelkörpers noch
einen Schritt vorwärts, indem das erstere sich ganz oder teil-
weise im Innern des Epithelkörpers verbirgt und mit
diesem organisch verbindet.
Es kann nun öfters vorkommen, dass bei demselben Vogel
(Gimpel, Zeisig, Fink) auf einer Halsseite sowohl im
kranialen als auch kaudalen Epithelkörper je ein
Paraganglion caroticum liegt. Das kaudale Para-
ganglion caroticum besitzt manchmal (Wasseramsel, Drossel)
eine gewisse Unabhängigkeit vom Epithelkörper und liegt ihm
Die Paraganglien bei den Vögeln. 133
dann in ähnlicher Weise wie bei den Krähen, der Taube etc.
nur von aussen an.
Die beim Gimpel, Zeisig und Finken innerhalb des
kranialen und kaudalen Epithelkörpers gelegenen zwei Para-
ganglien sind in gleicher Weise aus den farblosen chrom-
affinen Zellen zusammengesetzt und unterscheiden sich gewöhnlich
nur durch ihre Grösse. Beim kaudalen Paraganglion fällt manch-
mal eine gewisse Armut an chromaffinen Zellen auf. Diese liegen
dann nur vereinzelt im Bindegewebe uud den Nerven. Das Para-
ganglion besteht in diesen Fällen der Hauptsache nach nur aus
sympathischen Nerven, zahlreichen Gefässen und einem reich ent-
wickelten bindegewebigen, mit elastischen Fasern vermengten Stütz-
gerüst. Anfänglich beirren einen diese Bilder, später aber lernt
man im Vergleiche mit den Befunden bei anderen Vögeln ihre
richtige Deutung. Wenn auch das kaudale Paraganglion caro-
ticum viel weiter vom Stamme der Carotis com. als das kraniale
Paraganglion liegt, so gelang es mir doch zweimal (Gimpel,
Zeisig), nachzuweisen, dass die für das kaudale Paraganglion
caroticum bestimmte Arterie entweder direkt aus der Carotis
com. entsprang (Gimpel), oder aber einen Seitenzweig der zum
kranialen Paraganglion caroticum hinziehenden Arterie bildete
(Zeisig).
Der Aufbau, die Lage im Epithelkörper und die Herkunft
seiner zuführenden Arterien sind sowohl beim kranialen wie
beim kaudalen Paraganglion caroticum die gleichen. Ich glaube
daher das Recht zu haben, beide Paraganglien als analog aufzu-
fassen und als Paraganglia carotica zu bezeichnen. Einen
weiteren Beweis für meine Auffassung lieferten die Präparate
von der linken Halsseite eines alten Zeisigs. Der kaudale
und kraniale Epithelkörper lagen hier zum Teil unmittelbar neben-
einander. Der kraniale Pol des kaudalen Epithelkörpers reichte
ca. bis zur Mitte des kranialen Epithelkörpers. An diesem Punkt
ragte das Paraganglion caroticum aus dem letzteren heraus. Die
ausserhalb des Epithelkörpers gelegene Partie des Paraganglion
caroticum bildete einen lappenförmigen Körper. Dieser senkte
sich zum Teil in einen seichten, im kranialen Pole des kau-
dalen Epithelkörpers befindlichen Hilus ein. Es bildeten also
hier die beiden mit dem kranialen und kaudalen Epithelkörper
verbundenen, ungleich grossen Paraganglien nur verschiedene
wo
=
Wilhelm Kose:
Abschnitte eines einzigen grossen Paraganglion
caroticum. Die für das kaudale Paraganglion bestimmte
kleinere Arterie bildete einen Seitenast der für daskraniale Para-
ganglion bestimmten Hauptarterie. Diese selbst entsprang direkt
aus der Carotis communis. Denkt man sich diese beiden Epithel-
körper im Verlaufe der individuellen Entwicklung etwas weiter
voneinander abgerückt, so würden dadurch Verhältnisse geschaffen,
wie wir sie bei den anderen Gimpeln und Zeisigen gefunden
haben.
Das Paraganglion caroticum besteht beim Vogel durchaus
nicht immer aus einem einzigen nach aussen scharf begrenzten
Körper. Es finden sich vielmehr öfters kleinere oder grössere
Ansammlungen farbloser chromaffiner Zellen, die dem eigentlichen
Paraganglion caroticum von aussen bloss anliegen oder durch
spärliche bindegewebige oder Nervenfasern mit ihm verknüpft
sind. In der Zusammensetzung des Paraganglion caroticum der
einzelnen Vögel können ähnliche, wenn auch nicht so weitgehende
Verschiedenheiten bestehen, wie Kohn sie für die Säugetiere
genauer beschreibt. Kohn (7) unterscheidet „nach der gröberen
Anordnung“ — „vier verschiedene Typen“. (Seite 94 und 95.)
„Der erste ist dadurch charakterisirt, dass das Organ als
ein compactes, gegen die Umgebung glatt abgegrenztes Ge-
bilde auftritt. Das Zwischengewebe durchdringt es in so feiner
Vertheilung, dass der zellige Charakter überwiegend zum
Ausdrucke kommt, wodurch es einen mehr gleichartigen, paren-
chymatösen Habitus gewinnt. Die Carotisdrüse der Katze bietet
ein gutes Beispiel für das geschilderte Verhalten, für den com-
pacten Typus des Organes.
In anderen Fällen gewinnt es ein ganz anderes Aussehen
dadurch, dass das Zwischengewebe in viel grösserer Menge auf-
tritt. Nach der Verschiedenheit seiner Anordnung resultiren
zwei neue Typen. In dem einen Falle hat das Organ eine
nierenförmige Gestalt. Am Hilus findet sich eine bedeutendere
Anhäufung von Bindegewebe mit grösseren Gefässen und einzelnen
Nervenbündeln. Von hier aus treten radienförmig stärkere
Septa ins Innere, welche das Organ nach Art einer Drüse in
Läppchen teilen, ohne für gewöhnlich ganz bis an die convexe
Peripherie durchzugreifen. Die Läppchen selbst werden durch
feinere Septa in kleinere Häufchen zerteilt.
—
6)
Dt
Die Paraganglien bei den Vögeln.
Die Läppchenbildung finde ich besonders schön an der
Carotisdrüse des Affen (Macacus rhesus) ausgeprägt.
Das Zwischengewebe kann aber auch so mächtig ausgebildet
sein, dass das eigentliche specifische Gewebe der Carotisdrüse
nur in Form einzelner, durch ansehnliche Mengen interstitiellen
Gewebes völlig von einander getrennter Inselchen, einzelner
Körner auftritt. Da diese um ihre Gefässe gruppirt sind, von
denen mehrere nacheinander von einer grösseren zuführenden
Arterie abgehen, so gewinnt die Anordnung Ähnlichkeit mit einer
Traubenbildung, wie sie beim Fettgewebe vorkommt. Von diesem
Körnertypus kann man an der Carotisdrüse des Menschen
eine gute Anschauung gewinnen.
Noch weiter geht die Zerfällung bei einigen von mir unter-
suchten Nagethieren. Wenn man z. B. die Carotisdrüse des er-
wachsenen Kaninchens untersucht, so könnte man daran zweifeln,
dass man es wirklich mit einem einheitlichen Organe, einem zu-
sammengehörigen Ganzen, zu thun hat. Die typischen Zellen sind
in kleinen, kugeligen Gruppen oder häufiger in schmalen, kurzen
Strängen ziemlich unabhängig von einander im Zwischengewebe
eingelagert. An einer Stelle dichter gehäuft, ragen die einzelnen
Häufchen von diesem Centrum aus verschieden weit in das Nachbar-
gewebe vor, ohne durch eine einheitliche Begrenzung zu einem
besonderen abgeschlossenen Gebilde zusammengefasst zu werden.
Diese diffuse Anordnung ist für die Carotisdrüse des
Kaninchens recht charakteristisch.“
„Allen diesen verschiedenen Typen gemeinsam ist nur die
Anordnung in der letzten Einheit, in kleinen Häufchen, Gruppen
oder Nestern. Diese selbst aber können in verschiedener Weise
zum Gesamtkörper vereinigt sein.“
Wiewohl das Paraganglion caroticum bei den einzelnen
Vögeln ebenfalls infolge der wechselnden Anordnung des Stütz-
gerüstes und auch des zelligen Parenchyms ein verschiedenes
Aussehen besitzen kann, so war es mir dennoch unmöglich,
den einzelnen Arten eigentümliche Bautypen auf-
zustellen. Die Art der Zusammensetzung des Paraganglion
caroticum unterliegt hauptsächlich individuellen Schwankungen.
Einige Beispiele, die ich hier zum Schlusse anführen möchte und
die zum Teil schon Bekanntes wiederholen, sollen dies näher
begründen. Bei einer alten Henne bestand die eine Hälfte des
736 Wilhelm Kose:
innerhalb einer dicken bindegewebigen Kapsel gelegenen Para-
ganglion caroticum aus einzelnen durch breitere Brücken fibrillären
Bindegewebes geschiedenen meist rundlichen Gruppen. Die zweite
Hälfte des Paraganglion caroticum bildete eine mehr kompakte
Zellmasse, die durch feinere Züge fibrillären Bindegewebes teil-
weise in Untergruppen zerfällt wurde. Wir sehen hier gewisser-
massen den kompakten und Körnertypus (Kohn) in einem
einzigen Paraganglion caroticum vereint. Bei einer anderen
Henne waren es wieder die elastischen Fasern, die in Form von
mächtigen Balken das Paraganglion caroticum ganz unregelmässig
zerfällten; das Bindegewebe war durch sie fast vollständig ver-
drängt. Bei dem Hahne und einer Henne bildete das ganze
Paraganglion caroticum einen mehr einheitlichen Körper. Bei
diesen zwei Vögeln kam der „mehr gleichartige paren-
chymatöse Habitus (Kohn)“ deutlich zum Ausdrucke.
Das innerhalb des Epithelkörpers gelegene Paraganglion
caroticum (Gimpel, Zeisig) besass ebenfalls keine auffällige
Zerklüftung durch stärkere Bindegewebszüge, sein „zelliger
Charakter (Kohn)“ unterschied es z. B. von dem Paraganglion
caroticum eines alten Kreuzschnabels, bei welchem das
bindegewebige und elastische Stützgerüst in einer solchen
Mächtigkeit entwickelt war, dass die chromaffinen Zellen nur ganz
vereinzelt, oder selten zu kleinen Gruppen vereint, ganz diffus
im Zwischengewebe verstreut waren. Bei der Wasseramsel
dagegen besass das Paraganglion caroticum eine deutliche und
schöne Zusammensetzung aus einzelnen Zellballen, die in derselben
Weise wie bei der Krähe durch sympathische Nerven zu einem
grossen Körper vereint waren. Diese Anordnung würde am
ehesten dem Körnertypus (Kohn) entsprechen.
Das innerhalb des kaudalen Epithelkörpers gelegene
Paraganglion besass nur der Gimpel und Zeisig. Bei der
Wasseramselund Drossel, deren kranialer Epithelkörper
ein schön entwickeltes Paraganglion caroticum umschloss, lag bloss
in der nächsten Nähe des kaudalen Epithelkörpers eine
grössere (Drossel) oder kleinere (Wasseramsel) Anhäufung
farbloser chromaffiner Zellen, welche denselben Aufbau wie das
eigentliche Paraganglion caroticum besass. Fig. 13a, Taf. XXV,
gibt das in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers befindliche
Paraganglion wieder. In Fig. 13b, Taf. XXV, ist ein Zellballen
Die Paraganglien bei den Vögeln. TE
aus dem kranialen Paraganglion caroticum gezeichnet worden.
Ein Vergleich beider Figuren miteinander und mit den Fig. 8,
Taf. XXV und Fig. 3—5, Taf. XXIV, ergibt ohne weiteres die
völlige Gleichheit aller dieser Zellen. Es ist nun die Entscheidung
durchaus nicht so leicht, ob man diese ausserhalb des kaudalen
Epithelkörpers gelegenen Paraganglien dem kaudalen Para-
ganglion caroticum des Gimpels und Zeisigs gleichzusetzen
und daher als ein Paraganglion caroticum zu bezeichnen
hat. An und für sich wäre ja die vollständige Loslösung vom
Epithelkörper kein Grund dies nicht zu tun, denn es besitzen
viele Vögel (Krähe, Huhn etc.) ein vom Epithelkörper ge-
trenntes Paraganglion caroticum. Schwerer fällt nur hier der
Umstand in die Wagschale, dass solche für sich liegenden Para-
ganglien noch an anderen Stellen des Halses und an den Vorhöfen
bei allen Vögeln sich finden. Es geht doch nicht gut an, alle
als Paraganglia carotica zu bezeichnen. Die auffallende Nahe-
lagerung des kaudalen Paraganglion an den entsprechenden
Epithelkörper bestimmt mich hier am meisten, es als ein zweites
Paraganglion caroticum aufzufassen und es dem kaudalen
Paraganglion caroticum des Gimpels und Zeisigs an die
Seite zu stellen. Bei der Wasseramsel war noch insofern ein
gewisser geweblicher Zusammenhang zwischen dem aussen
liegenden Paraganglion und dem kaudalen Epithelkörper zu
bemerken, als von den zahlreichen sympathischen Nerven, die das
Paraganglion einhüllten, feine Ästchen direkt in den Hilus des
Epithelkörpers einbogen. Dieser selbst enthielt ausserdem nur
Bindegewebe und die Hauptarterie, aber keine farblosen chrom-
affınen Zellen. Ich gebe nun gerne zu, dass meine Auffassung hier
ganz subjektiv ist; man muss erst noch weitere histologische und
embryologische Untersuchungen abwarten, ehe man mit Sicher-
heit erkennen wird, ob bei vielen jener Vögel, die ein im kranialen
Epithelkörper gelegenes Paraganglion caroticum besitzen, ein
wenn auch kleineres Paraganglion (caroticum) in gesetzmässiger
Weise bloss in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers liegt.
Die Befunde am Halse der Vögel liefern hiermit eine weitere
Stütze für die unleugbare Affinität zwischen dem chromaffinen
und epithelialen Gewebe, wie sie in der Phylogenie des
Paraganglion suprarenale und der Nebenniere bei
den Wirbeltieren klar hervortritt. Die Vögel ver-
138 Wilhelm Kose:
einen in der verschiedenen Art und Weise der Verbindung des
Paraganglion caroticum mit dem Epithelkörper gewisser-
massen die Verhältnisse, wie wir sie bezüglich des Paraganglion
suprarenale und der Nebenniere bei Fischen und Säugetieren,
also bei den Anfangs- und Endgliedern der Wirbeltierreihe, ge-
trennt vorfinden.
Die farblosen chromaffinen Zellen bilden, wie ich dies
bei Beschreibung des Paraganglion caroticum der Krähe näher
begründet habe, nur eine Unterart der chromaffinen Zellen
und finden sich im ganzen sympathischen Nervensystem verbreitet.
Alle von ihnen gebildeten Paraganglien sind daher einander gleich-
wertig. Einzelne erhalten nur durch ihre topische oder geweb-
liche Beziehung zu verschiedenen Nachbarorganen (Epithelkörper,
Herz) eine gewisse Sonderstellung.
V. Tabellarische Zusammenstellung.
Zum Behufe einer vergleichenden Übersicht über die bei
den einzelnen Vögeln erhobenen Befunde, lasse ich hier ganz
zum Schlusse dieses Abschnittes die wichtigsten Ergebnisse in
kurzen Sätzen folgen. Da die Krähen und Hühner bereits
an anderer Stelle genau besprochen wurden, so enthält diese
Zusammenstellung nur die anderen von mir untersuchten Vögel.
Einjähriger Zeisig A. 3 (Fringillus spinus L.). Rechte
Halsseite. Fixation in Müllerscher Flüssigkeit 9 : Formol 1
durch 4 Tage.
1. Drei Epithelkörper. Nur im kranialen ein Paraganglion
caroticum. Seine Diameter betrugen: 0,12—0,2—0,2 mm.
2. Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie
entsprang für sich direkt aus der Carotis communis.
3. Das grosse sympathische Halsganglion lag in der Nähe
des am meisten kaudalwärts gerichteten Epithelkörpers.
Keine Paraganglien in ihm.
Linke Halsseite. Dieselbe Fixation.
1. Zwei Epithelkörper, in beiden je ein Paraganglion caroti-
cum. Ihre Diameter betrugen:
a) Kraniales Paraganglion carot. 0,2—0,16—0,18 mm.
b) Kaudales Paraganglion carot. 0,04—0,04—0,07 mm.
Dieses bestand nur aus einem einzigen kugelrunden
Zellballen.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 139
2. Die Arterie entsprang direkt aus der Carotis communis.
3. Das sympathische Ganglion lag in der Nähe des kaudalen
Epithelkörpers, enthielt aber keine Paraganglien.
Einjähriger Zeisig B. 3 (Fringillus spinus L.). Rechte
Halsseite. Fixation in Müller 9 : Formol 1. — 9 Tage.
1. Zwei Epithelkörper, in beiden je ein Paraganglion
caroticum.
a) Kraniales Paraganglion carot. 0,14—0,16—0,183 mm.
b) Kaudales Paraganglion carot. 0,1—0,1—0,12 mm.
2. Die für das kraniale Paraganglion caroticum bestimmte
Arterie bildete einen Teilast einer grösseren aus der
Carotis communis abstammenden Arterie. Diese war für
die Thyreoidea bestimmt.
Linke Halsseite. Fixation in konzentrierter Sublimat-
Kochsalzlösung — 24 Stunden.
1. Zwei Epithelkörper, beide lagen dicht nebeneinander.
In beiden Epithelkörpern je ein Paraganglion caroticum.
Beide bilden nur verschiedene Abschnitte eines einzigen
grossen Paraganglion caroticum.
Kraniales Paraganglion: 0,25 — 0,24—0.2 mm.
Kaudales Paraganglion: 0,07 —0,1—0,22 mm.
2. Die für das kraniale Paraganglion caroticum bestimmte
Arterie ging direkt von der Carotis communis ab, jene
für das kaudale Paraganglion bestimmte dagegen bildete
einen kleineren Seitenast der Hauptarterie des kranialen
Paraganglion.
3. Das grosse sympathische Ganglion lag in der Nähe des
kaudalen Epithelkörpers, keine Paraganglien in ihm.
Einjähriger Gimpel A.? (Pyrrhula europaea). Rechte
Halsseite. Fixation in konzentriertem Sublimat-Kochsalz —
7 Stunden.
1. Drei Epithelkörper. Im mittleren und kranialen je ein
Paraganglion caroticum.
Kraniales Paraganglion: 0,14—0,12—V,1 mm.
Kaudales Paraganglion: 0,12—0,16— 0,25 mm.
Der mittlere Epithelkörper lag der Thyreoidea un-
mittelbar an. Der am meisten kranialwärts reichende
und der kaudale Epithelkörper waren weit voneinander
740 Wilhelm Kose:
entfernt, doch lagen sie zur Hälfte ihrer Länge in gleicher
Höhe am Halse.
2. Die für beide Paraganglia carotica bestimmten Arterien
entsprangen an verschiedenen Stellen direkt aus der
Carotis communis.
3. Das grosse sympathische Ganglion lag unmittelbar neben
dem kranialen Epithelkörper, aus ihm zogen zahlreiche
Nerven ins kraniale Paraganglion caroticum. Das Ganglion
und der kraniale Epithelkörper wurden durch den Stamm
der Vena jugularis von der Carotis communis geschieden.
Im Ganglion keine Paraganglien.
Linke Halsseite. Fixation Zenkersche Flüssigkeit
100 : Eisessig 5 — 3 Tage.
1. Zwei Epithelkörper, in beiden je ein Paraganglion caro-
tieum.
Kraniales Paraganglion: 0.12—0,16—0,18 mm.
Kaudales Paraganglion: 0,12—0,16—0,1 mm.
2. Von der Carotis communis ging eine grössere Arterie
ab, die wohl bis zum kranialen Paraganglion caroticum
aber nicht in dieses hineingelangte. Sie zog vielmehr
an seiner Peripherie weiter, um schliesslich mit einem
Zweige im postbranchialen Körper, mit dem anderen in
der Thyreoidea zu endigen. Während ihres tangentialen
Verlaufes längs des Paraganglion caroticum gingen von
der grossen Arterie zwei kleinere Seitenzweige ab, welche
in das Innere des Paraganglion caroticum zogen. Die
für das kaudale Paraganglion caroticum bestimmte Arterie
konnte nicht bis zu ihrem Ursprunge verfolgt werden.
3. Das sympathische Ganglion lag in der Nähe des kaudalen
Epithelkörpers und enthielt keine Paraganglien.
Altes Gimpelweibehen 2 B. (Pyrıhula europaea).
Rechte Halsseite. Fixation in konzentrierter Sublimat-
Kochsalzlösung — 24 Stunden.
1. Zwei Epithelkörper, in beiden je ein Paraganglion caro-
ticum.
Kraniales Paraganglion: 0,12—0,2—0,2 mm.
Kaudales Paraganglion: 0,18— 0,2—0,2 mm.
2. Eine ungeteilte grössere Arterie ging von der Carotis
communis ab. Erstere spaltete sich später in die für das
Bus
Die Paraganglien bei den Vögeln. 741
kraniale Paraganglion caroticum und die für die Thyreoidea
bestimmte Arterie. Die zum kaudalen Paraganglion caro-
ticum hinziehende Arterie entsprang für sich direkt aus
der Carotis communis.
3. Das grosse sympathische Ganglion lag in der Nähe des
kaudalen Epithelkörpers. Zahlreiche Nerven zogen aus
ihm in beide Paraganglia carotica. Das Ganglion enthielt
keine Paraganglien.
Linke Halsseite. Fixation in 3°/o Kaliumbichromat
100 +8 ccm Eisessig — 4 Tage.
1. Ein einziger grosser, aus zwei kleineren miteinander
verschmolzenen Epithelkörpern zusammengesetzter Epi-
thelkörper. An zwei Stellen des grossen Epithelkörpers
je ein Paraganglion caroticum.
Kraniales Paraganglion: 0,12 - 0,15— 0,21 mm.
Kaudales Paraganglion: 0,16—0,16—0,12 mm.
2. Die für das kraniale Paraganglion caroticum bestimmte
Arterie entsprang direkt aus der Carotis communis. Ein
Stück weit von ihr ging aus der Carotis die für die
Thyreoidea bestimmte Arterie ab. Die Arterie des kaudalen
Paraganglion caroticum bildete einen Seitenzweig der
Arterie des kranialen Paraganglion.
3. Das grosse sympathische Ganglion lag nur in der Nähe
des kaudalen Paraganglion caroticum. Es enthielt keine
Paraganglien.
Alter Kreuzschnabel ? A. (Loxia eurvirostra). Rechte
Halsseite. Fixation in 3° Kaliumbichromat — 5 Tage.
1. Drei Epithelkörper. Nur im kranialen ein Paraganglion
caroticum. Wegen der starken Schrumpfung der Gewebe
gebe ich hier keine Maße an.
2. Die Arterie des Paraganglion caroticum ging direkt aus
der Carotis communis ab.
3. Das sympathische Ganglion lag etwas weiter kranialwärts
als der kaudale Epithelkörper, mehr in der Nähe des
kranialen Epithelkörpers; es enthielt keine farblosen
chromaffinen Zellen.
742 Wilhelm Kose:
Linke Halsseite. Dieselbe Fixation.
1. Zwei Epithelkörper. Nur im kranialen ein Paraganglion
caroticum. Der kraniale Epithelkörper überragt die
Thyreoidea kopfwärts noch um ein gutes Stück.
2. Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie
entsprang direkt aus der Carotis communis.
3. Das grosse sympathische Ganglion lag in der Nähe des
kaudalen Epithelkörpers: es enthielt keine Paraganglien.
Alter Kreuzschnabel < B. (Loxia eurvirostra). Linke
Halsseite. Fixation in 3%‘ Kaliumbichromat 100 : Eisessig 5 —
mehrere Tage.
1. Nur ein Epithelkörper an der Thyreoidea. In ersterem
ein Paraganglion caroticum. Seine Diameter: 0,22 bis
0,26—0,26 mm.
2. Die Arterie des Paraganglion caroticum bildete einen
schwächeren Seitenast einer grösseren zur Thyreoidea
gehörigen Arterie. Letztere entsprang direkt aus der
Carotis communis.
. Das grosse sympathische Ganglion befand sich in der
Nähe des Epithelkörpers und enthielt keine chromaffinen
sv)
Zellen.
Alter Kreuzschnabel 3 C. (Loxia eurvirostra). Linke
Halsseite. Fixation in Müller 9: Formol 1 — einige Tage.
/wei Epithelkörper. Nur in einem ein Paraganglion
caroticum. Dieses besass einen ausgesprochen balligen
Aufbau und einen kolossalen Reichtum an elastischen
Fasern. Weil die einzelnen Schnitte nach verschiedenen
Methoden behandelt wurden und mancher dabei verloren
ging, so gebe ich hier keine weiteren Details an.
Einjährige Steineule d (Athene noctua). Rechte
Halsseite. Fixation in Zenker 30: Eisessig 4 — 5 Tage.
1. Zwei Epithelkörper. Das Paraganglion caroticum lag
bloss in der Nähe des kranialen Epithelkörpers. Dieser
besass einen nur schwach angedeuteten Hilus. In diesen
setzten sich spärliche Bindegewebsfasern der Kapsel des
Paraganglion caroticum fort. Die Diameter des letzteren
betrugen 0,52—0,42—0,28 mm.
2. Die Arterie fürs Paraganglion caroticum entsprang direkt
aus der Carotis communis.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 743
3. Das grosse sympathische Ganglion befand sich bloss in
der Nähe des kaudalen Epithelkörpers und reichte nicht
bis zum kranialen hinauf. Es enthielt keine chrom-
affınen Zellen.
Linke Halsseite. Fixation in Müller 9: Formol 1 —
6 Tage.
1. Zwei Epithelkörper. Bloss ein Paraganglion caroticum.
Dieses lag nur in der Nähe des kranialen Epithelkörpers.
Paraganglion caroticum: 0,25—0,31—0,4 mm.
2. Die Arterie des Paraganglion cearoticum entsprang direkt
aus der Carotis communis.
3. Das grosse sympathische Ganglion reichte vom kaudalen
bis zum kranialen Epithelkörper und enthielt keine
Paraganglien.
3 Wochen alte Taube ? (Columba ]. domestica).
Linke Halsseite. Fixation: 3°/o Kaliumbichromat 9:Formoll —
5 Tage.
1. Zwei Epithelkörper. Das Paraganglion caroticum lag
nur an der Aussenseite des kranialen Epithelkörpers.
Es legte sich der Wand der Carotis communis in breiter
Ausdehnung an. Seine Diameter betrugen: 0,52—0,52
bis 0,75 mm.
2. Die Hauptarterie des Paraganglion caroticum entsprang
direkt aus der Carotis communis.
3. Das grosse sympathische Ganglion lag bloss in der Nähe
des kaudalen Epithelkörpers. Es reichte nicht bis in
die Höhe des kranialen und enthielt auch keine chrom-
affınen Zellen.
3 Wochen alte Wasseramsel (Cinclus aquaticus
Brehm). Linke Halsseite. Fixationin Müller 9:Formol 1 —
6 Tage.
1. Zwei Epithelkörper. Im kranialen ein grosses Paraganglion
caroticum. In der unmittelbaren Nähe des kaudalen ein
kleiner kugeliger Ballen farbloser chromaffiner Zellen.
Kraniales Paraganglion: 0,2—0,3— 0,32 mm.
Kaudales Paraganglion: 0,06—0,08— 0,1 mm.
2. Die Arterie des kranialen Paraganglion caroticum ging
direkt von der Carotis communis ab.
17144 Wilhelm Kose:
3. Das grosse sympathische Ganglion reichte vom kaudalen
Epithelkörper angefangen noch weiter kranialwärts als
der kraniale Epithelkörper selbst. Es enthielt keine
chromaffinen Zellen.
Altes Finkenmännchen 4 (Fringilla coelebs). Rechte
Halsseite. Fixation in Müller 9:Formol 1 — 7 Tage.
1. Drei Epithelkörper. Der kaudale ist durch die Vena
jugularis und die Carotis communis vom kranialen Epithel-
körper getrennt, doch reicht der erstere bis zur Hälfte
des kranialen Epithelkörpers kopfwärts hinauf. In der
Nähe des kaudalen Epithelkörpers lag noch ein kleiner
dritter Epithelkörper. Sowohl im kaudalen als im
kranialen Epithelkörper fand sich je ein Paraganglion
caroticum.
Kraniales Paraganglion: 0,12—0,2—0,17 mm. Seine
Arterie kam direkt aus der Carotis communis.
Das kaudale Paraganglion besass im Gegensatze zu
allen anderen Paraganglia carotica der übrigen Vögel
und auch zu dem kranialen Paraganglion caroticum
desselben Finken einen ganz besonderen Habitus. Es
bestand nämlich aus mehreren nur ganz lose aneinander
gereihten Zellgruppen, die in Gestalt von Ballen oder
aber strangähnlichen Bildungen ganz unregelmässig
zwischen den Zellsträngen des Epithelkörpers gelagert
waren. In diesem einzigen Falle bildete das Para-
ganglion caroticum keinen für sich mehr minder
scharf begrenzten Körper. Sein Gewebe war in
ähnlicher Weise wie beim Paraganglion suprarenale nach
allen Richtungen in den Epithelkörper vorgeschoben.
2. Das grosse sympathische Ganglion enthielt keine chrom-
affıinen Zellen.
Blinde Nestdrossel (Turdus musicus). Rechte Hals-
seite. Fixation in Zenker 100: Eisessig 5 — 7 Tage.
1. Zwei Epithelkörper. Im kranialen das Paraganglion caro-
ticum. Seine Diameter betrugen: 0,29 0,2—0,2 mm.
Vor dem kaudalen Epithelkörper, mit diesem aber in
keinem geweblichen Zusammenhange, lag ein kleines mit
sympathischen Nerven verbundenes Paraganglion.
2.
=.
Ö.
[|
Die Paraganglien bei den Vögeln. 14
Die für das kraniale Paraganglion caroticum bestimmte
Arterie konnte nicht mit Sicherheit bis zur Carotis
communis verfolgt werden.
Das grosse sympathische Ganglion reichte vom kaudalen
bis über den kranialen Epithelkörper kopfwärts hinauf,
es enthielt keine chromaffinen Zellen.
Linke Halsseite. Fixation in Müller 9: Formol 1 —
7 Tage.
1%
2.
3.
Zwei Epithelkörper. Im kranialen das Paraganglion
caroticum. Deutliche Zusammensetzung aus einzelnen
Zellballen. Die Diameter des Paraganglion caroticum
betrugen: 0,25—0,24—0,2 mm.
‘In der Nähe des kaudalen Epithelkörpers, im Zu-
sammenhange mit sympathischen Nerven ein kaudales
Paraganglion caroticum; seine Diameter: 0,08—0,12
—0,02 mm.
Die Arterie des kranialen Paraganglion caroticum kam
direkt aus der Carotis communis. -
Das sympathische Ganglion lag nur in der Nähe des
kaudalen Epithelkörpers und enthielt keine chromaffinen
Zellen.
Altes Würgerweibchen 2 (Lanius collurio). Rechte
Ha sseite. Fixation: Sublimat-Kochsalzlösung — 24 Stunden,
1%
3
Zwei Epithelkörper. Das Paraganglion caroticum lag
diesmal in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers, war
aber mit diesem nicht geweblich verbunden. Seine
Diameter: 0,18—0,16--0,2 mm.
. Die Gefässversorgung war nicht mit Sicherheit festzu-
stellen.
Das sympathische Ganglion lag in der Nähe deskranialen
Epithelkörpers und enthielt keine chromaffinen Zellen ,
Linke Halsseite. Fixation in Müller 9:Formol 1 —
6 Tage.
1%
Zwei Epithelkörper. Beide in ziemlich gleicher Höhe
am Halse. Verbunden werden sie durch den zwischen
sie eingeschobenen postbranchialen Körper. Dieser
trat hier ausnahmsweise nicht in Form mehr lose
aneinander gereihter Gruppen auf, sondern bildete einen
mehr kompakten schärfer umgrenzten Zellkomplex. Das
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 69. 49
746
1:
Wilhelm Kose:
Paraganglion caroticum war ganzin ihm ver-
graben und fast an seiner ganzen Peripherie vom
postbranchialen Körper umgeben. Vom kranialen Epithel-
körper war das Paraganglion caroticum auf diese Weise
vollständig geschieden. Seine Diameter betrugen: 0,2 bis
0,2—0,14 mm.
. Von der Carotis communis ging eine sehr grosse Arterie
ab, von dieser eine kleinere und erst von letzterer eine
dritte Arterie, die sich in einen für den postbranchialen
Körper und einen für das Paraganglion caroticum be-
stimmten Ast teilte.
. Das sympathische Ganglion lag in der Nähe der Epithel-
körper, enthielt aber keine chromaffinen Zellen.
VI. Zusammenfassung der wichtigsten Befunde.
Das Paraganglion caroticum kommt allen Vögeln auf
beiden Halsseiten ausnahmslos zu. Meist bildet
es auf jeder. Halsseite nur ein einziges, manchmal aber
auch zwei voneinander getrennte Organe (Gimpel, Zeisig,
Wasseramsel, Fink, Drossel). Bei allen Vögeln, welche
bloss ein einziges Paraganglion caroticum besitzen, lag
es entweder bloss in der Nähe des kranialen. Epithel-
körpers oder aber mehr minder tief im Innern des
letzteren. Es kann aber ausnahmsweise bloss dem
kaudalen Epithelkörper angeschlossen sein (1 Krähe,
1 Henne, 1 Würger).
Bei manchen Vögeln (Gimpel, Zeisig, Fink) ist das Para-
ganglion caroticum auf einer oder auf beiden Halsseiten
doppelt, d.h. analog gebaute und fast gleich grosse
Paraganglien finden sich sowohlim Innern deskranialen
als auch des kaudalen Epithelkörpers.
Sind drei Epithelkörper auf einer Seite vorhanden, so
kommt es vor, dass sowohl der kraniale, als auch der
ihm zunächst liegende mittlere je ein Paraganglion in
seinem Innern birgt, der am meisten kaudalwärts vorge-
schobene dagegen keines enthält.
Das Paraganglion caroticum verbindet sich bei den
einzelnen Vögeln in einer sehr verschiedenen Art und
Weise mit dem Epithelkörper. Häufig liegt es bloss in
6.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 14T
seiner Nähe, dann wieder versenkt es sich mehr minder
tief in den Epithelkörper. Die Verbindung des Para-
ganglion caroticum mit dem letzteren ist dann eine
organische, wie zwischen dem Paraganglion supra-
renale und der Nebenniere.
. Dem Paraganglion caroticum analoge Anhäufungen der
farbblosen chromaffinen Zellen durchsetzten einmal
bei einer jungen Nestkrähe auf beiden Halsseiten
die Wand der Carotis com. ihrer ganzen Dicke nach.
Es bestand kein geweblicher Zusammenhang zwischen
diesen Zellgruppen und dem eigentlichen Paraganglion
caroticum.
In der Nähe des kaudalen oder aber des kranialen
Epithelkörpers liegt stets ein grosses sympathisches
Ganglion, das zahlreiche Nerven in das Innere des Para-
ganglion caroticum entsendet. Das Ganglion enthielt
besonders bei den’Krähen, dann aber auch bei manchem
Huhn verschieden viele Gruppen farbloser chromaffiner
Zellen. Bei den andern Vögeln fehlten die letzteren im
Innern des Ganglion.
. Das Paraganglion caroticum aller Vögel bestand dem
Wesen nach aus einer besonders grossen Anhäufung farb-
loser chromaffiner Zellen und sympathischer Nerven.
Die Paraganglia carotica vieler Vögel enthielten aber
nebenbei noch in verschiedener Menge bindegewebige
und elastische Fasern, die manchmal auffallend zahl-
reich waren.
Das histologische Bild des Paraganglion caroticum zeigt
bei den einzelnen Vögeln insofern gewisse Verschieden-
heiten, als es entweder eine mehr einheitliche Zellan-
sammlung bildet, oder aber durch die Nerven, binde-
gewebigen oder elastischen Fasern mehr in einzelne
Zellgruppen zerfällt wird.
Die einzelnen chromaffınen Zellen des Paraganglion caro-
ticum liegen entweder in separaten bindegewebigen
Maschen und Körben oder aber vereinigen sich zu
kleineren und grösseren Gruppen. Die einzelnen Zellen
liegen dabei entweder epithelartig nebeneinander oder
aber bilden eine einheitliche Protoplasmamasse, in welche
49*
148
10.
1.
12.
13.
Wilhelm Kose:
die einzelnen Kerne eingelagert sind. In allen den
letzteren Fällen müssen wir von einer syncytialen An-
ordnung der Zellen oder besser gesagt von einem kern-
haltigen Syneytinm reden, da es unentschieden bleiben
muss, ob es sich um eine Verschmelzung schon selb-
ständig gewesener Zellen oder nur um eine unvollständige
oder vollkommen unterbliebene Zerfällung einer ursprüng-
lich einheitlichen Protoplasmamasse in einzelne Zellen
handelt. Aber auch jene Zellen, die in separaten binde-
gewebigen Maschen und Körben liegen, vereinigen sich
stellenweise innerhalb der Lücken der perizellulären
Gitter. Bei einer einzigen jungen, noch blinden Nest-
krähe fand ich wiederholt Teilungsfiguren (Mutter-
und Tochtersterne) in einzelnen chromaffinen Zellen.
Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie
entsprang entweder direkt aus der Carotis com. oder
aber bildete nur einen Teilast eines grösseren Arterien-
stämmchens, das seinerseits aus der Carotis com. herkam
und sich mit weiteren Fortsetzungen im postbranchialen
Körper und der Thyreoidea verästelte. Manchmal besitzt
das Paraganglion caroticum zwei zuführende Arterien.
Die Adventitia der zum Paraganglion caroticum gehörigen
Arterie ist öfters vom Abgange der letzteren aus der
Carotis com. bis zu ihrem Eintritt ins Paraganglion
caroticum von verschieden grossen Gruppen farbloser
chromaffiner Zellen durchsetzt.
Die farblosen chromaffinen Zellen nehmen infolge ihres
besonderen Verhaltens unter den chromaffinen Zellen
eine Ausnahmestellung ein und bilden für sich eine eigene
Unterart.
Es finden sich an verschiedenen Stellen der Vorhöfe und
von da angefangen bis zum Paraganglion caroticum hinauf
und nur ganz ausnahmsweise noch über dieses weiter
kranialwärts bei allen Vögeln ohne Ausnahme verschieden
grosse Anhäufungen der farblosen chromaffinen Zellen.
Besonders an den Vorhöfen können sie öfters an Grösse
dem Paraganglion caroticum fast gleich kommen. Über-
all stehen diese Gruppen in einem innigen und geweb-
lichen Zusammenhange mit sympathischen Nerven. Aus-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 749
nahmsweise fand ich die farblosen chromaffınen Zellen
auch in einzelnen Brustgrenzstrangganglien, im Hals-
grenzstrange einer jungen Nestdrossel, ferner in ver-
schiedenen abdominalen sympathischen Nerven bei einer
jungen Nestkrähe und einem alten Kreuzschnabel,
sowie in gehäufter Menge im Paraganglion suprarenale
des letzteren.
7. Sämtliche Fundstätten der übrigen Paraganglien,
die entweder mit dem sympathischen Nervensystem
geweblich verknüpft oder aber von ihm losgelöst sind.
I. Die Grenzstränge und die peripheren Abschnitte des
sympathischen Nervensystems.
Sämtliche Paraganglıen aller untersuchten Vögel zeigen in
bezug auf ihr allgemeines Vorkommen und ihren Auf-
bau im wesentlichen ganz genau dieselben Verhältnisse. Ich
kann daher eine übersichtlich gehaltene Beschreibung geben und
werde nur eventuell vorkommende Differenzen näher erwähnen.
Solche finden sich in derselben Weise bei Vögeln gleicher als
auch verschiedener Spezies und ebenso auch bei ein und
demselben Vogel an verschiedenen Stellen im Körper.
Die Zahl, Anordnung und das Aussehen der chromaffinen
Zellen, ferner die Verteilung des Bindegewebes oder aber die
Lagebeziehung des chromaffinen Gewebes zu den Blutgefässen
spielen hier eine bestimmende holle. Dennoch lehrt aber ein
Vergleich aller bei den einzelnen Vögeln vorkommenden Para-
ganglien, dass eine Anzahl von Grundtypen immer wiederkehrt.
Vor allem will ich mich nun der Besprechung der Lage und des
Vorkommens der chromaffinen Zellen in dem Grenzstrang
und den peripheren sympathischen Ganglien und
Nerven zuwenden. Es würde nun ermüdend und verwirrend
sein, wollte ich die Beschreibung aller einzelnen Ganglien wieder-
geben, wie sie in meinem Arbeitsjournal aufgezeichnet ist. Einige
Zeichnungen mögen in den folgenden Zeilen zur Bekräftigung
meiner Befunde dienen.
Eine verschiedene Anzahl von Ganglien aller Abschnitte des
Grenzstranges enthält bei den daraufhin untersuchten Vögeln in
wechselnder Menge und Anordnung gelbe chromaffine Zellen.
Bei jungen Vögeln sind sie im Vergleiche zu alten absolut viel
750 Wilhelm Kose:
zahlreicher. Ganz abgesehen vom Alter zeigt die Verteilung der
chromaffinen Zellen und ihrer Gruppen in den einzelnen Ab-
schnitten der Grenzstränge insofern eine gewisse (Gresetzmässig-
keit, als sich die meisten chromaffinen Zellen im Abdomen, viel
weniger dagegen im Thorax und am Halse finden.
Sowohl am Halse, als im Thorax und im Abdomen wird
man nun öfters bei manchen Vögeln in verschiedener Menge
Ganglien finden, in welchen man gar keine einzige chrom-
affıne Zelle zu Gesichte bekommt. Andere Ganglien wieder er-
weisen sich von einer grossen Menge von chromaffinen Zellen
durchsetzt. Inbezug auf die Menge und Verteilung des chrom-
affınen Gewebes innerhalb der Grenzstrangganglien herrschen oft
ganz individuelle und unberechenbare Schwankungen. Als ein
Beispiel dafür sei folgendes angeführt. Während z. B. die Gang-
lien der abdominalen Grenzstränge bei drei von den fünf blinden
Nestkrähen ausnahmslos gelbe chromaffine Zellen in reicher
Menge enthielten, fand ich bei der vierten Krähe desselben
Geleges in mehreren von ihnen nicht eine einzige chromaf-
fine Zelle. Auch die Grösse der Paraganglien stand bei dieser
vierten Krähe hinter jener bei den drei ersten Krähen merklich
zurück. Im Vergleiche zu dieser vierten Krähe war der Gehalt
der abdominalen Grenzstrangganglien an chromaffinen Zellen bei
den Vögeln der übrigen Spezies wesentlich grösser. Ähnliche
individuelle Verschiedenheiten in der Verteilung des chromaffinen
Gewebes scheinen auch innerhalb der Hals- und Brustgrenzstrang-
ganglien zu herrschen.
Zur übersichtlichen Darstellung der Verbreitung des chrom-
affınen Gewebes in den sympathischen Ganglien wähle ich ein
grosses Ganglion aus dem Plexus solaris einer jungen Nest-
krähe (Fig. 21, Taf. XXVI). Ich kann dies mit umso grösserer
Berechtigung tun, als die Verteilung der chromaffinen Zelien
sowohl in den Grenzstrang- als Plexusganglien nach demselben
Typus erfolgt. Ich liess die Hälfte dieses grossen Ganglion
auch aus folgendem Grunde zeichnen. Die einschlägigen Ver-
hältnisse lassen sich hier in einem einzigen Schnitte leicht
demonstrieren. Wenngleich auch die Grenzstrangganglien zahl-
reiche chromaffine Zellen enthalten, so fand ich, und dies gilt in
erster Linie für die Ganglien am Halse und im Thorax, niemals
so viele chromaffine Zellen und von ihnen zusammengesetzte
Die Paraganglien bei den Vögeln. T51
Gruppen in einem Schnitte beisammen, wie bei dem gezeichneten
Ganglion. Man müsste also zur übersichtlichen Darstellung ein
aus verschiedenen Schnitten zusammengesetztes Bild geben.
Diesem Umstande wollte ich aus dem Wege gehen, um eventuelle
Ungenauigkeiten zu vermeiden, die sich bei Kombinierung der
Zeichnung hätten ergeben können. Aus der Zeichnung lässt sich
nun mit Leichtigkeit folgendes erkennen.
Das Ganglion ist nur zur Hälfte aufgenommen. Seine untere
Spitze und die rechte und linke Seite stellen zugleich die äusseren
Konturen des Ganglion dar. An diesen Stellen ist auch die
bindegewebige Kapsel (bdg.) schön entwickelt. Die obere quere,
punktierte Linie gibt die Halbierungsrichtung durch das Gang-
lion an.
Die Anhäufungen des chromaffinen Gewebes durchsetzen
hier das ganze Innere des Ganglion mehr minder unregelmässig.
Das Paraganglion (pg') liegt in seiner äussersten Peripherie.
Es besteht aus einer grossen und kleinen Gruppe, die durch eine
schmale brückenförmige Lage von chromaffınen Zellen mit ein-
ander verbunden sind. Die folgenden Serienschnitte zeigen, dass
durch eine allmähliche Häufung der chromaffinen Zellen in beiden
(ruppen das Paraganglion mächtig anschwillt und schliesslich
eine Gesamtausdehnung gewinnt, die durch die zwei Kreuze (XX)
angegeben ist. Es liegt dabei fortwährend in der äussersten
Peripherie des Ganglion, dicht unter seiner bindegewebigen Kapsel
(bde.). Endlich aber wird es an einer Stelle besonders gross,
durchbricht die bindegewebige Hülle des Ganglion und ragt aus
diesem zum Teil heraus. Mittlerweile ist sein ganz im Gang-
lion gelegener Anfang vollständig geschwunden und wir erhalten
in den letzten Serienschnitten nur das Bild eines dem Ganglion
ausschliesslich von aussen anliegenden Paraganglion. Tat-
sächlich sendet dieses aber, wie aus den früheren Schnitten her-
vorgeht, einen weitaus grösseren Fortsatz in das Innere des
Ganglion. Es kann aber auch umgekehrt der Fall sein, dass sich
die Paraganglien nur mit einem kleinen Teil in das Ganglion
einsenken und mit dem grösseren aus ihm hervorragen. Das
Paraganglion (pg.') stösst nur mit einer Seite an die bindegewebige
Kapsel des Ganglion und ist in dem gezeichneten Schnitte ganz
in dieses vergraben. Kleinere Paraganglien findet man öfters
ausserhalb des Ganglion zwischen ihm und seiner binde-
1752 Wilhelm Kose:
gewebigen Kapsel, die an solchen Stellen eine leichte Abhebung,
d. h. Vorwölbung zeigen kann. Die Paraganglien pg.” und pg.°
liegen mehr im Innern des Ganglion, ebenso die anderen Gruppen
und vereinzelten chromaffinen Zellen (chrz.).
Es ist nun häufig der Fall, dass entweder sämtliche oder
wenigstens die weitaus grösste Mehrzahl aller in einem Ganglion
enthaltenen Paraganglien sich in der Peripherie des ersteren, wie
pg.' finden und das Innere der Ganglien ganz frei von chrom-
affınen Zellen bleibt. Im Thorax und am Halse bleiben die Para-
ganglien in den Grenzstrangganglien fast ausnahmslos ganz
im Ganglion versenkt, nur selten liegen sie letzteren von aussen
an. In den Ganglien der abdominalen Grenzstränge dagegen,
sowie in den verschiedenen Ganglien der peripheren abdo-
minalen Plexus zeigen die Paraganglien oft das oben be-
schriebene Bestreben aus dem Ganglion herauszutreten.
Ähnliche Verhältnisse findet man bei den verschiedensten
peripheren sympathischen Nerven imAbdomen. Auch
hier liegen die Gruppen chromaffiner Zellen entweder ganz im
Innern der Nervenstämmchen, allseitig von den Nervenfasern um-
sponnen, oder aber mehr in der Peripherie der Nerven. Stellen-
weise sind die Paraganglien, gerade so wie bei den Ganglien, in
die äusserste Peripherie der Nerven eingesenkt.
Ganz abgesehen von diesen mit dem sympathischen Nerven-
system mehr minder organisch verbundenen Paraganglien, trifft
man im Abdomen aller Vögel grössere oder kleinere Gruppen
chromaffiner Zellen an, welche den sympathischen Ganglien und
Nerven ausschliesslich von aussen anliegen und keinen
Fortsatz in diese hineinsenden.
Kehren wir nun zur Beschreibung des Präparates zurück.
Das Paraganglion (pg.?) hüllt im Verlaufe der Serie mächtig an-
wachsend eine kleine Arterie (art.) vollständig ein. Der Quer-
schnitt dieser Arterie liegt rechts unmittelbar unter dem Para-
ganglion, ihre Fortsetzung (art.') rechts oben. An seiner oberen
Peripherie ist das Paraganglion von einer Kapillare (kpl.) umkreist.
Diese Lagebeziehung des Paraganglion pg.” zum Blutgefässsystem
führt uns zu ihrer genaueren Besprechung.
Die weitaus überwiegende Mehrzahl aller in den ver-
schiedensten Ganglien und Nerven befindlichen Anhäufungen
chromaffinen Gewebes, aber auch ebenso die vereinzelten chrom-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 193
affınen Zellen liegen entweder unmittelbaran Arterien oder
Kapillaren, oder doch wenigstens in ihrer Nähe. Als ein Bei-
spiel dafür diene auch Fig. 18, Taf. XXVI. Sie stellt ein kleineres
Paraganglion aus einem Brustgrenzstrangganglion einer jungen
Nestdrossel dar. Eine Kapillare (kpl.), deren Endothelkerne
(end. kr.) sich scharf abheben, und die auch zwei rote Blut-
körperchen (erythr.) enthält, zieht in das Innere dieses Paragang-
lion und teilt sich dort. Die chromaffinen Zellen liegen der
dünnen Kapillarwand unmittelbar an. Da dieses Präparat nicht
mit spezifischen Bindegewebsfarbstoffen tingiert wurde, muss ich
es unentschieden lassen, ob sich nicht doch allerfeinste binde-
gewebige Fäserchen zwischen die Gefässwand und das chrom-
affine Gewebe einschoben. Das Studium dieser Serie zeigte nun,
dass das Paraganglion einen rundlich-ovalen Körper bildete, der
die Kapillare und ihre Teiläste allseitig umschloss. Das Para-
ganglion sass an der Kapillare wie eine Beere an ihrem Stiel.
Nicht immer hüllen die Gruppen chromaffiner Zellen die Kapillaren
so vollständig wie hier ein, sie liegen oft nur an einer Seite der
letzteren. Dabei können sie eine dreieckige Gestalt besitzen
und schmiegen sich dann mit der einen Seite des Dreieckes an
die Kapillarwand.
Eine ähnliche oder gleiche, auffällige Lagebeziehung der
innerhalb des Sympathicus befindlichen chromaffinen Zellen zu
Venen konnte ich im Gegensatze zu jener in bezug auf
kleinere Arterien und Kapillaren nur sehr selten nachweisen.
Anders verhält sich dies bei den vom sympathischen Nerven-
system isolierten Paraganglien. Bei der Besprechung dieser
wird dies Verhalten Berücksichtigung erfahren.
Im Gegensatze zu allen denjenigen Paraganglien, die den
Arterien und Kapillaren unmittelbar anliegen, stehen die Gesamt-
heit jener Gruppen chromaffiner Zellen und alle jene einzelnen
chromaffinen Zellen, die bloss in der Nähe von den Gefässen
sich finden, ohne mit diesen in irgend einen geweblichen Zu-
sammenhang zu treten.
Oftmals finden sich die chromaffinen Zellen ohne erkennbare
Anordnung im ganzen Ganglion verstreut, wobei sie öfters den
Ganglienzellen unmittelbar von aussen, ich möchte sagen, kappen-
förmig aufsitzen.
Ein häufiger Fundort von Paraganglien ist die Eintritts-
54 Wilhelm Kose:
stelle sympathischer Nerven in die verschiedensten Ganglien.
Die Gruppen chromaffiner Zellen liegen dabei entweder noch im
Nerven selbst, oder aber schon im Ganglion an seiner Ver-
bindungsstelle mit dem Nervenstämmchen. Diese topographische
Lage der Paraganglien findet sich in derselben Weise bei den
Grenzstrang- und auch Plexusganglien. Die Fig. 17, Taf. XXVI,
illustriert die betreffenden Verhältnisse, Es wurde hier die linke
Hälfte eines Ganglion aus dem untersten Teile des Plexus
rectalis einer Nestkrähe gezeichnet. Von links her ver-
bindet sich mit dem Ganglion ein grösseres sympathisches Nerven-
stämmchen (sy. n.). In ihm, knapp vor seinem Eintritt ins Gang-
lion liegt eine rundliche Gruppe der farblosen chromaffinen
Zellen (pg). Nur ganz vereinzelte braungelbe chrom-
affine Zellen (chrz.) finden sich in der Peripherie dieser Gruppe.
Dieses Präparat wurde hauptsächlich mit zum Beweise dafür ge-
zeichnet, dass genau dieselben farblosen chromaffinen Zellen,
welche am Halse das Paraganglion caroticum zusammen-
setzen, auch in den abdominalen Abschnitten des sympathischen
Nervensystems vorkommen. Man kann aber an dieser Zeichnung
die hier in Frage kommende Lagerung der gelben chromaffinen
Zellen ebenfalls demonstrieren, da sie zu Gruppen gehäuft an
denselben Stellen in den Nerven sich mit Vorliebe finden.
Merkwürdig ist die Armut in erster Linie der Hals- und
Brustgrenzstränge, dann aber auch der abdominalen
Grenzstränge an chromaffinen Zellen im Vergleiche zu
den einzelnen Ganglien. Nur an den Verbindungsstellen
der Grenzstränge mit den Ganglien konnte ich im Innern der
ersteren manchmal vereinzelte gelbe chromaffıne Zellen nach-
weisen. Weiter von den Ganglien entfernt fand ich innerhalb
der Grenzstränge nur ausnahmsweise chromaffıne Zellen und
das fast ausschliesslich nur im Abdomen. Das Alter oder die
Spezies der einzelnen Vögel scheinen auf die Menge und Ver-
teilung der chromaffinen Zellen innerhalb der Grenzstränge
keinen erkennbaren, mitbestimmenden Einfluss zu haben.
Etwas anders verhält es sich mit den Grenzsträngen
während ihres Veriaufes durch manche Ganglien.
Die ersteren bilden dann manchmal streckenweise wohl abge-
grenzte Nervenstämmchen, die dann einen reicheren oder
geringeren Gehalt an chromaffinen Zellen aufweisen können.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 1755
Die innerhalb der abdominalen Grenzstränge
aber ausserhalb der Ganglien befindlichen Gruppen chrom-
affıner Zellen liegen entweder in der Achse oder aber ganz in
der Peripherie der Grenzstränge. Manchmal lösen sie sich von
den letzteren ganz ab und schieben sich zwischen sie und ihr
zugehöriges Epineurium ein.
Die Paraganglien sind von dem eigentlichen nervösen
Gewebe der Ganglien und Nerven entweder durch eine dünne
bindegewebige Hülle getrennt oder aber sie werden von den
Ganglienzellen und Nervenfasern direkt umsponnen. Die Grösse
der Paraganglien schwankt in merklichen Grenzen. Entweder
bestehen die einzelnen Gruppen nur aus 2—3 oder aber aus
20—30 und mehr Zellen. Die allergrössten Paraganglien
liegen stets im Abdomen, sei es nun innerhalb der Grenz-
strangganglien oder aber in den verschiedensten peripheren
sympathischen Plexus.
Vergleichen wir nun schliesslich in übersichtlicher Weise
die Lage, Zahl und Grösse aller zur Beobachtung gelangten
Paraganglien, so ergibt sich die Tatsache, dass die Grenzstränge
(Grenzstrang + Ganglien) am Halse und am Thorax viel weniger
chromaffines Gewebe enthalten, als jene im Abdomen. In den
zwei ersten Abschnitten des Sympathicus sind mit ganz seltenen
Ausnahmen die Anhäufungen chromaffiner Zellen vollständig
in dieselben eingesenkt, während im Abdomen bei den Paragang-
lien ein auffälliges Bestreben zu Tage tritt, sich vom sym-»
pathischen Nervensystem loszulösen. Dies findet seinen deutlichen,
morphologischen Ausdruck darin, dass die Paraganglien zu einem
kleineren oder grösseren Teil frei aus dem Ganglion oder Grenz-
strange herausragen, oder ihnen nur von aussen anliegen, ohne
sich mit dem Sympathicus geweblich zu verbinden.
Betrachten wir nın das abdominale, periphere sym-
pathische Nervensystem im Gegensatze zu dem thora-
kalen und am Halse gelegenen etwas näher, so ergeben sich
auffällige Unterschiede betrefts des Gehaltes an gelben chrom-
affinen Zellen. — Das periphere sympathische Nervensystem des
Halses und der Brust enthielt nur in vereinzelten Ausnahme-
fällen gelbe chromaffıne Zellen. Bei einer alten Eule bildeten sie
schöne rundlich-ovale Gruppen in den an den Vorhöfen gelegenen
Nerven, bei einem einjährigen Hahne setzten sie eine schöne
756 Wilhelm Kose:
und grosse Gruppe im äusseren Abschnitte des Halssympathicus
zusammen, während sie bei einer jungen Drossel nur in Form
ganz kleiner Gruppen in wenigen sympathischen Nervchen am
Halse zu finden waren. Bei keinem anderen der unter-
suchten Vögel waren sonst an diesen Stellen gelbe chromaffine
Zellen nachzuweisen. Diese werden am Halse und in der Brust
(Vorhöfe) von den farblosen chromatffinen Zellen vertreten, wie
ich dies schon bei Besprechung des Paraganglion caroticum
ausführte.
