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Full text of "Archiv für mikroskopische Anatomie"

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Archiv 


für 


Mikroskopische Anatomie 


und 


Entwicklungsgeschichte 


herausgegeben 
von 
OÖ. Hertwig in Berlin 


v.la Valette St. George in Bonn 


und 


W. Waldeyer in Berlin 


Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie 


Neunundsechszigster Band 


Mit 25 Tafeln und 85 Textfiguren 


Bonn 
Verlag von Friedrich Cohen 
1907. 


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Inhalt. 


Seite 
Zur vergleichenden Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. Von 
Josef Müller, approb. Tierarzt aus Neresheim, Volontär-Assistent. 
(Aus dem Anatomischen Institut der Kgl. Tierärztlichen Hochschule 

zu Stuttgart. [Direktor Prof. Dr. Sussdorf.]) Hierzu Tafel I. 1 


Geschlechtsbestimmende Einflüsse und Eibildung des Dinophilus apatris. 
Von Hans Freiherrn von Malsen. Hierzu Tafel I . ...6 


Histologische Untersuchungen über das Muskelgewebe. II. Die Myofibrille 
des embryonalen Hühnerherzens. Von Dr. Gustav Schlater. (Aus 
dem Laboratorium des Marinehospitals in St. Petersburg.) Hierzu 
Tal TITTEN RR re a el u ee 0,0) 


Beiträge zur Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. Von B. Haller, 
a. o. Professor der Zoologie an der Universität zu Heidelberg. Hierzu 
BaseleV- Vall,und. 29. Bextheuren ?' . - 2 „un. ann. 2187 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. Von Alexander 
Jssaköwitsch. (Aus dem Zoologischen Institut München.) Mit 


1 Tele este er a De 


Zur Kenntnis der Spinalganglienzellen. Von M. v. Lenhosscek in 
Badapest. Hrerzu Tafel IX und... Sun... 02m 


Konformation, Struktur und Entwicklung der Bürzeldrüse bei verschiedenen 
Vogelarten. Von Dr. Bernardino Lunghetti, Volontär-Assistent. 
(Aus dem Institut für menschliche Anatomie der kgl. Universität zu 
Siena [Prof. S. Bianchi].) Hierzu Tafel XI und XII und 11 Text- 
figuren a a er. Bit . 264 


Über die Chromreaktion der Glandula coceygea und die Beziehungen dieser 
Drüse zum Nervus sympathicus. Von Privatdozent Dr. Oskar 
Stoerk. (Aus dem pathologisch-anatomischen Institut in Wien. 
Vorstand: Prof. Weichselbaum.) Hierzu 2 Textfiguren . . . . 322 


Die erste Anlage der Arterien der vorderen Extremitäten bei den Vögeln. 
Von Hans Rabl. Hierzu Tafel XIII—XV und 14 Textfiguren . . 340 


Studien über das Blut und die blutbildenden und -zerstörenden Organe. 
IV. Weitere Mitteilungen über rote Blutkörperchen. Technisches, 
Tylopoden - Erythrocyten, Kernreste, basophile Körnelung, Pseudo- 
strukturen. Von Dr. Franz Weidenreich, a. o. Professor und 
Prosektor. (Aus dem anatomischen Institut in Strassburg.) Hierzu 
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Die „minimalen Räume“ im Körper. Von P. Schiefferdecker.. . . 439 


2 Josef Müller: 


Es fehlt auch nicht an Stimmen, welche die Notwendigkeit 
weiterer Untersuchungen der Lungen anerkennen. Kölliker (25) 
z. B. kommt gelegentlich einer vergleichenden Studie der Lunge 
des Menschen und des Hundes zu dem Ausspruch: „Mit Alveolen 
so reich besetzte Gänge wie diese, kommen meinen Erfahrungen 
zufolge beim Menschen nicht vor und ergibt sich hieraus, dass 
genauere Prüfungen wohl noch manche feine Unterschiede bei 
verschiedenen Geschöpfen ergeben werden.“ Auch Oppel (48) 
betont die Notwendigkeit neuerer Untersuchungen, speziell der 
Drüsen, welche sich in der Bronchialwand befinden. 

Und so liessen sich noch manche Punkte im histologischen 
Aufbau des Atmungsorganes ausfindig machen, zu deren Auf- 
klärung noch viel Arbeit nötig wäre; ich darf nur an den nervösen 
Apparat der Lunge erinnern. Auf sie alle einzugehen, liegt nicht 
im Sinne dieser Arbeit: ich habe mir vielmehr die Aufgabe gestellt, 
nur den Bau der feineren Bronchien, des Lungenparenchyms und 
der Pleura, namentlich unter Berücksichtigung des elastischen 
Gerüstwerkes bei unseren Haussäugetieren, zu untersuchen, wobei 
die Anordnung der Blut- und Lymphgefässe sowie diejenige der 
Nerven nicht besonders berücksichtigt wurden und deshalb auch 
nur gelegentliche Erwähnung finden sollen. 

Durch meinen hochverehrten Lehrer, Herrn Direktor Prof. 
Dr. Sussdorf, wurde ich zu dieser Arbeit angeregt. Es ist mir 
daher eine angenehme Pflicht, ihm für das -grosse Interesse, mit 
welchem er meine Arbeit unterstützt und gefördert, sowie für die 
Bereitwilligkeit, mit welcher er mir alle Mittel und Einrichtungen 
des Instituts zur Verfügung gestellt hat, auch an dieser Stelle 
meinen aufrichtigsten Dank zum Ausdruck zu bringen. Auch 
Herrn Prosektor Dr. Fritz sei für die liebenswürdige Unter- 
stützung, welche er meiner Arbeit zuteil werden liess, herzlicher 
Dank gesagt. 

Material und Technik. 

Zur Untersuchung gelangten die Lungen von Pferd, Rind, 
Schaf, Ziege, Schwein, Hund, Katze und zur Untersuchung der 
Poren in den Lungenalveolen auch die des Kaninchens. Die 
untersuchten Lungen wurden den meist gut ausgebluteten Tieren 
lebenswarm entnommen. 

Die Fixierung geschah in absolutem Alkohol oder 4°/o 
Formaldehydlösung und zwar so, dass die Fixierungsflüssigkeit 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 3 


durch einen in die Trachea eingebundenen Trichter — die Injektion 
der Fixierungsfüüssigkeit mittels einer Spritze kam nur aus- 
nahmsweise zur Anwendung — in die Lufträume der Lunge ver- 
bracht, wobei die Luft meist gut entwich, und die Trachea dann 
nach Herausnahme des Trichters zugebunden wurde. Von den 
Lungen der grossen Haustiere wurden auch nur Lappen durch 
einen grösseren Bronchus in der angegebenen Weise fixiert. Die 
so gefüllten Lungen bezw. Lungenabschnitte wurden dann in die 
entsprechende Flüssigkeit gelegt und zwar in Alkohol absolutus 
48 Stunden, in 4°/o Formaldehydlösung 4 Tage und noch länger. 

Aus den so fixierten und gehärteten Lungen wurden Würfel 
von 0,5 bis 1,2 cm Kantenlänge mit dem Rasiermesser heraus- 
geschnitten, die in Formalinlösung fixierten Lungenstücke in 
aufsteigendem Alkohol entwässert. Die Aufhellung fand in Xylol 
oder in Cedernöl (wenn die Teile viel Knorpel enthielten) statt. 
Die Einbettung geschah in Paraffın und die Stücke verblieben 
darin oft mehrere Tage, um die Luft, die etwa noch zurückgeblieben 
war, ganz zu entfernen. Dabei wurde die Beobachtung gemacht, 
dass der längere Aufenthalt in Paraffın für das Objekt keine 
nachteiligen Folgen hatte. Das Mischungsverhältnis des Paraffins 
wechselte je nach der Temperatur der Jahreszeit, im allgemeinen 
aber wurde das weichere Paraffın vorgezogen. 

Die Schnitte wurden mit dem von Becker modifizierten 
Zimmermannschen Mikrotom angefertigt, und zwar in einer 
Dicke von 4—9 «u. Es wurden aber auch Schnitte von 15-—-30 u 
Dicke hergestellt, da an dickeren Schnitten das Verhältnis der 
Fasern zueinander besser erkennbar ist. Um den Einfluss der 
Schnittriehtung auf das Bild, welches ein Schnitt liefert, kennen 
zu lernen, wurden versuchsweise an ein und demselben Stück 
Schnitte senkrecht und parallel zur Pleura ausgeführt. Der 
Vergleich der verschiedenen Schnitte zeigte, abgesehen von dem 
Fehlen des Pleuradurchschnittes an den Parallelschnitten, keine 
Verschiedenheit. Hier wie dort sah man Bronchiolen, Alveolen- 
gänge usw. quer, längs oder schief getroffen. An den mit Eiweiss- 
glyzerin auf den Objektträger aufgeklebten Schnitten wurde 
das Paraffin mit Xylol aufgelöst und dann die Färbung vor- 
genommen. 

Als Kernfarbstoffe kamen zur Anwendung: Hämatoxylin, 


Hämalaun, Boraxkarmin und Lithionkarmin. Die Bindegewebs- 
1* 


4 Josef Müller: 


färbung geschah mit Eosin, Fuchsin oder nach der von Hansen (15) 
angegebenen Methode mit Pikrinsäure-Säurefuchsin. Die elastischen 
Fasern wurden nach der Weigertschen Methode (73) gefärbt 
und zwar wurden die Präparate 1—24 Stunden in der Farbstoff- 
lösung belassen; die Differenzierung geschah mit 95°/, Alkohol, 
wobei dann die elastischen Elemente sehr schön zur Anschauung 
gelangten. Kontrollfärbungen wurden mit Örcein ausgeführt. 


Die Drüsen wurden teils nach Vornahme einer Kernfärbung 
in Glyzerin untersucht, teils wurden spezifische Schleimfärbungen 
ausgeführt und zwar dienten als Schleimfarbstoffe Thionin, Muci- 
karmin, Muchämatein und Methylenblau, wodurch der Schleim 
bezw. die schleimähnlichen Stoffe sehr gut gefärbt zur Ansicht 
kamen. Die so tingierten Schnitte wurden entweder in Glyzerin 
oder in Balsam eingebettet. 


Ausser den in der gewöhnlichen Weise ausgeführten Gefäss- 
injektionen stellte ich noch, um die Lufträume kennen zu lernen, 
an den verschiedenen Lungen Metallkorrosionspräparate her, 
wobei ich die von Wickersheim erprobte Legierung (Blei 32, 
Zinn 16, Wismuth 60, Kadmium 12 und Quecksilber 10 Teile) zur 
Anwendung brachte. Das im Wasserbad flüssig gemachte Metall 
wurde durch die Trachea oder einen grösseren Bronchus ein- 
gespritzt, nachdem die Lunge vorher längere Zeit im Wasser von 
65° gut vorgewärmt worden war; ich fand, dass diese vorherige 
Durchwärmung für das Gelingen der Injektion von grösstem 
Einfluss ist. Die Mazeration der Weichteile erfolgte in 10°/o 
Kalilauge. 

Bei der Imprägnierung der Luftwege mit 0,2°/o Silbernitral- 
lösung zum Zwecke der Sichtbarmachung der respiratorischen Epi- 
thelien wich ich insofern von der sonst üblichen Methode ab, als 
ich die mit Silbernitrat gefüllten Lungen nach einigen Tagen in 
aufsteigendem Alkohol unter Abschluss des Lichtes härtete und 
dann Stücke derselben genau so wie bei den übrigen Lungen in 
Paraffın einbettete und schnitt. Die mit Xylol vom Paraffın 
befreiten Schnitte wurden in Canadabalsam oder in Glyzerin 
eingebettet und dem direkten Sonnenlichte ausgesetzt, wodurch 
die Zellkonturen als dunkelbraune Linien zum Vorschein kamen. 


Um mir über den Wert der von Hansemann zur Dar- 
stellung der Poren in der Alveolarwand angewandten Leim 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 5) 


injektionsmethode ein Urteil bilden zu können, ahmte ich dieselbe 
nach der im folgenden beschriebenen Methode genauestens nach: 

„Wie Hermann nachgewiesen hat, kann man eine Lunge 
atelektatisch machen, indem man sie mit Kohlensäure auswäscht, 
worauf dann die Kohlensäure resorbiert wird. Ich modifizierte 
den Hermannschen Versuch in der Weise, dass ich nicht die 
herausgeschnittene Lunge mit Kohlensäure füllte, sondern das 
lebende Tier unter eine Glocke brachte, in die Kohlensäure ein- 
geleitet wurde, bis der Tod des Tieres eingetreten war. Wenn 
man dann die Lunge herausschneidet, so wird sie nach kurzer 
Zeit atelektatisch und zeigt keinerlei pathologische Veränderungen. 
Die Injektion erfolgte von der Trachea aus mit einer Lösung 
wasserlöslichen Berliner Blaus und Zusatz von Gelatine unter 
einem möglichst geringen Druck, so dass die Alveolen nicht über 
das normale Maß ausgedehnt wurden.“ 

Zur Feststellung des Verlaufes der elastischen Fasern der 
Pleura wurden Stücke derselben von den Lungen frisch getöteter 
Tiere abgezogen und sofort in physiologischer Kochsalzlösung 
oder Glyzerin untersucht. Andere Stücke wurden unter mässigem 
Zuge auf einer Korkplatte ausgespannt und mit Igelstacheln 
darauf befestigt. Die Fixierung geschah in absolutem Alkohol, 
wodurch die Pleura eine gewisse Festigkeit erhielt, so dass sie 
nach der Abnahme von der Korkplatte ihre Dehnung beibehielt. 
Sie wurde dann in ausgespanntem Zustande in einer flachen Schale 
mehrere Stunden lang nach der Weigertschen Methode oder mit 
Orcein gefärbt, der überschüssige Farbstoff mit 95°/o Alkohol 
ausgezogen und die Pleura in kleine Rechtecke oder Quadrate 
zerschnitten, welche mit Xylol aufgehellt und in Canadabalsam 
eingebettet wurden. 


Die feineren Bronchien. 


Dem geringen Bedürfnis der luftleitenden Wege nach Form- 
und Lageveränderlichkeit entsprechend, ist auch die Wand der 
Bronchien von starrer Beschaffenheit und geringer Kontraktilität. 
Ihr feinerer Aufbau hat zwar in den Lehrbüchern der mikro- 
skopischen Anatomie eine allgemeine Beschreibung gefunden, hin- 
sichtlich der einzelnen ihre Wandung erstellenden Gewebe jedoch 
sind die Angaben nicht hinreichend genau. Es haben daher in 
neuerer Zeit v. Czylarz (6) die Trachea und die Bronchien des 


6 Josef Müller: 


Menschen und Linser (34) die Lunge des Menschen und einiger 
Tiere (Rind, Kaninchen, Hase, Hund, Pferd, Schwein, Reh und 
Hirsch) hinsichtlich der Anordnung der elastischen Fasern zum 
Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht. 

Linser (34) beschreibt den Aufbau der Bronchien des 
Menschen wie folgt: „Die Wand der grösseren Bronchien unter- 
scheidet sich von den Bronchiolen hauptsächlich durch das Auf- 
treten von Knorpel. Sie besteht unter dem meist mehrzelligen 
Zylinderepithel und einer hier immer deutlichen Basalmembran 
aus einer Lage von meist längsziehenden, ziemlich derben elastischen 
Fasern. Darüber liegt die hier schon kontinuierliche Schicht von 
zwei, drei übereinander liegenden, zirkulär angeordneten Muskel- 
fasern, die nur von feinsten, starkgekräuselten elastischen Fibrillen 
durchzogen, sowie da und dort von Ausführungsgängen der 
Schleimdrüsen auseinandergedrängt wird. 

Über der Muskulatur ordnen sich die Bronchialknorpel um 
das Lumen an. Dieselben sind eingelagert in eine je nach der 
Grösse des Bronchus mehr oder weniger breite Bindegewebs- 
schichte, die von zahlreichen elastischen Fasern durchsetzt ist. 
Dieselben verdichten sich am Rand der Knorpel zu einem dichten 
Ring, dessen Ausläufer zum Teil ziemlich reichlich und auf längere 
Strecken im hyalinen Gewebe zu verfolgen sind. Ein konstantes 
Vorkommen von elastischen Fasern im Bronchialknorpel ist jedoch 
nicht zu konstatieren; auch hier spielen, wie es scheint, individuelle 
Verschiebungen eine Rolle. Relativ häufiger findet man sie bei 
jugendlichen Individuen, vor allem bei den später zu besprechenden, 
embryonalen. Sie sind eingebettet in die hyaline Grundsubstanz 
ohne eine Beziehung zu den Kernen.“ 

Diese Angaben stimmen mit den Befunden von v. Czylarz, 
welche Linser übrigens nicht erwähnt, im wesentlichen überein. 
Die Beschreibung, welche Linser über die Bronchien der von 
ihm untersuchten Tiere gibt, ist nur allgemeiner Natur. 

Unsere Haussäugetiere zeigen einen dem des Menschen 
ähnlichen Aufbau der Bronchialwand, welcher sich im allgemeinen 
folgendermassen gestaltet: 

Unter dem in den feineren Bronchien noch mehrschichtigen 
(ein- bis dreischichtigen), zahlreiche Becherzellen aufweisenden 
Epithel, welches einer nicht mehr recht deutlichen Basalmembran 
aufsitzt, liegt die Propria mucosae. Diese besteht in ihrem dem 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 7 


Lumen naheliegenden Teile aus feinen, nicht sehr dicht liegenden 
elastischen und kollagenen Fasern, welche in der Regel längs, 
teilweise aber auch quer bezw. schief verlaufen. In diesem Teile 
der Schleimhaut liegt, wie man an Präparaten sehen kann, welche 
durch einen Ast der A. pulmonalis injiziert wurden, ein reichver- 
zweigtes Kapillarnetz, das am querdurchschnittenen Bronchus 
sich als eine der welligen Oberfläche parallellaufende Reihe in 
nahezu regelmässigen Abständen wiederkehrender Gefässdurch- 
schnitte präsentiert. Daran schliesst sich eine dichte Lage derber 
elastischer Fasern an, welche kleine Gefässe in geringer Anzahl 
zwischen sich beherbergen. Diese Faserschicht wird von den 
Ausführungsgängen der Drüsen durchbrochen. Die Fasern ver- 
laufen in der Längsrichtung und kreuzen sich vielfach unter 
spitzem Winkel. Während sie in der faltenlosen Schleimhaut 
eine gleichmässig starke Lage darstellen, sieht man sie da, wo 
die Schleimhaut Falten bildet, als dreieckige, die Oberfläche zum 
Wellenberg erhebende Gruppen erscheinen, sie bilden hier also 
Faserbündel von dreikantig prismatischer Form (Taf. I, Fig. 2e). 

Die nun folgende Muskelschichte ist mit der Propria durch 
lockeres, spärlich elastische Fasern führendes Bindegewebe derart 
verbunden, dass sich die Fasern teilweise zwischen die Muskel- 
zellen hineinziehen. Sie bildet keineswegs eine zusammenhängende 
Haut, sondern legt sich, durch Bindegewebe septiert, in Bündeln 
quer um die Propria herum. Die Bündel weichen da und dort 
auseinander, um Drüsenschläuchen Aufnahme zu gewähren. 
Zwischen den einzelnen Muskelzellen ziehen sich, ähnlich wie bei 
der Muskularis der Gefässe teils stark gekräuselte, teils mehr 
geradlinig verlaufende elastische Fasern und Fäserchen hin, welche 
am Rande der Muskelbündel dichter und zahlreicher auftreten. 

Die dritte, die Bronchialwandung miterstellende Haut ist 
lockerer gebaut als die bisher genannten. Sie besteht aus faserigem 
Bindegebe, in welchem mehr oder weniger zahlreiche, teils längs, 
teils quer verlaufende elastische Fasern sich nicht selten zu Zügen 
und Streifen vereinigen. Diese Faserhaut, welche mit den Muskel- 
bündeln durch zahlreiche elastische Fasern in Verbindung steht, 
ist der Sitz mehr oder weniger zahlreicher, von einzelnen zarten, 
elastischen Fasern umsponnener Drüsen (s. u.) und die Trägerin 
der Blut- und Lymphgefässe sowie der Nerven und wird durch 
Einlagerung von Knorpelplatten verstärkt. Um diese letzteren 


8 Josef Müller: 


herum bilden die elastischen Fasern ein bei den verschiedenen 
Tierspezies verschieden dichtes Netzwerk und ziehen sich auf 
kurze Strecken in den Knorpel hinein. In diesem Teile der 
Bronchialwand beobachtet man ferner nicht selten Anhäufungen 
von Iymphadenoidem Gewebe; auch Einlagerungen von Fettzellen, 
zu kleineren Häufchen gruppiert, sind ein gewöhnliches Vor- 
kommnis (s. Taf. I, Fig. 1 FG). Den Abschluss gegen das an- 
srenzende Lungengewebe bildet ein feines, in der Längsrichtung 
der Bronchien verlaufendes Netz von elastischen Fasern. 

Dieser Bau der Bronchialwand wiederholt sich mit einigen 
Modifikationen bei allen unseren Haussäugetieren. Beim Pferd 
sind die elastischen Fasern der Propria dick und auch sehr zahl- 
reich. In der Muskularis finden sich ebenfalls viele, aber feine 
elastische Fasern, während diejenigen der Faserhaut wieder er- 
heblich dicker und auch sehr zahlreich sind. Um die Knorpel 
liegt ein dichtes Netz derber elastischer Fasern. 

Das elastische Substrat der Propria des Rindes ist sehr 
grobfaseriger Natur. In der Muskularis lassen sich ebenfalls, 
ähnlich wie beim Pferde, elastische Fasern erkennen, welche die- 
jenigen des Pferdes an Dicke noch übertreffen und auch an Zahl 
nicht geringer sind. Um die Knorpel bilden sie ein dichtes Ge- 
flecht und ziehen sich vom Rande der Knorpel aus als starke 
elastische Faserzüge parallel zu den Muskelbündeln in der Faser- 
haut dahin. In der Lagerung der Knorpel scheinen ausnahms- 
weise auch Verschiebungen vorzukommen. Am PBronchus eines 
Kalbes sah ich nämlich einen Knorpelkern zwischen der Propria 
und der Muskularis liegen. 

Die elastischen Fasern der Bronchialwand des Schafes sind 
in allen Teilen viel zarter und weniger zahlreich wie diejenigen 
der bisher besprochenen Tiere. So entbehren namtlich die Muskel- 
und Faserhaut der starken elastischen Beimengung und auch das 
die Knorpelplatten umspinnende elastische Netzwerk ist viel zarter 

Ähnlich wie beim Schafe verhält sich auch das elastische 
Gerüst bei der Ziege; es ist jedoch insofern etwas kräftiger, 
als die elastischen Fasern zahlreicher sind. 

Von ganz beträchtlicher Stärke ist dagegen das elastische 
Gerüst der Bronchialwand des Schweines; es erreicht zwar nicht 
ganz die Mächtigkeit desjenigen des Pferdes, gleicht ihm aber in 
der Anordnung sehr. 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. I 


Der Hund weist in seiner Bronchialwand ein der Ziege an 
Stärke gleichkommendes elastisches Faserwerk auf. Die Fasern 
sind von mittlerer Dicke und finden sich ziemlich zahlreich. 

Das elastische Gerüstwerk der Bronchialwand der Katze 
ist sehr zarter Natur. Am kräftigsten sind die Fasern der 
Propria (s. Taf. I, Fig. 1 Pr); die von Linser (34) und v.Czylarz (6) 
gemachte Beobachtung, dass im Knorpel da und dort elastische 
Fasern vorkommen, kann ich für die Katze bestätigen. Bei den 
übrigen Tieren habe ich sie nicht gefunden. 

In der Wand der Bronchien finden, wie bereits oben an- 
gedeutet wurde, mehr oder weniger zahlreiche Drüsen Aufnahme. 
Über den histologischen Aufbau dieser Drüsen sind die Literatur- 
angaben nicht sehr zahlreich; Oppel (48) bringt diesen Mangel 
durch folgende Bemerkung zum Ausdruck: „Eine eingehende 
neuere Darstellung über die Anordnung der Drüsen der Atmungs- 
wege und über das Vorkommen des einen oder anderen Typus 
der Schläuche (seröse oder Schleimzellen) bei verschiedenen 
Säugetieren fehlt, so dass hier jeder kleine Beitrag er- 
wünscht ist.“ 

Seit einer Reihe von Jahren besteht bekanntlich ein Streit 
darüber, ob die Drüsen des Atmungsapparates dem gemischten 
Typus angehören oder ob es reine Schleimdrüsen sind. Über 
die Drüsen der oberen Luftwege des Menschen und verschiedener 
Haussäugetiere liegen eine Reihe von Arbeiten vor: mit den- 
jenigen der feineren Bronchien haben sich nur wenige beschäftigt. 
Diese Drüsen werden in den Lehrbüchern als Schleimdrüsen auf- 
gefasst. So beschreibt sie Sussdorf (65) folgendermassen: „Die 
Drüsen der Bronchialschleimhaut zeigen im wesentlichen den 
Charakter der Trachealdrüsen. In den grösseren Bronchien in 
reichlicherer Menge und stärkerer Entwicklung als „platt-kuchen- 
artige“, geknäuelte und vielfach abgeknickte, verästelt-tubulöse 
Schleimdrüsen den Interstitien der Bronchialknorpel oder der 
äusseren Faserhaut eingelagert, erscheinen sie ausserdem sowohl 
in der inneren Schicht dieser als auch in den kleineren Bronchien 
als wenig umfangreiche, beim Pferd oft nur bauchig-erweiterte 
Schläuche mit einfachem, kegelförmigem Zellenbelag, der zu- 
weilen in Schleimbildung begriffen scheint. In den kleineren 
Bronchien ist der Drüsengehalt jedenfalls ein sehr geringer, am 
bedeutendsten noch beim Schweine.“ 


10 rose Minbler: 


Ellenberger und Günther (9) bezeichnen sie als den 
Trachealdrüsen ähnlich. 

Eber (7) hat gelegentlich seiner Untersuchungen über 
multiple Adenombildung in den Lungen des Schafes einige be- 
merkenswerte Besonderheiten in Beziehung auf den histologischen 
Bau der normalen Schlaflunge zur öffentlichen Kenntnis gebracht, 
auf die wir weiter unten zurückkommen werden. In einem Auf- 
satze „Sur la structure des glandes bronchiques“ hat Bonne (4) 
einige Angaben gemacht, welche nach dem Referat von Holl (20) 
Bd. VII, kurz angeführt werden sollen: „Bonne untersuchte den 
Bau der Bronchialdrüsen bei verschiedenen Tieren und dem 
Menschen. Die genannten Drüsen sind sehr ungleichmässig bei 
den einzelnen Tierspezies verteilt. Sehr selten sind sie bei den 
Nagern, zahlreich bei den Wiederkäuern, weniger zahlreich beim 
Hunde und Menschen. Die Acini oder ramifizierten Tubuli dieser 
Drüsen sind von granulierten Zellen gebildet, welche mehr oder 
weniger albuminoide Substanzen sezernieren. Beim Schafe und 
besonders beim Hunde sind die serösen Acini bei weitem die 
zahlreichsten. Beim Rind sind seröse und muköse Acini in ihrer 
Anzahl fast gleich. Sehr häufig findet man mitten in den Zellen, 
welche die Acini der serösen Drüsen auskleiden, Elemente, welche 
körniges Ferment enthalten. Diese unterscheiden sich leicht von 
den Proteingranula. Das Cytoplasma und das Sekret der granu- 
lierten Zellen können gewisse Eigentümlichkeiten aufweisen, wo- 
durch sie den muciparen Zellen näher gerückt erscheinen.“ 

Hiernach würden die Bronchialdrüsen dem gemischten Typus 
angehören. Bemerkenswert ist jedoch, dass Bonne selbst Zellen 
findet, welche gewissermassen ein Übergangsstadium zwischen 
der serösen und mukösen Form darstellen. 

Die Drüsen, deren Lage sich so gestaltet, wie Sussdorf 
sie oben angibt, zeigen nach meinen Befunden bei den einzelnen 
Haustieren erhebliche Unterschiede. 

Beim Pferde sind die Drüsen der feineren Bronchien 
äusserst spärlich; so finden wir z. B. an einem in der Längs- 
richtung halbierten Bronchus von 4 mm Durchmesser nur zwei 
Drüsenschläuche, und ein noch allseitig mit Knorpel umschlossener 
Bronchus von 1 mm Durchmesser weist nur einen Drüsen- 
schlauch auf. Die Epithelzellen haben eine nahezu zylindrische 
Form, manchmal sind sie auch kegelförmig oder kubisch. Die 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 11 


Weite der Drüsenschläuche, von Basis zu Basis der Epithelien 
gemessen, schwankt zwischen 12 bis 20 #. Das Lumen derselben 
ist eng und beträgt nur einige «. 

Beim Rinde sind die Drüsen viel zahlreicher; an einem 
Bronchus z. B. von 2,3 mm Lichtung sehen wir acht Drüsen- 
schläuche. Die Drüsen sind im allgemeinen ziemlich weit (bis 
85 «); daneben kommen auch Drüsenschlauchdurchschnitte vor, 
welche einen Durchmesser von 20 u besitzen. Die Form der 
Zellen ist kubisch. 

Ähnlich wie beim Pferd verhalten sich die Drüsen des 
Schweines; bei diesem sind sie zwar viel zahlreicher: 
an einem Bronchus von 1 mm Lumen zählt man sechs 
Drüsenschlauchdurchschnitte; aber an Form und Grösse der 
Drüsenzellen, sowie an Weite der Drüsenschlauchdurchschnitte 
gleichen sie jenen des Pferdes. Nicht eben selten lassen sich 
auch Gianuzzische Halbmonde nachweisen. 

Wie bereits oben angedeutet wurde, hat Eber (7) eine 
eingehende Beschreibung der Bronchialdrüsen des Schafes ge- 
geben. Sie lautet: 

„Bei der mikroskopischen Untersuchung der normalen 
Schaflunge fällt in erster Linie der grosse Reichtum an Schleim- 
drüsen in der Wandung selbst der kleinsten Bronchien auf. 
Diese vielfach verästelten, stark geschlängelten, tubulösen 
bezw. tubulo-acinösen Drüsen haben ihre Lage in der äusseren 
Faserschicht der Bronchialwand, welche beim Schafe, ähnlich 
wie beim Rinde und Schweine, bis zu den feinsten interlobu- 
lären Bronchien mit Knorpeleinlagerungen ausgestattet ist. Ob- 
wohl die Drüsenschläuche mit der Grösse der Bronchien an 
Zahl entsprechend abnehmen, so stellen sie doch selbst bei den 
kleinsten interlobulären Verzweigungen der Bronchien einen 
nie fehlenden Bestandteil der Bronchialwand dar. Am zahl- 
reichsten finden sich die Drüsenschläuche in der unmittelbaren 
Umgebung des bronchialen Muskelrings; sie werden aber auch 
weder zwischen den einzelnen Knorpelplatten noch in der peri- 
pheren Schicht der bronchialen Bindegewebsscheide, woselbst 
sie oft nur durch spärliche Lagen feinfaserigen Bindegewebes 
vom Lungenparenchym getrennt sind, vermisst. Grössere Drüsen- 
schläuche sind häufig von Zügen glatter Muskelfasern begleitet. 
Nicht selten trifft man in der Bronchialwand auch Schleim- 


12 Josef Müller: 


drüsen und glatte Muskelfasern in regelmässiger Schichtung 
an (vergl. Taf. IIa).“ 

„Entsprechend dem stark geschlängelten Verlaufe der 
Drüsen erblickt man in den Schnittpräparaten vorwiegend 
Querschnitte und nur vereinzelte Längsschnitte von Drüsen- 
schläuchen. Nur die kleinsten Querschnitte haben eine kreis- 
runde oder längsovale Form. Die grössten sind durchweg 
unregelmässig gestaltet und durch vielfache, in das Lumen vor- 
springende Hervorragungen in Buchten von wechselnder Tiefe 
und Breite geteilt, wodurch die im allgemeinen mehr nach dem 
tubulösen Typus gebauten Schleimdrüsen sich in ihrem Bau 
dem acinösen Typus nähern. An bestimmten Stellen durch- 
brechen die Drüsenschläuche den bronchialen Muskelring und 
münden, eine deutliche Einschnürung bildend, in einer der 
durch Längsfaltung der Bronchialschleimhaut gebildeten 
buchtigen Vertiefungen in das Lumen der Bronchien ein.“ 

„Der Umstand, dass man fast in allen Schnitten mehr 
oder minder deutlich markierte Einmündungsstellen solcher 
Schleimdrüsen antrifft, lässt darauf schliessen, dass die Bronchial- 
schleimhaut mit solchen dicht übersät ist.“ 

„Das Epithel der Schleimdrüsen wird von einer einfachen 
Schicht zylindrischer oder kegelförmiger Zellen mit vorwiegend 
peripher gelagerten Kernen gebildet. Die Grösse der Zellen 
ist verschieden. Man findet alle Übergänge vom einfachen 
kubischen Epithel bis zu den nahezn die Grösse der Epithel- 
zellen in den kleineren Bronchien erreichenden Zylinderzellen. 
Diese durch ihre Grösse besonders auffallenden Zellen liegen 
meist in Gruppen zusammen und stellen, wie der in Schleim- 
bildung begriffene Zelleib erkennen lässt, den tätigen Teil der 
Drüsenschläuche dar. Im allgemeinen überwiegen jedoch in 
den Drüsenschläuchen der vorliegenden Schnitte die niedrigen 
Zellformen.* 

„Die Schleimhaut der kleineren Bronchien lässt auf dem 
Querschnitt die bekannten kegelförmigen, radiär gestellten 
Falten erkennen, in deren Vertiefungen, wie schon erwähnt, 
die Schleimdrüsen einmünden. Das lange, mehrschichtige, 
stäbchenförmige, teils mit Flimmerhaaren ausgestattete, teils 
in der Schleimbildung begriffene Epithel geht an diesen Ein- 
mündungsstellen, unter Verlust der Flimmerzilien allmählich 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 13 


niedriger werdend, ohne Grenze in das kubische Epithel der 
Drüsenschläuche über.“ 

Mit dieser Beschreibung der Drüsen des Schafes stimmen 
meine Befunde (s. Taf. I, Fig. 2D) vollkommen überein. Ich darf 
wohl noch hinzufügen, dass bei Anwendung von Schleimfarbstoffen 
in den zylindrischen Drüsenzellen ähnliche Gebilde auftreten, wie 
man sie als Becherzellen im Schleimhautepithel sieht. 

Ganz ähnliche Verhältnisse wie beim Schafe bieten die 
Bronchialdrüsen bei der Ziege dar; nur scheinen sie bei diesem 
Tiere nicht so zahlreich zu sein. 

Die auch in den feinsten Bronchien noch zahlreich vor- 
handenen Drüsen des Hundes zeigen eine sehr starke Knäuelung. 
Die Drüsenzellen sind zylindrisch oder kegelförmig und viel kleiner 
als diejenigen anderer Tiere, z. B. des Pferdes. 

Auch bei der Katze zeigen die Epithelien der sehr zahl- 
reichen Drüsen (Taf. I, Fig. 1D) diese kleine Form. 

Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich, weisen die Drüsen 
unserer Haustiere erhebliche Verschiedenheiten auf, welche sich 
in erster Linie auf Form und Weite derselben beziehen. So haben 
Pferd und Schwein ähnlich gebaute Drüsen, ebenso Schaf und 
Ziege; diejenigen letzterer Tiere springen durch ihr weites Lumen 
in die Augen. Zwischen Pferd und Schaf steht in bezug auf die 
Weite des Drüsenlumens das Rind. Die Drüsen der Fleischfresser 
haben im Verhältnis zu denen der Pflanzenfresser viel kleinere 
Epithelzellen; sie sind eng, stark geknäuelt nnd sehr zahlreich. 

Hinsichtlich der Epithelzellen stimmen die Drüsen der von 
mir untersuchten Tiere darin überein, dass sie ein gleich ver- 
schiedenartiges Aussehen der Epithelien beobachten lassen. Man 
sieht bei allen Tieren in den Drüsenschlauchdurchschnitten einer- 
seits grosse Zellen mit randständigen Kernen. Der Zelleib ist 
hellglänzend, zeigt deutliche Umgrenzung und feinste Körnelung, 
welche an der Basis der Zellen etwas stärker ist als an dem der 
Lichtung zu gelegenen Teile. Andererseits sind Zellen zu sehen, 
welche kleiner, nicht glänzend, sondern trübe und stark gekörnelt sind. 
Zwischen diesen Extremen kommen die verschiedensten Zwischen- 
stufen vor, und man kann diese Unterschiede am schönsten an 
Schnitten sehen, welche, mit einem Kernfarbstoff tingiert, in Glyzerin 
eingebettet sind. Behandelt man die Schnitte mit spezifischen 
Schleimfarbstoffen, so färben sich die hellen Zellen genau so wie 


14 Josef Müller: 


die Becherzellen der Schleimhautepithelien mehr oder weniger 
intensiv rot, wenn man Mucikarmin oder Thionin verwendet, blau, 
wenn man mit Muchämatein gefärbt hat. Die kleineren, trüberen 
Zellen dagegen haben sich gar nicht oder nur ganz schwach gefärbt. 
Da und dort sieht man im Lumen der Drüsenschläuche unregelmässig 
geformte Flecke, welche den Farbstoff gut aufgenommen haben. 

Auf Grund dieses Verhaltens wird man nicht fehlgehen, die 
grossen, hellen Zellen für Schleimzellen zu halten, deren Zelleib 
in schleimiger Umwandlung begriffen ist, während die kleinen 
Zellen ihren Schleim bereits abgegeben haben und sich nun 
regenerieren. Wir hätten demnach die Drüsen der feineren 
Bronchien als reine Schleimdrüsen anzusprechen. 

Der mit kubischem Epithel ausgekleidete Ausführungsgang 
der Drüsen zeigt vor seiner Einmündung in den Bronchus eine 
ampullenförmige Erweiterung, welche gewöhnlich zwischen Muskel- 
und Faserhaut liegt, manchmal jedoch der Schleimhaut näher ge- 
lagert ist. Gegen diese hin verengt sich das Lumen des Aus- 
führungsganges wieder, das kubische Epithel wird zylindrisch und 
trifft etwa an der Grenze zwischen Schleimhaut und Muskelhaut mit 
dem Flimmerepithel der Bronchialschleimhaut zusammen, welches 
an dieser Stelle eine trichterförmige Einsenkung gebildet hat. 

Der allgemeinen Ansicht gegenüber, „dass das Verschwinden 
der Schleimdrüsen mit dem der Knorpel Hand in Hand ginge,“ 
hat Sussdorf (65) beobachtet, dass beim Rinde die Drüsen lange 
vor dem Knorpel aus der Bronchialwand verschwinden. Ich habe 
dieselbe Beobachtung gemacht. Aber auch in anderer Beziehung 
fand ich die oben erwähnte Ansicht nicht bestätigt. Ich sah 
nämlich im Bronchus der Katze, welcher 0,23 mm im. Durch- 
messer hatte, noch Drüsen, während keine Andeutung von Knorpel 
mehr zu sehen war. 

Die Bronchiolen. 


Der Gebrauch der Bezeichnung Bronchiolen (Bronchiola) !) 
ist, wie eine genauere Prüfung an der Hand der histologischen 


!) Bronchiola und nicht Bronchioli ist das richtige Deminutivum von 
Bronchia, und Bronchia, nicht Bronchi, die richtige lateinische Benennung der 
Luftröhrenverzweigungen in der Lunge. Die letztere Form wenden nach dem 
Zeugnis Hyrtls Gelsus und Aurelianus für die griechische Form 300yz0: 
an; Brocchus s. Bronchus gilt für die vorstehenden Zähne gewisser Hunde 
und Menschen, niemals aber für die Ausläufer der Trachea. 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 15 


Lehrbücher ergibt, so verschieden, dass eine genaue Umgrenzung 
dieses Begriffes recht wünschenswert erscheint. Man könnte die 
Benennung Bronchiola wohl von dem Eintritt der Luftröhren- 
ästchen in das Lungenläppchen abhängig machen, indem man alle 
interlobulär verlaufenden, also noch im Interstitialgewebe befind- 
lichen Bronchialverzweigungen als Bronchia höherer und niederer 
Ordnung, als Bronchiola dagegen die in das Läppchen eintretenden, 
mit Alveolen noch nicht besetzten Luftgänge bezeichnete. Nun 
ist es aber bei der Mehrzahl unserer Haussäugetiere (Pferd, 
Schaf, Ziege, Hund, Katze) schlechterdings nicht möglich, weder 
an Schnitten noch an Korrosionspräparaten immer die Umgrenzung 
der Läppchen auch nur annähernd genau festzustellen. Dagegen 
lässt sich als allgemeingültiges Kriterium für die Bezeichnung 
Bronchiola — in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der 
Autoren — das Fehlen von Knorpel und Drüsen einerseits, sowie 
dasjenige von Alveolen und respiratorischem Epithel, andererseits 
aufstellen. 

Mit der allmählichen Verengerung des Lumens der Bronchien 
geht auch eine allgemeine Verdünnung ihrer Wandteile Hand in 
Hand. Das Epithel wird einschichtig und verliert nach und nach 
die Flimmern; es ist anfangs noch zylindrisch oder hoch kubisch 
und scheint schliesslich, immer niedriger werdend, ganz zu ver- 
schwinden, d.h. es geht, wie man mit Kölliker (25) an mit 
Silbernitrat gefüllten Lungen beobachten kann, in dasrespiratorische 
Epithel über, jedoch so, dass erst nur die eine Seite von diesem 
ausgekleidet ist. 

Die elastischen Fasern der Schleimhaut nehmen sowohl an 
Zahl als auch an Dicke immer mehr ab, so dass diese, wie auch 
Linser (34) angibt, nur noch von einigen in der Längsrichtung 
verlaufenden elastischen Fasern mittlerer Dicke unterlegt ist. Durch 
die Kontraktionen der glatten Muskelzellen in der Wand der 
Bronchiolen bildet die Schleimhaut oft so hohe Falten, dass durch 
diese das Lumen nahezu vollständig ausgefüllt wird. Manchmal 
fehlen diese Falten auch ganz; es scheint, dass durch die durch 
Injektion der Bronchien veranlasste Dehnung der Tonus der 
Muskulatur überwunden und die Faltenbildung zum Verschwinden 
gebracht werden kann. 

Auch die Muskularis büsst in gleichem Maße wie die 
Schleimhaut an Stärke ein. Man sieht anfangs einen schmalen 


16 Josef Müller: 


Ring, dann nur noch einzelne glatte Muskelzellen nebeneinander- 
liegend um die Schleimhaut herum verlaufen, welche an den 
feineren Bronchiolen keinen geschlossenen Ring mehr bilden. Da- 
zwischen liegen einzelne elastische Fasern. 

Die Faserhaut, aus welcher, wie erwähnt, die Knorpelplatten 
und vor oder nach diesen die Drüsen verschwunden sind, lässt 
einzelne längs- oder querverlaufende elastische Fasern erkennen. 
Man kann in ihr häufig Ansammlungen von Iymphatischem Ge- 
webe beobachten, welches sich, im Querschnitt getroffen, halb- 
mondförmig um die Bronchiolen lagert. Auf dieser Seite sieht 
man dann die Schleimhaut faltenlos, wenn auch gegenüber mehr 
oder weniger hohe Schleimhautfalten sich befinden. Manchmal 
liegen auch grössere Haufen von Lymphzellen in der Gabel, welche 
zwei sich verzweigende Bronchiolen bilden. 

Diese Darstellung des Aufbaues der terminalen luftleitenden 
Kanäle gilt für alle Haussäugetiere, jedoch mit der Einschränkung, 
dass die Dicke und Zahl der elastischen Fasern ähnliche Unter- 
schiede aufweisen, wie wir sie oben kennen gelernt haben. 

Es erübrigt noch, eines in seiner oben erwähnten Arbeit 
von Eber (7) beschriebenen Vorkommnisses an den Bronchiolen 
des Schafes zu gedenken; es ist dies, wieEber sagt, „das zahl- 
reiche Vorkommen eigentümlicher, mit einer einfachen Lage 
kubischer Zellen bekleideter, bald rundlicher, bald mehr lang- 
gezogener, bald völlig unregelmässig gestalteter, immer aber 
vielfach ausgebuchteter und verzweigter Hohlräume mitten im 
respirierenden Parenchym (vergl. Taf. I@, Taf. II® ec). Der Zellen- 
belag dieser Hohlräume ist im ganzen etwas niedriger als derjenige 
der durch kreisförmigen Querschnitt, schmalen Muskelring und 
spärliche, bindegewebige Umkleidung als Terminalbronchien 
kenntlichen Hohlräume, und unterscheidet sich durch nichts von 
dem Epithelbelage der Schleimdrüsen in der Wandung der 
grösseren Bronchien. Im übrigen erinnern die starkverzweigten 
buchtigen Hohlräume noch am ehesten an die vielgestaltigen 
Bilder, welche man bei Prostataquerschnitten zu Gesicht bekommt.“ 

Ferner heisst es dort: „Wie nun auch im einzelnen der 
unmittelbare Übergang der luftführenden Wege in das respirierende 
Parenchym erfolgen mag, so ist doch das eine zweifellos aus den 
vorliegenden Schnitten ersichtlich, dass nämlich die Terminal- 
bronchien in der Schafslunge vor ihrem Übergang in die Alveolar- 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. BAHT 


gänge bezw. Infundibula stark verzweigte, buchtige Erweiterungen 
bilden, die ihrerseits wieder mit vielfachen, schlauchförmigen 
Ausstülpungen versehen sind, welche sich histologisch von den 
Drüsenschläuchen der kleinen Bronchien nicht unterscheiden und 
möglicherweise auch physiologisch deren Stelle vertreten.“ 

Ganz ähnliche Bilder, wie sie hier Eber beschreibt, fand 
ich bei den von mir untersuchten Lungen eines Pferdes, sowie 
eines Schweines. Der von Eber gegebenen Deutung dieser 
Bilder kann ich mich jedoch nicht anschliessen. Die Endbronchien 
des Schafes sind zwar — das finde ich auch an meinen Präparaten, 
gegenüber denen anderer Tiere (z. B. Fleischfresser) etwas er- 
weitert,-ein Vorkommnis, auf das auch schon Schottelius (58) 
hingewiesen hat. Für die „vielfachen schlauchförmigen Aus- 
buchtungen der Terminalbronchien‘‘ jedoch lässt ‘sich wohl eine 
andere Erklärung finden. 

In Schnitten, welche aus einem im Anatomischen Institut 
schon einige Jahre in 4°/o Formalinlösung bezw. in 70°/o Alkohol 
liegenden Material stammen, fand ich sowohl beim Pferde wie 
beim Schwein Schief- und Längsschnitte von Terminalbronchien, 
welche ganz ähnliche Bilder zeigten, wie Eber sie in Taf. II® 
unter e und in Taf. IP in Fig. 1, 2 und 3 abgebildet hat. Man 
sieht da manchmal Durchschnitte von zwei, hohe Schleimhaut- 
falten tragenden Bronchiolen, welche zwar, noch ein gemeinschaft- 
liches Lumen aufweisend, eben im Begriffe stehen, sich zu verzweigen 
und von denen der eine im Quer-, der andere im Längsschnitt 
getroffen ist. Dadurch entstehen ‚völlig unregelmässig gestaltete, 
vielfach ausgebuchtete Hohlräume.“ Namentlich finden sich auch 
die in Taf. II® unter c und in Taf. Ib in Fig. 1 und 3 abge- 
bildeten, im freien Lumen des Bronchiolus liegenden 
Querschnitte von Längsfalten der Schleimhaut. 

Dieser Befund machte mich darauf aufmerksam, zu unter- 
suchen, ob die Eberschen „Ausstülpungen“ nicht durch eine 
starke Faltung der Schleimhaut vorgetäuscht wurden. Dass Eber 
stark gefaltetes Material untersucht hat, geht aus der starken 
Faltenbildung des Bronchus hervor, welcher in Taf. II® abge- 
bildet ist. Die Schaflungen, welchen meine Präparate entstammen, 
wurden mit absolutem Alkohol von einem Hauptbronchus aus 
injiziert und nach 48 stündiger Fixierung und Härtung in Paraffın 


eingebettet. Die Bronchiolen zeigen glatte Wände und die 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 2 


a 


13 Josef Müller: 


Alveolen eine Ausdehnung, wie sie etwa dem hohen Inspirations- 
zustand entsprechen mag. Die Lungen vom Pferd und Schwein 
dagegen, welche die von Eber beschriebenen Bilder zeigen, 
waren nicht injiziert, sondern stückweise in 4°/o Formalinlösung 
bezw. in absolutem Alkohol eingelegt und so gehärtet worden. 

Ob nun dieser Härtungsmodus oder das lange Aufbewahren 
in härtenden Flüssigkeiten, wie es bei dem Material von Pferd 
und Schwein und vielleicht auch bei demjenigen, welches Eber 
untersuchte, geschehen ist, durch eine nachträgliche Schrumpfung 
diese starke Faltenbildung bedingte, oder ob die Schleimhaut im 
Retraktionszustand der Lunge fixiert wurde und deshalb die 
Faltung zeigt, lasse ich als nebensächlich dahingestellt. Es 
handelt sich vielmehr nur darum, zu prüfen, ob diese „‚Aus- 
stülpungen‘“ in der Bronchiolenwandung des Schafes sich finden 
und ob die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften von so ab- 
weichendem Charakter sind, dass sie Eber als eine Eigentümlich- 
keit und Besonderheit der Schafslunge bezeichnen konnte, oder 
ob diese „Ausstülpungen“ nicht jeweils das Tal hoher Schleimhaut- 
falten sind. 

Dass ich an der lege artis fixierten Schaflunge keine 
Schleimhautfalten beobachtet habe, habe ich bereits erwähnt. Es 
liessen sich aber auch keine ‚„Ausstülpungen‘‘ oder drüsenförmige 
Oberflächeneinsenkungen beobachten. Auch an sehr gut gelungenen 
Metallausgüssen der Lunge des Schafes waren die Positive zu 
jenen „Ausstülpungen“, die man vielleicht in Form von feinen 
Wärzchen, mindestens aber als Rauhigkeiten der Oberfläche hätte 
erwarten können, nicht zu finden. Der Bronchiolenausguss zeigte 
stets eine vollkommen glatte Oberfläche. Das Epithel dieser 
„Ausstülpungen“ ist nach Eber ‚im ganzen etwas niedriger“ 
als das der Terminalbronchien; mit dieser Eigenschaft ist jeden- 
falls kein nennenswerter Unterschied bezeichnet. Durch die 
andere Angabe aber, das „aus einer einfachen Lage 
kubischer Zellen“ bestehende Epithel ‚unterscheidet sich 
durch nichts von dem Epithelbelag der Schleimdrüsen in den 
grösseren Bronchien,“ tritt Eber in Widerspruch mit seiner 
eigenen Beschreibung des Drüsenepithels, welchem er eine ver- 
schiedene Höhe, vom „einfachen kubischen Epithel bis zu 
den nahezu die Grösse der Epithelzellen in den kleineren Bronchien 
erreichenden Zylinderzellen,‘“ zuerkennt. Gerade die verschiedene 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 19 


Höhe des Epithels, welche den „Ausstülpungen‘“ fehlt, ist wohl 
als der Ausdruck der schleimbereitenden Tätigkeit aufzufassen, 
da „diese“, wie Eber selbst sagt, „durch ihre Grösse besonders 
auffallenden Zellen“, ‚‚wie der in Schleimbildung begriffene Zelleib 
erkennen lässt, den tätigen Teil der Drüsenschläuche‘“ darstellen. 
Solche oder ähnliche Eigenschaften hätte Eber an den „schlauch- 
förmigen Ausbuchtungen‘ nachweisen sollen, „um sie den Drüsen 
der Bronchialwand als physiologisch nahestehend“ bezeichnen 
zu können. 

Nach all dem glaube ich dieses Vorkommnis nicht als eine 
Besonderheit auffassen zu können und zu sollen, „die in noch 
höherem Maße als der Drüsenreichtum der Bronchialwand der 
Schaflunge ein eigenartiges Gepräge verleiht.“ Die „schlauch- 
förmigen Ausbuchtungen“ wurden wohl durch Bilder vorgetäuscht, 
welche einer starken Faltung der Schleimhaut und einer ent- 
sprechend schiefen Schnittrichtung ihre Entstehung verdanken. 


Die respirierenden Teile der Lunge. 


Die Lunge gilt nach althergebrachter Anschauung in mor- 
phologischer Hinsicht als eine Drüse tubulo-alveolären Baues. 
Zu dem Parenchym derselben, d. h. dem beim Gasaustausch direkt 
beteiligten Teile der Lunge werden seit Malpighi (1661) die 
Vesiculae aöreae s. Cellulae pulmonales oder, wie Rossignol (56) 
sie nannte, die Alveolen gerechnet. Nach Malpighi hat sich 
eine Reihe von Autoren mit der Erforschung des feineren Baues 
der Lungen beschäftigt. Diese waren nach Rossignol in zwei 
Lager geteilt, je nach der Art und Weise, wie sie bei ihren 
Untersuchungen zu Werke gingen: die einen prüften die Lunge 
— und dies ist die ältere Methode — in aufgeblasenem und 
getrocknetem Zustande; an geeigneten Schnitten solcher Lungen, 
kann man, so meint er (S. 14), den Eintritt des Bronchus in 
den Lobulus verfolgen; man kann wohl auch noch die innere 
Oberfläche der ersten Verzweigungen prüfen; „mais il est a peu 
pres impossible‘“, fährt er fort, „d’en suivre les divisions subse- 
quentes ou de second ordre, dont les parois sont tellement 
minces et diaphanes qu’elles se confondent avec les parties voisines. 
L’aspect d’une coupe faite sur un poumon ainsi prepare ne peut 
etre mieux compare qu’a celui d’un pain tres-blane ou d’une 


eponge fine. Si on en soumet une tranche mince Aa la loupe ou 
I% 


20 Josef Müller: 


au microscope, on n’y decouvre que des cavites irregulieres, de 
toutes dimensions, parfois sinueuses comme le disait Malpighi, 
et qui semblent incompletement cloisonnees. Cela provient uni- 
quement de la transparence trop grande des lamelles du paren- 
chyme pulmonaire, en sorte que certaines parvis, suivant la direetion 
des rayons lumineux, &chappent necessairement a l’@uil le plus 
exerc@ et que l’on prend pour une cavite unique l’assemblage 
de plusieurs, et pour une surface plane celle qui est marquee 
de cavitees peu profondes.‘ 

Dieser Methode bedienten sich hauptsächlich Malpighi, 
Helvetius, Bourgery und andere. Sie schuf die Vorstellung 
von der zelligen, schwammigen, kavernösen oder labyrinthischen 
Natur des Lungengewebes. 

Die andern — nämlich Willis, Reisseisen und ihre 
Anhänger -— verwendeten bei ihren Untersuchungen die Queck- 
silberinjektion in die Bronchien. Auch diese Methode hält 
Rossignol aus mehr als einem Grunde für unzulänglich. „Man 
kann,“ sagt er, „dafür keinen besseren Beweis anführen, als den 
Stillstand, in welchem diese Frage (la structure intime du paren- 
chyme pulmonaire) seit einer Reihe von Jahren verharrt ist, 
trotz der neueren zahlreichen Fortschritte der Histologie.‘ 

Rossignol wendet daher für seine Untersuchungen als 
die der Erhaltung natürlicher Verhältnisse am meisten Rechnung 
tragende Methode die folgende an: l’injection fortement color&e 
de capillaires sanguins, suivie de l’insufflation et de la dissiccation 
de l’organe (S. 16). Als Injektionsmasse verwendet er „un 
melange d’essence de terebinthine avec un sixieme environ de 
vernis de Cobalt et du vermillon porphyrise. On met de ce 
dernier autant que le liquide peut en tenir en suspension; car 
plus il est coloree plus la preparation est avantageuse.‘ 

Die Ergebnisse, welche Rossignol mit Hilfe dieser Methode 
erzielte, sind so wichtig und der Erkenntnis des feineren Baues 
der Lunge so förderlich gewesen, dass es wohl angezeigt erscheint, 
auf dieselben näher einzugehen und zwar um so mehr, als 
Rossignol von den späteren Autoren vielfach nicht richtig ver- 
standen und zitiert worden ist. 

In der richtigen Erkenntnis, dass die Lunge der Säugetiere 
die Vereinigung einer grossen Zahl gleichartiger Läppchen ist, 
welche den Enden eines gemeinsamen Bronchialbaumes angehängt 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 21 


sind, beschränkt sich Rossignol darauf, die Struktur dieser 
Läppchen zum Gegenstand seiner Untersuchungen zu machen. 
Die Verzweigungen der in das ausserordentlich mannigfaltig 
gestaltete Läppchen stets einzeln eintretenden „bronche lobulaire‘“ 
erfolgen derart, dass diese von ihrem Ursprung bis zu ihrem 
Ende nach allen Richtungen Äste abgibt; die Anzahl dieser 
Zweige, ihr Ursprung und ihre Richtung sind sehr verschieden 
and hängen von der Grösse und Form: des Läppchens ab. Der 
häufigste Typus der Teilung ist die Dichotomie oder Trichotomie. 
Die von der „bronche lobulaire“ abgehenden Äste lösen sich auf 
in Zweige erster, zweiter, dritter, im extremsten Falle bis fünf- 
zehnter Ordnung; die Endzweige sind jedoch in der Regel solche 
vierter oder fünfter Ordnung. An diesen (bezw. an den Zweigen 
der zwei oder manchmal der drei letzten Ordnungen) sieht man 
„avec evidence lorsqu’elles sont ouvertes longitudinalement, que 
leur surface est tapissee ou comme gaufree par une foule de 
petites cavites rögulieres, peu profondes, rangees les unes ä cöte 
des autres et söpardes par des cloisons minces, entieres et de 
meme hauteur, qui font saillie dans l’interieur du tuyau bronchique.“ 
Diese kleinen Hohlräume, welche Rossignol zum erstenmal in 
der Lunge des Hundes, dann auch in derjenigen des Menschen 
und der wichtigsten Säugetiere sah, und welche er „alv&oles 
pulmonaires parietales“ nennt, treten im Anfang wenig 
zahlreich und wie zerstreut auf; „ mais elles se rapprochent 
bientöt pour tapisser toute la surface interne des 
dernieres divisions bronchiqueset n’etre plus 
separ6des que par des cloisons minces quiont, en 
general, moins d’hauteur que celles des alv£&oles 
qui couvrent le fond des infundibulums,“ (welch 
letztere er im Gegensatz zu den übrigen Alveolen „les ter- 
minales‘ nennt). 

Es kann nicht der leiseste Zweifel darüber herrschen, dass 
Rossignol hier die später so benannten Bronchioli respiratorii 
und Alveolengänge gesehen und beschrieben hat. Den letzteren 
sind auch noch die kurzen, ebenfalls mit Alveolen dicht besetzten 
„tubes de r&union“ zuzurechnen, welche die ‚infundibulums ou 
entonnoirs‘ vereinigen: diese letzteren sind kleine, an der inneren 
Oberfläche mit etwas grösseren Alveolen ausgestattete 
Säckchen von der Form eines abgestumpften Kegels, welche 


22 Josef Müller: 


sich zu mehreren seitlich und terminal vorfinden. 
Die Trichterform dieser Endsäckchen ist beim älteren Individuum 
besser ausgeprägt als beim jugendlichen, am meisten ist sie es 
beim beginnenden Emphysem, bei welchem auch die Alveolen des 
Infundibulums am meisten aufgeblasen erscheinen. 

Über die Funktion der Alveolen äussert sich Rossignol, 
dass sie offenbar der Teil des Organs sind, welcher für die Blut- 
auffrischung bestimmt ist; es beweise dies das reiche Kapillar- 
gefässsystem, welches die Arteria pulmonalis liefert und welches 
bei der Injektion dieses Gefässes an den haardünnen Bronchien- 
zweigen da auftritt, wo diese sich mit Alveolen zu besetzen 
beginnen. 

Aus alledem sieht man, dass Rossignol den Bau der 
Lunge gekannt und beschrieben hat wie keiner vor ihm und 
auch die späteren Autoren haben, abgesehen vom respiratorischen 
Epithel, seinen Entdeckungen wenig Neues hinzuzufügen gehabt: 
Rossignol kannte unsere heutigen respiratorischen Bronchiolen, 
die Alveolengänge und deren aufgeblasene Enden, die Infundibeln, 
welche mit ihren von einem feinen, reichverzweigten Kapillarnetz 
umsponnenen Alveolen das (respiratorische) Parenchym der Lunge 
ausmachen. 

Bei der Prüfung der weiteren Entwicklung, welche die 
Erforschung des Lungenparenchyms genommen hat, kann man 
sich des Eindruckes nicht erwehren, dass die klassische Arbeit 
Rossignols nicht genügend bekannt war oder gewürdigt wurde; 
vielleicht auch, dass er nicht richtig verstanden worden ist. 

Unter andern hat z.B. E. Schulz (1850) dann für die 
feineren, beim Menschen ca. 1,5 mm weiten, knorpelfreien 
Bronchien den Namen Bronchiola angewendet und weiterhin die 
zwischen ihnen und den Infundibula verkehrenden Tubes de 
reunion die Petioli infundibulorum getauft; er will auch als 
erster die denselben vereinzelt ansitzenden Cellulae s. alveoli 
parietales gekannt haben. 

Kölliker (1852) hat wohl den Namen Alveolen acceptiert, 
sich aber bezüglich der von ihnen gebildeten Gruppen, Rossignols 
‚Infundibula“, in offenbarer Verkennung oder Unkenntnis der 
Rossignolschen Funde, dahin ausgesprochen, dass sie „den 
kleinsten Läppchen traubenförmiger Drüsen entsprechen, dass 
daher nicht die geringste Nötigung vorhanden“ sei, dieselben 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 23 


mit einem anderen Namen, also dem Namen Infundibula zu be- 
legen. Diesen Widerstand gegen den letzteren Namen hat 
auch v. Ebner (8) noch in der neuesten (VI.) Auflage der 
Köllikerschen Gewebelehre (1902) aufrecht erhalten und zwar 
mit dem gleichen Unrecht. Es heisst dort (S. 299): „Dieser 
Ausdruck beruhte auf der unrichtigen Vorstellung, dass jeder 
Bronchiolus sich plötzlich trichterförmig in einen birnenförmigen 
Sack erweitere (Infundibulum), der ringsum von Alveolen bedeckt 
ist, wie dies etwa im grossen bei der Lunge eines Frosches der 
Fall ist, die in der Tat einen ringsum mit wabigen Ausbuchtungen 
besetzten Sack darstellt. Tatsächlich gibt es aber in der Säuge- 
tierlunge solche Infundibula, wie sie der Vorstellung Rossignols 
zu Grunde lagen, nicht, sondern vielmehr, wie aus Fig. 1060 
und den nach Schnitten naturgetreu dargestellten Fig. 1063 und 
1066 ersichtlich ist, verzweigte Gangsysteme, welche ganz an 
tubulo-acinöse Drüsen erinnern. Als Trichter oder Infundibula 
könnte man höchstens die blinden, terminalen Enden der Alveolen- 
gangsysteme (Fig. 1060i) bezeichnen, was jedoch überflüssig ist 
und der von Rossignol entwickelten Vorstellung nicht genau 
entsprechend ist, da ja die plötzliche Erweiterung des Gang- 
systems nicht an diesen blinden Endästen, sondern am Übergange 
des Bronchiolus in die Alveolengänge sich findet.“ Ich sagte 
„mit dem gleichen Unrecht‘; denn Rossignol hat ja auch 
nur „die blinden, terminalen Enden der Alveolen- 
gangsysteme‘ als „Infundibula“ bezeichnet! 

Auch die folgenden Autoren haben die Alveolen im Sinne 
Rossignols beibehalten, aber schon Le Fort (1859) führte 
für die Bronche lobulaire den Namen Bronche interlobulaire, 
für deren Äste den Namen Bronche intercellulaire und für das 
Infundibulum den Namen Lobule secondaire ein. Wieder anderer 
Namen bediente sich für die ersteren und letzteren Teile 
Waters (1860), indem er sie intralobular branche bezw. airsacs 
nannte. Henle (1866) lässt in Anlehnung an die Arbeit 
Rossignols den in ein Läppchen in der Regel allein ein- 
tretenden lobulären Bronchus in vier bis fünf Endzweige, terminale 
Bronchien, zerfallen, deren letzte mit Alveolen besetzt sind, und 
ihnen die Rossignolschen Infundibula als ausgebuchtete 
Säckchen zu zwei bis sechs und mehr, übrigens nicht nur endständig, 
sondern auch seitlich, anhängen. 


24 Josef Müller: 


Eine für die Folge nicht ganz bedeutungslos gebliebene 
Abänderung in der Benennung der respirierenden Hohlräume 
der Lunge wurde von F. E. Schulze (1571) veranlasst, welcher 
die Darstellungen Rossignols und anderer französischer und 
englischer Forscher als der seinigen ähnlich bezeichnet (S. 465, 
Anm. 2). Er führte für die letzten mit Alveolen dicht besetzten 
Verzweigungen der Bronchien den Namen Alveolengänge 
ein, was den früheren Beschreibungen gegenüber einen ent- 
schiedenen Fortschritt bedeutete, indem dadurch die 
klare Darlegung der Verhältnisse ganz bedeutend erleichtert 
wurde. 

Ihm hat sich im wesentlichen und unter einigen hier nicht 
belangreichen Abänderungen Henle (1873 in der II. Auflage 
seiner Eingeweidelehre) angeschlossen. Dagegen hat Kölliker 
(25, 1881) zuerst darauf hingewiesen, dass beim Menschen und 
Hunde „das Gebiet der Teile, die beim Gasaustausch eine Rolle 
spielen, um ein erhebliches weiter hinauf gerückt werden muss,“ 
nämlich in das Bereich der mit respiratorischem Epithel und beim 
Menschen mit einzelnen, beim Hunde mit zahlreichen Alveolen 
ausgestatteten Bronchioli respiratorii als des weiteren Zwischen- 
stücks zwischen den Bronchiolen und den Alveolengängen. 

Wenn auch nicht zu verkennen ist, dass Kölliker in dem 
Nachweis des respiratorischen Epithels einen bedeutungsvollen 
Fortschritt in der Erkenntnis der feineren Struktur der Teile des 
respiratorischen Parenchyms der Lunge herbeigeführt hat, so hat 
er doch zu der Klarlegung der Morphologie desselben keinen 
nennenswerten Beitrag gegenüber Rossignol geliefert. 

Erst W.S. Miller, der (41, 1900, S. 206) nicht ganz mit 
Recht über die Verwirrung in der Nomenklatur der respirato- 
rischen Teile der Lunge absprechend urteilt, hat, abgesehen von 
der Umnennung der Infundibula in Luftsäckchen, Sacculi alveolares, 
Air-sacs, noch ein neues Element in die Reihe der respiratorischen 
Hohlräume eingefügt. Auf Grund seiner nach mikroskopischen 
Präparaten hergestellten Plattenmodelle führt jeder terminal etwas 
erweiterte Alveolengang zunächst durch runde Öffnungen in drei 
bis sechs annähernd sphärische Hohlräume, Atria, und erst diese 
hängen mit einer Anzahl grösserer und unregelmässigerer Säckchen, 
eben den Luftsäckchen, zusammen. Miller schiebt also zwischen den 
Schulze- und Köllikerschen Alveolargang und die Infundibula 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 25 


die Atrien als die Ausgangspunkte je einer Gruppe von Luft- 
säckchen (Rossignols Infundibula) ein und beschreibt diese als 
nicht röhrenförmige, sondern mehr oder weniger kugelige Hohl- 
räume, deren Wandungen der Muskelfasern entbehren und in 
ihrem Bau durchaus denjenigen der Luftsäckchen gleichen sollen; 
sie seien viel kleiner als die Luftsäckchen und ihre Ober- 
fläche genau so wie diejenige der Alveolargänge und der Luft- 
säckchen mit zahlreichen Alveolen besetzt. In dieser Darstellung 
begegnet Miller ein grosser Widerspruch gegenüber der (S. 204) 
vorausgegangenen Beschreibung der respirierenden Hohlräume, 
welche er als Ergebnis seiner früheren (43, 1892) Untersuchung 
wiederholt. Denn nach dieser fand er für den Hund, „dass der 
letzte Ast des Bronchus, den ich (Miller) „Terminal bronchus“ 
(Alveolargang) nannte, sich an seinem Ende etwas erweitert, ehe 
er sich in das Parenchym der Lunge auflöst. Aus diesem 
erweiterten Endstück des „Terminal bronchus“ führen drei bis 
sechs rundliche Öffnungen in annähernd sphärische Hohlräume, 
die „Atria“. Jedes Atrium wiederum hängt mit einer Anzahl 
grösserer unregelmässiger Hohlräume („Air-sacs“) zusammen, 
welche an ihrer Oberfläche kleine Vorbuchtungen („Air-cells“) 
tragen,“ während er (41, 1900) auf 5.205 zum Ausdruck bringt, 
„dass zwischen jedem Luftsäckchen und dem Alveolargang noch 
ein Hohlraum eingeschaltet ist, der sich regelmässig und in allen 
Teilen der Lunge findet.“ Es erhebt sich hiernach angesichts 
dieser auf zwei Seiten einander folgenden Darstellungen die 
Frage, sitzt an jedem Älveolargang nur ein Atrium und an diesem 
nur ein Luftsäckchen. oder sitzen an jedem Alveolargang drei bis 
sechs Atrien mit je einer Anzahl Luftsäckchen ? 

Über die Frage des Vorhandenseins oder Nichtvorhanden- 
seins des Millerschen Atriums hat sich seither noch Justesen 
(22) geäussert. Er führte seine Untersuchungen an der Lunge 
des Rindes aus. Bei diesem geht innerhalb des Lobulus der 
luftleitende Bronchiolus (Bronchiolus simplex) nach Abgabe eines 
rechtwinklig zur Seite gehenden, mit Alveolen besetzten Seiten- 
zweiges in dicht mit Alveolen besetzte Gänge, Bronchioli respi- 
ratorii, über, deren jeder unter dichotomischer Teilung wieder in 
zwei ziemlich spitzwinklig voneinander abzweigende respiratorische 
Bronchiolen zweiter Ordnung ausläuft; diese enden „plötzlich je 
in einer grossen Kavität (Atrium), wovon vier (nicht drei oder 


26 Josef Müller: 


mehr, wie Miller für den Hund, auch nicht sechs bis acht bis 
zehn, wie Waters für den Menschen angibt) blind endigende, 
kurze Schläuche (Sacei aörei) ausgehen.“ Das Atrium beschreibt 
dieser Forscher als einen Raum von wechselnder Grösse, der 
„bald wohl ausgesprochen und leicht zu sehen ist,“ bald „sich nur 
als eine geringe Anschwellung des Bronchiolus. dann weniger in 
die Augen springend,“ findet. Er erachtet es mit Miller als 
ein wohlausgebiidetes Element der Lunge, das eine eigene Be- 
nennung verdient und möchte es nicht einfach als die Ver- 
einigungs- oder Ursprungsstelle der letzten Zweige, der Sacei 
aörei, ansehen. Die Ursprünge dieser sind „oft von Wandstrecken 
einer gewissen Breite voneinander geschieden, welche man absolut 
als dem Atrium als solchem zugehörig ansehen muss“; übrigens 
entstehen diese erst nachträglich durch ein sekundäres Wachstum 
während des Fötallebens, während vorher eigentlich die ganze 
Wand des Atriums von den in den Saceci aörei einführenden 
Löchern eingenommen wird. Die Zugangsöffnungen zu den Luft- 
säckchen sind verhältnismässig eng; dann erweitern sich die 
letzteren bedeutend und schliessen mit einem einfachen oder 
geteilten Fundus ab. Übrigens sind die Atrien beim Rinde 
bedeutend grösser als die Luftsäckchen und nicht, wie nach Miller 
beim Hund, nur etwa halb so gross wie diese. 

Vergleicht man die jüngere Darstellung Millers, wonach 
an jedem Alveolengang drei bis sechs Atrien mit je einer Anzahl 
Luftsäckchen sitzen, mit derjenigen Justesens, nach welcher 
an jedem Alveolargang ein Atrium mit vier Luftsäckchen sich 
befinden, vergleicht man ferner die auseinander gehenden Angaben 
über das Grössenverhältnis zwischen Atrium und Luftsäckchen, so 
kann man, selbst im Hinblick auf die. verschiedenen Objekte — 
Hund und Rind — den aufkommenden Zweifel an der Identität 
des Millerschen und Justesenschen Atriums kaum unterdrücken 
und es fragt sich, ob die Atrien bei allen unseren Haustieren 
wirklich vorhanden sind oder nicht. 

Zur Entscheidung dieser Frage sowie zur Untersuchung des 
Lungenparenchyms überhaupt, können, abgesehen von der von 
W.S.Miller angewandten Platten-Rekonstruktionsmethode Borns 
zwei Wege führen: einmal die mikroskopische Untersuchung der 
Lufträume: diese wird an geeigneten, möglichst in der Achsen- 
richtung orientierten Schnitten durch Zuhilfenahme des respirato- 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 27 


rischen Epithels im Gegensatz zum Gangepithel Aufklärung 
bringen; sodann namentlich die Prüfung korrodierter Metall- 
ausgüsse. Über den Wert dieser Methode hat sich schon Toldt 
(71, 1888, 5.502) dahin geäussert, dass sich die Verteilung und 
Anordnung der terminalen Luftwege am besten an Korrosions- 
präparaten überblicken lasse und dass jeder, der in der Lage sei, 
sich solche anzufertigen, deren Einsichtnahme nicht versäumen 
möge. In der Tat konnte ich an den mit der Wickersheimer- 
schen Metallegierung nach der oben geschilderten Technik her- 
gestellten Lungenausgüssen einen guten Überblick über den 
Stand der Dinge gewinnen, da diese Korrosionspräparate nament- 
lich unter Zuhilfenahme des Stereomikroskopes die einzelnen 
Abschnitte des Hohlraumsystems in ihrer Form direkt er- 
kennen lassen. 

Hinsichtlich des neuen Luftraumes, des Atriums, war es 
mir nun weder an den Korrosionspräparaten noch an den Schnitten 
bei irgend einem unserer Haussäugetiere möglich, ihn als einen 
Luftraum sui generis zu bestätigen. Wenn auch da und dort 
einmal ein Alveolengang vor seiner Auflösung in die Infundibula 
eine buchtige Erweiterung zeigte, welche etwa dem „Atrium“ 
Justesens entsprechen könnte, so habe ich doch niemals 
zwischen jedem Infundibulum und dem Alveolargang, noch auch 
zwischen mehreren Infundibeln und einem solchen einen oder 
mehrere kugelige Hohlräume eingeschaltet gesehen, 
welche für das konstante Vorkommen der Millerschen 
Atrien sprechen könnten. Auch die zahlreichen wandständigen 
Infundibeln — für diese ist zwar das Vorhandensein eines 
Atriums nicht behauptet worden — habe ich den Alveolen- 
gängen stets ohne Vermittlung eines kugeligen Hohlraumes auf- 
sitzen sehen. 

Es ergeben sich somit für die Benennung der das respira- 
torische Parenchym ausmachenden Teile die Namen: Bronchioli 
respiratorii (besser: Brochiola respiratoria), Ductuli alveolares 
und Infundibula. In neuerer Zeit sind nun vielfach Stimmen 
laut geworden, welche eine Ausmerzung der letztgenannten Be- 
zeichnung verlangen. Wenn man eine besondere Benennung der 
seitlichen und terminalen Endverzweigungen der Alveolengänge 
für überflüssig erachtet, wie dies in den B. N. A. bereits geschehen 
ist, so kann man sich diesem Bestreben wohl anschliessen, denn 


J 


3% Josef Müller: 


es ist wahr, was auch Laguesse und d’Hardiviller (31) 
sagen, dass die kurzen, blinden Enden der Alveolengänge durch- 
aus nicht immer eine charakteristische Trichterform aufweisen, 
namentlich nicht bei mittlerem. wohl aber bei maximalem In- 
spirationszustand der Lungen. Will man aber den Ausdruck 
„Infundibulum“ eliminieren, weil er auf einer unrichtigen Vor- 
stellung beruhe oder zu einer solchen Veranlassung gebe, und 
will man ihn durch einen andern, wie Endbläschen, Luftsäckchen, 
Sacculus alveolaris und dergleichen mehr ersetzen, so kann man 
diesem Vorgehen nicht direkt Beifall zollen. Wir müssen zwar 
zugeben, dass Rossignol seinem „Infundibulum“ eine zu hohe 
Bedeutung beigemessen hat; dennoch besteht in der Tat kein 
zwingender Anlass zu einer unrichtigen Vorstellung, welche mit 
dem Namen „Infundibulum“ verbunden sein soll; hat ja doch 
auch ein guter Kenner der Verhältnisse, F. E. Schulze, an der 
Bezeichnung der „seitlichen und terminalen Endausläufer der 
Alveolengänge* durch den Namen „Infundibula“ nicht den 
geringsten Anstoss genommen. Ausserdem ist die klassische 
Arbeit Rossignols wohl wert, ausser durch die „Alveolen“ 
auch noch durch die „Infundibula® einen Denkstein in der 
Geschichte der Lungenforschung zu erhalten; man wird die kleine 
Ungenauigkeit, welche in der Formbezeichnung „Infundibulum“ 
liegt, dem Schöpfer dieses Namens um so eher verzeihen können, 
wenn man in Erwägung zieht, dass er seine schönen Untersuchungen 
an gut aufgeblasenen Lungen gemacht hat, und man wird dann 
davon Abstand nehmen, die Bezeichnung „Infundibulum“ mit einer 
anderen zu vertauschen. 

Die Art und Weise, in welcher sich die Gruppierung der 
respiratorischen Bronchiolen und Alveolengänge gestaltet, lässt 
sich wohl nirgends besser studieren, als an der Hand von korro- 
dierten Lungenausgüssen, namentlich, wenn man unter Zuhilfe- 
nahme des stereoskopischen Mikroskops die grösseren Läppchen 
mittels feiner Pinzetten sorgfältig im kleinere Teile zerlegt. 
Man kann sich dann von der Richtigkeit der Rossignolschen 
Angaben (S. 36) überzeugen, welche dahingehen: „La distribution 
des tubes a6driens dans le lobule pulmonaire, quoique tres variee, 
est soumise cependant a une loi constante; c’est que chacun 
d’eux, avec toutes les ramifications qui en proviennent et les 
infundibulums qui les terminent, est destine a former une partie 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 29 


distinete de son parenchyme, une sorte de petit lobule contenu 
dans le premier et n’ayant aucune communication directe avec 
lui, eomme il est facile de s’en assurer.“ — Dieser „petit lobule“ 
ist nichts anderes als das „primäre Lungenläppchen“, oder wie 
Rindfleisch (55, S. 348) will, der „Lungenacinus“. 

Bevor ich auf die Bedeutung des „primären Lungenläppchens“ 
näher eingehe, möchte ich auf die Widersprüche hinweisen, 
welche sich bezüglich dieses Begriffes in der Literatur finden 
Die einen verstehen darunter die Gesamtheit der aus dem 
Bronchiolus respiratorius entstehenden Alveolengänge und In- 
fundibula, während die anderen die „Infundibula“ allein als die 
primären: Lungenläppchen bezeichnen. Die Erklärung zu dieser 
‚auseinander gehenden Auffassung liegt darin, dass man die 
unrichtig aufgefassten Rossignolschen „Infundibula“ als primäre 
Lungenläppchen bezeichnete (Kölliker) und diese letztere Be- 
zeichnung nun auch auf die wirklichen „Infundibula“ im Sinne 
Rossignols übertrug. Ein Vergleich der beiden in Freys 
Histologie (11, 4. Auflage, 1874, 5.462) von F. E. Schulze und 
von Kölliker stammenden Abbildungen zusammen mit dem 
dortigen Texte wird die Richtigkeit meiner Behauptung ohne 
weiteres beweisen. 

Die Bedeutung des „primären Lungenläppchens“ anlangend 
— Sussdorf nennt dasselbe „Primärläppchen“ (65, S.511) — 
drückt sich Rindfleisch (l. ec.) dahin aus, es bilde „eine weit 
konstantere Einheit der Lungenstruktur als der Lungenlobulus. 
Konstant nämlich, was die Grössenverhältnisse betrifft.“ 

Auch Testut lässt, wie Merkel(39) berichtet, die letzten 
Zweige der intralobulären Bronchien mit Laguesse und 
d’Hardiviller in „Acini“ endigen. Die letztgenannten Autoren 
(31) kommen zu dem Schlusse: „que chaque bronche donne ä& 
son extrömit6 par une serie de bifurcations un bouquet de 
caneaux alvöolaires allong6s, tres ramifies et tres enchevetres, 
l’ensemble de ce bouquet (systeme de conduits alveolaires 
Schulze) formant l’aeinus de Rindfleisch et deChargot. Ce 
bouquet est dans notre acinus plus complexe encore que celui 
figure par Schulze.“ 

Das primäre Lungenläppchen — diese Bezeichnung ist der- 
jenigen „Lungenacinus“ entschieden vorzuziehen — ist in der 
Tat eine anatomische Einheit; es findet sich übereinstimmend 


30 Josef Müller: 


bei allen unseren Haussäugetieren (s. Tafel I, Fig. 5). Wenn es 
regelmässig gebildet ist, wie z. B. die unter der Pleura gelegenen, 
so hat es ungefähr die Form einer mehrkantigen Pyramide, deren 
Spitze — der respiratorische Bronchiolus — annähernd senkrecht 
über der ca. 1—3 qmm messenden Basis liegt, und es ändert seine 
Form je nach der Lage der Spitze. Dass auch die Basis in 
Form und Grösse variieren kann, ist selbstverständlich. An der 
Lungenoberfläche rufen die die einzelnen Primärläppchen ver- 
bindenden, feinen Bindegewebszüge eine mehr oder weniger 
deutliche Felderung hervor. An den Lungen des Rindes und 
Schweines verbinden sich die primären Läppchen zu grösseren, 
deutlich erkennbaren sogenannten Sekundärläppchen, während bei 
den übrigen Haussäugetieren die sekundäre Läppchenbildung nur 
unvollkommen ist oder auch ganz fehlt. 

Was die Verzweigung der Luftgänge innerhalb des Primär- 
läppchens anbetrifft, so sieht man den Bronchiolus respiratorius 
sich in gewöhnlich zwei Alveolengänge teilen. Diese verzweigen 
sich wieder, zeigen seitlich kurze, blind endigende, mit Alveolen 
dicht besetzte Säckchen — parietale Infundibeln — und lösen 
sich am Ende in eine Anzahl — zwei bis fünf — solcher — 
terminale Infundibeln — auf. Unterschiede lassen sich — und 
darauf hat zum Teil auch schon Rossignol hingewiesen — an 
den Lungen unserer Haussäugetiere insofern feststellen, als das 
Rind die kürzesten und am wenigsten verzweigten Alveolengänge 
besitzt; Pferd, Schwein und Katze weisen etwas längere Alveolen- 
gänge auf; diejenigen der kleinen Wiederkäuer und namentlich 
des Hundes sind die längsten, indem bei diesen Tieren der 
Alveolengang sich nicht selten dreimal verzweigt, weshalb das 
korrodierte Primärläppchen ein buschigeres Aussehen erhält. 
Die Angabe Justesens (22, S. 643), welcher beim Ochsen die 
Alveolen „mit einem Schlage über die ganze Wand verbreitet“ 
findet, kann ich nicht bestätigen. Ich fand vielmehr, ebenso wie 
Martin (36, Bd. 1, S. 437), welcher in Fig. 333 einen Bronchiolus 
respiratorius aus der Lunge des Rindes abbildet, dass an den 
Bronchiolen dieses Tieres die Alveolen anfangs auch vereinzelt 
auftreten. 

Man hat schon viel darüber gestritten, welchem Teilungs- 
prinzip die terminalen Luftgänge huldigen. In neuester Zeit ist 
es namentlich d’Hardiviller, welcher dem monopodischem Ver- 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 31 


zweigungsmodus das Wort redet, während Justesen die Lehre 
der strengen Dichotomie vertritt. Nach ihm nimmt die Dichotomie 
nur durch ungleiches Wachstum der Schwesterzweige, sowie durch 
successive Verschiebungen der Teilungsachsen das Aussehen der 
Monopodie an. Diese Art des Wachstums wird in der Botanik 
Sympodie genannt. 


Nach meinen Untersuchungen ist der Teilungsmodus der 
terminalen Lufträume keinem bestimmten Gesetze unter- 
worfen. Die Dichotomie findet sich zwar sehr gewöhnlich; 
daneben beobachtet man aber auch nicht zu selten das Vor- 
kommen durchaus ungleichwertiger Zweige, welche von einem 
Stamme ihre Entstehung nehmen, indem es z.B. Läppchen gibt, 
welche in der Mitte einen Alveolengang als Achse besitzen, von 
dem dann die übrigen Alveolengänge senkrecht abzweigen, 
ähnlich wie die Äste einer Tanne. Es ist nicht zu verkennen, 
dass die Raumverhältnisse den Teilungsmodus beeinflussen. Das 
einzige strenge Gesetz aber, welchem die Verzweigung der ter- 
minalen Lufträume unterworfen zu sein scheint, ist das offen- 
sichtliche Bestreben der bestmöglichen Raumausnützung. 


Das respiratorische Epithel. 


Der Zweck der Lunge, den Gasaustausch zwischen Blut 
nnd Atmungsluft zu bewerkstelligen, erfordert es, dass die 
trennende Wand zwischen den austauschenden Medien eine 
möglichst dünne ist. Diese Scheidewand wird dargestellt durch 
die Wand der Kapillargefässe, die Grundmembran der Alveolen 
und durch das lange Zeit unbekannt gebliebene respiratorische 
Epithel. Eberth und sein Schüler Elenz waren die ersten, 
welche die epitheliale Auskleidung des respiratorischen Parenchyms 
an Säugetierlungen mit genügender Klarheit beschrieben haben 
und Kölliker (25) hat die Verhältnisse beim Menschen zuerst 
klargelegt. Seitdem nun durch diese bahnbrechenden Unter- 
suchungen die Kenntnis des respiratorischen Epithels wissenschaft- 
liches Gemeingut geworden ist, gewinnt man aus manchen Arbeiten, 
die sich mit dem feineren Aufbau der Lunge befassen, den Eindruck, 
als ob dieses Epithel ohne Anwendung besonderer, sehr diffiziler 
Hilfsmittel zu sehen sei. Es scheint ganz in Vergessenheit 
geraten zu sein, dass unsere besten Histologen die grösste Mühe 


32 Josef Müller: 


hatten, dasselbe an Schnitten aus mit Silbernitrat gefüllten Lungen 
zur Anschauung zu bringen. Die Schwierigkeit der Darstellung 
dieser Epithelien aber besteht meiner Meinung nach heute noch 
so gut wie ehedem. Man sollte zwar meinen, dass der Nachweis 
der einen Fpithelzellart, der „kleinen, kernhaltigen, platten, 
rundlich polygonalen Zellen“ (Kölliker [25]), nicht so schwierig 
ist, wie derjenige der „grösseren, mannigfach geformten, an- 
scheiniend kernlosen, ganz dünnen Platten,“ welche die andere 
Art der epithelialen Auskleidung darstellen. Dies ist jedoch 
nicht der Fall. Denn an Schnitten, welche mit dem Gefrier- 
mikrotom hergestellt und nach einer Kernfärbung (mit Borax- 
karmin oder Hämalaun) in physiologischer Kochsalzlösung oder 
Glyzerin untersucht wurden, liessen sich eben so schwer wie an 
Balsampräparaten, die mit den verschiedensten Farbstoften gefärbt 
waren, die Epithelien der Alveolen nachweisen. Man kann Hunderte 
von Alveolendurchschnitten durchsuchen, bis man einmal eine 
mit einem kleinen runden Kern ausgestattete Zelle findet, welche 
der Membrana propria aufsitzend ins Lumen des Alveols hinein- 
ragt und sich dadurch als Epithelzelle dokumentiert. Und dann 
muss man sich noch die Frage vorlegen, ob man sich nicht durch 
die Endothelzelle einer gegen das Lumen des Alveolus vor- 
springenden Kapillarschlinge hat täuschen lassen. An Flächen- 
bildern der Alveolenwand ist es sehr schwer, um nicht zu sagen 
unmöglich, unter den vielen Zellen, welche man da zu Gesicht 
bekommt, eine Zelle zweifellos als Epithelzelle anzusprechen. 
Man sieht nur den Kern, den Kontur des Zelleibs jedoch sieht 
man nicht. Wenn man daher bei hoher Einstellung des Tubus 
eine Zelle ins Auge fasst, die man für eine Epithelzelle halten 
möchte, so ist man bei der Feinheit, Durchsichtigkeit und 
Strukturlosigkeit der Membrana propria nicht imstande, bestimmt 
zu sagen, ob die Zelle auf oder unter der Alveolarmembran liegt. 
Ähnlich verhält es sich mit einer Zelle, welche unter dem Alveolar- 
septum liegt. Man kann durch Heben und Senken des Tubus 
wohl konstatieren, dass über der fraglichen Zelle eine Kapillare 
oder eine elastische Faser hinweg zieht, dass sie also der 
Membrana propria des darunterliegenden Alveols anliegen muss; 
entscheiden aber, ob sie ihr innen oder aussen aufliegt, mit 
anderen Worten, ob es eine Epithelzelle ist oder eine andere, 
z. B. Bindegewebszelle, das können wir nicht. 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 33 


Es wird daher in den Lehrbüchern der mikroskopischen 
Anatomie mit Recht darauf hingewiesen, dass die Darstellung des 
respiratorischen Epithels sehr schwierig ist. So betont Toldt 
(71): „Die Epithelbekleidnng der terminalen Lufträume kann nur 
nach Imprägnierung mit Silbersalpeter (Injektion durch die 
Bronchien) deutlich zur Ansicht gebracht werden.“ 


Auch v. Ebner (8) bemerkt: „Das Epithel der Alveolen 
bei den Säugetieren ist ohne Anwendung des Silbernitrats nur 
schwer und unvollständig zu sehen, da auch bei guten Färbungen 
mit Eosin usw. die unterliegenden kapillaren Blutgefässe und die 
feinen elastischen Fäserchen in der Grundhaut der Alveolen die 
Konturen der Epithelzellen nur undeutlich hervortreten lassen. 
Namentlich sind die durchsichtigen kernlosen, sehr dünnen grossen 
Epithelplatten schwer zu erkennen, und es ist daher begreiflich, 
dass Henle noch 1866 den Lungenbläschen jede Epithel- 
bekleidung absprechen konnte.“ 


Angesichts dieser Schwierigkeiten, welche sich bei der 
Forschung nach der epithelialen Auskleidung der Alveolen in den 
Weg legen, ist es beinahe unverständlich, wie Hansemann (14) 
schreiben kann: „Auch in einer anderen Beziehung hat sich meine 
Kenntnis von den Alveolenporen erweitert. An günstigen Objekten 
kann man zeigen, dass, wie ich es früher vermutete, die Epithelien 
durch die Poren hindurch miteinander in Verbindung stehen. 
Zuweilen sind es nur Protoplasmafortsätze, die den scharfen Rand 
der Pore bekleiden, zuweilen liegt aber auch der Kern einer 
Epithelzelle auf der Kante des Randes.“ 


Das müssen schon ganz besonders günstige Objekte gewesen 
sein, an denen man das alles sehen kann! 


Wenn nun schon der Nachweis der kernhaltigen Epithel- 
zelle auf solche Schwierigkeiten stösst, so darf man sich nicht 
wundern, wenn die Erkennung der kernlosen, platten Epithelzelle 
ohne Anwendung besonderer Hilfsmittel unmöglich ist, da an ihr 
weder eine Struktur, noch ein Kontur zu erkennen ist, welche 
ihren Platz verraten könnten. Der Nachweis ihres Vorhanden- 
seins gelingt nur mit Hilfe der Silbernitratinjektion, wodurch ihr 
Kontur zum Vorschein kommt und zwar in Form eines weit- 
maschigen Netzes dunkelbrauner, mehr oder weniger gewundener 


Linien. An den Vereinigungspunkten der Grenzen mehrerer kern- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 3 


34 Josef Müller: 


losen Platten, also den Knotenpunkten jenes Liniennetzes, sieht 
man kleine, polygonale, dunkelbraun gefärbte Zellen, einzeln, meist 
aber zu mehreren beieinander liegen, welche den kernhaltigen 
Zelltypus der Alveolenauskleidung repräsentieren. 

Bei der Deutung der den Kontur der platten, kernlosen 
Epithelien darstellenden Linien wurde ich durch folgende Be- 
obachtung zu besonderer Vorsicht gemahnt. An der mit Silber- 
nitrat gefüllten Lunge eines 23 Tage alten Hundes fand ich 
nämlich auch die Endothelzellgrenzen und Stomata grösserer Ge- 
fässe versilbert, was offenbar auf eine Durchtränkung des Gewebes 
mit der Silberlösung zurückzuführen ist. Es ist klar, dass auch 
eine Versilberung der Endothelien der die Alveolen umgebenden 
Blutkapillaren eintreten und diese zu Täuschungen und Trug- 
bildern Veranlassung geben könnte. 

Wie fast allgemein angenommen wird, sind jene grossen, 
kernlosen, platten Epithelien eine Eigentümlichkeit der atmenden 
Lunge, und über ihre Entstehung besteht, wie Elenz und 
Kölliker (25) glauben, die Wahrscheinlichkeit, dass sie durch 
Verschmelzung kernhaltiger Pflasterzellen zustande kommt. „Beim 
Fötus,“ schreibt v. Ebner (8), „und bei Kindern, die noch 
nicht geatmet haben, sind nur einerlei Zellen vorhanden und 
zwar fehlen die charakteristischen, grossen, hellen Platten, was 
indessen von Sedgwdik Minot (im Lehrbuch der Entwicklungs- 
geschichte S. 308) in Abrede gestellt wird.“ Wie Sussdorf (65) 
angibt, hat Stieda diese platten Epithelien auch bei Schaf- 
embryonen nachgewiesen. Um über ihr Vorkommen bei Tieren, 
die noch nicht geatmet haben, einen Aufschluss zu erhalten, 
untersuchte ich Präparate aus der histologischen Sammlung des 
anatomischen Instituts, sowie solche, die mir Herr Prosektor 
Dr. Fritz bereitwilligst zur Verfügung gestellt hatte, und selbst 
angefertigte. Dabei fand ich, dass beim Katzenfötus von 9 cm 
Nacken-Steisslänge und bei einem jüngeren Kalbsfötus die Aus- 
kleidung der Alveolen aus kleinen, kubischen, kernhaltigen Zellen 
bestand, wie sie für fötale Lungen allgemein beschrieben werden. 
An der Lunge eines totgeborenen Fohlens und an derjenigen eines 
230 Tage alten Kalbsfötus, sowie eines totgeborenen Kalbes da- 
gegen liess sich der kontinuierliche kubische Epithelbelag nicht 
nachweisen. Die Verhältnisse lagen vielmehr so, dass die kleinen, 
kernhaltigen, ziemlich zahlreichen Epithelzellen zwischen sich 


(SB) 
(eb) 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 


Lücken zeigten, welche, wie man vermuten darf, mit den grossen, 
kernlosen Platten ausgefüllt waren. 

Nach diesen Befunden kann man wohl nicht den Vorgang 
der Respiration allein für das Zustandekommen der platten 
Epithelzellen verantwortlich machen; es muss vielmehr schon eine 
intrauterine Entstehung dieser Epithelien angenommen werden, 
welche in das Ende der Fötalperiode fallen dürfte. 


Die Membrana propria der Alveolen. 


Bei der Feinheit und Zartheit der Alveolarwand darf es 
nicht wundernehmen, wenn über ihren Bau, insbesondere über 
die Natur der Membrana propria die Meinungen noch geteilt sind 

So beschreibt sie F. E. Schulze (59) wie folgt: „Die 
Alveolarwand hat zur Grundlage eine helle, fast strukturlose, hie 
und da, besonders an dickeren Partien deutlich faserige Binde- 
gewebslage, in welcher sparsam und zerstreut länglichovale Binde- 
gewebskerne ohne bemerkbaren körnigen Hof vorkommen.“ 
(Henle, 1873. Eingeweidelehre, S. 292. Kommunikat. 291.) 

Nach Toldt (71) ist die „Membrana propria in den Alveolen- 
gängen leicht streifig, in den Alveolen selbst völlig strukturlos.“ 

Böhm und v. Davidoff (5) sagen nur: „Die Basalmembran 
des Epithels der Luftwege wird allmählich dünner und ist in der 
Region des Infundibulums kaum mehr wahrzunehmen.“ 

Szymonowicz (69) nennt sie eine dünne, strukturlose 
Basalmembran. 

Ellenberger und Günther (9) beschreiben sie als „ein 
dünnes, strukturloses Häutchen, in welches zahlreiche elastische 
Fasern und Kapillarschlingen eingelagert sind.“ 

v. Ebner (S) sagt von ihr, sie sei „ein dünnes Häutchen, 
das man als Fortsetzung der Faserhaut samt der Schleimhaut 
der Bronchien betrachten kann.“ 

Lesbre (33) bezeichnet sie als „une mince membrane con- 
junetive supportant le r&seau capillaire de l’hematose et doublöe 
exterieurement de tres nombreuses fibres &lastiques.“ 

Stöhr (61) schreibt ihr eine leichte Streifung zu und ihm 
schliesst sich Linser (34) an. 

Diesen Anschauungen über die Beschaffenheit der Membrana 


propria gegenüber hat Sussdorf (65) sie „als eine elastische Haut 
Bi 


36 Josef Müller: 


aufgefasst, weil es mir,“ wie er sagt, „an keinem der unter- 
suchten und in verschiedenster Weise behandelten Präparate mög- 
lich war, dort, wo die die Alveolarwand gut im Querschnitt ge- 
troffen, einwärts von dem Epithelium irgend eine andere Gewebs- 
form aufzufinden, als eben die elastische. Jederzeit präsentierte 
sie sich als eine einen meist ganz regelmässigen Ring bildende, 
glänzende, scharf konturierte, in ihrer äusseren Konturlinie häufig 
sich verzweigende Membran. Dass dieselbe nicht ganz kontinuierlich 
zu sein braucht und somit an ihre Stelle die bindegewebige Grund- 
lage des die Alveolarwand bedeckenden Gewebes treten kann, ist 
eine in der Natur der elastischen Häute überhaupt gelegene Eigen- 
tümlichkeit.“ 

Wenn es sich nun um die Untersuchung feiner Struktur- 
verhältnisse der Lunge handelt, verdienen Präparate, welche 
höchstens mit einem Kernfarbstoff gefärbt und in physiologischer 
Kochsalzlösung oder Glyzerin eingebettet sind, vor tingierten 
Balsampräparaten entschieden den Vorzug. Die vorbereitende 
Behandlung der letzteren bedingt nicht nur eine höchst unwill- 
kommene Schrumpfung des Objektes, welche die Elemente der 
Alveolarsepten bis zur Unkenntlichkeit ihrer natürlichen An- 
ordnung zusammenrücken lässt, sondern auch eine derartige Auf- 
hellung einzelner (ewebselemente, dass sie kaum mehr sicher 
diagnostiziert werden können. Die Ausgleichung der Licht- 
brechungskoöffizienten macht sich ganz besonders lästig gegen- 
über den elastischen Elementen der Lunge, welche im Balsam- 
präparat, wenn ungefärbt, so gut wie ganz verschwinden; hier 
muss an die Stelle der Balsam- die Glyzerineinbettung treten, 
wenn man nicht gar die Untersuchung in physiologischer Koch- 
salzlösung vorziehen will. 

An solchen Präparaten ‘sieht man die innere Umgrenzung 
der genau senkrecht getroffenen Alveolarwand ohne Vermittlung 
irgend welcher anderen Substanz als etwa gelegentlich einmal 
einer ganz niedrigen, kernhaltigen Epithelzelle von einer feinsten, 
doppelt konturierten, stark lichtbrechenden Linie erstellt, welche 
man als die Membrana propria ansprechen muss. Nicht eben 
selten kann man sich davon überzeugen, dass von dieser feinen 
Linie aus eine andere, gleich geeigenschaftete abzweigt, welche 
dann entweder in der Interalveolarsubstanz nach längerem oder 
kürzerem Verlauf endet, oder die ganze Breite des Alveolen- 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 37 


septum durchsetzend mit der Membrana propria des Nachbar- 
alveols in Verbindung tritt. 

Auch an Balsampräparaten, an welchen die elastischen Fasern 
nach der Weigertschen Methode und die Zellkerne mit Borax- 
karmin gefärbt sind, erscheint als innere Begrenzung des 
Alveolarraums unter der gleichen Bedingung, d. h. wenn die 
Alveolarwand gut im Querschnitt getroffen, eine 
dunkelblau gefärbte Linie, welche sich gegebenenfalls von Alveolar- 
membran zu Alveolarmembran hinbegibt und mit anderen Fasern 
ihrer Art in der Interalveolarsubstanz zusammenhängt. Auch die 
physiologische Aufgabe der Alveolen in ihrer mit der Ventilation 
der Lunge ex- und inspiratorisch wechselnden Weite fordert das 
Vorhandensein einer elastischen Grundmembran. 

Nach ihrer optischen Erscheinungsweise und ihrem färbe- 
rischen Verhalten gegenüber:der Weigertschen und Unnaschen 
Färbemethode kann über die elastische Natur dieser Substanz 
ein Zweifel nicht aufkommen. Und doch, so wird man zunächst 
einzuwenden berechtigt sein, muss es auffallen, dass nicht alle 
Alveolarräume von diesem glänzenden Ring umkreist erscheinen 
und dass, wenn er auch hier oder dort vorhanden, so doch 
nicht immer in ununterbrochener Kontinuität den Alveolarraum 
umgreift. Zur Aufklärung dieser Tatsache wird man auf eine 
Beobachtung zurückgreifen können, die jedem aufmerksamen Be- 
obachter hinlänglich bekannt ist. Die glatt abgeschnittene klare 
Glasscheibe, etwa ein unbeschliffener Objektträger, bietet nur in 
der reinen Kantenansicht den glänzenden Reflex des spiegelnden 
Glases; die geringste Neigung und Schiefstellung derselben lässt 
ihn sofort verschwinden und die durchsichtige, ungetrübte Flächen- 
ansicht zum Vorschein kommen. Das gleiche Verhalten zeigen 
mutatis mutandis die mehrblätterigen Sehnen- und platten Binde- 
gewebszellen; im Flächenbild vollkommen durchsichtig, bieten sie 
in der Kantenansicht bezw. dort, wo der Hauptplatte die zwischen 
zwei Sehnenfasern senkrecht in die Tiefe ziehende Nebenplatte 
aufsitzt, den glänzenden Reflex der spiegelnden Glasscheibenkante 
dar. Dieser aus den rein optischen Erscheinungen der elastischen 
Substanz entspringenden Auffassung von der Alveolarmembran 
als einem in ihrer Grundlage durchaus homogenen, rein elastischen 
Häutchen widerspricht auch die Tatsache nicht, dass die in ihrer 
Flächenansicht uns entgegentretende Alveolarwand etwa der Kugel- 


35 Josef Müller: 


kappe eines Alveols in dem nach Weigert gefärbten Präparat 
im Gegensatz zu dem tiefer blau erscheinenden Umfassungsringe 
nicht auch blaugefärbt sich präsentiert. Diese Erscheinung ist offen- 
bar so zu erklären, dass die Färbung der äusserst zarten Membran 
zu schwach ist, als dass sie unter dem Mikroskop selbst bei ge- 
ringer Vergrösserung zu sehen wäre. Auch an anderen elastischen 
Häuten tierischer Teile, deren elastische Natur keinem Zweifel 
unterliegt, zeigt sich das gleiche Bild. So präsentiert sich die 
Tunica elastica Intimae der feinsten Arterien nur in gut geführten, 
genau senkrecht zum Gefäss stehenden Querschnitt als eine feine, 
nach Weigert tiefblau gefärbte Linie welligen Verlaufes. Ist 
das Gefäss jedoch schief getroffen, so scheint sie verschwunden. 
Man sieht nur elastische Fasern und quer dazu verlaufende 
Muskelzellen; von einer diffusen Blaufärbung aber, wie man sie 
erwarten könnte, sieht man nichts. -Ein weiteres Analogon haben 
wir im Sarkolemma. Dieses ist nach Sussdorf (64) „eine 
elastische Scheide von sehr geringer Dicke und ganz homogenem 
Aussehen; von der Fläche gesehen, erzeugt es deshalb wie reines 
Spiegelglas gar keinen Lichteffekt, am Rande der Faser erscheint 
es gewissermassen im optischen Durchschnitt als scharfe, dunkle 
Linie, die sich durch deutlichen Kontur von der Umgebuug, etwas 
weniger markant von dem Inhalte abhebt.“ 

Hiernach darf die Grundmembran der Alveolarwand als 
eine durchaus homogene elastische Membran angesprochen 
werden ; morphologische und physiologische Tatsachen bezw. Gründe 
drängen uns darauf hin. Alles, was über ihre Struktur als 
Faserung oder Körnelung gesehen und geschrieben worden ist, 
bezieht sich auf die durch sie unvermittelt und ungetrübt erkenn- 
baren, geformten Elemente der interalveolären Substanz. 


Das elastische Stroma und die glatte Muskulatur 
des Lungenparenchyms. 

Bei der Atmung erfährt der Luftraum der Lungen eine 
abwechselnde Vergrösserung und Verkleinerung. Die Lungen 
müssen daher, um diesen Anforderungen gerecht werden zu 
können, eine grosse Dehnbarkeit und vollkommene Elastizität 
besitzen. Die materielle Grundlage für diese beiden Eigen- 
schaften bildet ein solides, elastisches Gerüst. Dieses nun hat 
bisher in den Lehrbüchern der Histologie zwar eine allgemeine 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 39 


Beschreibung gefunden. „Die elastischen Fasern,“ so schreiben 
Ellenberger und Günther (9), „umspinnen die Alveolen 
unter häufiger Teilung in allen Richtungen und verflechten sich 
an der Eingangsöffnung zu einem starken Ringe.“ Eingehendere 
Untersuchungen jedoch, welche den hohen Wert dieser Gewebs- 
art für die Funktion der Lungen gebührend würdigten, fehlen 
bei unseren Haustieren wenigstens. Über den Bau der elastischen 
Fasern in der Lunge des Menschen hat Linser (34) einen Auf- 
satz veröffentlicht, in welchem er auch desjenigen einiger Tiere 
(s. 0.) Erwähnung tut, ohne sich jedoch auf Einzelheiten ein- 
zulassen. 

Will man sich über die Stärke und Zahl der elastischen 
Fasern vergleichender Weise ein Bild machen und Aufschluss ver- 
schaffen, so muss man verschiedene Umstände berücksichtigen, 
denn das die Alveolen umspinnende elastische Gewebe zeigt je 
nach dem Dehnungszustand der Lunge eine andere Beschaffenheit. 
So sehen wir die elastischen Fasern in der stark ausgedehnten 
Lunge den gespannten Netzfäden eines Ballons vergleichbar in 
mehr geradlinigen Bogen verlaufen, während sie bei der retrahierten 
Lunge einen welligen Verlauf zeigen. Die gespannten Fasern 
werden naturgemäss dünner erscheinen müssen, während die ge- 
schlängelten dicker sind. Jene scheinen weniger zahlreich wie 
diese. Die Jugend der Tiere bedingt insofern einige Unterschiede, 
als bei jungen Individuen die elastischen Elemente weniger ent- 
wickelt sind als bei älteren. Dieser Unterschied gilt jedoch, wie 
Linser (34) angibt, nur für die ersten Lebenswochen. 

Die Anordnung der die Wand der terminalen Lufträume 
erstellenden Gewebe gestaltet sich im allgemeinen derart, dass 
unter dem Epithel, welches die oben beschriebene Membrana 
propria zur Unterlage hat, eine ganz zarte, längsverlaufende 
elastische Faserschicht gelegen ist. In den respiratorischen 
Bronchiolen und den Alveolargängen ist, wie Toldt (71) mitteilt, 
„deren Basis (Eingangsebene) durch einen kreisförmigen Zug 
dicht verfilzter elastischer Fasern gestützt, und von diesem 
zweigen sich einzelne dünne, gabelig verästelte Fäserchen ab, 
um über die ganze Wandung der Alveolen ein zartes Maschen- 
werk zu bilden. Ganz übereinstimmend verhalten sich die elastischen 
Fasernetze an den Alveolen, welche dicht aneinander gereiht 
die Wandungen der Endsäckchen zusammensetzen. Eine jede 


40 Josef Müller: 


derselben ist an ihrem Eingang von dem gemeinschaftlichen Hohl- 
raum her durch einen dichteren Zug elastischer Fasern umkreist, 
während an ihren Seitenteilen und an ihrem Grund einzelne, 
verzweigte Fäserchen ein weitmaschiges Netzwerk herstellen. 
Man kann sich von dieser Anordnung leicht überzeugen, wenn 
man zu einem aus frischem Lungengewebe hergestellten Zupf- 
präparat Essigsäure oder noch besser verdünnte Natronlauge zu- 
setzt. Es ist indessen zu bemerken, dass die Wandungen benach- 
barter Alveolen ganz gewöhnlich an den einander zugewandten 
Seitenteilen unter sich verschmelzen und daher ihre Lichtungen 
nur durch eine einfache Wandschichte (Alveolenseptum Fr. E. 
Schulze) getrennt sind. An erwachsenen Individuen und ins- 
besondere im höheren Alter kommt es sehr häufig zu einem 
mehr oder weniger ausgebreiteten Schwund dieser Scheidewände, 
so dass die Räumlichkeiten benachbarter Alveolen teilweise in- 
einander fliessen.“ 

So wie sie hier geschildert sind, gestalten sich die Ver- 
hältnisse auch bei unseren Haussäugetieren. Die elastischen Fasern, 
welche keine Regelmässigkeit in ihrer Anordnung erkennen lassen, 
variieren jedoch bei den einzelnen Tieren an Zahl sowie an Dicke. 
Im Hinblick auf die grossen Anforderungen, welche an die Lunge 
des Pferdes gestellt werden, könnte man bei diesem Tiere ein 
sehr kräftiges elastisches Stroma vermuten. Nicht mit Unrecht 
schreibt daher auch Linser (34): „Das Pferd, ein älteres, vor- 
wiegend zum schweren Zug verwendetes Tier, entsprach nicht 
ganz den Erwartungen, indem das elastische Gewebe hier nur 
ungefähr die Mächtigkeit des bei der Kuh geschilderten hat. 
Die Fasern im Stroma sind recht derb, dafür jedoch nicht so 
dicht angeordnet, was man auch daran erkennen kann, dass sie 
nur auf kurze Entfernungen zu verfolgen sind.“ Ich fand die 
Fasern nicht so dick wie beim Rinde; die derbsten hatten einen 
Durchmesser von 3,5 bis 4 «u. An Dichtigkeit stehen sie jedoch 
denjenigen des Rindes wenig nach. 

Das elastische Stroma der Lunge des Rindes weist sowohl 
die dicksten (5 & und darüber) als die zahlreichsten Fasern auf. 
Die Anordnung derselben lässt ebensowenig wie bei anderen 
Tieren eine Regelmässigkeit erkennen. An verschiedenen, nach 
der Weigertschen Methode 24 Stunden lang gefärbten, ziemlich 
dicken Schnitten, an denen die Kapillargefässnetze als bläuliche 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere, 41 


Schatten erkennbar waren, liess sich eine enge Anlehnung vieler 
elastischer Fasern an die Kapillaren feststellen, so zwar, dass 
die Fasern in den gleichen Windungen verliefen, wie die Kapillaren. 

Eine bedeutend feinere Faser. die nur 2 u stark ist, er- 
stellt das elastische Stroma der Lunge des Schafes; namentlich 
vermisst man bei diesem Tiere auch die kräftigen Faserringe 
um die Mündung (Basis) der Alveolen, welche hier, wie wir 
weiter unten sehen werden, durch Ringe glatter Muskelfasern 
ersetzt werden. Dasjenige der Ziege ist etwas derber, indem 
hier die Fasern eine Dicke von 3 « erreichen und auch zahl- 
reicher sind. 

Das. Schwein weist ein demjenigen des Pferdes ähnliches 
elastisches Gerüst auf. Die Hauptfasern, deren Dicke sich auf 
4 bis 4,5 « beläuft, sind eher noch etwas derber, als wir sie 
beim Pferde sehen. Die Faserverzweigung dagegen ist nicht so 
stark, weshalb das Netz, das die elastischen Fasern bilden, etwas 
weitermaschig erscheint. 

Beim Hunde lässt das elastische Stroma des Lungen- 
parenchyms einen ähnlichen Bau erkennen, wie wir ihn beim 
Schafe sehen. Die kräftigsten Fasern sind 3 « stark; sie sind 
sehr zahlreich und zeigen eine reiche Verzweigung. 

Das zierlichste elastische Fasernetz umspinnt die Alveolen 
der Katze; die starken Fasern sind ungefähr ebenso dick wie 
beim Hunde; die abzweigenden Fasern dagegen sind bedeutend 
feiner und erstellen ein sehr engmaschiges Netz. 

Ausser durch dieses elastische Stroma wird die Wand der 
feinsten Luftwege noch durch glatte Muskelfasern erstellt. Dass 
ring- oder halbringförmige Züge glatter Muskelzellen die 
Bronchiolen umgeben, haben wir schon oben gesehen. Aber 
auch die respiratorischen Bronchiolen, sowie die Alveolargänge 
zeigen Muskelfasern in ihrer Wand. So beschreibt Rindfleisch (54) 
dies Vorkommnis beim Menschen, indem er sphinkterenartige Ringe 
an der Mündung der Alveolen findet, welche diese umkreisen 
und in Form schleifenförmiger Faserzüge auf das Infundibulum 
ausstrahlen. 

Sussdorf (67) hat sich beim Rinde schon früher von einer 
ähnlichen Einrichtung überzeugen zu können geglaubt. Er 
schreibt: „An den Stellen jedoch, wo sich auf die Infundibula 
die Alveolen selbst mit ihrer etwas verengten Mündung aufsetzen, 


42 Josef Müller: 


erscheinen in Querschnitten durch die hier zusammenstossenden 
Infundibular- und Alveolarwandungen in dem von beiden ge- 
bildeten Winkel rundlich-ovale, zuweilen an einer Seite scharf 
zugespitzte Zellen mit deutlichem, die Zelle fast ganz aus- 
füllendem Kern, dessen Grösse ungefähr der Dicke jener Muskel- 
zellenkerne gleichkommt. Dies Bild liesse vielleicht darauf 
schliessen, dass auch rings um die Mündungen der Alveolen glatte 
Muskelfasern nach Art der Sphinkteren herumlaufen.“ 

Kölliker (25) findet beim Menschen ebenfalls eine solche 
Einrichtung. „Mit Leichtigkeit,“ so schreibt er, „liessen alle 
Alveolengänge zarte Züge glatter Muskelfasern in ihrer Wand 
erkennen, die vorwiegend zirkulär verliefen und ausserdem am 
Eingange einer jeden wandständigen Alveole und eines Infundi- 
bulum einen Ring bildeten, der wie ein Schliessmuskel erschien.“ 

Ähnliche Bilder wie die bisher beschriebenen fand ich auch 
an den Lungen der von mir untersuchten Tiere. Den bestaus- 
geprägten Schliessapparat fand ich an der Lunge der Katze und 
namentlich des Schafes. Hierselbst lassen sich Muskelringe von 
beträchtlicher Stärke an der Mündung von Alveolen erkennen 
(s. Taf. I, Fig. 3m ), welche, wie ich an Serienschnitten fest- 
stellen konnte, in Alveolgänge oder respiratorische Bronchiolen 
einmünden. Man sieht die verschiedensten Bilder: hier ein voll- 
kommen geschlossener Muskelring, dort nur Teile eines solchen; 
dann sieht man langgezogene Achtertouren, ein anderesmal ist 
das Lumen nur ein schmaler Spalt. Trifft man einen Alveolen- 
gang in der Längsrichtung, so sieht man im Querschnitt getroffene 
Alveolen, deren Septen an der Einmündungsstelle eine kolbige 
Auftreibung zeigen. Diese ist bedingt durch einige querdurch- 
schnittene glatte Muskelzellen, welche sich als solche dadurch 
manifestieren, dass sie in einem kleinen mit der Giesonschen 
Farbe gelbgefärbten Zelleib einen im Verhältnis zur Zelle grossen 
runden Kern zeigen. Zwischen den Muskelzellen dieser Ringe 
liegen noch feine elastische Fäserchen, wie man an mit Örcein 
gefärbten oder nach der Weigertschen Methode behandelten 
Schnitten sehen kann. 

Ob die glatten Muskelfasern sich bis in die Alveolarsepten 
fortsetzen, ist eine bis heute noch niebt entschiedene Frage. 
„Dafür sind,“ wie Sussdorf (65) berichtet, „serlach, Mole- 
schott, Colberg, Hirschmann und Pisoborme eingetreten; 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 43 


dagegen haben sich unter anderen F. E. Schulze, Frey, Henle, 
Kölliker und Toldt ausgesprochen. Für unsere Haustiere kann 
ich mich den letzteren Forschern mit der Einschränkung an- 
schliessen, dass glatte Muskelfaserelemente zwar nicht in der 
Membran selbst, wohl aber ganz dicht auf deren äusserer Ober- 
fläche, besonders aber in jenen elastischen Fasernetzen gefunden 
werden, welche sich der Alveolarwand anlegen.“ 

An den von mir untersuchten Lungen konnte ich mich nur 
beim Schaf und Rind vom Vorhandensein vereinzelter, glatter 
Muskelzellen überzeugen, welche an der äusseren Oberfläche der 
Membrana propria der Alveolen gelegen waren, wie Sussdorf 
sie beschreibt. 


Die Poren der Alveolen. 


Die in der letzten Zeit viel umstrittene Frage nach dem 
Vorkommen natürlicher feiner Öffnungen (Poren) in den Alveolar- 
septen der normalen Lunge steht nicht zum erstenmal auf der 
Tagesordnung der wissenschaftlichen Diskussion. v. Ebner (8) 
veilt mit, dass die Ansicht, wonach die Alveolen nicht in sich 
abgeschlossen seien, sondern miteinander kommunizieren, schon 
auf Malpighi zurückreiche. Henle (17, I. Aufl., S. 279) spricht sich 
mit den den meisten Bearbeitern der vorliegenden Frage offenbar 
entgangenen Worten „auch kommen Kommunikationen der ein- 
ander berührenden Alveolen durch Vermittlung kreisrunder, 
scharfrandiger Öffnungen vor“ unter all den früheren und 
späteren Forschern am unzweideutigsten für die Existenz der 
Poren aus; er berichtet zugleich auch in einer Anmerkung auf 
S. 280 von der Kontroverse zwischen Adriani (1847) auf der 
einen und Schultz (1850), Kölliker (24, DH. Aufl.) und Waters 
auf der andern Seite, nach welcher der erstere beim Menschen 
und Hirsch eine derartige Raumgemeinschaft nicht nur zwischen 
den Alveolen eines „Infundibulums“, sondern auch zwischen 
jenen benachbarter Infundibula beobachtet haben will. 

In neuerer Zeit hat Hansemann (13) auf Grund der von 
Kohn (23) beschriebenen Tatsache, dass bei der fibrinösen 
Pneumonie Fibrinfäden von einem Alveolus in den andern durch 
die Septen hindurchtreten, die Frage wieder aufgenommen und 
zu entscheiden versucht, ob diese Öffnungen ein normales Vor- 
kommnis in den Alveolarsepten sind, wie Hauser (1893, 16) an- 


44 Josef Müller: 


nimmt, oder ob sie, wie Ribbert (1594, 53) meint, pathologische 
Produkte sind. Zu diesem Zwecke füllte er Lungen verschiedener 
Tiere von der Trachea aus unter möglichst geringem Druck mit 
Berlinerblaugelatine und härtete sie in absolutem Alkohol; er 
fand dann, dass von der durch die wasserentziehende Wirkung 
des Alkohols stark geschrumpften Füllungsmasse zahlreiche Ver- 
bindungsfäden durch die Alveolenwandungen treten und mit der 
Masse der benachbarten Alveolen in Verbindung stehen. „Man 
kann sich dann,“ schreibt er, „durch Drehung der Mikrometer- 
schraube bei stärksten Vergrösserungen mit vollkommener Sicher- 
heit überzeugen, dass die Verbindungsfäden durch die Wand 
der Alveolen hindurchtreten und nicht etwa über oder unter 
dem Präparat verlaufen. Auch kann man an günstig gelegenen 
Stellen den optischen Querschnitt der Stomata sehen und sich 
überzeugen, dass hier Lücken der Wand bestehen und wahr- 
scheinlich in der Weise, dass Fortsätze der Epithelzellen durch 
diese Stomata hindurchtreten und mit den Zellen des andern 
Alveolus in Verbindung treten.“ 

Diese Befunde wurden unter v. Ebners Leitung durch 
Aigner (1899, 1) nachgeprüft: er gelangte zu der Ansicht, dass 
die von Hansemann beschriebenen Bilder zutreffen, dass sie 
aber so zu deuten seien, dass die Gelatinefäden nicht durch die 
Alveolenwandungen hindurchzieben, sondern über die Alveolar- 
septen hinweggehen. 

Seitdem hat sich eine Reihe von Forschern mit der Poren- 
frage befasst. So hält v. Ebner (S) die Methode Hansemanns 
nicht für einwurfsfrei, da auch in anderen Hohlräumen, z.B. 
Blutgefässen, Leim leicht zackig schrumpft; er konnte sich auch 
an mit Silberlösung gefüllten, sowie an mit Alkohol injizierten 
Lungen, von welchen letzteren die Schnitte stark mit Eosin 
gefärbt waren, vom Vorhandensein der Poren nicht überzeugen. 

W.S. Miller (41) kann die von Hansemann be- 
schriebenen Poren „um so weniger als normale Bildungen aner- 
kennen, als sich gegen seine Präparationsmethode schwerwiegende 
Einwürfe machen lassen.“ 

Laguesse und d’Hardiviller(30) haben bei einem 
26jährigen, kräftigen Menschen an einigen sehr seltenen Stellen 
Kommunikationen zwischen benachbarten Alveolen gefunden und 
betrachten daher dieses Verhalten, ebenso wie die Erweiterung 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 45 


gewisser Endalveolen, als eine Tendenz zum Emphysem. Obschon 
dieses Verhalten von einem gewissen Alter an sehr häufig sein 
mag, muss es als ein Anfang von Verletzung und nicht als der 
wirklich normale Zustand betrachtet werden. 

Diesen Befunden gegenüber werden auch Stimmen laut, 
welche sich für das Vorhandensein von Poren entscheiden. So 
kann Zimmermann (75) das Vorkommen der von Hanse- 
mann in den Alveolarwänden beschriebenen Öffnungen für die 
Katze auf das bestimmteste bestätigen. 

Hansemann (14), der inzwischen die Poren auch beim 
Menschen, beim Orang-Utang, beim Chimpanse, beim Mantel- 
pavian, beim Hund und bei der Maus gesehen hatte, tritt in 
einer Entgegnung an v. Ebner nochmals für seine Behauptungen 
ein und weist den Vorwurf zurück, lediglich auf Grund von 
Leiminjektionspräparaten auf das Vorhandensein von Poren ge- 
schlossen zu haben. Er findet auch, dass die elastischen Fasern 
zu den Poren keine konstante Beziehung haben, ebensowenig 
die Blutgefässe. 

Sudsuki (65) findet an dieken Schnitten oft zwei und 
noch mehr Poren in der Wand eines Alveols. „Ihre Ränder“, so 
schreibt er, „sind nicht mit elastischen Fasern umsäumt, die 
überhaupt in keinem regulären Verhältnis zu den Stomata 
stehen.“ Bei emphysematisch erweiterten Poren sieht er manch- 
mal auch die Ränder zum Teil von sehr feinen elastischen 
Fasern begrenzt. 

Nach Linser (34) zieht sich um die „Stomata, die kleinen 
direkten Verbindungen benachbarter Alveolen, gewöhnlich eine 
etwas dickere elastische Faser.‘ 

Auch Sobotta (60) und Nicolas (47) finden Poren in 
den Alveolenwänden. 

Merkel (39), welcher die Porenfrage eingehender erörtert, 
sah „an Celloidinkorrosionen von Lungen Neugeborener, an 
welchen die Alveolen nicht so innig ineinander greifen, wie an 
denen von Erwachsenen, solche Kommunikationen nicht, was 
jedoch nicht verwundern kann. Ein Präparat, so schreibt er 
weiter, welches ich der Güte von Hansemann verdanke, und 
welches ich mit dem stereoskopischen Okular untersucht habe, 
zeigt, dass zweifellos die Mehrzahl der Leimfäden über die Septa, 
welche benachbarte Alveolen trennen, hingehen. Einige Biider 


46 Josef Müller: 


aber legen doch die Annahme nahe, dass es auch Leimfäden 
gibt, welche Alveolenwände durchsetzen. An der Lunge einer 
jungen Katze, welche mit Silber injiziert worden war, hatten 
neben einer wohl gelungenen Färbung der Begrenzungslinien der 
Epithelzellen auch die Wände der Alveolen im ganzen einen 
bräunlichen Ton angenommen. Dadurch war es möglich, helle 
Löcher in denselben wahrzunehmen, welche bald grösser, bald 
kleiner waren und welche eine unregelmässige Form hatten. Da 
über die Existenz dieser Löcher nicht der geringste Zweifel 
obwalten konnte, war nur zu entscheiden, ob man es etwa mit 
Kunstprodukten zu tun hatte, oder ob es sich um präformierte 
Öffnungen handelte. Hierneben bilde ich eine solche durch- 
brochene Alveolenwand ab, an welcher nach meiner Ansicht die 
Löcher unmöglich als künstlich entstanden gedeutet werden können. 
Ganz Gleiches habe ich dann an einer von F. E. Schulze ver- 
silberten Kaninchenlunge der histologischen Sammlung meines 
Instituts beobachtet. Auch an einer nicht versilberten Lunge 
vom erwachsenen Menschen konnte ich solche Öffnungen sehen. 
Ich stehe deshalb nicht an, mich Hansemann, Nicolas, 
Zimmermann u. a. anzuschliessen, welche die Existenz der 
Löcher in der Alveolenwand für sichergestellt halten.‘ 

Nach Stöhr (61, S. 261) steht auch jede Alveole „mit ihren 
Nachbaralveolen durch eine sehr wechselnde Anzahl feiner Kanäle, 
sog. Poren, in offener Verbindung“, und er bildet in Figur 221B 
Poren in einer mit Silbernitratlösung gefüllten Lunge des 
Menschen ab. 

Um mich über das Vorhandensein von Poren zu informieren, 
ahmte ich die von Hansemann angegebene Methode an 
Kaninchenlungen nach. Die Bilder, die ich dabei erhielt, waren 
keineswegs geeignet, die Stomata in den Alveolensepten zur 
Anschauung zu bringen. Man sah wohl zahlreiche feine Leim- 
fäden an der Alveolarwand anhaften, durch dieselbe hindurch- 
treten aber nicht. Dagegen konnte ich an der Lunge eines 
zwei Jahre alten Schafes, bei welcher die Füllung der Alveolen mit 
absolutem Alkohol sehr gut gelungen war, Poren an Schnitten 
feststellen, die mit Hämalaun und nach der Hansenschen 
Methode gefärbt waren. Die Form der Poren, deren man an 
einem Oberflächenabschnitt bis zu drei zählte, ist kreisrund oder 
oval. Die Grösse der feinsten lässt sich der eines roten Blut- 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 47 


körperchens gleichstellen, die grössten haben den doppelten 
Durchmesser. An Präparaten, an denen die elastischen Fasern 
nach der Weigertschen Methode zur Anschauung gebracht sind, 
zeigen die Poren keine schärfere Umgrenzung als an anders 
tingierten Präparaten, und ich konnte ebensowenig wie Sudsuki 
(68) und Hansemann (14) Beziehungen der elastischen Fasern 
zu den Poren konstatieren, im Gegensatz zu Linser (34), welcher. 
wie oben erwähnt, um die Stomata gewöhnlich eine etwas dickere 
elastische Faser sich herumziehen sah. 

Bei weiteren Untersuchungen konnte ich auch an den 
Lungen der anderen Tiere, also des Pferdes, Rindes, Schweines, 
Hundes und der Katze Poren in der Alveolenwand feststellen. 
Die Hauptbedingung für das Sichtbarwerden der Stomata liegt 
nach meinen Beobachtungen weniger in einer gut ausgeprägten 
Färbung, als darin, dass die Füllung der Alveolen mit Fixierungs- 
flüssigkeit gut gelungen und die Alveolenwand dadurch gespannt 
ist. Es leuchtet wohl ein, dass eine so kleine Öffnung nur 
sichtbar wird, wenn ihr Lumen möglichst gross ist; dieses aber 
hängt von der Spannung der Alveolenwand ab. Die rosarote 
Färbung, welche die letztere durch Färbung nach der Hansen- 
schen Methode erhält, erleichtert es jedoch ganz wesentlich, die 
Poren dadurch deutlich zu sehen, dass durch sie rein weisses 
Licht hindurchfällt, während die umgebende Wand einen rötlichen 
Farbenton aufweist. 

Nach dem im vorstehenden geschilderten Verhalten der 
Alveolarwand stimme ich mit Hansemann u.a. darin überein, 
dass in ihr Öffnungen, „Poren“, vorkommen, welche die Alveolen 
untereinander verbinden. Zweifelhaft erscheint es mir indessen, 
ob die Hansemannschen nnd meine Befunde identische Vor- 
kommnisse darstellen. Nach meinen Präparaten sind dieselben 
nur an den dünnsten Teilen der Alveolarsepten, also an Stellen 
bemerkbar, in deren Bereich die nachbarlichen Alveolarwandungen 
sich ohne interalveoläre Substanz direkt berühren. Hansemann 
beschreibt sie dagegen als enge Kanäle und bildet sie in Fig. 1 
seiner ersten Veröffentlichung mehrfach als Poren ab, welche 
durch selbst recht kräftige Teile der Alveolarsepta hindurchgehen. 
Seine die Poren durchsetzenden Leimfäden treten in der gleichen 
Figur durchweg über die Alveolarsepta hinweg und scheinen bis 
auf einige wenige in einer Schnittebene zu liegen: es kämen 


48 Josef Müller: 


hiernach sechs bis zwölf solcher Poren auf eine Schnittebene in 
der Alveolarwand; nur ein einziges Mal scheint in der poren- 
reichen Stelle des abgebildeten Präparatabschnittes der Fig. 1 der 
betreffende Leimfaden gerade durch das Alveolarseptum hin- 
durchzutreten und nicht darüber hinwegzugehen, etwa so, wie 
dies an einer Stelle der Fig. 2 der Fall ist. Derartige Bilder 
zu konstruieren, wäre nach meinen Präparaten — NB. ich habe 
die Kommunikationsöffnungen nicht an Präparaten gesehen und 
dargestellt (s. Taf. I, Fig. 3), welche mit Leim gefüllte Alveolen 
geben, sondern an leeren Alveolen von Objekten, die in Paraffın 
eingebettet und mit diesem sofort auf den Öbjektträger aufge- 
klebt worden sind! — ein Ding der Unmöglichkeit. Ich habe 
sie vielmehr in weit geringerer Anzahl und nur an Stellen ge- 
funden, wo sich die Alveolarwand in ihrer Fläche etwa als Kappe 
(Oberflächenabschnitt) oder als über den Rand noch überhängender 
Wandabschnitt präsentiert. Wirkliche, feine Durchbohrungen, 
Löcher, in dem scharf durchschnittenen Alveolarseptum, das in 
Ringform den Alveolarraum umkreist, nach Art der in Fig. 2 
des Hansemannschen Aufsatzes wiedergegebenen (13), sind 
mir in meinen Präparaten nirgends begegnet. Das könnte ein 
Zufall sein, aber es wäre ein sehr eigenartiger, fast unverständ- 
licher Zufall, wenn die Zahl der Poren eine so grosse sein soll, 
wie man nach den Hansemannschen Abbildungen für die in 
einer Schnittebene vorkommenden Poren anzunehmen be- 
rechtigt wäre. 

Ich erachte es deshalb für zutreffend, das Vorhandensein 
von Poren in der Alveolarwand als eine normale Erscheinung an- 
zusprechen. Aber ich musste mir mit Rücksicht auf meine 
wechselnden Untersuchungsergebnisse die Frage vorlegen, ob die- 
selben als ab origine existierende Kommunikationen benachbarter 
Alveolen aufgefasst werden dürfen. Ich fahndete deshalb nach 
ihnen auch an Lungen ganz junger Tiere. Ich benutzte dazu 
die Lungen eines vier Tage alten Fohlens, eines vier Wochen 
alten Kalbes, eines 22 Tage alten Hundes und einer drei Wochen 
alten Katze, deren Alveolen dank dem obigen Verfahren aus- 
reichende Spannung zeigten. Hier fehlten die fraglichen 
Kommunikationsöffnungen durchweg. 

Hansemann hat das Alter seiner Versuchstiere nicht an- 
gegeben und auch in seiner Erwiderung an v. Ebner erwähnt 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 49. 


er diesen Umstand nicht. Um die Poren als wirklich normale 
oder physiologische Defekte anerkennen zu können, müsste ihre 
Existenz auch bei ganz jungen Individuen nachgewiesen sein. 
Wenn dieser Nachweis nicht gelingt, so wäre ihre Entstehung 
von der Funktion der Lungen abhängig zu machen, und man 
dürfte dann wohl mit Laguesse und d’Hardiviller sowie mit 
Henle (17, S. 279), der ihre spätere Entstehung mit den Worten 
„doch sind dies Anomalien, welche nur den Lungen reifer Indi- 
viduen angehören und von welchen es deshalb wahrscheinlich ist, 
dass sie die Folgen einer teilweisen Atrophie und Resorption der 
Lungensubstanz sind,“ besonders scharf zur Geltung bringt, an- 
nehmen, dass sie nicht wirklich normale Vorkommnisse, sondern als 
der Ausdruck von Verletzungen aufzufassen sind, 
die mit der fortgehenden Dehnung und Retraktion 
der Wand in Zusammenhang stehen und einer 
Atrophie oder Einreissung der unmittelbaren Be- 
rührungsstellen benachbarter Alveolarwandteile 
ihren Ursprung verdanken. Hiernach müsste auch ihre 
Zahl und Weite von dem mehr oder weniger anstrengenden 
Gebrauch der Lunge abhängig sein. 

In der Tat lässt sich dieses Verhalten an einem Präparat 
von einer zwei Jahre alten Katze im Gegensatz zu dem ganz 
jugendlichen Tiere nachweisen. Bei ihr kann man neben feineren 
Poren auch solche von grösserem Durchmesser sehen; um diese 
herum laufen teilweise elastische Fasern, wie sie auch Sudsuki (68) 
beobachtete. Übrigens kommt es auch nach Virchow (72) 
beim Menschen vor, dass sich bei geringen Graden von Emphysem 
solche Kommunikationen zeigen. Ebenso findet Stömmer (63) 
beim Pferde als ein Zeichen des Anfangsstadiums des Emphysems 
Defekte in der Wand der Alveolen. Und selbst Hansemann (14) 
gibt an, dass die Grösse der Poren mit der Blähung der Alveolen 
varliert. „Noch grösser“, schreibt er, „sind sie beim volumen 
pulmonis auctum und ganz besonders beim Emphysem.“ 


Die Pleura. 