Im Gegensatze zu der auffallenden Armut oder dem meist
totalen Mangel des peripheren sympathischen Nervensystems
am Halse und in der Brust an gelben chromaffinen Zellen,
zeigt sich das abdominale in reichster Menge von ihnen durch-
setzt. Gerade so wie bei den Paraganglien der Grenzstränge,
so zeigt sich auch bei jenen des peripheren sympathischen
Nervensystems das Bestreben, sich von diesem abzulösen. Die
Paraganglien sind häufig so gross wie die Ganglien selbst, denen
sie anliegen oder übertreffen diese noch an Ausdehnung. Sie
werden oft samt dem zugehörigen Ganglion von einer gemein-
samen bindegewebigen Kapsel umhüllt. Wie wir bisher gesehen
haben, kann die Loslösung des chromaffinen Gewebes vom sym-
pathischen Nervensystem eine mehr minder weitgehende sein.
Immer aber lagen die Paraganglien den Nerven und Ganglien
mindestens von aussen an. Die Trennung zwischen ihnen kann
aber eine vollständige sein, insofern die chromaffinen Zellen selb-
ständige Gruppen bilden. Sie treten dann entweder mit den
verschiedenen Abdominalorganen wie Niere, Hoden, Ovarium,
Urniere, ferner mit der Aorta und den verschiedensten
Arterien und Venen in eine gewebliche Verbindung, oder finden
sich in Form kleinerer oder grösserer Zellgruppen in dem zwischen
den einzelnen Organen befindlichen Bindegewebe. Ich wende
mich nun der Besprechung dieser Paraganglien zu.
II. Urnierenreste.
Die Urnierenreste liegen stets in der Nähe des Paraganglion
suprarenale. Sie sind entweder mit diesem oder mit dem Hoden
und Ovarium durch Bindegewebe lockerer oder fester verknüpft.
Die Urnierenreste bestehen aus einer Anzahl länglicher Kanälchen
(Fig. 16, Taf. XXVI, urn. knl.), die in den einzelnen Schnitten in
Die Paraganglien bei den Vögeln. 157
den verschiedensten Richtungen getroffen sind. Sie werden von
einem einfachen, niedrigen zylindrischen, resp. kubischen Epithel
ausgekleidet. Zwischen diesen Kanälchen findet man vereinzelte
grössere, rundliche Zellgruppen oder Zellballen, die von einer
eigenen dünnen bindegewebigen Hülle umkleidet werden; sie
stellen die Reste Malpighischer Körper dar. In der beigegebenen
Figur sind leider keine enthalten gewesen. Alle Urnierenkanälchen
werden durch ein auffallend kernreiches Bindegewebe (bdg.') zu
einem einheitlichen Körper zusammengefasst. Dieser besitzt hier
die Gestalt eines stumpfen, abgestutzten Dreieckes und wird
allseitig von lockerem Bindegewebe (bdg.”) umgeben. An der
mit drei Kreuzchen (XXX) bezeichneten Stelle zeigt dieses, oben
an der Spitze der Urnierenreste, infolge der Präparation eine
Abhebung von der eigentlichen Urniere. Man findet nun in der
Nähe der Urnierenkanälchen oder ihnen unmittelbar anliegend
kleinere oder grössere Anhäufungen chromaffiner Zellen. In den
allermeisten Fällen sind sie nur in die äussersten Randpartien
der Urniere eingesenkt, wie es auch in der Zeichnung wieder-
gegeben ist. Ungleich viel seltener dringen sie in das Urnieren-
gewebe etwas tiefer ein. Sie können dabei die Reste der
Malpighischen Körperchen halbmondförmig umgeben. Das grosse
Paraganglion (pg.!) ist in die obere stumpfe Spitze der Urnieren-
reste eingegraben. Es setzt sich aus mehreren, durch schmale
Brücken chromaffınen Gewebes miteinander verbundenen Gruppen
chromaffiner Zellen zusammen. Diese zeigen in der am meisten
nach rechts gelegenen Gruppe teilweise eine strangförmige
Anordnung. An der rechten Seite der Urniere liegt innerhalb
der letzteren noch eine kleine selbständige, länglich-ovale Gruppe
chromaffiner Zellen (pg.?). Die allermeisten in den Urnieren-
resten befindlichen Paraganglien stehen bei allen Vögeln in keinem
nachweisbaren Zusammenhange mit dem sympathischen Nerven-
system. Weder Nerven noch Ganglienzellen sind im Innern oder
der Nähe dieser Paraganglien zu sehen gewesen. Anders verhält
es sich mit jenen in der Umgebung der Urnierenreste, frei im
Bindegewebe gelegenen Paraganglien. Zwischen diesen liegen
manchmal vereinzelte und zu Gruppen gehäufte Ganglienzellen
(gz. oben in der Figur). Links von der Urniere verläuft eine grosse
und eine kleine Vene (ven.), sowie eine zweimal im (@uerschnitte
getroffene Arterie (art ).
nn
Wilhelm Kose:
Qu
Es kommt nun — wie bekannt — normalerweise ein
leuchtend- gelbes, schollig-krümmliges Pigment innerhalb der
Urnierenreste vor. Es erfüllt entweder zum Teil das Plasma
der die Kanälchen auskleidenden Epithelzellen, oder findet sich
frei im Lumen jener. Manche Kanälchen waren, besonders bei
einer jungen Nestdrossel, ganz von diesem Pigment erfüllt.
Dieses findet man aber auch ausserhalb der Kanälchen in
Form grösserer oder kleinerer Schollen mitten in dem kernreichen
Bindegewebe (bdg.'). Die Schollen besitzen öfters eine beträcht-
liche Grösse und eine merkwürdige Ähnlichkeit mit länglich-ovalen
Zellen. Man könnte im ersten Momente vielleicht an chromaffine
Zellen denken. Eine Verwechslung dieser mit den Pigmentschollen
ist aber bei genauem Zusehen leicht und sicher zu vermeiden.
Alle Pigmentschollen haben nämlich eine ganz eigentümliche und
nur ihnen zukommende, schwefelgelbe ins grünliche spielende
Farbe, wie sie die chromaffinen Zellen niemals aufweisen. Ferner
werden die Pigmentschollen bei der Färbung der Präparate z.B.
mit Cochenille niemals auch nur eine Spur mitgefärbt, sondern
behalten ihre Eigenfarbe bei. Ausnahmsweise kann dies, wie: wir
gesehen haben, auch bei verschiedenen chromaffinen Zellen
vorkommen, niemals bildet aber dies Verhalten die Regel, viel-
mehr nehmen die meisten chromaffinen Zellen mehr minder den
Farbstoff auf und zeigen die verschiedensten Mischtöne zwischen
diesem und ihrer eigenen gelben Farbe. Schliesslich sind die
Pigmentschollen stets, ohne Ausnahme, kernlose und
niemals granulierte Massen. Anschnitte chromaffiner
Zellen können ja auch gelbe, kernlose Protoplasmamassen dar-
stellen, dann findet man aber immer in den folgenden Schnitten
den zu ihnen gehörigen kernhaltigen Teil der Zelle. Die
absolute Kernlosigkeit und die ganz spezifische grün-gelbe Farbe
der freien und nicht granulierten Pigmentschollen sind
sichere und zuverlässige Unterscheidungsmerkmale zwischen ihnen
und den vereinzelten im Bindegewebe zwischen den Urnieren-
kanälchen vorkommenden chromaffinen Zellen.
III. Ovarium.
Das Ovarium bildete bei den daraufhin untersuchten ganz
jungen Nestvögeln (zwei Krähen, eine Drossel) einen läng-
lichen, stellenweise leicht gelappten Körper, der eine stärkere
Pr
Die Paraganglien bei den Vögeln. Ud8
oder schwächere Längskrümmung besass. Seine konkave Seite
war dem Paraganglion suprarenale zugewendet. Diese hilusartige
Vertiefung an der einen Seite des Ovarium war ganz von Binde-
gewebe erfüllt. Dieses erstreckte sich auch nach aussen und
vermittelte die gewebliche Verbindung des Ovarium mit dem
Paraganglion suprarenale. Eine grosse Anzahl von ganz unregel-
mässig gestalteten Hohlräumen durchsetzte nun dieses kernreiche
den Hilus ovarii erfüllende Bindegewebe. Diese Hohlräume er-
streckten sich auch noch nach aussen von dem Hilus in das dort
befindliche lockere Bindegewebe. Sie sind stellenweise wie von
einem einschichtigen Endothel ausgekleidet und stehen miteinander
in einem vielfachen direkten Zusammenhange. Von Waldeyer
wurden sie als Lymphräume gedeutet. Da es nicht Aufgabe dieser
Arbeit ist, die gewebliche Natur dieser Hohlräume klarzulegen,
und überdies das von mir untersuchte Material viel zu gering
und nicht mit spezifischen Methoden untersucht ist, um mir eine
eigene sichere Anschauung zu ermöglichen, so gehe ich hier auf
die neuere Literatur über dieses Thema nicht näher ein. Ich
musste aber trotzdem diese Hohlräume erwähnen, weil die An-
häufungen chromaffiner Zellen mit ihnen in nähere Verbindung
treten. Kleinere oder grössere Paraganglien durchsetzten nämlich
in wechselnder Menge nach allen Richtungen das zwischen diesen
Hohlräumen gelegene Bindegewebe. Sie kamen dabei öfters hart
an die Wandung der Hohlräume zu liegen und wölbten sich
stellenweise in ihr Lumen vor (fixiertes Präparat!). Die Para-
ganglien im Hilus ovarii reichten bis unmittelbar an das
eigentliche Ovarialgewebe heran, in diesem selbst fand
ich aber niemals auch nur eine chromaffine Zelle,
Diese erstrecken sich stellenweise in Form von Zellsträngen oder
reihenförmig angeordneter Gruppen aus dem Hilus ovarii nach aussen
fort. Bei einer blinden Nestkrähe waren sie in kontinuierlichem
Zuge bis in das Paraganglion suprarenale zu verfolgen. Im Hilas
des Ovarium lagen stets zwischen den Gruppen chromaffiner
Zellen kleinere und grössere sympathische Ganglien und
Nerven, welche ebenfalls verschieden viele gelbe chromaffine
Zellen enthielten. In der Nähe des Ovarium fand ich bei zwei
jungen Krähen das einemal eine, das anderemal zwei sogenannte
„aeccessorische Nebennieren“. In diesen kleinen, für sich
im Zwischengewebe liegenden Organen, verband sich das epitheliale
760 Wilhelm Kose:
eigentliche Nebennierengewebe mit den chromaffinen Zellen in
genau derselben Weise, wie in dem gleichgebauten, für gewöhnlich
„Nebenniere“ genannten Hauptorgane (Nebenniere -
Paraganglion suprarenale). Diese accessorischen Neben-
nieren lagen eine Strecke weit vom letzteren entfernt; nirgends
bestand auch nur der geringste gewebliche Zusammenhang
zwischen beiden.
IV. Hoden.
Bei einer noch blinden Nestkrähe gelang mir der sichere
Nachweis von kleinen Gruppen chromaffiner Zellen in der Nähe
des Hodens, in seiner Kapsel und in den äussersten, unmittelbar
unter dieser gelegenen Schichten des eigentlichen Hoden-
parenchyms. Ebenso begleiteten kleine. Gruppen ein aus dem
Hoden in den Nebenhoden ziehendes Hodenkanälchen. Keines
von allen diesen Paraganglien stand in einem nachweisbaren
Zusammenhange mit sympathischen Nerven.
V. Niere.
Bei einer jungen Nestdrossel, aber auch bei einer jungen
Krähe, wenn auch bei letzterer nicht so schön, fanden sich bis
1 mm von der Nierenoberfläche entfernt, kleinere und grössere
Paraganglien in diese eingesenkt. Stücke der Niere wurden
immer nur nebenbei und nicht zum Zweck einer speziellen
Untersuchung bei Präparation des Paraganglion suprarenale mit
herausgenommen. Ich bin überzeugt, dass bei planmässig darauf-
hin gerichteten Untersuchungen weit öfters und weit mehr
chromaffine Zellen, vielleicht auch in grösseren Tiefen in den
Nieren gefunden werden dürften, als es mir gelang.
Fig. 19, Taf. XXVI, stellt einen Schnitt durch die Niere
der jungen Drossel dar. Links befindet sich das eigentliche
Nierenparenchym, dessen Kanälchen (nr. knl.) in den ver-
schiedensten Richtungen durchschnitten sind. Am ganzen rechten
Bildrande verläuft eine grössere Vene (ven.), von der aber nur
ihre linke Wand gezeichnet wurde, nach rechts von dieser ist
das Venenlumen (lum.) und weiter nach rechts von der Vene
.wieder Nierenparenchym zu denken. Die Venenwand setzte sich
aus einem einschichtigen Endothel und wenigen Lagen von Binde-
gewebe zusammen. Unten, ganz in sie vergraben, liegt ein
kleines Paraganglion (pg.'). Dieses reicht bis unmittelbar an
Die Paraganglien bei den Vögeln. 761
das Endothel heran. In den folgenden Schnitten erwies sich die
Venenwand, noch tiefer in die Niere hinein, von mehreren solchen
Gruppen durchsetzt, die stellenweise das Endothel ins Venen-
lumen etwas vorbuchteten. Zu keinem dieser kleinen, voll-
ständig in der Venenwand gelegenen Paraganglien zog irgend
ein nachweisbares Nervenstämmchen. Interessant ist der Umstand,
dass auch die Wand grösserer innerhalb der Niere verlaufender
Arterien in gleicher Weise wie die Venen verschieden
grosse Gruppen chromaffiner Zellen enthalten kann. Man findet
nun abgesehen von diesen in den Gefässwänden befindlichen Para-
ganglien eine verschieden grosse Menge von ihnen frei zwischen
den Nierenkanälchen liegen. Ein solches Paraganglion ist mit
pg.” bezeichnet. Es senkt sich mehr minder tief in das eigent-
liche Nierenparenchym ein und steht mit den grösseren Gefässen
in keinem geweblichen Zusammenhange. Pg.? besteht eigentlich
aus drei voneinander teilweise gesonderten Gruppen chromaffiner
Zellen. An seiner unteren Peripherie liegt ein kleines Ganglion
(sy. g7.), das seinerseits mit einem schwachen marklosen Nervchen
(sy. n.) zusammenhängt. Peg.” ist ebenfalls von sympathischen
Nerven (sy. n.) umgeben. Die in der Niere befindlichen Para-
ganglien stehen aber häufig in keinem nachweisbaren Zusammen-
hange mit dem sympathischen Nervensystem.
VI. Die Wandungen der verschiedensten abdominalen Arterien
und Venen.
Eine fernere Fundstätte schöner Paraganglien sind die Ge-
fässwandungen der Aorta abdominalis und Vena supra-
renalis. Fig. 23, Taf. XXVI stellt ein Stück aus der Aorta
abdominalis einer noch blinden Nestkrähe dar. Von der Tunica
media (med.) wurde nur das äussere Drittel gezeichnet. Die
Adventitia (adv.) ist an der mit zwei Kreuzchen bezeichneten
Stelle (XxX) infolge der Präparation von der Media abgehoben.
In früheren Schnitten lag ein grosses Paraganglion (pg.) ganz in
der Adventitia. Hier stellt es nur mehr eine kleinere Gruppe
chromaffiner Zellen dar. Es setzte sich nur durch einen kleinen
Schlitz in der Media in diese hinein fort. Der in diesem Schnitte
ganz dünne stielförmige Fortsatz wurde bloss von einigen Muskel-
zügen der Media gedeckt und ist hier nicht eingezeichnet worden,
um die eben beschriebenen Verhältnisse klarer zu demonstrieren.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 69. 50
762 Wilhelm Kose:
Innerhalb der Media setzen die chromaffınen Zellen wieder ein
grösseres Paraganglion zusammen. Das ganze Paraganglion
hatte demnach Hantelform und lag mit einem Teil in der
Media, mit dem anderen in der Adventitia. Ersterer wurde
durch keine eigene bindegewebige Hülie von den Muskelfasern
geschieden. Später fanden sich an der Stelle des grossen Para-
ganglion nur vereinzelte, ganz unregelmässig verstreute chrom-
affıne Zellen. An manchen Stellen der Aorta abdominalis und
der verschiedensten anderen Arterien schieben sich die Paragang-
lien bis fast an die Intima heran, ohne jedoch jemals das
Endothel wie bei den Venen zu berühren. Es wäre nun noch
hervorzuheben, dass durchaus nicht alle Paraganglien zu gleicher
Zeit in der Adventitia und Media liegen. Viele durchsetzten
bloss eine einzige von diesen beiden Wandschichten. Manche der
in der Adventitia gelegenen Gruppen chromatffiner Zellen stehen
in einem direkten Zusammenhange mit feinen sympathischen
Nervchen, bei den ausschliesslich in der Media befind-
lichen Paraganglien konnte ich dies niemals sehen.
Von allen zur Beobachtung gelangten venösen Blutgefässen
besass die Vena suprarenalis den grössten Gehalt an chrom-
affınen Zellen. Die aus einem Endothel und relativ wenig Binde-
gewebe und spärlichen Muskelfasern zusammengesetzte Wand war
häufig in ihrer ganzen Dicke von zahlreichen Gruppen und ein-
zelnen chromaffinen Zellen durchsetzt. Waren die ersteren etwas
grösser, so ragten sie entweder nach aussen aus der Venenwand
heraus, oder wölbten das Venenendothel etwas vor sich ins
Lumen vor. Einzelne Gruppen ragten, ich betone es immer —
am fixierten Präparate — knopfartig in das Venenlumen.
Ganz abgesehen von diesen grossen Blutgefässen besitzen
die Wandungen der verschiedensten kleineren und grösseren
Arterien und Venen im Bereiche des ganzen Abdomens
einen wechselnden Reichtum an chromaffinen Zellen. Die Media
der kleinsten Arterien ist oft nur zwei bis drei Muskellagen stark und
trotzdem von kleinen Gruppen chromaffiner Zellen an verschiedenen
Stellen durchsetzt. Im Gegensatze zu den entsprechend dünnen
Venen wölbten sich die Paraganglien der kleinen Arterien niemals
ins Gefässlumen vor.
Infolge reicher Entwicklung des chromaffinen Gewebes kann
es auch vorkommen, dass die kleinen Arterien und Venen auf
Die Paraganglien bei den Vögeln. 763
weitere Strecken hin von dem chromaffinen Gewebe vollständig
eingehüllt werden.
VII. Frei im Bindegewebe gelegene Paraganglien.
Alle hier zur Besprechung gelangenden Gruppen chrom-
affiner Zellen zeigen das eigentümliche Verhalten, dass sie mit
keinem der früher abgehandelten Abdominalorgane in eine geweb-
liche Verbindung treten, sondern frei für sich allein im
Bindegewebe liegen. Ein Teil von ihnen verleugnet seine Zu-
gehörigkeit zum sympathischen Nervensystem nicht, insofern
er mit feinen Nerven oder kleinen Ganglien in Verbindung steht,
ein anderer Teil dagegen hat sich vom Sympathieus vollständig
losgelöst. Als ein Beispiel für solche Paraganglien diene die
Fig. 20a, Taf. XXVI. Diese Gruppe chromaffiner Zellen stammt
aus dem Abdomen einer blinden Nestkrähe und setzte sich
aus einer Anzahl von rundlichen oder länglich-ovalen Zellgruppen
oder Zellballen (zb.) zusammen. Diese waren von Kapillaren
(kpl.) und dünnen Zügen fibrillären Bindegewebes an ihrer Ober-
fläche umgeben, mit Ausnahme von Zellballen zb.° und zb.’, die
bier in der Figur teilweise zusammenhängen, und deren gegen-
seitige Abgrenzung erst in den folgenden Schnitten etwas deut-
licher wurde. Links und rechts von zb.' verlaufen kollabierte
Kapillaren (kpl.). Vergl. auch Fig. 20b, Taf. XXVI, welche einen
Teil des Ballens zb.! bei stärkerer Vergrösserung wiedergibt. Das
Paraganglion ist nur zum grössten Teil gezeichnet worden. Es
wird an seiner Oberfläche von einer bindegewebigen Kapsel (bdg.)
eingehüllt, die am oberen Rande des Paraganglion besonders
dick ist und nach unten zu, immer schwächer werdend, stellen-
weise sich ganz zu verlieren scheint. In der bindegewebigen
Kapsel verlaufen am linken Schnittrande eine kleine quergetroffene
Arterie (art.) und zwei Venen (ven.).
Das ganze Paraganglıon lag vollständig von der Nachbar-
schaft getrennt für sich im lockeren Bindegewebe und selbst die
genaueste Beobachtung liess keinen Zusammenhang mit dem
sympathischen Nervensystem erkennen. Auffallend war der grosse
Reichtum an Kapillaren, welche das Paraganglion nach allen
Richtungen durchzogen.
Die allergrösste Mehrzahl der frei im Bindegewebe gelegenen
Paraganglien zeigt nur sehr selten eine solche Grösse und einen
50*
764 Wilhelm Kose:
so zusammengesetzten Bau. Ich fand sie auch bei keinem der
untersuchten Vögel so schön ausgebildet wie bei den blinden
Nestkrähen. In der Mehrzahl der Fälle bilden die selb-
ständigen Paraganglien kleine, mehr einheitliche Gruppen.
Nirgends stand dieses Paraganglion in einem Zusammenhange
mit dem Sympathicus.
VIII. Cytologie.
Nach Besprechung des allgemeinen Vorkommens und der
Grösse der Paraganglien, wende ich mich nun der Beschreibung
des feineren Aufbaues der sie zusammensetzenden chromaffinen
Zellen zu. Hierbei kann ich mich ganz kurz fassen, indem ich
auf alles das verweise, was ich bei Beschreibung des Paragang-
lion suprarenale gesagt habe. Seine Zellen gleichen in
jeder Beziehung, was die Farbe, Grösse und Struktur von
Kern und Plasma betrifft, den chromaffinen Zellen der ver-
schiedenen im vorhergehenden beschriebenen Paraganglien.
Es gibt nun sowohl an verschiedenen Stellen des ganzen
sympathischen Nervensystems, besonders aber im abdo-
minalen, dann aber auch in den freien und mit den ver-
schiedenen abdominalen Organen verbundenen Paraganglien
eine wechselnde Anzahl von chromaffinen Zellen, welche die Farb-
stoffe gar nicht aufnehmen. Viele von den letzteren erscheinen
in einem satten goldgelben Tone. Wie ich schon bei Be-
schreibung des Paraganglion suprarenale erwähnte, erfahren die
chromaffinen Zellen bei der Fixierung mit Chromgemischen eine
ausschliessliche Geib-. niemals dagegen eine Braunfärbung. Die
oben erwähnten Zellen unterscheiden sich von den anderen chrom-
affınen Zellen, schon in den ungefärbten Präparaten,
durch ihre goldgelbe Farbe. Aber nicht bloss diese eigentüm-
liche Färbung, sondern auch feinere Struktureigentümlichkeiten
des Plasma und der Kerne bilden Differenzierungsmerkmale
zwischen vielen dieser goldgelben und den anderen typischen
chromaftinen Zellen. Das Plasma der ersteren ist häufig nur in
Form eines engmaschigen, aus dünnsten Fädchen zusammen-
gesetzten Retikulum angeordnet. Die Maschen waren leer und
von keinen Granula durchsetzt, wie dies bei den anderen
chromaffinen Zellen stets der Fall ist. (Fig. 20b, Taf. XXVL)
Unter den goldgelben Zellen gibt es aber auch eine geringe
Anzahl, die ebenfalls in ähnlicher Weise Granula enthalten.
2
\
Die Paraganglien bei den Vögeln. 765
Zwischen den einzelnen Zellen (Fig. 20b, Taf. XXVI) sind
Zellgrenzen nur stellenweise in Gestalt schwächerer gelber Linien
(zg.) angedeutet. Meist stehen die endozellulären Netzwerke be-
nachbarter Zellen miteinander in einem ununterbrochenen Zu-
sammenhange. Nur die Lage der Kerne gibt ungefähr die Aus-
dehnung der einzelnen Zellen an. Man kann daher hier mit
Recht von einer syncytialen Anordnung der Zellen sprechen.
Die Kerne dieser goldgelben Zellen sind meist rund oder
oval, seltener mehr unregelmässig (Fig. 24b, Taf. XXIIL, 11). Sie
färben sich recht verschieden stark und besitzen häufig keine
wahrnehmbare oder nur eine ganz verwaschene Struktur. Sie
erscheinen dann in Form matter, nicht scharf konturierter Kreise
oder Scheiben; in der beigegebenen Fig. 20b, Taf. XXVI, war
nur in zwei Kernen ein Kernkörperchen angedeutet.
Für diese goldgelben chromaffinen Zellen ist schliesslich
der Umstand charakteristisch, dass sie stets zu kleineren oder
grösseren Gruppen vereint sind. Entweder setzen sie mit den
übrigen chromaffinen Zellen die verschiedensten Paraganglien zu-
sammen, oder bildeten für sich allein Paraganglien (Fig. 20a,
Taf. XXVD. Die goldgelben chromaffinen Zellen fanden sich an
allen den bisher beschriebenen Fundorten chromaffinen Gewebes
und, wie ich nochmals hervorheben will, öfters in gehäufter Menge
im Paraganglion suprarenale.
Als dritter Zelltypus wären nun jene Zellen zu nennen,
die sich wiederum gar nicht gelb, sondern ausschliesslich mit
Cochenille rot gefärbt haben, die sonst aber in jeder Beziehung
vollständig den gelben chromaffinen Zeilen gleichen. Die Gesamt-
heit dieser Zellen müssen wir in zwei Untergruppen teilen. Die
eine Gruppe dieser roten Zellen glich den braungelb oder braun-
roten, die andere den goldgelben chromaffinen Zellen. Die ersteren
fand ich in verschiedener Menge in zahlreichen Paraganglien. Sie
lagen ganz unregelmässig mitten unter den braunroten oder
braungelben Zellen. Ihr Plasma hatte den reinen Cochenilleton
angenommen, als Beweis dafür, dass sich diese Zellen bei der
Fixierung in Chromverbindungen nicht gelb gefärbt haben. Die
roten Zellen entsprechen in ungefärbten Schnitten solchen,
die sich bei derselben Fixierung entweder nur kaum merklich
oder tatsächlich gar nicht gelb gefärbt hatten. (Vergl. hier den
766 Wilhelm Kose:
Befund nicht gelber chromaffıner Zellen im Paraganglion supra-
renale des einjährigen Hahnes.)
In der Fig. 18, Taf. XXVI, liegt am unteren Rande des
Paraganglion eine solche violette chromaffine und grosskernige
Zelle (chrz.?). Ein Vergleich zwischen ihr und den braunroten
chromaffinen Zellen zeigt ohne weiteres die Gleichheit beider
Zellarten. In der Figur lag die violette chromaffine Zelle dem
Paraganglion nur von aussen an, genau dieselben Zellen finden
sich aber auch häufig im Innern der Paraganglien. Aus dem
völlig gleichen Aussehen und aus der weitgehenden Vermengung
der beiden Zellarten, glaube ich schliessen zu dürfen, dass auch
die rotvioletten Zellen (d.h. die nicht gelben chromaffinen Zellen)
zu den chromaffinen zu zählen sind. Die Grösse der Kerne dieser
Zellen ist genau dieselbe wie bei den gelben chromaffinen Zellen.
Manche von den ersteren besitzen aber auch kleinere Kerne (Fig. 18,
Taf. XXVI chrz.!) inanaloger Weise wie diegelben chromaffinen
Zellen.
Es gibt nun eine verschieden grosse Anzahl von nicht gelben
Zellen, die fast durchwegs kleinere Kerne besitzen und sich durch
die Struktur ihres Plasma deutlich von den bis jetzt beschriebenen
nicht gelben chromaffinen Zellen unterscheiden. Sie sind viel-
mehrdengoldgelbenchromaffinen Zellen auffallend
ähnlich. (Vergl. hier die Fig. 22a mit 20a, Taf. XXVI und
Fig. 22b mit 20b, Taf. XXVL) Diese kleinkernigen nicht
gelben Zellen besitzen ebenfalls ein aus feinen Protoplasmafäden
gebildetes Netz- und Maschenwerk. während die grosskernigen
nicht gelben Zellen geradeso wie die gelben chromaffinen Zellen
granuliert sind. Die Lücken des intrazellulären Maschenwerkes
sind bier wie bei den goldge!ben Zellen leer. Im Gegensatze zu
den letzteren war der Kern mancher nicht gelben, in der Fig. 22b
rotvioletten Zellen viel deutlicher vom Plasma umgeben (Zelle a
und b Fig. 22b). Dieses war dann mehr homogen und nicht
retikuliert. Die Kernstruktur war in vielen nicht gelben klein-
kernigen Zellen gerade so wie bei den goldgelben chromaffinen
Zellen mehr minder verwischt, dennoch aber in einer relativ
grösseren Zahl von Kernen deutlicher zum Ausdrucke gebracht.
Die Fig. 22a und b, Taf. XXVI, geben die betreffenden Ver-
hältnisse wieder. Fig. 22a ist ein Übersichtsbild. Das von einer
gemeinsamen bindegewebigen Kapsel umschlossene Paraganglion
Die Paraganglien bei den Vögeln. 767
setzt sich nur zur einen Hälfte aus den braunroten (gelben)
chromaffinen Zellen (chrz.), zur anderen aber aus den klein-
kernigen violettroten (nicht gelben) Zellen (vlt. chrz.)
zusammen. Von der gemeinsamen äusseren bindegewebigen Hülle
zweigt an der unteren Peripherie des Paraganglion ein dünnes
Faserbündel (bdg.') ab, das zum Teil die braunroten und violett-
roten Zellen voneinander scheidet. Am oberen Rande des Para-
ganglion dringen die Fasern dieses Septum zwischen die braun-
roten Zellen.
Bevor ich nun die Befunde übersichtlich zusammenfasse,
will ich die Kernformen der verschiedenen gelben und nicht
selben chromaffinen Zellen im Zusammenhange noch einmal be-
sprechen. Im übrigen verweise ich betreffs der feinsten Details
auf das Kapitel Paraganglion suprarenale.
1. Die Kerne der gelben, in den Figuren auf Taf. XXVI,
braunroten Zellen sind gross, rund oder mehr längs-
oval, deutlich konturiert, oft wie leer, d.h. sie besitzen
mit Ausnahme des Kernkörperchens fast keinen anderen
geformten Inhalt. Die färbbaren Substanzen sind in Form
von ein oder zwei grösseren und mehreren kleineren
Partikeln unregelmässig im Kerne verteilt. Die Grösse
der Kerne schwankt zwischen 0,004—0,008 mm. Gerade
so wie die Grösse, zeigt auch die Intensität der Kern-
färbung verschiedene Abstufungen.
2. Die Kerne der goldgelben chromaffinen Zellen, Fig. 20a
und b, Taf. XXV], sind klein (0,004—0,005 mm) rundlich
oder oval, selten mehr unregelmässig. Meist zeigen sie
eine lebhafte Färbung, doch trifft man unter ihnen auch
weniger tingierte an. Die Kernstruktur ist oft ganz ver-
waschen oder überhaupt nicht zu erkennen. Die Kerne
haben keine so scharfen Konturen wie jene der braun-
roten (gelben) chromaffinen Zellen, sie bilden vielmehr
matt gefärbte Scheiben.
3. Im Vergleiche zu den Kernen der goldgelben Zellen
zeigen die genau so grossen Kerne der rotvioletten klein-
kernigen Zellen (Fig. 22a und b, Taf. XXVI) das ganz
gleiche oder ein auffallend ähnliches Aussehen. Sie
bilden genau solche mehr minder lebhaft violett gefärbte
matt konturierte Scheiben. Die Innenstruktur ist in
768 Wilhelm Kose:
einer grösseren Anzahl von Kernen deutlicher als bei
den goldgelben chromaffinen Zellen ausgeprägt.
4. Schliesslich wären hier noch die grossen Kerne der
violetten (nicht gelben) chromaffinen Zellen zu erwähnen
(Fig. 18, Taf. XXVI, chrz.?), die in jeder Hinsicht denen
der braunroten oder braungelben chromaffinen Zellen
gleichen.
Nach dieser übersichtlichen Zusammenstellung der ver-
schiedenen Kernformen wende ich mich nun der vergleichenden
Schlussbetrachtung zu.
IX. Schlussbetrachtungen.
Die chromaffinen Zellen treten unter dem Bilde oft so ver-
schiedener Typen auf, dass es auf den ersten Blick schwer fällt,
ihre Zusammengehörigkeit zu erkennen. Wie wir gesehen haben,
können wir bei Chromfixierung und Oochenillefärbung
mehrere Unterarten erkennen. Da die meisten der einschlägigen
Präparate mit Cochenille gefärbt waren, so ist hier haupt-
sächlich von dieser Methode die Rede. Bezüglich der Wirk-
samkeit der anderen Farbstoffe gilt aber mit gewissen
Modifikationen dasselbe, was betreffs des Cochenille beschrieben
wurde.
Die Gruppen, in welche wir die Gesamtheit der chromaffinen
Zellen einteilen können, sind nun folgende:
I. Die braunroten oder braungelben grosskernigen
Zellen. (Fig. 16, 18, 19, 21, 22a, 23, Taf. XX VI.)
2. Die nicht gelben, ausschliesslich violettroten Zellen, die
den vorhergehenden vollkommen gleich sind. (Fig. 18,
Taf. XXVI, chrz.?).
3. Die goldgelben, kleinkernigen chromaffinen Zeilen. (Fig.
20a u.b, Taf. XXVL)
4. Die kleinkernigen violettroten Zellen, welche ihrerseits
den unter 3. subsummierten goldgelben Zellen auffallend
ähnlich sind. (Fig. 22a u. b, Taf. XXVI)
Welche Berechtigung habe ich nun, diese unter 2. u. 4.
zusammengefassten Zellen zu der gemeinsamen Hauptgruppe der
chromaffinen Zellen zu zählen? Der Mangel jeglicher Gelbfärbung
ist an und für sich kein Grund dagegen, ich erinnere hier nur
an die nicht gelben Zellen des Paraganglion suprarenale
Die Paraganglien bei den Vögeln. 769
des einjährigen Hahnes und an die farblosen Zellen
des Paraganglion caroticum. Es trifft sich mun sehr
günstig, dass die nicht gelben (hier violettroten), in ihrem Auf-
bau in jeder Beziehung den gelben chromaffinen Zellen gleichen.
Ihre gegenseitige Zusammengehörigkeit dokumentiert sich also
schon zum Teil durch das vollkommen gleiche Aussehen. Ein
weiterer wichtiger Grund ist die innige wechselseitige Vermengung
von violetten (nicht gelben) und braungelben chromaffınen Zellen
in den verschiedensten Paraganglien. Die unter 2. beschriebenen
Zellen liegen unmittelbar neben den braunroten chromaffinen
Zellen in ganz unregelmässiger Anordnung, während die Zellen 4
eine grössere Selbständigkeit besitzen und daher eigene Gruppen
bilden. Die Zellen 2 und 4 stehen in demselben ge-
weblichen Zusammenhange mit dem sympathischen
Nervensystem, wie die typischen chromaffinen
Zellen.
Aus ihrer völligen Gleichheit mit den gelben chromaffinen
Zellen, ferner aus der weitgehenden Vermischung der gelben mit
den violetten (nicht gelben) Zellen und schliesslich aus der gleichen
Verbindung beider Zellarten mit dem Sympathicus glaube ich die
Berechtigung herleiten zu dürfen. auch die nicht gelben,
hier violettroten, Zellen zu den chromaffinen zu zählen. Wir
würden also die Gesamtheit der letzteren in die vier oben
erwähnten Untergruppen teilen müssen. Anhangsweise reihe ich
hier noch alle jene Zellen an, die auf einer embryonalen Stufe
der Entwicklung stehen geblieben sind und im Vereine mit
typischen chromaffinen Zellen die verschiedensten abdominalen
Paraganglien zusammensetzten. Diese Zellen haben bei der
Beschreibung des Paraganglion suprarenale eingehend Berück-
siehtigung erfahren. Ich verweise daher auf dieses Kapitel.
Eine andere Frage ist nun die, ob das verschiedene Aussehen
der einzelnen Zellen bloss als Ausdruck einer bei den verschiedenen
Zellen verschieden weit gegangenen physiologischen Tätigkeit
aufzufassen ist, oder ob es so viele Unterarten von chromaffinen
Zellen als verschiedene Zellformen gibt. Ich glaube nicht, dass
eine sichere Entscheidung heute schon gefällt werden kann, es
muss denn doch noch das Ergebnis embryologischer Untersuchungen
abgewartet werden. Infolge meiner Untersuchungen lässt sich
nur folgendes sagen:
770 Wilhelm Kose:
Es geht wohl nicht gut an in den Farbendifferenzen der
einzelnen chromaffinen Zellen allein schon einen Anhaltspunkt
für ihre Einteilung in verschiedene Unterarten zu haben. Die
Affinität der einzelnen chromaffinen Zellen zu den verschiedenen
Farbstoffen ist sehr verschieden stark ausgeprägt. Neben gelb
gebliebenen Zellen liegen unmittelbar solche, welche infolge von
Aufnahme grösserer Farbstoffmengen fast die Eigenfarbe dieser
besitzen. Zwischen diesen Extremen in der Färbung gibt es aber
alle nur erdenklichen Übergänge. Fände man unter den chrom-
affıinen Zellen bloss maximal oder fast gar nicht gefärbte, so könnte
man aus der Grösse der Farbendifferenz und infolge jeglichen
Mangels von Übergängen schon eher auf eine wesentliche Ver-
schiedenheit der betreffenden Zellen schliessen. So bildet aber
die zwischen den Extremen der Färbung vorhandene Gesamtheit
der Farbabstufungen eine grosse und mannigfaltige zusammen-
hängende Reihe, sodass man folgerichtig zur Annahme ebenso
zahlreicher Arten unter den chromaffinen Zellen gezwungen wäre,
wollte man die Differenzen in der Färbung der einzelnen
chromaffinen Zellen einer solchen Einteilung zugrunde legen.
Das Willkürliche und Unzulässige eines solchen Vorgehens liegt
auf der Hand. Es fragt sich nun, ob die einzelnen Zellen ausser
ihrer verschiedenen Farbe sonst noch ein verändertes histolo-
gisches Bild darbieten, und ob zwischen diesem und den Farb-
differenzen irgendwelche gesetzmässigen Beziehungen bestehen.
Ich kann es hier gleich vorweg erwähnen, dass es mir nicht
gelang, solche mit Sicherheit aufzudecken. Es gibt z. B. Zellen,
deren Plasma gleich stark gefärbt und in gleicher Weise von
(Granula durchsetzt ist; ihre Kerne aber zeigen auffallende Ver-
schiedenheiten in der Grösse, Form und Farbe. Will man hier
aus den cytologischen Veränderungen auf solche in der physio-
logischen Tätigkeit der Zellen schliessen, so können nur die
Differenzen im Aussehender Kerne hierfür herangezogen werden.
Umgekehrt gibt es Zellen, die in bezug auf den Kern und
das Plasma völlig gleich gebaut sind und sich bloss durch die
Farbe des Plasma oder ihrer Kerne unterscheiden.
Ferner findet man eine genügende Anzahl von Zellen, die
gleich grosse und gebaute Kerne, dagegen ein verschiedenes
Plasma haben, sei es dass dieses mehr gleichmässig granuliert,
oder von einer verschieden grossen Menge von Vakuolen durch-
Die Paraganglien bei den Vögeln. Tal
setzt oder different gefärbt ist. Eine Veränderung in der spezifischen
Tätigkeit würde sich in diesen Fällen im Gegensatze zu den
zuerst beschriebenen nur durch Verschiedenheiten im Aufbaue
des Plasma kundgeben.
Der Wechsel im Aussehen der einzelnen chromaffinen Zellen
ist ein sehr grosser und man kann nur sagen, dass die einzelnen
Phasen im individuellen Zelleben entweder nur in Veränderungen
des Kernes oder des Plasma oder aber in solchen an beiden
Zellbestandteilen zugleich ihren Ausdruck finden, ohne dass
es gelingt, aus dem cytologischen Bilde einen
sicheren Schluss auf den Grad oder die Art der
Funktion zu ziehen.
Ich möchte daher die ganz überraschende Mannigfaltigkeit
im Aussehen aller jener gelben chromaffinenZellen,
die sich mitden diversen Farbstoffen mehr minder
lebhaft färben, nur durch eine verschieden weit
vorseschrittene physiologische. Tätigkeit, der
Somst, einander-im Wesen gleichen Zellen, er-
klären.
Im Gegensatze zu der Gesamtheit dieser Zellen stehen alle
jene, die sich mit den verschiedenen Farbstoffen gar nicht gefärbt
hatten und eine ganz spezifische, satte goldgelbe
Farbe aufweisen. Sie unterscheiden sich aber auch durch ihr
anderweitiges cytologisches Aussehen von den übrigen chrom-
affınen Zellen. Ihr Plasma ist meist in Form eines feinen Netz-
werkes angeordnet, dessen Lücken in der Regel frei von Granula
sind. Die Kerne sind meist strukturlos und nicht scharf konturiert.
Ich möchte nun diese goldgelben chromaffinen Zellen in einen
gewissen Gegensatz zu den übrigen stellen und sie als eine
besondere Unterart zusammenfassen.
Die goldgelben Zellen bilden entweder, wie es in Fig. 20a,
Taf. XXVI, abgebildet ist, ganze Paraganglien für sich oder aber
setzen im Vereine mit den anderen chromaffinen Zellen. diese
zusammen. Im letzteren Falle mischen sie sich nicht regel-
los unter die anderen chromaffinen Zellen, sondern liegen auch
da in kleineren oder grösseren Gruppen beisammen.
Man könnte nun auch folgender Anschauung Raum geben,
dass diese granulafreien goldgelben Zellen mit ihren strukturlosen
Kernen vielleicht nur ermüdete oder erschöpfte typische chrom-
112 Wilhelm Kose:
affıne Zellen sind. Gegen diese Annahme spricht ausser den schon
oben angeführten Gründen. dass bei einer gewissen Anzahl von
diesen goldgelben Zellen das Plasma ebenfalls granuliert
sein kann.
Wie verhält es sich nun mit den nicht gelben, inden
Figuren violettroten, Zellen? Ich habe schon früher
die Ansicht ausgesprochen, dass ich sie infolge ihres Aufbaues
und ihrer Anordnung, trotz des völligen Mangels einer Gelbfärbung
zu den chromaffinen Zellen zählen muss. Beiallen vereinzelten,
zwischen den lebhaft gelb (hier braunrot oder braungelb) gefärbten
Zellen verstreut liegenden violettroten Zellen könnte man ja
zweifeln, ob man in dem Mangel der Gelbfärbung bloss den
morphologischen Ausdruck eines bestimmten Stadiums in der
Funktion erblicken, oder ihn im Sinne einer von Anfang an ver-
änderten, spezifischen Zelltätigkeit deuten soll. Im Gegensatze
zu diesen vereinzelten unter 2., Seite 768, beschriebenen Zellen
möchte ich die unter 4. zusammengefassten, den goldgeiben, klein-
kernigen chromaffinen Zellen (3., Seite 768) sehr ähnlichen Zellen
speziell hier erwähnen.
Z wei Möglichkeiten können zur Erklärung der gegenseitigen
Ähnlichkeit zwischen den Zellen (3) und (4) dienen. Entweder
bilden die Zellen (4) einen Zelltypus für sich, oder sie sind mit
den goldgelben Zellen (3), denen sie ja bis auf die Farbe
täuschend ähnlich sehen, aufs nächste verwandt, wenn nicht gar
mit ihnen identisch. Man könnte ja daran denken, dass die Zellen
(4) nur ermüdete oder erschöpfte Zellen (3) seien. Für diese
Anschauung könnte auch ihre ähnliche Anordnung zu mehr
selbständigen Gruppen herangezogen werden.
Die Einteilung der chromaffinen Zellen wird sich je nach
dem Standpunkte, den man nach den vorausgegangenen Aus-
führungen einnehmen will, verschieden gestalten. Trennt man
die Zellen (4) von den Zellen (3) und diese wieder von der Ge-
samtheit der übrigen chromaffinen Zellen ab, so erhalten wir
folgende Unterarten:
1. Die weitaus grösste Mehrzahl der chromaffinen Zellen;
diese färben sich mit den diversen Farbstoffen mehr
minder lebhaft. (1., Seite 768.)
2. Die goldgelben chromaffinen Zellen. (3., Seite 768.)
—I
u |
w.
Die Paraganglien bei den Vögeln.
3. Die kleinkernigen nicht gelben chromaffinen Zellen.
(4, Seite 768.)
4. Die grosskernigen unter (2., Seite 768) subsummierten
Zellen. Die Selbständigkeit dieser Gruppe ist aber sehr
fraglich.
Nimmt man jedoch die Trennung in einer anderen Weise
vor, so würden die chromaffinen Zellen in zwei Haupt-
gruppen zerfallen: 1. Die mit den Farbstoffen sich färbenden
Zellen. (1., Seite 768). 2. Die goldgelben Zellen. (3., Seite 768).
Die kleinkernigen, nicht gelben Zellen (4., Seite 768) wären dann
nur als ermüdete oder erschöpfte goldgelbe Zellen (3., Seite 768)
und die grosskernigen nicht gelben (4., Seite 768) als solche
gelbe chromaffine Zellen (1., Seite 768) aufzufassen. Die klein-
kernigen, nicht gelben chromaffinen Zellen könntenaber auch
nur Entwicklungsstadien der gelben chromaffinen Zellen
darstellen. Da ich diese- Zellen nur bei jungen Vögeln fand,
so hat diese Anschauung auch eine gewisse Berechtigung. Erst
eine grössere Zahl von untersuchten alten Vögeln derselben
Arten wird vielleicht über den letzten Punkt Aufschluss geben.
Ich glaube aber nicht, dass man das oft so total
verschiedene Aussehenallerunterlibis4zusammen-
gefassten Zellen nur durch eine verschieden weit
gegangene Zelltätigkeitim übrigen histologisch und
physiologisch gleichwertiger Zellen, erklären kann.
Würde man bei den gelben chromaffinen Zellen auch
zweifeln können, ob es wirklich verschiedene Arten unter ihnen
gibt, so kann man dies im Hinblicke auf sie und die farblosen
chromaffinen Zellen des Paraganglion caroticum
nicht tun. Diese sind von den gelben chromaffinen Zellen denn
doch zu verschieden, als dass man sie so ohne weiteres mit diesen
vergleichen darf. Gerade die farblosen chromaffınen Zellen
geben einem die Berechtigung, die Gesamtheit der chromaffınen
Zellen in verschiedene Arten einzuteilen. Es hat daher nichts
Ungerechtfertigtes an sich, wenn man auch die gelben chrom-
affınen Zellen noch in weitere Unterabteilungen zerfällt.
8. Nachtrag.
Kurze Zeit nach Abschluss meiner Arbeit erschien in diesem
Archiv, 67. Bd., Heft 3, eine Abhandlung von F. Krauss, be-
1714 Wilhelm Kose:
titelt: „Der Zusammenhang zwischen Epidermis und
Cutis bei Sauriern und Krokodilen.“ Krauss be-
schreibt in ihr unter anderem die interessante Tatsache, dass
sich ein Teil des in der Cutis befindlichen fibrillären Bindegewebes
bei den von ihm untersuchten erwachsenen Exemplaren nur
schwer oder gar nicht mit dem Säurefuchsin färbt. Wie wir
gesehen haben, zeigt auch das fibrilläre Bindegewebe der Vögel
an verschiedenen Stellen im Körper ein ähnliches oder ein voll-
ständig gleiches Verhalten. Krauss gelangte ganz unabhängig
von mir zu seinen Resultaten. Die wichtigsten Tatsachen, die ich in
der vorliegenden Arbeit ausführlich besprochen habe, waren mir
aber schon vor dem Jahre 1904 bekannt. Eine diesbezügliche
ganz kurz gefasste Stelle meiner damaligen vorläufigen Mitteilung
(Kose 13) Seite 613 lautet wörtlich: „Zur Entscheidung der
Frage betrefis der feinsten Verzweigungen des Bindegewebes
muss ich noch weitere Färbungen unternehmen. Den Grund
hierfür bildet der Umstand, dass die gewöhnlichen spezifischen
Bindegewebsfärbungen nach van Gieson, Hansen, Apäthy,
sich zur sicheren Darstellung des interstitiellen Bindegewebes
der Nebenniere insofern als unzulänglich erwiesen, als sich
nur einzelne Partien des Bindegewebes in den einzelnen Schnitten
regelrecht rot färbten, während im Gegensatze dazu unmittelbar
neben diesen Stellen liegendes Bindegewebe eine mehr oder
minder lebhafte deutliche Gelbfärbung zeigte.“
Die weitgehende Übereinstimmung, welche zwischen den
Angaben von Krauss und mir herrscht, veranlasst mich hier
auf seine Arbeit etwas näher einzugehen. Diejenigen Stellen, welche
vergleichshalber das grösste Interesse besitzen, lauten wörtlich:
Seite 349: „Dies ist derjenige Typus, bei welchem zwar ein
bindewebiger Zusammenhang zwischen Epidermis und Cutis vor-
handen ist, wo aber die an die basalen Epidermiszellen grenzenden
Partien der Bindegewebsfasern sich durch eine fehlende oder ver-
ringerte Färbbarkeit für Collagenfarbstoffe auszeichnen, in der
Art, dass die Färbbarkeit in umso stärkerem Maße abgeschwächt
ist, je näher die Bindegewebsfaser sich dem Epithel befindet.
Siehe Abbildung 11, Tafel XXIV. Hatteria, Rückenhaut. (Em-
bryonale Achromie.) Man kann Fasern verfolgen, besonders in
den Schuppen, bei welchen auf weite Strecken hin die Färbbar-
keit für sämtliche collagenen Farbstoffe, auch für Mallory-
Die Paraganglien bei den Vögeln. 718
Stöhrsche und Un nasche Säurefuchsinfärbung eine sehr schwache,
fast unmerkbare geworden ist. Auf beistehenden schematischen
Abbildungen Fig. 3 und 4 sehen wir das Verhalten solcher Fasern
ebenfalls erläutert. Die Bindegewebsfasern bieten das Aussehen
von Hyalinfasern dar oder haben eine diffus verwaschene, sehr
blasse collagene Färbung (präcollagenes Stadium). Dabei fangen
oft einzelne Fibrillen eines Bindegewebsbündels im Verlauf zu
den tieferen Partien der Cutis bereits früher an sich zu färben.
Namentlich färben sich die feineren Randfibrillen eines Binde-
gewebsbündels oft schon höher oben in der Nähe der Epithelgrenze,
während die übrigen Fibrillen ungefärbt bleiben. Gerade wie wir
dickere Bindegewebsbündel vom basalen Epithelsaum entspringen
sehen, so.sehen wir auch oft kollagenfreie, feinste Bindegewebs-
fibrillen meist von zipfelförmig gestalteten Ausläufern der basalen
Epidermiszellen abgehen und sich zu einem feinen Netze verbinden,
welches wenig oder gar nicht färbbar ist. (Siehe Hatteria, Ab-
bildung 11, Taf. XXIV. Agama inermis, Abbildung 9, Taf. XXIV.)
In allen diesen Fällen der Collagenbildung erscheint natürlich die
collagene Abgrenzung der Cutis von der Epidermis als eine
fehlende oder unvollkommene. In Bezug auf die des Collagens
entbehrenden Bindegewebsbündel möchte ich annehmen, dass
dieselben einer unvollkommenen Differenzierung des Protoplasma
zu Bindegewebe ihre Entstehung verdanken und chemisch viel-
leicht mit dem Hyalin verwandt sind.“
Auch ich habe gezeigt, dass bei den Vögeln manchmal
nur einzelne bindegewebige Fasern, die in unmittelbarer
Nähe lebhaft rot gefärbter lagen, gar nicht oder nur
sehr wenig das Säurefuchsin aufnahmen. Dann wieder waren
es im Gegensatze dazu ganze grössere Abschnitte des
Bindegewebes, ja manchmal das gesamte in den Schnitten
enthaltene Bindegewebe, welches eine mangelnde oder aber voll-
kommen fehlende Affinität zu dem Säurefuchsin besass. Diese
Partien blieben entweder farblos oder aber färbten sich häufig
durch die Pikrinsäure gelb.
Darin besteht zwischen Krauss und mir ebenfalls Über-
einstimmung, dass wir an jenen Stellen, an denen das Säurefuchsin
versagte, noch mit der Methode von Mallory-Stöhr eine
positive Färbung erzielen konnten. Ich hebe hier aber nochmals
ganz besonders hervor, dass die Färbung nach Freeborn bei
116 Wilhelm Kose:
Vorbehandlung der Präparate mit reiner Müllerscher Flüssig-
keit oder einem Gemisch von ihr und Formol im Ver-
hältnisse 9:1 die allerglänzendsten Resultate ergab. Krauss
gibt an, dass seine Färbungen am besten nach der Fixierung in
Zenkerscher Flüssigkeit ausfielen. Möglich ist es, dass hier
das in ihr enthaltene Kaliumbichromat das Gelingen der
Färbungen in günstigem Sinne beeinflusste. Ich muss nach meinen
Erfahrungen, da ich die Zenkersche Flüssigkeit nur relativ
selten anwendete, der Mischung Müllersche Flüssigkeit 9:
Formol 1 entschieden den Vorzug geben. Es wäre nun
im höchsten Grade interessant, zu erfahren, wie sich das fibrilläre
Bindegewebe der von Krauss untersuchten erwachsenen Exem-
plare bei Fixierung der Haut in der Müller-Formollösung
den verschiedenen Farbstoffen, insbesondere aber jenem von Free-
born gegenüber verhalten würde.
Krauss gelangt infolge seiner embryologischen Unter-
suchungen zu dem Schlusse, dass alle jene bindegewebigen Fasern
und Faserbündel, welche beim erwachsenen Tiere eine geringe
oder fehlende Affinität zu dem Säurefuchsin besitzen, zeitlebens
einen embryonalen Charakter bewahren. Den Begriff des
Kollagens fasst Krauss etwas anders, als dies Unna zufolge
der Fall wäre Er sagt auf Seite 346: „Ich werde im
weiteren Verlaufe der Arbeit der Einfachheit halber
stets unter collagener Beschaffenheit des Gewebes
die Eigenschaft desselben verstehen, die Fuchsin-
färbung anzunehmen, wenn auch, wie ich wohl
weiss, beide Ausdrücke sich nicht immer genau ent-
sprechen.“
Es ist nun sehr verlockend, die Auffassung von Krauss
auch dem färberischen Verhalten des fibrillären Bindegewebes der
Vögel zugrunde zu legen. Dennoch bestimmen mich mehrere
Gründe, vorläufig von einer Erklärung ganz abzustehen
und einfach die beobachteten Tatsachen aufzuzählen. Vor allem
fehlen mir diesbezügliche embryologische Untersuchungen, die
mich zu einem Schlusse im Sinne von Krauss berechtigen würden.
Dann wäre es doch höchst merkwürdig, wenn so ausgedehnte
Abschnitte des fibrillären Bindegewebes, wie dies so oft beim
Vogel vorkommt, zeitlebens auf einer embryonalen Stufe der
Entwicklung verharren sollten. Diese mit dem Säurefuchsin
NE
|
Die Paraganglien bei den Vögeln.
schlecht oder gar nicht gefärbten Partien färbten sich überdies
nach Mallory-Stöhr oder Freeborn grösstenteils tadellos
und zeigten dabei meist eine normale Struktur. Dies ist der
beste Beweis, dass es sich dabei nicht ausschliesslich um
embryonale Verhältnisse handeln kann.
Ich bleibe daher vorläufig bei meiner im vorhergehenden
abgegebenen ganz allgemein gehaltenen Annahme, dass bei den
Vögeln uns noch unbekannte Ursachen die chemische Zu-
sammensetzung des fibrillären Bindegewebes in einer ganz eigenen
Art verändern. Seine besondere Farbreaktion bildet dann dafür
einen deutlichen morphologischen Ausdruck.
Die von Krauss angewendeten Färbungsmethoden werde
ich bei Gelegenheit auch bei den Vögeln anwenden und nicht
verfehlen über die damit erzielten Resultate zu berichten, falls
es mir gelingen sollte, mit ihnen noch bessere Frfolge als mit
der Freebornschen Methode zu erreichen.
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1898.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIV—XXV1l.
Folgende Figuren wurden von Herrn Richard Scholz, Kunstmaler in
Dresden ausgeführt: Sämtliche Figuren auf Taf. XXIV und XXVI und
die Fig. 7, 8, 13a u. 13b auf Taf. XXV; die übrigen Fig. 9, 10, 11, 12,
14, 15 auf Taf. XXV habe ich selbst angefertigt.
Tafel XXIV.
Fig. 1. Ein Zellballen farbloser chromaffiner Zellen aus dem
Paraganglion suprarenale eines alten Kreuzschnabels
(Loxia ceurvirostra). Müllersche Flüssigkeit 9: Formoll. 5 a.
r
Fig.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 779
Mallory-Stöhr. Zeiss, hom. Irmmersion 2. num. Ap. 1,30.
Kompens.-Ok. 12. Tub. 160. Vergr. 1500.
Das gesamte Paraganglion, dem dieser Zellballen entstammt,
setzte sich aus 6—8 solcher Zellbalien zusammen. Das ganze
Paraganglion lag mit der einen Seite einem aus gelben chrom-
affinen Zellen bestehenden Zellstrange des Paraganglion suprarenale,
mit der zweiten einer grossen Vene, und mit der dritten der
äusseren bindegewebigen Kapsel der sogen. „Nebenniere* (Para-
ganglion suprarenale — Nebenniere) von innen an. Die einzelnen
Zellballen wurden von stärkeren oder schwächeren Fortsetzungen
des Bindegewebes der Kapsel umhüllt. Die Kerne des ge-
zeichneten Zellballens liegen in einem vollkommen einheit-
lichen leicht granulierten Protoplasma; nirgendsistein Zerfall
in einzelne Zellen wahrzunehmen. Für solche Paraganglien
würde am besten der von Sig. Mayer für Amphibien und
Reptilien vorgeschlagene Terminus „Kernnest“ passen. Ver-
gleichshalber ist hier eine Ganglienzelle aus einem benachbarten
sympathischen Ganglion miteingezeichnet worden. In einigen
anderen Zellballen waren die chromaffinen Zellen durch Binde-
gewebsfasern voneinander geschieden. Solche aus farblosen
chromaffinen Zellen zusammengesetzte Paraganglien oder Zellballen
lagen in innigster Verbindung mit den gelben chromaffinen Zellen
in der ganzen Peripherie des Paraganglion suprarenale.
Ferner durchsetzten sie die in der Nähe des letzteren befindlichen
sympathischen Nerven und Ganglien, in analoger Weise,
wie am Halse der Krähen.
Ein kleines aus sieben farblosen chromaffinen Zellen
aufgebautes Paraganglion aus dem grossen in der Nähe
des Paraganglion caroticum befindlichen, sympatischen
Ganglion einer alten Krähe (Corvus frugilegus). Müller-
sche Flüssigkeit 9: Formol 1. 5 „. Mallory-Stöhr. Zeiss,
hom. Immersion 2. num. Ap. 1,30. Kompens.-Ok. 12. Tub. 160.
Vergr. 1500.
Das Paraganglion besass keine eigene bindegewebige Hülle,
sondern wurde von den Nervenfasern des Ganglion allseitig
und unmittelbar umgeben. Die Nervenfasern sind der Einfach-
heit wegen nicht erst gezeichnet worden. Die dunkler blauen
Kerne (endonr. kr.) in der Peripherie gehören dem endoneuralen
Bindegewebe an. Am linken Rande stiess eine Ganglienzelle (gz.)
unmittelbar an das Paraganglion. Anordnung der Kerne wie in
Fig. 1, Taf. XXIV. In der unteren Peripherie der Zellgruppe liegt ein
mehr dreieckiger, dunkler blau gefärbter Kern (endonr. kr!.), der
aber, wie ein Vergleich der nächsten Serienschnitte zeigt, eigent-
lich länglich ist. Dieser Kern gehört zu einem schwächeren
Faserzuge des endoneuralen Bindegewebes, der nach links oben
zieht, und das Paraganglion in zwei ungleiche Hälften teilt.
51*
Fig.
4,
Wilhelm Kose:
Ein aus farblosen chromaffinen Zellen zusammenge-
setztes Paraganglion vom rechten Vorhofe einer alten
Saatkrähe (Corvus frugilegus). Müllersche Flüssigkeit
100 : Eisessig 5. 10 „. Hämalaun 2: Agq.dest.1. Zeiss, Ap. 4.
Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372.
Das aus mehreren Zellballen (zb.'°) bestehende Paraganglion
verbindet sich mit dem rechts befindlichen grossen sympathischen
Nerven (sy.n.) in der Weise, dass das Epineurium (epnr.) des
letzteren auch das ganze Paraganglion in Gestalt einer binde-
gewebigen Kapsel überzieht. Unten zweigt an der Grenze zwischen
Nerv und Paraganglion ein nach oben rechts verlaufendes Septum
vom Epineurium ab, das in diesem Schnitte das Paraganglion
zum grössten Teil vom Nerven scheidet. Ganz oben aber ziehen
Nervenfasern direkt in das Innere des Paraganglion. Das Septum
besass in den anderen Schnitten noch mehrere Lücken, durch
welche die Nervenfasern direkt in das Paraganglion zogen. Das
Grundgewebe des letzteren, in welchem die einzelnen Zellballen
ohne eine eigene bindegewebige Hülle liegen, besteht aus-
schliesslich aus sympathischen Nervenfasern, die nur die
Fortsetzung des grossen Nerven (sy. n.) bilden. Der Zellballen
(zb.') und (zb.*) sind mehr kugelrund, die anderen (zb.?,?,°) sind
bloss angeschnitten. Zahlreiche Kapillaren (kpl.) im Innern und
in der Peripherie der einzelnen Zellballen. Man beachte die
scharfen Konturen um manche chromaffıne Zellen.
Ein kleiner Abschnitt aus den Randpartien des Para-
ganglion caroticum einer alten Saatkrähe (Corvus
frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 „. Häma-
toxylin (Delafield). Zeiss. Ap. 4. Kompens.-Ok.6. Tub. 160.
Vergr. 372.
Auch hier wird genau so wie in der Fig. 3, das Stroma, in
welchem die ebenfalls vollständig hüllenlosen Zellballen
(zb.'®) liegen, ausschliesslich von zahlreichen sympathischen
Nerven (sy. n.) zusammengesetzt, die von rechts, links und oben
herbeiziehen. Diese Nerven verflechten sich gegenseitig aufs
innigste. Ihr Epineurium (epnr.) bildet an der Oberfläche des
ganzen Paraganglion eine gemeinsame bindegewebige Kapsel.
An der mit einer Klammer und einem Kreuzchen (_ + __) bezeich-
neten Stelle setzte sich das eigentliche zellige Parenchym des
Paraganglion caroticum weiter fort. Gehalt der zwischen
den Zellballen verlaufenden Nerven an vereinzelten farblosen
chromaffinen Zellen (chrz.'*) und kleinen von ihnen zusammen-
gesetzten Gruppen (chrz. kr.). Gestalt der einzelnen Zellballen
mehr länglich. Der Zellballen (zb.?) ist nur angeschnitten. Zahl-
reiche Kapillaren. Vollständige Übereinstimmung im Aufbaue mit
Fig. 1. Man beachte besonders in Zellballen (zb.?) die scharfen Kon-
turen um die einzelnen farblosen, oft wie leeren, chromaffinen Zellen.
Fig.
Fig.
1
Die Paraganglien bei den Vögeln. sl
Ein Abschnitt aus dem grossen dem Paraganglion caro-
ticum benachbarten sympathischen Ganglion einer alten
Saatkrähe (Corvus frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 9:
Eisessig 5. 10 „. Hämalaun 2: Ag. dest. 1. Zeiss, Ap. 4. Kom-
pens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372.
Der Zellballen (zb.) liegt mitten im nervösen Grundgewebe des
Ganglion und ist durch keine bindegewebige Hülle von ihm
geschieden. Die Nervenfasern umspinnen den Zellballen nicht bloss
unmittelbar von aussen, sondern dringen überall auch in sein
Inneres. Das Ganglion enthielt noch zahlreiche andere solche Zell-
ballen. Man beobachte auch hier die scharfen Konturen um die
einzelnen farblosen chromaffinen Zellen. Vergl. diesbezüglich Fig. 3
und 4.
Querschnitt durch die mit dem Epithelkörper (ep. kp.)
verbundene bindegewebige Kapsel (bdg.) des Paragang-
lion caroticum einer erwachsenen Henne (Gallus
domesticus)2. Müller 9: Formol 1. van Gieson. 10 u. Zeiss,
Ap. 16. Kompens.-Ok. 4. Vergr. 62 (nur äussere Konturen), der
feinere Faserverlauf eingezeichnet mit Zeiss, Ap.8. Kompens.-
Ok. 4. Vergr. 125.
Die bindegewebige Kapsel (bdg.) des Paraganglion caroticum
bildet eine aus längs- und quer verlaufenden (qu.) bindegewebigen
Bündeln und einzelnen Fasern zusammengesetzte rund - ovale
Scheibe, die rechts neben dem Epithelkörper (ep. kp.) liegt. Die
Faserbündel dieser Kapsel (bdg.) setzen sich in kontinuierlichem
Zuge stielartig in einen im Epithelkörper befindlichen Hilus (hil.)
fort. Zweigbündel von der bindegewebigen Kapsel (kps.) des
Epithelkörpers biegen ebenfalls an den Rändern des Hilus (hil.)
in diesen und verflechten sich dort mit den Fortsetzungen der
bindegewebigen Kapsel (bdg.) des Paraganglion caroticum
Die punktierte Linie innerhalb der Kapsel (bdg.) gibt die eigentliche-
Lage des später auftretenden Paraganglion caroticum an.
Dieses ist durch seine Kapsel beerenartig an den
Epithelkörper (ep. kp.) angeheftet.
Tafel XXV.
Übersichtsbild über dieLage desParaganglion caroticum
einer jungen, dem Neste entnommenen, gerade ausge-
fiederten Wasseramsel (Cinclus aquaticus) im Innern
des Epithelkörpers (ep.kp.). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1,
10 «. Cochenille-Alaun. Zeiss, Ap. 8. Kompens.-Ok. 4. Tub. 160.
Vergr. 125. Einige Details wurden eingezeichnet mit Ap. 8.
Kompens.-Ok. 8. Tub. 160. Vergr. 250.
Der Hilus des Epithelkörpers (ep. kp.) wird vollständig von
einem ausschliesslich aus sympathischen Nerven gebildeten Geflechte
ausgefüllt, das verschieden viele zu Ballen vereinte farblose chrom-
affıne Zellen enthält (zb.!"*). Das Nervengeflecht entsteht haupt-
Fig.
8.
Wilhelm Kose:
sächlich durch Auflösung des grösseren von rechts her in den
Hilus (hil.) ziehenden sympathischen Nerven (sy.n.). Dieser ver-
flieht sich mit zahlreichen anderen, kleineren sympathischen
Nerven, die schon vor ihm in den Hilus einbogen. Die Nerven
sind teils im Längs- teils im Querschnitte getroffen (n. qu.). Die
Figur enthält fünf grössere und drei kleinere solcher Nervenquer-
schnitte. Oben rechts ist einer von ihnen mit (n. qu.) näher be-
zeichnet. Mitten in dem aus Nerven zusammengesetzten
Grundgeflechte liegen in vollkommen analoger Weise wie
bei den Krähen erst wenige, dann gehäufte Ballen (zb.) der farb-
losen chromaffinen Zellen. Diese besitzen keine eigene binde-
gewebige Hülle, sondern werden von den sympathischen Nervenfasern
(sy.n.) unmittelbar eingeschlossen und dann auch durchzogen.
Das epineurale Bindegewebe des grossen sympathischen Nerven
(sy. n.) bildet im Innern des Hilus an der Grenze zwischen
dem Epithelkörper und Paraganglion caroticum eine
ganz dünne Kapsel um das letztere. Der grosse sympathische
Nerv (sy. n.) enthält vor seinem Eintritt in den Epithelkörper
in seinem Innern ein grösseres Paraganglion (zb.’). Dieses
setzte sich aus mehreren Untergruppen zusammen. Ein kleiner
Zellballen (zb.°) liegt an dieser Stelle dem Nerven nur von aussen an.
Hälfte des Zellballens (zb.’) und Zellballen (zb.*) dieser
Wasseramsel. Zeiss, Ap. 4 Kompens.-Ok. 6. Tub. 160.
Vergr. 372.
Der Zellballen (zb.’) erfüllt den Nerven an dieser Stelle fast
vollständig. Er besitzt keine eigene bindegewebige Hülle. Die
Nervenfasern umgeben den Zellballen allseitig und dringen auch
überall in sein Inneres. Die dunkeln kleinen und länglichen Kerne,
die im Zellballen zwischen den chromaffinen Zellen liegen, sind
ausschliesslich Kerne de endoneuralen Bindegewebes.
Kerne der farblosen chromaffinen Zellen, gross, rund, meist mit
einem grossen Kernkörperchen. Man beachte auch hier die
scharfen Konturen um einzelne chromaffine Zellen und die
oft leeren Zellhöfe. Die scharfen Konturen werden gerade so wie
bei dn Krähen und allen anderen Vögeln durch Fasern des
endoneuralen Bindegewebes erzeugt.
Fig. 9-12 stammen von derselben alten Saatkrähe (Corvus
frugilegus). Alle Schnitte waren nach Mallory-Stöhr gefärbt
worden. Sämtliche Figuren sind mit der hom. Immersion (Zeiss)
2. num. Ap. 1,30, Kompens.-Ok. 12, Tub. 160, Vergr. 1500, gezeichnet.
Müller sche Flüssigkeit 9: Formol 1. 5 «. (Der Einfachheit wegen
wurden diese Figuren bloss schwarz ausgeführt.)
Querschnitt durch ein kleines sympathisches Nervchen
Die eine Hälfte wird von marklosen Nervenfasern, die andere von.
drei farblosen chromaffinen Zellen (chrz.'”?) eingenommen.
Die Zelle 1 und 2 werden durch eine vom Epineurum ab-
Fig. 10.
8
Die Paraganglien bei den Vögeln. [£>)
zweigende Bindegewebsfaser voneinander geschieden. Diese ist ob
ihres welligen Verlaufes nur bruchstückweise zu schen. Die Zellen
2 und 3 sind syneytial verschmolzen.
Partie aus dem Zentrum eines Zellballens des Para-
ganglion caroticum. Direkte Fortsetzungen des endoneuralen
Bindegewebes der in der Peripherie des Zellballens gelegenen sym-
pathischen Nerven, umgeben in Gestalt dunkelblauer, wellig
verlaufender Linien die einzelnen chromaffinen Zellen
(chrz.'”). Die starken schwarzen Linien sind meist keine einzelnen
Bindegewebsfasern, sondern dichtestens zusammengedrängte aller-
feinste Faserbündel. In der Figur ist nur ein Teil des binde-
gewebigen Netzes wiedergegeben. Das Plasma fast aller
chromaffinen Zellen ist schlecht fixiert, besonders in den Zellen
(chrz.3,*,5). Eine vakuolenartige vollkommen leere Stelle (vak.) in
der Zelle (chrz.?). Vergl. damit die Zelle (chrz.?) in Fig. 11 der-
selben Tafel. Die Kerne der chromaffinen Zellen enthalten ein
grosses Kernkörperchen. Dieses zerfällt in den Zellen (chrz.3,# 6)
in mehrere kleine Partikelchen. Diese liegen entweder in einer
heller gefärbten, mehr hom ogenen Grundmasse, lose neben-
einander, oder sind durch allerfeinste fädige Brücken miteinander
verbunden. Vergl. hier den Kern der chromaffinen Zelle (chrz.)
(Fig. 2, Taf. XXIV), welche diese Struktureigentümlichkeit noch deut-
licher zeigt. Eine analoge Zusammensetzung besitzen oft die
Kernkörperchen der sympathischen Ganglienzellen. (Vergl. den
Kern [kr.| der Ganglienzelle in Fig. 2, Taf. XXIV.)
Randpartie aus einem Zellballen des Paraganglion
caroticum derselben alten Krähe (Corvus frugilegus).
Ein hüllenloser sympathischer Nerv (sy. n.) umgibt un-
mittelbar den ebenfalls hüllenlosen Zellballen: direkt e
Fortsetzungen des endoneuralen Nervenbindegewebes
dringen zwischen die einzelnen chromaffinen Zellen (chrz.! und
chrz.“). Am oberen Rande dieser Zellen liegt ein vom endoneuralen
Bindegewebe gebildetes Maschenwerk. Es handelt sich um den
Querschnitt markloser Nervenfaserbündel (n. qu.). Am unteren
Rande der chromaffinen Zellen (chrz.! und chrz.*), sowie links von
der chromaffinen Zelle (chrz.?) wiederum Querschnitte markloser
Nervenfaserbündel (n. qu.'3). Die Querschnitte der mark-
losen Nervenfaserbündel selbst erscheinen dabei als mattgraue,
im Innern der bindegewebigen Maschen gelegene, verwaschene
Fleckchen (siehe n. qu.'). Die schwarzen, ganz im endoneuralen
Bindegewebe vergrabenen Pünktchen sind Querschnitte von
Bindegewebsfasern. Sämtliche zwischen den farblosen chrom-
affinen Zellen gelegene Kerne gehören dem endoneuralen
Bindegewebe an. Nur der Kern (a) ist fast in seiner ganzen
Ausdehnung zu sehen, bei den anderen handelt es sich um ver-
schiedene, teils wirkliche, teils optische Durchschnitte durch ähn-
784
Fig. 13a.
Fig. 13b.
Wilhelm Kose:
liche, längliche Kerne. Die farblosen chromaffinen Zellen zeigen
denselben Bau wie in Fig. 9, 10, 12, 15.
Randpartie aus einem anderen Zellballen des Para-
ganglion caroticum derselben Krähe. Auch hier dringen
direkte Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes
zwischen die einzelnen farblosen chromaffınen Zellen
(chrz.?,*,5), und umgeben jede für sich in Gestalt weiter
Maschen. Die chromaffıne Zelle (chrz.?) wird in gleicher Weise
von diesen Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes
eingehüllt. In der chromaffinen Zelle (chrz.”) und in der zwischen
ihr und der Zelle (chrz.t) gelegenen Zelle (die keine nähere Be-
zeichnung trägt) fehlen die Kerne. Diese lagen erst im nächsten
Schnitte. Diese kernlosen Zellen bilden daher vom endo-
neuralen Bindegewebe begrenzte, nur mit spärlichem Plasma
erfüllte Felder. Mitten unter den marklosen Nervenfasern des
sympathischen Nerven (sy. n.) liegt eine ganz vereinzelte chrom-
affıne Zelle (chrz.'), deren Plasma fast ganz geschwunden ist.
Neben der Zelle (chrz.”) ein Querschnitt markloser Nervenfasern
(n. qu.). Sämtliche zwischen den chromaffinen Zellen befind-
lichen Kerne gehören dem endoneuralen Bindegewebe an. Die
unbezeichnete kernlose chromatfine Zelle wird von ihnen
kapselartig zum grossen Teile eingehüllt. Die mit einem Stern (*)
bezeichneten zwei Kerne sind in ihrer ganzen Ausdehnung
zu sehen. die anderen stellen auch in dieser Figur nur optische
vder wirkliche Durchschnitte durch ähnliche, lJängliche Kerne
dar. Die Kerne des endoneuralen Bindegewebes im Nerven
erscheinen je nachdem sie mehr von der Fläche oder der Kante
aus gesehen werden in verschiedener Gestalt und Grösse. (Vergl.
hier auch die Fig. 10, 11.) Ganz abgesehen von solchen Kernen
gibt es eine Anzahl, die tatsächlich verschieden gross und ge-
staltet sind. (Text Seite 686—688.)
Paraganglion caroticum caudale einer jungen Drossel
(Turdus musicus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 u.
Cochen.-Alaun. Zeiss, Ap. 4. Komp.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372.
Das länglich-ovale Paraganglion lag bloss in der Nähe des
kaudalen Epithelkörperss. Das Paraganglion war von sym-
pathischen Nerven (sy. n.) vollständig eingehüllt, die auch in sein
Inneres eindrangen. Eine Zerfällung des Paraganglion durch das
endoneurale Bindegewebe oder die Nerven in einzelne Untergruppen
ist hier nur angedeutet. Das eigentliche, grosse Paraganglion
caroticum lag in analoger Weise wie bei der Wasseramsel ganz
im Innern des kranialen Epithelkörpers.
Ein Zellballen aus dem kranialen Paraganglion caro-
ticum derselben Drossel. Dieselbe Fixation und Vergrösserung.
Ein Vergleich mit Fig. 13a, ferner Fig. 8 derselben Tafel und
auch Fig. 3—5, Taf. XXIV, zeigt, dass alle diese Paraganglien
Fig. 14.
Fig. 15.
Fig. 16.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 185
oder Zellballen (zb.) aus denselben farblosen chromaftinen Zellen
aufgebaut sind. Man beachte auch hier die scharfen Konturen um
die einzelnen Zellen.
Sympathischer Nerv von derselben alten Krähe (Corvus
frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 „u. Häma-
toxylin (Delafield). Zeiss, hom. Immersion 2. num. Ap. 1,30.
Tub. 160. Vergr. 1500.
Vier von der Fläche aus gesehene grosse Kerne des endo-
neuralen Bindegewebes (A. B.C.D.). E ist ein von der Kante
aus gesehener Kern, F ein Durchschnitt durch einen solchen.
(Text Seite 686—688.)
Sympathischer Nerv mittleren Kalibers einer anderen
alten Krähe (Corvus frugilegus). Müllersche Flüssig-
keit 9: Formol 1. Hämatoxylin (Delafield). van Gieson. 5 u.
Zeiss, Ap. 2. num. Ap. 1,50. Tub. 152. Vergr. etwas geringer
als 1500.
Ein aus acht Kernen (oder Zellen) bestehender Ballen liegt
mitten im Innern des Nerven. Der Ballen besitzt keine
eigene bindegewebige Hülle, sondern wird von den marklosen
Nervenfasern direkt eingehüllt. Nur am oberen Rande des
Zellballens dringt ein ganz dünner Nervenfaserzug in sein Inneres
und trennt eine chromaffine Zelle vom übrigen Ballen ab. Die
anderen sieben Kerne liegen dichtgedrängt in einer vollkommen
einheitlichen protoplasmatischen Grundmasse. Diese syneytiale
Anordnung ist genau dieselbe, die Sig. Mayer schon vor langer
Zeit bei Beschreibung seiner „Kern- oder Zellennester“ hervorhebt.
Links oben liegt den Kernen des Zellballens ein lichter, länglicher
Kern an (endonr. kr.'), der dem endoneuralen Bindegewebe ange-
hört und nicht mit den Kernen der chromaffinen Zellen zu ver-
wechseln ist. Vergl. mit diesem Kern (endonr. kr.') den Kern
(endonr. kr.?).
Tafel XXV1.
Ein Teil der Urnierenreste einer jungen noch blinden
Nestkrähe (Corvus frugilegus). Müller 9: Formol 1. 10 ..
Cochenille-Alaun. Zeiss, Ap. 8 Kompens.-Ok. 6. Tub. 160.
Vergr. 187.
Gibt eine Übersicht über die Lage der gelben chromaffinen
Zellen im Innern der Urnierenreste. Diese bilden einen stumpf-
dreieckigen Körper, der aus einem sehr kernreichen Bindegewebe
(bdg.!) und einer Anzahl von Urnierenkanälchen (urn. knl.) zu-
sammengesetzt ist. Zahlreiche Kapillaren (kpl.) liegen um diese
herum. Oben links und rechts wird die Urniere von lockerem
Bindegewebe (bdg.?) umgeben, das an der mit drei Kreuzchen (+++)
bezeichneten Stelle eine Abhebung von der Urniere, infolge der
Präparation zeigt. In der stumpfen Spitze der letzteren liegt ein
grösseres aus mehreren Untergruppen zusammengesetztes Para-
756
Fig. 18.
Wilhelm Kose:
ganglion (pg.').. Die chromaffinen Zellen seiner rechten Hälfte
sind strangförmig angeordnet. Ein kleines Paraganglion (pg.”)
findet sich noch in der äussersten Peripherie des rechten Ur-
nierenrandes. Die Paraganglien liegen bei manchen Vögeln noch
tiefer in der Urniere, als es hier gezeichnet ist, auch sind sie
stellenweise noch zahlreicher. Mehrere kleinere Paraganglien in
dem lockeren peripheren Bindegewebe (bde.”), sowie vereinzelte
sympathische Ganglienzellen (gz.), Venen (ven.) und Arterien
(art.. Die in der Urniere befindlichen Paraganglien
standen in keinem Zusammenhange mit sympathischen
Nerven.
Ein Teil eines sympathischen Ganglion mit zuge-
hörigem Nerv aus dem untersten Teil des Plexus
rectalis einer noch blinden Nestkrähe (Corvus frugi-
legus). 3°,o reines Kaliumbichromat 9: Formol 1. 10 «. Cochenille-
Alaun. Zeiss, Ap.4. Kompens.-Ok. 6. Vergr. 372.
Diese Figur soll hauptsächlich nur zeigen, dass die farblosen
chromaffinen Zellen auch im sympathischen Nervensystem des
Abdomen vorkommen. An der Verbindungsstelle eines grösseren
Nerven (sy.n.) mit dem Ganglion (gz.) liegt noch ganz im ersteren
vergraben ein kleines aus farblosen chromaffınen Zellen be-
stehendes Paraganglion (pg.) in Gestalt eines Zellballens. Nur
ganz vereinzelte braungelbe chromaffine Zellen (chrz.) sind den
farblosen beigemengt. In dem lockeren Bindegewebe an der unteren
Seite des sympathischen Nerven (sy. n.) eine Arterie (art.) und zwei
Venenquerschnitte (ven.). An der linken Seite des Paraganglion
(pg.) eine Fortsetzung einer dieser Venen, an der rechten Seite eine
Kapillare (kpl.).
Kleines Paraganglion aus dem Innern eines Brust-
grenzstrangganglion einer jungen, noch unbefiederten
Nestdrossel (Turdus musicus). Müllersche Flüssigkeit 9:
Formol 1. 10 «. Cochenille- Alaun. Zeiss, Ap. 3. Kompens.-
Ok. 8. Tub. 160. Vergr. 667.
Zeigt die für die chromaffinen Zellen so charakteristische Lage
an einer Kapillare (kpl.). Diese zieht von rechts her in das Innere
des Paraganglion und teilt sich dort gabelförmig. Das Lumen der
Kapillare ist von den chromaffinen Zellen durch das zarte Gefäss-
endothel (vielleicht noch wenige allerdünnste Bindegewebsfäserchen)
getrennt. Die Endothelkerne (end. kr.) der Kapillare sind deutlich
zu sehen. Das ganze Paraganglion lag mitten in dem nervösen
Grundgewebe des Ganglion. Die Zeichnung gibt nach Möglichkeit
die verschiedenen Nüancen in der Färbung des Plasmas und der
Kerne der chromaffinen Zellen wieder. Am unteren Rande des
Paraganglion liegen zwei violette Zellen (chrz.! und chrz.”) von
denen eine einen grossen Kern hat. Dieser gleicht in jeder Be-
Fig. 19.
Fig. 20a.
Fig. 20b.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 187
ziehung den Kernen der braunroten chromaffinen Zellen. (Näheres
im Text Seite 766.)
Partie aus der Niere einer ganz jungen Nestdrossel
(Turdus musicus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 «.
Cochen.-Alaun. Zeiss, Ap. 4. Komp.-Ok. 4. Tub. 160. Vergr. 250.
Am rechten Rande der Zeichnung verläuft eine grosse Vene
(ven.), die sich in das Innere der Niere begibt und allseitig
vom Nierenparenchym eingehüllt war. Von dieser Vene ist nur
die linke Wand gezeichnet, nach rechts von dieser ist das Venen-
lumen (lum.) zu denken. In der Venenwand selbst liegt ein
kleines Paraganglion (pg.t, welches bis an das Endothel un-
mittelbar heranreicht. Etwas weiter nach links, in dem lockeren
Bindegewebe, ein zweites, kleines, mit sympathischen Nerven
(sy. n.) in Verbindung stehendes Paraganglion (pg.’). Noch weiter
nach links und oben liegt im Anschlusse an ein kleines sym-
pathisches Ganglion (sy. gz.) ein aus mehreren Untergruppen zu-
sammengesetztes, grösseres Paraganglion (pg.?). Es erstreckt sich
teilweise zwischen die Nierenkanälchen (nr. knl.) hinein. Das grosse
Paraganglion (pg.’) war 1 mm von der Oberfläche der Niere ent-
fernt gewesen, aber auch die anderen Paraganglien waren ganz
im Nierenparenchym vergraben.
Ein peripheres Paraganglion aus dem Bindegewebe von
der Vorderfläche der Bauchwirbelsäule einer noch
blinden Nestkrähe (Öorvus frugilegus). Müllersche Flüssig-
keit 9: Formol 1. 10 „. Cochenille-Alaun. Zeiss, Ap. 4. Kompens.-
0k.6. Tub. 160. Vergr. 372.
Dieses Paraganglion setzte sich ausschliesslich aus gold-
selben, chromaffinen Zellen zusammen, die durch Bindegewebe
(bdg.) und Kapillaren (kpl.) in eine Anzahl verschieden gestalteter
Zellballen (zb.!' 7) eingeteilt waren. Das Paraganglion wurde
durch Bindegewebe an seiner Oberfläche zum grössten Teil ein-
gehüllt (bde.). Es stand in gar keinem Zusammenhange mit
dem sympathischen Nervensystem. Die chromaffinen Zellen färbten
sich nicht im mindesten durch das Cochenille.
Ein Teil des Zellballens (zb.!) aus der Fig. 20a. Zeiss,
Ap. 3. Kompens.-Ok.8. Tub. 160. Vergr. 667.
Das Plasma bildet ein fast überall zusammenhängendes, klein-
maschiges Netzwerk, das keine Granula enthält. Die chromaffinen
Zellen bilden hier ein kernhaltiges Syncytium. Nur um
wenige Kerne herum sieht man in Form etwas stärkerer plas-
matischer Fädchen eine Andeutung einer Zellabgrenzung. Die
Kerne sind meist kugelrund und heller oder dunkler violett. Nur
wenige zeigen eine verwaschene Innenstruktur, die anderen bilden
strukturlose Kreise resp. Scheiben. Vergl. damit die violetten
chromaffinen Zellen in den Fig. 22a und b derselben Tafel, die mit
Fig. 21.
Wilhelm Kose:
Ausnahme ihrer Farbe, den goldgelben chromaffinen Zellen sehr
ähnlich sind. (Alles Nähere Text Seite 769—773.)
Hälfte eines grossen, dem Paraganglion suprarenale
und der Nebenniere benachbarten, sympathischen Gang-
lion einer noch blinden Nestkrähe (Corvus frugilegus).
Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 „. Cochenille - Alaun.
Zeiss, Ap.8. Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 187.
Die punktierte Linie am oberen Rande der Zeichnung gibt die
Durchschnittsrichtung durch das Ganglion an. Die zahlreichen
Paraganglien sowie einzelnen chromaffinen Zellen sind durch das
ganze Ganglion verstreut. Das Paraganglion (pg.!) liegt in der
äußersten Ganglionperipherie und ragt später aus dem letzteren
weit hinaus. Besonders das Paraganglion (pg.”), aber auch das
Paraganglion (pg.”) zeigen deutlich die unmittelbare Lage des
chromaffinen Gewebes an Kapillaren und einer kleinen Arterie, die
in so hohem Maße für die chromaftinen Zellen charakteristisch ist.
2a. Ein kleines, frei im Bindegewebe des Abdomen, in der
Fig. 22».
Nähe einer kleinen Arterie gelegenes Paraganglion
einer noch blinden Nestkrähe (Corvus frugilegus).
Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 «. Cochenille- Alaun.
Zeiss, Ap.4. Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372.
Das Paraganglion besteht nur zur Hälfte aus braunrot ge-
färbten typischen chromaffinen Zellen. Die braunrote Farbe ist
mit möglichster Genauigkeit wiedergegeben. Die zweite Hälfte
des Paraganglion wird von violetten Zellen gebildet, die kleine
Kerne haben. Die Scheidung zwischen diesen beiden Zellgruppen
besorgt ein dünnes, bindegewebiges Septum (bdg.') das von der
äusseren, gemeinsamen bindegewebigen Kapsel (bdg.) nach oben
zieht. Am oberen Rande des Paraganglion vermischen sich die
violetten und braunroten Zellen direkt miteinander, weil das Septum
(bdg.!) nicht. bis ganz hinauf reicht. Ich fasse diese violetten
Zellen (vlt. chrz.) ebenfalls als chromaffine auf. Die nähere Be-
sründung ist im Texte, Seite 764—773, nachzulesen.
Diese Figur gibt einen Teil der aus den violetten chrom-
affinen Zellen (vlt. chrz.) bestehenden Partie des Para-
ganglion der Fig. 22a wieder. Zeiss, Ap.3. Kompens.-Ok. 8.
Tub. 160. Vergr. 667.
Fast alle Kerne sind kugelrund und mehr minder lebhaft violett-
rot. Ihre Innenstruktur ist nur bei einigen von ihnen angedeutet
und fehlt einer grossen Anzahl von ihnen. Diese Kerne bilden
vollständig leere mattere Scheiben. Sämtliche Kerne waren nicht
scharf konturiert. Das Plasma ist nur um einzelne Kerne herum
in Gestalt abgegrenzter, mehr homogener Partien angeordnet.
Sonst setzt es ein fast überall zusammenhängendes feines
Netzwerk zusammen, dessen Lücken meist leer sind. Die ein-
wu‘
Fig. 23.
Die Paraganglien bei den Vögeln. 789
zelnen Kerne sind in dem plasmatischen Netzwerke ganz unregel-
mässig verstreut.
Ein Stück aus der Tunica media und adventitia der
Aorta abdominalis einer noch blinden Nestkrähe (Corvus
frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 ». Cochenille-
Alaun. Zeiss, Ap.4. Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372.
Von der Media sind nur ca. die äusseren zwei Drittel gezeichnet.
Die Adventitia ist an der mit zwei Kreuzchen (+ —+-) bezeichneten
Stelle infolge der Präparation abgehoben. In der Media liegt
ein grösseres Paraganglion, das sich durch eine feine Spalte in der
ersteren in die Adventitia fortsetzt und dort ebenfalls zu einer
kleineren Zellgruppe anschwillt. Das ganze Paraganglion besass
demnach Hantelform. Der dünne Verbindungsstiel der in der
Media und Adventitia gelegenen grösseren Partien ist in der
Zeichnung nicht zu sehen. Dafür bemerkt man ganz gut die spär-
lichen Lagen der Media (med.*), unter welchen der Stiel liegt.
Das Paraganglion stand in keinem Zusammenhange mit
sympathischen Nerven. Es machte auch hier den Eindruck,
als ob die chromaffinen Zellen wenigstens teilweise syncytial an-
geordnet gewesen wären. Zahlreiche Vakuolen (vak.) im Zellplasma.
790 Wilhelm Kose: Die Paraganglien bei den Vögeln.
Inhaltsübersicht.
1. Einleitung
2. Material
3. Methoden . 4
4. Besprechung der en Diterdtr
5. Das Paraganglion suprarenale und die Nebenniere
A. Histologie des Paraganglion suprarenale .
B. Grundzüge im Aufbaue der Nebenniere
C. Cytologie des Paraganglion suprarenale .
6. Das Paraganglion caroticum
I. Das Paraganglion in ee Krähen i
A. Histologie .
S Cytologie
an and Zusammen
11. # ae caroticum der Hühner .
III. Das Paraganglion caroticum der Wasseramsel
IV. Schlussbetrachtungen 3
V. Tabellarische Zusammenstellung . }
VI. Zusammenfassung der wichtigsten Befunde A
7. Sämtliche Fundstätten der übrigen Paraganglien, die entweder -
dem sympathischen Nervensystem geweblich verknüpft, oder aber
von ihm losgelöst sind i €
I. Die Grenzstränge und Mi a Abeche ER, sym-
pathischen Nervensystems
II. Urnierenreste
III. Ovarium
IV. Hoden
V. Niere
VI. Die Nenner Der a liellensten ahrlomsinalen en
und Venen \
VII. Frei im Bindegew ae ia uns: ;
VII. Cytologie .
IX. Schlusshetraehbungenn
S. Nachtrag .
Literaturverzeichnis . - i
Erklärung der Abbildungen u "Tafel XXI XXI (Ba. 9, Heft 3) 1
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIV—XXVI (Bd. 69, Heft 4).
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791
Über den Zusammenhang der Epithelzellen
des Darmes.
Von
Dr. Theodor Schaeppi, Zürich.
Hierzu Tafel XXVII.
Nachdem Ogneff (Biolog. Zentralbl. 1892), Th. Cohn
(Anat. Hefte, Bd.6) und E. W.Carlier (La cellule, T. 11) über-
einstimmend behauptet hatten, dass die Zylinderzellen des Magens
ebenso durch Interzellularbrücken, welche eine flüssige Zwischen-
substanz durchsetzen, zusammenhängen wie die Pflasterepithelzellen
und nachdem Kolossow (Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 52) auch
zwischen den Epithel- und Drüsenzellen des Darmes Interzellular-
brücken beschrieben hatte, erhoben sich neuerdings gewichtige
Stimmen gegenüber diesen Angaben: V. v. Ebner schreibt in
Köllikers Handbuch der Gewebelehre S. 155: „Ich habe mich
von der Existenz der Interzellularbrücken (des Magenepithels, Ref.)
bisher nicht überzeugen können und glaube, dass Schrumpfungen
(es handelt sich um dünnste Paraffinschnitte) und andere Täuschungen
hier ins Spiel kommen‘ und auf S. 184: „Die Verbindung der
Epithelzellen (des Darmes, Ref.) untereinander soll nach neueren
Angaben (Kolossow, Ref.) gerade so wie im Magen durch Inter-
zellularbrücken hergestellt sein; eine Behauptung, von deren
Richtigkeit ich mich ebensowenig überzeugen konnte, wie beim
. Magenepithel.““
Oppel (Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte,
Bd. IX), schliesst sich der Frage v. Ebners an, ob die Inter-
zellularbrücken nicht durch die bei der Methode Kolossows
eintretende Schrumpfung vorgetäuscht werden, indem er bemerkt:
„Diese Frage erscheint mir um so berechtigter, als Kolossow
nicht nur zwischen den Drüsenzellen, sondern auch zwischen den
Leberzellen und den Blutkapillaren Interzellularbrücken findet.
Letztere Angabe Kolossows wird wohl noch bei manchem
Forscher Anstoss erregen.‘
Zwar haben in neuerer Zeit De Kluyzen und Fermaat
(Ergänzungshefte des anat. Anzeigers, Bd. XXIII), an der Basis
der Magenepithelzellen Interzellularbrücken beobachtet, aber die
1792 Theodor Schaeppi:
beiden Autoren sprechen sich über deren vitale Existenz sehr
skeptisch aus und denken selbst daran „es könnten immerhin
entweder postmortale Schrumpfungen oder aber agonale Kon-
traktionen oder Kombinationen von beiden sein“ (Ref. nach Oppel:
Ergebnisse der Anat. und Entwicklungsgesch Bd. XIV).
Wenn nun einerseits schon bezüglich des Vorkommens von
Interzellularbrücken im Darmepithel überhaupt entgegengesetzte
Ansichten herrschen, so gehen andererseits bei denjenigen Autoren,
die solche Brücken beschrieben haben, die Meinungen erst recht
auseinander bezüglich der Gestalt und des Charakters dieser
Verbindungen: Während Ogneff, Carlier und Cohn in Wort
und Bild die Brücken als einfache protoplasmatische Fäden dar-
stellen, sieht Kolossow in denselben nnr die optischen Quer-
schnitte von zwischen den Zellen ausgespannten Protoplasma-
lamellen. Lassen wir hier die diesbezüglichen Angaben dieses
Autors folgen (Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 52): „Was die Natur
der Interzellularbrücken der Epithelgewebe anbetriftt, so erscheinen
sie bei meiner Behandlungsmethode fast überall mit Ausnahme
des geschichteten Pflasterepithels als ein System anastomosierender
Scheidewände, welche sich zwischen den zugewandten Seiten-
flächen der Zellen befinden und eine Art unmittelbarer Fortsetzung
der peripherischen verdichteten Schicht der Protoplasmafilarmasse
derselben darstellen, sodass man es hier streng genommen nicht
mit eigentlichen Brücken zwischen den in der Nachbarschaft neben-
einander gelegenen Zellen, sondern mit einer Schiehte dünnwandiger,
wohl miteinander stellenweise kommunizierender Alveolen zu
tun hat, deren Scheidewände auf dem Querschnitte als faden-
oder strangförmige Brücken, auf der Flächenansicht aber als zartes
Maschwerk erscheinen, wie es neuerdings Fr. E. Schulze für
das Hautepithel der lebenden jungen Amphibienlarven beschrieben
hat.“ Da wo die Zellkörper mässig geschrumpft sind, treten
nach Kolossow die lamellösen Brücken deutlich hervor, an den
Stellen dagegen, wo die Zellen stark geschrumpft und daher
weit auseinander getreten sind, sieht man an Stelle der lamellösen
Brücken unregelmässige fäden- oder strangförmige Verbindungs-
brücken, die augenscheinlich als Kunstprodukte aus den lamellösen
Brücken entstanden sind durch partielles Zerreissen.
Wiederum in ganz anderer Darstellung erscheinen die
Interzellularbrücken bei C.Camillo Schneider (Lehrb. d. vergl.
Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 793
Histologie). Schneider unterscheidet primäre und sekundäre
Brücken. Erstere spannen sich aus zwischen den parallelen peripheren
Fasern (oder „Linen‘) zweier aneinander stossender Zellen und
sind als Bildungsprodukte der den „Linen“ eingelagerten Plasma-
körner, den sogenannten „Desmochondren‘ zu deuten; sie finden
sich an allen einschichtigen Epithelien, also auch den Darm-
epithelien, vor. Die letzteren, die sog. sekundären Brücken da-
gegen setzen sich in die „Linen-"“ oder Sarkfäden der Zellen fort,
zeichnen sich meistens durch eine mittlere Anschwellung, das
„Brückenkorn‘ aus und sind durch unvollständige Sonderung bei
der Teilung der Zellen entstanden; sie finden sich in den mehr-
schichtigen Epithelien, also z. B. in der Haut der Vertebraten
vor. Die primären Brücken, die uns hier allein interessieren, lässt
nun Schneider in Wort undBild dadurch aus den Desmochondren
entstehen, dass die den peripheren Linen zweier benachbarter
Zellen angehörenden Plasmakörner miteinander verkleben; je
schmäler daher die Interzellularlücken, umso dicker die Brücken,
je weiter die ersteren, um so dünner die letzteren. „Die Bedeutung
der Körner (Desmochondren)“ sagt Schneider bezüglich der
Froschdarmepithelzellen (S. 795) „als zur Verklebung der Fäden
(Linen, Ref.) dienend erhellt vor allem an der Peripherie der
Zellen. Eine Membran fehlt durchaus; sehr schmale Interzellular-
lücken und -Brücken sind vorbanden. Es lässt sich mit Sicherheit
der Nachweis führen, dass die Brücken von den Körnchen der
peripher verlaufenden Fäden gebildet werden. Nirgends ist ein
Ausstrahlen der Fäden selbst in die Brücken festzustellen; je
schmäler die Interzellularlücken, desto schärfer treten die -Brücken
hervor; fehlen die Lücken ganz, so wird die Zellkontur durch
dunkle Punkte bezeichnet, die leicht zu schwarzen Linien zer-
fliessen, ganz besonders, wenn die zugehörigen Fäden in direkte
Berührung getreten sind.“
Angesichts aller dieser sich widersprechenden Angaben war
eine erneute Untersuchung über den Zusammenhang der Darm-
epithelzellen ein gegebenes Thema. Es schien mir nun angezeigt,
im Gegensatz zu den früheren Autoren, die ausnahmslos nur an
feinen Paraffinschnitten untersucht hatten, diese Frage einmal an
Macerationspräparaten zu prüfen und zwar aus folgendem Grund.
Es war mir von gelegentlichen Untersuchungen an den Darm-
epithelien des Frosches und des Wassersalamanders her bekannt,
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 52
794 Theodor Schaeppi:
dass das von CGarlier (l.c.) am Magenepithel der Katze be-
obachtete Verhalten der Epithelzellen auch für manche Stellen
des Froschdarmes zutrifft, jenes Verhalten nämlich, dass die
Epithelzellen nach unten zu gegen ihre Anheftungsstelle sich
mehr oder weniger rasch zuspitzen und einen nach unten immer
breiter werdenden Lymphraum zwischen sich frei lassen. Wenn
nun die Angabe Carliers richtig ist, dass diese Lymphräume
von zahlreichen nach unten hin immer länger werdenden Inter-
zellularbrücken durchsetzt werden (vgl. die Fig. Su. 14 in Carliers
Arbeit) so mussten offenbar diese Verhältnisse weit besser als
an Querschnitten an Macerationspräparaten zutage treten.
Meine Untersuchungen betreffen die Darmepithelien des
Frosches und der Maus. Zur Maceration benützte ich teils
5— 10° /oige Kochsalzlösung, teils Drittelalkohol, teils 1°/oige Osmium-
säure, alle drei mit und ohne Essigsäurezusatz. Die vollkommensten
Isolationen erhält man mit Ranviers Drittelalkohol, freilich
auf Kosten der Brauchbarkeit der Präparate, indem hierbei ziemlich
störende Schrumpfungen und Formveränderungen der Zellen auf-
treten. Am besten erwiess sich mir eine 1°/oige Osmiumsäure-
lösung mit Zusatz von O,1°/oiger Essigsäure nach folgendem Ver-
fahren: kleinere Darmstückchen wurden aufgeschnitten mit der
Serosaseite auf dünne Korkscheibchen aufgelegt, sorgfältig aus-
gebreitet und mit physiologischer Kochsalzlösung abgespült. Hierauf
wurden die Korkstückchen mit der Präparatenseite nach unten
in die Osmiumessigsäure gebracht und in derselben bei Licht-
abschluss 12—16 Stunden belassen. Die Isolation war zwar bei
dieser Methode keine so vollkommene wie bei Anwendung des
Drittelalkohols oder der Kochsalzlösung, allein für die vorliegende
Frage war es besser, wenn bei der Maceration die Zellen teil-
weise miteinander im Zusammenhang blieben und zudem traten
bei dieser Methode weder Schrumpfung noch Quellung auf. Zur
Färbung benutzte ich ausschliesslich eine stark verdünnte (burgunder-
rote) l,ösung von Hämatoxylin Ehrlich, in welcher die Präparate
S— 10 Stunden verblieben.
Sowohlan Macerationspräparaten als auch an dünnen Schnitten
ergiebt sich der Befund, dass die Darmepithelzellen des Frosches
von sehr wechselnder Form sind (vgl. Fig. 1): da sehen wir erstens
Zellen von ungefähr prismatischer Gestalt. .deren Seitenwände
also parallel verlaufen, daneben solche, dievon abgestutzt pyramidaler
Uber den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 233
Form entweder von oben nach unten allmählich breiter werden
oder aber umgekehrt gleich den von Carlier (l.c.) beschriebenen
Magenepithelzellen der Katze nach der Basis hin sich stielartig
verschmälern, wobei sie, wo ihrer zwei oder mehrere nebenein-
ander liegen, einen nach unten immer breiter werdenden inter-
zellularen Lymphraum zwischen sich lassen und die in der Nähe
ihrer basalen Anheftungsstelle regelmässig wieder eine Verbreiterung
erleiden. Ihrer Zahl nach sind die Zellen dieser Form weitaus
die häufigsten. In dritter Linie stösst man hin und wieder auf
Zelltypen, die nach unten in einen gespaltenen Basalfortsatz
auslaufen (vgl. Fig. 1 und 2) sodass von der Seite gesehen, diese
Elemente eine Art Gewölbe bilden und auf Querschnitten lässt
sich unschwer erkennen, dass die Lichtung dieser Gewölbe von
einer vierten Form von Zellen eingenommen werden, die in Ge-
stalt und Lage völlig den Basalzellen des Flimmerepithels der
menschlichen Luftröhre gleichen und die ich deshalb „‚Basalzellen“
nennen will.")
Nicht selten wird übrigens die Form der Epithelzellen von der
Lage des Kerns beeinflusst, indem die Gegend der Nuclei eine
mehr oder weniger deutlich ausgesprochene seitliche Ausbuchtung
der Zellen aufweist (vgl. Fig. 5); da indessen diese Ausbuchtung
an isolierten Zellen stärker ausgeprägt erscheint als an solchen.
die mit ihren benachbarten Elementen in Zusammenhang geblieben,
so müssen wir annehmen, dass ein Teil dieser Erscheinung durch
Schrumpfung zustande komme.
Da wo nun diese verschiedenen Zellformen im Epithel neben-
einander vorkommen (vgl. Fig. 1) bemerkt man, dass die Zellkerne
in ungleicher Höhe liegen, sodass bei oberflächlicher Betrachtung
der Anschein erweckt wird, als ob das Epithel mehrschichtig sei.
Es finden sich aber auch Stellen im Epithel, wo über kürzere
oder längere Strecken hin nur prismatische Zellen oder nur solche
mitbasaler Verschmälerung vorkommen; aufSchnittpräparaten heben
sich diese Orte dadurch deutlich von der Umgebung ab, dass hier die
!) Anmerkung. Bekanntlich hat O. Brasch (Sitzungsb. d. kaiseri.
Akademie in Wien, Bd. 80, 83 und 92) die Vorstellung begründet, dass die
Flimmerepithelzellen durch das Heranwachsen der Basalzellen, die sich als
nach oben spitze Keile zwischen die Flimmerzellen einfügen, ersetzt werden.
Oh die Basalzellen im Froschdarm eine ähnliche Bedeutung haben, konnte
ich an meinen Präparaten nicht entscheiden.
52*
796 Theodor Schaeppi:
Kerne alle auf gleicher Höhe stehen. Es ist nun ohne weiteres ein-
leuchtend, dass die verschiedene Gestalt der Epithelzellen hier
wie anderswo bedingt ist durch den auf ihnen lastenden Seiten-
druck. Bekanntlich finden wir schon beim Froschdarm die ersten
Andeutungen von Falten- und Zottenbildungen und es ist daher
klar, dass auch hier, wie überall, die Höhe der Falten von
prismatischen Zellen mit basaler Verschmälerung und distal ge-
lagertem Kern, die Einsenkung zwischen den Falten dagegen von
prismatischen Zellen mit verbreiteter Basis und basal gelagertem
Kern eingenommen werden. Allein auch an denjenigen Stellen,
wo die Faltenbildung gänzlich zurücktritt, sehen wir nicht selten
die verschiedenen Zellformen nebeneinander auftreten. Es folgt
daraus, dass die Form der Epithelzellen nicht allein abhängig
ist von ihrem Seitendruck, sondern dass dieselbe noch durch
andere Momente bedingt sein kann; ein solches Moment liegt
nun meines Erachtens darin, dass die zwischen den Zellen be-
findlichen interzellularen Lymphräume oder Lymphspalten einer
wechselnden Füllung fähig sind. Denken wir uns zum Beispiel,
dass in einem gleichförmig prismatischen Epithel eine stärkere
Ansammlung interzellulärer Lyınphe und demgemäss eine stärkere
Füllung der interzellularen Lymphräume eintritt, so wird, da die
Oberfläche der Zellen durch das Kittleistennetz, die Basis durch
die Anheftung an der Basalmembran fixiert ist und die Gegend
des Kernes dem Drucke von Seiten der Lymphe stärkeren Wider-
stand entgegensetzt, eine Formveränderung mehr die basalen
Teile treften: die Zellen werden sich also etwas strecken und in
ihren basalen Teilen verschmälern, mithin jene Gestalt annehmen,
wie wir sie oben für die grosse Mehrzahl der Epithelzellen be-
schrieben haben. Es lässt sich endlich noch die Frage aufwerfen, ob
vielleicht die Zellen nicht nur passiver, sondern auch aktiver
Formveränderung fähig sind. Aktive Formveränderungen an Darm-
epitheliensindzwarbeiniederen Tieren (Cölenteraten, Anneliden u.a.)
bekannt, beim Frosche indessen bisher nicht beobachtet worden;
die diesbezüglichen Angaben von Thanhoffer über Bewegungen
am Stäbchensaume der Darmepithelzelle (Pflügers Arch., Bd. VIII)
sind von späteren Autoren nicht bestätigt worden. Dennoch möchte
ich in Anbetracht der Schwierigkeit solcher Untersuchungen diese
Frage einstweilen offen lassen.
Die basale Fläche der Epithelzellen verdient ihrer wechselnden
Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. LT
Konfiguration wegen unsere besondere Aufmerksamkeit. Im all-
gemeinen erscheint diese Wand, die wir als „Fussplatte“ bezeichnen
wollen, in Uebereinstimmung mit der ihr gegenüberliegenden
den Stäbehensaum tragenden Wand von der Fläche, d.i. also von
unten her gesehen, als polygonale, meist 5—6 seitige Platte.
Es gilt diese Regel nicht nur für die prismatischen und die sich
nach unten verbreiternden Zellen, sondern auch für diejenigen
Formen, die sich nach der Basis zu mehr oder weniger stielartig
verschmälern, denn auch bei ihnen gelangt eine Fussplatte zur
Ausbildung, indem, wie bereits oben erwähnt ihr basales Ende
stets kegelföürmig, von der Seite betrachtet also fächerförmig
erweitert wird. Die Bezeichnung Fussplatte ist freilich manchmal
cum grano salis zu verstehen. Denn infolge der schon am Frosch-
darm angedeuteten Falten- und Zottenbildung ist die Basis der
Epithelzellen oft keine plane, sondern mehr oder weniger ge-
wölbte Fläche; auch steht die Fussplatte nicht immer senkrecht,
sondern häufig in kleinerem oder grösserem Winkel zur Zellachse.
Eine Folge der Falten- und Zottenbildung ist ferner der Umstand,
dass die dem Darmlumen zugewandte Fläche des Epithels in ihrer
(sesamtheit grösser ist als die Basalfläche und demgemäss sehen
wir dann auch, dass — von den prismatischen und den an Zahl
sehr zurücktretenden, nach unten breiter werdenden Zellformen
(vgl. Fig. I!) abgesehen — die Fussplatte der Epithelzellen meist
kleiner ist, als die den Stäbchensaum tragende gegenüberliegende
Wand. Wie Paraffinschnitte zeigen, berühren sich im allgemeinen
die Epithelzellen nicht nur mit ihren distalen Enden, sondern
auch mit ihren Fussplatten: ich betone dies deshalb, weil Carlier
(l.e.) für die Magenepithelzellen der Katze angibt, dass ihre basalen
Enden nur mit kleinen Verdickungen enden und das demnach
die interzellularen Lymphspalten nach unten frei und offen sind.
Aber der Zusammenhang der Fussplatten ist offenbar nur ein
äusserst lockerer, denn bei der Maceration gelingt es fast nie,
dieselben im Zusammenhange darzustellen; mit wenigen Aus-
nahmen (s. unten) erscheinen die Fussplatten von einander getrennt,
auch da, wo die zugehörigen Zelleiber miteinander in Verbindung
geblieben sind.
Wir haben oben als Norm angegeben, dass die Fussplatten
von polygonaler Form sind: nicht selten erscheinen nun aber
ein oder mehrere Ecken des Polygons mehr oder weniger stark
198 Theodor Schaeppi:
ausgezogen, so dass sie als kürzere oder längere bald spitze bald
stumpfe Fortsätze imponieren (vgl. Fig 5, 6, 7) und dement-
sprechend die Platte sowohl von der Fläche als auch von der
Seite gesehen, zerschlitzt erscheint. Schon M. Heidenhain
hat in seiner Arbeit: „Über die Struktur der Darmepithelzellen“
(Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 54, pag. 185) auf diese Fortsätze,
die er „würzelchenartige Ausläufer“ nennt, aufmerksam gemacht
und dabei die Ansicht ausgesprochen, dass dieselben für die
iestere Haftung der Zellen an der Unterlage bestimmt sind. Auf
den ersten Blick erscheint nun aber oft eine Fussplatte mit
langen Fortsätzen behaftet, die bei genauerem Zusehen derselben
völlig entbehrt: diese Täuschung kommt nämlich dadurch zustande,
dass nach den Ecken der Fussplatte hin Züge oder Streifen
körnigen, stark tingierbaren Protoplasmas hinziehen, zwischen
denen sich wenig färbbares hyalines Plasma ausbreitet. Wo da-
gegen die Ecken der Fussplatte wirklich zu Fortsätzen ausgezogen
sind, erscheint das Hyaloplasma oft nach Art einer Schwimmhaut
zwischen denselben ausgebreitet (vgl. Fig. 5).
Selbstverständlich lässt sich auch hier wiederum die Frage
ventilieren, ob die Fortsätze der Fussplatte fixe unveränderliche
Bildungen sind oder ob nicht vielmehr der Mangel oder das
Vorhandensein derselben nur verschiedenen Zuständen der Zellen
entsprechen. Wenn die Angaben Bizzozeros richtig sind,
dass die regenerativen Mitosen im Darmepithel auf die Lieber-
kühnschen Krypten beschränkt sind, so ist man gezwungen, eine
Wanderung der Epithelzellen anzunehmen. Da wäre es denn
wohl denkbar, dass diese Wanderung durch das Ausstrecken und
Einziehen von basalen Fortsätzen bewerkstelligt würde, die dem-
gemäss nicht nur als Haftorgane (Heidenhain s. 0.), sondern
auch als Lokomotionsorgane funktionieren würden.
Die Seitenkonturen der Epithelzellen sind im allgemeinen
glatt, nur in einzelnen Fällen erscheinen sie unregelmässig ge-
zackt. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Zackung ein
Kunstprodukt ist und durch Schrumpfung oder Stauchung der
Zellen in der Längsachse zustande kommen An Osmiumsäure-
präparaten kommt übrigens diese Schrumpfung sehr selten zur
Beobachtung, häufiger dagegen an Präparaten, die mit Drittel-
alkohol erhalten wurden. Da wo bei der Maceration zwei oder
mehrere Zellen miteinander in Zusammenhang geblieben sind,
Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 199
können durch diese gezackten Seitenkonturen auf den ersten Blick
Interzellularbrücken vorgetäuscht werden, indem es vorkommt,
dass die Zacken benachbarter Zellen einander direkt gegenüber-
liegen und sich mit ihren Spitzen berühren. Stärkere Vergrösserung,
leichtes Beklopfen des Deckgläschens und dergleichen Hülfsmittel
erweisen indessen rasch den wahren Sachverhalt
Damit sind wir bei der Frage angelangt, ob denn überhaupt
Interzellularbrücken zwischen den Darmepithelzellen des Frosches
vorkommen. Man erhält nun an ÖOsmiumsäurepräparaten eine
zahlreiche Menge Bilder, wo vollständig glatt konturierte absolut
nicht geschrumpfte Zellen zu zwei oder mehreren in ursprünglicher
Lage miteinander zusammenhängen und es finden sich hierbei
eine Menge Stellen, wo die interzellularen Lymphräume als schmale,
sich nach unten erweiternde Spalten in ihrer ganzen Ausdehnung
deutlich zutage treten, sodass eventuelle diese Spalten traversierende
Interzellularbrücken unmöglich übersehen werden können. Bei
aufmerksamer Durchmusterungder Präparate stösst
man nun in der Tat hin und wieder auf Bilder, wie
siein den Figuren 3—5 wiedergegeben sind, die uns
einen Zusammenhang der Epithelzellen durch proto-
plasmatische, die interzellulären Lymphräume durch-
setzende Fasern erkennen lassen.