In den Lehrbüchern findet man die Pleura allgemein als 
eine bindegewebige Membran beschrieben, welcher elastische 
Fasern beigemengt sind und die an der freien Oberfläche mit 


einem einschichtigen, platten Epithelium bedeckt ist. Linser (34), 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 4 


50 Josef Müller: 


welcher, wie bereits erwähnt, das Stroma der Lunge des Menschen 
und verschiedener Säugetiere (Rind, Kaninchen, Hase, Hund, 
Pferd, Schwein, Reh und Hirsch) untersucht hat, macht für das 
elastische Gewebe der Pleura viszeralis folgende Angaben: „Das 
elastische Gewebe der Pleura setzt sich aus einer Lage sich im 
spitzen Winkel kreuzender Fasern zusammen, die unter dem 
Pleuraöpithel gelegen ist. An den Kanten ist diese Schicht etwas 
verstärkt. Dann folgt eine Bindegewebsschicht hauptsächlich von 
kollagenem Gewebe gebildet und von feinen elastischen Fasern 
durchsetzt. Nach innen von dieser kommt noch ein dünner 
elastischer Faserzug von parallel zur Oberfläche verlaufenden 
Fasern, die im Zusammenhang mit den elastischen Fasern der 
Alveolen stehen. In die Lunge hinein ziehen ab und zu stärkere 
septenähnliche Fortsätze von elastischem und gewöhnlichem Binde- 
gewebe, jedoch sind dieselben beim Erwachsenen recht selten 
und relativ dünn, im Gegensatz zu den Lungen jugendlicher 
Individuen und Tiere.“ 

Den von Linser geschilderten Aufbau zeigt im allgemeinen 
auch die Pleura unserer Haustiere: sie besteht aus dem Epithel, 
der Propria Serosae, einer elastischen Faserlage und dem subserösen 
Gewebe. Aber die einzelnen Schichten weisen nicht nur bei den 
verschiedenen Haustieren, sondern auch individuelle Verschieden- 
heiten auf. Die individuellen Differenzen sind abhängig von dem 
Alter und dem Dehnungszustand der Lunge. Es ist selbstver- 
ständlich, dass die Schnitte absolut genau, senkrecht zur Ober- 
fläche stehende Durchschnitte sein müssen; nur sie gestatten 
eine wirklich massgebende Vergleichung. An der Hand solcher 
kann man nun nachweisen, dass die Bemerkung Linsers, wonach 
die in die Lunge hineinziehenden septenähnlichen Fortsätze beim 
Erwachsenen dünner sein sollen als bei jugendlichen Individuen 
auch für das subpleurale Gewebe gilt: auch dieses ist bei jugend- 
lichen Tieren viel mächtiger entwickelt als bei älteren. Ebenso 
ist das Epithel bei jungen Tieren als ein kubisches mit runden 
Kernen gut sichtbar, während beim älteren Tiere die Kerne der 
Zellen in grösseren Abständen, also seltener im Bilde erscheinen. 
Die Dicke des Lungenfells variiert ausserdem je nach dem Zustand 
der Ausdehnung, in welcher die Lunge sich befindet. 

Beim Pferde ist die Pleura so gebaut, dass unter dem 
Serosenepithel eine dünne Schicht gewöhnlichen Bindegewebes 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. al 


liegt, in welcher die elastischen Fasern fehlen. Darunter schliesst 
sich eine ziemlich dicke Lage dicht aneinander liegender elastischer 
Fasern, welche annähernd parallel zur Oberfläche verlaufen. Nun 
folgt eine lockere Bindegewebsschicht, welcher ziemlich reichlich 
elastische Fasern beigemengt sind, und welche die Pleura mit 
dem eigentlichen Lungengerüst verbindet. Die abgezogene und 
unter mässigem Zuge auf Kork ausgespannte Pleura zeigt die 
elastischen Fasern in verschiedener Dicke regellos unter- und 
übereinander hinweglaufend, ein dichtes, äusserst engmaschiges 
Geflecht erstellend 


Über die Pleura des Rindes hat Mayr (37) in einem auf 
der Naturforscherversammlung zu München gehaltenen Vortrag, 
welcher jedoch nur im Referat vorliegt, bekannt gegeben, „dass 
sich das elastische Gewebe unter der Serosa zu einer Platte von 
ansehnlicher Mächtigkeit verdichtet. Dieselbe liegt der Sub- 
serosa nach aussen hin auf und sendet spärliche Ausläufer in 
diese hinein. Das der Platte peripherwärts angelagerte Gewebe, 
welches das Serosenepithel trägt, entbehrt dagegen aller elastischen 
Elemente und ist nicht ganz von der Dicke der Subserosa. Wie 
die ganze Lunge von der elastischen Platte, so ist jedes Lungen- 
läppchen von einer verdichteten Lage elastischen Gewebes um- 
hüllt, von welch letzterem aus die elastischen Elemente ins 
Innere des Läppchens sich hineinziehen.“ 


Denselben Befund ergab die Untersuchung verschiedenaltriger 
Rinder. Nach Linser sendet die ziemlich starke Pleura der 
Kuh zahlreiche Septen ins Lungengewebe hinein. Diesen Angaben 
gegenüber muss hervorgehoben werden, dass das elastische 
Fasernetz der Pleura sich nicht an der Erstellung des inter- 
lobulären Gewebes beteiligt, dass dieses vielmehr mit dem sub- 
pleuralen Gewebe allein in Verbindung tritt (s. Taf. I, Fig. 4, e. F.). 
Das in der eben angeführten Weise hergestellte Flächenbild lässt 
erkennen, dass das elastische Fasernetz viel dichter geflochten 
ist und die Fasern gröber sind als beim Pferde. 


Das Schaf und ebenso die Ziege besitzen eine dem Rinde 
ähnlich gebaute Pleura, nur sind die elastischen Fasern zarter 
und die Platte ist vom Epithel durch eine weniger dicke Binde- 
gewebslage getrennt. Auch das subpleurale Gewebe ist nicht so 


stark entwickelt. 
4* 


52 Josef Müller: 


Beim Schwein bietet der Lungenüberzug sowohl hin- 
sichtlich der Anordnung der einzelnen Schichten als auch in 
Bezug auf die Stärke der elastischen Faserplatte dasseibe Bild 
wie beim Rinde. Auch das Flächenbild der Pleura gleicht dem- 
jenigen des Rindes. 

„Das elastische Stromagewebe des Hundes stimmt unge- 
fähr mit dem bei der Kuh überein, mit dem es auch die starke 
Entwicklung der Pleura gemein hat,“ schreibt Linser (l. e.). 
Diese Angaben widersprechen meinem Untersuchungsergebnis 
insofern, als ich nur eine feine elastische Faserschicht fand, 
welche vom Serosaöpithel durch eine schmale Bindegewebslage 
getrennt ist. Die mit Orcein gefärbte Pleura ist, von der Fläche 
gesehen, auch viel durchsichtiger als die des Rindes. Ferner zeigt 
das subseröse Gewebe lange nicht jene starke Entwicklung, wie 
wir sie beim Rinde sehen. 

Die zarteste Pleura unter unseren Haustieren hat entschieden 
die Katze aufzuweisen. was schon makroskopisch aus der grossen 
Durchsichtigkeit des Lungenüberzugs zu entnehmen ist. Die 
zarte, feinfaserige, elastische Gewebsschicht ist von dem Epithel 
nur durch einen feinen Bindegewebszug getrennt und wird durch 
eine zarte, dünne Subserosa mit dem Lungengewebe eng verbunden. 
Dies erklärt auch die Tatsache, dass beim Abziehen der Pleura 
nur zu leicht Lungengewebe mit weggerissen wird. 


Nachtrag. 

Vorliegende Arbeit wurde am 29. Juni 1905 der medizini- 
schen Fakultät der Universität Giessen zur Erlangung der 
veterinär-medizinischen Doktorwürde vorgelegt und später an 
den Verlag des Archivs für mikroskopische Anatomie und Ent- 
wicklungsgeschichte zwecks Aufnahme in diese Zeitschrift einge- 
sandt. Durch die Liebenswürdigkeit des Herrn Geheimrats Dr. 
Waldeyer, welcher die Arbeit begutachtete, wurde ich auf die 
von F.E. Schulze!) am 18. Januar 1906 in der Kgl. Akademie 
der Wissenschaften zu Berlin gelesene Abhandlung mit dem Er- 
suchen hingewiesen, diese noch in einem Nachtrage zu berück- 


!) Beiträge zur Anatomie der Säugetierlungen. Sitzungsberichte der 
Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften. Berlin 1906, Heft VI. 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 53. 


sichtigen. Ich komme dieser Aufforderung, für welche ich Herrn 
Geheimrat an dieser Stelle den geziemenden Dank auszusprechen 
mir erlaube, um so lieber nach, als ich in allen Streitfragen die 
Resultate meiner Untersuchungen in F. E. Schulzes Abhandlung 
bestätigt finde, wenngleich ich auch andererseits nicht umhin 
kann, bezüglich der dortselbst sich findenden geschichtlichen 
Angaben einige Einwände zu erheben. 


Um diesen letzteren Punkt vorwegzunehmen, führe ich 
folgende Stelle aus Schulzes Arbeit an: 


„Während, so schreibt er, die älteren Angaben über den 
Bau dieses respiratorischen Teiles der Lunge und seine Ver- 
bindung mit dem ausschliesslich luftleitenden Röhrensystem 
mannigfach differierten, fand um die Mitte des vorigen Jahr- 
hunderts die am klarsten im Köllikers „Mikroskopische 
Anatomie“, Bd. 2. II. I, Respirationsorgane, 1852, dargelegte Vor- 
stellung nahezu allgemeine Annahme, dass jedes der als 
„bronchioli“ bezeichneten letzten schmalen Endröhrchen des 
luftlieitenden Bronchiolbaumes in einen annähernd trichterförmigen 
blinden Endsack (seit Rossignol „infundibulum“ genannt) 
übergehe, welcher selbst allseitig mit kleinen polyedrischen 
nischenförmigen Aussackungen, den „alveoli‘“ besetzt sei.‘ 


Gegen diese Darstellung muss ich geltend machen, dass 
Rossignol (56) es war, welcher 5 Jahre vor Kölliker (1547) 
klarer und, was die Hauptsache, auch richtiger als dieser den 
Bau des respiratorischen Parenchyms der Lunge schriftlich nieder- 
gelegt hat; zum Beweise brauche ich nur auf meine obige 
Wiedergabe der Rossignolschen Funde hinzuweisen. 


Wenn sodann Schulze fortfährt (S. 225): „Gegen diese 
Auffassung habe ich mich im Jahre 1571 mit meiner Darstellung 
des Säugetierlungenbaues in Strickers „Handbuch der Lehre 
von den Geweben des Menschen und der Tiere“ gewandt, wo ich 
(a. a. O. S. 464--476) ein baumartig verzweigtes Kanalsystem 
beschrieb, dessen „ringsum mit Alveolen besetzte Gänge, die 
„Alveolengänge‘, wie ich sie nannte, mit den infundibula 
Köllikers (air-sacs Watters) als ihren letzten blinden sack- 
förmigen Endästcheu enden‘‘, so darf ich hierzu bemerken, dass 
wiederum nicht nur Rossignol diese Gangsysteme längst ge- 
kannt und beschrieben hat, sondern dass auch neben ähnlichen 


54 Josef Müller: 


Darstellungen anderer französischer und englischer Forscher 
deutscherseits eine solche von Henle (17) aus dem Jahre 1866 
vorliegt, welcher, wie oben angeführt, in Anlehnung an die 
Arbeit Rossignols den in ein Läppchen in. der Regel allein 
eintretenden lobulären Bronchus in vier bis fünf Endzweige, 
terminale Bronchien, zerfallen lässt, deren letzte mit Alveolen 
besetzt sind und die Rossignolschen Infundibula als ausge- 
buchtete Säckchen zu zwei bis sechs und mehr, übrigens nicht 
nur endständig sondern auch seitlich, tragen. Gleichwohl gebührt 
Schulze, wie bereits oben zum Ausdruck gebracht wurde, das 
grosse Verdienst, durch die Einführung der Bezeichnung 
„Alveolengänge‘“ zur Klarheit der Darstellung wesentlich beige- 
tragen zu haben. 

Bei der folgenden Besprechung der Untersuchungsergebnisse 
darf ich zunächst auf das Urteil Schulzes über die Ver- 
wendung von Metallausgüssen hinweisen. Es heisst (S. 229): 
„Andererseits habe ich auch gute Ansichten von den Hohlraum- 
verhältnissen des respiratorischen Teils der Lunge an Ausgüssen 
der zuvor mehr oder minder vollständig entlufteten Lunge mit 
leichtflüssigen Metallgemischen gewonnen, welche entweder über- 
all oder doch in einzelnen Regionen eine vollständige Füllung 
aller Lufträume bis in die Alveolen zeigen.“ 

Hierzu möchte ich noch bemerken, dass die „Entluftung“ 
der Lunge sich unschwer dadurch bewerkstelligen lässt, dass man 
der Luft durch feine, durch die Pleura hindurch gesetzte Nadel- 
stiche Gelegenheit gibt, vor der nachdringenden Metallegierung 
zu entweichen. 

Was das Verhalten der Bronchioli respiratorii an- 
belangt, so habe ich ihr Vorkommen in den Lungen unserer 
Haussäugetiere als Regel bezeichnet, trotzdem ich manchmal 
solche Bronchiolen nur äusserst spärlich und vielfach auch nur 
einseitig mit Alveolen besetzt sah. In diesen Fällen liess jedoch 
stets die störende Nachbarschaft von Gefässen oder Bronchien 
das Fehlen der Alveolen entschuldigen. 

Von dem Verzweigungsmodus der terminalen 
Lufträume sagte ich oben, dass er nach meinen Unter- 
suchungen keinem bestimmten Gesetze unterworfen 
sei. Schulze äussert sich über diese Fragt wie folgt (S. 230): 
„Die Art der Verzweigung ist sehr verschieden, sowohl bei den 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 55 


einzelnen Tierformen, als auch in ein und derselben Lunge. 
Häufig findet sich eine nahezu dichotomische Teilung mit gleich 
grossen oder mehr oder minder ungleichen Teilästen, in anderen 
Fällen gehen die Äste an beliebigen Stellen seitlich von einem 
grösseren Stamm ab; seltener geschieht es, dass von einer Stelle 
mehrere Äste zugleich ausgehen. Im allgemeinen wird 
man also die Verzweigung als unregelmässig zu be- 
zeichnen haben. Auch die Winkel, unter welchen die Gänge 
sich teilen, variieren oft in einer Lunge beträchtlich, von ganz 
spitzen bis zu nahezu 160°. Gewöhnlich beträgt der Teilungs- 
winkel 30°— 50°. 

Dasselbe gilt nun auch von der Art und Weise, wie die 
letzten blinden Endausläufer der Alveolargänge, die saceuli, durch 
Enndteilung oder als Seitenzweige dieser ihnen ja im wesentlichen 
hinsichtlich des Baues gleichenden Gänge entstehen. Gewöhnlich 
teilt sich ein Alveolargang terminal spitzwinklig in zwei, seltener 
in mehrere sacculi, die übrigen stehen als seitliche Ausläufer 
verschiedener Länge von den Zweigen verschiedener Ordnung 
unter verschiedenen. meist spitzen Winkeln distal ab.“ 

Wie bei der Frage des Teilungsprinzipes, so kam Schulze 
auch hinsichtlich des Millerschen Atriums zum gleichen 
Resultat wie ich. Er schreibt (S. 231): „Einen von Miller 
vor dem Übergang der Alveolargänge in die saceuli „‚entdeckten“ 
eigenartigen Hohlraum, welcher, ‚nicht röhrenförmig, sondern 
von mehr oder weniger deutlich kugeliger Gestalt“, ausser mit 
Alveolen mit einer Anzahl in ihn einmündender sacculi besetzt 
sein soll, kann ich als einen eigenen typischen Abschnitt des 
respiratorischen Apparates der Säugetierlungen daher nicht an- 
erkennen‘. 

Auch über das Vorkommen von Poren in der 
Scheidewand der Alveolen stimme ich mit Schulze, 
welcher (S. 238) solche als „glattrandige, kreisförmige oder 
ovale Löcher in den Alveolensepten‘‘ bei den Haussäugetieren 
„mässig häufig, aber immer ganz unregelmässig zerstreut“ „und 
zwar nicht nur bei alten, sondern auch bei ausgewachsenen 
jungen gesunden Tieren‘ gefunden hat, dann überein. wenn 
durch diese letztere Bemerkung dasselbe bezeichnet werden soll, 
was oben mit Henle (17, S.279) durch „reife Individuen“ zum 
Ausdruck gebracht wurde. 


56 Josef Müller: 


Zusammenfassung. 


1. Die einzelnen Haustiere weisen in Beziehung auf Zahl 
und Stärke der elastischen Fasern namentlich der Bronchial- 
schleimhaut erhebliche Verschiedenheiten auf; an der Spitze steht 
das Rind, dann folgen Pferd, Schwein, Ziege und Hund, Schaf 
und Katze. 

3. In den Bronchialknorpeln der Katze lassen sich elastische 
Fasern nachweisen. 

3. Die Drüsen der feineren Bronchien sind Schleimdrüsen. 
Sie unterscheiden sich bei den einzelnen Tierspezies durch Form 
und Anzahl der Drüsenschläuche, sowie durch die Form der 
Drüsenzellen. 

4. Die Schleimdrüsen können früher oder später als die 
Knorpelplatten aus der Bronchialwand verschwinden. | 

5. In der Faserhaut der Bronchiolen sieht man nicht selten 
halbmondförmig angeordnete Ansammlungen von Iymphadenoidem 
(zewebe. 

6. Die von Eber (7) in der Wand der Terminalbronchien 
der Schafslunge beschriebenen „schlauchförmigen Ausstülpungen“ 
bestehen nicht. Sie werden durch hohe Faltenbildung der Schleim- 
haut vorgetäuscht. 

7. Rossignol hat das respiratorische Parenchym nach 
seiner Form und Bedeutung sehr wohl gekannt 

8. Die Bezeichnung „Infundibulum“ ist vielfach falsch auf- 
gefasst und gebraucht worden. Rossignol hat darunter weiter 
nichts als die kurzen, mit Alveolen dicht besetzten Säckchen 
verstanden, welche sich an den Alveolengängen zu mehreren 
seitlich und terminal befinden. 

9. Das respiratorische Parenchym findet sich bei unseren 
Haussäugetieren übereinstimmend zu kleinen Läppchen, den 
„Primärläppchen“ oder „primären Lungenläppchen“ geordnet. 

10. Der Verzweigungsmodus der terminalen Lufträume ist 
keinem bestimmten Gesetze unterworfen. 

11. Das respiratorische Epithel ist ohne Anwendung von 
Silbernitratlösung nicht zu erkennen. Es besteht aus kernhaltigen, 
kleinen, polygonalen Zellen und grösseren, kernlosen, unregel- 
mässig geformten Platten. 

12. Die Membrana propria der Alveolen ist eine sehr feine, 
strukturlose, elastische Haut. 


u 
—I 


Histologie der. Lungen unserer Haussäugetiere. 


13. Die Alveolen werden von zahlreichen, sich vielfach ver- 
zweigenden, elastischen Fasern umsponnen, welche an deren 
Basis einen dichten Ring bilden. Stärke und Anzahl dieser 
Fasern wechseln je nach der Tierart. 

14. Um die Basis der Alveolen, welche in die respiratori- 
schen Bronchiolen und Alveolengänge einmünden, bilden glatte 
Muskelfasern einen sphinkterenartigen Ring. 

15. In den Alveolarsepten liessen sich beim Schafe und 
Rinde vereinzelte Muskelfasern nachweisen. 

16. Die von Hansemann erprobte Leiminjektionsmethode 
bietet für die Sichtbarmachung der Poren in den Alveolar- 
wandungen keine Vorteile. 

17. Diese Poren, welche sich bei nicht mehr ganz jugend- 
lichen Tieren unschwer nachweisen lassen, sind am besten an gut 
ausgedehnten Alveolen, deren Wand entsprechend gefärbt ist, 
zu erkennen. 

18. An den Lungen ganz jugendlicher Tiere waren die 
Poren auch unter den ebengenannten günstigen Bedingungen 
nicht zu sehen, weshalb ihr Auftreten, sowie ihre Zahl und 
Weite von dem mehr oder weniger anstrengenden Gebrauch der 
Lunge abhängig zu machen sein dürfte. 

19. Die Pleura unserer Haustiere besteht aus dem Epithel, 
der Propria Serosae, einer elastischen Faserlage und der Subserosa. 


58 Josef Müller: 


Literaturverzeichnis. 


Die mit * bezeichneten Werke waren im Originale nicht zugänglich. 


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alveolen. Sitzungsberichte der Kais. Akademie der Wissenschaften ; 
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6. v. Czylarz, C.: Über ein Pulsionsdivertikel der Trachea mit Bemerkungen 
über das Verhalten der elastischen Fasern an normalen Tracheen und 
Bronchien. Centralblatt f. allgem. Pathologie und patholog. Anatomie, 
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8. v. Ebner, V.: In A. Köllikers Handbuch der Gewerbelehre des Menschen, 
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9. Ellenberger und Günther: Grundriss der vergleichenden Histologie 
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10. Encyklopädie der mikroskopischen Technik. 1903. 

11. Frey: Handbuch der Histologie und Histochemie des Menschen 
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11a. Fuchs-Wolfring: Über den feineren Bau der Drüsen des Kehlkopfes 
und der Luftröhre. Archiv f. mikrosk. Anatomie u. Entw., Bd. 52, 1898. 

12* Guieysse: Sur quelques points d’anatomie des muscles de l’Appareil 
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13. Hansemann, D.: Über die Poren der normalen Lungenalveolen, 
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14. Derselbe: Über V.v. Ebners Zweifel an der Existenz normaler Poren 
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16. Hauser: Über die Entstehung des fibrinösen Infiltrates bei der 
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17. Henle, J.: Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. 
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18. 
19. 


38. 


39. 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 59 


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Kotzenberg: Zur Entwicklung der Ringmuskeln an den Bronchien 
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OÖppel: Der Respirationsapparat in Merkel und Bonnets Ergebnissen 
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Jena 1902. 


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Anatomie des Menschen. München 1902. 


. Stöhr: Lehrbuch der Histologie und der mikroskopischen Anatomie des 


Menschen. 1903. 


62. 


693. 


69. 


70 


us 
72. 
73. 


74. 


-] 
or 


Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 61 


Derselbe: Über Schleimdrüsen. Sitzungsber. der physiol.- medizin. Ge- 
sellsch. Würzburg 1884. 

Stömmer: Über das chronische vesikuläre Emphysem namentlich der 
Pferdelunge Deutsche Zeitschrift für Tiermediz. u. vergl. Patholog., 
XIII. Bd., 1888. 


Sussdorf, M.: Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Haustiere 
1. Bd. Stuttgart 1895. 


. Derselbe: in Ellenbergers Vergleichender Histologie der Haussäuge- 


tiere. 1887. 


. Derselbe: Eine mikrochemische Reaktion auf tierischen Schleim. Deutsche 


Zeitschr. f. Tiermedizin, 16. Bd., 1889. 


. Derselbe: Über die Lungenseuche des Rindes. Deutsche Zeitschr. f. Tier- 


medizin, -5. Bd., 1879. 


. Sudsuki, Konosuke: Über das Lungenemphysem. Virchows Arch., 


157. Bd., 1899. 


Szymonowicz: Lehrbuch der Histologie und der mikroskopischen 
Anatomie mit besonderer Berücksichtigung des Menschen einschl. der 
mikroskop. Technik. 1901. 


Teuffel: Zur Entwicklungsgeschichte der elastischen Fasern in der 
Lunge des Fötus und des Neugeborenen. Arch. f. Anat. u. Entwicklungs- 
geschichte. Jahrg. 1902. 

Toldt: Lehrbuch der Gewebelehre. 3. Aufl., 1888. 

Virchow: Berliner klinische Wochenschrift, Nr. 6, 1595. 

Weigert: Färbung der elastischen Fasern. Zentralblatt f. allg. Patholog. 
u. patholog. Anatomie, Bd. IX, 1898. 

Wickersheimer: Kurze Anleitung zur Verwendung der Wickers- 
heimerschen Flüssigkeit für anatomische Präparate mit einem Anhang 
über Metallkorrosionen. Berlin 1892. 

Zimmermann, W.K.: Über Anastomosen zwischen den Tubuli der 
serösen Zungendrüsen des Menschen. Anatom. Anzeiger, Bd. 18. 


62 


Fig. 1 


Fig. 2 


Fig. 3 


Fig. 4 


Fig. 5 


Josef Müller: Histologie der Lungen unserer Haussäugetiere. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel I. 


stellt den Querschnitt eines Bronchus von der Katze dar. Man er- 
kennt die einzelnen Schichten der Wand sowie. die zahlreichen in 
Gruppen beieinander liegenden Drüsenschlauchdurchschnitte. Die 
schwarzen Linien stellen die elastischen Fasern vor. E — Epithel; 
Pr —= Propria Mukosae; M — Muskularis; F = Faserhaut; D = Drüsen; 
K —= Knorpelplatten; N = Nerv; FG = Fettgewebe: a — Alveolen 
(Leitz, Ocul. 1, Obj. 3). 
zeigt einen Teil der querdurchschnittenen Bronchialwand vom Schaf 
(Färbung mit Boraxkarmin und nach der Weigertschen Methode). Man 
sieht die Anhäufungen von elastischen Fasern in den Falten der 
Propria und die Verschiedenartigkeit der Drüsenschlauchdurelischnitte. 
A — ampullenförmige Erweiterung des Drüsenausführungsganges; 
e = elastische Fasern der Propria; im übrigen sind die Bezeichnungen 
die gleichen wie oben. (Reichert-Wien, Ocul. 3, Obj. 5). 
bringt die Muskelringe um die Mündung der Alveolen im Alveolengang 
des Schafes sowie die Poren in den Alveolenwandungen zur An- 
schauung. m — glatte Muskelfasern; P — Poren; a — Alveolen. 
(Leitz, Ocul. 1, Obj. 7). 
bietet den Durchschnitt der Pleura des Rindes. Die elastische Faser- 
platte eF ist ein klein wenig schief getroffen, um ihren faserigen 
Bau zu zeigen. An absolut genauen Querschnitten sieht man sie 
beinahe als eine Linie. E — Epithel; Pr = Propria Serosae; s — Sub- 
serosa; il — interlobuläres Gewebe; J = Ende eines Alveolenganges 
(Rossiguols „Infundibulum“); a — Alveolen. (Reichert-Wien, Ocul. 3, 
Obj. 3). 

Sämtliche Bilder wurden mit dem Abbeschen Zeichenapparat nach 
den Präparaten gezeichnet. 
stellt ein korrodiertes Primärläppchen aus der Pferdelunge dar (nat. 
Gr. der Basis 15:1 mm, Höhe 2,5 mm). Um es plastisch zur An- 
schauung zu bringen, wurde es unter dem stereoskopischen Mikroskope 
gezeichnet und dabei nur von einer Seite (von rechts- und obenher) 
beleuchtet. Man sieht den Bronchiolus respiratorius und die reichen 
Verzweigungen der Alveolengänge mit den „Infundibeln“. 


63 


Geschlechtsbestimmende Einflüsse und Eibildung 


des Dinophilus apatris. 


Von 
Hans Freiherrn von Malsen. 


Hierzu Tafel II. 


T Perl 
Geschlechtsbestimmende Einflüsse. 


Nachdem mein hochverehrter Lehrer, Herr Professor Dr. 
Richard Hertwig, schon in den Jahren 1902 und 1903 in der 
bayrischen Akademie der Wissenschaften zu München seine Ansicht 
über ein bestehendes Wechselverhältnis zwischen Kern und 
Protoplasma vorgetragen hatte, entwickelte und begründete er 
seine neue Theorie der Kernplasmarelation zum ersten Male 
eingehender vor der fünfzehnten Jahresversammlung der Deutschen 
zoologischen Gesellschaft zu Breslau im Juni 1905. 

Welch hervorragende Tragweite den von R. Hertwig 
ausgesprochenen (sedanken für unsere Kenntnis von der Zelle 
überhaupt, für das so viel umstrittene, bisher aber noch voll- 
kommen dunkle Geschlechtsproblem im besonderen zukommt, 
brauche ich, sein Schüler, wohl nicht zu erörtern. 

In vorliegender Arbeit nun sind die Ergebnisse eines der 
zahlreichen Versuche niedergelegt, die im Laufe der letzten 
Jahre zur Aufklärung der geschlechtsbestimmenden Einflüsse im 
Münchener zoologischen Institut unternommen wurden. 

Wenn meine persönliche, im folgenden entwickelte Ansicht 
in manchen Nebenpunkten von der Hert wigs abweicht, und 
auch seine Theorie erst am Schlusse besprochen wird, so liegt 
der Grund hierfür hauptsächlich darin, dass ich bei meinen 
Untersuchungen auf die Ergründung der Kernplasmarelation nicht 
Rücksicht genommen habe und zwar aus dem einfachen Grunde, 
weil mir diese Ansichten mit ihrer näheren Begründung erst 
nach Abschluss der Experimente genauer bekannt wurden. 

Als Versuchsobjekt wählte ich auf Anregung meines Lehrers 
den, systematisch eine Mittelstellung zwischen rhabdocölen Tur- 
bellarien und Archianneliden einnehmenden Wurm Dinophilus 
apatris. Der hochgradige Geschlechtsdimorphismus dieses Tieres 


64 Hans Freiherr von Malsen: 


spricht sich schon im Ei aus, so dass es in diesem besonderen 
Falle möglich ist, von männlichen und weiblichen Eiern zu reden. 
Beide unterscheiden sich sehr auffallend durch ihre Grösse. 
Meine Messungen an konserviertem Material ergaben durch- 
schnittlieh: 


weibliche Eier . . . 0,113 mm lang 
« . 0,086 „, dick 
männliche Eier . .. .. 0,036 ,„ lang 
er. 220.030 Eee 


Die extremsten von mir, an Eiern der Zimmerkulturen, 
genommenen Maße betragen: 


weibliche Eier . . . 140 u Länge 
u R 100 u Dicke 
und ohne unN8shb krEänge 

rt 66 «u Dicke 

männliche Eier . . . 46 « Länge 
u ana yT 33 « Dicke 
und.ur. 817% 33 « Länge 


Si alnkeny] "apa Dicke 

Wie man sieht, sind die Grössenschwankungen, besonders 
der weiblichen Eier, recht bedeutend. 

Die Eier der Kälte- und Wärmekulturen zeigten im 
wesentlichen die gleichen Maße. 

Die Angaben von Korschelt und Nelson stimmen mit 
obigen überein. Ersterer gibt für die weiblichen Eier als 
Durchschnitt 0,111 mm Länge und 0,092 mm Dicke, letzterer als 
Durchmesser derselben 97,66 « an. 

Ähnliches ist bei gewissen Rotatorien, z. B. Hydatina, bei 
Phylloxera und Bombyx mori der Fall, ohne dass jedoch der 
(rrössenunterschied der Eier so regelmässig ausgeprägt ist wie 
bei Dinophilus. Die Wintereier der Daphnoiden, aus denen stets 
Weibchen hervorgehen, sind ebenfalls durch besondere Grösse 
vor den Sommereiern ausgezeichnet. 

Die männlichen Eier des Dinophilus machen meistens einen 
kugelrunden Eindruck, während die weiblichen oval sind. In der 
Coconhülle, besonders aber im Mutterleibe, liegen die Eier jedoch 
so eng beisammen, dass die weiblichen durch gegenseitige 
Kompression eine sehr unregelmässige Form erhalten. Die 
männlichen bewahren in der Regel ihre Gestalt, weil sie gewöhnlich 


Dinophilus apatris. 65 


in irgend einer freien Ecke, manchmal zwischen den weiblichen, 
häufig am Rande des Geleges, Platz finden. Im Laufe meiner 
Untersuchungen fand ich mehrfach Eier, die eine mittlere Grösse 
zwischen beiden Arten hatten (vergl. die Maße), auch diese 
waren jedoch stets sicher als weibliche Eier anzusprechen. 

Die Eier werden zu mehreren in einem Gelege vereinigt, 
das fast ausnahmslos männliche und weibliche enthält und sich, 
bei seiner Ablage ins Wasser, mit einer gallertigen, durchsichtigen, 
ziemlich zähen, aber elastischen Hülle umgibt. 


Kultur- und Untersuchungsmethode. 


Das Material stammte aus der zoologischen Station zu 
Triest. Es kam Anfangs Juni 1904 in München an. In den 
mittelgrossen Einmachgläsern, die mit Seewasser und Algen 
gefüllt, zum Versand gedient hatten, schienen sich die Tiere 
sehr wohl zu fühlen und vermehrten sich bald lebhaft. Ich 
fütterte sie mit Fleisch von Anadonta mutabilis. Diese Nahrung 
wurde offenbar sehr gerne angenommen. Der Darm der Weibchen 
war stets gefüllt mit dem rötlichen Futter. Ausserdem fand 
ich häufig Diatomeen im Darm, die jedenfalls von den Wänden 
der Kulturgefässe aufgenommen wurden. Das Fleisch tränkte 
ich zuerst mit Seewasser und verteilte es dann in kleinen 
Stückchen am Boden. Besonders die schon stark angefaulten 
Brocken waren stets von zahlreichen Dinophili besucht. In den 
Wärmekulturen und in kleinen Gefässen, hauptsächlich den Uhr- 
schälchen, bildete sich häufig an der Wasseroberfläche ein dicker 
Bakterienschleim, der über Nacht auch oft den Boden und die 
Wände des Behälters überzog. Die unerwünschte Folge davon 
war stets das Eingehen der Kultur. Ich suchte später die sich 
bildenden Bakterienmassen immer sofort herauszufischen. In der 
Regel gelang es auch ihr Überhandnehmen zu verhüten. Die 
grossen Gläser wurden von Zeit zu Zeit durchlüftet, eine Prozedur, 
während der sich die Würmer in den Schlamm zu verkriechen 
pflegten. 

Da die Tiere stets die dunkelste Stelle ihres Behälters auf- 
suchten, schützte ich die Gläser nach Möglichkeit vor Licht. 
Ihre grosse Empfindlichkeit dagegen war gut zu benützen für 
den Fang. Sowie ich nämlich ein Uhrschälchen aus dem Dunkeln 


ins Helle brachte, kamen alle, bisher im Bodenschlamm ver- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. D 


66 Hans Freiherr von Malsen: 


borgenen Weibchen, eilfertig an die Stelle des Wasserrandes 
gekrochen, die am weitesten vom Lichte abgewendet war. Hier 
konnte ich bequem unter der Standlupe die ganze Kolonie zählen 
und die gewünschten Tiere herausfangen. 

Im allgemeinen bietet Dinophilus der Kultivierung keine 
besonderen Schwierigkeiten. Die Kulturen hielten sich jedoch 
in etwas grösseren Gefässen bedeutend besser als in Uhrschälchen. 
In mancher Beziehung wäre es erwünscht gewesen, Weibchen 
längere Zeit einzeln zu halten und ihre Gelege zu zählen. Mit 
solchen Einzelkulturen erzielte ich jedoch keine Erfolge. Die 
Tiere starben stets sehr bald. Aus diesem Grunde ist es mir 
leider auch nicht möglich, die Zahl der von einem Weibchen in 
einer bestimmten Zeit und in den verschiedenen Temperaturen 
abgelegten Eier genau anzugeben. Die Unterschiede in der 
Häufigkeit der Eiablage bei verschiedenen Temperaturen sind 
jedoch so bedeutend, dass die später zu erwähnenden Angaben 
hierüber auch ohne genaue Zählung vollständig zuverlässig sind. 

In den grossen Versandgläsern hatten sich die Würmer 
einige Male so stark vermehrt, dass ich die Kolonie in 2—3 
Gläser verteilte. Merkwürdigerweise gediehen sie aber in den 
neuen Behältern nicht. In kürzester Zeit war in diesen kein 
Wurm mehr vorhanden, obwohl alle Existenzbedingungen an- 
scheinend unverändert geblieben waren. Ende Juni dieses Jahres 
starben sämtliche Kulturen ohne sichtbaren Grund ab, nachdem 
sich die Stammzuchten ein Jahr lang gut gehalten und fortge- 
pflanzt hatten. 

Bei Nelson finde ich die Angabe, dass Dinophilus im 
freien Meere bei Eintritt des warmen Wetters zu verschwinden 
pflegt. Er glaubt, dass nur einzelne Tiere während des Sommers 
die Art erhalten. Die Steigerung der Wärme auf mehr als 
24°C wurde im Aquarium durchgehends sehr schlecht vertragen. 
Die bei Kältekulturen angewandte Temperatur von durchschnitt- 
lich 13°C schadete meistens nicht. Eine, anfangs aus zirka 
50 Weibchen bestehende Kolonie hielt sich vom 20. Februar bis 
zum 11. April und vermehrte sich ansehnlich. 

Eigentümlich, aber für die Beobachtung sehr günstig, war 
die Art, wie die Weibchen ihre Eier ablegten. Eine grosse 
Anzahl Cocons fand sich stets im Bodenschlamm oder auf den 
Algenblättern verstreut. Weitaus der grösste Teil der Gelege 


Dinophilus apatris. 67 


wurde aber an die Glaswand der hohen Zuchtgefässe, und zwar 
am äussersten Wasserrande, abgesetzt. Zu Zeiten reger Lege- 
tätigkeit fand sich hier ein 1—2 mm breiter, weisser Streifen, 
der aus vielen Hunderten von Gelegen bestand. 

- Die Zählung der Eier in den Gelegen erfolgte auf dem 
Objektträger unter dem Mikroskop mit Leitz Oc. 1, Obj. 3. Die 
weiblichen Eier erscheinen im durchfallenden Lichte undurch- 
sichtig, gelblich weiss, die männlichen durchsichtig und fast 
wasserhell. Im auffallenden Lichte, das stets zur Kontrolle an- 
gewendet wurde, sind die weiblichen Eier glänzendweiss, die 
männlichen mehr grau. Um die männlichen sicher erkennen zu 
können, ist es unbedingt notwendig, das Gelege nach allen Seiten 
hin zu drehen. Da nämlich die weiblichen Eier durch die 
darüber liegenden durchsichtigen, männlichen hindurchscheinen, 
werden letztere leicht übersehen. 

In den späteren Zeiten meiner Versuche hielt ich die 
Kulturen in 8 cm hohen, rechteckigen Gläsern, auf deren Öffnung 
gerade ein Objektträger passte. Wenn ich diesen nun mit dickem 
Vaseline an den Gefässrändern befestigte und das, bis zum Rande 
mit Wasser gefüllte Gefäss damit fest schloss, war es ganz gut 
möglich, das Glas auf die Seite unter das Mikroskop zu legen 
und die an den Wänden abgelegten Eier mit leidlicher Genauigkeit 
zu zählen. Störende Unebenheiten der Glaswand lassen sich 
durch einen Tropfen Immersionsöl leicht ausgleichen. Für ge- 
naue Zählungen eignet sich jedoch diese Methode nicht. 


Versuche. 


Die Versuche wurden in der Weise durchgeführt, dass in 
der Zimmertemperatur mit 19°C, im Thermostaten mit 26°C 
und in der Kühlkammer mit 13°C je ungefähr 50 Weibchen 
als Hauptkultur gehalten wurden. Daneben dienten stets mehrere, 
ebenso grosse Parallelkulturen, sowie einige Uhrschälchen mit 
nur einem oder ganz wenigen Weibchen in allen Temperaturen 
als Reserve und zur Kontrolle. 

Die niedrige Temperatur für die Kältekultur wurde im 
Sommer durch das Wasser der städtischen Leitung erzielt, das 
die feuchte Kammer überrieselte und eine durchschnittliche 
Temperatur von 14°C hat. Von Mitte Juli bis Ende August 
vorigen Jahres stieg die Zimmertemperatur infolge der ausser- 


5* 


68 Hans Freiherr von Malsen: 


ordentlichen Sommerhitze auf durchschnittlich 24°, so dass 
während dieser Zeit in den Zimmerkulturen keine Zählungen 
vorgenommen werden konnten. Diesen ersten Sommer über- 
standen die Kulturen gut, obwohl nach Nelsons früher er- 
wähnter Angabe, dies im Freileben nicht der Fall zu sein scheint. 

Die sämtlichen Zuchtgefässe wurden in der Regel täglich, 
zeitweise nur alle 2—3 Tage durchgesehen, alle vorhandenen 
Gelege herausgefischt, die Eier gezählt und dann in ein eigenes 
Sammelgefäss geworfen oder konserviert. Die Zahl der Gelege 
und der Eier, das Geschlechtsverhältnis der Eier, Temperatur 
und Datum wurden bei jeder Zählung mit allenfallsigen Bemer- 
kungen in eine Liste eingetragen. 


Ergebnisse. 
I. Normalkultur im Zimmer. 

Korschelt gibt das gewöhnliche Geschlechtsverhältnis 
zwischen männlichen und weiblichen Eiern auf 1:2 an. Es würden 
doppelt soviel Weibchen als Männchen geboren. Das von mir 
gefundene Verhältnis ist etwas günstiger für die Weibchen. 

Ich habe gezählt: 


Tabelle 1. 
Anzahl der Gelege Darunter Geschlechtsverhältnis 
5 ® ER. 
202 327 813 et 


Im Verlaufe der Experimente habe ich aus den Normal- 
kulturen bedeutend mehr Gelege entnommen und gezählt. Da 
das Geschlechtsverhältnis aber immer annähernd das gleiche blieb, 
wurden nicht alle Zählungen in die Listen eingetragen. | 

Die Zahl der zu einem Gelege vereinigten Eier beträgt 
nach dieser Zählung im Durchschnitt 5, 6. In der Tat bilden 
Gelege von 5 bis 6 Eiern die Regel. Häufig finden sich solche 
mit einem männlichen und zwei weiblichen Eiern. Gelege mit 
10 bis 14 Eiern kommen öfter vor. Es ist also in der Grösse der Ge- 
lege schon von Natur aus eine grosse Variationsbreite vorhanden. 
Das Verhältnis der Geschlechter im einzelnen Gelege ist ge- 
ringen Schwankungen unterworfen, im allgemeinen aber ziemlich 
konstant. 


Dinophilus apatris. 69 


Die Weibchen kriechen meistens lebhaft an den Wänden 
des Glases herum. Die Eiablage war stets ziemlich rege. Zu 
gewissen Zeiten steigerte sie sich etwas, um dann wieder einige 
Wochen flauer zu werden. Zeiten, zu denen in den Normal- 
kulturen keine frischen Gelege zu finden gewesen wären, gab 
es nicht. 


I. Kältekultur. 


Das Gesamtresultat vierer Kältekulturen, die von Mitte 
Juli .1904 bis Mitte März 1905 geführt wurden, spricht sich in 
folgenden Zahlen aus: 


Tabelle 2. 
Anzahl:der Gelege Darunter | Geschlechtsverhältnis 
= | er 
925 973 2975| 1:35 


Die Zahl der Eier pro Gelege beträgt im Durchschnitt 4,2. 


Eine dieser Kulturen wurde geführt vom 19. bis 31. Juli. 
Die Zimmertemperatur, aus der die Tiere kamen, war bis auf 
26° gestiegen. Die Temperatur der Kältekultur konnte zu dieser 
Zeit zwar nicht ganz konstant gehalten werden, betrug aber 
durchschnittlich 15°. Sehr interessant sind nun folgende Einzel- 
ergebnisse: 


Tabelle 3. 
Dan Anzahl der Eier | Geschlechtsverhältnis 
kalte 23 N 
19.7. NEA | 8 1:20 
25.7. gul N nos 1:24 
31.7. | 1:28 


Während also die Gelege, die sich noch in der erhöhten 
Zimmertemperatur angelegt hatten, nur doppelt soviel Weibchen 
als Männchen enthalten, steigert sich die Zahl der weiblichen 
Eier unter dem Einfluss der Kälte in wenigen Tagen fast auf das 
dreifache der männlichen. 


In einer anderen Kontrollzucht, die vom 6. September bis 
10. Oktober geführt wurde, betrug die Temperatur anfangs 18° 


70 Hans Freiherr von Malsen: 


und sank allmählich auf 9°. Drei charakteristische Einzelresultate 
zeigt die folgende Tabelle: 


Tabelle 4. 
Dal ' Tempe- | Anzahl der Eier |Geschlechtsverhältnis 
| | E 
| ratur | d | O2 | re 
7.9. | 1@ 26 1 ,, 54 | 1:2 
28.9 | a I 18,43 
INT SEEN en bicD- | 41 | 93% 


Auch hier nimmt die verhältnismässige Zahl der weiblichen 
Geburten mit dem Sinken der Temperatur zu. Die Weibchen 
bewegten sich in den Kältekulturen nur sehr wenig und langsam. 
Im Vergleich zu den Normalkulturen war eine bedeutende Herab- 
setzung ihrer natürlichen Lebhaftigkeit augenscheinlich. Die Ei- 
ablage war ebenfalls viel weniger rege. Zur Feststellung dieser 
letzteren Tatsache möge das Ergebnis einer weiteren Kontrollzucht 
dienen. 

Eine grössere Anzahl geschlechtsreifer Weibchen wurde aus 
einem grossen, im Zimmer bei 19° gehaltenen Glase, in dem die 
Eiablage gerade besonders lebhaft war, in die Kälte bei 11° ge- 
bracht. Obwohl die Tiere Eier im Leibe hatten, setzten sie 
während der folgenden 15 Tage nicht ein einziges Gelege ab. 


III. Wärmekultur. 


Die Wärmekulturen waren stets von kurzer Dauer. Sie 
wurden im Thermostaten bei durchschnittlich 26° geführt. In 
den Uhrschälchen starben die Tiere in der Regel schon nach drei 
bis vier Tagen. Nur in grösseren Gefässen gelang es mir, zwei 
Kulturen längere Zeit zu erhalten. Da die Ergebnisse etwas 
verschieden sind, will ich zunächst die beiden Kulturen einzeln 


anführen. 
Tabelle 5. 


(Kultur A vom 6. bis 28. Juli.) 


Anzahl der Gelege | Darunter | Geschlechtsverhältnis 
uawgii WERSERN | 9:2 
222 | 249 | 


327 | 1:13 


Zahl der Eier pro Gelege: 2,6. 


Dinophilus apatris. 71 


Tabelle 6. 
(Kultur B vom 12. September bis 6. Oktober.) 


Ne AhlsderiGeleo& Darunter | Geschlechtsverhältnis 
ES > 
| | | 
161 2585 | 559 | VaU 
| 


| 
Zahl der Eier pro Gelege: 5,0. 
Wenn wir beide Kulturen zusammen nehmen, ergibt sich 
als Resultat: 


Tabelle 7. 
Auzahlcder Gelege Darunter | Geschlechtsverhältnis 
en Se 
| 


383 | 507 886 | az 


Anzahl der Eier pro Gelege: 3,6. 


Einige FEinzelergebnisse werden eine noch deutlichere Sprache 
reden. Bei der Kultur A war die Temperatur im Thermostaten 
vom 25. auf 27. Juli von 23° auf 26,6° gestiegen. Die Wirkung 
spricht sich in folgender Tabelle aus: 


Tabelle 8. 
Dtm | Tempe- | Anzahl Darunter | Geschlechtsverhältnis 
ratur |d.Gelege d | 92 | 9 
25.7. 230 34 Da a 1,14 
21... 26,6° 36 48 .|. 583 et 


Die Erhöhung der Temperatur um 3,6° bewirkte also inner- 
halb zweier Tage eine Zunahme der männlichen Geburten. 

Die Kultur B ergab bei der ersten Zählung, nachdem die 
Weibchen aus der Zimmertemperatur in eine Wärme von 28° über- 
führt worden waren, folgende Zahlen: 


Tabelle 9. 


Darunter Geschlechtsverhältnis 


| ” 


20 | 30 | 43 | 10164 


Anzahl der Gelege 


42 Hans Freiherr von Malsen: 


In der Wärme zeigten die Würmer eine auffallend ver- 
mehrte, unruhige Beweglichkeit. Die Eiablage war sehr rege. 
In manchen Kulturen, besonders in kleinen Gefässen, trat aber 
schon nach wenigen Tagen, mehrmals schon nach 24 bis 48 
Stunden, eine starke Schädigung der Tiere und baldiger Tod ein. 


Der durch die Temperatur veranlasste Unterschied in der 
Schnelligkeit der Entwicklung und der Intensität der Geschlechts- 
betätigung ‘geht klar aus zwei weiteren Versuchen hervor: Am 
18. Juni wurden zwei Gelege, deren Eier schon in vorgeschrittenem 
Furchungsstadium waren, in die Kühlkammer gebracht. Am 
3. Juli schlüpften die ersten Weibchen aus. Am 22. Juli, also 
nach 19 Tagen, fand ich das erste Gelege. 


Am 25. Juni kamen drei Gelege in den Thermostaten. Am 
1. Juli schlüpten die jungen Weibchen aus und bereits am 6. Juli, 
also nach fünf Tagen, wurden die ersten neuen Gelege abgesetzt. 


Eine äusserst auffallende Folgeerscheinung der Wärme war 
das häufige Vorkommen von Weibchen, deren ganzer Leib vom 
After bis zum Schlund so sehr mit Eiern angefüllt war, dass der 
Kopf des Tieres nur mehr als ganz kleines Pünktchen gegenüber 
dem ungeheuer angeschwollenen Leibe erschien, der Darm aber 
bis zur Unsichtbarkeit zusammengepresst war. Diese Tiere 
reagierten zwar noch durch schwache Regungen auf Berührungen 
mit der Präpariernadel, waren im übrigen aber unfähig, sich zu 
bewegen und gingen bald ein. 


Zusammenfassung und Schlussfolgerungen. 


Nachstehende Tabelle gibt eine Zusammenstellung der Haupt- 
ergebnisse: 


Tabelle 10. 
Bee 
Karltmr | Geschlechtsverhältnis Ride pro. Gelege 
IR | 
Zimmer | Ike | 5,6 
Kälte | 1-23, 4,2 
Wärme a ER Ne? | 3,6 


Vergleichen wir nun die in Kälte und Wärme erhaltenen 
Zahlen mit denen der Normal- oder Zimmerkultur, so ergibt sich 
als sicheres Resultat: 


Dinophilus apatris. 15 

1. In der Kälte nimmt die relative Zahl der 
weiblichen Geburten bedeutend zu. Die Grösse der 
Gelege geht zurück. 

Als weitere Folge der niederen Temperatur muss angesehen 
werden: 

Sinken der Lebensenergie im allgemeinen, die sich durch 
sichtliche Abnahme der natürlichen Lebhaftigkeit ausspricht, und 
bedeutender Rückgang der Geschlechtstätigkeit, sich äussernd 
durch Verzögerung der Eibildung und Eiablage. 

2. In der Wärme steigt die Zahl der männlichen 
Geburten. 

Die Grösse der Gelege geht noch mehr zurück als in der 
Kälte. Ein Cocon umschliesst kaum mehr als die Hälfte der 
Eier bei normaler Temperatur. 

Die natürliche Lebhaftigkeit der Weibchen nimmt stark zu, 
Produktion und Ablage der Eier steigert und beschleunigt sich 
sehr bedeutend. 

Die überaus heftige Beeinflussung der Weibchen durch 
Temperaturerhöhung geht am deutlichsten aus einem Versuche 
hervor, den ich im März 1905 anstellte. 

Am 17. März brachte ich eine Anzahl Weibchen aus einer 
grösseren Kältekultur, in der die Eiablage sehr gering war, in 
einem Uhrschälchen in Zimmertemperatur. Am nächsten Tage 
bereits fand ich 

16 Gelege mit 23 Z und 30 2 Eiern. 

In der Kältekultur, aus der die Tiere entnommen worden 
waren und die ungleich mehr Weibchen enthielt, fanden sich am 
gleichen Tage nur 

2 Gelege mit 1 und 3 £ Eiern. 

Ebenso legten drei Weibchen, die aus dem Zimmer in den 
Thermostaten mit 26° überführt worden waren, nach drei Tagen 
4 Gelege mit 7 & und 8 2 Eiern ab. 

Der Einfluss der Temperatur auf Geschlechtsverhältnis und 
Geschlechtstätigkeit ist am bedeutendsten während der ersten 
drei bis vier Tage ihrer Einwirkung. Im Laufe länger dauernder 
Kulturen scheint der Organismus allmählich wieder mehr ins 
Gleichgewicht zu kommen. Jedoch zeigte sich auch in den 
letzten Tagen der am längsten dauernden Kulturen immer noch 
ein merkbarer Unterschied gegen normale Verhältnisse. 


74 Hans Freiherr von Malsen: 


So ergab in der in Tabelle 2 angeführten Kältekultur eine 

Zählung vom 8. März 1905 
16 & und 44 2 Eier, 
was einem Geschlechtsverhältnis von 1:2,7 entspricht. 

In der Wärmekultur der Tabelle 6 fand ich am letzten Tage, 

also am 6. Oktober 1904 
17 männliche und 24 weibliche Eier, 
somit ein Geschlechtsverhältnis von 1:1,4. 

Dass Wärme im allgemeinen anregend wirkt, Kälte aber 
die Lebensenergie der Organismen herabsetzt, so lange die 
physiologische Grenze nicht überschritten wird, ist eine alt- 
bekannte, oft beobachtete Tatsache. Ich habe sie hier nur 
besonders hervorgehoben, weil sie mir wichtig zu sein scheint 
für die Erklärung des überraschendsten Ergebnisses meiner Ex- 
perimente: 


Die Einwirkung der Temperatur auf das Geschlecht 
der Nachkommen bei Dinophilus apatris. 


Über das so interessante Problem der geschlechtsbestimmen- 
den Ursachen existieren ziemlich wenig exakte Experimente oder 
Beobachtungen. 

Im vorliegenden Falle scheint nur die grössere oder geringere 
Höhe der Temperatur geschlechtsbestimmend zu wirken. Die 
Frage ist nun, wirkt die Temperatur direkt auf das Geschlecht 
oder nur indirekt und in welchem Zeitpunkt tritt diese Wir- 
kung ein? 

Nachdem die Eier bereits bei ihrer Ablage geschlechtlich 
getrennt sind, müssen die zur Bildung eines männlichen oder 
weiblichen Eies führenden Kräfte während der Ovogenese tätig 
sein, sie müssen notwendigerweise auf die Ovogonie oder die 
entstehende Ovocyte einwirken. 

Die weitere Frage lautet also: Wie kann die Temperatur 
im besonderen Falle des Dinophilus die bei der Eibildung im 
mütterlichen Leibe sich abspielenden Vorgänge beeinflussen und 
wie kann eine Einwirkung auf das Geschlecht der Nachkommen 
zustande kommen ? 

Um diese Frage beantworten zu können, muss ich einige 
der Beobachtungen, die den zweiten Teil vorliegender Arbeit 
bilden, herausgreifen. In der besonderen Art der Eibildung 


Dinophilus apatris. 75 


scheint mir nämlich der Angriffspunkt zu liegen, an dem die 
Temperatur einsetzen kann, um in diesem Falle scheinbar ge- 
schlechtsbestimmend zu wirken. 

Die Weibchen de® Dinophilus apatris besitzen, wie auch 
Korschelt schon beobachtete, keine eigentliche Geschlechts- 
drüse. Die Ovogonien entstehen aus dem einschichtigen Darm- 
epithel und kommen aus diesem-in einen, von mir als Ovarium 
bezeichneten, ventral zwischen Magen und Enddarm gelegenen 
Raum. Eine Vermehrung der Urgeschlechtszellen durch Teilung 
konnte ich nirgends beobachten, obwohl sie zweifellos stattfinden 
muss. Im Ovar wächst die Ovogonie durch Nahrungsaufnahme 
ungefähr zur doppelten Grösse heran. Hat die einzelne Ovogonie 
durch Wachstum eine bestimmte Grösse erreicht, die Ver- 
schmelzungsgrösse, so verschmilzt sie zunächst mit einer, 
im Laufe der Entwicklung aber mit vielen anderen, ebenso grossen 
Ovogonien vollkommen. 

Weitaus der grösste Teil dieser vereinigten Eikerne bildet 
sich im weiteren Verlaufe der Ovogenese zu Nahrungsdotter um. 

Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Eiern 
liegt offenbar hauptsächlich in der grösseren oder geringeren Anzahl 
verschmelzender Ovogonien. Dadurch aber gestaltet sich sowohl 
die Menge der dem Embryo zum Aufbau seines Körpers zur 
Verfügung stehenden Nährstoffe, als auch die Kernplasmarelation 
im männlichen und weiblichen Ei verschieden. Das weibliche 
Ei übertrifft das männliche, wie schon Eingangs erwähnt wurde, 
ungefähr um das Dreifache an Länge und Dicke. Es erhält von 
Anfang an, und verbraucht naturgemäss ungleich mehr Nähr- 
und Baumaterial im Laufe seiner Embryonalentwicklung, als das 
männliche Ei. Diese Tatsache ist nicht im mindesten merkwürdig, 
nachdem die Weibchen des Dinophilus wohlentwickelte, mit gut 
differenziertem Darm-, mit Sinnes- und reichlichen Bewegungs- 
organen ausgestattete Tiere sind, die obendrein das vollkommen 
rudimentäre, fast aller Organe, mit Ausnahme der Hoden, ent- 
behrende Männchen schon bei ihrer Geburt um das Sechsfache 
an Länge übertreffen. Nach Korschelt ist die Länge der 
eben ausgeschlüpften Weibchen 0,23 mm, der Männchen aber nur 
0,04 mm. 

Die Nahrung, welche die in das Ovarium übergetretenen 
Ovogonien zu jener kritischen Grösse heranwachsen lässt, nach 


76 Hans Freiherr von Malsen: 


deren Erreichung erst die Verschmelzung mit anderen Ovogonien 
möglich zu sein scheint, ist eine, unzweifelhaft in den Darmzellen 
bereitete, die Eier umspülende Ernährungstlüssigkeit. 

Das, was ich im vorhergehenden als Geschlechtstätigkeit 
der Weibchen bezeichnet habe, besteht nun im wesentlichen aus 
folgenden Funktionen: 

Bildung und Übertritt der Eikerne in das Ovarium, Wachsen 
der Ovogonien durch Nahrungsaufnahme, successives Verschmelzen 
mehrerer Ovogonien zu einer Ovocyte, Ablage der Ovocyten ins 
Wasser. 

Die Reifeerscheinungen vollziehen sich am Ei in der Regel 
erst nach seiner Ablage, so dass ich mit Boveri und Korschelt 
das frisch gelegte Ei als Ovoeyte I. Ordnung bezeichnen kann. 

Dass alle diese Geschlechtstätigkeiten des Weibchens durch 
Wärme gesteigert und beschleunigt, durch Kälte aber vermindert 
und verlangsamt werden, geht klar aus den Experimenten hervor. 

Das Zustandekommen eines männlichen oder weiblichen Eies 
hängt aber offenbar hauptsächlich davon ab, wie viele Ovo- 
gonien sich zu einer Ovocyte vereinigen. 

Für die Verschmelzung der Ovogonien ist ihr vorheriges 
Wachstum durch Nahrungsaufnahme notwendig. 

Diese Nahrung besteht aus dem die Ovogonien im Ovarium 
umspülenden (Grewebssaft. 

Findet nun plötzlich eine beträchtliche Vermehrung der 
Eikeime und damit der Ovogonien statt, so muss notwendiger- 
weise ein gewisses Missverhältnis eintreten zwischen der, von 
den Darmzellen produzierten, und der, von den schnell wachsenden 
Ovogonien geforderten, Nahrungsmenge. Die chemischen Prozesse, 
welche sich bei Umwandlung der gefressenen Nahrung in Nähr- 
saft abspielen, werden ja sicher ebenfalls beschleunigt, aber ofien- 
bar nicht in gleich hohem Grade, wie die Geschlechts- 
tätigkeit; auch sind sie abhängig von der Menge des gefressenen 
Rohstoffes. Jeder Organismus kann aber Nahrung nur bis zu 
einem gewissen, beschränkten Maße zu gleicher Zeit aufnehmen 
und verdauen. 

Der Darm wird also nicht so viel Nährstoffe liefern können, 
als die abnorm vermehrten Ovogonien zu ihrem Heranwachsen 
brauchen. Diese werden nicht alle schnell genug die Ver- 
schmelzungsgrösse erreichen können. Es wird immer nur eine 


Dinophilus apatris. Tan 


kleine Anzahl zu gleicher Zeit zur Verschmelzung bereit sein. 
Es treten deshalb häufiger als sonst nur wenige Ovogonien zu 
einer Ovocyte zusammen und wir erhalten öfter als normal nur 
ein kleines männliches Ei, anstatt eines grossen, dotterreichen, 
weiblichen Eies. 

Auch Nussbaum ist der Ansicht, dass in den Wärme- 
kulturen seiner Hydatinen viel eher Nahrungsmangel eintritt als 
in den Kältekulturen. Stoffumsatz, aber auch Legetätigkeit 
zeigten sich ebenfalls wesentlich beschleunigt. 

„Somit muss zur Unterhaltung des eigenen Stoffwechsels 
bei höherer Temperatur und zur Leistung der vermehrten Ei- 
ablage die Nahrung .... . eine viel reichere sein, als bei 
niederer Temperatur. In gleich grossen Aquarien wird in der 
Wärme gerade bei anfangs gutem Futter weit schneller eine 
Übervölkerung eintreten, als in der Kälte.“ 

Der Reiz, durch den die Tiere bewogen werden, ihre Gelege 
abzusetzen, steigert sich aber ebenfalls durch die Wärme. Die 
Produktion an Eiern kann damit, nach dem oben gesagten, nicht 
mehr Schritt halten. Es werden also zwar öfter als sonst Eier 
abgelegt, aber dafür weniger auf einmal. Die Zahl der Gelege 
steigt, ihre Grösse nimmt ab. 

Die Ursache für die verhältnissmässige Zu- 
nahme der männlichenEierin der Wärme ist also 
nichts'idiese Wärme ‚selbst, sondern vielmehr 
Nahrungsmangel, hervorgerufen durch abnorme 
Steigerung der Geschlechtstätigeit,gegen welche 
die Nahrungsproduktion zurückbleibt. 

Mit anderen Worten: Die Darmzellen sind nicht imstande, 
in kurzer Zeit so viel Nahrung zu liefern, als es die plötzlich in 
grosser Zahl auftretenden Ovogonien verlangen. 

Die vorwiegende Bildung männlicher Eier ist also das 
Resultat eines Missverhältnisses zwischen Darmtätigkeit und 
(Geschlechtstätigkeit 

Die in Wärmekulturen so häufig gefundenen Weibchen, 
deren ganzer Leib so mit Eiern gefüllt war, dass die Mutter 
daran zu Grunde gehen musste, betrachte ich als Opfer ihrer 
abnorm gesteigerten Eierproduktion. Wahrscheinlich bewirkt die 
Wärme auch eine gewisse Lähmung der Muskeln. Der Wurm 
vermag die so plötzlich gebildeten Eier nicht mehr rasch genug 


78 Hans Freiherr von Malsen: 


durch Legen aus dem Körper zu entfernen, so dass zuletzt seine 
ganze Leibeshöhle zum Platzen damit erfüllt ist. Der Darm 
wird so zusammengepresst, dass feste Nahrung nicht mehr hin- 
durch gleiten kann, die Wimpern der Wimperringe sind nicht 
mehr stark genug, um die Last des Körpers vom Flecke zu 
bewegen und das Tier muss eingehen. 

Als Kältewirkungen hatten wir erkannt: 

1. Zunahme der weiblichen Eier an Zahl; 

2. Abnahme der Gelegegrösse gegen normale Verhältnisse; 

3. Rückgang der Geschlechtstätigkeit. 

Nach obigen Ausführungen ergibt sich die Erklärung von 
selbtt. Ursache für die Zunahme der weiblichen 
Eier sind die günstigeren Ernährungs- und damit 
Wachstumsbedingungen, welche die Ovogonie im 
Ovarium vorfindet. N 

Infolge der allgemein herabgeminderten Geschlechtstätigkeit 
geht die Teilung der Primordialzellen langsamer vor sich, es 
treten nur verhältnismässig wenig Eikeime in das Ovarium 
über. Für ihr Heranwachsen ist reichlich Nahrung vorhanden. 
Da auch die Eiablage nur mit grossen Pausen von statten geht, 
haben viele Ovogonien Zeit, zu einer Ovocyte zu verschmelzen. 
Es werden also vorzugsweise grosse, weibliche Eier gebildet. 

Wie die Wärme, durch die von ihr ausgeübten, starken Reize, 
eine gewissermassen überstürzte, so begünstigt die Kälte durch 
Herabminderung der geschlechtlichen Reize eine, sozusagen, 
besonders gründliche Eibildung. 

Eigentlich sollte man erwarten, dass sich mit der starken 
Verzögerung der Eiablage die Grösse der Gelege gegen den 
Normalzustand erhöhen würde. Dies ist nicht der Fall, denn 
auch die Kältegelege weisen durchschnittlich eine geringere Eier- 
zahl auf als die normalen. Der scheinbare Widerspruch erklärt 
sich aber leicht, wenn man bedenkt, dass doch nicht nur die 
Legetätigkeit, sondern auch die Produktion von Eikeimen ein- 
geschränkt ist. Die Ovogonien treten ausserdem meistens zu 
grösseren weiblichen Eiern zusammen. Die zum Heranwachsen 
der Ovocyten zur Verfügung stehende Nahrungsmenge, die, zu 
Dotter umgewandelt, doch im fertigen Ei sich wieder vorfindet, 
reicht natürlich nur für eine geringere Zahl grösserer als kleinerer 
Eier aus. 


Dinophilus apatris. 79 


Wenn wir das Gesamtresultat dieser Erörterungen jetzt 
zusammenfassen, ergeben sich folgende Sätze: 

Die Verdauungstätigkeit reagiert auf Reize durch die 
Temperatur nicht in demselben Maße wie die Geschlechtstätigkeit. 

Bei der durch die Wärme sehr stark angeregten Eiproduktion 
steht dem einzelnen Ei nur eine geringe Nahrungsmenge für 
sein Wachstum zur Verfügung. Es bilden sich also vorwiegend 
kleine, männliche Eier. Wird die Eiproduktion durch Kälte zurück- 
gedämmt, so steht umgekehrt dem einzelnen Ei mehr Nahrung 
zur Verfügung. Es bilden sich hauptsächlich grosse, weibliche Eier. 

Der geschlechtsbestimmende Faktor bei Dinophilus ist also 
in letzter. Linie nicht die Temperatur, sondern die Ernährung 
des Eikeimes. 

Dass auch dieser Faktor nicht direkt geschlechtsbestimmend 
wirkt, sondern nur indirekt durch Beeinflussung der Kernplasma- 
relation, werde ich im dritten Teil dieser Abhandlung näher 
ausführen. 

Sind diese Schlüsse richtig, so muss verschiedene Ernährung 
des Muttertieres bei gleicher Temperatur zu ähnlichen Resultaten 
führen. Dem Experimente bieten sich hier insofern Schwierig- 
keiten, als sich die Nahrung für so kleine Tiere unmöglich 
dosieren lässt. ‘Eine Überernährung zur Produktion weiblicher 
Eier ist aber gleichfalls unausführbar. Es bleibt also nur die 
Möglichkeit, die Einwirkung möglichst absoluten Nahrungsmangels 
zu kontrollieren. 

Im November vorigen Jahres stellte ich derartige Versuche 
an. Eine grössere Anzahl Weibchen aus einer Zimmerkultur 
wurde abgesondert und ganz ohne Futter im Zimmer weiter be- 
obachtet. Die Tiere lebten ohne Nahrung vom 11.—28. November. 
Geringe Futtermengen, wie Diatomeen oder Protozoen werden 
sie Ja wohl auch in den Hungerkulturen gefunden haben. Nach 
17 Tagen war auch das letzte Tier Hungers gestorben. Das Er- 
gebnis der Kultur war überraschend. Ich erhielt im ganzen: 


Tabelle 11. 


Anzahl der Gelege | m | Geschlechtsverhältnis 


| 2 | er? 
32 | 34 60 | 1517 


[0 0) 
oO 


Hans Freiherr von Malsen: 


- 


Gegen das Normalverhältnis von 1:2,5 ist also eine be- 
deutende Abnahme der weiblichen und entsprechende verhältnis- 
mässige Zunahme der männlichen Eier festzustellen. 


Hunger bei normaler Temperatur wirkt also 
wie erhöhte Temperatur bei normaler Ernährung. 


Bei einem zweiten Versuche wurden Weibchen aus einer 
Kältekultur ohne Futter in ein eigenes Uhrschälchen versetzt 
und bei 13° weitergezüchtet. Ist die von mir aufgestellte Theorie 
über geschlechtsbestimmende Ursachen richtig, so müssen sich 
Kälte und Hunger in ihrer Wirkung auf das Geschlecht gegen- 
seitig aufheben. Bessere Ernährung bei Kälte würde die Bildung 
weiblicher Eier begünstigen, Hunger dieselbe verhindern. 


Die Kultur lebte vom 14. November bis 5. Dezember. 


Das Resultat war: 
Tabelle 12. 


Darunter Geschlechtsverhältnis 


Anzahl der Gelege | | 
| d 2 | SR: 


6 10, Lu 38 


Durch einen glücklichen Zufall ergab sich hier fast genau 
die gleiche Verhältniszahl, die ich früher als Geschlechtsver- 
hältnis bei Futter und normaler Temperatur berechnet hatte. 
Die aufgestellte Forderung, dass Hunger die Kältewirkung paraly- 
sieren müsse, ist in verblüffender Weise erfüllt worden. 

Zu diesen beiden letzteren Versuchen möchte ich bemerken, 
dass sie zu einer Zeit angestellt wurden, im Winter vorigen 
Jahres, in der ich noch keineswegs die Ernährung als geschlechts- 
bestimmenden Faktor ansah, sondern vielmehr an direkte Ein- 
wirkung von Kälte und Wärme zu denken geneigt war. 

Im Münchener zoologischen Institut führte zu gleicher Zeit 
mit mir Issako witsch ähnliche Versuche mit Daphnien durch. 
Das von ihm erzielte Resultat scheint mit meinen Ergebnissen 
in direktem Widerspruch zu stehen. Wärme beförderte bei 
Simocephalus vetulus Müll. die Geburt von Weibchen, Kälte die 
Bildung von Männchen und Wintereiern. Aus den Wintereiern 
kriechen ausnahmslos Weibchen aus. Zunächst geht daraus schon 
hervor, dass nicht das Geschlecht direkt von der Temperatur 


Dinophilus apatris. sl 


beeinflusst wird, sondern dass es ein anderer Vorgang im Orga- 
nismus sein muss, auf den Wärme und Kälte einwirken und der 
dann seinerseits bestimmend für das Geschlecht der Nach- 
kommen wird. 

Auch Issakowitsch führt nun diese Resultate auf die 
Ernährung des Eies zurück, indem er sagt: 

„Wenn wir nun annehmen, dass bei niedriger Temperatur 
die assimilatorische Tätigkeit der Zelle herabgesetzt wird und 
in Betracht ziehen, dass der Stoffwechsel eines in Entwicklung 
begriffenen Eikeimes ein viel intensiverer ist, als der aller anderen 
Zellen des Organismus, so müssen wir daraus schliessen, dass bei 
niedriger Temperatur die Ernährung des Eies eine sehr ungünstige 
ist ..... und müssen erwarten, dass ein Winterei, oder die 
wegen ihrer kleinen Grösse und Kurzlebigkeit zur Entwicklung 
weniger Nährstoffe bedürfenden männlichen Tiere im nächsten 
Wurf abgesetzt werden... . Wenn die Ernährung des mütter- 
lichen Organismus so weit gesunken ist, dass er nicht mehr im- 
stande ist, dem Ei zu seiner Entwicklung zum Weibchen genügende 
Nährstoffe zu bieten, — so entwickelt sich das anspruchslosere 
Männchen daraus. Sinkt die Ernährung des Muttertieres noch 
tiefer, ist es nicht mehr fähig, das Ei wenigstens zum männlichen 
Tiere zu entwickeln, so tritt eine grosse Anzahl primärer 
Eizellen zusammen, um auf Kosten der ganzen Menge ein 
einziges, befruchtungsbedürftiges Winterei zu bilden.“ 

Die Bildung dieses Wintereies geht nun ganz ähnlich vor 
sich, wie die Eibildung bei Dinophilus. Aus dem Winterei ent- 
wickelt sich aber, ebenso wie aus den dotterreichen Dinophilus- 
Eiern, stets ein Weibchen. 

Auch bei Simocephalus ist also die Ausbildung des Ge- 
schlechtes nur eine sekundäre Erscheinung gegenüber der primär, 
durch die Temperatur veranlassten besseren oder schlechteren 
Ernährung des Eies. Dasselbe ist nach meinen Untersuchungen 
der Fall bei Dinophilus. Nur wird bei diesem die absolut bessere 
Ernährung des Eies durch die Kälte verursacht, was ja auch 
beim Winterei der Daphnie der Fall ist und zwar insofern, als 
bei der bedeutend verzögerten Eibildung und Eiablage die vor- 
handene, vielleicht an und für sich geringere Nahrungsmenge, 
auf weniger Esser verteilt wird und die Ovogonien mehr Zeit 


gewinnen, zu wachsen und miteinander zu verschmelzen. Die 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 9 


82 Hans Freiherr von Malsen: 


Folge davon ist aber die Entstehung weiblicher Eier bei Kälte- 
einwirkung. 

In der Wärme dagegen trifit bei der ausserordentlich 
beschleunigten Produktion von Eikeimen eine geringere Menge 
Nährmaterial auf die einzelne Ovogonie. Obwohl also nur eine 
ungenügende Anzahl auf einmal herangewachsen sein kann, werden 
die schon zu Ovocyten verschmolzenen Ovogonien doch häufiger 
abgelegt und wir erhalten das kleinere, männliche Ei. Der Mangel 
der parthenogenetischen Eier verhindert, die Verhältnisse von 
Dinophilus vollkommen mit denen der Daphnoiden zu parallelisieren. 

Für Dinophilus und Simocephalus lässt sich daher vorläufig 
der Satz aufstellen: 

Das Geschlecht der Nachkommen hängt in erster 
Linie ab von der Nahrungsaufnahme der sich bildenden 
Ovocyten im mütterlichen Leibe Die Nahrungsauf- 
nahme aber kann günstig oder ungünstig durch die 
äussere Temperatur beeinflusst werden. 


Ir Terl. 
Ovogenese. 


Die direkte Beobachtung lehrt, dass die Eier des Dinophilus 
bereits im mütterlichen Leibe geschlechtlich differenziert sind. 
Im Ovarium zeigen die fertig gebildeten Ovocyten schon die 
gleichen Grössenunterschiede, wie sie früher von mir angegeben 
wurden. Um die Ursachen dieser Differenzierung klar zu stellen, 
war es deshalb unbedingt notwendig, die Vorgänge der Ovogenese 
zu erforschen. 

Als geeignetste Präparations- Methode erwies sich die 
Fixierung der Weibchen mit Prikrinessigsäure, Stückfärbung mit 
Borax-Karmin und Schnittfärbung mit Delafields Hämatoxylin. 

Die von Korschelt angegebene Fixierung mit Osmiumsäure 
oder mit 1—2 °/oiger Chromsäurelösung und nachfolgende Färbung 
mit Weigertschem Pikrokarmin und Alaunkarmin ergab weniger 
gute Resultate. 

An Fixierungsflüssigkeiten versuchte ich noch Sublimat, 
Sublimateisessig und Flemmingsche Lösung, an Färbungsmitteln 
Safranin, Eosin und Beales Karmin, doch bewährte sich keine 


Dinophilus apatris. 33 


Methode so gut, wie die erst angeführte, die ausserdem noch 
den Vorzug grösster Einfachheit hat. 

Die Untersuchungen mussten ausnahmslos an Schnitten ge- 
macht werden, weil die Menge der über- und nebeneinander im 
Ovarium liegenden Eikerne auch bei jungen Tieren das Erkennen 
der einzelnen Ovogonie zu sehr erschwert. Korschelt weist 
darauf hin, dass die Herstellung der Schnittpräparate durch die 
grosse Zartheit der Körper- und Darmwandung sehr erschwert 
wird. Ich kann diese Angabe nur vollauf bestätigen. Erst nach 
längerer Übung und bei Anwendung der grössten Sorgfalt gelang 
es mir, brauchbare Dünnschnitte zu erzielen. Die Einbettung 
erfolgte durchgehends in Paraffin, die meistens angewandte 
Schnittdicke betrug 7 «u. Je mehr Dotter die Ovocyten ent- 
halten, um so schwieriger erweist sich das Schneiden. Fertige 
Ovocyten oder abgelegte Eier in wirklich tadellose Schnitte zu 
zerlegen, ist nahezu unmöglich, weil die Dottermasse fast stets 
wenigstens feine Risse erhält. 

Ich hatte ursprünglich die Absicht, auch die Reifungs- und 
ersten Furchungsvorgänge klar zu stellen. Bei der absoluten 
Undurchsichtigkeit der abgelegten Eier ist es aber reiner Zufall, 
wenn sich in einer Schnittserie die Chromatinverhältnisse gut 
erkennen lassen. Ich habe viele Hunderte von Tieren und Ge- 
legen geschnitten und erhielt auch die hauptsächlichsten Ent- 
wicklungsstadien. Die geringe Anzahl brauchbarer Präparate 
und der Mangel an frischem Material machen jedoch erneute 
Untersuchungen nötig. Ich werde deshalb nachstehend die 
Ovogenese nur soweit verfolgen, bis das Geschlecht der Ovocyte 
sicher festgestellt ist. Um die Bezeichnung der Övarialeier als 
Ovoeyten erster Ordnung zu rechtfertigen, möchte ich nur noch 
beifügen, dass die Abschnürung zweier Polkörper erst in den 
abgelegten männlichen und weiblichen Eiern erfolgt. Ein einziges 
Mal fand ich in einem Ovarialei eine Richtungsspindel. 

Dass die kleinen Eier bei Dinophilus stets Männchen, die 
grossen stets Weibchen liefern, kann man sicher erkennen an 
solchen Gelegen, deren Embryonen kurz vor dem Ausschlüpfen 
stehen. Schon bei schwacher Vergrösserung sieht man in den 
grossen Eiern die rot leuchtenden Augenflecke der Weibchen. 
Bei mittlerer Vergrösserung erkennt man in den, besonders bei 
geöffneter Blende, lebhaft rotierenden Embryonen ohne Mühe 

6* 


84 Hans Freiherr von Malsen: 


und ohne den geringsten Zweifel die voll ausgebildeten, mit 
Darm und Augen versehenen Weibchen, oder die rudimentären, 
darm- und augenlosen Männchen. 

Es ist mir so wenig wie Korschelt gelungen, eine Be- 
gattung zu beobachten. Dass die Befruchtung aber keinen Ein- 
fluss auf die Geschlechtsbestimmung hat, kann ich mit Sicherheit 
angeben. Niemals entdeckte ich in den Weibchen Spermatozoen. 
Das Geschlecht der Eier ist aber schon in der noch im Mutter- 
leibe befindlichen Ovocyte durch ihre Grösse unzweifelhaft be- 
stimmt und fixiert. In weiblichen abgelegten und reifenden Eiern 
gelang es mir mehrmals, den Spermakern zu finden. Männliche 
Eier habe ich daraufhin nicht untersucht. 

Männliche und weibliche Eier bilden aber zwei 
Polkörper. 

Die Angaben Korschelts über die Lage des Ovariums 
kann ich bestätigen. Es liegt als unpaares Organ „unterhalb 
des Nahrungskanals, da, wo sich der Darm vom Magen absetzt“ 
(Fig. 2). Mit zunehmender Masse der Eier dehnt sich der 
Ovarialsack rechts und links vom Darm in dorsaler Richtung 
aus. Auf einem Frontalsehnitt muss er dann zu beiden Seiten 
des Darms liegen und paarig erscheinen. Die Zahl der Eier 
kann in einem älteren Weibchen so gross werden, dass der ganze 
Leibesraum davon erfüllt ist, der Darm aber nach oben gegen 
die Körperwand gedrängt und bis zur Unsichtbarkeit zusammen- 
gepresst wird. 

Die Urgeschlechtszellen liegen zwischen den grossen Zellen, 
aus denen sich das Darmepithel zusammensetzt. Die Kerne 
beider Zellarten gleichen einander vollkommen. Es sind runde 
Bläschen mit chromatischem Nucleolus. Bei etwas älteren 
Weibchen fallen die Kerne einzelner Darmzellen durch ihre 
Grösse und besonders die Grösse ihres Nucleolus auf (Fig. 1 u. 2). 
Sie liegen an der äusseren Peripherie meistens in einer Ecke der 
Zelle und sind umgeben von einem körnigen, stark färbbaren 
Protoplasma. Die Zellen mit diesen Kernen möchte ich für die 
Urgeschlechtszellen erklären. Auch Korschelt sagt, es schiene 
ihm, „als ob die Eier aus dem Epithel des Darmkanals hervor- 
gingen.“ Wie diese Zellen aus der Darmwand heraus in das 
Ovar gelangen, kann ich nicht mit völliger Bestimmtheit angeben. 
Das Bild auf Fig. 1 lässt mich die Vermutung aussprechen, dass 


Dinophilus apatris. 85 


sie aktiv beweglich auswandern. Die vier Kerne a und b zeigen 
im Gegensatz zu den übrigen, noch im Epithel ruhenden, eine 
längliche Form. Die drei Kerne b machen entschieden den Ein- 
druck der Fortbewegung in der Richtung auf das Ovar. Amöboide 
Fortsätze des Plasmas konnte ich nicht erkennen. Da es mir 
jedoch nicht gelungen ist, weitere Präparate zu erhalten, die 
auf derartige Vorgänge schliessen liessen, kann ich die Frage 
des Austrittes der Ureizellen aus dem Darmepithel leider nicht 
entscheiden. 

Auf den Umstand, dass auf Fig. 1 der scheinbare Eintritt 
der Ureizellen in das Ovar am vorderen Ende erfolgt, während 
die jüngsten Ovogonien stets im hinteren Ende liegen (Fig. 2), 
möchte ich keinen Wert legen, nachdem z. B. auch bei Daphnien 
die sich bildenden Eier im Ovar zuerst vorwärts und dann wieder 
rückwärts wandern. In allen meinen übrigen Präparaten zeigt 
sich die Darmwand völlig unverletzt, und unter dem Darm das 
Övar mit mehr oder weniger zahlreichen Ovogonien. 

Das Ovar ist umgeben von einer sehr feinen strukturlosen 
Membran. Dieselbe nimmt, wie Fig. 2 deutlich erkennen lässt, 
ihren Ursprung von der Darmwand. Ich halte sie für das Darm- 
faserblatt, das durch die Ansammlung der Eier vom Darmepithel 
abgehoben wird und so eine Hülle um das Ovar bildet. Das 
Lumen dieses, vom Ovarialepithel begrenzten Raumes, wird ausser 
vom Ovarium noch von einer, mit Ernährungstlüssigkeit erfüllten, 
Lakune eingenommen. Die Flüssigkeit wird zweifellos von den 
Darmzellen ausgeschieden, umspült die Ovogonien und liefert 
ihnen die zum weiteren Wachstum nötigen Nährstoffe. Im 
Präparate wird diese geronnene Flüssigkeit deutlich durch ihre 
gelbliche Färbung (Fig. 2). 

Die Urgeschlechtszellen vermehren sich jedenfalls durch 
Teilung. Ich konnte jedoch auch mit meinen stärksten Ver- 
grösserungen, Leitz 2 mm Apochromat und Comp.-0Oc. 4—8 
niemals Teilungsfiguren beobachten. Die ausserordentliche Klein- 
heit dieser Zellen erschwert überhaupt die Beobachtung ungemein. 

Fig. 2 zeigt uns deutlich, wie die Ovogonien und ihre, nun- 
mehr als Keimbläschen zu bezeichnenden Kerne, vom hinteren 
gegen das vordere Ende des Ovars stetig an Grösse zunehmen. 
Ihr Protoplasma nimmt immer mehr eine granulierte Beschaften- 
heit an. Besonders an der Aussenseite des Keimbläschens, in 


36 Hans Freiherr von Malsen: 


der Regel jedoch auch an seiner Innenwand, pflegt sich eine 
Schichte kleiner, intensiv färbbarer Körnchen vorzufinden. Mit 
dem zunehmenden Alter und Wachstum der Ovogonie steigt auch 
die Färbbarkeit stetig. Bei der Doppelfärbung mit Borax-Karmin 
und Delafields Hämatoxylin erscheinen sie in früheren Stadien 
winzig klein und zart rot, später grösser, intensiv rot, bis in den 
älteren Stadien dunkelblaue Färbung eintritt. Ich betrachte 
diese Körnchen als Stoffwechselprodukte oder vielmehr Reserve- 
stoffe der Zelle, nach Verschmelzung mehrerer Ovogonien unter- 
mischt mit aufgelösten oder verteilten trophochromatischen Be- 
standteilen. 

Hat die Ovogonie dergestalt durch Nahrungsaufnahme eine 
bestimmte Grösse, „die Verschmelzungsgrösse“, erreicht, so 
verschmelzen zunächst zwei benachbarte miteinander. Fig. 3—6 
zeigen uns, wie zuerst die Protoplasmaleiber sich vereinigen 
(Fig. 6). Im Innern der neuen Zelle befinden sich noch zwei 
Keimbläschen. Diese legen sich nun dicht aneinander, und die 
Kernmembranen lösen sich auf. Fig. 3 zeigt dieses Stadium. 
In Fig. 4 endlich sehen wir, wie auch die Nucleolen sich ver- 
einigen. Kurz nach der Vereinigung lässt der neue Nucleolus 
noch deutlich seine Entstehung aus zweien erkennen (Fig. 4a). 
Allmählich wird er dann oval (Fie. 4b), um endlich wieder in 
die normale, runde Form zurückzukehren (Fig. 4c). Derartige 
vergrösserte Nucleolen enthalten stets eine oder mehrere Vakuolen 
von wechselnder Grösse (Fig. 4e). 

In einer 1896 erschienenen Arbeit von Doflein sind ganz 
ähnliche Vorgänge bei der Eibildung von Tubularia beschrieben. 
Die von ihm gegebenen Bilder zeigen eine merkwürdige Ähnlich- 
keit mit den meinigen. Auch hier entsteht das Ei durch Ver- 
schmelzung einer Anzahl von Keimzellen. Im Verlaufe der 
regressiven Metamorphose, die die Kerne der Nährzellen (Pseudo- 
zellen) während ihrer Aufnahme in die entstehende Ovocyte 
durchzumachen haben, sollen sie sich aber noch ein- oder 
mehreremal amitotisch teilen. Dieser Vorgang führt zu Bildern, 
welche den von mir in Fig. 4 gegebenen und als Verschmelzungs- 
stadien gedeuteten fast vollkommen gleichen. Ich möchte jedoch 
für Dinophilus meine Deutung vorläufig doch aufrecht erhalten 
und zwar aus folgenden Gründen: erstens ist die Zahl der Keim- 
zellen im Ovar eines älteren Weibchens stets bedeutend geringer 


Dinophilus apatris. 87 


als in dem eines jüngeren; zweitens übertreffen sowohl Keimzellen 
als Nucleolen der degenerierenden Nährzellen die Zellen früherer 
Stadien bedeutend an Grösse. Da meine Bilder alle mit gleicher 
Vergrösserung gezeichnet sind, erlauben Fig. 2,4 u.5 einen 
direkten Vergleich. Ich stehe nicht an, zu bekennen, dass meine 
Auffassung manche theoretische Schwierigkeiten bietet, weshalb 
ich auch die endgültige Entscheidung zukünftigen Untersuchungen 
vorbehalten möchte. 

Durch Verschmelzung mit immer neuen Ovogonien wächst 
nun die Eizelle sehr rasch. Fig. 5 lässt erkennen, wie sich die 
Ovogonien kugelförmig, auf dem Schnitt natürlich kreisförmig, 
um eine, schon sehr bedeutend herangewachsene Ovogonie legen. 

Auf dem hier abgebildeten Stadium kann man die zentral 
gelegene Zelle (Fig. 5 E Z) schon als Eizelle, dadurch charakterisiert, 
dass ihr bläschenförmiger Kern zum künftigen Eikern wird, von 
den umgebenden Nährzellen (Fig. 5 NZ), die ihr Keimbläschen 
aufgelöst und ihr Chromatin in Form eines sehr grossen Nucleolus 
vereinigt haben, unterscheiden. Es handelt sich also bei der 
Ovocytenbildung um zwei Arten von Wachstum und zwar, bis 
zur Verschmelzungsgrösse, um Volumenzunahme der Ovogonie 
durch Ernährung, dann aber um Vergrösserung durch Ver- 
schmelzung von Ovogonien. Das nunmehrige Keimbläschen 
wächst, während die aufgenommenen Nährzellen sich in der 
werdenden Ovocyte auflösen, zu jener beträchtlichen Grösse heran, 
die diese Kerne durchgehends auszeichnet (Fig. 8 u. 9). AÄusserst 
komplizierte und interessante Prozesse spielen sich in diesem 
Stadium der Dotterbildung und endgültigen Fertigstellung der 
Ovocyte ab. Näher auf sie einzugehen, muss ich mir für spätere 
Zeit vorbehalten, weil meine diesbezüglichen Untersuchungen 
noch nicht zum Abschluss gelangt sind. 

Hat die Ovocyte, oder besser gesagt, Ovogonie, die zur 
Verfügung stehenden Nährzellen aufgenommen, so bildet sich auf 
der Aussenseite eine Dotterhaut (Fig. 7), mit deren Fertigstellung 
die nunmehrige Ovocyte ihre definitive Grösse erreicht hat. 

Erst in diesem Augenblicke, jetzt aber auch 
endgültig und unwiderruflich, ist das geschlecht- 
liche Schicksal des künftigen Eies entschieden. 

Der Grund für diese geschlechtliche Differenzierung scheint 
mir in erster Linie darin zu liegen, dass die Ovocyte eine erbliche, 


38 Hans Freiherr von Malsen: 


in gewissen Grenzen festgelegte, (rösse erreicht hat, dass ihr 
eine bestimmte Masse von Nähr- und Bildungsmaterial zugewiesen 
ist, die ein Ei in den Stand setzt, ein weibliches Individuum zu 
bilden, während das andere nur zum Aufbau eines rudimentären 
Männchens genügt. 

Nach den neuesten Forschungen R. Hertwigs ist es ja 
sehr wahrscheinlich, dass die verschiedene Gestaltung der Kern- 
plasmarelation der Faktor ist, der im reifen Ei bestimmend 
wirkt und die Furchung und Embryonalentwicklung beherrscht. 
Das verschiedene Verhältnis von Kernmasse zu Plasmamasse wird 
aber doch wohl in erster Instanz dadurch herbeigeführt, dass 
sich zu der, in beiden Eiern gleichen, Kernmasse im weiblichen 
Ei eine grössere Menge Protoplasma fügt als im männlichen. In 
der von ihm angewandten Formel möchte ich das Verhältnis 
bezeichnen als: 2:2? = - u 

Die naturgemäss sich anschliessenden Fragen müssen sein: 

1. Welche Ovogonien werden zur Eizelle, welche zu Nähr- 

zellen ? 

2. Wie viele Ovogonien sind nötig zur Bildung eines männ- 
lichen, wie viele zu der eines weiblichen Eies? 
Wodurch wird die Zahl der verschmelzenden Ovogonien 
begrenzt? Warum bilden sich nicht ausschliesslich männ- 
liche oder weibliche Eier? 

Zur Beantwortung der ersten Frage: 

Die im Ovar vorhandenen Ovogonien zeigen, kurz vor sie 
verschmelzen, nicht den geringsten erkennbaren Unterschied. Ob 
nicht in der Struktur oder chemischen Zusammensetzung des 
Chromatins oder des Protoplasmas doch gewisse Unterschiede 
bestehen, vermag ich nicht zu unterscheiden. Zum künftigen 
Keimbläschen wird, nach meiner Ansicht, diejenige Ovogonie, die 
zuerst die Verschmelzungsgrösse erreichte und dadurch einen, 
wenn auch noch so geringen Vorsprung vor ihren Genossen erhielt. 

Sie hat damit ein Übergewicht, dass sie befähigt, die um- 
liegenden ÖOvogonien aufzunehmen und zur Umwandlung in 
Deutoplasma zu veranlassen. Inwieweit bei der Umbildung der 
Ovogonien zu Nährzeilen durch Hunger oder Temperatur ver- 
anlasste „Depressionszustände“ mitwirken, kann ich vorläufig nicht 
entscheiden. Zur Klärung dieser Frage sind erneute Unter- 
suchungen notwendig. 


0 


Dinophilus apatris. 39 


Zur zweiten Frage: 

Dass nicht eine bestimmte Anzahl Ovogonien erblich oder 
auf andere Weise fixiert sein kann, um ein Ei zu bilden, geht 
schon aus der, in immerhin. nicht unbeträchtlichem Grade 
schwankenden Grösse der Eier hervor. (Vergl. die angegebenen 
Maße auf S. 64.) Es ist leider unmöglich, eine auch nur an- 
nähernd genaue Zahl anzugeben, weil die zuerst vereinigten 
Nährzellen schon in voller Auflösung begriffen und nicht mehr 
einzeln unterscheidbar sind, während noch immer neue in den 
Verschmelzungsprozess mit einbezogen werden. Die Verschmelzung 
der Ovogonien schreitet eben solange weiter, als Material vor- 
handen ist. Und damit komme ich zur Beantwortung der dritten und 
wichtigsten Frage, wodurch die Zahl der verschmelzenden Ovogonien 
begrenzt, warum ein Ei weiblich, das andere männlich wird. 

Eine hierfür wichtige Beobachtung muss ich noch einfügen. 
In bezug auf die Ausnützung des im Ovar vorhandenen Raumes 
durch die Ovocyten zeigt sich als fast ausnahmslose Regel, dass 
die Mitte des Hohlraumes von den grossen weiblichen Eiern 
eingenommen wird, während die kleinen männlichen an der 
Peripherie oder in den äussersten Ecken Platz zu finden pflegen. 
Nach dem vorher Gesagten stelle ich mir nun den ganzen Vor- 
gang folgendermassen vor: Eine gewisse Anzahl der in grosser 
Menge zu gleicher Zeit vorhandenen Ovogonien erreicht auch 
gleichzeitig die Verschmelzungsgrösse und damit die Fähigkeit, 
ihre, in der Entwicklung noch rückständigen, umliegenden 
Genossen zu beeinflussen und zur Vereinigung mit sich zu nötigen. 
Je kräftiger nun z. B. die Ovogonie A ist oder je grösser ihr 
Vorsprung in der Entwicklung ist, desto mehr Ovogonien wird 
sie ihrer Einflusssphäre zu unterwerfen vermögen und mit sich 
vereinigen. Eine, in gewisser Entfernung davon liegende zweite 
Ovogonie B ist vielleicht zwar weiter entwickelt als ihre direkten 
Nachbarn, aber doch um eine Kleinigkeit im Rückstand gegen A. 
Auch sie macht nach vollendeter Reife ihren Einfluss geltend auf 
ihre Umgebung. Da aber ihre Nachbarin A schon einen grossen 
Teil des vorhandenen Materials für ihren eigenen Aufbau an sich 
gerissen hat, findet B nur mehr weniger Ovogonien zur Ver- 
grösserung vor und muss deshalb im Endresultat etwas kleiner 
bleiben als A. Es entsteht aus ihr zwar noch ein weibliches Ei, 
aber ein etwas kleineres. 


90 Hans Freiherr von Malsen: 


Aus den Überresten des gesamten, zu einer gewissen Zeit 
vorhandenen Bildungsmaterials nun, entstehen die kleinen, 
männlichen Eier. Die Ursache für ihre Bildung kann zweierlei 
sein: Entweder ist die Ovogonie, welche ihr Keimbläschen bildet, 
mit ihrer individuellen Entwicklung so weit im Rückstand 
geblieben, dass das vorhandene Material an Nährzellen beim 
Eintritt ihrer Reife schon grösstenteils von den anderen Eizellen 
aufgebraucht und assimiliert war, dass für sie also nur mehr ein 
geringer Teil übrig blieb, oder aber sie ist durch ihre ungünstige 
Lage im Eierstock an ihrer Vergrösserung behindert. Auf 
diesen letzteren Fail deutet die Beobachtung hin, dass die 
männlichen Eier meistens an der Peripherie oder in den 
Ecken liegen. 

Während die im Zentrum gelegenen Ovogonien auf allen 
Seiten von Nährzellen umgeben sind, sind die an der Wand des 
Ovars oder nahe von ihm gelegenen natürlich im Nachteil, weil 
sie peripher von sich nur mehr wenig oder kein Material zur 
Verfügung haben. Den Einwand, dass diese peripheren Ovogonien 
ja direkt vom Gewebssaft umspült und so noch günstiger ernährt 
werden als die zentralen, weise ich insofern zurück, als ja, wie 
schon früher erwähnt wurde, zwei Wachstumsstadien und -arten 
unterschieden werden müssen und in dem zweiten Stadium 
das Wachstum der Övocyte nicht mehr durch Aufnahme 
von Ernährungsflüssigkeit, sondern durch Verschmelzung mit 
Nährzellen erfolgt. Die verschiedene Beeinflussung der Er- 
nährung durch die Temperatur wurde schon früher eingehend 
besprochen. 

Schon Korschelt hat nun beobachtet, und ich kann ihm 
nur beistimmen, dass bei Dinophilus auch im geschlechtsreifen 
Weibchen die Bildung der Urgeschlechtszellen im Darmepithel 
und damit der Ovogonien im Ovarium ihren Fortgang nimmt. 
Ist im Ovar eine genügende Anzahl erwachsener Ovocyten vor- 
handen, nach meinen Beobachtungen durchschnittlich fünf bis 
sechs weibliche und zwei bis drei männliche, so werden sie ab- 
gelegt und im Ovarium gibt es Platz für neue. 

Als pathologische Erscheinung habe ich im ersten Teil 
dieser Arbeit bereits das Vorkommen von Weibchen erwähnt, 
deren ganzer Leib so mit Eiern gefüllt ist, dass sie unfähig zur 
3ewegung und Nahrungsaufnahme sind. Ihre Hautmuskulatur 


Dinophilus apatris. Eh! 


kann sich infolge der starken Ausdehnung der Körperwand nicht 
mehr genügend kontrahieren, um die Eier auszustossen und sie 
müssen zugrunde gehen. 


IN. Teil. 


Gegenwärtiger Stand der Fragenach den geschlechts- 
bestimmenden Einflüssen. 


Die Frage nach den geschlechtsbestimmenden Einflüssen hat, 
so lange es denkende Menschen gibt, die Geister beschäftigt. 
Schon die ungeheure praktische Tragweite, die ihre Lösung sowohl 
für die einzelne menschliche Familie, wie für den Landwirt und 
Tierzüchter ‚haben würde, liess von Alters her zahlreiche mehr 
oder weniger geistreiche Theorien entstehen. Leider aber grössten- 
teils nur Theorien! Tatsächliche Grundlage erhielten sie, wenigstens 
in den letzten Dezennien, meist durch teilweise umfangreiches, 
statistisches Material, das an Menschen oder Haustieren gewonnen 
wurde. Auf statistischem Wege lässt sich aber ein Vorgang, der 
notwendigerweise seinen Ursprung im ersten Anfang der ÖOnto- 
genie nehmen muss, sicher nicht aufklären. Wie die menschliche 
Anatomie ein festes Fundament erst durch die zoologischen 
Forschungsergebnisse an den niederen Wirbeltieren, erst auf 
Grund von Darwins unsterblicher Deszendenztheorie erhalten 
konnte, so muss getrachtet werden, dem Geschlechtsproblem 
durch allmähliche Erkenntnis der Art näher zu treten, in der 
sich die geschlechtlichen Vorgänge bei niederen Organismen ent- 
wickelt haben. Im höher organisierten Tier- und auch Pflanzen- 
körper müssen naturgemäss die Wechselbeziehungen verschiedenster 
Art, zwischen Körper und Aussenwelt, wie zwischen den einzelnen 
Örgansystemen im Körper selbst, zu kompliziert sein, um sich 
kurzerhand und ohne Kenntnis der herrschenden Grundgesetze 
erkennen und entscheiden zu lassen. 

In der Tat hat auch noch keiner der an höheren Tieren 
oder an diöcischen Pflanzen angestellten Versuche zu allgemein 
anerkannten Resultaten geführt. 

Strassburger stellte mit sehr grossem Material Versuche 
aı den diöcischen Pflanzen Melandrium album und rubrum an. 
Es wurde die Einwirkung der Ernährung, des Lichtes oder 
Schattens, der Temperatur, verschiedenen Alters von Samen und 


92 Hans Freiherr von Malsen: 


Pollen äusserst gewissenhaft und in jahrelangen Versuchen erprobt, 
ohne dass sich eine Änderung des Geschlechtsverhältnisses hätte 
erzielen lassen. Heyer kam bezüglich der Temperatureinwirkung 
und Bodenart auf Mercurialis annua zum selben Resultat. 


Von Haberlandt, Fisch, Strassburger und anderen 
mit Hanf (Cannabis sativa) angestellte Experimente führten gleich- 
falls zu negativem Resultat. 


Strassburger kommt denn auch, bei Zusammenfassung 
aller an diöcischen Pflanzen erzielten Ergebnisse zur Ansicht, 
dass das Geschlecht dieser Pflanzen „durch die Einflüsse, welche 
sich während der Entstehung und Entwicklung auf sie geltend 
machen, nicht beeinflusst wird“ und zieht die weitere Folgerung, 
dass schon in der embryonalen Substanz über das Geschlecht 
entschieden sei. 

Alle über die Geschlechtsverhältnisse bei Wirbeltieren vor- 
liegenden Angaben, die sich in erster Linie auf statistisches 
Zahlenmaterial über Haustiere und Menschen stützen, wurden von 
Lenhosseck kritisch zusammengestellt. Das Resultat geht dahin, 
dass eine Einwirkung auf das Geschlecht weder durch den Er- 
nährungszustand, noch das Alter der Eltern oder andere Einflüsse 
erkennbar ist. 


Pflüger, Born und Jung haben an Fröschen, Oskar 
Schultze an weissen Mäusen Versuche vorgenommen. Auch sie 
führten zur Leugnung eines Einflusses der Ernährung auf Ge- 
schlechtsbildung. 

Wesentlich günstiger gestalten sich die Versuche an mono- 
clinen oder monöecischen Pflanzen und an niederen Tieren. 

G. Klebs gelang es durch Kultivierung in verdünnter Luft 
die sonst hermaphrodite Alge Vaucheria repens zur alleinigen 
Ausbildung männlicher Geschlechtsorgane zu nötigen. 


Nach Prantl ist Stickstoffmangel oder durch dichte Aus- 
saat bewirkter Nahrungsmangel imstande, die Prothallien der 
Farne Osmunda regalis und Üeratopteris thalictroides zur Unter- 
drückung der Archegonien und ausschliesslicher oder doch vor- 
wiegender Antheridienbildung zu veranlassen. 

Gleiche Ergebnisse erzielte Buchtien an Equisetaceen 


durch dichte oder dünne Aussaat, durch Kultivierung auf schlechtem 
oder gutem Nährboden. 


Dinophilus apatris. 33 


Sogar an der Maispflanze konnte O. Schultze durch Beob- 
achtung in verschiedenen Gegenden und durch Zucht im eigenen 
Garten feststellen, dass sie bei dünner Aussaat, reichlicher Er- 
nährung und freiem Zutritt des Sonnenlichtes vorwiegend die 
grossen, weiblichen Kolben, bei dichter Aussaat, schlechter Er- 
nährung und Mangel an Sonne hauptsächlich die männlichen 
Rispen ausbildet. 

Für niedere Tiere liegen nur wenige Versuche vor. 

Beim Süsswasserpolypen Hydra fand Nussbaum, dass 
gutes und reichliches Futter die Entstehung der Eier, mangel- 
hafte Ernährung die Entstehung der Hoden begünstige, jedoch 
ist dieses Ergebnis noch nicht genügend sichergestellt. 

Mit dem Rädertiere Hydatina senta hat zuerst Maupas, 
dann Nussbaum experimentiert. Das Tier ist gonochoristisch. 
Es hat die von beiden Forschern bestätigten Eigentümlichkeiten, 
dass es erstens drei Arten von Eiern produziert und zwar grössere 
weibliche und kleinere männliche Sommereier, ausserdem noch 
grosse Winter- oder Dauereier. Letztere bedürfen zu ihrer Ent- 
wicklung der Befruchtung, erstere sind parthenogenetisch. 
Zweitens vermag ein Weibchen stets nur Eier von einer der drei 
Arten zu legen. 

Aus einem Ei geht also ein Weibchen hervor, das nur 
männliche oder nur weibliche oder nur Dauereier produziert. 
Maupas glaubt, dass der spätere Charakter des Weibchens schon 
in diesem Ei definitiv bestimmt und also das Geschlecht der 
Enkelgeneration schon im Ovar der Grossmutter entschieden sei. 
Er sagt hierüber: 

„C'est bien au moment ou chaque oeuf se differencie dans 
l’ovaire, en commencant son developpement que l’etat de pon- 
deuse d’oeufs femelles ou de pondeuse d’oeufs mäles apparait et 
se fixe d’une facon definitive.“ 

Eine Beeinflussung des Geschlechtes der Enkelgeneration 
erzielte er durch Einwirkung verschiedener Temperatur auf die 
Grossmutter, und zwar ergab Kälte weibliche, Wärme männliche 
Eier. Wie bei Dinophilus sind auch bei Hydatina die weiblichen 
Sommereier grösser und dotterreicher. 

Nussbaum hat meiner Ansicht nach überzeugend nach- 
gewiesen, dass nicht die Temperatur, sondern die, durch Kälte 
günstiger, durch Wärme ungünstiger gestalteten Ernährungs- 


94 Hans Freiherr von Malsen: 


verhältnisse geschlechtsbestimmenden Einfluss ausübten. Er selbst 
hat mit dem gleichen Objekt wie Maupas sehr eingehende und 
genaue Versuche angestellt und seine Vermutung vollständig be- 
stätigt gefunden. Gleichzeitig weist er nach, dass .das Geschlecht 
der Enkel nieht schon im Ovarium der Grossmutter, sondern erst 
während der ersten Eibildungsstadien in der Mutter bestimmt 
wird. Nach einer Reihe eigens hierzu angestellter Versuche er- 
gab sich, „dass die Umstände, unter denen die Eier ausgebrütet 
und weitergezüchtet werden, und nicht die Bedingungen, unter 
denen sie gelegt wurden, massgebend für das Gelege der aus den 
auskriechenden Embryonen heranwachsenden Weibchen werden.“ 


Sehr interessant für unser Problem ist Nussbaums Angabe, 
dass in einem Aquarium Weibchen, die männliche Eier legten, 
auftraten, wenn die Zahl der Weibchen durch steten Nachwuchs 
stieg. Wurde die Anzahl der Weibchen in einem Aquarium aber 
rechtzeitig durch Teilung vermindert, so konnte das Erscheinen 
von Männchen verhindert werden. 


Das Endresultat dieser Versuche ist übereinstimmend mit 
dem von mir an Dinophilus erzielten: 


„bei Hydatina senta bestimmt während einer gewissen 
Entwicklungsphase die Ernährung das Geschlecht des ganzen 
Geleges eines jeden jungfräulichen Weibchens. Wird das aus- 
kriechende Weibchen bis zur Reifung seines ersten Eies gut er- 
nährt, so legt es nur weibliche Eier; wird es bis zur Geschlechts- 
reife mangelhaft ernährt, so legt es nur männnliche Eier. Vor 
und nach dieser Periode hat die Ernährung auf das Geschlecht 
keinen Einfluss.“ 


Die Versuche von Issakowitsch an Simocephalus vetulus 
(Müll.) wurden schon im I. Teil besprochen. 


Eine sehr eingehende, kritische Besprechung aller auf unsere 
Fragen bezüglichen Tatsachen und Hypothesen verdanken wir 
Cuenot. Das Resultat ist folgendes: 


Während bei Blattläusen und Phylloxera nach den Unter- 
suchungen von Kyber und Balbiani gute Ernährung der Mutter 
parthenogenetische Weibchen, schlechte Ernährung gonochoristische 
(Generationen hervorrief, haben sich die von Landois, Giard, 
Mary Treat und anderen an Schmetterlingsraupen erzielten 
Ergebnisse nicht aufrecht erhalten lassen. Eigene Versuche 


Dinophilus apatris. 95 


Cuenots an Fliegenlarven ergaben keine Beeinflussung des Ge- 
schlechtes durch die Ernährung. 

Soviel ist also sicher, dass die Geschlechtsbestimmung bei 
all diesen Tieren schon sehr früh, wahrscheinlich im Ei, ge- 
troften ist. 

Das klassische Beispiel der Biene, deren befruchtete Eier 
Weibchen, die unbefruchteten Männchen liefern, zeigt, dass in 
manchen Fällen das Spermatozoon Einfluss gewinnt. 

Beobachtungen und Experimente an Patella von Gemmil, 
an ÖOymatogaster aggregatus von Eigenmann, an Fröschen von 
Cu&not und den schon früher zitierten Autoren ergaben negative 
Resultate. 

Mit Bezug auf Tiere mit obligatorischer Befruchtung sagt 
denn auch Cu&@not resigniert: „il est done &vident que le deter- 
minisme est sous la puissance de facteurs internes, dont nous 
n’avons pas la moindre idee.“ 

Wenn der jetzige Stand unserer Kenntnisse diese Resignation 
auch rechtfertigt, so ist doch kein Grund vorhanden, um an der 
Lösung des Problems überhaupt zu verzweifeln. Hat schon 
Boveris bedeutsame Entdeckung von Unterschieden in den 
Chromatinverhältnissen der Geschlechts- und Körperzellen bei 
Ascaris megalocephala bewiesen, dass auf dem Gebiete der Zellen- 
lehre noch manches Dunkel erhellt werden kann, so ist eine 
Beobachtung der allerletzten Zeit wohl geeignet, nicht nur über 
die Verhältnisse in der Zelle überhaupt ganz neues Licht zu 
verbreiten, sondern auch das Geschlechtsproblem in neue Bahnen 
zu weisen. 

Ich meine R. Hertwigs Theorie der „Kernplasmarelation“, 
die er mit Bezug auf das Geschlechtsproblem zum ersten Male 
ausführlicher vor der 15. Jahresversammlung der Deutschen 
zoologischen Gesellschaft in Breslau im Juni 1905 entwickelte. 

Er konnte in diesem Vortrage schon meine Resultate und 
die von Issakowitsch erzielten benützen. Hertwig denkt an 
eine direkte Beeinflussung der Geschlechtszellen durch die 
Temperatur und weicht in diesem Punkte von meiner Anschauung 
ab. Dagegen stimme ich seiner Ansicht insoweit bei, als er 
die Verschiedenheit des Geschlechtes auf eine Veränderung der 
Kernplasmarelation im Ei zurückführt. Er sagt selbst an anderer 
Stelle mit Bezug auf die Eier des Dinophilus: „Nach allem, was 


96 Hans Freiherr von Malsen: 


wir über die Befruchtung wissen, müssen die Kerne dieser Klein- 
eier ebenso gross sein, wie die der Grosseier; die verschiedene 
Grösse der Eier muss daher in ganz energischer Weise die Kern- 
plasmarelation und damit das Geschlecht beeinflussen.“ 

Dem stimme ich vollkommen zu. Im vorhergehenden habe 
ich jedoch bewiesen, dass eben die Grösse dieser Eier von ihrer 
verschiedenen Ernährung im Ovar abhängt. Somit muss wohl 
auch die Kernplasmarelation wenigstens indirekt von der Er- 
nährung beeinflusst werden. 

Inwieweit die Temperatur noch direkt dieses Verhältnis be- 
einflusst, kann ich leider zurzeit noch nicht angeben. Eine 
Einwirkung derselben im Sinne Hertwigs ist ja höchst wahr- 
scheinlich. Soviel halte ich aber für sicher. dass der erste auf 
die Kernplasmarelation und das Geschlecht wirkende Faktor bei 
Dinophilus die Ernährung ist. 

Sehr interessant und wichtig ist das Versuchsergebnis 
R. Hertwigs an Fröschen. Es ergab Befruchtung frühreifer und 
überreifer Eier einen wesentlichen Überschuss an männlichen 
Larven, gegenüber dem Geschlechtsverhältnis normal abgelegter 
Eier. Er folgert daraus, dass „auf der Höhe der Laichperiode 
ein Optimum für das weibliche Geschlecht gegeben ist, welches 
zugunsten des männlichen Geschlechtes abgeändert wird, je näher 
sich die Eier dem Anfang oder dem Ende der Laichfähigkeit 
befanden.“ Bringen wir damit in Zusammenhang, was Oskar 
Schultze auf Grund aller bisherigen Beobachtungen sagt, dass 
„die Produktion der männlichen Fortpflanzungszellen im Vergleich 
mit derjenigen der weiblichen einer geringeren Leistung des 
Organismus .... .. . entspricht,“ so können wir als vorläufiges 
Resultat den Satz aufstellen: 

Günstige Existenzbedingungen, die durch Einwirkung ver- 
schiedener Faktoren, wie Ernährung und Temperatur hervor- 
gerufen werden können, begünstigen die Bildung weiblicher Nach- 
kommen. DBeeinflusst wird durch diese äusseren Verhältnisse 
die Kernplasmarelation der propagatorischen Zellen und diese ist 
es dann, welche ihrerseits die Differenzierung des Eies oder 
Embryos in verschiedener geschlechtlicher Richtung veranlasst 
und beherrscht. 

Die erstgenannten äusseren Faktoren sind also die Ursachen, 
die als Folge eine verschiedene Kernplasmarelation zeitigen. 


Dinophilus apatris. 97 


Auf Grund aller dieser Ergebnisse möchte ich deshalb 
meine Auffassung der geschlechtsbestimmenden Faktoren in 
folgender Weise präzisieren: 

Auf die Bildung der propagatorischen Zellen übt der Er- 
nährungszustand des Weibchens während der Ovogenese einen 
entschiedenen Einfluss aus und zwar durch Einwirkung auf die 
Kernplasmarelation. Diese aber kann noch durch weitere Um- 
stände, vor allem durch Parthenogenese oder Befruchtung beein- 
flusst werden. Je höher ein Tier organisiert ist, desto vielfacher 
und verschiedenartiger werden diese Einflüsse sein. Es ist also 
weder für das ganze Tierreich nur ein geschlechtsbestimmender 
Faktor anzunehmen, noch auch ist der Zeitpunkt der geschlecht- 
lichen Fixierung des Eies überall der gleiche. Die weitere 
Untersuchung des Geschlechtsproblems ist damit auf tiefere Er- 
forschung der Vorgänge in der Zelle verwiesen. 

Zum Schlusse sei es mir noch gestattet, meinem hochverehrten 
Lehrer, Herrn Professor Dr. Richard Hertwig, für seine un- 
ermüdliche, liebenswürdige Anleitung und Belehrung meinen 
herzlichsten Dank auszusprechen. 

Auch dem ersten Assistenten des Instituts, Herrn Privat- 
dozenten Dr. Goldschmidt, verdanke ich sehr vielfache Unter- 
stützung und Anregung. 


Literaturverzeichnis. 


1. Beard: The determination of sex in animal development. Jena 1902 
2. Boveri: Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Substanz 
des Zellkerns. Jena 1904. 


3. Cu&not: Sur la determination du sexe chez les animaux. Bull. scient 
de la France. T. XXXII, 1899. 


4. Doflein: Die Eibildung bei Tubularia. Zeitschr. Wissensch. Zool., 
Bd. 62. 1897. 


5. Hertwig, Richard: Was veranlasst die Befruchtung der Protozoen? 


Sitz.-Ber. Ges. f. Morph. u. Physiol. München 1899, Heft 1. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. m 


98 


& 


| 


[0 °) 


Hans Freiherr von Malsen: 


. Derselbe: Mit welchem Recht unterscheidet man geschlechtliche und 


ungeschlechtliche Fortpflanzung? Sitz.-Ber. Ges. für Morph. und Physiol. 
München 1899, Heft 2. 


. Derselbe: Über physiologische Degeneration bei Protozoen. Sitz.-Ber. 


Ges. für Morph. und Physiol. München 1900, Heft 1. 


. Derselbe: Über Wesen und Bedeutung der Befruchtung. Sitz.-Ber. 


Mathem.-phys. Klasse kgl. bayr. Ak. der Wissensch., Bd. XXXII. 1902, 
Heft 1. 

Derselbe: Über Korrelation von Zell- und Kerngrösse und ihre Be- 
deutung für die geschlechtliche Differenzierung und die Teilung der 
Zelle. Biol. Centralbl., Bd. XXIIl. 1903. 

Derselbe: Über das Wechselverhältnis von Kern- und Protoplasma. 
München 1903. 

Derselbe: Über das Problem der sexuellen Differenzierung. Verh. 
Deutschen zool. Ges. 1905. 

Issakowitsch: Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphnoiden. 
Biol. Centralbl., Bd. XXV. 1905. 

Korschelt: Über Bau und Entwicklung des Dinophilus apatris. 
Zeitschr. Wissensch. Zool., 37. Bd. 1882. 

Korschelt u. Heider: Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungs- 
geschichte der wirbellosen Tiere. Allg. Teil. Jena 1902. 


. Lenhossek: Das Problem der geschlechtsbestimmenden Ursachen. 


Jena 1903. 

Maupas: Sur la multiplication et la f&condation de ’Hydatina senta 
Ehr: 4@. BR. Achse Paris, T. 111. 188: 

Derselbe: Sur la determination de la sexualit& chez l’Hydatina senta. 
OB Ac. sc, „Parisı T2113.2.4891. 

Nelson: The early development of Dinophilus: a study in celllineage. 
Proceed. Acad. natur. sciences. Philadelphia, V. LVI. 1904. 


. Nussbaum: Die Entstehung des Geschlechtes bei Hydatina senta. 


Arch. mikros. Anat., Bd. 49. 1899. 


Schultze, Oskar: Zur Frage von den geschlechtsbildenden Ursachen. 
Arch. mikrosk. Anat., Bd. 63. 1903. 


. Strassburger: Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf 


Geschlechtsverteilung. Biol. Centralbl. 1900. 


Dinophilus apatris. 99 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel II. 


Abgekürzte Bezeichnungen: 


B.Z. == Bindegewebszelle. E.Z. = Eizelle. 

C. — Cuticula. K.E. = Körperepithel. 

D. = Darm. M. —= Magen. 

D.E. = Darmepithel. N»Z: — Nährzelle. 

D. Fbl. — Darmfaserblatt. Oy. — Ovarium. 

D.h. = Dotterhaut. U.G.Z. = Urgeschlechtszellen. 
E.Fl. — Ernährungsflüssigkeit. 


Sämtliche Bilder sind mit dem Abbeschen Zeichenapparat angefertigt. 
Vergrösserung: Leitz 2 mm Apochromat; Comp.-Oc. 4; Tubuslänge 15,5. 
Objekttischhöhe. Färbung, wo nichts anderes bemerkt, Borax-Karmin und 
Delafields Hämatoxylin. 


Fig. 1. Hinteres, ventrales Ende eines jungen Weibchens mit Ovarium., 
a und b scheinbar einwandernde Primordial-Eizellen. 

Fig. 2. Ovarium eines etwas älteren Weibchens. 

Fig. 3. Zwei verschmelzende Ovogonien (Eosin). 

Fig. 4. Teil eines Ovars mit Ovogonien in verschiedenen Verschmelzungs- 
stadien. Zeitliche Reihenfolge der Stadien a, b, c. 

Fig. 5. Teil eines Ovars. Anfangsstadium der Ovocytenbildung. 

Fig. 6. Zwei Ovogonien, deren Kerne noch getrennt im schon vereinigten 
Protoplasmaleib liegen. 

Fig. 7. Ovocyte kurz vor ihrer Fertigstellung. Dotterhaut teilweise ge- 
bildet (Eosin). 

Fig. 8. Keimbläschen einer Ovocyte, die ihr Wachstum durch Verschmelzung 
beendet hat. 

Fig. 9. Keimbläschen einer Ovocyte, die fast fertig zum Beginn der ersten 
Reifungsteilung ist (Eosin). 


100 


Aus dem Laboratorium des Marinehospitals in St. Petersburg. 


Histologische Untersuchungen über das Muskel- 
gewebe. 
II. Die Myofibrille des embryonalen Hühnerherzens. 
Von 
Dr. Gustav Schlater. 


Hierzu Tafel III und IV. 

In meiner ersten Arbeit über die Myofibrille, welche meine 
Untersuchungen über das Muskelgewebe eröffnete,') kam ich zu 
einer ganz bestimmten Vorstellung vom Bau der Myofibrille 
embryonaler Skelettmuskulatur, und wies darauf hin, dass der 
Begriff der Myotibrille, als histologischer Einheit, streng definier- 
bar ist, und die Myofibrille einen vollkommen ausgesprochenen 
Bau besitzt, dessen Grundprinzip ich mehr oder weniger klar- 
gelegt zu haben glaube. Nun lag die Frage nahe, ob das 
von mir entworfene Schema der Myofibrillen-Struktur voll und 
ganz auch auf die Myofibrille des Myocards anwendbar ist, oder 
ob die Herzmuskulatur irgendwelche prinzipiellen Ab- 
weichungen und Modifikationen desselben aufweist. Diese Frage 
musste beantwortet werden, bevor an eine Analyse der weiteren 
feineren Strukturdetails zu denken war, da ja, wenn sich die 
Myofibrille des Herzens nach einem anderen Typus gebaut er- 
weisen sollte, meine Vorstellung eine irrige sein musste, und 
alsdann weitere Untersuchungen die Divergenz ausgleichen oder 
die Fehlerquelle klarlegen müssten. Es wäre ja logisch kaum 
anzunehmen, dass die Myofibrille des Herzmuskels, welcher ja 
ein echter sogen. quergestreifter Muskel ist, nach einem anderen 
Prinzipe, als die Myofibrille der Skelettmuskulatur, gebaut wäre. 
Gewisse, uns zu Gebote stehende Literaturangaben ziehen diese 
Möglichkeit auch stark in Zweifel. Andererseits ist die Vermutung 
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dass sich im Myocard 
gewisse Modifikationen des Fibrillenbaues, jedoch mit Wahrung 


!) @. Schlater: ‚„Histologische Untersuchungen über das Muskelge- 
webe.“ I. Die Myofibrille des Hühnerembryos. Mit 3 Tafeln und 2 Text- 
figuren. (Archiv für mikroskop. Anatomie, Bd. 66, 1905). 


Untersuchungen über das Muskelgewebe. 101 


des Grundtypus, herausgebildet haben könnten, da ja der Herz- 
muskel so manche anatomische Sonderheiten aufweist und sein 
embryonaler Ursprung ein anderer ist. 

Derselbe, in Sagittalschnitte zerlegte, siebentägige Hühner- 
embryo (B), welcher als Objekt meiner ersten Arbeit diente, 
bildet den Ausgangspunkt auch vorliegender Untersuchung. Nur 
vergleichshalber wurden Embryonen anderen Alters verwertet, so 
z. B. ein 2!/stägiger und ein 17tägiger Embryo. Ein Schnitt des 
ÖObjektträgers Nr. 76 (Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain) 
des siebentägigen Embryos ist auf Taf. III, Fig. 1 in natürlicher 
Grösse abgebildet. Das Herz ist in Form eines kleinen konischen 
Säckchens vor der Leberanlage und unter der, als schwarze 
Linie erscheinenden, Aorta deutlich zu sehen. Schon eine schwache 
Vergrösserung (Obj. AA, Comp.-Oeul. 4, Fig. 2, Taf. III) zeigt 
eine ziemlich mächtige Fibrillenentwicklung, welche sich dadurch 
kundgibt, dass auf dem hellgrauen Grunde des Myocards dunkle 
bis schwarze, wellenartig geschlungene, stellenweise zu mehr oder 
weniger mächtigen Bündeln geordnete, Linien in annähernd 
paralleler Richtung dahinziehen. Die Myofibrillenbildung geht 
anscheinend mehr oder weniger gleichmässig im ganzen Myocard 
vor sich, welches als einheitliche Muskelanlage aufzufassen ist. 
Fig. 3, Taf. III zeigt das Bild bei Betrachtung mit dem Trocken- 
system 4,0 mm, Apert. 0,95; Compens.-Ocul. 4. Vergebens würde 
man in diesem Stadium nach streng abgegrenzten „Muskelzellen“ 
suchen, desgleichen in früheren und auch späteren Embryonal- 
stadien. Muskelzellen (Myoblasten), wie wir sie, wenn auch in 
schwacher Ausbildung!) in den Skelettmuskel- Anlagen vorfinden, 
sind nicht zu unterscheiden. Das ganze Myocard stellt ein 


!) In meiner ersten Arbeit (l. c.) spreche ich von „Myoblasten‘“, welche 
in den Anlagen der Skelettmuskulatur zu sehen sind. Streng genommen 
haben wir auch hier keine ‚Muskelzellen‘ vor uns. Schon das sehr ver- 
schiedene Aussehen der ,„Myoblasten“ ruft Bedenken wach. Oft laufen 
die Primitiv-Muskelfäserchen durch mehrere „Myoblasten“ hindurch, welche 
zu einem unregelmässigen Protoplasmabande mit eingestreuten Kernen ver- 
eint sind. Und die einzeln auftretenden ‚„Myoblasten‘‘ wieder, unterscheiden 
sich durch nichts von den „Zellen“ des embryonalen Grundgewebes. Das 
Bild von besonderen Muskelzellen wird eben durch die in gewisser Richtung 
verlaufenden und durch die ‚Zellen‘ des embryonalen Gewebes dahinziehenden 
Myofibrillen, Primitivfäserchen und Muskelfäserchen, hervorgerufen. Ausser- 
dem ist die Histogenese der Myofibrille noch vollkommen unklar. 


102 Gustav Schlater: 


Syneytium dar, in welchem ellipsoidförmige Kerne eingebettet 
sind. Diese Tatsache ist durch die Arbeiten der letzten Zeit 
festgestellt (sodlewsky jun., M. Heidenhain u.a.) und ich 
kann sie bekräftigen. Und wenn schon eine eingehende Analyse 
der Strukturverhältnisse im ausgebildeten Myocard der Amniota!) 
bewiesen zu haben scheint, dass die seit der klassischen Arbert 
von C. Eberth („Die Elemente der quergestreiften Muskeln.“ 
Virchows Archiv, Bd. 37, 1866) für „Muskelzellen“ angesehenen 
Myocard-Fragmente durchaus nicht Zellen gleichwertig sind,?) 
so bietet uns das embryonale Myocard (meine Erfahrung 
erstreckt sich auch auf menschliche Embryonen) den entschiedenen 
Beweis dafür. Und gegenwärtig vermeiden es schon die meisten 
Histologen, von „Herzmuskelzellen“ zu sprechen, während die 
in der theoretischen Histologie nicht immer sattelfesten Patho- 
logen noch öfters mit „Herzmuskelzellen“ umgehen. Natürlich 
ist ja im Grunde auch das Myocard, gleichwie alle Organe und 
Gewebe, wahrscheinlich aus einem bestimmten Zellenkomplex 
hervorgegangen; die allerersten Momente der Differenzierung 
desselben sind aber meines Wissens noch nicht histologisch ver- 
wertet worden; und schon das Herz eines 2'/stägigen Hühner- 
embryos (das jüngste, welches ich untersuchte) zeigt keine Spur 
von „Herzmuskelzellen“. Auf den Fig. 1 und 4, Taf. IV, welche 
aus dem Herzen des siebentägigen Embryos stammen, können wir 


!) Ich sage „der Amniota“, weil der Bau des Myocards der niederen 
Wirbeltiere (Anamnia) in dieser Hinsicht noch eingehender studiert werden 
muss. Es besteht noch die Ansicht, dass, während das Myocard der 
Amniota keine „Herzmuskelzellen‘“ aufweist, dasjenige der Anamnier aus 
echten Herzmuskelzellen zusammengesetzt sei. Ohne auf diese Frage einzu- 
gehen, weise ich nur darauf hin, dass meine Präparate, z. B. des Herzens 
von Salamandra macul., es kaum zulassen, auch hier von ‚„‚Herzmuskelzellen“ 
zu sprechen. Allein, eine mit den erprobtesten Untersuchungsmethoden aus- 
geführte vergleichend-histologische Untersuchung des Myocards wäre warm 
zu begrüssen. 

2) Wie eng die verschiedenen Zweige biologischer Forschung mit- 
einander verzweigt sind, ist z. B. aus der von mir Ende vorigen Jahres ver- 
öffentlichten Arbeit über die Fragmentation des Herzmuskels zu ersehen. 
Zwei Fälle plötzlichen Todes gesunder Subjekte, welche sich mir zufällig 
darboten, zeigten, dass eine Analyse der pathologischen Erscheinungen im 
Myocard einen indirekten Beweis gegen die Eberthsche Muskelzellen-Theorie 
liefert. (G. Schlater: „Einige Betrachtungen über die sogen. Fragmentation 
des Herzmuskels.‘‘“ Centralbl. f. allg. Pathol. u. pathol. Anat., Bd XVI, 1905). 


Untersuchungen über das Muskelgewebe. 103 


mit dem besten Willen keine Zellgrenzen unterscheiden. In 
einer „protoplasmatischen“, von freien lakunenartigen Räumen 
durchsetzten Grundmasse sind die freien Kerne gelagert. Das 
Syneytium ist durchsetzt von Myofibrillen, welche dasselbe in 
den verschiedensten Richtungen als isolierte, oder zu Primitiv- 
fäserchen, oder ganzen Bündeln vereinte Fibrillen durchziehen. 
Jegliche histogenetische Abhängigkeit der Myofibrillen und Fasern 
von territorialen Abgrenzungen, die man für den Zellen gleich- 
wertige Gebilde halten könnte, fehlt vollkommen. Die Myo- 
fibrilien scheinen frei im syneytialen Myocard zu entstehen. Aus 
welchen Strukturelementen die Myofibrillen sich entwickeln, ist 
freilich noch eine ungelöste Frage. 

Obschon die Myofibrillenbildung im siebentägigen embryo- 
nalen Myocard bereits eine sehr rege ist, und, wie die Abbildungen 
lehren, das ganze syneytiale Gewebe von ihnen dicht durch- 
webt ist, so zeigt doch ein Blick, z. B. auf Fig. 4, Taf. IV, dass das 
ganze Gefüge der Myofibrillen ein noch sozusagen lockeres ist, 
dass sie sich noch nicht zu den typischen Herzmuskelfasern ver- 
eint haben. Dementsprechend erweist es sich (bei starken Ver- 
grösserungen), dass ihre Querverbindungen (Z-Microsomen und 
Linien, „Zwischenmembran“ nach M. Heidenhain) noch sehr 
schwach entwickelt sind und auch die interfibrilläre Substanz 
noch nicht so stark hervortritt. Das Myocard eines 17tägigen 
Embryos weist einen viel grösseren Reichtum an Myofibrillen 
auf; dieselben sind schon regelrechter in Längsbündel geordnet; 
jedoch auch hier treten im mikroskopischen Bilde die Querver- 
bindungen zurück und die Myofibrillenbündel behalten ihren 
embryonalen Charakter. Wenn wir jetzt das Herz eines 2!/stägigen 
Embryos betrachten, welches noch vollkommen dem verdickten 
und erweiterten Herzschlauch gleicht, gewahren wir noch ver- 
hältnismässig wenige, meistens kurze, im Myocard ganz unregel- 
mässig zerstreute Myofibrillen, d. h. solche Fibrillen, welche ihrem 
färberischen Verhalten dem Eisenhämatoxylin gegenüber zweifel- 
los als Myofibrillen angesehen werden können. 

Jedes Gesichtsfeld eines beliebigen embryonalen Stadiums 
ist zur Analyse der feineren Strukturverhältnisse geeignet. 
Primitivfäserchen und isolierte Myofibrillen haben dasselbe Aus- 
sehen wie in den Skelettmuskel-Anlagen. Auch hier zeigen die 
Primitivfäserchen (bei schwächerer Vergrösserung) eine metamere 


104 Gustav Schlater: 


Reihenfolge, eine Kette von schwarzgefärbten länglichen Vier- 
ecken, welche den @Q-Elementen entsprechen. Fig. 6, Taf. II, 
Fig. 2 u. 5, Taf. IV veranschaulichen das Gesagte. In meiner 
ersten Arbeit wies ich darauf hin, dass sich die schwarzen Vier- 
ecke, bei starken Vergrösserungen betrachtet, verhältnismässig 
leicht als aus zwei parallelen Stäbchen oder vier granulaartigen 
Gebilden bestehend erweisen; dass sich das Primitivfäserchen 
verhältnismässig leicht als eine Kette von metamer gereihten 
„Letraden“* (N. Kornilowitsch) erweist. Im Myocard liegen 
die Verhältnisse etwas anders. Hätte uns nicht vorerst das 
Studium der Skelettmuskel-Anlagen zu einer klaren Vorstellung 
vom Bau der Myofibrille verholfen, so wären die betreffenden 
Strukturverhältnisse im Myocard sehr schwer mit genügender 
Beweiskraft klarzulegen. Die Sache ist die, dass sogar bei 
starken Vergrösserungen, siehe z. B. Fig. 2 u. 5, Taf. IV, die 
vermeintlichen schwarzen Vierecke sich als solche zeigen und 
nicht als „Tetraden“ zu erkennen sind. Das schon früher ge- 
wonnene Schema im Auge behaltend, gewahren wir freilich auch 
hier dieselben Strukturverhältnisse, aber erst nach einer langen 
und mühevollen Analyse derselben mit verschiedenen Systemen und 
bei Beobachtung verschiedener Bedingungen des Mikroskopierens. 
Fig. 2 u. 3, Taf. IV sind hierfür beweisend genug. Fig. 3a z. B. 
gibt eines von den in Fig. 2 abgebildeten Primitivfäserchen, an- 
nähernd in derselben Vergrösserung dargestellt, wieder, jedoch 
die feinsten Strukturverhältnisse zeigend, welche in Fig. 2 nicht 
zu differenzieren sind. Das Primitivfäserchen erweist sich aus 
zwei deutlich wahrnehmbaren Myofibrillen bestehend, welche 
Ketten von hantelartigen (schwarz gefärbten) Stäbchen oder 
Diplococcen darstellen, d.h. ganz denselben Bauplan zeigen, wie 
in der Skelettmuskulatur. Welches sind nun, fragt es sich, die- 
jenigen Momente, welche einen Einblick in diese Strukturver- 
hältnisse so sehr erschweren? Es scheinen meiner Meinung nach 
hauptsächlich zwei Faktoren im Spiele zu sein. Wenn wir uns 
vergegenwärtigen, dass die Grössen der einzelnen Strukturelemente 
der Myofibrille des Herzens geringere sind, als diejenigen, welche 
ich für die Myofibrille der Skelettmuskulatur angegeben habe 
(über das Resultat der Messungen siehe weiter unten) und weiter- 
hin bedenken, dass wir es mit minimalsten, an der Grenze des 
Unterscheidungsvermögens stehenden Bildungen zu tun haben, 


Untersuchungen über das Muskelgewebe. 105 


so wird es begreiflich, dass schon eine geringe Grössendifferenz 
die histologische Analyse erschweren oder erleichtern muss. 
Andererseits können hier auch physikalische Momente mitsprechen 
und auch eine grössere Affinität als in den Skelettmuskelanlagen 
der Interfibrillarsubstanz, sowie der Q-Elemente selbst, dem Eisen- 
hämatoxylin gegenüber. Wie dem auch sei, wir überzeugen uns 
schliesslich doch, dass der Fibrillen-Bau derselbe zu sein scheint. 
Zuweilen erhalten wir auch hier Bilder, welche darüber keinen 
Zweifel bestehen lassen, so z. B. Fig. 5, Taf. III. Sehr über- 
zeugende Bilder lieferten mir Präparate eines 17 tägigen embryo- 
nalen Hühnerherzens, und zwar Schnitte, welche vorerst mit 
Eisenhämatoxylin und sodann mit Eosin + Anilinblau gefärbt wurden. 
Es treten hier die Myofibrillen an manchen Stellen auffallend 
schön elektiv gefärbt hervor und liessen ihre Struktur mit vollster 
Deutlickeit erkennen. Fig. 6, Taf. IV gibt ein Beispiel davon. 
Einwandsfrei sind einige Präparate eines 2!/stägigen Embryos. 
Es sind hier die Myofibrillen, wie schon gesagt, sehr spärlich; 
man trifft aber vollkommen isolierte, ganz frei im Syneytium 
gelagerte Fibrillen, welche manchmal, wenn auch selten, mit einer 
nicht besser zu erwartenden Elektivität hervortreten. Solche 
Bilder, wie z. B. Fig. 7, Taf. III, sind aber höchst selten. 