Wie aus den Figuren ersichtlich ist, bestehen diese Ver-
bindungen aus kürzeren oder längeren bald mehr schief, bald
quer verlaufenden, bald dünnen, bald ziemlich derben Plasma-
fasern. die stets mit einer kleinen, kegelförmigen Anschwellung
von den Zellen entspringen. Die zartesten Verbindungen weisen
häufig kleine knöpfehenförmige Anschwellungen in ihrem Verlaufe
auf, ganz ähnlich wie dies bei den Nervenfibrillen der Cölenteraten
der Fall ist. Hin und wieder beobachtet man auch eine Ver-
zweigung der Fasern, wie dies in Fig. 6 dargestellt ist. In der
grossen Mehrzahl der Fälle trifft man nur wenige (1—2) seltener
mehrere (ich habe deren bis zu vier gezählt) Verbindungsfasern
zwischen zwei Zellen. Fast stets sind die Verbindungen zwischen
den basalen Abschnitten der Zellen ausgespannt und zwar am
häufigsten zwischen Kern und Fussplatte; hin und wieder be-
gegnet man ihnen auch zwischen den distalen Teilen der Zellen.
also in der Höhe oder etwas oberhalb des Kernes, wo sie natürlich
stets kürzer sind und andererseits gibt es auch Fälle, wo die
800 Theodor Schaeppi:
Fussplatten selbst durch kurze, oft ziemlich derbe Anastomosen
miteinander verbunden sind (vgl. Fig.7). Dass es sich letztern
Falls nicht etwa um eine einfache Verklebung zweier gegenüber-
liegender Fortsätze der Fussplatten handelt, zeigt sich beim Be-
klopfen oder leichtem Verschieben des Deckgläschens.
Besondere Beachtung verdient ferner die Tatsache, dass
diese Anastomosen nicht immer nur zwei unmittelbar benachbarte
Zellen miteinander verbinden, sondern dass sie, wie aus Figur 8
ersichtlich ist, hin und wieder auch weiter von einander entfernte
Elemente miteinander in Zusammenhang bringen.
Ich will nicht unterlassen zu bemerken, dass manchmal bei
oberflächiicher Betrachtung durch jene die Basalzellen über-
brückenden Basalfortsätze der Epithelzellen Anastomosen vorge-
täuscht werden können (vgl. Fig. 2 und 3); gerade in diesem
Falle zeigt sich die Ueberlegenheit der Macerationspräparate
gegenüber den Schnittpräparaten, denn während bei letzteren
eine sichere Entscheidung über das Verhalten des die Basalzelle
überbrückenden Basalfortsatzes nicht möglich ist, lässt sich bei
jenen durch Klopfen auf das Deckgläschen mit aller Deutlichkeit
nachweisen, dass jene Basalfortsätze keinen Zusammenhang mit
den benachbarten Epithelzellen haben.
Wenden wir uns nunmehr zu dem diesbezüglichen Verhalten
am Darm der Maus. Die Darmepithelzellen der Maus sind über
den Darmzotten von abgestumpft pyramidaler Gestalt. Die Basis
der Pyramide wird gebildet durch den Stäbchensaum, die abge-
stumpfte Spitze durch die basale Anheftungsstelle, d. i. die Fuss-
platte der Zelle. Zwischen den Zotten finden sich teils Zellen
von prismatischer Form, teils solche, die nach der Basis zu ver-
breitert sind. Die Zellen der Zotten zeigen nun sehr häufig nahe
der Fussplatte eine stielartige Verschmälerung, ganz wie wir dies
oben bei den Elementen des Froschdarmes beschrieben haben,
sodass hierdurch die interzellularen Lymphräume gegen die Basis
hin eine deutliche Verbreiterung erfahren, während sie im übrigen
Bereiche der Zellen nur als kapilläre Spalten erscheinen. Bei
der Maceration bleiben nicht selten die Zellen zu Reihen geordnet
miteinander im Zusammenhang und es fällt hierbei auf, dass die
Elemente in der @Querrichtung der Zotte inniger aneinander
haften, als in der Längsrichtung, sodass sie häufig in halbring-
förmiger Anordnung angetroffen werden. Es zeigt sich auch.
Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. sol
dass die Zellen in der Querrichtung zur Zotte breiter sind als
in der Längsrichtung und dass ihre Basis meist etwas nach dem
Grunde der Zotten hin gekrümmt erscheint, wie das bereits schon
von Ebner erwähnt hat, welche beiden Umstände, wie leicht
ersichtlich, auf die Verkürzung oder Stauchung der Zotte infolge
der Einwirkung der Reagentien zurückzuführen sind. Die Zell-
kerne stehen hier alle auf gleicher Höhe, Basalzellen sind gleich-
falls vorhanden, aber sie sind viel seltener als beim Frosch. Die
Fussplatten sind wie beim Frosch von polygonaler Form, doch
sind ihre Ecken niemals so stark ausgezogen, dass es zur Bildung
von Fortsätzen kommt; höchstens erscheinen ihre Seiten. wohl
eine Folge der Schrumpfung, leicht ausgeschnitten. Dagegen
tiel mir hier ein anderer Umstand auf, den ich beim Frosch
nicht beobachtet hatte: an Hämatoxylinpräparaten erscheint nämlich
die Fusspiatte fast immer von einem schmalen bändchen- oder
leistenartigen Saume, der sich durch seine intensivere Färbung
vom Protoplasma der Fussplatte abhebt, eingefasst, wodurch die
Konturen der letzteren viel stärker hervortreten, als beispiels-
weise diejenigen der Seitenwände der Epithelzellen. Manchmal
ist nur ein Teil der Peripherie der Fussplatte von diesem Saume
bekleidet, manchmal fehlt er auch ganz. Wie aber aus den
Figuren 12 und 13 deutlich hervorgeht, ist das vollkommene
oder teilweise Fehlen dieses Saumes offenbar dadurch bedingt,
dass derselbe bei der Maceration bald ganz, bald teilweise abge-
streift worden ist. Beide Figuren zeigen uns, wie dieser leisten-
artige Saum zum Teil mit der Fussplatte zusammenhängt, zum
Teil sich von derselben losgelöst hat und frei über die Fussplatte
hinausragt. Fragen wir uns nun, was dieser Saum für eine Be-
deutung hat, so kann ich meine Befunde einstweilen nicht anders
deuten, als dass es sich hierbei um eine Art basaler Kittleisten
handelt, welche die Fussplatten der Epithelzellen in analoger
Weise miteinander verbinden, wie die bekannten Kittleisten der
distalen Enden der Zellen. Ich betone aber, dass dies nur eine
vorläufige Deutung ist, denn es ist mir nicht gelungen, an Schnitt-
präparaten mit den bekannten Methoden ein basales Kittleisten-
netz zur Darstellung zu bringen.
Der oben erwähnte Umstand nun, dass die Epithelzellen
der Maus gleich denen des Frosches sehr häufig nach unten zu
schmäler werden und dadurch einen nach unten hin immer breiter
502 Theodor Schaeppi:
werdenden Lymphraum zwischen sich lassen, gestattet nun auch
hier, an Macerationspräparaten sicheren Aufschluss über die
Verbindungsweise der Epithelzellen zu erhalten. Ganz wie wir
dies oben beim Frosch beschrieben, sehen wir auch hier nicht
selten die Lymphspalten traversierende Protoplasmafäden von
einer Zelle zur benachbarten hinüberziehen. Hier wie dort haben
diese protoplasmatischen Verbindungen bald einen mehr schrägen.
bald mehr queren Verlauf und finden sich stets in ganz geringer
Anzahl vor: meistens ist nur eine einzige Verbindung vorhanden,
seltener sind deren zwei und mehr als drei konnte ich nirgends
konstatieren (vgl. Fig. 10—13). Hier wie dort sind diese Anastomosen
so gut wie stets zwischen den basalen Teilen der Epithelzellen,
(also unterhalb des Kerns) ausgespannt. Sie erscheinen ziemlich
derbe und zeigen gleichfalls die charakteristische Erscheinung,
dass sie mit kegelförmiger Basis wie von einer Art Hügelchen
aus den Seitenwänden der Zellen entspringen. Da die basale
Verschmälerung der Epithelzellen hier weniger stark ausgebildet
ist als beim Frosch und infolgedessen die interzellulären Lymph-
spalten weniger breit erscheinen als dort, sind die Anastomosen
hier im grossen und ganzen kürzer und weniger leicht in die
Augen springend, als beim Froschdarm. Im Gegensatz zu den
Befunden am Froschdarm verbinden hier die Anastomosen ohne
Ausnahme nur unmittelbar benachbarte Zellen, einen Zusammen-
hang von weiter auseinanderliegenden Elementen konnte ich hier
nirgends Konstatieren.
Es erübrigt uns nunmehr auf die Natur und die physio-
logische Bedeutung unserer protoplasmatischen Zellverbindungen
einzugehen. Nach all dem mitgeteilten muss sich uns vorerst
die Frage aufdrängen, wie sich die von uns beschriebenen Anas-
tomosen zu den von den übrigen Autoren (Cohn, Carlier,
Kolossow, Schneider, De Kluyzen und Fermaat) ge-
sehenen und beschriebenen Interzellularbrücken verhalten. Da
müssen wir vor allem hervorheben, dass unsere Zellverbindungen
in Uebereinstimmung mit den von Carlier, Cohn, De Kluyzen
und Fermaat dargestellten Interzellularbrücken durch stets
deutlich ausgebildete protoplasmatische Fasern repräsentiert werden.
Es handelt sich also hierbei nicht etwa um einfache Verklebung
zweier benachbarter Desmochondren. wie dies C. Camillo
‚Schneider für seine primären Brücken behauptet, denn dass
Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 803
so lange und derbe Fasern wie ich sie hier in Wort und Bild
dargestellt habe, durch Verklebung und nachheriges Auseinander-
rücken von Protoplasmakörnern zustande kommen könnten, ist
ein Ding der Unmöglichkeit. Es könnte sich also höchstens um
sekundäre Brücken im Sinne von ©. Schneider handeln, wenn man
überhaupt diese, wie mir scheint, willkürliche und unbegründete
Unterscheidung machen will; indessen passen sie auch nicht in
das von Schneider bezülich der sekundären Brücken gegebene
Schema hinein, denn von einem zentralen Brückenkorn ist hier
nicht die Rede. Vielmehr zeigen unsere Verbindungsfasern bald
eine, bald mehrere bald aber auch gar keine körnigen Anschwellungen
und überdies sind sie nicht selten verzweigt (s. Fig. 6).
Ebensowenig ist es denkbar, dass unsere Anastomosen im
Sinne von Kolossow aus interzellularen Protoplasmalamellen als
Kunstprodukte durch partielles Zerreissen der Alveolarwände
entstanden sind (s. oben), denn fürs erste ist es, wie das Studium
mikroskopischer Schäume lehrt, überhaupt eine irrtümliche Vor-
stellung, dass durch Platzen von Protoplasmalamellen protoplas-
matische Fäden entstehen können und zweitens müssten wir wohl,
diese Möglichkeit zugegeben, auch an Macerationspräparaten da
wo die interzellularen Lymphspalten nach oben hin enger werden,
hin und wieder erhaltenen Lamellenbrücken begegnen; zum
mindesten müssten wir erwarten, dass an diesen Stellen die
Anastomosen häufiger erhalten blieben. Dies ist indessen keines-
wegs der Fall.
Nach alledem bin ich der Ueberzeugung, dass unsere Anas-
tomosen ihrem Wesen nach identisch sind mit den von Carlier
und Cohn (l. ec.) beschriebenen Interzellularbrücken. Der Umstand,
dass an unseren Präparaten die Zellverbindungen nur zwischen
den basalen unterhalb der Zellkerne gelegenen Partien der Epithel-
zellen zu beobachten sind, während sie weiter oben fehlen oder
zu fehlen scheinen, spricht nicht gegen ihre Natur als Interzellular-
brücken, denn erstens hat schon Cohn in seiner Arbeit (l. ec.)
betont, dass die Interzellularbrücken der Magenepithelzellen des
Frosches vorwiegend unterhalb des Kerns der letzteren ausge-
spannt sind und auch De Kluyzen und Fermaat finden die
Interzellularbrücken auf die Basalteile der Magenepithelzellen
beschränkt und zweitens ist es klar, dass eventuell weiter oben,
distal, die Zellen verbindende Brücken an Macerationspräparaten
504 Theodor Schaeppi:
infolge ihrer Zartheit nicht gesehen werden können. Auch die
Tatsache, dass sich die beschriebenen Anastomosen nur an einem
kleinen Teile der Epithelzellen und jeweilen nur in sehr be-
schränkter Anzahl, ja häufig nur in der Einzahl vorhanden auffand,
widerspricht keineswegs unserer Annahme, denn wenn man bedenkt,
dass die Maceration und Isolation auch bei schonendster Vornahme
doch immerhin eine relativ rohe histologische Methode ist, so lässt
sich leicht begreifen, dass die grosse Mehrzahl dieser feinen Zell-
verbindungen bei diesem Verfahren zerreissen oder abbrechen und
daherunserer Beobachtung entzogen werden muss. Dass unsere Anas-
tomosen ferner häufig nicht einfache, sondern verzweigte Brücken
darstellen, steht in Einklang mit der Darstellung Kolossows:
auch dieser Autor beschreibt verzweigte, ja selbst miteinander
anastomosierende Brücken. Neu ist bei unsern Interzellularbrücken
dagegen, soweit mir die Literatur bekannt ist, dass dieselben —
allerdings nur in vereinzelten Fällen und nur beim Frosch — nicht
nur unmittelbar benachbarte, sondern auch voneinander durch
eine Zelle getrennte Epithelzellen verbinden.
Es erübrigt uns nun noch mit einigen Worten auf die mut-
massliche physiologische Bedeutung dieser Interzellularbrücken
einzutreten. Garten ist meines Wissens der einzige Autor, der
die physiologische Bedeutung der Interzellularbrücken experimentell
verfolgt hat (Arch. f. Anat. und Physiolog. 95. 96) und dabei be-
züglich der Interzellularbrücken der Riffelzellen der Haut zu dem
tesultat gekommen ist, dass dieselben die Fähigkeit besitzen,
sich zu kontrahieren, wodurch die Zellen einander genähert
werden, ein Umstand, der für die Wundheilung von grösster
Bedeutung ist. Vorausgesetzt, dass diese Kontraktilität auch für
die Interzellularbrücken der Darmepithelzellen Geltung hat und
vorausgesetzt, dass — wie dies ja gewiss anzunehmen ist —
intra vitam eine weit grössere Anzahl von Interzeilularbrücken
existieren, als dies aus unseren Macerationspräparaten ersichtlich
ist, so könnte man sich vorstellen, dass durch die Kontraktion
der Brücken die Wanderung der Epithelzellen von den Regenerations-
herden nach den Orten des Verbrauchs hin bewerkstelligt oder
wenigstens unterstützt würde (s. oben). Man müsste dann freilich
annehmen, dass die Brücken je nach Bedarf gebildet und abge-
brochen werden könnten, dass sie mit andern Worten keine be-
ständigen sondern wechselnde Gebilde darstellten. Es ist dies
Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 805
übrigens eine Annahme, die schon Flemming gemacht hat,
indem er der Ansicht Raum gibt, dass durch die Wanderzellen
die Brücken zerrissen und nach ihrem Durchtritte wiederum neu
gebildet würden. Für die Kontraktilität der Brücken spräche in
unserem Falle ihre wechselnde Dicke und der Umstand, dass sie
häufig ganz wie die Fortsätze der Rhizopoden dünnere und dickere
Stellen inihrem Verlaufe aufweisen. Auch die Verbindung zwischen
weiter auseinanderliegenden Zellen durch Plasmabrücken, wie ich
dies beim Frosch beobachten konnte, würde uns von diesem Ge-
sichtspunkte aus verständlich erscheinen.
Ich glaube indessen, dass wir nicht fehlgehen mit der An-
nahme, dass die Interzellularbrücken noch eine andere Bedeutung
haben, nämlich diejenige, einen nervösen Rapport zwischen den
Epithelzellen zu vermitteln. Bekanntlich ist die Endigung der
Nerven im Darmepithel derart, dass die letzten Endästchen zwischen
den Epithelzellen frei endigen, wobei aber nicht jede FEpithelzelle,
sondern jeweilen nur die 10. bis 12. Zelle mit einem Endästchen
in Kontakt steht. Nun scheint es mir aber ein physiologisches
Postulat zu sein, dass alle Epithelzellen ohne Ausnahme, direkt
oder indirekt, mit den sekretorischen Nerven in Verbindung stehen
und zwar aus folgendem Grunde: Wie wir durch die bahnbrechenden
Arbeiten Pawlows wissen, ist die Qualität der verdauenden
Säfte (des Magen- und Bauchspeichelsaftes sowohl als auch des
Darmsaftes) abhängig von der zugeführten Nahrung und zwar
ist ihre Zusammensetzung jeweilen stets derart, dass die be-
treffende Nahrung am leichtesten verdaut wird. „Im einzelnen
hat sich dieser Mechanismus nun als ungemein kompliziert aber
auch als ungemein zweckmässig erwiesen. So werden die Säfte
nicht nur dann abgesondert, wenn die Speise den betreffenden
Abschnitt des Verdauungskanals passiert — trotzdem diese direkte
Reizbarkeit der Drüsen durch spezifische chemische Reizmittel
z. B. für den Magen durchaus nicht unwesentlich ist — sondern
die Absonderung erfolgt durch Reflexvermittlung schon vorher.
Im allgemeinen kann man nämlich sagen, dass die Tätigkeit eines
Abschnittes immer auf reflektorischem Wege den nächstfolgenden
Abschnitt zur Tätigkeit anregt, sodass der Speise beim passieren
des Verdauungskanals immer Nervenimpulse — gleichsam als
Quartiermacher — vorauseilen, die dafür sorgen, dass die Nahrung
überall schon alles für ihren Empfang und ihre Bearbeitung vor--
506 Theodor Schaeppi: Über den Zusammenhang etc.
bereitet findet“ („Zu Pawlows 60. Geburtstag“ G. F. Nicolai,
Med. Klinik, I. Jahrg., No. 11). Dieser ausserordentlich zweck-
mässige Mechanismus kann aber, wie leicht ersichtlich, nur dann
von Wert sein, wenn jeweilen sämtliche Darmzellen einen
qualitativ gleichartigen Saft zur Absonderung bringen. Es folgt
daraus, dass die betreffenden reflektorischen Sekretionsimpulse
ohne Ausnahme allen Darmzellen zukommen müssen und da nun,
wie wir gesehen, nur ein Teil der Darmzellen mit den Nerven-
endigungen in direktem Zusammenhang steht, so liegt doch wohl
der Gedanke auf der Hand, dass die spezifischen Sekretionsimpulse
den übrigen Epithelzellen durch die Interzellularbrücken über-
mittelt werden.
Figurenerklärung.
Fig. 1. Querschnitt durch ein Stück Froschdarm. B. — Basalzelle.
Fig. 2—8. Darmepithelzellen vom Frosch. E. B. — Epithelzellen, welche die
Basalzellen überbrücken.
Fig. 9—13. Darmepithelzellen der Maus. E.B. — Epithelzelle, welche eine
Basalzelle überbrückt.
a
307
Aus der Anatomischen Anstalt der Königlichen Universität Berlin.
Über die Lymphgefässe des Zahnfleisches und der
Zähne beim Menschen und bei Säugetieren.
I. Die Lymphgefässe des Zahnfleisches beim Menschen.
II. Lymphgefässe der Zähne.
Von
Georg Schweitzer,
pr. Zahnarzt in Berlin.
Hierzu Tafel XXVIII.
Inhalt.
A. Einleitung. Untersuchungsplan. — Einteilung des Stoffes.
B. Die Lymphgefässe des Zahnfleisches beim Menschen.
Literatur. — Technisches. — Bezeichnungen. — Beschreibung der
Fälle. — Zusammenstellung der Ergebnisse.
a) Aussen- und Innen-Abflussbahnen. — Regionäre Drüsen: Submaxillar-
drüsen (Beziehungen der einzelnen Submaxillardrüsen zu bestimmten
Zahnfleischregionen) ; Tiefe Cervicaldrüsen. — Submentaldrüsen, Schalt-
drüsen, Wangenlymphdrüsen.
b) Tiefe Injektion. Lymphgefässe aus dem Foramen infraorbitale.
©. Lymphgefässe der Zahnpulpa.
a) Literatur. — Technisches.
b) Beschreibung der Präparate: «) Lymphgefässe im Canalis mandi-
bulae. — Verbindungen mit den Zahnfleischgefässen. — Rami dentales.
?) Lymphgefässe in der Zahnpulpa.
y) Kommunikationen zwischen den Lymphgefässen der Zähne (Perio-
dontium), der Nasenschleimhaut und des Sinus maxillaris beim Neu-
geborenen.
c) Zusammenfassung und Schlussbemerkungen.
D. Hauptresultate der Untersuchung.
Einleitung. |
Die Frage, ob in der Zahnpulpa der Säugetiere und
somit auch des Menschen Lymphbahnen existieren, oder nicht, ist
bisher eine weder im positiven noch im negativen Sinne entschiedene
geblieben trotz häufiger Versuche, eine Entscheidung auf diesem oder
jenem Wege herbeizuführen. Während wir imstande waren, bei
vielen anderen Organen und Regionen unseres Körpers die gerade
508 Georg Schweitzer:
auf dem Gebiet des Lymphgefässsystems überraschend tiefen und
umfassenden, jedoch leider zum Teil mehr oder weniger in Ver-
gessenheit geratenen Kenntnisse der alten Anatomen, dank der
Einführung der Gerotaschen (20) Injektionsmethode wieder in
Erinnerung zu bringen, zu bestätigen und häufig auch zu er-
weitern, ist eine Darstellung von Pulpa-Lymphgefässen auch mit
dieser relativ leicht zu erlernenden, einfachen Methode bisher
nicht geglückt. Aus dem Misslingen des Nachweises derartiger
Gefässe resultiert naturgemäss eine Verschiedenheit der Ansichten
auch in der Beurteilung der Möglichkeit oder Wahrscheinlich-
keit des Vorhandenseins derselben. Eingehendere Erörterungen
oder Abwägungen der dafür und dagegen sprechenden Momente
finden sich in der Literatur nur wenige. Die Mehrzahl der
Autoren beschränkt sich auf die Registrierung der einfachen
Tatsache der Unauffindbarkeit der Gefässe, andere verneinen
direkt ihre Existenz ohne Begründung. Wieder andere leiten
angesichts der bisherigen Unmöglichkeit, eine Lösung der Frage
auf anatomischem Wege herbeizuführen, aus gewissen. später
noch zu besprechenden pathologischen Erfahrungen ihr mehr
oder minder entschieden gehaltenes, negatives Urteil ab. Dahin-
gegen geht die Auffassung einiger weniger Autoren dahin, dass
das Fehlen von Lymphgefässen in der Pulpa unwahrschein-
lich sei.
Zu diesen letzteren gehört der Pariser Anatom Sappey
(56, 57), ein Gelehrter, der ein Menschenalter dem Studium des
Lymphgefässapparates beim Menschen und bei Säugetieren ge-
widmet hat und dessen berühmter Atlas (56) ein Fundament
der Lymphgefäss-Literatur bildet. Weil dieser hervorragende
Kenner des in Rede stehenden anatomischen Forschungsgebietes
nicht nur der Überzeugung ist, dass Lymphgefässe in der Zahn-
pulpa existieren müssen, sondern an dieser Überzeugung auch
trotz völligen Fehlschlagens häufiger eigener auf den Nachweis
der Gefässe gerichteten Versuche festhält, — eine Ansicht, die
von wesentlichem Einfluss gewesen ist auf meinen Entschluss, der
Lösung der anatomisch interessanten, pathologisch wichtigen Frage
näher zu treten —, deshalb möchte ich schon hier, bei der
Entwicklung meines Untersuchungsplanes, seine eigenen Worte
heranziehen, während ich mir ein Eingehen auf die Angaben der
übrigen Forscher im Einzelnen für den die Frage der Pulpa-
EN
FEUER
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. S09
Iymphgefässe speziell behandelnden zweiten Teil dieser Arbeit
versparen MUSS.
Sappey schreibt im Text zu seinem bereits erwähnten
Atlas (56) [pag. 70).
„A la muqueuse des gencives se rattache toute la serie des bulbes
dentaires. ÜCes bulbes ne sont, en definitive, que des papilles; et il y avait
lieu de penser, qu’ils possedent, comme toutes les autres papilles des mem-
branes tegumentaires, des vaisseaux Iymphatiques. J’ai entrepris des recher-
ches pour de&couvrir ces vaisseaux, et j’ai m@me souvent renouvel& mes ten-
tatives dans ce but convaincu qu’ils devaient exister. Aujourd’hui encore
je suis dispos€ & croire ä leur existence. Mais je dois avouer cepen-
dant, que toutes mes investigations sont demeurdes infructueuses. Il ne
m’a pas et@ donne, d’en distinguer les moindres traces, ni chez l'adulte, ni
chez l’enfant, ni chez le foetus.“
Wenn ich mich nun zu dem Versuch entschloss, die Frage
der Pulpa-Lymphgefässe durch eine rein anatomische Untersuchung
einer Lösung im positiven oder negativen Sinne, wenn möglich.
einen Schritt näher zu bringen, so musste ich mir darüber im
Klaren sein, dass ich nur dann einen Erfolg meiner Bestrebungen
erhoffen konnte, wenn es mir gelang, einen andern Weg aus-
tindig zu machen als den, der bei den bisherigen, in der Haupt-
sache resultatlos verlaufenen anatomischen Untersuchungen ein-
geschlagen wurde. Derartige Untersuchungen, unter Anlehnung
an Gerotas Methode, sind in neuerer Zeit angestellt worden
von Ollendorff (42) und Koerner (31). Diesen anreihen
möchte ich die Versuche von Carreras (11), wenn des letzteren
Vorgehen auch mehr in das (sebiet des physiologischen Experimentes
gehört. Ollendorff und Koerner gingen darauf aus, die Pulpa
am lebenden oder toten Objekt frei zu legen, entweder im Kiefer
oder nach Extraction des betreftenden Zahnes, und durch Ein-
stich in das Pulpagewebe nach Gerotas Prinzip etwa
vorhandene Lymphbahnen in der Pulpa oder solche in dem die
abführenden Gefässe einschliessenden Knochengewebe mit Farb-
tlüssigkeit zu füllen bezw. den Transport von Farbstoffpartikeln
in die regionären Lymphdrüsen in einer für einen Beweis aus-
reichenden Menge präparatorisch festzustellen. Dass diese Ver-
suche fehlgeschlagen sind, erscheint erklärlich. wenn man an den
ausserordentlichen Reichtum der Pulpa an dicht nebeneinander
gelagerten, in der Längsrichtung der Wurzeln verlaufenden Blut-
gefässen und die relativ geringe Entwicklung von interstitiellem
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd, 69. 53
s10 Georg Schweitzer:
Bindegewebe denkt. Ein Einstich in ein solches Gewebe, das
noch dazu, von starren Wänden umschlossen, nach keiner Richtung
hin dem Druck ausweichen kann, muss meiner Ansicht nach eine
Zerreissung von Blutkapillaren und kleinen Venen und damit die
bekannte blitzartige Füllung des gesamten zugehörigen Venen-
systems mit Injektionsflüssigkeit notwendig zur Folge haben.
(Ganz anders angelegt waren die Versuche von Carreras.
Dieser suchte die Resorptionsfähigkeit der Pulpa zu ergründen,
indem er sie freilegte und dann leicht resorbierbare, zum Teil
stark toxisch wirkende Stoffe auf sie heraufbrachte. Die grössten-
teils negativen Resultate hinsichtlich der Aufnahme der Stoffe
in die Blutbahn erklärt Carreras mit dem Fehlen von wahren
und eigenen Lymphgefässen in der Pulpa und der geringen Ent-
wicklung von Venenkapillaren. Erörterungen über die sonst
möglichen Ursachen des negativen Ausfalls der Carrerasschen
Versuche anzustellen, dürfte den Rahmen dieser rein anatomischen
Arbeit überschreiten. Es können die verschiedensten Umstände
hierbei mitgespielt haben, die eine-Resorption der ganzen auf
die Pulpa applizierten Dosen von Giftstoften illusorisch machen
mussten, von denen schon Koerner (31) einen anführt.
Nach den Erfahrungen Koerners und Ollendorffs
schien mir ein Vorgehen auf dem von ihnen eingeschlagenen
Wege naturgemäss ebenso wenig Aussicht auf irgend welchen
Erfolg zu bieten, wie er diesen beiden Untersuchern beschieden
war. Ich ging vielmehr von der Forderung aus, dass man ein
für Injektionsversuche so diffiziles Organ, wie die Pulpa, selbst
völlig intakt, d. h. ohne Einstichläsionen, erhalten und
eventuell auf Umwegen eine Füllung seiner Lymphbahnen, falls solche
überhaupt vorhanden, erstreben müsse. Es handelte sich also
darum, einen solchen gangbaren Umweg ausfindig zu machen.
Für die diesbezüglichen Überlegungen und Erörterungen fand ich
eine äusserst schätzenswerte Unterstützung bei Herrn Dr. Bartels.
Volontär-Assistenten der Anatomischen Anstalt, der mich auch
veranlasst hat, der vorliegenden Untersuchung mich zu widmen.
Bei der Erlernung der Injektions- Methode mit ihren vielen
kleinen Kunstgriffen, der Beschaffung des zahlreichen von mir
benötigten menschlichen und tierischen Materials, sowie für die
kritische Beurteilung meiner einzelnen Befunde hatte ich in ihm
eine stets bereite erfahrene Hilfe, so dass ich ihn schon an dieser
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. sıl
Stelle meiner aufrichtigen Dankbarkeit für seine weitgehende
Unterstützung versichern möchte. Ausgehend von der Erfahrung,
dass den Bahnen der Blutgefässe sich auch in der Regel Lymph-
gefässe anschliessen, dass man daher in blutgefässhaltigen Ge-
weben, z. B. der Pulpa, auch auf das Vorhandensein von Lymph-
gefässen rechnen dürfe, und ebenso auf das Vorhandensein von
Iymphatischen Anastomosen zwischen Zahnfleisch und Pulpa ent-
sprechend solchen der Blutgefässe, wies mich Bartels auf die
Möglichkeit hin, dass man unter Anwendung dieser Erfahrungen
vielleicht zum Ziele, d. h. zur Auffindung von Pulpalymphgefässen
gelangen könne, indem man eine Füllung der postulierten Pulpa-
Iymphgefässe durch eine Einstichinjektion der Zahntleischlymph-
gefässe zu erhalten versuchte. Dies gab mir die Anregung zur
Erwägung eines entsprechend aufgebauten Untersuchungsplanes.
Über den Zusammenhang der Blutgefässe des Zahn-
-fleisches mit denen des Periodontium und durch letzteres
mit denen der Zahnpulpa fand ich eingehende Beschreibungen
besonders bei Wedl (68, S. 57) und v. Ebner (17, S. 271). Den
Zusammenhang der Lymphogefässe des Periodontium mit denen
des Zalhnfleisches hat Dorendorf (16, S. 22) bei seinen Injektionen
festgestellt: ein gleiches war analog dem Zusammenhang der Blut-
gefässe anzunehmen für die Lymphbahnen des Periodontium
und der Pulpa. Theoretisch lagen also, soweit es sich um
das Vorhandensein von Iymphatischen Verbindungen zwischen
Zahnfleisch und Zahnpulpa handelte, keinerlei Bedenken gegen
den Versuch, vom Zahnfleisch aus die Pulpalymphgefässe mit zu
injizieren, vor. Praktisch war dagegen jedoch zunächst eine
wesentliche Einwendung zu machen. Bei dem skizzierten Wege
muss die Injektionsflüssigkeit zum grossen Teil gegen die
normale Richtung des Lymphstromes, also gegen die Lymph-
gefäss-Klappen, wo solche vorhanden, vordringen, was besonders
schwer ins Gewicht fällt in anbetracht des Umweges, den der
Injektionsstrom zu machen hat. und der schon hierdurch stark
geschwächten Kraft des Stromes. Nun ist aber einmal der
Klappenschluss bei Lymphgefässen nicht überall ein in dem Grade
absoluter, wie bei den Venen: dann aber fand ich schon bei
unserm Altmeister Hyrtl (28) die Ermutigung dazu, ein Injizieren
gegen die Klappen wenigstens zu versuchen.
Hyrtlis originelle Äusserung in dieser Hinsicht möchte ich
dr
s1l2 Georg Schweitzer:
im Auszuge wörtlich zitieren; er schreibt in seinem „Handbuch
der praktischen Zergliederungskunst“ (28,8.756 u. 757):
„So wahr es ist, dass in allen Lymphgefässen, den grössten wie den
kleinsten, paarig gestellte Klappen vorkommen, ebenso wahr ist es auch, dass
diese Klappen nicht an allen Stellen vollkommen schliessen und eine retro-
grade Injektion nicht absolut verhindern. Ich möchte es fast als einen all-
gemein gültigen Grundsatz aufstellen, dass nur jene Lymphgefässe suffiziente
Klappen besitzen, welche sich einmal von den Organen. in welchen sie ent-
springen, frei gemacht haben und auf dem Wege sind, sieh mit anderen zu
verbinden. Jene Lymphgefässe dagegen, welche an der Oberfläche des be-
treffenden Organs sitzen bleiben, und die Verlängerungen oder Zuzüge ihrer
Netze aus der Tiefe des Organes herauf, sind entweder gänzlich klappenfrei.
oder wenn sie deren besitzen, doch in zentrifugaler Richtung injizierbar . .
Man erlaube sich nur, an dem Dogma der allerwärts suffi-
zienten Klappen zu zweifeln und keck die retrograde In-
jektion zu versuchen, und man wirdüberdieErfolgestaunen,
welche die orthodoxe Anatomie der Lymphgefässe sich nimmer
träumen lässt.“
Nach den vorstehenden Erwägungen erschien es mir mög-
lich, unter günstigen Umständen vom Zahnfleisch aus eine Füllung
von Pulpalymphgefässen zu erzielen, und da dieser Weg als der
einzige mir vorschwebte, der meiner eingangs gestellten Forderung
völliger Intakterhaltung des Pulpagewebes entspricht, so entschloss
ich mich, ihn zu beschreiten, d. h. also durch Injektion der
Lymphbahnen des Zahnfleisches nach der Gerota-
schen Methode eine Füllung und so den Nachweis
von Pulpalymphgefässen zu versuchen. Der Weg hat
sich als der richtige erwiesen, wenn auch die Verbindung zwischen
Zahnfleisch und Pulpa sich im Unterkiefer ein wenig anders
gestaltete, als ich es erwartet und oben angedeutet habe.
Unter der von mir gestellten Voraussetzung, dass eine
Kommunikation zwischen Zahnfleisch- und Pulpa-Lymphgefässen
bestehe, lag für mich die Annahme nahe, dass diejenigen Lymph-
drüsen-Gruppen, in welche die abführenden Lymphgefässe
des Zahnfleisches einmünden, auch für die Zähne als die
vegionären zu betrachten sein würden. Aus diesem Grunde und
weil eingehende Untersuchungen speziell der Zahntleischlymph-
bahnen bisher, soweit mir bekannt geworden, nicht bezw. nicht
mit ausreichendem Erfolge stattgefunden haben, erschien es mir
notwendig und von Wert, zunächst an möglichst reichlichem
Material eine Untersuchung dieser Lymphbahnen, sowohl makro-
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 815
skopisch wie mikroskopisch, vorzunehmen, und zwar nicht nur
beim Menschen, sondern zu Vergleichszwecken auch bei ver-
schiedenen Vertretern der Säugetierklasse. Tierisches Material
ist meist leichter zu beschaffen als menschliches und bietet speziell
für meine Untersuchung den Vorteil eines ausgebildeten Gebisses
gegenüber den Kieferverhältnissen der für mich fast einzig als
menschliches Material in Betracht kommenden Neugeborenen bezw.
Feten. Die Ergebnisse der Untersuchung bei Tieren liessen mich
nach analogen Verhältnissen beim Menschen forschen. Schliess-
lich dürfte die Feststellung wesentlicher Übereinstimmung oder
wichtiger Verschiedenheiten sowohl im Verlauf der Zahnfleisch-
Iymphgefässe, in deren Hauptabflussbahnen auf der Wange ja
auch die Lymphe aus anderen Teilen des Gesichts, der Nase und
der Mundhöhle, soweit bekannt, einmünden, als auch in der Lage,
Anordnung und dem Ausbildungsgrad der regionären Drüsen-
gruppen von Interesse für die vergleichende Beurteilung des
Lymphgefässsystems und von gewissem Wert für tierärztliche
Zwecke sein, zumal ich in der Literatur hierüber wenig spezialisierte
Angaben gefunden habe.
Meine Arbeit gliedert sich daher in die Beantwortung
folgender Fragen:
1.In welcher Weise und zu welchen Drüsen-
sruppen bezw. einzelnen Unterabteilungen
von Haupt-Gruppen verlaufen die Lymph-
gefässe aus den verschiedenen Teilen des
Zahnfleisches
a) beim Menschen?
b) bei Säugetieren?
2. Wie gestaltet sich der feinere Verlauf der
Lymphgefässe im Zahnfleisch?
3. Wie ist die Frage nach der Existenz von
Pulpalymphbahnen zu entscheiden?
Die vorliegende Arbeit enhält die Beantwortung der Frage
la sowie die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung
zu Frage 3.
Die Beantwortung der Fragen 1b und 2 werde ich folgen
lassen, sobald ich die diesbezüglichen, fast vollendeten Unter-
suchungen durch einige, zurzeit nicht ausführbare Versuche zum
Abschluss gebracht haben werde.
s14 Georg Schweitzer:
Die bisherigen Untersuchungen wurden ausgeführt in der
Zeit vom Juli 1905 ab bis jetzt im Anatomischen Institut der
hiesigen Universität. Tierisches wie menschliches Material wurden
mir hier in dankenswertester Weise zur Verfügung gestellt. Affen
und Hunde liess mir bereitwilligst in grosser Zahl Herr (Geheim-
yat Munk zukommen. Ich darf hierfür auch an dieser Stelle
meinen verbindlichsten Dank abstatten.
Die Lymphgefässe des Zahnfieisches beim Menschen.
Dass die nach den übereinstimmenden Forschungsresultaten
der älteren Anatomen die Lymphe von den meisten Teilen des.
unteren Gesichts, der Lippen-, Wangengegend, der äusseren Nase, den
Medianpartien des unteren Augenlids hauptsächlich empfangenden
Submaxillar-Lymphdrüsen auch als regionäre Drüsen
für die Schleimhaut der Mundhöhle und somit für das Zahntleisch
zu betrachten sind, ist bereits von denjenigen Forschern, welche
gelegentlich ihrer Untersuchungen über die Lymphbahnen des
Gesichts auch Teile des Zahnfleisches als Injektionsgebiet benutzten,
festgestellt worden. Was die Frage der Zahl und Lage der
submaxillaren Lymphdrüsen angeht, so darf diese nach den neueren
Untersuchungen als abgeschlossen betrachtet werden. Während
die älteren anatomischen Lehrbücher, wie z. B. die v. Langer-
Toldt (33), Gegenbaur (18), Henle (25), Rauber (53),
Merkel (38), z. T. keine bestimmte Zahl angeben, z. T., auf den,
wie Stahr (59, S. 452) hervorhebt, gerade in den speziellen
Fragen nicht immer zutreffenden Angaben von Sappey (56, 57)
fussend, eine viel zu hohe Zahl von Submaxillardrüsen, S—10.
12—15, ja bis zu 20 annehmen, haben die neueren Untersuchungen
stets unter normalen Umständen eine weit geringere Drüsenzahl
ergeben. Schon Gussenbauer (21), dann Partsch (44—46),
Most (40), Dorendorf (40), Ollendorff (42) und insbesondere
Stahr (59) in seiner speziell die Zahl und Lage der submaxillaren
Drüsen behandelnden Abhandlung haben an zahlreichem Material
festgestellt, dass Zahl und Lage gerade dieser Drüsen eine
ausserordentliche Konstanz zeigt.
Es finden sich jederseits fast durchgehends sowohl beim Neugeborenen,
bei dem normale Verhältnisse noch am ehesten vorauszusetzen sind, als auch,
wie Stahr nach den Untersuchungeu von Bruhns anzunehmen geneigt ist,
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 815
im wesentlichen bei gesunden, älteren Individuen drei submaxillare
Drüsen bezw. Drüsengruppen. Auch Cecil Leaf (34) gibt diese Zahl an.
Die submaxillaren Lymphdrüsen liegen in dem von der Basis des Unter-
kiefers und den beiden Biventerbäuchen gebildeten Submaxillardreieck (Regio
s. Fossa submaxillaris).
Nach Stahr und Most (S. 74) liegt die erste Drüse von der Median-
linie aus gerechnet, meist relativ klein, in dem vorderen Winkel des Sub-
maxillardreiecks an der Vena submentalis, unfern dem vorderen Biventerbauch
und dem Kieferrand, auf dem M. mylohyoideus.
Die zweite Drüse, die grösste und wichtigste aller dieser Drüsen,
liegt in der Regel am Kieferrand, z. T. von ihm gedeckt, medial an der Art.
maxillaris externa.
Die dritte Drüse, etwas kleiner als die zweite, liegt lateral von der
letzteren entweder zwischen A. maxill. ext. und Vena facialis anterior, oder —
wie meist — lateral von dieser Vene, mitunter auch, bei besonders hoher
Lage des Zusammenflusses der Vv. faciales ant. und post. in dem hierdurch
gebildeten Winkel.
Auch ich kann nach meinen Untersuchungsergebnissen die
vorstehenden Angaben im allgemeinen bestätigen. Hinsichtlich
der ausserordentlichen Konstanz in Zahl und Lage der Submaxillar-
Drüsen möchte ich übrigens an dieser Stelle darauf hinweisen,
dass eine solche Konstanz in höchstem Maße auch bei den von
mir in grosser Zahl untersuchten Affen, Hunden, Wieder-
käuern und Nagern sich vorfand. Im Einzelnen zeigte sich
bei diesen Tieren eine fast noch grössere Regelmässigkeit als
beim Menschen, indem z. B. Bildungen von Gruppen kleinerer
Drüschen an Stelle einer einzigen grösseren Drüse weit seltener
vorkamen. Fine scheinbare Ausnahme hiervon, eine Vermehrung
der Zahl der Drüsenindividuen, die ich hin und wieder bei Affen
vorfand, erhielt ihre Erklärung bei der Sektion, die Tuber-
kulose als Todesursache ergab. Die atypischen Drüsen zeichneten
sich meist dadurch aus, dass sie keine eigenen Vasa afferentia vom
injizierten Zahnfleisch her erhielten, vielmehr entweder gar nicht
oder nur sekundär von den typischen Drüsen her mit Farbstoff
gefüllt waren. Sollte nicht in der Häufigkeit des
Vorkommens von Krankheiten, mit denen eine
Veränderung des Lymphdrüsenapparates einher-
geht, wie Tuberkulose, Syphilis und Skrophulose,
beiden Präpariersaal-Leichen ein Grund für die
yıelezu. hoch gegrififene Drüsenzahl. in einem
Teilder oben angeführten älteren anatomischen
516 Georg Schweitzer:
Lehrbücher liegen? (wenn man von dem Einfluss der
Sappevschen Angaben absieht).
Ausser den submaxillaren Lymphknoten kommen für meine
Untersuchung noch diesubmentalen Lymphdrüsen in Betracht.
Diese liegen nach Most (40, S.20) in dem Raum, welcher begrenzt
wird seitlich von dem medialen Rande des vorderen Biventerbauches, nach
oben vom Unterkiefer, nach unten vom Zungenbein. Most unterscheidet
zwei Untergruppen, eine obere (eine oder zwei Drüsen nahe der Mittellinie
und unfern dem unteren Kieferrand), eine untere (eine oder zwei Lymph-
knoten weiter abwärts nahe dem Zungenbein).
Hinsichtlich der Zahl und Lage dieser Drüsen kann
ich die vorstehenden Befunde ebenfalls bestätigen. Ob und in-
wieweit dieselben für Teile des Zahnfleisches als regionäre Drüsen
in Betracht kommen und ob ihr Vorkommen ein konstantes ist.
werde ich an meinen Befunden erörtern.
Soviel über die Lymphdrüsen. Was die die Lymphe vom
Zahntleisch zu den regionären Drüsen abführenden Gefässe
anlangt. so haben Untersuchungen über ihren Verlauf bisher nur
in beschränktem Maße stattgefunden, und zwar meist in neuerer
Zeit bei Gelegenheit von Forschungen in weiterem Rahmen zwecks
Feststellung der Wege, auf welchen bei den an verschiedenen
Stellen der Gesichtsweichteile lokalisierten malignen Tumoren
eine Verschleppung der pathogenen Gewebselemente stattfinden
könnte. Ich will mich in der Aufzählung der Angaben an die
chronologische Reihenfolge halten und nur diejenigen Autoren
anführen, bei denen ausführlichere Angaben speziell über das Zahn-
fleisch zu finden sind.
Die älteren Werke enthalten keine eingehenderen
Angaben mit Ausnahme von Uruikshank (12), welcher die
Lymphgefässe „des Zahnfleisches, des Alveolarrandes und der
Tonsillen“ der Art. maxillaris externa folgen und nach Über-
schreiten des unteren Unterkieferrandes sich der Vena jugularis
externa anschliessen lässt. Über die Einmündung in die sub-
maxillaren Drüsen erwähnt dieser Autor nichts.
Ausführlicher spricht sich dann Sappey in seinem bereits
erwähnten Atlas (56, pg. 69) und seinem Traite d’anatomie
deseriptive (87, pg. 838) aus. Ich fasse seine Angaben kurz in
folgendem zusammen:
Das Zahnfleisch ist mit einem ausserordentlich feinen Netz unaufhörlich
anastomosierender Lymphgefässe bedeckt, wodurch ein äusserst zartes Maschen-
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. S17
werk gebildet wird. Zwischen je zwei benachbarten Zähnen verlaufen von
innen nach aussen feine Stämmchen, im Oberkiefer 14—17 an der Zahl.
Auf der Aussenseite des Oberkiefer-Alveolarfortsatzes angelangt, ergiessen
sich alle diese Stämmehen in einen dicken, im Halbkreis verlaufenden Stamm.
Dieser beginnt in der Mittellinie mit vielen Würzelchen in Höhe des Lippen-
bändchens, vorzugsweise aus dem zwischen den beiden mittleren Ineisivi hindurch
verlaufenden Stämmehen und zieht sich dann jederseits um den Bogen des
Alveolarfortsatzes herum, fortgesetzt an Volumen zunehmend, um dann in
Höhe des ersten Molaren in das Wangenfleisch einzudringen und schräg
nach lateral abwärts zum äussersten submaxillaren Lymphknoten —
Sappey nimmt deren, wie erwähnt, 10—15 an — zu verlaufen.
Auf der inneren Seite des Oberkiefer-Alveolar-Fortsatzes setzt sich
das Netz desselben fort in das der Schleimhaut des harten Gaumens, dem-
nächst des weichen Gaumens, dessen abführende Gefässe sich mit denen des
Velum palatinum vereinigen.
Die von der Zahnfleisch-Mucosa des Unterkiefers ausgehenden
Stämmchen steigen an der äusseren und inneren Seite des Unterkiefers herab
und ergiessen sich in die submaxillaren Drüsen.
Sappey erläutert seine Befunde durch ein Bild von den
Lymphgefässen des Gaumens und zwei vom Verlauf derselben im
Zahnfleisch des Oberkiefers. Den wichtigen Verlauf der Gefässe
auf der Wange und ihre Verteilung auf die Drüsen zeigt er
uns nicht.
Ferner hatDorendorf, gelegentlich seiner Untersuchung
über die Lymphbahnen und Lymphdrüsen der Lippen (16), in
sieben Fällen Zahnfleisch und Periost des Unterkiefers
injiziert, jedoch, wie er angibt. vollkommene Präparate nicht erzielt.
Nach Dorendorf gelangt die Lymphe des Unterkiefer-Zahnfleisches
und -Periostes in die submaxillaren und submentalen Lymphdrüsen, hinsichtlich
deren Zahl, Lage und Grössenverhältnisse er mit Stahrs Angaben über-
einstimmt. Hauptdrüse ist Drüse II (vergl. S. 815), nur in einem Falle wurde
die Drüse IH durch zwei Gefässe aus der (regend des Lippenwinkels gefüllt.
Die Drüse I ist nur in einem Falle gefüllt durch zwei Gefässe, welche
vom Zahnfleisch an der inneren Kieferfläche, den M. mylohyoideus durch-
bohrend, heruntersteigen. Ebenso wurde in einem Falle eine Submental-
drüse durch Stämmchen von der Unterkiefer-Mitte aus gefüllt. Einige Einzel-
beobachtungen sollen an entsprechender Stelle später Erwähnung finden.
Poirier und Cunco (47, pg. 1272 und 1286) schliessen
sich in ihrer Schilderung der Zahnfleisch-Lymphgefässe und der
regionären Drüsen eng an Sappey an. Nur in der Zahl der
submaxillaren Drüsen berücksichtigen sie die neueren Fest -
stellungen, indem sie deren Anzahl auf 3—6 angeben; letzterer
7/ahl dürfte wohl die häufige Teilung einer Drüse in eine Gruppe
815 Georg Schweitzer:
von mehreren kleineren Knoten, die dann einzeln gezählt sind.
zu Grunde liegen. Die Lymphgefässe fast des ganzen Zalın-
tteisches verlaufen, diesen Autoren zufolge, zu den submaxillaren
Drüsen, nur von der Schleimhaut des den submentalen Drüsen
entsprechenden Teiles des Unterkiefer-Alveolarfortsatzes gehen
(Grefässe zu diesen letzteren Drüsen.
Eingehender bearbeitet wurden die Lymphgefässe des Zahn-
tteisches von Pölya und v. Navratil (48), bei ihren Unter-
suchungen über die Lymphgefässe der Wangenschleimhaut und
der angrenzenden Schleimhautbezirke. Diese beiden Autoren
haben in 11 Fällen das Zahnfleisch einer Unterkieferhälfte, in
sieben Fällen das einer Oberkieferhälfte injiziert.
Ihre Befunde im Unterkiefer decken sich im wesentlichen mit denen
Dorendorfs. Kurze kleine Zweige ziehen zumeist an der äusseren Ober-
fläche des Unterkieferperiostes, aber auch an der lingualen Kieferfläche, zu
den Submaxillardrüsen: in einem Falle wurde auch ein von der Kiefermitte
zu den Submentaldrüsen ziehendes Gefäss gefunden.
| Im Oberkiefer fanden sie, wie schon Sappey, Abflüsse in der Regel
nach aussen über die Wange zu den Submaxillardrüsen, aber, wenn auch
seltener, nach innen über den Gaumen zu den tiefen Uervicaldrüsen. Die
Zahl der von ihnen auf der Wange im Bett der Gesichtsvene festgestellten
Gefässe ist sehr gering: es handelte sich meist nur um zwei in die äusserste
Submaxillardrüse in einem gemeinsamen Stamm einmündende Gefässe.
Auch Pölya und v. Nayratil haben, sowohl nach ihren
Beschreibungen wie nach einer Abbildung. die uns besonders
über die Verhältnisse in der Nähe des (@uellgebietes, des Zahn-
tleisches, im Unklaren lässt, vollkommene Präparate nicht erzielt.
Erst nach Abschluss meiner Untersuchungen wurde mir das
neue, kürzlich erschienene Werk von Most (40) über die Topo-
graphie des Lymphgefäss-Apparates von Kopf und Hals bekannt,
welches eingehendere Mitteilungen über die Zahntleischlymphbaknen
enthält. Meine selbständigen Untersuchungen laufen also zeitlich
neben denen Mosts einher.
Die Angaben Mosts decken sich im wesentlichen mit denen der bis-
her angeführten Autoren. Aus dem dichten Lymphkapillarnetz des Zahnfleisches
bilden sich, wie bei Sappey, meist nur ein, zwei oder drei den Kiefer
entlang laufende abführende Stämme, die im Oberkiefer, im allgemeinen
dem Strombett der Vena facialis anterior angegliedert und mehr oder weniger
dem vorderen Masseter-Rand folgend, zum Submaxillar-Gebiet ziehen und
zwar ganz besonders zur dritten, aber auch zur zweiten Drüse.
Hiernach ist die Hauptdrüse für die Lymphe des Oberkiefers nicht die
zweite, sondern die dritte Submaxillardrüse, ein Befund, den wir schon bei
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. s1H
Sappey (56) und dann bei Pölya und v. Navratil (18) antreffen. Nach
meinen Befunden macht die zweite Drüse, wie ich zeigen werde, beim
Zahnfleisch keine Ausnahme von ihrer Rolle als Hauptdrüse für die Lymphe
der gesamten Gesichtsweichteile. Über die Abflusswege der Lymphe- des
Öberkiefer-Zahnfleisches nach dem Gaumen zu bringt Most eine Bestätigung
der früheren Angaben.
Vom Unterkiefer-Zahnfleisch strömt die Lymphe nach Most ebenfalls
an beiden Flächen des Unterkieferkörpers herab zur zweiten und dritten.
seltener zur ersten Submaxillardrüse, aus den Medianpartien wieder in
wenigen Gefässen zu den Submentaldrüsen.
Dies sind die Angaben, die wir aus der Literatur über
Zahnfleisch-Lymphgefässe und -Lymphdrüsen besitzen und die ich
nunmehr durch Beschreibung meiner eigenen Befunde nicht nur
bestätigen, sondern auch präzisieren und erweitern zu können hofte.
Vorher seien mir einige kurze Bemerkungen gestattet über
meine Erfahrungen hinsichtlich der
Technik der Injektion und Auswahl bezw.
Behandlung des Materials.
Ich habe bisher Zahnfleisch-Injektionen ausgeführt
an etwa 28 Oberkieferhälften beim Menschen
2 67 ki N bei Säugetieren
e a 25 Unterkieferhälften beim Menschen
u; 5 78 P 5 bei Säugetieren.
Im Ganzen lagen also meinen Untersuchungen
etwa 201 Zahnfleisch-Injektionspräparate zu-
grunde, zu denen noch einige mit Lymphdrüsen-
injektion. treten.
Was die von mir geübte, schon in früherer Zeit bekannte
und von Gerota (20) wieder zu Ansehen gebrachte Injektions-
methode im allgemeinen angeht, über deren Wesen sich
Ranvier (52) ausführlich ausspricht, so halte ich es für an-
gemessen, nur auf die diesbezüglichen Veröffentlichungen von
Gerota (20) selbst, Stahr (59), Most (40), Dalla Rosa (14)
und Bartels zu verweisen. Meine Kenntnis der Methode ver-
danke ich ganz Herrn Dr. Bartels, dessen Angaben (1—3) ich
nichts hinzuzufügen habe. Nur über meine speziellen Erfahrungen
am Zahnfleisch möchte ich mich kurz äussern.
Ich befolgte mit Vorteil sofort nach Erlernung der ersten
allgemeinen Handgrifte Bartels’ Rat, mich baldmöglichst speziell
320 Georg Schweitzer:
nur auf die Injektion des Zahnfleisches einzuüben. Auch nach
meiner Ansicht bedarf es bei der Verschiedenheit der Konsistenz
der zu injizierenden (rewebe und vor allem der mehr oder minder
schwierigen Zugänglichkeit des Operationsfeldes stets einer gewissen
Einübung auf das zu injizierende Gebiet. Im Übrigen erscheint
mir die Erlernung der Methode leicht. Die Hauptschwierigkeit
liegt, wie Stahr (59, S. 448) schon gebührend hervorhebt, speziell
bei kleinen Verhältnissen in der Präparation der ausser-
ordentlich zarten und leicht zerreissbaren Gefässe, bei der
Stahrs Mahnung zur Geduld, zum scharfen Sehen und Schneiden,
eventuell mit bewaffnetem Auge, vollste Beachtung verdient.
Für das Zahnfleisch, das speziell beim menschlichen Neugeborenen
ein sehr straffes, mit einem zum Festhalten der Brustwarze geeigneten,
fast knorpelharten Schleimhautwulst versehenes Gewebe darstellt, — Fr.Meckel
vergleicht diesen Schleimhautwulst mit den Hornschnäbeln der Reptilien und
Vögel — darf die Spitze der Glaskanüle nicht allzu fein ausgezogen
sein, da sie sonst infolge des Widerstandes des (rewebes, statt in dasselbe
einzudringen, zerbricht. Aus dem gleichen Grunde darf der Einstich nicht
langsam, sondern muss ziemlich ruckartig erfolgen; bei langsamem
Einstich biegt sich die Kanülenspitze und bricht dann leicht ab. War die
Kanülenspitze mit dem ruckartigen Einstich in das Zahnfleisch hineingelangt,
so machte sich meist ein stärkerer Widerstand gegen das Eindringen der
Injektionsflüssigkeit geltend, hervorgerufen durch Spannung des Ge-
webes vor der Kanülenspitze. Ich pflegte dann stets die Spritze
kaum merklich zurückzuziehen, wodurch eine Entspannung des Gewebes
vor der Kanülenspitze eintrat und die Farbflüssigkeit „einschoss“. In der-
selben Weise verfuhr ich, wenn ich bei sichtbar gutem Vordringen des
Farbstoffes in den Lymphgefässen, wie es sich bei diesen sehr häufig beob-
achten liess, die Kanüle möglichst lange in der Einstichöffnung beliess. Bei
dem starken anzuwendenden Druck senkte man allmählich unwillkürlich und
unbewusst die Spitze etwas tiefer in das Zahnfleisch ein, so dass diese in
Gefahr geriet, auf den häufig dicht unter der dünnen Schleimhaut liegenden
knöchernen Alveolarrand aufzutreffen und zu zersplittern. Ein geringes
Zurückziehen der Spritze von Zeit zu Zeit liess dieses Vorkommnis vermeiden.
Besondere Schwierigkeiten machte die Injektion des Zahnfleisches in
der Tiefe der Mundhöhle an der Wangenseite. Bei Neugeborenen
liessen sich dieselben noch verhältnismässig leicht überwinden durch zweck-
mässige Lagerung des Kopfes, Seitwärtsziehen der Wangen und Herabziehen
des Unterkiefers durch Muskelhaken usw. Beim erwachsenen Menschen so-
wohl wie in noch höherem Maße bei den Tieren bedurfte es ganz besonderer
Übung, um einen erfolgreichen Einstich in das schmale, teilweise dünne
Zahnfleisch auf der Wangenseite der oberen Molaren, bei geringer Beleuchtungs-
möglichkeit der eng umgrenzten Einstichstelle, mit völlig ruhiger Hand zu
erreichen.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 821
Bei einzelnen Säugetierordnungen bedurfte es präparatorischer Vor-
bereitungs-Mafnahmen, wie Exarticulation des Kiefergelenks auf einer Seite,
um bei der überaus engen Maulspalte in das Gebiet der Backenzähne injizieren
zu können.
Besonders in solchen Fällen, in denen völlige Ruhe. der
Hand bei nicht immer ermöglichtem Aufstützen derselben uner-
lässlich war, machte ich mit Vorteil Gebrauch von der von
Bartels für Lymphgefäss-Injektion modifizierten Rekord-
Spritze, die dieser in seiner letzten Veröffentlichung über die
Lymphbalınen des Pankreas (3) (Archiv f. Anatom. u. Physiologie.
anatom. Abtlg. 1906. S. 254, 255) beschrieben hat. Die Ringgrifte
dieser Spritze für den zweiten und dritten Finger sowie ihr leichter
(Gang erleichterten mir manche schwierige Injektion.
Als Injektionsfarbe verwandte ich ausser der be-
kannten Berlinerblau-Terpentin-Äther-Mischung in einigen Fällen
die von Dr. Severeanu-Bukarest Ende des Winters 1905/06
im hiesigen anatomischen Institut zusammengestellten earmin-
roten und grünen Farben.
Herstellung dieser Farben und Erfolge mit denselben sind von Dr.
Severeanu auf dem Anatomen-Kongress 1906 in Rostock demon-
striert worden, auch wird eine Beschreibung demnächst im „Archiv für Anat.
u. Phys.“ erscheinen. Zweifellos brauchbar scheint mir nach meinen bisherigen
geringen Erfahrungen die grüne Farbe, während die rote nicht genügende
Farbendifferenzen von etwa durch Hyperz@mie mit Blut gefüllten feinen
benachbarten Venen aufwies.
Als menschliches Material verwandte ich ausge-
tragene Neugeborene, Frühgeburten und Feten bis etwa zum
sechsten Monat herunter. Die besten Resultate lieferten die
Frühgeburten, siebenter bis achter Monat. Der Lymphgefäss-
apparat, voll entwickelt, besitzt relativ sehr weite (sefässlumina.,
sodass der Injektionsstrom fast stets bis in die zweite, eventuell
sogar dritte Etappe hinein die Drüsen füllte. Die intensive Farbe
der gefüllten weiten Gefässe sowie die noch im kückstande
befindliche Fettentwicklung erleichterten wesentlich die Präparation.
Am Erwachsenen habe ich nur eine Kontroll-Injektion ausführen
können. Am geeignetsten erwies sich stets mög-
lichst frisches Material.
Nach der Injektion wurden die Leichen noch einen Tag
aufbewahrt, meist auch noch die Gesichtshaut zwecks Vorwärts-
treibens der Injektionsflüssigkeit in den (refässen in entsprechender
522 Georg Schweitzer:
Richtung massiert; alsdann gelangten die Präparate in 10°. Formol-
lösung, in der sie sich dauernd gut gehalten haben.
Die Präparation erfolgte je nach der vorhandenen Zeit
bereits nach wenigen Tagen oder nach Wochen und Monaten.
Hierbei wurde zunächst äussere Haut, subceutanes Fettgewebe,
Platysma, oberflächliche Halsfascie bezw. oberflächlichere Gesichts-
muskulatur abpräpariert und an der Unterkieferbasis die injizierten
Lymphdrüsen, an der Wange die tiefe Muskulatur, Muse. masseter
und buceinator bezw. an den Lippen der Musc. orbieularis oris,
ferner die Submucosa der nicht von genannten Muskeln bedeckten
Teile der Wangenschleimhaut bezw. die oberflächlichste Lage des
Kieferperiostes freigelegt. Auch das Corpus adiposum buccae (Bichät)
wurde mit Vorsicht von den dicht an bezw. unter ilım verlaufenden
(refässen abgelöst. Nach erfolgter Präparation der Lymphgefässe
und -drüsen wurde von jedem Präparat ein Protokoll aufgenommen,
während die auf Art, Geschlecht, Alter des Objektes, Ausdehnung
der Injektion usw. bezüglichen Notizen bereits nach Ausführung
der letzteren gemacht waren. Ausserdem wurde von jedem
Präparat, meist unter Benutzung einer angefeuchteten Mattglas-
platte sowie von Paus- und Blaupapier, eine möglichst genaue
Skizze zur Vervollständigung des Protokolls angefertigt.
Die auf Taf. XXVII gegebenen Abbildungen sind
sämtlich möglichst naturgetreu nach Original-Präparaten
gezeichnet, ohne Ergänzungen hinsichtlich solcher Gefässe, welche
etwa gerade in dem der Abbildung zu Grunde liegenden Falle
unvollständig oder gar nicht gefüllt sind, sonst aber typisch
vorkommen. Sie geben also nur wirklich vorhandene Einzel-
präparate wieder. Kombinationsbilder herzustellen durch Zu-
sammenstellung von gut injizierten Regionen verschiedener
Präparate, hielt ich nicht für zweckmässig, da hierdurch leicht
ein zu reichhaltiges und daher, was Anzahl der Gefässe anlangt,
der Wirklichkeit nicht entspreehendes Bild erzielt wird. Die
Abbildungen können somit naturgemäss nicht alle vorkommenden
Möglichkeiten, bei der grossen Variabilität des Lymphapparates,
enthalten: sie geben nur möglichst typische Bilder, diese aber —
und darin liegt ein Vorzug gegenüber den Kombinationsbildern
— nach einem einzigen wirklich existierenden Präparate. Die
gegebene Abbildung im einzelnen zu vervollständigen und die
verschiedenen Modifikationen darzustellen, ist der Zweck der
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 823
ausführlichen Beschreibungen, die ich von jedem einzelnen Fall
tolgen lasse.
Bezeichnungen.
Als „regionäre Drüsen“ bezeichne ich nach den
Stahrschen (60) Definitionen diejenigen Drüsen, „welche durch-
aus passiert werden müssen und grössere, unbedingte Stationen
bilden“. Ausser diesen kommen noch vor Schaltdrüsen,
d.h. „kleinere, welche im Verlaufe der Stämmchen bis zu den
eigentlichen regionären Knoten da und dort auf dem Wege ein-
geschaltet sein können. Sie sind unregelmässiger in ihrem Vor-
kommen überhaupt. unbestimmter in ihrer Lage.“ Unter den
regionären Drüsen betrachte ich als Hauptdrüse diejenige,
welche die meisten Zuflüsse aus dem Quellgebiet erhält. Meistens
ist dies auch die grösste Drüse bezw. ansehnlichste Drüsengruppe.
wenn eine solehe an Stelle einer Einzeldrüse vorkommt. Die
einzelnen Submaxillardrüsen bezw. -Drüsengruppen
bezeichne auch ich von der Medianlinie beginnend mit I, II und
III entsprechend der Stahrschen Einteilung (s. oben S. 515).
Eine Rolle bei der Schilderung des Verlaufs der Zahntleisch-
Ivmphgefässe spielen die obere und die äussere bezw. innere
untere „Umschlagfalte“, oder auch „Übergangsfalte*.
Es sind dies die rings um den Ober- bezw. Unterkiefer herum-
laufenden Linien, in denen die Schleimhautbedeckung der
Alveolarfortsätze, also das Zahnfleisch, in die Lippen- bezw.
Wangenschleimhaut und an der inneren Fläche des Unterkiefers
in die Schleimhaut des Mundbodens „sich umschlägt“ oder „über-
geht‘. Die beiden ersteren Übergänge markieren sich auch
aussen, auf der facialen, submucösen Seite der Lippen-Wangen-
schleimhaut, indem diese lose liegende Haut in einer der
„Umschlagfalte“ im Vestibulum oris entsprechenden, unwesentlich
höher oder tiefer als die letztere gelegenen Demarkationslinie in
die fest anliegende periostale Bedeckung der Kiefer übergeht.
Die Einteilung des Zahnfleisches erfolgt von der
Medianlinie aus nach der beim Neugeborenen nur ungefähr zu
tixierenden Lage der Zahnalveolen in ein Schneidezahn-, Eckzahn-,
zusammen Frontzahn-Gebiet, ein Milchmolar- oder, nach
den entsprechenden Zähnen beim bleibenden Gebiss, Prämolar-
(Gebiet und ein die Gegend der Alveole des ersten bleibenden
324 Georg Schweitzer:
Molaren,. der einzigen beim Neugeborenen bereits ausgebildeten
Molaralveole, und des lateral von ihm liegenden Endes des
Alveolarfortsatzes umfassendes und daher noch relativ kleines
Molargebiet.
Beschreibung der Fälle.
Bei der nunmehr an Hand der Protokolle und Skizzen
vorzunehmenden Beschreibung der fürden Abfluss der
Lymphe aus dem Zahnfleisch in Betracht kommenden
Verhältnisse werde ich die chronologische Reihenfolge insofern
ändern, als ich zuerst die typischen Fälle in einer für
die Orientierung zweckmässig erscheinenden Reihenfolge bringen
und dann eine kurze Reihe von Fällen anschliessen werde, in
denen ausser den in der ersten, der Hauptserie, geschilderten
(sefäss- und Drüsenbeziehungen noch eine besondere Lymphgefäss-
gruppe beschrieben werden soll, die für den die Pulpalymphgefässe
betreffenden zweiten Teil dieser Arbeit bedeutungsvoll erscheint.
Es ist naturgemäss unvermeidlich, dass sich bei der, wie wir sehen
werden, verhältnismässig grossen Konstanz nicht nur der Drüsen-Zahl und
-Lage, sondern auch des Gefässverlaufes in den einzelnen Fällen vielfache
Wiederholungen finden werden.
Der Typus des Gefässverlaufes in den beiden Reihen ist am besten
gegeben:
tür die erste Reihe in dem der Fig. 1 zu Grunde liegenden Fall (Prot.
Nr. 12), dessen Beschreibung ich daher richtiger Weise an die erste Stelle
in dieser Reihe (Fall I) setzen werde,
tür die besonderen, in der zweiten Reihe beschriebenen Ergebnisse in
den Präparaten zu Fall XIII und XIV, von denen das letztere noch ein
Bild der „Gaumen“-Abflüsse (vergl. Fig. 3) gibt.
Fall .l.. (Fig. 1, Taf. XXVI.)
Die linke Hälfte dieses Präparates wurde, wie bereits er-
wähnt, für die Darstellung der Lymphabflusswege des Zahntfleisches.
soweit sie von aussen sichtbar gemacht werden können, ausge-
wählt, da sich hier eine gut gelungene Injektion mit möglichst
typischem Gefässverlauf und typischer Drüsenanordnung vereinte.
Unvollständigkeiten, wie z. B. das Fehlen injizierter Sub-
mentaldrüsen sowie geringe Entwicklung der Submaxillardrüse 1,
waren nicht unwillkommen, da ersteres, wie ich zeigen werde.
für das Zahnfleisch typisch ist, letzteres nicht selten vorkommt.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 325
Bemerkenswert ist, dass dieses besonders gut gelungene Präparat,
ebenso wie in anderen Fällen reichlicher Injektionsresultate, von einer Früh-
geburt stammt: ich wies bereits oben auf die besondere Eignung der
Frühgeburten, aus dem achten Monat etwa, hin.
Prot. Nr. 12. 14. März 1906. Männliche Frühgeburt
von ca. 35 cm Länge, wenige Tage post partum zur Injektion ge-
langt. Injektion des gesamten Zahnfleisches beider Gesichtshälften.
Nach Präparation der Wangen behufs Feststellung der äusseren
Abflussbahnen wurde der ganze Kopf sagittal halbiert, um so
eine Präparation der Innen-Abtlüsse zu ermöglichen.
Das Präparat ergibt folgenden Befund:
Linke Gesichtsseite.,
OÖberkiefer. Abflüsse nach aussen.
l. In der ganzen Ausdehnung der linken Oberkieferhälfte
treten aus dem von aussen nicht sichtbaren Zahnfleisch
zahlreiche Lymphgefäss-Stämmchen etwa in Höhe der
oberen Umschlagfalte der Wangenschleimhaut, in das
Zahnfleisch auf die frei präparierte Submucosa, also faciale
Fläche der Wangenschleimhaut, heraus. Aus ihnen bildet
sich eine Anzahl von in ihrer allgemeinen Richtung
parallel zur Umschlagfalte verlaufenden, durch zahlreiche
Anastomosen dem Ganzen einen geflechtartigen
Charakter verleihenden Lymphgefässen. Man sieht
von der Medianlinie aus an der Umschlagfalte bezw. dicht
unterhalb derselben etwa fünf solcher Gefässchen, geflecht-
artig verschlungen, ohne sichtbare Unterbrechungen um den
Alveolarfortsatz herumziehen. Nach lateralwärts zu nehmen
die Stämmchen an Zahl allmählich ab, dafür an Stärke
zu. Das Geflecht verschwindet in seinem Verlauf bis
zum lateralen Ende des Alveolarfortsatzes schliesslich in
der von der Wangenschleimhaut und inneren Masseter-
Fläche gebildeten Tasche. Einzelne von den geflecht-
bildenden Stämmehen schweifen nach oben über die
Umschlagfalte hinaus auf das Periost des Kieferkörpers,
kehren jedoch in der Nähe der Vena facial. ant. zum
Geflecht zurück, um dann alsbald in abführende Stämmchen
überzugehen.
Wichtig ist das Verhalten dieses geflechtartigen Ge-
fässbündels in der Nähe der Medianlinie. Oberhalb
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 54
&
[or]
Georg Schweitzer:
des Frenulum lab. sup. sieht man spärliche anastomosierende
Zweige die Medianlinie überschreiten und in einzelne der
auf der Gegenseite injizierten (refässe, welche dort eben-
falls ein kranzartiges Geflecht an der Umschlagfalte bilden,
übergehen.
Es besteht also nach diesem und andern entsprechenden
Befunden eine Kommunikation zwischen beiden Oberkiefer-
hälften auch hinsichtlich der Lymphwege des Zahn-
fleisches, wie Dorendorf (16, S.26 unten) dies schon für die
benachbarten Gefässe der Lippen nachgewiesen hat.
Bei weniger gut gelungenen Injektionen schien mir zunächst
keinerlei Kommunikation zu bestehen, wie ich dies nach Sappeys
Angaben — Sappey hat eben mit dem unendlich grössere Schwierig-
keiten bereitenden Quecksilber injiziert — vermuten konnte. Die
Ergebnisse der zahlreichen gut gelungenen Injektionen berichtigten
jedoch meine Annahme dahin, dass allerdings die Verlaufsrichtung
der das Geflecht an der Umschlagfalte bildenden beiderseitigen
Gefässe vom Frenulum aus im grossen und ganzen divergent er-
scheint. Das Frenulum selbst bildet anscheinend eine Grenz-
scheide zwischen beiden Kieferseiten, jedoch besteht oberhalb
des Ansatzes dieses Bändehens — ebenso auch im Unterkiefer unter-
halb des Unterlippenbändchens — auf dem Kieferperiost eine un-
gehinderte Kommunikation von allerdings wohl be-
schränkter Bedeutung.
‚Abführende Gefässe: a) Von dem Geflecht an der
Umschlagfalte geht schon frühzeitig, nahe der Median-
linie, ein Gefäss schräg nach abwärts zunächst am oberen
Rande des undeutlich abgegrenzten M. orbicularis oris.
dann am Mundwinkel vorbei und mit der Art. max. ext.,
dieser meist aufliegend, zu Lgl. submax. DI.
b) Weiter nach lateral zu folgt die Hauptgruppe
der abführenden Gefässe, welche in diesem Falle
zwar der Richtung der Vena fac. ant. im allgemeinen
folgen, aber nicht so eng, als in der Mehrzahl der Fälle,
sich ihr anschliessen. Letzteres ist nur bei zwei Gefässen
mehr oder weniger der Fall. Allerdings mussten die
frei präparierten Gefässe aus zeichnerischen Rücksichten
ein wenig auseinandergelegt werden. Die Gruppe besteht
aus etwa fünf miteinander anastomosierenden Gefässen,
welche ihr Quellgebiet im ganzen Zahnfleisch mit Aus-
nahme der lateralen Endregion zu haben scheinen und
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 827
mit Ausnahme eines einzigen zu Drüse .III ziehenden
(Gefässes sämtlich sich in Drüse II einsenken.
ec) Eine weitere Gruppe von etwa vier Gefässen ent-
springt mehr vom lateralen Ende des Alveolar-
fortsatzes. Die Stämmchen ‚kommen, nach medial-
abwärts ziehend, aus der erwähnten Tasche zwischen
Wangenschleimhaut und Masseter hervor und begeben
sich in der Buceinatorfascie, zwischen Vena fac. ant.
und medialem Masseterrand sowie schliesslich die Vene
überkreuzend, sämtlich zu Drüse II.
Oberkiefer. Abflüsse nachinnen.
1. Vom lateralen Ende des Alveolarfortsatzes
zieht ein dichtes Bündel von Gefässchen in der Submucosa
der Schleimhaut des weichen Gaumens dorsalwärts. Dieses
Bündel schmilzt zu einem einzigen starken Gefäss zu-
sammen, welches zum vorderen Graumenbogen und nach
abwärts bis in Höhe des unteren Endes der Tonsille
verläuft. Es durchbricht dann die Pharynxmuskulatur
und nimmt seinen Lauf zwischen den Mm. pterygoideus
int. und stylohyoideus einerseits sowie dem Constrietor
pharyng. medius und dem Hyoglossus andererseits ab-
wärts zu den grossen Halsgefässen. Auf seinem Wege
nimmt es noch ein zu den Innenabflüssen des Unter-
kiefers gehöriges Stämmchen auf. Es mündet dann
ein in eine tiefe Cervicaldrüse, und zwar eine
zu derjenigen Gruppe dieser Drüsen gehörige, welche
äusserst konstant und typisch an dem Zu-
sammenfluss der Vena jugularis interna
und facialis communis liegt, häufig in der durch
den Zusammenfluss gebildeten Gabel, ganz oder teilweise
bedeckt vom unteren Rande des hinteren Biventer-
bauches. Es ist dies die wichtigste und ihrer
Bedeutung entsprechend stärkste Hals-
drüsenstation, entweder ein Einzelknoten
oder eineG&ruppe,zudenvonMost (40, 8.38 ff.)
genau klassifizierten Lgll. cervicales pro-
fundae (sensu strictiori) mediales gehörig,
und zwar die am meisten kranialwärts gelegene Drüsen-
gruppe der unmittelbar an der Vena jug. int. gelegenen
54*
328 Georg Schweitzer:
Kette, während lateral von der Vene unter dem Kopf-
nickeransatz die Drüsenanhäufungen bis an die Schädel-
basis heranreichen. Ich werde diesen Lymphknoten, der
als regionäreDrüse für die gesamtenInnen-
abtlüsse aus Ober- und Unterkiefer, wenigstens für den
grösseren Teil derselben, besonderes Interesse beansprucht,
in der Regel kurz als „Hauptknoten der tiefen
Gervicaldrüsen“ (sc. sensu strietiori) oder „obersten
Knoten der Jugularis-Kette“ (im engsten Sinne)
bezeichnen.
2. Von dem starken, oben erwähnten abführenden Innen-
gefäss zweigt dicht an seiner Entstehungsstelle ein zweites
Stämmchen ab, welches zunächst ähnlich dem vorigen
über weichen Gaumen und seitliche Pharynxwand ver-
läuft, dann aber schon hoch oben sich der Art. carot.
ext. anschliesst und, in deren Begleitung abwärts ziehend,
ebenfalls in die oberste Gruppe der Jugularis-Kette ein-
mündet.
Unterkiefer. Abflüsse nach aussen.
1. Ein Bündel von ca. vier geflechtartig verschlungenen
Gefässen, das in der Medianlinie mit dem Geflecht der
andern Seite durch einige dicht unter dem Ansatz des
Frenulum lab. inf. hinziehende Gefässchen kommuniziert,
begleitet die äussere untere Umschlag-
falte. Die Gefässe verlaufen teils in, teils unterhalb:
der Umschlagfalte.
2. Abführende Stämme: Von dem Geflecht an der Um-
schlagfalte ziehen abführende Gefässe im Kieferperiost
schräg und je mehr lateral, desto steiler abwärts zu
Submaxillardrüse Il. Es sind im ganzen sechs
bis sieben Stämmchen, deren Abzweigungen von
dem Geflecht an der Umschlagfalte sich über den Kiefer-
rand verteilen. Nur die sonst typisch aus der Molargegend
nach medial-abwärts zu Drüse II verlaufenden Stämmchen
sind in diesem Präparat nicht injiziert. Da, wo Öber-
und Unterkiefergefässe auf der äusseren Kieferfläche
zusammentreffen, liegen die Unterkiefergefässe unter
denen des Oberkiefers.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 829
Unterkiefer. Abflüssenachinnen.
1. Aus der Gegend des lateralen Incisivus ziehen
zwei typische Gefässe an der lingualen Kieferfläche
durch den M. mylohyoideus hindurch auf
dessen Unterseite zuSubmaxillardrüse I.
VomlateralenEndedesAlveolarfortsatzes
begeben sich drei Stämmchen an der medialen Seite des
M. pterygoid. internus hinab. Eines derselben vereint
sich mit einem aus dem Oberkiefer entspringenden Stamm
(s. oben). Von den beiden andern gabelt sich das eine,
sodass man unter dem hinteren Biventerbauch hindurch
drei Unterkiefer - Abflussstämmchen in die oberste
Gruppe der tiefen Cervicaldrüsen (Jugularis-
Kette) einmünden sieht.
Drüsen.
1. Submentaldrüsen wurden weder injiziert noch bei
der Präparation gefunden (vel. S. 824).
2. Im Trigonum submaxillare sinistr. ist Haupt-
drüse die Drüse II, von der Grösse etwa einer Erbse.
Sie liegt dicht am inneren unteren Kieferrand zwischen
diesem und dem M. mylohyoideus'!) oberhalb der Unter-
kiefer-Speicheldrüse, auf und dicht medial von der Art.
max. ext. Ihre Vasa afferentia umfassen die meisten
Aussen-Abflüsse vom Oberkiefer sowie sämtliche Aussen-
gefässe des Unterkiefers, somit also weitaus die
Mehrzahl sämtlicher Abflüsse aus dem In-
jektionsgebiet.
Etwas tiefer unter dem Kieferrand und nach innen zu liegt
die Drüsengruppe III. Sie besteht aus drei Knoten, welche
einzeln etwas kleiner als Drüse II sind. Zwei von ihnen liegen
unter dem unteren Masseter-Ansatz, lateral von der Vena fac.
ant., am oberen lateralen Pol der Speicheldrüse, die dritte weiter
halsabwärts am Zusammenfluss der V. fac. ant. und post.
Direkte Zuflüsse aus dem Injektionsgebiet erhalten nur die
beiden höher und nebeneinander gelegenen Drüsen der Gruppe
') Durch Ausstopfen der Wange und des Mundbodens wurden die
Submaxillardrüsen II und III, wie in der Zeichnung ersichtlich, ein wenig
aus ihrer ursprünglichen Lage nach aussen auf den Unterkieferrand heraus-
gedrückt.
s30 Georg Schweitzer: -
und zwar jede einen Ast eines aus der Caninus-Gegend
des Oberkiefers mit der Vena fac. ant. herabkommenden starken
(sefässes.
Drüse I ausnehmend klein, etwa von der Grösse eines
Hanfkornes. liegt typisch an der Vena submentalis, da, wo die
Anastomose mit der V. sublingualis in sie einmündet, also auf
der Unterfläche des M. mylohyoideus lateral vom vorderen Biventer-
bauch. Sıe ist gefüllt durch die typischen beiden Zuflüsse, welche
an der lingualen Unterkieferfläche aus der Frontzahngegend
durch den M. mylohyoideus hindurch herabkommen.
Wie aus der Zeichnung ersichtlich, sind die submaxillaren
oO
Drüsen durch meist stärkere Kommunikationsgefässe
miteinander verbunden.
3. In dem durch den Zusammenfluss der Vena facialis com-
munis und der V. jugularis interna gebildeten Winkel liegt die
typische Hauptgruppe der tiefen Cervicaldrüsen,
bestehend aus drei Lymphknoten von ziemlicher Stärke, die unter
sich durch kurze Stämmcehen verbunden sind. Die Gruppe erhält
direkte Zuflüsse vom Zahnfleisch des Ober- und Unterkiefers
auf dem inneren Wege sowie ein Kommunikationsgefäss unter
der Speicheldrüse und dem M. biventer her von der Lel. sub-
maxillaris II (vgl. Fig. 1, Taf. XXVI).
4. Weitere Drüsenstationen der Jugularis-Kette
sind, wie die Abbildung zeigt, teils von der zuletzt beschriebenen
Hauptgruppe der tiefen Cervicaldrüsen, teils unter Über-
gehung derselben von einer der zur Submaxillar-Gruppe Ill
gehörigen Drüsen aus gefüllt.
Rechte Kopfhälfte.
Oberkiefer. EssindnurAbflüsse nach aussen gefüllt.
1. An der oberen Umschlagfalte ein von vier Gefässen etwa
gebildetes Kranzgeflecht, aus welchem zu den Submaxillar-
drüsen abführen:
2. a) Zwei Gefässe am Mundwinkel vorbei mit der Art. max. ext.
abwärts: eines zu Drüse II. das andere unter Überschreitung
des Venenbettes nach lateral zu mit zwei Ästen zu Drüse IM.
b) Zwei weitere Gefässe mit der Vena fac. ant. zu Drüse II.
c) Zwei Gefässe aus der Molargegend zunächst schräg nach
medial-abwärts, dann im Bett der Vena fac. ant. zu einem Stamm
vereinigt zu Drüse II.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. s3l
Im Verlaufe dieses letzteren Stammes findet sich etwa in
Höhe des oberen Unterkieferrandes lateral von der Vena factalis -
auf dem M. buceinator eine etwa hirsekorngrosse Schaltdrüse
injiziert. Ihrer Lage nach gehört diese Drüse der posterioren
Buceinatorgruppeder Wangenlymphdrüsen an (vergl.
hierzu Buchbinder [10], Most [40, S. 78]. Ich werde im
Zusammenhang noch auf diese Drüsen zurückkommen.
Unterkiefer:
Aussen-Abflüsse.
1. An der äusseren Umschlagfalte ein aus zwei Gefässen gebildetes
(seflecht.
2. Abführende Gefässe:
a). Zwei Gefässe aus der Gegend des Öaninus bezw. Praemol, I
mit den Aa. lab. inf. und max. ext. zu Lell.submax. II und IH.
b) Zwei von den lateralen Kieferpartieen ausgehende Gefässe
nach medial-abwärts zur Submaxillardrüse I.
Innenabflüsse. Zwei Gefässe ziehen von der Medianlinie aus an
der inneren Umschlagfalte entlang bis zum lateralen Ende dieser Falte,
senken sich an der Innenseite des M. pterygoid. int. abwärts in die Tiefe
und münden, unter der Art. carot. ext. hindurch an der Innenfläche des
hinteren Biventerbauches entlang laufend, mit einem sehr starken und einem
dünneren Zweig in den obersten Knoten der tiefen Üervicaldrüsen
(Jugularis-Kette).
Drüsen.
1. Submentaldrüsen sind nicht injiziert.
2. Im Submaxillar-Dreieck ist die Drüsenanordnung atypisch.
Es finden sich vier ganz gleich grosse Drüsen, etwa von Erbsen-
grösse, zwischen Unterkiefer und oberem Rand der Speicheldrüse
in einer Reihe liegend, drei medial, eine lateral von der Vena
fac. ant.
Von diesen liegen die beiden am meisten medialen ein wenig für sich
und näher zusammen, etwa in der Mitte zwischen den typischen Stellen der
Drüsen I und II. Ich möchte daher diese Gruppe als eine Vereinigung
der Drüsen I und II betrachten, womit auch die Herkunft ihrer Vasa
afferentia übereinstimmen würde. Diese letzteren nehmen ihren Ursprung vom
gesamten Unterkiefer (aussen) und aus der Medianpartie des Oberkiefers.
Die Gruppe Ill wird gebildet aus den beiden anderen Drüsen, von
denen eine dieht medial von der Vena facialis ant. liest und zum Teil noch
die Art. max. ext. berührt, die andere lateral von der Vene in dem dicht
unter dem Kieferrand gelegenen Vereinigungswinkel der beiden Gesichtsvenen.
Die Vasa afferentia dieser Gruppe entstammen dem gesamten Oberkiefer und
den mittleren Partieen des Unterkiefers.
Die. hiernach überwiegende Bedeutung der Gruppe III findet ihre Er-
klärung in der Verschiebung der Drüsen-Lageverhältnisse, infolge deren die
332 Georg Schweitzer:
Gruppen-Einteilung nur eine ungefähre sein konnte. Die beiden Knoten der
Gruppe III sind durch einen starken Verbindungszweig verknüpft, die
Gruppen I/II und III dagegen nicht.
Eine typische tiefe Cervicaldrüse, an Grösse fast den vier sub-
max. Drüsen zusammen gleichkommend, in der Gabel zwischen der V.
facial. comm. und jugul. int. gelegen, erhält zwei Zuflüsse vom Unterkiefer
über die innere Kieferfläche und an den tiefen Halsgefässen herab.
Die beiden Fälle, deren Beschreibung ich nunmehr anschliessen
will, umfassen einen Versuch, mittelst verschiedenfarbiger
Injektionen in die durch die Art der in ihnen stehenden
Zähne unterschiedenen Zahnfleischregionen einen näheren Auf-
schluss darüber zu erhalten, ob aus einer dieser Regionen die
(Grefässe vorwiegend zu einer bestimmten Submaxillardrüse hin
die Lymphe abführen, mithin sich also, wenigstens in gewissem
Grade. eine Sonderung der einzelnen Drüsen nach
ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Quellgebieten
im Zahnfleisch vornehmen lässt.
Die sonstigen Befunde, sowohl bei dem beschriebenen Fall I, wie bei
den übrigen noch zu beschreibenden Fällen, sprechen dagegen. Wir haben
bereits erkannt bezw. werden noch ersehen, dass das Quellgebiet der Drüse II
den Ober- und Unterkiefer-Alveolarrand in ihrer ganzen Ausdehnung zu um-
fassen scheint, dass Drüse III, welche ebenfalls Gefässe aus verschiedenen
Regionen, aber in relativ geringer Anzahl erhält, eine mehr unterstützende
Rolle für die Drüse II hinsichtlich der Aufnahme eines Teiles der Öberkiefer-
gefässe spielt, dass schliesslich der Drüse I allein, eventuell neben den oberen
Submentaldrüsen, eine wenn auch beschränkte Zugehörigkeit zum Zahnfleisch
der Unterkiefermedianpartieen zuzuerkennen sein wird. Die Sammlung der
Abflüsse in ein zusammenhängendes, die Kieferhälften in ihrer ganzen
Ausdehnung etwa in Höhe der Umschlagfalten überspannendes Lymphgefäss-
geflecht dürfte ebenfalls einer strengen Isolierung im Wege stehen. Nur
die Annahme, dass die Lymphe eines bestimmten Zahnfleischgebietes normaler
Weise die nächsten ihr zur Verfügung stehenden Abflusswege einschlagen
wird, ermöglicht es, eine Trennung der einzelnen Drüsen in dem angedeuteten
Sinne unter Einschränkungen zu versuchen.
Ea:Ek Tl,
Prot. Nr. 15. 20. April 1906. Weibliche Frühgeburt von
ca. 40 em Länge. Polychrome Injektion des Zahnfleisches der
linken Kopfhälfte mittelst der Severeanuschen Farben (vergl.
S. 821). Es wurde zunächst die Molargegend mit grüner,
darauf die Praemolargegend mit roter, schliesslich die
Sb]
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. Ö
Frontzahngegend mit blauer Farbe injiziert. Die rechte
Kopfhälfte wurde nur blau injiziert.
Linke Seite.
VOberkiefer.
1. An der oberen Umschlagfalte zeigt sich, um den
Alveolarfortsatz herumziehend, ein (reflecht von etwa drei
(Gefässen, deren Farbe nahe der Medianlinie ziemlich rein
blau ist, aber nach lateral fortschreitend allmählich
mehr und mehr in grün übergeht.
[&6)
. Von diesem Geflecht führen im ganzen etwa neun
Stämmcehen aus allen Teilen des Alveolarrandes über die
Wange abwärts, sowohl in Begleitung der Art. max.
ext. wie besonders der Vena fac. ant. Sämtliche Ge-
fässe, auch die aus der rot injizierten Praemolargegend,
zeigen eine blaugrüne Injektionsfarbe, die sich nur im
Oberlauf der aus der Frontzahngegend ahführenden
Stämmehen mehr dem Blau nähert.
Sechs von den neun abführenden Stämmchen, zu drei dickeren
Gefässen zusammenfliessend, münden in die Submaxillaris II,
drei in die Submax. III. Die erstere zeigt blaugrüne, die letztere
mehr ausgesprochen grüne Färbung.
Auch in den abführenden Stämmchen ist, wie bemerkt, die
rote Farbe der Injektion in die Praemolargegend völlig unsichtbar.
Es hat also augenscheinlich durch die mit beträchtlichem Druck
zuerst erfolgte Injektion der lateralen Endregion des Alveolar-
randes eine „Grün*-Füllung des Geflechts an der Umschlagfalte
nach medialwärts zu bis in die Regionen der anderen Zahn-
gruppen hinein stattgefunden, welche nur in der Frontzahngegend
durch die hier erfolgte Injektion mit dem intensiven blauen Farb-
stoff verdrängt bezw. verdeckt werden konnte. Auf die Färbung
der abführenden Gefässe im wesentlichen mit einer blaugrünen
Mischfarbe habe ich bereits hingewiesen.
Im Unterkiefer ist das Bild ein vollkommen entsprechendes.
1. Ein Geflecht von ca. vier um den Kieferrand an der
äusseren Umschlagfalte herumziehenden Gefässen zeigt
in der Gegend der Frontzähne eine fast blaue Färbung,
die nach lateralwärts zu allmählich in ein tiefes Grün
übergeht. Entsprechende Färbung zeigen die abführenden
534 Georg Schweitzer:
Stämmchen, welche sämtlich in die blaugrüne Sub-
maxillaris II einmünden.
2. Über die linguale Unterkieferfläche hinweg ziehen aus
der Gegend der Ineisivi die bereits bei Fall I be-
schriebenen zwei Gefässe durch den M. mylohyoideus
hindurch zur Submaxillaris I. Farbe der Gefässe
und der Drüse ist blaugrün mit vorherrschendem Blau.
In den Lauf dieser beiden dicht nebeneinander liegenden
Stämmchen ist eine blaugrüne, etwa hirsekorngrosse Schaltdrüse
eingefügt, welche dem M. mylohyoideus, ebenso wie die (refässe,
an seiner Unterfläche aufliegt. — Was die
Drüsen
anlangt, so sind zunächst Submentaldrüsen nicht injiziert.
Im Submaxillardreieck liegt
Drüse I, etwa erbsengross, typisch am lateralen Rand des
vorderen Biventerbauches.
Drüse II besteht aus drei einzelnen Knoten, einem grösseren,
zwei kleineren dicht medial von der Art. max. ext. am unteren
Kieferrand. |
Drüse III besteht aus zwei Knoten, einem grösseren dicht lateral,
einem kleineren dicht medial von der V. facialis ant. in
typischer Lage.
Zwischen den einzelnen Drüsengruppen verlaufen starke blau-
grüne Kommunikationszweige. Die Vasa afferentia der einzelnen
Drüsen sind bereits erörtert worden.
Von Drüse III aus zieht ein Gefäss mit der V. fac. comm.
zu der Hauptgruppe der tiefen Cervicaldrüsen, be-
stehend aus einem Knoten in der Gabel der V. fac. comm. mit
der Jugularis int. und zwei lateral davon gelegenen Knötchen. Die
Färbung auch dieser Drüsen ist naturgemäss blaugrün.
Das Ergebnis dieses Versuches geht also dahin,
dass die Submaxillardrüse II die Lymphe aus allen,
speziellden medianen und vorderenlateralen Teilen
des Oberkiefers sowie vom gesamten Unterkiefer,
Drüse III anscheinend vorwiegend aus der Molar-
gegend des Oberkiefers aufnimmt, während zu
Drüsel nur Gefässe aus der Mittelpartie des Unter-
kiefers an dessen Lingualtläche herab verlaufen.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 835
Es wird noch gezeigt werden, dass dieser Versuch das aus allen
Fällen zu ziehende Gesamtresultat in seinem Ergebnis bestätigt.
Auf der rechten Gesichtsseite, auf der die gewöhnliche
Berlinerblau-Injektion stattfand, ergibt die Präparation nur eine
Bestätigung der an früher bearbeiteten Präparaten gewonnenen
3efunde.
Oberkiefer. Aussen-Abflüsse:
1. Ander oberen Umschlagfalte ein kranzartig um den Alveolar-
rand herumlaufendes Geflecht von Lymphgefässen.
2. Abführende Gefässe: Fünf aus der Frontzahn- und Praemolar-
gegend zu Submaxillaris II, eines aus der Molargegend mit einem
Ast zu Drüse II, mit dem andern zu Drüse II.
Unterkiefer.
1. An der unteren äusseren Umschlagfalte ein Geflecht m
typischer Form.
2. Abführende Gefässe: Vier Stämmchen aus der Frontzahn- und
Praemolargegend ziehen, zu zwei Stämmen zusammenfliessend,
schräg lateral- und abwärts über das Kieferperiost zu Drüse II.
Aus der Molargegend verläuft ein Gefäss zu Drüse III.
Aus der Frontzahngegend zieht ein starkes Gefäss an der
Lingualfläche des Kiefers, wie sonst, zu Drüse 1.
Drüsen. Lage der Submaxillardrüsen I und II normal.
Drüse II besteht aus einem grossen und einem kleinen (Anhangs-)
Knoten. Drüse III wird gebildet durch zwei kleine Knoten, die ziemlich tief
im Winkel zwischen Vv. facial. ant. und post. liegen.
Die Hauptgruppe der tiefen Gervicaldrüsen ist in typischer Lage
vorhanden, aber nicht injiziert.
Submentaldrüsen nicht gefüllt.
Earl, Il.
Eine weitere polychrome Injektion wurde in Anwendung
gebracht bei der Leiche eines Erwachsenen, dessen ausge-
bildetes, gesundes Gebiss eine Nachprüfung der früheren Befunde
zu gestatten geeignet schien. Da die Leiche durch Formol-Alkohol-
injektion konserviert und das Gewebe dadurch gehärtet war, so
gestaltete sich sowohl Injektion wie Präparation äusserst schwierig,
sodass ein vollkommenes Resultat nicht erzielt wurde. Immerhin
wurde der Zweck des Versuches mehr oder weniger erreicht.
Prot. Nr. 14. 11. April 1906. Mann von etwa 40—50 Jahren.
Injektion des Zahnfleisches der rechten Kopfhälfte, hauptsächlich
auf der labial-buccalen Seite und zwar an den Frontzähnen
blau, an den Praemolaren rot, an den Molaren grün.
836 Georg Schweitzer:
Allgemein bemerkt erscheinen die injizierten Lymphgefässe
sehr dünn, nicht stärker als beim Neugeborenen.
Oberkiefer.
1. Entlang der Umschlagfalte sind nur in dem Raum zwischen
Frenulum und Vena fac. ant. zwei blaue (Grefässchen sichtbar.
2. Abführende Stämme:
a) Drei blaue Gefässe aus der Gegend der Incisivi bezw. des
Caninus im Zwischenraum zwischen Art. max. ext. und V.
facialis ant. nach lateral-abwärts ziehend, vereinigen sich zu
einem Stamm, der sich aber auf dem Unterkieferperiost wieder
in drei Arme teilt; von diesen mündet einer in Submaxillar-
drüse I, zwei in Submaxillardrüse I.
b) Aus dem Praemolargebiet entspringt ein feines rotes
Stämmchen, welches am oberen Rand des Unterkiefers in den
am meisten lateralen Arm des der Frontzahngegend entstammenden
(refässes einmündet. Dieses zieht, wie erwähnt, zu Drüse I.
c) Aus der Molargegend ziehen zwei grüne Stämmchen im
Bett der Vena fac. ant., meist von dieser gedeckt, zum lateralen
Pole der Drüse I.
Unterkiefer. Drei zunächst ein Stück an der äusseren Umschlag-
falte entlang laufende blaue (Grefässe, also aus der Frontzahngegend, begeben
sich lateral-abwärts zu Drüse I (zwei Gefässe) und Drüse II (ein Gefäss).
Es folgen dann nach lateralwärts zu zwei rote Stämmchen, in deren
Oberlauf an der Umschlagfalte aber keine Injektionsfarbe mehr zu erkennen
ist. Ihre Farbe und Richtung weisen auf ihre Herkunft aus der Praemolar- .
gegend hin. Sie ergiessen sich in die Mittelpartie der Drüse II.
Aus der unteren Molargegend ziehen zwei Stämmchen nach
medial-abwärts unter der Vena fac. ant. hindurch zum lateralen Pole der
Drüse I.
Weitere Stämmchen wurden nicht aufgefunden.
Drüsen. Es sind drei Submaxillardrüsen in typischer Lage
vorhanden. Drüse II, die grösste, ist reichlich bohnengross, Drüse III etwas
kleiner, Drüse I etwa erbsengross.
Die letztere ist blau, Drüse II blaugrün, Drüse III. überhaupt nicht
gefärbt.
Submentaldrüsen nicht gefüllt.
Aus dem Resultat dieses Injektionsversuches Schlüsse auf
das Verhältnis der Submaxillardrüsen zu den Zahntfleischregionen
im einzelnen zu ziehen, möchte ich angesichts der unvollkommenen
Injektion unterlassen. Nur so viel geht auch aus diesem Präparat
hervor, dass Drüse Il als Hauptdrüse die Lymphe von
allen Teilen desOber- wie des Unterkiefers bezieht.
Für die Frontzahngegend des Ober- wie des Unterkiefers würde
nach diesem vereinzelt dastehenden Fall die Drüse I eine erhöhte
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 837
Bedeutung gegenüber den Befunden bei Neugeborenen besitzen.
Das Ausbleiben einer Füllung bei Drüse III ist auf die unvoll-
kommene Injektion, die in der schlecht zu erreichenden Molargegend
besonders schwierig war, zurückzuführen.
Nachdem die bisherigen Beschreibungen, insbesondere die
ausführliche Schilderung des Falles I, den Typus des Verlaufes
der Zahnfleischlymphgefässe sowie der allgemeinen Anordnung
der zugehörigen Drüsengruppen festgelegt haben, darf ich mich
in der Beschreibung der noch folgenden Fälle, soweit sie sich im
wesentlichen mit den bisherigen Befunden decken und nur bereits
Bekanntes bestätigen, kürzer fassen, um dafür nur die neuen und
abweichenderen Beobachtungen einer ausführlichen Beleuchtung
zu unterziehen. Ich hoffe so die unvermeidlichen, ermüdenden
Wiederholungen auf das für die notwendige Vollständigkeit der
Arbeit erforderliche Mindestmaß herabsetzen zu können. Die
wichtigeren, besonderen Befunde werden durch den Druck hervor-
gehoben werden.
Kall IV.
Prot. Nr. 1. 27. Oktober 1905. Neugeborener Knabe, in-
jiziert ca. 24 Stunden nach der Geburt. Injektion des gesamten
labial-buecalen Zahnfleisches im Ober- und Unterkliefer beider
Gesichtshälften.
Linke Gesichtshälfte.
OÖberkiefer (nur Aussen - Abflüsse).
1. Entlang der oberen Umschlagfalte zieht von der Medianlinie
bis zur Vena fac. ant. zusammenhängend ein Geflecht von zuerst
vier, dann drei, schliesslich zwei Stämmchen von allmählich zu-
nehmender Stärke.
Nahe der Medianlinie dehnt sich dieses Geflecht in die Lippen-
schleimhaut hinein aus, ohne dass aber aus diesem Nachbargebiet
selbständig abführende Stämmchen entspringen.
2. Abführende Gefässe:
a) Zwei (refässe, Fortsetzung des unter 1 erwähnten Geflechtes,
also Abflüsse etwa aus der Frontzahngegend, ziehen mit der
V.fac. ant., dicht medial von dieser, über die Wange herab und
fliessen in Höhe des oberen Unterkieferrandes zu einem stärkeren
Stamm zusammen, welcher in Lgl. submaxillaris II ein-
mündet.
838 Georg Schweitzer:
b) Drei bis vier in der Praemolargegend, ohne sichtbaren
Zusammenhang mit dem medial gelegenen Geflecht, auftauchende
Stämmcehen streben konvergierend dem Bett der V. fac. ant. zu
und vereinigen sich zu zwei Gefässen, welche im engen An-
schluss an die Vene zu Lgl. submax. II und III ziehen.
c) Ein Gefäss aus der lateralen Endregion des Alveolarfortsatzes,
also der Molargegend, verläuft in der Buccinatorfascie am
vorderen Masseter-Rand zu Lgl. submax. III.
Unterkiefer. Aussen-Abflüsse:
1. Geflecht an der äusseren unteren Umschlagfalte.
2. Abführende Gefässe: Drei Gefässe anscheinend aus der
Frontzahn- und Praemolargegend ziehen auf dem Kiefer-
periost erst lateral-, dann abwärts, zum Teil unter den Oberkiefer-
gefässen, zu Lgl. submax. II.
Innen-Abflüsse:
1. Ausder Gegend des seitlichen Incisivus bezw. Caninus
zieht ein Gefäss an der Lingualfläche des Unterkiefers herab,
den M. mylohyoideus durchbohrend, zu Lgl. submax. I.
2. Ein sehr zartes, kurzes Stämmchen, vom Lingual-
rand des Alveolarfortsatzes etwa in der Medianlinie
entspringend, erreicht in vertikalem Verlauf eine
Legl. submentalis.
Drüsen.
1. Regio submentalis: Ein etwa hirsekorngrosses Knötchen
an bezw. unter der Basis mandibulae zwischen den beiden vorderen
Biventerbäuchen, injiziert.
2. Trigonum submax. sinistrum.
Drüse I, lateral vom vorderen Biventerbauch zwischen unterem
Rand des Kiefers und M. mylohyoideus.
Drüse II, reichlich erbsengross, dicht am Unterkieferrand auf der
Art. max. externa.
Drüse III: Drei Knoten, davon zwei in Grösse einer mittleren
Erbse an der Einmündungsstelle der V. submentalis in die Vena
fac. ant., der dritte etwas tiefer, an einer Kommunikation zwischen
Vv. fac. ant. und jug. ext., am hinteren Pol der Speicheldrüse,
also etwas versprengt.
Zwischen Drüse II und Gruppe III sowie zwischen den einzelnen
Drüsen der Gruppe III ziehen starke Kommunikationsgefässe.
3. Vasa efferentia der Submaxillarstation: Zwei starke, mit der
V. facial. comm. verlaufende Stämme injizieren die typische oberste
Gruppe der Jugularis-Kette an der Einmündung der V. facialis
in die Jugul.int., bestehend aus drei sehr grossen, einer kleineren Drüse.
4. Von dieser Gruppe aus, deren einzelne Knoten durch Gefässe ver-
bunden sind, ziehen drei Stämme zu einer halsabwärts der V. jugul.
int. lateral anliegenden Drüse, aus der ein starker Einzelstamm
neben der Vene bis zur Abtrennungsstelle des Kopfes führt.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 839
Rechte Gesichtsseite.
Oberkiefer (nur Aussen-Abflüsse).
1. Geflecht an der oberen Umschlagfalte in der Medianpartie,
aus welchem zwei Gefässe nach lateralwärts bis zur V. fac. ant. ziehen.
2, Abführende Gefässe:
a) Aus den unter 1 aufgeführten Gefässen, ferner aus mehreren in
der Gegend des zweiten Praemolaren und aus einem in der
Molargegend entspringenden Stämmchen bildet sich ein stärkeres
Gefäss, welches mit der V. face. ant., sich gabelnd, zu Lgll.
submax. II und III verläuft.
b) Ferner zieht ein selbständiges Gefäss aus der Molargegend
am vorderen Masseterrand herab zu Lgl. submax. I.
Unterkiefer. Aussen-Abflüsse:
1. Geflecht an der Umschlagfalte wie auf der linken Seite,
zahlreichere Anastomosen.
2. Drei aus vielen Wurzeln zusammenfliessende abführende Ge-
fässe verlaufen im Zuge der Art. lab. inf. bezw. max. ext. zu
Lgl. submax. 1.
Innen-Abflüsse: Zwei Gefässe aus der Gegend des lateralen
Ineisivus ziehen an der Lingualfläche des Kiefers herab zu
Drüse I.
Drüsen.
1. Submentaldrüsen sind nicht gefüllt.
2. Trigonum submax. dextrum:
Drüse I, Gruppe von zwei Knoten, davon einer ziemlich stark,
typisch am lateralen Rand des vorderen Biventerbauches.
Drüse II, stärkste Drüse, von der Grösse einer kleinen Bohne,
typisch auf der Art. max. ext. gelegen.
Drüse III, fast ebenso stark wie II, in typischer Lage dicht lateral
von der V. fac. ant.
Zwischen Drüse Il und III ziehen drei starke Kommunikations-
zweige unter der V. fac. ant. hindurch.
3. Vasa efferentia der Submaxillarstation: Drei starke Stämme
entlang der V. fac. comm. zum typisch gelegenen Hauptknoten
der tiefen Cervicalgruppe, einer Einzeldrüse, doppelt so gross
als Submaxillardrüse II.
4. Von ihr aus verläuft ein starker Stamm mit der V. jug. int. hals-
abwärts zu einer dienächstgelegene Etappe bildenden kleineren
Drüse der tiefen Cervicalgruppe.
Fall V.
Prot. Nr. 5. 8. Dezember 1905. Neugeborener Knabe, sehr
starker Kopf, reichliche Fettentwicklung. Mehrere Tage nach der
Geburt Injektion des gesamten Zahnfleisches labial-buccal in beiden
Kiefern. Präparation des in Formol konservierten Objektes erst
nach mehreren Wochen.
540
Georg Schweitzer:
Linke Gesichtsseite.
OÖberkiefer (nur Aussen-Abflüsse).
IE
An der Umschlagfalte nahe der Medianlinie dichtes, in die Lippe
herabreichendes Netz, aus dem nach lateralwärts zu zwei stärkere,
verschlungene Gefässe sich entwickeln.
Abführende Gefässe:
a) Von den beiden erwähnten Gefässen biegt das eine schon in
Höhe des Mundwinkels abwärts und verläuft mit der Lippen-
arterie bezw. der Art. max. ext., lateral von letzterer, abwärts
zu Lgl. submax. II. Aus dem Lippengeflecht erhält dieses Gefäss
in seinem Oberlauf drei selbständige Zuflüsse.
b) Das andere Gefäss zieht an der V. fac. ant., in zwei Zweige
sich gabelnd, mit einem derselben zu Drüse II, mit dem andern
unter nochmaliger Teilung zu Drüse II und, über die vordere
untere Masseter-Ecke hinweg, zu Drüse III.
Unterkiefer. Aussen-Abflüsse:
11
>
Gefässgeflecht in der Medianpartie an der Umschlagfalte.
Abführende Gefässe: Drei Stämmchen, davon zwei mit den
Arterien, eins etwas tiefer, ziehen zu Lgl. submax. II, das letztere
in eine etwas unterhalb der Hauptdrüse gelegene Anhangsdrüse
einmündend.
Innen-Abflüsse: Zwei Gefässe vom Zahnfleisch, etwa aus der Gegend
Drüsen.
1.
der Frontzähne, ziehen an der lingualen Kieferfläche herab durch
den M. mylohyoideus hindurch zu Lgl. submax. 1.
Ein etwa an der Grenze zwischen mittlerem und unterem
Drittel des Raumes zwischen Kinnbasis und Zungenbein
am medialen Rande des vorderen Biventer-Bauches gelegenes Knötchen
ist von Lgl. submax. I aus sekundär gefüllt. Dasselbe gehört
zur unteren Gruppe der Submentaldrüsen (vergl.Most [40, 8.20]).
Trigonum submax. sinistrum:
a) Bedeutendste Gruppe ist wiederum Drüse II, drei durch starke
Kommunikationszweige verbundene Knoten, Hauptknoten bohnen-
gross in typischer Lage, zwei kleinere unterhalb desselben.
b) Fast ebenso gross als der Hauptknoten der vorigen Gruppe ist
die der V. fac. ant. in typischer Höhe dicht lateral anliegende
Lgl. submax. II.
c) Drüse I, höchstens halb-so gross als III, liegt ebenfalls typisch
am lateralen Rand des vorderen Biventer-Bauches und berührt
die V. submentalis. Injektion nur vom Lingualrand der Median-
partie des Unterkiefers aus.
Durch besondere Grösse fiel eine nicht injizierte, am unteren Parotis-
Zipfel oberflächlich gelegene Lgl. cervical. superficialis auf.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. S4l
Rechte Gesichtsseite (spärliche Gefässfüllung).
Oberkiefer.
1. In der Frontzahngegend ein Geflecht an der oberen Umschlag-
falte, aus welchem
2. ein einziges starkes abführendes Gefäss an der V. facialis ant.
entlang abwärts zieht. Dasselbe spaltet sich etwa in der Mitte
der Wange, wie ein ein Delta bildender Fluss, in sechs Arme, von
denen vier in Lgl. submax. II, zwei in Lgl. submax. III ein-
münden.
Unterkiefer.
Aus mehreren Würzelchen an der unteren äusseren Umschlagfalte
in der Frontzahngegend entwickelt sich ein einziges lateral-abwärts
zu Lgl. submax. II ziehendes Gefäss.
Drüsen.
1. Submentaldrüsen nicht gefüllt.
2. Im Submaxillardreieck: Die typischen drei Submaxillar-Lymph-
knoten, II und III fast bohnengross, I etwas kleiner. Lage der
Drüsen typisch, Drüse III ein wenig weiter als sonst, nach lateral
zu von der V. fac. ant. abgerückt.
DrüseI erhält keinerlei Zuflüsse aus dem Quellgebiet und
ist nicht gefüllt.
Auch auf der rechten Seite findet sich eine durch ihre Grösse auf-
fallende, nicht injizierte Lgl. cerv. superficialis am unteren
Parotispol.
©
Fall VI.
Prot. Nr. 10. 27. Februar 1906. Neugeborener, kräftig
entwickelter Knabe. ca. 48 Stunden post partum injiziert. Die
Injektion zu versuchen, lohnte sich nur auf der rechten Kopf-
seite, da linkerseits starke Zerreissungen in der Parotis- und
Submaxillargegend von der Geburt her vorhanden waren.
Rechte Gesichtsseite.
OÖberkiefer. Abflüsse nach aussen.
1. An der oberen Umschlagfalte von der Medianlinie aus ohne
Unterbrechung bis zum lateralen Ende des Alveolarfortsatzes ein
Geflecht von zwei, häufig drei und auch vier sich überkreuzenden
Lymphgefässstämmchen, welches in der Medianlinie in schon
beschriebener Weise mit dem Geflecht der linken Seite — ich hatte
dort auch, soweit möglich, einzelne Injektionen in das Zahnfleisch
vorgenommen — kommuniziert.
Abführende Gefässe:
a) Von dem Geflecht zweigen in dem Raume vom Caninus etwa
bis einschliesslich zweitem Praemolar vier Stämme ab,
welche medial, auf und lateral von der Vena fac. ant., mit-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 55
I)
842 Georg Schweitzer:
einander anastomosierend, abwärts verlaufen und zwar je zwei
zu Lell. submax. II und III.
b) Ein vom äussersten lateralen Ende des Alveolarfort-
satzes entspringendes Gefäss zieht facialwärts auf der Fascia
buceo-pharyngea zunächst vom Masseter verdeckt, dann unter
letzterem hervortretend unter Einsenkung in das Gesichts-
Venenbett zu Lgl. submax. I.
Das ziemlich konstante Vorkommen eines ähnlich verlaufenden
(Gefässes ist auch von Pölya und v. Navratil (48, 8. 129ff.) beschrieben
worden.
Innen-Abflüsse (nach sagittaler Halbierung des Kopfes präpariert).
Vom lateralen Ende des Alveolarfortsatzes entspringen mehrere
sich alsbald zu einem starken Gefäss vereinigende Stämmchen. Dieses Gefäss
zieht dorsal in der Schleimhaut des weichen Gaumens bezw. der Gaumen-
bögen abwärts, durchbohrt die Pharynxmuskulatur und ist in der Bucco-
pharyngeal-Fascie zu verfolgen bis dicht oberhalb des Zungenbeins. Die Ein-
mündung würde wahrscheinlich in den in nächster Nähe gelegenen obersten
Knoten der Jugularis-Kette (Lgll. cervic. prof.) erfolgt sein, wenn die In-
jektionsflüssigkeit nicht vorher Halt gemacht hätte.
Unterkiefer. Aussen-Abflüsse:
1. Ein in der Medianlinie mit dem Geflecht der Gegenseite kom-
munizierender Kranz von drei bis vier Gefässen zieht um
den Alveolarfortsatz an der äusseren unteren Umschlagfalte herum.