Hier muss ich auf folgenden Umstand hinweisen. In seiner 
Arbeit: „Beiträge zur Aufklärung des wahren Wesens der faser- 
förmigen Differenzierungen“ (Anat. Anz., Bd. XVI, 1899) gibt 
M. Heidenhain eine Abbildung, welche das Myocard eines 
dreitägigen Entenembryos zeigt. Es ist eine Fülle von elektiv 
hervortretenden, isolierten und auf ein Paar Stellen zu Primitiv- 
fäserchen vereinten Myofibrillen zu sehen. Ohne das Bestehen 
solch eines Bildes beim Entenembryo absprechen zu wollen, kann 
ich nicht umhin, einiges Bedenken zu äusseren: erstens, ob es 
sich nicht um ein etwas älteres Stadium handelt, obschon es ja 
möglich ist, dass die Myofibrillenbildung gerade in dieser Periode 
mit solch ungeheuerer Energie vor sich geht, was auch wirklich 
der Fall zu sein scheint; und zweitens ist mir die Struktur der 
Myofibrillen etwas befremdend und zwar in folgender Hinsicht. 
M. Heidenhain bildet die Q-Elemente als wirkliche Stäbchen 
ab, welche an ihren Enden gar keine Verdickung zeigen, im 
Gegenteil stellenweise in ihrer Mitte unerhebliche Verdickungen 
erkennen lassen. Obschon solch ein Bild der Myofibrillenstruktur 


106 Gustav Schlater: 


schon mehreren, in der Literatur vorhandenen, Abbildungen ent- 
spricht, habe ich gezeigt, .dass nur der erste Eindruck und eine 
oberflächliche Betrachtung uns eine Stäbchenform zeigen, und 
dass sich unter jeglichen Bedingungen das vermeintliche Stäbchen 
als ein hantelartiges, zwei vereinte Granula vortäuschendes, 
Gebilde erweist. Wenn ich nun bedenke, dass M. Heidenhains 
Abbildung uns die Myofibrillen in einer ungeheuer starken Ver- 
grösserung vorführt, und dass sich dieser Forscher ja gerade in 
die sogenannten „Metastrukturen“ vertieft hat, die Grenzen des 
„Histologischen“ überschreitend, so kann ich es mir nicht 
erklären, wie ihm diese unumstössliche Tatsache entgangen ist. 
Dass hier die Fixierung im Spiele sei (bei M. Heidenhain — 
Sublimat, bei mir — O.Hertwigs Gemisch), ist kaum anzu- 
nehmen, da ich dieselben histologischen Differenzierungen auch 
an Sublimatpräparaten, aber an anderen Objekten, gesehen. Dass 
die Myofibrillenstruktur beim Entenembryo eine andere sei als 
beim Hühnerembryo, ist nicht möglich, da dieselbe, nach meiner 
Erfahrung und nach den Literaturangaben zu urteilen, in den 
verschiedensten Tierklassen eine gleiche zu sein scheint. Die 
einzig zulässige Erklärung finde ich darin, dass sich M. Heiden- 
hain eine Analyse der Myofibrillenstruktur nicht zum Hauptziel 
seiner Forschung auf diesem Gebiete gemacht hat, infolgedessen 
die von mir festgestellte Differenzierung nicht beachtet und eine 
Abbildung dessen gegeben hat, was, wie ich hervorhob, nur der 
erste Eindruck ist. Andererseits zeigt M. Heidenhains Unter- 
suchungsobjekt (Entenembryo) schon eine vollkommene Aus- 
bildung derjenigen Mikrosomen, welche in der Mitte zwischen je 
zwei Q-Elementen liegen und sozusagen die Knotenpunkte, die 
Kreuzungsstellen der Myofibrillen mit den Querfibrillen z, dar- 
stellen. Ich konnte diese Microsomen im embryonalen Myocard 
des Hühnchens kein einziges Mal mit Sicherheit nachweisen, 
weder im zweieinhalbtägigen Embryo, noch in weit vorge- 
schritteneren Stadien, wie es z. B. Fig. 7, Taf. III, und Fig. 6, 
Taf. IV, belehren. Ich will damit durchaus nicht gesagt haben, 
dass M. Heidenhains Abbildung nicht das wirkliche mikro- 
skopische Bild wiedergibt; etwas schematisiert scheint sie immer- 
hin zu sein. Leicht möglich, dass der Entenembryo in dieser 
Hinsicht ein besonders günstiges Objekt ist; andererseits kann 
in dieser Frage die Sublimat-Fixation eine Rolle spielen; es ist 


Untersuchungen über das Muskelgewebe. 107 


die Annahme nicht von der Hand zu weisen, dass die fraglichen 
Microsomen, welche ja meines Erachtens vorhanden sein müssen, 
nach Sublimat-Fixation das Vermögen erhalten, sich in ihren 
frühesten Differenzierungsstadien intensiv mit Eisenhämatoxylin 
zu färben, während andere Fixierungsmittel ihr Färbungsver- 
vermögen nicht erhöhen und die Mierosomen erst im definitiven 
Herzmuskel hervortreten, welcher seine ontogenetische Entwick- 
lung schon abgeschlossen hat. Allein, die Rolle des Sublimat in 
dieser Frage muss noch durch sorgfältiges Studium festgestellt 
werden. Was endlich die Querverbindungen z anlangt, so habe 
ich sie nicht mit Sicherheit nachweisen können, und scheinen sie 
im embryonalen Myocard des Hühnchens nicht ausgebildet zu 
sein; sie sind hier noch seltener nachzuweisen als in der Skelett- 
muskulatur; und auch M. Heidenhains eben besprochene Ab- 
bildung zeigt davon keine Andeutung.') Es bestehen also noch 
gewisse ungelöste und unerkannte Momente in den Strukturver- 
hältnissen der embryonalen Myofibrillen, welche aufgeklärt werden 
müssen. 

Indem ich nun an eine detailliertere Besprechung des Myo- 
fibrillenbaues gehe, kann ich mich kurz fassen, da meine erste 
Arbeit und die der vorliegenden beigegebenen Abbildungen dieselbe 
wesentlich erleichtern. Ein Blick auf Fig. 5 u. 7, Taf. III, und 
Fig. 3 u. 6, Taf. IV, belehrt, dass wir im Herzen ganz dieselben 
Struktureigentümlichkeiten der Myofibrille vorfinden, wie in der 
Skelettmuskulatur. Die Q-Elemente sind ebensolche, sich mit 
Eisenhämatoxylin schwarz färbende, hantelartige Stäbchen, welche 


!) Ich halte es für angebracht, meiner dritten Arbeit ein wenig vor- 
zugreifen und darauf hinzuweisen, dass diese Strukturverhältnisse, d.h. die 
die Querverbindungen z und die Mikrosomen z betreffenden, bei menschlichen 
Embryonen in gewisser Hinsicht andere zu sein scheinen. Diese Elemente 
treten z. B. schon im Myocard eines dreimonatlichen Embryos scharf hervor 
und verdecken sozusagen dadurch den Bau der Fibrillen selbst, wodurch das 
mikroskopische Bild ein anderes ist und man den ersten Eindruck bekommt, 
als seien die Myofibrillen des menschlichen Herzens anders gebaut, was in 
Wirklichkeit, wie wir sehen werden, nicht der Fall ist. Ich mache schon 
jetzt auf diesen Umstand aufmerksam, um möglichen Missverständnissen 
zuvorzukommen, welche bei denjenigen Forschern durch vorliegende Arbeit 
wachgerufen werden könnten, welche im Besitz von Präparaten des Myocards 
menschlicher Embryonen sind. In meiner dritten Arbeit werde ich voll- 
kommen naturgetreue Abbildungen und eine eingehende Beschreibung der 
Verhältnisse geben. 


108 Gustav Schlater: 


in den meisten Fällen als Diplogranula, Diplosomen oder Diplo- 
coccen, erscheinen, was besonders schön Fig. 7, Taf. III, zeigt. 
Die ganze Myofibrille, deren Länge zuweilen eine bedeutende ist, 
stellt eine Kette solcher Doppelgranula dar. Auch hier sind die 
„Letraden“ (N. Kornilowitsch) deutlich zu erkennen (siehe 
Fig. 3a u. 6, Taf. IV) und entstehen, wenn sich zwei Myofibrillen 
zu einer Primitivfaser zusammentun, oder umgekehrt, sich eine 
Myofibrille in zwei spaltet und so zur Primitivfaser wird. Dabei 
sind natürlich die Q-Elemente beider Myofibrillen einander sehr 
nahe und parallel gelagert, wodurch eben die zwei nebeneinander- 
liegenden Diplogranula das Bild von vier Granula vortäuschen 
können, welches eben N. Kornilowitsch in seiner inhalts- 
reichen Arbeit („Über den feineren Bau der kontraktilen Substanz 
der quergestreiften Muskeln einiger Tiere“, Jurjeft, 1903, russisch) 
mit der Benennung „Tetrade“ belegt. Die Verbindungsfäden, 
welche die einzelnen Q-Elemente zu einer Kette vereinen, und 
welche den J-Elementen der Querstreifung entsprechen, sind sehr 
dünn, färben sich sehr schwach stahlgrau, und sind höchst selten 
mit genügender Schärfe wahrzunehmen. Gewöhnlich sind sie 
fast gar nicht zu sehen, wie es z.B. Fig. 7, Taf. III, oder Fig. 6, 
Taf. IV, zeigen. Von den Q-Elementen selbst lässt sich nur das 
wiederholen, was in meiner ersten Arbeit gesagt wurde. Es sind 
wirkliche stäbchenartige Gebilde, welche an ihren beiden Enden 
mehr oder weniger stark granulaartig verdickt sind. Diese 
granulaartigen Bildungen (Q‘-Elemente, oder Qd-Elemente der 
anisotropen Q-Streifung) färben sich intensiv schwarz, während 
der Verbindungsteil (Qh-Elemente der Querstreifung Q) viel 
dünner ist und sich schwächer tingiert. Meine Untersuchungen 
am embryonalen Hühnchenherzen beweisen und bekräftigen 
meine schon in der ersten Arbeit ausgesprochene Anschauung, 
‚nach welcher eine metamere Vereinigung der zu 
Doppelgranula differenzierten Q-Stäbchen durch 
feinste Verbindungsfädchen das Charakteristi-' 
kum des Fibrillenbaues quergestreifter Musku- 
latur ist. In keinem Falle, weder an der Skelettmuskulatur 
noch im Myocard, habe ich irgend eine Ausnahme gesehen, d.h. 
immer hatten die Myofibrillen diesen Bau und nie konnte ich 
sie als Ketten von echten Granula anerkennen (N. Kornilo- 
witschs Ansicht). 


Untersuchungen über das Muskelgewebe. 109 


Es seien nun an dieser Stelle die Resultate meiner 
Messungen angeführt. Ich gebe, wie in der ersten Arbeit, an- 
nähernd die maximalen Grössen an. Die Länge von Q+ J= ,155 u; 
die Länge von Q= 0,9 u; die Länge von J = 0,65 «; der Quer- 
durchmesser einer „Tetrade“, d.h. der Primitivfaser = 0,65 «. Ein 
Vergleich mit den für die Skelettmuskulatur angegebenen Grössen 
zeigt, dass die Längenmaße der einzelnen Strukturelemente der 
Myofibrillen des Herzens geringere sind, während die Dicke der- 
selben um ein geringes grösser ist. Aber auch hier sinkt die Grösse 
der granulaartigen Q’-Elemente nicht bis zur Grenze des (nach 
der Abbeschen Formel bestimmten) Unterscheidungsvermögens 
hinab, da ihr Durchmesser nie unter 0,3 « ist, auch dann nicht, 
wenn sie kaum zu sehen und entfärbt sind. Ich halte diesen 
Umstand in theoretischer Hinsicht für sehr wichtig, deshalb habe 
ich seiner hier erwähnt; eingehend wird darüber in meiner vierten 
Myofibrillen-Arbeit zu lesen sein. 

Wie ich schon oben sagte, ist in der geringen Grösse 
der Myofibrillenelemente des Herzens einer der Momente ge- 
geben,welche eine histologische Analyse der Strukturverhältnisse 
erschweren. Der Umstand nun, dass wir einerseits sehr schön 
elektiv hervortretende, meistenteils isolierte Myofibrillen finden 
(wie z.B. Fig. 5 u. 7, Taf. III, und Fig. 3 u. 6, Taf. IV), anderer- 
seits sehr oft solche Primitivfäserchen vor uns haben, welche als 
Ketten von schwarzen Vierecken erscheinen, und deren Zusammen- 
setzung aus einzelnen Myofibrillen sehr schwer herauszusehen ist, 
lenkt unwillkürlich auf den Gedanken hin, es könnten diese 
Verhältnisse im Wachstum und im Spaltungsprozess (Vermehrung) 
der Myofibrille ihre Erklärung finden. Diese Vermutung ist um 
so zulässiger, als die am elektivsten hervortretenden Myofibrillen 
in den meisten Fällen die grössten und dicksten zu sein scheinen 
und dabei isoliert verlaufen. Es wäre in diesem Falle ja leicht 
begreiflich, dass sich zwei nebeneinander liegende, aus der 
Spaltung einer hervorgegangene, Myofibrillen intensiver färben 
könnten, d.h. das Eisenhämatoxylin stärker zurückhalten. Das 
so häufige Vorkommen solcher überfärbter Primitivfäserchen wäre 
durch die Intensität und Energie des Vermehrungsprozesses der 
Myofibrillen im embryonalen Myocard zu begreifen. Auf ein 
intensives Wachstum der Myofibrillen weisen die Grössen- 
und Formdifferenzen hin, welche die Strukturelemente der Myo- 


110 Gustav Schlater: 


fibrillen darbieten. Diese minimalen Differenzen sind kaum zu 
messen, jedoch bei einem aufmerksamen und eingehenden 
Studium der Präparate leicht zu konstatieren. Bald erscheinen 
die Q-Stäbchen kürzer, bald mehr in die Länge gezogen; die 
granulaartigen Q'-Elemente — bald grösser, bald kleiner, bald 
wirklichen Granula ähnlicher, bald Ellipsoide darstellend; bald 
sind sie einander näher gerückt, wobei das Verbindungsstück 
kürzer, dicker und dunkler erscheint; bald wieder weiter aus- 
einander gerückt, wobei das Verbindungsstück deutlicher hervor- 
tritt. Die verschiedenen Kombinationen aller dieser Veränderungen 
geben verschiedene Bilder. Nur die Länge der dünnen Ver- 
bindungsfäden, welche die Q-Elemente zur Kette verbinden, scheint 
die gleiche zu bleiben. Hervorgehoben muss aber werden, dass 
ungeachtet aller dieser, nicht zu messenden Veränderungen, der 
Bau der Q-Elemente immer derselbe bleibt: sie sind immer als 
hantelartige, Diplosomen vortäuschende, Gebilde zu erkennen. 
Wenn nun einerseits eine gleichmässige Grössenzunahme der 
Q-Elemente mit Bestimmtheit auf das Wachstum derselben hin- 
weist, bieten meiner Ansicht nach die ungleichmässigen Ver- 
änderungen der einzelnen Differenzierungselemente der Q-Stäbchen 
einen gewissen Beweis für ihren kontraktilen Charakter. Es sind eben 
die unter dem Mikroskope kaum wahrnehmbaren Veränderungen 
der spezifisch kontraktilen Differenzierungen, welche eine Kon- 
traktion der Myofibrille begleiten. Wenn sich nämlich das 
Q-Stäbchen verkürzt, verdickt, und die granulaartigen Q'-Elemente 
eine ausgesprochene ellipsoide Gestalt annehmen ; oder umgekehrt, 
wenn sich das Q-Stäbchen verlängert, verdünnt, und die ellipsoiden 
Q’-Elemente wirklichen Granula mehr gleichen, so kann ich diese 
Erscheinungen nur mit der Kontraktion und dem Erschlaffen 
der Myofibrille in kausalen Zusammenhang bringen. Wie in der 
Skelettmuskulatur, so auch hier, sind die Q‘-Elemente keine 
echten Granula; sie sind ellipsoidale Differenzierungen der 
Q-Stäbchenenden; auch hier gelingt es zuweilen, einwandsfrei 
zu demonstrieren, dass diese Ellipsoide einen sehr kleinen scharfen 
Winkel mit der Längsachse der Myofibrille bilden. Die ge- 
schilderten Gestaltveränderungen der Q-Stäbchen, im Zusammen- 
hange mit der ellipsoiden Form der Q‘-Elemente und ihrer Neigung 
zur Längsachse, lassen in mir keinen Zweifel darüber obwalten, dass 
auch die Myofibrille des Herzens nach demselben Prinzip wie in der 


Untersuchungen über das Muskelgewebe. 1449 


Skelettmuskulatur gebaut ist. Es muss nämlich das vermeint- 
liche Q-Stäbchen eine kurze, schwach gewundene Spirale mit 
verdickten Enden vorstellen und demnach die Myofibrille als eine 
Kette von kurzen Spiralen aufgefasst werden. Anders wäre das 
Geschilderte nicht verständlich. Wir müssen aber im Auge be- 
halten, mit was für geringen Grössen wir es zu tun haben, deren 
Grössen - Differenzen und Grössen-Veränderungen, welche als 
kontraktile aufzufassen sind, mit dem besten Willen nicht ge- 
messen werden können: sie bewegen sich alle in gewissen Grenzen, 
welche den Wachstumsgrenzen der Myofibrillen entsprechen. Eine 
Differenzierung also dessen, was kontraktile Veränderung, was 
Wachstum ist, ist kaum möglich. 

In meiner ersten Myofibrillenarbeit stellte ich die Tatsache 
fest, dass die Primitivfäserchen („Muskelsäulchen“) der Skelett- 
muskulatur aus vier parallel verlaufenden Myofibrillen zusammen- 
gesetzt sind, welche in einer besonderen interfibrillären Substanz 
gelagert sind und durch die Querverbindungsfäden zu einer 
histologischen Einheit höherer Ordnung vereint werden. Im 
Myocard scheinen in dieser Beziehung andere Verhältnisse vor- 
zuliegen. Nicht vier, sondern nur zwei Myofibrillen 
scheinen ein Primitivfäserchen zu bilden, wenigstens 
konnte ich in keinem Falle eine Zusammensetzung derselben aus 
vier Myofibrillen nachweisen. Nie war auch eine Andeutung 
einer dritten oder gar vierten Myofibrille nachzuweisen, welche 
in demselben Streifen interfibrillarer Substanz, den übrigen 
parallel, gelagert wäre. Dabei finde ich nicht nur im embryonalen 
Myocard diese Verhältnisse vor; sie scheinen auch im ausser- 
embryonalen Myocard, z. B. des Menschen, vorzuliegen. Eine 
Verbindung zweier Myofibrillen, durch Vermittlung 
der Interfibrillarsubstanz zu einer architektonischen 
Einheit, scheint also das Charakteristikum des Primitiv- 
fäserchen-Baues des Myocards zu sein, im Gegenteil zur Skelett- 
muskulatur, wo die Primitivfäserchen aus vier Myofibrillen auf- 
gebaut sind. Ausführlicher darüber werde ich jedoch in meiner 
vierten Myofibrillenarbeit berichten. 

Was nun die Interfibrillarsubstanz anlangt, so ist sie im 
embryonalen Hühnerherzen noch schwach entwickelt. Besonders 
ihre Affinität zu den Farbstoffen ist noch wenig ausgesprochen, 
weniger als in der Skelettmuskulatur, ist aber dieselbe wie dort» 


1412: Gustav Schlater: 


d.h. die Interfibrillarsubstanz nimmt in kombinierten Farb- 
lösungen immer den roten Farbstoff auf und erscheint bei ent- 
sprechender Einstellung als vollkommen homogener, leuchtend 
roter Streifen. Wenn nun auf das ganze Primitivfäserchen als 
solches das Augenmerk gerichtet wird, ohne von einer bestimmten 
Vorstellung von der Myofibrille auszugehen, und ohne die zu- 
sammengesetzte Natur der Primitivfaser zu beachten (es werden 
ja, wie bekannt, nicht selten die Begriffe „Myofibrille* und 
„Primitivfaser“ verwechselt und identifiziert), so hat es den An- 
schein, als hätten wir eine metamere Reihenfolge von abwechselnd 
schwarzen (anisotropen Querstreifen Q) und leuchtend roten 
(isotropen Querstreifen J der Autoren) Gliedern vor uns. Wie 
ich in meiner ersten Arbeit anführte, hat dieses Bild schon so 
manchen Forscher irre geleitet. Wie aber aus all dem Gesagten 
hervorgeht, sind in Wirklichkeit die vermeintlichen (rot gefärbten) 
Querstreifen J gar keine Querstreifen der Muskelfasern, d. h. der 
kontraktilen Substanz; sie haben mit den histologischen 
kontraktilen Einheiten, mit den Myofibrillen, nichts zu tun. Die 
wirklichen, den Myofibrillen angehörenden, Elemente der soge- 
nannte J-Querstreifen (die dünnen, kaum wahrnehmbaren Ver- 
bindungsfäden der Q-Stäbchen) durchziehen eben die leuchtend 
rot erscheinende interfibrillare Substanz in Gestalt von vier (in 
der Skelettmuskulatur) oder zwei (im Myocard), kaum zu sehender, 
nur zuweilen bei richtiger Einstellung leuchtend stahlgrau er- 
scheinender Fädchen. Dadurch nun, dass die Q-Stäbchen viel 
dicker und schwarz gefärbt sind, und also zwischen ihnen viel 
weniger Interfibrillarsubstanz vorhanden ist, tritt die, den 
J-Streifen entsprechende Interfibrillarsubstanz sehr scharf hervor, 
und wir bekommen den oben beschriebenen Eindruck einer 
metameren Kette abwechselnd roter und schwarzer Querelemente, 
welche in Summa, wenn sich die Primitivfäserchen zu Fasern 
vereinen, den Schein von kontinuierlichen Querstreifen geben. 
Die Interfibrillarsubstanz erfüllt eben den ganzen Raum zwischen 
den zu einem Primitivfäserchen vereinten Myofibrillen. 

In meiner ersten Arbeit wies ich darauf hin, dass die von 
mir beschriebene Struktur der Myofibrille schon von mehreren 
Forschern gesehen, nicht aber analysiert und gewürdigt worden 
ist. Ich folgere das teils aus Abbildungen ohne Beschreibung, 
teils aus kurzen Beschreibungen ohne Abbildungen. Es war mir 


Untersuchungen über das Muskelgewebe. 113 


leider damals ein interessanter Aufsatz von Prof. A. Prenant 
entgangen, welcher im Jahre 1904 erschienen ist. Dank der 
Liebenswürdigkeit des Autors, welcher mir seine betreffenden 
Aufsätze zusandte, kann ich jetzt auf zwei höchst interessante 
Abbildungen hinweisen, welche in einer seiner kritischen Ab- 
handlungen zu finden sind (A. Prenant: „Revues critiques. 
IV Questions relatives aux cellules musculaires. IV La substance 
musculaire. Structure de la substance musculaire. Fibrilles (Suite).“ 
Archives de Zoologie experimentale et generale. Tome III, Notes 
et revue, N. 2, p. XXU—XXXVIII, 1904). Die eine der Ab- 
bildungen (Fig. 1) zeigt eine Muskelfaser aus dem Thorax von 
Ocypus olens in einer Vergrösserung von 750 dargestellt, welche 
an einer Stelle isolierte Myofibrillen zeigt, deren Bau vollkommen 
meiner Beschreibung entspricht (Behandlungsweise: Alkohol, 
Hämalaun, Glyzerin). Fig. 3, welche eine Muskelfaser aus einer 
Larve von Microgaster glomeratus in einer 1500 fachen Ver- 
grösserung zeigt, ist noch demonstrativer. Die schwarzgefärbten, 
hantelartigen, Doppelgranula vortäuschenden Q-Stäbchen treten 
mit einer grossen Schärfe hervor (Behandlungsweise: Bouins 
Gemisch; Eisenhämatoxylin, Eosin). Auch die feinen Verbindungs- 
fädchen, welche die Q-Stäbchen zur Myofibrille vereinigen, sind 
deutlich zu erkennen. Dieselben sind aber sehr lang, um mehrere _ 
Mal länger als die Q-Elemente; ausserdem sind in der Fig. 3 
noch weitere, der Arthropoden-Muskelfaser eigene Differenzierungen 
der Myofibrille dargestellt. Leider spricht A. Prenant im Texte 
fast nichts über die Myofibrille selbst, er analysiert nicht ihren 
Bau, und er leitet sogar seinen Aufsatz mit folgenden Worten 
ein: „Les fibrilles qui forment la substance museculaire dans les 
fibres dites striees de beaucoup d’invertebres sont encore trop 
imparfaitement &tudiees pour qu’on puisse se prononcer sur leur 
veritable nature. Il est possible que, dans de nombreux cas, ces 
fibrilles soient simplement heterogenes, c’est-a-dire qu’elles se 
composent d’articles alternativement clairs et obscurs, incolores 
ou colorables.*“ Eins steht fest, nämlich, dass A. Prenants 
Präparate meine Befunde über die Struktur der Myofibrille 
glänzend zu beweisen und zu bestätigen scheinen.!) 


!) Die höchst wichtigen und interessanten Untersuchungen von Prof. 
T. Marceau (1903 u. 1905) werde ich in meiner dritten Myofibrillenarbeit 
ausführlich besprechen. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 69. 8 


ETA Gustav Schlater: 


Wenn ich nun einen Überblick über die von mir am 
embryonalen Myocard des Hühnchens erhobenen Befunde tue, so 
können dieselben in folgenden Sätzen ihren Ausdruck finden. 

1. Als histologische, spezialisierte Einheit des 
Myocards muss die histologische Myofibrille betrachtet 
werden, deren morphologische Differenzierung, 
deren Bau im Prinzipe ganz derselbe ist, wie in der 
Skelettmuskulatur; d.h. die Myofibrille des Herzens stellt 
eine Kette von metamer gereihten, durch feinste Verbindungs- 
fäden zusammengehaltenen, kurzen, an ihren Enden stark granula- 
artig verdickten, und um ihre Achse leicht spiralig gewundenen 
Stäbchen dar, welche die spezifischen kontraktilen Elemente sind 
(Q-Elemente). Die Grösse der einzelnen Differenzierungen der 
Myofibrille bewegt sich auch hier in gewissen Grenzen, ohne aber 
unter ein Minimum herabzusinken. 

2. Ein Unterschied von der Skelettmuskulatur, 
welcher aber durchaus nicht prinzipieller Natur 
ist, scheint darin zu bestehen, das die Diffe- 
renzierungselemente der Myofibrille des Herzens 
etwas kleiner sind, was die oben angeführten 
Resultate meiner Messungen beweisen. 

3. Ein weiterer Unterschied, welcher aber nicht 
den Bau der Myofibrille selbst betrifft, besteht 
darin, dass das Primitivfäserchen („Muskelsäulchen‘“) 
nur aus zwei parallelen Myofibrillen aufgebaut 
ist, während es in der Skelettmuskulatur aus vier 
Myofibrillen besteht. 

4. Weiterhin scheinen die Querverbindungs- 
fäden Z („Zwischenmembran“ nach M. Heidenhain), sowie 
Mikrosomen Z noch sehr schwach entwickelt zu 
sein, und auch die Interfibrillarsubstanz scheint 
etwas schwächer ausgebildet zu sein als in der 
Skelettmuskulatur. 

5. Die geringere Grösse der einzelnen Differenzierungen 
der Myofibrille, im Zusammenhang mit einem anscheinend etwas 
stärkeren Zurückhalten des Eisenhämatoxylins seitens der 
Q-Elemente, sowie die geringere Ausbildung der Interfibrillar- 
substanz und eine dadurch bedingte schwerere Extraktion des 
Eisenhämatoxylins aus dem Zwischenraume zwischen den Myo- 


Untersuchungen über das Muskelgewebe. 115 


fibrillen, erschweren einen Einblick in die intimsten Verhältnisse 
der Primitivfäserchen-Struktur, und man gewahrt öfter als in 
der Skelettmuskulatur Ketten von schwer zu differenzierenden 
Vierecken. 

Hiermit schliesse ich meine zweite Abhandlung über die 
Myofibrille ab. Finige Einzelheiten der Myofibrillenstruktur 
können eine eingehende und umfassende Besprechung erst später 
erfahren, wenn ich in meiner vierten Abhandlung über die 
ontogenetisch ausgebildete Myofibrille und Muskelfaser berichten 
werde. In den weiteren Plan meiner Untersuchungsreihe über 
das Muskelgewebe greifen noch folgende Fragen: Die Frage von 
den gegenseitigen Beziehungen zwischen den Myofibrillen und 
Bindegewebsfasern; die höchst interessante und in theoretischer 
Hinsicht wichtige Frage nach den gegenseitigen histologischen 
Beziehungen zwischen Myofibrillen und Neurofibrillen (in was 
für einer Beziehung zu den Myofibrillen stehen z. B. die soge- 
nannten, hauptsächlich von italienischen Forschern beschriebenen, 
ultraterminalen Neurofibrillen?), und endlich die noch unaufge- 
klärte Frage von der Histogenese der Myofibrillen. Meine 
nächstfolgende, dritte Arbeit, wird sich aber, wie schon ge- 
sagt, vorerst noch mit der Myofibrille menschlicher Embryonen 
beschäftigen. 


St. Petersburg, den 12. März 1906. 


Erklärung der Tafeln III und IV. 


Sämtliche Abbildungen sind mit dem Zeichenapparate Abbe-Zeiss, in der 
Höhe des Objekttisches, gezeichnet. Mikroskop C. Zeiss. 


Tafel III. 


Fig. 1. 7tägiger Hühnerembryo (B). Objektträger 76. Eisenhämatoxylin 
nach M. Heidenhain. Sagittalschnitt des Embryos in natürlicher 
Grösse. Es ist der Durchschnitt des Herzens sehr deutlich als 
kleines, vor der Leberanlage gelegenes, graues Säckchen zu sehen, 

Fig. 2. Dasselbe Präparat. Nur das Herz abgebildet, wobei im Gesichts- 
feld der Leberrand zu sehen ist. Objektiv AA; Comp.-Ocul. 4. 

Fig. 3. Dasselbe. Stellt den auf Fig. 2 durch einen Kreis abgegrenzten 
Myocardabschnitt dar. Trockensystem 4,6 mm, Apert. 0,95; Comp.- 
Ocul. 4. 

5*+ 


116 Gustav Schlater: Untersuchungen über das Muskelgewebe. 


Fig 


Fig 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


. 4. Dasselbe. Stellt den auf Fig. 3 begrenzten Abschnitt des Myocards 


dar. Homog. Immers. 1,30; Comp.-Oeul. 4. 


.5 u.6. Dasselbe. Einzelne Primitivfäserchen aus Fig. 4. Homog. 


Immers. 1,30; Comp.-Oeul. 12. In Fig.6 sind die zwei oberen 
Primitivfäserchen deutlich als Ketten von metamer angeordneten, 
schwarz gefärbten, länglichen Vierecken (Q-Streifen) zu sehen, 
während das untere Primitivfäserchen schon eine Spaltung in zwei 
Myofibrillen erkennen lässt, welche oben schwach angedeutet ist. 
Dagegen zeigt Fig.5 eine selten schöne elektive Darstellung der 
Myofibrillen. Die Zeichnung ist noch ein wenig vergrössert. 

2!/etägiger Hühnerembryo. Fixation in O. Hertwigs Gemisch, 
Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain. Nachfärbung mit Rubin 3 
—- Tropäolin 000. Sagittalschnitt. Mit grösster Schärfe heben sich 
dem hellen syncytialen Grunde zwei schön elektiv gefärbte, isolierte 
Myofibrillen ab; die obere geht schräg in die Tiefe, wodurch ihre 
zwei unteren Q-Elemente als graue Schatten zu sehen sind. 


Tafel IV. 


7tägiger Hühnerembryo (B). Objektträger 143. Eisenhämatoxylin 
nach M. Heidenhain. Nachfärbung mit Picroindigotin + Rose 
bengale. Homog. Immers. 1,30; Comp.-Ocul. 4. 

Dasselbe. Der auf Fig. 1 abgegrenzte Abschnitt des Myocards. 
Homog. Immers. 1,30; Comp.-Ocul. 12. — Es sind zwei mitotische 
Teilungsfiguren zu sehen: ein Spirem und ein Diaster. 


3a u.6. Dasselbe. Zwei isoliert dargestellte Primitivfäserchen, welche 


nach einer langen, eingehenden mikroskopischen Analyse deutlich 
ihre Zusammensetzung aus zwei Myofibrillen zeigten. Der erste 
Eindruck, auch mit den schärfsten Systemen und stärksten Ver- 
grösserungen war der, welchen Fig. 2 getreu wiedergibt. 


7tägiger Hühnerembryo (B). Objektträger 55. Eisenhämatoxylin 
nach M. Heidenhain. Nachfärbung mit Eosin. Es ist deutlich 
der syncytiale Charakter des Myocards zu sehen. 


Dasselbe. Die auf Fig. 4 abgegrenzte Stelle. Homog. Immers. 1,30; 
Compens.-Ocul. 12. 


Schnitt durch das Herz eines 17tägigen Hühnerembryos. Fixation in 
O0. Hertwigs Gemisch. Eisenhämatoxylin nach M. Heidenhain. 
Nachfärbung mit Eosin 4 Anilinblau. Homog. Immers. 1,30; Comp.- 
Ocul. 12. Mit grosser Schärfe tritt die Struktur der elektiv ge- 
färbten Myofibrillen hervor. 


217 


Beiträge zur Phylogenese des Grosshirns der 
Säugetiere. 
Von 


B. Haller 
a. 0. Professor der Zoologie an der Universität zu Heidelberg. 


Hierzu Tafel V—VII und 29 Textfiguren. 


Dank der zahlreichen Untersuchungen auf dem Gebiete des 
Grosshirns der placentalen Säugetiere, die sich sowohl auf den 
Faserverlauf, auf die Struktur der verschiedenen Rindenteile als 
auch auf die Gestaltung der Grosshirnoberfläche ausdehnen, wobei 
den verschiedenen Gruppen immer mehr Aufmerksamkeit ge- 
schenkt wird, ist in der letzten Zeit die Kenntnis über das 
Säugetiergrosshirn in erfreulicher Weise vorgeschritten. Wenn 
dabei die vergleichende Methode auch nicht jedesmal die Führer- 
rolle spielte, so ist das ja noch insofern nicht nachteilig geworden, 
als zu einer erspriesslichen Vergleichung zuvor ein gesichtetes 
Material zu gewinnen ist. Auch unsere Kenntnis über das 
Marsupialiergehirn ist gefördert worden, wenngleich sich diese 
einstweilen zum grössten Teil auch nur auf das makroskopische 
Verhalten beschränkt. 

Ich verlegte mich auf die vergleichende Methode bei der 
Erforschung des Chordatengehirns (15, 16, 17), habe aber die 
phylogenetische Entfaltung des Grosshirns der Säugetiere bisher 
nicht in mein Arbeitsgebiet aufgenommen gehabt, sondern mehr 
nebenbei berücksichtigt. Nachdem ich jedoch das Gehirn eines 
Säugetieres, der Maus nämlich, bis in das genaueste verfolgt, 
wurde es mir umsomehr zum Bedürfnis mich über die Phylogenese 
des Grosshirns der Säugetiere zu orientieren, als manche Fragen 
im Laufe meiner Untersuchungen über das Mäusegehirn sich von 
selbst stellten. Ich erinnere an das schon lange vor mir vielfach 
erörterte Zustandekommen des Balkensystems, dessen Lösung ja 
noch immer aussteht. Aber auch andere Fragen, die freilich 
mehr weniger sich um die Balkenfrage schaaren, wie die Ent- 
faltung der einzelnen Pallialgebiete, waren Veranlassung dazu, 
die Phylogenese des Säugetiergehirns zu verfolgen. 


118 B. Haller: 


Obgleich die Absicht schon nach Veröffentlichung meiner 
Studie über das Mäusegehirn gefasst war, so musste die Aus- 
führung aus mehr wie einem Grunde aufgeschoben werden. Vor 
allem handelte es sich um die Beschaftung eines -umfänglichen 
Materials, dessen Schwerpunkt auf die Marsupialier und zwar 
auch auf embryologisches Material davon zu legen gewesen wäre. 
Dies Material zu beschaffen, war mir indessen rein unmöglich. 
Freilich nach der Einsicht in die Verhältnisse des Fledermaus- 
gehirns, das ja, wie schon Zuckerkandl erkannte, so viel 
Marsupialartiges aufweist, wurde es mir klar, dass wenigstens 
vom Auftreten des pallialen Balkens an auch ohne 
der Kenntnis der feineren Verhältnisse des Marsupialiergehirns 
die gestellte Frage, wenigstens bis zu einem gewissen (Grade, 
erörtert werden kann. 

So entstand vorliegende Abhandlung. Massgebend war mir 
dabei, dass sich schon in der Reihe der Chiropteren eine Ent- 
faltung des Grosshirns einstellte, welche den allgemeinen Weg, 
den die Grosshirnentfaltung gewandert, anzeigt und, dass höhere 
Zustände doch anderen Orts als bei Beuteltieren zur Entfaltung 
gelangten. 

Hierbei blieb das Erreichte hinter dem Erstrebten weit 
zurück. Dass ich aber trotzdem die Arbeit der Öffentlichkeit 
übergebe, erfolgt erstens, um meine bereits veröffentlichte Hirn- 
studien zu ergänzen, dann aber, weil ich einige Fingerzeige für 
die Richtung der Grosshirnentfaltung der Säugetiere gefunden zu 
haben glaube. Es beschränkt sich dabei meine Arbeit auf zwei 
Mikrochiropteren, dem Erinaceus und auf die Musteliden, ferner 
auf das Verwerten des durch Andere Errungene. 

Die Gehirne wurden nach der Weigertschen Methode 
behandelt, und somit sah ich diesmals von feinen histologischen 
Details ab. Damit im Zusammenhange steht es auch, dass ich 
von der Darstellung der Einzelheiten absehe, da ich ja solche 
in meinen drei Hirnarbeiten gebracht und auch bei dem ge- 
steckten Ziele dies nicht direkt für nötig erachtete. Auch 
darum schon, aber hauptsächlich um die Arbeit nicht unnötiger- 
weise zu umfangreich zu machen, setze ich die Kenntnis 
meiner drei oben erwähnten Arbeiten voraus. Es hat 
dies seinen Sinn u.a. auch darin, dass ich die von mir gebrauchte 
Nomenklatur hier beibehalte und auch beibehalten werde, so- 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 119 


lange, bis man mir die Unzulässigkeit einer solchen Handlung 
nachweisen wird, denn was bisher hierin geschehen, zeigt mehr 
für konservativen Hang am Althergebrachten, als für die Unzu- 
lässigkeit einer teilweisen Neubenamung. 

Diese Letztere muss sich eben auf die volle Berücksichti- 
gung niederer Zustände gründen, auf eine durchdachte vergleichend 
anatomische Methode, wobei aber von niedrigen Formen zu 
höhern aufzusteigen ist und nicht in völlig verkehrter Weise in 
entgegengesetztem Sinne, die Nomenklatur beim Menschengehirn 
einzusetzen. 

Selbstverständlich war ich bemüht, die frühere Nomenklatur, 
wo nur möglich, beizubehalten und zu berücksichtigen, so weit 
es eben ging. 


Heidelberg, im April 1906. 


I. Spezieller Teil. 


A. Chiropteren. 


Wie aus der bisher ausführlichsten Mitteilung über Chirop- 
terengehirn der von Dräsecke (8) hervorgeht, sind in den 
äusseren Zuständen der Hirne der Flattertiere grosse Unter- 
schiede vorhanden, mit welcher Beobachtung der Befund Zucker- 
kandls (38) im Einklang steht, dass in der Balkenentwicklung 
der Chiropteren grosse Verschiedenheiten bestehen. Die niedersten 
Zustände zeigt Vesperugo, was auch aus der Mitteilung A. Ärn- 
bäck-Christie-Lindes (1) hervorgeht, die ein sehr primäres 
Balkensystem bei dieser Form gefunden hat. 

Die beiden Hemisphären des Grosshirns von Vesperugo 
haben, von oben betrachtet (Textfig. 1, A), eine an den beiden 
Polen etwas zugespitzte Form, wobei der Stirnpol etwas breiter 
ist. Es hat jede Hemisphäre eine dreieckige Form und folglich 
drei Seiten. Die äussere Seite hat eine etwas ausgeschweifte 
Form, indem sie gleich hinter dem Stirnpol sich etwas nach 
innen krümmt, um dann auf dem hinteren Ende wieder nach 
aussen konvex zu werden. Diese äussere Seite der Hemisphäre 
ist die längste. Die kürzeste ist die mediale Seite und die 
beiden Medialseiten der beiden Hemisphären berühren sich bis zur 
Epiphyse (ep), um hier dann jede in die hintere Seite zu übergehen. 


120 B. Haller: 


Die hinteren Seiten der beiden Hemisphären gehen unter stumpfem 
Winkel auseinander, wodurch nicht nur die Vierhügel, sondern 
sogar die Epiphyse von den Hemisphären des Gross- 
hirns unbedeckt bleiben. Es stehen dann die hinteren Pole 
der beiden Hemisphären vom übrigen Gehirne ziemlich weit flügel- 
artig ab und berühren somit das Kleinhirn nicht. 

Von Eindrücken an der Hemisphärenoberfläche ist nur 
wenig vorhanden. Am vorderen Pol ist ja ein sehr seichter 
Eindruck, in Form einer Querfurche vorhanden, der bei manchen 
Individuen eine nach vorne konvexe Biegung zeigt (f). Diese 
sehr seichte Furche biegt auch auf die mediale Fläche um, um 
dann dort allmählich zu verstreichen. Sie liegt hier genau an 
der Stelle, wo die Fissura hippocampi aufhört und somit der 
palliale Balken beginnt. Das äussere Ende der Furche (Text- 
fig. 3 f) setzt sich somit auf die laterale Hemisphärenwand 
nicht fort. 

An der lateralen Seite ist zwar die Fissura rhinalis lateralis 
angedeutet (Textfig. 3 frh. Il), doch so seicht, dass sie mit der 
Lupe eben noch erkennbar ist, doch nicht bei allen Exemplaren. 
Eine Sylvische Furche oder auch nur eine Fossa konnte ich 
indessen nicht erkennen und liess sich eine solche auch auf den 
Schnittserien nicht feststellen. Dies ist umsomehr zu bemerken, 
als bei Vesperugo serotinus nach Dräsecke die Rhinalfurche 
gleich der Sylvischen Furche deutlich entfaltet ist. 

Die Oberflächenverhältnisse der Grosshirnhemisphären von 
Vespertilio murinus zeigen in mancher Beziehung höhere 
Zustände gegenüber jenen von Vesperugo pipistrellus. 
Dies äussert sich vor allem darin, dass die mediane Seite der 
dreieckigen Hemisphäre, die sich mit der anderen Hemisphäre 
berührt, länger ist als bei Vesperugo pipistrellus und wodurch 
die Epiphyse, wie es scheint, auch bei allen übrigen Mikro- 
chiropteren, verdeckt wird (Textfig. 1,B). Es haben sich somit 
die beiden Grosshirnhälften vergrössert und sind auch die 
beiden hinteren Pole mehr aneinander gerückt, wodurch von 
ihnen die seitlichen Teile des Kleinhirns berührt werden. Dieser 
Zustand ist, nach den Angaben und Abbildungen der Autoren 
geurteilt, ein sonst allgemeiner Zustand bei den meisten Chirop- 
teren, und es bleiben nur die Vierhügel unbedeckt in niederen 
Zuständen, demgegenüber bei Pteropus die Vierhügel verdeckt 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 121 


sind. Eine Ausschweifung der äusseren Seite der Hemisphäre 
unter dem Stirnpol ist nicht vorhanden bei Vespertilio und der 
hintere Pol erscheint wie abgestutzt. 

Jene zentrale Furche am vorderen Grosshirnpol des 
Vesperugo pipistrellus vermisse ich bei Vespertilio, wie denn 
auch Flatau und Jacobsohn in ihrem verdienstvollen Buche 
(9) derselben keine Erwähnung tun. Bezüglich der Fissura 
rhinalis stimmen meine Beobachtungen mit jenen dieser Forscher 
insofern überein, als auch ich diese Furche S-förmig gekrümmt 
finde und auch eine Andeutung der Sylvischen Furche erkennen 
konnte (Textfig. 1, C frh. 1). Diese Sylvische Furche ist hier 


Fig. 1. 
Gehirn A von Vesperugo pipistrellus von oben, B des- 
gleichen von Vespertiliomurinus. © = Gehirn des letzteren 
von der Seite. ep — Epiphyse. frh. 1. = Fissura rhinalis lateralis. 
a, a bezeichnet die Schnittrichtung auf Tafel 1. 


eine beginnende — der Ausdruck „rudimentär“ ist hier unstatt- 
haft, da es sich ja nicht um Rückbildungen handelt, wie man denn 
hier auch von keinem rudimentären Balken reden kann — und 
reicht nicht bis zur oberen Seitenhälfte der Hemisphäre. Dort 
findet sich vielmehr eine sehr seichte andere Furche (Textfig. 1, 
B f.), welche mit der Sylvischen nicht zusammenhängt, und wohl 
mit der von Dräsecke mit « bezeichneten bei Cynonycteris und 
Dermatura gleichzustellen sein dürfte. 

Flatau und Jacobsohn (l. c. pag. 211) beobachteten, 
dass die Rhinalfurche am vorderen Abschnitt des Schläfenlappens 


122 B. Haller: 


sich verliert. Gleiches habe ich auch in vielen Fällen beobachtet, 
allein es gibt auch Exemplare, wie in dem von mir abgebildeten 
Falle, wo die Rhinalfurche, wenn auch noch seichter wie zuvor, 
sich entlang des grossen Schläfenlappens findet. 

Bezüglich des Verhaltens der Fissura hippocampi an 
der medianen Hirnwand sind die Zustände bei beiden von mir 
untersuchten Chiropteren. gleich. Es zieht mit dem Gyrus 
ammonis die Fissura entlang der ganzen medianen Seite der 
Hemisphäre (Textfig. 3, Fig. 1—3, Ga) bis zum Pallialbalken- 
beginn und somit hat der Gyrus ammonis dieselbe grosse Aus- 
dehnung wie an dem Hirne der Monotremen und der meisten 
Marsupialier. Es hört dabei der Gyrus ammonis vorne bei 
Vesperugo pipistrellus in der Weise auf, dass der glatte Gyrus 
dentatus (Textfig. 3, fd) von der Gegend der Commissura anterior 
an allmählich niedriger wird, bis sie endlich ganz aufhört. 
Dann bildet das Subiculum allein die Fortsetzung der Ammonsfalte, 
bis es auch bald darauf plötzlich endet. Dies erfolgt bei Vespertilio 
früher (Textfig. 4) als bei Vesperugo. Es endet auf diese Weise 
die Ammonsfalte knopfförmig gleich zu Beginn des pallialen 
Balkens. Dieses knopfförmig abgerundete Ende der Ammonsfalte 
hat Dräsecke bei Chiropteren gesehen und hält es für ein 
„Tuberculum fasciae dentatae“ (l. c. pag. 454). 

Eine Fissura splenialis, wie sie bei höheren Chiropteren 
mit entfalteterem Balken sich finden soll, findet sich entsprechend 
den niederen Zuständen des Balkens bei Vesperugo und Vesper- 
tilio nicht. 

Die Fissura ammonis oder hippocampi hört jedoch mit 
seinem Gyrus nicht auf, sondern setzt sich auch noch weiter 
fort oberhalb vom Balken (Textfig. 4), hier die Grenze zwischen 
dem oberen Stirnhirnteil und dem sogenannten Gyrus subcallosus 
(s) bezeichnend, wie dies am besten auf Sagittalschnitten zu 
ersehen ist (Textfig. 2 A). 

Auf dieses Verhalten möchte ich darum aufmerksam machen, 
da mit der Nachhintenverschiebung der Ammonswindung 
während der Phylogenese, infolge der höheren Entfaltung des 
Pallialbalkens die kontinuierliche Rinne eine Unterbrechung 
erfährt und während der. hintere Teil als Ammonsfurche sich 
weiter erhält, wird der vordere Teil zur Fissura splenialis schon 
bei den höheren Formen der Mikrochiropteren. Bei den niederen 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 123 


Formen aber ist die eben beginnende Fissura splenialis noch 
die vordere Fortsetzung der Ammonsfurche. 

Die Ammonswindung, sehr mächtig, entsprechend dem 
niedrig phyletischen Zustand des Gehirns von Vesperugo und 
Vespertilio, nimmt einen ansehnlichen Teil des Grosshirns ein, 
denn sie bildet nicht nur allein die ganze hintere Seite der 
Grosshirnhemisphäre, sondern greift, etwas nach unten biegend, 
auch auf die innere Seite derselben über, um dann weit vorne, 
hinter dem beginnenden Pallialbalken zu enden (Figg. 1—3, 21). 
Es hat somit die Ammonswindung dieser beiden 
Fledermäuse eine gewaltig grosse Ausdehnung, wie 
wir dies sonst nur bei balkenlosen Säugetieren überall 
finden, allein diesen gegenüber — ich habe hier speziell 
die Monotremen, dann Pseudochirus und andere balkenlose 
Marsupialier im Auge — zeigt sich insofern schon eine 
Reduktion, als mit dem begonnenen Pallialbalken, 
dieAmmonsfalte über diesem sich nicht mehr findet, 
da sie etwas nach rückwärts verschoben ward 
(Textfig. 2 A). 

Bezüglich der Ventralseite des Grosshirns hätte ich dem 
bereits für die Chiropteren Bekannten wenig beizufügen. Be- 
kanntlich ist für diese ein äusserst mächtiges Tuberculum olfac- 
torium von mehr weniger kugelrunder Gestalt sehr bezeichnend. 
Der Fasciculus olfacto-corticalis inferior (Tractus olfactorius 
Autorum) muss diese mächtige Kugel förmlich umgreifen, um 
dann hinter ihm zum Corpus s. Ganglion mammillare zu gelangen. 
Es ist dies wieder ein Zustand, der an Monotremen und Marsu- 
pialier erinnert. Das Tuberculum olfactorium ist nur eine Be- 
zeichnung der äusseren Form, in dem Tuberculum liegt ja das 
Ganglion arcae olfactoriae. Bei den beiden Chiropteren ist 
bereits das Ganglion (Textfig. 2, gao) in zwei hintereinander 
lagernde Abschnitte differenziert, in ein viel mächtigeres G. a. o. 
anterius und ein geringes G. a. o. posterius. 

Nach dieser Schilderung möchte ich auf die strukturellen 
Zustände des Gehirns von Vesperugo und Vespertilio eingehen 
und sofort mit dem Balkenkomplex beginnen. Bevor ich dies 
aber täte, möchte ich zuvor der Klarheit wegen, um Missver- 
ständnisse zu vermeiden, zuerst den Begriff des Balkenkomplexes 
hier ins Gedächtnis wachrufen. 


124 B. Haller: 


Ein Balkensystem des Säugetieres besteht aus einem 
dorsalen Kommissurenabschnitt, welcher von Querfasern gebildet 
wird, die die beiden Palliumhälften des Grosshirns, mit völligem 
Ausschluss der Ammonswindung, verbinden. Dieser ist das 
Corpus callosum. Ein zweiter Bestandteil des Balkens ist 
ein ventralwärts gelegener Abschnitt quergestellter Fasern: das 
Psalterium. Es verbindet die beiden Ammonswindungen unter 
einander. Während nun das Corpus callosum über das Septum 
pellueidum, einem Abkömmling der embryonalen Schlussplatte, 
gelegen ist, durchwebt das Psalterium jenes, im vorgeschrittenen 
Stadium sich an dessen hinteren Teil sammelnd. Im Septum 
pellucidum selbst zieht ein Fasersystem von basal- nach dorsal- 
wärts. Es besteht dies aus dem vom Ganglion arcae olfactoriae 
herkommenden Tracetusarcoseptalis (Tr. cortico-olfactorius 
Edingers, Riechbündel Zuckerkandls) und der Co- 
lumna forniecis. Diese zieht vom Balkensystem in das 
Vereinsgebiet, jenes gelangt, oben jederseits sich zu einem 
Bündelsystem gruppierend, in die jederseitige Ammonswindung; 
das Bündelsystem heisst die Fimbria und nimmt eine ventrale 
Lage im Psalterium ein. 

Das Balkensystem von Vesperugo pipistrellus wurde durch 
A. Ärnbäck (1) beschrieben. Nach ihr ist die obere 
Kommissur dieser Form keine reine Hippocampuskommissur 
mehr, sondern, da sie auch echte Pallialfasern führt, die ver- 
mischt mit den Hippocampusfasern sich in der Kommissur vor- 
finden, ein beginnender Balken und nimmt somit zwischen der 
oberen Kommissur der „Aplacentalier‘* und dem Balken der 
Placentalier eine Zwischenstellung ein. Entsprechend diesen 
Verhältnissen erstreckt sich das Ammonshorn auch weit frontal- 
wärts, beinahe soweit, wie bei den Aplacentaliern, „obgleich 
bedeutend reduziert“. Immerhin reicht die Ammonswindung 
frontalwärts bis vor die obere Kommissur hin und eine Grenze 
zwischen den Palliumfasern und jenen der Ammonswindungen 
soll nicht bestehen, da sie vermischt in der Kommissur sich 
finden sollen. Die erste Behauptung, wonach die Ammonswindung 
die obere Kommissur nach frontalwärts zu überholen sein würde, 
ist bereits weiter oben, bei der Beschreibung der makroskopischen 
Verhältnisse widerlegt worden, die Unrichtigkeit der zweiten 
Behauptung möge weiter unten gezeigt werden. Immerhin 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 125 


gebührt Ärnbäck das unbestreitbare Verdienst, die obere 
Kommissur von Vesperugo als einen primären Balken zuerst 
erkannt zu haben. 

Es ist der primäre Balken !) von Vesperugo pipistrellus nicht 
so schön gewölbt, wie Ärnbäck nach einem Sagittalschnitt 
ihn abbildet. Vielmehr ist die obere Fläche etwas abgeflacht 
und diese Fläche hat eine wenig nach kaudal- und ventralwärts 
geneigte Lage (Textfig. 2 A). An den beiden abgerundeten 
Ecken biegt dann dieser Teil des primären Balkens in einen 
vorderen (cc) und einen hinteren Schenkel (ps) nach ventral- 
wärts, auf diese Weise das Septum pellucidum zwischen sich 
fassend. 

Schon an Schnitten, die nur wenig von der medianen 
Sagittalebene entfernt sind, erkennt man, dass oberhalb des 
vorderen Schenkels, an der vorderen Biegung oder Ecke, in den 
primären Balken aus dem anliegenden Gyrus ammonis (ga) Fasern 
eintreten (f). Es sind dies also ein jederseits von der medianen 
Sagittalebene gelegenes Faserbündel. Schnitte, die nur etwas 
weiter lateralwärts geführt werden, zeigen deutlich (Textfig. 2 B), 
dass hier sowohl Fasern aus der Ammonswindung (fi), als auch 
solche aus dem Stabkranz des Palliums (er‘) in den primären 
Balken eintreten,sichunterihmimSeptumpellucidum, 
dann jederseits zu einem lockeren, und infolge- 


1) Einen solchen glaube ich für Reptilien nachgewiesen zu haben, wodurch 
S.Ramön y Cajals Angabe, durch die Commissura superior zögen Pallial- 
fasern und die dadurch gerechtfertigte Annahme eines Balkens Bestätigung 
und Ergänzung fand. Obgleich dies, wie auch vieles andere, in meiner zitierten 
Arbeit dem spätern Untersucher des Reptiliengehirns doch bekannt sein sollte, 
hat Dr. L. Unger in Wien in zwei Arbeiten über das Vorhirn des Gecko 
(Sitzungsber. d. Wiener Akad.d. Wiss. 1904 und Anatom. Hefte, Bd. 31, Heft 94) 
— die allerdings nichts Neues von Bedeutung für das Reptiliengehirn liefern 
und eine reine Beschreibung ohne Reflexionen sind — es doch nicht der Mühe 
für Wert gehalten, sie zu berücksichtigen. Im Literaturverzeichnis wird 
meine Arbeit allerdings angeführt, doch welchen Sinn so etwas ohne Be- 
rücksichtigung der Befunde und Diskutierung der Deutungen hat, ist völlig 
unverständlich. Und doch hat Dr. Unger manches gebracht, was in 
meiner Arbeit ausführlichst behandelt worden ist. Er unterlässt eine zu- 
sammenhängende Besprechung der Literatur, weil dies bereits A. Meyer 
(1892) und Edinger (1896) ausführlichst getan hätten und glaubt damit 
eine einschlägige Arbeit von 1899 ruhig umgehen zu dürfen. 

Soll dies ein förderliches, wissenschaftliches Verfahren sein? 


126 B. Haller: 


dessen grossen Platz einnehmenden Fasersystem 
vereinigen, welches dann auf jeder Seite nach 
ventralwärts zu ziehend, als Columna fornicis 
hinter die Kommissura anterior gelangt. 


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N 

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Fig. 2A. 


Vesperugo pipistrellus. Zwei Sagittalschnitte durch das Grosshirn und 
teilweise durch Thalamus und dem Vierhügel. A der Medio-Sagittalebene stark 
genähert. B etwas weiter lateralwärts von ersterem. bof. — Bulbus olfac- 
torius; g. sc. — Gyrus subcallosus; cc. — Corpus callosum; ga. = Gyrus 
ammonis; ps. — Psalterium; th.o. — Thalamus opticus; ca. — Commissura 
anterior; gao.— Ganglion areae olfactoriae; f' — Bündel aus dem Balken 
zur Ventralrinde; f. — Fornixfasern; cf. —= Columna fornicis. 


Hierdurch ist schon genauester die Grenze angegeben, bis wohin 
der rein palliale Teil des primären Balkens reicht und wo der 
ammonale Abschnitt beginnt. Der vordere, vor jenem Bündel- 
system der Columna fornieis gelegene Abschnitt ist der phyletisch 
spätere dorsale Teil des Balkens (ce), also jener, der ausschliesslich 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 127 


nur Palliumfasern enthält. Die vordere Ecke (f) ist das spätere 
Balkenknie, der darauffolgende Teil das Psalterium, oder jener 
Teil des ammonalen Balkens, der ausschliesslich Verbindungs- 
fasern zwischen den beiden Ammonswindungen führt und endlich 
der hintere Schenkel (Fi) der fimbriale Teil oder jener, der in 
die jederseitige Ammonswindung ziehende Riechbündelfasern aus 
dem Tractus areae-septalis enthält. 

Die Querfasern in der pallialen Hälfte des primären Balkens 
sind nur gering an Zahl und verbinden ausschliesslich 


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Fig. 2B 


nur die beiden Stirnpole der Grosshirnhemi- 
sphären unter einander, denn die Verbindung 
der ganzen übrigen, viel mächtigeren Pallial- 
hälften geht hier noch durch die Commissura 
anterior. 

Diese ist noch sehr mächtig (ca) und besteht, wie Sagittal- 
schnitte lehren, aus einem oberen grobfaserigen und unteren 


128 B. Haller: 


feinfaserigen Teil. Ersterer enthält die mehr ventral gelegenen 
Fasern des Traectus cruciatus olfacforii mihi (s. Figg. 9, 10), sowie 
die kommissuralen Stabkranzfasern für den obengenannten Teil 
des Palliums. Der feinfaserige Teil der vorderen Kommissur 
führt solche Fasern, die der Hirnbasis angehören. 

Schon aus einem Querschnitte Frl. Ärnbäcks (l.c. Fig. 3) geht es 
deutlich hervor, welche grosse Massen von Pallialfasern die vordere 
Kommissur enthält. Auf einem Querschnitt, der Markscheiden- 
färbung erfuhr, und den ich auf Textfigur 3 abgebildet habe, 


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es 
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al 


Textfig. 3. 


Vesperugo pipistrellus. Querschnitt durch das Grosshirn, die Com- 

missura anterior treffend. ga.—Gyrus ammonis; str. — Striatum (Nucleus 

caudatus); ca. — cortikale, ca’ — basale Teil der Commissura anterior; gao. — 

Ganglion areae olfactoriae; cf. — Columna fornieis; bvhb. — basales Vorder- 

hirnbündel; frh.1. — Fissura rhinalis lateralis; v. — primäres Inselgebiet; 
f. — frontale Furche. 


sieht man die Pallialfasern (ca) in mächtigem Bündel unter dem 
Hirnmantel und dem Striatum (str) nach aufwärts biegen und 
fortwährend aus der lateralen Rinde bis weit hinauf Fasern auf- 
nehmend, doch nie aus dem Striatum. Hinter dem vorderen 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 129 


Stirnpol, also vom Beginn der Ammonswindung an, greifen solche 
Fasern bis in den dorsalsten Teil des Palliums hinauf, und nur 
der vordere Hemisphärenpol bleibt frei von ihnen, von dort aus 
kreuzen sich aber die Fasern in dem vorderen Schenkel des 
primären Balkens. 

Die Breite des Stabkranzes der Corona radiata ist dorsal- 
wärts noch gering, sie nimmt aber dann zu und erreicht ihre volle 
Breite schon an der lateralen Seite, denn hier nimmt sie be- 
sonders reichlich Fasern aus der lateralen Rinde auf. Jener 
markhaltige Plexus, der beim Menschen nach S. Ramön y 
Cajal (6) am oberen Rande der dritten Rindenschicht endet, 
aber bei niederen Säugern, sogar bei der Maus, mit dem 
darunter gelegenen Plexus eine einheitliche Lage bildet, findet 
sich ja auch in der ganzen Grosshirnrinde der Fledermäuse vor, 


Fig. 4. 
Vespertilio murinus. Oberes rechtsseitiges Stück von einem Quer- 
schnitte durch den vorderen Teil des Grosshirns. cc.=palliale Teil des 
Corpus callosum; spt. = Septum pellucidum; cm. — Cingularfasern; cr. = 
Corona radiata; str. — Striatum. 


allein, es gibt eine Stelle, wo der ganze Plexus eine ungemein 
breite Lage in der Rinde vorstellt. Es liegt diese Stelle ober 
der Fissura rhinalis bei Vespertilio (auf Teztfig. 1 C, mit unter- 
brochener Linie), als auch bei Vesperugo (Textfig. 3, v) und 
dürfte eine ovoide Form haben, wobei ihr vorderes Ende in den 


Bereich des Stirnpoles hinein reicht, wie das hintere Ende in 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 9 


130 B. Haller: 


% 


jenes des Occipitalgebietes. Da sich hier in späteren phyletischen 
Stadien des Grosshirns, noch vor Beginn der Gyrencephalie, sich 
die Insel bildet und weiter differenziert, bringe ich diese Stelle 
in Beziehung mit der Inselbildung, wie ich es weiter unten noch 
zu begründen suchen werde, und nenne dieses durch das oben- 
genannte Kennzeichen sich vortuendes Rindengebiet des lissen- 
cephalen Gehirns das primäre Inselgebiet. 

Es nimmt dann in diesem primären Inselgebiet, das an Mark- 
scheidenfärbungen zu erkennen war, jenes markhaltige Flechtwerk 
der Rinde nach den Grenzen zu allmählich ab, wohl am rapidsten 
nach ventralwärts zu, wo noch einige Faserbündeln aus dem 
feinfaserigen Teil der Commissura anterior (Textfig. 3, ca‘) in 
ihn eintraten und diese Verbindung zwischen den beider- 
seitigen Inselgebieten erhält sich überall bei den Säugetieren. 
Ober diesem Gebiet sieht man viele Faserbündel aus der dorsalen 
Hälfte des Palliums kommend, nach innen biegen, wodurch sie 
die in der Corona radiata ventralwärts ziehenden Fasern kreuzen, 
und so in das Corpus striatum (str) gelangen; nie gelangen 
gekreuzte Fasern aus der Corona in das Striatum. 

Der grösste Teil des feinfaserigen Abschnittes von der 
Commissura anterior (ca‘) gelangt in den ventralen Teil des 
lateralen Palliums. 

Es mögen hier nun gleich anschliessend an Vesperugo die 
gleichen Einrichtungen bei Vespertilio zur Erörterung gelangen. 

Wie ich schon weiter oben mitgeteilt habe, endet die 
Ammonswindung, nachdem die glatte Fascia dentata kurz vorher 
schon ihr Ende gefunden hatte, mit dem hinteren Ende des 
pallialen Balkenteils auf. Da nun dieser Balkenteil jederseits 
von der medialen Sagittalebene etwas länger als bei Vesperugo 
ist, so hört der Gyrus auch etwas weiter nach hinten auf. Ein 
Rückzug nach hinten hat sich hier somit Vesperugo 
gegenübereingestelltmitderhöherenEntfaltung 
desBalkensystems, ebenso wie gleiches sich auch 
beiVesperugo eingestellt hat im Vergleich zu den 
Monotremen und vielen Marsupialiern. 

Aber auch bezüglich der Form des Balkens zeigt sich ein 
weiterer Schritt nach vorwärts, denn die Form des Balkens bei 
Vespertilio im sagittalen Längsschnitte ähnelt eigentlich mehr 
jenem von Erinaceus, als dem von Vesperugo (vergl. Textfig. 2 A 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 13 


mit Fig. 14 B und A). Vesperugo gegenüber zeigt sich der 
Unterschied darin, dass der Balken von hinten nach vorne zu, 
also in sagittaler Richtung zusammengedrückt ist, wodurch auch 
das Septum pellucidum höher, aber zugleich schmäler wird (vergl. 
Textfig. 3 und 4). Es würde also die Form des Balkens von 
Vespertilio eine etwa fingerförmige sein, wobei eine geringe 
Neigung des freien Endes nach kaudalwärts zu bereits vorhanden 
ist. Damit ist dann die Balkenform auch erreicht und es bedarf 


Fig. 5. 
Vespertilio murinus. Unteres rechtsseitiges Stück von einem Quer- 
schnitte durch das Grosshirn mit der Schnittebene durch die vordere Com- 
missur (ca). Fi.—= Fimbrialfasern im Septum pellucidum; str. = Striatum; 
er. — Corona radiata; frh.1.= Fissura rhinalis lateralis; ca’ = basaler Teil 
der vorderen Commissur; f.oc.i. — Funiculus olfactorio corticalis inferior 
(Tractus olfactorius s. radix lateralis olfactorii Aut.); byhb'’= ein Teil des 
basalen Vorderhirnbündels; gao. — Ganglion areae olfactoriae. 


nur der grösseren Neigung des noch aufrecht stehenden Balkens 
nach der horizontalen Ebene, um die Form, wie sie sich bei 
Erinaceus findet, zu erreichen. 

Ein genauer Vergleich des Vespertiliobalkens mit dem von 


Vesperugo zeigt auch, dass der vordere Abschnitt des Balkens, 
9* 


152 B. Haller: 


also der palliale Teil desselben (Fig. 14 B, ce), im Verhältnis zu dem 
ammonalen (ps) zugenommen hat. Es reicht ersterer ge- 
nauestens bis zum freien Ende des Balkens, letzterer beginnt 
hier, also an dem Balkenknie. Der palliale Balkenteil nimmt, 
wie bei Vesperugo, Kreuzungsfasern aus dem Stirnhirne auf 
(Textfig. 4) und da der Stirnpol der Hemisphären im Vergleich 
zu Vesperugo etwas an Masse zugenommen hat, so ist die 
Zunahme dieses Balkenteils die Folge davon. Immerhin ist auch 
der Balken von Vespertilio nur ein beginnender, obgleich er dem 
von Vesperugo gegenüber schon phyletisch jünger erscheint. In- 
folge dieses Verhaltens zieht noch der grössere Teil der Pallial- 
fasern durch die Commissura anterior zur anderen Hemisphären- 
hälfte. Der Querschnitt (Textfig. 5) belehrt uns darüber, der 
aber gleichzeitig auch zeigt, dass in der Commissura anterior 
doch nicht mehr so viele Pallialfasern enthalten sind, wie in 
jener von Vesperugo. Der Vergleich dieser Abbildung mit jener 
auf Textfig. 3 belehrt darüber; denn ist auch der als Corona 
radiata aufsteigende Schenkel (er) der Commissura anterior (ca) 
noch sehr mächtig, so ist jener bei Vesperugo doch ansehnlicher. 
In dem basalen Teil der Commissur (ca‘) sind indessen die Fasern 
ebenso zahlreich als bei Vesperugo. 

Betrachten wir nun das Verhalten dieses basalen Teiles der 
Commissura anterior genauer, so wie die Horizontalschnitte 
zeigen. Ein solcher, der durch den unteren Teil des Striatums 
geführt wurde, und somit knapp oberhalb der Commissura anterior 
gelegen ist (Fig. 8), lässt die Umbiegungsstelle der Corona radiata 
in das Commissurquerbündel erkennen (ca). Da zeigt es sich 
denn, dass hier die Commissur sowohl von der basalen Stirnpol- 
hälfte der Hemisphäre, als auch aus dem Schläfenteile des 
Palliums Fasern bezieht. Es liegt hier der Übergang der Corona 
radiata in die Commissur gerade an einer muldenförmigen Ein- 
senkung der lateralen Hemisphärenseite, an der etwas weiter 
nach basalwärts das obere Ende der Fossa Silvii liegt (Fig. 9, Fs), 
An guten markscheidegefärbten Präparaten zeigt sich nun, dass 
sich die Corona radiata etwas vor jener Stelle in eine äussere 
(Fig. 8) und eine innere Lamelle spaltet. Es steht dann die 
innere mit der Commissura antorior im Zusammenhang und biegt 
hinter dieser, sich immer mehr von der Pallialrinde entfernend, 
durch die basale Ganglienmasse nach kaudalwärts. Diese innere 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 133 


Marklamelle hier (ce) grenzt dann diese basale Ganglienmasse in 
einen inneren, nach innen zu an das basale Vorderhirnbündel 
und die thalamocorticale Fasermasse (später innere Kapsel) 
erenzenden und einen äusseren Abschnitt, der oben von der 
äusseren Lamelle der Corona radiata (cl) umsäumt wird. Etwas 
weiter basalwärts (Fig. 9), wo bereits die sich kreuzenden Riech- 
bahnen in die Commissura anterior gelangen, erkennt man, dass 
sowohl die äussere (cl), als auch die innere Marklamelle (ce) als 
Bogenfasersystem in die Commissur (ca) gelangen. Auch noch 
weiter unten ist dieses Verhalten zu erkennen (Fig. 10) und ist 
hier, wie schon zuvor, die äussere Ganglienmasse der Temporal- 
gegend am mächtigsten. 

Die äussere Marklamelle ist der Capsula externa der 
höheren Placentalier gleichzustellen, die freilich dort minder 
mächtig ist. Sie besteht hier bei Vespertilio und 
Vesperugo teils aus vertikalen Fasern, die aus 
dem Inselgebiet kommend, in die Commissura 
anterior einbiegen (Textfigg.3,5), teils aus horizon- 
talen, die aus der Temporo-oceipitalrinde dort- 
hin gelangen, dann aber auch aus vertikalen 
Associationsbahnen, welche das dorsalePallium- 
gebiet mit dem ventralen derselben Seite inBe- 
ziehung setzen. 

Die innere Marklamelle setzt die ganze ventrotemporale 
Ganglienmasse innen vom Pallium mit der der anderen Seite 
durch die Vorderkommissur hindurch in Verbindung. 

Erst weiter basalwärts, unterhalb der Commissura anterior 
zeigen sich in der äusseren Marklamelle (Fig. 11, el) fast nur 
horizontal ziehende Faserungen. 

Die beiden, von der inneren Marklamelle getrennten 
Ganglienmassen erweisen sich aber (Textfigg. 3, 5) als Rinden- 
gebiete des Lobus pyriformis unterhalb der Fissura rhinalis (frh.1.). 
Es fehlt da hier unten (Fig. 11) die innere Marklamelle, statt 
ihrer finden sich vertikal orientierte Einzelbündel. 

Vergleichen wir nun die geschilderten Zustände mit jenen 
der Nagetiere, sofern dieselben bei der Maus und der Ratte 
genau bekannt sind. Ich verweise diesbezüglich auf Köllikers 
Handbuch (18) und meine Arbeit (17). Insofern bei diesen 
Formen die Fissura rhinalis lateralis deutlich zum Ausdruck 


134 B. Haller: 


gelangt — nur als schwacher Eindruck bei Mus, doch deutlicher 
ausgesprochen bei Sciurus und noch besser bei Lepus — ist mit ihr 
die Grenze bezeichnet, wo das Lobus-pyriformisgebiet der übrigen 
Rinde gegenüber beginnt. Es zieht hier in der Gegend der 
Commissura anterior, doch hinter ihr, eine senkrechte Mark- 
lamelle fest unter der Pallialrinde nach unten dem Ganglion 
areae olfactoriae zu (l.c. Figg. 16—207y); sie ist die direkte, 
stark reduzierte Fortsetzung der Corona radiata und wurde von 
Kölliker bereits (l.c. Fig. 715 Ce.) als „Capsula externa“ be- 
zeichnet. Was innen von dieser Lamelle liegt, gehört scheinbar 
dem Stammhirn an und wurde von Kölliker als Nucleus 
lenticularis angesprochen; die von ihr nach aussen zu gelegene 
Partie ist ausgesprochenes Rindengebiet, was bei den Nagetieren 
sehr klar ist. In dem Nucleus lenticularis gelangte es zur 
Difterenzierung zweier Kerne, von denen der eine durch den 
Funiculus striati (17, Figg. 12,13) mit dem Kopf des Striatums 
(Nuel. caudatus) in Verbindung steht, ausserdem aber auch mit 
der Ammonsrinde (17, Fig. 21; 18, Fig. 716). E 
Diese Zustände mit jenen der zwei hier in Betracht kom- 
menden Chiropteren verglichen, würde ergeben: dass jene Mark- 
lamelle, die Kölliker bei den Rodentieren für die Capsula externa 
erklärte, bei den Chiropteren sich in zwei Lamellen gespalten hat. 
Die äussere von diesen (Figg. S, 9, 10 cl.) verbleibt unter der 
pallialen Rinde, die innere aber (ce) teilt ein Gangliengebiet in 
zwei Teile. Dieser ganze Prozess aber erfolgt in einem Gebiet, 
dass mit jenem des Inselgebietes sich deckt. Diese Differenzie- 
rungserscheinung wird uns bei Gehirnen höherer Säugetiere noch 
begegnen und hier möchte ich nur der Meinung Ausdruck geben, 
das ich jenes Gebiet, das zwischen der inneren Marklamelle (ce) 
und der Corona radiata liegt (Textfig. 5, Ik; Figg. 8, 9, 10, Ik) 
eben weil es ausserhalb der Corona liegt, noch 
der Rinde zuzählen möchte. Dieser Zustand gelangt 
nun nicht mehr so deutlich zum Ausdruck bei den Rodentiern 
und es hat den Anschein, als ob die Linsenkerne dem Striatum 
angehören würden, obgleich auch hier in der kaudalen Gegend 
diese Kerne sich eher der Rinde, als dem Stammganglion an- 
schliessen. Es handelt sich in diesen Kernen aber zweifellos 
um den Linsenkern (Nucleus lenticularis) der höheren 
Placentalier, während das Gebiet zwischen den beiden Mark- 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 135 


lamellen bei den Chiropteren (cla) einem mächtigen Claustrum 
entspricht. Dieses gelangt unter den Rodentien bei Sciurus, 
noch mehr bei Lepus in noch höherem Grade zur Entfaltung, 
wobei es noch in der Rinde verbleibt. Wir sehen also 
bei einer niedrigeren Abteilung eine Differen- 
zierung eintreten, die sich bei vielen höheren 
Formen (Carnivoren, Simiern u. a.) gleichfalls 
zeigt, bei einer höheren Abteilung aber wie die 
Chiropteren sind, mit nur ähnlichen Zuständen 
(Mus) ansetzt. 


Die innere Marklamelle der Chiropteren wäre somit die 
Capsula externa, die äussere aber eine auch bei höheren 
Formen vorkommende Differenzierung, die ich Capsula late- 
ralis nennen möchte.!) 


Bezüglich der Verbindung zwischen dem Grosshirn und dem 
Thalamus opticus hatte ich für die Maus festgestellt (l.c. pag. 419), 
dass die beiden Verbindungsbahnen: Funiculus thalamo- 
prosencephalicus und F.thalamo-epistriaticus der Rep- 
tilien auch bei ihr vorkämen. Das Homologon des letzteren erblickte 
ich in dem unteren Thalamusstiel und Linsenkernschlinge der 
Autoren, die ich zusammen Funiculus thalamo-lenti- 
cularis genannt habe. Dieser zieht bei der Maus von Nucleus 
lentieularis und auch aus der Grosshirnrinde „von des Linsen- 
kerns nächster Umgebung medianwärts vom basalen Vorderhirn- 
bündel gelegen, in den Thalamus und strahlt dort in der ganzen 
Zona intermedia aus“, wobei von ihm aus Fasern auch in den 
Dorsal- und Mediankern des Thalamus gelangen. Die zweite 
Verbindung ist der Funiculus thalamo-prosencephalicus, der seine 
Fasern aus dem Occipitallappen und aus dem dorsalen mittleren 
Palliumteil bezieht, wobei durch die Balkenfaserung sich auch 
die anderseitige Hirnhälfte der gleichen Gegenden beteiligt. 


Beide diese Verbindungen zwischen Grosshirn und Thalamus 
opticus sind als Erbteil von ihren Stegocephalenahnen bei den 
Chiropteren vorhanden. 

) Freilich wäre es dann angezeigter, von einer Capsula interna, media 
und externa zu sprechen. Ich überlasse dies einzuführen anderen und will 


davon, wegen der unheilvollen Oppositon, die meine neue Nomenklatur schon 
erregt, Abstand nehmen. 


136 B. Haller: 


In ihrem oberen Abschnitt werden Claustrum und Nucleus 
lenticularis von auseinander liegenden, zum grössten Teil aus 
dem Schläfen- und Oceipitallappen herrührenden Faserbündeln 
durchsetzt, die dann (Fig. 21 f.thp.) seitlich vom basalen Vorder- 
hirnbündel gelegen, in den Nucleus lateralis thalami (Fig. 8 nlt.) 
gelangen. Dieses Bündelsystem ist der Funiculus thalamo- 
lenticularis (f.thl.). Seine frontomedialen Fasern durchqueren 
zum Teil noch die basale Vorderhirnbahn. 

Vor- und medianwärts vom F. thalamo-lentieularis aus dem 
Stirnpol der Grosshirnhemisphäre — und in diesem Bündelsystem 
sind auch Fasern von der anderen Seitenhälfte enthalten, welche 
den pallialen Balken durchsetzen — gelangt ein anderes Bündel- 
system, durch das Corpus striatum hindurch, das basale Vorderhirn- 
bündel durchsetzend, in die Zona intermedia thalami (zi). Es ist 
der Funiculusthalamo-prosencephalicus. Während dann 
im frontalen Teil dieses Gebietes die Fasern ungekreuzt sich 
verhalten, findet im hinteren Teil eine Durchkreuzung statt,') 
wodurch auch die anderseitige Hälfte Fasern erhält. 

Immerhin wäre hier zu bemerken, dass diese beiden Bündel- 
systeme von einander nicht scharf getrennt sind und erst im 
Thalamus auseinander gehen, wobei noch die gekreuzten Fasern 
des Funiculus thalamo-prosencephalicus von jenen des Funieculus 
thalamo-lenticularis gekreuzt werden, wie dies die Abbildung 
(Fig. 8) klar wiedergibt. Auch wissen wir, dass bei der Maus — 
ich verweise auf meine Abbildung Fig. 11 der zitierten Arbeit — 
die meisten Fasern des Funiculus thalamo-lentieularis direkt aus 
einem Linsenkerne herrühren. Es ist somit bei der Maus die 
Trennung schärfer durchgeführt wie bei den Chiropteren, und 
ersterer Zustand ist ein solcher, der bei den höheren Säugetieren 
gewahrt bleibt. Indem ich in dem Funiculus thalamo-lentieularis 
das Homologon des Funiculus thalamo-epistriaticus der Reptilien 
erblicke, knüpfe ich daran die Bemerkung, dass damit auch auf 
die Bedeutung des Nucleus lentieularis noch ein weiteres Licht 
fällt, „indem man diesen Teil des Striatums von dem Epistriatum 
der Reptilien ableiten könnte.“ 


ı) Über das Commissurensystem im Thalamus der Maus konnte ich 
nichts Bestimmtes aussagen, doch schien es mir, als wenn die frontalwärtigere 
Querverbindung von gekreuzten Bündeln des Funiculus thalamo-lenticularis 
bestünde. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 137 


In der Ableitung des Linsenkerns von der Hirnrinde bei 
den Chiropteren, wie ich es oben dargestellt, sehe ich meine 
frühere Voraussetzung — ich hatte sie nur vermutungsweise aus- 
gesprochen — insofern begründet, als ja das Epistriatum der 
Reptilien sich auch als ein Abkömmling des Rindengebiets 
erwiesen hat (16). Freilich möchte ich hier gleich hinzufügen, 
dass inanbetracht dessen, dass die Säugetiere nicht von Reptilien, 
sondern beide von Stegocephalen- Amphibien abzuleiten sind, 
Epistriatum und Linsenkern nur gleiche Wurzeln haben, aber 
dann eigene Entfaltungswege gingen. 

Als basales Vorderhirnbündel bezeichnete ich (15, 
16, 17) das gesamte Bündelsystem, das einheitlich bei Ichthyden, 
Amphibien und Reptilien, doch bei Orniden und den Säugetieren 
in Abteilungen differenziert, vom Grosshirn in das Vereinsgebiet 
des Hypothalamus gelangt um dann durch die Vermittlung jenes 
Gebietes mit kaudalwärts im Zentralnervensystem, Metameren- 
gehirn und Rückenmark gelegenen Zentren in Verbindung zu 
treten. 

Es zeigt sich, wie schon bei der Maus, dass dieses Bündel- 
system in zwei Unterabteilungen zerfällt. Es sammelt sich ja aus 
der gesamten Hirnrinde, mit Ausschluss der Ammonswindungen, 
und durchsetzt das Striatum oder Nucleus caudatus, dann aber 
zerfällt es in ein im Thalamus ganz lateralst hinziehendes 
(Figg. 8—12 bvhb.) und ein mehr diffuses inneres Fasersystem. 
Obgleich nun auch dieses innere System Fasern aus der Pallial- 
rinde bezieht — beziehungsweise dorthin gelangen lässt — so 
stammen viele seiner Fasern direkt aus dem Striatum. So liegt 
ein feinstes markhaltiges Netzwerk zwischen Striatum und Linsen- 
kern (Fig. 10) und dürfte ein gut Teil des Bündelsystems von 
hier herstammen. Es zieht dann dieses lockere Bündelsystem 
medianwärts vom lateralen basalen Vorderhirnbündel subthalamal 
(Figg. 9, 10, 12, 13 €) und endigt zum Teil im Gebiete des 
Ganglion hypothalamicum medium der gleichen Seitenhälfte, zum 
Teil aber geht es eine Kreuzung ein, so die Commissura post- 
optica bildend und gelangt in das gleiche Ganglion der anderen 
Seite. Es handelt sich hier wohl um die Haubenbahn der höheren 
Formen und um eine Bahn, die bei den Ichthyden die grösste 
Masse des basalen Vorderhirnbündels ausmacht, da der-andere 
Teil desselben wegen noch geringer Entfaltung des Mantels selbst 


133 B. Haller: 


gering ist. Der äussere Teil des basalen Vorderhirnbündels ver- 
dichtet sich zu einem kompakten Bündel (Figg. 9, 10, 12, 13 
bvhb.) und zieht in der schon angegebenen Weise nach hinten 
in das subthalamale Vereinsgebiet. Es verhält sich hier genau 
wie ich dies für Fische, Reptil und der Maus geschildert habe. 

In dieser Weise erreicht es das, bei den zwei Fledermäusen 
nach aussen stark vorspringende Ganglion hypothalamicum laterale 
(ehy) und lässt einen grossen Teil seiner Fasern in ihm enden 
(Figg. 10, 13). Der mediale Teil der Fasern aber umgreift das 
Ganglion interpedunculare (Fig. 9, g. ip) hinter ihm eine Kommissur 
bildend und gerät auf diese Weise in das Vereinsgebiet der 
anderen Seitenhälfte, um dort im Ganglion hypothalamicum late- 
rale, dem sogenannten Luysschen Körper, zu enden. 

Es sind also hier genau dieselben Verhältnisse vorhanden 
wie bei der Maus,!) und ich kann, was ich bisher behauptet, nicht 
fallen lassen, dass nämlich keine Grosshirnbahn direkt in das 
metamere Gehirn gerät, sondern der Zusammenhang 
zwischen Grosshirn und dem metameren Hirn und 
Rückenmark durch die Einschaltung des hypothala- 
malen Vereinsgebietes erzielt wird. Weiter unten 
möge übrigens auf diesen Punkt nochmals eingegangen werden 
bei der Besprechung der Zustände bei den Musteliden und hier 
möchte ich bloss noch beifügen, dass ich auch bei Erinaceus zu 
demselben Resultate gelangt bin. 

Hier mögen nun die dorsalen Rindenbahnen im Zu- 
sammenhang mit den Riechbahnen erörtert werden. 

Was zuvörderst die Corona radiata betrifft, so sammelt sich 
dieselbe aus dem ganzen Pallium und besteht aus zirkulär hori- 
zontalen und schief von oben nach unten oder ganz vertikal nach 
dieser Richtung orientierten Fasern. Aus dem Öceipitalpol 
(Fig. 4 ol) gelangen an der dorsalsten Hälfte noch keine Fasern 
in die Corona (er), sondern die sich hier sammelnden Längsfasern 
alle in den Alveolarbündel (al), während erst mit Beginn der 
Temporalregion die Fasern sich der Corona beigesellen. So bis 
zur Höhe des Balkenknies. Unterhalb dieser Horizontalebene 
gelangen aber alle Fasern aus dem Oceipitalpole in die Corona 
(Fig. 5). Dies trifft freilich nur für den Oceipitalpol zu, denn 


!) Vergl. mit Fig.9 die Fig. 27 meiner Arbeit über das Mäusehirn (17). 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 139 


etwas dorsalwärts davon reicht die Coronalfaserung weiter nach 
kaudalwärts (Figg. 1—3 er.). Es ist also hier am oceipitalen Pole 
eine Gegend vorhanden, die als ein Übergangsgebiet in die 
Ammonsfalte auch histologisch gelten kann. 

Aus der dorsalsten Gegend des Occipitallappens sammelt 
sich auch ein mächtiges Bündelsystem (Figg. 1—3 cm), welches 
anfangs noch einheitlich, während seines weiteren Verlaufes zu 
einem mehr oder weniger diffusen wird. Es zieht dieses Bündel- 
system dorsal von der Ammonswindung, entlang der ganzen 
medianen Seite der Hemisphäre nach vorne zu (Textfigg. 2. A. B. cm) 
bis in den Stirnpol hinein. Hier angelangt, strahlt es in den 


Fig. 6. 
Vespertilio murinus. Querschnitt aus der postepiphysalen 
Gegend durch die Ammonsfalte und den über ihr liegendem 


Schläfenlappen. F — Fimbria; cr, cr’ = Corona radiata; 
c.b. —= Circularfasern; sz.s = Stratum zonola sup.; cm = 
Cingularfasern; af — Alveolarfasern; Fd = Fascia dentata 


des Gyrus ammonis Ga. 


Stirnpol aus. Es handelt sich hier somit um ein Associations- 
system von Fasern, die u.a. den Oceipitalpol mit dem Stirnpol ver- 
binden und als Cingulum bezeichnet werden darf. Es verbindet 
mit dem Stirnpol scheinbar sowohl das Pallium als auch die 
Ammonsfalte. Es kommt ja dieses Bündelsystem aus einer Gegend, 
welche eben den Übergang zwischen Pallium und der Ammons- 
falte darstellt. Immerhin ist eine Scheidung zwischen den Schichten 
dieser cingularen Bahn möglich. Querschnitte durch die Gegend, 
in der sich die Fimbria zu sammeln beginnt (Textfigur 6), haben 


140 B. Haller: 


ergeben, dass das Cingularsystem seine Lage genauestens an der 
Umbiegungsstelle des Palliums in die Ammonswindung hat (cm). 
Während nun am Polende die Fasern aus dem Pallium natur- 
gemäss geraden Verlaufes in das Bündelsystem gelangen (Figg. 1, 2) 
beschreiben weiter frontalwärts zu diese Fasern um die mediane 
Faltung einen Bogen (Textfigur 6 cb), um in das Cingularbündel 
(em) zu gelangen. Sie nehmen hier dann eine dorsale Lage ein. 
Die untere Lage dieses Bündelsystems besteht aber aus Fasern, 
welche direkt aus der dorsolateralen Lage der Ammonsfalte, 
unter der alveolaren Lage derselben (af) herrühren. 

In gleicher Lage zieht dann dieses Cingularsystem nach frontal- 
wärts (Textfigur 7 cm). Im frontalen Pol ist das Verhalten der 
Fasern ein ungleiches, insofern sie nicht alle im Stirnpol ihr Ende 
(oder Beginn) finden. Ein grosser Teil dieser Fasern strahlt 
jedenfalls im Frontalpole aus, ein anderer Teil aber biegt vor 
dem Pallialbalken nach ventralwärts, um in das Septum pellu- 
cidum zu gelangen (Textfigur 4s). Es sind hier jedoch die Ver- 
hältnisse nicht so einfach, dass man mit Bestimmtheit sagen 
könnte, welche der beiden Fasern sich so und welche sich so ver- 
halten. Es wird das eingulare Bündelsystem hier überwölbt von 
zirkulären Fasern aus dem Pallium oder von solchen durchsetzt. 
Von diesen Fasern gesellen sich die der tieferen Lagen dem 
Pallialbalken (cc) zu, die unteren jedoch biegen im Septum ab- 
wärts. Ähnlich verhalten sich die tieferen Lagen des Cingular- 
systems. Diese aus der Ammonswindung kommenden Fasern sind 
aber nur in den hinteren Gegenden von den echten Alveolar- 
fasern zu trennen, weiter vorne aber, am Knie des Balkens, ist 
dies weniger möglich. Hier (Textfigur 7) liegt das alveolare 
System (af), das dann in das Psalterium (ps) einwärts biegt, auf 
dem Querschnitt zwar neben dem cingularen (cm), allein hori- 
zontale Längsschnitte zeigen (Fig. 3), dass Alveolarfasern 
auch in den Stirnpol ausstrahlen (cm). 

Fassen wir nun das hier über das Cingularsystem ermittelte 
zusammen, so würde sich Folgendes ergeben. Das Alveolar- 
system von Vesperugo und Vespertilio ist ein Längsfasersystem 
gemischter Natur, in welchem ammonale und palliale Fasern ver- 
laufen. Diese stammen zum grössten Teil aus dem Oceipital-Pol, 
doch gelangen solche auch als Cireularfasern aus dem übrigen 
Pallium hinein. Am Stirnpol angelangt, strahlen dann diese Fasern 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 141 


teils in denselben aus, teils gelangen sie in das Septum pellu- 
cidum, oder besser gesagt, ziehen sie vor demselben ventralwärts. 
Dabei ergab sich, dass Fasern im Stirnpol enden (oder beginnen) 
können, während andere nach ventralwärts biegen. Indem ich 
das Cingularsystem bei Erinaceus noch berücksichtigen werde, 
möchte ich hier erwähnen, dass Zuckerkandl (39) bei dem 
Marsupialier Parameles Fasern beschrieben hat, die aus dem occi- 
pitalen Pallium, genau an der Umbiegung in die Ammonsfalte, 


Fig. 7. 


Vespertilio murinus. Oberes rechtsseitiges Stück von einem Querschnitt 

durch die mittlere Gegend des Grosshirns. Ga = Gyrus ammonis. ep — Epi- 

physe; ps = Psalterium ; cf — Columna fornieis ; str = Striatum ; cr —= Corona 
radiata; af — Alveolarbündel; cm = Cingularfasern. 


Fasern in den Alveus treten sah, die dann mit diesem verlaufend 
im Balkensystem zur Kreuzung gelangen. Indem ich hier dies 
bloss erwähne und weiter unten darauf zurückkommen will, 
möchte ich mitteilen, dass solche Fasern auch bei den zwei von 
mir untersuchten Mikrochiropteren sich zeigten. In dem dor- 
salen Bezirk, in dem, wie schon erwähnt wurde, der Oceipital- 


142 B. Haller: 


lappen (Fig. 4 ol) zur Vermehrung der Coronalfasern nicht bei- 
trägt, gelangen die Fasern alle in den Alveus (al); weiter dor- 
salwärts ist dies noch nicht der Fall (Fig. 1,2). Es handelt sich 
also genauestens um die Umbiegungsstelle des Occeipital- 
palliums in die Ammonsfalte. Ob diese Fasern nun im Balken- 
system zur Kreuzung gelangen — sie werden genau an dem 
Balkenknie, dem Splenium (bk) an das Balkensystem geführt und 
könnten dann im Pallialbalken kreuzen — oder die Ausstrahlung 
in den Frontalpol eingehen (Fig. 3) liess sich nicht entscheiden. 
In beiden Fällen wären aber diese Fasern für die Beurteilung 
des Balkens belanglos. 

Etwas weiter unten von der angegebenen Stelle treten, wie 
schon erwähnt, alle Fasern des Oceipitallappens (Fig. 6 f) in die 
Corona radiata (cr) ein, und es wäre darum nur zu leicht mög- 
lich, dass es in jenen oben erwähnten Pallialfasern um blosse 
Verbindungsbahnen (Associationsbahn) zwischen Ocei- 
pitalpol und Stirnpol handelt, wofür ich sie auch halte. 

Es verlaufen dann die Coronalfasern bis zum Streifenkörper, 
dem Striatum (Fig. 5 str), um dann dort nach ventralwärts ziehend, 
in der Kommissura anterior zu kreuzen, denn nur die Fasern 
des Stirnpols gelangen bei diesen Chinopteren im 
pallialen Balken zur Kreuzung. 

Am Knie gelangt die Fimbria an das Balkensystem. 

Die Ammonswindung besteht aus einer ventralen und einer 
dorsalen, hinten in einander übergehenden Hälften. Die obere 
Hälfte (Fig. 21 ga) liegt über dem Balkensystem, die untere (ga‘) 
im Unterhirn. Diese Auffassung Zuckerkandls ist die einzig 
richtige. Es sammeln sich nun die Rindenfasern aus beiden 
Teilen der Ammonswindung medianwärts in der Fimbria (Fi). 
Unterhalb, eigentlich vor der Fascia dentata befindet sich die 
Fimbria, um von aussen nach innen und frontalwärts (Figg. 5, 6, 
7 Fi) zum Balkensystem zu gelangen. Ihre obere hintere Hälfte 
bildet die Verbindungsbahn (Fig. 4 violett) zwischen dem innern 
und dem lateralen Teil der Ammonsfalte. Das frontalwärtige 
Bündel ist die eigentliche Fimbria, d. h. jenes Fasersystem, welches 
die Ammonswindung mit der Ganglia arcae olfactoriae zusammen- 
hält. Medianwärts, wo die beiderseitigen Ammonsfalten sich be- 
rühren, befindet sich zwischen ihnen das Psalterium (Textfigur 3), 
ein reines Kommissurensystem zwischen beiden. Anders die 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 143 


Fimbria. Gerade so, wie ich es für die Maus beschrieben und 
abgebildet habe (1. c. Fig. 25), führt die Fimbria am Septum nur 
an ihrer hinteren Seite reine Kommissuralfasern (Figg. 5, 7), ihr 
ganzer vorderer Teil aber wird von nicht gekreuzten Fasern ein- 
genommen, die gleichseitige Bündel des Tractus areo-septalis, 
des Riechbündels sind, und welche auf diese Weise dann in die 
Ammonswindung der gleichen Seite gelangen. Es sammelt somit 
die Fimbria ihre Fasern aus einem Gebiet, zwischen der dor- 
salen und ventralen Ammonswindung, während diese oben und 
unten ihre Kommissuralfasern zum Psalterium werden lassen. 
Etwas unterhalb des Balkenknies sieht man darum auf Horizontal- 
schnitten (Fig. 7) vorne die dorsale Lamelle des Balkens oder 
den pallialen Balken (cc) liegen. Hierauf folgt eine verhältnis- 
mässig schmale Zone im Septum, das innen die zerstreut liegenden 
Fornixfasern und seitwärts von diesen in Bündeln (rs) die Riech- 
bündel führt. Dann folgt das System des Psalteriums (Text- 
figur 3) nach unten und hinten. Das Psalterium (Textfiguren 5, 
7 ps) konstruiert sich von Alveolarfasern (af), die ja mit jenen 
der Fimbria eine Markhülle um die beiden Gyrii ammonis bilden. 
Enden oder beginnen diese Fasern auch in der Ganglienzelllage 
der grossen Pyramidenzellen des Gyrus, so ist hinten, an der 
Umbiegungsstelle der Ammonsfalte in den Oceipitallappen (Fig. 6 ol) 
eine Stelle vorhanden, um die Fasern des Funiculus cortico- 
dentatus (f.cd), von den grossen Zellen aus der Höhle der 
Fascia dentata kommend, auseinander gehen, diese Einzelbündel 
die Ganglienzellenschichte der Ammonswindung durchsetzen und 
auf diese Weise dann zu Alveolarfasern um den Gyrus werden. 
Auch auf der medianen Seite gelangen Fasern (v) bis in die 
Höhle der Fascia dentata (s. auch Textfigur 6 Ga). 

Aus dem Funieulus cortico-dentatus spaltet sich aber ein 
Bündelsystem ab (Textfigur 6 u. Fig. 6 sz.e), welches dann in die plexi- 
forme Schicht des Oceipitallappens gerät. Diese Schicht umgreift 
den Occipitallappen auch von innen (Textfigur 6 sz. i) und setzt 
sich dann in gleicher Weise auch auf die übrige mediale Seite 
des Palliums, bis zum Pallialbalken fort (Textfigur 3, Figg. 1, 2, 
7, sz.i.) auf diese Weise das Stratum zonale subiculi 
externum und internum bildend. 

Es sind die Ganglia areae olfactoriae bekanntlich 
bei allen Chiropteren mächtig entfaltet. Ueber dieses Verhalten 


144 B. Haller: 


haben uns von Vespertilio murinus Flatau und Jacobsohn 
eine vorzügliche Abbildung beschert. Wie auf dieser Abbildung 
(1. c. Taf. VII, Fig. 5) ersichtlich, wird jedes Ganglion, das äusser- 
lich Tubereulum olfactorii heisst, von einem weissen Fasersystem 
aus dem Bulbus olfactorius umgrenzt, welches die Autoren als 
Radix olfactoriae lateralis bezeichnen. Diese Wurzel ist der Funi- 
eulus olfactorio-corticalis inferius (Figg. 10, 11, foc. i), 
indessen der Tractus cruciatus olfactorii oben zuvor in 
einzelnen Bündeln, zerlegt, durch die Zelllage der Rinde hindurch 
(Fig. 9 tbs, tbs‘) zur Kommissura anterior gelangt, tiefer unten 
aber ein kompaktes Bündel bildet (Fig. 10 ca). 


Aus dem mächtigen, jedoch schon zweigeteilten Ganglion 
areae olfactoriae (Fig. 11 gao) gelangt medianwärts der Funi- 
culus areo-septalis (Textfig. 2 B) im Septum pellueidum nach oben, 
um dann seitwärts biegend zur Fimbria zu werden (Fig. 7). Nach 
kaudalwärts zu zieht ein ansehnliches Tractus lobi olfactori 
vereint mit dem Tractus areae olfactoriae. 


B. Erinaceus. 


Als gemeinsames Merkmal des Grosshirns der Insektivora 
führt Leche (19) folgendes an: „Grosser Bulbus olfactorius und 
starke Ausbildung des gesamten Rhinencephalon; glatte oder fast 
glatte Grosshirnhemisphäre; Corpora quadrigemina mehr oder 
weniger bedeckt; .... schwaches Corpus callosum.“ ') Die schwache 
Entfaltung letzterens ist übrigens schon früheren Forschern 
bekannt gewesen, ich nenne hier nur Eliot Smith (24, 25), 
Beddard (2) und Flower (10), der auch eine gute Abbildung 
eines medialen Sagittalschnittes vom Igelgehirn gegeben hat. 
Auch Ziehen (37) erwähnt dessen, der die grosse Ähnlichkeit 
des Igelgehirns mit dem des Marsupialiers Parameles betont. ?) 
Eine gute Abbildung des äussern Verhaltens gibt ferner Leche 
(l. c. Fig. 1), und gaben früher schon Flatau und Jacobsohn 


ı) Widersprechen muss ich dagegen Leche, wenn er auch den Glires 
einen geringen Balken zuschreibt, denn die haben bekanntlich schon ein 
ansehnliches Balkensystem. 


?®) Doch kann es sich hier nur um die äussere Form handeln, denn 
eben nach Ziehens Abbildung (Fig. 93) dürfte der Balken von Parameles 
geringer sein als jener von Erinaceus. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 145 


(1. c. Taf. VII, Fig. 4). Leches Abbildung eines sagittalen Längs- 
schnittes steht an Genauigkeit jener von Flower nach. 

Nach allen diesen Angaben bedeckt das Grosshirn die Vier- 
hügel nicht und nach Flatau und Jacobsohn bleibt selbst die 
Epiphyse unbedeckt. Ausser einer Rhinalfurche, ist bloss noch 
ein quergestellter Eindruck auf dem Stirnhirn vorhanden, sonst 
ist das Grosshirn völlig lissencephal. 

Diesen Angaben habe ich nach eigenen Untersuchungen 
nichts beizufügen, ich kann sie bloss bestätigen und somit beginne 
ich gleich mit den Strukturverhältnissen. 

Die Abbildungen über den Igelbalken früherer Autoren 
lassen über den Grad der Entfaltung im Unklaren, da sie sich 
nicht auf mikroskopische Beobachtungen stützen. Erkennen 
lassen sie bloss, dass ein geringes Balkensystem vorliegt, das 
infolgedessen noch nicht horizontal, sondern etwas schief nach 
oben zu gerichtet ist. 

Jener quergestellte Eindruck auf dem Stirnpol scheint mir 
auch nicht die verdiente Würdigung gefunden zu haben und dies 
wohl auch aus dem Grunde, weil das Hirn auf Schnitten nicht 
untersucht wurde und äusserlich jener quergestellte Eindruck 
nichts Auffallendes ist. Und doch hat diese beginnende Quer- 
furche — welche mit jener von Vesperugo und auch der Mar- 
supialier, wo sie Ziehen Fissura primigenia nennt, wohl 
gleich zu stellen wäre — eine höhere Bedeutung, da sie das 
Stirnhirn der übrigen Grosshirnhemisphäre gegenüber abgrenzt. 
Am tiefsten ist dieser Eindruck lateralwärts, wo er geradezu zu 
einer Furche wird (Fig. 20 qf); weiter medianwärts wird er 
seichter, doch noch immer gut kenntlich (Fig. 16 qf), um dann 
medianwärts sich nur noch als geringe Delle (Fig. 15) zu erhalten. 
Es wird durch die Querfurche somit der Stirnpol gut abgegrenzt, 
wie dies übrigens an Leches Abbildung (l. c. Fig. 1) gut zu 
sehen ist. 

Es zeichnet sich der Stirnlappen lateralwärts durch eine 
periphere, markhaltige Faserlage, in der überall bei Erinaceus 
dicken, hier aber sehr dicken plexiformen Schnitte aus (Fig. 20 i), 
welche von aussen den Lappen schalenförmig umgreift und 
ventralwärts vor dem Tuberculum s. Ganglion areae olfactoriae 
(g.ao.) in den Funiculus olfactorio-corticalis inferius (foe. i.) 


übergeht. Gegenüber dieser Stelle liegt ja unter der Rinde in 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 10 


146 B. Haller: 


der praecommissursalen Markmasse auch der Funiculus 
olfactorio-corticalis superius (f.oc.s.), der dann median- 
wärts in den Bulbus olfactorius hineingreift (Fig. 19, f. oc. s.). 
Sowohl die starke Entfaltung dieser Fasersysteme, wie auch jene 


des Traetus cruciatus olfactorii (t bs) — der aus sehr breiten 
markhaltigen Fasern besteht, die im Bulbus (bof) in sehr feine 
markhaltige Äste sich aufsplittern — beruht ja auf der sehr 


hohen Entfaltung des gesamten Rhinencephalons. Denn diese 
hohe Entfaltung dürfte nur noch durch Talpa erreicht und durch 
die Edentaten Dasypus und Bradypus übertroffen sein. Ent- 
sprechend diesem Zustande ist auch die Commissura 
anterior mächtig entfaltet, allein dies rührt eben nur von ihrem 
Riechbündelteil her. Dieser, an den mächtigen Fasern erkenntlich, 
lagert in der Commissur (Figg. 14A, 15ca) vorne und reicht 
bis zum obern Rande des Querbündels hinauf. Dass dem wirklich 
so ist, geht aus lateralwärtigen Sagittalschnitten hervor, wo 
dann der Riechteil (Fig. 16 ca) sich vom übrigen Bündelsystem (ca‘) 
abhebt. Dieser letztere besteht aus zwei Bündelteilen, einem 
feinfaserigen mittleren und grobfaserigen hinteren (Fig. 17). 
Letzterer ziecht dann (bei den Chiropteren nur wenig entfaltet) 
medianwärts (Fig. 18 fst) nach oben in den Kopf des Striatums 
und ist zum Teil homolog dem von mir bei der Maus be- 
schriebenen Funiculus striati s. Stria terminalis Autorum (l. c. 
Fig. 17. st). Nur der feinfaserige Teil bleibt dann übrig, um in 
die Corona des Oceipitalpoles und in die übrige Corona radiata ein- 
zudringen, denn ein Teil davon gelangt in den Linsenkern (Fig. 20 Ik). 
Es ist also der Anteil der Corona radiata, welcher 
in der Commissura anterior sich kreuzt, schon be- 
deutend geringer, als bei den oben behandelten 
zwei Chiropteren. 

Während dann bei den Chiropteren das ganze aufsteigende 
Fasersystem aus der Commissura anterior in die Corona, einheit- 
lich ist (Fig. 21, er‘), zerfällt es bei Erinaceus in untere Bündel 
(Fig. 20 er‘) von denen der vorderste lateralwärts bis zum Stirn- 
pole reicht (z). Diese ventrale Verbindung mit dem Stirnpol 
zeigt sich ja auch bei den zwei Chiropteren (Fig. 21 z). 

Während also die Coronalfasern der Stirnpole 
sowohl bei dem Igel als auch bei Vespertilio und 
Vesperugo im pallialen Balkenteil, der dorsalen 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 147 


Lamelle des Balkens, kreuzen, gelangt der ventralste 
Teilnoch in der Commissura anterior auf die ander- 
seitige Hirnhälfte. 

Denken wir uns die Commissura anterior, soweit eben der 
coronale Teil in Betracht kommt, als den Stiel eines Malerpinsels 
und diesen auf eine Fläche so festgedrückt, dass die Haare nur 
nach einer Richtung, nämlich der Corona radiata zu, auseinander 
gehen, so werden wir so ziemlich das Bild von dem obigen 
Verhalten uns bilden. Die frontalsten Haare wären dann die- 
jenigen, welche die Faserbündel in den Stirnpol vorstellen 
würden (Figg. 20, 21 z). 

Diese Fasern zeigen uns dann den Weg, welchen 
die Fasern der Commissura anterior, etwa im Sinne 
Eliot Smiths in seinem Kommissurenbett, ge- 
wandert sein müssen um in den pallialen Teil des 
Balkens, in die dorsale Balkenlamelle, zu gelangen. 
Indem diese Auffassung im allgemeinen Teil der Arbeit noch 
erörtert werden soll, will ich hier das Verhalten des Balken- 
systems vom Igel beschreiben. 

Es sammeln sich die Fasern aus dem ganzen Pallium zur 
Corona radiata (Fig. 20 cr), wobei sie dem occipito-temporalen 
Mantelteil zu mit den Fasern des Funiculus thalamo-prosencephalicus 
(f.thp) vermischt sind. Es bildet dann der Bogen den die 
Corona lateralwärts darstellt, eine knieförmige Beuge (gerade dort 
wohin die unterbrochene Linie von cr auf Fig. 20 einsetzt). Es ist 
dies ziemlich der Markstein, bis wohin die Coronalfasern aus 
dem occipto-temporalen Mantelteil reichen und an dem die Coronal- 
faserung des Stirnpoles oder Stirnlappens endet. Die hintere 
Grenze des Stirnhirns fällt hier lateralwärts ziemlich mit 
der Querfurche hinter dem Stirnpol (qf) zusammen. Ich habe 
diese Grenzmarke mit einer unterbrochenen Linie eingezeichnet 
auf drei Figuren (Figg. 15, 16, 20). Die Stabkranzfasern nun, 
welche sich hinter dieser Linie sammeln, kommen alle in der 
Commissura anterior zur Kreuzung, die aber im Stirnpol selbst 
(stl), gehören, mit Ausnahme der schon angeführten ventralsten, 
der oberen Lamelle des Balkens an. Damit ist aber ein wich- 
tiger Punkt für die Grosshirnentfaltung angegeben. 

Es zeigt der Balken, im mediansten Sagittalschnitt be- 


trachtet, eine insofern andere Form (Fig. 14 A) wie bei Vespertilio 
10* 


148 B. Haller: 


(Fig. 14 B), als das hintere Ende oder das Balkenknie an dem 
sonst noch aufrecht orientierten Balken eine nach unten zu ge- 
richtete geringe Biegung erfuhr, womit der Balken die horizontale 
Lage einzunehmen begonnen hat. 

Es besteht also dieser Balken (Fig. 14 A) aus dem mächtiger 
als bei Vespertilio entfalteten pallialen Teil oder der dorsalen 
Lamelle (cc), dem Knie (Genu corporis callosi) und dem 
Psalterium oder der ventralen Lamelle (ps) des Balkens. Das 
mächtige Funiculus areae-septalis (rs) zieht jederseits im Septum- 
teil in den Balken hinauf. Sowohl die dorsale, als auch die 
ventrale Balkenlamelle zeigt ihre Querfasern in Bündeln geordnet, 
zwischen denen vielfach Gefässe verlaufen oder Fasern aus dem 
Riechbündel einbiegen. 


Fig. 8. 
Erinaceus europaeus. Sagittaler Schnitt durch die 
dorsale Ammonsfalte und dem Schläfenlappen. Der 
Schnitt ist acht Schnitte weiter medianwärts von dem 
auf Fig. 16 abgebildeten. er, cr‘ —= Corona radiata; 
Fd — Fascia dentata; Fi = Fimbria; f. cd — Funiculus 
cortico-dentatus. 


Bevor ich weiter ginge, möchte ich noch erwähnen, dass 
gleich wie bei den beiden Fledermäusen, ich auch hier den 
Tractus septalis (f) aus dem vordern Balkenende nach hinten 
zu gerichtet im Septum erkennen konnte. 

Ein etwas lateralerer Schnitt (Fig. 15) als der vorige zeigt 
die dorsale Lamelle oder den pallialen Balken (ce) in verlängerter 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 149 


Form, gleich wie zuvor aus bündeln zusammengesetzt. Zwischen 
dem Balkenknie und dem pallialen Balken befindet sich hier ein 
scheinbarer Spalt (v), den ich darum erwähne, um darauf auf- 
merksam zu machen, dass dieser etwa keine Grenze bezeichnet 
— der palliale Balken reicht ja bis in das Knie (bk) hinein — 
sondern bloss einem stärkern Gefässaste zum Durchtritte dient. 

Aus dem Knie selbst geht hier ein Bündelsystem hervor, 
das dann nach ventralwärts sich fortsetzend, mit einem mächtigen 
Fasersystem aus dem Psalterium vereinigt zur Columna 
fornicis (cf) wird. 

Rechts und links über dem Balkensystem befindet sich das 
Cingular-Fasersystem, in dem nun aber eine Trennung der 
ammonalen Fasern von den rein pallialen eingetreten ist. 

Das palliale Cingulum zieht lateralwärts unter der 
mächtigen Rinde und über der Corona radiata gelegen bogen- 
förmig über die Corona hinweg, von hinten nach vorne zu 
(Fig. 16, cm‘). Es besteht aus dichter gestellte Fasern und man 
sieht fortwährend aus dem Stabkranz Faserbündel in dasselbe 
eintreten. Über ihm liegt aber, weit in die Rinde hineinreichend, 
ein weit lockeres, gleich verlaufendes Fasersystem. Diese oberen 
Fasern stellen Associationsbahnen zwischen Occipital und Stirn- 
pol dar, doch sind auch Fasern darunter, die Zwischenstrecken 
untereinander verbinden. Das tiefere Cingularsystem dagegen 
ist eine Verbindung zwischen dem ganzen Oceipito - Temporal- 
lappen einerseits und der ventralen pallialen Rinde des Geruchs- 
gebietes, da die Fasern vor dem Balkensystem hier nach unten 
biegen. 

Das ammonale Cingularsystem besteht aus ge- 
schlossenen medianwärts gelegenen Bahnen über dem Balken 
(Fig. 15, cm). Es kommt ausschliesslich aus der Ammonsfalte 
her (ga), doch möchte ich gleich bemerken, dass auch das Stratum 
'zonale subiculi internum, das ja bei den beiden Chiropteren noch 
in der plexiformen Schichte dahinzog (s. Textfig. 2, 3), jetzt ver- 
eint mit dem ammonalen Cingulum verläuft. Es hat sich 
somit bei Erinaceus bereits das palliale Cingulum 
vom ammonalen getrennt und während ersteres die 
frühere Lage unter der Rinde beibehalten hat, ist 
die ammonale in die plexiformen Schichte geraten, 
dort mit dem Fasersystem (stratum zonale) sich ver- 


150 B=Hfasliler: 


einigend. Dabei geraten Fasern (Fibrae perforantes) aus: ihm, 
das Corpus callosum durchsetzend, in das Septum pellueidum. 

Schon bei der Maus habe ich darauf hingewiesen, dass das 
ammonale Cingulum aus Fasern des Funiculus olfacto -corticalis 
besteht, die nach hinten ziehen (l. e. pag. 456) um in den Gyrus 
ammonis zu geraten. Obgleich ich dort den Unterschied zwischen 
ammonalem und pallialem Cingulum nicht machte, habe ich doch 
auch solche Fasern im Cingulum beschrieben, die rein pallialen 
Ursprungs sind. Und so ist es auch, allein ein Fehler ist mir 
damals doch eingeschlichen und dieser liegt in dem Unterlassen 
der genauen Angabe über die Lage der Cingularfasern. Das 
palliale Cingulum liegt auch dort lateralwärts, d.h. median an 
der Corona radiata in der Rinde selbst und das ammonale 
Cingulum der plexiformen Schichte, genau wie bei Erinaceus. 

Entsprechend den Verhältnissen gerät keine palliale Faserung 
mehr in das ammorale Cingulum, jenes Verhalten war somit ein 
primärer Zustand bei Vespertilio und Vesperugo und kann somit 
bei der Balkenfrage nicht in Betracht kommen, da ja jenes palliale 
Fasersystem nicht zur Kreuzung gelangt. 

Ich finde an allen meinen Schnitten, dass nur Fasern aus 
dem Fasciculus cortico-dentatus (Textfig. 8 f. cd und Fig. 20) in die 
alveolare Lage geraten, aber nirgends palliale Fasern wie bei den 
beiden Chiropteren und wie nach Zuckerkandl bei Parameles.') 

Es reicht der dorsale Gyrus ammonis auch nicht mehr so 
weit nach vorne wie bei den Chiropteren, denn er überschreitet 
bloß das Balkenknie, der palliale Balken hat ihn zurück- 
gedrängt. Dafür ist er aber auffallend mächtig, entsprechend 


!) Bekanntlich sind jetzt ziemlich alle neueren Autoren darüber einig, 
dass im Cingularsystem zwei verschiedene Faserkategorien zu unterscheiden 
sind, wie ich dies für die Maus schon früher vertrat. Die zwei letzten 
Autoren über das Cingulum sind Zuckerkandl (41) und Redlich (32)s 
Ersterer kommt bei Dasypus zu dem Ergebnis, dass das Cingulum zwei ver- 
schiedene Fasersysteme, die auch bezüglich der Kaliberweite der Fasern 
untereinander verschieden sind, in sich führt. Das eine System, jenes des 
beiderseitigen Gyri fornicati bezieht seine Fasern zum grössten Teil aus 
diesem Gyrus, zum geringen Teil aber auch aus der oberhalb davon gelegenen 
Hemisphärenwand. Das andere System liegt jederseits im Gyrus supracallosus 
(Striae longitudinales Lascitii der höheren Formen) und stösst seitwärts an 
das Cingulum Gyri fornicati. Es geht die ventrale Hälfte dieses Systems 
aus der ventralen Fläche des Splenium c. callosi vorliegendem Stück der 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 151 


den anderen Teilen des Riechhirns. Insbesondere ist in der 
mächtigen Falte (Fig. 20) die gewaltige, jedoch glatte, Fascia 
dentata (Fd) auffällig. Anfangs sehr stark wird sie dann all- 
mählich schwächer (Textfig. 8), um dann in 'eine flache Lamelle 
jederseits neben dem Balken auszulaufen, der Stria lateralis. 
Entsprechend diesen Zuständen und insbesondere dem starken 
Funiculus areo-septalis ist auch die Fimbria (Fi) mächtig entfaltet. 


Fassen wir nun das über die beiden Chiropteren Vesperugo 
und Vespertilio und das über Erinaceus Ermittelte hier zusammen, 
so ergibt sich folgendes. 

Unter den beiden Chiropteren zeigt sich ein ziemlicher 
Unterschied bezüglich der Grosshirnentfaltung, insofern das Gross- 
hirn von Vesperugo pipistrellus niedriger in der phyletischen 
Entwicklung steht, als jenes von Vespertilio. Das noch ursprüng- 
liche Balkensystem, das als solches schon vorher erkannt ward, 
steht in ursächlichem Zusammenhang mit der Entfaltung des 
Grosshirns, das bei Vespertilio mit der Balkenentfaltung eine 
höhere Gestaltung, wenigstens dem Umfange nach, erfahren hat. 
Es ist somit bei Vesperugo pipistrellus ein ursprünglicherer Zu- 
stand vorhanden, dem gegenüber jener von Vespertilio einen, 
wenngleich nicht sehr viel jüngeren Zustand darstellt. Es 
zeigt sich dies hauptsächlich im Balkensystem. Immerhin wäre 
es durchaus unrichtig, das Balkensystem von Vesperugo als 
das primitivste darstellen zu wollen, denn es ist dort schon ein 
gutes Stück Stirnhirnquerfaserung vorhanden, welcher Umstand 


Ammonsfalte hervor, indessen die dorsale Hälfte von der „Balkenrindung“ 
stammt. Es ziehen die Fasern im Gyrus supracallosus nasalwärts. 

Diese Fasern nun werden zu Fibrae perforantes, indem sie den Balken 
durchsetzen — wodurch das Cingulum an Dicke von hinten nach vorne zu 
abnimmt — und gelangen dann in das Septum pellucidum. Der den Balken 
nicht durchsetzende vordere Cingulumteil zieht direkt zum Riechbündel. 

Redlich kommt mit voller Berücksichtigung seiner und der Befunde 
‚seiner Vorgänger zu folgendem Resultate. Es finden sich im Cingulum 
-Fasern, welche die einzelnen Abschnitte der medio-dorsalen Windungszüge 
der Hemisphären untereinander der Länge nach verbinden, also. echte 
Associationsfasern. Der zweite Faserteil verbindet die medio-dorsalen 
Hemisphärenteile, die Ammonswindung mitgerechnet, mit basalen, speziell 
olfactorialen Bezirken. Hierbei kommt in erster Linie der Fornix longus mit 
in Betracht, der die Fibrae perforantes aufnimmt. 


152 B. Haller: 


die Annahme zulässt, es würden sich wohl auch noch beginnendere 
Zustände diesbezüglich auffinden lassen, . die eine vermittelnde 
Stellung zwischen den völlig pallialbalkenlosen Zuständen der 
Monotremen und diesem ursprünglichen, doch gewiss 
nicht ursprünglichstem Zustand von Vesperugo dar- 
stellen. Es braucht ja so ein Zustand nicht eben unter den 
Chiropteren zu finden sein, wenngleich die Möglichkeit wegen 
der reichen Gliederung auch bei den Mikrochiropteren nicht 
ausgeschlossen ist. 

Das Verhalten bei Erinaceus ist ein höherer phyletischer 
Zustand wie jener bei Vespertilio und die Stufenreihe wäre 
‚somit: Vesperugo pipistrellus, Vespertilio murinus und Erinaceus 
europaeus. 

Damit soll aber natürlich nicht gesagt werden, dass 
Erinaceus etwa von Mikrochiropteren abstamme. Dies mit nichten. 


Wir wissen ja, hierauf hat Zuckerkandl als erster hin- 
gewiesen, dass unter den Chiropteren verschiedene phyletische 
Zustände des Balkensystems sich vorfinden. So soll nach ihm 
Pteropus samoensis ein hoch („komplett“) entwickeltes Balken- 
system haben!) (38) und wenn Turners (27) Abbildungen 
richtig sind, so ist dies wohl auch bei Cynonyeteris collaris der 
Fall. Andererseits hat Eliot Smith bei Miniopterus Schreiberü 
und Nyctophilus timoriensis nur ein beginnendes Balkensystem 
gefunden (23). Es sind also unter den Chiropteren alle Zustände 
vertreten und haben sich diese — deren Stufenleiter erst noch 
festzustellen ist — innerhalb der Gruppe entfaltet. 


Gleiches gilt auch für die Insektivoren und wir brauchen 
uns darum die Ahnen von Erinaceus nicht unter den Chiropteren 
zu suchen, da eine andere, dem Igel nahestehende Form, 
nämlich Centetes noch ursprünglichere Balkenzustände aufweist, 
vielleicht ein solches wie Vespertilio murinus. Nachdem Eliot 


) Zuckerkandl sagt: ‚„Vespertilio besitzt nur ein Balkenrudiment, 
Pteropus hingegen einen kompletten Balken.“ Ferner „Das balkenwindungs- 
lose Gehirn von Vespertilio schliesst sich den der Monotremen und Marsu- 
pialier an, während Pteropus mit der zapfenförmigen Balkenwindung sich 
den Edentaten, Nagern, Insektivoren und Carnivoren nähert“ (38, pag. 29). 
Dazu wäre allerdings zu bemerken, dass die Nager und besonders die 
Carnivoren einen hochentwickelten Balken und durchaus keinen „zapfen- 
förmigen‘“ besitzen. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 153 


Smith und Beddard kurz über den Balken von Üentetes be- 
richtet, hat dann Leche auch eine Abbildung (l. ce. Fig. 5) eines 
mediosagittalen Längsschnittes von Centetes veröffentlicht. Aus 
seiner Beschreibung und auch aus seinen anderen Abbildungen geht 
es deutlich hervor, dass das Balkensystem von Centetes ursprüng- 
licher als jenes von Erinaceus ist, womit auch zusammenhängen 
würde, dass die Querfurche hinter dem Stirnpole fehlt, wie denn 
auch das Pallium eine geringere Breite aufweist. 

Was Talpa anbelangt, so ist dort wie aus den Angaben von 
Ganser (12) zu entnehmen ist, und wie ich es auch aus eigener 
‚Erfahrung weiss, ein höherer Zustand des Balkensystems vor- 
handen, und damit im Einklang und trotz des Ausfalles vom 
pallialen Sehgebiet eine grössere Ausdehnung der Grosshirn- 
hemisphären vorhanden — sie bedecken zum Teil die Vierhügel — 
wie bei Erinaceus. Sorex weist sogar noch ein entfalteteres 
Balkensystem auf als Talpa oder mindestens steht sein Balken- 
system auf gleicher Stufe, wie dies ja gerade aus Ärnbäcks 
Abbildung (l. c. Fig. 5) hervorgeht, und darum lässt sich sein 
Balkensystem mit dem von Vesperugo durchaus nicht auf die 
gleiche Entwicklungsstufe stellen wie Augusta Ärnbäck es 
meint. Die Stufenleiter für die Balkenentfaltung würde somit 
bei den Insektivoren bei Centetes beginnen und mit Erinaceus, 
Talpa und Sorex fortsetzen, wobei freilich zukünftige Forschungen 
‚möglicherweise nach beiden Enden, Erinaceus und Sorex hin, noch 
ausbauen könnten. 

Es hat sich somit auch bei den Insektivoren 
das Balkensystem ganz unabhängig in der Abteilung 
entfaltet und wir brauchen darum nicht auf die Chiropteren 
überzugreifen, doch wäre es ja immerhin möglich, ja sogar 
wahrscheinlich, dass beide Abteilungen gemeinsame Wurzeln 
besitzen, die sehr nahe der der Monotremen stehen 
könnten. 

Völlig balkenlose Gehirne, d.h. solche, deren 
Commissura superior nur Ammonalkommissur ist 
und das gesamte Coronalsystem des Palliums in 
der Commissura anterior kreuzt, sind mit Sicherheit 
nur bei den Monotremen bekannt, womit durchaus nicht be- 
hauptet werden soll, dass es nicht solche Zustände auch unter den 
Marsupialiern vielfach geben würde. So halte ich es sogar für 


154 B. Haller: 


sehr wahrscheinlich nach Abbildungen anderer, so von Retzius, 
dass Didelphys virgiana keinen Balken, sondern oben nur eine 
ammonale Kommissur besitzt. So dürften sich auch Phascolaretos 
verhalten indessen bei Aepyprimnus, Pseudochirus und Macropus 
ein beginnender Balken, wohl noch ursprünglicher als bei 
Vesperugo, wohl aufgedeckt werden wird und vollends für 
Parameles glaube ich nach der Abbildung eines Sagittalschnittes 
von Ziehen (37, Fig. 93) annehmen zu dürfen, dass ein 
Kommissurensystem auf der Stufe wie bei Vesperugo etwa schon 
besteht. Indessen dürfte Phascolomys ein Balkensystem besitzen, 
das jenem von Erinaceus fast gleichkommt. Begründete Angaben 
stehen leider noch immer aus. Jedenfalls würde sich auch hier 
bewähren, dass die Grosshirnentfaltung innerhalb der 
Abteilung, doch nach den gleichen Gesetzen sich 
vollzog wie bei den Chiropteren und den Insektivoren. 


C. Musteliden. 


Mehr als ein Grund bewog mich dazu, das Grosshirn der 
Musteliden zu einer Betrachtung heranzuziehen. Erstens wusste 
ich aus eigener Erfahrung, dass ihr Grosshirn, was die Oberfläche 
betrifft, unter allen vollzogenen gyrencephalen Pallien zu den 
primärsten gehört, dann aber war auch die leichtere Beschaffung 
des Materials und die geringe Grösse des Gehirns, mit dessen Be- 
arbeitung geringere Kosten verbunden sind, freilich entscheidend. 

Das Material bestand aus den Gehirnen von Mustela foina, 
Eckleben, von Putorius putorius L. und einigen Hirnen von 
Putorius vulgaris Briss. Dieses reiche Material verdanke ich 
Herrn A. Siegel, Besitzer des Schwefelbades Langenbrücken 
bei Bruchsal, der, wie sein greiser Vater es meisterhaft versteht, 
bei einem frischen Schnee durch Fallenlegen diese Carnivoren 
zu erbeuten. Die Köpfe dieser wurden mir dann frisch zuge- 
schickt. Hierfür nochmals meinen innigsten Dank! 

Über das Gehirn der Musteliden sind einige Angaben in 
der Literatur vorhanden. So haben Leuret und Gratiolet 
in ihrem rühmlichst bekannten Werke (20) auch das Gehirn 
des Steinmarders, des Wiesels, des Fischotters beschrieben und 
abgebildet. Auch findet sich die Beschreibung und Abbildung des 
Gehirns zweier anderer Sohlengänger, des braunen Bären und des 
braunen Coati (Nasua rufa) dort. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 155 


Das Grosshirn von Mustela foina ist von oben naturgetreu 
wiedergegeben, da jedoch weder eine Seitenansicht noch ein 
medianes Bild entworfen ward, so will ich gleich an meine eigene 
Beschreibung gehen, da die Nomenklatur dies doch erfordert. 

Gleich vorausschicken möchte ich, dass ich auch das Gehirn 
von Putorius putorius jenem des Steinmarders durchaus gleich 
fand; die Unterschiede beziehen sich auf einige sekundäre Furchen 
bei dem Steinmarder, wodurch dieser etwas phyletisch jünger 
erscheint, 


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Mustela foina. A Das Grosshirn (linke Seite) von oben. B von der Seite. 
C Putorius putorius. Das Grosshirn von der Seite. Die Linien be- 
zeichnen die Schnittrichtung der Textfiguren gleicher Nummern. In € ist mit 
schwarz die Lage des Insulagebietes bedeckt von Operculum op eingetragen. 
gp — Gyrus pyriformis; lsi = Lobus supra insularis; Fs = Fissura Sylvü- 
‚st!! = äusserer und innerer Stirnlappen; k = Kniegyrus; s — Sulcus inter- 
frontalis (Zwischenstirnlappen-Furche); s! = F. genualis externa; s? = F. 
genualis lateralis; s®—=F, lateralis; st = Fissura eruciata; s® — F. antesylvia; 
s° — F. postsylvia (postsplenialis Aut.); s®’ = F. ocecipitalis; s® — F. tem- 
poralis; ss — F. suprasylvia; gl = Gyrus lateralis; srh = Sulcus rhinalis. 


Der Bulbus olfactorius setzt sich unten mit der bekannten 
Einschaltung in den Gyrus pyriformis fort (Textfig. 9 gp). An 
‚ersteren stösst nach hinten der Lobus, an diesen der Stirnlappen. 


156 B. Haller: 


Dieser zerfällt durch eine vertikal gerichtete Furche (Textfig. 16 s) 
in einen äusseren (stl) und inneren (stl‘) Lappen. Es gelangt 
diese Furche erst auf Horizontalschnitten zur Beobachtung, da 
zwischen den beiden Lappen der Bulbus olfactorius (bof) liegt. 
Der innere Lappen ist schmal (Textfig. 9 A stl‘), der äussere 
breiter. Zwischen dem äusseren Lappen und dem Bulbus zieht 
somit scheinbar eine Furche nach ventralwärts (C s), doch ist 
diese Furche eigentlich identisch mit jener zwischen den beiden 
Stirnlappen; sie möge der Kürze wegen Interfrontalfurche 
heissen. Mit ihr ist eine Abgrenzung des Stirnlappens gegeben, 
die sich bis zum Menschen hinauf erhält. Diese Furche geht 
dann ventralwärts in die seitliche Rhinalfurche über (srh). Dem- 
entsprechend setzt sich der äussere Frontallappen unten in einem 
schmalen Gyrus fort, der oben von der Fissura genualis 
externa (s!) begrenzt wird und welche Furche nach seitwärts 
und oben beginnend von hinten den äusseren Stirnlappen um- 
säumt. Unten bildet diese Furche gleichzeitig die Grenze des 
ÖOperculums (op) jenem Gyrus gegenüber, der von unten von der 
Rhinalfurche begrenzt wird. Diesen Gyrus heisse ich den 
Suprainsulargyrus (lsi.. Dann geht die F. genualis externa 
hinter dem Operculum in die Sylvische Furche (Fs) über oder 
besser letztere mündet in sie. 

Ober biegt aus dieser Furche der Fissura genualis 
lateralis (s. Fissura coronalis E. Smith) nach oben und hinten 
gerichtet im schönen Bogen ab (s?), dadurch nach auswärts den 
Kniegyrus (k) begrenzend. 

Der innere Frontallappen biegt dorsalwärts in diesen Gyrus 
über (A) und dieser Umbiegungsschenkel ist von der hinteren 
des Kniegyrus durch die Fissura eruciata (s?) getrennt. 
Jener vordere Schenkel trägt eine seichte Längsfissur, die 
Fissura sagittalis. 

Während der äussere Frontallappen glatt ist, ist die Innen- 
fläche des inneren Stirnlappens wie bei allen Carnivoren durch- 
furcht.:. Eine Fissura genualis interna (Textfig. 10 sg) 
trennt den inneren Stirnlappen von dem Gyrus suprasplenialis (gf) 
und von der Area praecommissuralis, doch da diese Furche bei 
dem Iltis nach unten zu kürzer wird, findet bei ihm die letzte 
Begrenzung nicht statt. Aus dieser Furche gehen zwei Furchen- 
äste nach vorne zu ab. Es ist die obere nicht bei allen 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 157 


Exemplaren vom Steinmarder gleich mächtig, doch grenzt die 
untere Furche den unteren Teil des inneren Stirnlappens immer 
so genau ab, wie bei dem abgebildeten Exemplar. Beim Iltis 
ist die obere dieser Seitenfurchen bloss angedeutet. 

Die Fissura genualis lateralis, nachdem sie den 
Kniegyrus umsäumt, gelangt nach dorsalwärts und wird hier 
ohne Unterbrechung zur Fissura lateralis (s?), die dann 
entlang des ganzen dorsalen Palliums nach hinten zieht, dann 
den Oceipitallappen erreichend sich nach aussen wendet, zuvor 
jedoch sich gabelt, wobei der innere Gabelast, allerdings nur 


Fig. 10. 
Mustela foina. Die rechtsseitige Hälfte des Grosshirns nach 
medio - sagittaler Durchtrennung. bof == Bulbus olfactorius; 


cc — Balken; ca = Commissura anterior; gp — Gyrus pyriformis; 

gf = Gyrus suprasplenialis s. fornicatus s. supracallosus; gl = Gyrus 

lateralis; st!’ = innerer Stirnlappen ; stl'' = dessen unterster Teil; 

k = Kniegyrus; sg = Fissura genualis interna; s* = Fissura 
eruciata; fsp — Fissura suprasplenalis. 


beim Steinmarder, den hinteren Rand des Occipitallappens erreicht 
und bei manchen Individuen sogar nach innen auf denselben um- 
greift. Es wird dann durch die Medianspalte und die Fissura 
lateralis ein Gyrus begrenzt, der Gyrus lateralis (gl), der 
vorne ganz kontinuierlich in den Hinterschenkel des Kniegyrus 
übergeht. Zwischen beiden befindet sich zwar eine Querfurche, 
doch ist diese besonders bei dem Iltis sehr gering und erreicht 
dann nicht immer die Medianspalte. 

Es findet der Gyrus lateralis seine innere Begrenzung nicht 
durch die Medianspalte, diese bildet vielmehr nur die äussere 


7 


158 B. Haller: 


Begrenzung, sondern die Fissura suprasplenialis (Textfigg. 10 
und 12 fsp) ist es, welche die Grenze zwischen ihm und 
dem Gyrus suprasplenialis (gf) bildet. Die F. suprasplenialis ist 
tief und zieht auf der medianen Seite mit der Fissura 
cruciata (Textfig. 11 s*) verschmelzend, entlang des Balkens (ce) 
bis an dessen Knie, biegt dann nach hinten und auswärts, um in 
oceipitalem Gebiet die obere Begrenzung des Gyrus pyriformis 
zu erreichen (Textfig. 10). Auf diese Weise ist der Gyrus supras- 
plenialis auch dort hinten deutlich abgegrenzt. 

Etwas bevor die Furche an die Grenze des Gyrus pyri- 
formis anlangt, gibt sie nach auswärts eine Zweigfissur ab, die 
sich dann bei dem Steinmarder, mit einem hinteren Ast der 
Fissura suprasylvia (Textfig.9 B s’) vereinigend, den Fortsatz 
des Oceipitallappens (Textfig. 10 ol) nach innen umsäumt. 

An der freien (inneren) Fläche des Gyrus suprasplenialis 
befinden sich zwei konstante Fissuren: die eine hinter der 
Fissura genualis interna und eine andere weiter nach hinten. 
Hinter dem Balkenknie biegt der Gyrus um dasselbe medianwärts 
und geht in die Ammonswindung über. 

Über der Sylvischen Furche (Textfig. 9 Fs) befindet sich eine 
Bogenfissur. Der vordere Schenkel dieser setzt sich bei 
dem Steinmarder weit auf das Operceulum hinab, ganz kurz ist 
er bei dem Iltis, und ist die Fissura antesylvia. Der 
hintere Schenkel ist die Fissura postsylvia (s°), der den 
bereits erwähnten Ast abgibt und welcher bei dem Steinmarder 
sich mit dem einen Endast der Fissura suprasplenialis ver- 
einigt. Die Bogenfissur und die Fissura ante-et postsylvia zu- 
sammen bilden den Arcus suprasylvius, den ich aus später 
anzugebenden Gründen Arcus suprasylvius primarius nenne. 
An dem Temporallappen möchte ich noch einer Furche gedenken, 
die bei dem Steinmarder sich findet; sie zieht am ventralen Ende 
gegen die Sylvische Furche (B s?). 

Das Grosshirn bedeckt die Vierhügel, was zu erwähnen fast 
überflüssig ist. 

Zum Schlusse möchte ich noch einmal darauf hinweisen, 
dass das Pallium des Steinmarders reicher an Nebenfissuren ist, 
als jenes vom Iltis. Dieses wieder ist reicher gegiiedert als das 
Pallium des Wiesels. Bei diesem sehen wir die Lateralfurche 
(Textfig. 24 ec) in gleicher Weise entfaltet, doch ganz ohne Neben- 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 159 


furche. Die Bogenfurche über der Sylvischen Furche ist gleich- 
falls ohne Zweige. 