2. Abführende Gefässe:
a) Zwei Gefässe, aus der Gegend etwa des zweiten Praeme-
laren abzweigend, ziehen auf dem Periost zu L’gl. submax. II.
bh) Drei Gefässe, jedes mit mehreren Würzelchen aus der Molar-
gegend entspringend, münden in mehr senkrechtem Verlauf
ebenfalls in Lgl. submax. 11.
Innen-Abflüsse:
1. Von einer Injektionsstelle am inneren Zahnfleischrand etwa der
seitlichen Ineisivusgegend entwickelt sich ein an der Lingual-
fläche abwärts bis zur Übergangsstelle des Zahnfleisches in die
Mundbodenschleimhaut ausgebreitetes, dichtes Lymphgefässnetz.
An dieser Übergangsstelle bilden sich aus dem Netz zwei
(Gefässe, welche wiederum kranzartig an der inneren unteren Um-
schlagfalte entlang bis zum lateralen Ende dieser Falte verlaufen.
2. Von hier aus biegt ein sich aus den Parallelgefässen entwickelndes
stärkeres Gefäss schräg nach unten um und zieht zunächst zwischen
den Mm. pterygoid. int. und hyoglossus, dann in der Bahn der grossen
Halsgefässe abwärts bis oberhalb des Zungenbeins, wo der In-
jektionsfarbstoff verschwindet, und zwar ebenfalls in der Nähe der
oben erwähnten tiefen Cervicaldrüsengruppe.
Noch während des Verlaufes dieser Abflussbahnen an der inneren
Umschlagfalte zweigen von ihnen am lingualen Kieferrande zwei Gefässe ab,
welche den M. mylohyoideus durchbohren und bis dicht vor die Lgl. submax. I,
j
-
Pi
Die Lymphgefässe des Zahntleisches. 843
vor der sie bei der Präparation der Aussen-Abflüsse versehentlich abgeschnitten
wurden, zu verfolgen sind.
‘Was schliesslich die
Drüsen
anlangt, so besteht im Trigonum submaxillare dextrum die Drüse I
aus zwei an typischer Stelle gelegenen Knoten. Die Drüsengruppe ist
sekundär von Drüse II und, wie erwähnt, wahrscheinlich durch Innen-Abtlüsse
des Unterkiefers gefüllt. i
Drüse II besonders stark entwickelt. Zwei starke Lymphknoten
typisch der Art. max. ext. medial und lateral angelagert. ;
Drüse Ill ist eine Gruppe von drei Lymphknoten: der Haupt-
knoten, in der Grösse der die Gruppe II bildenden Knoten, liegt tiefer als
sonst, in der hochgelegenen (tabel, welche durch den Zusammenfluss der Vv. fac.
ant. und post. gebildet wird. Die beiden andern Drüsen dieser Gruppe liegen
an der Vena facialis communis, am lateralen Rand der Speicheldrüse, die obere
dieht unterhalb der Hauptdrüse III. Da diese beiden Drüsen, welche keine
selbständigen Vasa afferentia haben, nur von den beiden Drüsen der Gruppe Il
mit drei Stämmcehen sekundär gefüllt werden und keinerlei Kommunikation
mit der Hauptdrüse III aufweisen, so müsste hieraus, obwohl ihre Lage
sie zu Drüse III hinweist, ihre Zugehörigkeit zu Drüse II eventuell ange-
nommen werden. Es ist dies einer der wenigen Fälle, in denen die
Anwendung des Stahrschen Dreiteilungsvorschlages für die
Drüsen der Submaxillar-Region auf Schwierigkeiten stösst. In
der Submaxillar-Region haben wir in diesem Falle also sieben einzelne
Lymphknoten.
Erwähnt sei noch, dass von der lateralen Drüse der Gruppe II ein
besonders starker Stamm nach abwärts an der V. facial. communis entlang
und schliesslich unter dieser hinweg in die, in diesem Falle ziemlich kleine,
oberste der tiefen Öervicaldrüsen (Jugularis-Kette) in der Gabel zwischen
Vv. facial. comm. uud Jugularis int. sich einsenkt. Ausserdem führen von
sruppe II drei starke Kommunikationsgefässe zum Hauptknoten der Gruppe Ill.
Submentaldrüsen sind vorhanden, jedoch nicht injiziert.
KallkayIl:
Prot. Nr. 13. 4. April 1906. Neugeborenes Mädchen.
Zeitlicher Zwischenraum zwischen Geburt und Injektion war nicht
mehr festzustellen wegen fehlender Angaben. Injektion des ge-
samten Zahnfleisches beiderseitig.
Die Präparation ergibt. dass nur Aussenabflüsse, diese
aber reichhaltig, gefülltsind.. Kommunikation der Gefässe beider
Seiten inder Medianlinie sowohl im Ober- wie im Unterkiefer.
Rechte Gesichtsseite.
Oberkietfer.
1. Kranzgeflecht um den ganzen Alveolarfortsatz herum, bestehend
aus etwa drei verschlungenen Gefässen, teils oberhalb, meist unter-
halb der oberen Umschlagfalte.
S44
Georg Schweitzer:
Abführende Gefässe:
a) Ein Gefäss, in Höhe des Mundwinkels abzweigend, folgt dem
Lauf der Art. max. ext. und mündet, nachdem es einen Ast in
das Bett der V. facialis anterior zu dort verlaufenden Gefässen
abgegeben hat, mit zwei Armen in die Lgl. submax. 1.
Von besonderem Interesse erscheint der Verlauf des lateralen
der beiden letztgenannten Arme. Dieser schweift nämlich
stark nach lateralwärts aus und gelangt so schliess-
lich auf die dem M. mylohyoideus anliegende innere
Seite der Drüse IH. Obwohl er also diese Drüse
berührt, sendeter kein Ästchenin sie hinein, sondern
kehrt, an ihr vorbei, zu Drüse II zurück. Dieses charak-
teristische Vorbeiziehen eines Gefässes an einer unmittelbar
benachbart gelegenen Drüse, auf das Stahr (59) verschiedent-
lich aufmerksam macht, fand ich beim Menschen selten,
häufiger dagegen und sehr eklatant bei Tieren.
b) Zwei Gefässe aus den lateralen Oberkiefer-Zahnfleischpartieen
ziehen zu Lgll. submax. II und Il.
Unterkiefer.
1.
IV
Drüsen.
l:
An der äusseren Umschlagfalte entlang ziehen zwei miteinander
verflochtene Gefässe um den ganzen Alveolarfortsatz kranzartig
herum.
Abführende Gefässe:
Von diesen Gefässen aus zweigen, über den Umkreis des Alveolar-
randes verteilt, sechs Stämmchen ab, die sämtlich zu Drüse II
verlaufen. Je nach der Verschiebung ihrer Abgangsstelle gegen
die Lage der Drüse II ist ihre Richtung, von der Medianlinie aus
angefangen, zunächst schräg lateral-abwärts, dann mehr
senkrecht und beim letzten Gefäss schräg nach medial-
abwärts. Alle streben dem Bett der Art. max. ext. zu, die sie
bis zur Drüse auf eine kurze Strecke begleiten. Soweit sie mit
den Oberkiefergefässen zusammentreffen, liegen die Unterkiefer-
gefässe tiefer als die Oberkiefergefässe dem Periost unmittelbar auf.
Besonders reichliche Entwicklung von nicht injizierten Submen-
taldrüsen, fünf Lymphknoten, zwei zur oberen, drei zur unteren
Gruppe (Most [40, S. 20]) gehörig.
Im Submaxillardreieck ist:
Drüse II, wie fast stets, die Hauptdrüse sowohl nach Grösse
wie nach Zalıl der Zuflüsse. Sie liegt typisch auf der Art. max. ext.
Drüse III, der vorigen an Grösse wenig nachgebend, liegt nicht
lateral, sondern ausnahmsweise medial von der V. fac. ant. in dem
Winkel mit der V. submentalis. Die (Gesichtsarterie und -Vene
liegen weiter auseinander, als in den meisten andern Präparaten.
Drüse I ist in der Entwicklung zu Gunsten der beiden andern
Drüsen zurückgeblieben; sie ist trotz sonst reichlicher Gefässfüllung,
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 845
allerdings bei nicht injizierten Innen-Abflüssen aus dem Unterkiefer,
ihren häufigsten Vasa afferentia, weder direkt noch sekundär
gefüllt. Ihre Lage ist etwas tiefer als normal, am Biventer
herabgerückt.
Linke Gesichtsseite.
Oberkiefer.
1. Geflecht aus drei Gefässen an der Umschlagsfalte entlang
um den ganzen Alveolarfortsatz.
2. Abführende Gefässe:
a) Ein Gefäss aus der Mittelpartie am Mundwinkel herab mit
der Art. max. ext. zu Lgl. submax. II.
b) Zwei starke Stämme aus der Praemolargegend mit der
V. fac. ant., in je zwei Äste sich gabelnd, abwärts. Von den
vier Ästen mündet einer in Lgl. submax. I, drei in L gl.
submax. III.
Unterkiefer.
1. Gefässkranz aus feinen Stämmchen an der äusseren Umschlag-
falte.
2. Fünf bis sechs abführende Stämme, ziemlich stark, aus
allen Teilen des Alveolarfortsatzes abzweigend, ziehen sämtlich zu
Lgl.subm. I.
Drüsen.
Regio submentalis: siehe oben rechte Seite.
Trigonum subm. sinistrum:
Drüse I ausserordentlich klein, tiefer als normal gelegen und nicht
injiziert. Befund analog dem der rechten Seite.
Drüse II typisch gelegen in normaler Grösse. Ihre Rolle als Haupt-
drüse auch für die Oberkiefer-Abflüsse hat sie in diesem Falle abgetreten an
Drüse III, die dementsprechend auch besonders stark entwickelt ist.
Sie besteht aus zwei Knoten, jeder von der Grösse einer kleinen Bohne. Die
Gruppe hat wieder die tiefe Lage an der Gabel zwischen Vv. fac. ant. und
post., eine Drüse in der Gabel, die andere medial von derselben.
Von den Knoten ist nur der laterale gefüllt.
Der Vollständigkeit halber schliesse ich nunmehr noch eine
kurze Aufzählung der übrigen zur ersten Reihe gehörigen Fälle
an, bei denen es sich zum Teil um ältere und eine weniger voll-
kommene Gefässfüllung aufweisende Präparate handelt, unter
kurzer Hervorhebung der, abgesehen von Einzelheiten, nichts
wesentlich Neues bietenden Befunde.
Bat -VIMR
Prot. Nr. 3. 17. November 1905. Neugeborenes Mädchen,
ca. acht Tage nach der Geburt injiziert. Injektion des gesamten
Zahnfleisches an der Labial-Buccal-Seite.
Georg Schweitzer
(ee
{er}
Kechtesnerte:
Oberkiefer.
1. Geflecht aus drei Gefässen an der Umschlagfalte.
Abführende Gefässe:
a) Aus der Frontz ahn- und Praemolargegend drei Stämmchen
zur Submax. I.
b) Aus der Molargegend ein in drei Äste sich spaltendes Ge-
fäss zu Drüse II.
Unterkiefer.
1. Geflecht aus drei Gefässen an der äusseren Umschlagfalte.
2. Drei abführende Gefässe zu Drüse I.
Drüsen
Trigonum submax. dextrum:
1. Drei einzelne Drüsen in typischer Lage. Drüse I ist nur sekundär
von II aus gefüllt. Die direkten Zuflüsse, die sonst meist an
der Lingualfläche des Unterkiefers herablaufen, fehlen.
2, Von Drüse I aus zieht ein Gefäss quer über den
vorderen Biventer-Bauch zu einer am medialen Rande
desselben dicht oberhalb des Zungenbeins gelegenen,
injizierten Submentaldrüse (untere Gruppe, vgl. Fall V, S. 840).
3. Ein vom Submax. II ausgehendes Gefäss mündet in den obersten
Knoten der tiefen Cervicaldrüsen (Jugularis-Kette).
-.
Linke Seite.
Unvollkommene Injektion.
OÖberkiefer. .
Drei Stämme zu Drüse Il.
Unterkieteir.
Keine Gefässe gefüllt. Submaxillardrüsen liegen typisch.
Drüse I ist nursekundär von Il aus, Drüselll gar nicht gefüllt.
Subm’entaldrüsen nicht gefüllt.
Fall IX.
Prot. Nr. 4. 6. Dezember 1905. Neugeborener Knabe. Drei
Tage nach der Geburt injiziert.
Rechte Seite.
Oberkiefer.
1. An der Umschlagfalte entlang ziehen zwei Gefässe nach
lateralwärts bis zum Bett der V. fac. ant.
2. Abführende Gefässe:
a) Aus der Gegend der Frontzähne und Praemolaren drei
Stämme im Bett der V. fac. ant. zu Drüse Il.
b) Aus der Molargegend zwei Gefässe am vorderen Masseter-
Rand entlang, von denen eins zu Drüse II, eins zu Drüse III
zieht.
Zwischen allen Gefässen Anastomosen.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 347
Unterkiefer.
Es sind nur abführende Stämmcehen im Periost der äusseren Kiefer-
fläche festzustellen.
Aus der Gegend der Frontzähne ziehen zwei Gefässe nach lateral-
abwärts. je eines zu Drüse II und Ill.
Ein drittes Gefäss, dessen Oberlauf bis nahe der Medianlinie in die
Frontzahngegend zu verfolgen ist, begibt sich über die äussere Kiefer-
fläche hinweg, unter den Oberkiefergefässen hindurch, zu Drüse III.
Drüsen im Submaxillar-Dreieck:
Drüse I besteht aus einer Gruppe von fünf kleinen Knötchen
in typischer Lage.
Drüse III liegt in der Gabel zwischen Vv. fac. ant. und post., also
tiefer als normal.
Drüse II ist die grösste Drüse; ihre Lage ist die typische.
Zwischen den Drüsen Kommunikations gefässe.
Submentaldrüsen nicht gefüllt.
Linke Seite.
Oberkiefer.
Es ist nur ein zu Drüse II ziehendes Gefäss im Bett der Vena facialis
ant. festzustellen.
Unterkiefer.
Zwei Gefässe ziehen aus der Medianpartie des Unterkiefer-Zahn-
fleisches mit der Art. lab. inf. bezw. maxill. ext. zu Drüse II und mit einem
Ast zu Drüse II.
Drüsen.
Die drei Submaxillardrüsen liegen typisch, Drüse II ist von besonders
auffallender Grösse. Drüse I ist nur sekundär von II aus gefüllt nnd
sehr klein. Submentaldrüsen nicht gefüllt.
Ball X
Prot. Nr. 6. 18. Januar 1906. Neugeborener Knabe, drei
bis vier Tage post partum injiziert. Injektion des gesamten
Zahntleisches.
Nur die linke Seite war für die Zwecke dieser Arbeit verwendbar, da
auf der rechten Seite versehentlich eine Injektion von andern Gesichtsweich-
teilen ausser dem Zahnfleisch nachträglich stattgefunden hatte. Eine Präparation
der Zahnfleischgefässe allein liess sich mit Rücksicht auf die teilweise ober-
flächlicher verlaufenden Gefässe aus den andern Injektionsgebieten nicht vor-
nehmen.
Linke Seite.
Öberkiefer.
1. An der oberen Umschlagfalte entlang ein Geflecht, gebildet
aus mehreren, ca. drei Gefässen.
2, Abführende Gefässe:
a) Aus der vom Zahnfleisch ausindirektmitinjizierten Oberlippe ein
Gefäss zu Drüse II, mit einem starken Zweig zu Drüse II.
845 Georg Schweitzer:
b) Aus dem Zahnfleisch der Incisivus- bis Praemolargegend
drei Gefässe zu Drüse II.
c) Aus der Molargegend ein Gefäss zu Drüse III.
Unterkiefer.
1. Anderäusseren unteren Umschlagfalte ein Kranzgeflecht
aus zwei (refässen.
2. Nur aus der Praemolar-Gegend zweigen zwei Stämmchen ab
zu Drüse II.
Drüsen.
1. Submentaldrüsen nicht gefüllt.
2. Im Submaxillar-Dreieck liegen:
Drüse II typisch medial von der Art. max. ext. am Unter-
kieferrand.
Drüse III hat die tiefe Lage im Winkel zwischen Vena fac.
ant. und post.
Drüse I dagegen ist unauffindbar.
3. Von Drüse II führt ein dicker Zweig an der Vena fac. comm.
entlang zu dem bekannten typisch gelegenen Anfangsknoten
der Jugularis-Kette. (Lgl. cerv. prof.)
Fall XI.
Prot. Nr. 7. 19. Januar 1906. Weiblicher Fetus von ca.
35 cm Länge, vor drei Tagen geboren. Zahnfleisch-Injektion.
Linke Seite.
Oberkiefer.
1. An der Umschlagfalte entlang um den Alveolarfortsatz herum
ein Kranzgeflecht von zwei bis vier Gefässen.
2. Abführende Gefässe:
Vier Stämmchen, auf die ganze Kieferhälfte verteilt, ziehen an
der Wange abwärts unter teilweiser Gabelung.
Drei Zuflüsse, davon zwei aus der Molargegend, münden in
Drüse II, die übrigen in Drüse II.
Unterkiefer.
1. An der äusseren unteren Umschlagfalte zwei Kranz-Gefässe.
2. Abführende Stämmchen:
Eins aus der Incisivus-Gegend, drei dicht nebeneinander
aus der Praemolar-Gegend zu Drüse II.
Drüsen.
Im Submaxillardreieck ist
Drüse I nicht auffindbar. (Bei der ausserordentlich geringen Grösse
des Objekts vielleicht — da nicht injiziert — mit fortpräpariert.)
Drüse II und III sind Einzeldrüsen in typischer Lage, durch ein
starkes-Kommunikations-Gefäss verbunden.
Keine gefüllten Submentaldrüsen.
PETE
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 549
Rechte Seite.
Oberkiefer.
1. Nur ein Gefäss zieht an der Umschlagfalte um den Alveolar-
wulst herum.
2. Abführende Stämmchen:
Im Ganzen zweigen drei Gefässchen von der Umschlagfalte in
den drei Kieferregionen ab. Das am meisten mediale zieht
zu Drüse II, die beiden andern zu Drüse III.
Unterkiefer.
Es ist nur ein Stämmchen, aus der Öaninusgegend über die äussere
Kieferfläche zu Drüse II verlaufend, zu erkennen.
Drüsen im Submaxillar-Dreieck:
Drüse I ist in typischer Lage vorhanden, jedoch nicht gefüllt.
Drüse II ist wieder die grösste Drüse.
Drüse III besteht aus vier kleinen Knötchen, welche, zwei medial,
zwei lateral der Vena facialis anterior oberhalb und unterhalb der Ein-
mündungsstelle der V. submentalis anliegen. Nur die beiden oberen dieser
Knötchen sind gefüllt.
Keine gefüllten Submentaldrüsen.
Tiefe Injektion des Zahnfleisches und der Alveolen
beim Neugeborenen bezw. Fetus.
In diesem Abschnitt möchte ich die Beschreibung von drei
Fällen bringen, in denen die Injektion hinsichtlich der Tiefe
des Einstiches ein wenig modifiziert wurde. Es ergaben sich
hierdurch unerwartet neue Lymphbahnen, deren Verlauf einen
wertvollen Beitrag zu bieten imstande ist für die Entscheidung
der Frage, ob die bisher für das Zahnfleisch als regionäre
Drüsen in Anspruch genommenen Submaxillardrüsen auch für
die Zähne selbst als zugehörig zu betrachten sind, wenn diese
letzteren, d.h. ihre Pulpa, wie noch nachzuweisen sein wird, eben-
falls Lymphbahnen besitzen.
Zur Injektion wurden zunächst benutzt zwei Feten von ca.
31 und 35 cm Länge, also etwa im sechsten bis siebenten Fetal-
monat. Bei beiden wurde die Glaskanüle der Injektionsspritze
nicht oberflächlich, wie sonst, in das Zahnfleisch eingestochen,
sondern in die Tiefe in Richtung auf die Alveolen hin,
über deren genaue Lage ich mich an andern Kinderleichen vorher
informiert hatte. Der Einstich wurde so tief geführt, dass ich
hoffen konnte, das Zahnfleisch in der Tiefe in unmittelbarer
Nachbarschaft der bekanntlich nach dem Alveolarrand zu offenen
s50 Georg Schweitzer:
Alveolen, bezw. den Inhalt der Alveolen selbst. die ziemlich starke
Bindegewebslage zwischen Zahnsäckchen und der periostalen Aus-
kleidung der Alveole oder aber sogar Zahnsäckchen und Zahnpapille,
d. h. die embryonale Zahnpulpa, zu injizieren.
Bei dem kleineren Fetus lag mir ausserdem daran, festzu-
stellen, wie weit bereits in diesem Frühstadium die Entwicklung
des von mir bearbeiteten Zahnfleisch-Lymphgefässsystems vor-
geschritten ist.
Was diese letztere Frage anlangt, so ergab sich, wie ich
gleich vorwegnehmen möchte, dass Lymphgefässe sowohl
wie Drüsen, wenn auch dünn und klein, so doch vollkommen
typisch in Verlauf bezw. Lage bereits ausgebildet waren.
Die Beschreibung der Fälle, die ich nunmehr folgen lasse, wird
dies erläutern.
Fall XHO.
Prot. Nr. 9. 23. Februar 1906. Männlicher Fetus von
ca. 31 em Länge.
Nach Injektion der Incisivus-Gegend wurde der Kopf behufs
Erleichterung der weiteren Injektion sagittal halbiert. Tiefe
Injektion. wie oben beschrieben. Rechterseits keine Gefäss-
füllung. Die linke Schädelhälfte wurde zunächst mit der Lupe,
soweit möglich, auspräpariert und in Formalin eingelegt. Nach
mehreren Tagen wurde dieselbe durch Entfernung der hinteren
Schädelpartieen und des Schädeldaches tunlichst verkleinert und
nach Entwässerung in steigendem Alkohol behufs Erreichung einer
gewissen Durchsichtigkeit mit Xylol durchtränkt. Zur darauf-
folgenden Betrachtung des Objektes in Xylol verwandte ich eine
Leitzsche Stativlupe. Das durchfallende Licht des Lupenspiegels
liess die tiefblau injizierten Gefässe deutlich aus dem mehr oder
weniger durchsichtigen Gewebe hervortreten.
Ich habe dieses leider etwas kostspielige Aufhellungsverfahren
mit Vorteil bei kleineren Präparaten häufig angewandt.
Die Lupenbetrachtung ergibt nun folgendes Resultat:
Rechte Gesichtsseite.
Oberkiefer.
Aus einem dichten Gefässgeflecht in Höhe der Umschlagfalte führen
drei Stämmchen, die sich später, am oberen Rand des Unterkiefers, zu einem
stärkeren Gefäss vereinen, zwischen Art. max. ext. und V. fac. ant. abwärts
zur Submaxillardrüse II.
er
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. s5l
Unterkiefer.
Aus einem Geflecht ander Umschlagfalte ziehen 3 Stämmchen,
ziemlich parallel, lateral abwärts zur Submaxillardrüse I hin.
Drüsen.
Die Submaxillardrüsen I und II sind typisch gelegene Einzel-
knoten, Drüse III besteht aus drei Drüschen, von denen aber nur eines
injiziert ist.
Submentaldrüsen nicht gefunden.
Besondere Ergebnisse:
Im Oberkiefer sieht man ausser den beschriebenen, dem Zahn-
fleisch entstammenden Lymphgefässen 5—6 Stämmehen zum Teil in Be-
gleitung der Vena facialis anterior im Öberkieferperiost oberhalb der
Umschlagfalteherabkommen aus der Gegend des Foramen infraorbitale
bezw. des unteren Orbitalrandes. In dichtem Anschluss an die Vene ziehen
nur zwei dieser Stämmchen, sie vereinigen sich etwa in Höhe des Mund-
winkels mit den Oberkieferzahnfleisch- Gefässen zu dem einen bereits oben
erwähnten, in die Submaxillaris Il einmündenden Stamme. Die anderen be-
geben sich aus der Gegend des Foramen infraorbitale zunächst lateralwärts bis
etwa in Höhe des lateralen Augenwinkels und ziehen dann, sich stets lateral
von der Gesichtsvene haltend, abwärts, um ebenfalls zum Schluss in einen
stärkeren Stamm zusammenfliessend, in die Drüse III einzumünden.
Um nun genaueren Aufschluss über den Ursprung dieser
aus dem Foramen infraorbitale bezw. auch aus kleinen Neben-
Foramina heraustretenden Gefässe im Kiefer selbst zu erhalten,
wurden die Alveolen und ihre Umgebung durch Fortnahme des
Orbital-Bodens und des Gaumens von palatinalwärts her frei-
gelegt.
Es zeigten sich sämtliche fünf Alveolen stark mit Injektionsfarbe
gefüllt und über ihnen, in dem schmalen, mit schwammigem Knochengewebe
teilweise angefüllten Raum!) bis zum Boden der Orbita, ein dichtes Netz
!‘, Bekanntlich zeigt gerade dieser Teil des Schädels beim Embryo
bezw. Neugeborenen noch wesentliche Bau-Unterschiede gegenüber den Kiefer-
verhältnissen des ausgebildeten Schädels. Es sei hierüber folgendes bemerkt:
Ein Kieferkörper ist kaum vorhanden. Der Alveolarfortsatz steigt bis an
den Nasenboden bezw..mehr lateralwärts an den Boden der Orbita empor, sodass
die untere Wand der Augenhöhle mit der vierten und fünften Alveole, der
Canalis infraorbitalis mit der vierten Alveole im Kontakt steht, die Schneidezahn-
Alveolen wölben den Nasenboden leicht gegen die Nasenhöhle vor. Die
Kieferhöhle bildet beim Neugeborenen eine kleine Vertiefung an der äusseren
Nasenwand von sehr geringer Höhe, deren vorderes Ende knapp hinter dem
Suleus lacrimalis sich befindet. Die Höhle stösst lateralwärts an den Canalis
infraorbitalis. Dieser letztere liegt nicht frei, wie im ausgebildeten Zustande,
852 Georg Schweitzer:
von Gefässen, aus dem heraus dann die von aussen präparierten Lymph-
gefässstämmchen auf die faciale Kieferfläche treten.
Es führen hiernach also Lymphgefässe aus
den tiefsten Schichten des Zahnfleisches bezw.
aus den Alveolen nicht nur durch das Zahnfleisch selbst,
sondern auf einem Umwege, wahrscheinlich den Zahn-Blut-
bahnen auf einem Teil ihres Weges folgend, durch die Knochen-
spongiosa über den Alveolen hindurch, aus dem Foramen
infraorbitale und dessen Umgebung und schliess-
lich auf der Wange abwärts zu den submaxillaren
Drüsen.
Eine Bestätigung findet dieser Befund durch die weiteren
Präparate, bei denen eine noch reichere Injektion der in Betracht
kommenden Bahnen erzielt worden ist.
Fall XI.
Prot. Nr. 8. 31. Januar 1906. Männlicher Fetus, ca. 35 cm
lang. Im Unterkiefer wurden die Alveolen der Ineisivi und
Canini durch Abtragen des deckenden Zahnfleisches freigelegt
und ein Einstich in die Zahnkeime, mit scharfem Ruck bei
möglichst spitzer Kanüle, vollführt. Der übrige Unterkiefer sowie
der gesamte Oberkiefer wurden in der bei Fall XII beschriebenen
Weise durch tiefen Einstich in das Zahnfleisch in Richtung auf
die Alveolen, ohne Freilegung derselben, injiziert. Der Kopf
wurde durch Sagittalschnitt halbiert, beide Hälften in Formol
konserviert. Die nach einigen Tagen vorgenommene Präparation
ergab das folgende von den bisherigen Befunden ın Einzelheiten
abweichende Resultat:
Rechte Gesichtsseite.
Aus dem Foramen infraorbitale, und zwar in diesem Falle an-
scheinend nur aus diesem, nicht aus der Nachbarschaft, soweit dies durch
Präparation sich feststellen liess, treten vier starke Lymphgefässe auf |
die faciale Fläche der Maxilla.
sondern ist in schwammiges Knochengewebe, besonders nach dem Jochfortsatz
zu, eingehüllt.
Hinsichtlich der inneren Bauverhältnisse der Alveolarfortsätze, der
Zahnfächer, der Nischen für die bleibenden Zähne, der Struktur der Zahn-
keime verweise ich auf die sehr eingehende Beschreibung aller dieser
anatomischen Verhältnisse in dem von Zuckerkandl bearbeiteten Teil
..Makroskopische Anatomie“ des Handbuches der Zahnheilkunde, heraus-
gegeben von Dr. J. Scheff. Bd.I. 1902. S. 129—216.
22 122
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 553
Von diesen zieht eines, nachdem es sich bald in zwei weiterhin parallel
laufende Stämmchen geteilt hat, direkt lateralwärts nach dem Ohr zu. Die
beiden Stämmchen füllen eine starke etwa in Höhe des Tragus in der
Tiefe der Parotis-Substanz gelegene Lymphdrüse.
Von dieser Lymphdrüse aus ziehen durch die Substanz der Speichel-
drüse hindurch nach abwärts in Begleitung der dort verlaufenden Art.
temp. superficialis bezw. Vena fac. post. fünf Gefässe, welche noch zwei weiter
abwärts der Art. temporal. superf. aufliegende kleinere Drüsenstationen füllen.
Von der unteren dieser Stationen zieht ein starker Stamm in ziemlich ge-
wundenem Verlauf unter dem hinteren Bauch des M. biventer hindurch zu
der sich wieder typisch in der von V.fac. comm. und V. jugul. interna ge-
bildeten Gabel präsentierenden Hauptstation der tiefen Üervical-
drüsen, zwei starken Drüsen, welche ausserdem noch Innen-Zuflüsse
vom Zahnfleisch des Ober- und Unterkiefers, also auf dem Gaumenwege
bezw. an der lingualen Fläche des Unterkiefers entlang, erhalten.
Von hier aus ist der Injektionsstrom aber noch weiter gedrungen.
Zunächst ist eine lateral von der V. jugularis unter dem M. sternocleido-
mastoideus etwas tiefer als die vorerwähnte Anfangsstation gelegene Gruppe
von insgesamt 10 kleineren Drüsen-Individuen, die sämtlich durch kleine
Stämmchen miteinander in Verbindung stehen, gefüllt. Von der tiefst ge-
legenen Drüse dieser Gruppe führt ein ausnehmend starkes Gefäss an der
V. jugularis abwärts zu einer an der Kreuzung dieser Vene mit dem
M. omohyoideus befindlichen Drüse und durch diese reichlich gefüllte
Drüse hindurch noch weiter abwärts bis zur Abtrennungsstelle des
Kopfes vom übrigen Körper. (Die Abtrennung erfolgte vor der Präparation).
Die andern drei aus dem Foramen infraorbitale heraus-
tretenden Gefässe folgen im allgemeinen dem Lauf der Vena facialis ant.
Nur eines, das am meisten laterale, biegt etwa in Höhe des oberen Unter-
kieferrandes scharf nach lateralwärts ab und zieht quer über den unteren Teil
des Masseter zu einer starken, am unteren Parotispol gelegenen
oberflächlichen Vervicaldrüse.
Die beiden im Bett der V.fac. ant. verbleibenden (Gefässe ziehen je
eines zu den typisch gelegenen Submaxillar-Drüsen II und III.
Diese beiden Drüsen erhalten ausserdem, wie sonst, noch äussere
Zuflüsse aus dem Zahnfleisch des ÖOber- und Unterkiefers. Von der
Umschlagfalte beider Kiefer sieht man je zwei Gefässe in ‚gewöhnlicher
Weise zum Submaxillardreieck ziehen, die beiden Oberkiefergefässe auf einer
kurzen Strecke zu einem Gefäss vereint. Diese letzteren Gefässe verlaufen
zu Drüse II und III, während die beiden Unterkiefergefässe, in ihrem
ganzen Lauf getrennt, in Drüse II einmünden.
Die Submaxillardrüse I ist, wie häufig, nicht gefüllt.
Keine gefüllten Submentaldrüsen.
Dieses Präparat bringt ferner wiederum eine Injektion der
vom Zahnfleisch aus nach palatinal- bezw. lingualwärts ab-
führenden „inneren“ Abflusswege.
’
s54 Georg Schweitzer:
Im Oberkiefer verlassen zwei starke Gefässe das laterale Ende des
Alveolarfortsatzes, ziehen auf dem bereits beschriebenen (S. 827) Wege über
weichen Gaumen, Pharynxwand abwärts und gelangen schliesslich, in einem
Teil ihres Laufes um die Art. lingualis sich herumschlängelnd, zum medialen
Knoten der bekannten Anfangsgruppe der Jugularis-Kette der
Lgll.cervicales profundae.
Im Unterkiefer zieht etwa von der Kiefermitte aus ein Stamm
an der Lingualfläche des Kiefers, die innere untere Umschlagfalte entlang
bis zum lateralen Ende derselben, alsdann in mehrere Ästehen zergliedert an
der Innenfläche des M. pterygoideus int. abwärts, bis er schliesslich, in der
Nähe der Abzweigung der Art. lingualis von der Carotis ext. angelangt, über
diese letztere hinweg sich in den lateralen Knoten der Hauptstation
der tiefen Cervicaldrüsen einsenkt.
Verbindungen zwischen den Submaxillardrüsen und den zahlreich ge-
füllten tiefen Cervicaldrüsen sind auf dieser Halsseite nicht injiziert worden.
Linke Seite,
Auch hier treten etwa vier Stämmehen in der Gegend des
Foramen infraorbitale auf die faciale Wand des Oberkiefers heraus. Sie
begeben sich, ein starker, drei zartere Stämme in das Bett der Vena fac.
ant., nehmen in Höhe des Mundwinkels noch zwei Zuflüsse aus dem Ober-
kiefer-Zahnfleisch auf und münden, schliesslich zu zwei stärkeren Gefässen
vereint, in de Submaxillardrüsen II und II.
Die Submaxillaris Il erhält auch zwei Unterkiefergefässe, die
auf der äusseren Kieferfläche herabkommen.
Die Lgl. submax.I ist auch auf dieser Seite vorhanden, aber nicht
mit Farbstoff gefüllt.
Lgl. submax. II liegt typisch der Art. max. ext. auf.
Lgl. submax. 1II besteht aus einer starken Drüse dicht lateral von
der V. fac. ant. und einem etwas tiefer gelegenen Anhangsknoten. Dieser
Anhangsknoten ist gefüllt sowohl von Drüse II wie III aus.
Ferner ist wiederum injiziert der Hauptknoten der tiefen
Uervicaldrüsen, eine starke Einzeldrüse in der bekannten Venengabel,
durch mehrere von Submaxillaris II aus unter dem hinteren Biventerbauch
hindurchlaufende starke Stämme.
Schliesslich ist von dieser Station aus noch eine weitere Etappe,
eine dicht medial von der V. jugul. interna ein wenig oberhalb der Kreuzung
mit dem M.omohyoideus gelegene starke Drüse, gefüllt.
Submentaldrüsen: wie rechts.
Aus den vorbeschriebenen makroskopischen Ergebnissen des
Falles XIII sei nochmals als wichtig hervorgehoben:
l. das Hervorkommen von Gefässen aus dem
Foramen infraorbitale an beiden Kopfhälften,
jederseits vier Gefässe.
u 227
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 555
2. die Füllung von tiefen Parotisdrüsen auf der
rechten Seite durch eine der sub 1 erwähnten Lymphbahnen,
3. das Fehlen einer Füllung bei Lgl. submax. I
auf beiden Seiten,
4. die reichliche Füllung auch der tiefen (Cervical-)
Drüsengruppen.
Auf der rechten Seite sind trotz Fehlens einer Injektion
der Submaxillar-Drüse I gefüllt:
2 Submanxillar-Drüsen
3 tiefe Parotis-Drüsen
1 oberflächliche Cervical-Drüse
13 tiefe h
—= 19 Drüsen.
Von beiden Seiten wurde nunmehr ein Kieferstück. um-
fassend laterale Nasenwand, Alveolarfortsatz und Boden der Orbita
exeidiert. Beide Stücke wurden entkalkt, das der linken Seite
in Xylol nach Möglichkeit aufgehellt, das der rechten in
Celloidin gebracht und in eine Schnittserie zerlegt.
Die Aufhellung in Xylol gelang bei der Dicke des Präpa-
rates leider nicht so weit, dass der Zweck, die weitere Verfolgung
der aus dem Infraorbitalkanal hervortretenden Gefässe bis zu
ihrem Ursprung, völlig erreicht wurde.
Man sieht unter der Stativlupe bei stark durchfallendem
Licht von der Orbitalseite aus. wenn man das auspräparierte
(sefäss-Nervenbündel des nach der Augenhöhle zu offenen Infra-
orbitalkanals in die Höhe hebt, ein dichtes (Gefässnetz in der
Alveolenwand des ersten Milchmolaren, das sich nach den Seiten
zu fortsetzt. durch den Boden der Orbita hindurchschimmern,
aus dem dann nahe der facialen Kieferwand Lymphgefässe nach
dem For. infraorbitale zu verlaufen. Bei Betrachtung von der
Facialseite her kann man einige Stämmchen ein kurzes Stückchen
weit in das Foramen infraorbitale hinein verfolgen. Unter Berück-
sichtigung der anatomischen Verhältnisse des Kiefers in den letzten
Fetalmonaten lässt sich aus diesen Befunden schliessen, dass die
aus dem For. infraorb. hervortretenden Gefässe
ziemlich bestimmt in den Zahnalveolen ihren
Ursprung nehmen. Ob sie nun im Zahnsäckchen und der
dieses umhüllenden Bindegewebsschicht oder aus der Zahnpapille
56 Georg Schweitzer:
selbst, der embryonalen Pulpa, entspringen. wird festzustellen
sein. Die in dieser Hinsicht wichtige Aufschlüsse gebende Schnitt-
serie des Kieferabschnitts der rechten Seite wird in dem zweiten,
mikroskopischen Teil dieser Arbeit des Zusammenhangs wegen
besprochen werden (vgl. S. 893 ff. ).
Dass die bei den beiden soeben beschriebenen Präparaten
erzielten besonderen Resultate sich auch beim ausgetragenen
Neugeborenen entsprechend ergeben, zeigt uns das nun zur
Beschreibung gelangende Präparat.
Fall XIV.
Prot. Nr. 11. 7. März 1906. Ausgetragenes weibliches
Neugeborenes, ca. 24 Stunden alt.
Bei dem relativ sehr frischen Präparat wurde eine Blutgefäss-
injektion mit Carminleim von der Carotis communis aus vorgenommen, aller-
dings, was die beabsichtigte Füllung der feinen Verzweigungen und Kapil-
laren im Zahnfleisch anlangt, mit unzureichendem Erfolg. Ein längeres
Durchhalten der Injektion, auf dessen Notwendigkeit gerade zur Füllung des
Zahnfleisches v. Metnitz (39, S. 59) laut meiner nachträglichen Feststellung
hinweist, würde bessere Resultate in dieser Hinsicht gezeitigt haben.
Ausser der Blutgefäss-Injektion fand die gewöhnliche Lymph-
gefäss-Injektion des gesamten Zahnfleisches statt.
Die Präparation zeigte ein durchaus günstiges Resultat,
wieder ein Beweis für die ausserordentliche Eignung möglichst
frischer Objekte zu Lymphgefäss-Injektionen.
Rechte Gesichtsseite.
Obwohl bei der Injektion absichtlich nicht in die Alveolen hinein,
sondern nur in die Tiefe bis dicht an sie heran, soweit sich dies abmessen
liess, eingestochen wurde, gelang es doch, wiederum zwei starke Gefässe in
ihrem Lauf auf dem Öberkiefer-Periost rückwärts bis zu ihrer Austritts-
stelle im bezw. neben dem Foramen infraorbitale zu verfolgen. Die
Gefässe ziehen mit der V. fac. anterior, teilweise von ihr gedeckt, abwärts
zur Submaxillardrüsengruppe Il und zwar zum lateralen der beiden
sich in dieser Gruppe vereinigenden Lymphknoten. Im übrigen sind auch
die typischen Lymphbahnen vom Zahnfleisch aus, sowohl Aussen- wie
Innen-Wege, gut gefüllt.
OÖberkiefer. Aussen-Abflüsse:
1. Kranzgeflecht an der Umschlagfalte entlang.
2. Abführende Gefässe:
a) Zwei Stämmchen aus der Frontzahngegend zu Suh-
maxillardrüse II und Ill.
b) Ein Stämmchen etwa aus der Praemolargegend zu Suh-
maxillaris III.
EDEIDWEREBPLEEERER €
orr
d
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches.
(
c) Ein Stämmchen aus der lateralen Endregion des Alveolar-
fortsatzes, teilweise zunächst vom M. masseter gedeckt, später
wie die andern Gefässe der Vena fac. ant. sich anschliessend,
, zur medialen Drüse der Submaxillaris Il.
Unterkiefer. -Aussen-Abflüsse:
Aus den verschiedenen Zahnfleischregionen gehen von der Umschlag-
falte aus vier bis fünf Stämmcehen zu den submaxillaren Drüsen und zwar
zwei zuSubmaxillaris I, die übrigen zuSubmaxillaris I.
Drüsen im Trigonum submaxillare dextrum.
Die Submaxillardrüsen sind nicht nur der Grösse der einzelnen Drüsen-
knoten, sondern auch der Zahl nach besonders stark entwickelt.
Jede der drei Gruppen besteht aus zwei stärkeren Drüsen, mithin sind
also sechs vollwertige Submaxillardrüsen vorhanden; die Lage der
Drüsengruppen entspricht dem Typus. Die grössten Drüsen enthält, ihrer
Bedeutung entsprechend, Gruppe II, es folgt dann Gruppe III und schliess-
lich Gruppe I.
Submentaldrüsen wurden nicht injiziert gefunden.
Unterkiefer. Innen-Abflüsse.
Als wiehtigstes Moment sei hier zunächst hervorgehoben, dass
in diesem Fall entgegen den sonstigen Befunden dieSubmaxillar-
drüsen, wenigstens überwiegend, als Empfänger der Innen-Ab-
=
tlüsse vom Unterkiefer-Zahnfleisch in die Erscheinung treten.
a) Aus der Frontzahngegend zieht, wie es auch sonst die Regel
ist, ein Gefäss an der lingualen Kieferfläche durch den M. mylo-
hyoideus hindurch zur Gruppe I.
b) Aus der Mittelpartie der Kieferhälfte ziehen zwei weitere
Stämmcehen ebenfalls zur Gruppe I, laterale Drüse.
e) Aus der seitlichen Endregion des Unterkiefers, also etwa der
Molargegend, sieht man vom inneren Rande des Zahnfleisches drei
Stämmchen entspringen. Zwei von ihnen ziehen zunächst ein
Stückchen auf der oralen Fläche des M. mylohyoideus bis zu
dessen dorsalem Rand, laufen dann an der inneren Seite des M.
pterygoid. internus abwärts, um die Unterkieferbasis herum
zur Submaxillardrüse III. Das dritte Gefäss folgt dem Laufe
der beiden vorbeschriebenen bis auf die mediale Seite des M. ptery-
solid. int. In dem diesem Muskel aufliegenden Teil sind in das
Gefäss zwei Schaltdrüsen von Hirsekorngrösse eingeschaltet.
Das Gefäss zieht dann auf dem aus früheren Befunden bekannten
Wege zwischen den Halsmuskeln zur Hauptstation der tiefen
Uervicaldrüsen, einer Gruppe von drei Drüsen, von denen eine
sich entsprechend den Verhältnissen der Submaxillardrüsen durch
besondere Grösse auszeichnet. Sie liegt an den grossen Hals-
gefässen, zum Teil bedeckt vom hinteren Biventerbauch.
Von dieser Gruppe aus führt ein dicker Stamm halsabwärts
zu einer ca.2 em tiefer der V. jugul.int. lateral anliegenden
stärkeren Driüse.
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 69. 56
Georg Schweitzer:
Öberkiefer, Innen-Abflüsse.
(Hierzu Fig. 2, Taf. XX VII.)
Das vorliegende Präparat zeigte die beste Injektion der
Innen-Abflüsse vom Oberkiefer; ich werde daher diese Abtlüsse,
besonders soweit sie bisher noch nicht beschrieben wurden, aus-
führlich behandeln.
Nachdem makroskopisch durch Präparation der Verlauf der
abführenden Gefässe bis zu ihrer Einmündung in die zugehörigen
Drüsen festgestellt, gezeichnet und protokolliert war, wurde der
gesamte harte Gaumen durch horizontal geführten Meisselschlag
oberhalb des Alveolarfortsatzes vom Kiefer abgesprengt und der
weiche Gaumen dicht über der Uvula abgetrennt.
Alsdann wurde versucht, die Schleimhaut des Gaumendaches
und des Alveolarfortsatzes gänzlich abzupräparieren, doch gelang
dies nur beim Alveolarfortsatz der rechten Seite, in der Wölbung
des Gaumendaches sowie zum Teil am weichen Gaumen. Die
forcierte Abschälung der Schleimhaut an den andern Stellen
würde bei der ausserordentlich festen Anheftung derselben an
den darunter liegenden Knochen eine Zerreissung der in der
Submucosa liegenden Lymphgefässnetze zur Folge gehabt haben,
weshalb ich von einer völligen Ablösung der Schleimhaut Abstand
nehmen musste. Das Gaumenpräparat wurde darauf entwässert
und in Xylol aufgehellt. Der Erfolg war, wie die Abbildung
Fig. 2, Taf. XXVII zeigt, ein günstiger. Nur an den nicht von
dem dicken Epithel der Schleimhaut befreiten Stellen blieben die
in der Tiefe gelegenen Lymphgefässe unsichtbar. Das Präparat
wurde mit der Lupe bei auffallendem Licht gezeichnet; zur
schärferen Durchleuchtung des Objektes zwecks genauerer Fest-
stellung von Einzelheiten benutzte ich wiederum mit Vorteil das
durchfallende Licht der Leitzschen Stativlupe (Vergr. 3:1.)
1. Die Schleimhaut des Alveolar-Fortsatzes ist von einem
ausserordentlich feinen Maschenwerk von Lymph-
gefässen netzartig über- und durchzogen; schon
Sappey (56) weist auf die ausserordentliche Zartheit
und Dichte dieses Netzes hin. Die Reste des, auch
in der abpräparierten Tunica propria der Gaumen-
schleimhaut vorhandenen, oberflächlicheren und eng-
maschigen Netzes sind an den Schleimhautwülsten (Plieae
palatinae transversae) gleichzeitig mit dem darunter in
(8)
Die Lymphgefüsse des Zahnfleisches. 859
der Submucosa liegenden weitmaschigeren Netz der
stärkeren Gefässe noch sichtbar.
. Aus dem Lymphgefäss-Netz des Zahnfleisches führen
zweierlei Abflusswege die Lymphe nach dem
(raumen zu ab.
a) In der Medianlinie laufen dicht neben der das
Oberlippenbändehen bildenden scharf markierten Ein-
ziehung einzelne stärkere Gefässchen etwas seitlich
divergierend in zwei in den beiden Hälften des
Gaumendaches gelegene Netze aus. Der Ur-
sprung dieser Gefässe lässt sich am Frenulum entlang
bis auf die äussere Seite des Alveolarfortsatzes ver-
folgen, wodurch eine Verbindung zwischen den Abfluss-
wegen der Aussen- und Innenseite, wie Sappey sie
schon abbildet, hergestellt wird.
Bemerkenswert ist das Verhalten dieser verbindenden
(refässe bei ihrem Vorbeiziehen an der palatinalen
Mündung des Canalis ineisivus. Während sie um die
Kanalöffnung beiderseits herumbiegen, senden sie einige
deutlich zu verfolgende Ästehen in den Trichter des
Kanales hinein. Analog den Blutbahnen dürfte
hierv vielhleieht, eine Verbindung auch
zwischen den Lymphgefässnetzen der Mund-
und Nasenschleimhaut vorliegen.
Die Lymphgefässnetze in der Gaumenwölbung er-
halten nun von den feinen Netzen der Alveolarfortsätze
auch aus deren mehr lateralen Partieen netzartig
verknüpfte zuführende Gefässe.
Bei der Betrachtung der Gaumennetze fällt die
wohl durch die Entwicklung des Gaumendaches be-
gründete Rolle der medianen Raphe als einer
ziemlich ausgeprägten Scheidewand zwischen
‚den beiden Netzen, speziell in dem mehr nach der
Rachenenge zu gelegenen Teile des harten Gaumens,
auf. Nur gahz feinen Anastomosen gelingt es, diesen
Grenzwall zu überschreiten. Das Netz der linken
Kieferseite, also der rechten Seite der Abbildung, zeigt
in feinen an der Raphe entlang laufenden Grenz-
stämmchen besonders deutlich diese Eigenschaft der
56* #
Ss60
Georg Schweitzer:
Raphe, eine Verbindung der beiden Gaumennetze durch
stärkere Gefässe zu verhindern.
Aus den Gaumennetzen bilden sich sehr dicke, ab-
führende Stämme, welche von Sappev (56, S. 70) und
neuerdings von Most (40, S. 150) als typisch nach-
gewiesen worden sind, und zwar von der linken Seite
(in der Abbildung rechts) etwa zwei. von der rechten
Seite ein Stamm.
Beachtung verdient nunmehr die Tatsache, dass
die Stämme der linken Gaumenseite, deren
stärkere Gefässe bisher ein Überschreiten der Raphe
durchaus vermieden hatten, an der Übergangs-
stelle vom harten zum weichen Gaumen
plötzlich auf die rechte Seite sich wenden
und mit den abführenden Gefässen dieser Seite über
den weichen Gaumen und die Pharvnxwand zu den
regionären Drüsen, den tiefen Cervicaldrüsen, ver-
laufen. Ein derartiger Seitenwechsel, „Entrecroise-
ment“. wie Sappey (56) es nennt, scheint nach den
Angaben des letzteren und Mosts (40) keineswegs
selten, ja sogar häufiger beiderseitig vorzukommen,
in welch letzterem Falle man dann von einer wirklichen
„Kreuzung“ sprechen kann, die Sappev nur an dieser
Stelle des Körpers beobachtet zu haben angibt (S. 70).
Sappey veröffentlicht in seinem Atlas (Planche XXIII,
Fig. 3) auch eine Abbildung dieser Kreuzung der
Gaumengefässe. Die in der Fig. 2 abgebildete par-
tielle Kreuzung scheint nach Sappey seltener
als die doppelte, eigentliche Kreuzung vorzukommen.
Mein Präparat bot mir noch einen weiteren, tiefer
liegenden interessanten Seitenwechsel. Auf der linken
Bildseite der Fig. 2 sehen wir hauptsächlich aus
den Gefässnetzen dieser Seite einen Abflussstamm
sich bilden, der auf dem weichen (saumen mehr in
dorsaler Richtung, im Bilde senkrecht nach unten.
verläuft. Sein allmähliches Verschwinden in den tieferen
Schichten der Submucosa ist durch schwächere Färbung
zum Ansdruck gebracht. Dieses hauptsächlich von
der rechten Kieferhälfte stammende Gefäss zieht
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. Ss61
nicht zu den Drüsen der rechten Seite, sondern wendet
sich, nachdem es etwa zwischen den Gaumenbögen
abwärts bis in Höhe der unteren Tonsillenspitze ge-
langt ist, über die hintere Pharynxwand auf
die Gegenseite, um dort in die Anfangsstation der
tiefen Cervicaldrüsen (Jugularis-Kette) dieser Seite,
drei Lymphknoten an der typischen Stelle gelegen,
einzumünden.
b) Der zweite und anscheinend. noch reichlicher
mit abführenden Gefässen ausgestattete, schon in
früheren Fällen häufig injizierte Abflussweg der
Zahnfleischlymphe über den Gaumen hinweg
nimmt seinen Ursprung aus dem feinen Zahntleisch-
netz hauptsächlich am lateralen Ende der Alveolar-
fortsätze Man sieht dort ein starkes Bündel von
(sefässen konvergierend nach den Graumenbögen zu
verlaufen. Die Gefässe entstammen, wie die Abbildung
zeigt, nicht nur der palatinalen Seite des
Alveolarfortsatzes, sondern kommen zum Teil auch von
der buccalen Seite her. Bei durchfallendem Licht
zählte ich mit der Lupe in dem Bündel ca. 15—20
Gefässchen, die dann nach dorsal-abwärts sich zu
2—3 stärkeren, die charakteristische „Perlen-
sehnur“-Form besonders deutlich zeigenden Stämmen
vereinen. Der weitere Verlauf dieser Stämme geschieht,
abgesehen von der oben beschriebenen Abweichung
nach der Gegenseite, auf beiden Halsseiten abwärts
in bekannter Weise zu den nach Lage und Zahl bereits
erwähnten tiefen Uervicaldrüsen.
Nur ein Zweig macht eine Ausnahme, indem er weit nach dorsalwärts
an der lateralen Pharynxwand abschweift und zu einer kleineren, durch
Abpräparation des Pharynx sichtbar gemachten Drüse zieht, die etwa am
Ubergang der seitlichen in die hintere Pharynxwand in Höhe des
Anfangsknotens der Jugularis-Kette der tiefsten Halsmuskulatur aufliegt.
Ich betrachte diese Drüse als ein versprengtes Glied der lateralen
Gruppe der tiefen Cervicaldrüsen, nach Most (40, S. 41), während wir bisher
stets nur die mediale Gruppe, die der V. jugularis lateral und medial
angelagerte Kette injiziert fanden.
Von (dieser versprengten Drüse aus kehrt ein sich in zwei Stränge
spaltendes (Grefäss zur Jugularis-Kette zurück und mündet dort in die schon
862
Georg Schweitzer:
beschriebene und von der Anfangs-Station der tiefen Cervicaldrüsen injizierte.
der Vene tiefer am Halse anliegende Drüse.
Die Beschreibung des hauptsächlich durch Präparation ma-
kroskopisch gewonnenen Teiles meiner Befunde, soweit sie den
Menschen betreffen, möchte ich nunmehr abschliessen durch eine
Zusammenfassung der bisherigen Untersuchungsergebnisse
über die Lymphabflussbahnen des menschlichen Zahn-
r.
fleisches.
Das gesamte Zahnfleisch der beiden Kiefer ist von einem
äusserst zarten und engmaschigen, für das Auge nur
mit Lupenvergrösserung deutlich erkennbaren Lymph-
gefässnetz durchzogen, aus welchem die Lymphe
hauptsächlich nach aussen, also nach der Wange zu,
aber auch nach innen, nach dem Gaumen zu bezw. an
der lingualen Fläche des Unterkieferkörpers herab und
entlang fast ausschliesslich zu den submaxillaren
und tiefen Cervical-Lymphdrüsen hin abtliesst.
. Aussen-Abflüsse nebst regionären Drüsen.
a) Oberkiefer. Im Oberkiefer sammelt sich der nach
der Wange zu fliessende Lymphstrom in eine Anzahl
von dicht über und dicht unter der Umschlagfalte
des Zahntleisches in die Wangenschleimhaut (= der
Anheftungslinie der letzteren an das Periost der Maxilla)
verlaufenden Gefässen, welche meist kranzförmig bis
zum lateralen Ende des Alveolarfortsatzes, hin und
wieder aber auch nur bis zur Kreuzung der Falte
mit der Vena facialis anterior ziehen und deren Ver-
bindung durch vielfache Anastomosen dem ganzen
einen geflechtartigen Charakter verleiht.
Es sind meist drei bis vier, selten mehr, oft
weniger solcher Kranzgefässe injiziert.
Sappey (56) beschreibt nur ein solches Gefäss, Most (40)
injizierte deren eins, zwei, höchstens drei.
Nahe der Medianlinie findet sich vereinzelt durch
die Injektion des Zahnfleisches auch ein Netz in der
Submucosa der Lippen schleimhaut injiziert.
In der Medianlinie besteht keine Trennung
der beiderseitigen Geflechte, sie stehen vielmehr in
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 863
direkter Kommunikation, wie in vielen Fällen bei gut
gelungener Injektion deutlich sichtbar war. Die
Kommunikationsgefässe, in geringer Anzahl, verlaufen
oberhalb der Anheftung des Lippenbändchens.
Das letztere selbst scheint allerdings einer Kommuni-
kation in gewissem Grade ein Hindernis zu bieten.
Von dem „Kranz“geflecht an der Umschlagfalte
ziehen abführende Stämmchen aus allen Re-
gionen des Alveolarfortsatzes in der Tiefe der Wange,
also in der facialwärts gelegenen Submucosa der Wangen-
schleimhaut bezw. in der Buceinatorfascie und schliesslich
den oberflächlichsten Periostlagen des Unterkiefers mehr
. oder weniger schräg nach lateral-abwärts zur sub-
maxillaren Drüsenanhäufung. Es ist mir gelungen,
bis zu acht oder neun solcher abführenden
Stämmchen, die vielfach in ihrem Verlauf auf der
Wange anastomosieren, zu injizieren. Die Gefässe
erschienen beim Erwachsenen nicht stärker als beim
Neugeborenen (vide Fig. 1, Taf. XXVII).
In der Hauptsache schliessen sich die Gefässe dem
Lauf der Vena facialis anterioran, zu welchem
Zweck die lateral von der Vene aus der lateralen
Endregion des Zahnfleisches entspringenden bezw. ab-
führenden Gefässe sich zunächst häufig eine kurze
Strecke nach medial-abwärts begeben, um so das
Strombett der Vene zu erreichen. Die Gefässe ver-
laufen teilweise die Vene direkt umschlingend, auf
oder unter ihr, aber auch am medialen oder lateralen
Rande ihres Strombettes. Wenige Gefässe aus der
Medianpartie des Zahntleisches begeben sich schon
früher, noch medial vom Venenbett, nach abwärts. Sie
ziehen mit der Art. lab. sup. bezw. der Art. maxill.
ext. dicht am Mundwinkel vorbei zum Submaxillar-
gebiet. Ferner führen aus der Gegend deslateralen
Endes des Alveolarfortsatzes, also der Molarpartie,
ziemlich konstant ein oder mehrere Gefässe, aus der
von der Wangenschleimhaut und dem bedeckenden M.
masseter gebildeten Tasche herauskommend, zum Sub-
maxillardreieck. Sie laufen, häufig auch ein längeres
b
Georg Schweitzer:
Stück unter dem Masseter verborgen, abgesehen vom
Unterlauf lateral vom Venenbett. Vereinzelt konnte der
Ursprung dieser Gefässe bis auf die palatinale
Seite des Alveolarfortsatzes um das laterale
Ende desselben herum verfolgt werden, ebenso wie
umgekehrt auch vom entsprechenden buccalen Zahn-
tleischrande Gefässe um das Ende des Alveolarfortsatzes
herum nach dem weichen Gaumen zu verlaufen. um
dort mit den palatinalen „inneren“ Abflüssen, von
denen noch die Rede sein wird, sich zu vereinigen
(vergl. Fig. 2, Taf. XXVII).