Demgegenüber verhält sich die Pallialoberfläche von Lutra 
vulgaris nach Leuret und Gratiolet wesentlich verändert 
verglichen mit dem von Mustela und Putorius. Da sehen 
wir denn (Textfig. 26 B) die Lateralfurche unterbrochen (rot), 
indem der vordere Teil, der in den Sulcus genualis lateralis 
übergeht, von der hinteren occipitalen Hälfte getrennt ist und 
diese mit seinem durchtrennten Ende auf den Übergangsschenkel, 
auf den Kniegyrus, übergreift. Gleichzeitig entsendet die Lateral- 
furche einen geringen Ast nach seitwärts gegen die Fissura ante- 
sylvia zu. Dieser wie auch der Arcus suprasylvius primarius 
sind gleichfalls da, indessen die Fissura postsylvia kurz ist. 
Dann finden sich eine Zahl von Furchen vor, die auch auf 
sekundäre Umgestaltung Mustela und Putorius gegenüber hin- 
weisen. 

Ich glaube, dass meine Auffassung über die Gyri bei Lutra 
durchaus nichts Erzwungenes sei, wenn man die Zustände bei 
Putorius und Mustela im Auge behält. 

Ähnliche Zustände zeigen sich auch bei anderen Sohlen- 
gängern, so nach Leuret und Gratiolet bei Nasua. Hier 
(1. c. Figg. 1, 2, Taf. VI) verhält sich die Lateralfurche genau wie 
bei dem Steinmarder und Iltis und ist auch der Arcus supra- 
sylvius primarius mit seinen beiden Schenkeln da. Auch die Kreuz- 
furche verhält sich genau so, was um so bemerkenswerter ist, 
als sie bei Lutra mit der Längsfurche auf dem Stirnhirn, der 
Coronalfurche vereint ist. 

Es ist bei Nasua dann genau in derselben Weise wie bei 
den Musteliden durch eine Fissura genualis lateralis, die in die 
Fissura lateralis nach hinten übergeht, ein Kniegyrus mit einem 
vorderen und hinteren Schenkel, zwischen denen die Kreuzfurche 
liegt, begrenzt. 

Die nächsten Formen von Sohlengängern, die ich hier auf 
die Grosshirnfurchen besprechen möchte, sind Meles und Ursus. 
Ich will hier dies nach Angaben Anderer wiedergeben. 

Bei dem Dachs — ich halte mich hier nach den Beob- 
achtungen Flatau und Jacobsohns (l.c. Fig.45) — geht 
die Fissura interfrontalis in die Sylvische Furche über, wie 
bisher, doch tritt von ihr auf dem Öperculum eine laterale 


PR 


160 B. Haller: 


Furche ab, welche die Autoren Fissura praesylvia nennen. Ver- 
glichen mit Mustela ist dies jedoch das ventrale Stück der Fissura 
genualis externa. Dies ist dorsalwärts zu unterbrochen und 
setzt sich nicht fort in die deutlich vorhandene Fissura lateralis 
(von den Autoren Fissura coronalis benannt, diese Fortsetzung 
jedoch Fissura lateralis). 

Der Arcus suprasylvius prim. ist mit seinen beiden Schenkeln, 
der Fissura ante- et postsylvia, deutlich. 

Bezüglich der Grosshirnoberfläche vom braunen Bären halte 
ich mich an die Abbildung Leuret und Gratiolets (l.c. Taf. VD), 
wobei ich bei dem Vergleiche als Ausgang das von Putorius und 
Mustela betrachte. 

Hier greift der vordere Schenkel des Arcus suprasylvius 
prim., die Fissura antesylvia unter das Operculum ein und sein 
weiteres Verhalten unter diesem ist an der Abbildung nicht zu 
erkennen. Das Operculum wölbt sich mächtig herunter, wobei 
allem Anscheine nach die Fissura antesylvia in die Fissura 
genualis externa übergeht. Die Fissura lateralis über dem Arcus 
suprasylvius prim., dessen Hinterschenkel den Temporallappen wie 
bei Mustela entlang der Länge durchfurcht, bildet einen zweiten 
Arcus suprasylvius — den ich secundarius nenne — da ersterer 
infolge sekundärer Entfaltung und Durchfurchung 
des Gyrus lateralis stark lateralwärts verschoben ward. Infolge 
davon ist auch die Fissura cruciata stark lateralwärts verlängert 
und endet mit mehreren Ästen. Die Fissura auf dem Vorder- 
schenkel des Kniegyrus zeigt sekundäre Verzweigungen und 
Unterbrechungen, wie den der ganze Kniegyrus sich 
mächtiger entfaltet hat. 

Fassen wir nun bezüglich der Sohlengänger das hier Mit- 
geteilte zusammen, so ergibt sich folgendes: Bei diesen zeigt 
sich eine Furchenbildung, die in diesem schon 
höherem Grade noch immer im Verhältnis zu 
anderen Furchungsbildungen als ursprünglich 
zu betrachtenist. Im ursprünglichen Falle (Pu- 
torius vulgaris, putorius und Mustela foina) zeigt 
die Fissura eruciata die Grenze eines Stirnhirnteils 
an, wobei derStirnlappen schon in einenäusseren 
und inneren Unterlappen zerfallen ist. Der 
Übergang zum dorsalen Pallium, dem Gyrus 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 161 


lateralis, wird durch den Kniegyrus vermittelt. 
Die Begrenzung dieses erfolgt durch die Fissura 
genualis lateralis, die ununterbrochen sich in 
die Fissura lateralis fortsetzt, wobei sie sekundär von 
jenem getrennt sein kann (Lutra). 

Zeigt sich schon bei Lutra und in geringerem Grade wohl 
auch bei Meles eine höhere Entfaltung des Kniegyrus, so ist 
diese Entfaltung noch fortgeschrittener bei Ursus. Eine 
Fissura interfrontalis trennt die beiden Stirn- 
lappen von einander und geht dann ventralwärts 
in den Sulcus s. Fissura rhinalis kontinuierlich 
über. Eine Fissura genualis externa begrenzt 
nach unten das Operculum und findet ihre Fort- 
setzunginderSylvischen Furche. Diese wird über- 
wölbt durch einen Arcus suprasylvius primarius, 
dessen vorderer Schenkel, die Fissura ante- 
sylvia, sich aufs Operculum fortsetzt, indessen 
der hintere Schenkel, die Fissura postsylvia, in 
gleicher Weise den Schläfenlappen zerlegt. 

An diesen bezüglich einer Gyrencephalie noch immer ur- 
sprünglichen Zustand im allgemeinen Teile anknüpfend, soll hier 
nun der innere Bau des Grosshirns von Mustela foina und 
Putorius putorius erörtert werden. 

In den vorigen zwei Abschnitten wurde ausgeführt, dass 
die einheitliche Cingularbahn der Chiropteren, in der nicht 
nur Pallialfasern vom Oceipitallappen in den Stirnpol gelangen, 
sondern auch ammonale Fasern verlaufen, die zum Teil Faser- 
bündel des Funiculus olfacto-corticalis superius sind, sich nach 
seinen zwei Bestandteilen in eine palliale und ammonale Bahn 
trennt bei Erinaceus. Dieselben Verhältnisse finden sich auch 
bei der Maus und bei allen Placentaliern, mit Ausnahme eben 
der Chiropteren. Mit der Trennung wird auch der Ort des Ver- 
laufes bestimmt. Die palliale Bahn verläuft wie bei Chiropteren, 
das gesamte Cingulum median an der Corona radiata, indessen das 
palliale in der plexiformen Schicht der Rinde jederseits über dem 
Balkenkörper sich befindet. Die Ränder der Bündel beider Cingula 
berühren sich aber fast überall, so auch bei Mustela und Putorius. 

Es zieht in dieser Weise diese mächtige Bahn in gleicher 


Richtung über den Balkenkörper und auf sagittalen Längs- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. al 


162 B. Haller: 


schnitten Weigertscher Präparate, die doch immer ansehnliche 
Dicke besitzen, wird eine einheitliche Bahn vorgetäuscht (Text- 
fig. 11 cm), was es ja doch nicht ist. 

Das Verhalten ist vielmehr folgendes. Die ammonalen 
Fasern kommen (oder gehen vielmehr hin) aus der Höhle der 
Fascia dentata, biegen dann am Rande des Balkenknies über 
den Balken und ziehen auf diese Weise nach vorne, gerade wie 
bei Erinaceus in gleicher Weise Fibrae perforantes abgebend. 

Die pallialen Fasern sammeln sich gleich oberhalb des 
Gyrus ammonis hinter dem Balkenknie aus dem hinteren Um- 
schlagsrande des Gyrus splenialis (Textfigg. 11, 10), wie ich dies 
bereits für die Maus abgebildet habe (17, Fig. 6), doch ebenso wie 
dort (Fig. 5) gelangen entlang des ganzen Verlaufes neue Fasern 
aus der Rinde in das Bündel, wie dies dann auch für Erinaceus 
festgestellt ward. 

Vorne vor dem Balkenkopf biegt dann das Bündel nach 
unten, vermengt sich hier aber dann mit dem Bündel des 
ammonalen Cingulums. Da auch aus dem Stirnhirn Fasern hin- 
zutreten, so wird die Sache hier kompliziert. Immerhin liess 
es sich schon für die Maus feststellen, dass ein Teil des Bündels 
vor dem Septum pellueidum nach ventralen Rindengebieten ge- 
langt, indessen der andere Teil in den Fasciculus vlfactorio- 
corticalis superior einbiegt. Ein Teil dieser letzteren geht aber 
im Stirnhirn auf. Ähnliches sieht man ja auch bei den Muste- 
liden (Textfig. 11), allein Horizontalschnitte geben noch weiteren 
Aufschluss. Man sieht an solchen (Textfig. 16), dass aus dem 
nun gemeinsamen Cingularbündel (cm) in das Septum ein aus 
feinen, doch noch immer markhaltigen Fasern bestehendes Bündel 
(c) in das Septum pellueidum (sp) einbiegt, um dann dort in 
einen lateralen und medialen Teil zu zerfallen, die sich beide 
im Septum aufsplittern. Es sind dies die sogenannten „weissen 
Bündel des Septum“, Freilich ist dieses Bündel nichts besonderes, 
sondern in dieser Weise greift das ganze nach unten biegende 
Bündelsystem, mit Ausnahme des vordersten Teiles, in den lateral 
vom Ganglion areae olfactoriae (Textfig. 11 gao) gelegenen Rinden- 
teil ein. Aber damit wäre die Sache noch nicht erledigt. 

Horinzontal oberhalb des Balkens durch die Rinde geführte 
Schnitte weisen in dem ceingularen System noch eine Längsbahn 
auf, welche den inneren und äusseren Stirnlappen, besonders aber 


163 


u. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 


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164 B. Haller: 


ersteren mit dem oceipitalen Mantel verbindet. Aber auch hier 
handelt es sich eigentlich nur um eine Bahn innerhalb des Gyrus 
suprasplenialis, wenngleich auch ein Teil von ihr den Oceipital- 
lappen selbst mit dem Stirnhirne in Verbindung bringt. Das 
eine dieser Bündel kommt aus dem schon angegebenen Teil des 


N 


h 


N 


AR 


1 


Fig. 12. 


Mustela foina. Querschnitt durch die rechte Hälfte des Grosshirns durch 
die Commissura anterior (ca). gao— Ganglion areae olfactoriae. opt — 
Optieus; ce—Capsula externa; ci — Capsula interna; srh — Fissura rhinalis, 
in—Insula; s' —Fissura genualis externa; s° —Fissura antesylvia; s’—= Fissura 
genualis lateralis; gl— Gyrus lateralis; fsp — Sulcus splenialis; gf — Gyrus 
suprasplenialis; cm — Cyngulum; cc — Corpus callosum; fls — Fasciculus 
longitudinalis epistriaticus; str — Striatum (Nucleus caudatus); sp = Septum 
pellueidum. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 165 


Gyrus suprasplenialis, erreicht vorne dann die beiden Frontal- 
lappenteile (Figg. 23, 24 cm), gabelt sich hier entsprechend der 
Corona radiata und gelangt durch die Marklage hindurch in die 
Lappen. Besonders gut war dies für den inneren Lappen (stl‘) 
zu sehen. Das andere im Fasersystem lateralwärts gelegene 
Bündel (Fig. 24 cm‘) ist durch die supraammonal gelegene Corona 
radiata bis in den Oceipitallappen (ol) verfolgbar. Sein vorderes 
Verhalten ist gleich dem des inneren Bündels. 

Es ist somit das cingulare Bündelsystem der Musteliden 
ein solches, das Fasern aus dem Funiculus olfacto-corticalis 
superior in die Fascia dentata befördert, andererseits aber Rinden- 
teile des Palliums untereinander in Verbindung setzt. Diese 
Verbindung ist nun aber keine beschränkte, sondern dehnt sich 
auf den Oceipitallappen, den ganzen Gyrus suprasplenialis, die 
Stirnlappen, dem ventralen Rindenteil und auch auf das ganglien- 
zellreiche Septum pellucidum aus. Es sind Associationfasern, die 
sich ja auch bei den Lissencephalen vorfinden, doch mit der 
Gyrencephalie eine entsprechende Vermehrung fanden. Im Balken- 
kopf sich kreuzende Fasern dieser Art habe ich nie beobachtet. 

Bezüglich jener Fasern, die in das Septum gelangen, glaube 
ich, dass sie wohl zum grössten Teil dort enden, allein wie bei der 
Maus (l. e. Fig. 15) Igel und Fledermaus habe ich auch hier deutlich 
gesehen, dass aus dem Fascieulus areae-septalis Bündel sog. Fibrae 
perforantes in das Cingulum gelangten, welche dem ammonalen 
Teil zuzuzählen sind. 

Noch eines anderen Längsbündelsystemes möchte ich hier 
gedenken, obgleich ich volle Klarheit darüber nicht gewinnen 
konnte. Aus sehr feinen markhaltigen Fasern bestehend, liegt 
diese Längsbahn, eine breite dünne Lage bildend (Textfigg. 12, 
14, 15 fls) über dem Striatum oder Nucleus caudatus, im Ven- 
trieulus lateralis der Corona radiata oben über dem Gyrus 
ammonis fest an (Textfig. 14 fis) und ist in dieser Lage bis in 
das hinterste Ende des Gyrus splenialis (Textfig. 18 gf) verfolgbar. 
Es kommt von dort, doch wo es vorne endigt, blieb mir unbe- 
kannt. Vielleicht ist der Name Fasciculus longitudinalis 
epistriaticus dafür einstweilen verwendbarer, als der bisher 
übliche „Stratum subcallosum“, denn er drückt wenigstens 
aus, dass es sich um ein Längsbündelsystem handelt. Ich habe 
diese Bahn weder bei Chiropteren noch dem Erinaceus und der 


166 B. Haller: 


Maus gesehen, woraus ich schliesse, dass sie dort noch in der: 
Corona radiata verborgen liegt. | 

Das Balkensystem hoch entwickelt und bereits in der 
horizontalen Lage (Textfig. 11), ist von ansehnlicher Länge. Die 
Oberfläche des Balkens ist weder flach noch nach oben zu 
konkav gebogen, wie die der Primaten, sondern von oben nach 
unten etwas muldenförmig eingebogen. Ob dies möglicherweise. 
postmortal in so hohem Grade erfolgt, möchte ich unentschieden 
lassen; es ist mir unwahrscheinlich. 

Bekanntlich kommen auf der Balkenoberfläche des Menschen 
gewisse längsverlaufende Streifen vor, es sind dies jederseits eine 
Stria medialis und eine Stria lateralis. „Beide diese Teile“ sagt 
Kölliker (l. c. pag. 770) „gehen aus dem äusseren embryonalen 
Randbogen oberhalb des Balkens hervor und sind demzufolge 
Teile der medialen Hirnwand, die bei dem Hervorwachsen des 
Balkens gewissermaßen von demselben mitgenommen werden und 
vom Gyrus fornicatus abzweigen.“ Es sollen die Striae mediales 
dabei durch die sogenannte Fasciola cinerca in die Fascia dentata 
übergehen. Es wird dann allgemein angenommen, dass nachdem 
der Gyrus ammonis und mit ihm seine Fascia durch das Corpus 
callosum nach rückwärts gedrängt wird, von ihm ein rückge- 
bildetes Stück auf dem Balken bleibt, eben die genannten Streifen. 

Es hat bereits Golgi darauf aufmerksam gemacht, dass 
ein unmittelbarer Übergang von der Stria in die Fascia dentata 
nicht immer wahrnehmbar sei (50) und das Bindeglied im besten 
Falle eine sehr dünne mikroskopische Lage sei. So bei dem Hunde. 

Auch bei den Musteliden sind ähnliche Verhältnisse wie bei 
dem Hunde. Es gibt nur Striae laterales, d. h. eins auf jeder 
Seite. In der Gegend der Commissura anterior am mächtigsten, 
doch nur mikroskopisch wahrnehmbar, führt die ganz platte 
Bildung Cingularfasern in sich (Textfig. 12 cm). Weiter nach 
hinten wird dann das Bändchen immer schmäler und liegt hier 
unter den Cingularfasern (Textfigg. 12, 14). So geht es dann in; 
die Fascia dentata über. 

Das die Stria terminalis bei den Primaten in solch mächtiger‘ 
Entfaltung auftritt, wäre wohl darauf zurückzuführen, dass sie, 
hinten noch eine verhältnismässig junge Formation darstellt. 

Ihre Zusammengehörigkeit mit der Faseia dentata wird. 
übrigens auch daraus klar, dass sie Cingularfasern führt.) 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 167 


Wo der Gyrus ammonis mit seiner Fascia dentata bis weit 
nach vorne reicht, ist letztere, wie ich es von Echidna her weiss, 
glatt, und so verhält sie sich auch bei Chiropteren, Erinaceus 
und selbst bei Glires. Erst bei Musteliden finde ich eine gezähnte 
Fascia dentata. Es wäre also wohl anzunehmen, dass die Fascia 
dentata bei ihrer Bedeutung als Endstätte von Cingularfasern 
von so hoher Bedeutung sei, dass sie den von vorne nach hinten 
erfolgten Verlust durch kräftigeres Entfalten ersetzt, was in einer 
Flächenvergrösserung besteht, und in Ermangelung des Raumes 
sich faltet, wodurch die Bezahnelung entsteht. 

Schon bei der Maus hatte ich bemerkt, dass der vordere 
Abschnitt, beiläufig die vordere Hälfte, des Balkens aus gröberen 
Fasern besteht als die hintere. Dies sehe ich auch bei den 
Musteliden so (Textfig. 11), hierbei setzt sich die Lage der 
sröbern Fasern dorsalwärts ein Stück noch auch auf die hintere 
Balkenhälfte fort. Das darunter liegende Stück, sowie das ganze 
Balkenknie (bk) bestehen aus feinern Fasern. 

Wie Kölliker für das Kaninchen und ich für die Maus 
es wohl am deutlichsten dargestellt haben, begibt sich die 
Columna fornicis als „Fornix longus“ ins Balkenknie, nachdem 
es sich bedeutend verschmälert, dort in mehrere Endbündelchen 
zerfallend. Diese streben nach oben, und in die untere psalteriale 
Hälfte des Balkenknies, wie dies letztere Kölliker wiedergibt. 

Ich habe dieses Verhalten bei den Musteliden besser ver- 
folgen können als bei der Maus. Das Balkenknie besteht, wie 
denn überall, aus einem dorsalen ganz pallialen und einem 
ventralen ausschliesslich ammonalen Abschnitte. Es splittert sich 
nun das Ende des Fornix longus mit seinen Endbündeln sowohl 
im dorsalen, als auch dem ventralen Teil des Knies, also im 
ganzen Knie auf. Von der Aufsplitterung in dem ammonalen 
Knie gelangte bei den Nagern nichts zur Beobachtung. Es zieht 
dann bei den Musteliden der Fornix longus, zwischen Balken- 
körper und Psalterium gelegen, nach vorne um dann als Columna 
fornieis (ef) nach unten zu biegen. Was nun bei diesem Ver- 
halten auffällt, ist der Umstand, dass der lange Balken vom 
Balkenknie angefangen bis zum Fornixteil fortwährend an Faser 
zunimmt. Y6 

Ich habe bei der Maus gezeigt (l. e. Fig. 4), dass der 
eigentlichen Columna fornieis sich ein gleiches Bündel aus dem 


168 B. Haller: 


Psalterium zugesellt, das ihn dann kreuzt und ins Ganglion areae 
olfactoriae gerät; diese nannte ich Columnae ammonis. 

Bekanntlich hat Kölliker den Ursprung des Fornix longus 
in die oberflächliche Lage des Ammonshorns, in das Subiculum 
verlegt. Dazu hatte ich dann bemerkt, „dass jene Fasern, die 
aus dem dorsalen Teil der oberflächlichen Faserlage des Gyrus 
ammonis oder des Alveus herzukommen schienen, eigentlich auch 
aus dem Subiculum herrühren und sich jener Faserlage bloss für 
kurze Strecke angeschlossen haben, um dann durch den ventralen 
Abschnitt des hintern Balkens in den Fornix longus zu gelangen. 
Das Gleiche gilt von jenen dorsalwärts durch den Balken zum 
Fornix longus hinziehenden Fasern. Auch diese gelangen aus der 
Zellenschicht des oben in die Ammonsfalte sich umbiegenden 
Rindenteils, des Subiculums, über den Balken. 


EEE ELLE EIS 
SF FE 


Sa 


Nr 


Maag 


Fig. 13. 
Putorius putorius. Stück aus einem Sagittalschnitte weiter lateralwärts 
als Fig. 11, das Hinterende des Balkens zeigend.. cm = Cingulum; 


cc = Corpus callosum; cf = fornix longus; Fi = Fimbria; fd = Fascia dentata. 


Meiner Erfahrung nach entspringt (oder endigt) der Fornix 
longus im Subiculum und nicht in der eigentlichen Ammons- 
windung, wie dies Ganser (l.c.) für Talpa berichtet. Die so 
allmählich, oft bis zur Balkeneinsenkung sich sammelnden Bündel 
vermehren dann den Fornix longus immer mehr, bis er dann, 
jederseits ein ansehnliches Bündel unter dem Balken bildend, 
schliesslich im Septum pellucidum einen Bogen beschreibt und 
als Columna fornieis weiter zieht“ (l.c. pag. 458). Mit der 
Columna fornieis zieht dann kurze Strecke die Columna ammonis. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 169 


Ich habe also hier einen doppelten Ursprung des Fornix 
ermittelt, einen pallialen und einen ammonalen. Diesen Befund 
sehe ich nun nicht bloss bestätigt bei den Musteliden, sondern 
kann durch diese letztere meine Beobachtungen an der Maus 
ergänzen. 

Die Teilung des Fornix in einen oberen pallialen Abschnitt 
und einen unteren fimbrialen Teil, ist hier noch deutlicher. Auf 
einem etwas von der medio-sagittalen Ebene lateral gelegenen 
Sagittalschnitte (Textfig. 13) sehe ich nun, dass der dorsale Teil 
des Fornix longus (cf) einen grossen Zuschuss aus dem pallialen 
Balken erhält, welcher doch nicht ausschliesslich auf das Subiculum 
sich beschränken kann und gleichfalls rein pallialen Ursprungs 
ist. Allenfalls rühren die meisten Fasern aus dem Hinterende des 
Gyrus splenialis her. Der psalteriale Abschnitt (cfi) beschränkt sich 
völlig auf die Ammonsfalte und bezieht Fasern aus dieser selbst, 
wie auch aus der Fascia dentata (fd) und zwar aus beiden Seiten- 
hälften, wobei die gekreuzten Fasern das Psalterium durchsetzen. 
Die Verhältnisse waren denn auch bei Erinaceus deutlich erkennbar. 

Somit ist der Fornix eine ähnliche gemischte Bahn wie das 
Cingularsystem. Dabei verbindet der Fornix pallialis 
hinterste Teile der Gyrus splenialis beider Seiten- 
hälften und ammonale Teile mit dem Ganglion 
mammillare, derammonale Fornix denGyrusammonis 
und dieFascia dentata beider Seiten mit demGanglion 
areae olfactoriae posterius. 

In gleicher Weise wie überall erfolgt die Bildung des 
alveolaren Faserüberzuges über den Gyrus ammonis. Zum 
Teil ist es die Ganglienzellage um den Gyrus selbst, zum Teil 
die Höhle der Fascia dendata von wo aus die Fasern herkommen 
(Textfigg. 14, 16, 17, 18) und in gleicher Weise erfolgt auch die 
Verbindung der beiderseitigen Gyrii untereinander durch das 
Psalterium hindurch (Fig. 25, Textfig. 15 ps). So verhält sich 
auch die Verbindung zwischen dem ventralen und dem dorsalen 
Gyrus ammonis (Textfig. 14 ga’ und ga). Diese Verbindung, auf 
dem abgebildeten Querschnitte noch durch die coronale Ein- 
strahlung in den Thalamus unterbrochen, verbindet als mächtiges 
Faserbündel die beiden Gyrusteile, wobei sie aber von dem von 
unten nach oben ziehenden Gyrusteil (Textfig. 15) ja nicht 
getrennt ist, vielmehr dessen vordere Seite darstellt. Dabei zeigt 


170 B. Haller: 


es sich, dass sein die beiden Teile (oben und unten) der Fascia 
dentata verbindender Abschnitt, im Gyrus sich auch weiter 
nach hinten zu erhält (t). Es lässt sich somit eine alveoläre 
und eine fasciale Verbindung zwischen der untern und obern 


bihb.str 


Fig. 14. 
Mustela foina. Querschnitt durch die rechte Grosshirnhemisphäre und 
den Thalamus in der Epiphysengegend. cc = Corpus callosum; ep = 
Epiphyse; cp, cp‘ —= Commissura posterior; III = Oculomotorius; IIIok = 


dessen Ventralkern; ghy —= Gangl. hypothalam. und bvhb — basales Vorder- 
hirnbündel; bvhb. str — dessen striataler Teil; nlt = Nucl. lat. thalami; 


ga — Gyrus ammonis ventralis ; ga’ — Gyrus ammon. dorsalis; srh = Fissura 
rhinalis; s® —= Fissura temporalis ; Fs = Fiss. Sylvii; cl = Capsula lateralis; 
ss == Fissura suprasylvia; s® —= Fiss. genualis lateralis; r. t. th — Radiatio 


temporo-oceipitalis thalami. 


Gyrushälfte unterscheiden. Sehr ausgedehnt ist die Querver- 
bindung zwischen den beiden Ammonsfalten, das Psalterium, wie 
Sagittalschnitte zeigen (Textfig. 11). | 3809 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere, 171 


Der -jederseitige Funiculus areae-septalis zieht, von dem 
(Ganglion arcae olfactoriae anterius (gao) wie vom posterius (gao‘) 
Fasern erhaltend, in das Septum (Textfig. 12), um dann nach 


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Fig. 15. 


Mustela foina. Querschnitt durch die rechte Grosshirnhemisphäre in der 
Oceipitalgegend. gl = Gyrus lateralis; gf = Gyrus suprasplenialis; ce — 


Corpus callosum; ga’ = Gyrus ammonis dorsalis und ga = ventralis; 
nlt = Nucl. lat. thalami; Fs = Fissura Sylvii; gps == Gyrus postsylvius; 
ss — Fissura suprasylvia; s? — Fiss. lateralis; gp = Gyrus pyriformis ; 


srh = Fiss. rhinalis. 


rückwärts biegend (Textfig. 11 rs) und am Ende des Septum 
pellucidum nach aussen der Fascia dentata anlagernd, als Fimbria 
den Gyrus ammonis zu erreichen. Es gelangt die Fimbria an 


172 B. Haller: 


den ganzen vordern freien Rand des Gyrus und seine Fasern 
durchsetzen dann zum Teil die alveolare Verbindung zwischen 
der dorsalen und ventralen Gyrushälfte, wobei die beiderlei 
Fasern sich unter sehr spitzem, nach hinten und lateralwärts zu 
gerichteten Winkel schneiden. Den richtigen Begriff hierüber 
gewährt die Vergleichung der Textfigg. 14, 18 und der Fig. 25 
miteinander. 

Es treten auch die Fimbriafasern mit der Ganglienzellage 
des Gyrus ammonis und mit der Höhle der Fascia dentata in 
Verbindung, wie die verschiedenen Abbildungen zeigen. 

Es sammeln sich die Fasern aus der Pallialrinde in der 
Corona radiata und es gewährt deren Verhalten nun infolge 
der Gyrencephalie ein wesentlich anderes Bild als bei den Lissen- 
cephalen. Dazu kommt noch der Umstand, dass obgleich schon 
mit noch bestehender Lissencephalie bei den Formen mit starker 
Balkenbildung, wie etwa bei den Glires, eine physiologische 
Differenzierung im Pallium erfolgt ist, diese bei den gyren- 
cephalen Placentaliern doch schärfer umgrenzt erscheint, indem 
die bestimmten Bereiche schärfere Sonderung eingehen. Denn 
zweifellos ist die physiologische Manteldifferenzierung der 
Musteliden schon eine unvergleichlich höhere als jene der Glires, 
wie denn erstere auch eine höhere Intelligenz aufweisen wie 
letztere. Dies wird wohl kein Tierkenner, dessen Sinn für die 
Tierwelt nicht bloss auf das Laboratorium beschränkt bleibt, 
bezweifeln. Das schwierigere Erlangen ihrer Beute musste die 
Raubtiere auf eine höhere Potenz der Gehirntätigkeit erheben, 
wie die gleichförmige Lebensweise der Nagetiere diese zu fördern 
vermöchte. Dass auch unter den Nagern eine höhere Entfaltung 
bestehen kann, dass wissen wir für Dolichotis patagonica durch 
Beddard, der ja bei dieser Form eine Fissura Sylvii und eine 
Lateralfurche neben andern Furchen feststellen konnte. Diese 
Form ist aber wie zuerst nach Darwins Reise bekannt wurde, 
ein höchst intelligentes Tier. 

Am Stirnhirn der Musteliden ist, wie schon mitgeteilt, 
die Teilung in zwei Lappen erfolgt. Der innere Lappen ist der- 
jenige Teil, der mit dem Bulbus olfactorius wie der Stirnpol der 
Chiropteren, Insektivoren u. A. in nächster Beziehung bleibt, in 
erster Linie durch den Funiculus olfacto-corticalis superior, in- 
dessen der äussere Lappen auf höhere Entfaltung zurück- 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 173 


zuführen ist, was unter anderm sich auch in seiner nächsten 
Beziehung zum Inselgebiet äussert. 

Was zunächst den innern Frontallappen betrifft, so steht er, 
wie eben erwähnt, mit dem Bulbus olfactorius (Textfig. 11 bof) 
in Beziehung dadurch, dass der Funiculus olfactorio-corticalis 
superius (f. oc. s), zuerst im Lobus olfactorius gelegen, aus dessen 
Ganglienlage es sich sammelt, nach oben zu biegt und im Mark- 
teil des Lappens (stl‘) sich auflöst. Das nähere histologische 
Verhalten dieser Fasern ist zur Zeit nicht bekannt. Aus dem 
Markteile gelangen dann Fasern in den Balken und lateralwärtige 
in den Markteil des äusseren Lappens (Figg. 23, 24, 25). Ein 
Teil der Lappenfasern gelangt als Associationsfasern in den 
äussern Lappen, ein anderer aber gelangt in diesem Lappen in 
das Netzwerk des Inselgebietes, in der Capsula lateralis (Textfig. 16 cl) 
zur Auflösung. Ein dritter Teil endlich biegt in die Capsula 
interna (ci) ein, um zu Fasern des basalen Vorderhirnbündels zu 
werden. 

Der äussere Stirnlappen steht mit dem Lobus 
olfactorius in keiner Verbindung, denn jener Markstreifen, welcher 
sich zwischen dem vordern Teil des Lappens und dem Lobus 
olfactorius befindet (Textfig. 18 cl) ist die Capsula lateralis, wie 
wir es noch sehen werden. Es entsendet dann der äussere 
Lappen auch Fasern in die Capsula interna, doch vielleicht nicht 
so viele als der innere Stirnlappen. Wesentlich an dem äussern 
Lappen ist aber sein enger Zusammenhang mit dem 
Inselgebiet, denn nicht nur setzt sich die Capsula lateralis 
(Textfig. 16, 17, 18 cl) direkt in seine Markmasse fort, dort ihr 
Ende findend, sondern auch das Claustrum (cla) mit seinem 
vordern Ende hört in ihm auf, gleich der Capsula externa (ce), 
wodurch aber der äussere Stirnlappen mit dem grossen Assoziation- 
gebiet, dem Inselgebiet nämlich in der engsten Verbindung ist. 

Es hat sich somit dem Stirnhirn der Chiropteren, Insekti- 
voren, Glires und auch gewissermassen den Fdentaten gegen- 
über mit der morphologischen Differenzierung des Stirnhirns 
in einen innern und äussern Lappen, welche Differenzierung sich 
dann ja überall unter den Gyrencephalen findet, wohl auch eine 
physiologische vollzogen, was wir aus dem histologischen Ver- 
halten einstens erkennen werden. Während dann der 
innere Lappen die Beziehung mit der Lobus- 


174 B. Haller: 


‘olfactoriusrinde sich behält, erringt der äussere 
Lappen eine mehr selbständige Stellung und die 
direkte Beziehung zum Inselgebiete. 

Die Corona radiata oder die Markstrahlung erhält ihre 
Fasermassen aus den beiden Stirnlappen, dem Operculum, dem 
‘Kniegyrus, dem Lateralgyrus, dem Gyrus suprasplenialis, dem 
Gyrus suprasylvius, den beiden Sylvialgyri und dem Oceipital- 
lappen, das Inselgebiet bleibt davon aber ganz ausgeschlossen. 
Eine mächtige Markmasse bildet die Corona auf diese Weise 
(Textfig. 12, 14, 15, 18; Figg. 23, 24), in welcher Fasern nach 
allen Richtungen verlaufen und aus welcher die Fasern auch dem 
pallialen Balken (cc) zugeführt werden. 

Entsprechend der Mächtigkeit der Gyri sind die Mark- 
lamellen in den Frontallappen, dem Laterallappen und dem Gyrus 
suprasplenialis, ferner den beiden Prosylviallappen, die sich im 
Öperculum vereinen, schmal, in letzterem jedoch mächtig. Am 
mächtigsten ist jedoch die Markmasse des Temporallappens hinter 
der Fossa Sylvii (Textfig. 15 gps) oder dem Gyrus postsylvius. 
Jener Gyrus zwischen dem Lateralgyrus und Fissura suprasylvia, 
der in dem Oeceipitallappen endet (Textfig. 9) besitzt gleichfalls 
eine ansehnliche Markmasse (Textfig. 18). Nur die Markmasse des 
hinteren Gyrus pyriformis (Textfig. 14, 15 gp) ist eine dünne Lamelle. 

Die centrale Corona radiata ist am mächtigsten im Bereiche 
des Thalamus opticus, wegen der Fasermasse die sich hier 
sammelt um in den Thalamus zu gelangen (Textfig. 14). Diese 
Stelle liegt genaustens in der Höhe der Fissura suprasylvia (ss). 

Aus der Corona radiata gelangt ein gut Teil in von frontal 
nach unten und kaudal gerichtetem Verlaufe (Textfig. 15) an die 
Seite des Striatums oder des Nucleus caudatus um hier die unter 
dem Namen Capsula interna bekannte breite Markmasse zu 
bilden (Textfig. 16). Es durchzieht somit dieses Fasersystem 
nicht mehr in jener diffusen Weise den Streifenkörper wie noch 
bei den Glires, sondern bildet lateral vom Streifenkörper die 
breite Capsula interna und im Streifenkörper befinden sich nur jene 
verhältnismässig schmale, zerstreut liegende Faserbündel (Text- 
figur 12, 16, 18), welche sich im Streifenkörper, dem Striatum, ent- 
springen oder dort endigen. Es ist somit bei den Musteliden 
zum ersten Male eine Sonderung zwischen dem nach 
unten und hinten ziehenden Bündelsystem aus der 


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176 B. Haller: 


Corona radiata und den Striatumbündeln einge- 
treten, was ja wieder nur auf die höhere Differenzierung im 
Pallium zurückzuführen ist. 

Es fasst die Capsula interna zweierlei Bündelsysteme in 
sich: erstens die, welche dem basalen Vorderhirnbündel ange- 
hören und zweitens jene, welche das Pallium mit dem eigent- 
lichen Thalamus verbinden. Es sollen die Verhältnisse dieser 
beiden Bündelsysteme zum Schlusse erörtert werden, hier möchte 
ich zuvor noch die Commissura anterior und das Inselgebiet 
besprechen. 

Es besteht die Commissura anterior (Textfig. 11 ca) 
aus einem aus groben Fasern gebildeten vordern, und einem aus 
feinen doch auch markhaltigen, viel kleineren hintern Abschnitte. 
Der vordere Abschnitt gehört ausschliesslich dem Tractus eruciatus 
olfactorii an. Es ist also von dem nicht olfactorialen Abschnitt 
nur wenig noch übrig, wie übrigens ja auch bei den Glires. 
Dieser letzte Abschnitt (Textfig. 12 ca‘) durchsetzt dann jeder- 
seits basalwärts die Capsula interna und gelangt so in den 
basalsten Abschnitt des Linsenkerns (Ik). Auch diesen zum Teil 
durchsetzend in bogenförmig nach kaudalwärts zu gerichteter 
Orientierung (Textfig. 17 ca‘), gabelt sich das Bündel in dem 
lateralen Drittel der Breite des Linsenkerns (Ik) in zwei Unter- 
bündel, einen lateralen und einen medialen. Der mediale zer- 
splittert sich im Linsenkerne, der laterale, viel schwächere aber 
legt sich unter spitzem, nach hinten zu gekehrtem Winkel der 
Capsula externa (ce) an, mit ihr verschmelzend. Da ja auch der 
Linsenkern ursprünglich, wie weiter oben gezeigt wurde, dem 
Pallium angehört hat, so ist von dem ursprünglich mächtigen 
Teil der Pallialkommissur in der Commissura anterior, wie schon 
bei den Nagetieren, dieser geringe Rest für Linsenkern und 
Oceipitallappen übrig geblieben, der sich als solcher dann auch 
noch bei dem Menschen erhält. 

Übrigens möchte ich hier noch bemerken, dass nicht alle 
Faserbündel, die aus dem Linsenkern sich der Capsula externa 
anschliessend in den Mark des ÖOceipitallappens gelangen, der 
Commissura anterior angehören, vielmehr ist ein guter Teil von 
ihnen (Textfig. 21 bei Ik‘) anderen Ursprungs. 

Der Linsenkern hat eine basalwärtige Lage, ist schmäler 
(Textfigg. 12, 16, 17 Ik) als bei den Primaten, bei weitem nicht 


Phylogenese des: Grosshirns der Säugetiere. 177 


so hoch entfaltet — denn es sind die verschiedenen Abschnitte: 
Putamen und die beiden Globi pallidi noch nicht differenziert — 
und erstreckt sich weit bis vorne bis an die Vorderlappen 
(Textfig. 18). Er besteht aus einem vorderen (lk) und einem 
hintern Abschnitte (Ik), deren Grenzen die Commissura anterior, 


Krntiern 


Fig. 17. 


Putorius putorius. Horizontalschnitt durch das Grosshirn, Thalamus 
und dem vorderen Teil des metameren Hirns die Commissura anterior treffend. 


stl = äusserer Stirnlappen; Ik — vorderer Teil des Linsenkerns; cla —= 

Claustrum; ce — Capsula externa; cl = Caps. lateralis; rfth — radiatio 

fronto-thalamica; op — Operculum; fsth = Fasciculus thalamo-lenticularis 

(Linsenschlinge); nlt — Nucleus lateralis thalami; ghy = Ganglion hypo- 

thalamicum laterale; amb‘' — ungekreuzte laterale Associationsbahn der 

Vierhügel; tho — Thalamus opticus; cf = Columna fornieis; ca‘ — hinterer, 
ca — vorderer Teil der Commissura anterior. 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 12 


178 B. Haller: 


beziehentlich deren hinteres Bündel bildet. Der vordere Ab- 
schnitt hat seitwärts abgeplattete Linsenform (vergl. Textfigg. 17 
und 18), der hintere ist keulförmig, mit nach frontal gerichteter 
Spitze, ventralwärts breiter als weiter oben. Innen wird er wie 
überall durch die Capsula interna, aussen von der Capsula externa 
begrenzt. Es wird von zerstreut liegenden, von oben nach unten 
und hinten gerichteten Faserbündeln durchzogen, die sich an 
seinem hintern untern Ende, zwischen der Capsula interna und 
dem Opticus zu einem Bündel zusammen tun. Es besteht dann 
dieses Bündel (Textfig. 16 f.th.1]) aus feinen markhaltigen Fasern, 
wodurch es sich von der ihm nach innen zu fest anliegenden 
Capsula interna gut unterscheidet. Dieses ganze Bündelsystem 
im Linsenkern hat seinen eigenen Ursprung, der nicht in dem 
Pallium gelegen ist. Wohl kann es sein, dass ein Teil von 
seinen Fasern im Linsenkern entspringt, beziehentlich dort endet, 
die meisten aber kommen aus dem Striatum oder dem Nucleus 
caudatus. Besonders deutlich sieht man dies auf Querschnitten 
(Textfig. 19). Es durchsetzen die einzelnen Bündelchen aus dem 
Striatum (str) das Bündelsystem der Capsula interna, überall 
einzeln zwischen die Einzelbündel derselben eindringend. Unter- 
halb der Capsula interna im Linsenkerne (Ik) angelangt, durch- 
ziehen sie diesen zwar auch einzeln, doch sammeln sie sich dann, 
wie schon mitgeteilt ward, zu einem Bündel. 

Einzelne Bündel des Systems schliessen sich indessen dem 
einheitlichen Bündel nicht an, sondern legen sich einzeln der 
Capsula externa (Textfig. 21 ce) an, um mit dieser dann in 
den Temporallappen, beziehentlich in das Ende des Gyrus 
pyriformis zu gelangen. Es kommt auf diese Weise eine Striato- 
temporalverbindung zustande. Damit will ich freilich 
nicht sagen, dass das ganze Bündelsystem zwischen Linsenkern 
und Temporallappen (Textfig. 16 y) nur solche Fasern führen 
würde, denn es sind ausser jenen Fasern ihn ihm auch solche 
vorhanden, die vom Temporallappen aus in den Thalamus ziehen, 
wie dies auf der Abbildung deutlich zu sehen ist, und dann 
kommen in ihm auch noch die Fasern der Capsula interna mit 
in Betracht. 

Es ist dieses Bündelsystem wohl mit dem Fasciculus 
longitudinalis inferior beim Menschen homolog. Der 
erste Darsteller dieses Fasersystems Burdach (4) schildert es 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 179 


als solches, das vom Ende des Oceipitallappens beginnend, im 
äussern Teil des Unterhornbodens nach vorne zu zieht, einen 
Teil aus sich in den Unterlappen entsendet, indessen der übrige 
Teil unter dem Linsenkern zum Stammlappen gelangt. Der letzte 
Autor der über dieses Bündelsystem berichtete, Redlich (33) 
findet, dass: „Im Gegensatz zum Cingulum, dass wir bei niederen 
Tierklassen (der Säugetiere, Haller) viel mächtiger entwickelt 
gefunden haben als bei höhern, beim Menschen in direkt 
rudimentärem Zustande treffen, finden wir umgekehrt das Stratum 
sagittale laterale, respektive den Fasciculus longitudinalis lateralis 
inferior komplizierter entwickelt, je höher wir in der Tierreihe 
aufsteigen, sodass er beim Menschen die komplizierteste Gestalt 
gewinnt.“ Es stellt nach Redlich dieser Fascieulus, der sich 
hinten in das Mark des Gyrus hippocampi erstreckt, eine zum 
grössten Teil der optischen Bahn zugehörendes System dar, denn 
es steht in Zusammenhang mit dem Thalamus und dem Corpus 
geniculatum externum. Eine Verbindungsbahn zwischen Hinter- 
hauptslappen und Schläfenlappen soll indessen nach Redlich 
dieses System nicht sein, sondern bloss eine solche zwischen 
Gyrus hippocampi und der basalen oralen Schläfenlappenrinde 
und den basalen Ganglien, indessen der dorsale Teil des Systems 
eine Verbindung zwischen oceipitaler Rinde und Scheitellappen 
und den genannten Gebilden ist. Es ist nur ein geringer Teil 
Associations-, der weit grösste Teil Projektionssystem. 

Insofern stimme ich denn Redlich auch bei, dass dieses 
System-bei Nagetieren sich noch aus dem Stratum sagittale occipitale 
laterale nicht herausdifferenziert hat. Bei den Musteliden tritt 
es deutlich zutage (Textfig. 16 y). Da zeigt es sich denn, 
dass beiden Musteliden ein Teil des Systems und 
zwar derinnere, inden latero-kaudalen Teil des 
Thalamus gerät und hier hauptsächlich mit dem 
Ganglion hypothalamicum laterale sive Nucl. 
genic. internus (ghy‘) in Verbindung steht, in- 
dessen der äussere Teil eine direkte Verbindung 
zwischen oceipitalen und temporalen Lappen (gps) 
und somit dieser Teil sicherlich ein Associations- 
system ist. 

Es liegt im hintersten Abschnitt des Linsenkerns ein kleiner, 
fast runder Kern (Textfigg. 20, 21 g). Er befindet sich genauestens 

122 


180 B. Haller: 


neben dem obern Rande des bandförmigen Opticusbündels (op) 
vor der Fimbria (Textfig. 16 Fi). Er kann seiner Lage nach dem 
untern oder beiden Kernen des grossen Linsenkerns bei Glires 
gleichgestellt werden. Auch dieser Kern steht ja dort in direkter 
Beziehung mit der Ammonswindung, wie ich es für die Maus 
gezeigt hatte (l. cc. Taf. XXIII st‘‘), gerade so wie bei den 
Musteliden. Es treten in diesem Linsenkernganglion (Textfig. 20 g) 
Fasern aus der Fimbria ein und sammelt sich aus dem Ganglion 
ein Bündelsystem, das dann nach aussen biegend (r), in die 
Markmasse (b) des Gyrus pyriformis gelangt, doch gesellen sich 
diesem Bündel auch Fasern aus der Striatotemporalverbindung an. 

An dieser Stelle, also gerade am vordern Ende des ventralen 
Teiles des Gyrus ammonis, wo diese Verbindung sich findet und 
somit nicht weit hinter dem Ganglion areae olfactoriae posterius, 
zeigt das in die Ammonwindung übergehende Pallium einen 
eigenartigen Bau. An gleicher Stelle hört ja auch die Fissura 
rhinalis anterior, welche unterhalb der Fissura Sylvii liegt, in 
die Inselspalte hineinführt und mit der Fissura Sylvii den Lobus 
suprainsularis begrenzt auf (Textfig. 9). Es beginnt dann weiter 
hinten jene Fissur, die als Fissura rhinalis posterior bezeichnet 
zu werden pflegt (Textfig. 21 srh‘). Also gerade an dieser Stelle 
liegt jene Differenzierung im Pallium des Gyrus pyriformis. Es 
zeigt sich hier in dem medianen grossen Teil der Rinde eine 
starke Verdichtung der Rindenzellen, wobei sich diese Verdichtung 
auf viele Rindenschichten erstreckt und welche, nur einheitlich 
auf Tinktionspräparaten deutliche Lage (Textfig. 20 g‘) als eine 
direkte Fortsetzung des Linsenkernganglions erscheint. In dieser 
Lage findet sich eine Faserlage längsverlaufender, markhaltiger 
Fasern (b‘), welche dann in den Alveus der Ammonswindung (ga) 
kontinuierlich übergeht. Auf der medianen Seite der Rinde, 
innen von der geschilderten Faserlage, befindet sich eine andere, 
sehr feinfaserige, die bis zum Linsenkernganglion hinzieht. Diese 
beiden Faserlager liegen somit nach innen und weit entfernt von 
der Markstrahlung (b) des Gyrus pyriformis in diesem. Sie sind 
Fasern aus der bereits beschriebenen Striatotemporalverbindung. Es 
zeigt sich hier somit abermals ein sehr enger Zusammenhang 
zwischen dem Linsenkern und der Pallialrinde, sowohl zwischen der 
Ganglienzellage als zwischen der Faserung, was mit den weiter 
oben geschilderten Verhältnissen bei Chiropteren, Insektivoren 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 181 


und Glires gut im Einklang steht und die dort besprochene Ab- 
stammung des Linsenkerns aus dem Pallium zu stützen hilft. 


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I; 


capsula 


radiatio temporalis-occipito thalam 


Coronalfasern; sg — Fissura genualis 
Thalamus opticus; op = Optieus; bvhb — basales Vorderhirnbündel; rfth — radiatio thalamo- 


ab ttgrunte..,, 
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N 


erns (Nucleus lenticularis) cl 


sula externa. 


r 
x 


Claustrum; ce 
Cap 


hinterer Teil des Linsen] 
lateralis; ce 


interna; s* = Fissura cruciata; str —= Striatum; r.t.th 


tho 


Fig.18. Putorius putorius. Sagittalschnitt durch das Grosshirn und den Thalamus. bof = Bulbus 
frontalis; Ik — vorderer, Ik‘ 


olfactorius; stl — äusserer Stirnlappen; cela 


Bei der Besprechung des Inselgebietes werde ich auf 
diese Stelle noch zu sprechen kommen und hier möchte ich auf 
das konzentrierte Bündelsystem im Linsenkern zurückkehren. 

Nach seinem Verhalten im sogenannten Zwischenhirn zer- 
fällt dieses Bündelsystem in zwei Teile. Der untere Teil 


182 B. Haller: 


(Textfig. 19 bvhb. str) legt sich dem aus der Capsula interna 
nach unten ziehenden Vorderhirnbündel (bvhb) an, um dann 
etwas weiter nach hinten im Ganglion hypothalamicum medium 
(Textfig. 21 ghy) einzustrahlen. Die Frage, ob dabei noch Fasern 
von ihm im Vorderhirnbündel verbleiben oder sich solche ihm 
beimengen, lasse ich unberührt. Auch weiss ich nicht, wie weit 
dieses Bündel sich an der Commissura postoptica (nc‘) beteiligt. 

Der hintere andere Teil des Bündels (Textfig. 17 f. sth) 
durchsetzt weiter nach hinten von der Anschlusstelle an das 
Vorderhirnbündel, diesen, oben einheitlich weiter unten in der 
Ebene der Commissura anterior in viele Einzelbündel zerfallend, die 
Capsula interna. So gelangt dann dieser Teil an zwei Endstellen, 
nämlich in den latero-kaudalen, vom Hauptkern wohl differenzierten 
Teil des Ganglion laterale thalami (nlt‘) und in ein dahinter ge- 
legenes, sehr distinktes Ganglion, dem Ganglion hypothalamicum 
laterale (ghy). Dies Letztere ist im Vergleich mit dem der Nager 
sekundär weit nach oben verschoben worden. 

Das ganze Bündelsystem aus dem Striatum und dem 
Thalamus, das wir soeben erledigt, entspricht offenbar der 
„Linsenkernschlinge“ in der Literatur. Ich habe ihn unter dem 
Namen Fasciculus strio-thalamieus bei der Maus aufgeführt. 

Was nun die Bezeichnungen betrifft, so möchte ich nur 
jenen Teil des Systems „Linsenkernschlinge“ der Musteliden mit 
dem Namen Fasciculus thalamo-lenticularis bezeichnen, 
der in dem Nucleus thalami lateralis endet (Textfig. 17 fsth), 
denn nur dieser Teil ist identisch mit jenem gleichbenannten der 
Maus; dabei aber gleich bemerken, dass an der Bildung des 
Bündels der Linsenkern ebenso beteiligt ist, als das Striatum, 
was ja wie ich dies zeigte (l. c. Fig. 11 f.sth) bei der Maus sehr 
deutlich zu erkennen ist. 

Jener Teil des Systems „Linsenkernschlinge“ aber, der in 
die Ganglia hypothalamica gerät, enthält bei Musteliden auch 
den Funiculus striati mihi bei der Maus (Stria terminalis, 
Autorum), der Striatum und Linsenkern verbindet. Mit Ausnahme 
dieses letzten Bündels ist das noch übrig gebliebene aus dem 
System „Linsenkernschlinge“ bei den Chiropteren, Insektivoren 
und Glires mit im basalen Vorderhirnbündel enthalten, denn 
es legen sich die Striatafasern völlig den Fasern aus der Corona 
radiata an. Die Trennung bei Musteliden (und anderen höheren 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 1835 


Formen) mag wohl aus der hohen Differenzierung des Mantels seine 
Erklärung finden. Und diese beeinflusste auch den Thalamus 
opticus, denn gesondert sind nun die einzelnen Teile des bei niedern 
Placentaliern in zwei Bündelsystemen, dem Fasciculusthalam.o- 
prosencephalicus und thalamo-lenticularis enthaltenen 
Teile. Sie zerfallen nach der nun gut getrennten Pallialgegenden 
in die bei höheren Formen gut bekannten Radiationen, als die 
sind: die Radiatio fronto-thalamica und R. temporo-oceipitalis 
thalami. 

Die Radiatio fronto-thalamica war bei den niedern 
Formen auch schon selbständig, allein der Funiculus thalamo- 
lenticularis enthält ausser dem Linsenstriatumteil auch noch die 
Radiatio .fronto- und temporo-thalamicus. Dieser Zustand war, 
wie ich weiter oben bei Chiropteren anführte, ein von Stego- 
cephalen-Ahnen ererbter. 

Zuerst vor der Commissura anterior mit den Fasern der 
Corona radiata aus den Stirnlappen gleiche Richtung einhaltend 
und darum von ihnen nicht zu unterscheiden (Textfig. 12, 17), 
wenden sich dann die Bündel der Radiatio fronto-thalamica 
ventral vor dem Thalamus angelangt (Textfigg. 17, 18, 22 r. f. th), 
nach oben und innen und den Thalamus von unten schalenförmig 
umgreifend, strahlt die Faserung ventral in die Zona intermedia 
(Textfig. 17 zi), aber auch zum Teil in den innern grossen Ab- 
schnitt des Nucleus lateralis-thalami aus. 

Eine entschieden mächtigere Faserung ist die Radiatio 
temporo-occipitalis thalami. Ihr Sammlungsgebiet dürfte 
die schwarze Bogenlinie auf der oceipito - temporalen Fläche 
des Palliums auf Textfig. 9 B annähernd richtig angeben. Es 
erstreckt sich an der Fissura Sylvii nur wenig auf den Gyrus 
praesylvius (Textfig. 14 r.t. th), nimmt aber die hintere Hälfte 
des Bogengyrus unter den Arcus suprasylvius ein, erstreckt sich 
auf den lateralen Ocecipitallappen, doch greift sie nicht über den 
Suleus lateralis hinüber. Das Sehgebiet der Grosshirnrinde ist 
somit bei den Musteliden weit grösser, wie dies für den Menschen 
durch das Experiment festgestellt wurde, was wohl so zu er- 
klären wäre, dass der Temporallappen bei den Primaten eine 
mächtige Entfaltung erlangt aus noch kleinen Anfängen, wie sie 
Musteliden auch besitzen und, dass dadurch die Sehsphäre weit 
nach oben auf den Oceipitallappen verschoben ward, indem dann 


184 B. Haller: 


andere physiologische, sich höher entfalteten Gebiete ihren frühern 
lateralen Platz einnehmen. Es kommt ja in den ventralen Gyrus 
postsylvius hauptsächlich die Gehörrinde zur Geltung und da 
wäre es denn möglich, dass die allmähliche Entfaltung eines 
feinen Gehöres bei dem Menschen hier mit andern Differenzierungen 
grössere Entfaltung des Hirnmantels bewirkte. 

Auf Längsschnitten sieht man deutlich (Fig. 25, Textfig. 18 
r.t.th) die Strahlung als mächtige Längsfasermasse in der Corona 
nach vorne zu ziehen und dann von oben und lateralwärts in 


SS 


\ S 

NOMS R 
RENERET 
wir, N 
lin 


DO 
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Fig. 19. 


Mustela foina. Untere rechte Hälfte eines Querschnittes durch das 
Grosshirn, durch die Stelle, wo die Einstrahlung des Funiculus thalamo- 
prosencephalicus in den Thalamus erfolgt. cm — Cingulum; ce — Corpus 
callosum; Fi = Fimbria ; ndt — Nucleus dorsalis thalami; fth.p = Funiculus 
thalamo prosencephalicus; bvhb — basales Vorderhirnbündel; bvhb. str = der 
striatale Teil desselben ; opt = Opticus; gp = Gyrus pyriformis; Ik — Linsen- 
kern; ce = Capsula externa; cl = Caps. lateralis; in = Insula; srh = Sulcus 
rhinalis; Isi = Gyrus suprainsularis; s! — Fissura genualis extrem; str — 
Striatum; fls — Funiculus longit. epistr. (Stratum subcallosum Autorum). 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 185 


den Thalamus einbiegen. Es greifen dann die Fasern ventralwärts 
im grossen Lateralkerne bis an dessen untern Rand, wodurch 
es zu einer Durchkreuzung von Fasern der Radiatio temporo- 
oceipitalis und der R. thalamo -frontalis gelangt (Textfig. 18). 
Wenn nun auch Fasern von der temporo-oceipitalen Strahlung 
in die Zona intermedia gelangen, so ist es doch hauptsächlich 
der grosse laterale Thalamuskern, wohin sie ausstrahlt. 

Auf Querschnitten in der Epiphysengegend (Textfig. 14), 
also durch den hintern Teil des grossen lateralen Thalamuskerns 
(nit), lässt sich die Faserung von diesem Kerne aus bis in die 
Pallialrinde verfolgen und es sieht dann auch so aus, als wenn 
solche Fasern in die Habenularganglien gelangen würden, deren 
Commissur (cp‘) jedoch nicht erreichen. Ob diese Fasern aber 
nicht etwa aus dem Habenularganglion nur bis in den Lateral- 
kern ziehen, und Strahlungsfasern sich bloss anlegen, dies wird 
nur die histologische Erforschung entscheiden. 

Ein starkes Bündel aus der Radiatio temporo-oceipitalis 
verhält sich im vordern Thalamusteil insofern anders, als es 
genau an der Grenze zwischen Thalamus und dem Hypothalamus, 
also dem Vereinsgebiet, von aussen nach innen und oben im 
schönen Bogen (Textfig. 19 r. th.t) zum Dorsalkern des Thalamus 
(ndt) hinaufgreift und sich in demselben aufsplittert. 

Es war nicht meine Absicht hier das Verhalten innerhalb 
des Thalamus weiter zu behandeln als es geschehen ist und will 
darum hier auch mit der Erörterung des Vorderhirnbündels 
beginnen. 

Es giebt bei niedern Placentaliern, auch noch bei den 
Glires, ein einheitliches basales Vorderhirnbündel, das Fasern 
aus dem gesamten Pallium, sowie aus dem Striatum oder Nucleus 
caudatus in das Vereinsgebiet des subthalamalen Zwischenhirns 
befördert. Wie wir nun gesehen, hat sich der Teil aus dem 
Striatum bei den Musteliden vom Hauptbündelsystem, das die 
Capsula interna bildet, abgesondert und endigt allein für sich 
im Ganglion hypothalamicum medium. 

Das auf diese Weise für sich gebliebene Vorderhirn- 
bündel führt somit Fasern nur aus dem Pallium und zwar aus 
dem gesamten Pallium. 

Es ziehen dann jene Fasern, die zu dem Vorderhirnbündel 
gehören, aus der Masse der Fasern in der Corona radiata, je 


156 B. Haller: 


nach der Stelle ihres Beginns oder Endens, in der Rinde senk- 
recht oder in schiefer Richtung nach ventralwärts zu, um sich 
so in der Capsula interna zu sammeln (Figg. 23—25). Es er- 
streckt sich dann die Capsula externa vom Kopf des Streifen- 
körpers, diesem lateralwärts anlagernd, bis auf die laterale Seite 
des Thalamus (Textfigg. 16, 17). Jener hintere, am Thalamus 
gelegene Teil ist einheitlich, zerfällt nicht wie der vordere Teil 
der Capsula interna in Bündeln. An laterosagittalen Schnitten 
sieht man dann diesen Teil als ausschliessliches Vorderhirnbündel 
(Textfigg. 18, 22 bvhb) ganz ventrolateralwärts gelangen und so 


Fig. 20. 


Mustela foina. Stück aus einem Querschnitte hinter dem auf der vorigen 

Figur. Fs = Fissura Sylvü; l1.si = Lobus suprainsularis; cl = Capsula 

lateralis; ce — Capsula externa; in = Insula; r = Bündel in den Gyrus 

pyriformis; g = oberes, g' — unteres Linsenganglion (Kern); ga = Gyrus 

ammonis; opt = Opticus; bvhb — basales Vorderhirnbündel; bvhb. str = 
dessen striataler Abschnitt; Ik — Linsenkern. 


den Hypothalamus, unser Vereinsgebiet erreichen. Es liegt 
hier oberhalb und innen vom Bündel, diesem ein langer, über 
den Ganglia mamillaria knopfförmig verdickter (Textfig. 21 ghy), 
dann aber bandförmig von lateral nach innen zu zusammenge- 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 187 


drückter (Textfig. 14 ghy) Kern an, der in dieser Form bis weit 
hinten, bis an die Brücke reicht (Textfig. 22 ghy). Verglichen 
mit den Zuständen wie ich sie für die Maus geschildert und ab- 
gebildet habe (1. c. Fig. 9) hätten wir es in diesem Kerne mit dem 
Ganglion hypothalamicum medium zu tun. Hinter ihm in der 
gleichen Sagittalebene liegt bei der Maus das Ganglion hypo- 
thalamieum laterale (l.c. Figg. 9, 14) und beide, Gangl. hypo- 
thalamicum med. und laterale, werden dort von einem schräg nach 


Fig. 21. 


Mustela foina. Dieser Qnerschnitt folgt auf den in der vorigen Figur. 

nlt — Nucleus lateralis thalami; in = Insula; Ik = Linsenkern; ce — Capsula 

externa; ga — Gyrus ammonis; ghy —= Gangl. hypothal. med.; gm — Ganglion 

mammillare; cf = Columna fornieis; f — Fasciculus thalamo-mammillaris 
superior; nc — Commissura postoptica. 


dorsalwärts und etwas hinten gerichtetem Bündel getrennt, 
welches (bvhb’ dort) dem basalen Vorderhirnbündel angehört. 
Dieses Bündel ist auch bei Musteliden vorhanden (Textfig. 22 bvhb‘), 
es zieht lateralwärts an dem einheitlichen Kern aufwärts. Nach 
dieser topographischen Orientierung sind wir dann berechtigt zu 
der Annahme, dass der fragliche einheitliche Kern der Summe 
vom Ganglion hypothalamicum mediale und laterale entspricht, 
was wir vor Augen behalten wollen, wenn wir für ihn den Namen 
roter Kern für Musteliden und überall nur dort, wo er sich so 


188 B. Haller: 


findet beibehalten. Es hängt darum der rote Kern kontinuierlich 
mit einem Kern hinter dem äussern untern Teil des Nucleus 
lateralis thalami zusammen (Textfigg. 16, 17 ghy‘), der nach dem 
Verhalten zu andern Faserbündeln, so u. a. zu unserem gemischten 
Längsfasersystem des metameren Hirns (M), als ein Teil des 
Ganglion hypothalamicum laterale der Maus gedeutet werden muss. 

Der Kopf des roten Kerns (Textfig. 21 ghy) befindet sich 
genau oberhalb des Ganglion mammillare (gm) und etwas 
lateralwärts von ihm. Das Ganglion mammillare ist einheitlich 
(Textfig. 11 gm). Ausser diesem Ganglion mammillare nun, der 
dem Ganglion mammillare medium der Maus entspricht, findet 
sich bei Musteliden kein anderer Kern vor, der mit dem Ganglion 
mammillare laterale der Maus gleichgestellt werden könnte, als 
der Kopf des roten Kerns. Dass der Kopf des roten Kerns tat- 
sächlich einem stark nach oben gerückten Ganglion mammillare 
laterale entspricht, ist auch aus der topographischen Lage zu 
andern Teilen zu schliessen; so liegt der Fasciculus thalamo- 
mammillaris superior oder der Viq d’Azyrsche Strang genau 
über ihn (Textfig. 21 f) und gelangen auch Fasern aus dem ge- 
mischten Längsfasersystem des metameren Hirns in ihn. So er- 
weist sich denn der rote Kern als eine Vereinigung 
von den beiden Ganglia hypothalamica und des 
Ganglion mammillare laterale der Maus. 

Zwischen der Brücke und dem Boden des Vereinsgebietes 
am Zwischenhirne, zwischen den Grosshirnschenkeln findet sich 
eine Spalte bei Chiropteren, Insektivoren und Glires, welche die 
äussere Grenze zwischen prächordalem und metameren Hirne 
bezeichnet und in welcher muldenförmigen Vertiefung teilweise 
die Hypophysis lagert. Es ist diese Fossa interpeduncularis sehr 
eingeengt bei den Carnivoren überhaupt und hier drängt sich 
das Ganglion interpedunculare stark in den Boden des Vereins- 
gebietes vor. 

Schon aus diesem Umstand geht es hervor, dass am 
Boden des Gehirns zwischen Brücke und dem hypo- 
thalamalen Gebiete ein starkes Zusammenschieben 
stattfand im Vergleich zu den Zuständen bei der 
Maus. Dieses feste Aneinanderlagern mag den auch veranlasst 
haben die Lageveränderung des Ganglion mammillare laterale und die 
ganze Einheitlichkeit oder das Zustandekommen des roten Kernes. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 189 


Aus dem Vorderhirnbündel begibt sich ein Bündel in den 
Kopf des roten Kernes, das zum Teil wenigstens zum Fasciculus 
thalamo-lenticularis angehört, dem aber wohl auch Fasern aus 
dem Vorderhirnbündel zugesellen; eine gleiche Abstammung hat 
dann auch die Kommissur über dem Ganglion mammillare 
(Textfig. 21 ne‘) welche der Commissura postoptica der niedern 
Placentalier (Glires mit einbegriffen) entspricht. 

Des nach oben ziehenden Bündelchens aus dem Vorderhirn- 
bündel (Textfig. 22 bvhb’) wurde schon gedacht und auf Näheres 
darüber verweise ich auf meine Ausführungen bei der Maus (l. c.) 

Das weitere Verhalten des Vorderhirnbündels ist aber bei 
den Musteliden schon schwer festzustellen und ich wundere mich 
nicht darüber, dass diejenigen, welche sich nur mit den höhern 
Placentaliern abfanden, an einer direkten Fortsetzung der Gross- 
hirnbahnen in das metamere Hirn festhalten. Allein diese Zu- 
stände sind bei der Maus, Chiropteren und Insektivoren zu 
untersuchen, wo ich denn auch in dieser Arbeit zeigte, dass die 
Bahnen aus dem Grosshirn nur vermittelst des Vereinsgebietes 
mit dem metameren Hirne und dem Rückenmark zusammen- 
hängen. Ein Totschweigen dieser Zustände bei niedern Formen 
(auch Ichthyden, Amphibien und Reptelien mit inbegriffen) fördert 
die Sache nicht! 

Erkennen konnte ich, dass Fasern aus dem Vorderhirn- 
bündel bei Musteliden im roten Kern aufsplittern, welcher ja weit 
nach hinten in das metamere Hirn eingeschoben ist (Textfig. 22), 
ja bis zum Oculimotoriusursprung reicht (Textfig. 21). Es ist 
das eine ungemein feine Aufsplitterung und der Kern ist von 
einem dichten Nervenfasernetzwerk, das immerhin verhältnis- 
mässig zu feinen Netzen noch grob ist, förmlich durchwebt. Da 
dieses Netz sich viel gröber auf Markscheidefärbungen erweist 
als auf Golgischen Präparaten, so ist wohl die Annahme gestattet, 
dass das grobe markhaltige Netz in ein feineres markloses über- 
geht. Aber erst nach Betrachtung beiderlei Präparate gewinnt 
man den richtigen Eindruck von der Reichhaltigkeit dieses 
Netzes. Es ist also sicher, dass sich hier eine grosse Zahl von 
Längsfasern auflöst. 

Allein den Eindruck gewinnt man doch nicht darum, als 
wenn ‚das Vorderhirnbündel hier anders würde. Wenn man 
(uerschnitte betrachtet, so sieht man die innere Lage des 


190 B. Haller: 


Vorderhirnbündels (Textfig. 14 bvhb‘‘) immer undeutlicher nach 
dem Kerne zu (ghy) werden. Dies ist aber auch alles, die 
Hauptfaserung (bvhb) erhält sich bis zur Brücke (Textfig. 22 bvhb). 

‘Ich kann mir dieses Verhalten in Anbetracht der Zu- 
stände bei niederern Formen nur auf eine Weise erklären. 
Erstens hat sich dem Vorderhirnbündel bei der grossen Gedrängt- 
heit in der betreffenden Gegend ein Bündelsystem aus dem 
Thalamus angeschlossen, wie dies schon aus Textfig. 21 ersichtlich 
ist, und welches Bündelsystem bei der Maus von ihm völlig 
getrennt ist, es ist das der Fasciculus thalamo-prosencephalicus 


As ‚Str 


F 
I 
! 

I 


Fig. 22. 


Putorius putorius. Lateraler Sagittalschnitt durch das basale Grosshirn 
dem Thalamus und den Vierhügeln. tbs — Tractus cruciatus olfactori; 
t. bip — Tractus lobi olfactorii; op — Opticus; bvhb — basales Vorderhirn- 
bündel; bvhb‘ — dessen Dorsalbüudel; ghy — Ganglion hypothalamicum med.; 
gm *= Ganglion mammillare; M = Gemischtes Längsfasersystem des 
metameren Hirns (Haubenbahn); y‘ — Gekreuzter Bindearm; vh — hinterer 
Vierhügel; ol = Schläferlappen; tho — Thalamus opticus; Fi — Fimbria; 
fls — Fasciculus longitud. epistriaticus; str — Striatum. 


(l. c. Fig. 7 f“) und diese Fasern sind dann, die sich weiter in 
das metamere Hirn fortsetzen. Dann aber ist es die Pyramiden- 
bahn, die bei der Maus, Chiropteren und Insektivoren nur bis in das 
Vereinsgebiet reicht, die sich dem Vorderhirnbündel beimischt. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 191 


Ein grosses Gebiet umfasst das Inselgebiet bei den 
Musteliden. Unter diesem Gebiet verstehe ich die Differenzierung 
innerhalb des Palliums, eines Bezirkes, das ventralwärts entlang 
der Fissura rhinalis lateralis anterior, vom äussern ventralen Teil 
der Frontal- oder Stirnlappen bis auf den Temporallappen hin- 
zieht, äusserlich aber so ziemlich von der Fissura genualis 
externa begrenzt wird, ventralwärts aber etwa bis unterhalb der 
Fossa rhinalis anterior reicht (Textfig. 9 C). Das Gebiet wird 
äusserlich durch eine Einstülpung des Palliums gekennzeichnet, 
durch eine spaltförmige Einstülpung, welche innere Spalte durch 
die ganze Fissura rhinalis anterior nach aussen mündet und die 
Ränder dieser Spalte unten von dem Lobus pyriformis, oben 
durch einen Längsgyrus, der dem Inselgebiete angehört, dem 
Lobus suprainsularis (lsi) begrenzt wird. 

Nur dort, wo die Fissura rhinalis anterior in die Fossa 
Sylvii mündet, an der Vallecula Sylvii, dient die Fossa zur Aus- 
mündung der Spalte Hier greift dann das Inselgebiet auch 
weiter nach oben wie sonst, doch ist es dort sehr eingeengt und wird 
nur noch durch einen geringen Zellstreifen über den die Capsula 
lateralis (Textfig. 14 el: Fig. 24) liegt, markiert. Es greift hier 
ein wenig auf den Gyrus antesylvius mit seinem obern Ende über. 

Das histologische Kennzeichen des Inselgebietes ist die 
Trennung seines Marklagers, seiner Corona radiata in eine obere 
und untere Lage. Dadurch besitzt die Rinde des Inselgebiets 
eine äussere breite Zellage (Textfig. 12, 16, 17, 19, 20, 21), eine 
darunter sich befindende, aus einem markhaltigen Netze gebildete 
Faserlage, die Capsula lateralis (cl), eine darauftolgende dünne 
Zellenlage, das Claustrum (cla) und eine innere sehr schmale 
Marklage, die Capsula externa. Von diesen Teilen zeigen sich 
nur die Capsula externa und das Claustrum bei Chiropteren, 
Insektivoren und Glires, indessen die Capsula lateralis dort, noch 
mit der Rindenmarklamelle zusammenfällt, doch schon als drittes 
Netzgebiet in der Rinde auftritt (s. Chiropteren). Das Inselgebiet 
ist somit vorgebildet, doch gelangt es erst bei den Musteliden 
zur vollen Differenzierung. 

Es besitzt dann die Capsula lateralis entsprechend der 
Form des Inselgebietes eine nach aussen zu konvexe Form, 
welche oben und unten in die Markmasse der sie begrenzenden 
Gyri kontinuierlich übergeht. Oben, in jene des Gyrus supra- 


192 B. Haller: 


insularis (l. si), und da dieser Gyrus ja in den äusseren Frontal- 
lappen übergeht (Textfig. 16, 17), in jene dieses Lappens. Ergänzt 
wird dann dieses Bild durch Sagittalschnitte, die zeigen, dass 
die Capsula lateralis (Textfig. 15 cl) in die Cortikalrinde zwischen 
Lobus olfactorius (l. of) und äusserem Stirnlappen (stl) sich fort- 
setzt, indessen die Capsula externa mit der Markmasse zwischen 
diesem Lappen und dem Kniegyrus verschmilzt. Dazwischen liegt 
das Claustrum (cla). Dieses ist hier am mächtigsten, wird aber 
dann lateralwärts ganz schmal (Textfig. 16 cla), wobei es dann 
von seiner dicksten Stelle an nach innen bis hinter den inneren 
Stirnlappen einen schmalen Fortsatz entsendet (Textfig. 17). Es 
steht somit hier das Inselgebiet auch mit dem Lobus olfactorius 
in irgend einer Beziehung. 

Unten geht die Capsula lateralis bis zur Vallecula Sylvii 
in die Markmasse des Lobus pyriformis kontinuierlich über 
(Textfig. 12, 19) und zeigt sich im vorderen Teil dieses Ab- 
schnittes die Markmasse des Lobus pyriformis in innigster Be- 
ziehung mit dem Ganglion areae olfactoriae (gao), wobei der 
Fascieulus olfaeto-corticalis inferior einen geschlossenen Überzug 
über der lateralen Seite des Gyrus bis tief hinein in die Spalte 
des Inselgebietes zeigt (Textfig. 12 f. oc. i), wie er auch dann die 
laterale Fläche desselben in bescheidenem Maße überdeckt. 

Hinter der Vallecula Sylvii ändert sich auf dem Temporal- 
lappen die Sache insofern, als sich da die Marklage im Gyrus 
pyriformis teilt und während dann die innere Lamelle nach innen 
zur Ammonswindung hinzieht (Textfig. 20, 21), die äussere, 
in welcher sich die Capsula lateralis auflöst, wie zuvor nach oben 
in der Gyruswand liegt. Dadurch erweist sich erst hier eine Trennung 
zwischen Capsula lateralis und dem eigentlichen Riechgebiet. 

Die Capsula externa erweist sich als eine dünne Mark- 
lamelle, welche vorne, an der Umbiegungsstelle der Corona 
radiata frontalis in die Capsula interna, zwar sich dieser fest 
anschliesst, weiter vorne in den Stirnlappen aber ventralwärts 
und entlang des ganzen Inselgebietes von der Capsula interna 
durch den Linsenkern getrennt ist. 

Sie besteht aus vertikalen und auch aus wenigen horizontalen 
Fasern, doch überwiegen erstere. Dorsalst hängt sie mit der 
Corona radiata zusammen (Textfig. 12, 19, 20, 21 ce), aus welcher 
ihre Fasern herstammen und die sich dann im Mark des Gyrus 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 193 


pyriformis auflösen. Es erweist sich somit die Capsulu externa 
als eine direkte Verbindung zwischen dorsalem 
Pallium und Gyrus pyriformis und dürfte darum nicht 
als ein direkter Zubehör zum Inselgebiet betrachtet werden, wie 
denn hierauf auch die Verhältnisse bei den oben besprochenen 
niedern Placentaliern und den Glires hinweisen. Nur die Capsula 
lateralis und das Olaustrum, sowie selbstverständlich die Rinde 
aussen von der Capsula lateralis, gehören dem Inselgebiete an. 
Hier hat denn auch der Vergleich mit den niedern Formen 
ohne Insel einzusetzen. 

Wir haben bei den Chiropteren bezugnehmend auf die 
niedern Glires speziell der Maus schon festgestellt, dass jenes 
unten breite, dorsalwärts schmäler werdende Kerngebiet neben 
der Capsula externa, das sich dort, zum Teil wenigstens, als 
Faserung aus der Commissura anterior ergab, Rindengebiet sei. 
Der eigentlichen Rinde gegenüber wird dieses Gebiet durch die 
Marklamelle, in der ja viele Fasern aus der Commissura anterior 
in den oceipitalen Mantelteil gelangen, abgegrenzt. Dann wurde 
für die zwei Fledermäuse gezeigt, dass bei ihnen in der lateralen 
Rinde ein ovales Gebiet sich vorfindet, in dem ein markhaltiges 
Geflecht besonders ansehnlich ist, und eine gewisse gute Ab- 
grenzung nach oben, vorne und hinten aufweist. Hier entwickelt 
sich dann bestimmter formuliert das bereits vorgebildete Insel- 
gebiet, noch ähnlich wie bei Chiropteren und Insektivoren bei der 
Maus, indessen bei andern Glires — eingeleitet mit der Maus und 
weiter entfaltet bei Seiurus — wie bei Lepus, sich höher gestaltet. 
Hier zeigt sich dies Inselgebiet schon so vorgebildet, dass es direkt 
an höhere Formen anschliessen hann. Ich verweise diesbezüglich 
auf drei Querschnittsbilder durch das Kaninchenhirn von €. u. O. 
Vogt (30, Bd. 1, Taf. 56, Fig. 1—3), aus denen ersichtlich ist, 
dass hier entlang der Fissura rhinalis anterior — aber auch noch 
auf das Gebiet der F. rh. posterior übergreifend, wie denn auch 
bei Musteliden — das Inselgebiet sich bestimmter formuliert mit 
einer Capsula lateralis und externa und dazwischen liegendem 
Claustrum (von den Autoren nicht beachtet), obgleich es ja hier, 
ausser einer Andeutung der Fissura lateralis, zu keinen Spalten- 
bildungen gelangt. 

Verglichen dieses Verhalten mit dem der Musteliden, liesse 


sich folgendes feststellen: 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 13 


194 B. Haller: 


1. Bezüglich des Linsenkerns findet sich ein Homologen bei 
niedern Placentaliern nur für den hintern Linsenkernteil der 
Musteliden, eben für jenen Teil, der hinter der Commissura 
anterior gelegen ist. 

2. Das Claustrum der Musteliden findet sich schon bei 
jenen niedrigen Placentaliern in dem postkommissuralen Teil, jedoch 
unvergleichlich mächtiger, was wieder mit der geringeren Mächtig- 
keit des Stirnhirns bei ihnen in Zusammenhang zu bringen wäre. 

3. Während die Capsula externa vorne als auch hinter der 
Commissura posterior bei den niedern Formen noch im Bereiche 
dieser Kommissur steht (physiologisch), erhält sich bei den 
Musteliden im vorkommissuralen Teil nur die vertikale Faserung, 
indessen im postkommissuralen noch ein Bündel der Commissura 
anterior für das Oceipitalgebiet sich erhält (vergl. Textfig. 17). 

4. Eine Abgrenzung der Marklamelle in der temporo- 
occipitalen Gegend in eine äussere und innere, speziell für den 
inneren Teil des Lobus pyriformis bestimmten Lamelle, ist bei 
Musteliden vollzogen und die äussere Lamelle tritt mit einer 
Markfaserung, der Capsula lateralis in direkte Beziehung. 

5. Diese Markfaserung, die Capsula lateralis nämlich, zeigt 
sich bereits in der temporalen Gegend des Palliums, und grenzt 
sich bei Musteliden ab,'!) wodurch auch das Ulaustrum beein- 
flusst wird. 

So sehen wir denn ein grosses Gebiet, das Inselgebiet, mit 
der Furchung des Hirnmantels allmählich entstehen und selbst 
in der Differenzierung schon vorgeschrittenem Pallium noch 
eine grosse Ausdehnung einnehmen. Hier setzt nun der Vergleich 
nach aufwärts in der Reihe der Placentaliern ein. 

Vor allem zwingt uns das ganze Verhalten des Insular- 
gebietes zu der Annahme, dass wir es hier mit einem 
grossen Associationsgebiet zu tun haben. Denn erstens 
besitzt dieses Gebiet eine besonders entfaltete Zwischenmarklage, 
die Capsula lateralis, bestehend aus einem dichten Flechtwerk 
markhaltiger Fasern, welches nirgends nach innen zu 
mit der Corona radiata in Verbindung tritt und somit 
auch keine Fasern in den Thalamus oder dem Vereinsgebiet 


!) So ist es auch bei der Katze, worüber ich auf die Tafeln 8, 12 
und 16 des ersten Teils der Vogtschen Tafeln verweise (l.c. I. Bd.). 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 195 


entsendet, dann aber, weil ein Zusammenhang des Randes dieses 
Plexus mit allen Gebieten, dem Stirnhirn, dem Geruchshirn, dem 
dorsalen, temporalen und occipitalen Pallium besteht und somit 
bloss das das Inselgebiet deckende Operculum keine direkte Be- 
ziehung mit ihm besitzt. Die Reilsche Insel umfasst nicht das 
gesamte Inselgebiet, denn als Insel wird bloss nur die innere 
Seite dieses Gebietes bezeichnet, nicht aber auch seine obere 
und untere Seite. 

Die Ausdehnung des Inselgebietes nach vorne dem Stirn- 
hirne zu ist bei den Carnivoren allgemein und der Lobus 
suprainsularis ist bei allen vorhanden, obgleich er bisher un- 
beachtet blieb. 

Bei den andern Abteilungen der Gyrencephalen scheint 
aber dieser Lobus reduziert, was wohl daher kommt, dass das 
ganze Inselgebiet auf das, was als Reilsche Insel bezeichnet 
wird, nämlich auf die innere Seite des Inselgebietes, sich be- 
schränkt. Darum wird aber der Zusammenhang dieses Gebietes 
weder aufgehoben noch eingeschränkt, denn was die „Insel“ 
an Länge, durch die grosse Entfaltung des Stirnhirns und 
des Temporallappens, mit denen sie ja unvermittelt zusammen- 
hängt,') einbüsst, wird an ihr durch eine Flächenvergrösserung 
ersetzt. Es ist ja eine bekannte Tatsache, dass die „Insel“ sich 
in Windungen legt, wodurch bei dem Menschen ein frontales 
Gyrus brevis und ein Gyrus longus zustande kommt. Ent- 
sprechend den Gyri legt sich auch die Capsula lateralis in Falten, 
zwischen welchen und der Capsula externa oben das Claustrum 
sich befindet.?) 

Über die äussere Form der Reilschen Inseln handeln die 
Arbeiten von Clark (5), Waldeyer (31) und Marchand (21). 
Letzterer kam zu dem Ergebnis, dass von den beiden Abschnitten 
der Insula Reilii der hintere der wichtigere sei und in der 
Säugetierreihe am konstantesten sich verhält. 

(sewiss ist es, dass das vordere Inselgebiet und mit ihm 
der Gyrus suprainsularis sich nur bei den Carnivoren erhält und 
schon bei den Perissodactylen das Inselgebiet sich auf die Insula 


!) Wie Waldeyer (31, pag. 274) es richtig schildert für Hylobates 
und Mensch, biegt „die pars frontalis der Insel in die dritte Stirnwindung 
um, die pars temporalis in die obere (erste) Schläfenwindung.“ 

2) C. und O0. Vogt, 1.c. Bd. I, Taf. 2b. 

13% 


196 B. Haller: 


Reilii reduziert,') und dass dann diese unter die Fissura Sylvii 
hinaufgelangt, indem „sein breiteres Ende (Polende) zum Eingang 
der Fossa Sylvii hin gewendet ist, während das spitzere sich 
zum Ende der Fossa Sylvii hin erstreckt“ (Waldeyer). 


Allgemeine Betrachtungen. 


Es kann nicht die Aufgabe vorliegender Arbeit sein, die 
gesamte phyletische Hirnentfaltung der Säugetiere zu einer Be- 
trachtung zu machen. Dies wird vielmehr die Aufgabe zukünftiger 
Arbeit sein, wozu der Stoff in erfreulicher Weise sich zu ver- 
mehren beginnt. Ausserdem bietet aber auch die Entfaltung des 
metameren Hirns, mit Ausnahme des Kleinhirns, wegen ihrer 
(rleichmässigkeit nirgends Aussicht zur Feststellung von neuen 
wichtigen Tatsachen. Aber auch die Betrachtung der Grosshirn- 
entfaltung stösst zurzeit noch auf grosse Hindernisse. Es gehört 
dazu die volle histologische und physiologische Bearbeitung des 
(zrosshirnpalliums, was aber noch aussteht. In Anbetracht dieser 
Umstände kann hier nur auf einige Fragen eingegangen werden. 
Diese wären, der Ursprung des Balkens, das Gesetz nach welchem 
es entsteht, und die Faserung des Grosshirnmantels im allgemeinen. 

Unsere Betrachtung setzt dort ein, wo die bei Ichthyden 
noch einheitliche Basalkommissur zuerst unter dem Einfluss der 
Sonderung des Riechhirns vom übrigen Grosshirne in einen 
obern Abschnitt: der Commissura superior und in einen untern, 
der Commissura anterior sich geteilt hat. Dies erfolgte mit dem 
Beginn des Landlebens, also mit der Quadrupedie. Lebende 
Amphibien und Reptilien weisen diese Sonderung auf und es ist 
darum die Annahme berechtigt, dass der gemeinsame Vorfahr, 
der Stegocephale, sie schon besessen und von diesem auch auf 
die niedersten recenten Säugetiere, den Monotremen vererbt 
wurde. Denn diese sind noch auf jener primären Stufe jener 
Sonderung, wo die Basalkommissur in eine Riechkommissur, die 
ammonalen Kommissur, und die Vorderkommissur sich teilte. 
Letztere verbindet die Bulbi olfactorii untereinander und die 
beiden Pallialhälften, erstere gehört dem mächtigen Riech- 
pallium an. 


!) Die Ansicht Turners (27, pag. 554), dass die Primateninsel die in 
die Tiefe versenkte Sylvische Windung der Carnivoren sei, ist somit 
unrichtig. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 19% 


Wenn wir von der Ansicht Owens (22) absehen, der in 
seinen Betrachtungen über das Balkensystem Monotremen und 
Marsupialier unter der üblichen Bezeichnung Aplacentarier zu- 
sammen behandelt, wobei er die Commissura superior als blos 
ammonale betrachtet, später aber doch von einem Balkenrudiment 
spricht, so waren es Flower (10), Eliot Smith (23, 24, 25) 
und Symington (26) welche den Ursprung des Balkens zuerst 
aufgriften. 

Eliot Smith sieht in der obern Kommissur der Monotremen 
— die Marsupialier will ich hier aus Gründen, die ich weiter 
oben angegeben habe, bei Seite lassen — eine reine ammonale 
Commissur und lässt in der Commissura anterior die Pallialfasern 
verlaufen. An diese Annahme und den weitern Gedankengang 
Smiths möchte ich hier anknüpfen. 

Aus obigem Zustand nun leitet Eliot Smith den 
Balken auf jene Weise ab, dass Pallialfasern durch 
sein Kommissurenbett, worunter nur die Area 
praecommissuralis verstanden werden kann, im 
Laufe der Phylogenie sich allmählich nach oben be- 
gaben, sich dann der ammonalen Kommissur an- 
schlossen — diesen mit ihrer weitern Vermehrung 
weiter nach hinten verdrängten und, mit ihr auch 
den Gyrus ammonis — und insofern die Vermehrung 
dieser pallialen Elemente einen gewissen Grad er- 
rungen, sie die dorsale Lamelle des Balkensystems 
bilden. Dieser Ansicht hatte ich mich angeschlossen (17) und 
hier wünsche ich diese Auffassung weiter auszuführen, damit die 
Schilderung des phyletischen Werdeganges vom Grosshirn be- 
ginnend. Nach den Feststellungen anderer, welche Beobachtungen 
ich zu bestätigen Gelegenheit hatte, verlaufen in der Commissura 
anterior der Monotremen die Fasern des Tractus cruciatus 
olfactorii (Fig. 22 u. Textfig. 23, schwarz) und die gesamten Pallial- 
fasern (blau), von denen in der obern Kommissur jede Spur 
fehlt (s. 17, Fig. 46). Diese ist vielmehr eine rein ammonale 
Querverbindung, insofern die Verbindung zwischen den beiden, 
bis nach ganz vorne reichenden Ammonsfalten (s. 17, Fig. 42, 45) 
in Betracht kommen. Doch finden sich ventral in ihr zwei 
Bündelsysteme, die beiden Riechbögen Ziehens. Das vordere 
Bündelpaar sind die Tractus areae-septales (Textfig. 23 rs) welche 


198 B. Haller: 


nach hinten jederseits je zu einer Fimbria werden (Fig. 22 violett) 
um so in diesem hintern Abschnitt zur Ammonsfalte zu gelangen. 
Die Querfaserung in der obern Kommissur enthält ausserdem das 
Psalterium. 

Von diesem Zustande an würde somit nach Eliot Smith, 
Symington und wohl auch Flower die Balkenbildung einsetzen, 
indem wie gesagt, angenommen wird, dass durch Smiths 
Kommissurenbett Pallialfasern von der Vorderkommissur in die 
ammonale Oberkommissur wandern. Diese phyletische Wanderung 
erfolgt nach Smith auf die Weise, dass die Faserbündel der 


Echidna. Querschnitt (Halbschema) durch das Grosshirn, die 

Commissura anterior treffend. Die Ammonalkommissur rot; 

Stabkranz blau; Striatum blaupunktiert; die ÖOlfactorial- 
kommissur in der Commissura anterior schwarz. 


Commissura, welche an den Seitenkammernwinkel liegen, anstatt 
nach der andern Seite durch die Vorderkommissur zu ziehen, 
medianwärts nach dorsalwärts biegen und eben auf diese Weise 
das Kommissurenbett passierend zur Oberkommissur gelangen. 
Dieser Auffassung widerspricht indessen Zuckerkandl (39), 
indem er annimmt, dass die Tatsache, wonach bei placentalen Säuge- 
tieren nach der Rückbildung „des dorsalen Ammonshorns und 
der Hippocampusfaserung der dorsale Schenkel der Commissura 
superior eine Verstärkung erfährt, offenbar auf die Massenzunahme 
der Rinde zu beziehen“ sei. Es würde sich, meint Zuckerkandl, 
nach seiner Annahme, „die Abschwächung der vordern Commissur 
bei den placentalen (macrosmatischen) Tieren leicht erklären, 
aber man sucht in den Schriften der Anhänger dieser Theorie 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 199 


(der Smithschen, Haller) vergeblich nach einer anatomischen 
Tatsache, die die Behauptung stützen könnte.“ 

Es unterscheidet Zuckerkandl drei Balkenarten, nämlich 
solche in denen die Pallialfasern überwiegen (höhern Säugetiere), 
solche mit mehr Hippocampusfasern (Aplacentalier) und solche in 
denen im vordern Teil der Commissura superior mehr die Mantel- 
fasern, im hintern mehr die Hippocampusfasern vorwiegen. 
„Diese Form ist von Bedeutung, denn sie bietet Anhaltspunkte 
dar, zu erschliessen, in welcher Weise phylogenetisch die Um- 
wandlung des dorsalen Schenkels der Commissura superior in 
den Balken sich vollzogen haben mag. Man ersieht ferner aus 
dem Vergleiche der drei Formen klar und deutlich, dass der 
Balken sich aus dem dorsalen Schenkel der Commissura superior 
entwickelt.“ 

Aus all dem geht aber unzweideutig hervor, dass Zucker- 
kandl bei der Balkenbildung dort einsetzt, wo in der Ober- 
kommissur schon Pallialfasern vorhanden sind, also 
die Monotremen und solche Marsupialier, bei denen Monotremen- 
zustände bestehen, völlig ausser Betracht lässt. Da nun aber 
diese Zustände einmal bestehen, so können die Pallialfasern in 
der Commissura superior, wo sie eben sich zeigen, entweder 
durch eine phyletische Aufwärtswanderung von dort aus, wo sie 
sich eben vorher befanden, also aus der Commissura anterior im 
Sinne Smiths erfolgt oder müssen sie an Ort und Stelle 
entstanden sein. Da sich hierüber Zuckerkandl direkt nicht 
ausspricht, — er nimmt ja gleich jenen Zustand zum Ausgang, 
in welchem die Pallialfasern in der Commissura superior schon 
vorhanden sind, — so ist wohl anzunehmen, dass er sich 
hier die Pallialfasern an Ort und Stelle entstanden denkt eben 
„durch die Massenzunahme der Rinde“. 

Dann aber steht Zuckerkandl auf dem Standpunkt der 
Nervenauswachsungs-Theorie, der in den letzten Zügen liegenden 
Neuronenlehre, denn nur mit Zuhilfenahme dieser, lässt sich das 
erste Auftreten von Pallialquerfasern in der obern Kommissur 
erklären. Allerdings hat Zuckerkandl versucht bei Parameles 
jene Fasern aus dem Grenzgebiet zwischen Ammonswindung 
und Oceipitallappen, die dann in dem Alveus gelangen zu Hilfe 
zu nehmen, — sie könnten ja dann auch bei Monotremen bestehen 
— für seine Auffassung. Es wären dann dies aber die einzigen 


200 B. Haller: 


Pallialfasern bei Beginn der Balkenbildung und musste dann die 
Mantelentfaltung vom oceipitalen Gebiete ihren Beginn 
genommen haben. 

Abgesehen nun von dem Umstand, dass sich jene Fasern 
bei den Chiropteren in vorliegender Arbeit als solche erwiesen, 
die nicht zur Kreuzung gelangen in der oberen Kommissur — 
dies hat ja übrigens Zuckerkandl gar nicht nachgewiesen, 
auch nicht versucht —, sondern palliale Cingularfasern sind, 
welche den Oceipitallappen mit dem Stirnpol des gleichseitigen 
Mantels verbinden, stünde Zuckerkandls Annahme, denn das 
wären die Konsequenzen seiner Auffassung, von der Entfaltung 
des Mantels von oceipitalwärts mit allen Tatsachen im Widerspruch. 

Es ist also zurzeit keine andere Erklärung für die Ent- 
stehung von Pallialfasern in der oberen Kommissur möglich, als 
die Smithsche. Freilich, das muss man ja Zuckerkandl 
gegenüber einräumen, jene von Smith angenommene Aufwärts- 
wanderung ist bisher weder anatomisch noch embryologisch fest- 
gestellt. Damit aber kann man der Theorie den Boden nicht 
entziehen, obgleich das letzte Wort die Ontogenese bei Vesperugo 
und vielen ursprünglichen Marsupialiern hier zu reden haben wird, 
oder möglicherweise die genaue Erforschung (histologische) 
jener Marsupialier, die bezüglich des Balkenbeginnes die ursprüng- 
lichsten Zustände aufweisen. 

Dann könnte noch ein anatomisches Verhalten gegen die 
Aufwärtswanderung ins Feld geführt werden. Wenn nämlich die 
Querfasern des Palliums in der vorderen Kommissur glatte, von 
einer Seitenhälfte zur anderen hinziehende (Querfasern wären, 
dann würde eine Aufwärtswanderung ganz unmöglich sein, denn 
vor der Commissura anterior befindet sich ja die Faserung des 
Tractus arco-septalis. Allein, dem ist nicht so, denn jene Quer- 
fasern sind nicht glatt, d.h. ohne Äste. 

Wenn im Grossen und Ganzen der Tractus eruciatus 
olfactorii bei Vesperugo auch vor der übrigen Querfaserung liegt, 
so liegt von dieser doch ein Teil oben auf. Es lässt sich nur 
an Methylenfärbungen von Horizontalschnitten der Nachweis 
erbringen, dass diese Fasern keine einfachen Querfasern sind, 
sondern dass sie Äste abgeben, die ein reiches Geflecht vor der 
Commissura anterior bilden, um dann so die andere Seitenhälfte 
zu gewinnen. Diese Faseräste fassen viele Fasern des Tractus 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 201 


areae-septalis zwischen sich. Es soll dies in einer späteren Arbeit 
ausführlicher dargestellt werden. 

Bei der Aufwärtswanderung der Pallialfasern im „Kom- 
missurenbett“ lässt sich diese Tatsache gut verwerten. Es nimmt 
dann die Wanderung der Pallialfasern ihren Weg vom oberen Rande 
der Commissura anterior an beginnend, medianwärts durch das 
Septum pellueidum hindurch, wobei lateralwärts ‚schon früher mit 
dem vorderen Stabkranz ein enger Zusammenhang bestand 
(Figg. 20, 21cr‘). Hier lateralwärtsist der Weg somit 
gut vorgezeichnet. Andererseits kommt es aber auch in 
Betracht, dass Fasern des Riechbündels bei Monotremen die 
Commissura anterior durchsetzen und diese dann später als 
Fibrae perforantes sich erhalten. 

Eine andere Frage ist es nun, ob sämtliche Pallialfasern 
aus der vorderen Kommissur hinauf in die obere gelangen und 
somit dieser phyletische Prozess bei Vesperugo, Vespertilio, 
Erinaceus und ähnlichen noch im Fortschreiten begriffen ist, oder 
nachdem dieseWanderungdenGrad desVesperugo 
etwa erreicht, innehält und die weitere Vermehrung 
der pallialen Querfaserung in der oberen Kom- 
missur durch Abspaltung von diesen Fasern aus 
erfolgt. 

Tatsache ist bloss, dass mit fortschreitender Entfaltung des 
Palliums, dort, wo eine Balkenbildung eingesetzt 
hat,') die Vermehrung der Pallialkommissurfasern im Balken 
zunimmt und damit jene in der vorderen Kommissur schritt- 
haltend abnimmt, dass sich dann bei manchen Nagern (Maus) an 
letztem Orte kaum was von ihnen erhält und in höheren phyle- 
tischen Stufen völlig fehlt. 

Ob nun dieser spätere Ausfall auf vollständige Aufwärts- 
wanderung oder Rückbildung zurückzuführen ist, dies bedarf 
noch der Beantwortung. Sicher ist es nur, dass mit der 
Differenzierung im Pallium wirkliche commissurale 
Pallialfasern in die obere Lamelle des Balkens gelangen, ferner, 


!) Dass die Balkenbildung nicht von einer allgemeinen Massen- 
entfaltung des Palliums herrühren kann, wie Zuckerkandl möchte, darauf 
habe ich schon hingewiesen (17), deutend auf den Umstand, dass bei 
Echidna eine grosse Gyrencephalie sich schon eingestellt hat, ohne Balken- 
bildung. 


202 B. Haller: 


dass sie sich dort vermehrt haben müssen, denn die Zahl der 
pallialen Kommissuralfasern und der Commissura anterior deckt 
sich nieht mit der viel grösseren im pallialen Balken. 

Es hat hier somit die Differenzierung im Pallium selbst 
begonnen und die Querfaserung ist infolge der Associationscentren 
vermehrt worden, wie ich dies schon früher annahm. 

Damit treten wir an das Pallium heran. 

Das einfachste Pallium unter den Säugetieren weist Ornitho- 
ıhynchus auf. Es ist, wie uns zuletzt Ziehen dargestellt hat 
(37, pag. 34 ff.), ein durchaus glattes, an der sich nur eine An- 
deutung einer Silvischen Furche findet, und zwar in Form 
einer seichten Mulde, die sich dorsalwärts zuspitzt. Das Pallium 
von Echidna ist vielfach gefaltet, wie denn auch das Pallium 
von Örnithorhynchus trotz seiner vollständigen Lissencephalie 
eine grössere Oberfläche aufweist wie bei vielen höheren Formen 
mit eingesetzter Balkenbildung, bei denen die Pallien die Vier- 
hügel noch freilassen, indessen sie bei den Monotremen dieselben 
verdecken. Es hat somit beiMonotremen ohne höherer 
physiologischerDifferenzierung dasPallium sich 
bedeutend vergrössert. Wir wollen diesen Zustand hier 
nicht weiter berücksichtigen. 

Der nächste Schnitt der äusserlich wahrnehmbaren Pallial- 
differenzierung ist ausser einer Vertiefung der Fossa Sylvii zu 
einer Sylvischen Spalte durch das Auftreten einer Grenzfurche 
hinter dem Frontalpol der Fissura primigenia Ziehens 
gegeben, wodurch das Stirnhirn dem übrigen Pallium gegenüber 
sich abzugrenzen beginnt. Dieser Zustand scheint selbständig 
in den verschiedenen Gruppen erreicht worden zu sein. Es zeigt 
sich am besten unter den Marsupialiern nach Ziehens Dar- 
stellung bei Parameles obesula (l. ec. pag. 110 ff.), unter den In- 
sectivoren bei Erinaceus, noch wenig bei Üentetes, doch nach 
Leche (l.c.) mehr wie bei diesem bei Microgole. Es tritt dieser 
Zustand, wie wir unter andern auch in vorliegender Arbeit sahen, 
auch unter den Chiropteren bei Vespertilio auf. Dazu aber sind 
sehr viele Übergänge da. 

Bei anderen Lissencephalen, den Glires nämlich, wäre an- 
zuführen, dass bei den meisten es noch nicht einmal zum Beginn 
einer Sylvischen Furche gelangte, bei Sciurus hierin der erste 
Schnitt geschah, und trotzdem ist bei ihnen eine höhere physio- 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 203 


logische Differenzierung des Palliums eingetreten, worauf die schon 
hohe Entfaltung des pallialen Balkens hinweist. 

Die allerersten Furchenbildungen können 
somit nicht durch höhere funktionelle Differen- 
zierung desMarktes erreichtworden sein — worauf 
auch die Zustände bei Echidna hindeuten —, sondern sind 
die Folge wohl von Raumeinschränkungen, aller- 
dingsinfolge einer Pallialvergrösserung. 

Jenen Zustand, in dem sich die Fossa Sylvii zuerst zeigt 
und die Abgrenzung des Stirnpoles beginnt, möchte ich, ohne 


Fig. 24. 
Gehirn von oben gesehen. A von Pseudochirus peregrinus (nach Ziehen), 
B von Macropus [spec.?] (nach Leuret und Gratiolet), C von Putorius 
vulgaris. Gelb = Fissura Sylvi; blau = Arcus suprasylvius prim.; rot = 
Fissura lateralis, unterbrochen = Fiss. genualis lateralis; schwarz punktiert = 
Fiss. cruciata. 


Rücksicht auf den phyletischen Stand der betreffenden Tierform 
und andere Umstände, als den ersten phyletischen Zu- 
stand bezeichnen. 

Ein weiterer Zustand äussert sich dann darin, dass ausser 
der besseren Entfaltung der Sylvischen Spalte auf der lateralen 
Seite eine Fissura postsylvia auftritt, und dass hinter der Grenz- 
furche am Frontalpol, noch eine beginnende Lateralspalta, die 
sich übrigens schon bei Parameles zeigen soll, sich einstellt 
(37, pag. 84 ff.). So bei Pseudochirus peregrinus (Textfig. 24 A) 
unter den Marsupialiern. Es stellt sich dann bei diesen ein 


204 B. Haller: 


weiterer Zustand bei Macropus ein, der sich jedoch bei ver- 
schiedenen Arten in verschiedenem Grade zu äussern scheint. 
So ist nach Leuret und Gratiolet das Grosshirn einer 
nicht näher bestimmten Art mit einer gut ausgebildeten 
Sylvischen Spalt versehen (Textfig. 24 B), die ein Arcus supra- 
sylvia überwölbt. Die laterale Furche gelangt mit der Fissur 
hinter dem Stirnpol noch nieht in Verbindung und reicht auch 
nicht weit nach hinten. Bei Macropus rufus ist nach Ziehen 
die Sylvische Furche von einer Fissura postsylvia umwölbt, 
allein eine Fissura antesylvia fehlt und es scheint, als wenn 
wenigstens auf der rechten Seite, die Lateralfurche, welche 
auch hier ohne Verbindung mit der Querspalte hinter dem Stirn- 
pol bleibt, mit ihr in Verbindung treten wollte. Dieser Zustand 
bei Macropus möge der zweite phyletische Zustand 
heissen. 

Diesen zweiten Zustand erreichen bis zu einem gewissen 
Grade die Glires selbständig, aber erst nachdem der Balken 
eine hohe Entfaltung errungen hat. 

Die Manteloberfläche ist bis auf eine kurze sagittale Furche 
bei Mus auf dem Stirnpol völlig glatt. Erst bei Lepus zeigt 
sich dann eine Längsfurche auf dem dorsalen Mantel. Diese 
hatte ich früher mit jenen oben erwähnten bei Mus als Suleus 
coronalis gleichgestellt. Ich möchte diese Furche aber lieber 
sagittale Stirnfurche nennen, da Eliot Smith etwas anderes 
mit jenem Namen belegt hat. Nach ihm heisst untere Fissura 
genualis lateralis so, wenn sie ausser Zusammenhang mit der 
Lateralfurche ist. Die Sagittalfurche fehlt bei Lepus, doch ist eine 
Lateralfurche vorhanden. Erst bei Dolichotis, wie die Unter- 
suchungen Beddards (3) festgestellt haben, zeigt sich diese 
Längsfurche entlang der ganzen dorsalen Fläche des Palliums 
bis auf den Stirnpol hin. Bei Lagopus soll nach demselben 
Forscher diese Furche, etwa in gleicher Höhe mit dem freien 
Ende der Sylvischen unterbrochen sein, so dass eine vordere 
und hintere Furche gleicher Richtung _sich bei dieser Form findet. 

Bei Dolichotis ist jedenfalls ein Zustand vorhanden, der 
sich in der starken Entfaltung einer Lateralfurche kund gibt, 
die sich bis auf das Stirnhirn erstreckt. Bei Doli- 
chotis macht diese laterale Furche vor der Sylvischen Furche 
eine nach seitwärts gerichtete Biegung und an dieser 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 205 


Stelle zeigen sich nach aussen gerichtete beginnende 
Furchenanlagen. Nehmen wir diese für eine beginnende Fissura 
genualis lateralis, so ist hier ein Beginn vorhanden, der in 
gleicherweise sich bei Musteliden einstens zeigen musste. Löst 
sich dann das vordere Stirnende der Glireslateralfurche ab, wie 
dies sich bei Lagobus einstellt, so wird der Beginn zu weiterer 
Gestaltung noch evidenter. 

Es zeigt sich bei den Glires auf der ventralen lateralen Seite 
des Gehirns, entlang der Fissura rhinalis eine Rindendifferenzierung, 
die bei der Maus noch gering und chiropterenähnlich ist, bei Sciurus 
sich weiter entfaltet und bei Lepus wohl den höchsten Grad (vielleicht 
höher bei Dolichotis und auch anderer) unter den Glires erreicht. 
Es trennt sich da, vom Stirnhirn beginnend, wie wir schon gesehen 
haben, und bis auf das Temporallappengebiet ziehend, ein Plexusteil 
in der Lateralrinde ab, wodurch zwischen ihm und der Capsula 
externa ein Ganglienzellstreifen sich sondert. Es ist dieses ein 
primäres, doch sich weit erstreckendes Claustrum, wie aus 
C. u. 0. Vogts Querschnittabbildungen am Kaninchengehirn (l. c. 
I. Teil, Taf. 56, Figg. 1—3) hervorgeht. Eine beginnende Fossa 
Sylvii wird dann bei Lagostomus und Dolichotis zur Fissura Sylvii. 

Von xenanthren Edentaten habe ich Gelegenheit ge- 
habt durch die Güte des Herrn Kollegen Göppert, dem hier 
dafür abermals mein innigster Dank gebührt, das Gehirn von 
Choloepus didactylus kennen zu lernen. Es sind bei diesem 
Choloepus Zustände am Grosshirn vorhanden, welche jene der 
Glires übertreffen. Ein wohl gleichstarker Balken (Texthig. 25 A. ce) 
wie bei den Nagern ist vorhanden, was aber diesen Edentaten 
höher als die Glires stellt, das ist eben die Furchung am Gross- 
hirn. Schon über dem Balken findet sich eine Fissura supra- 
splenialis (A. fsp), welche nicht wie Flower (11) berichtet und 
abbildet, frei am Stirnpol endet, sondern vorne bis. zur Schluss- 
platte, der Area praecommissuralis, hinunterreicht. Fast an 
gleicher Stelle, wo diese Furche vorne aufhört, mündet in die- 
selbe eine andere, von vorne nach unten und etwas hinten zu 
ziehend. Diese Furche (sg) ist die Fissura genualis interna und 
gelangt dorsalwärts, dort als Suleus interfrontalis (B. s) auf die 
laterale Mantelseite übergreifend um dann in die Rhinalfurche 
(srl) zu münden. Es wird durch die Fissura genualis interna 
und der Interfrontalfurche ein Stück Stirnhirn (stl‘) abgegrenzt, 


206 B. Haller: 


das in Anbetracht seiner Beziehung zu dem Lobus und Bulbus 
olfactorius, mit dem innern Stirnlappen der Musteliden gleich- 
gestellt werden dürfte. Ein gut Teil Stirnhirn verbleibt dann 
im übrigen grossen Pallium. An letzterem ist vorne eine Furche 


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vorhanden, die am Stirnpol einen Bogen beschreibt (mit roter, 
unterbrochener Linie) und sich dann dorsalwärts wendend (B. C) 
bis in die oceipitale Gegend zieht. Auf der rechten Seite des 
von mir beobachteten Exemplares war diese Fissur kontinuierlich, 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 207 


links unterbrochen. Es kann sich hier nur um die Lateralfurche 
handeln, die vorne einen beginnenden Kniegyrus umgrenzt (vgl. 
Textfig. 9. Nun aber zeigen sich eigenartige Zustände, denn 
ein Suleus eruciatus fehlt und findet sich parallel mit der Lateral- 
furche eine andere, die sich vorne bis auf den Stirnpol erstreckt. 
Dadurch wird der mächtige Lobus s. Gyrus lateralis, der median- 
wärts die dorsale Fläche auch einnimmt, seiner Länge nach 
halbiert. Diese innen von der Lateralfurche gelegene Furche 
kann man als eine Eigenartigkeit auffassen, wobei freilich bezüg- 
lich ihrer Genese kaum etwas feststellbar wäre. 

Anders verhält sich die laterale Palliumseite, denn hier 
findet sich der Arcus suprasylvius primarius (blau) in durchaus 
ursprüngliche Weise um eine seichte Fossa Sylvii die in zwei 
Dorsalhörner ausläuft (gelb). 

Turner hat das Gehirn eines andern xenanthren Edentaten 
des Dasypus sexeinetus beschrieben (27). Darnach endet die 
Lateralfurche am Stirnpol gegabelt ohne jene zu umsäumen, 
was eine andere weiter nach hinten sich nicht fortsetzende 
Furche besorgt. Die innere Furche ist am .dorsalen Pallialteil 
zwar vorhanden, doch nur kurz, hat eine occipitale Lage und ist 
nach auswärts zu gerichtet. Zeigt sich somit schon in der 
Furchenbildung — der Arcus fehlt — ein primärerer Zustand 
als bei Choloepus, so wird dieser noch klarer durch das Verhalten 
des Balkensystems, das keine so hohe Entfaltung wie bei 
Choloepus hat, ja kaum höher stehen dürfte wie jenes 
von Erinaceus, wie dies deutlich auch Abbildungen zweier 
Längsschnitte durch den Balken von Dasypus villosus Zucker- 
kandls (41) illustrieren. Auch ist dementsprechend die Commissura 
anterior ansehnlich. 

Die Abbildungen der Längsschnitte der Hirne von Dasypus 
novemeinctus und Bradypus tridactylus die in Zuckerkandls 
Riechhirnwerk sich finden, sind so mangelhaft, dass sie bei der 
Beurteilung der Zustände nicht in Betracht kommen können, 
denn wenngleich jene über das Dasypusgehirn einen primitiven 
Zustand vermuten lassen, behauptet der Autor „der Balken“ der 
Edentaten „erfreue sich der für die meisten Säuger typischen 
Form und relative Grösse (38, pag. 18).“ 

Die Abbildung eines sagittalgeschnittenen Gehirns von 
Dasypus setosus durch Flatau und Jacobsohn lassen dort 


208 B. Haller: 


auch keinen höhern Zustand für das Balkensystem vermuten, wie 
es Turner für die obengenannte Art angab. 

Aus all dem lässt sich aber jetzt schon feststellen, dass 
bei den xenanthren Edentaten zwei verschiedene 
phyletische Zustände bezüglich des Balkensystems 
bestehen, und bei diesen wohl aller Wahrscheinlich- 
keit nach, von niedern Zuständen die höhere, wie 
überall, in der Abteilung erreicht wurden. 

Als weitern Zustand der Palliumentfaltung können wir jenen 
der Musteliden anreihen, welche die ursprünglichste in der 
komplizierten Manteloberflächenentfaltung bei den Placentaliern 
ist, selbstverständlich von gewissen Zuständen der Glires abge- 
sehen, und den wir den dritten phyletischen Zustand 
nennen wollen. 

Dieser Zustand wurde schon im speziellen Teil dieser 
Arbeit besprochen und hier zur Wiederholung nur so viel, dass 
der Stirnlappen in einen äussern und innern Abschnitt zerlegt 
ist, wobei die Fissura cruciata nach dem übrigen Pallium zu 
eine Grenze bildet. Eine weitere Abgrenzung am Pallium erfolgt 
durch die Fissura lateralis, welche mit der Fissura supra- 
splenialis den Gyrus lateralis abgrenzt. Über der Sylvischen 
Furche wölbt sich der Arcus suprasylvius primarius. 

Diese Urfurchen finden sich nun auch bei den übrigen 
Carnivoren wieder. Die meiste Ähnlichkeit mit der Furchen- 
bildung der Sohlengänger weist das Grosshirn der Felinen auf. 
Ich verweise diesbezüglich auf Tafel V von Leuret und 
Gratiolet. Bei der Katze, von der ich nach diesen Autoren 
die Grosshirnoberfläche kopiert habe (Textfig. 26 C), ist die Lateral- 
furche in ihrer Ursprünglichkeit deutlich vorhanden und steht 
im Zusammenhange mit der Fissura genualis lateralis (rechts), 
doch kann dieser Zusammenhang auch unterbrochen sein (links). 
Der Arcus suprasylvius prim. ist deutlich ausgeprägt. Beim 
Löwen und dem Panther erhält sich die Fissura lateralis in ihrer 
Ursprünglichkeit, allein in der Gegend des Mittellappens und 
um die Sylvische Furche herum stellten sich sekundäre Zustände 
ein. Während der Arcus suprasylvius prim. sich in vollem Um- 
fange erhält, haben sich auf dem Gyrus antesylvius und postsylvius 
zwei neue Furchen gebildet. Auf ersterem zieht eine Furche 
fast parallel mit der Fissura antesylvia auf dem Opereulum weit 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 209 


nach vorne, erstere überragend. Die Furche auf dem Gyrus 
postsylvius halbiert diesen und biegt über dem dorsalen Ende 
der Sylvischen Spalte etwas bogenförmig nach dem Gyrus 


antesylvius um, ohne sich mit der sekundären Furche auf ihm 
zu verbinden. Diese beiden neuen Furchen könnte man am 


besten Fissura antesylvia secundaria und F. postsylvia 
secundaria nennen. 


Fig. 26. 
Gehirn von oben gesehen. A Mustela, B Lutra, C Katze, D Fuchs. 
Die drei letzten (nach Leuret und Gratiolet). Gelb — Fissura 
Sylvii; blau = Arcus suprasylvius prim.; rot — Fissura lateralis, unter- 
brochen F. genual. lateralis; schwarz punktiert — Fissura cruciata. 


Die Fissura genualis externa ist als Fortsetzung der 
Sylvischen Furche nach vorne und als Begrenzung des Operculum 
vorhanden, allein ihr Zusammenhang mit der F. gen. lateralis 
ist unterbrochen. 

Die beiden Furchen F. ante- und postsylvia secundaria sind 


auch bei der Katze vorhanden — wie dies auch Flatau und 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 14 


210 B. Haller: 


Jacobsohn zugeben, welche erstere Fissura ectosylvia anterior 
und letztere posterior bezeichnen — und wir können sie als be- 
zeichnendes Merkmal für die Felinen auffassen. 


Fig. 27. 


Rechte Hälfte des Gehirns von oben gesehen. A Reh; B Wild- 

schwein. Beide nach Leuret und Gratiolet. Gelb = Fissura 

Sylvi; blau = Arcus suprasylvius prim.; rot —= Fissura 

lateralis; unterbrochen — F. gen. lateralis; schwarz punktiert 
— Fissura cruciata. 


Bei den Caninen haben sich diese beiden Furchen 
ober dem Ende der Sylvischen Spalte mit einander verbunden 
(Textfig. 26 D und Textfig. 23 A), wodurch ein sekundärer 
(also zweiter) Arcus suprasylvius für sie kennzeichnend 
wird.!) Die gut erhaltene Fissura lateralis ist entweder im Zu- 


!) Die halbbogenförmige Anordnung der Furchen um die Sylvische 
Furche wurde bekanntlich durch Hutschke, Leuret und Meynert (43) als 
ein Urzustand gedeutet, denen gegenüber Ziehen die Meinung vertritt, es 
handele sich um ein relativ spätern Erwerb in diesen Bogenfurchen (34, pg. 154). 
Wie wir aber sahen, ist die Fissura postsylvia gerade nach den Unter- 
suchungen Ziehens etwas sehr altes, da schon bei Marsupialiern vorhanden 
und auch für die antesylviale Furche findet sich ein Beginn dort, und es 
kann sogar zu einem geschlossenen Bogen, dem Arcus suprasylvius primarius 
gelangen (bei einen Macropus nach Leuret und Gratiolet). 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 211 


sammenhang mit der Fissura genualis lateralis (Fuchs, Hund, 
doch nicht immer) oder ist eine Unterbrechung zwischen ihnen 
vorhanden (beim Wolf). 

Eine Anzahl sekundärer anderer Furchen zeigt sich sowohl 
bei Felinen (mehr beim Löwen als dem Panther) als auch bei 
den Caninen. 

Bei den Pinnipediern zeigen sich infolge zahlreicher 
sekundärer Furchen, dann Unterbrechungen und neuen Ver- 
bindungen zwischen den Urfurchen, so verschwommene Zustände, 
dass der ursprüngliche Zustand stark verschleiert wird. Ich 
verweise hier hauptsächlich auf eine Abbildung Flatau und 
Jacobsohns (I. c. Fig. 57), welche das Grosshirn von Phoca 
vitulina von der Seite darstellt. Es verbindet sich die Lateral- 
furche vorne mit der Fissura antesylvia prim. und das nach 
vorne zu ziehende Verbindungsstück dürfte am ehestens mit der 
Fissura genualis lateralis verglichen werden. Ausser Zusammen- 
hang mit ihr steht eine senkrechte, die die Autoren als F. 
praesylvia bezeichnen, die möglicherweise aber unsere F. genualis 
externa sein könnte. Auch die Sylvische Furche zeigt oben eine 
Gabelung, deren vorderen Ast Flatau und Jacobsohn als 
Fissura ectosylvia anterior bezeichnen. Von allen diesen 
sekundären Veränderungen, die im grossen und ganzen den 
ursprünglichen Typus doch nicht verwischen, möchte ich nur 
darauf hinweisen, dass der Stirnlappen sich in starker Konkurrenz 
mit dem Öperculum zeigt. 

Vollends bei den Cetaceen würden wir vergeblich nach 
den Urfurchen suchen, denn mit Ausnahme der Sylvischen Furche 
ist infolge einer immensen sekundären Durchfurchung der Gross- 
hirnoberfläche alles verwischt. Eine starke sekundäre Veränderung 
zeigt sich auch bei den Ungulaten, wobei die Zustände von 
Hyrax leider noch zu wenig bekannt sind. Unter den Artiodactylen 
liesse sich noch ein Vergleich wagen bei dem Reh und dem 
Schwein in Anbetracht dessen, dass die Lateralfurche bei Lutra 
unter den Carnivoren sich sicherlich aufgelöst und der Bogen- 
furche gegenüber eine gewisse noch indirekte Beziehung eingeht 
(Textfig. 26 B). Darnach hätte sich denn bei dem Schwein 
(Textfig. 27 C) die Lateralfurche aufgelöst in einen vordern und 
hintern Abschnitt, wobei der vordere die Beziehung zur Fissura 


genualis lateralis aufgab und letztere mit der Fissura cruciata 
14* 


212 B. Haller: 


sich verband. Das hintere Ende des vorderen Teiles der Lateral- 
furche verband sich mit der Fissura praesylvia. 

Bei dem Reh (A) wären dann die Zustände so zu deuten, 
dass jene Verbindung der Fissura genualis lateralis mit der 
Fissura eruciata wieder aufgegeben und eine Verbindung mit 
dem vordern Ende des vordern Teils der Lateralfurche einge- 
sangen ward, oder sich diese von Anfang an erhält. Diese scheint 
für die Carnivoren kennzeichnend zu sein, da nach Krueg (42) 
eine solche Verbindung zwischen der Fissura genualis lateralis 
(s. F. coronalis) und dem Arcus suprasylvius — bei Krueg 
Fissura suprasylvia — auch bei Dama platyceros, Uervus elaphus 
und Rangifer tarandus besteht. 

Die Verbindung des vordern Teils der Lateralfurche mit 
der Fissura praesylvia ist beim Reh eine viel innigere geworden, 
die beiden fallen zusammen. 

Bei den Equiden geht der oben gebildete Zustand noch 
weiter und ein Vergleich wird beim völlig entwickelten Gehirn 
zur Unmöglichkeit. Gut erkenntlich ist der primäre Arcus 
suprasylvius bei Elephant, sonst aber nichts mehr. 

Mit der exquisiten Stellung der Sirenia zeigt sich bei 
ihnen ein eigenartiges, jedenfalls ursprüngliches Verhalten, indem 
volle Lissencephalie besteht und ausser der ansehnlichen Sylvischen 
Spalte keine Furche sich an der Palliumoberfläche zeigt. 

Beiden Affen (Textfig. 28 B) zeigt sich ein Zustand, der bisher 
nirgends auftrat, nnd besteht in der stark Nachhintenver- 
setzung des Sulcus eruciatus, denn mit Ziehen halte 
ich Turner gegenüber daran fest, dass die Fissura coronalis der 
Carnivoren nicht der Fissura centralis der Primaten homolog ist, 
sondern, letztere ihr Homologon in der Fissura ceruciata der 
Carnivoren hat. Diese Verschiebung wird durch die hohe Ent- 
faltung des Stirnlappens bedingt. 

Gegen die Gleichstellung der Fissura cruciata mit dem 
Suleus centralis könnte man allerdings geltend machen, dass die 
Hitzigschen vier Bewegungszentren bei dem Hunde hinter der 
Kreuzfurche, in dem hinteren Schenkel des Kniegyrus nämlich, 
bei Simiern jedoch vor der Zentralfurche, in der vorderen 
Zentralwindung liegen. Darum u.a. willPantsch (44) wie auch 
Hitzig die Zentral- oder Rolandosche Furche, welche, wie 
Meynert zuerst annahm (43), als Grenze für den Stirnlappen 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 215 


nach hinten gilt, der Kreuzfurche nicht gleichstellen, und erstere 
aus anderen Gründen als eine Verschmelzung von Furchen 
auffassen. Die hohe Entfaltung am Stirnlappen!), nicht weniger 
im dorso-oceipitalen Gebiet des Mantels bringen allerdings 
sekundäres Zusammendrängen mit sich, wie denn auch in die 
Sylvische Spalte vieles hineingerät, allein darum bleibt Meynerts 
Annahme doch bestehen. 

Wenn die Zentralfurche bis zur Medianspalte reicht, so 
weist sie eben hierdurch ein ursprüngliches Verhalten auf. Dafür 


A B 


Fig. 28. 
A — Grosshirn vom Hund (Pintsch) von der Seite. B dasselbe von Semno- 
phitecus von oben. Isi = Lobus suprainsularis. Gelb — Fiss. Sylvii; blau — 
Arcus suprasylvius prim.; rot — Fiss. lateralis, punktiert — Fiss. genualis lat.; 
schwarz punktiert — Fissura ceruciata (beim Affen F. centralis). 


greift sie sowohl bei den Prosimiern als auch den Simiern weit 
lateralwärts bis oft auf das Operculum vor, doch kann sie bei 
Halbatfen öfter bloss angedeutet sein. 

Die Sylvische Furche ist überall mächtig entfaltet. Über 
ihr kann sich der primäre Arcus suprasylvius deutlich erhalten 
wie etwa bei Semnophitecus und bei Cebus nach Zuckerkandl(40). 
Der vordere Schenkel, die Fissura praesylvia nämlich, führt hier 
vielfach den Namen Sulcus infraparietalis, die Fissura postsylvia 


!) Sowohl diese als jene im dorso-oceipitalen Gebiete gegenüber dem 
viel geringeren im Inselgebiete bringen es dann mit sich, dass eine direkte 
Vergleichung der Furchen noch viel mehr erschwert wird. Ganz richtig 
bemerken hierzu Flatau und Jacobsohn (l. c. pag. 549), dass die „wenigste 
Ähnlickkeit im Verlauf ihrer Furchen die laterale Fläche des Stirn- und 
Scheitelhirns aufweisen, vom occipitalen gar nicht zu sprechen, welches in 
seiner Form ja so ausserordentlich wechselt‘. 


214 B. Haller: 


wird die Affenspalte genannt. Diese soll sich nach Cunning- 
ham (7) bei dem Menschen nur noch vorübergehend onto- 
genetisch erhalten. 

Oben mündet in den primären Bogen eine Querfurche bei 
Cebus (Fissura parieto-oceipitalis medialis bei Zuckerkand]) 
oder fehlt diese Verbindung wie bei Semnophitecus. Es kann 
aber der Arcus auch völlig aufgelöst und dann mit anderen 
Furchen in Beziehung treten, wie denn dies bei höheren Formen, 
insbesondere bei den Primaten zur Regel wird. Ein Arcus 
semieireularis kann, wenigstens teilweise, wie bei Cebus etwa, 
sich erhalten. 

Ein Kennzeichen des Affenhirns ist noch das Fehlen der 
Lateralfurche. Es erklärt sich dies am Frontalhirn aus der dort 
erfolgten kräftigen Umgestaltung. Ein Überrest müsste, wenn 
überhaupt noch vorhanden, hinter dem Sulcus centralis zu 
suchen sein. 

Auf weiteres soll hier aber nicht eingegangen werden, denn 
es war bloss meine Absicht, darauf hinzuweisen, dass die Primär- 
furchen: Fissura crueciata, lateralis, Arcus suprasylvius primarius 
und die Sylvische Furche bei allen Abteilungen der Säugetiere, 
wo nicht absolute Lissencephalie herrscht, nachweisbar sind. 
Selbst dort, wo die Gyrencephalie eben einsetzt — ich verweise 
diesbezüglich auf die Zustände bei Dolichotis nach Beddard (3) 
— sind die ersten Eindrücke vorhanden, so die Fossa Sylvii, 
eine bis weit nach vorne aufs Stirnpol sich fortsetzende Lateral- 
furche, wobei allerdings die Zentralfurche bloss durch eine Delle 
angedeutet ist. 

Es ist gewiss richtig, dass die Furchung des Grosshirn- 
mantels, polyphil, d. i. in den einzelnen Ordnungen der Säugetiere 
selbständig entstanden ist, wie dies wohl zuerst Gegenbaur (13) 
aussprach und welcher Ansicht sich auch Flatau und Jacob- 
sohn anschlossen. Diese Ansicht teile ich auch, doch dürfen 
wir dabei freilich nie vergessen, dass ja im gewissen Sinne alle 
Organe der Säugetiere einen ähnlichen Weg einhalten mussten, 
insofern, als die einzelnen Abteilungen sich als Äste eines 
Stammes zeigen. 

Ich habe im speziellen Teil dieser Arbeit darauf hinge- 
wiesen, dass die Furchenbildung bei Marsupialiern, Chiropteren 
und Insectivoren in der Abteilung selbst sich abspielte. Insofern 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 215 


schliesse ich mich somit dieser Annahme an, allein, bemerken 
möchte ich dazu nach meinen bisherigen Ausführungen, dass 
die Furchung des Palliums bis zu einem gewissen 
Grade aus gleichen Gründen erfolgen musste, 
sonst wäre das Vorhandensein der Urfurchen unerklärlich, und 
erst von einem gewissen Stadium intensiverer 
Ausdehnung des Palliums an die eigenartige 
Entfaltung — durch Bildung neuer Furchen, durch Unter- 
brechung von Urfurchen, - durch Entwicklung von sekundären 
Furchen zu Hauptfurchen, wie Ziehen dies uns zuerst klar 


Fig. 29. 
Schema der Mantelgebiete am Grosshirn eines Säugetiers. 
Das Stirngebiet quer-, das Inselgebiet längsschraffiert; 
punktiert das dorso-oceipitale Gebiet; das Riechhirn unten 
mit unterbrochener Linie; Fs = Fissura Sylvii. 


gemacht hat (17,18, 19) — in den Abteilungen beginnt. 
Mit anderen Worten: Die Furchen an dem Grosshirn- 
pallium entwickeln sich bis zu einem gewissen 
(Urfurchen) Grade nach demselben Schema. 

Es geschieht dies, weil an dem ursprünglich glatten Hirn- 
mantel drei, wohl auch physiologisch einigermaßen begrenzte 
Gebiete sich entfalten. Das erste Gebiet ist am Stirnpol das 
Stirngebiet (Textfig. 29). Es reicht dorsalwärts nicht weit 
ursprünglich (Marsupialier, Chiropteren, Insectivoren) und wird 
dem nächstfolgenden Gebiet gegenüber durch eine oft sehr geringe 
Grenzmarke abgegrenzt, die sich jedoch zur Kreuzfurche gestaltet 


216 B. Haller: 


in höheren Stadien. Es umfasst das Stirngebiet den ganzen 
Mantel, vorn von der Fissura rhinalis bis zur Medianspalte. 
Dadurch unterscheidet es sich von dem nächstfolgenden Gebiet, 
welches nur die untere Grenze mit ihm gemeinsam hat, die 
Medianspalte aber nicht erreicht. Es ist dieses Gebiet das 
Inselgebiet. Es zeigt sich bereits bei völliger Lissencephalie, 
ohne Fossa und Fissura Sylvii. lateralwärts hinter dem Stirn- 
gebiet (Textfig. 1C) in der Rinde in bestimmter Weise, wie dies 
im speziellen Teil bei den Chiropteren erörtert wurde. Durch die 
dem übrigen Pallium entsprechende Vergrösserung dieses Gebietes, 
das ja mit der höheren Forderung als spezielles Associationsgebiet 
sich gleichfalls vergrössern musste, musste es hier naturgemäss 
zu einer Einfaltung gelangen, wodurch es zur Bildung der Fossa 
und Fissura Sylvii und an ihrem Mündungsteil zur Rhinalfurche 
gelangte. Es verschwand so dies Gebiet in die Tiefe, aber erst 
später als Insula. Es deckt sich der Begriff der Insel (makro- 
skopisch) nicht völlig mit dem histologischen Begriff des Insel- 
gebietes, denn die Insel ist ursprünglich — wie wir sahen, sogar 
bei den Carnivoren — nur ein Teil davon. In späteren phyletischen 
Stadien aber, wenn an dem Randgebiet der Fissura Sylvii höhere 
Entfaltung von Stirn- und Temporallappen beginnt, gelangt 
das ganze Inselgebiet in die Fossa Sylvi. Was da an Umfang 
verloren geht, wird durch Faltungen an der Insula Reilii ersetzt. 
Dabei zeigt sich eine hohe Differenzierung im Pallium des Insel- 
gebietes. Es ist wohl anzunehmen, wie dies schon weiter oben 
erörtert wurde, dass das Inselgebiet ein grosses Associationszentrum 
in sich fasst. 

Das dritte Gebiet des Palliums umfasst alles, was nun 
übrig geblieben, den ganzen dorsalen Teil über dem Inselgebiet, 
sowie den ganzen oceipitaltemporalen Lappen. Am besten könnte 
es dorso-occipitales Gebiet bezeichnet werden. 

Ganz schematisch lässt sich ja meine Einteilung freilich 
nicht nehmen, da ja das vermeintliche Associationsgebiet, gekenn- 
zeichne durch die Capsula lateralis, Claustrum und nach innen 
begrenzt durch die Capsula externa, bei den Carnivoren lateral- 
wärts weit in die beiden anderen Gebiete eingreift, wie denn auch 
die Sylvische Furche weiter oben aus dem Inselgebiete rückt. 
Auch bezeichnet der Sulcus lateralis nicht ganz genau die 
laterale Grenze. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 217 


Mit dem Versinken des Inselgebietes berühren sich dann 
als Ränder der Sylvischsn Furche Frontal- und Dorso-oceipital- 
gebiet. Je höher aber die physiologische Differenzierung des 
Palliums gelangt, um so mehr greifen diese zwei letzten Gebiete 
an ihren Grenzen ineinander. 

Wollen wir nun diese drei Gebiete nach ihrem physiolo- 
gischen Werte schätzen, so wäre dem Stirnhirn das Bewusstsein 
und die höheren Fähigkeiten — worauf ja auch die Entfaltung 
des Sprachgebietes in ihm (an Stelle des früheren Operculums) 
hinweist u. v. a., eigen. Der obere Teil des dorso-oceipitalen 
Gebietes umfasst motorische und sensorische Centren, im hinteren 
Gebiet gelangt Seh- und Hörvermögen zu höherer Entfaltung. 

Dabei sind durch die immerwährende Vergrösserung des 
gesamten Palliums, hauptsächlich aber des Stirn- und Temporal- 
lappens, wie dies zuerst Meynert ausdrücklich betonte (43), 
eine grosse Anzahl sekundärer, ja tertiärer Faltungen und in 
direktem Zusammenhang damit Fissurbildungen entstanden. 
Früher oberflächlicheres wurde in den Windungen tiefer verlegt, 
wodurch eben die Tiefspalten als ursprünglichere Bildungen von 
der Oberfläche schwinden mussten. 


Literaturverzeichnis. 


1. Arnbäck-Christie-Linde, A.: Zur Anatomie des Gehirns niederer 

Säugetiere. Anat. Anz., Bd. XVIII. 1900. 

Beddard, F. E.: Some Notes upon the brain and other structures of 

Centetes. Novitates zoologiae, Vol. VIII. 1901. 

3. Derselbe: Notes on the Anatomy of Dolichotis patagonica. Proc. Zool. 
Soc. 1891. 

4. Burdach: Vom Bau und Leben des Gehirns. Leipzig 1822. 

5. Clark: The comparative Anatomy of the insula. Journ. of Neurology, 
Vol. VI. 1896. 

6. Ramön yCajal, S.: Studien ü. d. Hirnrinde des Menschen. 2, Heft. 
Leipzig 1900. (Übersetzt v. J. Bresler.) 


uw 


B. Haller: 


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32. 


383. 


34. 
35. 


36. 


I. 


38. 
39. 


40. 


41. 


42, 


43. 


44. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 219 


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Tafelerklärung. 


Allgemeine Bezeichnungen. 


= 7 a Bündel der Commissura anterior. 
ca — basales J 

ce. = externa 

el. — lateralis } Deponie. 

tbs. = .Tractus cruciatus olfactorü. 

b.of. == Bulbus olfactorius. 

f. oc.s. = Funiculus cortico olfactorius superius. 

f.oc.i. — Funiculus cortico olfactorius inferius. 

TS. — Fasciculus areae-septalis (Riechbündel). 

t.bipr. — Tractus lobi olfactorii. 

ga. = Ganglion areae olfactoriae (Tuberculum olfactorium). 


spt. — Septum pellucidum. 


220 B. Haller: 


str. — Striatum (Nucleus caudatus). 

ghy.. = Ganglion hypothalamicum. 

gm. — Ganglion mammillare. 

g.ip. = Ganglion interpedunculare. 

bvhb. — basales Vorderhirnbündel. 

C: — dessen innerer Abschnitt mit seiner Kreuzung der 
e' — Commissura postoplica. 

ga. — Gyrus ammonis. | 

fd. — Fascia dentata. 

fed. — Funiculus fasciae dentatae. 

al. — Alveolarfaserung. 

PS. — Psalterium. 

Fi. — Fimbria. 

er. — Corona radiata. 

cc. — Corpus callosum s. pallialer Balken. 
Chr — Corpus fornieis. 

bK. — Balkenknie (Splenium). 

cm. — cingulares Fasersystem. 

szi.sze. — Stratum zonale externe et interne. 
stl. — Stirnlappen. 

gf. — Querfurche zwischen diesen und dem hinteren Pallium (sl). 
ol. — Oeceipitallappen. 

Ik. — Linsenkern. 

ph. — Pyramidenbahn. 

ela. — Claustrum. 

f.st. = Funiculus striati (s. Stria terminalis). 
zi. — Zona intermedia thalami. 

nlt. — Nucleus lateralis thalami. 

f.th.1. — Funieulus thalamo-corticalis. 

op. — Öperculum. 

Fs. — Fissura Sylvi. 

Ex — Suleus interfrontalis. 

s' — Fissura genualis externa. 

5’ — Fissura antesylvia. 

s® — Fissura postsylvia. 


Tafel V. 
Vespertilio murinus. 


Schnitte Weigertscher Präparate von derselben horizontalen, doch 
etwas frontalwärts nach unten geneigter Schnittserie über die rechte Gross- 
hirnhemisphäre (s. die Schnittrichtung auf Textfig.1, 0). 


Fig. 1. Dorsaler Schnitt ober dem Striatum. Vergr. ?/» Reichert. 

Fig. 2. Etwas tiefer bereits das Striatum treffend. Vergr. dieselbe. 

Fig. 3. Noch tiefer, die ganze Ammonsfalte seiner Länge nach dorsalst 
treffend. Vergr. dieselbe. 


Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 221 


Fig. 4. Dieser Schnitt liegt viel tiefer wie der vorige und geht durch das 
Balkenknie. Vergr. dieselbe. 

Fig. 5. Einige Schnitte tiefer, das Septum pellucidum treffend. Vergr. 
dieselbe. 

Fig. 6. Stück eines Querschnittes durch den kaudalen Teil der Ammonsfalte, 
etwas tiefer als der obige Schnitt. Vergr. */2 Reichert. 

Fig. 7. Schnitt durch das Septum pellucidum vom vorigen Präparat. Vergr. 
dieselbe. 


Tafel VI. 


Vespertilio murinus, Fortsetzung derselben Serie. 
Fig. 8. Viel tiefer als der Schnitt auf Fig. 7, doch noch das Septum 


pellucidum treffend. Die Fimbria violett, der Funiculus thalamo- 
prosencephalicus (f”) rot, ebenso der Funiculus striati s. Stria ter- 
minalis. Vergr. ?/’» Reichert. 

Fig. 9. Dieser Schnitt ist durch die dorsale Hälfte der Commissura anterior 
geführt. Vergr. dieselbe. 

Fig. 10. Schnitt: folgt auf den auf der vorigen Figur und ist durch die untere 
Hälfte der Commissura anterior geführt. Fimbria, sowie die vor 
der Columna fornieis (cf) sich in das Basalhirn versenkenden Psal- 
teriumfasern, wie vorher violett, der Funiculus striati rot. Vergr. 
dieselbe. 

Fig. 11. Ist unterhalb der Commissura anterior geführt, die Ganglia areae 
olfactoriae ant. (gao) treffend. Vergr. dieselbe. 

Fig. 12. Dieses Stück ist von einem Horizontalschnitte, der zwei Schnitte 
tiefer wie jener auf Fig.10 liegt, also auch höher als Fig. 13. 
Vergr. */a Reichert. 

Fig.13. Gleichfalls bloss ein Stück aus einem Horizontalschnitt, deren 
Schnittrichtung durch die Ganglia hypothalamica lateralia (ghy‘) 
führt und der ;ober jenem auf Fig. 10 gelegen ist. Vergr. dieselbe. 


Tafel VII. 


Alle Schnitte, mit Ausnahme von ’Fig. 14 B, rühren von derselben 
Sagittalserie über das Grosshirn von Erinaceus europaeus her. 


Fig. 14. Medianer Sagittalschnitt entlang des Balkens A von Erinaceus, 
Bvon Vespertilio murinus. Vergr. ?/» Reichert. 

Fig. 15. Dieser Schnitt liegt lateralwärts von dem vorigen, das ammonale 
Cingulum cm treffend. Vergr. dieselbe. 

Fig. 16. Liegt mehrere Schnitte weiter lateralwärts von dem vorigen. 

Fig.17. Ein Stück von einem Schnitte, der bald auf der der vorhergehenden 
Figur folgt. Vergr. */» Reichert. 

Fig. 18. Aus einem Schnitt weiter von dem auf der vorigen Figur. fst. = 
Funiculus striati. Vergr. dieselbe. 

Fig.19. Ein Stück aus einem Schnitte, das weiter lateralwärts von dem der 
vorhergehenden Figur liegt und den Bulbus olfactorius (bof) getroffen 
hat. Vergr. dieselbe. 


222 


Fig. 20. 


Fig. 21. 


Fig. 22. 


Fig. 23. 
Fig. 24. 


Fig. 25. 


B. Haller: Phylogenese des Grosshirns der Säugetiere. 


Tafel VIII. 


Dieser sagittale Schnitt gehört noch zu der Serie auf Tafel III von 
Erinaceus. Der Schnitt führt lateralst seitwärts vom Bulbus 
olfactorius. Vergr. ?/2 Reichert. 

In gleicher Sagittalebene geführter Schnitt durch das Grosshirn von 
Vespertilio murinus. Vergr. dieselbe. 

Echidna. Zwei Horizontalschnitte durch das Grosshirn über- 
einander gezeichnet. Es führt der untere Schnitt durch die Com- 
missura anterior, wobei der Tractus cruciatus olfactorii schwarz; 
der Pallialanteil der Comm. ant., sowie die Corona radiata blau und 
die ammonale Commissura superior rot eingetragen sind. 
Putorius putorius. Horinzontalschnitt durch die rechte 
Grosshirnhemisphäre. Starke Lupenvergrösserung. 

Putorius putorius. Ebenso, doch tiefer ventralwärts. Vergr. 
ebenso. 

Putorios putorius. Ebenso, doch über den Pallialbalken ce. 
Vergr. ebenso. 


DD 
186) 
(38) 


Aus dem Zoologischen Institut München. 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den 
Daphniden. 


Von Alexander Jssaköwitsch. 


Mit 12 Tabellen. 


Einleitung. 

In den berühmten Beiträgen zur Naturgeschichte der 
Daphnoiden begründete A. Weismann (1) die Lehre von der 
cyklischen Fortpflanzung dieser Tiere. Er glaubte nachgewiesen 
zu haben, dass die Veränderung der äusseren Lebensbedingungen 
keinen modifizierenden Einfluss auf die Fortpflanzungsart der 
Daphnoiden ausüben könne. Unter cyklischer Fortpflanzung ver- 
stand Weismann eine Art Heterogonie — es werde die 
parthenogenetische Fortpflanzung (durch Sommereier) nach einer 
bestimmten Zahl parthenogenetischer Generationen von der ge- 
schlechtlichen Fortpflanzung (durch Dauereier) abgelöst. Die 
Zahl der zwischen zwei Geschlechtsperioden gelegenen partheno- 
genetischen Generationen sei eine für jede Art eigentümliche — 
sie sei um so kleiner, je häufiger die Kolonien der betreffenden 
Art von Vernichtungsperioden heimgesucht werden, um so grösser, 
je seltener Vernichtungsperioden eintreten. Solche Arten, welchen 
regelmässig nur einmal im Jahre die Existenzbedingungen (durch 
die Winterkälte) entzogen werden, haben den längsten Cyklus; 
Arten, welche sehr häufig der Vernichtung (durch Austrocknen, 
Kälte etc.) ausgesetzt sind, haben einen sehr kurzen Cyklus. Im 
ersten Fall kann sich nur ein Cyklus im Jahr abspielen, im 
letzteren deren zwei oder mehrere. Daher unterscheidet Weis- 
mann mono- und polycyklische Arten. Diese Verschiedenheiten 
in der Form der Fortpflanzung, in der Aufeinanderfolge der 
Generationen, sind also im Anschluss an die äussern Existenzbe- 
dingungen, im Kampf ums Dasein, entstanden, jedoch allmählich 
zu festen Einrichtungen geworden, die unabhängig von den 
äussern Lebensbedingungen sind. 

Diese Lehre A. Weismanns bedeutete für viele Zoologen 
die endgültige Lösung der Fortpflanzungsfrage bei den Daphnoiden. 
Wie konnte es auch anders sein? Brachten doch alle Anhänger 


224 Alexander Jssaköwitsch: 


der Ansicht, dass das Abwechseln der Perioden der partheno- 
genetischen und geschlechtlichen Fortpflanzung durch äussere 
Lebensbedingung bewirkt wird, viel mehr theoretischer Erwägungen 
als exakte Beobachtungen. Weismann würdigte die betreffenden 
Arbeiten von Herbert Spencer, Kurz (2) und Schmanke- 
witsch (3) eingehender Besprechung und wies die Unzulänglich- 
keit ihrer Beweisführung mit Deutlichkeit nach. 

Auf andern Gebieten zeitigte dagegen der Gedanke, dass 
die äussern Existenzbedingungen geschlechtsbestimmend wirken, 
wichtige Resultate. 

An kryptogamen Pflanzen wurden Beobachtungen gewonnen, 
die von hohem Interesse sind. Ich will sie nur in Kürze er- 
wähnen, da sie ausführlich in den Arbeiten von Oskar Schultze (6) 
(„Zur Frage von den geschlechtsbestimmenden Ursachen“), 
Cuenot (7) (Sur la determination du sexe chez les animaux), 
Lenhossek (20) (Das Problem der geschlechtsbestimmenden 
Ursachen) etc. besprochen werden. 

K. Prantl zeigte, dass die Prothallien von Osmunda regalis 
und Ceratopteris thalietroides auf stickstofffreier Nährlösung 
kultiviert nur männliche Geschlechtsprodukte entwickelten; die 
Bildung weiblicher Geschlechtsprodukte trat aber sofort nach 
Zusatz von Ammoniak zur Nährlösung auf. Auch dichte Aussaat, 
die einer schlechteren Ernährung der entstehenden Pflanzen ent- 
spricht, veranlasst bei Osmunda das Überwiegen der die männ- 
lichen Geschlechtsprodukte entwickelnden Vorkeime. 

C. Klebs stellte fest, dass durch ungenügenden Lichtzutritt 
bei Farnprothallien das weibliche Organ mit Sicherheit unter- 
drückt werden kann — sodass aus zwittrigen Pflanzen rein 
männliche werden. Dasselbe Resultat erzielte er an der Alge 
Vaucheria repens durch Aufzucht in verdünnter Luft. 

Buchtien fand, dass bei dichter Aussaat der Sporen von 
Equisetum die männlichen Prothallien in stark überwiegender 
Mehrzahl auftraten; bei dünner Aussaat die weiblichen dagegen 
die gleiche Zahl mit den männlichen aufwiesen. 

Auf Sand oder Wasser ausgesäte Sporen entwickelten sich 
entweder garnicht oder nur zu männlichen Prothallien. 

Equisetum pratense erzeugte auf gutem Nährboden weib- 
liche Geschlechtsprodukte, auf magern Sand verpflanzt — nur 
noch männlıche. 


[SS} 
DD 
a 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 


Auch unter den Phanerogamen kennen wir ein Beispiel, an 
dem die geschlechtsbestimmende Wirkung äusserer Existenzbe- 
dingungen sehr deutlich vor Augen geführt werden kann, — 
die monocotyle Maispflanze. K. Müller und Cugini haben 
beobachtet, dass bei Dichtsaat die kolbenartigen weiblichen 
Blütenstände unentwickelt bleiben: pflanzt man aber Maiskörner 
an sonnigen Plätzen einzeln und sorgt für reichliche Ernährung, 
so entwickeln sich die weiblichen Blütenstände sehr schön. 

Für niedere Tiere glaubten Nussbaum (8) und Maupas ganz 
unzweideutige Resultate erzielt zu haben. Nussbaum kam zum 
Ergebnis, dass bei dem Hermaphroditen Süsswasserpolypen Hydra 
die Ernährung geschlechtsbestimmend wirke, indem bei reich- 
lichem Futter rein weibliche, bei ärmlichem Futter rein männ- 
liche Individuen entstehen. Er beobachtete, dass entsprechend dem 
(Grade der Ernährung derselbe Polyp Eier oder Hoden erzeugte. 

Diesen Resultaten schliessen sich die an Hydatina senta 
(Rädertier) von Maupas (10, 11, 12) und Nussbaum (9) erzielten 
aufs engste an. 

Maupas fand, dass in Wärmekulturen 85—95°/o der Weibchen 
Eier legten, die sich zu Männchen entwickelten, während in 
Kältekulturen die grosse Mehrzahl der Weibchen (76-88 °/o) 
Eier legte, aus denen sich weibliche Tiere entwickelten. Er schrieb 
daher der Temperatur einen geschlechtsbestimmenden Einfluss zu. 

Nussbaum, der die Untersuchungen Maupas wiederholte 
und seine Angaben prüfte, fand, dass es sich dabei nicht um die 
Einwirkung der Temperatur, sondern um die Einwirkung der 
Ernährung handelte. Er zeigte, dass, „wenn bei hoher Temperatur 
nur wenige Weibchen in den kleinen Aquarien gezüchtet werden, 
nie Männchen auftreten; dass aber, sobald infolge der hohen 
Temperatur die Zahl der Weibchen sich schnell vermehrt — 
Hunger eintritt und mit ihm die Männchen erscheinen“. 

Lenssen hat die Nussbaumschen Resultate bestätigt. 

Alle diese an Pflanzen und Tieren gewonnenen Tatsachen 
sind geeignet die Lehre Weismanns von der cyklischen Fort- 
pflanzung der Daphnoiden etwas zweifelhaft erscheinen zu lassen. 
Die in den Jahren 1892 und 1895 erschienenen Arbeiten von de 
Kerherve (4,5) „De l’apparition provoqu6e des ephippies chez les 
Daphnies“ und „De l’apparition provoquce des males chez les 


Daphnies“ brachten einige Beobachtungen über die Einwirkung 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 15 


226 Alexander Jssaköwitsch: 


verschiedener Ernährung auf die Fortpflanzungsweise der Daphnia 
magna. De Kerherve fand, dass durch reichliche Ernährung 
die parthenogenetische Fortpflanzung der Daphnia magna unend- 
lich lang hinausgezogen werden kann, während durch mangelhafte 
Ernährung man das Auftreten von Ephippien und Männchen her- 
beizuführen imstande sei. Doch kann man sich beim Durchlesen 
der genannten zwei Arbeiten des Eindruckes nicht erwehren, 
dass die Beobachtungen sehr flüchtig und ohne die nötige Sorg- 
falt und Genauigkeit gemacht wurden. Die angeführten Versuche 
lassen vieles an Deutlichkeit zu wünschen übrig und sind beinahe 
ausschliesslich an grossen Massen von Tieren ausgeführt worden, 
wobei die Sterblichkeit und die Regulierung der Ernährung kaum 
genau kontrolliert werden konnten. Immerhin trugen auch diese 
Untersuchungen bei, die Ansichten Weismanns noch zweifel- 
hafter erscheinen zu lassen. 

Die von mir auf Anregung von Herrn Professor R. Hertwig 
im Sommersemester 1904 begonnenen Untersuchungen hatten 
nun das Ziel, durch möglichst genaue Kulturführung einerseits 
tiefer in die Frage nach den geschlechtsbestimmenden Ursachen 
bei den Daphnien einzudringen, andererseits die Ansichten 
Weismanns über die cyklische Fortpflanzung zu prüfen. Es 
galt die Lebensbedingungen der Tiere auf verschiedene Weise 
zu verändern und die Resultate untereinander zu vergleichen. 
Die Versuche stellte ich an isolierten einzelnen Tieren an, die 
ich auch von ihrer Nachkommenschaft trennte: dieses Vorgehen 
erhöht die Schwierigkeit der Kulturführung, hat aber den grossen 
Vorteil für sich, dass es ein vollkommeneres Überwachen und mög- 
lichste Würdigung aller Vorgänge an jedem einzelnen Individuum 
gestattet. Im folgenden will ich nun über die Ergebnisse, welche ich 
1. durch das Studium der Temperatureinwirkungen bei gleichen 
Ernährungsbedingungen und 
durch das Beobachten der Einwirkung verschiedentlicher Er- 
nährungsbedingungen bei gleicher Temperatur erzielt habe. 
berichten. 


1) 


Experimenteller Teil. 
Für meine Versuche dienten mir Simocephalus vetulus 
OÖ. F. Müller und Daphnia magna Straus; zuerst werde ich 
die am ersten Tier erzielten Resultate besprechen, worauf die 
auf den ersten Blick sonderbaren Erscheinungen, welche ich bei 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 227 
den Kulturen von Daphnia magna kennen lernte, leichter ver- 
ständlich sein werden. Simocephalus vetulus fand ich in den 
ersten Tagen des Februars 1905 in grosser Anzahl in einem die 
Zeit vorher täglich kontrollierten Zuchtglas des Instituts. Die 
Tiere waren in dem Gefäss, das Schlamm enthielt, neu aufge- 
treten, somit aus den Dauereiern hervorgegangen. Mit diesen 
Tieren stellte ich nun Versuche an, die mir über die Wirkung 
der Temperatur und Ernährung klare Auskunft gaben. 
Wirkung der Temperatur. 
Die Kulturen führte ich bei drei verschiedenen Temperaturen: 
a) Wärmekultur b) Zimmerkultur c) Kältekultur 
DAN 100. 8160. 
a) Wärmekulturen. 

In einem 1 m langen, !/s m breiten und 20 cm hohen mit 
Wasser gefüllten Zinkgefäss wurde ein Drahtnetz angebracht, 
in dessen Maschen ich zahlreiche 200 cem fassende Becher- 
gläser so einhängte, dass sie nur mit dem obern Rand 
über Wasser waren. Das Wasser im Zinkgefäss wurde durch 
Gasflammen von unten erwärmt und die Temperatur durch 
einen Quecksilbertermoregulator auf 24° C fixiert. In zwei 
Gläser wurde je eine Handvoll Schlamm und pflanzlichen Detritus 
gebracht, mit Wasser bis zu °/ı der Höhe des Glases übergossen 
und ein kleiner Zweig von frischer Elodea densa hineingeworfen. 
In beide Gläser wurde je ein parthenogenetisches Simocephalus 
Weibchen hineingegeben. Die von diesen Weibchen abstammenden 
Jungen wurden sofort in neuen ebenso hergerichteten Gläsern 
vom Muttertier isoliert. Ihre Nachkommenschaft wiederum ge- 
trennt erzogen usw. Die von dem einen Muttertier abstammende 
Zucht will ich mit „Wärmekultur A“, die vom andern Muttertier 
ihren Ursprung nehmende mit „Wärmekultur B* bezeichnen. 


Wärmekultur A 
ergab vom 6. Februar bis zum 15. April sechs parthenogenetische 
(Generationen mit 75 Würfen — ungefähr 500 Individuen. Alle 
Tiere waren parthenogenetische Weibchen! Die Kultur ist am 
27. Mai ausgestorben. Die Zahl der Individuen hatte sich seit 
dem 15. April bis zum 27. Mai beinahe verdoppelt — doch waren 
es immer und immer wieder nur parthenogenetische Weibchen, 


die geboren wurden, kein einziges Männchen. Schliesslich hatte 
15* 


228 Alexander Jssaköwitsch: 


die Kultur einen Punkt erreicht, wo ihre Fortpflanzungsfähigkeit 
zu erschlafien begann: Die Weibchen bildeten jetzt seltener Eier 
oder es waren letztere entwicklungsunfähig und zerfielen im 
Brutraum des Muttertieres. Nach längerer Unfruchtbarkeit 
starben die senilen Weibchen eines natürlichen Todes. Tabelle I 
‚gibt den Stammbaum dieser Kultur, wie er am 15. April aussah, 
wieder. Für alle Tabellen gelten die folgenden Zeichen: !) 


Weibechetft spa SR AN EIIET AO ae 
Männchen. Zilerkane‘ Zar DirAu®, 
Kinyleeres /Ephippiumn '.. 10... 3,,3115/ sr 


Ein 1 Dauerei enthaltendes Ephippium MD 


Wie man aus der Tabelle ersehen kann, zog ich nach der 
vierten Generation nicht alle Würfe weiter. Es würde eine nicht 
zu bewältigende Menge von Kulturgläsern ergeben haben. Es 
gab auch so Tage, wo ich 60 bis 70 Gläser kontrollieren musste. 


Wärmekultur B 


lieferte vom 6. Februar bis zum 15. April auch sechs Generationen 
mit 85 Würfen — ebenfalls rund 500 Tiere. Die grosse 
Mehrzahl der Tiere waren parthenogenetische Weibchen, doch 
traten in geringer Zahl hie und da auch Männchen und Weibchen 
mit befruchtungsbedürftigen Dauereiern auf. Je länger die Tiere 
der Temperatur von 24°C ausgesetzt waren, desto deutlicher 
trat die Tendenz zutage zur reinen Parthenogenesis überzugehen 
— in 80°) der beobachteten Fälle ist dieser Übergang tatsäch- 
lich konstatiert worden und ich glaube die Überzeugung aus- 
sprechen zu dürfen, dass bei einer noch längeren Fortführung 
der Kultur man diesen Übergang in jedem einzelnen Falle würde 
haben nachweisen können. Am 30. Mai habe ich diese Kultur, 
da sie nichts neues mehr zu bieten vermochte, abgeschlossen. 

Tabelle II soll das Bild der Kultur, wie es am 15. April 
aussah, vor Augen führen. Der grösseren Übersichtlichkeit wegen 
löste ich die Tabelle II in drei Teile auf. 


') Die Zeichen bedeuten jedes nicht ein einzelnes Tier, sondern einen 
ganzen Wurf. Gemischte Würfe werden mit Rücksicht auf das Verhältnis 
in dem die Geschlechter darin vertreten sind, wie folgt bezeichnet: 

% (ebensoviel Männchen wie Weibchen) 
\ 


Q, 


(mehr Weibchen als Männchen) 
(mehr Männchen als Weibchen). 


O4 40 40 


>E 
>=? 


229 


Muttertier 


1. Generat. 


2. Generat. 


3. Generat. 


4. Generat. 


5. Generat. 


6. Generat. 


Muttertieı. 


1. Generat. 


Dre Nachkommenschaft 


von diesen 9 siehe ladelle 
N2c< 


Ga 
> 
ur 
> —= 
? 


2.Generat. 
N 


3. Generat. 


4. Generat. 


!1.Generat. 


2. Generat. 


3. Generat. 


4. Generat 


5. Generat. 


6. Generat. 


5. Generat. 


6. Generat. 


Muttertier. |. 


1. Generat, 


2 Generat. 


. Generat. 


. Generat. | 


. Generat. | 


. Generat. || 


230 Alexander Jssaköwitsch: 


Tabelle IIc (Wärmekultur B). 


b. Zimmerkulturen. 
Bei 16° C. führte ich zwei Kulturen, deren jede von je einem 
parthenogenetischen Weibchen ihren Ursprung nahm. 
Die erste (Zimmerkultur A) ergab vom 6. Februar bis zum 
15. April zwei Generationen mit 13 Würfen, etwa 100 Tiere. 
Der erste Wurf des Ausgangsweibchens bestand aus Weibchen, 
worauf fünfmal nur Männchen geboren wurden. Im siebenten Wurf 
wurden parthenogenetische Weibchen abgesetzt. Darauf folgten 
wieder zwei Würfe nur männlicher Tiere. Die sechs Weibchen 
des ersten Wurfes bildeten Dauereier und Ephippien, die im 
siebenten Wurf abgesetzten parthenogenetischen Weibchen gebaren 
im ersten Wurf mehr Männchen als Weibchen, im zweiten und 
dritten Wurf nur Männchen. Die Kultur ist aus Mangel an 
Weibchen ausgestorben. 
Tabelle III (Zimmerkultur A). 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 231 


Die Zimmerkultur B lieferte vom 6. Februar bis zum 15. April 
drei Generationen mit 31 Würfen etwa 250 Tiere. Sie verhielten 
sich dem Geschlecht nach ähnlich wie in der eben beschriebenen 
Kultur — doch war zwischen die rein weiblichen und rein männ- 
lichen Würfe ein gemischter Wurf vermittelnd eingeschaltet. 
Zum Schluss bildete das Muttertier ein Dauerei. Die Weibchen 
der zwei ersten Würfe der ersten Generation bildeten, wie in der 
Zimmerkultur A, Dauereier und Ephippien, warfen aber ihre 
Ephippien, weil die Tiere von Männchen isoliert und unbefruchtet 
waren, in beiden Fällen leer ab. Der erste Wurf nach ab- 
gestreiftem leerem Ephippium bestand immer nur aus partheno- 
genetischen Weibchen, der zweite war entweder rein männlich 
(selten wenigstens zur Mehrzahl männlich), oder bestand wiederum 
aus einem Ephippium. Nach Abwurf des letzteren wieder- 
holte sich der beschriebene Vorgang: der erste Wurf war rein 
weiblich, der zweite männlichen Charakters oder wieder ein 
Ephippium usw. Diese Kultur ist ebenfalls aus Mangel an 
Weibchen erloschen. 


Tabelle IV (Zimmerkultur B. 


Muttertier. 


1. Generat. 


2. Generät. 


u KA Eis ] 3. Generat. 


c. Kältekulturen. 


Diese Kulturen waren immer kurz, daher wurden sie oft 
wiederholt; sie hatten eine noch stärkere Tendenz zur Bildung 
von Geschlechtstieren als die Zimmerkulturen. Es traten meist 
schon im ersten Wurf Männchen auf und bald starb aus Mangel 
an Weibchen die Kultur aus. Manchmal bildeten die Tiere, in 
die Kälte gebracht, sofort Ephippien. Nach Abwurf derselben 
bestand der erste Wurf, wenn das Tier vorher unbefruchtet war, 
aus Weibchen. War dagegen das Tier vorher befruchtet und 
das Dauerei im Ephippium abgeworfen, aus Männchen oder 


232 Alexander Jssaköwitsch: 


wieder aus einem Ephippium. Es ist klar, dass diese Kulturen 
bald ausstarben. Als Beispiel einer Kältekultur möge Tabelle V 
dienen. 


Tabelle V (Kältekultur). 


Muttertier. EEE 
| > 
N N 


1. Generat. = + = 
Para | ? 
2. Generat. | > . = 


Wenn wir nun die zitierten Resultate schon zusammenfassen 
wollten, so könnten wir den folgenden Satz aufstellen: „Die 
Temperatur ist eine geschlechtsbestimmende Ursache und zwar 
begünstigt die hohe Temperatur die Entwicklung der Eikeime 
zu parthenogenetischen Weibchen, die mittlere und niedere 
Temperatur die Entwicklung zu geschlechtlichen Tieren, mit von 
mittlerer zur niedrigen Temperatur steigender Kraft.“ 

Die Resultate scheinen auch darauf hinzuweisen, dass die 
Ernährung vollkommen jedes Einflusses auf das Geschlecht der 
Daphniennachkommenschaft entbehrt. Nahrung wurde den Tieren 
in allen diesen Versuchen in gleich reichem Maße geboten und 
die Veränderungen im Geschlecht der Nachkommen verliefen 
parallel den Veränderungen der Temperatur. Um diesen zweiten 
Schluss auf seine Richtigkeit zu prüfen, erschien es angemessen, 
Versuche anzustellen, die speziell auf die Erforschung der Wirkung 
der Ernährung gerichtet wären. Dazu war es erforderlich, bei 
einer konstanten Temperatur die Tiere verschiedenen Ernährungs- 
bedingungen auszusetzen. 


Als konstante Temperatur wurde nun die hohe von 24°C. 
gewählt, da sie bei guter Ernährung die Parthenogenesis 
begünstigt und das Auftreten von Geschlechtstieren verhindert: 
wird ihr bei mangelhafter Ernährung dieselbe hohe Bedeutung 
zuzuschreiben sein? 

Mit Rücksicht auf die grosse Schwierigkeit, eine allmähliche 
Abstufung in der Ernährung der Tiere zu erzielen (die Schwierig- 
keit ist in der Beschaffenheit des Nährstoffes — Detritus — 
gegeben), beschloss ich, mich auf Hungerversuche zu beschränken. 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 


Ich brachte dazu die Tiere in reines filtriertes Wasser und 
liess sie längere Zeit (bis S Tage) in diesem ausharren. Zu diesen 
Versuchen wählte ich Weibchen, bei denen eben Eier in den 
Brutraum übergetreten waren; das tat ich, um später sicher zu sein, 
dass die nach diesen in den Brutraum gelangenden Eier ihre 
ganze Entwicklung bei mangelhafter Ernährung durchzumachen 
gezwungen waren. Ich berücksichtigte daher nur die Brut, 
welche sich aus diesen zweiten Eiern entwickelte; und diese 
Brut bestand immer aus Geschlechtstieren. Wenn nach acht 
Hungertagen das Muttertier dem Sterben nahe war, brachte ich 
es für drei bis vier Stunden in ein mit Futter versehenes Glas, 
worauf das Tier noch fünf bis sechs Tage im Hungerglas aus- 
zuharren und einen zweiten Satz Eier zur Entwicklung zu 
bringen imstande war, bevor es starb. Ungeachtet der hohen 
Temperatur waren die Jungen entweder Männchen oder Dauereier 
entwickelnde Weibchen. Das Muttertier brachte in zwei Fällen nach 
der ersten Hungergeburt ein Ephippium. Siehe Tabellen VI u. VII. 


Tabelle VI (Hungerkultur). 


Muttertier. 


1. Generat. 


2. Generat. 


Tabelle VII (Hungerkultur). 


Muttertier. 


1. Generat. 


Ehe ich nun aus den am Symocephalus vetulus gewonnenen 
Ergebnissen meine Schlussfolgerungen ziehe, will ich die inter- 
essanten Daphnia magna-Kulturen besprechen. 

Im Sommersemester 1904 begann ich an dieser Spezies 
meine Untersuchungen, die bis zum Januar 1905 dauerten und 


234 Alexander Jssak6witsch: 


aller meiner Bemühungen, bestimmte Resultate zu erzielen, zu 
spotten schienen. Die Tiere holte ich aus dem Treibhaus einer 
Kunstgärtnerei: sie bewohnten dort ein Zementbassin, aus dem 
das Wasser zum Begiessen der Pflanzen geschöpft wird. Es sei 
mir gestattet, hier auf Einzelheiten einzugehen, da sie für die 
Ergebnisse der Kultur sich als von hoher Bedeutung erwiesen 
haben. Wie ich später vom Gärtner erfuhr, werden jeden Abend 
etwa 10 Eimer Leitungswasser in das Bassin eingelassen: das 
Wasser wird infolge der hohen Temperatur des Treibhauses über 
Nacht so warm, dass man am nächsten Morgen die Pflanzen 
damit begiessen kann. Da das Bassin etwa 30 Eimer fasst und 
immer eine Menge faulender Pflanzen und Erde enthält, so fanden 
die Tiere dort gute Existenzbedingungen und waren in über- 
raschender Menge vorhanden. 

Auf eben solche Weise, wie es für Symocephalus beschrieben 
wurde, setzte ich auch hier Kälte-, Zimmer- und Wärmekulturen 
an. Die in die Kälte oder in die Zimmertemperatur versetzten 
Tiere gingen meist, ohne sich fortzupflanzen, nach zwei, drei 
Tagen zu Grunde oder brachten eine spärliche Nachkommenschaft 
in die Welt, die bald zusammen mit dem Muttertiere einging. 
Und alle meine Bemühungen, die Tiere in diesen Temperatur- 
bedingungen am Leben zu erhalten, blieben erfolglos: Ich änderte 
die Ernährung der Tiere (gab ihnen Diatomeen, faulendes 
Muschelfleisch, Paramaecien), durchlüftete die Gefässe, wechselte 
schliesslich täglich Wasser und Futter, nichts half. 

Die Wärmekulturen gediehen besser, waren jedoch auch von 
kurzer Dauer, denn bald nach dem Ansetzen der Kulturen, öfters 
schon in der zweiten Generation trat hier eine Erscheinung ein, 
welche wir bei Simocephalus vetulus erst nach 4 Monaten an- 
dauernder Parthenogenesis (Wärmekultur A) beobachten konnten: 
Die Weibchen waren nicht mehr im Stande, sich parthenogenetisch 
weiter fortzupflanzen, sie bildeten immer seltener Eier und 
schliesslich konnten die gebildeten Eier sich nicht weiter ent- 
wickeln: sie zerfielen im Brutraum. Nachdem dieser Vorgang 
sich zwei- bis dreimal wiederholt hatte, starben die Tiere 
entweder ab oder bildeten Dauereier und Ephippien: letztere 
Erscheinung wurde dreimal registriert. In einem der drei Fälle 
zeigte das Ephippium eine etwas abnorme Gestalt. Tabelle VIII 
gibt eine der längsten Daphnia magna-Wärmekulturen wieder. 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 235 


Da diese Kulturen den Simocephalus vetulus-Kulturen zeit- 
lich vorausgingen, konnte ich mir lange Zeit über die sonder- 
baren Ergebnisse gar nicht klar werden. Erst im Zusammenhange 


Tabelle VIII (Daphnia magna-Wärmekultur). 


| Muttertier. 


1. Generat. 


2, Generat. 


| 
| 2 Zorfgl. RR 
frer. 


S | 
| | 


/ | | 
ZLZerfsl. Zerf3l. II 


£rer Erer. | 4. enerat. 


mit den am letzten Tier erzielten Resultaten wurden sie mir 
verständlich. Daher wende ich mich nun der Besprechung der 
am Simocephalus vetulus gewonnenen Tatsachen zu. 


3. Generat. 


Folgerungen. 


Die Hungerkulturen haben gezeigt, dass ausser der Tempe- 
ratur auch die Ernährung ein geschlechtsbestimmender Faktor 
sei. Derselbe gewinnt noch mehr an Bedeutung, wenn wir der 
folgenden Erscheinung unsere Aufmerksamkeit schenken. Nach 
dem Abstreifen eines leeren Ephippiums besteht die nächstfolgende 
Brut (auch bei 16 und S® C.) immer nur aus parthenogenetischen 
Weibchen. Diese Regel kennt keine Ausnahmen, und wir hätten 
doch, wenn die niedrige Temperatur einen unmittelbaren Einfluss 
ausüben würde, Geschlechtstiere zu erwarten gehabt. Daraus 
folgt, dass die Ursache dieser Erscheinung im Innern des Tieres 
zu suchen sei. Die Vorgänge im Innern des Weibchens sind 
nun folgende: Das unbefruchtete Dauerei wird im Eierstock autf- 
gelöst und resorbiert, was bedeutet, dass dem Eierstock des 
Tieres die Nahrung in grosser Menge zugeführt wird. Man hat 
daher Ursache, die darauffolgende Geburt weiblicher Tiere auf 
diese reiche Ernährung zurückzuführen. Nach Geburt dieser 
Tiere werden die vorherigen Beziehungen zwischen Temperatur 
und Ernährung wieder hergestellt und die nächste Geburt bringt 


236 Alexander Jssaköwitsch: 


Y 


bei niedriger Temperatur (S oder 16° C.) wieder Geschlechtstiere 
in die Welt. Will es nicht scheinen, dass in diesem Vorgange 
alles zu Gunsten der Ernährung als geschlechtsbestimmender 
Ursache spricht? 

Es lässt sich nun noch eine schwerwiegende Tatsache für 
die Wichtigkeit der Ernährung in der uns interessierenden Frage 
anführen. Diese Tatsache war schon Weismann bekannt, wurde 
aber meiner Meinung von ihm falsch gedeutet. Ich spreche von 
der interessanten Tätigkeit des Eierstocksepithels während der 
Sommereibildung. Das Epithel der Röhre, die bei den Daphnoiden 
als Eierstock funktioniert, besteht bei einem erwachsenen Indivi- 
duum, wenn das Lumen der Röhre von Eigruppen und Eizellen 
ausgefüllt ist, aus so flachen Zellen, dass es längere Zeit über- 
sehen wurde. Bei den eben geborenen Weibchen sind diese 
Zellen dagegen so blasig aufgetrieben, dass die Röhre wie ein 
Strang blasiger Zellen erscheint. Wenn nun aus dem Keimlager 
junge Keimzellen vorzudringen anfangen, so drücken sie sich in 
die Masse der blasigen Epithelzellen ein, die unter dem Einfluss 
des Druckes die sie anfüllende Flüssigkeit an die Keimzellen ab- 
geben und selbst auf ihre unscheinbare Normalgrösse zusammen- 
schrumpfen. Das ist ein Ernährungsvorgang — die Epithelzellen 
funktionieren gewissermassen wie Zwischenhändler —, sie beziehen 
aus dem umgebenden Medium, in dem der Eierstock liegt, 
Nährmaterial, verbrauchen es aber nicht für sich, sondern über- 
gehen es dem vorrückenden Ei zu seiner Entwicklung. Sind die 
Eier reif und aus dem Eierstock in den Brutraum übergetreten, 
so imbibieren sich die zusammengeschrumpften Epithelzellen von 
Neuem von aussen und füllen wieder das ganze Eierstockslumen 
aus, um abermals ihren Inhalt an die nachrückenden neuen Ei- 
eruppen abzugeben. 

Bei der Wintereibildung existiert dieser Vorgang nicht. 
Die Epithelzellen bleiben dabei flach und untätig, das Winterei 
wächst und ernährt sich auf Kosten der anderen Eikeimgruppen, 
die sich im Eierstock befinden. Warum funktioniert hier der 
Epithelzellenapparat nicht ? 

Weismann suchte diese Frage zu beantworten, indem er 
annahm, dass die Tätigkeit dieser Epithelzellen nur für die 
Schnelligkeit der Eibildung von Bedeutung sei und schloss daraus, 
dass bei der Dauereibildung, wobei es auf Schnelligkeit nicht 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 27 


ankomme, die Tätigkeit der Epithelzellen überflüssig wäre und 
daher eingestellt wird. Meiner Ansicht nach ist diese Erklärung 
Weismanns nicht richtig. 

Ich denke, dass Weismann hier den kausalen Zusammen- 
hang der Erscheinungen nicht richtig aufgefasst hat; ich glaube 
nicht, dass die Epithelzellen ihre Tätigkeit einstellen, wenn ein 
Dauerei sich bildet, sondern umgekehrt, dass das Dauerei entsteht, 
wenn die Epithelzellen ihre Tätigkeit eingestellt haben. Den 
Grund hierfür erblicke ich in den Ernährungsverhältnissen des 
Tieres; wenn der Organismus des Tieres reich an freien Nähr- 
stoffen und Reservestoffen ist, so werden diese leicht durch Ver- 
mittlung der Eierstockepithelzellen den Eiern zugeführt. Ist der 
Organismus dagegen schlecht ernährt, so können die Epithel- 
zellen ihm keine Nährstoffe entziehen und das in Entwicklung 
begriffene Ei nimmt seine Zuflucht zur Auflösung und Resorption 
jüngerer Keimgruppen, was die Entstehung eines Dauereies zur 
Folge hat. 

Wenn wir nun annehmen, dass bei niedriger Temperatur 
die assimilatorische Tätigkeit der Zelle herabgesetzt wird und in 
Betracht ziehen, dass der Stoftwechsel eines in Entwicklung 
begriffenen Eikeimes ein viel intensiverer ist als der aller anderen 
Zellen des Organismus, so müssen wir daraus schliessen, dass 
bei niedriger Temperatur die Ernährung des Eies eine sehr 
ungünstige ist, da das Tier dem Eierstock nicht genügend Nähr- 
stoffe zuführen kann. Wir müssen daher erwarten, dass dann 
ein Dauerei oder die wegen ihrer geringen Grösse und Kurzlebig- 
keit weniger Nährstoffe bedürfenden männlichen Tiere im nächsten 
Wurf abgesetzt werden. Dass es sich tatsächlich so verhält, 
konnten wir aus den besprochenen Temperaturkulturen ersehen. 

Ich hoffe, schon durch diese Beweisführung die Anschauung 
gekräftigt zu haben, für welche auch die folgenden Parallel- 
kulturen sprechen, nämlich, dass die Ernährung eine geschlechts- 
bestimmende Ursache ist und dass die Temperatur nur indirekt 
durch Rückwirkung auf die assimilatorische Tätigkeit der Zelle 
diese Bedeutung besitzt. 

Die Parallelversuche, die ich als letzten Beweis für die Be- 
rechtigung dieser Anschauung anführen will, stellte ich in 
folgender Weise an: Ich entnahm aus der Wärmekultur A die 
gesamte Nachkommenschaft eines parthenogenetischen Weibehens 


Muttertiere | 


Nachkommen 


1. Wurf | 


2. Wurf | 


3. Wurf 


4. Wurf | 


U5. Wurf | 


238° Alexander Jssaköwitsch: 


(dem schon mehrere parthenogenetische Generationen voraus- 
gegangen waren), teilte die Jungen in zwei gleich grosse Partien, 
beliess die eine davon unter den alten Temperaturverhältnissen 
(24°C), während ich die andere der Kälte (8° C) aussetzte und 
verglich die Vorgänge in den beiden Hälften der Brut unterein- 
ander. Diese Versuche stellte ich sechsmal an und die Resultate 
waren in allen Fällen so übereinstimmend, dass ich die folgenden 
zwei Tabellen als Typus derselben erläutern kann. 


Tabelle IX. Tabelle X. 
Ausgangstiere! 2 Geschwisterweibcehen Ausgangstiere: 10 Gesehwisterweibehen 
der 4. Gen. (Wärmekultur A). der 6. Gen. (Wärmekultur A). 


240 80 240 80 


In der Tabelle IX sieht man den Charakter der Nach- 
kommenschaft zweier Geschwisterweibchen (aus der 4. Generation 
der Wärmekultur A), nachdem sie getrennt und das eine bei der 
Temperatur von 24° C belassen, das andere der Temperatur von 
S’C ausgesetzt wurde, in zwei Parallelreihen neben einander 
wiedergegeben. Vor dieser Trennung lebten beide gemeinschaft- 
lich bei der Temperatur von 24° C und hatten dreimal partheno- 
genetische Weibchen geboren. Das bei der ursprünglichen 
Temperatur belassene Weibchen pflanzte sich in der partheno- 
genetischen Weise unverändert fort, bis es altersschwach wurde 
und starb. Das in die Kälte versetzte Tier brachte dagegen 
einmal Weibchen, darauf zweimal Männchen und schliesslich zwei 
Wintereier zur Welt. Die folgende Erwägung veranlasst mich, 
zu glauben, dass es sich hierbei um keine direkte Temperatur- 
einwirkung handelt: den poikilothermen Daphniden muss sich 
die Temperatur der Umgebung sofort mitteilen; daher wäre es, 
gesetzt, dass die Temperatur geschlechtsbestimmend wirke, zu 
erwarten, dass schon im ersten Wurf die durch die neuen 
Temperaturverhältnisse bedingte Wirkung sich offenbaren wird. 
Doch sehen wir in diesem Falle, wie in den Zimmer- und Kälte- 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 239 


kulturen (Tabellen III, IV, V), dass die Veränderung allmählich 
Platz greift, eine Erscheinung, die auf eine langsamer wirkende 
Ursache hindeutet. Eine solche erblicke ich in der Ernährung. 
Wenn dieselbe durch die Temperatur auch sofort herabgesetzt 
wird, so wird dadurch der während des Lebens bei hoher 
Temperatur aufgespeicherte Vorrat an Nährmaterial nicht ver- 
nichtet und kommt noch den nächsten sich ausbildenden Eiern 
zugute. Wenn der Vorrat erschöpft ist, tritt mangelhafte Er- 
nährung in ihre Rechte, und es entstehen Geschlechtstiere. Man 
könnte mir nun vorwerfen, dass das in der Tabelle X wieder- 
gegebene Resultat dem Gesagten widerspreche, indem in diesem 
Fall sofort nach Übertragung der Tiere in die niedrige 
Temperatur Dauereier gebildet wurden. Die für die Tabelle X 
verwerteten Ergebnisse wurden an 10 Geschwisterweibchen, die 
der 6. Generation der Wärmekultur A entstammen, gewonnen. 
Um dem Vorwurf vorzubeugen, muss ich, etwas voraussreifend, 
darauf hinweisen, dass die an Daphnia magna-Kulturen gemachten 
Erfahrungen mich überzeugt haben, dass ausser den äusseren 
Existenzbedingungen auch der jeweilige Zustand des Eierstockes 
eine gewisse Rolle als determinierender Faktor spielt. Es hat 
sich nämlich dabei herausgestellt, dass, je länger die Tiere sich 
parthenogenetisch fortpflanzen, desto grösser in ihnen die 
Tendenz wird zur geschlechtlichen Fortpflanzung überzugehen, 
desto leichter kann man sie durch eine geeignete Massregel dazu 
veranlassen. 

Diese Anschauung gewann ich erst, nachdem ich die Daphnia 
magna-Kulturen mit den Simocephalus vetulus-Kulturen ver- 
gleichen konnte. 

In der Simocephalus Wärmekultur A haben wir beobachtet, 
dass nach vier Monate lang dauernder erzwungener partheno- 
genetischer Fortpflanzung die Tiere keine entwicklungsfähigen 
Eier mehr zu erzeugen imstande waren. Die Eier, wenn sie 
überhaupt in den Brutraum gelangten, zerfielen dort. Im Eier- 
stock waren also durch die zu stark ausgezogene Parthenogenesis 
Missstände eingetreten. Als ich zu diesem Schluss gelangte, 
wurden mir die an Daphnia magna Wärmekulturen beobachteten 
Ereignisse auf einmal vollkommen verständlich. Die Tiere 
stammten ja aus dem Bassin eines Treibhauses, in dem das 
Wasser notwendigerweise eine hohe Temperatur besitzen musste. 


240 Alexander Jssaköwitsch: 


Die Tiere waren also, als ich sie holte, schon an dem Punkte 
der parthenogenetischen Entwicklung angelangt, den meine 
Simocephalus vetulus Wärmekulturen erst nach vier Monaten er- 
reichten. Wenn mein Schluss richtig ist, so müsste es im Bassin 
immer Tiere geben, die zerfallende Eier im Brutraum aufweisen. 
Ich holte mir nun von neuem Tiere aus diesem Bassin und tat- 
sächlich fand ich, da ich darauf achtete, in dem Fang von 
110 Tieren, wovon mehr als die Hälfte im Brutraum Embryonen 
und Sommereier aufwiesen, — sechs mit zerfallenden Eiern im 
Brutraum und drei Weibchen mit Ephippien. Von den Ephippien 
war nur eins befruchtet. Das Bassin enthielt also auch Männchen, 
aber in sehr geringer Zahl — unter meinen 110 Tieren war zu- 
fällig kein einziges zu finden. 

Die Beobachtungen geben für folgende interessante Er- 
wägungen Veranlassung. Es sei mir gestattet hier etwas weit 
auszuholen. 

R. Hertwig- (13, 14, 15, 16, 17,:18,:19) ist "durch "seme 
Versuche an Protozoen zu dem Ergebnis gekommen, dass „für 
die Zelle ein Normalmaß des Kerns gegeben sei: dass übermässiges 
Ansteigen der Kernmasse Funktionsunfähigkeit der Zelle verur- 
sache und daher bei Protozoen Reorganisationen der Zelle nötig 
mache, unter denen die wichtigste in der Befruchtung gegeben sei.“ 

Der nun von Hertwig eingeführte Begriff der „Kern- 
plasmarelation“ besagt, „dass für jede Zelle ein bestimmtes 
(Grössenverhältnis von Kernmasse zu Zellmasse gegeben sei, 
welches man durch den @uotienten = (d.h. Kernmasse durch 
Protoplasmamasse dividiert) ausdrücken kann.“ Zu diesem 
Resultat führten u. A. die an Aktinosphärium Eichhorni ge- 
machten Beobachtungen. R. Hertwig fand, dass bei andauernden 
Futterkulturen die Kerne allmählich an Grösse gewannen. 
Schliesslich kamen Tiere zustande, mit Riesenkernen, „deren 
Durchmesser bis zum zehnfachen des gewöhnlichen Kerndurch- 
messers betragen konnte, was auf den Inhalt umgerechnet eine 
Zunahme der Kermasse auf das Tausendfache bedeutet. Das 
Ende des Prozesses war immer dasselbe: Der oder die Riesen- 
kerne wurden ausgestossen; das zurückbleibende Protoplasma 
enthielt dann keine Kerne mehr und starb nach ein bis zwei 
Tagen ebenfalls ab. Innerhalb 14 Tagen gingen in der ge- 
schilderten Weise nach Tausenden von Individuen zählende 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 241 


Futterkulturen bis auf spärliche Reste zu Grunde.“ . Die Ursach e 
welche den zum Untergang der Aktinosphären führenden Riesen- 
wuchs der Kerne veranlasst haben mochte, sieht Hertwig in, 
der überaus starken durch übermässige Ernährung und Ver- 
mehrung bedingten Funktion der Zellbestandteile, welche an den 
Kern als dem leitenden Faktor zuerst zum Ausdruck kommt. 
Er sagt weiter: 

„Im vorliegenden Fall würde nach meiner Ansicht durch 
die übermässige, in der Natur in solcher Ausdauer wohl schwer- 
lich vorkommende Fütterung und durch das Ausbleiben der Be- 
fruchtung eine Überanstrengung der Zelltätigkeit eingeleitet 
worden sein, welcher die regulatorischen Einrichtungen nicht 
mehr gewachsen waren, sodass schliesslich das riesige Wachstum 
der Kerne zustande kommen konnte.“ 

Diese Vorgänge bezeichnet R. Hertwig mit den Worten 
„physiologische Degenerationen*“. 

An meinen Daphnia magna und Simocephalus vetulus Wärme- 
kulturen haben wir nun Beobachtungen gewonnen, die den an 
Aktinosphärium Futterkulturen erzielten, vollkommen parallel zu 
verlaufen scheinen. Man wird durch den Gang der Wärme- 
kulturen zu der Auffassung gedrängt, dass, wie bei Aktinosphärium 
so auch hier „die übermässige in der Natur in solcher Ausdauer 
wohl schwerlich vorkommende Fütterung und das Ausbleiben der 
Befruchtung“ zur physiologischen Degeneration der Eikeime führte. 
Die Eier wurden ja gegen Ende der Kulturen entwicklungs- 
unfähig, zerfielen im Brutraum. Die Tatsache, dass hier und da 
Tiere mit physiologisch degenerierenden Eiern Dauereier ausbilden, 
muss infolge dieser Auffassung als ein Kernregnerationsvorgang 
verstanden werden, was um so leichter wird, als wir bei Oladoceren 
den bis jetzt rätselhaften Vorgang des Entstehens eines Eies 
aus einer grossen Menge Eikeimzellen vor uns haben. Wie be- 
kannt zerfallen alle zur Bildung des Dauereies herangezogenen 
Fikeime ausser einem, dem eigentlichen Ei, allmählich zu einer 
Masse, in der die Kerne nicht mehr nachzuweisen sind; auf diese 
Weise entsteht ein grosses Dotterreiches Ei mit einem verhältnis- 
mässig kleinen Kern. Möglicherweise wird durch diese grosse 
Aneignung von Protoplasma die Kernplasmarelation des durch 
angestrengte Funktion in den Zustand physiologischer Degeneration 


gelangten Eikeimes zu einer für die Entwicklung gedeihlichen 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 16 


242 Alexander Jssaköwitsch: 


zurückgeführt. Dadurch wird auch die gegenüber dem Subitanei 
auftallende Grösse des Dauereies verständlich; — durch das 
funktionelle Wachstum ist das K in = grösser geworden — es 
muss also, um das alte Gleichgewicht in der Zelle wieder herzu- 
stellen, auch P eine entsprechende Vergrösserung erfahren. Um 
zu entscheiden, ob diese Folgerungen richtig sind, wäre es von 
grosser Wichtigkeit die Kernplasmarelation der Eikeime bei 
Tieren auf den verschiedensten Ernährungsstufen zu studieren. 
Würde es sich dabei herausstellen, dass das Verhältnis von Kern 
zu Plasma, was ich vermute, durch bestimmte andauernde äussere 
Wirkungen wirklich verändert wird, so muss das bis jetzt aus- 
nahmslose Misslingen der Versuche bei höheren Tieren das Ge- 
schlecht zu beeinflussen, viel leichter verständlich werden: Die 
Kernplasmarelation der Eier wird bei hoch organisierten Tieren 
durch kompliziertere regulatorische Einrichtungen der Einwirkung 
äusserer Existenzbedingungen viel leichter Widerstand leisten 
können! 

Für die Richtigkeit der Auffassung, dass die Dauereibildung 
ein Vorgang ist, der die durch lange parthenogenetische Ent- 
wicklung oder mangelhafte Ernährung gestörte Kernplasmarelation 
zu regulieren bestimmt ist, spricht noch die folgende an meinen 
Kulturen gewonnene Tatsache: Bei sinkender Temperatur oder 
Ernährung schliesst das Winterei die Reihe der Fortpflauzungs- 
produkte immer ab. (Das sahen wir an den Zimmer-, Kälte- 
und Hungerkulturen). Immer also, wenn durch einen langen 
und in derselben Richtung wirkenden Reiz die Eikeime in ihrer 
Ausbildung und Entwicklung stark behindert werden, tritt das 
Dauerei auf! Es will mir scheinen, dass wir es im Dauerei mit 
einer Einrichtung zu tun haben, welche im Anschluss an die Aus- 
bildung der parthenogenetischen Fortpflanzungsweise entstanden 
ist, und die durch diese Fortpflanzungsart bedingte einseitige 
Veränderung der Kernplasmarelation zu regulieren bestimmt ist. 

Wenn ich nun alles Gesagte zusammenfasse, so komme ich 
zu den folgenden Ergebnissen: 

1. Die Ernährung und die Temperatur (letztere durch ihre 
Rückwirkung auf die Ernährung) sind ausschlaggebend für das 
Auftreten oder Verschwinden der Geschlechtstiere. Wenn die 
Ernährung des mütterlichen Organismus soweit gesunken ist, dass 
er nicht mehr imstande ist, dem Ei zu seiner Entwickung zum 


Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden. 243 


Weibchen genügend Nährstoffe zu bieten — so entwickelt sich 
das anspruchslosere Männchen daraus. Sinkt die Ernährung des 
Muttertieres noch tiefer, ist es nicht mehr fähig das Ei wenigstens 
zum männlichen Tier zu entwickeln, so tritt eine grosse Anzahl 
primärer Eizellen zusammen, um auf Kosten der ganzen Menge 
ein einziges befruchtungsbedürftiges Winterei zu bilden. 

2. Die Untersuchungen machen es wahrscheinlich, dass die 
geschlechtsbestimmende Wirkung der äusseren Existenzbedingungen 
in letzter Instanz auf die Beeinflussung der Kernplasmarelation 
der Eizelle zurückzuführen sein wird. 

3. Aus dem Verlauf der Kulturen kann eine praktische 
Regel gezogen werden: Wenn man dauernd grosse Mengen 
von Daphniden besitzen will, so ist es ratsam zwei Kulturen 
nebeneinander zu führen — eine Hauptkultur bei 22° C und eine 
kleine Nebenkultur bei 8 bis 16° ©. Die kleine Kultur bei der 
niedrigen Temperatur ist notwendig um die durch andauernde 
Parthenogenesis bald erschöpften Weibchen der Hauptkultur in 
gewissen Zwischenräumen teilweise durch kräftige, fortpflanzungs- 
fähige aus der Nebenkultur ersetzen zu können. Durch die 
regelmässige Zufuhr kleiner Mengen fortpflanzungsfähiger Weibchen 
wird es möglich ununterbrochen grosse Mengen parthenogenetischer 
Tiere in der Hauptkultur zu züchten. 

4. Eine ceyklische Fortpflanzungsweise im Sinne Weismanns 
besitzen die Daphnoiden nicht. 


Es sei mir gestattet, an dieser Stelle meinem hochverehrten 
Lehrer Herrn Professor Dr. Richard Hertwig für die mir 
zuteil gewordenen Anregung, Unterstützung und Entgegenkommen 
meinen innigsten Dank auszusprechen. 

Herrn Assistenten Dr. Richard Goldschmidt bin ich 
für das meinem Studium entgegengebrachte Interesse aufs tiefste 
verpflichtet. 


Literaturverzeichnis. 


1. Weismann, A.: Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden. 1) Über 
die Fortpflanzung der Daphnoiden. Zeitschrift f. Wiss. Zool., Bd. 33. 
2) Die Eibildung bei den Daphnoiden. Zeitschr. f. Wiss. Zool., Bd. 28. 
3) Über die Wintereibildung bei Leptodora hyalina. Zeitschr. f. Wiss. 
Zool., Bd. 27. 
16* 


244 


oa 


I] 


ss 


12. 


17. 


A. Jssaköwitsch: Geschlechtsbestimmende Ursachen etc. 


Kurz, W.: Über androgyne Missbildung bei Cladoceren. Sitzgsb. d.K. 
Akademie d. Wiss. Wien, Bd. 69, 1874. 

Schmankewitsch: Über das Verhältnis der Artemia salina zur Artemia 
Mülhausenii u. dem Genus Branchipus. Zeitschr. f. Wiss. Zool., Bd. 25. 
Kerherv&, de: De l’apparition provoqu6e des ephippies chez les Daphnies. 
(Daphnia magna). Me&m. soc. Z. France Tome, 5, 1892. 

Derselbe: De l’apparition provoqu&e des males chez les Daphnies.. Me&m, 
soc. Z. France, Tome 8, 1895. 

Schultze, O.: Zur Frage von den geschlechtsbestimmenden Ursachen. 
Arch. f. mikr. Anatomie u. Entwicklungsgesch., Bd. 63, 1903. 
Cuenot,L.: Sur la determination du sexe chez les animaux. Bulletin 
Scientifique France et Belgique, Bd. 32, 1899. 

Nussbaum, M.: Geschlechtsentwicklung bei Polypen. Sitzgsb. Nieder- 
rhein. Ges. f. Natur- u. Heilkunde Bonn, 27. Febr. 1892. 

Derselbe: Entstehung des Geschlechtes bei Hydatina. Arch. f. mikr. 
Anatomie, Bd. 49. 


. Maupas: Sur la multiplication et la fecondation de l’Hydatina senta. 


Compt. rendus T. III 61, 1890. 


. Derselbe: Sur la fecondation de l’Hydatina senta. Compt. rendus T. III, 


1890, p. 310. 
Derselbe: Sur le determinisme de la sexualit& chez l’Hydatina senta. 
Compt. rendus T. 113, 1891. 


. Hertwig, R.: Was veranlasst die Befruchtung bei Protozoen? Sitzgsb. 


d. Ges. f. Morph. u. Phys. München, 1899, 1. Heft. 
Derselbe: Uber physiologische Degneration bei Protozoen. Sitzgsb. d. 
Ges. f. Morph. u. Phys. München, 1900, 1. Heft. 


5. Derselbe: Über Wesen und Bedeutung der Befruchtung. Sitzgsb. d. Kgl. 


Bayr. Akad. d. Wiss., Bd. 32 1902, Heft 1. 


. Derselbe: Über das Wechselverhältnis von Kern und Protoplasma. 


Sitzgsb. d. Ges. f. Morph. u. Phys. München, Sitzungen vom 1. Nov. 1902 
und 19. Mai 1903. 

Derselbe: Über Korrelationen von Zell- u. Kerngrösse u. ihre Bedeutung 
für die geschlechtlichen Differenzieurng und die Teilung der Zelle. Biolog. 
Centralbl., Bd. 23, No. 2. 


. Derselbe: Über physiologische Degeneration bei Aktinosphaerium Eich- 


horni. Festschr. f. Ernst Heckel. 


9. Derselbe: Über das Problem der sexuellen Differenzierung. Verhandl. d. 


deutsch. Zool. Ges. i. Breslau, 1905. 
Lenhossek,M.v.: Das Problem der geschlechtsbestimmenden Ur- 
sachen. Jena 1903. 


. Korschelt u. Heider: Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsge- 


schichte. P. 368 bis 396 u. P. 689 bis 692. 


2. Jssaköwitsch, Al.: Geschlechtsbestimmende Ursachen bei ‘den Daph- 


niden. (Vorläufige Mitteilung.) Biol. Centralbl., Bd. XXV, 1905, p. 529. 


a 


245 


Zur Kenntnis der Spinalganglienzellen. 
Von 


M. v. Lenhossek in Budapest. 


Hierzu Tafel IX und X. 


Das Kapitel „Spinalganglienzelle“ ist, trotz der vielen 
einschlägigen Arbeiten, noch immer nicht erschöpft. Noch 
immer lassen sich an diesen Zellen, besonders mit neuen Me- 
thoden, neue Einzelheiten ermitteln. Eine solche neue Methode, 
die uns in mancher Hinsicht neue Aufklärungen über diese Zellen 
gibt, ist die Cajalsche Fibrillenfärbung, namentlich in jener von 
Cajal selbst angegehenen Modifikation, bei der die Objekte vor 
der Silberbehandlung mit einem Ammoniakalkoholgemisch be- 
handelt werden. Ich habe diese Methode, die man, zum Unter- 
schied von der eigentlichen Fibrillenmethode, als Cajalsche 
Achsenzylinderfärbung bezeichnen kann, in letzter Zeit an den 
Spinalganglien des Menschen und einiger anderer Säuger aus- 
giebig angewendet und habe mit ihr Anschaupngen gewonnen, 
die mir vielfach neu waren und in denen, wie ich glaube, einiges 
enthalten ist, was der Mitteilung wert ist. Der erste, der die 
neue Silbermethode für das Studium der Spinalganglien verwertet 
hat, ist Cajal selbst'). 

Methode. Als Hauptuntersuchungsobjekt dienten die 
Spinalganglien des erwachsenen Menschen; daneben wurden noch 
untersucht die Spinalganglien des Neugeborenen, der Katze, des 
Hundes, des Pferdes und des Rindes. 

Obwohl die Cajalsche Methode nicht nur von ihrem 
Urheber ausführlich mitgeteilt, sondern auch schon von anderer 
Seite verschiedentlich referiert ist, scheint es mir nicht überflüssig, 
sie, speziell in ihrer Anwendung auf die Spinalganglien, hier kurz 
zu beschreiben. Sie verdient in der Tat das allgemeinste Interesse, 
da sie u.a. eine der vollkommensten Achsenzylinderfärbungen 
ist, die wir besitzen. 


) S.R.Cajal, Tipos celulares de los ganglios sensitivos del hombre 
y mamiferos. Revista de la Real Acad. de Ciencias de Madrid. Tomo II, 1905. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 17; 


246 M. v. Lenhossek: 


Kleinere Spinalganglien können im ganzen behandelt werden, 
bei grösseren ist es zweckmässig, das Ganglion der Länge nach 
entzwei zu schneiden. 

Die Stücke kommen zunächst auf 24 Stunden in folgende 
Mischung: 

Alkohol 96° 100 
Ammoniak 0,5 

Nach 24 Stunden werden sie flüchtig in destilliertem Wasser 
abgewaschen und in eine 2°/oige Silberlösung gebracht. 

Man stellt die Schälchen in den auf 35° C erwärmten 
Paraffinofen. Einwirkungsdauer: drei Tage. Nach Ablauf dieser 
Zeit nimmt man die Schälchen aus dem Paraffinofen, wäscht die 
Stückchen in destilliertem Wasser ab und überträgt sie, nunmehr 
bei Tageslicht und Zimmertemperatur, zur Reduktion auf 
24 Stunden in folgende Mischung: 

Acidum pyrogallicum 1,5 
Aqu. dest. 100 
Formalin ) 

Hierauf Entwässerung, Einbettung in Paraffin, Mikrotom- 
schnitte von nicht allzugrosser Dünne, die mit Eiweiss auf den 
Objektträger aufgeklebt werden. 

Unentbehrlich ist nach meinen Erfahrungen das Vergolden 
der Präparate. Zu diesem Zwecke behandelt man die mit den 
Präparaten belegten Öbjektträger mit Xylol, Alkohol und 
destilliertem Wasser und bringt sie dann in eine Goldlösung, die 
in der Weise hergestellt wird, dass man zu 150 ccm destilliertem 
Wasser 4 ccm von der gewöhnlich vorrätigen 1°/oigen Gold- 
chloridlösung zusetzt. Darin bleiben sie nun verschieden lange 
Zeit, 10 Minuten bis eine Stunde, so lange nämlich, bis der ge- 
wünschte Erfolg eingetreten, d. h. das Silber ganz in Gold über- 
geführt ist. Dies erkennt man mit freiem Auge daran, dass die 
braune Farbe der Schnitte einer blass stahlgrauen gewichen ist. 
Noch sicherer aber lässt sich der Erfolg mikroskopisch nach- 
weisen; der richtige Zeitpunkt zur Beendigung der Goldbe- 
handlung wird eingetreten sein, wenn die Zellenfortsätze und 
Nervenfasern des Ganglions intensiv dunkel erscheinen und die 
Zellkörper nirgends mehr die von der Silberbehandlung her- 
rührende braune oder gelbe Färbung erkennen lassen. Hierauf 
bringt man die Präparate für einige Minuten in eine 5"/oige 


WERNER lg Ca 


— 


Die Spinalganglienzellen. 24 


Lösung von Fixiernatron und wäscht sie dann gründlich in 
fliessendem Wasser aus. 

Damit ist aber das Verfahren noch immer nicht beendigt, 
es folgt nun noch etwas wichtiges, nämlich das Nachfärben der 
Schnitte. Hierzu wählt man am besten wegen des Kontrastes 
Karmin; ich habe mit bestem Erfolge das Mayersche Karm- 
alaun angewendet. Die vergoldeten Schnitte nenmen den Farb- 
stoft geradezu gierig auf, so dass schon nach 5, längstens 
10 Minuten eine sehr schöne Färbung der Zellkerne erreicht ist. 
Die auf diese Weise behandelten Schnitte übertreffen die nicht- 
nachgefärbten beträchtlich an Schönheit. Nur an diesen lassen 
sich die „Mantelzellen“ die die Spinalganglienzellen umgeben, in 
allen ihren Verhältnissen schön beobachten und lässt sich ihr 
Verhalten zu den Zellfortsätzen und anderweitigen Faserbildungen 
gründlich untersuchen. 

Die Cajalschen Silberbilder stehen in Betreff der Spinal- 
ganglien den Methylenblaubildern, die Dogiel, Cajal und 
andere in ihren Abhandlungen geben, in vielen Beziehungen be- 
trächtlich nach, hauptsächlich aus dem Grunde, weil hier das 
Objekt in verhältnismässig dünne Schnitte zerlegt werden muss, 
wodurch die Faserknäuel usw. in dünne Fragmente zersplittert 
werden. Die Bilder sind also bei weitem nicht so übersichtlich 
wie die Methylenblaubilder, lassen aber dafür in manchen Be- 
ziehungen ein eindringlicheres Studium zu. 

Zellkörper. Die Spinalganglien des Menschen sind, wie 
bekannt, von verschiedener Grösse und haben im aligemeinen 
eine !plumpe, rundliche oder leicht eckige Gestalt; von einer 
Birnform oder von einer besonderen Vertiefung neben der 
Ursprungsstelle des Fortsatzes, wie beim Frosche, kann hier 
nicht die Rede sein. Sie sind in eine bindegewebige Zwischen- 
substanz eingebettet, die gerade beim Menschen verhältnis- 
mässig stark entwickelt ist, im Gegensatz zu kleineren 
Säugern, wo die Zellen viel näher beieinander liegen. — 
In den Ammoniakalkoholsilberbildern erscheint der Zellkörper 
zumeist so durch und durch dunkel gefärbt, dass von seiner 
inneren Struktur nichts wahrzunehmen ist; hin und wieder be- 
gegnet man aber immer auch in diesen Präparaten Zellen. die 
aus unbekannten Gründen inmitten der dunkel gefärbten heller 
und durchsichtiger geblieben sind, und in denen sich die Zell- 

17% 


248 M. v. Lenhossek: 


struktur ebenso gut untersuchen lässt, wie an den mit der 
eigentlichen Cajalschen Fibrillenmethode oder nach Biel- 
schowsky behandelten Präparaten. 

Wir sehen an solchen Zellen eine enorm dichte Proto- 
plasmastruktur, bestehend aus einem ungemein engen Gespinnst 
feinster Fäserchen, das sich gleichmässig über den ganzen Umfang 
der Zelle ausbreitet und am Fortsatz in dessen fibrilläre 
Streifung übergeht. Bei der Dichtigkeit des Fasergewirres ge- 
lingt es nicht, völlige Sicherheit darüber zu erlangen, ob diese 
Fäserchen netzförmig miteinander verwachsen oder nur unter 
Wahrung ihrer Selbständigkeit filzartig verflochten sind. Der 
vorherrschende Eindruck ist allerdings der, dass es sich um ein 
richtiges anastomotisches Netzwerk handelt. 

Die neuen Silberbilder ergeben hinsichtlich der Spinal- 
ganglienzellen, dass jene früheren Forscher, die an diesen Zellen 
eine sog. „fibrilläre Struktur“, d.h. einen Aufbau aus verhältnis- 
mässig groben, längeren, konzentrisch und parallel angeordneten 
Faserbildungen beschrieben haben, im Unrecht waren. Ich weise 
mit Befriedigung darauf hin, dass ich in meinen verschiedenen, 
aus den 90er Jahren stammenden Arbeiten gegenüber diesen 
Darstellungen mit Cajal und Held stets einer fein netzförmigen 
Struktur der Spinalganglienzellen das Wort geredet habe. 
Ausserordentlich nahe zur Wahrheit ist Flemming in seiner 
Arbeit vom Jahre 1882!) gekommen. 

Mantelzellen (Amphicyten). Darunter verstehe ich jene 
die Spinalganglienzelle mantelartig umgebenden kleineren 
Elemente, die man bisher sehr unrichtig als „Kapselzellen“ be- 
zeichnet hat. Diese Bezeichnung ist unangebracht, da die frag- 
lichen Zellen mit der Bindegewebskapsel, wo eine solche vor- 
handen ist, in Wahrheit nichts anderes zu tun haben, als dass 
sie ihr von innen her anliegen. Ihre vollkommene Unabhängig- 
keit von der Kapsel ergibt sich schon daraus, dass diese fehlen 
kann, während die Amphicyten an keiner Spinalganglienzelle 
vermisst werden. Fraentzel?) hat die Gesamtheit dieser 
Zellen vor vielen Jahren nicht unzutreffend „das Epithel der 


) W.Flemming. Vom Bau der Spinalganglienzellen. Festschrift 
für Henle. Bonn 1882, S. 12. 

?®) Fraentzel, Beitrag zur Kenntnis von der Struktur der spinalen 
und sympathischen Ganglienzellen. Virchows Archiv. Bd. 38. 


Die Spinalganglienzellen. 249 


Ganglienzellen“ genannt. Auf diesen Namen könnten sie beim 
Menschen in der Tat dadurch Anspruch erheben, dass sie be- 
sonders bei den grössern Zellen die Nervenzelle in Form eines 
zusammenhängenden epitheloiden Mantels umgeben. Sie bilden 
ein förmliches Nest, worin die Spinalganglienzelle eingebettet ist. 
Die Ähnlichkeit mit den Verhältnissen bei den jungen, noch 
keinen Hohlraum aufweisenden Eierstockfollikeln ist in die Augen 
fallend. Dieselben Mantelzellen finden wir, vielleicht noch stärker 
entwickelt, in den Ganglien der Kopfnerven und zwar nicht nur 
bei denjenigen, die nach dem Typus der Spinalganglien gebaut 
sind, wie das Ganglion Gasserii oder geniculi, sondern auch bei 
den nach „sympathischem“ Typus gebauten, wie z. B. bei dem 
Ganglion .oticum. Letzteres ist deshalb bemerkenswert, weil die 
Amphieyten in den eigentlichen Grenzstrangganglien vollkommen 
fehlen. Bei diesen sind die multipolaren Nervenzellen direkt 
in das Bindegewebe eingebettet. Es ist dies ein nicht unwesent- 
licher Unterschied zwischen den eigentlichen sympathischen 
Ganglien und den Hirnnervenganglien von sympathischem Typus. 
Da auch sonstige Unterschiede, namentlich in Bezug auf das 
Verhalten der protoplasmatischen Fortsätze, vorhanden sind, 
scheint mir die gegenwärtig herrschende Auffassung, dass das 
Ganglion ciliare, sphenopalatinum, oticum, usw. einfach „Grenz- 
strangganglien des Kopfes“ sind, zumindest einer gewissen Ein- 
schränkung zu bedürfen. Merkwürdigerweise vermisse ich diese 
Amphicyten auch in den Acusticusganglien des Menschen, die ja 
sonst bekanntlich dem Typus „Spinalganglion“ zuzuteilen sind. 
Bei diesen Zellen liegt die bindegewebige Kapsel dem Zellkörper 
überall direkt an. 

Die Mantelzellen zeigen beim Menschen eine verhältnis- 
mässig ansehnliche Entwicklung, sie sind grösser, zahlreicher, 
protoplasmareicher, als in den Spinalganglien der Katze, des 
Hundes, des Rindes. Sie bilden einen schönen und, mit Ab- 
rechnung der allerkleinsten Nervenzellen, zusammenhängenden 
Zellkranz um die Nervenzelle herum. Wir sehen verhältnis- 
mässig protoplasmareiche, polsterartig nach innen vorspringende, 
mit einem schönen runden oder leicht ovalen Kern versehene 
epitheloide Zellen, die mit Ausnahme einer einzigen Stelle 
überall einen einschichtigen Zellbelag um die Nervenzelle herum 
bilden und mit dieser in innigstem Kontakt sind. Die Ober- 


250 M. v. Lenhossek: 


fläche der Nervenzelle empfängt durch diese Anlagerung stellen- 
weise leichte napflörmige Vertiefungen. Die Abgrenzung der 
Mantelzellen gegen einander scheint mir im allgemeinen nicht 
sehr deutlich zu sein. Ihre Kerne sind von verschiedener Grösse, 
oft fallen einzelne durch ibre grossen Dimensionen auf. Die 
Kerne liegen im Zellkranze selten in gleichen Abständen von 
einander. 

An einer Stelle bilden nun diese Mantelzellen eine etwas 
stärkere Ansammlung; es ist dies die „Polstelle“, d. h. die Gegend, 
wo der Fortsatz aus dem Körper der Nervenzelle hervortritt 
um gleich darauf seinen Anfangsknäuel zu bilden. Dieser Knäuel 
gibt auch ohne Frage die Veranlassung ab zu der Entstehung 
dieser Zellanhäufung. Die bindegewebige Kapsel passt sich 
natürlich dieser oft kegelförmigen Zellgruppe an, und dadurch 
kommt die Birnform zustande, die uns die Spinalganglienzelle 
einschliesslich ihrer accessorischen Bestandteile, d, h. der sie um- 
gebenden Mantelzellen und der bindegewebigen Kapsel bei vielen 
Tieren, z. B. bei der Katze, zeigt. Beim Menschen ist diese 
Birnform selten deutlich ausgesprochen, was sich, wie wir sehen 
werden, aus-dem etwas abweichenden Verhalten des Fortsatzes 
erklärt. 

Bei den ganz kleinen Zellen scheint der Zellmantel oft nicht 
ganz kontinuierlich zu sein. Manchmal sieht man nur ein bis 
zwei Mantelzellen den Spinalganglienzellen anliegen. 

In besonders grosser Zahl sind die Amphicyten in den 
Spinalganglien des Pferdes entwickelt; sie sind hier allerdings 
etwas kleiner als bei den anderen von mir untersuchten Säugern. 
Sie erscheinen hier oft durchweg in mehrschichtiger Anordnung 
im Umkreise der Zelle und bilden an der Polstelle einen aus vielen 
kleinen Zellen bestehenden lockeren, nach aussen nicht scharf 
begrenzten Haufen. Infolge ihrer lockeren Anordnung rufen sie 
hier mehr den Eindruck von „interstitiellen Zellen“ als von 
Mantelzellen hervor. 

Ich will hier gleich meiner Ansicht über diese Zellen Ausdruck 
geben. Ich halte die Amphicyten nicht für Bindegewebszellen, 
wie sie bisher allgemein aufgefasst wurden, sondern für Schwester- 
zellen der Spinalganglienzellen, d.h. für Elemente, die ebenso 
ektodermalen Ursprungs sind, wie diese selbst. Meinen embryo- 
logischen Beobachtungen nach differenzieren sich die anfangs 


Die Spinalganglienzellen. 251 


ganz gleichartigen embryonalen Elemente der Ganglienanlage in 
zwei Richtungen. Ein Teil gestaltet sich durch Vergrösserung, 
spindelförmige Gestaltung des Zellkörpers und Anlage von Fort- 
sätzen zu den eigentlichen Spinalganglienzellen, während ein 
anderer Teil durch Zurückbleiben in der Entwicklung und durch 
typische pericelluläre Gruppierung zu den Mantelzellen wird. 

Wieder drängt sich hier die Ähnlichkeit mit den Verhält- 
nissen im Eierstock auf. Näher noch liegt aber eine andere 
Analogie, diejenige nämlich mit den Verhältnissen im Central- 
organ, wo sich bekanntlich die anfangs gleichartigen Ektoderm- 
zellen ebenfalls nach zwei Richtungen scheiden, indem sie teils 
zu Nervenzellen, teils zu Stützzellen werden. 

Weiterhin glaube ich, dass diese Mantelzellen vollkommen 
den Lemmocyten (Sch wannschen Zellen)der peripherischen Nerven- 
fasern entsprechen. Es lässt sich dieser Beweis nach meinen 
Beobachtungen vor allem embryologisch führen, indem sich nach- 
weisen lässt, dass die Lemmoblasten der peripherischen Nerven- 
wurzeln und Nerven, sowohl der sensiblen wie der motorischen, 
Abkömmlinge der Ganglienanlagen sind. Der in den Ganglien- 
anlagen verbleibende Rest von Bildungszellen gestaltet sich zu den 
Nervenzellen und Mantelzellen. In den Grenzstrangganglien und 
den Ganglien des Acusticus wird der ganze Vorrat zu Nerven- 
zellen aufgebraucht. — Ich werde für diese meine Auffassung 
weiter unten noch eine direkt histologische Stütze beibringen 
können. 

Über die physiologische Bedeutung der Mantelzellen ist 
uns nichts näheres bekannt. Ob sie einfach nur Nähr- und 
Schutzzellen der von ihnen umfassten Spinalganglienzellen sind, 
oder auch auf deren nervöse Funktion irgendwelchen Einfluss 
nehmen, entzieht sich einstweilen unserer Beurteilung, Um 
einer modernen Richtung Rechnung zu tragen, möchte ich auch 
die Möglichkeit nicht unerwähnt lassen, dass diesen Zellen 
irgend welche secretorische Funktion zukommt und dass sie so 
in ihrer Gesamtheit ein „glandula interstitialis“ der Spinal- 
ganglien darstellen. Cajal legt Gewicht darauf, dass diese 
Zellen im höheren Alter eine Art phagocytäre Einwirkung auf 
die von ihnen umfasste Nervenzelle ausüben, indem sie Hand in 
Hand mit ihrer Wucherung die peripherischen Teile der Nerven- 
zelle zum Schwunde bringen. 


252 M. v. Lenhosseck: 


In einigen der dieser Abhandlung beigegebenen Abbildungen 
(z.B. Fig. 7 und 17) erblickt man zwischen Mantelzellen und 
Zelloberfläche eine Anzahl von Lymphoeyten. Sie sind an ihrem 
kleinen dunkel gefärbten runden Kern sowie an dem freistehen- 
den spindelförmigen, schwach entwickelten Zellkörper leicht 
kenntlich. Es handelt sich hier ohne Frage um eine pathologische 
oder zumindest senile Erscheinung. Ich habe diese Lymphocyten 
nur in den Spinalganglien der Menschen beobachtet, hier aller- 
dings recht häufig, wozu aber zu bemerken ist, dass ich mein 
Material ausschliesslich Spitalleichen entnommen habe. 

Kapsel. Die Spinalganglienzelle ist beim Menschen, wie 
bekannt, mitsamt den dazugehörigen Mantelzellen, von einer 
zarten bindegewebigen Membran, der sog. Kapsel umgeben, die 
sich in die Endoneuralscheide !) des Ausläufers festsetzt. Dieser 
Übergang ist von mir?) im Jahre 1836 an den Spinalganglien- 
zellen des Frosches zum erstenmal richtig erkannt worden, 
nachdem man bis dahin die Zellkapsel in das Neurilemm des 
Fortsatzes übergehen liess. Letzteres ist schon deshalb nicht 
möglich, weil, wie wir noch sehen werden, das Neurilemm an 
dem Fortsatz schon innerhalb der Kapsel auftritt. Bie Zell- 
kapsel ist ein äusserst dünnes Häutchen und weist an ihrer 
äussern Fläche längere, ovale, stark färbbare Kerne auf, die nicht 
mit den Zellkernen der einwärts von der Kapsel gelegenen 
Mantelzellen verwechselt werden dürfen. Es entsprechen diese 
Zellkerne den Kernen der Endothelzellen, aus denen sich die 
Kapsel aufbaut und deren Grenzen sich, wie dies schon lange 
bekannt ist (vergl. Fig. 2 meiner angeführten Arbeit) mit sal- 
petersaurem Silber schön nachweisen lassen. Nach aussen hängt 
diese Endoneuralkapsel der Zelle sehr innig mit dem Zwischen- 
gewebe der Spinalganglien zusammen; sie ist überhaupt nichts 
anderes, als die Grenzschichte dieses Bindegewebes gegen das 
Zellgebiet hin. 

Die Bedeutung dieser Kapsel ist, wie ich sehe, bisher sehr 
überschätzt worden. Schon beim Menschen, der Katze und dem 
Hunde, wo sie im allgemeinen vorhanden ist, hat man bei vielen 
Zellen Mühe, sie als wirkliche zusammenhängende Membran nachzu- 


!) Von Ranvier fälschlich Henlesche Scheide genannt. 
?) M. v. Lenhossek, Untersuchungen über die Spinalganglien des 
Frosches. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 26, 1886, S. 370. 


Die Spinalganglienzellen. 253 


weisen; vollkommen fehlt sie aber in den Spinalganglien des Pferdes. 
Hier finden wir die Spinalganglienzelle, wie wir hörten, von einem 
förmlichen Schwarm von kleinen Mantelzellen umgeben, der nach 
aussen hin durch keine ausgesprochene Membran abgegrenzt ist und 
an den Stellen, wo mehrere Ganglienzellen dicht nebeneinander 
liegen, mit der entsprechenden Zellgruppe der benachbarten 
Spinalganglienzellen stets ohne jede scharfe Grenze zusammen- 
fliesst. Ähnlich liegen die Verhältnisse, wie ich finde, in sämt- 
lichen Kopfganglien von sympathischem Typus auch beim Menschen, 
insofern als sich auch hier keine eigentliche bindegewebige 
Kapsel um die Zelle herum nachweisen lässt. Die Kapsel gehört 
mithin nicht zur allgemeinen Charakteristik der Spinaiganglien- 
zelle, sie ist überhaupt keine wesentliche Bildung. Wesentlich 
ist nur die Spinalganglienzelle selbst und der sie umgebende 
Belag von kleinen „Mantelzellen“. 

Fortsatz. Die überwiegende Mehrzahl der Spinalgang- 
lienzellen entspricht dem altbekannten unipolaren Typus. Der 
Fortsatz entspringt an einer beliebigen Stelle der Zelloberfläche 
mit einem kegelförmigen Ansatzstück, worin sich bei den Zellen, 
die heller geblieben sind, eine deutliche fibrilläre Streifung nach- 
weisen lässt. Die Fibrillen dieses Kegels gehen nachweislich 
aus dem dichten Filz des Zellkörpers hervor. Das weitere 
Verhalten des Fortsatzes ist nun das folgende. Es ist eine 
grosse Seltenheit, dass der Fortsatz sofort nach seinem Ursprung 
geradlinig das Zellgebiet verlässt; typisch ist vielmehr das Ver- 
halten, dass er gleich nach seinem Ursprung einen einfacheren 
oder dichteren Knäuel bildet, wonach er die Kapsel noch immer 
nicht verlässt, sondern sich, wieder gradliniger geworden, noch 
immer innerhalb der Kapsel, in einem hübschen Bogen um die 
Zelle herum schwingt, um erst am gegenüberliegenden Pol das 
Gebiet der Zelle zu verlassen. Ja der Bogen kann sich noch 
weiter ausdehnen, so dass der Fortsatz wieder zu seiner Aus- 
gangsstelle zurückkehrt und sich erst dort von seiner Zelle 
trennt. Letzteres ist aber ein seltenes Verhalten. Das Typische 
ist, dass der Fortsatz die Zellkapsel am gegenüberliegenden 
Pol verlässt. 

Dieser pericelluläre Bogen des Fortsatzes ist etwas ungemein 
charakteristisches und ist speziell typisch für die Spinalganglien- 
zellen des Menschen. Bei keinem anderen Säuger habe ich dies, 


254 M. v. Lenhossek: 


wenigstens als regelmässiges Verhalten, bisher wahrgenommen. 
Der Bogen ist sogar typischer als der Knäuel. Letzterer kann, 
besonders bei kleineren Zellen, und besonders in den Ganglien 
jüngerer Individuen, fehlen oder bloss ganz leicht angedeutet 
sein, wie dies in den Figuren 1 und 2 zu sehen ist; dagegen 
fehlt die Krümmung nur bei einer grossen Minderheit von Zellen. 
Während seines bogenförmigen Verlaufes verdünnt sich der Fort- 
tsatz stets. Der Fortsatz ist während jenes Bogenstückes weder 
zwischen Mantelzellen und Zelle, noch zwischen Mantelzellen und 
Kapsel eingeschaltet, sondern läuft zwischen den Mantelzellen, 
hüllenartig von ihnen umfasst. 


Wendet man stärkere Vergrösserungen an und sieht man 
genau zu, so kann man sich, besonders bei den grösseren Zellen, 
überzeugen, dass sich während dieses endokapsulären Verlaufes 
allmählich eine feine membranartige Scheide um den Fortsatz 
herum anlegt; wir haben hier das erste Auftreten eines Neurilemms, 
jener Scheide, die dann den Nervenfortsatz auf seinem langen 
Wege an der Peripherie treu begleitet. Man gewinnt entschieden 
den Eindruck, dass sich diese Scheide als Ausscheidungsprodukt 
der dem Fortsatz anliegenden Mantelzellen entwickelt. Besonders 
schön lässt sich die Gegenwart eines Neurilemms an solchen 
‘Stellen nachweisen, wo der Fortsatz quer durchschnitten ist... 
Man sieht hier um den etwas geschrumpften Fortsatz einen feinen 
scharf gezeichneten Ring, entweder als innerste Schichte der dem 
Fortsatz anliegenden Mantelzellen, oder auch, wenn letztere 
etwas geschrumpft sind, als selbständige Bildung. Damit ergibt 
sich meiner Ansicht nach von selbst die Analogie der Amphicyten mit 
den Schwannschen Zellen oder Lemmocyten des pheripherischen 
Achsencylinders. In vielen Fällen schien es mir, als würde um 
den Fortsatz herum noch innerhalb der Kapsel auch noch eine 
Markscheide auftreten. Dafür sprechen auch sehr überzeugend 
die Bilder, die wir in einer Arbeit von Babes und Krem- 
nitzer!) über die Spinalganglienzellen sehen. Diese Forscher 
haben sich bei ihren Untersuchungen der Weigertschen Mark- 
scheidenfärbung bedient; ich selbst habe hierüber keine ent- 


!) V. Babes et F. Kremnitzer, L’anatomie microscopique des 
ganglions spinaux et la pathog&nie du tabes. Archives des sciences medicales 
1886, pg. 134. 


Die Spinalganglienzellen. 255 


scheidenden Erfahrungen. Dogiel gibt ebenfalls an, dass der 
Fortsatz bereits intracapsulär eine Markscheide aufweisen kann. 

Nun zu dem Knäuel. Die erste literarische Andeutung 
dessen, dass der Fortsatz bei vielen Tieren, besonders bei Säugern, 
nicht gradlinig von der Zelle hinweg tritt, sondern unmittelbar 
nach seinem Ursprunge knäuelförmige Windungen bildet, finden 
wir in einer Abhandlung von Retzius!) aus dem Jahre 1880. 
Der nächste, der diese Erscheinung wahrgenommen, erwähnt und 
abgebildet hat, ist Daae?°), doch leiden sowohl die Abbildungen, 
wie namentlich der Text der Daaeschen Arbeit an bedenklichen 
Mängeln und Unklarheiten, die allerdings teilweise darin ihre 
Entschuldigung finden mögen, dass die Verhältnisse des Fortsatzes 
gerade beim Pferde, wie wir noch sehen werden, ausnehmend 
kompliziert sind. Die erste ausführliche Beschreibung dieser 
Knäuelbildungen verdanken wir Dogiel,°?) der sie mit dem 
Methylenblauverfahren in den Spinalganglienzellen in klarer und 
erschöpfender Weise nachweisen konnte. Weitere ausführliche 
Darstellungen, Ergänzungen und Abbildungen brachten dann die 
Arbeiten Cajals,*) der diesen Knäuel den Anfangsglomerulus 
des Fortsatzes nennt. 


Es ist vor allem hervorzuheben, dass bezüglich dieses 
Knäuels beträchtliche Abweichungen zwischen den einzelnen 
Säugetieren bestehen. Viel stärker entwickelt als beim Menschen 
ist z. B. der Knäuel bei der Katze und dem Hunde. Das typische 
Verhalten bei diesen Tieren vergegenwärtigen die Fig.3 (Katze) 
und 4 (Hund). Hier ist der Knäuel kompliziert, aus einer 
grösseren Zahl von Schlingen bestehend, und schliesst sich auch 


') G. Retzius, Untersuchungen über die Nervenzellen der cerebro- 
spinalen Ganglien und der übrigen peripherischen Kopfganglien. Archiv f. 
Anat. und Physiol. Anat. Abt. 1880, S. 369. 

?®) H. Daae, Zur Kenntnis der Spinalganglienzellen beim Säugetier. 
Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XXXI, 1887. 


°) A. Dogiel. Der Bau der Spinalganglien bei den Säugetieren. 
Anat. Anzeiger 1896, Bd. XII, S. 140. Derselbe: Z. Frage über d. feineren 
Bau der Spinalganglien und deren Zellen bei Säugetieren. Internat. 
Monatsschr. f. Anat. u. Phys. Bd. XIV, 1897, Heft 4 u. 5. 

*) Zusammenfassung in: F. Ramön y Cajal, Textura del sistema 
nervioso del hombre y de los vertebrados. Tomo I, 1899, p. 352. Siehe auch 
l. c.: Tipos celulares, ete. 1905. 


256 M. v. Lenhossek: 


nicht so dicht wie beim Menschen an den Zellkörper an, sondern 
spinnt sicn in etwas lockerer Anordnung weiter von der Zelle 
hinweg, begleitet von Mantelzellen und von einer dütenförmigen 
Verlängerung der Kapsel, wodurch das ganze Zellgebilde der 
Spinalganglienzelle ausgesprochen birnförmig wird. An der Spitze 
des Kegels, tritt aber der Fortsatz hervor; ein rückläufiger 
Bogen ist hier gewöhnlich nicht vorhanden. Die starken, weit 
ausgesponnenen Knäuel verleihen den Präparaten aus den nach 
Cajal behandelten Spinalganglien der genannten Tiere schon 
bei schwacher Vergrösserung ein eigenartiges Gepräge. Überall 
zwischen den Zellen sieht man die auffallenden schwarzen Knäuel. 
Anders beim Menschen. Hier ist die Knäuelbildung im Vergleich 
zur Katze geradezu rudimentär zu nennen, der Knäuel besteht 
auch bei den grossen Zellen oft nur aus zwei oder drei Schlingen, 
oft nur aus leicht welligen Krümmungen, die dann, ohne eigent- 
liche Schlingenbildung, in das bogenförmige rückläufige Stück 
des Fortsatzes übergehen. (Vergl. Figg. 5—7.) Die Windungen 
können sich auch auf diesen bogenförmigen Abschnitt bis zu 
seinem Ende fortsetzen, wodurch natürlich kompliziertere Bilder 
zustande kommen, die bloss durch Vergleichung der zusammen- 
gehörigen Bruchstücke in den Nachbarsehnitten klarzustellen 
sind. Die Ausbildung dieser Knäuel gehört der postfoetalen 
Periode an. Beim Neugeborenen findet man noch keine Spur 
einer Knäuelbildung, auch ist hier der rückläufige Bogen des 
Fortsatzes noch nicht an allen Zellen angelegt, oder wenn 
auch vorhanden, erst auf ein kurzes Stückchen beschränkt, 
wie das in den Figg. 8—10 zur Ansicht gebracht ist. Des 
weiteren habe ich mich bestimmt überzeugen können, dass der 
Knäuel auch noch bei jüngeren erwachsenen Individuen ent- 
schieden einfacher ist, als bei älteren. Daraus kann man also 
folgern, dass jene merkwürdige Tendenz des Längswachstums, die 
dem ersten Stücke des Fortsatzes in der postfoetalen Periode 
innewohnt, nicht nur die Wachstumsenergie des Spinalganglions 
im ganzen beträchtlich übertrifft, sondern ausserdem auch noch 
die zeitlichen Grenzen des allgemeinen Wachstums des Organis- 
mus überschreitet, daher durch Raumbeschränkung eine allmählich 
ausgesprochene Knäuelbildung Platz greifen muss. Eine grössere 
Bedeutung in funktioneller Hinsicht dürfte dieser Schlingen- 
bildung nicht zuzuschreiben sein. 


Die Spinalganglienzellen. 257 


Überall wo der Fortsatz Windungen bildet, finden wir eine 
Vermehrung der Mantelzellen. Die Windungen sind vollkommen 
zwischen diese Zellen eingebettet. Wir sehen so die innigsten 
Beziehungen zwischen dem Fortsatz und den Mantelzellen. 

Im Jahre 1897 hat Ramön y Cajal in Verbindung mit 
F. Oloriz'!) ein interessantes Verhalten an den Spinalganglien- 
zellen der Säuger beschrieben. Es kommt vor, dass eine feine, 
offenbar dem Sympathicus entstammende Nervenfaser die Kapsel 
betritt und sich in der aus Mantelzellen gebildeten polaren An- 
häufung, die sich um den Glomerulus herum befindet, zwischen 
den Zellen zu einem komplizierten Geflechte verästelt. Cajal 
nennt dieses Geflecht Arborizaciones periglomerulares. 

Bei den Menschen kommen diese Faserverästelungen jeden- 
falls äusserst selten vor. Ich habe sie trotz sehr gelungener 
Faserfärbungen nur in sehr wenigen Fällen beobachten können. 
Fig. 11 zeigt das Bild, das diese Verästelungen an den Silber- 
präparaten darbieten. Natürlich ist hier das Geflecht in viele 
Fragmente zerstückelt; man sieht eine Menge kürzerer oder 
längerer Fasersbruchstücke zwischen den Polzellen und auch 
weiter zwischen den übrigen Mantelzellen. Die Silberpräparate 
stehen in dieser Beziehung den Methylenblaubildern beträcht- 
lich nach. 

Das wenn auch nur sporadische Vorhandensein dieses Ge- 
flechtes scheint mir einen Hinweis darauf zu enthalten, dass die 
Mantelzellen mehr als einfache Schutzzellen der Nervenzelle sind. 
Die Gegenwart einer besonderen Innervation dieser Zellen ist 
nur bei der Annahme verständlich, dass sie eine ganz besondere 
Funktion haben. 

Zellschlingen. Eine merkwürdige Wahrnehmung an 
den Spinalganglienzellen des Menschen besteht in der Gegenwart 
von schlingenförmigen Zellfortsätzen, die von dem Zellkörper 
ausgehend bogenförmig in ihn wieder zurückkehren. (Fig. 12, 
Mensch). Die Schlingen haben durchaus nicht den Charakter 
von undeutlich begrenzten Protoplasma-Aufsplitterungen oder 
von Protoplasınafortsätzen, sondern stellen sich durchaus in der 
Schärfe von Nervenfortsätzen dar. Sie können flacher oder höher, 
zarter oder dicker sein und sind manchmal in grösserer Zahl 


!) S. R. y Cajal y F. Oloriz, Los ganglios sensitivos craneales de los 
mamiferos. Revista trimestral microgr. 1897, Nr. 4. 


258 M. v. Lenhossek: 


— 5—6 — an derselben Zelle wahrzunehmen. Diese merk- 
würdigen henkelartigen Zellanhänge sind zuerst von Cajal ge- 
sehen worden. In der von diesem Forscher in Gemeinschaft mit 
Dalmacio Garcia verfassten Arbeit über die Veränderungen 
der Nervenzellen bei der Hundswut') werden diese Schlingen in 
Fig. 2 und 5 vom Kaninchen sehr gut abgebildet und auch im 
Texte unter der nicht gerade glücklich gewählten Bezeichnung 
Celulas con protoplasma fenestrada beschrieben. Cajal ist in 
jener Arbeit geneigt, diese Form als etwas pathologisches, als 
das Ergebnis der künstlich gesetzten Erkrankung aufzufassen, 
von welcher Auffassung er aber in seiner letzten Arbeit (Tipos 
celulares ete. 1905), wo diese Schlingen abermals geschildert 
werden, zurückgekommen ist. Ich habe diese Schlingen an den 
Spinalganglienzellen des Menschen, allerdings immer nur als 
sporadische Erscheinung, stets wahrgenommen, aber nur beim Er- 
wachsenen, niemals beim Kinde. Ar derSchlingenbildung kann auch 
der Fortsatz beteiligt sein, in der Weise etwa wie in Fig. 19, dass 
er sich in einiger Entfernung von der Zelle in zwei gleichstarke 
Äste teilt, wovon der eine als eigentlicher Fortsatz der Zelle 
weiterschreitet, der andere dagegen schlingenförmig in die 
Zelle zurückkehrt, oder auch in der Weise (Figg. 14 und 15), 
dass gleich am ersten Abschnitt des Fortsatzes, gewöhnlich an 
einer Stelle, wo er sich krümmt, ein feinerer Nebenast entspringt, 
der sich zum Zellkörper zurückbegibt. Die Schlingen sind 
zwischen die Mantelzellen eingeschaltet. In physiologischer Be- 
ziehung können wir mit ihnen einstweilen nichts anfangen. 
Fortsätze mit Protoplasmalappen. Ein merk- 
würdiges Verhalten vergegenwärtigt uns Fig. 16. Wir sehen 
von der Oberfläche des Zellkörpers gegenüber der Ursprungs- 
stelle des Hauptfortsatzes eine zarte Faser entspringen, die sich 
eine ziemlich ansehnliche Strecke zwischen den Mantelzellen hin- 
schlängelt, um dann in einem merkwürdigen birnförmigen Proto- 
plasmakörper sein Ende zu finden, der der Färbung nach genau 
aus demselben Protoplasma zu bestehen scheint, wie die Spinal- 
ganglienzelle selbst. Ein Kern lässt sich in dem Klumpen nicht 
nachweisen. In Fig. 17 sehen wir dasselbe Verhalten, nur mit dem 


"8. R.y Cajaly Dalmacio Garcia, Las lesiones del reticulo 
de las c&lulas nerviosas en la rabia. Trab. del labor. de invest. biolog. de 
la Univ. de Madrid. T. III. 1904, pg. 224. 


Die Spinalganglienzellen. 259 


Unterschiede, dass der zarte Fortsatz, an dem der Protoplasma- 
körper hängt, nicht vom Zellkörper selbst, sondern vom Zellfort- 
satz seinen Ursprung nimmt. Das Bild stellt einen polaren 
Flachschnitt dar; der Zellkörper selbst ist nicht zu sehen, 
sondern nur der Anfangsknäuel des Fortsatzes mit den ihn um- 
gebenden Polarzellen. Dieser Befund erinnert an die Be- 
obachtungen von Huber.') Dieser Forscher hat mit Hilfe der 
Methylenblaumethode an den Spinalganglienzellen einiger Amphibien 
nachweisen können, dass der Nervenfortsatz manchmal gleich 
nach seinem Ursprung noch innerhalb der Kapsel einige zarte 
Ästehen abgibt, die schon nach kurzem Verlaufe ungeteilt oder 
einigemale geteilt in der Gegend der Ursprungsstelle des Fort- 
satzes mit merkwürdigen scheibenförmigen Verdickungen endigen. 
— Diese merkwürdigen Protoplasmalappen kommen beim Pferde 
besonders häufig zur Beobachtung. Sie scheinen, nach den soeben 
veröffentlichten Beobachtungen Levis”) auch beim Vogel (Tauben- 
embryonen) vorzukommen. Ich möchte die Vermutung aus- 
sprechen, dass diese Lappen sekundär abgelöste Teile des Zell- 
protoplasmas der Spinalganglienzelle sind und dass die Faser, an 
der sie hängt, ursprünglich eine Zellschlinge war. Ich habe 
beim Pferde einige Beobachtungen gemacht, die mir für diese 
Auffassung zu sprechen scheinen. Eine sehr ausführliche 
Schilderung dieser lappenartigen Fortsätze finden wir bei Cajal 
(1905). Die Angabe dieses Forschers, dass sie gerade nur beim 
Menschen häufig sind, bei Säugetieren dagegen selten angetroffen 
werden, möchte ich dahin berichtigen, dass dies nur für ein- 
zelne Säugetiere gilt; beim Pferd sind sie häufiger als beim 
Menschen. 

Multipolare Zellen. Dass sich in den Spinalganglien 
neben den typischen Unipolarzellen sporadisch auch multipolare 
Elemente finden, wissen wir seit dem Jahre 1903, als Disse’) 
in den Spinalganglien des Frosches mit Hilfe der Golgischen 
Methode solche Zellen nachweisen konnte. Bestätigungen haben 


!) GC. Huber, The Spinal Ganglia of Amphibia. Anat. Anzeiger, 
Bd. XII, 1896, S. 417. 

?) G. Levi, Beitrag zur Kenntnis der Struktur des Spinalganglions. 
Verhandl. d. Anat. Gesellschaft. Genf 1905, S. 158. 

3) J. Disse, Über die Spinalganglien der Amphibien. Verhandl. der 
Anat. Gesellschaft. Göttingen 1893, S. 201. 


260 M. v. Lenhossek: 


dann geliefert: ich!) (1894) für das Hühnchen, Spirlas”) (1896) 
für Säugerembryonen, Dogiel°) (1896, 1897) und Cajal*) (1898) 
für verschiedene Tiere. Das Schicksal dieser überzähligen Fort- 
sätze konnte aber bisher nicht aufgeklärt werden. Im allge- 
meinen herrscht die Auffassung vor, dass wir es hier mit 
dendritenartigen Ausläufern zu tun haben. 

Ich habe im Verlaufe vorliegender Untersuchungen diese 
multipolaren Zellen in den Spinalganglien des Menschen wieder- 
gefunden, allerdings auch hier nur als sporadische Elemente. 
Die Beobachtungen aber, die ich über das Verhalten dieser Fort- 
sätze machen konnte, weichen von der bisherigen Auffassung 
sehr beträchtlich ab und lassen sie in einem ganz anderen Lichte 
erscheinen. Ich finde vor allem, dass diese Fortsätze, von denen 
man an einem Durchschnitt der Zelle oft sechs, sieben nach- 
weisen kann, durchaus nicht den Charakter von Dendriten haben. 
Sie stellen sich vielmehr vollkommen in der Glätte und Schärfe 
echter Nervenfortsätze dar und sind von sehr verschiedener Dicke. 
Manchmal sind es grobe Balken, viel häufiger aber zarte Fäserchen, 
die mit einem kleinen hügelartigem Anfangsstück ziemlich un- 
vermittelt von der Oberfläche der Zelle entspringen. Was aber 
am meisten überrascht, ist das weitere Verhalten dieser Fort- 
sätze (Fig. 18). Geht man ihnen nämlich nach, so findet man, 
vorausgesetzt, dass sie nicht gleich an ihrem Ursprunge oder 
nach kurzem Verlauf abgeschnitten sind, dass sie innerhalb der 
Kapsel, zwischen den Mantelzellen in bogenförmigen und 
winkligen Anastomosen mit Nachbarfortsätzen ihr 
Ende finden, und zwar bilden nicht nur je zwei mit einander 
solche Verbindungen wie es bei den oben beschriebenen Schlingen 
der Fall ist, sondern es können sich mehrere solche Fortsätze 
nach einander gegenseitig vereinigen, so dass um die Nerven- 
zelle herum ein zierliches, von der Zelloberfläche weit ab- 


!, M.v. Lenhossek, Beiträge zur Histologie des Nervensystems und 
der Sinnesorgane. Wiesbaden 1904, S. 129. 

®) Spirlas, Zur Kenntnis der Spinalganglien der Säugetiere. Anat. 
Anzeiger, Bd. 11, 1896, S. 629. 

®) A.S. Dogiel. Der Bau der Spinalganglien bei den Säugetieren. 
Anat. Anz., Bd. 12, 1896, S. 140. — Derselbe. Zur Frage über den feineren 
Bau d. Spinalganglien. Internat. Monatschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. 14, 1897. 

#) S.R. Cajal y Oloriz, 1.c. 


aa a ee 


Die Spinalganglienzellen. 261 


stehendes weitmaschiges Gitterwerk zustande kommt. Das Gitter 
ist, wie gesagt, zwischen die Mantelzellen eingebettet, die an 
solchen multipolaren Exemplaren eine besonders starke Ent- 
wicklung zeigen. Gewöhnlich lassen sich die multipolaren Zellen 
schon bei schwacher Vergrösserung an der stärkeren Entwicklung 
des Zellmantels erkennen. Den Bereich der Mantelzellen scheinen 
diese Fortsätze im allgemeinen nicht zu verlassen.') 


Wir haben also hier eine ganz eigenartige Beobachtung, 
die meines Wissens im ganzen Nervensystem einzig dasteht. 
Nirgends konnte bisher, soviel ich weiss, eine derartige schlingen- 
förmige, auf wahrer Anastomose beruhende Verbindung der Fort- 
sätze je einer Zelle unter sich ganz einwandfrei nachgewiesen 
werden. Dem möglichen Verdachte, dass hier etwas Patho- 
logisches vorliege, muss ich entschieden entgegentreten. Übrigens 
dürfte schon ein Blick auf Fig. 24 die Grundlosigkeit dieses Ver- 
dachtes ergeben; derartige Bilder können doch durch pathologische 
Vorgänge kaum entstehen. Diese schlingenförmigen Fortsätze 
geben uns sowohl nach der physiologischen, wie nach der 
histogenetischen Seite hin Rätsel auf. Die gewöhnliche Art der 
Erklärung über die Entstehung der Dendriten kann hier nicht 
zutreffen. Sie können unmöglich nach Art der gewöhnlichen 
Dendritenbildung als freie Auswüchse vom Zellkörper entstehen, 
da man sich dabei ihre sekundäre Verbindung nicht recht vor- 
stellen könnte. Naheliegender ist die Annahme, dass sie durch 
peripherische Dehiscenzen, nach Art der Entstehung der Bogen- 
gänge des membranösen Labyrinthes zustande kommen. Eine 
prinzipielle Bedeutung für die grossen Fragen des elementaren 
Aufbaues des Nervensystems kommt diesen Verbindungen nicht 
zu, da es sich nicht um Anastomosen von Nachbarzellen mit 
einander, sondern um Verbindungen im Bereich einer und der- 
selben Zelle handelt. — Ich bemerke, dass diese anastomosierenden 
Fortsätze auch in den Ganglien der Hirnnerven, und zwar sowohl 
in den spinalganglienartig gebauten, wie in den nach Art der 
sympathischen Ganglien beschaffenen anzutreffen sind. 


!) Die multipolaren Elemente, die Cajal als c&lulas multipolares con 
dendritas recias y cortas beschreibt, habe ich in meinen Präparaten aus den 
Spinalganglien nicht wahrnehmen können, dagegen sie als gewöhnliche Zell- 
form in den Hirnnervenganglien vom sympathischen Typus beobachtet. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 18 


262 M. v. Lenhossek: 


Das Verhalten des Fortsatzes beim Pferde. Eine 
merkwürdige Eigenart besteht bezüglich des Fortsatzes beim 
Pferde. Multipolare Zellen kommen hier nach meinen Be- 
obachtungen nicht vor, dagegen finden wir als sehr häufige Er- 
scheinung, dass der Fortsatz bald nach seinem Ursprung inner- 
halb der polaren Anhäufung von Mantelzellen während seiner 
Windungen eine Reihe von stärkeren und schwächeren Nebenästen 
abgibt, die sich merkwürdigerweise miteinander und mit dem Fort- 
satze anastomotisch verbinden und so ein geschlossenes Reticulum 
bilden. Es entspricht dieses Reticulum dem oben beschriebenen 
Gitterwerk der multipolaren Zellen beim Menschen, nur mit dem 
Unterschied, dass sich das Gitter hier nicht um die ganze Zelle 
ausbreitet, sondern sich auf die Polgegend beschränkt, die aller- 
dings wegen der starken Anhäufung der polaren Mantelzellen 
dem Gitter eine grosse Ausdehnung gestattet. Auch ist diese 
Gitterbildung hier viel häufiger, als diejenige beim Menschen ; 
ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich behaupte, dass etwa bei 
jeder zweiten Zelle dieses merkwürdige Verhalten besteht. Voll- 
ständige Anschauungen des ganzen Gitterwerkes erhält man 
niemals an den Schnitten; immer liegen nur Fragmente vor, wie 
sie in den Figg. 19 und 20 zur Ansicht gebracht sind. Sehr 
häufig kommen auch Schlingenbildungen am Fortsatze vor, ent- 
weder in Form von Seitenschlingen, d.h. von schwächeren 
Nebenästen, die sich bald wieder mit dem Fortsatz vereinigen 
(Fig. 21—23), oder in der Form, dass sich der Fortsatz buch- 
stäblich in zwei oder mehr gleichstarke Äste aufsplittert, die 
sich schon nach kurzem Verlauf wieder vereinigen (Fig. 24). Es 
sind dies recht auffallende Befunde, bie physiologisch einstweilen 
nicht verwertet werden können. 


Budapest, den 28. März 1906. 


Die Spinalganglienzellen. 263 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX und X. 


Fig. 1 u. 2. Spinalganglienzellen vom Menschen, ohne Knäuelbildung des 

Fortsatzes. 

Fig. 3. Katze, Fig. 4 Hund. 

Fig. 5—7. Mensch. Der Fortsatz zeigt eine zunehmende Knäuelbildung. 
In Fig. 7 ein Leukocyt zwischen Zelloberfläche und Mantelzellen. 

Fig. 8-10. Spinalganglienzellen vom Neugeborenen. 

Fig. 11. Mensch. Nervenendigungen zwischen den Mantelzellen (Termina- 
ciones periglomerulares von Cajal). Zwischen Zelloberfläche und 
Mantelzellen zwei Leukocyten. 

Fig. 12—15. Mensch. Zellschlingen. 

Fig. 16 u. 17. Mensch. Lappenförmiger, an einer dünnen Faser hängender 
Anhang der Zellen. In Fig. 16 geht die Faser vom Zellkörper, in 
Fig. 17 vom Fortsatz aus. 

Fig. 18. Mensch. Multipolare Spinalganglienzelle mit anastomotischer Ver- 
bindung der Fortsätze. 

Fig. 19 u. 20. Pferd. Flachschnitt aus der polaren Gegend; die Zelle selbst 
ist nicht mehr getroffen, dagegen sieht man Fragmente der Ver- 
ästlung des Fortsatzes. 

Fig. 21—23. Pferd. Schlingenbildungen am Fortsatz. Die umgebenden 

| polaren Mantelzellen sind weggelassen. 


Sämtliche Zellen sind mit dem Zeichenapparat und nach Präparaten 
gezeichnet, die mit der Cajalschen Ammoniak-Silbermethode hergestellt sind. 


132 


264 


Aus dem Institut für menschliche Anatomie der königl. Universität zu Siena 
(Prof. S. Bianchi). 
Konformation, Struktur und Entwicklung 


der Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 
Von 
Dr. Bernardino Lunghetti, Volontär-Assistent. 


Hierzu Tafel XI und XII und 11 Textfiguren. 


Die Bürzeldrüse ist bekanntlich eine besondere Hautdrüse 
der Vögel. Durch ihre Ansehnlichkeit und ihre Gestalt zog sie 
recht bald die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich. Wir 
finden ihrer Erwähnung getan in den alten Werken von 
Friedrich U, Willughby, Ray, Schneider, Bechstein, 
welche vor allem die Funktion und äussere Gestaltung des 
Organs erforschten. Die ersten auf den inneren Bau der Drüse 
bezüglichen Mitteilungen stammen von Cuvier, welcher be- 
hauptete, dass die Drüse aus geschlossenen secernierenden 
Bläschen bestehe. Später beschäftigten sich mit dem Gegenstand 
Tiedemann, Blainville, Müller, welch letzterer in der 
Bürzeldrüse die Anwesenheit nicht verzweigter Schläuche ent- 
deckte, die nach einem inneren Hohlraum konvergieren, in den 
sie münden. Nitzsch untersuchte eingehend die Anwesenheit 
und Verteilung der Federn auf dem Ausführungsgang, ja wollte 
daraus taxonomische Daten ziehen. Einige spärliche Notizen 
finden sich in der Folge in allen Lehrbüchern der vergleichenden 
Anatomie. 

Eine methodische und wahrhaft wissenschaftliche Unter- 
suchung des Organs wurde erst später von Kossmann unter- 
nommen und neuerdings durch Pilliet und Orlandi weiterge- 
führt. Diese Untersuchung darf als unter einem zweifachen 
Gesichtspunkt angestellt bezeichnet werden. Auf der einen Seite 
suchte Kossmann durch Untersuchung der Drüse in ver- 
schiedenen Vogelarten die innerste Konstitution derselben fest- 
zustellen, auf der anderen bestrebte er sich, durch Erforschung 
ihrer genauen Struktur deren wirkliche Funktion abzuleiten. 
Doch kann weder die eine noch die andere dieser beiden Unter- 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 265 


suchungen vollständig genannt werden. Während in der Tat 
einerseits die vergleichenden Forschungen an vier oder fünf aufs 
Geratewohl genommenen Vogelarten ausgeführt wurden, wodurch 
er nicht zu allgemeinen Schlüssen gelangen konnte, war anderer- 
seits die bei dem histologischen Studium angewandte Technik 
allzu einfach und nicht immer korrekt. Man begreift so, dass 
den einzelnen Beobachtern bemerkenswerte Umstände entgangen 
sind und über verschiedene Punkte Meinungsverschiedenheiten 
bestehen. 

Was wir über die Bürzeldrüse wissen, lässt sich also zu- 
sammenfassen: Obschon die Drüse bei den meisten Vögeln vor- 
handen ist, fehlt sie bei vielen Arten.) Dies könnte nach 
Kossmann in Beziehung gebracht werden zu der Lebensweise 
des Vogels selbst und zu den von ihm bewohnten Gegenden. 
Bei den mit der Drüse ausgestatteten Arten bestünde gleichfalls 
eine Beziehung zwischen Grösse der Drüse, Grösse des Vogels 
und Lebensgewohnheiten. Dieselbe zeigt sich verschiedenartig 
gestaltet, obschon sie stets aus zwei seitlichen von einander un- 
abhängigen Hälften besteht. Sie wird gebildet durch eine grosse 
Menge strahlenförmiger Drüsenschläuche, die sämtlich in zwei 
zentrale Höhlen einmünden, die in einigen Fällen fehlen (Ente 
nach Kossmann), in anderen dargestellt sind durch eine Er- 
weiterung des Ausführungsganges (Taube, Reiher). Diese sind im 
allgemeinen in Zweizahl vorhanden, je einer für jede Drüsenhälfte, 
können jedoch bis zu sechs betragen (nach Nitzsch beim 
Pelacanus crispus), oder auf einen heruntergehen (Hupupa epops). 
Die Drüsenschläuche sind einfach, obschon sie nach Kossmann 
eine Spur von Gabelung bieten können, und schwanken in Zahl 
(in einem Querschnitt sollen sich ihrer bei der Ente 48, bei der 
Taube 30—40 finden), Länge und Durchmesser. Sowohl 


!) Sie fehlt bei den Ratiten, Otis, Argus giganteus, Ptilopus, Erythroenas, 
Didunculus, Goura, Starnoenas, Treron, Brotogerys, Chrysotes, Ponus, Cacatua 
sulphurea cristata, Podargus. (Gadow in Bronns Klassen und Ordnungen 
des Tierreichs). Der Apterix sec. Beddard besitzt noch eine Drüse: ebenso 
wie sie bei jungen Dromaeus Novae Hollandiae und bei den Embryonen von 
Rhea americana vorhanden sein soll (Pycraft). Nach Darwin soll sie bei 
der Columba laticauda, militaris, coronata fehlen. Nach Nitzsch wäre sie 
bei vielen Papageien (Psittacus rufirostris, deminicensis leucocephalus). bei 
der Columba militaris und coronata, im Genus Otis, beim Argus giganteus 
und in der ganzen Ordnung der Laufvögel abwesend. 


266 Bernardino Lunghetti: 


Kossmann wie Pilliet und Orlandi beschreiben sie als 
durch ein mehrschichtiges Epithel polyedrischer Zellen ausge- 
kleidet, von denen die oberflächlichst gelegenen sich in Auflösung, 
die untersten in aktiver Regeneration befinden. 

In den Zellen der oberflächlichen Schichten beschreibt 
Kossmann zahlreiche Fettropfen, die Pilliet in Abrede stellt, 
da er sie an Präparaten von in Osmiumsäurelösungen fixierten 
Stücken nicht hat wahrnehmen können. Orlandi beschreibt 
darin nur ein granulöses Protoplasma.. Um die Drüse herum 
wird von allen eine Muskelhülle beschrieben, deren Fibrozellen 
nach Kossmann sich zwischen die Schläuche einschieben, nach 
Orlandi auf die äussere Hülle beschränkt bleiben sollen. 

Eine wichtige Frage ist die, welche die Form der Drüse 
betrifft. Kaum angedeutet von Kossmann, der sich darauf 
beschränkt zu bemerken, dass die Bürzeldrüse aus vielen einfachen 
Drüsenschläuchen bestehe, wurde sie neuerdings von Pilliet 
unter dem Gesichtspunkte neuer Vorstellungen über Form und 
Klassifikation der Drüsen wieder aufgenommen und eingehend 
behandelt. Nachdem er darauf aufmerksam gemacht, dass hin- 
sichtlich ihrer Form die Glandula uropygii sich mit keinem 
der gewöhnlichen Drüsentypen vergleichen lasse, schliesst er, 
dass dieselbe einen besonderen Drüsentypus bilde, „que nous 
avons designe sous le nom de glande en tube compose et qui 
est si constant chez les Oiseaux“. Diese Form zeige sich 
„beaucoup plus developpee chez les Chelonenus; M. Mac Leod 
l’a constatee sur la glande de Harder de ditferents oiseaux, sur 
les glandes ä venin des Serpents; enfin la glande superanale 
etudice par M. R. Blanchard, pouis par nous“. 

Orlandi hingegen schliesst, dass die Bürzeldrüse aus 
zahlreichen zusammengesetzten Drüsen hervorgeht, deren Aus- 
führungsgang an Länge zurückgegangen ist, während sich die zu 
Schläuchen gestalteten Verzweigungen entwickelt haben, da er 
nämlich beobachtet hat, dass die Drüsenschläuche nicht direkt 
in die zentrale Höhle einmünden, sondern durch Vermittlung 
einiger Gänge, die Verfasser als Hauptgänge bezeichnet und die auf 
die Verschmelzung mehrerer Drüsenschläuche zurückzuführen sind. 

Die Entwicklung ist von Kossmann und Orlandi einzig 
beim Huhn studiert worden und, wie wir später sehen werden, 
stimmen dieselben in den allgemeinen Zügen überein. Pilliet 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 267 


gibt nur einige summarische Mitteilungen über die Entwicklung 
der Drüse beim Hühnchen. 

Bei Ausführung vorliegender Arbeit habe ich gesucht, so 
viele Vogelarten als möglich zu beobachten; weiter habe ich 
mich bestrebt, bei meinen Untersuchungen die besten Methoden 
zu verwenden, welche uns die histologische Technik liefert. Zu 
diesem Zweck wählte ich unter den zahlreichen Härtungs-, 
Färbungs- usw. Verfahren diejenigen, welche mir am geeignetsten 
erschienen, andere derselben erdachte ich neu. Nachstehend 
kurz die von mir eingeschlagene Technik. Zur Fixierung ver- 
wandte ich unterschiedslos 70°/oigen Alkohol, Sublimat, 
Zenkersche, Folsche, Flemmingsche Lösung. Während ich zur 
Färbung nicht von den gewöhnlichen Methoden abging, musste 
ich zur Einbettung und Zerlegung der Stücke eine besondere 
Technik einschlagen und zwar zum Zwecke der Vermeidung 
einer übermässigen Härte gewisser fibröser Teile. Für die Ein- 
bettung habe ich konstant die schnelle Methode im Vakuum 
angewandt, und auf diese Weise eine vollkommene Durchtränkung 
des Stückes bei kurzem Verbleiben in der Wärme erhalten, 
wobei die Stücke geschmeidiger und in besserem Zustande der 
Erhaltung bleiben. Auf Rat von Prof. Ruffini legte ich die 
Stücke auch für kurze Zeit in gereinigtes Schweineschmalz ein.') 
Zur Zerlegung derselben verwendete ich dann lange schräg an 
dem Mikrotom in der gleichen für Celloidin verwandten Weise 
angebrachte Rasiermesser. 

Es ist mir so möglich gewesen, vollständige Serien sowohl 
von Drüsen ausgewachsener Individuen als auch von embryo- 
logischen Stücken zu erhalten und auf diese Weise wichtige Tat- 
sachen zu beobachten. Bei dem- Studium einer Art habe ich 
ausserdem gesucht, viele Individuen zu untersuchen und aus der 
Untersuchung aller einen synthetischen Schluss zu ziehen. Stets 


!) Es ist dies ein Verfahren, welches wir seit einiger Zeit im Labo- 
ratorium verwenden. Die entwässerten und geklärten Stücke werden auf 
eine Stunde oder länger je nach der Dicke in gereinigtes Schweineschmalz 
bei 37° eingelegt; alsdann werden sie auf die gleiche Zeit in bei niedriger 
Temperatur (36—42°) schmelzbares Paraffin gelegt. Schliesslich werden sie 
im Vakuum bei 55° in dem von Picconi modifizierten Apparat Garbinis ein- 
gebettet. Die Stücke fibröser Teile werden dadurch erheblich geschmeidig 
gemacht. Auch Kossmann fügte, um die Brüchigkeit des Einbettungs- 
paraffıns zu verhüten, ein Drittel Fett hinzu. 


268 Bernardino Lunghetti: 


habe ich die Untersuchung der Drüse vorgenommen, indem ich 
sie sowohl in Längsrichtung wie in Querrichtung zerlegte und 
die erhaltenen Schnitte in Serien ordnete.!) 


Gallus gallus?) 


Die Drüse ist ziemlich umfangreich. Sie liegt entsprechend 
den letzten Kaudalwirbeln in der Dicke des subkutanen Fett- 
polsters, in dem sie vollkommen verborgen ist. Von aussen sieht 
man nur eine leichte Erhöhung der Region, aus deren Mitte 
sich ein kleiner Vorsprung erhebt, auf dessen Kuppe die Aus- 
führungsgänge der Drüse nach aussen münden und der ganz das 
Aussehen einer kleinen Zitze hat. Diese ist länglich, leicht 
konisch, bisweilen zweiteilig und an der Spitze mit einem Feder- 
büschelchen ausgestattet. Die sie bekleidende Haut ist glatt 
und zart und dieses Aussehen der Epidermis erhält sich für eine 
gewisse Strecke um die Basis der Zitze herum, wo sich so eine 
Art Hof bildet. Ausser durch die Kontinuität der Zitze mit der 
Haut wird die Drüse festgehalten durch starke Bindegewebssepten, 
die, besonders gegen die Zitzenbasis hin, ihre tief gelegene 
Fläche an die letzten Kaudalwirbel anhängen. 

Herausgeschält erscheint sie in der Form einer kleinen 
rundlichen, im vorderen Teil zweilappigen, glatten Masse von 
gelblicher Farbe, welche sich nach hinten in die Zitze fortsetzt. 
Führt man einen Schnitt durch ihre ganze Dicke, so findet man, 


*) In diesen meinen Untersuchungen habe ich mich nicht ausdrücklich 
mit der Physiologie und Biochemie der Drüse und ihres Sekrets befasst. 
Für wen es jedoch Interesse haben könnte, erwähne ich, dass physiologische 
Versuche ausgeführt wurden von Philipeaux, Goubaux, Bert, welche 
bei verschiedenen Vögeln die Bürzeldrüse mit recht verschiedenem Resultat 
exstirpierten, insofern als sie in einigen Fällen Alterationen im Gefieder er- 
hielten, die in anderen ausblieben. Ich für meinen Teil, unterzog dieser Be- 
handlung zwei junge Hühner (drei Monate alt), jedoch mit vollkommen 
negativem Erfolg. Was die chemische Zusammensetzung des Sekretes angeht, 
so haben wir, abgesehen von der alten Analyse Chevreuils, die von 
de Jonge und in neuerer Zeit die in dem Lehrbuch von Bottazzi mitge- 
teilte und die von Röhman. 

?) Ich beschreibe zuerst die Drüse des Huhns, insofern ich sie, da ich 
an ihr die ausgedehntesten Untersuchungen ausgeführt habe, zum Vergleich 
mit den übrigen Arten heranziehen kann. Diese folgen sich dann nach der 
in dem Lehrbuch der Zoologie von Emery angegebenen Klassifikation; ihre 
Nomenklatur ist die in dem ornithologischen Atlas von Arrigoni gebrauchte. 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 269 


dass die Mitte eingenommen wird durch zwei unregelmässige 
Höhlen, welche mit einer zuerst öligen, dann dicken, wachsartigen 
Flüssigkeit, dem Sekretionsprodukt, angefüllt sind. Nach hinten 
verjüngen sich die beiden Höhlen und münden vermittels zweier 
Ausführungsgänge nach aussen. Die Wände der Höhlungen sind 
von einer grossen Anzahl Zwischenwände durchzogen, welche 
durch Verflechtung untereinander eine grosse Anzahl Gruben 
von äusserst verschiedener Gestalt und Tiefe begrenzen. Das 
Ganze gleicht der Innenfläche der Herzventrikel.e. Um die Höhle 
herum liegt eine dicke Schicht von Drüsensubstanz. 


Rh 


2 


WER BE 
| 


Fig. 1. 


Mikroskopische Untersuchung. An einem Längs- 
schnitt sieht man, dass die Drüse aus zwei wohl unterschiedenen, 
obschon eng aneinander gedrängten Lappen besteht (Kossmann, 
Orlandi). Ein jeder Lappen zeigt sich in Form einer rund- 
lichen Tasche in dem vorderen Teil, wo er mit blindem Boden 
endigt, verjüngt nach hinten, wo er sich in einen Ausführungs- 
gang fortsetzt. Die Wandung wird aussen gebildet durch eine 
kräftige Faserhülle, innen durch eine Schicht von Drüsensubstanz, 
deren Dicke gegen den blinden Boden ein Maximum erreicht 


270 Bernardino Lunghetti: 


und je mehr sie sich dem Ausführungsgang nähert, allmählich 
abnimmt (Tafel XI, Fig. 1). Die Drüsensubstanz besteht aus 
einer grossen Anzahl einfacher Schläuche die mit den blinden 
Enden in unmittelbarer Berührung stehen mit der Faserhülle, 
gegen die Höhlung hin in mehr oder weniger grosse Einsenkungen 
münden, welche nichts anderes sind als die mit blossem Auge auf 
den Wandungen der Höhlung bemerkten Einsenkungen. 

Die Anwesenheit dieser Einsenkungen gibt der innersten 
Zone der Drüsenschicht ein von dem der äusseren sehr ver- 
schiedenes Aussehen. Diese besteht einzig aus regelmässig in 
der schon erwähnten Weise angeordneten Schläuchen und wir 
können sie als Schlauchabschnitt bezeichnen. Die innerste 
Zone wird gebildet durch Trabekel und unregelmässige Scheide- 
wände, welche zwischen sich ausgebuchtete Zwischenräume be- 
grenzen: wir können sie Schwammabschnitt nennen. Diese 
Unterscheidung der Drüsensubstanz in zwei Abschnitte hat eine 
gewisse Bedeutung nicht nur inbezug auf die Form sondern auch 
in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht und gestattet uns, einigen 
Erscheinungen, deren Interpretation meiner Ansicht nach nicht 
exakt gewesen war, ihre rechte Würdigung angedeihen zu lassen. 
Den Beobachtern, die mir vorausgegangen sind, namentlich 
Orlandi war die Anwesenheit dieser Einsenkungen, die sich 
mehr oder weniger tief in die innersten Schichten des Drüsen- 
gewebes einschieben, nicht entgangen. Da sich Orlandi jedoch 
auf die Untersuchung mikrotomischer Schnitte beschränkt hatte, 
erklärte er sie als echte Ausführungsgänge, von denen sich zahl- 
reiche Drüsenschläuche abtrennen sollten. Er kam deshalb zu 
dem Schluss, dass „die Drüsenschläuche nicht als selbständig 
anzusehen seien, sondern als Teile einer grossen Zahl multipler 
Drüsen, welche alle zusammen sich zur Bildung einer definitiven 
Masse vereinigen“. ÖObschon im Grunde genommen dieser Schluss 
richtig ist, so muss doch darauf aufmerksam gemacht werden, 
dass die vermeinten gemeinschaftlichen Ausführungsgänge oder 
Hauptgänge, wie sie Orlandi nennt, ganz und gar keine Gänge 
sind, sondern weite Gruben, die, wie wir sehen werden, nichts 
weiter sind als ein geringer Rest der Gänge selbst. Dazu sind 
die Wandungen dieser Einsenkungen mit einem Epithel ausge- 
kleidet, welches alle Eigenschaften des Drüsenepithels besitzt. 
Deshalb halte ich es nicht für richtig, zwischen Drüsenschläuchen 


a rn 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 271 


und Grubenwandungen jenen Unterschied zu machen, welcher 
zwischen Drüse und Ausführungskanal besteht. Es ist vielmehr 
dieser schwammige Teil mit dem Drüsengewebe in Verbindung 
zu bringen. 

Was nun die feinere Struktur dieser Teile angeht, so 
werden wir die Schläuche, die Trabekel des Schwammabschnittes, 
die Kapsel und die Zitze gesondert untersuchen. 

Im Querschnitt erscheinen die Schläuche eng unterein- 
ander zusammengepackt und von polygonalem Aussehen: sie sind 
getrennt durch wenig schlaffes Bindegewebe, das von der Faser- 
kapsel herkommt und in dem zahlreiche Blutgefässe und Nerven- 
fasern verlaufen. Dieses Bindegewebe geht leicht bei den ver- 
schiedenen Manipulationen auseinander und erscheint alsdann 
gebildet aus einer feinfibrillären Grundsubstanz und einer gewissen 
Menge Zellen, von denen einige sich eng an die Schlauchwände 
anschmiegen.!) Doch ist dieses Aussehen des Bindegewebes in 
dem Schlauchabschnitt ein ganz und gar künstliches Produkt. 
In den Präparaten der in Celloidin eingebetteten Stücke, in 
denen die Beziehungen in höherem Grade erhalten werden, stehen 
die Schläuche in unmittelbarer Berührung untereinander und das 
Bindegewebe erscheint als ein dünner Zwischenstreifen. Jeder 
Schlauch besteht aus einer Basalmembran und einem Epithel. 
Die Anwesenheit der ersteren habe ich an einigen Präparaten 
von hyperfixierten Stücken wahrnehmen können, bei denen das 
Epithel sich losgelöst hatte, dabei die Basalmembran in Form 
einer äusserst dünnen Lamelle freilassend. 

Das Epithel besteht aus vielen Schichten mit verschiedenem 
Charakter ausgestatteter Zellen. Die tiefst gelegenen Zellen sind 
klein von meistens dreieckiger Form, die gemäss der Schlauch- 
achse etwas platt gedrückt sind. Sie besitzen einen kleinen 
chromatinreichen Kern: das Protoplasma ist verhältnismässig 
spärlich und körnig und die Zelle hat im ganzen eine dunkle 
Färbung. Hier und da finden sich in dieser Schicht karyo- 
kinetische Bilder, die jedoch infolge des geringen Umfangs der 


!) Durch einige Eigenschaften ähneln diese Zellen den Korbzellen, die 
von Boll bei der den Drüsen eigenen Membran beschrieben und jüngst von 
Lacroix in der Brustdrüse aufgefunden worden sind. Da es mir jedoch 
nicht gelungen ist, sie frei zu erhalten durch Dissociation, kann ich nicht 
genau bestimmen, welches ihre Form und ihre Bedeutung ist. 


272 Bernardino Lunghetti: 


Kerne und der dunklen Färbung der Zellen selbst wenig in die 
Augen fallend sind. Es ist also diese unterste Schicht die Keim- 
schicht. Mehr nach der Oberfläche hin werden die Zellen um- 
fangreicher, heller, gut untereinander abgegrenzt (Taf. XII, Fig. 4). 
Der Kern ist gross, vesikulär, arm an Chromatin. Das reichliche 
Protoplasma war bisher beschrieben als feinkörnig. Dasselbe 
zeigt sich hingegen gebildet durch ein höchst zierliches Netzwerk 
mit einer grossen Anzahl polygonaler Maschen von schematischer 
Regelmässigkeit, welche kleine offenbar mit einem meta- 
plasmatischen Produkt angefüllte Räume umschreiben (Taf. XI, 
Fig. 2). Dieses Netzwerk, dessen Anwesenheit nur mittelst ge- 
eigneter Fixierungen zu gewahren ist, färbte sich diffus mit den 
Protoplasmafarben und nach allen seinen Eigenschaften zeigt es 
sich gebildet durch Protoplasmafäden. 

In den Zellen der oberflächlichen in direkter Berührung 
mit dem Lumen des Schlauches stehenden Schichten bemerkt 
man Anzeichen tiefgehender Degeneration. Während in der Tat 
die Zellform sich ziemlich erhält, schrumpft der Kern zusammen, 
zerstückelt sich und man bemerkt die Überreste desselben im 
Lumen des Schlauches. Auch das Protoplasma verändert sich, 
das Netzwerk verschwindet allmählich und die Zeilen verschmelzen 
schliesslich zu einer formlosen Masse. 

Was die Natur der im Innern der Zellen beobachteten 
Sekrettropfen angeht, auf deren Anwesenheit das netzartige Aus- 
sehen des Protoplasma zurückzuführen ist, so sind dieselben, 
teilweise wenigstens, fettiger Natur. In der Tat färben sie sich bei 
Berührung mit Osmiumsäure intensiv schwarz und sind, teilweise 
wenigstens, in Äther, Xylol usw. löslich. Wegen des ausserordent- 
lichen Reichtums des Organs jedoch an Fett erschöpfen sich die 
ÖOsmiumflüssigkeiten rasch und die Reaktion kann ganz und gar 
ausbleiben oder nur zum kleinsten Teil vor sich gehen. Eben 
dies ist der Grund, der Pilliet dazu führte, den obenerwähnten 
Granulationen die Fettnatur abzusprechen.. Doch verhalten sich 
die Granulationen der verschiedenartigen Zellschichten den Rea- 
gentien gegenüber nicht gleichmässig. Während ich in der Tat 
in den oberflächlichen Schichten sehr häuflg Schwärzung der 
Fettropfen erhalten habe, ist mir dies bei denen der tiefliegen- 
den Schichten nicht gelungen (Taf. XI, Fig. 4), für die wir also 
eine verschiedene chemische Konstitution annehmen müssen. 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 273 


Welches dieselbe sein möge, ist mir nicht gelungen festzustellen. 
So viel Färbungen ich auch versucht habe, so haben die Tropfen 
sich doch konstant farblos und gänzlich durchsichtig erhalten. 
Gleich Winkler und Schrötter habe ich keine Eleidintropfen 
darin angetroffen. | 

Kurz zusammengefasst, können wir also in dem Epithel 
drei Hauptschichten unterscheiden. Eine tief gelegene mit einer 
oder zwei Reihen kleiner in Vervielfältigung begriffener Zellen: 
die Keimschicht. Eine zweite mittlere Schicht, deren Zellen 
gross werden und die in ihrem Innern ein reichliches Sekretions- 
material enthalten, welches jedoch noch nicht Fett ist, sondern 
eine Art präadipöser Substanz darstellt. Sie besteht aus zahl- 
reichen Zellreihen und wir können sie ohne weiteres als Mittel- 
schicht bezeichnen. Endlich eine oberflächliche Auflösungs- 
schicht, deren Zellen die Merkmale der Zerstörung zeigen und 
bei denen die Anwesenheit von Fettropfen im Innern der Zellen 
selbst vollkommen ersichtlich ist. 