Unterkiefer. Aussen-Abflüsse.
Sehr ähnlich liegen die Verhältnisse bei dem Abfluss-
system der Lymphe des Unterkieferzahntlisches
über die lJabial-buccale Fläche des Kiefers hinweg.
Auch hier bildet ein zunächst an bezw. dicht unter-
halb der unteren äusseren Umschlagfalte
des Zahntleisches in die Wangenschleimhaut (= der
Anheftungslinie der letzteren an das Periost des Unter-
kiefers) entlang von der Medianlinie aus bis zum
lateralen Ende des Alveolarfortsatzes laufendes faden-
förmiges Geflecht, bestehend aus wenigen
geschlängelten Gefässen mit vielfachen Anastomosen,
das Sammelbecken der aus dem Zahntleischnetz abge-
führten Lymphe. Die Zahl der zu diesem Geflecht sich
vereinigenden Kranzgefässe scheint in der Regel etwas
geringer zu sein, als im Oberkiefer; es sind meist
zweibisdrei. selten vier nebeneinander liegende
(refässstränge,. letztere Zahl auch nur stellenweise,
injiziert.
Auch im Unterkiefer liess sich in mehreren Präpa-
raten eine Kommunikation der beiderseitigen
Geflechte in der Medianlinie unterhalb der
Anheftung des Unterlippenbändchens in derselben
Weise, wie im Oberkiefer, unzweifelhaft feststellen.
Aus dem Geflecht an der Umschlagfalte zweigt in
den oberflächlichen Periostlagen der äusseren Kiefer-
fläche eine AnzahlabführenderStämmchen
zur Submaxillar-Drüsenstation ab.
ne
R
—m
[eB}
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. ö
Die Verlaufsrichtung der abführenden Ge-
fässe ist dadurch festgelegt, dass sie, wenige Fälle
ausgenommen, sämtlich einem Punkt zustreben,
nämlich der an der Art. max. ext. dicht unter dem
Kieferrand konstant belegenen Submaxillardrüse I.
Infolgedessen laufen die nahe der Medianlinie abzwei-
genden Stämmchen schräg lateral-abwärts; je weiter
lateralwärts die Abzweigungsstelle liegt, desto mehr
nähert sich die Richtung des Laufes einer senkrechten,
bis die vom Ende, aus der Molargegend entspringen-
den (refässe einen medial-abwärts gerichteten Verlauf
nehmen.
Die festgestellte Gesamtzahl der auf diese Weise
zum Submaxillardreieck führenden Unterkiefer-
Aussenabflüsse beträgt bei gut gelungener Injektion
etwa 6-7. Da. wo die Gefässbahnen des Oberkiefers
die des Unterkiefers kreuzen bezw. erreichen, liegen
die Unterkiefergefässe unter den Oberkiefergefässen.
c) Regionäre Drüsen.
Sämtliche vorbeschriebenen Aussenabflüsse oder
facialen Lymphbahnen des Zahnfleisches beider
Kiefer münden ein in die im Submaxillar-
dreieck. d.h. dem Raume, welcher auf jeder Halsseite
begrenzt wird von dem unteren Rand des Unterkiefers
und den beiden Bäuchen des M. biventer, belegenen
submaxillaren Lymphdrüsen.
Nachdem, wie schon in der Literaturübersicht (S. S14) er-
wähnt, durch die Untersuchungen von Partsch (44—46), Ollen-
dorfft (42), Most (40) und insbesondere Stahr (59) das
konstante Vorkommen dieser Drüsen in der Drei-
zahl, seien es nun drei Kinzeldrüsen, oder drei deutlich von
einander geschiedene Gruppen, sowie in einer konstanten
Lage festgelegt worden ist, habe ich nur nötig, kurz meine
Befunde als Ergänzung und Bestätigung der vorerwähnten Fest-
stellungen anzuführen.
Auch ich fand ziemlich konstant drei Drüsen bezw. deutlich
unterschiedene Gruppen. (Ausnahmen vergl. Fälle I rechte Seite
und VI rechte Seite). Die nächst der Medianlinie gelegene
Drüse I lag stets im vorderen Winkel des Submaxillardreiecks,
66 Georg Schweitzer:
auf bezw. an der Vena submentalis, meist unweit des lateralen
Randes des vorderen Biventer-Bauches etwas unterhalb des Unter-
kieferrandes dem M. mylohyoideus auf seiner aboralen Fläche
auf. Ihre Grösse und Gestalt schwankte beim Neugeborenen,
wenn es eine Einzeldrüse war, von der einer sehr kleinen Erbse
bis zu der einer kleinen Bohne. Beim Erwachsenen fand ich die
Drüse reichlich erbsengross.
Meistens handelte es sich um einen einzelnen Knoten,
in etwa !/s der Fälle waren es zwei Knoten, gewöhnlich von
verschiedener Grösse, selten gleich gross: als Varietät fand ich
in einem Falle eine Gruppe von fünf kleinen Drüschen vor.
Andererseits war die Drüse I in zwei Fällen (Fall X links und
XI links) nicht aufzufinden.
Ich lasse es dahingestellt sein, ob in dem einen oder andern dieser
Fälle die nicht mit Farbstoff gefüllte — was, wie ich zeigen werde, häufiger
vorkam, — und relativ kleine Drüse übersehen und bei Entfernung des
Fettes mit exstirpiert worden ist.
Die Submaxillardrüse II ist. wie bekannt und wie auch
meine Untersuchungen es ergeben haben, die grösste und
wichtigste Drüse des Submaxillargebietes. Sie liegt
an der Innenfläche des Unterkiefers nahe dem unteren Rande,
dicht an der Stelle, an welcher die Art. max. ext. um diesen
Rand herumbiegt. Meist liegt sie hier der Arterie medial an
bezw. mit ihrer lateralen Häfte auf. Sie erreicht sehr häufig
auch beim Neugeborenen die Grösse einer mittleren Bohne,
beim Erwachsenen fand ich sie noch grösser. In !/s der Fälle
fand ich ausser einer Hauptdrüse noch eine kleinere Nebendrüse,
in zwei Fällen wurde die Gruppe aus drei Drüsen gebildet.
Diese Drüsengruppe fehlte niemals und war
stetsiinjiziert.
DieSubmaxillardrüse Ill liegt lateralwärtsund wiederum
etwas tiefer am Halse als die Drüse II, unterhalb des Unterkiefer-
randes zwischen diesem und dem oberen Rand der Unterkiefer-
Speicheldrüse. Sie ist in der Regel der Vena facialis anterior lateral
angelagert, und zwar meist gegenüber der Einmündungsstelle der
von medial her kommenden Vena submentalis in die Gesichts-
vene. Nicht selten aber war diese Drüsengruppe etwas tiefer
gerückt in den durch den Zusammenfluss der Vv. faciales
ant. und post. gebildeten Winkel, wenn nämlich dieser Zu-
Die Lymphgefässe des Zahntleisches. S67
sammenfluss höher am Halse, als normal, stattfand. Aber auch
bei normaler, also tieferer Lage dieses Zusammenflusses fand
sich hin und wieder eine kleine Drüse als versprengtes Glied der
III. Submaxillardrüsengruppe in den Venenwinkel verlegt.
Was die Grösse der Drüse III, wenn es eine Einzel-
drüse war, anlangt, so war sie meist etwas kleiner, selten von
gleicher Grösse wie Drüse II. In !/; der Fälle fand sich eine
(sruppe von zwei Lymphknoten, in '/s der Fälle bestand dieselbe
aus drei Drüsen, von denen mitunter eine, wie erwähnt, etwas
versprengt war (vergl. Fig. 1, Taf. XXVIM).
Auch hier fand sich eine Varietät, in einem Falle eine Gruppe
von vier Drüsen, deren Lage bei der Beschreibung des bezüglichen Falles
(XI rechte Seite) näher erläutert ist.
Verbindungen zwischen den einzelnen Drüsen
finden sich in der Regel vor und zwar durch meist in grösserer
Anzahl vorhandene, sehr starke (Gefässe, welche somit eine
Füllung von Drüsen mit Farbstoff auch in den Fällen, in welchen
dieselben keine direkten Zuflüsse aus dem Injektionsgebiet erhalten,
bewirken. Diese sekundäre oder indirekte Füllung kam nur
vor bei Drüse I, und zwar in drei Fällen, während die beiden
andern Drüsen stets durch selbständige Zuflüsse
injiziert waren.
3eziehungen der einzelnen Submaxillardrüsen
zu den verschiedenen Zahnfleischregionen.
Was den Verlauf der aus den verschiedenen Injektions-
bezirken des Zahnfleisches abführenden Gefässe zu den einzelnen
Drüsen, mithin also die regionäre Zugehörigkeit der
letzteren zu bestimmt abgegrenzten Teilen des
Zahnfleisches betrifft, — Einteilung desselben siehe S. 323
— so muss im Voraus bemerkt werden, dass eine Sonderung der
abführenden Gefässe nach dem möglichst genau bestimmten Ort
ihrer Abzweigung von dem Geflecht an der Umschlagfalte, über-
tragen auf die darunter gelegenen entsprechenden Zahntleisch-
regionen, nur mit Vorbehalt angängig ist. Denn nach meinen
Befunden, speziell den Ergebnissen der Injektion mit verschiedenen
Farben (Fall II und III), stehen die einzelnen Zahnfleischgebiete
vermittelst des kranzartigen (refässgeflechtes an den Umschlag-
falten in Verbindung. (Die Injektion z. B. der Molargegend mit
SbS Georg Schweitzer:
grüner Farbe hatte auch eine teilweise Grünfärbung der aus der
Ineisivusgegend abzweigenden Stämmchen zur Folge.) Immerhin
herrschte aber in den aus einem bestimmten Injektionsgebiet ab-
führenden Gefässen die für die Injektion dieses Grebietes benutzte
Farbe vor. Es darf hierausfüglich geschlossen werden,
dass der Lymphstrom eines bestimmten Zahnfleisch-
sebietes, wenn ihm vermittelst des Geflechtes
an der Umschlagfalte auch die Abflussbahnen
aus den benachbarten Zahnfleischgebieten zur
Verfügung stehen, doch normalerweise sich in
erster Linie der nächstgelegenen Gefässe bedienen
wird. In diesem Sinne also darf man wohl die abführenden
(sefässe dem dem Ort ihrer Abzweigung entsprechenden Zahn-
fleischgebiet zuordnen.
Bei der Betrachtung des Verlaufs der Gefässe zu den
einzelnen Drüsen muss nun zunächst der überwiegenden
Bedeutung der Drüse II als Empfängerin der Lymphe
nicht nur aus allen Teilen des Unterkieferzahnfleisches, sondern
auch aus allen Teilen des Oberkieferzahntleisches gedacht werden.
In letzterem Punkte kann ich nach meinen Befunden Mo st (40, S. 99)
nicht beistimmen, der der Drüse III inbezug auf die Zahl der Ober-
kieferzuflüsse den ersten Platz anweist.
Ich habe aus meinen Befunden folgende Aufstellung über die Be-
ziehungen der Drüsen zu den einzelnen Zahntleischregionen gemacht.
Es ziehen, soweit die Aussenabflüsse in Frage kommen,
von allen Gefässen:
des Oberkiefers des Unterkiefers
Aus der Ei Pe
zu Drüse zu Drüse
Gegend der
I 1l III I 1l Ill
an aus- ; - vereinzelt
= . R S- etwa ast etwa | etwa 5
Kronteanet on ein
weise ein 5/, 1/5 1 2/a Garde
refäss efäss
; kein | etwa etwa selten fast kein
Praemolaren | 2 2 S ; E
Gefäss 2/3 lg ein Gefäss' sämtliche Gefäss
} i etwas Ivereinzelt' , : vereinzelt
Molaren . En mehr als ein 2 EM ein
Gefäss | 2 1, Gefäss sämtliche Gefäss
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 869
Wenn diese Aufstellung in Anbetracht der Kieferverhältnisse
des Neugeborenen auch nur annähernd zutreffen kann, so dürfte
doch Folgendes daraus hervorgehen:
Der bei weitem grösste Teil sämtlicher Lymphgefässe
des Oberkieferzahnfleisches begibt sich zu Submaxillar-
drüse 1.
Drüse I kommt für den Oberkiefer fast gar nicht in
Betracht.
Drüse III hat eine gegenüber der Drüse II erhöhte
Bedeutung für die Molargegend des Oberkiefers, wenn
auch nicht viel weniger als die Hälfte der Gefässe auch aus
dieser Gegend zu Drüse II verläuft. Ferner zieht auch ein be-
merkenswerter Prozentsatz aus den andern Zahnfleischregionen
zu Drüse III hin.
Noch mehr als für den Oberkiefer springt die Bedeutung
der Drüse II für den Unterkiefer ins Auge. Zu ihr ziehen
fast alle Gefässe aus der Praemolar- und Molargegend,
2/3 der Gefässe aus der Incisivus-(Gegend.
Nur für die letztere Gegend gewinnt die dieser nächst-
gelegene Drüse l eine gewisse Bedeutung, während die Drüse Ill
überhaupt nur in Ausnahmefällen Zuflüsse vom Unterkiefer-
zahnfleisch erhält.
Auffallend ist, dass Gefässe aus der Molargegend des Unterkiefers
nicht zu der nächstgelegenen Drüse III, sondern zu Drüse II ziehen
Sehr wahrscheinlich verschieben sich bei weiterer Ausbildung des Kiefers
speziell der Alveolen für die zweiten und dritten Mahlzähne, die beim Neu-
geborenen ermittelten Zuflussverhältnisse zu Gunsten einer etwas erhöhten
Bedeutung der Drüse III. —
Interessant dürfte es sein, an dieser Stelle einen vergleichenden
Blick von den vorerwähnten, auf rein anatomischem Wege ge-
wonnenen Ergebnissen auf die hauptsächlich von Partsch (45, 46)
ermittelten und von ihm und Ollendorff (42) veröffentlichten
klinischen Resultate hinsichtlich der Zugehörigkeit der einzelnen
Drüsen zu den Regionen bestimmter Zahngruppen zu werfen.
Erlaubt wird ein solcher Vergleich aus dem Grunde sein. weil nach
Partsch Lymphdrüsenschwellungen nur bei Erkrankungen des
Periodontium, abgesehen natürlich von andern ausserhalb des Alveolar-
fortsatzes lokalisierten Aftektionen, aufzutreten pflegen und weil die Lymph-
bahnen des Periodontium, wieDorendorf (16) beobachtet hat und wie
auch ich es in mikroskopischen Schnitten festgestellt habe, mit denen des
umgebenden Zahnfleisches in engster Verbindung stehen. Wir
s70 Georg Schweitzer:
dürften also berechtigt sein, die durch Injektion einer bestimmt begrenzten
Zahnfleischpartiegewonnenen anatomischen Ergebnissemitdem klinischen
Bilde entsprechend lokalisierter, den Lymphapparat in erhöhte Tätigkeit
setzender Erkrankungen, von denen die Periodontitis die bei weitem häufigste
ist, in Parallele zu stellen.
Indem ich zunächst von den klinischen Befunden hinsichtlich
der Submental- und tiefen Cervicaldrüsen, die ich bei der
Abhandlung dieser beiden Drüsengruppen heranziehen werde, ab-
sehe, ergiebt der Vergleich hinsichtlich der anatomisch und klinisch
in erster Linie in Betracht kommenden Submaxillardrüsen
folgendes:
„Die drei Submaxillardrüsen haben kein scharf
abgegrenztes QWuellgebiet“ so lautet der klinische Befund
von Partsch (45, S. 7). Der Grund hierfür geht aus meinen
anatomischen Untersuchungen (zusammenhängendes Geflecht an
der Umschlagfalte) hervor.
„Die Drüse I ist in %5 aller Fälle geschwollen“
(Ollendorff |42, S. S]), was ebenfalls mit meinen Befunden
(vergl. Tabelle S. S68) sich ungefähr deckt. Ollendorff führt
diese Häufigkeit der Schwellung einmal darauf zurück, dass die
Drüse II die meisten direkten Lymphstämme vom Unterkiefer
erhält. wie auch ich dies fand, sowie dass sie bei Schwellungen
der Drüsen I und III sehr oft mitbeteiligt ist. Wenn diese
letztere Erklärung bei den starken und mehrfachen Kommuni-
kationen der einzelnen Drüsen untereinander auch entschieden
zutrifft, so dürfte doch der Hauptgrund für die Häufigkeit
der Schwellung der Drüse II wohl darin liegen, dass
eben diese Drüse nicht nur vom Unterkiefer,
sondern auch vom OÖberkiefer, im Ganzen genommen,
bei weitem die meisten Zuflüsse erhält. Meiner Ansicht
nach wird die Schwellung der Drüse II in den meisten Fällen
eine in erster Linie „primäre“ sein, d.h. vermittelt auf dem
Wege der direkten Bahnen von allen Teilen ‚des Zahnfleisches
beider Kiefer her.
„Die Drüse I war nach Ollendorff (42, S.8) relativ
häufig bei Erkrankungen der Zähne 1—6 beider Kiefer
geschwollen.“ Für den Unterkiefer stimmt dies mit den ana-
tomischen Befunden überein, für den Oberkiefer jedoch nicht.
Hier dürften aber die fast stets vorhandenen Kommunikationen
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 871
zwischen Drüse II und I zur Erklärung des klinischen Befundes
herangezogen werden können.
„Bei der Schwellung der Drüse III handelte es sich
in 62 von 37 Fällen um Erkrankung der oberen, in 25 um
Erkrankung der unteren Molaren.“ (Ollendorff 42, S. 8).
Diesem Resultat nähern sich meine anatomischen Befunde hin-
sichtlich der Oberkiefer-Zähne. Der abweichende Befund für
den Unterkiefer, abgesehen von der immer möglichen sekun-
dären Affektion der Drüse Ill von Drüse Il aus, erklärt
sich ebenso wie die Differenz der klinischen und anatomischen
Verhältniszahlen für den Oberkiefer wohl zur Genüge
allein schon aus dem verschiedenen Alter der anatomischen und
klinischen Untersuchungs - Objekte und der damit zusammen-
hängenden Verschiedenheit der Kieferentwicklung,
insbesondere der Ausbildung der Molarregion.
Alles in Allem glaube ich aber eine ausreichende Über
einstimmung der anatomischen Ergebnisse mit dem
klinischen Bilde unter den in der Verschiedenheit der
Verhältnisse begründeten Einschränkungen gefunden zu haben. —
Kehren wir nach dieser Abschweifung nunmehr zu den
anatomischen Befunden zurück.
Der weitere Weg des Lymphstroms von den Submaxillar-
.drüsen aus ist ein konstanter, er geht stets zu der an der
Vena jugularis interna gelegenen Kette der Lgll. cervicales
profundae mediales. Es ist mir in vielen Fällen gelungen,
Teile dieser Kette, in einem Falle sogar bis zur dritten
Station innerhalb derselben, zu injizieren. Die Verbindung von
den Submaxillar- zu den tiefen Cervical-Drüsen ging etwa in
gleicher Häufigkeit aus von Drüse II wie von Drüse I.
Von Drüse I aus habe ich in keinem Falle zur tiefen Cervical-
drüsenkette führende Gefässe ermittelt. Bei den Verbindungen
handelte es sich meist um zwei oder auch mehrere, meist recht
starke Gefässe, welche von Drüse II aus zunächst unter oder
an der Submaxillarspeicheldrüse entlang, von Drüse III an der
Vena facialis anterior, und in beiden Fällen dann weiter an der
Vena facialis communis bis zu ihrer Einmündung in die Vena
Jugularis interna verlaufen. An dieser Einmündungsstelle,
meist in dem von den Venen gebildeten Winkel, fand ich mit
grosser Konstanz die typische oberste Untergruppe
u |
1089)
Georg Schweitzer:
der Jugularis-Kette oder Hauptstation der tiefen Cervical-
drüsen. Sie wurde gebildet von einer, nicht selten aber auch
zwei oder drei im Allgemeinen sehr starken Drüsen, welche in
der Regel grösser als die grösste Submaxillardrüse waren.
In einigen Fällen waren auch die lateral von der Vena
jugularis interna unter dem M. sternocleidomastoideus etwa
in Höhe der eben genannten konstanten Gruppe belegenen
zahlreichen Drüsen zum geringeren oder grösseren Teil injiziert.
Ich verweise auf die Beschreibung des Falles XIII, in welchem
sich von dieser lateralen Gruppe etwa 10 meist kleinere Lymph-
knoten injiziert fanden.
In der Kette der Drüsen an der \. jugularis interna drang
die Injektion bis zu einer dicht oberhalb der Kreuzung
des M. omohyoideus mit der genannten Vene belegenen
Station, welche nach Most (40, S. 35) dieuntere@Grenzstation
der tiefen Cervicaldrüsen (im engeren Sinne) bildet: es
folgen nach abwärts noch die Supraclavieulardrüsen, ich
habe meine Untersuchungen jedoch nicht über die bezeichnete
untere Grenzstation ausgedehnt.
Ein direktes Einmünden von Gefässen des äusseren,
facialen Abflusssystems der Zahnfleischlymphe in die tiefen
Cervicaldrüsen, unter Übergehung. der Submaxillarstation, habe
ich nicht beobachtet.
3. Die Bedeutung der tiefen Cervicaldrüsen für das Lymph-
gebiet des Zahntleisches erschöpft sich aber nicht in ihrer Eigen-
schaft als zweite Etappe, d.h. Empfangsstation für den
Lymphstrom aus den Submaxillardrüsen, sondern
sie stehen in direkter Beziehung zum Zahnfleisch, als erste
Etappe, gleichgeordnet also den Submaxillardrüsen. vermöge ihrer
Beziehungen zu den „Innen*-Abflüssen, den aus dem Ober-
kiefer über Gaumen und Pharynxwand, aus dem Unterkiefer an
dessen Lingualfläche entlang zwischen den Halsmuskeln herab-
ziehenden, anscheinend zwar weniger zahlreichen, jedoch häufig
starken und konstant vorkommenden Gefässen.
a) Die Art und Weise des Verlaufs der aus dem OÖberkiefer-
zahntleisch über den Gaumen abführenden Bahnen ergibt sich
aus der Betrachtung der Fig. 2 Taf. NXVIll und aus der eingehenden
ENTE
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 873
ergänzenden Beschreibung auf S.S5S ff. Ich beschränke mich darauf,
hieraus folgendes hervorzuheben:
ea) Die Zweiteilung dieser Abflussbahnen in
ihren Anfängen. Der Abfluss findet sowohl durch
die Gefässnetze des harten Gaumens hindurch,
als auch direkt vom lateralen Ende des Alveolar-
fortsatzes aus nach der Tiefe statt.
B) Den Übergang der Gefässe einer Kieferseite
zu den Drüsenstationen der andern Seite,
entweder in einer partiellen Kreuzung (Fig. 2) oder
wie Sappey (56) es fand, in voller, d. h. beiderseitiger
Kreuzung).
Die Innengefässe des Oberkiefers gingen in allen Fällen, in
denen mir eine Darstellung derselben gelang, ausnahmslos
zu der Anfangs- und Hauptstation der tiefen Cervicaldrüsenkette
am Zusammenfluss der \v. fac. comm. und jugularis interna.
Was die Abflüsse auf der inneren, lingualen Fläche des
Unterkiefers anlangt, so sollte man glauben, dass diese die
nächstgelegenen Submaxillardrüsen für die Aufnahme
ihres Lymphstroms in Anspruch nehmen würden, wie dies bisher
auch (vergl. Most |40, S. 99 |) angenommen wurde. Bei der Mehr-
zahl meiner Objekte trifft dies aber nur in beschränktem Maße,
für einen Teil der Gefässe, nämlich die etwa aus der
Frontzahngegend entspringenden, zu. Diese verlaufen schräg
lateral-abwärts zunächst in der Submucosa der Kieferschleim-
haut, dann über die Unterzungen-Speicheldrüse, durchbohren den
M. mylohyoideus und ziehen auf dessen aboraler Fläche zur
Submaxillardrüse I. Es handelte sich meist um ein oder zwei
solcher Gefässe, die aber mit relativ grosser Regelmässigkeit inji-
ziert waren und stets denselben Verlauf zeigten.
Ausser diesem Abfluss aber finden wir ein bis zwei Gefässe
an derinneren Umschlagfalte (oder hier richtiger Über-
gangsfalte der Kieferschleimhaut in die Schleimhaut des Mund-
bodens) entlang verlaufend, analog den Verhältnissen an der
!) Derartige Übergänge bezw. Kreuzungen von Bahnen der beiden
Körperseiten sind auch an anderen Stellen beobachtet worden, so von Henle (25)
bei den Lymphgefässen der dorsalen Hals- und Rumpfhaut, von Bruhns (9)
bei den Gefässen der äusseren weiblichen Scham, Dorendorf (16) bei den
subkutanen Gefässen der Lippen, Bartels (1) bei der Schilddrüse.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 57
574 Georg Schweitzer:
Aussenseite. Der mediale Anfang dieser Bahnen war bis in
die Caninus-Gegend zu verfolgen. Diese Bahnen ‚werden durch
Zuflüsse aus den mehr lateralen Teilen des Alveolarfort-
satzes gespeist. Sie verlaufen dicht an der Übergangsfalte
bis zum lateralen Ende derselben und ziehen dann in der Mehr-
zahl der Fälle abwärts auf der medialen Fläche des M. pterygoideus
internus, zwischen M. stylohyoideus bezw. biventer und hyoglossus,
häufig ein Stück die Art. lingualis begleitend, zu dem bekannten
Anfangs- und Hauptknoten der tiefen (ervical-
drüsenkette an der V. jugularis.
Nur in einem Falle (Fall XIV) fand ich eine Ausnahme von diesem
Verlauf. Hier zogen zwei Gefässe aus der Prämolargegend zur
Submaxillardrüse I und von den drei aus der Molargegend ab-
zweigenden Stämmchen zogen zwei um den unteren Rand des Kiefers am
lateralen Ende des M. mylohyoideus herumbiegend zur Submaxillaris III,
während nur eines den sonst beobachteten Weg zu den tiefen Cervicaldrüsen
einschlug.
In die Aufnahme der von der Innenseite der Unterkiefer-
schleimhaut herabgeführten Lymphe scheinen sich also in der
vegel die Submanxillar- und tiefen Cervicaldrüsen in der Weise
zu teilen, dass aus der Medianpartie die Lymphe zur Sub-
maxillaris I abfliesst, die ja auch häufig einen Teil der Lymph-
bahnen aus demselben (@mellgebiet an der Aussenseite des
Kiefers herab empfängt, und dass aus den mehr lateralen
Teilen des inneren Unterkiefers der Lymphstrom vor-
wiegend zu den tiefen VGervicaldrüsen sich begibt. Aus-
nahmsweise und dann auch nur zum Teil zieht dieser letztere
Strom zu der äussersten Submaxillardrüse. (Betr. Submental-
drüsen vgl. unten S. 875).
In der durch die geschilderten Befunde festgelegten Tatsache, dass
für die „Innen“-Abflüsse sowohl aus dem Ober- wie zum
grösseren Teil auch aus dem Unterkiefer der Hauptknoten
der tiefen Cervicaldrüsen als erste Etappe zu gelten hat, scheint
mir die Erklärung zu liegen für die auf klinische Befunde gestützte Annahme
von Partsch (45, S.4), dass dieser tiefe Cervicalknoten manchmal
auch ohne Vermittlung der Submaxillardrüsen seine Lymphe aus dem
Quellgebiet direkt zu beziehen scheine. Es ist bei entsprechender Lokalisation
eines Entzündungsprozesses der Kieferschleimhaut oder wenn der Aussenweg
auf irgend eine Weise ganz oder zum grössten Teil verlegt ist, eine vor-
wiegende Benutzung der „Innen“-Bahnen seitens des abtrans-
portierenden Lymphstroms und damit eine bedeutende Schwellung des be-
treffenden Cerviealknotens ohne wahrnehmbare Vergrösserung der Submaxillar-
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. (6)
drüsen möglich. Ich wenigstens muss zu dieser Erklärung greifen, da ich,
wie schon erwähnt, nicht beobachtet habe, dass Lymphgefässe aus dem Zahn-
fleisch auf dem Hauptwege, also aussen, an den Submaxillardrüsen
vorbei zu den tiefen Cerviealdrüsen gezogen sind.
Durch die hiermit abzuschliessenden Beobachtungen hin-
sichtlich des Verlaufes der Innenabflüsse aus dem Zahn-
fieisch ‚werden meine nur auf die Aussen - Abflüsse basierten
statistischen Angaben über die Verteilung der Zahnfleischgebiete
auf die submaxillaren Drüsen (S. 569) nur insoweit zu ergänzen
sein, als der Drüse I, welche auch vom inneren Rande der Unter-
kiefer-Frontzahngegend her häufig Zuflüsse erhält, eine etwas er-
höhte Bedeutung für dieses (rebiet zuzuerkennen sein wird. Im
(Ganzen genommen also gelten die aus der erwähnten Aufstellung
gezogenen Schlussfolgerungen bezüglich der Submaxillar-
drüsen ohne Einschränkung, auch wenn man die Innenab-
flüsse in Betracht zieht.
4. In Ergänzung des Vorstehenden muss ich noch einer
Drüsengruppe gedenken, die hin und wieder, wenn auch selten,
Beziehungen zum Zahnfleisch der Medianpartie des Unter-
kiefers zu haben scheint. Es sind dies die submentalen
Lymphdrüsen bezw. insbesondere deren obere Gruppe, 1—2 kleinere
Drüsen nahe der Medianlinie am Unterkieferrand zwischen den
beiden vorderen Biventerbäuchen. Dorendorf (16) sowie Pölya
und v. Navratil (48) haben in je einem Falle einige wenige
(refässe aus den medianen Teilen des Unterkieferzahnfleisches zu
diesen Drüsen ziehen sehen, während Partsch (45) klinisch
eine Schwellung derselben anscheinend häufig festgestellt hat:
wenigstens spricht er (S. 7) ohne Einschränkung von den bBe-
ziehungen der vier unteren Ineisivi zu den Submentaldrüsen.
Mirıst es auch nur in einem. Kalle gelungen,
dureh einige vom Zahnfleisch der "Ineisivus-
Gegend stammende Gefässchen eine Submental-
drüse direkt zu füllen.
In zwei Fällen (V, linke Seite und VIII, rechte Seite) wurde eine der
tieferen Gruppe dicht über dem Zungenbein angehörende Submental-
drüse von Submaxillaris I aus sekundär gefüllt. Wir haben es hier mit einem
andern, bisher von mir nicht erwähnten und weniger wichtigen Abfluss aus
der Submaxillarstation zu tun. Der weitere Weg des Lymphstroms von dieser
unteren Gruppe der Submentaldrüsen würde, nach Most (40, 5. 21)
entweder mit der V. jugul. ant. abwärts zu den tiefen Cervicaldrüsen derselben
57*
s76 r Georg Schweitzer:
Seite oder, in Anbetracht der medianen Lage der ersteren, zu den tiefen
Cervicaldrüsen der Gegenseite erfolgen. Also eine neue Kreuzung der
Lymphbahnen beider Seiten (vergl. hierzu S$. 873)! Eine direkte Kreuzung,
also ein Hinüberziehen von Gefässen aus dem Zahnfleisch einer Seite unmittelbar
zu den Drüsen der andern Seite, ist von mir nicht beobachtet.
Es entsteht an dieser Stelle nun die Frage, ob die Sub-
mentaldrüsen bezw. deren obere Gruppe zu den regionären Drüsen
des Zahnfleisch-Lymphgefässsystems zu rechnen sind:
Nach Most (40), Poirier und Cun&o (47) sowie Partsch (45, 46)
müsste die Frage bejaht werden: diese Autoren sehen das Zahnfleisch der
Unterkiefermitte als das Quellgebiet der unter dem Kinn gelegenen Sub-
ınental-Drüsen an. Abgesehen aber von den oben erwähnten, dagegen
sprechenden Resultaten von Dorendorf sowie von Pölya undv. Navratil,
die schliesslich auf im allgemeinen unvollständige Injektionen (vergl. S 817)
zurückgeführt werden könnten. ist es auch mir, wie ich hervorhob, bei
sonst gut gelungener Injektion, allen Bemühungen zum Trotz nur
einmal gelungen, Submentaldrüsen vom Zahnfleisch aus zu füllen. Dieser
Umstand veranlasste mich zunächst zur Prüfung der Frage, ob die Submental-
drüsen überhaupt als konstant vorkommende Lymphdrüsen unseres Körpers
zu betrachten sind. Ich präparierte zu diesem Zweck an einer besonderen
Untersuchungsreihe (9 Neugeborene, 5 Erwachsene) mit grösster Sorgfalt die
Regio submentalis. Das Ergebnis dieser Untersuchung, dem ich die Befunde
von Dorendorf (16) und Stahr (59), soweit verwendbar, hinzufüge,
war folgendes:
Bei 43 Neugeborenen fehlten die Submentaldrüsen der oberen Gruppe in
20 Fällen, die der unteren in zwei Fällen. Gänzliches Fehlen jeglicher Submental-
drüsen kam nicht vor. Bei 25 Erwachsenen fehlten die Drüsen der oberen
Gruppe in elf Fällen, die der unteren in fünf Fällen: in drei von diesen
Fällen waren überhaupt keine Lgll. submentales zu finden,
Hiernach müssen die Drüsen der oberen Gruppe als ent-
schieden inkonstant in ihrem Vorkommen, die der unteren als
ziemlich konstant betrachtet werden, wenn auch Zahl und Lage dieser
letzteren Drüsen stark schwankt. Drüsen von derart unregelmässigem Vor-
kommen, wie die oberen Submentaldrüsen, dürften allgemein schon kaum als
regionäre Drüsen im eigentlichen Sinne (vergl. S. 823) angesehen werden
können. Bei keinem meiner tierischen Objekte (vergl. S. 819) wurden Sub-
mentaldrüsen angetroffen: ein interessantes Vergleichsergebnis!
Woher aber stammten in den Fällen, in welchen über
Füllungen von Submentaldrüsen durch direkte Zuflüsse aus einem Injektions-
gebiet berichtet wird, die zuführenden Gefässe? Für meinen
Beweiszweck ist hier die Arbeit von Dorendorf (16) heranzuziehen. In
den sehr zahlreichen Fällen, in denen dem genannten Autor eine Füllung
sowohl von oberen wie unteren Submentaldrüsen gelang, waren die Vasa
afferentia stets subcutane Gefässe der Unterlippe, während die sub-
mucösen, also von der Lippenschleimhaut stammenden Gefässe fast aus-
schliesslich zu den Submaxillardrüsen führten. Ebenso hat Stahr Füllungen
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 877
von Submentaldrüsen, einen Fall ausgenommen, stets durch Injektionen der
äusseren Haut erzielt.
Hieraus, in Verbindung mit der Seltenheit einer Füllung von Submental-
drüsen vom Zahnfleisch aus, muss der Schluss gezogen werden, dass die
Submentaldrüsen in der Regel nur in der äusseren Haut der Kinngegend
und der Unterlippe, also den oberflächlichen Gesichtspartien, nicht aber
in den tieferen Regionen, der Schleimhaut der Lippe bezw. des Alveolar-
fortsatzes, ihr Quellgebiet haben. Auch die Angabe Poiriers (47), dass die
Submentaldrüsen von einem andern tiefer gelegenen Mundgebilde. der Zungen-
spitzen-Mitte, Lymphgefässe erhalten, ist durch neuere Untersuchungen
(Most) nicht bestätigt worden.
Die submentalen Lymphdrüsen können hiernach,
abgesehen von der Unregelmässigkeit des Vorkommens speziell
der oberen Gruppe, als regionäre Drüsen für das mediane
Unterkiefer-Zahnfleisch nicht betrachtet werden.
Anatomisch gehört auch dieses Gebiet in der Regel zum Bereich
der Submaxillardrüsen. Dies schliesst natürlich eine gelegentliche
Schwellung von Kinndrüsen bei Zahn- oder Mundaftektionen
keineswegs aus; doch würde eine solche wohl vorwiegend „sekundär“
auftreten, d. h. durch Mitbeteiligung bei Schwellungen der
Submaxillardrüsen vermöge der bestehenden Kommunikationen.
5. Im Anschluss hieran möchte ich noch das gelegentliche
Vorkommen von injizierten Schaltdrüsen, d.h. kleinen, mehr
oder weniger inkonstanten Drüschen, die in die Bahn der Lymph-
gefässe eingeschaltet sind, erwähnen. Hier sind in erster Linie
dieWangenlymphdrüsen zu nennen, die inihrem Vorkommen
eine ziemliche Konstanz zeigen und, abgesehen von einer Reihe
älterer Autoren, wie Mascagni (37), Vigier (66), Princeteau
(50), Testut(63) u. a. neuerdings von Buchbinder (10)
und Küttner (32) eingehend beschrieben worden sind. Ich habe
in einem Falle (I, rechte Seite) eine solche Drüse injiziert gefunden,
welche im Verlauf eines aus der Oberkiefer-Molargegend über
den M. buceinator zur Submaxillardrüse III ziehenden Gefässes
in Höhe des oberen Unterkieferrandes lateral von der Vena
facjalis ant., unterhalb der Durchbruchstelle des Duetus parotideus
durch den M. buceinator, lag und etwa Hirsekorngrösse hatte.
Sie gehörte demnach derposteriorenGruppederBbuccinator-
drüsen an. (Most 40, S. 18.)
Von sonstigen Schaltdrüsen fand ich einmal eine solche in
der Bahn eines von der Ineisivusgegend an der lingualen Fläche
375 Georg Schweitzer:
des Unterkiefers herab auf dem M. mylohyoideus zu Lgl. submax. I
verlaufenden Gefässes (II, linke Seite), in einem andern Falle
(XIV) zwei solcher Drüsen im Verlauf eines von der Unterkiefer-
Molargegend zu den tiefen Cervicaldrüsen verlaufenden Stammes.
Diese Schaltdrüsen scheinen sämtlich nur gelegentlich
in den Zahnfleischbahnen vorzukommen.
Wenn ich nun noch erwähne, dass auch ich, wie Ollen-
dorff (42, S.6) und andere bemerken, häufig ein Hindurch-
gehen eines Gefässes durch eine Drüse bei nur sehr
geringer Füllung derselben, schliesslich in einem Falle ein
Hinwegziehen eines Grefässes über eine Submaxillardrüse, ohne
sie zu füllen, unter Einmündung in eine Nachbardrüse, gefunden
habe, — übrigens ein speziell auch bei Wiederkäuern häufiger
von mir beobachtetes Bild — so dürfte hiermit die makroskopische
Beschreibung meiner Befunde, soweit sie Lymphgefässe und
Lymphdrüsen desZahnfleisches betreffen, abgeschlossen
werden können. —
Auch an dem Beispiel des Zahnfleisches sehen wir, in wie
ausserordentlich reichlicher Weise im menschlichen Körper für den
Lymphabftluss aus einem bestimmten (Gebiet gesorgt ist. Wir
haben zwei grosse Abflusssysteme, die Aussen- und
die Innen bahnen, welche Krankheitsstofte zuzwei mächtigen
Drüsengruppen, den submaxillaren und tiefen Üer-
vicaldrüsen, abführen können. Innerhalb jedes dieser
beiden Abflusssysteme finden wir Anastomosen nicht nur in
weiterem Verlauf der verschiedenen Gefässe einer Körperseite,
sondern vermittelst der die Kieferhälften umkränzenden Ge-
flechte an der Umschlagfalte schon in unmittelbarer Nähe des
(uellgebietes selbst, sodass hierdurch eine Verteilung des Abtrans-
ports zu verarbeitender Stoffe auf sämtliche abführenden Gefässe
einer Kieferseite selbst bei enger Umgrenzung einer Aftektion
stattfinden kann. Ja, es können sogar die Bahnen der andern
Kieferseite, vermittelst der Kommunikationen in der Medianlinie
bezw. der Kreuzungen am Gaumen, sowie evtl. vermittelst der
Submentaldrüsen (S. 875). und dadurch die Drüsenderandern
Seite zur Hilfe herangezogen werden, letzteres eine Feststellung,
die besonders, wie schon von anderer Seite hervorgehoben, für
den Chirurgen von Interesse sein könnte.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 879
Als Überleitung zu der Beschreibung der Untersuchungs-
ergebnisse hinsichtlich des Vorhandenseins von Lymphgefässen
in der Zahnpulpa, welche den Inhalt des zweiten Teiles
meiner Arbeit bilden soll, weise ich nunmehr kurz auf die
Resultate der „tiefen“ Injektion des Oberkieferzahn-
fleisches hin, wie sie in der Beschreibung der Fälle XIT— XIV
ausführlich erörtert ist. Die bisherigen Feststellungen in dieser
Hinsicht, makroskopisch bezw. mit Lupe, waren folgende:
Durch tiefen Einstich in Richtung auf die Alveolen bezw.
in die Alveolen war die Füllung eines Lymphgefässnetzes in dem
Dach derselben bezw. in der darüber gelegenen Spongiosa erzielt
worden. Aus diesem Netz entsprangen Lymphgefässe, welche
durch das Foramen infraorbitale, bezw. kleine be-
sondere Nebenforamina in.gleicher Höhe, auf die faciale Kiefer-
fläche heraustraten, sich schon oberhalb der oberen Umschlag-
falte der Vena facialis ant. anschlossen und mit den aus dem
Zahnfleisch entspringenden Gefässen, häufig mit diesen anasto-
mosierend oder zusammenfliessend, zu den submaxillaren
Drüsen, und zwar zu Drüse II und III, vorwiegend zu ersterer,
zogen. Es wurden bis zu vier aus dem Foramen infraorbitale
bezw. dessen Umgebung heraustretende Stämmchen beobachtet.
In einem Falle (XIII) wurde durch zwei vom Foramen
infraorbitale nach lateralwärts unter dem Jochbogen laufende Gefässe
die Kette der tiefen Parotisdrüsen und durch diese
hindurch zuerst eine Station der oberflächlichen, dann die
tiefen Cervicaldrüsen gefüllt. Hiermit dürfte vielleicht
die Beobachtung von Odenthal(41), die gelegentliche Schwellung
von Parotisdrüsen bei Zahnaffektionen betreffend, in Zusammenhang
zu bringen sein. In demselben Falle (XIII) verlief ein anderes aus
dem Foramen infraorbitale kommendes Gefäss direkt zu einer am
unteren Parotispol gelegenen, oberflächlichen
Vervicaldrüse. Von welchen der in die Alveolen eingeschlossenen
oder sie umschliessenden Gewebe diese aus dem Foramen infra-
ortibale heraustretenden Gefässe ihren Ursprung nehmen, kann
erst durch das Mikroskop festgestellt werden. Ich komme daher
nunmehr zu diesem Teil meiner Untersuchungen, der sich in
erster Linie die Lösung der Frage, ob es Lymphbahnen in der
Pulpa gibt, oder nicht, zur Aufgabe gemacht hat.
550 Georg Schweitzer:
I. Teil.
Lymphgefässe der Zahnpulpa.
Literatur.
Wie ich schon eingangs dieser Arbeit ausführte, finden sich
bei Durchsicht der Lehrbücher und Einzelarbeiten über die
Histologie der Zahnpulpa nur spärliche Erörterungen über
die Frage der Existenz von Lymphgefässen. Auch erwähnte ich
bereits, dass die meisten Autoren sich damit begnügen, die Frage
offen zu lassen und nur auf ihre Ungelöstheit hinzuweisen, oder
sie in verneinendem Sinne zu entscheiden. Derartige bezw. ähn-
liche Äusserungen fand ich bei Kölliker (30), Salter (55).
Holländer (26), Wedl (68), Parreidt (43), v. Metnitz (39).
v. Ebner (17), Zuckerkandl (70). Von Waldeyer bis
Couillaud ist, wie Partsch (46, S. 255) angibt, keinem Autor
der mikroskopische Nachweis von Lymphbahnen im Zahnmark ge-
lungen. Über Versuche der vorgenannten oder anderer Autoren, die
Anwesenheit von Lymphgefässen in der Pulpa experimentell oder
anatomisch festzustellen, wird nichts berichtet. Erst in neuerer
Zeit haben, wie ich ebenfalis bereits kurz angab, einige Unter-
sucher dies nachgeholt.
Uarreras (11) trepanierte Zähne bei Hunden, Katzen und Kaninchen
und führte in die Pulpahöhle leicht resorbierbare, zum Teil stark
giftige Substanzen, wie Jodkalium, Jodoform, Quecksilber-
chlorid, Natriumsalyeilat und Strychninnitrat ein, unter sorg-
fältiger Vermeidung einer Berührung dieser Substanzen mit der umgebenden
Schleimhaut. Die betreffenden Zähne wurden dann sorgfältig verschlossen.
Von den genannten Stoffen, deren halbe Dosis, subcutan injiziert, zum Teil
einen ziemlich schnellen Exitus herbeiführte, wurden ausser Jodkalium
keinerlei Spuren im Harn wiedergefunden, vielmehr fänd sich die einge-
führte, häufig letale Dosis nach mehreren Tagen, unter Aus-
bleiben jeglicher Vergiftungserscheinungen, in der ver-
schlossen gewesenen Cavität wieder.
Koerner (31) injizierte die Pulpa frisch extrahierter Menschen-
und Kalbszähne nach der Gerotaschen Methode, erhielt aber stets Venen-
füllungen.
Zu demselben negativen Resultat gelangte Ollendorff (42), der
den Koernerschen Versuch an nicht extrahierten Zähnen der Leiche
anstellte.
Zu diesen verschiedenen Versuchen habe ich bereits in der
Einleitung zu dieser Arbeit Stellung genommen, soweit es mir
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. sl
möglich ist, und darzulegen versucht, aus welchen Gründen ich
speziell die in dieser Weise unternommenen Injektionsversuche
für nicht zweckmässig und aussichtslos halten möchte.
Koerner hat aber noch einenandern Versuch ange-
stellt, der, wenn sein Ergebnis auch von dem allerdings nur an
einer Tierleiche ihn nachprüfenden Ollendorff nicht bestätigt
werden konnte, doch beachtenswert scheint.
Er brachte auf die freigeleete Zahnpulpa narkotisierter Hunde fein
verteilten Farbstoff, verschloss die Cavität und tötete die Hunde nach zwei-
bis dreimal 24 Stunden. Er konnte dann später einzelne Farbstoffpartikelchen
bis zur Wurzelspitze verfolgen, ohne dass sich eine Beziehung des Weges
nachweisen liess, ferner liess sich der Farbstoff, wenn auch nur in
sehr geringer Menge, in der Corticalschicht der zugehörigen Lymph-
drüsen nachweisen. Koerner zieht aus diesen Befunden den Schluss.
dass die Pulpa, wenn er ihr auch nach den oben geschilderten Injektions-
versuchen den Besitz von Lymphgefässen absprechen zu müssen glaubt, doch
resorbieren kann. Ollendorff möchte diesen Befund Koerners, das
Auffinden von Farbstoffpartikelchen an der Wurzelspitze und in den regionären
Lymphdrüsen, durch Verunreinigung der betreffenden Serienschnitte und viel-
leicht auch durch Aufsaugen von auf das Zahnfleisch gelangten Farb-
stoffteilchen durch die Lymphbahnen des letzteren, falls Koerner die
Zähne nicht genügend isoliert habe, erklären. Ich möchte doch nicht an-
nehmen, dass Koerner nicht de Grundbedingung für die Beweis-
kraft seines Ergebnisses — strenge Isolierung des Versuchszahnes von seiner
Umgebung und Ausschluss von Verunreinigungen bei Behandlung der Schnitte
— in minutiöser Weise erfüllt haben sollte. Dies aber vorausgesetzt, müsste
die natürliche Schlussfolgerung aus dem Ergebnis der Koernerschen
Versuche, soweit es sich um das Auffinden von Farbstoffteilen in den zu-
gehörigen Lymphdrüsen handelt, die sein, dass diese Teile aus
der Pulpa des völlig isolierten Zahnes nur auf dem Wege
der ERymphbahnen zu den Lymphdrüsen gelangt sein können.
Eine Resorptionsfähigkeit der Zahnpulpa, wenn sie keine Lymphbahnen besitzt,
gibt es auch nach meiner Auffassung nicht (vergl. Ollendorff 42, S. 10.)
Diesem letzten Koernerschen Versuchsergebnis, das für
die Existenz von Lymphbahnen in der Pulpa sprechen würde,
schliessen sich noch die Befunde von Boedecker (8) an.
Dieser sagt in C. Heitzmanns (24) „Mikroskopischer Morphologie
des Tierkörpers“, (Wien 1883): „Lymphgefässe lassen sich in der Pulpa...
in kleiner Zahl nachweisen,“ und in seiner „Anatomie und Pathologie der
Zähne“ (Wien 1899):
„In betreff der Lymphgefässe der Zahnpulpa kann ich aussagen, dass
ich in manchen Präparaten verzweigte Gefässe vom Durchmesser der Venen,
ohne Adventitiahülle, gesehen habe, von grossen flachen und etwas vor-
springenden Endothelien zusammengesetzt. Diese Gefässe halte ich für
582 Georg Schweitzer:
Lymphgefässe, da sie fein granuliertes, coaguliertes Eiweiss enthalten,
spärliche granulierte Körperchen und eine beschränkte Anzahl von Blut-
körperchen. Was die Verteilung der Lymphgefässe anlangt, so enthalte ich
mich bestimmter Angaben.“
Auch gibt Boedecker (8) eine Abbildung eines mikroskopischen
Längsschnittes, in der er bestimmte Gefässe als Lymphgefässe bezeichnet.
Es ist natürlich unmöglich, über diese Befunde irgend ein Urteil abzugeben
ohne Prüfung der mikroskopischen Präparate. Die unsicheren Ergebnisse
Boedeckers haben bisher auch keinerlei ändernden Einfluss auf die
herrschende Ansicht, dass Lymphgefässe in der Pulpa wahrscheinlich
nicht existieren, gehabt. Meine im folgenden zu erörternden Feststellungen sind
geeignet, die vonBoedecker gegebenenDeutungenzustützen.
Wenn ich nun noch erwähne, dass Klein (29) Endothel-
Membranen um die Blutgefässe der Pulpa für Wände von
Lymphscheiden erklärt und auf die im Eingang der Arbeit
zitierte Überzeugung einer Autorität wie Sappey (56, S. 70)
von der Existenz von Lymphbahnen in der Pulpa hinweise, so
dürfte damit die Literatur der Frage, soweit sie anatomische
Befunde enthält, erschöpft sein.
Man hat nun bei der Ergebnislosigkeit der anatomischen
Untersuchungen der Frage auf klinischem Wege beizukommen
versucht, und zwar von vornherein mit besserer Aussicht auf
Erfolg, obwohl ja bei dem ausgedehnten Quellgebiet der haupt-
sächlich in Betracht kommenden submaxillaren Drüsen auch hier
die exakte Forschung sehr erschwert ist.
Über den Zusammenhang von Zahnaffektionen,
darunter speziell von kariösen Zähnen mit Lymphdrüsen-
schwellungen, besitzen wir ausser allgemeinen Hinweisen, wie
von Birch-Hirschfeld (7), v. Bergmann (5), Pullmann (51),
Wohlgemuth (69) und Ponfick (49) eine ganze Reihe von
zum Teil recht umfassenden Statistiken. Ich nenne hier die
Veröffentlichungen von Odenthal (41), Wangemann (67),
Berten (6), Hoppe (27), Starck (61), Koernerzer,
Ollendorff (42), Berger (4), Ullmann (65) und vor allem
Partsch (45, 46).
Die Ergebnisse dieser einzelnen Untersuchungen zeitigen
wiederum, gerade wie die anatomischen, eine Divergenz der
Ansichten über die Existenz von Pulpalymphbahnen, doch
scheint hier noch mehr als in den anatomischen Befunden die
Beweiskraft der negativen Ergebnisse einÜbergewicht
zu haben. Während eine Anzahl der oben angeführten Unter-
Die Lymphgefässe des Zahntleisches. 535
sucher aus ihren Beobachtungen einen deutlichen Zusammenhang
zwischen Karies der Zähne und Drüsenschwellungen folgern
zu müssen glaubt, der, wie Odenthal und Starck auch offen
erklären, nur auf dem Wege von Lymphbahnen in der Zahn-
pulpa zustande kommen kann, ergeben die Feststellungen von
Partsch und seiner Schule ein anderes Bild.
Partsch hat bei entzündlichen Veränderungen allein der Pulpa
Lymphdrüsenschwellungen nur sehr selten beobachtet, während die-
selben bei allen Entzündungen des Periodontium fast ausnahmslos
mit grösster Promptheit eintraten. Er zieht daraus den berechtigten
Schluss, dass dieser klinische Befund im Zusammenhang mit
dem bisherigen Misslingen anatomischer auf den Nachweis
von Pulpalymphbahnen gerichteten Versuche auf das tat-
sächliche Fehlen solcher Bahnen hinweisen müsse.
Gerade den klinischen Feststellungen von Partsch muss nun aber
schon aus dem Grunde ein besonderer Wert beigelegt werden, weil dieser,
im Gegensatz zu den meisten übrigen, oben genannten Autoren, stets eine
scharfe Differential-Diagnose zwischen entzündlichen Prozessen in den
weichen Zahngeweben nur innerhalb oder auch ausserhalb der Wurzeln, also
zwischen reiner Pulpitis und Periodontitis, zu stellen bedacht
gewesen ist.
Alles in allem genommen, dürften die bisherigen sowohl
anatomischen wie klinischen Befunde weit eher gegen als für
die Existenz von Lymphbahnen in der Zahnpulpa sprechen. Unter
diesem Eindruck unternahm ich es, der Frage auf einem bisher
nicht begangenen, rein anatomischen Wege noch einmal näher
zu treten.
Ich habe bereits im Eingang der Arbeit (S. S11) auseinander-
gesetzt, von welchen Überlegungen ich mich bei Fixierung meines
Untersuchungsplanes leiten liess und wie insbesondere die
Wedlschen (65) und v. Ebnerschen (17) Feststellungen über
den Zusammenhang der Blutgefässe der Zahnpulpa einerseits
mit denen des Periodontium und des Zahnfleisches andererseits
im Verein mit der Erfahrung, dass die Lymphgefässe, wo solche
vorhanden sind, sich besonders gern den Blutgefässen anschliessen,
bestimmend auf mein Vorgehen eingewirkt haben.
Als Material zu meinen Untersuchungen, die gleichzeitig auf
die Ermittelung der feineren Verteilung der Lymphbahnen im
Zahnfleisch und Periodontium hinzielten, benutzte ich Ober- und
Unterkiefer von Affen, Hunden und Kaninchen. Unter diesen waren sowohl
ältere wie jüngere Tiere, d. h. solche mit Milch- und bleibendem Gebiss, wo-
884 Georg Schweitzer:
bei ich besonderen Wert auf die jüngeren Tiere legte, da das erfahrungs-
gemäss bei Milchzähnen noch weite Foramen apicale mir die meisten Chancen
zu bieten schien, die Injektionsflüssigkeit unter Überwindung der mancherlei
Widerstände in die Pulpalymphbahnen hineinzubringen. Diese Kalkulation
scheint richtig zu sein, denn ich habe bislang nur bei Milchzähnen,
abgesehen von einem embryonalen menschlichen Zahnkeim, Erfolg mit der
Injektion gehabt. Menschliche Leichen im Milchgebiss-Alter zu erhalten, war
mir leider bisher unmöglich, da solche ja nur äusserst selten und dann nur
in wenig frischem Zustande zur anatomischen Bearbeitung eingeliefert werden.
Gerade möglichste Frische ist aber zum Gelingen insbesondere der not-
wendigen Blutgefäss-Gegeninjektion ein erstes Erfordernis.
Die hiernach sich aufdrängende Frage, ob man berechtigt
ist, die bei den genannten Tieren gewonnenen Befunde auf
menschliche Zähne ohne weiteres zu übertragen, dürfte zu be-
jahen sein. da die Blutgefässverteilung in der Pulpa von
Säugetieren und Menschen nach den äusserst exakten und zahl-
reichen Untersuchungen von Lepkowski (35, 36) in ihren
Grundzügen vom Beginn der Anlage an bis zur völligen Aus-
bildung der Zähne eine analoge ist und ein Gleiches wohl von
den Lymphgefässen angenommen werden kann. Abgesehen
hiervon verfüge ich noch über ein Zwischenglied in der Kette,
einen durch injizierte Lymphgefässe ausgezeichneten Keim eines
Ersatzzahnes bei einem ca. im achten bis neunten Monat befind-
lichen menschlichen Fetus.
Die auf Lymphgefässe der Zahnpulpa untersuchten Tiere wurden so
frisch als möglich, z.T. lebenswarm injiziert, um das Gelingen
der Gegeninjektion der Blutgefässe mit Karminleim (Grübler oder Leitz).
wie sie z. B. in der Abbildung Fig.3 sich zeigt, möglichst zu gewährleisten.