Die nach Form und Umfang unregelmässigen Trabekel 
sind bekleidet mit einem Bindegewebsbalkenwerk und einem Be- 
kleidungsepithel. Das Bindegewebe ist eine Abstammung des 
intertubulären Bindegewebes, in das es sich direkt fortsetzt. Es 
ist schlaff und reich an Gefässen. Das Bekleidungsepithel ist 
seiner Struktur nach nicht von dem der Drüsenschläuche ver- 
schieden und es lassen sich an ihm die drei Schichten: Keim- 
schicht, Mittelschicht, Auflösungsschicht unterscheiden. Die ober- 
flächlich gelegenen Zellen enthalten auch hier Fettropfen und 
nehmen an der Sekretbildung lebhaften Anteil. 

Die Faserhülle bildet zwei Arten von enganeinander 
gedrängten Säckchen (Kossmann, Orlandi) die nach hinten 
mit dem Zäpfchen verbunden sind. Die Dicke der Kapsel ist 
grösser nach dem blinden Grund hin als gegen die Verengerung 
des Drüsenlappens. Sie besteht aus mehreren Schichten von 
bündelförmigem Epithel, dessen Bündel sich in verschiedenartiger 
Richtung untereinander verflechten. Von der äusseren Fläche 
gehen zahlreiche Bindegewebsbündel aus, die zur Fixierung des 
Organs dienen: von der Innenfläche trennen sich dünne Scheide- 
wände ab, die dann das intertubuläre Bindegewebe und das Balken- 
werk der Trabekel bilden. Medialwärts treten die Fasersäckchen 
untereinander in Berührung, doch bleiben die beiden Wände 


274 Bernardino Lunghetti: 


deutlich unterschieden und sind durch etwas schlaffes Bindege- 
webe getrennt, in dem Gefässe in sagittalem Sinne verlaufen. 
Dieses Verhältnis dauert an bis an die Basis des zitzenförmigen 
Zäpfchens, wo die Tunicae infolge der Verjüngung des Lappens 
von einander abrücken und durch ein Fettläppchen getrennt 
sind. Gleichzeitig verdünnen sich die Faserscheiden mit dem 
allmählichen Annähern an die Basis der Zitze und verschwinden 
schliesslich fast gänzlich. Von verschiedenen Autoren (Koss- 
mann, Orlandi) werden in diesen Häuten reichliche glatte 
Muskelfasern beschrieben. Ihre Anwesenheit ist jedoch auf das 
zitzenförmige Zäpfchen und die Verengerung des Lappens be- 
schränkt; dazu bilden sie keinen integrirenden Teil der Tunicae 
selbst, sondern sind mit einer besonderen Anordnung in Bündel 
vereinigt. Der Drüsenkörper und der blinde Boden schliesslich 
sind derselben vollkommen bar. Die Faserhülle ist hingegen 
ausserordentlich reich an elastischen Fasern. 

Zitze. Ich bezeichne in dieser Weise jenen kleinen 
konischen Wulst, der über die Drüse emporragt und durch die 
Vereinigung der beiden Ausführungsgänge gebildet wird, die ihm 
in seiner ganzen Länge durchziehen und auf der Kuppe inmitten 
eines Federbüschelchens nach aussen münden. Dieselbe hat eine 
sehr komplexe Struktur. Aussen mit einer dünnen, glatten und 
haarlosen Hautschicht bedeckt, ist sie zum grössten Teil durch 
schlaffes, fettreiches Bindegewebe gebildet, in dem die beiden 
Ausführungsgänge mit ihren Häuten versenkt liegen. Diese 
haben einen parallelen Verlauf und ihre Wandung ist gebildet 
durch ein Bekleidungsepithel und durch eine darunterliegende 
Bindegewebsschicht, das etwas verdichtet ist. Das Epithel setzt 
sich oben in die Epidermis fort und behält eine gewisse Strecke 
lang deren Eigenschaften bei: es ist ein Pflasterepithel mit 
wenigen Lagen von Zellen, von denen die oberflächlichsten in 
Verhornung begriffen sind. Nach unten hin nimmt es an Dicke 
zu und die oberflächlichen verhornten Schichten beginnen zu 
verschwinden. In der bisher glatten Wand erscheinen Längs- 
ausbiegungen, auf deren Grund das Epithel anfängt die Eigen- 
schaften des Drüsenepithels anzunehmen, .bis sich dort echte 
secernierende Schläuche bilden. Die Bindegewebshaut ist sehr 
dünn und nichts weiter als die Fortsetzung der derben Drüsen- 
haut. Oben setzt sie sich in das Hautderma fort. 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 275 


Um die Ausführungsgänge herum liegt eine gewisse Menge 
glattes Muskelgewebe, welches man in zwei Gruppen unterscheiden 
kann. Die erste ausschliesslich auf die Zitze beschränkte besteht 
aus zahlreichen kontraktilen Faserzellenbündelchen, welche um 
die beiden Ausführungsgänge herum einen gemeinschaftlichen 
Gurt bilden. Innen von diesem befindet sich ein zweiter Muskel- 
ring, der einem jeden Ausführungsgang eigen ist und unmittelbar 
in Berührung mit ihrer Wand steht. In den Zwischenräumen 
zwischen diesen Muskelschichten finden sich einige Bündelchen 
mit längsgerichtetem Verlauf (Taf. XI, Fig. 5). Das zweite 
Muskelsystem nimmt hauptsächlich die Verengerung eines jeden 
Lappens ein und entspricht der haarlosen Hautzone, die die 
Basis der Zitze umgibt. Auch hier bilden die Muskelfasern einen 
äusseren Ring, welcher die Verengerung beider Lappen umgibt 
und einen inneren, der einem jeden derselben eigen ist. Einige 
spärliche Bündelchen schieben sich nach unten gegen den Lappen- 
körper vor. Sowohl die eine Muskelgruppe wie die andere hat 
mit der Faserkapsel nur eine Contiguitätsbeziehung, da sie auf 
ihrer äusseren Fläche nur aufgelegt sind. Mit ihren Enden 
jedoch inserieren sich zuweilen die einzelnen Muskelbündelchen 
auf derselben. Was die Wirkung dieser beiden Muskelgruppen 
angeht, so stehen wir zweifellos vor zwei antagonistischen 
Muskeln. Das auf die Zitze beschränkte System ist ein echter 
Schliessmuskel. Das System des Hofes hingegen vermindert 
mit seiner Kontraktion die Weite der Drüsenhöhlung, wodurch 
die Entleerung des Sekrets verursacht wird: es ist also ein 
Detrusormuskel. Gleich der Kapsel ist. auch die Zitze 
äusserst reich an elastischen Fasern. Dieselben sind am reich- 
lichsten im Hautderma und in der Bindegewebshaut der Aus- 
führungsgänge. Sie haben die verschiedenartigste. Richtung und 
bilden durch Kreuzung untereinander Netze von einem ausser- 
ordentlichen Reichtum. Obgleich spärlicher, finden wir sie auch 
in dem schlaffen Bindegewebe und zwischen den Muskelbündel- 
chen verstreut. Ja sie versorgen diese sogar mit echten Sehnchen, 
welche sich auf der einen Seite in Kommunikation setzen mit 
den kontraktilen Muskelfaserzellen, auf der anderen sich. entweder 
in dem Derma oder in dem Bindegewebe der Wand der Aus- 
führungsgänge ausfransen und an der Bildung des dort be- 
schriebenen Netzes Teil nehmen. Auch in der Dicke der 


276 Bernardino Lunghetti: 


Faserkapsel der Drüse bilden die elastischen Fasern äusserst 
reiche Netze. 

Gefässe und Nerven. Wie zuerst Kossmann bei der 
Ente und dem Huhn wahrnahm, wird die Bürzeldrüse durch 
einige Äste der Arteria caudae versorgt, welche zusammen mit 
den entsprechenden Venen zwischen den Apophysen der ersten 
Schwanzwirbel hindurchgehen. Diese Äste sind im allgemeinen 
in Dreizahl für jede Seite und gelangen zur Drüse, indem sie 
durch eine Artzwischen demM. spinalis caudae und dem M. levator 
rectricium gelegenen Rinne hindurchgehen. Die Gefässe durch- 
brechen schräg die Faserhaut und teilen sich, zwischen den 
Schläuchen angekommen, in eine grosse Menge von Ästchen, die 
dadurch, dass sie sich untereinander anastomosieren, um die 
Schläuche herum ein äusserst reiches Capillarnetz bilden (Taf. XIIa, 
Fig. 1). Von diesem trennen sich hier und da Capillarschlingen 
ab, welche für eine gewisse Strecke in die Dicke des Epithels. 
eindringen, indem sie die Basalschichten desselben vor sich her- 
schieben. Diese bei der Taube äusserst reichlichen Schlingen 
sind beim Huhn sehr selten und auf den dem Ausführungsgang 
nahe gelegenen Teil beschränkt. 

Die Nerven stammen zum Teil aus dem Rückenmark und 
haben einen dem der Gefässe ähnlichen Verlauf. An der Drüse 
angekommen, durchbrechen sie die Faserkapsel und bilden zwischen 
den Schläuchen ein äusserst reiches Netz von dünnen myelinfreien 
Fasern (Taf. XI, Fig. 5a), welche, ausgestattet mit einem vor- 
liegend längsgerichteten Verlauf, sich wiederholte Queranasto- 
mosen zuschicken. Obschon hier und da einige Erscheinungen 
sich vorfinden, welche es annehmen lassen, ist es mir nicht 
möglich gewesen in absoluter Weise festzustellen, ob von diesem 
Netz sich intraepitheliale Fäden abtrennen. 


Anas var. domestica. 


Die Bürzeldrüse ist bei der Ente enorm ausgebildet. Von 
aussen bemerkt man nur die Zitze, die kurz, dick, leicht in 
sagittalem Sinne komprimiert ist. Die rundliche Kuppe ist mit 
etwas Flaum versehen und zeigt die Öffnungen von zwei Aus- 
führungsgängen in Form von zwei schräg nach innen und hinten 
gerichteten Spalten. Die beiden die Drüse bildenden Lappen 
sind deutlich untereinander unterscheidbar und haben das Aussehen 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 277 


von zwei zylindrischen Körpern, die, nach vorn voneinander ab- 
gerückt, sich gegen die Basis der Zitze hin vereinigen, indem 
sie einen nach vorn offenen Winkel einschliessen. Die Zitzen- 
achse bildet mit der Achse der Lappen einen fast rechten Winkel. 

Jeder Lappen ist in seiner ganzen Länge von einem wenig 
in die Augen fallenden, gewundenen Kanal durchzogen, der sich 
in die Ausführungsgänge fortsetzt und der centralen Höhlung ent- 
spricht. Um die Höhle herum liegt eine reichliche Schicht Drüsen- 
gewebe, die nach aussen durch eine dünne Faserhaut begrenzt 
wird. Das Drüsengewebe besteht aus einfachen, schräg von dem 
Grund des Lappens nach dem Ausführungsgang ziehenden 
Schläuchen (Kossmann) und kann in zwei Zonen eingeteilt 
werden. Eine äussere, die einzig durch regelmässig parallel zu 
einander angeordnete Schläuche gebildet wird. Eine innere von 
mehr oder weniger grossen Zwischenräumen durchzogene, die, 
mit der gleichen Richtung der Schläuche ausgestattet, mehr oder 
weniger tief in das Drüsengewebe eindringen. Diese Zwischen- 
räume, die nichts weiter als Verästelungen des centralen Ganges 
sind, werden begrenzt durch unregelmässige Scheidewände und 
in sie münden, mehr oder weniger zahlreich, die Drüsenschläuche. 
Man hat also auch bei der Ente einen von dem Schlauchabschnitt 
unterschiedenen Schwammabschnitt. 

Die Drüsenschläuche sind wie beim Huhn im allgemeinen 
einfach, nur selten zeigen sie gegen das blinde Ende hin eine 
Spur von Gabelung. Sie sind eng untereinander zusammen- 
gedrängt und von polygonalem Durchschnitt. Das Epithel besteht 
aus mehreren Zellreihen und wir können in ihm die beim Huhn 
beobachteten Schichten unterscheiden. Das heisst, eine tief ge- 
legene Schicht kleiner, dunkler, in Vervielfältigung begriffener 
Zellen. Eine Mittelschicht von grossen polygonalen Zellen, deren 
reichliches Protoplasma zierlich netzförmig ist, und eine ober- 
flächliche Schicht, deren Zellen reich an Fett sind und in Auf- 
lösung begriffen. Aussen von dem Epithel bemerkt man die 
Basalmembran. 

Die Trabekel des schwammigen Teiles sind bedeutend aus- 
gebildeter als beim Huhn und zeigen sich in Form von Septa, 
welche weit in die Lappenhöhlung geöffnete Zwischenräume ein- 
schliessen. Sie sind gebildet durch ein Bindegewebsbalkenwerk 


und mit einem Epithel bekleidet, das, obschon es etwas dünner 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 19 


278 Bernardino Lunghetti: 


ist als das der Schläuche, alle wesentlichen histologischen Eigen- 
tümlichkeiten desselben bietet. 

Die Faserhaut bildet um einen jeden Lappen eine Hülle, 
die gänzlich von der des entgegengesetzten Lappens unterschieden 
ist. Sie ist viel dünner als beim Huhn und wie bei diesem besteht 
sie ausschliesslich aus Bindegewebe. Von der Aussenfläche aus 
sendet sie Faserbündel zwischen die umliegenden Organe: von 
der inneren Fläche gehen zahlreiche, dünne Septa ab, welche sich 
zwischen die Drüsenschläuche hinein erstrecken, diesen das Stütz- 
bindegewebe liefern und das Gerüst des Schwammabschnittes 
bilden. Hier und da jedoch nehmen diese Septa eine gewisse 
Dicke an und bilden, indem sie sich in die Drüse einschieben, 
darin eine sekundäre Sacculation. Diese Erscheinung ist jedoch 
stets von geringer Bedeutung und hat nicht den mindesten Ein- 
fluss auf die Gestaltung des Organs. 

Die Zitze ist kurz und dick und bildet mit der Achse der 
Lappen einen ungefähr rechten, oben offenen Winkel. Sie ist 
überzogen mit einer dünnen, glatten und haarlosen Hautschicht, 
die jedoch mit einem ziemlich ausgebildeten Derma ausgerüstet 
ist. Längs der Längsachse liegen, in abundantem, fettreichen, 
schlaffen Bindegewebe eingebettet, die Ausführungsgänge. Sie 
sind bekleidet mit einem Epithel, das oben die Charaktere des 
Hautbekleidungsepithels besitzt, in das es sich fortsetzt, und wie 
dieses ist es ein dünnes, geschichtetes Pflasterepithel, in Auf- 
blätterung begriffen. Unten nimmt es infolge des Verschwindens 
der Hornschichten und einer allmählichen Dickenzunahme die Eigen- 
schaften des Drüsenepithels an. Innen wird dieses Epithel ver- 
stärkt durch eine etwas verdichtete Bindegewebsschicht, die von 
der Faserkapsel herkommt. 


Querquedula circia L. 


Obschon in kleineren Proportionen, erinnert die Bürzeldrüse 
der Querquedula stark an die der Anas: im Verhältnis zu der 
Grösse des Vogels ist sie gleichfalls sehr ausgebildet. Die beiden 
länglichen Lappen sind vorn auf eine gewisse Strecke getrennt 
untereinander. Hinten vereinigen sie sich zur Bildung einer 
kurzen, dicken Zitze, die auf ihrer Spitze mit einem reichlichen 
Büschel sehr weicher Federn versehen ist. Die Drüse liegt ganz 
und gar in dem Fett der Region verborgen. 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 2419 


Ein jeder Lappen der Drüse besitzt einen Ausführungsgang, 
welcher in eine Höhlung führt, welche in Form eines engen 
gewundenen Kanals die Achse des Lappens durchzieht. Sie ist 
auf allen Seiten vom Drüsengewebe umgeben und genauer durch 
die Schwammportion. In der Tat beobachtete man, dass an den 
Wänden des Hohlraumes sich zahlreiche breite, mit denen des 
Huhns vergleichbare Grübchen befinden, deren Scheidesepta sich 
in die Höhlung einschieben und den grössten Teil derselben ein- 
nehmen. Dieselben sind fast vollständig mit Drüsenepithei über- 
zogen. Der Schlauchteil ist gleichmässig um die Schwammportion 
herum angeordnet. Die Schläuche sind wie bei der Ente 
orientiert und haben die gleiche, bei dieser beobachtete Struktur. 
Wie gesagt, schiebt sich ihr Epithel auf die Septa, den grössten 
Teil derselben bekleidend: auf der Spitze jedoch befindet sich ein 
geschichtetes Pflasterepithel. 

Bei einem Vertreter dieser Art habe ich auf der Dorsal- 
fläche eines der Lappen eine interessante Disposition beobachtet 
Längs der Mediane dieser Fläche des Lappens bemerkte man eine 
Längsfurche, in die die Faserkapsel sich internierte, wobei sie die 
blinden Enden der Schläuche etwas von einander abrückte und 
zwischen sie ein dünnes Längsseptum einschob. Diese Anordnung, 
die ich, obschon weniger ausgeprägt, bei anderen gefunden habe, 
kann als die Linie bezeichnend angenommen werden, längs der 
die Verlötung der Lefzen der Einsenkungen stattgefunden hat, aus 
denen die Drüsenlappen hervorgegangen sind. 

Die Ausführungsgänge sind weit und ihre Wandung ist von 
Längsfalten durchzogen. Dieselbe ist ausgekleidet durch ein sehr 
dünnes, geschichtetes Pflasterepithel, das aussen durch eine Schicht 
von verdichtetem, aus der Lappenkapsel stammendem Bindegewebe 
verstärkt ist. Das Lumen der Ausführungsgänge nimmt das 
Zentrum der Zitze ein, die sehr dick ist und nach der Basis hin 
einige Drüsenschläuche aufnimmt, die sich in dieselbe von der 
dorsalen Seite des entsprechenden Lappens einschieben. Die 
Anwesenheit derselben bewirkt, dass unten das Lumen des Aus- 
führungsganges auf eine kleine Querspalte zurückgeht. Die die 
Zitze bekleidende Cutis ist sehr dünn und von der Wand der 
Ausführungsgänge durch reichliches, schlaffes Bindegewebe ge- 
trennt, in dem die Follikel der die Kuppel besetzenden Federn 


eingebettet liegen. 
132 


280 Bernardino Lunghetti: 


Tinnuneulus tinnuneulus L. 


Auch beim Turmfalken ist die Drüse recht gross, rundlich, 
über die Hautoberfläche hervorragend, ausgestattet: mit einer 
kurzen zylindrischen, an der Spitze zweilappigen und mit einem 
Federbüschelchen versehenen Zitze. 


Die beiden Lappen der Drüse sind eng aneinander gedrängt 
und die beiden Kapseln verschmelzen an der Berührungsstelle zu 
einer einzigen sagittalen Scheidewand. Jeder Lappen besitzt im 
Zentrum eine kleine Höhlung, die an den Schnitten in Form 
eines gewölbten Zwischenraumes mit unterer Konkavität erscheint. 
Dieses Aussehen ist auf den Umstand zurückzuführen, dass die 
Drüsenschicht, die die untere Fläche der Höhlung auskleidet, 
eine halbkugelige, in diese hineinragende Erhebung bildet; die 
dorsale Schicht hingegen bildet eine Art Kuppel. Das Drüsen- 
gewebe bildet im übrigen um die Höhlung herum eine beinahe 
gleichmässige Schicht und besteht aus Drüsenschläuchen, die in 
der Nähe ihres blinden Endes häufig eine Spur von Gabelung 
zeigen. Das Epithel ist sehr dick und nimmt fast vollständig 
den Hohlraum des Schlauches ein, dessen Lumen auf eine dünne 
Ritze reduziert ist, oft mit einem Sekret angefüllt, welches 
ausserordentlich reich an einem bräunlichen Farbstoff ist. Durch 
seine Eigenschaften ist das Epithel der Drüsenschläuche sehr 
ähnlich dem des Huhnes. In unmittelbarer Berührung mit den 
Wänden der Höhlung besteht eine kleine Schwammportion, deren 
Zwischenwände vollkommen mit Drüsenepithel bekleidet sind. 


Die Zitze ist von zwei Ausführungsgängen durchzogen, die 
auf der Spitze der Zweilappung derselben nach aussen münden. 
Ihre Innenfläche ist ausgekleidet durch ein geschichtetes Pflaster- 
epithel und von zahlreichen Längsfalten durchzogen, die mit ihrer 
Annäherung an die Drüse sich mehr und mehr vertiefen und all- 
mählich in Drüsenschläuche übergehen. Der Übergang zwischen 
Bekleidungsepithel und Drüsenepithel erfolgt unmerklich. Die 
Faserkapsel ist sehr dünn und setzt sich in der Zitze in die 
Epidermis fort. Kontraktile Muskelfaserzellen fehlen gänzlich. 


Larus ridibundus L. 


Die Glandula uropygüi der Möwe besteht aus zwei läng- 
lichen, eng untereinander verbundenen Lappen und ist im ganzen 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 281 


genommen, recht ausgebildet. Die Zitze ist dick, konisch und 
auf der Kuppe mit einem Federbüschelchen ausgestattet. Die 
Ausführungsgänge in Zweizahl münden nach aussen vermittelst 
zweier Öffnungen, die die Kuppe der Zitze einnehmen. Sie sind 
weit und rundlich. Auf einer äusserst kurzen Strecke erhalten 
sie sich einfach, insofern von ihren Wänden weite sekundäre 
Gänge abzugehen beginnen, die dadurch, dass sie sich ihrerseits 
wiederholt weiter teilen, zu einer grossen Anzahl von sekundären 
Gängen führen, die voneinander durch dünne Scheidewände 
getrennt sind. Die Anwesenheit dieser sekundären Gänge, die 
allseits von dem Hauptausführungsgang abgehen, bewirkt, dass 
die zentrale Höhlung fast gänzlich fehlt. Im Zentrum eines jeden 
I.appens bemerkt man jedoch, dass die Scheidewände der Aus- 
führungsgänge sich verjüngen und grossen Teils verschwinden, 
wodurch man einen Anfang der Bildung einer von jeglicher 
Scheidewand freien Sammelhöhlung bekommt. 

Die Drüsenschläuche beginnen von der ventralen Seite her 
zu erscheinen und münden in kleinen Gruppen (2-3) in den 
Boden der sekundären Gänge. Sie sind radial gegen das Zentrum 
gerichtet und bilden in ihrer Gesamtheit eine stärker auf der 
ventralen Seite ausgebildete Schicht. Inbezug. auf ihre Struktur 
sind sie denen des Huhnes sehr ähnlich und zeigen sämtliche 
Eigentümlichkeiten derselben. Ihr Epithel setzt sich eine gewisse 
Strecke lang auf der Wandung der Ausführungsgänge fort, um 
den den Drüsenschläuchen anliegenden Teil derselben zu bekleiden, 
welcher vollständig der Schwammportion des Huhnes entspricht. 
Dahingegen ist der der Sammelhöhlung nächst gelegene Teil der 
sekundären Gänge mit einem dünnen, geschichteten Pflasterepithel 
bekleidet. 

Die Faserhaut bildet eine für einen jeden Lappen unab- 
hängige Hülle. Von der Innenfläche sendet sie ausser den 
gewöhnlichen dünnen Septa zwischen die Schläuche weitere 
dickere aus, die fast ein sekundäres Läppchen inmitten der 
Drüse bilden. Mit der Annäherung an die Zitze verschwindet 
die Faserhaut fast gänzlich. Die Zitze ist dick und fast ganz 
und gar eingenommen durch die weiten Ausführungsgänge, deren 
glatte Wand mit einem dünnen geschichteten Pflasterepithel 
bekleidet ist, das durch eine dünne Bindegewebsschicht verstärkt 
wird. Dasselbe steht fast in unmittelbarer Berührung mit der 


282 Bernardino Lunghetti: 


die Zitze bekleidenden Cutis, da es nur durch die Federbälge 
von derselben getrennt ist. 


Pavoncella pugnaxl. 


Im Verhältnis zur Grösse des Individuums ist die Bürzel- 
drüse stets recht klein. Wie bei den bisher untersuchten Arten 
besteht sie aus zwei deutlichen Lappen und ist mit einer kurzen, 
an der Kuppe mit zartem Flaum überzogenen Zitze versehen. 
Jeder Lappen besitzt einen sehr breiten Ausführungsgang, der 
in eine kleine zentrale Höhlung führt. Auch bei Pavoncella 
entspringen aus den Wänden des Ausführungsganges und der 
zentralen Höhlung zahlreiche weite und tiefe sekundäre Gänge, 
in einen jeden von denen eine gewisse Anzahl Drüsenschläuche 
einmünden: bei der Pavoncella sind also gleichfalls jene Septa. 
die beim Huhn die Schwammportion bilden, stark entwickelt und 
bis zu einem gewissen Punkt bewahren sie auch deren Struktur. 
In der Tat bestehen sie aus einem Bindegewebsbalkenwerk und 
einer Epithelbekleidung, welche gegen die Schläuche hin sämtliche 
Eigenschaften des Drüsenepithels zeigt, gegen die Kuppe hin 
dagegen geht es allmählich in ein dünnes, geschichtetes Pflaster- 
epithel über, das dem ähnlich ist, welches die Innentläche der 
Ausführungsgänge auskleidet. 

Die Drüsenschläuche besitzen dieselbe Struktur und dieselbe 
Anordnung wie die der Möwe, noch zeigen sie irgend welche 
bemerkenswerte Eigentümlichkeit. Die Faserkapsel ist nicht sehr 
ausgebildet, bildet aber für jeden Lappen eine deutliche Hülle. 
Man kann sie in der ganzen Länge der Zitze verfolgen, wo sie 
eine dem Bekleidungsepithel der Ausführungsgänge aufgelegte 
Bindegewebsschicht bildet, wodurch sie einen wichtigen Teil ihrer 
Wand ausmacht. Oben setzt sie sich ins Hautderma fort. 

Die Zitze ist fast in ihrer Gesamtheit eingenommen durch 
die beiden weiten Ausführungskanäle, wodurch ihre Wände äusserst 
dünn sind und aus dem sich Anlegen der Wand der Ausführungs- 
gänge an die Cutis hervorgehen. In dem engen Zwischenraum 
sitzen die Follikel der fadenförmigen, die Kuppe besetzenden 
Flaumfedern. 


Limosa limosa L. 


Die Bürzeldrüse ist ziemlich ausgebildet und besteht auch 
bei Limosa aus zwei seitlichen Hälften, die, vorn getrennt, sich 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 283 


hinten in einer kurzen, dicken, an der Kuppe mit kleinen regel- 
mässig um die Ausmündung eines jeden Ausführungsganges an- 
geordneten Federn versehenen Zitze vereinigen. 

Die Ausführungsgänge sind sehr weit und breit nach aussen 
geöffnet. Recht bald jedoch teilen sie sich weiter in eine grosse 
Menge sekundärer Gänge, die zuerst von der ventralen Wand, 
später von dem Grund und den seitlichen und dorsalen Wänden 
abzugehen beginnen. In einen jeden von diesen sekundären 
Gängen mündet eine Gruppe von Drüsenschläuchen. Bei der 
Limosa fehlt also vollständig eine zentrale Höhlung des Lappens. 
Wir finden hingegen bei ihr, dass in den Ausführungsgang eines 
jeden Lappens direkt zahlreiche sekundäre Ausführungsgänge ein- 
münden, welche im Verein mit den zugehörigen Schläuchen fast eine 
Drüse für sich bilden; und das Organ im ganzen genommen geht 
nur aus der Gesamtheit aller dieser sekundären Drüsen hervor. 

Diese Konstitutionsart der Drüse könnte auf den ersten 
Blick von. den bisher untersuchten Typen sehr verschieden 
scheinen; wir werden sehen, dass die eine Form unschwer auf 
die andere zurückzuführen ist. In der Tat haben wir gesehen, 
dass beim Huhn an den Wänden der zentralen Höhlung zahlreiche 
kleine Gruben ausgehöhlt sind, in die die Drüsenschläuche ein- 
münden und die wegen ihrer Form und weil sie mit Drüsenepithel 
ausgekleidet sind, wie gesagt, nicht für Ausführungsgänge im 
gewöhnlichen Sinne des Wortes angesehen werden können. Wir 
haben vielmehr ihre Scheidewände mit dem Drüsengewebe unter 
der Bezeichnung der Schwammportion vereinigt. Bei der Ente, 
der Querquedula, der Möwe haben wir dann gesehen, dass die 
Scheidewände der Schwammportion allmählich an Höhe zunehmen 
und dass ihr der zentralen Höhlung des Lappens nächst gelegener 
Teil eine wichtige Modifikation erfährt, insofern als er nur durch 
ein einfaches Bekleidungsepithel überzogen ist. Man kann alsdann 
von echten sekundären Ausführungsgängen sprechen, die in den 
Wänden der zentralen Höhlung münden, welche selbstverständlich 
in dem gleichen Maße, wie die Ausführungsgänge und ihre 
Scheidewände ausgebildeter werden, allmählich an Weite verliert. 
Bei der Limosa haben wir weiter nichts als eine Exageration 
dieser Erscheinung. Die ganze Höhlung ist durch die Scheide- 
wände der Schwammportion invadiert worden und die sekundären 
Ausführungsgänge haben ihre grösste Länge erreicht. 


284 Bernardino Lunghetti: 


Was die Struktur des Organs anbelangt, so besteht auch 
hier das Drüsengewebe aus zahlreichen sezernierenden Schläuchen, 
welche eine dicke und deutliche Schicht bilden Sie beginnen 
zuerst auf der ventralen Seite aufzutreten und sind kurz, weit 
und senkrecht zu der Achse des Lappens, dann werden sie 
länger, dünn und nehmen eine schräge Richtung gegen den 
Ausführungsgang an. Sie sind einfach. Ihr Lumen ist sehr un- 
regelmässig. An einigen Stellen verschwindet es wegen der 
starken Dicke des Epithels fast gänzlich, an anderen hingegen, 
wo das Epithel schmäler ist, ist es ziemlich evident Zuweilen 
aber sammelt sich in dem Lumen eine solche Sekretmenge an, 
dass der Schlauch dadurch leicht ausgedehnt wird. Das Schlauch- 
epithel hat dieselben Merkmale wie das bis jetzt beschriebene. 
Hier und da zeigt es in seiner Dicke Capillarschlingen, die wir 
in grösserer Zahl bei der Taube finden werden, wo sie eingehend 
beschrieben werden sollen. 

Das intertubuläre Bindegewebe ist spärlich und eine Ab- 
stammung der Bindegewebskapsel; zentralwärts jedoch nimmt es 
in der Schwammportion zu. Diese ist, wie wir gesehen haben, 
höchst ausgebildet, entspricht aber nur zum Teil der Schwamm- 
portion beim Huhn und zwar nur mit dem den Schläuchen 
nächstgelegenen Teil, der mit Drüsenepithel bekleidet ist. Der 
oberste mit Bekleidungsepithel ausgerüstete Teil ist beim Huhn 
nicht vertreten. Die Faserkapsel ist dünn und bildet für jeden 
Lappen eine deutliche Hülle. Sie ist ausschliesslich von Binde- 
gewebsnatur und zeigt nichts von Interesse. 

Die Zitze ist mit einer Cutisbekleidung ausgerüstet, deren 
Derma ziemlich entwickelt ist, während hingegen das Epithel 
dünn und in aktiver Aufblätterung begriffen ist. In der Mitte 
befinden sich die beiden Ausführungsgänge, deren zuerst voll- 
kommen glatte Wände durch ein Epithel ausgekleidet sind, 
welches die Eigenschaften der Epidermis hat und aussen durch 
eine von der Faserhaut herkommende Bindegewebsschicht ver- 
stärkt wird. Aussen von dieser Schicht bemerkt man eine ge- 
wisse Menge glatter unregelmässig angeordneter kontraktiler 
Muskelfaserzellen. 

Scolopax rusticola. 

Ausgeschält, und so habe ich sie beobachten können, 

erscheint die Drüse der Waldschnepfe von rundlicher, leicht 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 285 


zweilappiger Form, überragt von einer langen, verjüngten Zitze, 
die auf der Puppe mit einem Büschelchen äusserst feiner faden- 
förmiger Flaumfedern versehen ist. Die beiden Hälften, aus 
denen die Drüse resultiert, sind aufs engste zusammenhängend. 
Das Zentrum der Lappen wird eingenommen durch einen engen, 
unregelmässigen Hohlraum. An den Wänden desselben öffnen 
sich zahlreiche sekundäre Ausführungsgänge, welche nichts anderes 
sind als die zwischen den Septa der stark ausgebildeten Schwamm- 
portion begriffenen Zwischenräume von verschiedentlicher Weite 
und Gestaltung, die, da sie ziemlich tief und mit einem geschich- 
teten Pflasterepithel bekleidet sind, wirklich die Struktur der 
Ausführungsgänge besitzen. 

Die Drüsenschläuche bilden eine kontinuierliche Schicht um 
die Schwammportion herum und besitzen die nämliche bei der 
Ente beobachtete Orientierung. Auch ihrer Struktur nach sind 
sie nicht erheblich von den bisher untersuchten verschieden. 
Nur auf der äusseren Fläche der Basalmembran finden wir zahl- 
reiche den beim Huhne beobachteten ähnliche Bindegewebszellen 
aufgelegt und aufs engste mit ihr verwachsen. Ausserdem 
nehmen wir in den Septa der Schwammportion zahlreiche Lymph- 
follikel wahr, die verschiedenen Umfang haben und auf ihrer 
Höhe leicht das Epithel emporheben, welches in seiner Struktur 
keinerlei Abänderung zeigt. Die Faserhaut bildet um jeden der 
Lappen eine vollkommen selbständige Hülle. Die Zitze ist mit 
dünner haarloser Cutis bekleidet und wird in der Mitte durch 
die beiden Ausführungsgänge eingenommen, die ihre Achse 
parallel zu einander Aurchziehen. Ihre Wände sind mit einem 
dünnen zesehichteten Pflasterepithel bekleidet: oben sind sie 
vollkommen glatt, unten werden sie immer faltenreicher, bis 
schliesslich das Drüsengewebe erscheint. 


Perdix perdix L. 


In ihrer Gesamtheit hat die Drüse eine kugelförmige 
Gestalt: sie ist augenscheinlich zweilappig und mit einer läng- 
lichen, zylindrischen Zitze versehen, welche an der Spitze mit 
wenigen Federn besetzt ist und sich unter Bildung eines oben 
offenen Winkels auf den Drüsenkörper aufsetzt. Jeder Lappen 
wird im Zentrum eingenommen durch eine sehr weite Höhlung, 
welche nur an den Wänden und auf dem blinden Boden mit 


256 Bernardino Lunghetti: 


Drüsengewebe ausgekleidet ist; einer weiten dem Ausgangspunkt 
der Ausführungsgänge anliegenden Strecke geht es gänzlich ab. 

Das Drüsengewebe besteht weniger aus echten Schläuchen 
als aus einer Anzahl von Falten, welche sich in verschieden- 
artiger Weise untereinander verflechten und anastomosieren, 
indem sie höchst unregelmässige kleine Gruben begrenzen. Das 
diese Falten bekleidende Epithel ist dem der Schläuche des 
Huhns sehr ähnlich: nur ist es etwas dünner und hier und da 
mit kleinen Capillarschlingen ausgestattet. Das das Balkenwerk 
der Falten bildende Bindegewebe ist spärlich, zeigt aber ziemlich 
voluminöse Lymphfollikel, die unmittelbar unterhalb des Epithels 
gelegen sind, welches ganz und gar nicht modifiziert erscheint. 
Diese Follikel sind ausgerüstet mit einem äusserst reichen Grefäss- 
netz. Der des Drüsengewebes entbehrende Teil der Höhle ist 
nur von einigen kleinen Ausbiegungen durchzogen und mit ein- 
fachem Bekleidungsepithel bedeckt. 


Jeder Lappen besitzt eine selbständige Faserhülle, welche 
sich in die Schichten der Zitze fortsetzt. Diese wird in der 
Mitte durch die beiden Ausführungsgänge eingenommen, deren 
Wandung durch die gleichen bei den übrigen Arten beobachteten 
und in der gleichen Weise angeordneten Schichten gebildet wird. 
In dem Zwischenraum, der die Hautbekleidung von der Wand 
der Ausführungsgänge trennt, liegen zahlreiche Bündelchen glatter 
Muskelfasern, deren Anordnung mit der beim Huhn beobachteten 
identisch ist. 


Numida meleagris. 


Die Drüse des Perlhuhns ist gross, rundlich und hat im 
ganzen genommen dieselbe Konfiguration wie die des Huhns. 
Der einzige erhebliche Unterschied ist der, dass sie inbezug auf 
das Volumen des Tieres etwas mehr entwickelt ist. Im übrigen 
aber wiederholen das reichliche Drüsengewebe, die weite Höhlung 
der Lappen, die derbe Faserhaut in allem die beim Huhn beob- 
achtete Anordnung und Struktur. 


Columba var. domestica. 


Bei der Taube ist das Volumen der Bürzeldrüse stark 
reduziert und demgemäss bemerkt man von aussen nur die 
kleine, konische, leicht in sagittalem Sinne zusammengedrückte, 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 287 


ganz haarlose Zitze. Sie ist mehr oder weniger deutlich 
zweilappig. 

Die Konfiguration der Drüse ist von der bisher beobachteten 
sehr verschieden. Dies hatte zum Teil auch Kossmann wahr- 
genommen, welcher unter anderen Vögeln auch die Taube unter- 
suchte und darauf hinweist, dass ihre Drüse in einer von den 
übrigen Arten etwas verschiedenen Weise gebildet ist: die Be- 


Fig. 2. 


durch eine grosse Anzahl nach der Höhle selbst weit geöffneter 
schreibung jedoch, die er von ihr gibt, ist äusserst kurz und 
nicht ganz exakt. Die beiden stark verlängerten und aufs engste 
unter einander zusammenhängenden Lappen der Drüse werden 
zum grössten Teil von einer zentralen ausserordentlich entwickel- 
ten Höhlung eingenommen. Die Wände dieser Höhle werden 


28 


[0 9} 


Bernardino Lunghetti: 


Taschen eingenommen, welche mit ihrem blinden Ende fast un- 
mittelbar an die Faserkapsel reichen. Auf den Wänden und 
dem Grunde dieser Taschen sind weitere kleinere Grübchen aus- 
gehöhlt, die sowohl nach Form als nach Umfang höchst unregel- 
mässig sind. Es fehlen also echte Drüsenschläuche (im Gegensatz 
zu dem, was Kossmann behauptet) und das Organ ist in seinem 
(esamtkomplex recht verschieden von den bisher untersuchten 
Formen (Taf. XII, Fig. 2), auf die es unmöglich scheint es zurück- 
zuführen. Beobachten wir jedoch die Beziehung, die zwischen 
den Drüsentaschen und den Grübchen besteht, die deren Wände 
einnehmen, so können wir mit einiger Begründung annehmen, 
dass letztere nichts anderes als echte Schläuche vorstellen, die 
sich nicht in ihrer ganzen Länge entwickelt haben, und dass 
weiter die Drüsentaschen nur die den Vertiefungen der Schwamm- 
portion entsprechenden Bildungen sind. Infolgedessen würde das 
Drüsengewebe bei der Taube fast ausschliesslich durch die 
Schwammportion dargestellt. 

Das Drüsenepithel erstreckt sich auf sämtliche Drüsen- 
taschen und auf die Vertiefungen, welche sich auf ihren Wänden 
befinden. Wie gewöhnlich kann es in drei Hauptschichten unter- 
schieden werden: Keimschicht, Mittelschicht, Auflösungsschicht. 
Auf den Spitzen der Septa, welche die Taschen untereinander 
trennen, ist es schmäler und gleichmässiger als auf den blinden 
Böden, ausserdem ist hier die Auflösung der oberflächlichen 
Zellen weniger ausgeprägt. In dem Drüsenepithel der Taube 
finden wir eine Eigentümlichkeit, welche sich bei den bisher 
untersuchten Vögeln selten und bei jungen Individuen findet. 
Hier und da sieht man, dass von dem unter dem Epithel 
gelegenen Bindegewebe ein feines Capillargefässchen ausgeht, 
welches eine gewisse Strecke lang in die Dicke des Epithels 
eindringt, eine sehr enge Schlinge bildet und auf demselben Weg 
in das subepitheliale Bindegewebe zurückkehrt. Diese Capillar- 
schlingeu sind ausserordentlich abundant, und obschon sie auf 
den ersten Blick als intraepitheliale Gefässe ausgelegt werden 
können, haben sie durchaus nicht diese Bedeutung. In der Tat 
hat man bei diesen Bildungen nie ein wirkliches Eindringen der 
Capillare in die Dicke des Epithels: dieses wird vielmehr einfach 
durch die Schlinge selbst ausgestülpt (Taf. XI, Fig. 6; Taf. XII, 
Fig. 4), welche infolgedessen allseits von der Keimschicht des 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 289 


Epithels umgeben wird: ausserdem wird sie von einer kleinen 
Menge Bindegewebe begleitet. 

Die Faserkapsel wird einzig und allein durch Bindegewebe 
gebildet und hat im Zusammenhang mit der speziellen Kon- 
formation der Drüse eine ganz besondere Anordnung. Sie bildet 
um jeden Lappen eine deutliche Hülle, die jedoch in der medianen 
Linie da, wo die beiden Lappen in Berührung kommen, zu einem 
einzigen sagittalen medianen Septum verschmelzen. Ventralwärts 
befindet sich an der medianen Linie entlang eine Längsfurche. 
welche die ursprüngliche Trennung der beiden Lappen anzeigt; 
über diese gehen brückenartig gemeinsame Fasern. Von ihrer 
tiefgelegenen Fläche aus entsendet die Kapsel nach dem Innern 
der Lappen dicke Bindegewebssepta, welche die auf den Wänden 
der Höhle beobachteten Taschen begrenzen. Von diesen Septa 
trennen sich weitere dünnere ab, welche das zwischen den den 
Schläuchen entsprechenden kleinen Gruben befindliche Binde- 
gewebe bilden. 

Die Zitze ist wie gewöhnlich mit einer dünnen glatten 
und haarlosen Hautschicht bekleidet und wird in der Mitte durch 
die beiden weiten Ausführungsgänge eingenommen. Das Epithel, 
welches die Innenfläche auskleidet ist in ihrer ganzen Ausdehnung 
ein geschichtetes Pflasterepithel. Es zeigt jedoch starke Dicken- 
variationen je nach den Teilen, in denen man es untersucht. 
Unten ist es sehr dünn, und als solches erscheint es in dem 
grössten Teil des Ausführungsganges; der Übergang in das 
Drüsenepithel erfolgt ohne scharfe Grenze. Oben wird es auf 
einer kleinen Strecke, der Mündungsstelle der Ausführungsgänge 
nach aussen entsprechend, plötzlich sehr dick, derart dass der 
Ausführungsgang sich an dieser Stelle auf eine feine Öffnung 
reduziert. 

Tereur-tnrturde 

Ihrer Gestaltung nach ist die Drüse der Turteltaube der 
der Taube sehr ähnlich; sie weicht nur dadurch von ihr ab, dass 
sie sowohl im ganzen genommen als in den einzelnen Teilen viel 
weniger entwickelt ist als die der Taube. Die Lappen sind fast 
in ihrer Totalität eingenommen durch eine weite zentrale Höhlung, 
die nach aussen mittelst eines Ganges kommuniziert, der, zuerst 
weit und ausgedehnt, auf einer gewissen Strecke, der Mündungs- 
stelle entsprechend, sehr eng wird. Auch bei der Turteltaube 


290 Bernardino Lunghetti: 


werden die Wände der zentralen Höhle durch zahlreiche Taschen 
eingenommen, welche ausser auf dem Grund der Höhle bedeutend 
weniger tief sind als die der Taube. Doch zeigen auch sie auf 
ihren Wänden zahlreiche unregelmässige Grübchen, die, obschon 
kaum angedeutet, dieselbe Bedeutung wie die entsprechenden der 
Taube besitzen; das heisst es sind stark reduzierte Drüsenschläuche. 

Das Drüsenepithel weicht von dem soeben beobachteten 
insofern ab, als die Zellen seiner oberflächlich gelegenen Schichten 
nicht die Beute einer sehr reichlichen Auflösung sind, sondern 
vielmehr sich ziemlich gut konserviert erhalten unter Annahme 
einer etwas abgeplatteten Form. Nichtsdestoweniger ist auch 
bei der Turteltaube die Sekretbildung von Zerstörung der ober- 
flächlichen Zellen begleitet; der Prozess ist nur bedeutend weniger 
aktiv als bei den übrigen Arten. In der Dicke des Epithels be- 
finden sich reichliche Capillarschlingen. 

Die Kapsel verhält sich im grossen und ganzen wie die 
der Taube; sie ist jedoch sehr zart und in ihrer Anordnung 
weniger kompliziert. Die Zitze wird in der Mitte vollständig 
durch die Ausführungsgänge eingenommen und hat äusserst 
dünne Wände. Die Ausführungsgänge setzen sich direkt in die 
zentrale Höhle der Lappen fort und haben oben vollkommen 
glatte Wände, in denen nach der Drüse hin immer tiefere 
Grübchen sich zu zeigen beginnen, welche allmählich die Struktur 
der Drüsentaschen annehmen. Das Bekleidungsepithel ist ein 
sehr dünnes geschichtetes Pflasterepithel, ausser an der Mündungs- 
stelle der Ausführungsgänge, wo es sehr hoch wird, dadurch 
das Lumen der Ausführungsgänge stark einengend. Höchst 
interessant ist die Tatsache, dass hier und da von der tief ge- 
legenen Fläche des Epithels zahlreiche feste Epithelzapfen von 
Zellen mit nicht recht deutlichen Grenzen und grossem, rund- 
lichen Kern abgehen, welche sich etwas in die dünne Wand der 
Zitze vertiefen und in ihr eine gewisse Strecke parallel zu ihren 
Oberflächen verlaufen. Vielleicht sind diese Bildungen nichts 
anderes als Rudimente von Drüsenschläuchen. 


Cuculus canorus_L. 

Die beiden die Drüse bildenden Lappen sind ziemlich volu- 
minös, stark länglich und fast gänzlich untereinander getrennt. Nur 
gegen das hintere Ende schliessen sie sich auf einer kurzen Strecke 
eng aneinander und bilden so vereint eine kurze, kleine Zitze. 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 291 


Jeder Lappen ist in seiner ganzen Länge von einem engen 
Sammelhohlraum durchzogen, auf dessen Wänden sich zahlreiche 
Drüsentaschen befinden, in die kurze, dicke Schläuche einmünden, 
Man hat demnach ein dem der Taube und Turteltaube ähnliches 
Verhalten. Beim Kuckuck jedoch ist die Drüse bedeutend 
voluminöser; dazu kommt, dass, wenn auch die Grübchen, die 
die Wände der einzelnen Drüsentaschen einnehmen, keine denen 
des Huhns gleiche Schläuche bilden, diesen doch bedeutend näher 
kommen als die der Taube; wir können so diese kleinen Gruben 
ohne weiteres als Drüsenschläuche bezeichnen. 

Das Epithel der Schläuche erinnert an das des Huhnes 
dadurch, dass es durch mehrere Schichten grosser polygonaler 
Zellen gebildet wird; von diesem jedoch weicht es insofern ab, 
als man in denselben nicht das beim Huhn beobachtete Netzwerk 
wahrnimmt, die Zerstörung recht wenig ausgeprägt ist und die 
Unterscheidung in die drei Zonen, Keimschicht, Mittelschicht, 
Auflösungsschicht keine so scharfe ist. Nichtsdestoweniger sieht 
man in den tief gelegenen Schichten zahlreiche Karyokinesen und 
in den oberflächlichen in Zerstörung begriffene Zellen. 

Die Faserkapsel ist bedeutend ausgebildet und neben den 
Septa. die sie in das Innere der Drüsenhöhle zur Bildung der 
Scheidewände zwischen den einzelnen Taschen ausschickt, ent- 
sendet sie deren viele von der äusseren Fläche aus in die um- 
liegenden Organe. Unter diesen ist eins von höchster Wichtig- 
keit hervorzuheben, welches von der Basis der Zitze abgeht, an 
der Stelle, wo die beiden Lappen in Berührung stehen, und sich, 
nach Herstellung einer äusserst engen Verknüpfung mit den 
Follikeln der Steuerfedern, an der Wirbelsäule inseriert. 

Der Ausführungsgang ist für jeden Drüsenlappen ein einziger. 
Er ist sehr kurz, insofern an den Wänden desselben sehr bald 
sich zuerst einfache und kleine, dann tiefere und breitere Ver- 
tiefungen zu zeigen beginnen. Seine Wände sind bekleidet mit 
einem sehr dicken geschichteten Pflasterepithel. Die Aussenfläche 
der Zitze ist mit einer ziemlich dicken, aus einem an Pigment- 
zellen reichen Derma und einer sehr hohen Epidermisschicht 
bestehenden Cutis bekleidet. 

Sperlingsvögel. 

Bei den von mir untersuchten Sperlingsvögeln von geringer 

Grösse Passer Italiae [Vieillot], P. montanus, Fringilla coelebs L, 


292 Bernardino Lunghetti: 


Serinus, Coccothraustes coccothraustes L, Aedon luscinia L, 
Sylvia simplex [Latham], Turdus musicus L.) zeigt die Bürzel- 
drüse eine vollkommene Gleichförmigkeit in der Konformation, 
weshalb ich von einer individuellen Beschreibung derselben Ab- 
stand nehme. 

Sie ist im allgemeinen sehr klein und hat eine ellipsoidische 
Form, wobei die grössere Achse transversal verläuft. Etwas 
mehr ausgebildet ist sie beim Sperling und Finken, sehr klein 
bei der Nachtigall und Grasmücke. Überzogen ist sie mit einer 
äusserst dünnen Hautschicht und von aussen nimmt man sehr 
schön ihre Grenzen und Form wahr. Sie ist überragt von einer 
Zitze, welche das Aussehen einer kleinen und rundlichen Blase 
hat. Ihre tief gelegene Fläche hängt aufs engste mit den 
Follikeln der Steuerfedern zusammen, in deren Zwischenräumen 
sie zuweilen Abzweigungen entsendet. Wie zum Teil auch 
Kossmann beim Sperling gesehen hatte, besteht bei dieser 
Vogelgruppe die Drüse anscheinend aus einem einzigen medianen 
Lappen; es scheint daher auf den ersten Blick, als ob wir eine 
neue Drüsenform, eine einlappige Drüse, vor uns hätten. Wir 
werden jedoch sehen, dass dies ein blosser Schein ist und dass 
vielmehr in ihr augenscheinliche Anzeichen für einen ursprüng- 
lichen zweilappigen Bau vorliegen. 

Das Drüsengewebe bildet eine Schicht, welche ihre höchste 
Dicke auf dem Grunde des Hohlraumes erreicht, sich an den 
Wänden verdünnt und gegen die Zitzenbasis hin gänzlich ver- 
schwindet. Es besteht aus einer grossen Zahl einfacher unter- 
einander zusammengedrängter Schläuche, welche strahlenförmig 
nach der Höhlung konvergieren, in die sie direkt einmünden. 
Es fehlt also eine Schwammportion innerlich von der Schlauch- 
portion. Ihre Spuren jedoch findet man in einigen Epithelkämmen, 
die, stets wenig entwickelt, die Wände der Höhle durchziehen, 
indem sie sich untereinander anastomosieren und so weite leicht 
vertiefte Flächen abgrenzen. 

Das Epithel der Schläuche hat eine Konstitution, die auf 
den ersten Blick stark von der bisher beobachteten abweicht. 
Es ist in der Tat sehr dünn und besteht aus wenigen Schichten 
von Zellen mit sehr verschiedenem Charakter. Die tiefst ge- 
legenen, in unmittelbarer Berührung mit der Basalmembran 
stehenden sind klein, dunkel mit wenig ersichtlichen Grenzen, 


a Sn ae ee Ki 5 A 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 293 


dichtem chromatinreichem Kern und spärlichem körnigen Proto- 
plasma. Die oberflächlichsten Zellen sind voluminös, von deutlich 
ausgeprägter polygonaler Form, das Protoplasma ist reichlich 
und zeigt das gleiche beim Huhn beobachtete Netzwerk. Der 
Kern ist hell, vesikulär. Sie sind zumeist in einer einzigen 
Schicht angeordnet und von dem Grunde nach der Mündung des 
Schlauches dachziegelartig übereinander gelegt. Innen von diesen 
Zellen finden wir weitere, die. sei es im Kern, sei es im Proto- 
plasmakörper, Anzeichen von Auflösung bieten. Letztere jedoch 
bilden niemals eine kontinuierliche Schicht (Taf. XII, Fig. 3). 

Vergleicht man nun dieses Epithel mit dem des Huhnes, 
so muss man zugestehen, dass der zwischen denselben bestehende 
Unterschied mehr die Form als das Wesen betrifft. In der Tat 
können wir auch beim Drüsenepithel des Sperlings und Ver- 
wandter die drei beim Huhn beschriebenen Hauptschichten unter- 
scheiden. Die kleinen tiefgelegenen Zellen stellen die Keim- 
schicht dar, die mittleren grossen die Mittelschicht, innen von 
welcher man, unvollständig, die Auflösungsschicht hat. Der 
einzige Unterschied geht also auf eine Verschiedenheit in der 
Dicke des Epithels zurück, insofern beim Sperling eine jede 
Schicht dargestellt ist durch eine einfache Zellenreihe, die sogar 
bei der Auflösungsschicht unvollständig ist. 

Das intertubuläre Bindegewebe ist sehr spärlich, jedoch 
höchst reich an Gefässen, die infolge ihre Weite an den 
Schnitten oft ohne jegliche künstliche Präparierung zu sehen 
sind. Die Faserkapsel ist dünn und bildet eine gleichförmige 
Hülle um die ganze Drüse. Zuweilen zeigt sie auf dem Grund der 
Drüse eine wegen ihrer Bedeutung wichtige Anordnung. Bei 
Fringilla, Passer, und namentlich bei P. montanus ist sie hier 
sehr häufig von einer sagittalen Medianfurche durchzogen. Längs 
dieser Furche dringt die Faserkapsel zwischen die Schläuche ein, 
dadurch auf einer gewissen Strecke deren blinde Enden ab- 
rückend.. Auf dem Grunde der Furche aber entsendet die 
Kapsel zwischen die Schläuche ein dünnes Bindegewebsseptum, 
welches auf den Wänden der Drüsenhöhlung angelangt, sich 
etwas in dieselbe hineinschiebt und frei darin wogt. Das Binde- 
gewebe dieses Septums ist sehr schlaff und gibt leicht nach, 
dadurch den seitlichen Teilen der Drüsen ein gewisses Entfernen 


ermöglichend. Dieses Septum ist zweifellos nichts anderes als 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 20 


294 Bernardino Lunghetti: 


- 


der Repräsentant des medianen Septums, das bei anderen Vögeln 
die beiden Lappen der Drüse trennt. 

Die Zitze erscheint als eine rundliche Blase, mit dünnen 
Wänden und halbdurchsichtig. Die glatte, haarlose Aussenfläche 
ist mit einer dünnen Hautschicht bekleidet, deren Derma in un- 
mittelbarer Berührung mit den Wänden der Ausfübrungsgänge 
steht. Diese haben das Aussehen von zwei kleinen durch eine 
sagittale Scheidewand getrennten Höhlen, die das Zentrum der 
Zitze vollständig einnehmen. Die Mündung nach aussen geschieht 
mittelst zweier kleiner Öffnungen, die sich sehr nahe beieinander 
auf der Kuppe an den Seiten des medianen Septums befinden. 
Eine interessante Erscheinung, die den mir voraufgegangenen 


Beobachtern gänzlich entgangen ist, ist die, dass zwischen der 
Drüsenhöhle und den kleinen Höhlen der Zitze eine direkte 
Kommunikation fehlt, und zwar infolge der Anwesenheit eines 
dünnen Scheideseptums, welches gewölbeartig die Drüsenhöhle 
selbst verscehliesst. Mit der einen Fläche ist dasselbe gegen die 
Höhlung der Zitze hin gelegen, mit der anderen gegen die 
Drüsenhöhle, aus welch letzterer eine gewisse Anzahl Falten ab- 
gehen, die auf eine gewisse Strecke in die Drüsenhöhle selbst 
hineindringen. Von diesen ist die mediane zuweilen höchst aus- 
gebildet und stellt, da sie mit dem Medianseptum der Zitze in 
Zusammenhang steht, einen weiteren Überrest der medianen 
Drüsenscheidewand dar. Die Kommunikation mit der Drüsen- 
höhle geschieht mittelst zahlreicher Röhrchen, die, auf den 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 235 


Wänden der Zitzenhöhle entspringend, in die Wölbung der 
Drüsenhöhle münden. Sowohl die Wände der Zitzenhöhle, wie 
die Ausführungsgänge, die von ihnen ausgehen, als auch die 
Flächen der Scheidewand sind mit einem dünnen geschichteten 
Pflasterepithel bekleidet. 

Pica pica L. 

Ziemlich umfangreich ist die Drüse der Elster, kugelförmig, 
in transversalem Sinne verlängert und mit einer kurzen dicken 
Zitze versehen. welche auf ihrer Kuppe mit wenigen faden- 
förmigen Flaumfedern bewachsen ist. Obgleich sie von aussen 
nur eine leichte Andeutung von Zweilappigkeit zeigt, besteht sie 
aus zwei Lappen von halbkugeliger Form, die mit den flachen 
Flächen aufs engste aneinander schliessen. Ihre Faserhüllen sind 
in der Mittellinie verschmolzen unter Bildung einer dünnen 
Bindegewebsscheidewand, welche die beiden Drüsenhälften und 
ihre Hohlräume trennt. Letztere sind sehr klein, nehmen den 
dem Ausführungsgange anliegenden Teil des Lappens ein und 
sind nur durch das mediane Septum von einander geschieden. 

Das Drüsengewebe bildet eine sehr dicke Schicht, welche 
die Höhle auf allen Seiten umgibt, ohne sich auf den oberen 
Teil der medialen Wand zu erstrecken, welcher ganz und gar 
frei bleibt. Es besteht aus zahlreichen sehr langen Drüsen- 
schläuchen, die strahlenförmig nach der Höhle des Lappens hin- 
ziehen und dort in unregelmässige Zwischenräume münden, die 
den Lakunen der Schwammportion des Huhnes entsprechen. Bei 
der Elster wird diese dargestellt durch zahlreiche dünne Scheide- 
wände, die sich weit in die zentrale Höhlung hineinschieben und 
sie fast gänzlich einnehmen. Das die Schläuche auskleidende 
Epithel besteht aus wenigen Schichten Zellen. Von diesen sind 
die tiefst gelegenen stark abgeplattet und der Krümmung der 
Schlauchwand gemäss gekrümmt. Sie besitzen ein feinkörniges 
Protoplasma, dichten, häufig in Karyokinese begriffenen Kern 
und bilden eine Schicht von einer oder zwei Zellreihen. Die 
mehr oberflächlich gelegenen Zellen haben die Eigenschaften der 
Mittelschichtzellen des Huhnes; jedoch finden sich davon nur 
eine oder zwei Reihen vor. Endlich beobachtet man in direkter 
Berührung mit dem Lumen der Schläuche in Auflösung begriftene 
Zellen, die jedoch nie eine ununterbrochen fortlaufende Schicht 


bilden. Man steht also vor einer Epithelform, welche dem bei 
20* 


296 Bernardino Lunghetti: 


den soeben beschriebenen Sperlingsvögeln beobachteten sehr 
nahe kommt. 

Die Bindegewebskapsel ist sehr dünn und bildet um beide 
Lappen eine gemeinschaftliche Hülle, welche längs der Mediane 
in die Drüse eine sagittale Scheidewand entsendet, welche sich 
bis in die Zitze hineinschiebt. Letztere wird eingenommen durch 
zwei verhältnismässig weite Höhlen, die durch eine Mittelscheide- 
wand getrennt sind und durch zwei kleine an den Seiten der 
Mittelscheidewand auf der Zitzenkuppe gelegene Öffnungen nach 
aussen kommunizieren. Auf der Drüsenseite kommunizieren sie 
nicht direkt mit der Höhlung der Lappen, sondern wie beim 
Sperling sind sie davon durch eine derbe und vollständige Scheide- 
wand getrennt. Die Kommunikation erfolgt auch bei der Elster 
vermittels zahlreicher, feiner Gänge, welche, ausgehend von dem 
Gewölbe der Lappenhöhle, an den Wänden der Zitzenhöhlen ein- 
münden. Alle diese Gänge sowie die Höhle der Zitze sind mit 
einem dünnen geschichteten Pflasterepithel bekleidet, das innen 
durch ziemlich dichtes Bindegewebe verstärkt wird, das auf der 
Zitzenbasis sich zum Teil in das Hautderma, zum Teil in die 
Faserkapsel der Drüse fortsetzt. 


Cypselus apus_L. 


Die Bürzeldrüse der Mauerschwalbe ist klein, deutlich zwei- 
lappig, mit einer dicken, haarlosen, vesikulären Zitze versehen, 
welche sich in die Lappen fortsetzt, indem sie die gleiche 
Richtung derselben verfolgt. Die beiden Ausführungsgänge 
münden mittels zwei feiner auf der Spitze der Zitze gelegener 
Öffnungen nach aussen. Gleich darauf jedoch verbreitern sie 
sich und bilden zwei ziemlich weite, rundliche Höhlen mit voll- 
kommen glatten Wänden, welche den ganzen zentralen Teil der 
Zitze einnehmen. 

Dem Grunde dieser Höhlen entspringen eine grosse Zahl 
sekundärer, unregelmässiger Gänge, die dadurch, dass sie sich 
ihrerseits in weitere kleinere weiterteilen, vollständig das Zentrum 
der Drüsenlappen einnehmen. Die secernierenden Schläuche 
bilden eine kontinuierliche Schicht um diesen zentralen Teil 
herum. Sie sind von verschiedenartiger Länge und haben im 
allgemeinen einen sehr unregelmässigen Durchschnitt. Nur in 
ihrem proximalen Teil sind sie durch ein Lumen ausgehöhlt, 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 297 


während der distale Abschnitt vollständig fest ist. Das Epithel 
nähert sich seiner Struktur nach sehr dem der Pica; das heisst, 
es ist ein Übergangsepithel zwischen dem des Huhns und dem 
der Sperlingsvögel. Das intertubuläre Bindegewebe ist sehr 
spärlich, obschon sich hier und da zwischen die Schläuche ziem- 
lich dicke Bindegewebssepta einschieben, die von der Faserkapsel 
herstammen. Diese bildet um einen jeden Lappen eine Hülle, 
welche sich auch in der medianen Linie ganz und gar unabhängig 
von der der entgegengesetzten Seite erhält. 

Die Zitze ist mit einer dicken Hautschicht bekleidet, deren 
Derma von zahlreichen Längskämmen durchzogen ist, auf die, 
die Zwischenräume einnehmend, sich die Epidermis zieht, die 
auf ihrer. oberflächlichen Seite vollkommen glatt ist. Im Zentrum 
befinden sich die beiden weiten Ausführungsgänge, deren Wände 
mit einem geschichteten Pflasterepithel ausgekleidet sind, das 
sich nach unten hin verjüngt, wo es die Wände der sekundären 
Ausführungsgänge und ihre Verästelungen zu bekleiden beginnt. 
In der Zitze fehlen ganz und gar kontraktile Muskelfaserzellen ; 
dagegen ist es sehr reich an Blutgefässen. 


Chelidon urbica L. 


Ihrer Gestaltung und Struktur nach nähert sich die Drüse 
der Hausschwalbe sehr der der Sperlingsvögel. Wie bei diesen 
ist sie sehr klein und in dem Drüsenkörper fehlt jegliche Unter- 
scheidung in zwei Lappen. Dies jedoch ist nicht bei der Zitze 
der Fall, welche durch zwei seitliche Hohlräume eingenommen 
wird, die zu der Lappenhöhlung die gleiche beim Sperling be- 
schriebene Beziehung haben. 

Auch das Drüsengewebe und die es zusammensetzenden 
Schläuche haben die gleiche Anordnung und die gleiche Struktur 
wie die des Sperlings. 


Carine noctua Scopoli. 


Die Drüse ist ziemlich entwickelt und hat eine äusserst 
oberflächliche Lage. Sie besitzt die Form eines leicht in sagittalem 
Sinne zusammengedrückten Kegels und ist an den umliegenden 
Geweben einzig und allein durch ihre Basis befestigt. Die zu- 
gespitzte Kuppe ist durch die Zitze gebildet, welche mit ihrer 
Achse auf der Verlängerung der Achse des Drüsenkörpers ange- 
ordnet ist, in den sie sich ohne scharfe Grenze fortsetzt. 


298 Bernardino Lunghetti: 


Wie auch Kossmann beobachtet hatte, besitzt die Drüse 
vier Ausführungsgänge, die unter wiederholter Verzweigung sich 
ohne scharfe Grenze in die Drüsenschläuche fortsetzen. Diese 
Erscheinung, die auf den ersten Blick zu dem Gedanken führen 
könnte, dass die Drüse des Käuzchens stark von den bisher 
untersuchten abweicht, bringt keine starken Abänderungen in 
ihrer Struktur mit sich. Hiervon können wir uns überzeugen, 
wenn wir eine Serie von Querschnitten untersuchen, derart dass 
wir dabei das Verhalten der einzelnen Ausführungsgänge ver- 
folgen. Man beobachtet alsdann, dass wir von der Kuppe der 
Zitze nach der Drüse hin zunächst in den Schnitten die vier 
Ausführungsgänge antreffen, die in zwei Paare geschieden sind, 
das eine rechts, das andere links von der Mittellinie, getrennt 
durch eine dicke sagittale Scheidewand; ein dünneres transversales 
Septum trennt die Gänge eines jeden Paares untereinander. 
Recht bald jedoch teilen sich die Gänge weiter in zahlreiche 
sekundäre Gänge, die gegen die Hälfte der Zitze in vier deut- 
lichen Gruppen vereint erscheinen. Mit der Annäherung an die 
Drüse nehmen die sekundären Gänge bedeutend an Zahl zu, so 
dass die verschiedenen Gruppen sich näher rücken und mit ein- 
ander verschmelzen. Dies jedoch ist nur für die Gruppen des 
nämlichen Paares der Fall; insofern die beiden Paare unterein- 
ander durch eine dieke Mittelscheidewand getrennt bleiben, 
welche in gleicher Weise durch den ganzen Drüsenkörper hin- 
zieht, der derart in zwei seitliche Hälften unterschieden wird. 

Wir können also behaupten, dass auch die Drüse des 
Käuzchens sich ihrer Konstitution nach nicht von dem gewöhn- 
lichen Typus entfernt. Man begreift weiter, dass infolge der 
Art, wie die Verzweigung der Ausführungsgänge erfolgt, im 
Zentrum der Lappen überhaupt kein Sammelhohlraum anzutreffen 
ist. Bei alten Individuen jedoch können die Scheidewände, 
welche die einzelnen sekundären Gänge abgrenzen, zum Teil ver- 
schwinden, wodurch man eine Andeutung zur Bildung einer 
zentralen Höhlung der Lappen bekommt. 

Das Drüsengewebe bildet eine auf den Boden eines jeden 
Lappens und einen kleinen Teil seiner Wände beschränkte 
Schicht. Gebildet wird es durch kurze, einfache, eng einander 
aufgelegte Drüsenschläuche. Das Epithel besitzt, obschon es 
etwas weniger dick ist, die Struktur des des Huhnes. Unmittelbar 


. 
Bi; 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 299 


innen von der Drüsenschicht finden wir die Gesamtheit der 
Scheidewände, welche die Verästelungen der Ausführungsgänge 
von einander trennen, Scheidewände, die nichts anderes darstellen 
als den ausserordentlich entwickelten Schwammabschnitt. Die- 
selben sind auf einer gewissen Strecke in der Nähe der Schläuche 
mit Drüsenepithel bekleidet, im übrigen sind sie mit einem 
dünnen geschichteten Pflasterepithel bedeckt. 

Die Faserkapsel bildet um jeden Lappen eine Hülle, welche 
in der Mittellinie mit der der gegenüber liegenden Seite ver- 
schmilzt und so die erwähnte sagittale Scheidewand bildet. Sie 
ist ausschliesslich von Bindegewebsnatur und besteht aus zwei 
Schichten; eine tiefgelegene von Bündeln mit vorwiegend kreis- 
förmiger Richtung, eine oberflächliche schlaffere, beiden Lappen 
gemeinschaftliche. 

Die Zitze wird theoretisch von der Drüse durch eine Ebene 
geschieden, die durch den Punkt geht, wo die Drüsenschläuche 
endigen. Bekleidet ist sie mit einer sehr dünnen Cutis und ist 
in der Mitte fast vollständig durch die Ausführungsgänge und 
ihre Verzweigungen eingenommen. Die Wände dieser Gänge 
sind bekleidet mit dünnem geschichteten Pflasterepithel, auf 
dessen Aussenseite sich verschiedene konzentrische Bindegewebs- 
häute befinden. Von diesen ist eine in unmittelbarer Berührung 
mit der tief gelegenen Fläche des Epithels stehende einem jeden 
Ausführungsgang eigen. Ein jedes seitliche Schlauchpaar wird 
demnach von einer gemeinschaftlichen Tunica umgeben. Schliess- 
lich sind die vier Ausführungsgänge durch eine äussere von dem 
Derma herstammende Haut umhüllt. Von diesen Häuten ist die 
wichtigste die zweite, welche sich in die Häute der Lappen fort- 
setzt. Es fehlen gänzlich kontraktiie Muskelfaserzellen. 


Strix flammea L 


Die Bürzeldrüse der Strix zeigt zahlreiche Analogien mit 
der der Carine, von der sie die gleiche oberflächliche Lage und 
das charakteristische Aussehen besitzt; jedoch weicht sie in 
einigen interessanten Einzelheiten davon ab. 

Die Ausführungsgänge betragen im allgemeinen sechs, drei 
für jede Drüsenhälfte. Ihre Zahl kann etwas schwanken, da 
einige Gänge derartig zusammengerückt nach aussen münden 
können, dass sie auf eine kurze Strecke verschmelzen. Dies 


300 Bernardino Lunghetti: 


jedoch nur in dem obersten Teil. Zuerst besitzen sie ein sehr 
enges Lumen und sind zu je drei in zwei an den Seiten der 
Mittellinie angeordneten Gruppen vereinigt. Mit ihrer An- 
näherung an die Drüse nimmt ihr Diameter ständig zu, vor 
allem auf Kosten der transversalen Septa. Gegen die Mitte der 


Fig. 4. 


Zitze sehen die Ausführungsgänge wie drei an den Seiten der 


Mittellinie angeordnete transversale Spalten aus. Recht bald 


jedoch teilen sich die Gänge in zahlreiche sekundäre Gänge, 
und auch bei der Strix erfolgt die Teilung derart, dass die Ver- 
ästelungen der Gänge auf der einen Seite sich scharf von denen 


as 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 301 


der entgegengesetzten Seite unterschieden erhalten, da sie durch 
eine derbe Mittelscheidewand getrennt werden, die sich bis auf 
den Grund der Drüse fortsetzt. 

Man hat also bei der Strix eine Anordnung, die der beim 
Käuzchen etwas ähnelt, der gegenüber sie jedoch etwas kompli- 
zierter ist. Wie beim Käuzchen fehlt eine freie Drüsenhöhlung 


Fig. 4‘. 


vollständig. Als Sekretbehälter funktionieren die einzelnen 
sekundären Ausführungsgänge, die ziemlich ausgeweitet sind. 
Die Anordnung des Drüsengewebes und seine Struktur 
geben genau die beim Käuzchen beobachtete wieder. Einige 
Unterschiede findet man hingegen in der Zitze und zwar nicht 
nur inbezug auf die grössere Zahl der Ausführungsgänge, sondern 
auch inbezug auf ihre Struktur. Die Anordnung der Faserhäute 


302 Bernardino Lunghetti: 


um die Ausführungsgänge herum ist, obschon sie vorwiegend 
eine konzentrische ist, nicht so regelmässig wie beim Käuzchen; 
deutlich unterschieden ist nur die äusserste allen Gängen gemein- 
schaftliche Tunica, welche nichts anderes ist als ein integrirender 
Teil des Derma. 

Das Epithel der Ausführungsgänge zeigt einige interessante 
Eigentümlichkeiten. Überall ist es ein geschichtetes Pflaster- 
epithel. Oben jedoch ist es sehr dick und sendet von der tief- 
gelegenen Fläche in die darunter liegenden Schichten zahlreiche 
Zapfen und feste Kämme von Epithelzellen aus, deren Grenzen 
wenig sichtbar sind, die aber mit grossen chromatinreichen 
deutlich erkenntlichen Kernen ausgestattet sind. Dieses Aussehen 
des Epithels setzt sich weit nach unten fort; es hört an der 
Stelle auf, an der die Ausführungsgänge sehr weit werden. Hier 
trifft man ein dünnes geschichtetes Pflasterepithel. 


Entwicklung. 


Gallus gallus. 


Für das Studium der Entwicklung der Bürzeldrüse beim 
Huhn habe ich mich auf natürlichem Wege entwickelter Em- 
bryonen und aus im Thermostat ausgebrüteten Eiern erhaltener 
Embryonen bedient. Der einzige Unterschied, den ich bei den 
beiden Beobachtungsreihen gefunden habe, ist eine gewisse Be- 
schleunigung in der Entwicklung der künstlich ausgebrüteten 
Eier, die am Ende ungefähr 24 Stunden erreicht. Das steht 
vielleicht im Zusammenhang mit der grösseren Regelmässigkeit 
in der Erwärmung. 

Nach Kossmann und Orlandi tritt die erste Anlage der 
Drüse am zehnten Tage in Form von zwei Einstülpungen der 
Epidermis auf, an «deren Bildung sämtliche Schichten derselben 
teilnehmen. Nach Kossmann wäre in derselben eine aus einer 
oder zwei Reihen von polyedrischen Zellen mit deutlichen Kernen 
gebildete Hornschicht und eine tiefgelegene, der Malpighischen 
entsprechende aus drei oder vier Lagen von Zellen zu unter- 
scheiden, die in der untersten Lage zylindrisch, mehr nach der 
Oberfläche hin abgeplattet sind. Orlandi hingegen beschreibt 
die Epidermis als durch eine einzige Reihe deutlich unterschiedener 
zylindrischer Zellen gebildet und an Stelle der Hornschicht eine 


» Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 3053 


dünne Schicht, in der man noch keine deutliche Abgrenzung der 
Zellen wahrnimmt, während die Differenzierung bei Embryonen 
von 15 Tagen Brutzeit höchst ersichtlich wird. 

Die beiden Einstülpungen nehmen immer mehr zu und be- 
ginnen am 13. bis 14. Tage (Orlandi) oder am 16. Tage (Koss- 
mann) dem Drüsengewebe den Ursprung zu geben. In ver- 
schiedenen Stellen proliferiert die äussere Schicht der Epidermis- 
bekleidung der Höhle und bildet feste Knospen, die sich dann 
stufenweise aushöhlen und zahlreiche Verästelungen aussenden, 
die sich eng aneinander legen. Am 18. Tag sind viele dieser 
Knospen schon hohl und die Struktur ihres Epithels nähert sich 
sehr dem des ausgewachsenen Individuums, da die Wände dieser 
Schläuche in ihrem zentralen Teil durch grosse, längliche, poly- 
edrische Zellen gebildet sind, die einen deutlichen Kern besitzen 
und zur Bildung jener dicken sezernierenden, den engen inneren 
Gang begrenzenden Schicht eng aneinander geschlossen sind und 
an der Peripherie durch zahlreiche, aber noch undeutliche Zellen, 
von denen nur die grossen Kerne ersichtlich sind (Orlandi). 

Pilliet hat die Entwicklung der Bürzeldrüse unter dem 
Gesichtspunkt der entstehenden Drüsenform betrachtet und schliesst 
mit der Behauptung, dass die Drüse aus zwei Epithelknöpfen be- 
ginnt, von denen kurze geschwollene Verästelungen abgehen, von 
welchen eine jede sich unter Bildung eines sehr tiefen zylindrischen 
Schlauches streckt. Sowohl Pilliet als Orlandi ziehen aus 
dem Studium der Entwicklung Argumente zugunsten der von 
ihnen inbezug auf die Form der Drüse verfochtenen Thesen, in- 
dem der eine sie als einen besonderen Typus (glande ä tube 
composee), der andere als einen Komplex verästelter Schlauch- 
drüsen anspricht. 

Durch meine Untersuchungen bin ich zu etwas verschiedenen 
Ergebnissen gelangt. Schon gegen die Hälfte des neunten Tages 
können wir einige Modifikationen der Epidermis an der Stelle, 
wo sich die Drüse entwickeln wird, wahrnehmen. Das Hornblatt 
ist in diesem Stadium wirklich didermisch und besteht aus einer 
oberen ‚Schicht von platt gedrückten Zellen mit gut sicht- 
barem Kern und ziemlich scharfen polygonalen Umrissen und aus 
einer unteren Schicht von zylindrischen Zellen. Das heisst, 
es findet sich die gewöhnliche Struktur der embryonalen Epi- 
dermis, wie sie von Krause beschrieben wird, nach dem in 


304 Bernardino Lunghetti: 


derselben zwei Schichten zu unterscheiden sind: eine untere 
und eine obere oder Periderma (Mehnertsches Telo- 
derma). Die erste Veränderung, die man wahrnimmt, betrifft 
eben die untere Schicht, deren Zellen höher werden, und 
die Schicht erlangt eine grössere Dicke. Die bis jetzt ebene 
Region sinkt ein und am zehnten Tage haben sich an den Seiten 
der Mittellinie zwei längliche Vertiefungen gebildet, die mit 
ihrem hinteren Ende einander sehr nahe, mit dem vorderen von 
einander abgerückt sind. Gleichzeitig hebt sich die Region nach 
Art eines kleinen Wulstes empor. Die Wände dieser beiden 
Grübchen sind vollständig glatt und mit einem Epithel ausge- 
kleidet, das alle Eigenschaften des Hautepithels besizt. Auf dem 
Boden jedoch ist die Schicht der zylindrischen Zellen bedeutend 
dicker als an den Wänden. Diese Einsenkungen vertiefen sich 
immer mehr, während ihre Ränder sich emporheben und einander 
nähern, bis sie, in Kontakt gekommen, sich verlöten, derart über 
die beiden Grübchen eine Art Gewölbe bildend. Dies ist jedoch 
nur in dem vorderen Teil der Fall, nach hinten kommunizieren 
die Höhlungen weiter nach aussen, und in diesem Punkte ent- 
wickeln sich auf den Rändern der Vertiefung die Keime der 
Zitzenfedern. 

In der Folge (zwölfter Tag) bemerkt man wichtige Ände- 
rungen in dem Bekleidungsepithel. In: der Tat beginnen die 
zylindrischen Zellen an verschiedenen Stellen in der Wand dieser 
primären Säcke aktiv zu proliferieren und bilden feste 
Knospen von polygonalen Epithelzellen, die sich mitten in das 
umliegende embryonale Bindegewebe einschieben Ich bemerke 
sogleich, dass diese Knospen keine rundlichen Höcker, sondern 
echte, mehr oder weniger ausgebildete Kämme sind (Fig. 7). 
Diesen Knospungen entsprechend erhält sich die innere Wand 
der primären Säcke zuerst ganz eben und die Knospe ist voll- 
kommen fest. Die Aushöhlung bildet sich später in besonderer 
Weise. 

Gleichzeitig mit der Bildung dieser grossen Knospen erfährt 
das Epithel Veränderungen in seiner Struktur und nimmt alle 
Eigenschaften des geschichteten Pflasterepithels an. Im Ganzen 
wird es viel dicker und besteht aus mehreren Schichten von 
Zellen, von denen die tiefstgelegenen wenig sichtbare polygonale 
Form und einen grossen rundlichen Kern besitzen. Nach den 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 305 


oberflächlichen Schichten hin werden sie immer mehr abge- 
plattet, bis diejenigen, welche unmittelbar die Wand des primären 
Sackes begrenzen, lamellär und in Aufblätterung begriffen sind. 

Gegen den 14. Tag beginnen die bisher vollkommen festen 
Knospen sich auszuhöhlen. Dies geschieht nicht etwa, weil die 
zentralen Zellen eine Fettentartung erfuhren, wie gemeiniglich 
behauptet wird, sondern weil, während zuerst sich in dem Innern 
der Knospen nur die untersten Schichten des Epithels befinden, 


Fig. 5. 


Fig. 6. 


später infolge des peripheren Wachstums derselben sich auch die 
mehr oberflächlichen Schichten in sie einschieben, welche dann 
den Hohlraum begrenzen, der sich so stufenweise in der Knospe 
gebildete hat. Wenn die Knospen sich vollständig ausgehöhlt 
haben, finden wir, dass sich an den Wänden der primären Säcke 
zahlreiche sekundäre, nach Form und Weite unregelmässige 
Taschen gebildet haben. Aus diesen wird der Schwammabschnitt 
hervorgehen, dessen Aussehen also seine Erklärung in der Ent- 
wicklungsweise findet. 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 307 

Diese Knospen, die wir als primäre bezeichnen werden, 
können einfach oder leicht verzweigt sein, stets jedoch sind sie 
sehr gross und von einer weiteren Erzeugung von Epithelzapfen 
zu unterscheiden, aus denen die Drüsenschläuche ihren Ursprung 
nehmen. Diese beginnen gegen den 15. Tag aufzutreten, wenn 
die primären Knospen erst zum Teil ausgehöhlt sind. Sie haben 
das Aussehen von kleinen festen Epithelknöpfen, die durch Zellen 
mit wenig sichtbaren Umrissen und grossem vesikulären Kern 
gebildet sind. Sie wachsen sehr rasch an Zahl und drängen sich 
eng aneinander, indem sie diese Eigenschaften bis zum Verlassen 
des Eies beibehalten. Sobald das Kücken aus dem Ei ausge- 
krochen ist, erfahren dieselben bedeutende Modifikationen, wo- 
durch die Drüse ein anderes Aussehen bekommt. Die Anlagen 
der Drüsenschläuche, die bisher feine zylindrische fingerförmige, 
gruppenweise von den primären Knospen sich abtrennende 
(Gliederungen waren, werden grösser und zwar deshalb, weil sich 
in ihrem Innern ein Lumen zu bilden beginnt. Diese Bildung 
setzt in ihrem proximalen Ende ein, und das Lumen entsteht 
nicht etwa infolge Auflösung und Sekretbildung der Zellen, sondern 
zum grössten Teil infolge des ‘gleichen Prozesses, mit dem die 
primären Knospen sich ausgehöhlt haben. 

In der Tat ordnen sich die Zellen des proximalen Endes 
der Schläuche an ihren Wänden zur Bildung eines Pflasterepithels 
mit verhornten oberflächlichen Schichten, welche ein feines, zen- 
trales Lumen begrenzen. Gleichzeitig wird dieser Teil des 
Schlauches bedeutend dicker als der periphere. Dieser behält 
noch eine gewisse Zeit lang die embryonalen Eigenschaften bei 
und wächst weiter peripheriewärts an. Am 15. Lebenstage sind 
die Schläuche fast vollständig durchgängig: ausserdem beginnt 
man in ihrem Epithel Sekretbildung zu bemerken. 

Das Sekret erscheint in Form von winzigen Fetttropfen, die 
sich in den Zellen der mittleren Schichten des Epithels gebildet 
haben (Tafel XII, Fig. 6), die polygonale Form besitzen und zu 
der Malpighischen Schicht gehören. Die Hornschicht wird 
so gänzlich isoliert und fällt in das Schlauchinnere, wo sie einen 
bräunlichen Detritus bildet. Diese Erscheinungen sind schon am 
achten Tage augenscheinlich, an welchem die Fetttropfen in grosser 
Zahl auftreten und man in vielen Zellen des Epithels schon das 
Protoplasmanetzwerk wahrnimmt. 


308 Bernardino Lunghetti: 


Diese Modifikationen trifft man zum Teil auch in den 
Wänden der Grübchen der Schwammportion; hier jedoch schreiten 
die Erscheinungen viel langsamer fort. In der Tat hat auch bei 
einen Monat alten Kücken das Epithel dieses Teiles in seiner 
Gesamtheit eine dunklere Färbung als das der Schläuche: und 
die es zusammensetzenden Zellen sind kleiner und körniger als 
die der Schläuche. Erst beim Ausgewachsenen nimmt es Drüsen- 
struktur und Funktion an. 

Fassen wir das Gesagte in wenigen Worten zusammen, so 
können wir die Entwicklung der Bürzeldrüse beim Huhn schematisch 
in drei Hauptphasen einteilen, die selbstverständlich etwas unter 
einander verschmelzen: 

1. Es bilden sich die beiden primären Einbuchtungen in 
Fiascoform, aus denen der Drüsenhohlraum hervorgeht. 

2. Aus den Wänden derselben bilden sich 
zahlreiche grosse, unregelmässige Knospen 
nach Art von Kämmen, die zuerst fest sind 
und dann hohl werden, und aus denen die 
Schwammportion hervorgehen wird. 

35. Aus diesen primären Knospen ent- 
stehen weitere sekundäre kleinere Knospen 
die gleichfalls zuerst fest sind und die den 
Drüsenschläuchen den Ursprung geben werden. 


Passer. 


Wie man begreift, habe ich mich für diesen Teil meiner 
Untersuchungen dadurch erzielter Embryonen bedienen müssen, 
dass ich in verschiedenen Nestern, die ich mir habe verschaffen 
können, vorgefundene Eier öffnete. Es ist mir deshalb nicht 
möglich gewesen, genau das Alter der untersuchten Entwicklungs- 
stufen zu bestimmen und habe ich mich darauf beschränken 
müssen, die Aufeinanderfolge festzusetzen, indem ich mich dabei 
auf die grössere oder geringere Entwicklung des ganzen Embryos 
und seiner am meisten sichtbaren Organe stützte. Nur in einem 
Fall gelang es, in der Brutmaschine die Ausbrütung einiger Eier 
des Genus Sylvia zu erreichen, und die dadurch erlangten Jungen 
waren mir von grösstem Nutzen. 

Auch beim Sperling und den verwandten Vögeln gibt sich 
die erste Anlage der Bürzeldrüse in Form von zwei weiten, an 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 309 


den Seiten der Mittellinie gelegenen Einsenkungen kund. Diese 
Einsenkungen haben vollkommen glatte Wände und sind mit 
einer nicht modifizierten (oder nur etwas dickeren) Epidermis 
ausgekleidet, welche die gleichen Eigenschaften der beim Huhn 
beobachteten besitzt. Von den Einstülpungen beim Huhn weichen 
sie jedoch dadurch ab, dass sie weniger tief und nach aussen 


Fig. 10. 


weiter offen sind. Diese Einsenkungen vertiefen sich in der 
Folge und ihre Ränder nähern sich, indem sie sich emporheben, 
einander und streben sich zu verschmelzen, was jedoch erst sehr 
spät erfolgt. Auf dieser Stufe hat die Drüsenanlage das Aus- 
sehen von zwei parallel zu der Hautoberfläche gelegenen feinen 


Spalten angenommen, die leicht gewölbt sind und mit der Kon- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 21 


310 | Bernardino Lunghetti: 


kavität nach unten und nach aussen vermittelst einer länglichen 
in ihrer Wölbung angebrachten Öffnung kommunizieren. Gleich- 
zeitig sehen wir, dass von diesen primären Einbuchtungen sich 
zahlreiche grosse und fast von Beginn an hohle Ausstülpungen 
ablösen, welche mit einem geschwellten, rundlichen Ende ab- 
schliessen. Im Gegensatz zum Huhn jedoch trennen sich diese 
Abzweigungen nur von den Rändern der primären Einbuchtung 
ab, namentlich vom Aussenrand, insofern vom Innenrand nur 
kleine und spärliche Zapfen abgehen. Keinen sieht man aus 
dem Boden hervorgehen. Das Epithel, welches den primären 
Hohlraum und seine Ausstülpungen bekleidet, hat das ursprüng- 
liche Aussehen verloren und ist in ein geschichtetes Pflaster- 
epithel übergegangen, dessen oberflächliche Schichten in Auf- 
blätterung begriffen sind. 

Bei fortschreitender Entwicklung sieht man, dass aus diesen 
Ausstülpungen, die immer mehr an Zahl und Umfang zunehmen, 
eine grosse Menge fester Epithelknöpfe hervorgeht in Form von 
mehr oder weniger langen Zylindern, die in der Folge in Drüsen- 
schläuche übergehen. In der Zwischenzeit erfährt auch der 
Hohlraum Änderungen. Die Ränder der primären Einsenkungen 
haben sich fast vollständig verlötet, und die Kommunikation nach 
aussen erfolgt nur vermittelst zwei feiner Öffnungen, die die 
Kuppe einer kleinen halbkugeligen, die Anlage der Zitze dar- 
stellenden Erhöhung einnehmen. Während jedoch alle Teile der 
Drüse zunehmen, verbleibt die Höhlung fast stationär und kommt 
in das Innere der Zitze unterhalb der Epidermis zu liegen. Diese 
Erscheinungen sind beim Verlassen des Eies höchst evident. 

Bei jungen, ungefähr einen Monat alten Sperlingen hat die 
Drüse schon eine äussere Konformation angenommen, die der 
des ausgewachsenen Sperlings sehr ähnlich ist. Innerlich jedoch 
besitzt sie eine Konstitution, die von dieser stark abweicht, in- 
dem sie noch eine embryonäre Disposition wiedergibt. Die beiden 
primären Höhlungen nehmen die Mitte der Zitze ein, welche 
schon  vesikuläres Aussehen angenommen hat Sie sind klein, 
rundlich. Von ihren Wänden, namentlich von der äusseren, gehen 
zahlreiche Gänge ab, die, sich vertiefend, gegen die Drüse sehr 
weit werden und von einander durch ‘dünne Scheidewände ge- 
trennt sind. Ein jeder von diesen Gängen nimmt zahlreiche 
Drüsenschläuche auf, welche schon eine der des ausgewachsenen 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. all 


Sperlings sehr nahe kommende Struktur haben. In diesem 
Stadium fehlt also im Zentrum der Drüse der weite Hohlraum, 
den wir in dem vollkommen entwickelten Organ antreffen. Die 
Bildung desselben erfolgt viel später infolge Verschwindens der 
Scheidewände, welche die sekundären Gänge von einander 
trennen. Das jedoch, was beim ausgewachsenen Individuum ver- 
bleibt, ist die untere Wand der primären Höhlung, welch 
jene den Hohlraum der Zitze von dem der Drüse trennende 
Scheidewand zu bilden scheint. 


su Rn 
a * 


* 
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Nachdem wir so die Bürzeldrüse in verschiedenen Vogel- 
arten untersucht und ihre Entwicklung bei zwei höchst ver- 
schiedenen Arten verfolgt haben, wollen wir zusehen, ob es möglich 
ist, einige Schlüsse inbezug auf die Art, wie die innerste Kon- 
stitution der Drüse aufzufassen ist, zu ziehen, und ob es möglich 
ist, die mannigfachen beobachteten Formen auf eine Grundform 
zurückzuführen. 

Zunächst geht aus meinen Untersuchungen hervor, dass die 
Bürzeldrüse auf keine der gewöhnlichen Drüsentypen zurück- 
geführt werden kann. Es ist somit die schon von Pilliet auf- 
gestellte Ansicht bestätigt, der sogar, wie schon erwähnt, aus der 
Bürzeldrüse (im Verein mit wenigen anderen Beispielen) einen 
Drüsentypus für sich machen möchte, dem dieser Autor den Namen 
einer glande a tube compos&e gegeben haben würde. 

Inbezug auf die innerste Konstitution des Organs ist be- 
kannt, dass Gegenbaur seit langer Zeit die Ansicht aufgestellt 
hat, dass in demselben „eine grössere Summe ursprünglich selb- 
ständiger Drüsen“ zu erblicken sei, welche „zu einem gemein- 
samen Organ sich vereinigt hätten.“ Neuerdings schloss Orlandi 
bei Betrachtung der Drüse des ausgewachsenen Huhns unter 
diesem Gesichtspunkt, auf Grund einiger beobachteten Erschei- 
nungen, dass die Drüse wirklich als aus zahlreichen einfachen 
verzweigten Schlauchdrüsen hervorgehend angesehen werden könne. 

Aus den von uns gemachten Beobachtungen ergibt sich, dass 
in der Tat bei vielen Vögeln (Limosa, Strix) die Drüse aus zahl- 
reichen sekundären, in zwei Hauptausführungsgängen konver- 
gierenden Drüsen gebildet ist, von denen eine jede aus einer 


kleinen Gruppe von Drüsenschläuchen besteht, welche in einen 
21* 


312 Bernardino Lunghetti: 


höhlungsartig erweiterten Ausführungsgang (sekundärer Aus- 
führungsgang) münden. Eine jede von diesen Drüsen lässt sich 
vergleichen mit einigen von Schwalbe im äusseren Gehörgang 
beim Huhn und von Oppel in der Magenschleimhaut dieses 
‚Vogels beschriebenen Drüsenformen; ebenso zeigen sie Berührungs- 
punkte mit den von Batelli und Giacomini beschriebenen 
Drüsenformen. Die Wände der Ausführungsgänge sind gegen die 
Schläuche mit Drüsenepithel bekleidet, gegen die Spitze mit ein- 
fachem Bekleidungsepithel: sie schieben sich sehr weit gegen den 
zentralen Hohlraum vor, welcher vollständig verschwindet. - Dieser 
Drüsentypus (a) ist meines Erachtens wohl als der ursprüngliche 


Fig. 11. 


anzusehen und zwar nicht nur, weil wir ihn bei den niedersten 
Vogelgruppen (Limosa) vorfinden, sondern auch, weil wir ihn bei 
einigen Arten (Sperlingsvögel) als Übergangsstufe in der Ent- 
wicklung des Organs antreffen. 

Von dieser ursprünglichen Form aus gelangt man stufen- 
weise zu verschiedenartigen sekundären Formen infolge eines 
leicht begreiflichen Prozesses, der im wesentlichen in einer all- 
mählichen Verkürzung . der sekundären Ausführungsgänge und 
ihrer Scheidewände besteht, welche bewirkt, dass im Zentrum 
eines jeden Lappens eine von jeglicher Zwischenwand freie 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 313 
Sammelhöhlung (b, Machaetes Larus) entsteht. Wenn dann ’diese 
Verkürzung an einen Punkt gelangt ist, wo von den sekundären 
Ausführungsgängen nichts als der mit. Drüsenepithel bekleidete 
Teil übrig bleibt (Gallus Humida), so können wir innen von der 
Schicht der Drüsenschläuche (Schlauchabschnitt) eine zweite 
Drüsenschicht von schwammiger Struktur (Schwammabschnitt) 
unterscheiden, deren weite unregelmässige Zwischenräume auf 
den Wänden des zentralen Hohlraums als ebensoviele mehr oder 
weniger tiefe Grübchen sichtbar werden (Fig. 10c). 

Schwieriger auf die ursprüngliche Form zurückzuführen ist 
der bei der Columba und dem Cuculus beobachtete Drüsentypus. 
In dieser Hinsicht darf man jedoch annehmen, dass der Schlauch- 
teil der Drüse sich fast garnicht entwickelt habe und nur die 
Sackgassen der (der Schwammportion entsprechenden) sekundären 
Ausführungsgänge vorhanden sind, welche die Funktion der 
Sekretbereitung übernommen haben.') 

Ein augenscheinlich involvierter Typus ist der bei den 
Sperlingsvögeln beobachtete, und’ zwar nicht nur weil bei der- 
selben eine enge Verschmelzung der Lappen in einen medianen 
Lappen unter erheblicher Volumenverminderung der Drüse statt- 
gefunden hat, sondern weil die Schläuche und ihr Epithel eine 
bedeutend einfachere Konstitution zeigen als die der Vögel ist, 
bei denen die Drüse eine höchst aktive Funktion vollführt. 


Zusammenfassende Schlussbemerkungen. 


1. Die Bürzeldrüse zeigt sich sehr verschiedenartig gebildet 
und es lassen sich in ihr eine primäre Form und weitere abge- 
leitete unterscheiden. Erstere resultiert augenscheinlich aus der 
Vereinigung einer grossen Anzahl von sekundären Drüsen. Bei 
der zweiten ist eine derartige Unterscheidung nicht mehr offen- 
bar. Keine von diesen Drüsen lässt sich auf die gewöhnlichen 
‚Drüsentypen zurückführen. 

2. Die Drüse besteht immer aus zwei gleichen Lappen, die 
bei einigen Arten (Anas, Machaetes, Limosa, Cuculus) deutlich 


!) Dies vielleicht in Zusammenhang mit einer Involution des Organs, 
die in besonderem Masse bei den Tauben bemerkbar ist, von denen viele 
Varietäten drüsenlos sind (Darwin). Auch ich bin in die Lage gekommen, 
ein Individuum der untersuchten, normalerweise mit der Drüse versehenen 
Art zu beobachten, welches derselben gänzlich entbehrte, ohne dass dadurch 
das Gefieder gelitten hätte. 


314 Bernardino Lunghetti: 


unterschieden und eine gewisse Strecke lang getrennt sind; bei 
anderen sind sie aufs engste zusammengeschlossen, aber nicht 
verschmolzen (Gallus, Falco, Athene); bei noch anderen endlich 
verschmelzen sie zu einem einzigen medianen Lappen, der jedoch 
stets auf die ursprüngliche Form zurückgeführt werden kann 
(Passer). 

3. Im Zentrum eines jeden Lappens befindet sich im allge- 
meinen ein Sammelhohlraum, der stets weiter ist bei den aus- 
gewachsenen Individuen als bei den jungen. Er fehlt bei einigen 
Arten, bei anderen findet sich nur einer, der aus der Vereinigung 
der Höhlungen der Lappen resultiert. In jedem Falle ist er als 
eine sekundäre auf Verschmelzung der Ausführungsgänge der 
sekundären Drüsen zurückzuführende Einrichtung anzusehen. 


4. Bei vielen Arten sind die Wände der zentralen Höhlungen 
durch zahlreiche nach Form und Tiefe unregelmässige Grübchen 
eingenommen, welche die Sackgassen der Ausführungsgänge der 
einzelnen sekundären Drüsen sind, auf deren Verschwinden die 
Bildung des zentralen Hohlraums beruht. 


5. Das Drüsengewebe bildet um den Hohlraum der Lappen 
eine Schicht von verschiedentlicher Dieke und kann in zwei nach 
ihrer morphologischen Bedeutung und dem Zeitpunkt ihrer Ent- 
wicklung verschiedene Zonen unterschieden werden; eine äussere 
ausschliesslich aus Schläuchen bestehende Zone (Schlauchabschnitt) 
und eine innere unregelmässige durch die Überreste der sekun- 
dären Ausführungsgänge gebildete (Schwammabschnitt). Die 
beiden Portionen sind in den zwei Arten in verschiedenem 
Maße repräsentiert. 

6. Das Drüsenepithel besteht aus mehreren Reihen von 
Zellen, von denen die äussersten überaus reich sind an Fett- 
tropfen und in Auflösung begriffen. Es kann in drei Haupt- 
schichten unterschieden werden: 

a) unterste Keimschicht, 

b) mittlere Übergangsschicht, 

c) oberflächliche Auflösungsschicht. 
Es kann sehr dick sein (Gallus) und aus drei bis vier Zellen- 
reihen bestehen (Passer), wobei es jedoch stets die Unterscheidung 
in die drei eben genannten Schichten beibehält. In seiner Dicke 
besitzt es zahlreiche Kapillarschlingen. 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 315 


7. Die Kapsel bildet eine deutliche Hülle für einen jeden 
der Lappen da, wo diese getrennt sind. Sind dieselben hingegen 
verschmolzen, so erfährt die Kapsel allmählich dasselbe Schicksal 
und bildet zuletzt um die ganze Drüse eine einzige Hülle. Die- 
selbe ist ausschliesslich von Bindegewebsnatur und stammt aus 
dem Hautderma, in das es sich direkt fortsetzt. Die kontraktilen 
Muskelfaserzellen, die man bei vielen Vögeln an der Zitze und 
der Verengerung der Lappen antrifft, sind von derselben ganz 
und gar unterschieden. Dieselben bilden an der Zitze einen 
Schliessmuskel, an der Verengerung der Lappen einen Detrusor- 
muskel. 

8. Die Zitze kann länglich und dünn, kurz und dick und 
zuweilen an der Spitze mit Federn ausgerüstet sein. Bei den 
Sperlingsvögeln ist sie kugelförmig, in der Mitte durch zwei 
Höhlungen ausgehöhlt, welche ihr ein vesikuläres Aussehen ver- 
leihen. Im allgemeinen zeigt sie immer zwei Ausführungsgänge. 
Wie die Kapsel ist sie überaus reich an elastischen Fasern. 

9. Gefässe und Nerven bilden in dem intertubulären Binde- 
gewebe ein reiches Netz, welches die Drüsenschläuche eng um- 
spinnt. Von dem Gefässnetz gehen Capillarschlingen ab, welche 
in die Dicke des Epithels eindringen. Bei vielen Vögeln be- 
merkt man zwischen den Schläuchen und an den Wänden der 
zentralen Hohlräume eine gewisse Anzahl von Lymphfollikeln. 

10. Beim Huhn geht die Drüse aus zwei Vertiefungen her- 
vor, welche zwischen dem neunten und zehnten Tag der Be- 
brütung an den Seiten der Mittellinie sichtbar werden, und in 
ihrer Entwicklung lassen sich drei Phasen unterscheiden: 

a) Bildung von zwei Einbuchtungen in Faserform (primäre 
Einbuchtungen), ans denen der Drüsenhohlraum hervor- 
gehen wird. 

b) Aus den Wänden dieser Einbuchtungen entstehen feste 
FEpithelknospen in Form von Kämmen (primäre Knospen), 
die sich bald aushöhlen und der Schwammportion den 
Ursprung geben. 

c) Aus den primären Knospen entstehen dünne lange Epithel- 
zapfen (sekundäre Knospen), aus denen sich die Schläuche 
bilden werden. 

11. Beim Sperling findet man den Unterschied, dass die 
primären Einbuchtungen der grösseren Achse gemäss abgeplattet 


316 Bernardino Lunghetti: 


und bedeutend der Cutis genähert sind und «ass die primären 
Knospen nur aus ihren Rändern hervorgehen. Die Drüsenhöhlung 
bildet sich durch Verschmelzung der Zwischenräume der Schwamm- 
portion; aus den primären Einbuchtungen bilden sich hingegen 
die beiden Höhlungen der Zitze. 


Anmerkung. 


Seit geraumer Zeit schon hatte ich diese Untersuchungen 
zu Ende geführt und kurz darüber auf der vom 5. bis 10. April 
1905 in Portoferraio gehaltenen Zusammenkunft der italienischen 
zoologischen Vereinigung berichtet, als ich Gelegenheit hatte, im 
zweiten Heft des Arch. f. mikr. Anatomie und Entwicklungs- 
geschichte (11. Mai 1905) eine Arbeit der Frau Stern mit dem 
Titel „Histologische Beiträge zur Sekretion der Bürzeldrüse“ zu 
lesen. Obschon sich nun Frau Stern in derselben nur mit dem 
Sekretionsprozess der Bürzeldrüse der Ente beschäftigt, über den 
ich infolge des Charakters meiner Arbeit gezwungen gewesen bin 
hinwegzugehen, so halte ich es doch für angebracht, bei dieser 
Gelegenheit folgende Beobachtungen zu machen. 

Die Unterscheidung in drei Zonen, die Frau Stern bei dem 
Drüsengewebe der Ente macht, ist durchaus verschieden von der 
von mir geübten in Schwammabschnitt und Schlauchabschnitt. 
Ersterer beruht auf der Verschiedenheit der chemischen und 
chromatischen Eigenschaften der verschiedenen Teile des Drüsen- 
gewebes, die zweite hingegen auf rein morphologischen Eigen- 
schaften. 

Was dann die Struktur dieser verschiedenen Teile angeht, so 
ist die von Frau Stern davon gegebene Beschreibung beinahe iden- 
- tisch mit der von mir in meiner ersten Mitteilung, die ich über 
diesen Gegenstand im Jahre 1892 veröffentlichte, davon ge- 
lieferten und dann in der Folge bestätigten Schilderung. In 
derselben rückte ich in der Tat die verschiedenen Eigenschaften 
der verschiedenartigen Epithelschichten, das Netzwerk im Zellen- 
protoplasma und verschiedenartige sonstige Eigentümlichkeiten 
ins Licht. 

Ebenso stimmen unsere Forschungen in der Annahme 
überein, dass der der Drüsenhöhlung nächstgelegene Teil der 
Schläuche durch ein Epithel bekleidet ist, das viel dünner ist 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 317 


als das des Bodens der Schläuche. Recht verschieden hingegen 
sind die Schlüsse, die wir daraus gezogen haben. Hat doch Frau 
Stern, nachdem sie beobachtet hatte, dass an diesen Stellen das 
Lumen des Schlauches weiter ist und eine grössere Menge Sekret 
enthält, angenommen, die Dünnheit des Epithels sei auf eine 
stärkere Zellenzerstörung zurückzuführen. Ich im Gegenteil 
deutete, gestüzt auf die Untersuchung zahlreicher Vogelarten, bei 
denen es augenscheinlich ist, dass dieser Abschnitt der Schläuche 
durchaus keine Drüsenfunktion besitzt, diesen Teil des Schlauches 
als einen einfachen Ausführungsgang. Diese Ansicht scheint mir 
auch in vollkommener Übereinstimmung mit dem allgemeinen 
Prinzip der Physiologie zu sein, nach dem mit einer stärkeren 
Funktionalität (wie sie eben von Frau Stern beim Epithel dieses 
Abschnittes der Schläuche angenommen wird) auch eine stärkere 
Entwicklung der funktionierenden Entität Hand in Hand gehen 
muss; während in unserem Falle ganz das Gegenteil statt hätte. 

Was endlich die verschiedenartigen, von Frau Stern im 
Innern der Epithelzellen beschriebenen Körnchenarten angeht, so 
kann ich mich in dieser Hinsicht nicht äussern, da die von uns 
verwandten Untersuchungsmethoden grundverschieden sind. Ich 
werde mich daher darauf beschränken, zu bemerken, dass schon 
Pilliet mitgeteilt hatte, dass die im Innern der Epithelzellen 
angetroffenen Sekrettropfen nicht von Fettnatur waren; und dass 
ch infolge der erzielten Reaktionen diese Behauptung nur für 
Zellen der untersten Schichten bestätigt hatte. 


Am Schlusse dieser Untersuchungen erfülle ich die angenehme 
Pflicht, den Herren Prof. Bianchi und Prof. Ruffini für die 
Hospitalität und Ratschläge, mit denen sie mir in der zuvor- 
kommendsten Weise entgegengekommen sind, meinen Dank aus- 
zusprechen: wie auch Herrn Arrighi-Griffoli, dessen Liebens- 
würdigkeit ich einen grossen Teil des Untersuchungsmaterials 
verdanke. ' 


318 


Fig. 


Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


[1 


1 


Bernardino Lunghetti: 


Erklärung der Tafeln XI und XII. 


Tafel XI. 


Längsschnitt durch die Bürzeldrüse des Huhns, bei geringer Vergrösse- 
rung gesehen. c.e. = Ausführungsgang; caps = Faserkapsel; cav = 
Sammelhöhlung, um die herum man die Scheidewände der Schwamm- 
portion und die schrägen Schnitte der Drüsenschläuche sieht. 
Färbung: Hämatoxylin, Eosin. 

Gruppe von Zellen der Mittelschicht bei starker Vergrösserung, bei 
denen das Protoplasmanetzwerk deutlich sichtbar ist. In einigen 
Kernen bemerkt man Anzeichen beginnender Alteration. Safranin. 
Drei Drüsenschläuche mit dem Netzwerk aus Nervenfasern. Methode 
Golgi-Cajal. Reichert Oec. 2, Ob. 2. 

Schräger Schnitt durch einen Drüsenschlauch des Huhns, in 
Flemmingscher Lösung fixiert und mit Safranin gefärbt. Die ober- 
flächlichen Zellen erscheinen angefüllt mit Fettropfen. Koristka 
Ve.’t, Ob. 8. 

Längsschnitt durch die Bürzeldrüse eines ungefähr einen Monat alten 
Hühnchens. Färbung nach von Gieson. In der Zitze (cap) sieht 
man die gelbgefärbten Muskelbündel eingebettet in das rotgefärbte 
Bindegewebe. Im Drüsengewebe bemerkt man die verschiedene 
Färbung des Epithels der Drüsenschläuche im Vergleich zu dem 
der Schwammportion. Reichert Oc. 1, Ob. 2. 

Capillarschlinge der Taube injiziert mit Berlinerblaugelatine. Koristka 
0e1,0b.8% 


Tafel XI. 


Gruppe von Drüsenschläuchen des Huhns mit ihrem Capillarnetzwerk. 
Methode Golgi-Cajal. Koristka Oc. 2, Ob. 2. 

Längsschnitt der Drüse der Tanbe bei geringer Vergrösserung. 
Färbung nach Calleja. Bezeichnung wie in Fig. 1, Tafel XI. 
Gruppe von Drüsenschläuchen des Sperlings, zum Nachweis des 
verschiedenen Aussehens des Epithels im Vergleich zu dem des 
Huhns im Querschnitt gesehen. Safranin. Koristka Oc. 3, Ob. 8*. 
Drüsenepithel der Taube, in dessen Dicke man eine längsdurch- 
schnittene Capillarschlinge (a. c.) und links von derselben zwei 
weitere transversal durchschnittene bemerkt. Koristka Oc. 3, Ob. 8*. 
Längsschnitt durch einen Lappen der Drüse des Käuzchens. Bezeich- 
nungen wie bei Fig.2. Gegen den Grund des Lappens sieht man 
die Schnitte der Drüsenschläuche, gegen den Ausführungsgang liegt 
die Schwammportion. 

Schräger Schnitt durch einen Drüsenschlauch eines fünf Tage alten 
Hühnchens, in dessen Zellen man die ersten Sekrettropfen sieht. 
Koristka Oc. 3, Ob. 8*. 


Die Bürzeldrüse bei verschiedenen Vogelarten. 319 


Erklärung der in dem Text eingeschalteten Figuren. 


Fig. 1. Bürzeldrüse des Huhns im Längsschnitt und bei geringer Ver- 
grösserung, welche die charakteristische Gestaltung der zentralen 
Höhlungen der Lappen zeigt. 

Fig. 2. Dasselbe bei der Taube. 

Fig. 3. Längsschnitt durch die Bürzeldrüse von Luscinia, bei geringer Ver- 
grösserung gesehen. ca = Zitze mit ihren beiden Höhlungen; 
cav — Drüsenhöhlung, in der man inmitten von Sekretansammlungen 
die Überreste der Scheidewände der Schwammportion sieht. s. i. — 
Überreste der Zwischenlappenscheidewand. 

Fig. 4—4'. Querschnitte durch die Bürzeldrüse von Strix flammea, in ver- 
schiedener Höhe von der Zitze gegen den Drüsenkörper hin geführt, 
welche das Verhalten der Ausführungsgänge zeigen. 

Fig. 5. Plastische Rekonstruktion der Bürzeldrüse des Huhns am zehnten 
Tage der Entwicklung. 

Fig. 6. Plastische Rekonstruktion der Bürzeldrüse des Huhns am 14. Tage 
der Entwicklung, bei der die Bildung der Drüsenkämme schon 
deutlich sichtbar ist. 

Fig. 7. Querschnitte durch der Bürzeldrüse des Huhns in verschiedenen Ent- 
wicklungsstufen und bei verschiedener Vergrösserung gesehen. 
2),9. Tag, b) I1..Tag ete., c) 13. Tag, d)- 15. Tag, e) 19. Tag, 
f) 21. Tag. 

Fig. 8. Schema der Entwicklung der Bürzeldrüse beim Huhn. 

Fig. 9. Entwicklung der Bürzeldrüse beim Sperling (halbschematisch). 

Fig. 10. Plastische Rekonstruktion der Bürzeldrüse von Passer. 

'Fig.11. Schemata der verschiedenen Formen der Bürzeldrüse. a) Limosa, 
b) Ente, ce) Huhn, d) Taube. 


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322 


Aus dem pathologisch-anatomischen Institut in Wien. 
Vorstand: Prof. Weichselbaum. 


Über die Chromreaktion der Glandula coccygea 
und die Beziehungen dieser Drüse zum 
Nervus sympathicus. 


Von 
Privatdoz. Dr, Oskar Stoerk. 


Mit zwei Textfiguren. 


Dr. Thomson Walker beschäftigte sich 1897—1898 als Hospitant 
des Wiener pathologisch-anatomischen Instituts unter meiner Anleitung mit 
der normalen Anatomie und Histologie der Steissdrüse. Das zwei Jahre nach 
Walkers Abgange aus dem Institute in London fertiggestellte Manuskript 
kam infolge von Verzögerung durch äussere Umstände erst 1902 zur Über- 
setzung aus dem Englischen und schliesslich 1904 zur Drucklegung.!) Dem 
Originalmanuskript wurde (mit Ausnahme der Anmerkung über die Langer- 
hansschen Zellhaufen S. 153) nichts Wesentliches hinzugefügt. 

Die Angabe dieser Daten sei mit Rücksicht auf das Folgende ent- 
schuldigt. Im „Anatomischen Anzeiger“ (25. Bd., S. 209—216, 27. Juli 1904) 
veröffentlichte nämlich A. Schaper „Einige Bemerkungen über das Wesen 
und die morphologische Stellung der Glandula coceygea (Glomus coceygeum),“ 
deren Inhalt eine Kritik der Walkerschen Arbeit bildet — in dem Sinne, 
dass deren histologische Befunde zwar „manches Neue bringen,“ dass aber 
das Kapitel über das Wesen der Drüse in einigen Punkten der Ergänzung 
bedürfe. Die morphologische Übereinstimmung, welche Walker zwischen 
der Glandula coceygea und anderen „Drüsen ohne Ausführungsgang“ zu 
konstatieren suchte, könne ausschliesslich für eine derselben, die Carotica, 
Geltung haben; „eine eingehendere Benutzung der spezielleren Literatur 
über diesen Gegenstand“ würde diesbezüglich Walker „auf etwas sicherere 
Wege geführt haben.“ Diese speziellere Literatur der Carotica ist nach 
Schaper: Schaper (1892)°?), Stilling (Rec. de l’univ. Lausanne 1892), 
Kohn (1900)°). Die beiden letzteren Autoren haben in der Carotica 
chromaffine Zellen nachweisen können, Kohn habe auch die histogenetische 
Beziehung der Carotica zum Sympathicus dargelegt, das gleiche Jacobsson 
(1899) °) für die Coceygea, Walker jedoch die Prütung der Chromreaktion 


1) „Über die menschliche Steissdrüse.* Archiv f. mikroskop. Anatomie. 
Bd. 64 (1904), S. 121. 

2) Archiv. f. mikroskop. Anatomie, Bd, 40, S. 287, 

3) Dasselbe Archiv, Bd. 56, S. 263. 

*) Dasselbe Archiv, Bd. 53, S. 78. 


Über die Chromreaktion der Glandula coceygea ete. 323 


für die Coceygea unterlassen, und darum sei es noch nicht möglich, „ohne 
jedes Bedenken die Steissdrüse als eine Schwesterdrüse der Carotisdrüse zu 
bezeichnen und mit ihr in die Gruppe der Paraganglien einzuordnen.“ 

In einem „P. S.“ der Mitteilung Schapers heisst es dann, er habe 
„erst nach Drucklegung des Vorstehenden ...... bei nochmaliger Einsicht 
der Walkerschen Arbeit“ die Anmerkung Walkers (auf der ersten Seite) 
gelesen, nämlich: „Aus äusseren Gründen hat sich die Drucklegung des 
Manuskriptes dieser Arbeit um mehr als zwei Jahre verzögert. Ich wäre 
seinerzeit nicht darauf verfallen, mich mit der Frage der Chromaffinität 
der Coccygea zu beschäftigen, ich behalte mir vor, auf diese nunmehr aktuelle 
Frage später einmal einzugehen.“ Wenn auch Schaper bezüglich des 
„seinerzeit“ nicht wissen konnte, dass „mehr als zwei Jahre“ tatsächlich 
einer Verzögerung von sieben Jahren entsprochen hatte, hätte er doch auf 
die eben zitierte Bemerkung Walkers hin (Schapers Veröffentlichung 
erfolgte etwa ein halbes Jahr nach dem Erscheinen der Arbeit Walkers) 
demselben noch Frist gewähren können, das Versprechen bezüglich der 
Chromaffinitätsprüfung einzulösen. Damit wäre Schapers Mitteilung 
eigentlich gegenstandslos geworden; wenn er Walkers Arbeit ergänzen 
zu können glaubte, so wäre vielleicht zu erwarten gewesen, dass er selbst 
etwas Positives über die Chromaffinität der Coceygea auszusagen gewusst 
hätte und damit hätte er sich auch die Aufstellung der (vor ihm schon 
durch Kohn formulierten) Hypothese erspart, die wohl so ziemlich das 
einzig Wesentliche des Inhaltes seiner Mitteilung darstellt: „Heute schon 
scheint es mir auf Grund der bisher bereits aufgedeckten Tatsachen über 
die Entwicklung und Struktur der Steissdrüse kaum noch zweifelhaft, dass 
die typischen Zellen derselben sich als chromaffine Elemente entpuppen 
werden.“ Wir können aus dem folgenden vorwegnehmen, dass sich diese 
Voraussage nicht erfüllt hat. Hiermit sei der Hauptsache nach die Er- 
widerung an Schaper beendet. Im folgenden soll über die Ergebnisse 
der im Titel gekennzeichneten Untersuchungen berichtet werden, welche im 
Einverständnis mit Walker aufgenommen wurden, nachdem Walker selbst 
(derzeit Vorstand eines chirurgischen Spitals in London) nicht in der Lage 
war, sich mit wünschenswerter Beschleunigung dem Thema zu widmen. 

Es erscheint angezeigt, einleitend in aller Kürze die Entwicklung der 
Kenntnis der Chromreaktion zu skizzieren. (Ausführl. diesbezügl. Kohn, 
das chromaffine Gewebe, Ergebn. der Anat. u. Entw., 1902, S. 254.) Seit ihrer 
Entdeckung durch Henle an den Markzellen der Nebenniere (1865) hat sie 
sich, wie man nunmehr wohl schon sagen darf, geradezu als eine spezifische 
Reaktion für eine bestimmte Gewebsart erwiesen, welche in histogenetischer 
Beziehung zum Sympathicus steht. Als die wichtigsten Etappen dieser 
Erkenntnis seien nur die folgenden angeführt. Stilling hat (1892) die 
Cbromreaktion an Zellen der Glandula intercarotica beobachtet, ferner bei 
Hund, Katze und Kaninchen (menschliches Material stand ihm in erforderlicher 


!) Du Ganglion intercarotidien, l. c.; aus Prioritätsgründen ausführlich 
zitiert in „Die chromophilen Zellen und Körperchen des Sympathicus“ des- 
selben Autors, Anat. Anzeiger, 31. Dez, 1898, S. 229. 


324 Oskar Stoerk: 


Frische post mortem nicht zur Verfügung) analoge Zellgruppen in den 
Bauchganglien des Sympathicus, sowie aus solchen Zellen bestehende 
Körperchen, namentlich in der Nachbarschaft der Semilunarganglien. 
A. Kohn hat sich dann (1898 und die folgenden Jahre) unabhängig von 
Stillings Untersuchungen der Frage gewidmet und seinen Arbeiten ist die 
Auffassung der Gesamtheit der chromaffinen Zellen, Gewebe und Organe 
als eines Einheitlichen, eines Systems im Einzelindividuum wie in der Tier- 
reihe zu danken. 

Zur Prüfung der Frage der Chromreaktion der Zellen der 
Coccygea wurden die Steissenden einer beträchtlichen Anzahl 
menschlicher Embryonen verschiedener Fötalperioden '), wie 
auch an zahlreichen Exemplaren die entsprechende Region .des 
Neugeborenen an Serienschnitten und schliesslich auch neu- 
präparierte Cocceygeae des postuterinen Lebens verschiedenen 
Alters nach Fixation des Gewebes in der für die Chromreaktion 
von Kohn empfohlenen Weise untersucht. 


Das Ergebnis war übereinstimmend und ausnahmslos ein 
negatives. Es erwiesen sich nicht nur die durch Form, 
Stellung und Protoplasmabeschaffenheit so charakteristischen 
Coceygeazellen selbst gegen die Chromierung refraktär, sondern 
es ist mir auch niemals gelungen, zwischen diesen Zellen einge- 
lagerte Einzelelemente mit positiver Chromreaktion zu sehen.) 


Mit diesen wenigen Worten wäre das Ergebnis einer ziemlich 
langwierigen Untersuchungsreihe erledigt, ich kann mir aber 
nicht versagen, auch noch auf die dabei gewonnenen Befunde 
hinsichtlich der Beziehungen zwischen Steissdrüse und Sympathicus 
einzugehen, welche, wie mir scheint, in den bisherigen Darstellungen 
eine keineswegs einwandsfreie Schilderung erfahren und dem- 
gemäss zu Schlussfolgerungen geführt haben, welche nicht aufrecht 
zu erhalten sein dürften. 


ı) Für die gütige Unterstützung bei der Bearbeitung dieses Teiles 
meines Materiales bin ich Herrn Dr. H. Thaler, ehemaligem Hospitanten 
des Institutes, zu besonderem Dank verpflichtet 


2) Bei Schaper, l.c. (S. 214), heisst es: „Weder aus dem Text noch 
aus den der Walkerschen Arbeit beigegebenen Textfiguren ist etwas über 
das Vorhandensein gelb oder bräunlich gefärbter Zellen zu ersehen. Sollte 
dies vielleicht nur darauf zurückzuführen sein, dass Walker sich keiner 
Chromsalzlösungen zur Fixation seiner Organe bediente?* Schaper hat 
die Tabelle auf Seite 156 der Walkerschen Arbeit übersehen, aus welcher 
in genauer Spezifizierung hervorgeht, dass in 28 Fällen im Gemisch von 
Müllerscher Flüssigkeit mit Formol fixiert worden war. 


Über die Chromreaktion der Glandula cocceygea etc. >25 


Schon die grundlegende Beschreibung Luschkas') bringt 
die bis zum heutigen Tage gültige diesbezügliche Anschauung in 
präziser Fassung (S. 55): „Ich habe dieses Organ, mit dem 
Vorbehalte, es für einen integrierenden Bestandteil des 
sympathischen Nervensystems zu erklären, einstweilen 
gewisser äusserer Qualitäten wegen in die sehr gemischte Gesell- 
schaft der Drüsen ohne Ausführungsgang eingereiht.“ 

Beim Studium der Begründung dieser Ansicht von seiten 
Luschkas tauchen unvermeidliche Zweifel auf. Es ist zu be- 
wundern, welche feine Einzelheiten seinen anatomischen und 
mikroskopischen Untersuchungen zugänglich waren, aber die um 
ein halbes Jahrhundert weiterentwickelte mikroskopische Technik 
gestattet und zwingt uns, eine Reihe seiner Angaben als unrichtige 
und irrtümliche zu bezeichnen. Wenn Luschka beispielsweise 
zwei Befunde von Nervenfasern beschreibt, welche an der Ober- 
fläche, resp. im Innern eines Steissdrüsenkörperchens mittels 
einer Ganglienzelle endigten, so kann ich mich eines Verdachtes 
nicht erwehren, der sich mir auch an einzelnen anderen Stellen 
seiner Schilderungen ergeben hat, dass er nämlich statt der 
Drüse, .resp. statt einzelner Teildrüsen, gelegentlich beim Fötus 
und beim Neugeborenen verschiedenartige andere Gebilde dieser 
Gegend auspräpariert habe. 

Ich möchte nur des genaueren auf Luschkas Mitteilungen 
über die Beziehung des Sympathicus zur Coccygea eingehen. Er 
beschreibt als erster die zarten Sympathicusästchen, „welche in 
der Mittellinie der unteren Steissbeinwirbel herablaufen und durch 
die rundliche Lücke in der Sehnenplatte des Afterhebers hindurch- 
treten. Es sind 2 bis 3 Fädchen von äusserster Feinheit, welche 
die sehr verdünnte Fortsetzung des Stammes der Arteria sacralis 
media begleiten... ...“ Es heisst dann weiter: „Nach dem 
Eintritt des Nerven in das Parenchym der Steissdrüse findet 
grösstenteils eine Auflösung desselben in Geflechte statt, welche 
mitunter eine wahrhaft netzförmige Anordnung zu erkennen 
geben.“ Dieser Eintritt „in das Parenchym“ ist aber nur im 
Sinne der anatomischen Präparation zu verstehen, nicht im 
mikroskopischen Sinne, denn es heisst dann gleich: „Mit nicht 
geringen Schwierigkeiten ist die Erforschung der Endigungsweise 
der Nervenfasern der Steissdrüse verknüpft. Meist entzieht 


!) Der Hirnanhang und die Steissdrüse des Menschen. Berlin 1860. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 2 


326 Oskar Stoerk: 


sich dieselbe in der Faserhülle der Blasen und Schläuche 
dem Blicke gänzlich. Eine Art der Endigung habe ich 
jedoch im Parenchym jenes Organes wiederholt mit vollkommener 
Bestimmtheit erkannt ..... .,“ es folgt nun die Beschreibung der 
beiden erwähnten Fälle mit Endigung der Nervenfaser in eine 
Ganglienzelle. Es ist demnach Luschka ausser in diesen beiden 
Fällen nicht gelungen, die Nervenfasern weiter als bis zu den binde- 
gewebigen Hüllen der Teildrüsen zu verfolgen und die erwähnten 
„Geflechte“ verlaufen in und mit diesen Hüllen. Das Gleiche 
gilt dann auch für Luschkas bezügliche Angaben in der 
„Anatomie des menschlichen Beckens“ (Tübingen 1864, S. 195). 

In einer mit der eben vorgebrachten übereinstimmenden 
Auffassung führt auch Jacobsson') den Befund Luschkas an, 
indem er von den zwei oder drei feinen Sympathicuszweigen spricht, 
welche „zur Drüse verlaufen, in deren Stroma sie späterhin 
eine plexusartige Verbreitung bilden. Ich kann die Richtigkeit 
dieser Angaben Luschkas..... bestätigen.“ 

Ich habe nun an einer Reihe von lebenswarmen Früchten 
in späteren Abschnitten der Fötalzeit wie auch an Neugeborenen 
(unmittelbar post mortem) die Steissdrüse samt Umgebung in 
Serienschnitten (von 4 bis 6 « Schnittdicke) mittels des Ramon y 
Cajalschen Ammoniakalkohol-Verfahrens wie auch mittels der 
Markscheidenfärbung geprüft und kann diesbezüglich aussagen, 
dass in keinem der untersuchten Fälle ein Eintreten 
von Nervenfasern, weder Remakscher noch markhaltiger in 
den Komplex, resp. die Komplexe der epithelähnlichen Coceygea- 
zellen nachzuweisen war — wenn auch Nervenfaserbündel in 
nächster Nachbarschaft der Drüse, resp. der Teildrüsen, fast stets 
sichtbar waren. Es soll dieses Verhalten noch eingehender zur 
Sprache kommen, ich möchte zunächst aber versuchen, die Ursache 
dieses engen räumlichen Nebeneinander aus den Befunden der 
früheren Embryonalperioden zu erklären. 

Beim Studium der Schnittserien vom Steissende junger 
Föten (von etwa 20 mm Scheitelsohlenlänge angefangen) gewann 
ich nämlich den Eindruck, dass die Entwicklung der Sympathicus- 
ramifikation derjenigen der A. sacr. media und insbesondere der 
Ausbildung der Ramifikation der letzteren voraneile, derart, dass 


!) Beitr. zur Kenntnis der fötalen Entwicklung der Steissdrüse. Arch. 
f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 53, 1899, S. 78. 


Über die Chromreaktion der Glandula coceygea etc. 327 


sich die Arterie im Längswachstum ihres Endabschnittes, inbe- 
griffen der Ästchen desselben, vielfach der präexistierenden 
Sympathicusramifikation gewissermassen als Geleise bedient. 
Eine strenge Gesetzmässigkeit der Verlaufsrichtung von Arterie 
und Nerv scheint dabei nicht zu bestehen; sowohl in der Sagittal- 
wie in der Frontalebene tauschen sie gelegentlich ihren Platz. 
Erst in späteren Fötalperioden scheint sich diesbezüglich das 
typische Verhältnis herzustellen, jedoch gilt das nur für die 
Hauptstämmchen und nicht für die Ramifikation. 

Auf diese Weise sieht man also zwar nicht allenthalben, 
aber überaus häufig, Sympathicusfaserbündel und Arterienstamm 
oder -ästchen im innigsten Kontakt, ja an manchen Stellen auch 
derart, dass jegliche Zwischengewebselemente zwischen ihnen zu 
fehlen scheinen. Gerade gegen die Umbiegungsstelle um die 
Steissbeinspitze hin schien mir dieses Verhältnis häufig besonders 
ausgeprägt — also an jener Stelle, in deren Bereiche die Steiss- 
drüse hauptsächlich zur Entwicklung kommt. 

Die enge räumliche Beziehung zwischen A. sacr. media und 
N. sympathicus ist demnach von vornherein gegeben und besteht 
schon zu einer Zeit, wo von dem Vorhandensein einer Steissdrüse 
nichts erkennbar ist. Zu dieser Zeit ist das Verhalten des 
Zwischengewebes dieser Gegend ein gewissermassen noch in- 
differentes, erst später findet eine Strukturierung im Sinne der 
deutlichen und gesonderten Umhüllung einzelner Gebilde durch 
dichteres Zusammenrücken der Zwischengewebselemente an ihrer 
Peripherie statt, wie das zunächst in der Umgebung der Kreuz- 
und Steissbeinwirbel zu sehen ist. Aber auch beim Neugeborenen 
ist die Zwischengewebsgliederung bei weitem noch nicht in jener 
Schärfe zu sehen, welche sie in den Bildern des späteren 
Lebens zeigt. 

Diese Beschaffenheit des Zwischengewebes scheint mir ins- 
besondere bei den Verhältnissen jener bindegewebigen Anteile 
erwähnenswert, welche als Stroma und als Hülle oder Kapsel 
der Drüse, resp. der Teildrüsen beschrieben werden. Dem von 
Walker (l.c.) diesbezüglich Mitgeteilten, möchte ich noch 
folgendes anfügen. Beim Neugeborenen sieht man (mit Vorteil 
nach Färbung mittels der van Giesonschen Methode) wohl schon 
eine Art Kapsel um die Drüse in Form einer ziemlich gleich- 


mässig breiten Lage eines kernärmeren, gröberfaserigen Binde- 
22* 


323 Oskar Stoerk: 


gewebes; jedoch ist dasselbe gegen das benachbarte Bindegewebe 
an vielen Stellen unscharf abgesetzt, geht an solchen Stellen ohne 
Grenze in die Faserung der Nachbarschaft über und es umkreist 
nicht, wie in den späteren Lebensabschnitten, das Drüsenparenchym 
in ausgeprägten Zirkulärtouren. Auch das Drüsenstroma zeigt 
noch ein ganz anderes Aussehen, wie ja überhaupt der Bau der 
Drüse des Neugeborenen sich sehr wesentlich von dem der Drüse 
des späteren Lebens unterscheidet; die Drüse oder die Teildrüsen 
des Neugeborenen stellen je ein mehr kompaktes Ganzes mit 
einfacher Kontourierung in Form einer rundlichen oder ovalen, 
bisweilen auch einer hackenförmig um die Steissbeinspitze ge- 
krümmten Bildung dar, innerhalb welcher allerdings die zukünftige 
konglomerierte Konfiguration schon angedeutet ist, indem die 
Drüsenzellen sich zu mantelartigen Lagen um je eines der kleinen 
Gefässlumina anordnen, deren stets eine gewisse Anzahl (etwa 
fünf bis zehn im Schnittbild einer mittelgrossen Einzeldrüse) in 
verschiedenartiger Verlaufsrichtung in einer solchen Bildung zu 
sehen ist; zwischen diesen Mänteln sind dann auch mehrfach, 
aber nicht durchgreifend, sehr zarte und spärliche Bindegewebs- 
lagen zu sehen — die Anlage des späteren Drüsenstromas. 

In der Regel ziehen nun — beim Neugeborenen — die 
Sympathicusfaserbündel, durch die besprochene Kapsel vom 
Drüsenparenchym getrennt, an der Drüse vorbei; gelegentlich 
findet sich aber auch ein (meist ganz dünnes) Bündel, welches in 
die Kapsel selbst eintritt und eventuell auch eine Strecke weit 
sich unmittelbar an die Peripherie des Parenchyms anlegen kann, 
um dann nach kurzem intrakapsulären Verlauf in unveränderter 
Stärke den Kapselbereich wieder zu verlassen. Es macht den 
Eindruck, als wäre das betreffende Nervenästchen bei Ausbildung 
der Kapsel mehr zufällig in dieselbe gefasst worden, hineingeraten. 

Bei der postuterinen Entwicklung der Coccygea, welche 
wesentlich in einer Verlängerung jener Gefässchen, deren Lumina 
vorhin erwähnt wurden, samt umkleidenden Zellmänteln besteht 
(die Zahl der Zellagen um je ein Gefässlumen scheint mir nicht 
in gleichem Verhältnis anzuwachsen,!) das Protoplasma der 


ı) Beim Neugeborenen und bei einem 34 cm-Fötus hatte ich Gelegen- 
heit, schöne Mitosen zu sehen, ich glaube aber, dass die Zellvermehrung 
hauptsächlich ein Längen- und weniger ein Dickenwachstum der Mäntel zur 
Folge hat. 


Über die Chromreaktion der Glandula coceygea etc. 329 


Einzelzelle nimmt aber deutlich an Volumen zu), wird der 
kompakte Verband der Einzeldrüse zur Formation eines etwa 
maulbeerartigen Gebildes gelockert. Bei diesem Auswachsen der 
von den Zellagen umscheideten Gefässe mag es wohl auch häufig 
zur Durch- und Umwachsung nachbarlich gelagerter Nervenab- 
schnitte kommen. Auch die während der Wachstumsvergrösserung 
sicherlich häufig sich ergebende Verschmelzung benachbarter, 
ursprünglich gesonderter Teildrüsen zu gemeinsamen grösseren 
Gebilden mag das Bild einer Einverleibung von Nervenfaserbündeln 
in das Drüsenstroma gelegentlich hervorrufen. Dem früher be- 
schriebenen, nämlich der innigen topischen Beziehung zwischen 
den Ramifikationen von Sympathicus und A. sacr. med. ent- 
sprechend, scheint mir die Annahme der Häufigkeit solcher 
„Pseudoeinverleibungs“ - vorgänge recht wahrscheinlich. Die 
Drüsen-„Kapsel“ des Neugeborenen ist dabei wohl sicherlich kein 
endgültiges Gebilde und werden dem früher skizzierten weiteren 
Entwicklungsgang gemäss wohl mehrfach Anteile der ursprüng- 
lichen „Kapsel“ zu späterem „Stroma*. 

Es erscheint mir nach dem Ausgeführten recht begreiflich, 
dass sich in der nächsten Umgebung der Drüse und mehrfach 
auch in den bindegewebigen Partien zwischen den Teildrüsen, 
resp. dann im „Stroma“ der Drüse des späteren Lebens, Nerven- 
faserbündel in grösserer oder geringerer Reichlichkeit nachweisen 
lassen, weil eben diese Bindegewebspartien vorwiegend Anteile 
des nervenreichen Zwischengewebes der Üoccygealgegend sind, 
welche erst allmählich im Laufe der Entwicklung und des Wachs- 
tums in das Gebiet der Drüse einbezogen wurden. Ich könnte 
auch durchaus nicht behaupten, dass der Reichtum an Nerven- 
fasern des intraglandulären Zwischengewebes grösser sei als der 
des extraglandulären, vielmehr scheint mir eher das Gegenteil 
der Fall zu sein; die Art und Weise der Nervenverteilung im 
intraglandulären Gebiet scheint mir auch nicht die von seiten 
mehrerer Autoren gegebene Darstellung im Sinne einer „plexus- 
artigen Anordnung“ zu rechtfertigen. 

Ich muss also auf Grund meiner histologischen Befunde eine 
innigere Beziehung (und zwar auch im Sinne der Histogenese) 
zwischen Sympathicus und Steissdrüse entschieden in Abrede 
stellen und schliesse mich der Auffassung Arnolds!) an (natür- 


ı) Virch. Arch., Bd. 32, $. 293. 


330 Oskar Stoerk: 


lich nur im morphologischen und genetischen Sinne, mit Aus- 
schaltung seiner irrtümlichen Deutung der Drüsenzellen), welche 
in seiner Namensgebung für die Drüse „glomeruli arteriosi 
coceygei“ (1. c. S. 322) zum Ausdruck kommt; das formgebende 
und zunächst in die Augen springende an der Steissdrüse sind 
die achsial in ihren Einzelanteilen verlaufenden Gefässchen, welche 
Arnold als zum Teil ampullenförmige Säcke, zuerst durch 
Injektion von der A. sacr. med. aus, als Ramifikationen derselben 
darzustellen in der Lage war. Diese typische achsiale Gefäss- 
lagerung entspricht auch den Verhältnissen bei den fötalen 
Bildern der Drüse, deren Jüngstes mit Sicherheit agnoszierbares 
Stadium ich bei einem Fötus von 150 mm in Form einer Zell- 
masse gesehen zu haben glaube, welche in zwei- bis fünffacher 
Lage noch wenig protoplasmareicher, vorwiegend längsgestellter 
ovaler Zellen die Arterie im Bereiche ihres Endabschnittes bis 
zur Steissbeinspitze und einzelne kleine Ästchen auf eine Strecke 
hin mantelartig umgab; eine morphologische scharfe Abgrenzung 
von den (in diesem Fötalstadium noch) plumpen Mediazellen war 
hier nicht allenthalben möglich, nur stellenweise war eine deut- 
lichere Unterscheidung dadurch gesichert, dass die Drüsenzellen, 
wenn mit ausgesprochen längsovaler Form, der Gefässachse 
parallel, also mit ihrer Achse senkrecht auf die Längsachse der 
Mediazellen gelagert waren.) Aber auch bei den späteren 
Stadien, in welchen die Drüse schon leicht erkennbar ist, indem 
ihre Form beiläufig der des Neugeborenen gleicht, kommt dieser 
achsiale Gefässverlauf, . resp. die mantelartige Konfiguration der 
Drüsenzellmasse um das Endothelrohr unzweideutig zur Ansicht 
— ein Verhältnis, welches, wie früher erwähnt, dann auch noch 
während des postuterinen Drüsenwachstums zu Recht besteht. 
Auf die weiteren Einzelheiten der Darstellung Arnolds 
einzugehen, ist hier nicht der Platz. Dass er in den mikro- 
skopischen Bildern von seinen Injektionspräparaten die wirklichen 


!) Tatsächlich glaube ich, beträchtlich jüngere Drüsenstadien in meinen 
Fötenserien gesehen zu haben, nämlich im Niveau des Steissbeinendes gelegene 
Formationen unter dem Bilde einer umschriebenen und ringsum gleich- 
mässigen Mediazellwucherung an der Art. sacr. med., es wäre aber zur ein- 
wandstreien Feststellung ihrer Steissdrüsennatur das vergleichende Studium 
der Bilder einer lückenlosen Reihe menschlicher Föten erforderlich gewesen, 
was mir mein Material leider nicht gestattete. 


Über die Chromreaktion der Glandula coccygea ete. 331 


Gefässendothelien im Drüsenbereiche nicht zu Gesicht bekam, 
sondern die Drüsenzellagen als einen lumenumkleidenden Anteil 
ansah, welcher in „unverhältnismässiger Entwicklung“ die Fort- 
setzung des Gefässendothels darstellen sollte, ist durch die Unter- 
suchungen Sertolis') und Eberths?) in endgültiger Weise 
als Irrtum gekennzeichnet und richtig gestellt worden. Ob die 
von Eberth für das Organ angewendete Benennung „Plexus 
vasculosus coccygeus“ (S. 213) derjenigen Arnolds vorzuziehen 
sei, scheint mir eine nicht eben wesentliche Frage, ich akzeptiere 
lieber den Vorschlag Sertolis, vorläufig „die alte, vom Entdecker 
ihm gegebene Benennung „Steissdrüse“ beizubehalten,“ „in der 
Erwartung, dass neue Untersuchungen etwas Licht über die 
Funktion dieses Organs bringen werden.“ Beiläufig gesagt, hat 
sich letztere Erwartung bisher noch nicht erfüllt und wird, wie ich 
befürchte, noch lange unerfüllt bleiben. Dafür scheint mir der 
Umstand zu sprechen, dass trotz sehr zahlreicher Exstirpationen 
der Drüse bisher noch niemals von spezifischen Ausfallser- 
scheinungen berichtet worden ist; ich meine nämlich die so 
häufigen Fälle von Resektion des Kreuz- und Steissbeines, welche 
ja gegenwärtig in ausgedehnter Weise von den Chirurgen vor- 
genommen werden und zweifellos eine radikale Entfernung der 
Drüse mit sich bringen; obwohl eine grosse Zahl solcher Fälle 
viele Jahre hindurch, beispielsweise wegen der Gefahr eines 
Karkinomrezidivs, genau in Evidenz gehalten werden, ist noch 
niemals über Symptome, welche im Sinne von Ausfallser- 
scheinungen gedeutet werden könnten, berichtet worden. Vielleicht 
wird doch noch der vergleichenden Anatomie, trotz der diesbe- 
züglich wenig befriedigenden bisherigen Ergebnisse, in der 
Coccygeafrage die Aufklärung vorbehalten bleiben. 

Ich hatte im früheren Gelegenheit gehabt, meine Zweifel 
über die Befunde Luschkas hinsichtlich der innigeren Beziehung 
zwischen Sympathicus und Drüse zu begründen. Ähnlicher 
Zweifel ergibt sich mir bei der einzigen modernen Publikation, 
welche sich, vorwiegend entwicklungsgeschichtlich, mit diesem 
Teil der Coceygeafrage, und zwar gleichsinnig mit Luschkas 
Ergebnissen, beschäftigt, der bereits zitierten Veröffentlichung 
Jacobssons. 


ı) Virch. Arch., Bd. 42, 1868, S. 370. 
2) Strickers Handbuch der Lehre von den Gew., 1. Bd., 1871, S. 209. 


332 Oskar Stoerk: 


An einem Fötus von 11 em Körperlänge findet er 150 „ über der 
Steissbeinspitze ein zellreiches Gebilde, Arterie, Vene und sympathische 
Nerven enthaltend: „Die Nerven, von denen die Gefässe dicht umsponnen 
werden, enthalten ausser Fasern noch zahlreiche Zellen; hauptsächlich die 
letzteren verleihen der betreffenden Partie ihr kompaktes Aussehen.“ Weiter 
kranialwärts 500 (!) « von der Steissbeinspitze ein analoges Knötchen. 
„Beide Zellenanhäufungen dürften .... auf die Drüsenanlage Bezug haben.“ 
Bei einem 24 cm langen Fötus werden dann, unter Hinweis auf diese beiden 
Knötchen, ebenfalls zwei analoge Bildungen, 60 und 430 „ über der Steiss- 
beinspitze, besprochen und werden diese Bildungen als „Steissdrüsen en 


miniature* bezeichnet. 

Zum erstenmal begegnet er .der Steissdrüse als einem selbständigen 
und scharf markierten Gebilde* bei einem 15 cm langen Fötus. Sie lagert 
in der Gabel zwischen A. sacr. med. und einem Ästchen der Steissbeinspitzen- 
umbiegung, ersterer entsprechend, und ist bereits bindegewebig abgekapselt. 
„Der dicht vorbeiziehende Sympathicus gibt an die Drüse mehrere Äste ab, 
die in mehreren Verästelungen durch die Kapsel zwischen die Parenchym- 
zellen der Drüse hinein“ dringen, „wo man sie dann als feine von Eosin 
schwach rot gefärbte Fibrillen verfolgen kann. In welchem Verhältnis 
diese Nervenfasern zu den Parenchymzellen stehen, erhellt nicht aus den 
Bildern.“ Die Drüse erscheine nur spärlich und zwar in ihren Randpartien 


vaskularisiert. 
Ich stehe nicht an, bezüglich aller dieser Gebilde, deren 


Beschreibung nach Jacobssons Darstellung hier in Kürze 
wiedergegeben wurde, mit Entschiedenheit anzunehmen, dass 
sie mit der Steissdrüse durchaus nichts zu tun 
haben. Er selbst charakterisiert die Gebilde am besten, wenn 
er bezüglich des zuletzterwähnten sagt, es stehe „dieses Zell- 
klümpchen in einer so engen Verbindung mit dem sympathischen 
Ganglienstrange und entspricht auch in seiner Lage dessen 
unterem Ende, dass man gezwungenerweise das Parenchym als 
einen abgeschnürten Teil desselben, und die Zellen als modifizierte 
Ganglienzellen betrachten muss.“ 

Jacobsson hat die „sympathischen Bildungszellen“ und 
ihre weiteren Entwicklungsstadien, mit deren Bildern wir heute 
— dank der Forschungen der eingangs erwähnten Autoren — 
vertraut sind, nicht gekannt, sonst hätte er die bisher angeführten 
Gebilde richtig klassifiziert, nämlich als junge chromaffine 
Körperchen. 

Seine Föten bis zur Körperlänge von 24 cm sind in Sublimat, 
Formalin oder Alkohol fixiert, es bestand also keine Möglichkeit 
der Chromreaktion, nur der 11 cm und der 12,2:.cm lange in 
Müllerscher Flüssigkeit; aber auch bei denen von 24,5 cm bis 


Über die Chromreaktion der Glandula coccygea etc. 333 


zur Reife, welche in letzterer Flüssigkeit fixiert waren, scheinen 
die chromaffinen Elemente seiner Beachtung entgangen zu sein. 
Zu dieser Auffassung zwingen mich verschiedene Umstände; 
zunächst die Topographie und die Beschreibung der kleineren 
Gebilde, insbesondere dann aber auch die Abbildung und 
Schilderung der grösseren Bildung vom 15 cm langen Fötus. 
Ausschlaggebend gerade bezüglich der letzteren erscheinen 
mir zwei Momente in der Darstellung Jacobssons: seine An- 
gaben über das Verhalten der Gefässe und diejenigen über den 
Nervenbefund. An Gefässen, heisst es in der Beschreibung des 
grösseren Gebildes vom 15 cm langen Fötus, „gibt es... . äusserst 
wenige; nur sehr spärliche Kapillaren kommen in der Kapsel 
und den am meisten peripherisch gelegenen Teilen des Parenchyms 
vor.“ Dem früher Ausgeführten gemäss, scheint mir dieser an 
Schnittserien erhobene Befund allein schon für die Annahme 
massgebend, dass das beschriebene Gebilde mit der Steissdrüse 
nicht identisch ist — eben wegen des Fehlens eines zentralen 
arteriellen Gefässchens. Die (zitierte) Beschreibung der in das 
Parenchym eintretenden, als eosinrote Fibrillen zwischen die 
Parenchymzellen verfolgbaren sympathischen Nervenfasern, ent- 
spricht genau demjenigen, was man immer wieder, insbesondere 
auch an den jungen Formen der chromatffinen Körperchen, sehen 
kann und steht im diametralen Gegensatz zu allen Bildern, 
welche ich von der fötalen Steissdrüse gewonnen habe. 
Bezüglich der Drüse des nächstgrösseren Fötus (24 cm 
Körperlänge) wird ausdrücklich auf ihr differentes Aussehen hin- 
gewiesen: „Anstatt der äusserst spärlichen Kapillaren, welche 
wir in der Kapsel und den peripherischen Teilen der Drüse 
fanden, sehen wir hier die ganze Drüsenmasse von einer Menge 
sinuös erweiterter vorkapillarer Arterien durchzogen.“ Die zu- 
gehörige Abbildung (Fig. 7) bringt dieses Verhalten auch klar 
zum Ausdruck. Hinsichtlich der Nerven beschränkt sich die Be- 
schreibung leider auf den Satz: „Nerven ziehen von dem dicht 
nebenan gelegenen Sympathicus reichlich in das Organ ein“ und 
die Abbildung lässt sie vollkommen vermissen. Wären sie in 
diesem Falle mit gleicher Eindeutigkeit zu sehen gewesen, wie 
im vorangehenden, so wäre vielleicht eine eingehendere Be- 
schreibung zu erwarten gewesen, und ich wage den Zweifel aus- 
zusprechen, ob dasjenige, was er in diesem Falle an seinen 


334 Oskar Stoerk: 


(15 « dieken) Serienschnitten als Nervenfasern gedeutet hat, 
nicht vielmehr Anteile des Zwischengewebes waren, von welchem 
es heisst: „Von der Kapsel schieben sich kleinere Bindegewebs- 
streifen. in das Parenchym hinein.“ 

In der Beschreibung der weiteren Stadien, bis zum Er- 
wachsenen, kommt das Verhalten der Nerven nicht mehr zur 
Sprache. Auch in der Zusammenfassung wird auf den intra- 
glandulären Nervenbefund nur anlässlich der Erwähnung des 
Befundes beim 15 cm Fötus hingewiesen; im weiteren heisst es 
dann: „Dagegen müssen wir die Entstehung der Drüse aus dem 
Sympathicus als mehr denn wahrscheinlich erachten. Die primäre 
Drüsenanlage erscheint auf dem Platze des kaudalen Endes der 
Sympathicusanlage und hängt bereits von ihrem ersten Auftreten 
an und fortwährend mit dem Sympathicus nahe zusammen.“ 

Den Beweis für die Richtigkeit letzterer Annahme einer 
genetischen Beziehung zwischen Drüse und Sympathicus scheint 
mir Jacobsson nicht erbracht zu haben und meine eigenen 
Befunde sprechen durchaus dagegen; ich muss auch seiner Dar- 
stellung: „Die Gefässe spielen bei der Entstehung des Organs 
eine sekundäre Rolle und wachsen erst, nachdem dieses bereits 
als ein selbständiger, distinkt markierter und gefässloser Zellen- 
haufen angelegt worden, in dasselbe hinein“ mit Rücksicht darauf 
entgegentreten, dass sich die Anschauung Jacobssons aus- 
schliesslich auf die Befunde gerade jener im früheren genauer 
besprochenen Gebilde zu stützen scheint, welche ich nicht als 
Frühstadien der Steissdrüsenentwicklung gelten lassen kann, 
sondern als chromaffine Körperchen ansprechen muss. Vielmehr 
habe ich aus meinen Fötenserien die Anschauung gewonnen, dass 
die ersten Formationen der Drüse an die Art. sacr. media resp. 
ihre Ästehen gebunden sind, welche sie als eine mantelartig 
angeordnete Zellmasse konzentrisch umlagern. 

Die Darstellung Jacobssons über die Entstehung der 
Steissdrüse hat zur Folge gehabt, dass dieselbe als ein Glied in 
die Reihe der chromaffinen Gebilde reklamiert wurde, insbesondere 
seitdem das Gleiche für die Carotisdrüse, welche ja in manchen 
Punkten Ähnlichkeit mit der Steissdrüse aufweist, mit unzwei- 
deutigem Ergebnis ausgeführt worden war. So schreibt Kohn!) 
(S. 311): „Seit ihrer Entdeckung durch Luschka wird die Steiss- 


le: 


Über die Chromreaktion der Glandula coccygea etc. 335 


drüse immer in einem Atem mit der Carotisdrüse genannt. Von 
allen Wandlungen der Ansichten sind beide gemeinsam betroffen 
worden. Auch diesmal dürfte die Steissdrüse diesem Schicksale 
nicht entgehen. Die Untersuchungen Jacobssons haben ihre 
Abkunft vom Sympathicus sehr wahrscheinlich gemacht. Damit 
wäre eine wesentliche Vorbedingung für ihre Aufnahme unter die 
Paraganglien erfüllt.“ „Carotis- und Steissdrüse sind aber nur 
die zwei Endglieder der fortlaufenden Paraganglienkette, die dem 
Sympathiceus angeschlossen ist.“ 

Minder vorsichtig und umfänglicher hat Schaper (wie 
einleitend besprochen wurde) eine gleichsinnige Hypothese im 
darauffolgenden Jahre vertreten. 


Es wurde im bisherigen — dem Vorschlag Sertolis ent- 
sprechend — von der Steissdrüse und von Drüsenzellen 
gesprochen. Damit sollte aber natürlich bezüglich der tat- 
sächlichen Natur der Coccygea nicht präjudiziert werden. Die 
Frage, ob dem Protoplasma der Zellen der Steissdrüse eine 
spezifische (physikalische oder chemische) Funktion zukommt, 
entzieht sich vorläufig der Beantwortung, wenn auch manches 
morphologische Detail für eine solche Annahme zu sprechen 
scheint; abgesehen von der überaus reichlichen Vaskularisation !) 
würde der Annahme vielleicht auch die eigentümliche Proto- 
plasmabeschaffenheit der Drüsenzellen nicht widersprechen. Es 
lässt sich nämlich an den embryonalen Drüsenbildern verschiedener 
Altersstufen verfolgen, wie die ursprünglich spindelige Zellform 
mehr und mehr in die ovale und gegen das Ende der Fötalzeit 
in eine unregelmässig rundliche (resp. infolge gegenseitiger 
Abplattung der Zellen polygonale) übergeht, proportionell der 
zunehmenden Succulenz des Protoplasmas, welche vom Ende der 
Fötalzeit an bleibend in der für die Steissdrüsenzelle so charak- 
tersstischen Protoplasmaunfärbbarkeit zum Ausdruck kommt: es 
macht den Eindruck, als würde der Kern inmitten einer die 
ganze Zelle erfüllenden Vakuole schweben. Nur an einzelnen 
Zellen wird gelegentlich ein zart färbbarer peripherer Proto- 
plasmaanteil sichtbar. Ich habe alle in Betracht kommenden 
Färbungsmethoden (an Schnitten gehärteter Objekte, Gefrier- 


ı) Vergl. hierzu Walker (l. ce.) 


336 Oskar Stoerk: 


schnitte kamen nicht in Anwendung) mit negativem Erfolg 
angewendet, ebenso die Reaktionen auf Glykogen und Fett. Ins- 
besondere sei auch das negative Ergebnis der Schleimreaktionen 
betont. 

Vielleicht steht zu dem eben besprochenen auch die überaus 
häufig zur Beobachtung kommende eigentümliche Beschaffenheit 
des an die Drüsenzellen zunächst angrenzenden Zwischengewebes 
in Beziehung: es zeigt nämlich — von den späteren Stadien des 
Fötallebens an — eine Anordnung in auffallend weiten, oft fast 
rundlichen Maschen, wobei der Mascheninhalt gleichfalls bei den 
verschiedenartigsten Tinktionsmethoden ungefärbt bleibt. 

Die Verfolgung des Entwicklungsganges der Steissdrüse 
lehrt, dass sie mit keinem der in Betracht kommenden Nachbar- 


Fig. 1. 
Spezif. Bindegewebsfärbung. Vergr. 600/1 


organe (Canalis neurenterieus, kaudales Chordaende, Steisswirbel; 
vergl. hierzu auch Jacobsson, |. c., S. 95) in genetische Beziehung 
gesetzt werden kann,!) und nachdem ich mich bemüht habe, ein 


!, Andere nur gelegentlich in nachbarliche Beziehung zur Drüse 
tretende Gebilde bedürfen hierzu keiner Berücksichtigung; ich meine damit 
zunächst die bisweilen. in auffallender Reichlichkeit vorhandenen Gebilde 
nach Art der Pacinischen Körperchen, insbesondere aber auch jene anormalen 
Formationen, welchen in der Histogenese der Sakralgeschwülste eine wichtige 
Rolle zukommt, über die in jüngster Zeit H.A. Thaler (Deut. Zeitschr. f 
Chir., Bd.79, S. 112) und R. Meyer (Virch. Arch., Bd. 180, S. 334) berichtet 
haben. 


Über die Chromreaktion der Glandula coceygea etc. 337 


Gleiches für den Sympathicus darzutun, käme gewissermassen 
schon per exclusionem nur mehr die Art. sacr. media in Betracht. 
Wesentlicher als diese Exelusion ist aber der Befund der Bilder 
früher Fötalperioden, in welchen die Steissdrüse, wie erwähnt, 
als umschriebene kurzspindelförmige Wandverdickung der Art. 
sacr. med. in Form einer ringsum gleichmässigen, die Gefäss- 
peripherie bildenden kleinen Zellmasse erscheint, deren spindelige 
Elemente zunächst von den Mediazellen nicht unterscheidbar 
sind.') Die morphologische Übereinstimmung mit den kontraktilen 
Mediazellen, welche einen nicht unbeträchtlichen Abschnitt des 


Fig. 2 
Spezif. Elasticafärbung. Vergr. 600/1, 


Fötallebens hindurch besteht, ist dabei vielleicht doch mehr als eine 
zufällige Ähnlichkeit räumlich aneinander grenzender Gebilde. 

Vielleicht ist eine andere Beobachtung gleichsinnig ver- 
wertbar. Es lässt sich wiederholt konstatieren, dass eine in den 
Drüsenbereich eintretende Arterie ihre Media verliert, also mit 
kapillarer Wandbeschaffenheit ihren Weg fortsetzt — als wären 
die Mediazellen durch die Drüsenzellen abgelöst worden. 

‚Ein weiteres Moment, welches ich hier heranziehen möchte, 
ist der Befund, welcher sich (bei Anwendung spezifischer Färbungen) 


!) Bemerkenswert erscheint auch die gelegentliche Multiplizität solcher 
Bildungen in ganz gleichartiger Form, auch in relativ grösseren Abständen 
voneinander, beispielsweise vor und hinter dem Steissbein gelagert. 


338 Oskar Stoerk: 


sowohl für Bindegewebs- wie auch für elastische Fasern im 
Bereiche der Drüsenzellen ergibt. Bezüglich beider Faserarten 
zeigt sich nämlich eine von der Wand des Zentralgefässes des 
betreffenden Drüsenanteiles ausstrahlende Ausbreitung zwischen 
die Drüsenzellen, in nächster Nachbarschaft des Zentralgefässes 
letztere stellenweise geradezu umspinnend, peripherwärts sich 
allmählich verlierend. !) An der Drüsen- resp. Teildrüsenperipherie 
zeigt sich häufig ein ähnliches Eindringen beider Faserarten und 
zwar in entgegengesetzter Richtung, zentripetal, meist nur auf 
die kurze Erstreckung von 2 bis 3 Zellagen, vom umgebenden 
Stroma her. (Bezüglich letzteren Befundes liesse sich an die 
Möglichkeit eines peripheren, gleichsam „infiltrativen“ Drüsen- 
wachstums denken; gegen eine soiche Erklärung müsste ich 
einwenden, dass ich Mitosen niemals in dieser Randschichte, 
sondern immer nur inmitten der Zellmantelbreite gesehen habe.) 


Die Bindegewebslagen um das zarte achsiale Gefäss sind oft 
recht reichlich, die elastischen Fasern” spärlich, resp. letztere 
bestehen meist nur aus einer einzigen, dem Endothel anliegenden 
Faserlage, welche also einer Elastica interna entsprechen würde. 
Die von diesen Faserlagen abzweigenden, intercellulär sich ver- 
ästelnden Bindegewebs- und elastischen Fasern scheinen mir 
in denjenigen Drüsenanteilen, welche das achsiale Gefäss nahe 
seinem Eintritt umgeben, am reichlichsten zu sein. 


Dieser Befund einer intimen Beziehung der beiden Faser- 
arten zu den Drüsenzellen scheint mir mit einer Vorstellung der 
letzteren als metamorphosierten Mediaelementen in einem gewissen 
Einklang zu stehen. 


Natürlich hätte ein solcher Interpretationsversuch nur den 
Wert einer — noch sehr stützbedürftigen — Hypothese. 


Es wäre vielleicht gerade im Anschluss an die letzten Aus- 
führungen verlockend, auf die von einer Reihe von Autoren ver- 
tretene Anschauung der „perithelialen“ Natur der Steissdrüse 
einzugehen. Ich möchte mich aber dessen vor allem aus dem 
Grunde enthalten, weil die Fassung des Begriffes des „perithelialen“ 
nach den bisherigen Darstellungen durchaus keine einheitliche 


!) Vergl. hierzu auch die übereinstimmende Angabe von Hleb- 
Koszanska („Peritheliom der Luschkaschen Steissdrüse im Kindesalter‘). 
Zieglers Beiträge, Bd. 35, 1904, S. 589, 


Über die Chromreaktion der Glandula coccygea etc. 339 


ist und diesbezügliche Erörterungen den Rahmen des Vorliegenden 
weitaus überschreiten müssten. Ich beabsichtige mich an anderer 
Stelle mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen. 


Resume. 


1. Die Zellen der Steissdrüse geben weder im 
fötalen noch im postfötalen Leben die Chrom- 
reaktion. 

2. Eine histogenetische Beziehung zum Sympathicus 
ist nicht vorhanden. 

3, Vielmehr ist eine solche Beziehung zu den 
Mediaelementen der Arteria sacralis media, 
respektive ihrer Ästchen, mit einiger Wahr- 
scheinlichkeit zu vermuten. 


Nachschrift. Nach Abschluss dieses Manuskriptes erlangte ich 
noch Kenntnis der Publikation v.Schumachers „Über die Nerven des 
Schwanzes der-Säugetiere und des Menschen, mit besonderer Berücksichtigung 
des sympathischen Grenzstranges‘,!) in welcher (pag. 601) über sein 
negatives Ergebnis bei Untersuchung der Chromreaktion der Zellen zweier 
lebenswarm fixierter Steissdrüsen berichtet wird. In mündlicher Besprechung 
teilte mir der Autor mit, dass er, wie eine in Bälde abzuschliessende Unter- 
suchungsreihe zeigen wird, bezüglich der Histogenese der Steissdrüse zu 
Ergebnissen kommt, welche mit denjenigen des Vorliegenden durchaus über- 
einstimmen. 


2) Sitzungsber. d. K. Akad. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Kl., 1905 


340 


Die erste Anlage der Arterien der vorderen 


Extremitäten bei den Vögeln. 
Von 
Hans Rabl. 


Hierzu Tafel XIII—XV und 14 Textfiguren. 


Die Frage nach dem Ursprung der Extremitätenarterien 
schien bis vor kurzem zu denjenigen Problemen zu gehören, 
welche bereits eine prinzipielle Lösung gefunden haben. Hoch- 
stetter, dem wir bekanntlich eine Reihe der wichtigsten 
Untersuchungen über die Entwicklung der Gefässe verdanken, 
lässt in seiner neuesten Bearbeitung dieses Gegenstandes!) keinen 
Zweifel aufkommen, dass die Arterien der Extremitäten Äste der 
Segmentalarterien seien. Auf Seite 35 schreibt er bezüglich der 
Arterien der Leibeswand und der Extremitäten: „Die Äste der 
ersten Art entspringen gewöhnlich aus dem dorsalen Umfang 
der Aorta paarig, in regelmässiger Aufeinanderfolge. — Sie sind, 
da sie zwischen den Ursegmenten verlaufen, zunächst inter- 
segmental angeordnet. — Ihr Verbreitungsgebiet umfasst das 
Medullarrohr und die Leibeswandungen. — Die im Gebiete der 
Extremitätenanlagen abgehenden Arterienpaare sind stärker aus- 
gebildet und werden später zu den Arterien der Extremitäten.“ 

In der Tat sprachen bis vor kurzem sämtliche Unter- 
suchungen zugunsten dieser Lehre. So nennt Dohrn’) bei 
Gelegenheit der Schilderung der Arterienanordnung bei Selachier- 
Embryonen die A. subelavia schlechtweg eine Vertebralis, aller- 
dings „die in vieler Beziehung interessanteste.“ Die Bezeichnung 
A. vertebralis erscheint hier synonym mit dem von Hochstetter 
verwendeten Ausdruck „Segmentalarterie“. Ich will diese 
Arterien, die Interprotovertebralarterien P. Albrechts, im 


!) Die Entwicklung des Blutgefäss-Systems. Handbuch der vergleichen- 
den und experimentellen Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere, herausge- 
geben von OÖ. Hertwig, III. Bd. 

?) Studien der Urgeschichte des Wirbeltierkörpers XV. Neue Grund- 
lagen zur Beurteilung der Metamerie des Kopfes. Mitteilungen aus der 
zool. Station zu Neapel, IX. Bd. 


Extremitäten bei den Vögeln. 341 


folgenden als „dorsale Segmentalarterien“ bezeichnen, da neuere 
Untersuchungen gezeigt haben, dass es auch andere Segmental- 
arterien gibt, die im Gegensatz zu jenen aus dem seitlichen und 
ventralen Umfange der Aorta entspringen. Das interessante im 
Verhalten der Subelavia liegt nach Dohrn in ihrer Beziehung 
zum Grenzstrang des Sympathicus, welcher von dem Gefäss in 
der Weise gekreuzt wird, dass ein kleinerer Teil vor, ein 
grösserer hinter der Arterie zu liegen kommt; ferner darin, 
dass abgelöste Ganglien die Subelavia auch in ihrem weiteren 
Laufe begleiten. Sie liegt unmittelbar vor der Spitze der 
Segmentalorgane und ist daher — von vorne gezählt — die letzte 
Vertebralis, welche keinen Ast zur Niere entsendet. 

Betreffs der A. subelaviae der Amphibien liegen zwar 
keine speziellen Angaben vor, doch entspringen diese Gefässe 
auch hier direkt aus der Rückenaorta, so dass ihrer Auffassung 
als Äste eines besonderen Paares von Leibeswandarterien keine 
Schwierigkeit im Wege steht. 

In der Klasse der Amnioten kann man zwei verschiedene 
Subelavien unterscheiden, wie zuerst Mackay') auseinander 
gesetzt hat; ein dorsales und ein ventrales Gefäss. Das erstere 
ist bei den Lacertiliern und bei den meisten Säugetieren vor- 
handen, das letztere erscheint bei Cheloniern und Krokodiliern, 
bei allen Vögeln und bei den Cetaceen. Doch bildet es gerade 
das Verdienst Hochstetters,’) gezeigt zu haben, dass die erste 
Anlage des Gefässes bei den Vögeln in derselben Weise wie bei 
den Lacertiliern und Säugetieren erfolgt. Es erscheint nämlich 
bei allen untersuchten Arten die Subelavia ursprünglich mit einer 
dorsalen Segmentalarterie verbunden. Bei Lacerta ist dies die 
siebente Segmentalarterie, beimHühnchen die 15., beim Kaninchen 
und ebenso beim Menschen die sechste. Während aber bei den 
Lacertiliern die Subelavien zeitlebens aus den Aortenwurzeln ent- 
springen und sie bei den meisten Säugetieren nur infolge 
sekundärer Vorgänge im Bereiche der Aortenbogen zu schein- 
baren Ästen derselben werden, gehen sie bei den Vögeln zu 


!) The Development of the Branchial Arterial Arches in Birds, with 
special reference to the Origin of the Subelavians and Carotids. Phil. 
Trans. R. Soc. London, Vol. CLXXIX, 1889. 

?) Über den Ursprung der Arteria subelavia der Vögel. Morphol. 


Jahrbuch, Bd. XVI, 1890. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 69. 23 


342 Hans Rabl: 


Grunde und werden hier durch ein Gefäss ersetzt, das aus dem 
ventralen Umfange des dritte Arterienbogens entspringt. 

Aus der Übereinstimmung in der Lage der bleibenden Sub- 
clavia der Vögel mit der der Schildkröten, Krokodile und Wale, 
bei welchen sie, wie bei den Vögeln, ventral vom N. vagus liegt, 
darf wohl geschlossen werden, dass dieselbe auch bei den letzt- 
genannten Ordnungen durch die gleichen entwicklungsgeschicht- 
lichen Vorgänge zustande kommt und dass demnach bei allen 
Amnioten wie bei den Anamniern die Subelavia als dorsales Ge- 
fäss angelegt wird. Der sekundäre Zustand bildet sich nach der 
Darstellung Hochstetters dadurch aus, dass sich das aus dem 
dritten Arterienbogen hervorwachsende Gefäss an der Basis der 
Extremitätenanlage mit der primitiven Subelavia verbindet. Nur 
diese selbst, nicht aber ihre bereits angelegten Äste werden 
zurückgebildet, und so sind diese bei allen Vertebraten von 
gleichem Ursprung. 

Übrigens darf die sekundäre Subelavia nicht als ein voll- 
ständig neu auftretendes Gefäss betrachtet werden. Nach der 
Angabe Mackays existiert bei Chamaeleo vulgaris ein Ast der 
aus dem Carotidenbogen entspringenden A. cervico-lingualis, 
welcher sich zu den Muskeln der Schulter begibt und daselbst 
mit Ästen der A. subelavia anastomosiert. Das Gefäss entspricht 
hinsichtlich seines Ursprunges und seiner Lage genau der 
A. subelavia der Krokodile (untersucht wurde ein Exemplar von 
Crokodilus niloticus), bei welchen aber die dorsale Subelavia fehlt. 

Es mag hier übrigens angemerkt werden, dass auch bei 
vielen Plagiostomen eine Anastomose zwischen den Kiemenge- 
fässen und der Subelavia existiert. Sie wird von der ventralen 
Verlängerung der Venen des zweiten Kiemensackes hergestellt, 
deren Verlauf von Hyrtl!) bei Raja clavata ausführlich be- 
schrieben und durch schöne Abbildungen erläutert wurde. Durch 
die Anastomose werden die Muskeln an der Kehle, die untere 
Wand der Kiemensäcke und die Herzwand mit Blut versorgt; 
ihre Weite ist an der Verbindungsstelle mit der Subelavia, 
welche vor dem Durchtritt dieses Gefässes durch den Kanal der 
Clavieula gelegen ist, nicht geringer als an ihrem cranialen Ur- 


!) Das arterielle Gefäss-System der Rochen. Denkschriften der 
mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der k.k. Akademie der Wissen- 
schaften, Wien 1858. 


” 


Extremitäten bei den Vögeln. 343 


sprung, so dass angenommen werden muss, dass sie sowohl durch 
die Subelavia wie durch die Kiemenvene mit Blut gefüllt wird. 
Im Gegensatz zu Raja clavata fehlt diese Anastomose bei 
Torpedo Narke. Dagegen kommt hier eine besonders interessante 
Verbindung zwischen Subelavia und Carotis externa vor, welche 
letztere durch Vermittlung der Carotis communis aus der oberen 
Kommissur des ersten Kiemensackes entspringt. — Bei zwei 
Rhinobatis-Arten (R. electriecus und Horkelii) ist es die dritte 
Kiemenspalte, deren Vene eine ventrale Verlängerung erzeugt, aus 
welcher die A. coronaria entspringt und welche zuletzt mit der 
A. subelavia anastomosiert. — Ähnlich wie die Angaben von 
Hyrtl betreffend Raja clavata lauten diejenigen Pitzornos') 
über die Verästlung der Subelavia und über deren Anastomose 
mit dem System der Hypobranchial-Arterien bei Squatina angelus, 
Mustelus vulgaris und Selache maxima. Ob wir darin Homologien 
mit den Verhältnissen bei den höheren Wirbeltieren erblicken 
dürfen, wie dies von Pitzorno angenommen wird, kann wohl 
nur die Entwicklungsgeschichte entscheiden. 

Ich darf wohl gestehen, dass meine Kenntnis von der 
Literatur über die Entwicklung der Extremitätengefässe bis 
vor kurzem nicht über jene Arbeiten hinausreichte, welche ich 
bei der vorstehenden Skizzierung dieses Gegenstandes benützt 
habe. Ich war daher nicht wenig überrascht, als ich bei Durch- 
sicht meiner Serien von Enten-Embryonen vom Anfang des 
fünften Tages nicht ein Gefäss, sondern mehrere Arterien fand, 
welche in die Extremitätenanlage eintreten, und welche überdies 
nicht Äste dorsaler Segmentalarterien waren, sondern direkt aus 
der Aorta entsprangen. Dieser merkwürdige Befund soll im 
folgenden näher gewürdigt werden. Zunächst aber will ich noch 
über die Arbeiten jener Autoren referieren, welche so glücklich 
waren, die segmentale Gefässversorgung der vorderen Extremitäten 
vor mir zu entdecken. 

Unstreitig ist es das Verdienst Erik Müllers?) als 
erster genaue Beobachtungen in dieser Hinsicht veröffentlicht zu 


!) Ricerche di Morfologia Comparata sopra le Arterie Succlavie ed 
Ascellare. Selaci. Monitore Zoologico Italiano, A. XVI, 1905, Nr. 4. 


?) Beiträge zur Morphologie des Gefäss-Systems. II. Die Armarterien 


der Säugetiere. Anatomische Hefte, 27. Bd., 1904. 
23% 


344 Hans Rabl: 


haben. Zwar hatten schon vor ihm Macalister') und 
Mackay?°) die Vermutung ausgesprochen, dass die Extremitäten 
von mehreren Segmentalarterien aus mit Blut versorgt werden. 
Doch handelt es sich bei diesen Äusserungen lediglich um 
Hypothesen, zu deren Stütze keine Tatsachen angeführt werden. 
E. Müller dagegen schreibt: „Die Untersuchungen, die ich 
über die Entwicklung der Gefässe der vorderen Extremitäten bei 
Selachiern (Acanthias, Spinax) und Reptilien (Lacerta) angestellt 
habe, haben mir ganz unzweideutig gezeigt, dass die Gefässe 
eine so deutliche metamere Anlage wie die Nerven zeigen.“ Bei 
einem Embryo von Acanthias von 20 mm Länge konnte Müller 
„Äste von sicher drei oder vier (vielleicht mehreren) deutlichen 
Segmentalarterien“ beobachten, welche sich zur Extremitäten- 
anlage begaben. „Diese verlaufen von der Aorta durch oder in 
unmittelbarer Nähe von den Sympathicus - Ganglien - Anlagen in 
der Körperwand ventralwärts zwischen dem Coelomepithel und 
der Myotomverlängerung. Etwas nach vorn von dem Vorniengang 
sendet jede von den Arterien einen kräftigeren Ast ab, der unter 
dem betreffenden Segmentalnerven dorsalwärts verläuft und hier 
in feine Kapillaren im proximalen Teile der Extremität über- 
geht“ (p. 84). — Diese Beschreibung befindet sich in guter Über- 
einstimmung mit der Angabe Molliers,’) dass bei Mustelus die 
(refässe „ursprünglich segmental in der Seitenleiste angeordnet“ 
seien. „Mit stärkerer Konzentration gehen sie basale quere 
Anastomosen ein. Nach Öbliterierung des medialen Abschnittes 
derselben kommt es so zur Bildung von Längsstämmen, welche 
in gleichmässigen Interstizien lateralwärts Zweige abgeben, die 
immer mit den Nervenästen verlaufen“ (p. 54). 

Wie bei den Haien, fand Müller auch bei einem Embryo 
von Lacerta von 4 mm Länge drei segmentale Arterien. „Sie 
verlaufen in sehr regelmässiger Anordnung zwischen den 
segmentalen Nerven und kreuzen diese medialwärts kommend 
und lateralwärts verlaufend. Hier, lateral von den Myotom- 


!) Morphology of the Arterial System in Man (Part. I). The journal 
of Anatomy and Physiology, Vol. XX, 1886. f 

?) The arterial system of vertebrates homologically considered. Memoirs 
and Memoranda in Anatomy, Vol. I, 1889. 

?) Die paarigen Extremitäten der Wirbeltiere. I. Das Ichthyopterygium, 
Anat. Hefte 1893. 


Extremitäten bei den Vögeln. 345 


knospen, verbinden sie sich bogenförmig miteinander, und von 
diesen Bögen gehen feine Kapillaren aus und bilden durch die 
gesamte Mesenchymmasse ein zusammenhängendes Netzwerk von 
Kapillargefässen, die in segmental angeordnete Venen über- 
gehen“ (p. 86). 

Neben diesen direkten Beobachtungen erbrachte Müller’) 
auch für die Säugetiere den Beweis einer segmentalen Blutver- 
sorgung der Extremitäten und zwar dadurch, dass er eine 
Plexusbildung der A. axillaris bei menschlichen Embryonen ent- 
deckte und durch vergleichende Untersuchung zahlreicher Säuge- 
tierarten eine analoge Plexusbildung aus den Verhältnissen bei 
den erwachsenen Tieren erschliessen konnte. Dieser Plexus 
axillaris bei menschlichen Embryonen von 9—11 mm Länge be- 
steht in seinen Hauptzügen einerseits aus zwei Längsstämmen. 
von denen der eine medial, der andere lateral von der Wurzel 
der ventralen Nerven liegt, andererseits aus queren Anastomosen, 
welche Müller auf Grund ihrer Beziehungen zu den Nerven als 
Reste segmentaler Arterien auffasst; doch meint er, dass die- 
selben nicht die Fortsetzungen einer gleichen Anzahl von 
Subelavien seien, da er weder bei einem menschlichen Embryo 
von 5 mm, noch bei einem Renntier-Embryo von 8/s mm mehr 
als eine Subelavia gesehen hatte. Die Entstehung der Anastomosen 
darf vielmehr lediglich als eine „Verkürzung oder Fälschung der 
ontogenetischen Rekapitulation im Sinne Häckels“ gedeutet 
werden. Ich möchte hierzu gleich bemerken, dass ich mich 
dieser Ansicht nicht anschliessen kann, sondern überzeugt bin, 
dass auch bei den Säugetieren segmentale Subclavien vorhanden 
sind. Ob aber die queren Anastomosen nichts weiter als die 
Verlängerungen derselben darstellen, welche durch Verbindung 
untereinander die beiden Längsstämme gebildet haben, kann erst 
durch genaues Studium am Objekte selbst bewiesen werden. 
Mit Rücksicht auf die Lage der A. axillaris zu den Teilen des 
Plexus brachialis kommt Müller zum Ergebnis, dass es bei den 
Säugetieren vier Segmental-Arterien gibt, welche ursprünglich 
zur Blutversorgung der vorderen Extremitäten dienen. Von 
diesen ist es gewöhnlich die siebente, d. h. jene, welche zwischen 
siebentem und achtem Spinalnerv verläuft, die erhalten bleibt, 


'!) l. ec. und Beiträge zur Morphologie des Gefäss-Systems. I. Die 
Armarterien des Menschen. Anat. Hefte 1903. 


346 Hans Rabl: 


während die übrigen Teile des Plexus arteriosus veröden und 
verschwinden. Nur selten bildet die sechste oder neunte, ganz 
ausnahmsweise die achte Segmentalarterie die Anlage der 
bleibenden Arteria axillaris. Doch stammen bemerkenswerter- 
weise die Subelavien der beiden Seiten nicht immer von einer 
gleichnamigen Segmentalarterie ab, wie auch bei ein und der- 
selben Tierart nicht immer dieselben Segmentalarterien zum 
Hauptgefässe ausgeweitet werden. So konnte Müller beispiels- 
weise bei einer Echidna aculeata die A. axillaris der rechten 
Seite als die sechste, die der linken als die siebente Segmental- 
arterie bestimmen. Von zwei untersuchten Exemplaren von 
Cebus capucinus entsprachen die beiden Axillararterien des einen 
Tieres der siebenten, die des anderen Tieres der neunten 
Segmentalarterie. — Ähnliche Beobachtungen wurden übrigens 
auch schon von Hochstetter!) mitgeteilt. Derselbe fand 
sowohl bei einem Hühnerembryo von 106 Stunden, wie bei einem 
grossen Exemplar von Chamaeleo vulgaris die beiden Subelavien 
nicht in demselben Segmente, sondern in aufeinander folgenden 
Segmenten entspringen. 

Die Frage, ob auch die hinteren Extremitäten eine segmentale 
Versorgung durch direkte Äste der Aorta erhalten, lässt Müller 
unberührt; dagegen finde ich in einer erst unlängst erschienenen 
sorgfältigen Untersuchung von Grafe?) die Angabe, dass bei 
Hühnerembryonen der zweiten Hälfte des dritten Tages „mehr 
oder weniger voluminöse laterale Stämme von den Aorten aus- 
gehen, welche hart an den Cardinalvenen vorbei, mit denen auch 
ab und zu Verbindungen vorhanden zu sein scheinen, nach der 
Peripherie hinziehen.*“ Grafe bezeichnet diese Gefässe, welche 
„besonders stark in der Gegend der Gliedmassen entwickelt“ 
sind, als die primitiven Extremitätenarterien. Die Gefässe, welche 
aus ihnen hervorgehen, münden teils nach kurzem Verlaufe in 
die Kardinalvenen, teils in die Subintestinalvenen, mit denen sie 
gelegentlich auch in direkter Verbindung stehen. Obgleich eine 
Angabe fehlt, wie viele Extremitätenarterien jederseits angelegt 
werden, so geht doch aus der Darstellung hervor, dass es deren 
mehrere sind. Die erläuternde Abbildung (Textfig. 9) zeigt eine 


2). 1:0. 
?) Beiträge zur Entwicklung der Urniere und ihrer Gefässe beim 
Hühnchen. Archiv f. mikroskop. Anatomie, 67. Bd., 1905. 


Extremitäten bei den Vögeln. 347 


primitive A. femoralis in derselben Lage, wie sich die A. sub- 
clavia findet. 

Meine eigenen Nachforschungen über diesen Punkt sind 
recht unvollkommen. Da die Embryonen quer zur Längsachse 
in der Region der vorderen Extremitäten geschnitten wurden, 
sind die hinteren Extremitäten zumeist ungünstig getroffen, so 
dass sich die Präparate zum Studium ihrer Arterien wenig 
eignen. Nur bei einem Embryo (8, vergl. die folgende Tabelle) 
sind deutliche Segmentalarterien auch der hinteren Extremitäten 
zu sehen. Ich verschiebe aber die Beschreibung derselben, bis 
ich über mehr einschlägiges Material verfüge. 


Man kann in Bezug auf die Entwicklung der Subelavia der 
Vögel vier Perioden unterscheiden. Die erste ist jene, in welcher 
mehrere segmentale Subelavien vorhanden sind. Da aber die- 
selben nicht gleichzeitig angelegt werden, so findet sich auch 
hier — und zwar im Beginne der Entwicklung — ein Stadium, 
in welchem nur eine Subelavia zur Extremitätenanlage zieht. 
Dieses Stadium darf selbstverständlich nicht mit der zweiten 
Periode verwechselt werden, die dadurch charakterisiert ist, dass 
sich sämtliche angelegte Subelavien bis auf eine zurückbilden, 
welche ihrerseits in nähere Beziehung zur benachbarten dorsalen 
Segmentalarterie tritt. Dieses Stadium wurde zuerst von Hoch- 
stetter beschrieben. In der dritten Periode erscheint die 
Anastomose, welche den dritten Arterienbogen mit der A. axillaris 
verbindet und später zur definitiven Subelavia wird. In dieser 
Periode funktionieren demnach primäre und sekundäre Subelavia 
nebeneinander. Am Ende derselben bildet sich die primäre 
Subelavia zurück, während sich die sekundäre Subelavia aus- 
weitet, so dass die Extremität in der vierten Periode, welche 
den bleibenden Zustand darstellt, durch diese allein ihr Blut erhält. 

Auf der folgenden Tabelle habe ich die Lage der Subelavien 
meiner Embryonen der ersten Periode zusammengestellt. Es 
handelt sich durchwegs um Enten. Die Embryonen waren in 


!) Es wurden stets sämtliche Segmente von der Anlage des Gehör- 
organes an gezählt. Die vier vordersten, welche in die Anlage des Hinter- 
hauptes eingehen, sind demnach in der obigen Numerierung inbegriffen. 


348 Hans Rabl: 


Pikrinsäure-Sublimat gehärtet, in Cochenille-Alaun in toto gefärbt 
und in Celloidin eingebettet worden. Die Schnittdicke betrug 
fast stets "/ıoo mm. 


f 


Be a | > | eine Subclavia vorfand 
Embryo ao | | rechts | links 
1 s3ı |aT.38t. EN 
5 2 32—33 a T.4 St. Fo 18 Hr 
a Eee 
4 36  |4T.38t.| 18,19,20 | 18,19 
5 er AT. 3 St. 16, 17, 18 18, 3% 20 
TEDER BE EN. 
6 ca I ETT SL. IS BOT 
or 7 re A 4 T. 7. ; 18, 19,20 18, 19, 20 f 
n 8 = j 6 m. | 20, 21 20, 21 


Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, könnte man die 
Embryonen dieser Periode abermals gruppieren und zwar in zwei 
Abteilungen: In die erste Abteilung gehören die Embryonen 
1—3, in die zweite die Embryonen 4—8. Die Embryonen der 
ersten Abteilung besitzen nur eine Subelavia und zwar ist es ein 
Gefäss der rechten Seite, das zuerst auftritt. Hingegen 
repräsentieren die Embryonen der zweiten Abteilung das wichtige 
Stadium, in welchem mehrere Subelavien auf beiden Seiten vor- 
handen sind. Aber wenn man auch von dieser Einteilung absieht 
und beide Abteilungen zusammenfasst, ergibt sich dennoch, dass 
sich die erste Periode nur auf einen kurzen Zeitabschnitt er- 
streckt, denn der ganze Prozess des Auftretens und Wiederver- 
schwindens der segmentalen Subelavien scheint sich, sofern man 
von Embryo 8 absehen darf, gewöhnlich in den ersten Stunden 
des fünften Bebrütungstages abzuspielen. Die geringste Urwirbel- 
zahl, die ich bei einem Embryo mit beginnender Entwicklung 
der Subelavien feststellte, betrug 31. Beim nächst jüngeren 
Embryo meiner Sammlung mit 30 Urwirbeln war bestimmt noch 
keine Subelavia vorhanden. 


Extremitäten bei den Vögeln. 349 


Ehe ich das Aussehen und den Verlauf der Subelavien im 
speziellen schildere, will ich einige Angaben über den Ent- 
wicklungsgrad der Embryonen obiger Tabelle voranstellen. Die 
Embryonen 1—3 lassen sich gemeinsam besprechen. Für sie gilt 
folgendes: Die Riechgruben sind als flache Einsenkungen ange- 
lest. Das Linsensäckchen ist noch in ganz kurzer Strecke mit 
dem Eetoderm verbunden; auch die Gehörbläschen kommunizieren 
noch mit der äusseren Oberfläche. Am Hinterhirn lassen sich 
fünf Neuromeren unterscheiden. Es sind vier Kiemenspalten zu 
erkennen. Die Lungenrinnen haben sich noch nicht vom Vorder- 
darm abgeschnürt. Der ceraniale Lebergang ist noch unverästelt, 
der hintere an seiner vorderen Spitze in mehrere kurze Äste ge- 
teilt. Die dorsale Pancreasanlage tritt eben als Wucherung der 
noch offenen Darmrinne auf. Der Wolffsche Gang hat die Cloake 
noch nicht erreicht. 

Entsprechend der grösseren Urwirbelzahl der Embryonen 
3—8 ist auch die Entwicklung ihrer Organe weiter vorgeschritten. 
Ich werde die Notizen, die ich mir darüber gemacht habe, vor 
Besprechung des Verhältnisses ihrer Subelavien einschalten. 

Was die Extremitäten-Anlagen hei den Embryonen 1— 
betrifft, so sind dieselben bereits gut ausgeprägt. Sie erscheinen 
als Leisten der seitlichen Rumpfwand (Wolffsche Leisten), 
welche von verdichteten Mesodermzellen gebildet werden. Ihre 
vordere und hintere Grenze sind nicht genau zu bestimmen. 
Die erstere fällt ungefähr in das 16., die letztere in das 20. bis 
21. Segment. Dieselben Grenzen der Extremitätenanlage hat 
auch Fischel!) für einen Entenembryo mit 34 Urwirbeln ange- 
geben. Ihre grösste Dicke erreicht die Leiste im 19. Segment, 
von wo sie nach vorn und hinten gleichmässig und allmählich 
absinkt. Das Epithel über ihrer Mitte ‘und dem äusseren Ab- 
hang fällt bei Embryo 1 mehr als bei 2 und 3 durch eine etwas 
dunklere Färbung auf. Es hängt dies damit zusammen, dass hier 
die Zellen dichter als auf der Innenfläche der Leiste beisammen 
liegen, so dass jene Intercellularräume fehlen, durch welche 
sich das Eetoderm der Vogelembryonen im Anfange der Ent- 
wicklung bekanntlich auszeichnet. Auch sind die Zellen proto- 
plasmareicher als dort. 


!) Die Entwicklung der ventralen Rumpf- und der Extremitäten- 
muskulatur der Vögel und Säugetiere. Morpholog. Jahrbuch, XXIII. Bd. 1895. 


350 Hans Rabl: 


Ich komme nun zur Beprechung der Subelavien selbst; die- 
selbe muss für die einzelnen Embryonen getrennt erfolgen. 

Die rechte Subelavia des Embryo 1 ist ein ausserordentlich 
dünnes Gefäss. Sie liegt am hinteren Ende des 18. Segmentes 
und entspringt direkt aus der Aorta (Textfig. 1). Auf der linken 
Seite ist das Gefäss noch nicht gebildet; doch besitzt die Aorta 
ventral von der Abgangsstelle der 18. Segmentalarterie eine late- 
rale Vorbuchtung, welche vielleicht als die Anlage des Ursprungs- 
trichters aufgefasst werden darf. Ähnliche Ausweitungen der 
Aorta sind an diesem Embryo sowohl rechts wie links auch an 
anderen Stellen zu sehen: so z. B. rechts 0,03 mm vor dem Ab- 
gang der zwischen 19. und 20. Segment gelegenen dorsalen 
Segmentalarterie, also 
an derselben Stelle, an 
der proximal eine Sub- 

clavia angelegt ist; 
ferner links in der 
gleichen Höhe, in der 
die 19.Segmentalarterie 
abgeht und rechts an 
der Grenze zwischen 
17. und 18. Segment. 


Im Gegensatz zur 


Fig. 1. Subelavia des Embryo 1 
A.s. = Arteria subelavia, d. S. = dorsale ist die auf Taf. XII, 
Segmentalarterie. Vergr. 50. Fig. 2 wiedergegebene 

on lo} 


Subelavia des Embryo 2 
ein weites Rohr, dessen Verlauf leicht festzustellen ist. Gleichwie 
bei Embryo 1 zieht die Subelavia auch hier zunächst in hori- 
zontaler Richtung nach aussen; unmittelbar nachdem sie die dor- 
sale Wand der Kardinalvene passiert hat, biegt sie auf eine 
kurze Strecke nach rückwärts ab und tritt hierauf — sich über 
die Spitze der Leibeshöhle hinüberschlagend — an die Basis der 
Extremität. Hier verbindet sie sich mit den venösen Gefässen 
der Leibeswand. 

Diese letzteren verdienen unsere besondere Beachtung, weil 
sie schon vor den Arterien vorhanden sind. Sie liegen knapp 
über dem Peritonealepithel und bilden ein Netz weiter Röhren, 
dessen äussere Grenze von der V. umbilicalis, dessen innere 


Extremitäten bei den Vögeln. 35l 


Grenze von der V, cardinalis posterior gebildet wird. Die queren 
Anastomosen zwischen diesen beiden Längsstämmen sind es, 
welche den wesentlichsten Bestandteil des Netzes bilden. Eine 
solehe Anastomose ist es auch, in welche die Subelavia ein- 
mündet, und welche in Fig. 2 zur Darstellung gebracht wurde. 
Untersucht man die Extremitätenleiste bei einem etwas jüngeren 
Embryo mit 30 Urwirbeln, bei welchem noch keine Subelavia zur 
Anlage gekommen und die Wolffsche Leiste nur schwach aus- 
geprägt ist, so findet man die Venen noch sehr eng. Ich habe 
einen Querschnitt durch die Körperwand eines solchen Embryo 
in der Gegend des 18. Segmentes in Fig. 1, Taf XIII, abgebildet. 
Verfolgt man die Serie kopfwärts vom gezeichneten Schnitt, so 
findet man, dass die Venen immer weiter werden, schwanzwärts 
dagegen verschwinden sie bald vollständig; denn auch die Aus- 
- bildung der Längsstämme (V. umbilicalis und V. cardinalis posterior) 
schreitet von vorne nach rückwärts fort. Man darf wohl an- 
nehmen, dass das Blut in diesem Netze anfangs nur eine sehr 
geringe Bewegung besitzt. In dem Augenblick aber, in dem sich 
die Subclavia mit ihm verbindet, wird diese Bewegung zu einer 
lebhaften, da ja das Blut nunmehr direkt aus der Aorta in das 
Netz einströmt. Dadurch wird auch mit einem Male das Wachs- 
tum der Extremitätenleiste ein rascheres. 

Kehren wir nach dieser Abschweifung zu den Embryonen 
unserer Tabelle zurück, so ist in bezug auf Embryo 3 zu be- 
merken, dass bei demselben ebensowenig wie bei Embryo 2 eine 
Andeutung des Abganges einer zweiten und dritten Subelavia 
nachweisbar war. Auch liess sich die Arterie nicht so weit in 
die Extremität hinein verfolgen, als dies bei Embryo 2 der Fall 
war. Die Subelavia besitzt hier einen ziemlich weiten Ursprungs- 
trichter; sie verschmälert sich aber, noch ehe sie die Kardinal- 
vene erreicht hat und ist weiterhin nicht mehr mit Sicherheit 
im Gewebe aufzufinden. Bei beiden letztgenannten Embryonen 
läuft das Gefäss, ebenso wie dies von Embryo 1 angegeben wurde, 
knapp cranial vor der zugehörigen dorsalen Segmentalarterie. 

Der unmittelbare Ursprung der Subclavia aus der Aorta ist 
hier nicht zum ersten Male beschrieben. C.G.Sabin!) unter- 
suchte im Vorjahre die Entwicklung der Subelavia des Hühnchens 


2 The Origin of the Subelavian Artery in the Chick. Anat. Anzeiger, 
26. Bd., 1905. 


352 Hans Rabl: 


und schildert die Verhältnisse bei einem SO Stunden alten Embryo 
folgendermassen: ‚Ihe wing-artery is here formed by a lateral- 
dorsal derivative of the Aorta and is, in the early stages, en- 
tirely separate from the dorsal portion of the Segmental artery of 
this somite. The course taken by the primary Subelavian is first 
an upward and a lateral one, when, bending in a broad 
curve ... . it sweeps downward into the wing. This broad 
angled turn in the course of the artery remains about the same 
throughout the existence of the primary Subelavian.“ 

Was den hier beschriebenen Bogen anbelangt, den die Arterie 
in ihrem Verlaufe zurücklegt, so ist zu bemerken, dass derselbe 
in den frühesten Stadien nicht vorhanden ist. Erst wenn die 
Kardinalvenen eine grössere Mächtigkeit erlangen, müssen die 
Subelavien, um die Extremität zu erreichen, einen Bogen be- 
schreiben. Dass diese Schlussfolgerung richtig ist, geht sowohl 
aus den Abbildungen von Sabin wie aus dem Vergleiche meiner 
Jüngsten Embryonen mit denen aus dem zweiten Teil der ersten 
Periode hervor. Dass Sabin an seinem Material, das offenbar 
in einer ziemlich vollständigen Entwicklungsreihe des Hühnchens 
gerade aus der uns hier interessierenden Zeit bestand, die 
Segmentalarterien vollständig übersah, nimmt mich wunder. 
Ich bin überzeugt, dass sowohl er, wie Kollege Fischel an 
seinen Entenembryonen,') die Richtigkeit meiner Darstellung ohne 
weiteres bestätigen können. Übrigens muss ich hervorheben, 
dass Fischel in seiner Figur 4 den Querschnitt eines Enten- 
embryo mit 42 Urwirbeln abbildet, an welchem gerade die dor- 
salen Segmentalarterien getroffen sind, und an dem man auch 
jederseits die Abgangsstelle einer Subclavia sehen kann. Jene 
auf der linken Seite des Bildes liegt ein beträchtliches Stück 
ventral von der dorsalen Arterie, während die Subelavia _der 
segenüberliegenden Seite bereits näher an die Segmentalarterie 
herangerückt ist. 

Ich wende mich nun zur Schilderung der Embryonen aus 
dem zweiten Teil der ersten Periode. Die Embryonen 4 und 5 
sind einander nahezu vollkommen gleich. Es gelten daher die 
folgenden Angaben betrefis des Entwicklungsgrades einiger 
Organe für beide: Die Riechgruben haben sich gegen früher be- 
deutend vertieft. Die Gehörbläschen sind nur mehr durch einen 


RC: 


Extremitäten bei den Vögeln. 39 


> 


kurzen soliden Faden mit dem Ectoderm verbunden. Auch der 
Zusammenhang zwischen Linse und Cornea wird nur mehr durch 
zwei oder drei Zellen vermittelt, andere Zellen mit deutlichen 
Zeichen von Degeneration liegen frei im. engen Spalte zwischen 
den beiden Organen. Der Augenstiel ist noch hohl, das Pigment 
der Retina noch nicht gebildet. Von den vier Kiementaschen 


Fig. 2. 
A. = Aorta, A.s. (1 und 2) = Arteria subelavia, V.u.—= Vena umbilicalis. 
Vergr. 200. 


ist die erste nahezu, die zweite vollends durchgebrochen, die dritte 
stark vertieft. Die Anlagen der Bronchien beginnen sich bereits 
vom Vorderdarm abzuschnüren. Der craniale Lebergang ist noch 
unverästelt. Von den Pankreasanlagen sind neben der dorsalen 
Anlage nun auch die ventralen sichtbar. Die Wolffschen Gänge 
endigen noch blind. 

Was die Subelavien der beiden Embryonen anbelangt, 
so verweise ich zunächst auf Textfig. 2, welche das Ver- 
halten dieser Gefässe auf der linken Seite von Embryo 4 zeigt. 
Es handelt sich um eine Rekonstruktion der Arterien und des 
in der Leibeswand gelegenen Gefässnetzes bei 200facher Ver- 
grösserung, projiziert auf die Frontalebene. Die Leibeswand 


354 Hans Rabl: 


stellt bei diesem Embryo in der bezeichneten Region eine stark 
gebogene Platte dar, deren am weitesten lateralwärts vorspringende 
Partie die Kuppe der Extremitätenanlage bildet. Wollte man 
die Gefässe direkt auf die Frontalebene projizieren, so würde 
man mit Rücksicht auf die Einrollung der Leibeswand, welche 
so stark ist, dass die Umbilicalvene genau ventral von der Kardi- 
nalvene gelegen ist, ein nur sehr schwierig zu deutendes Bild 
erhalten. Ich habe daher die Gefässe so eingetragen, als ob die 
Leibeswand flach auf dem Dotter liegen und mit der dorso- 
ventralen Achse des Embryo einen Winkel von 90° bilden würde. 
Abgesehen von dieser willkürlichen Änderung vermag ich für die 
absolute Richtigkeit des Gefässnetzes selbst auch aus dem Grunde 
nicht einzustehen, da mir möglicherweise Gefässe, die ganz eng 
sind, entgingen. Immerhin glaube ich, dass man nach der ab- 
gebildeten Rekonstruktion eine deutliche Vorstellung des schon 
bei Gelegenheit der Beschreibung des Embryo 2 erwähnten Ge- 
fässnetzes erhalten wird. Überdies habe ich in Fig. 3, Taf. XIII 
einen Querschnitt der Extremitätenanlage mit jenem Netze ab- 
gebildet. 

Diejenigen Kanäle, welche in Textfig.2 nach links (medial- 
wärts) offen erscheinen, sind Venen, welche sich nach kurzem 
Laufe in die V. cardinalis ergiessen, die selbst, um die Zeichnung 
nicht zu komplizieren, nicht eingetragen wurde. Die vordere 
Subelavia endet blind; ihre äussere Spitze befindet sich über der 
dorsalen Wand der V. cardinalis. Die hintere Subelavia teilt sich, 
noch ehe sie auf die seitliche Körperwand übergetreten ist, in 
einen grösseren Ast, welcher zwischen Kardinalvene und Leibes- 
wand nach rückwärts zieht, und einen kleineren, der direkt in 
das Gefässnetz der Körperwand mündet. Der nach rückwärts 
ziehende Ast hat eine Länge von 0,13 mm und gibt mehrere 
weitere und engere Zweige ab, welche, im Bogen nach aussen 
verlaufend, sich gleichfalls mit jenem Gefässnetze verbinden. Die 
Lage dieses letzteren ist fast an allen Stellen die gleiche, indem 
es sich in einer Entfernung von ca. 0,02 mm vom Coelomepithel 
ausbreitet. Gegen die Extremitätenanlage zu zweigen mehrfach 
Röhrchen ab, welche schon nach kurzem Verlauf in der dichten 
Zellmasse zugespitzt enden. 

Von den drei Subclavien der rechten Seite verhalten sich 
die erste und dritte analog der ausgebildeten linken Subelavia. 


Extremitäten bei den Vögeln. 355 


Sie spalten sich nämlich noch vor ihrem Durchtritte zwischen 
ventraler Urwirbelkante und Peritonealepithel in zwei Äste, von 
denen der dünnere Ast direkt auf die seitliche Leibeswand über- 
tritt, während sich der stärkere zunächst caudalwärts wendet und 
ein bis drei Zweige an das Gefässnetz der Leibeswand abgibt, 
ehe er selbst in dasselbe einmündet. Die mittlere der drei Sub- 
clavien zeigt eine besondere Eigentümlichkeit, indem sie sich un- 
mittelbar nach ihrem Ursprung teilt. Ich habe wieder eine Re- 
Konstruktion derselben auf Millimeterpapier in der Projektion 
auf die Frontalebene vorgenommen. Sie ist in Textfig. 3 wieder- 
gegeben. Von der oberen Spalthälfte zweigen in proximaler 
Richtung zwei Divertikel ab, von denen das eine nach kurzem, 
das andere nach längerem, cranial und medialwärts gerichtetem 


Fig. 3. 
A. — Aorta, L—-L = dorsale Kante der Leibeshöhle. 
Vergr. 200. 


Verlaufe endigt. Die Insel, welche die beiden Arme umfliessen 
wird von einer Intervertebralvene zum Durchtritt benützt, um 
von der Dorsalseite her in die Vene cardinalis posterior einzu- 
münden. Die laterale Vereinigung der Spalthälften befindet sich 
an jener Stelle, an der bei den übrigen Subelavien das in cau- 
daler Richtung. abzweigende Gefäss zu finden ist. Von dem im 
vorliegenden Falle kurzen, weiten Längsstamme treten bloss zwei 
Gefässe, welche als die Fortsetzungen der beiden Subelavien- 
Hälften erscheinen, auf die seitliche Körperwand über. 

Der zweite Entenembryo der gleichen Entwicklungsstufe 
(Embryo 5) zeigt nicht genau dieselben Verhältnisse, wie sie 
eben geschildert wurden. Ich finde hier nämlich jederseits drei 
Subelavien, rechts im 16. bis 18., links im 18. bis 20. Segment. 
Das Vorkommen einer Subelavia im 16. Segment konnte hier zum 


356 Hram sauna: 


ersten und einzigen Male konstatiert werden; doch ist diese Er- 
scheinung nicht befremdend, da die craniale Sjitze der Extre- 
mitätenanlage — wie bereits oben erwähnt wurde — im 16 Segment 
gelegen ist. Was das Epithel über der Extremitätenleiste an- 
belangt, so ist der Unterschied im Aussehen desselben zwischen 
dorsaler und ventraler Seite — wie er von jüngeren Embryonen 
geschildert wurde — auch hier sehr auffallend. Dorsal sind die 
Zellen schlank, die Interzellularräume weit, ventral liegen die 
Zellen dieht aneinander und sind protoplasmareicher; etwas unter- 
halb der Kuppe der Extremi- 
tätenleiste sind sie am höchsten 
und am dunkelsten gefärbt. Da- 
durch lässt sich bereits in diesem 
Stadium jene Zellgruppe unter- 
scheiden, welche später als Eeto- 
dermkappe (Kölliker) über 
den Rand der Extremität vor- 
wächst. 

Die Subelavien sind beim 
vorliegenden Embryo von sehr 
ungleicher Entwicklung. Was 
die rechte Seite anbelangt, so 
entspringt die Subelavia des 
16. Segmentes mit einem weiten 
Trichter aus der Aorta, ist aber 
nicht bis an die Basis der Ex- 
un © tremitätenanlage zu verfolgen. 

Fig. 4. Dagegen sind die Arterien des 

Embryo 5. A.s. = Arteria sub- 17. und 18. Segmentes gut‘ aus- 
clavia am hinteren Ende des Er: I Bl. : 

Be er Mo gebildet. | Links hinwieder ist 

rn 5 die erste Subelavia die breiteste 

(Textfig. 4), während die zweite 

und dritte zwar bis in das Gefässnetz der Extremitätenbasis zu ver- 

folgen sind, aber ein vollkommen lumenloses Anfangsstück besitzen. 

An den grösseren Subelavien sind dieselben Inselbildungen innerhalb 

des Rumpfes zu beobachten wie oben ein Fall bei Embryo 4 ge- 

schildert wurde. Textfig. 5 zeigt eine solche Insel in der Strom- 

bahn der Subelavia des 18. Segmentes rechts. Es wurden vier 

(uerschnitte kombiniert. Wie man sieht, spaltet sich die Sub- 


Extremitäten bei den Vögeln. 357 


clavia etwa auf halbem Weg von ihrem Ursprung zur dorsalen 
Kante der Leibeshöhle in ein gerade fortlaufendes und ein etwas 
ventral ablenkendes Gefäss. Dieses letztere teilt sich, unter dem 
Peritonealepithel angekommen, abermals in zwei Äste, von denen 
der eine dorsal zieht, um wieder in das Hauptgefäss einzumünden, 
während der andere in der Sagittalebene nach rückwärts läuft 
und daher nicht eingezeichnet werden konnte. Auch er biegt 
schliesslich über die Dorsalkante der Leibeshöhle hinüber und in 
die Extremitätenanlage ein. Eine weitere Eigentümlichkeit dieser 
Subclavia besteht darin, dass ca. 0,015 mm hinter ihr aus der 
Aorta ein zweites Gefäss entspringt, das aber wesentlich kleiner 

als das vordere ist. Es ist also 


ug eine Spaltung des Rohres von 
A seinem Ursprung an erfolgt, so 
R 


— 


dass die Subclavia als verdoppelt 
bezeichnet werden darf. Ich’ 
werde auf diese Erscheinung 
EN beim Embryo 7, bei welchem 
die beiden Spalthälften gleich- 
Fig. 5. weit sind und sich besser zur 
A. = Aorta, A.s. — Arteria sub- Rekonstruktion eignen, noch- 
clavia, V.c. = Vena cardinalis poste- mals zurückkommen. 
rior, L. = Leibeshöhle. Vergr. 200. Der eben genannte Embryo 7 
sowie Embryo 6 haben aber- 
mals ungefähr denselben Entwicklungsgrad erreicht. Da ich nur 
den ersteren in eine komplette Serie zerlegt habe, so gelten die 
folgenden Angaben für diesen allein.‘) Die Gehörblasen und 
Linsensäckchen haben bereits jeden Zusammenhang mit der Epi- 
dermis verloren. Auch die Zellen zwischen Cornea und Linse 
sind verschwunden. Die Riechgruben bilden schon taschenförmige 
Vertiefungen. Es sind fünf Kiementaschen und fünf Arterien- 
bogen vorhanden. Die paarigen Lungenanlagen sind bereits mit 


A.s 


!) Kopf und Hals von Embryo 6 wurden bei Gelegenheit einer embryo- 
logischen Übung geschnitten. Aus dem Entwicklungsgrad der Halsorgane 
erkannte ich, dass hier die erste Periode in der Entwicklung der Subeclavia 
vorliegen müsse. In dieser Meinung wurde ich auch nicht getäuscht. Da 
aber die Schnitte durch die vordere Körperhälfte bereits an Studenten aus- 
geteilt waren, so kann ich über die Gesamtzahl der Urwirbel dieses Embryo 


sowie über die Lage der Subelavien nur Mutmassungen äussern. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 24 


358 Hans Rabl: 


ihren caudalen Spitzen vom Vorderdarm abgeschnürt und die Liga- 
menta mesolateralia mit dem Mesocardium posterius verwachsen. 
Der vordere Lebergang beginnt sich zu verästeln, der hintere 
besitzt mehr Zweige als bei den jüngeren Embryonen. Die 
ventralen Pancreasanlagen sowie die dorsale Anlage beginnen 
Sprossen zu treiben. Die Wolffschen Gänge sind schon mit 
dem Entoderm verbunden. 

Wie aus der Tabelle (S. 348) hervorgeht, sind bei den 
Embryonen 6 und 7 jederseits drei Subelavien vorhanden. Ver- 
mutlich liegen sie beim 
erstgenannten Embryo in 
denselben Segmenten wie 
beim letzteren. Die Ex- 
tremität ist gegen früher 
wesentlich in die Länge 
gewachsen (Textfig. 6). Die 
Epidermis über ihr ist 
hochzylindrisch und unter- 
scheidet sich dadurch von 
der des übrigen Körpers, 

welche bereits abgeplattet 
Fig. 6. 


Embryo 7, Kombination von 3 Schnitten. Di Doch IE} der Unter- 
Hinteres Ende des Segmentes. A.s. — Ar- schied in der Höhe der 
teria subelavia, d. S.— dorsale Segmental- Zellen zwischen dorsaler 
arterie. Die Linie am Ursprung der letzteren und ventraler Seite der 
zeigt die Aortenwand an der Abgangsstelle Extremität noch immer 
der Subelavia, da die beiden Arterien nicht in 


FR erkennbar. Die grösste 
der gleichen Transversalebene entspringen. ? 3 ’ 
Vergr. 50. Höhe erreichen die Zellen 


der Ventralseite nahe der 
Spitze der Extremität, wo sie eine am Querschnitt (Tafel XIII, Fig. 4) 
knopfförmig vorspringende Bildung, die Anlage der bereits 
erwähnten Ectodermkappe erzeugen. Doch sitzen die Zellen der 
letzteren in diesem Stadium noch alle direkt dem Bindegewebe 
auf und haben sich noch zu keiner ausschliesslich epithelialen 
Duplikatur zusammen gelegt. Aus dem angezogenen (uer- 
schnittsbilde kann man auch die Anordnung der Blutgefässe 
ersehen. Sie bilden darnach in dem zentralen Teile der Extremi- 
tätenleiste ein ziemlich enges Netz. Dieses ist mit Rücksicht 
auf die Lehre von einem primären achsialen Gefässe in der 


Extremitäten bei den Vögeln. 359 


Extremität von grosser Wichtigkeit. Wie man sieht, liegt es 
inmitten eines lockeren Bindegewebes, während die Rinde der 
Extremitätenanlage von einem ausserordentlich dichten Gewebe 
gebildet wird. Ähnliche Verhältnisse sind auch schon in Fig. 2 
und 3 zu erkennen. Nur erscheint hier, entsprechend der 
geringeren Entwicklung der Extremitätenanlage das lockere 
Bindegewebe als Begrenzung der Leibeshöhle, während das dichte 
Gewebe allein die Wolffsche Leiste bildet. Das Gefässnetz 
gehört in beiden Fällen dem lockeren Gewebe an. Zweifellos 
ist diese Anordnung der Blutgefässe in Gestalt eines gleich- 
mässigen Netzwerkes die- 
jenige, welche dem Gewebe 
im vorliegenden Falle die aus- 
giebigste Ernährung sichert. 
Wie bei den erwachsenen 
Tieren die Anordnung der 
Blutgefässe in innigster Be- 


, 
ers) Yh ziehung zum Baue des zu 


' versorgenden ÖOrganes und 
. Gewebes steht, so muss das 

/ gleiche Moment auch die Ge- 
fässverteilung des Embryo 
beherrschen. Jede Phase der 
Entwicklung muss ihre spe- 
zielle Gefässanordnung be- 


A.ax. 


Vu. 


Fig. 7. 
A. ax. —= Arteria axillaris, V.c.p. = Vena 


cardinalis posterior, Un. — Urniere, V.u. f a k 
— Vena umbilicalis. Vergr. 100. sitzen, deren endgültige Um- 


wandlung in die bleibenden 
Formen eine Folge der allmählichen Ausbildung der Organe des 
Embryo ist. 

Um eine noch klarere Vorstellung des Gefässnetzes in der 
Extremitätenanlage zu geben, teile ich in Fig. 7 ein Kombinations- 
bild aus vier Schnitten mit, welche die Eintrittsstelle der Subelavia 
des 19. Segmentes dieses Embryo betreffen. Man sieht, dass 
sich die eintretende Subclavia analog jener, welche in Textfig. 4 
dargestellt ist, in zwei Gefässe spaltet. Das eine Gefäss ent- 
spricht hinsichtlich seiner Lage der in Fig. 2 und 3, Taf. XIII 
‚dargestellten Subelavia, indem es annähernd parallel mit der 
Leibeswand nach aussen zieht. Das zweite setzt sich in der 


Richtung des Blutstromes der Subelavia in die Extremität hinein 
24* 


360 Hans Rabl: 


fort; dieselbe Richtung schlägt aber auch der Hauptast des 
ersten Gefässes ein, während nur ein dünnerer Ast an der Basis 
der Extremität verbleibt. Die beiden nach der Spitze der Ex- 
tremität gerichteten Arterien verbinden sich zunächst durch eine 
Anastomose und münden hierauf zusammen, um dadurch abermals 
ein grösseres Rohr zu bilden, welches Zweige einerseits nach der 
Spitze der Anlage, andererseits nach unten zu den Venen der 
Leibeswand abgibt. Ein ähnliches Verhalten zeigt auch die erste 
und dritte Suclavia, von denen ich ebenfalls Rekonstruktionen 
angefertigt habe. Die Netze, in welche sich die drei metameren 
Subelavien auflösen. stehen untereinander durch Anastomosen in 
Verbindung, von denen ich es dahingestellt lassen muss, ob 
dieselben als Arterien oder Venen aufzufassen sind. Jedenfalls 


Fig. 8. 
A — Aorta, L—L — dorsale Kante der Leibeshöhle. 
Vergr. 200. 


setzen sie sich an zahlreichen Stellen in Venen fort, welche teils 
direkt in die hintere Kardinalvene, teils in ihre grossen segmen- 
talen Zuflüsse einmünden, die von der Dorsalseite des Körpers 
herkommen. Die bereits erwähnte Fig. 4, Taf. XIII ist einer Stelle 
entnommen, welche zwischen erster und zweiter Subelavia gelegen 
ist. Man erkennt auf derselben die Einmündung zweier Gefässe 
in eine an der Extremitätenbasis verlaufenden Vene und sieht 
eine Fortsetzung der V. cardinalis posterior nach aussen, welche 
sich am folgenden Schnitte mit jener Vene verbindet. 

Ehe ich die Embryonen 6 und 7 verlasse, habe ich des 
bereits erwähnten Vorkommens der Längsspaltung einer Subelavia 
zu gedenken, das bei Embryo 7 beiderseits im 20. Segment zu 
beobachten ist. Die Verhältnisse der linken Seite zeigt Textfig. 8. 
Hier entspringen aus der Aorta unmittelbar hintereinander zwei 


Extremitäten bei den Vögeln. 361 


Gefässe, die zunächst noch im Bereiche des Rumpfes eine Ana- 
stomose eingehen, hierauf aber getrennt weiter verlaufen, bis sie 
sich an der Basis der Extremität neuerdings vereinigen. Die 
letztere Verbindung muss samt ihren beiden Zuflüssen als 
Teil des Gefässnetzes der Extremität betrachtet werden. Ich 
glaube, dass diese Verdoppelung der Subelavia in der Weise 
erklärt werden darf, dass die Wand des Gefässes an einer Stelle 
oder an zwei gegenüberliegenden Stellen einsinkt, bis sie die 
gegenüberliegende Wand berührt, dann kommt es zu einer Ver- 
schmelzung, welche aber nicht den vollen Abschluss des Gefässes, 
sondern nur eine Teilung der Strombahn bedingt, da ja die 
anderen Partien des Rohrumfanges ihre Lage beibehalten. Eine 
andere Ursache dieser Verdoppelung scheint mir nicht wahr- 
scheinlich. Man muss zwar die Möglichkeit in Betracht ziehen. 
dass hier Subelavien verschiedener Segmente vorliegen, welche 
durch Verschiebung entlang der Aorta schliesslich in unmittelbare 
Nachbarschaft geraten. Dagegen aber spricht die ganz bestimmte 
Lage der Extremitätengefässe am hintersten Ende eines Körper- 
segmentes. Diese Lage nehmen auch die Gefässe im Falle ihrer 
Verdoppelung ein. Wollte man annehmen, dass eines dieser 
Gefässe dahin gewandert sei, so müsste man es auch einmal auf 
dieser Wanderung, etwa in der Mitte eines Segmentes, antreffen. 
Dies ist aber nie der Fall: Eine andere Möglichkeit: die von 
Haus aus selbständige Anlage zweier Subelavien im gleichen 
Segment scheint mir auch nicht wahrscheinlich, denn die segmen- 
talen Subelavien sind jedenfalls sehr ursprüngliche Gefässe, die 
zwar sekundär die mannigfachsten Veränderungen, Weiter- und 
Rückbildungen erfahren können, in ihrem ersten Auftreten aber 


“inneren Gesetzen der Vererbung folgen und daher in diesem 


Stadium der Variabilität kaum in hohem Grade unterworfen sind. 

Wird die Wahrscheinlichkeit des beschriebenen Vorganges 
für einen Fall der Gefässbildung zugegeben, so darf man wohl 
auch einen Sehritt weiter tun und die Inselbildungen (Textfig. 3 
und 5) durch den gleichen Prozess erklären. Ich will’ daneben 
die Entstehung von Gefässinseln durch Bildung zweier Sprossen 
eines Stammgefässes, die sich miteinander vereinigen und so eine 
geschlossene Masche erzeugen, nicht in Abrede stellen, muss aber 
gestehen, dass mir für manche Gefässformationen die oben vor- 
getragene Entstehungsart wahrscheinlicher dünkt. 


362 Hans Rabl: 


Der letzte Embryo der obigen Tabelle, der durch den Besitz 
zweier Subelavien jederseits ausgezeichnet war, entsprach seinem 
Alter weder hinsichtlich seiner Grösse noch des Entwicklungs- 
zustandes seiner Organe. Doch war er noch am Leben, als er 
konserviert wurde, und mit Ausnahme dessen, dass hier die 
hinterste Subelavia auf die Grenze zwischen 21. und 22. Segment 
fällt, was bisher noch nicht notiert werden konnte, wies er 
durchaus normale Verhältnisse auf. Übrigens darf auch der 
Ursprung einer Subelavia im 21. Segment nicht wundernehmen, 
da früher von jüngeren Embryonen angegeben wurde, dass sich 
die Wolffsche Leiste bis dahin erstrecke, und auch im vor- 
liegenden Falle der Querschnitt des Extremitätenstummels im 
21. Segment noch eine ansehnliche Grösse besitzt. Die Extremi- 
täten sind wesentlich länger als bei den Embryonen 6 und 7, 
übertreffen aber nicht die eines nur 4 Tage S Stunden alten 
Embryo, welcher links zwei, rechts aber nur mehr eine Subelavia 
besitzt und daher unter jene Embryonen eingereiht wurde, welche 
den Übergang der ersten in die zweite Periode der Entwicklung 
der Subelavia darbieten. 

Die Subelavia am Ende des 20. Segmentes zieht bei 
Embryo S rein transversal, die des 21. Segmentes proximalwärts 
und betritt die Extremität erst im Bereich des 20. Segmentes. 
So kommt es zu einer Konzentrierung in der Anordnung der 
zuführenden Arterien. Ausserdem aber zeigt die hintere Sub- 
clavia noch vor ihrem Übertritt in die Extremität eine Spaltung 
in zwei Gefässe, so dass drei Axillararterien knapp hintereinander 
in die Extremität eintreten. Zwei davon sieht man in Textfig. 9. 
Es handelt sich hier um die beiden Äste der Subelavia des 
21. Segmentes, welche sich in je eine Arteria axillariıs und 
brachialis fortsetzen. Ebenso wie diese senkt sich auch die 
Arteria brachialis, welche die Fortsetzung der Subelavia des 
20. Segmentes bildet, in das Gefässnetz im distalen Teile der 
Extremität ein. Am Übergang der beiden hinteren Axillararterien 
in die Arteriae brachiales ist eine Anastomose der beiden Längs- 
stämme vorhanden. Eine Anastomose zwischen ihnen und der 
vorderen Subelavia konnte ich nicht auffinden. Dagegen ist 
eine solche links zwischen der dort nur einfachen hinteren 
und der vorderen Subelavia leicht festzustellen. Diese Ver- 
bindung liegt unmittelbar distal vor der Spitze des in die Ex- 


Extremitäten bei den Vögeln. 363 


tremität einwachsenden Nervenplexus, also an derselben Stelle, 
an der sie auch rechts zwischen den beiden Ästen der Subelavia 
gelegen ist. 

Wie sich aus dieser Schilderung ergibt, hat die Gefässan- 
ordnung in der Extremitätenanlage gegenüber dem Embryo 7 
eine wesentliche Änderung erfahren. Diese darf wohl als Folge 


MP 


Ä. rbr 
De a 


Fig. 9. 
Kombination mehrerer Schnitte. A. br. = die beiden Arteriae brachiales, 
A.pr. br. — Arteria profunda brochii, S.R. V.— Seitenrumpfvene, V.c.p. — Vena 
cardinalis posterior, Un. — Urniere, Lh. = Leibeshöhle, N. Pl. — Nervenplexus. 


Die eine Axillaris ist nur punktiert dargestellt. 
Vergr. 100. 


der fortgeschrittenen Entwicklung der Extremität aufgefasst 
werden. Denn während beim ersteren Embryo die Arteriae 
brachiales nicht weiter als die anderen Gefässe des Extremitäten- 
stummels sind, RA sie in vorliegendem Falle deutlich als 
achsiale Hauptgefässe der Extremität hervor. Wie sich aus dem 


364 Hannah 


Vergleiche dieses Embryo mit älteren Stadien, bei welchen die 
Knochen des Vorderarmes — wenn auch nur als Knorpel — 
angelegt sind, ergibt, entspricht das Gefäss, welches ich in 
Textfig. 9 als Arteria brachialis bezeichne, der primitiven Arm- 
arterie, wie sie von Hochstetter, Zuckerkandl und 
anderen in den embryonalen Extremitäten nachgewiesen wurde. 
Sie ist nicht nur die Hauptarterie des Oberarmes, sondern auch 
die des embryonalen Vorderarmes. Das Netz, in welches sich 
die achsialen Arterien an der Spitze der Extremität auflösen, liegt 
in der Gegend der künftigen Handwurzel. Man vermag hier 
demnach schon Regionen des Flügels zu unterscheiden, während - 
dies bei anderen Embryonen mit mehreren Subelavien nicht 
möglich ist. Dagegen lässt sich diese Unterscheidung bereits 
fast durchgehends bei Embryonen treffen, welche nurmehr eine 
Subelavia besitzen. Von diesem Verhalten beobachtete ich bloss 
eine Ausnahme, indem bei einem Embryo — ich komme später 
noch ausführlicher auf denselben zu sprechen — zwar beiderseits 
nur eine einzige Subelavia vorhanden war, dagegen die Extremität 
noch keine solche Längenentwicklung erreicht hatte, dass eine 
einzige Arterie als Hauptarterie ausgebildet gewesen wäre. Dieser 
Embryo steht demnach im Gegensatz zum vorliegenden Embryo 8, 
welcher trotz der stärkeren Ausbildung seiner Extremität noch 
zur ersten Periode in der Entwicklung der Subeclavia gezählt 


werden muss. 


Die zweite Periode ist, wie schon bemerkt, dadurch 
charakterisiert, dass während derselben bloss ein Gefäss diesen 
Namen verdient. welches gemeinsam mit einer dorsalen Segmental- 
arterie aus der Aorta entspringt. Am Ende dieser Periode 
kommt die Anastomose zwischen drittem Arterienbogen und 
Axillaris zur Entwicklung, wodurch die zweite Periode von der 
dritten abgelöst wird. Mein Material an Entenembryonen dieser 
Periode ist ziemlich reich, doch will ich nur über wenige berichten, 
welche besonders klare und interessante Verhältnisse darboten. 
Das Alter dieser Embryonen beträgt von 4 Tage S Stunden bis 
6 Tage. Zunächst soll das Verhalten der primären Subelavia und 
hierauf die Entwicklung der Anastomose, wel mir viel Schwierig- 
keiten bereitete, besprochen werden. 


Extremitäten bei den Vögeln. 365 


Ein Embryo von 4 Tagen 8 Stunden (6Y/s mm N.-St.-L., 
46—47 Urwirbel) besitzt Extremitäten etwa von der Grösse des 
bereits geschilderten Embryo 8; ihre Länge beträgt 0,63 mm. 
Das äussere Keimblatt über ihnen ist wie bei den Embryonen 7 
und 8 hochzylindrisch. An der Spitze der Extremität bildet es 
eine Duplikatur, die Ectodermkappe, welche eine grössere dorsale 
von einer kleineren ventralen Fläche scheidet. Die Extremität 
besteht aus dichtgelagerten Mesodermzellen, zwischen denen bloss 
Gefässe, aber noch keine Nerven zu unterscheiden sind. Diese 
letzteren scheinen an der Basis der Extremität zu endigen. Ver- 
folgt man die Serie vom Kopf an nach rückwärts, so findet man 
die vorderste Spitze der Mesodermverdichtung in der Gegend 
des 15..Segmentes. Hier läuft die Extremitätenanlage als eine 
kaum merkliche Vorwölbung der seitlichen Leibeswand flach aus. 
Das hintere Ende der Anlage fällt ungefähr mit dem Ende des 
21. Ursegmentes zusammen. Die grösste Länge ist an Quer- 
schnitten des 19. Segmentes zu sehen.') 


!) Dieser Embryo zeigt eine Anomalie, die darin besteht, dass hier 
das vorderste Spinalganglion dem achten und nicht, wie dies sonst der Fall 
ist, dem siebenten Myotom gegenüberliegt. Man kann dies auf zweierlei 
Weise erklären: entweder ist das erste Spinalganglion ausgefallen oder ein 
Myotom hinzugekommen. Im ersteren Falle würde demnach bei diesem 
Embryo der dritte Halsnerv dieselbe Eigentümlichkeit darbieten, durch welche 
sich erster und zweiter Halsnerv auszeichnen, welche bekanntlich bei den 
Vögeln aus vorderen Wurzeln allein bestehen. Für die zweite Möglichkeit 
spricht der Umstand, dass das erste Myotom dieses Embryo schwächer 
entwickelt ist, als dies sonst der Fall zu sein pflegt. Nun wissen wir seit 
den genauen Untersuchungen Frorieps (Zur Entwicklungsgeschichte der 
Wirbelsäule, insbesondere des Atlas und Epistropheus und der Oceipital- 
region. I. Beobachtung an Hühnerembryonen. Arch. f. Anatomie und Physio- 
logie, anat. Abteilung, 1883), dass die ersten vier Urwirbel bei den 
Vögeln in der Bildung des Hinterhauptes aufgehen. Es ist aber sehr 
wahrscheinlich, dass sich der Schädel der Vögel, wie auch der anderen 
Wirbeltiere, rücksichtlich seiner Phylogenese aus einer grösseren Zahl von 
Urwirbeln zusammensetzt, als ontogenetisch nachweisbar ist. Daher könnte 
es nicht wundernehmen, dass vor der Reihe der regelmässig auftretenden 
Myotome gelegentlich noch eines sichtbar wird, dessen Differenzierung 
normaler Weise unterdrückt ist. Ohne mich für eine der beiden Ursachen 
entscheiden zu wollen, habe ich bei der Numerierung der Segmente dieses 
Embryo die letztere Möglichkeit in Rechnung gezogen und das erste Myotom 
als überzählig ausser Betracht gelassen. Es ist also das als 19. Segment 
bezeichnete eigentlich das 20., entspricht aber vielleicht dem 19. eines Embryo 
mit der Normalzahl von vier eranialen Somiten. 


366 Hans Rabl: 


Dieser Embryo besitzt rechts eine, links zwei Subelavien. 
Die rechte Subelavia, deren Kaliber der Summe der Lichtungen 
der beiden Gefässe der linken Seite gleichkommt, entspringt hier 
bereits gemeinsam mit einer dorsalen Segmentalarterie (Textfig. 10) 
und zwar mit jener, welche an der Grenze vom 19. und 20. Ur- 
segment die Aorta verlässt. Da auch bei jüngeren Embryonen 
die Abgangsstellen der beiden Gefässe stets dicht beisammen 
liegen, so bedarf es keiner wesentlichen Verschiebung, um ihre 
Ursprungstrichter zur vollen Vereinigung zu bringen. 

Ich halte diese Verschiebung für die Folge innerer 
Spannungszustände der Gefässwand. Keinesfalls glaube ich, dass 
man die Änderung in der 
Lage der Subelavia etwa in 
der Weise erklären darf, dass 
sich die Wand des Ursprungs- 
trichters an der einen Stelle 
neu-, an der anderen zurück- 
bildet, wenngleich der in der 
Literatur gebräuchliche Aus- 
druck des „Wanderns“ der 
(refässe auf dieser Vorstellung 
zu beruhen scheint. Eskommt 
meiner Meinung nach zu einer 
Kontraktion im Bereiche des 

Embryo von 4 Tagen 8 Stunden. dorsalen Umfanges der Aorta, 
A.s. — Arteria subelavia, d.S.—dorsale durch welche jener Bezirk 
Segmentalarterie. Vergr. 30. ihrer Wand, von dessen seit- 
lichstem Ende die Subelavia 

und von dessen dorsalstem Teile die dorsale Segmentalarterie ent- 
springt, verkleinert wird. Dadurch werden die Abgänge der beiden 
Gefässe in eine gemeinsame transversale und frontale Ebene zu- 
sammengerückt. Als Ursache dieser Kontraktion dürfte die be- 
ginnende Entwicklung der akzessorischen Aortenwand zu betrachten 
sein. Bisher war die Wand sämtlicher Blutgefässe von einem ein- 
fachen Endothel gebildet. Beim vorliegenden Embryo aber findet 
man um die Aorta zwei bis drei, um ihre unmittelbaren Äste ein 
bis zwei Reihen spindeliger Zellen mit stark färbbarem Proto- 
plasma, die dem Endothel auf das dichteste angeschmiegt liegen. 
Vielleicht handelt es sich hier um die ersten Anfänge der 


Fig. 10. 


a ee 


Extremitäten bei den Vögeln. 367 


glatten Muskulatur. Dass mit der Verdickung der Gefässwand 
auch der Tonus derselben eine Änderung erfährt, geht unter 
anderem daraus hervor, dass die Arterien von Embryonen eines 
gewissen Alters enger sind als die gleichen Gefässe jüngerer 
Stadien. Der Vereinigung der Abgänge von Subeclavia und 
dorsaler Segmentalarterie folgt alsbald durch Verlängerung des 
gemeinsamen Trichters die Bildung eines gemeinsamen Ursprungs- 
stammes. Später kommt es, wie zuerst von Hochstetter 
beschrieben wurde, zur Vereinigung der beiden so gebildeten 
Trunei in der Mittellinie (Textfig. 11). Man kann diesen Vorgang 
als Abschnürung der Äste vom Hauptrohre bezeichnen. Er 
dürfte auf denselben Ursachen beruhen wie die erste Annäherung 


Ers-1i. 
Embryo von 6 Tagen 8 Stunden. A. s. — Arteria subelavia, 
d.S. — dorsale Segmentalarterie. Vergr. 20. 


der Subelavia an die dorsale Segmentalarterie. Wie ich mir 
seinen Ablauf denke, zeigt die umstehende Fig. 12. Die aus- 
gezogene Linie 1 stellt den Kontur der Aorta mit den ein- 
mündenden Gefässen etwa im Stadium des Embryo 7 der ersten 
Periode dar. Die gestrichelte Linie 2 zeigt diesen Kontur im 
Stadium des Embryo von 4 Tagen S Stunden, die punktierte 
Linie im Stadium eines abermals älteren Embryos.. Um die 
Zeichnung nicht allzu schematisch zu gestalten, wurde der Höhen- 
und Breitendurchmesser der Aorta verschiedener Embryonen 
gemessen und daraus das Mittel genommen. Doch fehlt zur 
vollkommenen Richtigkeit des Bildes die Darstellung der fort- 
schreitenden Verengerung der aus der Aorta entspringenden 
Gefässe sowie des fortschreitenden Längenwachstumes der neu- 


368 Hans Rabl: 


gebildeten gemeinsamen Ursprungsstämme, auf welche mit Rück- 
sicht auf die Deutlichkeit der Zeichnung verzichtet werden musste. 
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf eine, meines Wissens 
noch nicht beschriebene Form der Verbindung der beiden 
dorsalen Segmentalarterien aufmerksam machen. Man findet 
nämlich jene Arterien in der Halsregion bei Embryonen vom 
Ende des fünften Tages und vom sechsten Tag häufig getrennt 
aus der Aorta entspringend, aber durch eine Anastomose mit- 
einander knapp hinter ihrem Ur- 
sprung wieder in Verbindung ge- N 
setzt. Dieses Verhalten ist in 
Textfig. 13 zur Ansicht gebracht. 
Im unmittelbar vorhergehenden 
Stadium entspringen die Arterien 
gemeinsam aus einem in der Mittel- 
linie gelegenen und sagittal ge- 


Fig. 13. 


Ursprung der beiden dorsalen 
Segmentalarterien (d. S. A.) aus 
der Aorta (A.) an der Grenze 


Fig. 12. zwischen 8. und 9. Segment bei 

Schema der Abschnürung der einem Embryo von 4 Tagen 
dorsalen Sesmentalarterien und der 23 Stunden. Ch. — Chorda, 
Subelavien von der Aorta. M.= Medullarrohr. Vergr. 100. 


stellten kurzen und weiten Stamm. Die Umbildung desselben 
in die gezeichnete Gefässanordnung scheint mir am einfachsten 
durch eine Einfaltung seiner Wand ermöglicht zu werden, wie 
ich diesen Vorgang zur Erklärung der Spaltung der Subelavia 
herangezogen habe. Später kommt es zu einer Verkürzung der 
Anastomose, welche zur Folge hat, dass die von Bindegewebe 
ausgefüllte Lücke zwischen den Ursprüngen der beiden Arterien, 
die im vorliegenden Falle elliptisch ist, am Querschnitt die 
Gestalt eines Dreieckes mit dorsal gekehrter Spitze enthält. 
Dieses Stadium dürfte den Übergang zur Wiedervereinigung der 


Extremitäten bei den Vögeln. 369 


beiden Arterien bilden. Denn nach meinen Erfahrungen ist ein 
einziger kurzer und enger Stamm bei älteren Embryonen als 
gemeinsamer Ursprung der beiden Dorsalarterien ausnahmslos 
vorhanden. Auch scheint mir die Bildung einer Anastomose 
nicht ein notwendiges Durchgangsstadium beim Übergange des 
weiten in den engen Truncus darzustellen. Es dürfte neben der ver- 
ımuteten Einfaltung und dadurch bedingten Verdoppelung desRohres 
auch eine allmähliche Verengerung ohne Einfaltung vorkommen. 

Ich kehre nach dieser Abschweifung zum Embryo von 
4 Tagen 8 Stunden zurück. Was seine rechte Subelavia betrifft, 
so lässt sich leicht feststellen, dass sich das Gefäss noch inner- 
halb des Rumpfes unmittelbar über der dorsalen Kante der 
Leibeshöhle in zwei Arterien spaltet, welche beide in die Extremität 
eintreten, wo sie eine achsiale Lage einnehmen. Das eine Gefäss 
liegt fast in derselben Transversalebene wie die Subeclavia, das 
andere etwas grössere (Fig. 6, Taf. XIV) zieht eine geringe 
Strecke nach rückwärts, bevor es in die Extremität übergeht. 
Dieses Verhalten lässt sich verstehen, wenn man sich an die 
Verhältnisse bei jüngeren Embryonen erinnert, welche eine 
analoge, nur noch öftere Teilung der Subelavia vor ihrem Über- 
gang zur seitlichen Leibeswand zeigen. Beide Gefässe geben in 
ihrem Verlauf durch die Extremität an mehreren Stellen Äste 
ab. Unter diesen erscheint mir ein Ast, welcher von der vorderen 
der beiden Arterien noch in der Schulterregion medialwärts 
abzweigt und sich mit den Venen der seitlichen Leibeswand zu 
verbinden scheint, von Bedeutung, weil darin vielleicht jene 
Arterie erblickt werden darf, welche in einem viel früheren 
Stadium als Ast der Subelavia direkt ins Venennetz der Leibes- 
wand übergeht. An der hinteren Brachialis, welche in Fig. 6 
abgebildet ist, kann man bereits eine Verdickung der Wand ihres 
proximalen Abschnittes erkennen. Die medial von ihr gelegene 
Vene ist die Seitenrumpfvene von Hochstetter, welche schon 
in früheren Stadien angelegt, jetzt aber erst zu grösserer Selbst- 
ständigkeit gelangt ist. Sie differenziert sich als Längsstamm 
aus dem Gefässietz der Körperwand. Wie an jüngeren Embryonen, 
ist auch hier ein deutlicher Unterschied zwischen dem lockeren 
zentralen und dichteren peripheren Gewebe der Extremität vor- 
handen. Die achsialen Gefässe verlaufen der medialen Seite etwas 
mehr genähert als der lateralen. 


370 Hans Rabl: 


Von den beiden Subelavien der linken Seite entspringt die 
erste am hinteren Ende des 18., die zweite am hinteren Ende 
des 20. Segmentes. Die eine durchsetzt den Rumpf in der 
Richtung von vorne nach hinten und tritt 0,12 mm hinter ihrem 
Ursprung aus der Aorta in die Extremität ein. Die andere, 
welche etwas grösser als die vordere ist, verläuft nach vorn und 
erreicht die Extremität 0,21 mm vor ihrem Abgang aus der 
Aorta. Es findet also wie bei Embryo S der ersten Periode eine 
Konzentrierung der Arterien statt, indem ihre Eintrittsstellen 
in die Extremität einander genähert werden. Beide Eintritts- 
stellen liegen im Bereiche des 19. Segmentes. Doch besteht keine 
Anastomose zwischen den Subelavien innerhalb des Rumpfes; 
auch setzt sich jede selbständig in ein grösseres achsiales Gefäss 
und von demselben abzweigende kleinere Arterien. die dorsal- 
wärts ziehen, fort. Beide Subelavien dieser Seite entspringen 
noch direkt aus der Aorta, die vordere auffallend tief, etwa an 
der Grenze von oberstem und zweitem Viertel ihres Umfanges. 

Ein etwas älterer Embryo von 4 Tagen 17 Stunden 
(Sch.-St.-L. 6 mm) besitzt jederseits nurmehr eine einzige Sub- 
clavia, welche mit der 20. Segmentalarterie verbunden ist. 
Dieser Embryo ist jener, den ich bereits im vorigen Kapitel 
erwähnt habe; er illustriert die Tatsache, dass die Subelavien 
bereits bis auf eine zurückgebildet sein können, obgleich in den 
Extremitäten noch kein achsiales Gefäss differenziert ist. Immer- 
hin sind noch Reste der segmentalen Subelavien nachweisbar, sowie 
sich andererseits die unmittelbaren Äste der Subelavia durch be- 
deutendere Grösse auszeichnen. So stellt dieser Embryo ein 
interessantes Zwischenglied zwischen den Embryonen 6 und 7 
einerseits und den Embryonen 8 und dem früher geschilderten 
von 4 Tagen S Stunden andererseits dar und verdient eine - 
eingehende Beschreibung. — Was zunächst seine Subelavia be- 
trifft, so erscheint — wie gesagt — beiderseits diejenige, welche 
dem Gefässnetze der Extremitätenanlage das Blut zuführt mit 
der 20. Segmentalarterie verbunden. Links ist von der Subelavia, 
welche am hinteren Ende des 18. Segmentes gelegen war, nur- 
mehr der weite Ursprungstrichter vorhanden; von der Subelavia 
des 19. Segmentes dagegen ist noch ein grösseres Stück zu 
sehen, das bis an die Basis der Extremität reicht, dort aber 
endigt. Die Wand dieses letzteren Gefässes ist an mehreren 


Extremitäten bei den Vögeln. 371 


Stellen nach innen zu leicht eingebogen, so dass das Lumen eine 
ungleiche Weite besitzt. Im übrigen aber kann man keinerlei 
Erscheinungen von Degeneration des Endothels, vor allem keine 
Chromatolyse der Kerne der Zellen wahrnehmen. Rechts ist im 
18. Segment keine Andeutung einer Subelavia mehr zu erkennen; 
im 19. Segment aber ist ähnlich wie links noch ein Rest des 
Gefässes vorhanden, nur ist derselbe kürzer als dort. Es dürfte 
demnach die Rückbildung der Subelavia von der Peripherie gegen 
das Zentrum zu erfolgen, indem sie sich zuerst vom Gefässnetz 


a Fr 


>, 


I EN 


Fig. 14. 
A.ax. — Arteria axillaris, V.c.p. — Vena cardinalis 
posterior, S. R. V. — Seitenrumpfvene, W. G. — Wolff- 
scher Gang. Vergr. 100. 


der Extremitätenbasis ablöst und hierauf nach dem Zentrum zu 
obliteriert. — So wie die vorderen Subelavien, scheinen auch 
die zugehörigen A. brachiales spurlos zu verschwinden. Ob dies 
aber ausnahmslos der Fall ist, und nicht gelegentlich einmal eine 
zweite Brachialis als Varietät erhalten bleibt, vermag ich mangels 
einer grösseren Zahl untersuchter erwachsener Enten nicht zu 
entscheiden. 

Über das Verhalten der Verästlung der Subelavia des 
20. Segmentes gibt Textfig. 14 Aufschluss. Sie ist wie Fig. 7 
aus vier Schnitten kombiniert und lässt, wie bereits hervor- 


312 Hans Rabl: 


gehoben wurde, eine grosse Übereinstimmung mit dieser erkennen, 
insofern noch kein grösseres achsiales Gefäss ausgebildet ist. Den 
Unterschied zwischen lockerem zentralem und dichtem peri- 
pherem Bindegewebe zeigt Fig. 5, Taf. XIII, welche ich auch 
aus dem Grunde mitteile, um eine Vorstellung von den engen 
Maschen des Venennetzes an der Grenze dieser beiden Formationen 
zu geben, da es sich in der genannten Figur um einen einzigen 
Schnitt handelt. Über die Bedeutung der verschiedenen aus der 
Axillaris hervorgehenden Arterien ist es schwierig, sich zu äussern, 
da die Extremität noch so unentwickelt ist, dass sich nicht einmal 
die späteren Regionen derselben unterscheiden lassen. Es sei 
nur das eine bemerkt, dass der kleine, ventralwärts gerichtete 
Ast (A. th. pr. Fig. 5) möglicherweise zu jenem Gefässe wird, das 
später als mächtige Arterie die Leibeswand versorgt und die 
kaudale Partie der sekundären Subelavia liefert. Vielleicht ist 
es auch mit jenem Gefässe identisch, das in jüngeren Stadien 
den unmittelbaren Anschluss der Subelavia an das Venennetz 
der Leibeswand vermittelt. 

Ein Embryo von 4 Tagen 23 Stunden (7!/s mm Sch.-St.-L.) 
besitzt noch auf der rechten Seite zwei Subelavien, die eine 
liegt an der hinteren Grenze des 20., die andere an der hinteren 
Grenze des 21. Segmentes. Doch die vordere allein erstreckt sich 
bis in die Extremität. Die hintere zieht nur ein kurzes Stück 
lateralwärts, etwa bis zur Mitte der Dorsalwand der Kardinal- 
vene, und biegt hierauf nach rückwärts ab, um sich noch inner- 
halb des Rumpfes mit der Subelavia des 20. Segmentes zu ver- 
einigen. Ob die Subelavia des 21 Segmentes bei diesem Embryo 
in früherer Periode bis in die Extremität reichte, lässt sich jetzt 
nicht mehr angeben; wenn dies aber der Fall war, was mir 
recht wahrscheinlich erscheint, so muss das proximale Stück dieses 
(refässes als Längsanastomose der beiden Subclavien aufgefasst 
werden. 

Wie beim Embryo von 4 Tagen 17 Stunden und in diesem 
Falle erschienen auch bei zehn anderen Embryonen dieser Periode 
die primären Subelavien mit der 20. Segmentalarterie verbunden. 
Es bildet dieses Verhalten demnach die Regel; nur ausnahms- 
weise liegt die Subclavia am hinteren Ende des 19. Segmentes. 
An einer anderen Stelle fand ich sie, sofern sie das einzige zur 
Extremität ziehende Gefäss bildete, nicht. Immerhin darf es 


Extremitäten bei den Vögeln. 373 


nicht als ausgeschlossen betrachtet werden, dass an einer noch 
grösseren Reihe von Embryonen gelegentlich einmal eine Subelavia 
beobachtet wird, die gemeinsam mit der 18. oder 21. Segmental- 
arterie entspringt. 

Die primären einfachen Subelavien besitzen stets einen 
nach vorn gerichteten Verlauf und treten erst im Bereiche des 
19. Segmentes in die Extremität ein. Beim Embryo von 4 Tagen 
23 Stunden setzt sich die rechte Subelavia in geradem Verlauf 
in die primitive Armarterie fort. Die linke Subelavia dagegen 
spaltet sich an der Stelle, an der sie sich über die dorsale Kante 
der Leibeshöhle hinüber in die Extremität begibt, in zwei Äste. 
Dieselben vereinigen sich jedoch wieder sofort, trennen sich aber 
unmittelbar nach ihrer Vereinigung abermals und bleiben fortan 
getrennt, indem sie an zwei übereinander gelegenen Stellen den 
Plexus brachialis durchbohren. Diejenige Brachialis, welche die 
distale Lücke im Plexus zum Durchtritt benützt, zeigt “weiterhin 
das Verhalten der gewöhnlichen Brachialis, während die obere 
nicht weiter verfolgt werden kann. 

Da hier zum ersten Male von Nerven in der Extremität 
die Rede ist, muss deren Verteilung hier berührt werden. Der 
Plexus brachialis setzt sich bei der Ente nach meinen Unter- 
suchungen an Embryonen aus dem 15., 16. und 17. Nerv zu- 
sammen.!) Es sind dies die drei letzten Halsnerven, da der 
Hals der Hausente nach Zählungen, die ich an mehreren Skeletten 
vornahm, meist aus 16 Wirbeln besteht.) Die Fasern des 
15. Nervs sind in ihrem Verlauf durch den Rumpf nach rück- 
wärts, die des 16. transversal, die des 17. nach vorne gerichtet; 
letzteres aber nur bei den jüngsten Embryonen; bei älteren ziehen, 
gleich wie der 15., auch der 16. und 17. Nerv caudalwärts. An 
der Wurzel der Extremität angekommen, teilt sich der Plexus in 
zwei Stämme, die nach Fürbringer’) als Nn. brachiales superiores 

!) Nach Cuvier wird der Plexus brachialis von Anas boschas aus 
dem 16., 17. und 18. Nerv gebildet. Die Differenz erklärt sich leicht durch 
die Variabilität, der die Halswirbelsäule der Vögel unterworfen ist. 

?) Von den 16 Wirbeln sind 14 echte Üervicalwirbel. Zwei müssen 
nach Fürbringer (Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der 
Vögel etc. Amsterdam 1888.) als cervico-dorsale Wirbel bezeichnet werden, 
da sie mit Rippen versehen sind, die das Sternum nicht erreichen. Die 


Rippen des 15. Wirbels sind sehr kurz, die des 16. sehr lang. 


2) ].c. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69, 25 


374 Hans@Rsaipile 


und inferiores zu bezeichnen sind. Die ersteren verlaufen in der 
Nähe des lateralen Randes der Extremität, die letzteren in der des 
medialen. Die Hauptäste unter den N. brachiales superiores sind 
— ohne Berücksichtigung der Nerven für die Schultermuskeln — 
der N. cutaneus brachii superior und der N. brachialis longus 
superior s. radialis. Die allein für die Extremität bestimmten 
N. brachiales inferiores sind: der N. cutaneus brachii et anti- 
brachii inferior und der N. brachialis longus inferior, von manchen 
Autoren auch als N. medianus oder mediano-ularis bezeichnet. 
Da in den meisten Fällen, wie gerade angegeben wurde, die Arteria 
subelavia im Bereich des 19. Segmentes in die Extremität eintritt, 
so befindet sie sich in Gesellschaft des 16. Cervicalnerven. 

Ich habe diese Tatsache durch genaue Zählung sowohl der 
segmentalen Arterien wie der Spinalganglien bei fast sämtlichen 
Embryonen dieser Periode sichergestellt. Sie ergibt sich aber 
auch aus den Angaben Frorieps, denn nach diesem Autor 
verläuft der erste Halsnerv neben dem caudalen Rande jener 
Interprotovertebralarterie, die zwischen der vierten und fünften 
Muskelplatte gelegen ist. Den parallelen Verlauf der A. subelavia 
und des 16. Halsnervs kann man in Fig. 7 an einem Embryo 
von 5 Tagen S Stunden erkennen. Da die Arterie ventral vom 
Nerv gelegen ist, muss sie, um in die Gabel der Armnerven 
zu gelangen, den Plexus durchbohren. Diese Durchtrittsstelle ist 
in Fig. 8 abgebildet. Der Schnitt liegt 0,05 mm vor dem früher 
genannten; das Nervenbündel, das auch hier der Arterie parallel 
zieht, ist, wie das in der früheren Figur dargestellte, ein Teil 
des 16. Cervicalis. Dieser erscheint als Hauptbestandteil des 
Plexus, der 15. Nerv beteiligt sich daran in geringerem Maße, 
der 17. mit noch weniger Fasern; ja es scheint mir sogar, dass 
er in manchen Fällen gar nicht in die Extremität eintritt. 

Der eben erwähnte Embryo von 5 Tagen S Stunden ist der 
jüngste, bei welchem man die aus der A. axillaris entspringenden 
Äste bereits mit einem gewissen Grade von Wahrscheinlichkeit 
als die Anlagen bestimmter bleibender Arterien der Schulter und 
des Oberarms erkennen kann. Besser schon gelingt die Unter- 
scheidung bei Embryonen des siebenten Tages. Immerhin bleibt es 
auch dann noch schwierig, die bei der erwachsenen Ente aus- 
gebildeten Äste der A. axillaris: die Aa. subcapsularis, eircumflexa 
humeri anterior und profunda brachii, die sich unmittelbar nach 


Extremitäten bei den Vögeln. 375 


ihrem Ursprung in die circumflexa humeri posterior und collateralis 
ulnaris teilt, am Embryo aufzufinden.!) Übrigens war es nicht 
meine Absicht, die Entwicklung dieser Gefässe näher zu ver- 
folgen. Ich will mich daher begnügen, nur noch einen Längs- 
schnitt durch die Extremitätenanlage eines Embryo von 5 Tagen 
22 Stunden (10 mm Sch.-St.-L.) mitzuteilen, an welchem eine 
besonders deutliche Gefässanordnung in die Augen fällt. Schon 
in Fig. 5 erscheint eine spitze Vorbuchtung des Lumens der 
axillaris nach aussen. Die Arterie, deren Ursprung dort ge- 
troffen ist, verläuft mit dem N. radialis an der Aussenseite des 
Armes distalwärts und gibt schliesslich ein Gefäss ab, das mit 
..der primitiven Armarterie anastomosiert. Ich glaube darin einen 
Ast der Arteria profunda brachii erblicken zu dürfen. Diese 
Anastomose ist sehr deutlich in Fig. 9 zu sehen. Man erkennt 
auf dem Präparate zwei hintereinander liegende Skelettanlagen und 
dazwischen ein Netz weiter Gefässe, aus dem die Arterien der 
Hand entspringen. 


Unter den Arterien, welche von der A. axillaris abgegeben 
werden, zieht schon bei Embryonen des sechsten Tages ein 
medial und ventral gekehrter Ast die Aufmerksamkeit auf sich, 
da er durch seine Mächtigkeit die übrigen Gefässe bedeutend 
übertrifft. Es ist dies das distale Ende der Anlage der Anasto- 
mose, die sich zwischen dem dritten Arterienbogen und der 
Axillaris entwickelt und später zur definitiven Subeclavia wird. 
Nach den Darstellungen in der Literatur wäre man geneigt zu 
glauben, dass dieses Gefäss von der Kiemenregion aus nach 
rückwärts wächst, vorne weiter ist, sich nach hinten verjüngt 
und schliesslich mit der Axillaris verbindet. Dem ist aber nicht 
so. Vielmehr geht die sekundäre Subelavia aus zwei Arterien 
hervor, die sich beide in Kapillaren auflösen. Die beiden Kapillar- 
gebiete liegen ursprünglich weit voneinander getrennt. Sie werden 
aber kontinuierlich durch das venöse Netz der Leibeswand ver- 
bunden, das seinen Abfluss in die Kardinalvene nimmt. Die 
weitere Entwicklung vollzieht sich — kurz ausgedrückt — in 

!) Die zwischen dem Abgange der A.axillaris aus der Subelavia und 
dem Ursprunge dieses Gefässes aus dem Truncus brachio-cephalicus liegenden 
Aste der Subelavia (A. sterno-acromialis und Mammaria interna) sind Aste 


der sekundären Subelavia und kommen daher hier nicht in Betracht. 
25* 


376 Hans Rabl: 


folgender Weise: Es nähern sich durch Neubildung von Gefässen 
die Kapillargebiete einander; im gleichen Maße verlängern sich 
durch Umgestaltung bevorzugter Kapillaren die Arterien. Schliess- 
lich vereinigen sich zuerst die Kapillargebiete, später die Arterien 
zu einer geschlossenen Bahn. 

Ich beginne die Schilderung dieses Vorganges beim Embryo 
von 5 Tagen 5 Stunden und verweise zunächst auf Fig. 10, 
welche den Ursprung der Anastomose von der Axillaris wieder- 
gibt. Nach einwärts von ihr liegt die Seitenrumpfvene, ventral 
von der letzteren eine kleine Vene, die eben im Begriffe steht, 
sich mit dieser zu vereinigen. Ganz das gleiche Bild zeigt 
Fig. 12, indem auch hier die Einmündung einer kleinen Vene 
in den ventralen Umfang der Seitenrumpfvene getroffen ist. 
Diese kleine Vene verdient aber unsere besondere Aufmerksam- 
keit, weil sie das Ende eines cranialen Astes der Anastomose 
bildet. In Fig. 11 ist ein ventral und medial gerichteter Ast 
dieser letzteren seiner Länge nach zu sehen. An der mit * be- 
zeichneten Stelle entspringt von diesem Ast ein kleinerer Zweig, 
welcher cranialwärts verlaufend sich schliesslich in der darge- 
stellten Weise mit der grossen Vene vereinigt. Der Haupt- 
stamm der Anastomose aber besitzt eine caudale Richtung, 
während er sich gleichzeitig immer weiter nach innen und unten 
vorschiebt, so dass er schliesslich genau ventral von der Seiten- 
rumpfvene zu liegen kommt. An seiner grösseren Weite leicht 
kenntlich, ist er 0,3 mm von seinem Ursprung aus der Axillaris 
nach rückwärts zu verfolgen; erst am hinteren Ende der Extremi- 
tätenbasıs, an derselben Stelle, an der die ulnare Randvene 
Hochstetters in die Seitenrumpfvene einmündet, löst er sich 
in mehrere gleichweite Kapillaren auf. 

Aus dieser Schilderung ergibt sich, dass das erste Ver- 
zweigungsgebiet der Anastomose in der seitlichen Körperwand 
und zwar hinter ihrem Ursprung gelegen ist, wo sich ihre Ästchen 
gleich anderen Wurzeln der Seitenrumpfvene mit dieser verbinden. 
Es darf daher diese Arterie als A. thoracica primitiva bezeichnet 
werden. Sie ist die Anlage der A. thoracica externa von Hahn 
und Gadow, der A.thoracica suprema von Pitzorno. Ihr 
Verlauf ist, wie gesagt, im ganzen caudal gerichtet und nur Äste 
zweiter Ordnung zweigen in cranialer Richtung ab, um jedoch 
schon in kurzer Entfernung in die Seitenrumpfvene zu münden. 


- 


Extremitäten bei den Vögeln. 377 


Ebensowenig, wie bei diesem Embryo ein grösserer kopfwärts 
gerichteter Ast der Anastomose zu sehen ist, so wenig kann man 
auch ein aus dem dritten Kiemenbogen entspringendes Gefäss 
wahrnehmen. Doch will ich mich aus Gründen, die im folgenden 
dargelegt werden, über die Nichtexistenz des eranialen Anfanges 
der Anastomose nicht dezidiert äussern. Ich kann nur sagen: 
der dritte Arterienbogen scheint in diesem Stadium noch un- 
verästelt. Nur an seinem medialen Rande gibt er ein grösseres 
Gefäss ab, das sich in der Kiemenbogenregion verzweigt. Doch 
ist dasselbe nichts anderes als das craniale Ende des Truneus 
arteriosus, welches sich weiterhin in zweiten und ersten 
Arterienbogen teilt und das Anfangsstück der Carotis externa 
darstellt... Beiläufig sei bemerkt, dass bei diesem Embryo 
auch noch der fünfte Arterienbogen existiert, der gemeinsam 
mit dem sechsten entspringt und an der Stelle der grössten 
lateralen Ausladung desselben in ihn wieder einmündet. 
Betrachtet man die Bahn, in welcher sich später die Anasto- 
mose entwickelt, so findet man daselbst durchweg ein 
lockeres Netz von Gefässen, welche mit grösseren Venen in Ver- 
bindung stehen. Von der Region der Kiemenbogen an bis zu 
den Ductus Cuvieri sind diese Gefässe Ästchen einer grossen 
Vene, die ihr Blut aus der Kiemenbogen-Region bezieht und in 
die V. cardinalis anterior einmündet. Ich glaube sie als V. jugu- 
laris externa ansprechen zu dürfen. In der Gegend der Ductus 
Cuvieri hängen die Gefässe sowohl mit der vorderen wie 
mit der hinteren Kardinalvene zusammen, und weiter caudal 
sind sie teils direkte, teils, wie wir bereits gesehen haben, in- 
direkte Äste der hinteren Kardinalvene, indem sie das Blut zu- 
nächst in die Seitenrumpfvene leiten. 

Was die Ursache betrifft, dass ich mich hinsichtlich des 
Abganges eines Gefässes aus dem dritten Arterienbogen nur vor- 
sichtig äussern kann, so liegt dieselbe darin, dass beim Embryo 
von 4 Tagen 17 Stunden mit aller wünschenswerten Deutlichkeit 
zu sehen ist, dass aus dem dritten Arterienbogen, und zwar an 
der Stelle seines Durchtrittes durch den dritten Kiemenbogen, 
an seiner ventralen Seite ein Ast abgeht, welcher anfangs eine 
Weite von 0,006 mm besitzt. Leider ist derselbe in dem dicht- 
zelligen Gewebe dieser Region nur auf eine kurze Strecke zu ver- 
folgen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass dieses Gefäss die 


378 Hans Rabl: 


Anlage der sekundären Subelavia bildet, deren Ursprung in einem 
späteren Stadium deshalb nicht zu erkennen ist, weil — wie bereits 
früher hervorgehoben wurde — alle Gefässe zur Zeit der ersten 
Entwicklung einer akzessorischen Wandung enger als früher sind 
und andererseits der Arterienbogen selbst mit Rücksicht auf seinen 
Verlauf schief vom Schnitt getroffen wird und daher vielfach 
keine scharfen Grenzen darbietet. Hierzu kommt noch die Ver- 
dichtung des Gewebes in der unmittelbaren Umgebung der 
Arterienbogen, welche die Auffindung kleiner Gefässe ungemein 
erschwert. Will man auf Grund dieser Überlegung die Hypo- 
these aufstellen, dass auch bei dem Embryo von 5 Tagen 8 Stunden 
die sekundäre Subelavia bereits aus dem Carotidenbogen hervor- 
gewachsen sei, so lässt diese Annahme doch keinen weiteren 
Schluss auf die Bildung der Anastomose zu, denn jedenfalls hört 
dieses Gefäss entweder bald nach seinem Ursprung blind auf 
oder verbindet sich, was mir viel wahrscheinlicher scheint, mit 
den venösen Gefässen der lateralen Leibeswand und endigt somit 
in einem Netz. Dass neben diesem Netze in der späteren Bahn 
der Anastomose kein selbständiges Gefäss existiert, lässt sich für 
sämtliche Embryonen zwischen 4 Tagen 17 Stunden und 5 Tagen 
8 Stunden mit Sicherheit behaupten. 

Als nächsten Embryo, bei dem ich die Anlage der sekun- 
dären Subelavia schildern will, wähle ich einen Embryo von 
5 Tagen 22 Stunden (10 mm Sch.-St.-L.). Die Arteria thoracica 
primitiva teilt sich hier unmittelbar, nachdem sie den vorderen 
Rand des medialen Armnervs überschritten hat, ventral von ihm in 
zwei Hauptäste, von denen der eine auf eine weite Strecke caudal- 
wärts, der andere auf eine kürzere kopfwärts verfolgt werden 
kann. Der letztere ist wesentlich enger als der erstere 
und endigt ca. 0,64 mm kopfwärts von seinem Ursprunge, d.h. 
während die genaue Verfolgung der Serie in der bestimmten 
Region der Leibeswand stets einen Gefässquerschnitt zeigt, welcher 
grösser als die übrigen Gefässe ist, so kann man nach vorne von 
der angegebenen Stelle kein grösseres Gefäss mehr unterscheiden. 
Die Ebene, in welcher die A. thoracica anterior (so könnte man 
das Gefäss in diesem Stadium nennen) nach vorne zieht, entspricht 
etwa derjenigen Frontalebene, die durch die Mitte der meso- 
dermalen Lungenanlage gelegt werden kann (Fig. 13). Die Distanz 
des Gefässes vom Pleuro-Peritonealepithel schwankt nur inner- 


Extremitäten bei den Vögeln. 379 


halb geringer Grenzen; die grösste Nähe beträgt 0,09, die grösste 
Entfernung 0.11 mm. An zahlreichen Stellen begegnet man 
Teilungen. Oftmals kann man auch mehrere dünne Ästchen in 
gleicher Höhe entspringen sehen. Dieselben verbinden sich entweder 
mit gleichdünnen Gefässen oder münden in grössere ein, welche 
direkte Wurzeln der Kardinalvene bilden. Was den histologischen 
Charakter der Arterie betrifit, so lässt ihre Wandung am Ur- 
sprung aus der Axillaris bereits eine Zusammensetzung aus 
mehreren Schichten erkennen. Bald aber schwindet dieser Unter- 
schied gegenüber den umliegenden Venen und Kapillaren. Die 
Arterie erscheint nurmehr als Teil des Gefässnetzes der Leibes- 
wand und gleich diesem als einfaches Endothelrohr, dessen künftige 
Bestimmung man allein durch genaue Beobachtung seiner nur 
wenig wechselnden Lage erschliessen kann. Um in dieser Hin- 
sicht ganz sicher zu gehen, habe ich mich übrigens nicht be- 
gnügt, die Serie genau zu durchmustern, sondern ich habe 
Reihen von Schnitten gezeichnet, Pausen der Zeichnungen ange- 
fertigt und dieselben miteinander verglichen, um mich dadurch von 
der Kontinuität des präsumptiven Arterienrohres zu überzeugen. 

Was den vorderen Teil der sekundären Subelavia betrifft, 
so habe ich bei diesem Embryo ebensowenig wie bei dem Embryo 
von 5 Tagen 8 Stunden ein aus dem dritten Arterienbogen ent- 
springendes Gefäss wahrnehmen können. Dasselbe negative 
Resultat ergab auch die Untersuchung einiger anderer Embryonen 
des gleichen Alters. Allerdings sind auch hier die bereits oben 
erwähnten Momente vorhanden, welche einen klaren Einblick in 
die feinere Gefässanordnung in der Halsregion verhindern. Vor 
allem ist es der Umstand, dass die laterale Wand der Arterienbogen 
auf jedem Schnitt schief getroffen ist, welcher es sehr schwierig 
macht, eine sichere Entscheidung über den Abgang eines Gefässes 
aus diesem Teile des Rohres zu fällen. Wenn sich aber die 
Subelavia von vorne nach hinten entwickeln würde, so müsste 
man mindestens jenseits der Kiemenbogenregion, vor allem in 
dem lockeren Bindegewebe der Leibeswand, dorso-lateral vom 
Herzen, ein Gefäss finden, das sich etwa durch dieselbe Form 
des Querschnittes wie die A. thoracica anterior auszeichnet. Da- 
von ist aber keine Spur zu sehen. Hier liegen wie vordem nur 
Gefässe, welche allein mit den Venen (V. jugularis interna und 
externa) in nachweisbarem Zusammenhange stehen. 


380 Hiamn SieRranpıl: 


Mein jüngster Embryo, bei welchem die Anastomose bereits 
in ihrer ganzen Länge ausgebildet ist, und der demnach der 
dritten Periode in der Entwicklung der Subelavia angehört, ist 
ein Embryo von 6 Tagen S Stunden, derselbe, von dem ich be- 
reits in Textfigur 11 einen Schnitt auf S. 367 abgebildet habe. 
Der Abgang der sekundären Subelavia aus dem dritten Arterien- 
bogen ist auf Fig. 15 sichtbar. Er liegt am hinteren Ende der 
Schilddrüse, in derselben Höhe wie der Ursprung der äusseren 
Carotis. Während aber die letztere an der Umbiegungsstelle der 
ventralen in die mediale Wand entspringt, verlässt die Subelavia 
den Arterienbogen an der Umbiegungsstelle der ventralen in seine 
laterale Seite. Den Ursprung der Anastomose aus der Axillaris sieht 
man in Fig. 14. Das hier in schräg ventraler Richtung absteigende 
Gefäss, die A. thoracica primitiva, teilt sich alsbald in zwei Haupt- 
äste, die sich wie beim jüngeren Embryo von 5 Tagen 22 Stunden 
nach entgegengesetzten Seiten wenden. Um einen Überblick 
über die Bahn der sekundären Subelavia zu geben, teile ich noch 
in Fig. 16 und Fig. 17 zwei Schnitte aus deren Verlauf mit. 
Das erstere Bild zeigt das Gefäss an der Herzbasis, das zweite 
in der Höhe der Lungenanlagen. Ausser den Lungen sieht 
man am zweiten Schnitte dorsal die Urnieren, ventral die Spitze 
des Herzventrikels (in der Zeichnung nicht mehr dargestellt). 
Am ersten Schnitte erkennt man die beiden Bronchien, die 
Kuppen der Vorkammer und den an dieser Stelle noch unge- 
teilten Truncus arteriosus. Die Lichtung der Arterie ist, be- 
sonders auf Fig. 16, eine unregelmässige, da das Gefäss nach 
mehreren Richtungen Zweige abgibt; in Fig. 17 liegt bloss der 
Ursprung eines ventralen Astes vor. Dieses Aussehen ist weit- 
aus häufiger anzutreffen als ein kreisrunder oder einfach ovaler 
Querschnitt. Auch Inselbildungen kommen sehr häufig zur Be- 
obachtung. Im hinteren Abschnitt der Anastomose erfolgt die 
Verästlung mehr oder weniger in einer Ebene, so dass man meist 
nur dorsale und ventrale Äste unterscheiden kann. Weiter nach 
vorne zu aber, besonders dort, wo das Gefäss gleich jener Vene, 
welche das Blut aus der Kiemenbogenregion abführt (V. j. e.), in 
einer gegen die Pericardialhöhle vorspringenden Falte liegt, 
weigen die Äste nach allen Richtungen ab. Hier ist die Wand 
der Arterie auch noch so dünn wie die einer Vene, während sie 
in der Nähe ihres Ursprunges aus der Axillaris schon merklich 


u ei 


Extremitäten bei den Vögeln. 381 


verdickt ist. Nur das vorderste Stück, das unmittelbar an den 
Carotidenbogen anschliesst, zeigt das gleiche Verhalten wie das 
hintere Ende. Es ist somit bei diesem Embryo das Gefässnetz 
der Leibeswand sowohl caudal wie proximal an das Arterien- 
system angeschlossen, ohne aber seinen Charakter noch wesent- 
lich verändert zu haben; nur beginnt eine Längsader durch be- 
sondere Weite hervorzutreten. Die Strecke, in der die Anasto- 
mose auf dieser Serie, welche in senkrechter Richtung durch die 
Rumpfregion in der Höhe der vorderen Extremitäten gelegt war, 
erscheint, misst 2 mm. Da das Gefäss aber nicht rein schwanz- 
wärts, sondern überdies von der Mitte nach aussen zieht, so be- 
trägt seine Länge noch etwas darüber. 

Vergleichen wir nun mit diesem Gefäss die ausgebildete 
sekundäre Subclavia im Anfang der vierten Periode der Ent- 
wicklung dieser Arterie. Ich wähle hierzu einen Embryo von 
9 Tagen 9 Stunden. Die primäre Subelavia ist bereits ver- 
schwunden. Die arterielle Natur der ehemaligen Anastomose lässt 
sich hier in ihrer ganzen Länge sofort aus der verdickten Wand 
ersehen, die aus mehreren Schichten spindeliger Zellen besteht. 
Die Länge des Gefässes von seinem Ursprunge aus dem Üaro- 
tidenbogen bis zur Teilung in die nunmehrige A. axillaris (ehe- 
mals A. thoracica primitiva) und A. thoracica posterior (A. thoracica 
suprema Pitzorno) beträgt nur wenig über 0,7 mm. Da auch 
dieser Embryo in der gleichen Richtung wie der Embryo von 
6 Tagen S Stunden, d. h. senkrecht zur Schultergegend, ge- 
schnitten wurde, ergibt sich, dass das Gefäss eine starke Ver- 
kürzung erfahren hat. Dieselbe dürfte wohl mit der gleichzeitig 
auftretenden Verdickung seiner Wand zusammenhängen. Ausser- 
dem mag sich die Obliteration der zahlreichen Seitenäste ebenfalls 
im Sinne einer Verkürzung des Rohres geltend machen. Im vor- 
liegenden Stadium sind es nurmehr wenige Arterien, welche die 
Subelavia verlassen. Ein Bild des letzteren Gefässes ist in Fig. 19 
zu sehen. Die Anhäufung spindeliger Zellen konzentrisch zum 
Lumen lässt sie leicht von den weiten Venen unterscheiden, 
welche lateral und ventral von ihr ein engmaschiges Netz bilden. 

Zwischenstadien zwischen den Verhältnissen. welche einer- 
seits beim Embryo von 6 Tagen 8 Stunden, andererseits bei dem 
von 9 Tagen 9 Stunden vorliegen, finden sich bei den Embryonen 
von der zweiten Hälfte des siebenten Tages und vom achten und 


382 Hans Rabl: 


neunten Tage. Hier ist noch die primäre Subclavia vorhanden, 
die sekundäre als ununterbrochene Gefässbahn bereits ausgebildet 
und im Begriffe, auch histologisch den Typus einer Arterie in 
ihrer ganzen Länge zu erwerben. Es liegt demnach die dritte 
Periode, welche man im Verlaufe der Entwicklung der Subelavia 
unterscheiden kann, vor. Bei einem Embryo von 8 Tagen 
5 Stunden besitzt das Gefäss eine Länge von mindestens 1,2 mm, 
so dass es darin etwa die Mitte zwischen den Gefässen der oben 
genannten Embryonen einhält. Die Zahl der abzweigenden 
Arterien ist geringer als beim Embryo von 6 Tagen S Stunden, 
grösser als beim Embryo von 9 Tagen 9 Stunden. Ein Bild 
dieser Arterie in der Höhe der Einmündung der oberen Hohlvene 
in den rechten Vorhof ist in Fig. 15 wiedergegeben. 

Wenn wir auf Grund der vorstehenden Beschreibung den 
Verlauf der beiden Subelavien überblicken, so ergibt sich zunächst 
für die primäre Subelavia folgendes: Das Gefäss zieht im Bogen 
von rückwärts nach vorne, gelangt ventral vom Nervenplexus in 
die Axillargegend, durchsetzt den ventralen Teil des Plexus und 
kommt so in die Gabel zwischen lateralen und medialen Armnerv 
zu liegen. Hier gibt die Axillaris zunächst die primitive Arm- 
arterie ab, zieht hierauf nach vorne weiter und teilt sich 
schliesslich einerseits in die Arterien, welche zur Schulter und 
radialen Seite der Extremität ziehen, andererseits in die A. thora- 
cica primitiva. Die letztere verläuft über den vorderen Rand 
der N. brachiales inferiores medial- und ventralwärts. 