Wenn auch für ein geübtes Auge vielerlei Merkmale, wie die ausserordent-
lich starken Kaliberschwankungen, die vielleicht durch die Klappen ver-
ursachten eigenartigen Halbkugelformen der kompakten Farbstoffanhäufungen
an den Einschnürungsstellen der sonst durch die Injektion fein tingierten
Gefässe, ferner der von der dendritischen Verästelung der Blut-
gefässe sehr unterschiedene Verzweigungstypus der blauinjizierten Gefässe
einen ziemlich sicheren Schluss auf die Iymphatische Natur derselben zulassen,
so dürften der dringend gebotenen, weitestgehenden Skepsis des Untersuchers
und der andern Beurteiler gegenüber diejenigen Präparate allein einen jeden
Zweifel ausschliessenden Anspruch auf Beweiskraft haben, bei denen neben
den oben angeführten Lymphgefässmerkmalen eine gut
selungene Blutgefäss-Injektion mit einer Kontrast-
farbe stattgefunden hat. Somit dürfte ich, erst nachdem ich bei
Erfüllung dieser letzten Vorbedingung zweifellose Lymphgefässbilder in der
Zahnpulpa erzielt hatte, mich berechtigt fühlen, auch andere Präparate, welche
zwar typische Lymphgefässbilder, jedoch keine oder nicht vollständig bis in
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. Ss5
die feinsten Kapillaren durchgedrungene Blutgefäss-Injektion aufzuweisen
hatten, in den Kreis meines Beweismaterials einzubeziehen, in Anbetracht
der Schwierigkeiten, die überhaupt zunächst zu überwinden sind, ehe man
— vereinzelt — ein Lymphgefäss in der Pulpa auf dem von mir benutzten
Wege zu injizieren das Glück hat.
Was die Auswahl der zur Untersuchung auf Lymphgefässe der Zahn-
pulpa herangezogenen Präparate anlangt, so wurde bei diesen zunächst
selbstverständlich eine gute Füllung der regionärenLymphdrüsen
und der zuführenden Gefässe sowie vor allem das Fehlen jeglicher
Injektion auch der kleinsten Venen nach Möglichkeit festgestellt. Die
injizierten Köpfe wurden in 10°, ,iges Formol oder in Alkohol zunächst
eine Reihe von Tagen eingelegt, dann die Kiefer von der Muskulatur ete. be-
freit und in 10°/oiger Salzsäure entkaikt, was ca. 3-5 Wochen, je nach Dicke
und Grösse der Objekte, in Anspruch nahm. Eine von mir versuchte schnellere
Entkalkungsmethode mit 30%iger Salpetersäure-Phlorogluein nach
Haug (23) lieferte keine guten Resultate; wenigstens litten bei mir die
Gewebe sehr unter der sehr starken Säurewirkung trotz der Deckung durch
Phloroglucin. Nach genügender Entkalkung, die beim Knochen verhältnis-
mässig schnell, bei den in den Kiefern steckenden Zahnwurzeln sehr
langsam vor sich ging, wurde ein oder mehrere Tage in fliessendem
Wasser ausgewaschen. Dann wurden die Kiefer in Stücke zerteilt und ent-
weder einfache Rasiermesserschnitte durch Zahn und Kiefer gemacht,
meist von ziemlicher Dicke, teils wurden die Kieferteile möglichst langsam
in Celloidin gebracht und in Mikrotom-Schnittserien, Schnittdicke 100—200 «,
zerlegt. Dünnere Schnitte anzufertigen ist nicht ratsam, um die Lymph-
gefässbilder nicht allzusehr durch Zerreissungen zu beeinträchtigen. Einzelne
besondere Zurichtungen von Präparaten werde ich an Ort und Stelle erwähnen.
Ich gehe nun dazu über, an Hand der Präparate die er-
zielten Resultate, soweit sie sich auf die Zahnpulpa beziehen,
zu beschreiben, während die in den gleichen Präparaten enthaltenen
Aufschlüsse über die feinere Verteilung der Lymphgefässe im
Zahnfleisch und Periodontium erst in einer weiteren Arbeit ver-
öffentlicht werden sollen, da sie noch einer Vervollständigung
hinsichtlich bestimmter Punkte bedürfen.
Präparat 1. (Fig. 3, Taf: XXVIIL)
Es handelte sich in diesem Falle um die Bearbeitung des
Unterkiefers von einem mittelst Chloroform getöteten, ca. 7
Wochen alten Hunde mit gut ausgebildetem Milchgebiss, bei
welchem ausser der Lymphgefässinjektion auch eine Blutgefäss-
injektion von der Carotis communis aus vorgenommen wurde.
(Hund 13, männlich, injiziert am 1. Dezember 1905.)
Ehe ich an die mikroskopische Bearbeitung des Objektes
ging, überlegte ich den Weg, den die Pulpalymphe, falls Lymph-
Q
nn
N Georg Schweitzer:
gefässe vorhanden waren, voraussichtlich weiterhin. ausserhalb des
Zahnes, nehmen würde. Es lag die Annahme nahe, dass die
Lymphe aus den Pulpagefässen, durch Rami dentales in
stärkere im Canalis mandibulae verlaufende Bahnen, analog
den Blutbahnen, einmünden würde. Ich richtete mein Augenmerk
daher bei diesem Präparat auch in erster Linie auf die Feststellung
solcher Bahnen in diesem Kanal.
Zu diesem Behuf wurde an einzelnen Kieferteilstücken der
Kanal durch Abtragen der äusseren Knochenplatte freigelegt und
der Inhalt desselben, das von einer straffen, bindegewebigen Hülle
umgebene Gefäss-Nervenbündel, vorsichtig ausgelöst, was leicht
und ohne wesentliche Zerreissungen vonstatten ging. Dann
wurden diese ausgelösten Teile in Xylol aufgehellt und in Kanada-
Balsam eingebettet.
Nach Aufhellung in Xylol war schon makroskopisch ein blau
injiziertes Lyrmphgefäss neben den rot injizierten Blutgefässen
sichtbar. Dieses Gefäss war nicht, wie ich bei vergleichender
Betrachtung sämtlicher Kieferstücke feststellte, in der ganzen
Länge des Unterkieferkanals, vom Foramen mentale bis zum
Foramen mandibulare, injiziert, sondern die Injektionsfärbung
des (refässes begann erst in geraumer Entfernung von ersterer
Öffnung und hörte auch ein Stück vor dem Foramen mandibulare
wieder auf. Hieraus geht hervor, dass nicht etwaige
Kommunikationen vom äusseren Zahnfleisch durch
dasForamen mentale hindurch die Füllung vermittelt haben,
sondern dass dieselbe auf kürzerem Wege, nämlich, wie die Be-
trachtung der verschiedenen Schnittserien ergibt, durch Gefässe,
welche vom Zahnfleisch bezw. Kieferperiost aus
durch die Knochenspongiosa zwischen den einzelnen
Zähnen zum Kieferkanal ziehen, erfolgt ist. Die auf diese
Weise in die im Kanal verlaufenden, anscheinend ein relativ sehr
weites Lumen besitzenden Lymphgefässe hineingelangte Injek-
tionsmasse hat dann, noch vermindert und in der Kraft ihrer
Vorwärtsbewegung geschwächt durch die Abgaben in die vom
Kanalgefäss abzweigenden Rami dentales, nur eine beschränkte
Strecke weit die Kanalbahn durch Blaufärbung sichtbar machen
können, sodass also schon vor dem Foramen mandibulare die
Färbung aufhörte.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 887
Angesichts der Feststellung, dass tatsächlich im Unterkieferkanal
Lymphbahnen verlaufen, darf hingewiesen werden auf eine Beobachtung
Dorendorfs (16), der in zwei Fällen ein Hineinziehen feiner Lymphgefässchen
vom äusseren Unterkieferzahnfleisch durch das Foramen mentale in den Canalis
mandibulae gesehen hat.
Dieser anatomische Befund wird in gewissem Maße gestützt durch
eine interessante klinische Beobachtung von Partsch (44), die auch von
Dorendorf selbst schon herangezogen wird. „Das UÜbergreifen des Lippen-
krebses auf den Unterkiefer“, schreibt Partsch, „erfolgt nicht allein durch
Arrosion seiner Flächen. In zwei Fällen kroch er, dem N. mentalis und
alveolaris folgend, in den Alveolarkanal hinein und wucherte hier, den Kiefer
auftreibend, als Tumor im Knochen weiter.“
Pölya und v. Navratil (48) sind der Ansicht, dass die von Doren-
dorf gesehenen Gefässe jedenfalls kleine Venen gewesen seien. Nach den von
mir erhobenen Befunden dürfte diese Annahme mindestens wesentlich er-
schüttert sein. Wenn ich allerdings auch bei meinen zahlreichen Injektionen
die Beobachtung Dorendorfs von einem Hineinziehen von (refässen in
das Foramen mentale durch keine derartige Feststellung bestätigen konnte,
so habe ich doch ermittelt, dass Lymphgefässe im Kieferkanal verlaufen,
und da ohne weiteres angenommen werden darf, dass diese Bahnen den
ganzen Kanal, und nicht einen Teil desselben, durchziehen, so darf wohl
als erwiesen betrachtet werden, dass die von Dorendorf beobachteten Gefässe
auch tatsächlich Lymphgefässe gewesen sind.
Das Resultat der mikroskopischen Betrachtung oben erwähnter,
aufgehellter Kanalinhaltstücke kann ich beschreiben zusammen
mit den Beobachtungen, welche ich hinsichtlich der Lymphgefässe
im Unterkieferkanalan den Schnittserien machte. Es kommen
hier hauptsächlich zwei Serien in Betracht, je eine Längs- und
eine (uerschnitt-Serie durch einen Teil des Kiefers von Hund
Nr. 13, enthaltend den rechten bezw. linken unteren zweiten
Milchpraemolaren '). Wichtig ist besonders die erstere Serie. bei
der die Schnittrichtung parallel den Unterkiefer-Seitenflächen liegt.
Wir sehen also in diesen Schnitten den Milchpraemolaren mit
seinen beiden Wurzeln und Zahntleisch-Umgebung, zwischen den
Wurzeln den Keim des bleibenden Praemolaren, unter dem Ganzen
den Canalis mandibulae mit Inhalt.
Im Canal. mand. sieht man den Nervenstrang und
die mit rotem Leim prall injizierte Art. alveol. inf. Die
Injektionsmasse ist bis in die die Arterie umspinnenden und be-
'), Der Hund hat im Milchgebiss drei Milchpraemolaren (= Milchmolaren
des Menschen), deren Nummern von lateral nach medial bezeichnet werden.
(Ellenberger-Baum, Anatomie (des Hundes, 1891, Seite 72.)
telofe) Georg Schweitzer:
gleitenden Venen vorgedrungen. sodass man auch diese als rot
injizierte Gefässe erkennen kann.
Bekanntlich löst sich die V.alveolaris inf. im Canalis mandibulae in
einen dichten Plexus auf, welcher die Arterie nach allen Seiten umspinnt.
Nur die stärkeren Zweige, in meinen Präparaten in der Regel ein bis zwei,
verlaufen parallel der Arterie. Eine Abbildung dieses Gefässverlaufes gibt
Zuckerkandl (70) in Scheffs (58) Handbuch, I. Teil, S. 108, Fig. 60.
Was nun die injizierten Lymphgefässe anlangt, so
befolgen dieselben auch hier wiederum das Prinzip, sich den
Haupt-Venenstämmen dicht anzuschliessen. Man sieht dem
einen oder auch zum Teil beiden starken Zweigen des Venen-
getlechts Lymphgefässstämme dicht an- oder aufliegen, welche im
allgemeinen den geringen Windungen dieser Venenstämme folgen.
Sie bilden ausgesprochene Einzelstämmchen und machen
die Verzweigung bezw. Geflechtbildung der kleineren Venen im
allgemeinen nicht mit. Was die Weiteihres Lumens anlangt,
so erscheint dieselbe vielfach ungefähr gleich der der stärksten
Venen, häufig finden sich aber entsprechend den Kaliberschwan-
kungen sowohl weiter als auch enger erscheinende Stellen.
In diese Hauptstämme im Canal. mand. sieht man in grösseren
/wischenräumen teils in Begleitung von Blutgefässen, teils auch
anscheinend selbständig, wie z. B. in dem in Fig. 3 abgebildeten
Schnitt, Zweige einmünden, welche entweder durch die Spongiosa
hindurch die direkte Verbindung mit den Zahntleisch- bezw.
Kieferperiost-Lymphgefässnetzen darstellen oder aber von den
Zähnen selbst, einschliesslich natürlich des Periodontium, her-
kommen.
Die Verbindungslymphbahnen zwischen Zahn-
fleisch und Kieferkanal sind im allgemeinen von relativ
sehr weitem Lumen, es verlaufen in der Regel nur je ein oder
zwei Gefässe in den Zwischenräumen zwischen je zwei benachbarten
Zahnalveolen. Von diesen (refässen zweigen aber, gerade wie bei
den Blutgefässen, nur im allgemeinen seltener, Verbindungsästchen
von ebenfalls relativ weitem Lumen zu den Lymphgefässen des
Periodontium wie zu den abführenden Rami dentales ab.
Eigentümlich sind nun einmal das verschiedene Lageverhältnis
der Lymphbahnen zu den mit ihnen verlaufenden, rot injizierten Blutbahnen,
ferner die durch die verschiedenen Füllungszustände der Lymphbahnen
erzielten Bilder.
Was das Lageverhältnis der Lymphgefässe zu den Blutgefässen
anlangt, so drängte sich mir bei der mikroskopischen Betrachtung im
u
> A Ze an
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 339
manchen Fällen die Frage auf, ob es sich um eigene Lymphgefässe,
oder um Lymphscheiden, die die Blutgefässe umschliessen, handelt. Ab-
bildungen dieser Scheiden fand ich bei Gegenbaur (19, Fig. 340) und bei
Rauber-Kopsch (54, Lehrb. d. Anat., II. Aufl., 1906, Teil I, Fig. 226).
Es scheint, als ob man hierbei drei nebeneinander vorkommende
Formen unterscheiden kann:
a) In vielen Fällen verlaufen die Lymphgefässe gewissermassen selb-
ständig, ohne dass sie sich den neben ihnen ziehenden Blut-
sefässen in bezug auf Einzelheiten des Laufes, Richtungsver-
änderungen oder Verzweigungen, angliedern. Es kamen sogar,
allerdings seltener, Kreuzungen der beiden Bahnen in einzelnen
Schnitten vor.
b) In anderen Fällen lagen die Lymphgefässe den Blutgefässen
dicht an oder auf, wobei der Querdurchmesser des Lymph-
sefässes hin und wieder grösser oder kleiner als der des Blut-
eefässes sein konnte. Dieses Lageverhältnis liess sich durch die
verschiedenen Einstellungen des Mikroskopes, sowie an Quer- oder
Schrägschnitten feststellen.
c) Schliesslich sah man die scharf rot abgegrenzten Wände der Blut-
bahnen vielfach von einem schmalen blauen Saum umgeben oder in
paralleler Richtung begleitet. Möglicherweise handelt es sich
hier um einen perivasculären Lymphraum oder eine
Lymphscheide.
In den beiden letzten Fällen scheinen sich die Lymphbahnen jedoch
in der Regel nur den Hauptstämmen der Blutgefässe und allen-
falls diesem oder jenem stärkeren Zweige anzuschliessen. An den kleineren
3lutgefässen sind blaue Lymphbahnen, anliegend oder als Scheiden, mit ver-
schwindenden Ausnahmen nicht zur Beobachtung gelangt.
Der Grad der Füllung bei den injizierten Lymphgefässen ist ein
verschiedener sowohl unter den einzelnen Gefässen wie auch inner-
halb jedes Gefässes auf den verschiedenen Strecken seines Laufes.
Neben Stellen, in denen tiefe, satte Blaufärbung vorhanden ist, die
natürlich die charakteristische Form der Gefässe besonders stark hervortreten
lässt, und neben andern Stellen, an denen Farbstoffmassen in Eiform, von
verschiedener Grösse, zu einer längeren Kette wie eine „Perlenschnur“
aneinandergereiht sind, sehe ich, und zwar überwiegend, die Wände des
Lymphgefässes dargestellt durch eine feine Injektion in Gestalt eines
zarten, ziemlich regelmässigen blauen Netzwerkes, dessen Stränge im
‚allgemeinen mehr längs als quer zur Verlaufsrichtung des Gefässes gestellt
sind. An den Kreuzungsstellen der Netzfäden finden sich punktförmige
Verdiekungen. Das ganze Gebilde ähnelt einem Schlauch, dessen Wandung
aus einem Netzwerk besteht.
An bestimmten Stellen der auf diese Weise in durchsichtiger Feinheit,
jedoch durchaus plastisch sich präsentierenden Gefässe liegt dann plötzlich
eine dicke, undurchsichtige Farbstoffmasse, dem Lumen des Gefässes
angepasst, jedoch an einer der in das Gefässinnere hineinragenden Flächen
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 58
s90 Georg Schweitzer:
halbkugelförmig abgerundet, gleichsam als ob an dieser Stelle eine diese Kontur
veranlassende Klappe gelegen wäre. Jenseits dieser Anhäufung beeinnt dann
wieder das feine „Schlauchnetz*.
Die hierdurch geschaffenen Gefässbilder sind teilweise sehr schön;
über ihr Zustandekommen kann ich aber trotz vielfachen Nachdenkens und
Durchmusterns sämtlicher, sehr zahlreichen Stellen in den Schnitten, auch
mit starker Vergrösserung (Zeiss, Ok. 4, Obj. DD), bei der Schwierigkeit
der ganzen Frage nur vermutungsweise meine Ansicht äussern, und zwar
möchte ich am ehesten annehmen, dass die mit einer gewissen Kraft
durch das Gefäss hindurchgetriebene, relativ geringe Menge Injektions-
tlüssigkeit zunächst vorspringende Teile der endothelialen Gefässwand,
von denen auch Boedecker (8, vergl. S. 881) spricht, mit einem tüpfelartigen
Überzug versehen hat und dass sie ferner in feinen an der Wand verlaufenden
(Grewebssträngen retiniert worden ist. Oder sollten die feinen blaugefärbten
Netzfäden Balken vorstellen, die innerhalb einer Lymphscheide sich be-
finden, ähnlich wie sie Gegenbaur (19) bei der Beschreibung der Lymphräume
von Reptilien erwähnt und abbildet (Fig. 340) und durch deren (der Balken)
stärkere Ausbildung, wie dieser Autor sagt, der Lymphraum in einzelne
untereinander anastomosierende Kanäle zerlegt wird? Es hat bei starker
Vergrösserung oft den Anschein, als ob die Netzbildung so zu erklären
wäre, doch bin ich darüber nicht zu einer definitiven Entscheidung gelangt.
Die vorstehenden Beobachtungen durch spezielle histologische
Untersuchungen genauer zu präzisieren, dürfte eine dankbare
Spezialaufgabe sein.
Ich komme nunmehr zur wichtigsten meiner Feststellungen,
dem tatsächlichen Vorhandensein von Lymphgefässen in der
Zahnpulpa. Ich verweise hierbei auf die Fig. 3, Taf. XXVII,
in der ich eine genaue Abbildung des in Frage kommenden Teiles
aus demjenigen Serienschnitt (Objektträger A«, Schnitt 4) gegeben
habe, der nicht nur den Hauptteil des in einer Reihe von sieben
aufeinanderfolgenden Schnitten (Objektträger A4, Schnitt 2—S) in
einzelnen Segmenten getroffenen Lymphgefässes in der
Pulpa enthält, sondern gleichzeitig auch einige Teile des Durch-
trittes dieses Gefässes durchdas Foramen apicale sowie
den grösseren Teil des starken zu dem Canalis mandibulae ab-
führenden Ramus dentalis. Injizierte Teile der im Canal.
mand. verlaufenden Lymphbahn sind ebenfalls in diesem Schnitt
getroffen, jedoch an einer andern, aus Gründen der Raumersparnis
nicht mit in die Abbildung einbezogenen Stelle desselben. Das
injizierte Pulpa-Lymphgefäss liegt in der medialen Wurzel
des zweiten unteren Milchpraemolaren. Wir sehen im Schnitt in
der Pulpa zwei relativ dicke Gefässzweige von schwankendem
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 891
Kaliber, welche aus einem einzigen Stämmchen durch Teilung
entstehen. Weiter nach der Zahnkrone zu finden sich in diesem
und den übrigen oben aufgeführten Serienschnitten einzelne Schnitt-
segmente des Gefässes, aus denen aber weitere Aufschlüsse, wie
betreffs etwaiger Verzweigung, nicht hervorgehen. In der Kronen-
pulpa ist nichts zu entdecken. Die Weite des Lymphgefässes kommt
der der stärksten in der Pulpa verlaufenden Blutgefässe ungefähr
gleich, beim Durchtritt durch das Foramen apicale scheint es
weniger weit, wahrscheinlich infolge der dort bestehenden Unmög-
lichkeit, sich bei der Injektion auszudehnen.
Lymphgefässstämme in gleicher Stärke wie der in der Zeichnung ah-
gebildete Ramus dentalis, führen in andern Schnitten die Lymphe aus dem
Periodontium zum Canal. mand. ab. Auch an der distalen Wurzel des das
injizierte Pulpalymphgefäss aufweisenden Zahnes in dem Serienschnitt finden
wir solche stärkeren Lymphgefässe im Periodontium nahe der Wurzelspitze.
Die Lympbe des Periodontium hat also nach zwei Seiten
Abflüsse. Einmal in das eng verbundene Zahnfleischnetz, ferner
in die Lymphbahnen des Canalis mandibulae. Der feinere Verlauf
und die Verteilung der Lymphgefässe im Periodontium wird, wie
bereits erwähnt, Gegenstand einer noch folgenden Arbeit sein.
Braparat 2.
Ein weiteres Präparat. in welchem ich ein als Lymph-
gefäss anzusprechendes injiziertes Gefäss in der Pulpa auffand,
bildet der linke seitliche Milchschneidezahn im Ober-
kiefer eines ganz jungen Affen. (Makakus rhesus Nr. 8,
männlich, am S. Januar 1906, wenige Stunden nach dem Tode,
injiziert. Füllung der typischen Zahnfleischlymphbahnen und der
Submaxillardrüsen.) In diesem Falle hatte jedoch keine Blut-
gefäss-Injektion stattgefunden, was selbstverständlich dem Prä-
parat zunächst nur im Zusammenhang mit dem vorgeschilderten
eine beschränkte Beweiskraft zuzugestehen gebieten würde, wenn
nicht wesentliche Momente eine Erweiterung dieser Befugnis ge-
statteten. Da bei dem injizierten Pulpagefäss die charakteristischen
Merkmale eines Lymphgefässes und in die Augen fallende Unter-
schiede von dem Typus der Blutgefässe vorliegen, so glaube
ich bei der Seltenheit, mit der die Injektion eines Pulpa-
Iymphgefässes gelingt, schon hieraufhin berechtigt zu sein,
auch dieses Präparat zur Erläuterung meines unter 1. geschilderten
einwandfreien Befundes heranzuziehen. Ferner aber bot sich mir
58*
892 (Georg Schweitzer:
ein günstiges Vergleichsobjektindementsprechenden
Zahn der rechten Seite, in welchem zwar kein Lymph-
sefäss gefüllt war, dafür aber eine sehr schöne Selbst-
injektion der hyperaemischen Blutgefässe infolge
der Formol-Konservierung sich erhalten hatte. Da beide Zähne
von gleicher Grösse und Form sind, so lässt ein Vergleich der
injizierten Blutgefässe in dem einen mit den in dem andern
gefüllten Pulpalymphbahnen die charakteristischen Unterschiede,
was Weite, Verästelung, Kaliberschwankungen und Endausbreitung
(richtiger Wurzelbildung) in der Kronenpulpa anlangt, deutlich
erkennen.
Der Schneidezahn, nebenbei im ganzen Oberkiefer der
einzige Zahn, der ein gefülltes Lymphgefäss aufwies, wurde mit
dem Rasiermesser sagittal in eine Anzahl dieker Schnitte zer-
legt, von denen drei die gesamte Pulpa im Längsschnitt enthalten.
Nach Aufhellung sehen wir wiederum ein teilweise schwach
gefülltes, jedoch stets gerade die Konturen deutlich zeigendes,
relativ sehr weites Gefäss, welches nach der Krone zu ungefähr
in der Mitte der Wurzellänge eine einmalige dichotomische Ver-
zweigung bildet. In einem der Zweige sieht man an der Form
der Farbstoffanhäufung den schon beschriebenen halbkugeligen
Ausguss (vielleicht) einer Klappe.
Weiter nach der Krone zu erblickt man bei verschiedener
Einstellung etwa drei Gefässzweige, welche in der Kronen-
pulpa sich noch weiter teilend, aber immer ziemlich weit bleibend,
in eine Anzahl von fingerförmigen Fortsätzen, m
mehrere Büschel geordnet, auslaufen. Der zentrale Teil der
Kronenpulpa weist keine solchen Büschel auf. Dieselben scheinen
mehr an den Seitenwänden, insbesondere nach dem langen vorderen
und dem breiteren hinteren Horn dieser Kronenpulpa zu in die
Höhe zu streben. Die Fingerfortsätze zeigen charakteristische
Kaliberschwankungen, erscheinen geknittert und laufen in
der Pulpenoberfläche in röhrenförmige, an den Enden teilweise
umgebogene Blindsäcke (vielleicht Ranviersche (52) „euls-de-
sac“) von relativ immer noch weitem Lumen aus. Oberhalb der
Wurzelspitze sehen wir in den beiden Hauptschnitten dieses
Zahnpräparates grössere Teile eines starken, blau injizierten
Lymphgefässes von äusserst charakteristischer Form,
das als das abführende Gefäss des Zahnes anzusehen sein wird.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 535
Im Vergleich hierzu bietet der Verlauf und die Verästelung
der Blutgefässe in dem entsprechenden Zahn der andern Kieter-
hälfte ein wesentlich hiervon abweichendes Bild. Hier finden
wir zunächst eine grosse Anzahl, jedoch engerer, (refässe,
ohne Kaliberschwankungen, mit allmählicher Verjüngung nach
der Kronenpulpa zu. Die zahlreichen, feinen Zweige lösen sich
dieht unter der Pulpenoberfläche in ein ausgebreitetes Netz-
werk auf.
Wenn somit ein Vergleich der beiden Zähne unter dem
Mikroskop die Verschiedenheiten zwischen den Blut- und
Lymphgefässen sowie die charakteristischen Merkmale
der letzteren klar hervortreten lässt, so möchte ich doch,
wie schon. betont. mit einer gewissen Reserve dieses Präparat
als Beweisstück herangezogen haben, und zwar einzig und allein
deshalb, weil nur eine gleichzeitige Blutgefässinjektion bei
einer solchen Untersuchnng jedem Einspruch wirksam begegnen
kann. Ich hoffe bald den vorliegenden Befund bei gelingender
Blutgefäss-Injektion nachprüfen zu können und werde seinerzeit
darüber berichten.
Braparatı3.
Bei der nunmehr noch vorzunehmenden Besprechung des
letzten für die Frage der Existenz von Pulpa-Lymphgefässen zur-
zeit vorhandenen Präparates knüpfe ich an den Fall XIII (neu-
seborener Knabe) im ersten Teil dieser Arbeit an, bei welchem
ich zum Schluss die später vorzunehmende Beschreibung einer
Schnittserie von einem Oberkiefersegment der rechten Seite,
enthaltend die rechte Hälfte des Alveolarfortsatzes, rechte laterale
Nasenwand und Boden der Orbita, in Aussicht stellte.
Der Kieferausschnitt wurde entkalkt, in Gelloidin gebracht und
in eine Serie von Sagittalschnitten zerlegt. Die Schnitte fielen leider nicht
gleichmässig dick aus, da trotz völliger Entkalkung der Aussenteile sich im
Innern eine noch nicht genügend entkalkte Stelle befand, die eine Fortsetzung
des Schneidens mit dem Mikrotom durch das ganze Objekt hindurch un-
möglich machte. So mussten notgedrungen mit dem Rasiermesser dicke
Schnitte gemacht werden, was natürlich nicht ohne Zerreissungen und Zer-
quetschungen bei dem Widerstand des noch harten Knochens abging. Abgesehen
hiervon ergibt sich aber besonders bei den mit dem Mikrotom in 300 „ Dicke
angefertigten ersten Schnitten ein in mancher Hinsicht interessantes Resultat.
Auch hier muss ich hinsichtlich der Beweiskraft die für das unter 2. ge-
schilderte Präparat webotene Einschränkung machen, da eine Blutgefäss-
Injektion hier nicht mehr hatte vorgenommen werden können.
s94 Georg Schweitzer:
In den ersten Schnitten der Serie, welche im Alveolarfortsatz
durch zentralen Milch- und bleibenden Schneidezahn-Keim, und
ferner durch die laterale Nasenwand mit ihren Muscheln führen,
sieht man, dass, nach der Verteilung des Farbstoffes zu schliessen,
der Einstich der Glaskanüle bis in das Säckchen des Milch-
Ineisivus I hineingegangen ist. Das ganze Zahnsäckchen ist von
zirkulär verlaufenden, bröckelige Farbstoffmassen enthaltenden
(sefässen erfüllt, nicht dagegen injiziert ist die durch das bei
der Injektion noch nicht entkalkte Zahnscherbchen gegen den Ein-
stich geschützt gewesene Milchzahnpapille. Auffallenderweise aber
ist die bekanntlich relativ stark entwickelte Papille des blei-
benden Ineisivus von einem diehten Netz im allgemeinen
in der Längsrichtung verlaufender, blau injizierter Gefässe
erfüllt, die in überraschender Klarheit die charakteristischen.
ganz bedeutenden Kaliberschwankungen der Lymphegefässe
zeigen, sodass ein Zweifel an der Lymphgefässnatur dieser (refässe
kaum zu erheben sein wird. Injiziert sind die Gefässe augen-
scheinlich durch die Verbindungen von dem Zahnsäckchen des
Milchzahnes aus, der bekanntlich mit dem bleibenden Zahnkeime
um diese Zeit noch in einer gewissermassen gemeinsamen
Alveole liegt. Auch die Zahnsäckchen-Anlage des bleibenden
Ineisivus zeigt die zirkulär verlaufenden, mit Farbstoff erfüllten
(refässe.
In der Papille des bleibenden Ineisivus sieht man bei einer
Einstellung des Mikroskops ca. zwölf der in vertikaler Richtung
parallel verlaufenden Stämmchen, die durch Anastomosen mit-
einander in Verbindung stehen. Die Anastomosen gehen meist
fast rechtwinklig von den Stämmchen ab, im (Gegensatz zur
Verzweigung der Blutgefässe, welche auch in embryonalen Zahn-
anlagen meist spitzwinklig erfolgt. An vielen Stellen zweigen
von den verticalen Hauptstämmchen ganz kurze starke Seiten-
ästchen ab, wohl Teile von bis zur ersten Klappe gefüllten
Zweiggefässen, wie man dies makroskopisch sehr häufig bei den
grösseren Lymphbahnen sieht. Bei letzteren bedeutet dies ein
nicht unwesentliches Charaktermerkmal, im Gegensatz zu der
bäumchenartigen Verästelung auch der Seitenzweige
bei Blutgefässen. Von den Gefässen der Zahnsäckchen aus
ziehen starke Stämme nach facial aufwärts.
Wichtig ist ferner die Füllung eines besonders reichhaltigen
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 895
Lymphgefässnetzes in der Schleimhaut der lateralen
Nasenwand.
Allerdings hat hier, in der Nasenwand, anscheinend auch eine Vene
etwas Farbstoff mit erhalten, denn es findet sich an einzelnen Stellen der
Schnitte auch ein, wie es nach der mikroskopischen Beobachtung scheint,
etwas oberflächlicher als das Lymphgefässnetz liegendes Venennetz injiziert.
Beide sind deutlich voneinander unterschieden. Das Lymphgefässnetz besteht
aus weiten, ihr Kaliber wechselnden Gefässen, die Maschen des Netzes haben
abgerundete Ecken, wo hingegen das Venennetz aus vielen engeren, bäumchen-
artig verästelten Gefässen gebildet wird. Seine Netzmaschen weisen mehr
spitzwinklige Ecken auf. Diese Unterschiede berechtigen dazu, das erst-
beschriebene Netz als Lymphgefässnetz anzusprechen.
Auch aus diesem Netz ziehen starke Stämme entweder
nach der Nasenöffnung zu oder im Knochen noch weiter nach
lateralwärts in Richtung auf die faciale Kieferfläche unterhalb
der Orbita.
In den ferneren Schnitten der Serie, welche zum Teil durch
die schmale Anlage des Sinus maxillaris gehen, sehen wir
den lateralen Teil des Alveolarfortsatzes mit den im Sagittal-
schnitt nebeneinander gelegenen Anlagen der beiden Milch- und
des ersten bleibenden Molaren, über diesen an der Stelle des
Sinus maxill. eine blaue Farbstoffanhäufung, in der aber bei der
Dicke dieser (Rasiermesser-) Schnitte Einzelheiten des (Gefäss-
verlaufes unter dem Mikroskop nicht zu erkennen waren. Man
sieht aber von hier aus Gefässe zur facialen Kieferwand ziehen,
die dann wohl, wie makroskopisch festgestellt, in der Nähe des
Foramen infraorbitale auf die Facialfläche treten und
zu den Submaxillardrüsen verlaufen. Hiernach, sowie unter
Berücksichtigung des Umstandes, dass die Schleimhaut der als
eine Ausbuchtung der Nasenwand angelegten Kieferhöhle mit der
Nasenschleimhaut in engem Zusammenhange steht, dürfte die
Annahme gerechtfertigt sein, dass ebenso wie die Schleim-
haut der lateralen Nasenwand mit dem späteren Peri-
odontium (Zahnsäckchen) der mehr medial stehenden Zähne, die
Sinusschleimhaut mit dem Periodontium der
unter dem Sinus stehenden, mehr lateralen Zähne,
Praemolaren und ersten bleibenden Molaren, in
Iymphatischer Verbindung steht. Für die Blut gefässe
ist dieser Zusammenhang schon früher festgestellt worden, was
auch mir geeignet scheint. die obige Annahme zu unterstützen.
S96 Georg Schweitzer:
Ich verweise bezüglich dieser Fragen auf die Arbeiten von
Strubell (62) und Hajek (22).
Der erstere schliesst seine anatomischen Erörterungen mit folgender
Erklärung (S. 261): „Diese drei Gefässsysteme, das langgestreckte der tieferen
Schleimhaut bezw. periostalen Schicht der Kieferhöhle, das grobmaschige des
spongiösen Knochens und das feinmaschige der Alveole und der Wurzelhaut
mit ihren Endgefässen sind zwar wohl charakterisiert, stehen aber mit-
einander in so innigem Connex, dass man sie wiederum schwer voneinander
trennen kann.“
Hajek (S. 22ff.): „Für mich ist es überdies sehr naheliegend, daran
zu denken, dass Infektionskeime von den Zahn-Alveolen auch den Knochen
durchwandern können, wie dies für die hintere Stirnhöhlentafel und das Dach
der Keilbeinhöhle bereits erwiesen wurde. Es braucht in derartigen Fällen
keinerlei sichtbare makroskopische Veränderung vorhanden zu sein und nur
die mikroskopische Untersuchung könnte über den Infektionsweg Auf-
schluss geben.“
Strubell hält nun, da, wie er sagt, „Lymphbahnen
hier nicht in Frage kommen können,“ eine Ver-
schleppung von Bakterien durch die verbindenden Zweige der
Blutbahn für wahrscheinlich.
Nachdem durch makroskopische und mikroskopische Unter-
suchung festgestellt ist, dass durch Injektion der tiefen Schichten
des Zahnfleisches und des Periodontium sich ein dichtes Lymph-
gefässnetz sowohl in der Nasenschleimhaut wie in der gesamten
Spongiosa unter der facialen Kieferknochenplatte injizieren lässt,
dass ferner der Sinus maxillaris im mikroskopischen Bilde von
Injektionsmasse erfüllt ist. die wahrscheinlich aus zerquetschten
Gefässen stammt und durch wiederum deutlich erkennbare
Lymphgefässe nach facialwärts abgeführt wird, möchte ich
einen Zusammenhang zwischen diesen Lymphgefäss-Plexus als
unzweifelhaft bestehend erachten, sodass von den Zähnen aus
Infektionskeime auf dem Lymphwege in die Antrum-
schleimhaut gelangen können.
Die nach aussen abführenden Gefässe aus diesen
Bezirken treten, wie wir gesehen haben, durch das Foramen
infraorbitale bezw. Nebenkanälchen im Knochen auf die Facial-
fläche hinaus und ziehen hauptsächlich zur II. und III. Submaxillar-
drüse, eventuell ausnahmsweise auch zu den tiefen Parotis-
drüsen. Man wird also bei einem Empyem der Highmorshöhle
auf eine Schwellung der genannten Drüsengruppen zu achten haben.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 597
Hiermit möchte ich die Beschreibung meiner Untersuchungs-
resultate über das Vorhandensein von Pulpalymph-
gefässen und der bei dieser (relegenheit gemachten sonstigen
Feststellungen abschliessen.
Verallgemeinernde Schlüsse aus den vorgebrachten
Einzelerfahrungen zu ziehen, dürfte in Bezug auf manche
Punkte verfrüht sein. Unter Berücksichtigung dieser Ein-
schränkung können wir in Zusammenfassung der im eben ab-
geschlossenen zweiten Teil meiner Arbeit gesammelten Erfahrungen
folgendes aussagen:
1. Lymphgefässe sind in der Zahnpulpa vor-
handen. Es scheint, (Präp. 2). als ob im der Wurzelpulpa nur
wenige: weite (Gefässe verlaufen, welche aus einem in der
Kronenpulpa gelegenen Saugröhrenbüschel durch Zusammen-
fluss entstehen. In der embryonalen Pulpa scheint die Zahl der
Lymphgefässe entsprechend der noch nicht erfolgten Differenzierung
in Kronen- und Wurzelpulpa und der relativen Grösse der Pulpa,
d. h. der Papille, eine bedeutend grössere als im ausgebildeten
Zahn zu sein (Präp. 3). Die Verringerung auch der Lymphgefäss-
zahl wird durch Obliteration bei der durch die Entwicklung der
harten Zahnsubstanzen bedingten Verkleinerung der weichen Pulpen-
masse zustande kommen.
2. Wasden WegdesLymphstromsnach Verlassen
der Pulpa anlangt, so führen im Unterkiefer starke
Rami dentales denselben sowohl aus der Pulpa wie aus dem
Periodontium in starke, den Blutgefässen des Unterkiefer-
kanals angegliederte Lymphgefässe ab, welch letztere ausser-
dem in direkter Verbindung durch den Knochen hindurch mit
dem Zahnfleisch stehen. Den weiteren Verlauf dieser Bahnen
bis zu den regionären Drüsen durch Injektion festzustellen. ist
infolge Weite der Gefässe und geringer Menge der hineingelangten
Injektionsflüssigkeit bisher nicht gelungen. Als regionäre
Drüsen für diese Bahnen aber können nach Analogie der in
der Nähe ihrer Austrittsstelle, dem Foramen mandibulare, vorbei-
ziehenden Innenabflüsse des Unterkiefers, denen sie sich voraus-
sichtlich anschliessen, wahrscheinlich nur der Hauptknoten
der tiefen Gervicaldrüsen am Zusammenflusse der V. facial.
commun. mit der V. jugul. int. bezw. eventuell die Submaxillar-
drüse III in Betracht kommen.
S98 Georg Schweitzer:
In bezug auf den ferneren Verlauf der Pulpalymphgefässe
des Oberkiefers wissen wir, dass von den Zähnen bezw. deren
Periodontium Lymphbahnen der Gegend des Foramen infra-
orbitale durch die Knochenspongiosa der facialen Kieferwand,
wenigstens beim neugeborenen Menschen, zustreben, welche durch
die erwähnte Öffnung oder kleine Nebenöffnungen auf das äussere
Periost des Kiefers heraustreten und im Anschluss an die Vena
facialis anterior, teilweise vereint mit den Aussen-Abflüssen
aus dem Zahnfleisch, zu den Submaxillardrüsen II und III
ziehen.
3. Zwischen den Lymphbahnen des Zahnfleisches,
des Periodontium, der Zähne sowie im Oberkiefer der
Schleimhaut der lateralen Nasenwand und des Sinus
maxillaris besteht, hinsichtlich der letzten beiden wenigstens
nach Feststellung beim menschlichen Neugeborenen, ein Zu-
sammenhang. An einer anderen Stelle (S. 859) ist darauf hin-
gewiesen, dass zwischen Zahnfleisch und Schleimhaut der Nasen-
scheidewand wahrscheinlich ebenfalls eine Kommunikation, durch
den Canalis incisivus hindurch, besteht. —
Wenn die erreichten Injektionsresultate bei Pulpalymphgefässen
im Verhältnis zu der auch bis jetzt schon nicht unbedeutenden
Zahl der hieraufhin von mir untersuchten Zähne auch spär-
liche sind, so mag zum Schluss noch einmal auf die Schwierig-
keiten hingewiesen werden, die sich der Erzielung einwandfreier
Resultate in den Weg stellen und zu deren Überwindung es des
Zusammentreffens einer ganzen Reihe von glücklichen Umständen
bedarf.
Was zunächst die Lymphbahnen anlangt, so ist als Vor-
bedingung ein gutes Gelingen der Zahntleischinjektion als solcher,
reichliche Füllung der abführenden Gefässe und der regionären
Drüsen, Vermeiden jeglicher Veneninjektion selbstverständlich.
Die Injektionsmasse muss alsdann den überaus verschlungenen Weg
z. B. im Unterkiefer durch die Knochenspongiosa hindurch in die
im Canalis mandibulae verlaufenden Grefässe zurücklegen, deren
Weite dem Strom eine weitere bedeutende Abschwächung zuteil
werden lässt. Von hier aus muss er in den Rami dentales zu
den Zahnwurzeln hinaufsteigen und durch das enge Foramen api-
cale in die Pulpa eindringen. Wenn man bedenkt, dass auf dem
ganzen Wege, nach den Injektionsbildern zu schliessen, stark ver-
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 399
engte Stellen, vielleicht sogar Klappen, und zwar wahrschein-
lich in der Mehrzahl entgegengerichtete, zu überwinden sind, so
wird es als ein Glückszufall zu betrachten sein, falls es unter
vielen Fällen einmal gelingt, ein Pulpalymphgefäss wenigstens so-
weit zu füllen, dass seine Konturen deutlich gezeichnet sind.
Eine Füllung der weiteren Verästelungen eines solchen Gefässes,
wie im Präparat 2, bis in die Kronenpulpa hinein, wird stets als
ein besonders günstiger Zufall betrachtet werden müssen. Immer-
hin aber ist der von mir eingeschlagene Weg wenigstens ge-
eignet, eine Existenz von Pulpalymphbahnen überhaupt nach-
zuweisen.
Wenn nun eine Füllung eines Pulpalymphgefässes
wirklich gelungen ist, so muss, um jedem Zweifel zu begegnen,
bereits gleichzeitig mit der Lymphgefässinjektion, also vor jeg-
licher Prüfung des Objektes, eine Blutgefäss-Gegeninjektion
vor sich gegangen und gut gelungen sein. Dass hierzu unter
anderem völlige Frische, richtiges Anwärmen des Objektes, falls
nicht lebenswarm injiziert werden konnte, und besondere Geübt-
heit in der Technik, abgesehen von richtigem Verhalten der Leim-
Injektionsmasse — selbst bei den besten Massen kommt an-
scheinend ein Transsudieren des Farbstoffes vor — gehört, darf
als bekannt vorausgesetzt werden. Es ist hiernach verständlich,
dass ich vorläufig mit den erreichten Resultaten zufrieden sein
musste und dass man wesentlich bessere Resultate nur unter
besonders glücklichen Umständen erwarten kann.
Es bleibt nun noch ein kurzer Ausblick übrig auf die aus
dem Vorhandensein von Pulpalymphgefässen in klinischer Hinsicht
zu ziehenden Folgerungen. Fin genaueres Eingehen auf diese
Frage muss ich mir in dieser Arbeit versagen. Es handelt sich in
erster Linie um die Notwendigkeit, die Tatsache des Vorhandenseins
von Pulpalymphgefässen in Einklang zu bringen mit der Fest-
stellung von Partsch (45, 46), dass Lymphdrüsenschwellungen,
also eine Beteiligung des Lymphdrüsenapparates, nur dann ein-
treten, wenn eine entzündliche Affektion des Periodontium
vorliegt, nicht aber bei Beschränkung einer solchen auf die
Pulpa, also bei einfacher Pulpitis, obwohl, wie schon erwähnt,
auch bei dieser eine Anzahl Autoren Lymphdrüsenschwellungen
beobachtet haben will.
Wenn ich letztere Feststellung aber beiseite lasse, so sind
900 Georg Schweitzer:
für die Erklärung der Partschschen Beobachtung doch vielleicht
manche Gesichtspunkte heranzuziehen. Die Pulpa ist ein relativ
so kleines Organ, dass eine leichte bakterielle Infektion, die völlig
auf dieses Organ beschränkt bleibt, also bei einfacher Pul=
pitis, vielleicht gar keine oder aber wenigstensnureine
sehr geringe Schwellung der regionären Lymph-
drüsen hervorrufen wird. Diese geringe Schwellung aber durch
Palpation mit Bestimmtheit bei den schon im gesunden Zustand
vorhandenen Grössen-Unterschieden der Drüsen und der wahr-
scheinlich geringen Schmerzhaftigkeit festzustellen, dürfte grosse
Schwierigkeiten bieten. Hierher dürften vielleicht solche leichten
Fälle zu rechnen sein. in denen nach Miller (72) „eine Ent-
zündung der Pulpa rückgängig gemacht und Heilung herbeigeführt
werden kann“, dadurch, dass die Lymphbahnen funktionsfähig
bleiben. (Solche Fälle sind selten.)
(rewöhnlich tritt wohl im Verlauf des Prozesses schnell eine
Schwellung des Pulpa-Gewebes ein, durch welche dann, in An-
betracht der starren, die Pulpa umgebenden Zahnwände, in erster
Linie die mit den schwächsten Wandungen ausgestatteten Lymph-
bahnen zusammengedrückt und funktionsunfähig gemacht werden.
Weiterhin kommt dann zunächst, bei chronischen Prozessen, in
Betracht eine Abkapselung des Zahnes gegen das umgebende
(rewebe (Öllendorf), bewirkt durch die „als Reaktion auf den
Verlust des Deckepithels einsetzende Granulationsbildung an der
Wurzelspitze“* (Partsch |[71]). Erst wenn, in chronischen Fällen
unter Durchbruch der eben erwähnten Schutzwand, eine Eruption
des Prozesses in die Wurzelhaut und damit eine Ausdehnung
der Erkrankung auf stets in vollster Funktion stehende und
demgemäss mit Gefässen ausgestattete (rebiete erfolgt, wären die
Bedingungen für eine deutlich wahrnehmbare Schwellungsreaktion
der Lymphdrüsen im Partschschen Sinne gegeben. Es ist dies
eine nur mit Vorbehalt geäusserte Ansicht, deren Nachprüfung,
Ausbau und eventuelle Richtigstellung ich berufeneren Beurteilern
der pathologischen Vorgänge und Erscheinungen vorerst über-
lassen muss.
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 901
Haupt-Resultate der Untersuchung.
Die Hauptresultate der Untersuchuug, d. h. soweit sie sich
auf die eigentlichen Untersuchungsobjekte, Zahnfleisch und Zahn-
pulpa, beziehen, lassen sich in folgendem zusammenfassen:
ih;
A. Lymphbahnen des Zahnfleisches,
Das Zahnfleisch ist von äusserst feinmaschigen,
zarten Netzen von Lymphgefässen, von deren
genauer Struktur in einer besonderen Veröffentlichung
noch die Rede sein wird, in seiner ganzen Ausdehnung
durchzogen.
. Aus diesen Netzen führen Aussen- und Innen - Abflüsse
die Lymphe ab.
a) Die nach aussen abfliessende Lymphe sowohl des
Ober- wie des Unterkiefers sammelt sich zunächst in
(reflechten, welche längs der oberen und unteren Um-
schlagfalte der Wangenschleimhaut in die Schleimhaut
der Alveolarfortsätze (das Zahnfleisch) kranzartig die
beiden Kieferhälften umsäumen und in der Median-
linie miteinander kommunizieren. Die Geflechte liegen
in der Submucosa der Schleimhaut.
Von den Geflechten ziehen zahlreiche Stämmchen
aus allen Teilen der Alveolarfortsätze, in der Haupt-
sache der Vena facialis anterior angegliedert,
zu den regionären Drüsen.
Als solehe sind anzusehen für die Aussenabflüsse:
die Submaxillardrüsen, und zwar empfängt
der Hauptknoten derselben, die an der Art. max.
ext. unter dem unteren Rand der Mandibula gelegene
Drüse II, die weitaus grösste Zahl sämtlicher Ge-
fässe aus Ober- und Unterkiefer und zwar aus allen
Teilen des Alveolarfortsatzes.
Die Drüse III kommt für die Molargegend
des Oberkiefers, Drüsel für die Frontzahn-
gegend des Unterkiefers daneben in Betracht.
In seltenen Fällen ziehen auch einige wenige
Stämmchen aus der Gegend der vier unteren
Incisivi, aus welcher die Lymphe meist ebenfalls zu
902
b
Georg Schweitzer:
den Submaxillardrüsen abfliesst, zur oberen Gruppe
der Submentaldrüsen, unter dem Kinn zwischen
den beiden vorderen Bäuchen des M. biventer gelegen.
Diese Drüsen sind jedoch inkonstant in ihrem Vor-
kommen. Zu den regionären Drüsen des Zahnfleisches
sind sie nicht zu rechnen.
Die Submaxillardrüsen stehen untereinander und
mit der nächsten Etappe, der an der V. jugularis
interna von der Einmündungsstelle der V. facialis
communis an nach abwärts sich erstreckenden Jugu-
laris-Kette der tiefen Gervicaldrüsen (Lell. cervi-
cales profundae [sensu striet.| mediales) durch zahl-
reiche starke Gefässe in Verbindung. Kommunikationen
führen auch zu den Submentaldrüsen.
2. Die, Innenabflüsse
a)
=
aus dem Oberkieferzahnfleisch ziehen sowohl
durch die Schleimhaut des harten Gaumens, in der
ausgebreitete Netze gebildet werden, als auch von
den lateralen Enden der Alveolarfortsätze
über weichen Gaumen und Pharynxwand abwärts stets
direkt zu dem am Zusammenfluss der V. facial. comm.
mit der V. jugularis int. gelegenen Hauptknoten
der tiefen Gervicaldrüsen.
Der Abfluss erfolgt meistens zu den Drüsen
derselben Körperseite, doch ist eine einseitige
oder doppelseitige Kreuzung am Gaumen
und ein Einmünden von Abflussbahnen in die ent-
sprechenden Drüsen der andern Körperseite nicht
selten.
aus dem Unterkieferzahnfleisch ziehen die
Gefässe «) aus der Frontzahngegend an der
lingualen Kieferfläche herab, den M. mylohyoideus
durchbohrend, zur Submaxillardrüse I;
ß) aus allen Gegenden längs der Übergangs-
falte des Zahnfleisches in die Mundbodenschleimhaut
zum Hauptknoten der tiefen Gervicaldrüsen,
anscheinend ausnahmsweiseauch zum Teil
zu Submaxillardrüse Il.
3
Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 903
Regionäre Lymphdrüsen für das Zahnfleisch
sind:
Die Submaxillardrüsen sowie (vergl. 2a) der
Hauptknoten (meist eine Gruppe) der tiefen
Cerviealdrüsen (Jugularis-Kette).
B. Lymphgefässe der Zähne.
. In der Zahnpulpa sowohl des ausgebildeten Zahnes wie
des embryonalen Zahnkeimes ist zum ersten Mal durch
Injektion das Vorhandensein von Lymphgefässen
festgestellt, über deren Zahl, Verlauf und Verzweigung jedoch
erst wenige Einzelbeobachtungen vorliegen. Nach
diesen bilden sich aus Büscheln von Saugröhren
in der Kronenpulpa ein oder wenige Lymph-
gefässe von sehr weitem Lumen, welche durch
die Länge der Wurzelpulpa hindurchführen.
. Als Abflusswege der Lymphe
a) vondenZähnen desOÖberkiefers sind, wenigstens
für einen Teil derselben, mit hoher Wahrscheinlichkeit
Lymphgefässe zu betrachten, welche aus dem Foramen
infraorbitale bezw. kleineren Nebenöff-
nungen auf die äussere Kieferfläche
heraustreten und zu den Submaxillardrüsen
I und III ziehen.
Im Unterkiefer fliesst die Lymphe durch Rami
dentales m Lymphbahnen ab, welche im
Unterkieferkanal verlaufen. Obwohl es bisher
nicht gelungen ist, diese letzteren Bahnen bis zu ihrer
Einmündung in eine Lymphdrüse zu füllen, dürften
dieselben nach Analogie der inneren Zahnfleischabflüsse
zu den tiefen Cervicaldrüsen bezw. zum Teil
zu den Submaxillardrüsen ziehen.
b
Nr
. Sowohl die Submaxillardrüsen wie der Haupt-
knoten der tiefen Cervicaldrüsen am Zu-
sammenfluss der Vv. facialis communis und jugularis
interna sind somit auch als „dentale Lymphdrüsen“
(Waldeyer) zu bezeichnen.
904 Georg Schweitzer:
Es sei mir zum Schluss gestattet, auch an dieser Stelle
meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Waldeyer, für
die Erlaubnis zur Ausführung der Untersuchungen in der ihm
unterstellten Anstalt, für die Überlassung von tierischem und
menschlichem Material. sowie ihm und dem Vorstand des Labora-
torıums. Herrn Geheimrat W. Krause, für das meiner Arbeit
entgegengebrachte Interesse meinen aufrichtigen Dank zu sagen.
Ich darf ferner auch nochmals meiner Dankbarkeit gegen Herrn
Dr. Bartels, Volontär-Assistenten der Anatom. Anstalt, für die
von ihm ausgegangene Anregung zu dieser Untersuchung und
seine stets bereite Hilfe, insbesondere in allen Fragen der In-
jektionstechnik, der Behandlung der Präparate sowie in der
kritischen Beurteilung meiner Befunde, hiermit Ausdruck geben.
Berlin, im August 1906.
Literaturverzeichnis.
1. Bartels, P.: Über den Verlauf der Lymphgefässe der Schilddrüse bei
Säugetieren und beim Menschen. Anat. Hefte, I. Abtlg., Bd. XVI, 1901,
Heft 51, 8. 335 ff.
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68. Wedl, C.: Pathologie der Zähne, 2. Aufl., bearb. von v. Metnitz-
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71. Partsch, J.: Die Zähne als Eingangspforte der Tuberkulose. Deutsche
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12. Miller, W. D.: Lehrbuch d. konserv. Zahnheilkunde. Leipzig 1903, S. 344.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVIIL
Fig. 1. Linke Gesichts- und Halsseite einer männlichen Frühgeburt
von ca. 38 cm Länge (Fall V). Aussen-Abflüsse der Lymphe
des Zahnfleisches.
Äussere Haut, Platysma, oberflächliche Halsfascie, Wangenfett-
polster, oberflächliche Gesichtsmuskulatur, ferner M. stylohyoideus
sind entfernt, die in der Tiefe des Halses verlaufenden Arterien nicht
eingezeichnet. Die Drüsen des Submaxillardreiecks sind durch Aus-
polsterung der Mundhöhle aus ihrer Lage nach aussen an den
Unterkieferrand herausgedrückt. Ausser den Submaxillardrüsen ist
ein Teil der tiefen Cervicaldrüsen gefüllt. Die punktiert gezeich-
neten Lymphbahnen geben, soweit sie nicht in der Tiefe führende
Verbindungen zwischen den Drüsengruppen darstellen, den durch
Muskulatur, Speicheldrüsen oder Knochen verdeckten Verlauf der
Innenabflüsse an. Vergrösserung 10:9.
Fig. 2. Gaumendach eines ausgetragenen weiblichen Kindes (Fall XIV)
nach Auslösung aus dem Kiefer. Abtragung der Schleimhaut in der
Gaumenwölbung und auf dem Alveolarfortsatz der rechten Kiefer-
seite. Aufhellung in Xylol.
59*
.
908 Georg Schweitzer: Die Lymphgefässe des Zahnfleisches.
Innenabflüsse aus dem Zahnfleisch durch die Lymphgefäss-
netze des harten Gaumens bezw. von den lateralen Enden der
Alveolarfortsätze. Übergang von Gefässen der linken Seite auf
die rechte Seite. Der Abfluss erfolgt zu den tiefen Cervicaldrüsen.
Näheres hierüber S. 858 ff. Die Zeichnung erfolgte bei auffallendem
Licht, dreifache Lupenvergrösserung. Da die mit Carminleim in-
jizierten, grösseren Blutgefässe, die typisch verlaufenden Stämme
der Aa. und Vv. palatinae wegen der Dicke des Objekts nur bei
durchfallendem Lichte (Leitzsche Stativlupe) sichtbar waren,
wurde auf ihre Wiedergabe aus diesem und aus zeichnerischen
Gründen verzichtet.
Fig. 3. Teil eines Serienschnittes von einem sagittal geschnittenen
Unterkieferstück, enthaltend den zweiten Milchpraemolaren mit
Umgebung, von einem ca. sieben Wochen alten Hunde. Celloidin-
Einbettung. Injektion der Blutgefässe von der A. carot. comm. aus
mit Carminleim. Dicke des Schnittes 200 «. Der abgebildete Teil
des Schnittes enthält die mediale Wurzel des zweiten Milchprae-
molaren, einen Teil des Keimes des bleibenden Praemolaren,
umgebende Knochenspongiosa und den Canalis mandibulae
Lymphgefäss in der Pulpa und abführender Ramus
dentalis. Lymphgefässe im Canalis mandib. sind in diesem Teil
des Schnittes nicht mitgetroffen, jedoch in einem benachbarten Teil
desselben Schnittes. Zeiss, Ok. 1, Obj. As».
Die Figuren 1 und 3 sind von Herrn Ew. H. Rübsaamen, die
Figur 2 von Fräulein M. Ranisch möglichst naturgetreu gezeichnet. Ich
sage beiden Künstlern auch an dieser Stelle meinen
wärmsten Dank.
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