Die sekundäre Subelavia zieht zunächst in der seitlichen 
Leibeswand in der Längsrichtung des Tieres nach rückwärts. Bei 
der erwachsenen Ente ist jedoch das Herz soweit kaudalwärts 
gerückt, dass die Subelavia fast horizontal zur Extremität zieht. Sie 
lagert sich hier, wie ich mich durch eigene Beobachtung überzeugte, 
auf die ventrale Seite des hinteren Teiles des Plexus, ohne dass 
es zu einer Schlingenbildung seitens der Nerven kommen würde, 
und gelangt mit denselben an die mediale Seite des Oberarms. 
Bei Embryonen findet man sie hier in derselben Lage zum 
N. mediano-ulnaris wie die A. brachialis der Säugetiere zum 
N. medianus gelegen ist. Beim erwachsenen Tiere hingegen liegt 
infolge Änderung in der Stellung der Extremität das Gefäss auf 
dem Nerv. 


Extremitäten bei den Vögeln. 383 


Ich bin hiermit am Schluss der Arbeit angelangt und 
möchte nun noch auf einige Punkte, die mir von besonderer 
Bedeutung sind, zurückkommen. 

Betrachten wir die seitliche Leibeswand in einem frühen 
Stadium an der Stelle der späteren Extremitätenanlagen, aber noch 
ehe die Wolffsche Leiste deutlich hervortritt, so finden wir darin 
— wie geschildert wurde — einige netzförmig verbundene Gefässe, 
die mit der hinteren Kardinalvene in Zusammenhang stehen, 
somit als Venen bezeichnet werden müssen. In dieses Netz 
wachsen, während gleichzeitig das Bindegewebe der Extremitäten- 
anlage zunimmt, die segmentalen Arterien aus der Aorta hinein. 
Erst von diesem Augenblicke an wird die Zirkulation in den 
Gefässen der Leibeswand eine lebhafte, denn bis dahin waren 
die Venen derselben nur Divertikel der Kardinalvene gewesen. 
Wie aus der Betrachtung von Textfig. 2 hervorgeht, sind die 
ersten Arterien der Leibeswand, d.h. die Anlagen der A. axillares, 
zunächst sehr kurz, denn die Einmündungsstellen derselben in 
das Gefässnetz liegen vielfach dicht neben den Austrittsstellen 
der Venen aus demselben. Bald aber kommt es, parallel mit 
der Zunahme des Bindegewebes in der Wolffschen Leiste, zu 
einer Verlängerung der Axillaris in die Extremitätenanlage 
hinein, d.h. zur Bildung der primitiven Armarterie. In diesem 
Stadium, welches durch die Embryonen 6 und 7 der ersten 
Periode repräsentiert wird, verdienen zwei Momente besondere 
Erwähnung. 1) Dass sich jede Subelavia in eine Brachialis fort- 
setzt und zwar auch in dem Falle, als sie sich innerhalb des 
Rumpfes spaltet; dann » erscheinen eben entsprechend viele 
Brachiales in der Extremität. 2) Dass die Anlagen der Brachiales 
zunächst Teile eines Netzes sind, welches das zentrale, lockere 
Gewebe der Extremitätenanlage durchzieht. Dieses Netz darf 
wohl nach seinem direkten Anschluss an die Subclavien als 
arterielles bezeichnet werden, wenngleich eine Grenze zwischen 
Arterien und Venen mit Rücksicht auf die Gleichheit der Wände 
vorderhand nicht gezogen werden kann. In der nun folgenden 
weiteren Ausbildung der Extremität kommt es zu einer be- 
deutenden Verlängerung der Maschen dieses Netzes, vor allem 
in der Längsrichtung der Extremität, während die Zahl der 
Gefässe im zentralen Teile keine — oder mindestens keine 
wesentliche — Zunahme erfährt. So glaube ich, die Entwicklung 


354 Hans Rabl: 


der Armarterien mit jenem ursprünglichen Netze in Zusammen- 
hang bringen zu müssen. 

Ich verkenne nicht, dass ich mich hier auf dem Boden der 
Hypothese befinde; doch legt das Vorkommen eines primitiven 
arteriellen Gefässnetzes diese Hypothese nahe. Zu ihrer Be- 
gründung erinnere ich an das bei den einzelnen Embryonen 
Gesagte und verweise auf die wiedergegebenen Rekonstruktionen 
und Kombinationsbilder. Selbstverständlich kann man nur an 
der Hand plastischer Modelle einer geschlossenen Entwicklungs- 
reihe, die bei Embryo 6 anfangen und bis zum ausgebildeten 
Zustande reichen müsste, einen Aufschluss über die Anlage 
sämtlicher Arterien des Flügels erhalten. Diese Untersuchung 
muss der Zukunft vorbehalten bleiben. Da aber die primitive 
Armarterie nicht als unverästelter, seinem Ziele gradlinig zu- 
strebender Stamm, sondern als Teil eines Netzes angelegt wird, 
so darf der Gedanke nicht von der Hand gewiesen werden, dass 
auch noch andere Arterien ursprünglich Abschnitte eines Netzes 
bilden, welche infolge ihrer günstigen Lage zur Strömungsrichtung 
des Blutes eine Weiterentwicklung erfahren, während andere Teile 
des Netzes zurückgebildet werden. 

Insofern scheint mir auch, dass in der bereits für über- 
wunden gehaltenen, von E.Müller erst zu neuem Leben wieder- 
erweckten Lehre von Baader und Krause bezüglich der Er- 
klärung der Arterienvarietäten ein richtiger Kern steckt. Aller- 
dings ist der Unterschied zwischen der alten und dieser neuen 
Auffassung, welche sich auf die jüngsten Entwicklungsstadien 
stützt, ein grosser, indem ich niemals die Existenz eines gleich- 
mässig ausgebildeten Netzwerkes anerkennen möchte, sondern die 
Maschen desselben von vornherein gesetzmässig gelagert finde. 
Dagegen bin ich auch genötigt, der Ansicht vonRuge entgegenzu- 
treten, „dass gewisse Bahnen sich früher anlegen als andere, wozu 
auch die A. brachialis gehört.“ Das Irrtümliche dieser Meinung 
lässt sich ohne weiteres durch die Textfig. 7 widerlegen. Dass sich 
die Arteria brachialis schon in früher Zeit durch grössere Weite 
vor den übrigen Ästen der Axillaris auszeichnet, hängt einerseits 
mit ihrer Lage zusammen, derzufolge das Blut bei seinem Ab- 
fluss in dieselbe dem geringsten Widerstande begegnet, anderer- 
seits mit ihrem Verbreitungsgebiet, welches die wachsende Spitze 
der Extremität umfasst. Der Einfluss der Grösse des Aus- 


Extremitäten bei den Vögeln. 385 


breitungsgebietes für die Entwicklung einer Arterie dürfte auch 
die Ursache sein, dass die A. thoracica bald eine so mächtige 
Ausbildung erfährt. 

Ein zweiter Punkt, auf den ich kurz verweisen möchte, 
betrifft das zeitliche Verhältnis im Auftreten der Arterien und 
Nerven. Schon E. Müller hat einen menschlichen Embryo von 
5 mm beschrieben, bei welchem zahlreiche Biutgefässe in der 
Extremitätenanlage enthalten waren, indessen die Nervenplatte in 
ihrem Wachstum erst bis an die Wurzel der letzteren vorgedrungen 
war. Unter den Blutgefässen konnte man bereits die Arterien 
unterscheiden, welche in der Achse der Extremität „ein Wunder- 
netz“!) von grosser Distinktion und Schönheit bilden. Doch 
liessen sich in diesem Netze noch nicht jene Zweige erkennen, 
welche Müller bei älteren Embryonen (S mm, 11,7 mm) als die 
Anlagen definitiver Arterien deutete. Bei diesen aber sind 
bereits die Nerven in die Extremität eingewachsen und gerade 
ihre Laeebeziehung zum arteriellen Netze gestattet die nähere 
Bezeichnung der Elemente des letzteren. — Wie Müller beim 
Menschen, findet auch de Vriese bei Säugetieren als erstes 
Stadium der Gefässanlage in der Extremität ein indifferentes Netz. 
Erst parallel mit dem Eindringen der Nerven differenzieren sich 
in dem Netze bestimmte Gefässbahnen, welche die Nerven be- 
gleiten und die Anlagen der definitiven Arterien darstellen. 


Hingegen sind bei mehreren meiner Entenembryonen die 
bedeutungsvollsten Arterien (A. brachialis, thoracica primitiva, 
profunda brachii) bereits als solche bestimmbar, indessen die 
Nervenplatte noch an der Wurzel der Extremität halt macht. 
So ergibt sich demnach, dass sich bei den Vögeln gewisse Arterien 
vor den Nerven in den Extremitätenanlagen differenzieren. 


Ob auch noch andere Arterien bereits zu so früher Zeit 
angelegt sind, vermag ich vorläufig noch nicht anzugeben. Der 
Widerspruch, der zwischen meinen Befunden und jenen der 
genannten Autoren, vor allem von de Vriese liegt, dürfte 


!) Die Bezeichnung dieses Netzes als „Wundernetz‘‘ halte ich für eine 
höchst unglückliche. Es ist ein embryonales Kapillarnetz, aus dem das Blut 
in mehrere Venen abfliesst, weiter nichts. Darum stimme ich auch mit den- 
jenigen Autoren überein, welche die Ableitung der Wundernetze der Edentaten 
von embryonalen Verhältnissen für irrtümlich halten. 


386 Hans Rabl: 


meiner Meinung nach weniger in einem prinzipiellen Gegensatze 
zwischen der Klasse der Vögel und jener der Säugetiere beruhen, 
als darin, dass mir ein günstigeres Material, jüngere und besser 
konservierte Embryonen, zur Verfügung standen. Darum vermute 
ich, dass man auch bei den Säugetieren ähnliches finden wird, 
wenn die Untersuchungen fortgesetzt werden. Doch möchte ich 
nicht dahin verstanden werden, als ob ich die Anlage aller Arm- 
arterien auf die früheste embryonale Periode beschränkt glaubte. 
Es soll vielmehr durch die vorliegenden fragmentarischen Mit- 
teilungen nur darauf hingewiesen werden, dass neben der Anlage 
von Arterien entlang den Nerven, worauf zuerst Zuckerkandl)) 
aufmerksam gemacht hat, auch eine direkte Ausgestaltung früh- 
zeitig angelegter Bahnen vorkommt. 

Sucht man nach den ursächlichen Momenten in der Ent- 
wicklung der Arterien, so kann man nicht umhin, die erste 
Anlage derselben, die Bildung mehrerer segmentaler Gefässe aus 
der Aorta, als Ausdruck der Vererbung, als eine notwendige 
Folge der Stammesentwicklung, zu betrachten. Dadurch wird 
auch ein bedeutungsvolles Licht auf die Frage nach dem Ur- 
sprunge der Extremitäten geworfen. Wir wissen nunmehr, dass 
sie von Nerven, Muskeln und Gefässen mehrerer aufeinander 
folgender Segmente versorgt werden. Für jeden vorurteilsfreien 
Beurteiler wird der Nachweis segmentaler (Gefässe ein neues, 
schwer wiegendes Argument gegen die Gegenbaursche Archi- 
pterygiumtheorie bilden. — Nach dem Ergebnisse der embryo- 
logischen Untersuchungen möchte man die segmentalen Sub- 
clavien zunächst nur als die Arterien der seitlichen Leibeswand 
betrachten, da sie an den jüngsten Embryonen bloss mit dem 
venösen Gefässnetz dieser letzteren verbunden erscheinen. Erst 
in dem Maße als sich die seitliche Leibeswand zur Extremitäten- 
leiste erhebt, wächst auch in diese ein Ast der Subelavia, die 
primäre Axillaris ein, welche sich verästelt und durch Wieder- 
vereinigung ihrer Zweige ein Netz liefert, das mit dem der 
Leibeswand aufs innigste zusammenhängt. Die Ausbildung dieses 
Netzes darf bereits unter diejenigen embryologischen Prozesse 
gezählt werden, welche Roux in die zweite Entwicklungsperiode, 


!) Über die Entstehung der Vorderarmgefässe beim Kaninchen und bei 
der Katze. Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft in Göttingen 1893. 


weh 


Extremitäten bei den Vögeln. 387 


die Periode des funktionellen Lebens verweist. Denn dieselbe 
entspricht einem physiologischen Bedürfnisse der wachsenden 
Extremität. Die weitere Umgestaltung des Netzes zu den 
primären Hauptarterien ist die Folge hydrodynamischer Gesetze, 
die jedoch niemals rein zur Geltung kommen, sondern sich den 
biologischen Eigenschaften der zu versorgenden Gewebe an- 
passen müssen. 

Ähnliche Gedanken haben auch schon E. Müller und 
neuestens Göppert in seinem kritischen Referat „Die Beur- 
teilung der Arterienvarietäten der oberen Gliedmaßen bei den 
Säugetieren und dem Menschen“ (Ergebnisse der Anatomie und 
Entwicklungsgeschichte, 14. Bd.) ausgesprochen. Auf das letztere 
seien zum Schlusse jene Leser verwiesen, welche sich über den 
derzeitigen Stand der Phylogenese und Ontogenese der Extremi- 
tätenarterien im speziellen genau zu unterrichten wünschen. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIII, XIV u.XV. 


Sämtliche Figuren wurden mit dem Zeichenapparat von Oberhäuser entworfen. 
Der Abstand der Zeichenebene von der Tischplatte betrug 23 cm. 


Für alle Figuren gültige Bezeichnungen. 


A. — Aorta. Pl.br. = Plexus brachialis. 

A.ax. = Arteria axillaris. S. R. V. = Seitenrumpfvene. 

Aus B subelavia. Un. — Urniere. 

E. — Extremität. Uw. = Urwirbel. 

Ek. == Ectodermkappe. V. ec. p. = Vena cardinalis posterior. 
N. — Nerv. Vezus —EErmbiealise 

Lh. = Leibeshöhle. W4.G: 5: —Woläfscher ‚Gang: 


Fig. 1. Querschnitt der W olffschen Leiste eines Embryo von 30 Urwirbeln. 


Am. — Amnion. Objektiv 7a von Reichert, eingeschobener Tubus. 
Fig. 2. Querschnitt der Wolffschen Leiste eines Embryo von 32—33 
Urwirbeln. V.s. = V. segmentalis. Vergr. wie bei Fig. 1. 
Fig. 3. Querschnitt der W olffschen Leiste eines Embryo von 36 Urwirbeln. 
Am. = Amnion. Man sieht die Eintrittsstelle einer segmentalen 


Vene in die V.c.p. Vergr. wie bei Fig. 1. 


Fig. 4 
Fig. 5 
Fig. 6. 


Hans Rabl: 


Querschnitt der Extremitätenanlage eines Embryo von ca. 40 Ur- 
wirbeln. M.K.—= Malpighisches Körperchen. Vergr. wie bei Fig.1. 
Querschnitt der Extremitätenanlage eines Embryo von 4 Tagen 
17 Stunden. A.th.pr. — Arteria thoracica primitiva. V.Rn. = 
Venöses Randnetz. Vergr. wie bei Fig. 1. 

Extremität eines Embryo von 4 Tagen 8 Stunden (6!/s mm N.-St.-L. 
A. br. = Arteria brachialis. Obj. 4b von Reichert, Tubuslänge 175. 


Fig. 7 u. 8. Rechte Körperhälfte eines Embryo von 5 Tagen 8 Stunden 


Bio; 9 


($!/ mm Sch.-St.-L.). N. br. ss = Nervi brachiales superiores. 
N. br. i. = Nervi brachiales inferiores. A.pr. br. — Arteria profunda 
brachii. Obj. 1a von Reichert, Tubuslänge 175 mm. 

Rechte Körperhälfte eines Embryo von 5 Tagen 22 Stunden (10 mm 
Sch.-St.-L.) R. v. = Randvene der Extremität, die übrigen, Be- 
zeichnungen wie früher. Obj. 1a von Reichert, Tubuslänge 175 mm. 


Fig. 10—12. Basis der linken Extremität eines Embryo von 5 Tagen 


Fig. 13. 


Fig. 14— 


Fig. 18. 


Fig. 19. 


5 Stunden (8!/s mm Sch.-St.-L.) S. A. —= Seitenast der A. thoracica 
primitiva. V. — eine kleine Vene, welche das Ende des aus dem 
Seitenaste bei * hervorgehenden Gefässes darstellt. In Fig. 12 ist 
der Ursprung der A. profunda brachii getroffen. Obj. 7a von 
Reichert, eingeschobener Tubus. 

Embryo von 5 Tagen 22 Stunden. Ms. L. — Mesodermale Lungen- 
anlage (freies kaudales Ende des Lig. hepato-pulmonale). O. a. t. — 
Östium abdominale tubae. M. — Magen. Obj. 1a von Reichert, 
Tubuslänge 175 mm. 

17. Teile von Querschnitten durch einen Embryo von 6 Tagen 
8 Stunden (12 mm Sch.-St.-L.) An. — Anastomose. Lu. — Lunge. 
Le. —= Leber. L.h.p. = Ligamentum hepato-pulmonale. Plp. H. — 
Pleuroperitoneal- Höhle. N. th. = N. thoraeicus. N.v.—N. vagus: 
V. j. i. = V. jugularis interna. V. j. e. = V. jugularis externa. 
Pc. H. — Pericardialhöhle. Oe. — Ösophagus. Tr. — Trachea. 
Th. = Thyreoiden Ab. — Arterienbogen. Gangl. j. v. = Ganglion 
jugulare vagi. Br. ss. — Bronchus sinister. Atr.s. —= Atrium 
sinistrtum. O. a.t. — ÖOstium abdominale tubae, Obj. 4b von 
Reichert, Tubuslänge 155 mm. 

Partie aus einem Querschnitt durch einen Embryo von 8 Tagen 
5 Stunden. Lu. Sp. = Lungenspitze. Pl. R. — Pleuraraum. Pc. H.— 
Pericardialhöhle. V.c.s. = V. cava superior. Atr. d. = Atrium 
dextrum. A.p.d. = Art. pulmonalis dextra. Kn. = Knorpel. 
Obj. 4b von Reichert, eingeschobener Tubus. 

Partie aus einem Querschnitt durch einen Embryo von 9 Tagen 
9 Stunden. Tr.a. = Truncus arteriosus. Br. s. = Bronchus sinister. 
N. v. = Nervus vagus. A.p.s. = Arteria pulmonalis 'sinistra. 
Ab. — Arterienbogen. V.j.i. und V.j.e. = V. jugularis interna 
und externa. Kn. = Knorpel. Obj. 4b von Reichert, eingeschobener 
Tubus. 


389 


(Aus dem anatomischen Institut in Strassburg.) 


Studien über das Blut und die blutbildenden und 
-zerstörenden Organe. 
IV. Weitere Mitteilungen über rote Blutkörperchen. ') 
Technisches, Tylopoden - Erythrocyten, Kernreste, basophile 
Körnelung, Pseudostrukturen. 


Von 


Dr. Franz Weidenreich, 
a. o. Professor und Prosektor am Institut. 


Hierzu Tafel XVI u. XVI. 


1. Technisches. 


In der ersten Mitteilung meiner Studien über das Blut 
habe ich die Aufmerksamkeit der Morphologen auf die Tatsache 
gelenkt, dass sich im Laufe der Zeit eine falsche Vorstellung 
von der normalen Form der Säugererythrocyten herausgebildet 
hat. Ich habe dort und auch in den folgenden Aufsätzen einzelne 
Methoden und Kunstgriffte angegeben, mit denen es mehr oder 
weniger leicht gelingt, meine Angaben auf ihre Richtigkeit 
zu prüfen, ohne dass es mir geglückt wäre, alle Zweifler von der 
so sinnfälligen Tatsache zu überzeugen. Auch heute glaube ich 
nicht, dass es mir vergönnt sein wird, die liebgewordene Vor- 
stellung völlig zu zerstören; trotzdem möchte ich denjenigen, 
die ohne Voreingenommenheit an die Anfertigung und Prüfung 
eines Blutpräparates herantreten, ein Mittel an die Hand geben, 
das nicht nur mit Leichtigkeit die normale Napfform der Blut- 
körperchen als Dauerpräparat zu fixieren gestattet, sondern auch 
in jedem Anfängerkurs rasch gelehrt und erlernt werden kann. 

An anderen Orten ist zwar bereits die Methode von mir 
publiziert worden (1906 a); da aber die betreffenden Zeit- 
schriften den Anatomen weniger zugänglich sind und ich gerne 
9) Studien über das Blut ete. 

I. Form und Bau der roten Blutkörperchen. Dies. Arch. Bd. 61. 1902. 
II. Bau und morphologische Stellung der Blutlymphdrüsen. Ebenda Bd. 65. 
1904, 


IH. Über den Bau der Amphibienerythroeyten. Ebenda Bd. 66. 1905. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 26 


390 Franz Weidenreich: 


die bildlichen Belege für den Wert des Verfahrens geben möchte, 
so will ich hier nochmals auf die Technik eingehen. 

Die bisherige Methodik des Blut-Trockenpräparates beruht 
im wesentlichen auf den Angaben Ehrlichs, die ihrerseits 
wieder, wie Ehrlich ausführt (1878S—79, 1379), auf dem von 
Rob. Koch für die Bakteriendarstellung angewandten Verfahren 
basieren. Das Charakteristische besteht hierbei darin, dass das 
Blut in möglichst dünner Schicht ausgebreitet und rasch zum 
Trocknen gebracht wird, ehe stärkere Schrumpfungen auftreten. 
Zunächst war diese Methode von Ehrlich nur für die Dar- 
stellung der Granulationen in den Leukocyten bestimmt; er hielt 
das einfache Antrocknen für die beste Fixationsmethode, weil 
dadurch die „chemische Individualität‘ am wenigsten sich ändere: 
auf die Erhaltung des morphologischen Bildes kam es ihm also 
gar nicht an. Derartige nicht weiter behandelte Präparate ge- 
statteten keine Untersuchung der roten Blutkörperchen, weil bei 
Anwendung wässeriger Farblösungen das Hämoglobin aus ihnen 
austrat. Ehrlich begegnete diesem Übelstande dadurch, dass 
er die Präparate einer längerdauernden Hitzeinwirkung von 120 
bis 130° unterwarf (1879). Alle histologischen Fixationsmittel, 
wie Alkohol, Osmiumsäure, Chromsäure u. a., wurden anfänglich 
als unbrauchbar zurückgewiesen, weil sie den chemischen Charakter 
ändern sollten. Ehrlichs Nachfolger haben sich nicht mehr 
streng an diese Abweisung der chemischen Mittel zu Fixations- 
zwecken gehalten und später hat Ehrlich selbst (ef. Ehrlich und 
Lazarus, 1898) auch diese Mittel akzeptiert. Ich glaube, die 
weitere Literatur der Technik übergehen zu dürfen, die zudem 
in der „Encyclopädie der mikrosk. Technik‘‘ eine eingehende Be- 
rücksichtigung erfahren hat, da ja am Prinzip der Ehrlich- 
Kochschen Methode nicht gerüttelt wurde; alle vorgeschlagenen 
Varianten beziehen sich nur auf die Fixation mit chemischen 
Mitteln nach dem Antrocknen, die bald als Flüssigkeiten, bald 
in Dampfform Verwendung fanden. 

Ich will mir kein Urteil darüber gestatten, ob die ur- 
sprüngliche Voraussetzung Ehrlichs richtig ist, d. h. ob wirklich 
das einfache Antrocknen den chemischen Charakter der Blut- 
elemente weniger alteriert als eine Reihe der sonst gebräuchlichen 
Reagentien, ganz abgesehen davon, dass man mit der Hitze- 
fixation wenig Definitives über die ‚chemische Individualität“ 


Studien über das Blut. 391 


bisher erfahren hat. Ich beurteile den Wert einer Methode nach 
der Erhaltung des morphologischen Bildes und kann 
aus diesem Grunde der Hitzefixation vor der mit chemischen 
Mitteln keinen Vorzug geben; von diesem Gesichtspunkte aus 
betrachtet, haben aber beide Methoden ihre Nachteile, die sich 
an den verschiedenen Blutelementen in verschieden hohem Grade 
äussern. Hier interessieren uns zunächst die roten Blutkörperchen ; 
die farblosen Elemente werden in der Hand des Geübten mit der 
Ehrlichschen Methode recht gut konserviert, doch habe ich 
auch hier ein Verfahren angewendet, das ungleich bessere Bilder 
liefert und Kern- und Protoplasmastrukturen, Granulationen und 
Zentralkörper, ebenso wie die verschiedenen Phasen der amöboiden 
Bewegung an den weissen Blutkörperchen im Trockenpräparat zu 
sehen gestattet; ich werde diese Methode in Bälde publizieren. 
Jedenfalls gibt die einfache Trockenmethode keine richtige Vor- 
stellung von der Form der roten Blutkörperchen, sie erscheinen 
mehr oder weniger als plattgedrückte Scheiben und nur in den 
bestgelungenen Präparaten tritt die zentrale Depression einiger- 
massen deutlich hervor: Kantenansichten, Geldrollen oder Maul- 
beerformen erhält man nur sehr gelegentlich und unvollkommen 
als ein Produkt des Zufalls; dazu kommt, dass nur solche Präparat- 
stellen brauchbar sind, an denen die Erythrocyten in einfach 
ausgebreiteter Schicht liegen, während an dickeren Stellen die 
Blutkörperchen zusammensintern. 

Das Verfahren, das ich anwende, vermeidet nicht nur diese 
Übelstände, sondern es erhält auch die natürliche Napfform der 
Erythroeyten, gibt stets reichlich Kantenansichten und gestattet, 
Geldrollen und Maulbeerformen absichtlich darzustellen und als ge- 
färbtes Dauerpräparat zu fixieren. Bei alle dem ist die Methode 
sicherer und einfacher als die Ehrlichsche, sodass ich sie wohl 
empfehlen darf. Das Verfahren beruht auf einem der Ehrlichschen 
Methode gerade entgegengesetzten Prinzip. Um jede Alteration 
der Blutelemente zu verhindern, lässt Ehrlich das Blut rasch 
antrocknen und fixiert erst dann, d. h. er macht durch thermische 
oder chemische Reagentien die Zellen für die weitere Behandlung 
geeignet. Ich verfahre umgekehrt; da ich fand, dass das An- 
trocknen schon das morphologische Bild alteriert, fixiere ich vor 
dem Antrocknen und benutze das Antrocknen, das ohne Einfluss 


auf die bereits fixierten Elemente ist, nur um die korpusculären 
26* 


392 Franz Weidenreich: 


3estandteile des Blutes in bequemer Form auf dem Deckglas, 
bezw. Objektträger, der weiteren Behandlung zugänglich zu 
machen. Die Idee, frisches Blut direkt mit den fixierenden 
Reagentien in Verbindung zu bringen, ist ja keineswegs neu; 
entweder wurde empfohlen, die auf dem Objektträger ausgebreitete 
Blutschicht ohne weiteres in die Fixationsflüssigkeit (Sublimat, 
Osmium, Flemmingsche Lösung ete.) einzutauchen, oder aber 
einen Tropfen Blut in das Fixativ direkt einlaufen zu lassen und 
dann gewissermassen im feuchten Verfahren die Blutelemente wie 
ein Gewebestück weiterzubehandeln. Aber diese Methoden haben 
grosse Nachteile; die farbigen Blutkörperchen namentlich sind 
recht leicht vulnerable Gebilde und bekanntlich osmotischen Ein- 
tlüssen in hohem Masse ausgesetzt, darum ist jeder Flüssigkeits- 
zusatz zum frischen Blut gefährlich und alteriert das morpho- 
logische Bild. Aber abgesehen davon leidet noch das erst er- 
wähnte Verfahren an dem Mangel, dass die Blutschicht leicht 
weggeschwemmt wird, und das zweitgenannte an der übergrossen 
Kompliziertheit. 

Nach langen Versuchen bin ich dazu gekommen, die einfache 
Dampffixation als die alleinig brauchbare und den weitestgehenden 
Ansprüchen genügende Methode zu erproben. Dadurch wird 
natürlich die Zahl der zur Verfügung stehenden Reagentien eine 
beschränkte; in Betracht kommen nur solche, deren Dämpfe 
konzentriert genug sind, um eine augenblicklich wirkende Fixation 
herbeizuführen, und auch wirklich fixierende Eigenschaften be- 
sitzen. Dabei zeigt sich, dass gerade die Mittel, welche bei An- 
wendung des Ehrlichschen Prinzips als Ersatz für die Hitze- 
fixation besonders anempfohlen wurden, nämlich absoluter Alkohol 
und Äther, bei meinem Verfahren versagen, da ihre Dämpfe 
fast augenblicklich das Blut lackfarben machen; ihre „fixierende‘* 
Wirkung erstreckt sich also nur auf die bereits durch Eintrock- 
nung „fixierten‘“ Blutkörperchen, sodass man diese beiden Rea- 
gentien aus der Reihe der reinen Fixationsmittel zu streichen 
hat. Dagegen erweisen sich in hervorragendem Masse Osmium- 
säure und Formalin brauchbar. Ich schildere nun zunächst die 
Art, wie ich verfahre. !) 

'‘) Nachdem ich bereits den grössten Teil dieser Abhandlung nieder- 


geschrieben hatte, erschien eine Publikation J. Jollys (Fol. haematol. 1906, 
No. 4), worin er für Malassez und sich die Priorität des Verfahrens be- 


Be ‘» 


Studien über das Blut. 393 


Man bringt in eine niedrige Glasschale oder Glasdose, deren 
Öffnung ausreicht, um zwei oder drei Objektträgern nebeneinander 
Platz zu bieten, einige ccm einer 1°/oigen Lösung von Ösmiumsäure 
(Osmiumtetroxyd) und setzt die Objektträger, die man auf die 
offene Schale legt, 1 Minute den Dämpfen aus. Dann sticht man 
in die gereinigte (schweissfreie !) Fingerbeere ein und streicht den 
austretenden Bluttropfen mit dem Finger rasch auf der Dampf- 
seite des Objektträgers in möglichst dünner Schicht aus. wobei 
man allerdings den Finger nicht zu sehr aufdrücken darf, um 
die Blutkörperchen nicht platt zu pressen. Ebenso rasch bringt 
man den Objektträger, die Blutschicht den Dämpfen zugekehrt, 
wieder auf die Glasdose und belässt sie dort '/a bis !/s Minute 
(nicht länger!!), gleichviel ob das Blut getrocknet ist oder nicht: im 
letzteren, dem häufigeren Falle überlässt man dann das Trocknen 
einfach der Luft. Ist das geschehen, so ist eigentlich das Präparat 
schon fertig; denn es eignet sich so schon vollständig für das 
Studium der Form der Blutkörperchen. Man hat nämlich nur 
nötig, einen Tropfen Wasser und ein Deckglas auf den Objekt- 
träger zu bringen, die roten Blutkörperchen erscheinen dann in 
gleicher Form und Farbe wie im frischen Blutpräparat. Ein 
derartiges Präparat lässt sich auch als Dauerpräparat aufbewahren, 
man braucht nur das Deckglas wieder abzunehmen und das Wasser 


ansprucht. Malassez hat schon 1882 für Ausstrichpräparate des Knochen- 
marks die Osmiumdampf-Fixation vor dem Eintrocknen empfohlen und Jolly 
hat 1902 dieselbe Methode auf das Blut angewandt. Wie ein Blick in die 
Zusammenstellungen der allgemeinen mikroskopischen und speziell-häma- 
tologischen Hand- und Lehrbücher zeigt, sind Jollys Angaben unbekannt 
geblieben und infolgedessen auch mir entgangen; der Grund hierfür ist darin 
zu suchen, dass die betr. Angaben nur nebenbei gemacht wurden und ausserdem 
die Autoren selbst wieder von der Methode abkamen, weil sie die Färbbarkeit 
herabgesetzt fanden (cf. meine Ausführungen in Fol. haematol. 1906, No. 5). 
Was diesen Mangel angeht, so trifft er nur dann zu, wenn man die Dämpfe 
zulange einwirken lässt; hält man sich an meine Zeitvorschriften, so wird 
man überhaupt nicht unter erschwerter Färbbarkeit zu leiden haben. Dann 
aber bin ich doch genötigt, hervorzuheben, dass Jolly den Wert der Methode 
gerade für die Darstellung der natürlichen und der passageren Formen der 
Erythrocyten (und auch der Blutplättehen — Verh. d. anat. Gesellschaft, 
Rostock 1906) vollständig übersah, während ihre grosse Bedeutung, wie ich 
nachwies, vor allem in diesem Vorzug liegt. Endlich ist die fixatorische 
Vorbehandlung des Objektträgers vor dem Ausbreiten der Blutschicht weder 
von Malassez noch von Jolly geübt worden. 


394 Franz Weidenreich: 


mit Filtrierpapier abzutrocknen; die auf dem Glase haftende und 
fixierte Blutschicht hält sich dauernd. 

Will man dagegen in Balsam einbetten, so muss man zuvor 
färben, da die natürliche Farbe gegenüber dem stark lichtbrechenden 
Balsam nicht ausreicht. Als Farbstoffe lassen sich alle die ver- 
wenden, die man auch sonst für rote Blutkörperchen gebraucht, 
also besonders Eosin, Methylviolett oder Gentianaviolett: vor 
allem aber möchte ich auch Ehrlichs Triacid und die Giemsasche 
Farblösung für Romanowsky-Färbung empfehlen, die man am 
besten fertig von G. Grübler & Co. in Leipzig bezieht; mit Triacid 
färbt man !/ı Stunde, mit der verdünnten Giemsaschen Lösung 
dagegen eine Stunde und länger, weil man bei dieser Färbung 
erst nach längerer Zeit die schönen Farbenunterschiede der 
einzelnen Blutelemente herausbringt. Da die ÖOsmiumsäure, 
namentlich nach längerer Einwirkung die Empfänglichkeit für 
die Tinktionsmittel vermindert, kann man die Präparate vor dem 
Färben mit einer sehr schwachen, hellroten Lösung von Kalium- 
permanganat für einen Augenblick übergiessen; doch wird dieser 
Behelf unnötig, wenn man die von mir oben angegebene Fixations- 
zeit nicht überschreitet. Nach beendeter Färbung spült man mit 
gewöhnlichem Wasser ab, trocknet mit Filtrierpapier und schliesst 
in Balsam ein. 

In den bereits erwähnten Publikationen habe ich noch 
einige Modifikationen dieses Verfahrens angegeben, die aber für 
die Fixation der roten Blutkörperchen belanglos sind, so die Art 
der Ausbreitung des Bluttropfens und den Zusatz von Eisessig 
zur Osmiumsäure. Ich glaubte besonders mit letzterem Mittel 
die Kerne der farblosen Blutelemente besser darstellen zu können; 
doch genügt auch die reine Osmiumsäure für gewöhnliche Zwecke 
und für genauere Untersuchungen der Leukocyten ist das später 
zu publizierende Verfahren vorzuziehen. An Stelle der Osmium- 
säure lässt sich auch Formol (unverdünnt!) gebrauchen. Die 
Osmiumsäure kann natürlich immer wieder verwendet werden, 
solange sie nicht zersetzt ist und noch kräftig riecht. 

Um nun eine Vorstellung davon zu geben, wie die roten 
Blutkörperchen in den nach meinem Verfahren angefertigten 
Präparaten aussehen, gebe ich in Fig. 1 eine ausserordentlich 
charakteristische Gruppe von Erythrocyten wieder; man erkennt 
die natürlichen Napfformen ohne weiteres Kommentar und ein 


Studien über das Blut. 395 


Vergleich mit den Formen, wie sie im frischen Präparat oder 
nach Verdünnung mit menschlichem Serum zur Beobachtung ge- 
langen (ef. Fig. 1 und 3 meiner Arbeit 1902), zeigt ihren aus- 
gezeichneten Erhaltungszustand. 

Diejenigen, die geneigt sind, die Napfform als ein Kunst- 
produkt oder eine Modifikation der normalen bikonkaven Scheiben- 
form aufzufassen, werden selbstverständlich auch zunächst den 
Verdacht hegen, dass es sich bei den nach meiner Methode 
darstellbaren Napfformen nicht um die Erhaltung der natürlichen 
Form, sondern um eine artifizielle Änderung der Scheibe handelt. 
Aus diesem Grunde möchte ich die Frage hier kurz erörtern, ob 
mein Verfahren diesen Einwand rechtfertigt. Nimmt man an, 
dass die Napfform nur eine künstlich alterierte Scheibe darstellt, 
so können nach dem, womit wir bei der Formveränderung der 
roten Blutkörperchen als absolut gesicherte Erkenntnis rechnen 
dürfen, nur zwei Momente in Betracht kommen, die imstande 
sind, die Scheibe in die Napfform überzuführen, das eine ist 
die Hitzewirkung, das andere die Quellung. Es ist schon längst 
bekannt (ef. mein Referat 1904), dass bei starker Erwärmung 
die roten Blutkörperchen aus der Scheiben- in die Kugelform 
übergehen und dabei durch die Napfform hindurchpassieren ; 
Albrecht (1904) hat darauf aufmerksam gemacht, dass meine 
ursprünglichen Befunde so erklärt werden könnten. Demgegenüber 
habe ich schon nachgewiesen, dass die Napfform ganz unabhängig 
von der Temperatur in jedem vorsichtig angefertigten, frischen 
Präparat zu sehen ist. Bei der Fixation mit Osmiumdämpfen 
kann natürlich von einer Hitzealteration gar keine Rede sein, da 
ja alle Manipulationen nur bei Zimmertemperatur vorgenommen 
werden. 

Das zweite Moment, die Quellung, ist von Jolly (1905 a) 
als Ursache des Auftretens der Napfform beschuldigt worden; 
meine Angaben, dass man die Napfformen am leichtesten zur An- 
schauung bringen könne, wenn man frisches Blut in 1°/oige Osmium- 
säure einlaufen lasse, konnte dieser Autor bestätigen, nur glaubt 
er, dass dieses Fixativ eine Quellung der ursprünglichen Scheiben- 
form verursache. Dass ich diese und andere Einwände, die Jolly 
gegen meine Anschauung erhoben hat, nicht als zutreffend aner- 
kennen kann, habe ich vor kurzem (1905c) näher ausgeführt 
und begnüge mich mit dem Hinweis auf den Inhalt dieses Artikels. 


396 Franz Weidenreich: 


Bei meinem Verfahren der Osmiumdampf-Fixation ist die 
Möglichkeit einer Quellung aus folgenden Gründen auszuschliessen : 
Die Napfform entsteht dann aus der Scheibenform, wenn der 
Blutkörperchen-Inhalt Wasser aus dem umgebenden Medium auf- 
nimmt, das ist aber dann der Fall, wenn der Salzgehalt des Blut- 
körperchens gegenüber diesem letzteren ein höherer wird; dass 
aber die blossen Osmiumdämpfe die Konzentration des Blutplasmas 
verringern oder die des Blutkörperchen-Inhaltes bei gleichzeitiger 
Indifferenz des Plasmas erhöhen, wäre ohne jedes Analogon und 
schon deswegen absolut unwahrscheinlich, weil für osmotische 
Vorgänge eine gewisse Zeit erforderlich ist, nach meinen besonders 
darauf gerichteten Untersuchungen aber nur eine 3—5 Sekunden 
lange Einwirkung der Dämpfe genügt, um die Form (nicht das 
Hämoglobin) der Erythrocyten zu fixieren. Aber angenommen 
die Osmiumdämpfe könnten tatsächlich durch Quellung Glocken 
hervorbringen, dann wäre es unmöglich, die bikonkaven Scheiben 
mit ihnen zu erhalten und zu fixieren, weil diese ja dann zu 
Näpfen aufquellen müssten; in Wirklichkeit gelingt es aber recht 
gut, Scheiben zur Darstellung zu bringen, wie ich weiter unten 
näher ausführen werde. Endlich lässt sich noch der zahlen- 
mässige Nachweis führen, dass es sich bei der Napfform der 
Osmiumdampf-Fixation um keine Quellung handelt. Misst man 
nämlich den Durchmesser der Napfform im natürlichen Serum 
und vergleicht ihn mit dem der fixierten, so ergibt sich, dass 
er hier um etwas geringer ist als dort (6,54 gegen 7,04); das 
gleiche lässt sich aber auch für die Scheiben konstatieren (natür- 
liches Serum: 7,52. — Osmiumdampf-Fixation: 7,04). Eher wäre 
man also berechtigt von einer geringen Schrumpfung statt von 
Quellung zu reden. Die Osmiumsäure gilt bekanntlich schon lange 
ganz allgemein als das Reagenz, das die Form der Zellen am 
getreuesten erhält; Kaiserling und Germer (1893), die ein- 
gehende Untersuchungen hierüber vorgenommen haben, kamen 
zu dem Ergebnis, dass die Lösungen der Osmiumsäure „neben 
geringfügigen Grössenveränderungen die Formen und Konturen 
mit grosser Schärfe erhalten“; was für die Lösung gilt, gilt 
natürlich in noch höherem Masse für die Dämpfe, da hier ja 
osmotische Einflüsse des Lösungswassers überhaupt nicht inbetracht 
kommen können. 

Aus all dem ergibt sich, dass die Form, die uns die 


Studien über das Blut. 397 


Osmiumdampf - Fixation liefert, das getreue Augenblicksbild 
darstellt, wie es gerade das frische Blutpräparat zeigt. Wir 
haben somit ein Mittel, passagere Formen, die als Veränderungen 
in dem sich selbst überlassenen Blute auftreten, dauernd festzu- 
halten und genauer zu studieren. Um solche Bilder zu bekommen, 
hat man nur nötig, den Tropfen auf einem Objektträger auszu- 
breiten, der nicht vorher den Osmiumdämpfen ausgesetzt war, 
und das Blut eine entsprechend lange Zeit sich selbst zu über- 
lassen. Will man z. B. ausgeprägte Geldrollen darstellen, so 
bringt man den Objektträger mit der ausgestrichenen Blutschicht, 
die dafür aber nicht zu dünn und auch nicht zu dick sein darf, 
sofort für ca. !/s Minute in eine feuchte. Kammer und setzt ihn 
dann rasch den Dämpfen aus. Ein derartiges Präparat gibt Fig. 2 
wieder; je nach der Zeit, die bis zur Fixation vergeht, gelingt 
es auf diese Weise auch reichlich bikonkave Scheiben und Maul- 
beerformen zu konservieren (in Fig. 2 ist diese letztere Form zu 
sehen). Beginnende Geldrollenbildung kann man schön in jedem 
Präparat beobachten, das nach der für die Darstellung der Napf- 
formen empfohlenen Methode angefertigt wurde. Wie Fig. 3 er- 
kennen lässt, legen sich die Näpfe mit besonderer Vorliebe zunächst 
wie aufeinandergesetzte Teller oder Schüsseln ineinander, wenn 
auch, wie ich schon früher (1902) am frischen Präparat konstatiert 
habe, manche Körperchen mit den Napfwölbungen aneinander 
haften; doch ist der erstgenannte Befund der ungleich häufigere. 
Ich möchte darauf noch besonders deshalb hinweisen, weil 
Heidenhain (1904) in seiner Fig. 3 die bikonkaven Scheiben 
als Ausgangsform für die Geldrollenbildung nimmt, für deren 
Entstehung er den Kapillardruck verantwortlich macht. Ich habe 
bereits früher (1905 a) gezeigt, dass ich eine Deutung des Geldrollen- 
phänomens in der von Heidenhain gewollten Richtung nicht 
akzeptieren kann; meine Fig. 3 lehrt zudem, dass die bikonkave 
Scheibe nicht als Ausgangsform bei der Geldrollenbildung ange- 
sprochen werden darf.!) 


') Zusatz während der Korrektur: „In allerletzter Zeit hat 
Retterer (C.r. Soc. Biol. T. 60, No. 22) die Behauptung aufgestellt, dass 
die eigentliche Form der Säugererythrocyten eine Kugel wäre, die nur den 
farbigen Bestandteil, das Hämoglobin, in Napf- oder Scheibenform enthalte, 
‚während eine farblose Masse in Wirklichkeit die Form zur Kugel vervoll- 
ständige. Diese Auffassung lässt sich, ganz abgesehen von anderem, nicht 


398 Franz Weidenreich: 


2. Die Erythrocyten der Tylopoden. 


Im Jahre 1838 machte Mandl der französischen Akademie 
die Mitteilung, dass nach seinen Befunden bei Dromedar und 
Alpaka die roten Blutkörperchen nicht kreisförmige, sondern 
elliptische Form wie die der Vögel, Reptilien und Fische hätten. 
Gulliver (1839) bestätigte zunächst Mandls Angaben auch 
für Auchenia pacos und A. lama; kurz darauf (1540—41) sagt 
er, dass die Kamelidenerythrocyten in ihrer Gestalt Ähnlichkeit 
mit denen niederer Wirbeltiere zeigten, während sie in Grösse 
und Struktur dem Säugertypus entsprächen; sie seien kleiner als 
die von Vögeln und Reptilien und besässen keinen Kern. Was die 
Grössenverhältnisse angeht, so beträgt nach demselben Autor 
(1842) für Camelus bactrianus die Länge !/s123 engl. Zoll (= 8,0 u), 
die Breite !/ssrse (= 4,25u) und die Dicke !ıszıo (= 1,65u); für 
Lama gibt er (1845) an: -Länge !/sssı (= 7,45«) und Breite 
Ugo9ı (= 4,04). Gullivers Schilderung erfuhr nun von Nasse 
(1842) folgende Darstellung: Kamel, Dromedar und Lama be- 
sässen keine runden, sondern längliche Blutkörperchen, sie hätten 
in der Mitte keine Vertiefung, sondern eine bauchförmige Hervor- 
ragung; es fände sich somit hier ein Übergang zu den unteren 
drei Klassen der Wirbeltiere. Nach Wharton-Jones (1846) 
sind bei Auchenia pacos die embryonalen Blutkörperchen kreis- 
förmig und gehen später in die ovale Form über; Wasserzusatz 
verändert die ovale in die runde Form. Ecker (1854) stellt 
die Kamelblutkörperchen in elliptischer Form, aber nur von der 
Fläche gesehen. dar; die Länge gibt er auf 8,7« an. Milne- 
Edwards (1857) fand beim erwachsenen Alpaka einige sehr 
hämoglobinarme kreisförmige Blutkörperchen und sah alle Über- 
gänge zwischen diesen und den elliptischen; doch blieb es fraglich, 
ob jene nicht alterierte Blutkörperchen sind. Welcker (1864) 
liefert keine Beschreibung der Form, sondern nur Maße; für 
Lama gibt er die Länge auf S«, die Breite auf 4« und Dicke 
auf 1,64 an, die Zahl der Blutkörperchen in cmm auf 13 890 000. 
Laut einer späteren Angabe Gullivers (1875) finden sich bei 


mit der Tatsache vereinbaren, dass bei der Geldrollenbildung das eine Blut- 
körperchen mit seiner Konvexität in die Höhlung des andern zu liegen 
kommt (cf. Fig. 3); das zeigt doch deutlich, dass in der Tat eine Höhlung 
vorhanden ist und diese nicht etwa, wie Retterer glaubt, durch eine farb- 
lose Masse nur vorgetäuscht wird.“ 


Studien über das Blut. 399 


Kamel gelegentlich auch halbrunde und kreisförmige Scheiben. 
Nach Hayem (1389) sind die Blutkörperchen von Camelus bactr. 
und Auchenia vicunna elliptisch und weniger stark bikonkav als 
die scheibenförmigen, denen sie sonst völlig gleichen; die Maße 
sind für Camelus baetr. im Mittel: Länge = 7,6, Breite = 4,5 u ; für 
Auchenia guanaco: Länge = 7,5, Breite 4,2 «im Mittel; ihre Zahl in 
Kubikzentimeter beträgt beijenem 10 930 000, bei diesem 13 156000. 
Dagegen betrachtet Howell (1891) die Blutkörperchen als bikonvex, 
wobei allerdings nicht recht ersichtlich ist, ob dieser Auffassung 
eigene Untersuchungen zugrunde liegen. Pappenheim- (1900) 
hatte, wie er beiläufig (Anmerkung S. 310) bemerkt, Gelegenheit, 
Blut eines toten Kamels zu untersuchen; er fand nur bikonvexe 
ovale Blutkörperchen, die kernhaltigen des Knochenmarks waren 
durchweg rund und hatten runde Kerne. 

In der vorstehenden Literaturübersicht habe ich eine Zu- 
sammenstellung aller Angaben über die Blutkörperchen der 
Tylopoden gegeben, soweit ich solche auffinden konnte und soweit 
sie auf eigener Untersuchung und nicht nur auf Übernahme der 
Angaben anderer Autoren zu beruhen scheinen. Darnach ergibt 
sich, dass die Form der Erythrocyten dieser Tiere von der der 
übrigen Säuger abweicht, und zwar herrscht Einstimmigkeit 
darin, dass sie von der Fläche gesehen keinen kreisförmigen, 
sondern einen elliptischen Umriss haben. Keine Klarheit besteht 
dagegen darin, welche Gestalt die Kantenansicht darbietet. Die 
ersten Untersucher haben sich in dieser Beziehung überhaupt nicht 
bestimmt ausgesprochen, eine Unterlassung, die, wie es scheint, 
in der Folge zu einer missverständlichen Auffassung geführt hat. 
Da nämlich Mandl und Gulliver die Tylopodenerythrocyten 
mit denen niederer Wirbeltiere (Vögel und Amphibien) ver- 
glichen, war man geneigt, wie aus Nasses Zitat direkt her- 
vorgeht, anzunehmen, dass diese Ähnlichkeit nicht nur für die 
Flächen- sondern auch für die Kantenansicht gelte, und be- 
zeichnete dementsprechend die Körperchen als bikonvex. Nur so 
ist es verständlich, dass Welcker später das Modell eines 
Lama-Erythrocyten bikonvex darstellen konnte, ohne dass in dem 
beschreibenden Texte (1572) auf diese Besonderheit hingewiesen 
wurde. Wie ich früher gezeigt habe (1902), hatte man vielfach 
in der Zeit, wo diese ersten Untersuchungen vorgenommen 
wurden, auch noch keine richtige Vorstellung von der eigent- 


400 Franz Weidenreich: 


lichen Form der Säugerblutkörperchen überhaupt, die erst später 
als bikonkav beschrieben wurden; von da an übertrug man dann 
auch die gleiche Vorstellung auf die Tylopodenerythrocyten. 
Hayem ist der einzige der älteren Autoren, der sich in dieser 
Hinsicht bestimmt äussert, und sie als bikonkav, allerdings 
weniger stark als die scheibenförmigen, bezeichnet. In der letzten 
Zeit haben sie nur Howell und Pappenheim direkt als 
bikonvex beschrieben. 

Bei dieser Sachlage schien es mir angezeigt, den Versuch 
zu machen, durch Nachprüfung die bestehende Unklarheit zu 
lösen, umsomehr als ich in meiner oben mitgeteilten Methode ein 
ausgezeichnetes Mittel in der Hand hatte, die Form im Dauer- 
präparat zu fixieren. Durch das gütige Entgegenkommen der 
Herren Prof. J. Kollmann, Dr. Fritz Sarasin und Direktor 
Hagemann in Basel, denen ich für ihre grosse Liebenswürdig- 
keit zu besonderem Danke verpflichtet bin, war ich in der Lage, 
die Untersuchung an Tieren des Zoologischen Gartens in Basel 
und zwar am Camelus bactrianus und Auchenia lama vor- 
zunehmen. 

Zunächst konnte ich feststellen, dass weder in der Form 
noch in der Grösse wesentliche Unterschiede zwischen den Blut- 
körperchen von Kamel und Lama zu erkennen sind. Wie Fie. 4, 
die eine Präparatstelle des Lamablutes wiedergibt. zeigt, sind 
die Erythrocyten tatsächlich elliptische Gebilde. Von der Fläche 
gesehen und bei seitlicher Beleuchtung betrachtet, erkennt man, 
dass die Mitte eine seichte Depression aufweist, gegen die der 
Rand schärfer hervortritt (linke Hälfte der Fıg. 4); bei direkt 
durchfallendem Licht wird. die mittlere Aushöhlung weniger 
deutlich sichtbar (rechte Hälfte). Die Beurteilung der Gestalt 
von der Kante gesehen wird dadurch erschwert, dass die 
Körperchen sich fast durchaus in der Flächenansicht einstellen: 
Kantenansichten sind recht selten, immerhin kommen sie an 
dicken Präparatstellen gelegentlich zur Beobachtung. Aus Fig. 4 
geht nun hervor, dass die Erythrocyten auf der einen Seite aus- 
gehöhlt und auf der anderen Seite vorgewölbt sind, sie sind also 
konvex-konkav und gleichen hierin den Körperchen der 
übrigen Säuger; doch unterscheiden sie sich von diesen durch 
den ausserordentlich geringen Grad der Auswölbung (ef. Fig. 4 
mit Fig. 1 und Hayems oben zitierte Angabe) und durch ihren 


Youä 


Studien über das Blut. 401 


bedeutend geringeren Dickendurchmesser. Sie machen demnach 
nicht den Eindruck von Glocken oder Näpfen, sondern von 
dünnen, leicht gebogenen elliptischen Plättchen. 
Diese Form erklärt auch, warum Kantenansichten so selten sind; 
die Körperchen fallen gewissermaßen auf die Fläche etwa wie 
Geldstücke, die man auf einen Tisch ausschüttet. So wird auch 
verständlich, dass die Neigung zur Geldrollenbildung eine 
geringere ist und die sich aneinanderlegenden Körperchen, wie 
Fig. 5 lehrt, ein ganz anderes Bild geben, als man es sonst 
gewöhnt ist; die Reihen stellen sich in Flächenansichten und 
nicht in Kantenansichten dar (cf. Fig.5 mit Fig. 2) und die 
Aufeinanderlagerung wird meist keine so vollständige. Wo dies 
aber doch der Fall ist — in Fig. 4 sind zwei derartige Körperchen 
abgebildet — schiebt sich die Konvexität des einen in die Kon- 
kavität des anderen. 

Aus dieser Darlegung geht also hervor, dass die Tylopoden- 
erythrocyten einen elliptischen Umriss besitzen, aber ebensowenig 
bikonkav wie bikonvex sind, sondern schwach, doch sehr deutlich 
konvex-konkav. 

Was die Grösse angeht, so stimmen meine Resultate für 
den Längen- und Breitendurchmesser im Ganzen mit denen von 
Gulliver, Welcker und Hayem überein. Ich habe für 
Kamel und Lama die Länge auf S « und die Breite auf 4 « im 
Mittel bestimmt. Dagegen schätze ich den Diekendurchmesser 
geringer als diese Autoren. Seine genaue Bestimmung wird, wie 
Fig. 4 verständlich machen dürfte, dadurch erschwert, dass man 
von der Kante her überhaupt nicht exakt die eigentliche Dicke 
messen kann; da die Körperchen nur wenig konkav-konvex sind, 
so ist man geneigt, die ganze sich darstellende Höhenausdehnung 
als Dicke zu nehmen, während korrekterweise die Tiefe der 
einseitigen Depression in Abzug zu bringen ist. Berücksichtigt 
man das, so lässt sich die Dicke auf etwa 1 « bestimmen. Die 
geringere Dicke gegenüber den Blutkörperchen der anderen 
Säuger erklärt wohl auch den schwächeren Hämoglobingehalt 
der Tylopodenblutkörperchen, der sich durch einen deutlich 
blässeren gelb-grünen Farbenton verrät, wie wir ihn sonst bei 
Säugern beobachten können. Nach einer alten Erfahrung steht 
damit die Tatsache im Einklang, dass das Blut der Tylopoden 
ausserordentlich viel reicher an farbigen Elementen ist als das 


402 Franz Weidenreich: 


von Tieren mit grösseren und hämoglobinreicheren Blutkörperchen ; 
ich habe zwar keine Zählungen vorgenommen, aber man kann diese 
Beobachtung auch ohne exakte Zählung an jedem Blutpräparat 
machen; die oben mitgeteilten Zahlen Hayems und Welckers 
bringen diesen Reichtum deutlich zum Ausdruck. 


3. Kernreste. 


Gelegentlich der Untersuchung leukämischen Blutes war 
mir aufgefallen, dass sich in den polychromatophilen Erythrocyten, 
d.h. in solchen, die eine stärkere Vorliebe für die basische 
Komponente der benutzten Farbgemische zeigen, fast konstant ein 
Gebilde fand, das beim ersten Anblick durchaus den Eindruck 
eines Zentralkörperchens mit Diplosomencharakter machte. Ich 
gebe in Fig. 6 eine Gruppe von Blutkörperchen aus einem der- 
artigen Präparate wieder, wobei ich bemerken möchte, dass 
dieses Präparat nach der oben erwähnten Methode zur Dar- 
stellung der Leukocyten angefertigt ist, bei der die farbigen Ele- 
mente leicht plattgedrückt werden und dadurch ihre Form verlieren; 
zur Färbung dient die Giemsasche Farblösung, die bei dieser 
Methode die polychromatophilen Elemente dunkelblaugrün und 
die normalen Blutkörperchen hellgrün tingiert. Wie die drei 
nebeneinanderliegenden, in derZeichnung etwas dunkler gehaltenen 
Blutkörperchen erkennen lassen, besteht jenes Gebilde aus einem 
helleren, mehr ovalen Hof, in dem zwei kleine, meist ungleich 
grosse Körnchen liegen, die sich dunkelblau färben. Die weitere 
Untersuchung ergab, dass sich das fragliche Gebilde nicht .nur 
in den polychromatophilen, sondern auch in den normal ortho- 
chromatisch gefärbten Erythrocyten, allerdings nicht in allen, 
aber immerhin reichlich genug, fand. Die Fig. 6 zeigt drei solcher 
Körperchen; der helle Hof wird hier meist vermisst. 

Anfänglich glaubte ich, es mit einem pathologischen Be- 
funde zu tun zu haben, und war daher nicht wenig überrascht, 
als ich die Anwesenheit solcher granulierter Körperchen auch im 
völlig gesunden Blut des erwachsenen Menschen feststellen konnte. 
Macht man ein Blutpräparat nach der Methode der Osmiumdampf- 
Fixation und färbt mindestens eine Stunde lang oder länger mit 
der Giemsaschen Lösung (auf 1 ccm destillierten Wassers 
ein Tropfen der Farbe), so nehmen die Blutkörperchen einen 
sehr hellen gelblichgrünen Ton an; in sehr vielen, gelegentlich 


Studien über das Blut. 403 


in den meisten von ihnen fällt ein dunkelviolettes, scharf kon- 
turiertes feinstes Körnchen auf, das sich stets in der äussersten 
Peripherie des Körperchens findet, wie man ohne weiteres kon- 
statieren kann, da die Erythrocyten ihre normale Napfform be- 
wahren. Fig. 7 gibt eine Gruppe von Blutkörperchen mit solchen 
Körnchen wieder. Die Körnchen sind nur mit Immersionssystem 
und starken Okularen (8 oder 12) gut zu erkennen. 

Was ihr allgemeiner Habitus angeht, so erscheinen sie ent- 
weder als Doppelkorn, ab und zu auch von einem helleren Hof 
umgeben (Fig. 7a, Fig. Sa), oder sie sind strichförmig oder 
es ist nur ein einfaches Körnchen vorhanden. Gelegentlich findet 
man noch seitlich von dem Doppelkorn ein weiteres Körnchen 
(Fig. 7a).. Die Grösse ist schwer genau zu bestimmen, ich be- 
rechne die Ausdehnung eines Körnchens auf etwa 0,2 «. 

Die Lage ist eine vollkommen periphere, sie finden sich 
meist hart am Rande, so dass man hie und da den Eindruck 
hat, das Blutkörperchen sei an dieser Stelle etwas vorgebuchtet. 
Doch ist ihr Vorkommen nicht etwa auf eine bestimmte Stelle 
des Napfes beschränkt, sie zeigen sich bald im Napfrand, 
bald an den konvexen Partien; nie dagegen sah ich die Körnchen, 
vorausgesetzt dass die Blutkörperchen ihre normale Form be- 
wahrt hatten und nicht plattgedrückt waren, in der Napfhöhlung. 

Inbetreff' der Anzahl der in einem Blutkörperchen vor- 
kommenden Gebilde ist bemerkenswert, dass sich fast ausschliess- 
lich nur ein einziges solcher Körnchen oder Doppelkörnchen findet; 
selten habe ich mehrere in dem gleichen Erythrocyten gesehen, 
ich gebe in Fig. Sb ein derartiges Blutkörperchen wieder. 

Soweit der Befund. Selbstverständlich ist nun zunächst 
die Frage zu beantworten, handelt es sich bei dem beschriebenen 
Gebilde um eine vorgebildete Strukturbesonderheit, oder nicht 
einfach um eine Ausfällung, einen Farbstoffniederschlag oder eine 
zufällige Auflagerung? Obwohl ich glaube, dass schon all das, 
was ich mitgeteilt habe und was meine Abbildungen zeigen, 
gegen die Artefactnatur spricht, möchte ich doch näher auf diese 
Frage eingehen. Zunächst habe ich allerdings hervorzuheben, 
dass es mir nicht geglückt ist, an frischen oder einfach fixierten 
und ungefärbten Körperchen das Gebilde zu sehen; doch darf 
dem bei der ausserordentlichen Kleinheit des Objektes keine Be- 
deutung beigelegt werden; wir wissen zudem, dass es anerkannte 


404 Franz Weidenreich: 


Strukturen gibt, die nur bei Färbung deutlich werden. Dass es 
sich um keine Ausfällung handelt, die bei roten Blutkörperchen 
leicht vorkommt, folgt aus der Behandlung der Blutkörperchen, 
die in der denkbar schonendsten Weise fixiert wurden, da sie 
nur mit den Osmiumdämpfen in Berührung kamen. Die Deutung 
als Farbstoffniederschläge ist deswegen unmöglich, weil sich fast 
ausschliesslich nur ein derartiges Gebilde.in einem Blutkörperchen 
findet und weil bei der angegebenen Fixierung und Färbung 
Niederschläge im Präparate überhaupt nicht vorkommen. Eine 
Auflagerung im Plasma befindlicher Gebilde kann das Körnchen 
nicht sein, da es deutlich innerhalb der Blutkörperchen liegt, oft 
dazu von einem hellen Hofe umgeben und meist als Doppel- 
körnchen auftritt. Gegen die Artefactnatur spricht ausserdem 
der Umstand, dass sich die Herkunft der Gebilde nachweisen 
lässt, wovon später. 

Es fragt sich nun, handelt es sich bei dem Gebilde um 
etwas Neues, bisher Unbekanntes, oder ist in der Literatur schon 
ähnliches beschrieben worden? Man ist geneigt, zunächst an 
die sogenannten basophilen Körnchen, die punktierten Erythro- 
ceyten Jollys und die endoglobulären Körperchen Schmauchs 
zu denken. Vorerst sei bemerkt, dass es damit wenigstens un- 
mittelbar nichts zu tun hat. Wohl aber sind gerade in diesem 
Jahre von zwei Seiten und völlig unabhängig von einander Dinge 
beschrieben worden, die mit den von mir gesehenen Körnchen 
identisch sein dürften. Grawitz und Grüneberg (1906) 
haben bei den Untersuchungen mit ultraviolettem Licht Gebilde 
in den Erythrocyten gesehen, die sie allerdings für Auflagerungen 
halten; sie sagen darüber (8. 6): „Gelegentliche punktförmige 
dunklere Flecke auf den Zellen sind unzweifelhaft als Auf- 
lagerungen anzusprechen, da sie in ganz gleicher Weise auch 
im umgebenden Medium des Plasmas frei angetroffen wurden 
und da an einzelnen Stellen deutlich ihr Anhaften an der Peri- 
pherie zu sehen ist.“ In Fig. 2 geben sie eine Abbildung. 
v.Schrötter (1906), der mit der gleichen Methode allerdings 
nicht am frischen Objekt, sondern am ungefärbten Trocken- 
präparat arbeitete, hat offenbar ähnliches gesehen. In den Ery- 
throcyten verschiedener Provenienz komme vereinzelt je ein 
kleines, dunkles, kreisrundes Gebilde zur Darstellung, das ent- 
weder scharf konturiert oder von einer schmalen hellen Zone 


u hi 


Studien über das Blut. 405 


umgeben sei; dasselbe wäre stets exzentrisch gelagert; es handle 
sich dabei immer nur um einen rundlichen Körper von gleicher 
Grösse und Lagerung. Den Durchmesser des Gebildes gibt der 
Autor auf '/ıs der Blutscheibe an, das wären also 0,5 «. Die 
Beobachtungen Schrötters stimmen nun fast genau mit meinen 
überein, nur die Grössenangaben differieren; der Grund hierfür 
dürfte wohl darin liegen, dass dieser Autor, der mit der gewöhn- 
lichen Trockenmethode arbeitete, mehr oder weniger platt- 
gedrückte Blutkörperchen vor sich hatte; meine Erfahrungen 
zeigen nämlich, dass in solchen Erythrocyten tatsächlich das Ge- 
bilde mehr Raum einnimmt, wie ein Vergleich meiner beiden 
Figuren 6 und 7 ergibt. Dass Schrötter den so auffälligen 
häufigen: Doppelcharakter anscheinend nicht gesehen hat, liegt 
vielleicht daran, dass im ultravioletten Licht die beiden Körnchen 
als ein Korn imponieren, das dann natürlich auch wieder einen 
grösseren Durchmesser aufweisen müsste. Grawitz und Grüne- 
berg liessen sich bei der Beurteilung des von ihnen Gesehenen 
durch die periphere Lagerung und das Vorkommen gleicher Ge- 
bilde im Plasma leiten; aber es fragt sich, ob die nur photo- 
graphischen Darstellungen, die man bei der Methode des ultra- 
violetten Lichts erhält, geeignet sind, um mit Sicherheit eine so 
subtile Unterscheidung zwischen blosser Auflagerung und peri- 
pherer Einlagerung treffen zu können. Meine Befunde sprechen 
mit Bestimmtheit für die intraglobuläre Lage der Körnchen. Auf 
das Vorkommen ähnlicher Gebilde im Plasma werde ich noch 
einzugehen haben. 

Die Frage nach dem Wesen und der Herkunft der Körnchen 
glaube ich gleichfalls befriedigend beantworten zu können. In 
neuester Zeit hat Jolly (1905 b) in dem Blut neugeborener 
Tiere rote Blutkörperchen beschrieben, deren Zentrum ein färb- 
bares Korn wechselnden Volumens aufweist, das sehr oft den 
sechsten, achten oder zehnten Teil des Durchmessers des Blut- 
körperchens erreicht. Dieses Korn ist einzeln vorhanden, von 
kugeliger Form, scheint von homogener Struktur zu sein und 
färbt sich leicht mit Kernfarbstoffen. Mit den sogenannten 
Nucleoiden oder den basophilen Granulationen hat das Gebilde 
nichts zu tun. Auch bei der erwachsenen Ratte treten solche 
punktierten Blutkörperchen nach ausgedehntem Aderlass auf 


(Jolly et Stini 1905). Jolly hält das Korn für einen Kern- 
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 69. an. 


406 Franz Weidenreich: 


rest; ohne sich mit absoluter Bestimmtheit zu äussern, diskutiert 
er die Wahrscheinlichkeit, dass der grössere Teil des pyknotisch 
gewordenen Kernes auf ein- oder zweimal ausgestossen wird, 
während der kleinere Teil, eben jenes Korn, zurückbleibt. Was 
aus diesem Korn schliesslich wird, das vermag Jolly nicht zu 
sagen. 

Die gleichen Beobachtungen, die Jolly mitteilt, sind nun 
schon früher von Howell (1390) gemacht worden. Bei Katzen, 
denen stark zur Ader gelassen worden war, enthielten die meisten 
Blutkörperchen 24 Stunden später ein einzelnes Stück Kern- 
substanz, grösser als eine gewöhnliche Granulation und von der Form 
eines grossen Kernkörperchens; mit Methylgrün war es färbbar; 
es lag peripher. Normale Katzen zeigten nichts davon. Howell 
deutet das Gebilde als ein Stück Kernrest, das noch eine Zeit 
nach der Ausstossung des übrigen Stückes zurückbleibt. 

Späterhin hat Schmauch (1899) gleichfalls bei Katzen, 
„endoglobuläre‘‘ Gebilde beschrieben, die von ihm auch als Kern- 
reste gedeutet werden. Er will sie bei normalen Tieren jeden 
Alters gesehen haben. Ihre Grösse und Form unterliegt grossen 
Schwankungen, sie werden als grünliche dunkle Körper bezeichnet, 
die eine deutliche Eigenbewegung und zwar eine äusserst lebhafte 
rotierende und eine viel langsamere Ortsbewegung innerhalb des 
Blutkörperchens erkennen lassen; besonders deutlich treten sie 
nach Färbung mit Methylviolett und vornehmlich auch in den 
Blutkörperchenschatten hervor; sie liegen häufig in der Nähe des 
Randes, oft aber auch ganz zentral. Über ähnliche Befunde be- 
richtet auch Bloch (1901). 

Ich selbst habe in dem II. Teil meines Referates über die 
roten Blutkörperchen (1905 b) Beobachtungen mitgeteilt (S. 426 
und 439 u. f.), die ich an Schnittpräparaten von Knochenmark 
und embryonaler Leber machen konnte. Ich fand in zahlreichen 
roten Blutkörperchen noch ein einzelnes kleines Chromatinkorn, 
über dessen schliessliches Schicksal ich nichts auszusagen ver- 
mochte; jedenfalls war es in den fertigen Erythrocyten des 
strömenden Blutes nicht mehr nachweisbar. 

Um mir womöglich am gleichen Objekt ein Urteil über die 
Befunde Schmauchs bilden zu können, habe ich das Blut neu- 
geborener und einige Tage alter Kätzchen zunächst nach meiner 
Methode der Osmiumdampf-Fixation untersucht und fand dabei 


Studien über das Blut. 407 


Folgendes: In vielen roten Blutkörperchen lässt sich ein in der 
Grösse wechselndes, stets aber rundes bezw. kugeliges und meist 
in der Einzahl vorhandenes Korn nachweisen (Fig. 9), das sich mit 
Kernfarbstoffen intensiv färbt, besonders schön dunkelviolett bei 
Anwendung der Giemsaschen Lösung in der oben angegebenen 
Zeit. Dieses Korn ist meist homogen und gleichmäßig gefärbt, 
gelegentlich ist das Zentrum etwas heller, wie auch schon Jolly 
hervorgehoben hat. Ich gehe also mit diesem Autor bis hierher 
völlig einig; dagegen habe ich, was die Lage des Kornes angeht, 
eine andere Ansicht gewonnen. Nach Jolly liegt das Korn im 
Zentrum des Körperehens und in der Tat kann es auch da an- 
scheinend gefunden werden; ich gebe in Fig. 10a ein solches 
Körperchen wieder; wie ich aber gleich hinzufügen möchte und 
wie auch aus der Abbildung hervorgeht, handelt es sich hierbei 
um ein Blutkörperchen, das ziemlich plattgedrückt ist. In allen 
den Erythrocyten nun, die ihre natürliche zentrale Depression 
bei dem Fixationsverfahren bewahrt haben, nimmt aber das Korn 
eine exquisit exzentrische Lage ein, die bei dem Verfahren der 
Osmiumdampf-Fixation, das viel schonender ist als das einfache 
Antrocknen und nachherige Fixieren durch Erhitzen, kein arti- 
fizielles sein kann. Stellen sich die betreffenden Blutkörperchen 
so ein, dass die Napföffnung genau nach oben sieht, so liegt 
das Korn stets an der höchsten Stelle des Randes (Fig. 9a, b. c,d, g); 
präsentieren sich die Körperchen mehr in der Profilansicht 
(Fig. 9 e, f), so erscheinen sie von dieser Stelle weggerückt und 
zwar mehr nach der konvexen Seite hin. Man hat danach durch- 
aus den Eindruck, dass das Korn keine festfixierte Lage hat, 
sondern sich im Blutkörperchen-Innern frei bewegen kann und 
sich dabei stets in der jeweils höchsten d.h. obersten Stelle des 
Körperchens, gleichgültig welche Lage dieses gerade einnimmt, 
einstellt. Das ist auch der Grund, warum es bei der wohl- 
erhaltenen Napfform nicht im Zentrum der Depression, d.i. der 
tiefsten Stelle der gerade nach oben gekehrten Blutkörperchen- 
fläche, gefunden wird. Damit stimmt die Beobachtung, die ich 
wiederholt machen konnte, dass bei solchen Erythrocyten, die 
gerade die Napföffnung nach unten kehren und die Wölbung 
nach oben, was bei Anwendung der Mikrometerschraube leicht 
zu konstatieren ist, das Korn an der höchsten bezw. obersten 


Stelle der Kugel (Fig. 9 h) sichtbar ist und dadurch den Anschein 
Pe 


408 Franz Weidenreich: 


erweckt, als läge es im Zentrum. All das lässt sich nur an 
solchen Blutkörperchen feststellen, die nicht nach der gewöhn- 
lichen Trockenmethode gewonnen sind, da dieses Verfahren nur 
mehr oder weniger plattgepresste, in ihrer natürlichen Form 
alterierte Elemente bietet (Fig. 10). Meine Beobachtungen am 
frischen Objekt bestätigten diese Vorstellung von der Lage des 
Korns; das Gebilde, das als dunklerer Fleck erscheint, liegt 
durchaus peripher und an der jeweils höchsten Stelle; auch 
glaubte ich mich von der langsamen Ortsveränderung, wie sie 
Schmauch angıbt, überzeugen zu können, jedoch nur bei 
gleichzeitiger Lageveränderung des Blutkörperchens. Ich komme 
also hinsichtlich der Lage zu demselben Resultate wie Howell, 
mit dessen Fig. 4 auf Taf. IV meine Abbildungen sehr schön 
übereinstimmen. 

Alle diese Feststellungen "weisen auf die Kernnatur des 
Gebildes hin: dazu passt, dass man in Schnittpräparaten, wie 
embryonaler Leber und Knochenmark, solche einfach punktierte 
Blutkörperchen mit allen Übergängen zu zweifellos kernhaltigen 
antrifft: damit stimmt ferner überein, dass man, wenn auch seltener, 
im strömenden Blut junger Kätzchen deutlich kernhaltige Elemente 
mit fragmentierten Kernen findet (Fig. 9 1). 

Wie entsteht nun dieses Chromatinkorn und was wird aus 
ihm? In meinem bereits zitierten Referate habe ich nachge- 
wiesen, dass nach den übereinstimmenden Befunden zahlreicher 
Untersucher und nach meinen eigenen Ergebnissen der Kern der 
Erythroblasten einer fortschreitenden Fragmentierung bei gleich- 
zeitiger Homogenisierung seiner Struktur unterworfen ist, wobei 
möglicherweise auch direkte Teilungen der Blutkörperchen statt- 
finden. Während die grösseren Fragmentstücke ausgestossen 
werden, bleiben kleinere Absprossungen und zwar meist ein 
einziges Ohromatinkorn in den Blutkörperchen zurück, das dann 
unter den von Howell, Schmauch und Jolly beschriebenen 
Bildern erscheint. Ich habe in Fig. 11 eine Auswahl von roten 
Blutkörperchen wiedergegeben, die aus der Leber eines ca. 3'/a 
Monate alten menschlichen Embryos stammen; der lebend aus- 
gestossene Embryo gelangte zur Untersuchung, als er gerade 
aufgehört hatte, Lebenszeichen zu geben; das Leberblut wurde 
auf dem Objektträger ausgestrichen und mit Osmiumdämpfen 
fixiert; gefärbt habe ich mit Unnaschem Hämatein und Eosin. 


Studien über das Blut. 409 


Bei einem derartigen Ausstreichen lässt sich ein sofortiges Fest- 
haften und Plattdrücken der Blutkörperchen oft nicht vermeiden: 
daher kommt es, dass die in der Fig. 11 wiedergegebenen 
Elemente ihre natürliche Form eingebüsst haben — für die uns 
hier beschäftigende Frage ein nebensächlicher Umstand. In 
a sieht man wie ein kleiner Spross vom Kern sich eben ab- 
schnürt, in b ist derselbe selbständig geworden und seine 
Struktur verwischter, in c zeigt er eine Aufhellung seines 
Zentrums; d gibt einen „punktierten“ Erythrocyten wieder mit 
noch dichtem Chromatinkorn, in e und auch f erscheint das Korn 
heller und homogener. Darauf aufmerksam machen möchte ich, 
dass das Hämatoxylin das Korn lange, nicht so intensiv färbt, 
wie die Giemsasche Lösung. In den drei zuletzt bezeichneten 
Blutkörperchen ist das grosse Kernfragment bereits ausgestossen.') 
Ich glaube also, dass ein Vergleich des morphologischen Bildes 
zwischen den „punktierten“* ‘Erythrocyten und den typischen 
kernhaltigen zusammen mit der Tatsache, dass jenes Korn sich 
leicht mit jedem Kernfarbstoff tingieren lässt, für seine sichere 
Kernnatur spricht; dazu kommt die exzentrische Lagerung, die 
schon längst von vielen Autoren als ein Charakteristikum 
homogenisierter Kerne erkannt wurde (cf. mein Referat 1905). 

Das Schicksal des Chromatinkorns kann gleichfalls aus dem 
Blute der embryonalen Leber erkannt werden. Die Fragmentierung 
erstreckt sich auch auf dieses Korn; Fig. 11g zeigt es hantel- 
förmig eingeschnürt, bei h und i ist die Zerschnürung durch- 
geführt und von da zu k, I, m ist der Übergang ohne weiteres 
gegeben. Diese letzteren Körnchen stimmen nun aber wieder 
morphologisch und färberisch mit denen überein, die ich in den 
Blutkörperchen des erwachsenen Menschen sowohl im gesunden 
(Fig. 7 u. 8) wie im leukämisch veränderten Blut (Fig. 6) ge- 
funden habe. Danach unterliegt also das Chromatinkorn der 
„punktierten“ Erythrocyten einer fortschreitenden Zerschnürung 
bis zuletzt nur ein feinstes Körnchen oder Doppelkörnchen übrig 
bleibt. In diesem Stadium gelangen die Erythrocyten in das 
strömende Blut, wo sich bei sehr vielen dieser letzte winzige 


!) Da es mir in dieser Abhandlung nicht darum zu tun ist, bild- 
liche Belege für die fortschreitende Fragmentierung und Ausstossung des Kerns 
zu geben, habe ich mich mit diesen Figuren beschränkt; bei anderer Gelegen- 
heit werde ich das aber nachholen. 


410 Franz Weidenreich: 


Rest noch eine Zeitlang erhält, bis er schliesslich gleichfalls 
schwindet. 

Es bleiben nun noch eine Reihe von Besonderheiten zu be- 
sprechen. In Fig. 11 erkennt man in f und i nicht ein 
Chromatinkorn, bezw. Doppelkorn, sondern noch mehrere feinste 
Kernpünktchen. Das erinnert an Fig. Sb und das oben gesagte, 
wonach auch in den Blutkörperchen des strömenden Blutes des 
Erwachsenen, wenn auch selten, mehrere solcher feinster 
Körnchen vorkommen. Wie sie zu erklären sind, erhellt aus 
dem Fragmentierungsmodus des Kernes; oft findet sich nämlich 
nicht nur ein kleiner Spross,. sondern manchmal auch zwei und 
noch sehr viel seltener mehr Sprosse, die dann ihrerseits jeder 
für sich nach Ausstossung des grossen Kernstückes der weiteren 
Zerkleinerung verfallen. In Fig. 9 habe ich in k vom Kätzchen 
ein Blutkörperchen wiedergegeben, in dem zwei getrennte kleine 
Chromatinkörner liegen, die wohl aus einer solchen Zerschnürung 
eines grossen (wie in a, f oder g) hervorgegangen sein dürften. 
Aufmerksam machen möchte ich noch auf Fig. Iln; hier hat es 
den Anschein, als wenn das fragliche Doppelkorn ein Zentral- 
körperchen, bezw. Diplosom, wäre; allein ich glaube, dass diese 
Deutung nicht zutreffend ist, weil das Doppelkorn mit Hämatein 
gefärbt ist und in den Leukocyten des gleichen Präparates keine 
Zentralkörperchen dargestellt sind, es dürfte hier die Zer- 
schnürung bereits bei noch erhaltenem übrigen Kern erfolgt sein. 

Aus den mitgeteilten Befunden folgt also, dass das in sehr 
vielen roten Blutkörperchen des Menschen nachweisbare Körnchen 
der letzte Rest des Zellkernes darstellt. Dieser Kern unterliegt 
nämlich einer fortschreitenden Fragmentierung und wird dadurch 
kleiner, die Kernfragmente werden ausgestossen. Wenn die 
Blutkörperchen aus dem Knochenmark in die Zirkulation gelangen, 
ist dieser Prozess bereits zum Abschluss gelangt; nur die aller- 
letzten und kleinsten Fragmentstücke lassen sich noch als 
winzige Chromatinkörnchen (meist nur eins oder zwei in jedem 
Blutkörperchen) nachweisen. Ich bezeichne diese Gebilde von 
jetzt an als Chromatinstäubchen. 

Es wird vielleicht nun mancher Leser, der in der Literatur 
weniger bewandert ist, auf den Gedanken kommen, dass ich 
hier gar nichts neues beschrieben habe, da ja Kernreste, Innen- 
körper oder Nukleoide, alles also Gebilde, die auf den Kern 


Studien über das Blut. 411 


zurückzuführen seien, schon längst von den verschiedensten 
Autoren in den zirkulierenden Blutkörperchen nachgewiesen wären. 
Aus meiner Schilderung geht aber hervor, dass das Chromatin- 
stäubchen mit diesen Bildungen keineswegs identisch ist; die 
Nukleoide oder Innenkörper werden von den Forschern, die an 
ihr Vorhandensein glauben, als zentrale, verhältnismässig grosse 
Gebilde beschrieben, die die Hälfte oder ein Drittel der Erythrocyten 
ausfüllen und nur bei besonderer Behandlung oder Färbung zur 
Darstellung gebracht werden können. Ich habe schon in meiner 
ersten Publikation über die roten Blutkörperchen (1901) und 
dann im ersten Teil meines Referates (1904) nachgewiesen, dass 
es sich bei diesen Nukleoiden um Missdeutungen handelt, die 
das optische und färberische Verhalten der zentralen Depression 
betreffen. Die Kernreste, die z. B. Petrone beschreibt, sind da- 
gegen Ausfällungen des Hämoglobins und mit den alten sogenannten 
Robertsschen Körperchen vergleichbar; hierher gehört auch 
sicher ein Teil der von Schmauch beschriebenen endoglobulären 
Körperchen. Von allen diesen Dingen unterscheiden sich die 
COhromatinstäubchen erstens durch ihre ausserordentliche Klein- 
heit, zweitens durch ihre ausgesprochen exzentrische Lagerung, 
drittens durch ihre leichte Darstellbarkeit am einfachen dampf- 
fixierten Präparat mit Hilfe der üblichen Kernfarbstoffe, besonders 
der Giemsaschen Lösung, und viertens endlich durch ihren Nach- 
weis mit Hilfe des ultravioletten Lichtverfahrens, das gerade, wie 
besonders Grawitz und Grüneberg betonen, das Fehlen eines 
Innenkörpers oder Nukleoides bestätigt hat. 

Der Nachweis der Chromatinstäubchen in den Erythroeyten 
des zirkulierenden Blutes und die Möglichkeit ihrer Ableitung 
aus kleinen punktförmigen Kernresten („punktierte Erythrocyten“ 
Jollys), die sich noch als letztes Residuum der kernhaltigen 
Elemente im Blut neugeborener Tiere finden, spricht aber auch 
zugunsten der Ausstossungstheorie des Kernes und gegen die 
Auflösung desselben im Innern. Ich habe in meinem schon öfters 
zitierten Referate auseinandergesetzt, dass alle die Autoren, welche 
sich zu der letzteren Ansicht bekennen, zuletzt noch ein grosses 
Kernstück nachweisen konnten, das dann seine Farbenaffinität 
verliere und so nicht mehr darstellbar sei; daraus wurde 
dann auf die Auflösung geschlossen. Demgegenüber habe ich 
betont, dass man an gut fixierten Präparaten stets eine fort- 


412 Franz Weidenreich: 


dauernde Fragmentation des Kernes mit gleichzeitiger Homo- 
genisierung des Inhaltes feststellen könne; während die grösseren 
Fragmente der Reihe nach die Zelle verlassen, bleibt zuletzt 
noch ein kleines Bruchstück übrig, dessen Endschicksal ich damals 
aber nicht bestimmen konnte; ich liess es daher in suspenso, ob 
es gleichfalls schliesslich das Blutkörperchen verlässt, oder der 
Auflösung anheimfällt.e Die vorliegende Mitteilung bringt nun 
auch darüber Klarheit; die durchaus exzentrische Lagerung weist 
schon auf die Tendenz zum Austritt hin: vor allem unterliegt 
es aber noch einer weiteren Fragmentierung bis zu dem Stadium 
der Chromatinstäubehen, die gleichfalls stets in der äussersten 
Peripherie sich finden. Ich glaube nun, dass auch diese Stäub- 
chen die Zelle verlassen, zunächst trifft man sie schon in sehr 
vielen Blutkörperchen überhaupt nicht mehr, dann aber sieht 
man ganz ähnliche Gebilde frei im Plasma. Untersucht man 
ein eben angefertigtes frisches Blutpräparat, so fallen feinste 
Körperchen auf, die bald zahlreicher, bald nur spärlich vorhanden 
sind; diese Körnchen unterscheiden sich von den Blutplättchen 
erstens durch ihre Kleinheit, zweitens dadurch, dass sie im 
Plasma liegen bleiben und nicht am Glase festbaften, und drittens 
durch ihre lebhafte Molekularbewegung. Es sind das dieselben 
Elemente, die H. F. Müller (1896) als Hämokonien bezeichnet 
hat. Mir scheint es nun, als wenn ein grosser Teil dieser Blut- 
stäubchen mit den ausgestossenen Chromatinstäubehen zu iden- 
tifizieren wäre, und zwar deswegen, weil nicht nur die Grössen- 
verhältnisse die gleichen sind, sondern weil auch in den mit 
Osmiumdampf fixierten und mit Giemsascher Lösung gefärbten 
Präparaten diese Hämokonien in dem gleichen roten Farbenton 
darstellbar sind, und weil jene Stäubehen, wie H. F. Müller 
zeigte, gegen Essigsäure sich resistent erweisen. Vielleicht liesse 
sich in diesem Sinne auch die Beobachtung von Grawitz und 
Grüneberg (l. ec.) verwerten, die bei ultraviolettem Lichtver- 
fahren feinste dunkle Körnchen im Plasma fanden, was diese 
Autoren gerade veranlasste, die peripheren Körnchen in den 
Blutkörperchen für Auflagerungen solcher Plasmabestandteile zu 
halten: die Tatsache, dass diese Plasmakörnchen für ultraviolettes 
Lieht undurchlässig sind, spräche ohnedies zugunsten ihrer 
Chromatinnatur. Ob alle Hämokonien auf die Chromatinstäubchen 
zurückführbar sind, ist schwer zu sagen; auch ist bei der Fein- 


“ Studien über das Blut. 413 


heit der in Betracht kommenden Gebilde leider eine exakte 
Prüfung des mikro-chemischen Verhaltens schwer möglich, so 
dass ich mich auf das Gesagte beschränken muss. 

Es wäre nun noch auf einen Punkt zurückzukommen. Ich 
habe gezeigt. dass Kernbestandteile noch bis zur letztmöglichen 
Fragmentierung in feinste Stäubchen als morphologisch und tink- 
toriell wohlumschriebene Gebilde in den Erythrocyten nachweisbar 
bleiben. Das berechtigt aber auch zu dem Schlusse, dass andere 
Bildungen von fraglicher Natur, die in den gleichen Zellen viel- 
fach beschrieben werden, nicht aus dem Kern ableitbar sind und 
vor allem nicht aus den chromatischen Elementen desselben. Ich 
habe dabei zunächst die sogenannten Nukleoide und Innenkörper 
im Auge; diese Gebilde treten nur bei besonderer Vorbehandlung 
oder Farbenkombination hervor, und der Nachweis, dass sie 
wirklich dem aufgelösten Kern entstammen, wurde bisher nicht 
auf vergleichend -morphologische Weise geführt, sondern ihre 
Zusammengehörigkeit nur aus den Farbenbildern erschlossen. 
In meinem Referate habe ich auseinandergesetzt, dass dieses 
Verfahren sehr trügerisch ist; hier zeigt sich nun, dass die 
wirklichen, in den Zellen des strömenden Blutes noch eine Zeit- 
lang verbleibenden Kernfragmente sowohl ihrer Lage wie ihrem 
morphologischen und färberischen Charakter nach etwas durchaus 
anderes sind als die bisher als solche Kernreste gedeuteten und 
Nukleoide oder Innenkörper genannten Bilder. Dass ausser den 
Chromatinstäubchen keine Kernreste (ebensowenig wie sonst eine 
Struktur) in den Erythrocyten vorhanden sind, haben zudem die 
Untersuchungen von Grawitz und Grüneberg (l. ec.) und 
v. Schrötters (l.c.) bestätigt. Da also in den zirkulierenden 
roten Blutkörperchen derartige Gebilde fehlen, können natürlich 
auch die Blutplättchen nicht solche ausgeschlüpfte Nukleoide 
sein; wie ich in einem augenblicklich im Drucke befindlichen 
Aufsatze (1906 b) eingehend ausführte, bekenne auch ich mich 
zu der Ansicht, dass die Blutplättchen Abkömmlinge der Erythro- 
cyten sind, aber die Ableitung ist auf einem anderen Wege, den 
ich gleichfalls dort gezeigt habe, zu suchen. Die als Kerne der 
Plättehen angesprochene Masse findet sich nämlich durchaus nicht 
in den gewöhnlichen Blutkörperchen vorgebildet, sondern ent- 
steht offenbar erst während der Metamorphose, die das Blut- 
körperchen oder seine Teile bei der Plättchenwerdung erleidet, 


414 Franz Weidenreich: 


und ist überhaupt nicht als intakter oder umgewandelter Kern 
aufzufassen. Dass die Chromatinstäubehen nicht etwa zu Blut- 
plättchen werden können, oder dass wenigstens der körnige 
Innenkörper der Plättchen nicht diesen Stäubchen entsprechen 
kann, folgt ohne weiteres aus den Grössendifferenzen; die 
Chromatinstäubehen sind um ein vielfaches kleiner als die 
Körnchenmasse auch der kleinsten Plättchen; ein einzelnes 
Granulum dieser Masse kommt schon an Grösse einem Chromatin- 
stäubchen gleich. 

So zeigt sich, dass die Feststellung dieser Gebilde in den 
Erythrocyten des zirkulierenden Blutes auch neues Material für 
die Beurteilung der Nukleoide und Blutplättchenfrage zu liefern 
imstande ist. 


IV. Basophile Körnelung. 


Zu denjenigen Gebilden, deren Natur noch eine lebhaft 
umstrittene Frage ist, gehören eigentümliche Körnchen, die unter 
pathologischen Verhältnissen in den Erythrocyten des mensch- 
lichen Blutes auftreten, aber auch experimentell, besonders nach 
Einwirkung gewisser Gifte, in den Blutkörperchen der meisten 
Säugetiere zu erzeugen sind. Diese Körnchen sind in Blut- 
trockenpräparaten nachweisbar und lassen sich mit basischen 
Farbstoffen (Hämatoxylin, Methylenblau) färben; sie erscheinen 
unter dem Bilde feinster Stäubehen und erfüllen den Zelleib in 
grösserer oder geringerer Menge. 

Die Kontroverse betrifft hauptsächlich die Herkunft der 
Körnchen; während die einen sie für Degenerationsprodukte des 
kernlosen Erythrocytenleibes halten, sehen andere in ihnen die 
letzten Reste des Kernes. Für die Kliniker ist diese Frage von 
einiger Bedeutung geworden und zwar deswegen, weil das Auf- 
treten der Körnchen in prognostischer Hinsicht Verwertung fand, 
die je nach der Beurteilung ihrer Genese verschieden ausfiel. 

Wenn ich mich nun im Folgenden mit dieser Körnelung 
der Erythrocyten beschäftige, so geschieht das ausschliesslich vom 
morphologischen Standpunkte aus. Ob sie als Plasmadegeneration 
oder als Kernresiduum aufzufassen ist, ist eben eine rein morpho- 
logische Frage und klinische Erfahrungen spielen meines 
Erachtens dabei eine durchaus sekundäre Rolle. Aus diesem 
Grunde ist es also nicht angängig, aus dem Auftreten der 


Studien über das Blut. 415 


Körnelung bei gleichzeitiger Besserung der Erkrankung 
auf eine Blutregeneration und in weiterer Folgerung auf Kern- 
abstammung zu schliessen und umgekehrt bei gleichzeitiger 
Verschlimmerung auf Blutzerfall, demgemäss auf Degeneration. 
Mich leitet bei dieser ablehnenden Stellung gegenüber den 
klinischen Tatsachen die Überlegung, dass das klinische Bild 
allzu leicht zu Trugschlüssen veranlassen kann, wie ich im Folgenden 
zeigen will. Weil die fragliche Körnelung gerade bei Besserung 
der Krankheit, z. B. der Bleivergiftung, auftritt und weil siein den 
schweren Phasen fehlt, können die Körnchen nicht der Ausdruck 
einer Plasmadegenration sein, so schlossen viele Kliniker, und 
noch in der allerletzten Zeit haben sich Meyer und Sperino 
(1906) in diesem Sinn geäussert. Dabei übersehen alle, die so 
denken, doch offensichtlich die Tatsache, dass der Zerfall roter 
Blutkörperchen ein physiologischer und tagtäglich notwendiger 
ist; wir wissen, dass allein zur Bereitung des Gallenfarbstoffes 
immerwährend grosse Mengen von Erythrocyten aus der Zirku- 
lation ausgeschaltet werden, und wir können sogar durch ver- 
hältnismässig einfache Rechnung feststellen, dass etwa innerhalb 
vier Wochen sämtliche farbige Blutkörperchen durch neue ersetzt 
werden. Unter den Erythrocyten des zirkulierenden Blutes findet 
sich also schon bei normalen Verhältnissen stets eine sehr be- 
trächtliche Zahl dem Untergang geweihter Elemente; welche das 
sind, das entzieht sich bis jetzt völlig unserer Kenntnis und zwar 
deswegen, weil ihre physiologische Abnutzung keinen deutlichen 
morphologischen oder tinktoriellen Ausdruck findet. Wäre es 
denn nun aber nicht möglich, dass unter pathologischen Ver- 
hältnissen d. h. unter dem Einfluss einer besonderen Giftwirkung, 
die sonst nicht erkennbaren, dem physiologischen und darum 
natürlich auch in den Zeiten der Besserung stattfindenden Zer- 
fall preisgegebenen Erythrocyten gewissermaßen gezeichnet werden, 
also gekörnelt erscheinen? In Wahrheit wissen wir ja über die 
besondere Art der Giftwirkung auf die Blutzellen so gut wie 
nichts; wir wissen also nicht, ob das Gift nur auf physiologisch 
vollwertige oder abgenutzte oder auf beide Sorten einwirkt; 
wir wissen nicht, ob es dauernd oder nur zeitweise einen Ein- 
fluss auszuüben vermag; kurz wir sind in all diesen Fragen nur 
auf Spekulation und Vermutungen angewiesen, und da ist die 
Folgerung, dass die Körnelung nur eine ganz besondere Stig- 


416 Franz Weidenreich: 


matisierung der physiologisch dem Untergang geweihten Elemente 
ist, mindestens ebenso berechtigt wie die, dass sie als ein Zeichen 
neu in die Zirkulation gelangter Elemente zu deuten sei. Ab- 
solut beweisend sind demnach die klinischen Beobachtungen in 
keinem Falle, und darum kann nur auf rein morphologischem 
Wege die Frage entschieden werden; ich werde daher literarische 
Angaben nur insoweit berücksichtigen, als sie morphologisch ver- 
wertbare Tatsachen enthalten; wer sich auch für die übrige 
Literatur interessiert, der sei auf die ausgezeichneten Zusammen- 
stellungen Lutoslawskis (1904) und Pols (1905) verwiesen! 

Die basophile Körnelung, die, wie ich bereits in dem ersten 
Teil meines Referates 1904) erwähnte, zuerst von S. Askanazy 
und Ehrlich gesehen worden war, tritt bei allgemein anämischen 
Zuständen in den Erythrocyten des menschlichen Blutes auf, mit 
besonderer Vorliebe aber bei Bleivergiftung. Ausser bei diesen 
Gifte zeigt sie sich aber auch noch bei einer Reihe von anderen 
Giften (ef. die Zusammenstellung Pols), die Tieren, besonders 
Kaninchen, Meerschweinchen und Mäusen eingeführt wurden, oder 
bei sonstigen schädlichen Einwirkungen (Aderlass, Ueberhitzen). 

Darnach hätte man es eigentlich mit Bildungen zu tun, die 
ausgesprochen pathologischer Natur sind. Nun finden sich aber 
schon in der Literatur vereinzelt Angaben, die hervorheben, dass 
die Körnelung auch manchmal in solchen Fällen beobachtet 
wurde, wo keine nachweisliche Schädigung eingewirkt hatte. 
Rosin und Bibergeil geben (1904) an, dass auch bei ge- 
sunden Menschen ab und zu gekörnte Erythrocyten angetroffen 
werden; vor allem aber haben Bloch (1899) und Löwenthal 
(1902) bei Meerschweinchen ihr gelegentliches Vorkommen bei 
anscheinend gesunden Tieren festgestellt. Bloch berichtet, dass 
er einmal im Blute eines gesunden Meerschweinchens basophile 
(ranulationen fand, bei 20 anderen dagegen nicht, während 
Löwenthal ihre Anwesenheit bei der gleichen Tierart unter 
acht Fällen siebenmal feststellen konnte; es handelte sich dabei 
um zum Teil frisch gekaufte, zum Teil um länger im Keller ge- 
haltene Exemplare. Trotz dieses Befundes glaubt der letzt- 
genannte Autor nicht an ein physiologisches Vorkommen, weil 
die Tiere zeitweise körnchenfrei waren und ausser Bloch niemand 
der Tatsache Erwähnung getan habe Löwenthal hielt die 
Tiere zur Entscheidung der Frage im Freien und will bei solchen 


Studien über das Blut. 417 


Exemplaren weniger gekörnte Elemente gefunden haben als bei 
den im Keller lebenden; Kälte und Nässe begünstigen seiner 
Ansicht nach das Auftreten der Körnchen. 

(Gelegentlich der Untersuchung zirkulierenden Meer- 
schweinchenblutes war mir der ausserordentliche Reichtum an 
gekörnten Erythrocyten aufgefallen; das Tier war völlig gesund 
und stammte aus der Zucht des anatomischen Institutes. Ich 
habe darnach eine Reihe weiterer Tiere untersucht, junge und 
alte, darunter auch ein trächtiges, stets aber konnte ich den 
gleichen Befund erheben. Die Tiere werden bei uns nicht im 
Keller, sondern in einem eigenen, gut gelüfteten und 'einge- 
richteten Stallbau gehalten; die untersuchten Tiere waren völlig 
gesund und kräftig, so dass ich nicht einsehen kann, warum die 
gekörnten Erythrocyten nicht einen normal-physiologischen Be- 
fund des Meerschweinchenblutes darstellen sollen. Dass, wie 
Löwenthal angibt, körnchenfreie Zeiten vorkommen, ist durch- 
aus kein Gegenbeweis; die Menstruation findet bekanntlich auch 
nur alle vier Wochen statt, ohne dadurch ihren physiologischen 
Charakter zu verlieren, und vorerst wissen wir ja über die 
Gründe des Auftretens und Verschwindens der gekörnten Ele- 
mente im Meerschweinchenblut gar nichts Bestimmtes. Der Um- 
stand, dass anderen Untersuchern der Körnchengehalt nicht auf- 
fiel, dürfte wohl darin seinen Grund haben, dass vielfach das 
Blut normaler Tiere nicht untersucht wurde, weil man von vorne 
herein die Körnchen für ein pathologisches Produkt hielt: aber 
dass gerade die Meerschweinchen für die Vergiftungsversuche 
bevorzugt wurden, zeigt, dass die Körnchen sehr leicht bei diesen 
Tieren nachweisbar waren, nötigt aber nunmehr auch dazu, die 
an dieser Tierart gewonnenen Resultate mit Vorsicht aufzunehmen 
oder lieber überhaupt nicht zu verwerten, da man ja nicht weiss. 
ob die gefundene Körnelung in diesen Fällen pathologischer 
Natur war. 

Macht man von dem Blute eines Meerschweinchens (Ein- 
stich in das Ohr) ein Präparat nach der oben mitgeteilten Methode 
der Osmiumdampf-Fixation und färbt mit der Giemsaschen 
Lösung, so dokumentiert sich die sogenannte basophile Körnelung 
der Erythrocyten durch die mehr oder weniger reichliche An- 
wesenheit blauer feinster Flecke, die sich von dem hellen, gelb- 
grünen Grunde des Zellleibes scharf abheben. Die Grösse dieser 


418 Franz Weidenreich: 


blauen Körnchen ist keine konstante, sie treten bald unter dem 
Bilde feinster Stäubchen auf (Fig. 12a), bald erscheinen sie als 
grobe Bröckel oder Körnchen (Fig. 12b), gröbere und feinere 
können in der gleichen Zelle vorkommen. Auch die Form der 
Granula ist keine bestimmte, neben abgerundeten trifft man viel- 
fach eckige oder kurze oder längere stäbchenförmige Gebilde (b). 
Ganz ausserordentlich variiert die Zahl der Körnchen; während 
viele Blutkörperchen nur wenige (c, d), oft nur drei oder vier, 
aufweisen, finden sich auch solche Erythrocyten in grosser Zahl, 
die vollgepfropft von Granula sind (b, e, f, g). Hinsichtlich der 
Lage der Körnchen in der Zelle lässt sich folgendes feststellen: 
In denjenigen Blutkörperchen, die infolge der Behandlung die 
Napfform verloren haben und als platte Scheiben erscheinen, 
erfüllen sie die ganze Zelle (Fig. 12e) gleichmässig; in den 
Fällen aber, in denen die natürliche Napfform erhalten ist, sind 
sie hauptsächlich um den Napfrand herum angeordnet (g—i), 
das zeigt sich besonders dann, wenn nur wenige Granulationen 
vorhanden sind (a, ce); in manchen Blutkörperchen, die sehr viele 
Körnchen enthalten, kommt es aber auch zu einer ausgesprochen 
kranzartigen Anordnung der dicht gedrängt liegenden Gebilde 
um die Napföffnung herum (k, 1); dabei liegen die Körnchen in 
der äussersten Peripherie der Zelle. 

Bevor nun auf die Natur der Körnchen eingegangen 
werden kann, ist die Frage zu erörtern, ob sie nicht noch auf 
andere Weise dargestellt oder sichtbar gemacht werden können. 
Vor allem interessiert natürlich, ob sie am frischen unfixierten 
Objekt nachweisbar sind. In der älteren Literatur finden sich 
darüber keine genaueren Angaben, jedenfalls ist es niemanden 
geglückt, sie ungefärbt zu sehen. Nur Schaudinn (1903) er- 
wähnt, dass in den von Malariaparasiten befallenen Erythrocyten 
farblose Flecke auftreten, die an Trockenpräparaten basische 
Farbstoffe annehmen. Mir selbst ist es nicht gelungen, im 
Meerschweinchenblut am unfixierten und ungefärbten Präparate 
die gekörnten Elemente herauszufinden. Ich möchte darum 
glauben, dass die Körnchen das gleiche Lichtbrechungsvermögen 
besitzen wie das rote Blutkörperchen; aus den gleichen Gründen 
also, aus denen man einen in Kanadabalsam eingetauchten farb- 
losen Glasstab nicht sehen kann, entziehen sich die Granulationen 
in den frischen Blutkörperchen der Beobachtung. In allerletzter 


Studien über das Blut. 419 


Zeit hat Grüneberg (1906) die für die Frage nach der Natur 
der Körnchen wesentliche Feststellung gemacht, dass sie auch 
im ultravioletten Lichtverfahren nicht hervortreten; Präparate 
von Blut, das nachweislich sehr grosse Mengen von gekörnten 
Elementen enthielt, zeigten auf der photographischen Platte keine 
granulierten Erythrocyten ; ich werde auf diesen Punkt zurück- 
zukommen haben. 

Nicht minder von Belang für die Frage nach der Natur 
der Körnchen ist ihr Verhalten den sog. vitalen Farbstoffen gegen- 
über. Seit Pappenheim (1895) sind wiederholt und mit den 
verschiedensten Farben in den roten Blutkörperchen Körnchen 
nachgewiesen worden, die teils vereinzelt liegen, teils durch 
feinste Fäden verbunden, zierliche Netzwerke bilden können. 
Die Literatur hat im ersten Teil meines Referates (1904) ihre 
Besprechung gefunden. Es fragt sich nun: sind die in den 
Trockenpräparaten darstellbaren Granulationen mit den bei vitaler 
Färbung auftretenden identisch? Oder vielmehr, sind jene Granu- 
lationen auch vital färbbar? Rosin und Bibergeil (1904) 
bejahen diese Frage ohne weiteres; sie konnten schon im nor- 
malen menschlichen Blute zahlreiche gekörnte Elemente nach- 
weisen, die im pathologischen Blute enorm vermehrt waren. Die 
Körnchen erscheinen im normalen Blute zärter als im patho- 
logischen, im letzteren Falle gleichen sie kurzen, dicken, etwas 
zugespitzten Stäbchen und liegen im Zentrum der Blutkörperchen 
entweder in Stern- oder Kranzform. Diese Angaben hat Fleisch- 
mann (1905) nachgeprüft und kommt zu einem entgegen- 
gesetzten Resultat; er nahm gewöhnliches Blut und fertigte davon 
drei Präparate; das erste behandelte er als Trockenpräparat, 
das zweite färbte er mit vitalen Farbstoften, das dritte überliess 
er eine zeitlang sich selbst und behandelte es als Trocken- 
präparat, nachdem im zweiten Granulationen aufgetreten waren. 
Während nun im ersten Präparat keine gekörnte Erythrocyten 
sich fanden, konnte er im dritten solche feststellen. Da sie aber 
erst während des Aufenthaltes in der feuchten Kammer ent- 
standen waren, benannte er sie „Metagranula“* und trennt sie 
von den eigentlichen basophilen; die Metagranula wären die mit 
vitalen Farbstoffen darstellbaren Körnchen. Pol (1905) wendet 
sich gleichfalls gegen Rosin und Bibergeil und bestreitet 
die Identität der basophilen Granula mit den vital darstellbaren, 


420 Franz Weidenreich: 


ohne diese Ansicht näher zu begründen; er erwähnt nur, dass 
die vital darstellbaren Körnchen sich in jedem Blut fänden, 
allerdings erst einige Zeit nach der Entnahme und zunächst 
spärlich, reichlicher und rascher treten sie im pathologischen 
Blute auf. | 
Nach meinen Untersuchungen muss ich mich ganz ent- 
schieden auf die Seite Rosins und Bibergeils stellen. Ich 
will zunächst einmal nicht behaupten, dass alle mit vitalen Farb- 
stoffen darstellbaren Granulationen der Erythrocyten identisch 
sind mit den basophilen des Trockenpräparates, aber ganz sicher 
sind diese letzteren mit vitalen Farbstoffen in frischem Blute 
färberisch nachweisbar. Das geht schon ohne weiteres aus folgendem 
Versuch hervor: Fertigte ich ein Blutpräparat von normalem 
menschlichem Blute und färbte vital nach der von Rosin und 
Bibergeil angegebenen Methode, so sah ich keinerlei Körnchen 
in den Erythrocyten und erst nach einer Viertelstunde etwa 
konnte ich sehr spärlich gekörnte Elemente erkennen; nahm ich 
dagegen Meerschweinchenblut, in dem, wie Kontrollpräparate 
zeigten, gekörnte Elemente in grossen Mengen vorkommen, so 
erhielt ich sofort sehr zahlreiche granulierte Blutkörperchen. 
Abgesehen von anderen gleich zu erörternden Gründen spricht 
diese Feststellung zugunsten der vitalen Darstellbarkeit. Aller- 
dings habe ich also in dem von mir untersuchten, normalen 
menschlichen Blute auch nach langer Zeit nur sehr vereinzelt 
sranulierte Erythrocyten gefunden, was im Widerspruch zu 
den Angaben von Rosin und Bibergeil steht: doch ist daran 
zu denken, dass hier individuelle und zeitliche Verschiedenheiten 
eine grosse Rolle spielen können. Die vital darstellbaren Grann- 
lationen des Meerschweinchenblutes zeigen nun in einigen Punkten 
völlige Übereinstimmung mit den basophilen des Trockenpräpa- 
rates, in anderen Unterschiede. Übereinstimmung ist vor allem 
in der Form und Grösse und in der Art der Anordnung zu kon- 
statieren. Ich gebe in Fig. 13 solche mit Neutralrot, in Fig. 14 
mit Toluidinblau dargestellte Körnelungen wieder und bitte, die 
Fig. 12k und | mit Fig. 13a und b und 14a zu vergleichen. 
Die Unterschiede bestehen darin. dass die vitalen Granulationen 
sehr häufig durch Fäden verbunden sind und Netze oder Ringe 
bilden, wie Fig. 13 erkennen lässt; diese Fäden bestehen also 
aus aneinander gereihten Körnchen. Die Körnchen liegen an- 


u > 


Studien über das Blut. 421 


scheinend nie im Zentrum der Zelle, sondern sie sammeln sich 
in den peripheren Teilen des Körperchens an und zwar in den 
alleräussersten Randgebieten, so dass sie bei Seitenansichten über 
den Rand hervorragen (Fig. 13b bis f). Etwas derartiges lässt 
sich nun allerdings für die basophile Körnelung des Trocken- 
präparates nicht feststellen; zwar findet auch sie sich in der 
äussersten Peripherie (Fig. 12k, |), man vermisst hier aber die An- 
ordnung zu Fäden und Netzen. Nur glaube ich nicht, dass diese 
Verschiedenheit auf einer Verschiedenheit der Granulation be- 
ruht, sondern eine Folge der verschiedenen Methodik ist. Die 
vitalen Farbstoffe schädigen die Zelle: es kommt zu Gerinnsel- 
bildungen und Abscheidungen, die die Körnchen, die wir uns frei 
beweglich zu denken haben, miteinander verkleben. Das folgt 
schon daraus, dass die Verklumpung und Netzbildung umso aus- 
gedehnter wird, je länger der Farbstoff einwirkt. 

Nach diesen Feststellungen halte ich die vitale Darstellbar- 
keit der basophilen Körnelung für erwiesen. Was Fleischmann 
gegen eine derartige Auffassung geltend gemacht hat, hält einer 
Kritik überhaupt nicht Stand; wenn man dartun will, dass sich 
die basophilen Körnchen nicht mit vitalen Farbstoffen darstellen 
lassen, so muss man selbstverständlich von körnchenhaltigem 
Blute ausgehen und darf nicht körnchenfreies benutzen. Wenn 
nun seine Angaben richtig sind, dass Blut, dem die gekörnten 
Elemente fehlen, einige Zeit ausserhalb des Körpers gehalten, 
solche bekommen und zwar basophile, in Trockenpräparaten dar- 
stellbare, während in einem Präparate, das mit vitalen Farb- 
stoffen behandelt wurde, gleichzeitig gekörnte Elemente auftreten, 
so folgt daraus doch gerade, dass erstens basophile Körnchen in 
Erythrocyten ausserhalb des Körpers entstehen können und 
zweitens dass sie vital färbbar sind. Wie man auf Grund der- 
artiger Befunde das Gegenteil behaupten kann, ist mir unerfindlich, 
umsomehr, da Angaben, wie sich diese im überlebenden Blute 
gebildeten „Metagranula“ von den vorgebildeten eigentlichen baso- 
philen unterscheiden, überhaupt nicht gemacht werden; es betont 
Fleischmann sogar ausdrücklich, dass färberisch keinerlei Unter- 
schiede festgestellt werden konnten, so dass beide Körnelungen 
wohl aus identischen Substanzen bestünden. Pol, der eigene 
Angaben inbezug auf Unterschiede ebensowenig macht, beruft 


sich bei seinem ablehnenden Standpunkt auf Fleischmann, der‘ 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 28 


422 Franz Weidenreich: 


die Nicht-Identität durch „vergleichende Färbung klar“ nach- 
gewiesen habe; ich verstehe nicht, wie das aus jenen Beobachtungen 
herauszulesen ist. Ich habe selbst nicht nachgeprüft, ob wirklich 
nach einiger Zeit im überlebenden Blute basophile Körnelung 
auftritt; ist das richtig, so folgt daraus, dass der gleiche Prozess, 
der sich im zirkulierenden Blute an den Erythrocyten abspielt, 
auch ausserhalb des Körpers einsetzen kann; es wäre das ein 
schlagender Beweis für die degenerative Natur der Körnelung. 

Ich möchte nun noch auf einige Besonderheiten zurück- 
kommen, die bei Einwirkung vitaler Farbstoffe an den roten Blut- 
körperchen zu beobachten sind. Zunächst fällt auf, dass sich an 
manchen Erythrocyten von der Oberfläche eine zarte, durchsichtige, 
farblose Haut abhebt, in der Körnchen festsitzen können (Fig. 
13, d, g); ich möchte glauben, dass in dieser Haut die Membran 
gesehen werden darf. Nach länger dauernder Einwirkung des 
Farbstoffs werden viele Blutkörperchen kugelig und die Körnchen 
schliessen sich zu einem Kranz zusammen, der wie ein Schnür- 
ring das Körperchen umkreist (Fig. 13 f, Fig. 14 b, ec). Wie diese 
Bilder zu deuten sind, ist schwer zu sagen; ich glaube, dass die 
Körnchen an dem ursprünglichen Napfrande (Fig. 13 a, b) sich 
ansammeln und mit der Membran verklebend einen Ring bilden; 
quillt dann das Körperchen auf, so kann die verklebte Stelle nicht 
nachfolgen und bleibt in ihrem früheren Umfang erhalten, sodass 
sie als Schnürkranz erscheinen muss. Etwas ähnliches konnte 
ich an den Salamandererythrocyten beobachten (1905d); bei Ein- 
wirkung von Salpetersäure entsteht dort durch Verklebung des 
Randreifen mit der Membran am äussersten Rande ein Schnür- 
ring, der beim Aufquellen des Blutkörperchen als tiefer Falz ein- 
schneidet. Alle diese Veränderungen sind natürlich eine Folge 
des schädigenden Einflusses des Farbstoffes; weiterhin äussert sich 
dieser darin, dass die Erythrocyten sämtlich kugelig werden und 
den Blutfarbstoff abgeben. Man findet dann nur noch die leere 
Membran (Schatten), in denen aber die Körnchenmasse einge- 
schlossen ist; ich gebe in Fig. 13 h und i zwei derartige zer- 
störte Körperchen wieder, die Körnchen habe ich dabei- stets 
durch feine Fäden verbunden gesehen. Rosin und Bibergeil 
geben an, dass die Granulationen sich auch frei im Plasma finden 
sollen; wenn sie das Blut mehrere Tage sich selbst über- 
liessen, lösten sich allmählich die Leiber der Erythrocyten auf, die 


Studien über das Blut. 493 


basophilen Granula aber blieben unverändert an der Stelle liegen, 
wo vorher die Erythrocyten sich befanden., Ich habe zu dieser 
Darstellung zu bemerken, dass die Granula dabei stets von dem 
zarten „Schatten“ d.h. der Membran umschlossen werden, was 
den genannten Autoren anscheinend entgangen ist. 

Die Frage nach der Natur der Granulationen hängt eng zu- 
sammen mit der nach ihrer Herkunft. Zwei Ansichten stehen 
sich in diesem Punkte einander gegenüber, während die einen 
Autoren in den Körnchen Kernreste sehen, sprechen sie die 
anderen für eine Plasmadegeneration an. Wie ich schon oben be- 
tont habe, kann ein Entscheid nur durch das genaue Studium 
der Morphologie und der Entwickelung der Körnchen getroffen 
werden; ‘aus klinischen Beobachtungen ist nichts zu erschliessen. 

Von den Anhängern der Kernnatur (Literatur in meinen 
beiden Referaten und besonders bei Lutoslawski) werden be- 
sonders zwei Momente geltend gemacht: 1. die Färbbarkeit der 
Körnchen mit Kernfarbstoffen und 2. der angeblich nachweisliche 
Zerfall des Erythroblastenkernes in Körnchen; dazu kam später die 
hauptsächlich von Nägeli (1904) und Lutoslawski gemachte 
Angabe, dass die gekörnten Eirythrocyten aus dem Knochenmark 
stammen. Gegen diese Auffassungen hat sich vor allem Bloch 
(1901) in einer ausgezeichneten Abhandlung gewendet, indem er 
vier Punkte aufstellte, die gegen die Ableitung der Körnchen 
vom Kerne sprechen, nämlich: 1. das gleichzeitige Vorkommen 
von Kernteilungsfiguren und Körnelung in denselben Erythrocyten ; 
2. das tinktorielle Verhalten; 3. das Fehlen gekörnter Elemente 
oder von Übergangsformen in den blutbildenden Organen und 
4. die ganze Art und Weise des Entkernungsvorganges bei den 
Erythroblasten. In diesen vier Punkten hat Bloch in der Tat 
alles zusammenfasst, was gegen die Ableitung vom Kern spricht, 
und ich will mich deswegen in meinen Ausführungen auch an 
diese Einteilung halten. 

Was zunächst das Vorkommen der Körnelung in-mitotisch 
sich teilenden Erythroblasten angeht, so hat Bloch derartige 
Zellen abgebildet, die er im anämischen Blute beobachtet haben 
will. Mir selbst stehen keine Erfahrungen in dieser Beziehung 
zu Gebote; im strömenden Merschweinchenblut kommen Erythro- 
blasten nicht vor und im Knochenmark habe ich keine gekörnten 


kernhaltigen Elemente finden können. Ich will nun keineswegs 
28* 


424 Franz Weidenreich: 


die Richtigkeit der Beobachtung leugnen, doch haben mich die 
Blochschen Abbildungen nicht völlig überzeugt und zwar des- 
wegen, weil gerade in den Erythroblasten ausserordentlich leicht 
Kernteilungsfiguren vorgetäuscht werden, während es sich, wie 
nur bei sehr guter Fixation zu erkennen ist, um rosettenartige 
Kernsprossungen des noch einheitlichen oder schon fragmentierten 
Kernes handelt. Sollte aber die Beobachtung richtig sein, so 
beweist sie für sich allein schon mit absoluter Sicherheit, dass 
die Körnchen nicht Kernfragmente sein können; denn ein in 
einzelne Körnchen aufgelöster Kern ist selbstverständlich mitotischer 
Teilung unfähig. Nun haben allerdings einzelne neuere Autoren 
(auch Nägeli [1904], Meyer und Sperino [1906]) diesen 
Einwand dadurch zu widerlegen versucht, dass sie auf das Vor- 
kommen zweier Kerne hinweisen, und die Körnchen auf den Zerfall 
nur des einen beziehen, während die Mitose in dem zweiten 
sich abspiele. Dieser Ausweg ist völlig ungangbar; zwar kommen 
Erythroblasten mit zwei oder drei völlig getrennten grossen Kern- 
fragmenten vor, wie ich ausführlich im zweiten Teil meines 
Referates (1905b) dargetan habe; allein der Doppelkern ist stets 
das Resultat eines Fragmentierungs- und Degenerationsprozesses: 
sind also zwei Kernstücke in einer Zelle vorhanden, so sind sie 
stets auch schon in dem Stadium der Chromatinverklumpung und 
mitotischer Teilung nicht mehr fähig. Ich möchte bei dieser 
(Gelegenheit gleich hervorheben, dass Körnelung in sich mitotisch 
teilenden Zellen natürlich durchaus nicht etwa gegen eine Deutung 
der Körnchen als Plasmadegeneration spricht, wie man merk- 
würdigerweise auch bei Anhängern der Kernresttheorie lesen kann; 
denn es ist doch selbstverständlich, dass die Schädigung, die die 
basophile Körnelung verursacht, alle rote Blutelemente befallen 
kann; trifft sie also einen in Teilung befindlichen Erythroblasten, 
so treten in seinem Plasmaleib die Körnchen auf; was weiter aus 
einer derartigen Zelle wird, ist ja unbekannt, es ist möglich, dass 
der weitere Ablauf der Mitose dann auch gestört wird; aber der 
einfache Befund der Körnchen neben Kernmitose spricht sicher 
nicht dagegen, dass diese Zelle von einem degenerativen Prozess 
betroffen worden ist. 

Auf das tinktorielle Verhalten der Körnchen ist gleichfalls 
von Bloch hingewiesen worden; er fand, dass sie sich bei An- 
wendung der Giemsaschen Farblösung blau färben, während die 


Studien über das Blut. 425 


Erythroblastenkerne und ihre Fragmente einen mehr violetten 
Farbenton annehmen; ich kann diese Beobachtung durchaus be- 
stätigen, ohne dass ich aber auf diese Differenz ein allzu grosses 
Gewicht legen möchte. Bedeutungsvoll ist diese tinktorielle Ver- 
schiedenheit immerhin, das wird sich aus später zu erörternden 
Gründen näher ergeben. 

Was das Fehlen gekörnter Erythrocyten im Knochenmark an- 
geht, das Bloch gegen die Kernnatur der Granulationen verwertet, 
so haben andere Untersucher entgegengesetzte Ansichten geäussert. 
Aus klinischen Gründen haben Nägeli (l. ec.) und Lutoslawski 
(l. e.) die Bildung der gekörnten Elemente gleichfalls in das 
Knochenmark verlegt, ohne aber anscheinend das Mark daraufhin 
zu untersuchen. Ich selbst habe auch im Knochenmark die baso- 
philen Granulationen in Erythrocyten gefunden, allein — und das 
ist wichtig — in durchaus denselben Mengenverhältnissen, wie 
man sie auch im zirkulierenden Blute findet. Das Vorkommen 
der gekörnten Elemente beweist also an und für sich nichts für 
ihre Entstehung im Marke; denn wenn sie sich überhaupt in der 
Zirkulation befinden, müssen sie selbstverständlich auch im Blute 
des Knochenmarks vorhanden sein. Würden sie aber wirklich 
in diesem Organe entstehen und das wäre dann der Fall, wenn sie 
Kernreste sind, dann müssten sie natürlich im Mark in besonderer 
Menge nachgewiesen werden können. In Wirklichkeit trifft dies 
aber durchaus nicht zu und schon aus diesem Grunde ist die 
Annahme, dass der Ort der Körnchenbildung das Mark ist und 
sie selbst Kernreste sind, abzulehnen. 

Der vierte Punkt der Blochschen Antithese betrifft den 
normalen Entkernungsvorgang der Erythroblasten. Wären die 
basophilen Körnchen Kernreste, dann müsste eben der Kern im 
Knochenmarke in eine Anzahl gröberer und feinerer Partikel 
zerfallen. Ich kann mich in diesem Punkte sehr kurz fassen, da 
ich die Frage des Kernzerfalls eingehend und mit weitester 
Literaturberücksichtigung in dem zweiten Teile meines Referates 
(1905b) besprochen habe, worauf hiermit verwiesen sei. Es hat 
sich herausgestellt, dass von einer derartigen Zerstäubung des 
Kernes, wie sie die Annahme der Kernnatur der Granulationen 
zur Voraussetzung hätte, unter normalen Verhältnissen gar keine 
Rede sein kann. Der Kern zerfällt in einzelne Fragmente, die 
allerdings ziemlich an Zahl und Grösse variieren können; dabei 


426 Franz Weidenreich: 


entstehen aber niemals Bilder, die den mit Körnchen voll- 
gepfropften Erythrocyten, wie sie in Fig. 12 dargestellt sind, 
auch nur im entferntesten ähneln. Als letzter Kernrest bleibt ein 
kleines, oft nur punktförmiges Stück zurück (punktierter Erythrocyt 
Jollys), dessen weiteres Schicksal im III. Abschnitt dieser Ab- 
handlung seine Darstellung gefunden hat. Ich muss alle anders 
lautenden Angaben als unrichtig zurückweisen. Nun habe ich 
allerdings in meinem Referate den Vorbehalt gemacht, dass unter 
den pathologischen Verhältnissen, die zu dem Auftreten gekörnter 
Erythroceyten führen, möglicherweise die Kernfragmentation 
unter einem anderen Bilde verlaufen und dass es in diesen Fällen 
vielleicht doch zu einer Zerstäubung des Kernes kommen könnte. 
Allein die Autoren, die die Körnchen vom Kern ableiteten, 
stützten sich nicht auf Präparate pathologischer, sondern normaler 
Erythroblasten, was dann überhaupt unzulässig wäre oder aber 
gerade zum entgegengesetzten Schlusse führen muss. Mit der 
Feststellung, dass die gekörnten Erythrocyten einen normalen 
Bestandteil des Meerschweinchenblutes ausmachen, fällt natürlich 
dieser Vorbehalt; der Entkernungsmodus der Meerschweinchen- 
Erythroblasten ist völlig der gleiche wie beim Menschen, 
Kaninchen etc. und somit können jene Granulationen auch un- 
möglich als Kernreste gedeutet werden. 

Ich komme nunmehr zu einer Reihe weiterer Punkte, die 
gegen ihre Kernnatur sprechen. Hier wäre vor allem die bereits 
erwähnte, von Grüneberg (1906) gefundene Tatsache hervor- 
zuheben, dass die Körnchen für ultraviolettes Licht durchlässig 
sind, während es gerade eine Besonderheit von Kernsubstanzen 
ist, das konträre Verhalten zu zeigen. Dieses Lichtverfahren ist 
nun ein ganz ausgezeichnetes Reagenz; wie ich im III. Abschnitt 
dieses Aufsatzes ausführte, haben Grawitz und Grüneberg 
und v. Schrötter einen scharfen dunklen Punkt erkannt, der 
offenbar mit dem von mir beschriebenen und sicher als letzten 
Kernrest zu deutenden Chromatinstäubcehen identisch ist. In 
diesem Falle wäre also die Kernnatur allein schon aus dem Ver- 
halten des Körpers gegenüber dem ultravioletten Lichte zu er- 
schliessen gewesen; um wieviel mehr müssten also bei diesem 
Verfahren die basophilen Granulationen hervortreten, wenn sie 
wirklich nukleärer Herkunft wären. 

Von einzelnen Autoren, besonders von Bloch, wird als 


Studien über das Blut. AT 


weiterer Beweis gegen die Kernnatur das Verhalten der Körnchen 
dem Methylgrün gegenüber hervorgehoben, in dem manche ein 
färberisches Reagenz auf Kernsubstanzen sehen. Methylgrün 
färbt die basophilen Granulationen nicht. Ich kann diese An- 
gaben bestätigen; auch mir ist es nicht geglückt, sie mit diesem 
Farbstoff zur Darstellung zu bringen, während das bei anderen 
basischen Farbstoffen, wie ich oben ausführte, leicht gelingt. 
Gegen die Auffassung der Körnchen als Kernreste, spricht 
aber nun vor allem das ganze Bild der gekörnten Erythrocyten 
im normalen Meerschweinchenblut. .Ich habe in Fig. 12 eine 
Reihe von Zellen zusammengestellt, die nur spärliche Granu- 
lationen (ec, d) enthalten, und andere, die damit vollgepfropft 
sind (b, e, g). Diejenigen Autoren, die die Körnchen als Kern- 
reste bezeichnen, müssen natürlich in den letzteren die jugend- 
lichen und in jenen die älteren Formen sehen. Die Körnchen 
müßten dann allmählich an Zahl abnehmen und zwar in der 
Zirkulation, indem die Körnchen sich entweder im Innern auf- 
lösen oder die Zelle verlassen. Nun gibt es im Knochenmark 
überhaupt keine Erythroblasten, bei denen eine Zerstäubung des 
Kernes nach Art der Fig. 12 (b, e, g) stattfände, zweitens aber 
verlassen, wie ich gezeigt habe, die Kernfragmente die Zelle und 
lösen sich nicht im Innern auf. Folgerichtig müsste man dann 
auch erwarten im Plasma des zirkulierenden Blutes freie baso- 
phile Granulationen zu finden, ebenso wie man in ihm. freie 
Kernfragmente bei Leucämie etc. antrifit. Das ist nun durchaus 
nicht der Fall. Aber noch weiter, wenn im normalen Meer- 
schweinchenblut Erythrocyten mit Kernbröckel vorkommen, müssten 
sich doch auch Erythroblasten mit noch teilweise unfragmentierten, 
also grossen Kernresten, finden. Niemals habe ich aber solche 
Bilder gesehen; andrerseits lässt sich dagegen zeigen, dass in 
den Fällen, wo nachweislich kernhaltige rote Blutkörperchen noch 
in die Zirkulation gelangen, wie bei der neugeborenen Katze 
(vgl. III. Abschnitt dieses Aufsatzes und Fig. 9), basophil gekörnte 
Erythrocyten nach Art der Fig. 12 überhaupt vollständig fehlen. 
Nun sind es aber noch besonders zwei Momente, die für die 
Beurteilung der Frage von Wichtigkeit sind. Man findet nämlich 
im Meerschweinchenblut Erythrocyten, die offenbar ein weiteres 
Stadium der basophil gekörnten Elemente darstellen; diese Blut- 
körperchen färben sich mit der Giemsaschen Lösung schmutzig 


4285 Franz Weidenreich: 


dunkelblau-grün und zeigen deutlich noch verschwommene Granu- 
lationen (Fig. 15b). Vor allem fällt aber an diesen Erythrocyten. 
auf, dass sie kleiner sind als die normalen oder die gewöhnlichen 
gekörnten Elemente!) und dass sie, gleichfalls im Gegensatz zu 
den übrigen, eine unregelmässige Form besitzen: sie sind bald 
da bald dort eingedellt und die Konturen sind oft auffallend 
eckig, statt abgerundet; kurz, sie sehen wie halb zerdrückt oder 
zusammengepresst aus und machen den Eindruck einer geringeren 
Resistenz als die übrigen Erythrocyten. Die gleichmässige Homo- 
genität des Zelleibs normaler Formen fehlt vollständig, statt dessen 
scheinen sie aus einer körnig-klumpigen Masse zu bestehen, die 
sich auch färberisch durchaus vom gewöhnlichen Endosoma der 
Erythrocyten unterscheidet. Diese so veränderten Zellen sind 
durch kontinuierliche Übergänge mit den typischen basophil ge- 
körnten verbunden. Es besteht also kein Zweifel, dass wir in 
ihnen ein weiteres Entwicklungsstadium zu sehen haben und 
zwar stellen sie das Endstadium des Degenerationsprozesses 
dar, soweit es sich im strömenden Blute abspielt. 

Der zweite Punkt, der für die Frage nach der Natur der 
Granulationen noch berücksichtigt werden muss, ist das Verhalten 
des von mir im III. Abschnitt dieser Abhandlung beschriebenen 
Chromatinstäubehens zu den basophilen Körnchen und ihren 
Trägern. Auch im strömenden Meerschweinchenblut finden sich 
zahlreiche Erythrocyten, die dieses Stäubcehen enthalten, es liegt 
wie beim Menschen stets exzentrisch und färbt sich intensiv rot- 
violett (Fig. 12 m). Dieses Stäubchen kann nun in allen Stadien 
der basophilen Körnelung angetroffen werden oder fehlen; in 
Fig. 12 a, ce und d liegt es neben noch spärlichen Granulationen; 
in b und ee, die vollgepfropft mit Körnchen sind, wird es ganz ver- 
misst. Nun sieht man aber gelegentlich in manchen gekörnten 
Elementen ein etwas grösseres Korn, das sich von der charak- 
teristischen blauen basophilen Körnelung deutlich durch einen 
rötlichen Farbenton unterscheiden lässt; ich habe solche Formen 
in Fig. 12 f—i abgebildet. Offenbar handelt es sich dabei um 
das gleiche Korn, auf das E. Schwalbe und Solley (1902) 
schon bei vergifteten Tieren aufmerksam gemacht haben, und 


!) In Fig. 15 sind versehentlich die Erythrocyten mit Ocular S wieder- 
gegeben, wodurch die Grössendifferenz im Vergleiche mit Fig. 12 (Oc. 12) 
erheblicher erscheint, als sie in Wirklichkeit ist. 


Studien über das Blut. 429 


das diese Autoren im Gegensatz zu der eigentlichen feineren 
Körnelung für einen Kernrest erklären. Vergleicht man dieses 
Korn mit dem feinen Chromatinstäubchen in nicht gekörnten 
Elementen, so fällt sofort auf, dass es viel grösser und gröber 
ist als jenes. Nun ist etwa nicht daran zu denken, dass dieses 
Korn eben den noch nicht in feinere Körnchen zerfallenen Kern- 
rest darstellt; denn man findet ja nur sehr spärlich basophil ge- 
körnte Elemente, in denen dieses Korn kleiner ist als in den schon 
stark granulierten (cf. Fig. 12a und g) und andrerseits kommen 
sowohl stark wie spärlich granulierte Elemente vor, in denen es 
ganz fehlt oder in gleicher Grösse vorhanden ist. Es ist also 
deswegen ausgeschlossen, dass Korn und Granulation in Grösse 
und Zahl in irgend einem bestimmten Verhältnis zu einander 
stehen. Tatsächlich liegt die Sache so, dass Chromatinstäubchen 
und basophile Körnelung nichts miteinander zu tun haben, die 
Körnelung befällt sowohl solche Erythrocyten, die kein Stäubchen 
mehr besitzen als auch solche, in denen es noch vorhanden ist; 
im letzteren Falle scheint es häufig zu einer Verklumpung in 
in der unmittelbaren Umgebung der Chromatinstäubchen zu 
kommen, denn stets — und das unterscheidet gerade diese grösseren 
groben Körner von jedem reinen grösseren Kernrest ohne weiteres — 
besitzt die sich rötlich färbende Masse unregelmässig eckige 
Konturen oder ganz verschwommene Grenzen (cf. Fig. 12 f—i mit 
Fig. 9a—h), während wirkliche Kernreste mehr abgerundete tropfen- 
artige Gebilde sind. Ich glaube also, dass es zu einer Ver- 
schmelzung des Chromatinstäubcehens mit basophilen Körnchen 
kommen kann, und dass dann das daraus resultierende grössere 
und gröbere Bröckel dadurch einen anderen Farbenton annimmt; 
in denjenigen Erythrocyten, die das Chromatinstäubchen schon 
verloren haben, ehe sie von der basophilen Körnelung befallen 
wurden, muss darum auch dieses gröbere anders gefärbte Korn 
fehlen. 

Fassen wir nun all das zusammen, was die Untersuchung 
hinsichtlich der basophilen Körnchen ergeben hat, und berück- 
sichtigen wir das, was wir vom Kernzerfall in den Erythroblasten 
wissen, so zeigt sich, dass von einer Ableitung der Granu- 
lationen aus dem Kern keine Rede sein kann, mit 
Kernresten haben diese Bildungen auch nicht 
das geringste zu tun, und wer das auf Grund klinischer 


430 Franz Weidenreich: 


Beobachtungen behauptet, der beweist, dass er mit den ana- 
tomischen Tatsachen nicht genügend vertraut ist oder sich über 
sie hinweggesetzt hat. Erythrocyten also, die diese Granulationen 
enthalten, legitimieren sich dadurch keineswegs als jugendliche 
Elemente. 

Die mitgeteilten Beobachtungen sprechen alle dafür, dass 
die basophile Körnelung als eine Zerfallserscheinung aufzufassen 
ist, wie das von Grawitz zuerst behauptet und stets (1899) 
verfochten wurde. In diesem Sinne spricht vor allem der ganze 
Entwicklungsgang der gekörnten Elemente. Ich habe aber ge- 
zeigt, dass im zirkulierenden Meerschweinchenblut sich Blut- 
körperchen finden, die verkleinert sind, weniger resistent er- 
scheinen und nur noch aus einer körnigklumpigen Masse be- 
stehen (Fig. 15), diesen Zustand hat man als das Endstadium des 
Prozesses aufzufassen; der Beginn dokumentiert sich durch das 
vereinzelte Auftreten feinster staubartiger Körnchen (Fig. 12, d). 
Im Meerschweinchenblut lässt sich aber nun nachweisen, dass die 
Körnelung nicht die einzige Veränderung ist. die sich an diesen 
Erythrocyten abspielt; sie ändern nämlich auch ihre Farben- 
affinität, und zwar geht dies Hand in Hand mit der Zunahme der 
Körnelung. Färbt man mit Giemsascher Lösung, so nehmen 
die gekörnten Elemente nicht mehr die hellgelb-grünliche Farbe 
an, sondern sie tingieren sich in einem schmutzigen blauen Tone; 
sie zeigen also das Verhalten, das man als Polychromatophilie be- 
zeichnet hat. Nun haben schon eine Reihe von Autoren auf 
diese Tatsache aufmerksam gemacht, so besonders Schmidt (1903): 
aber auch sonst ist das gleichzeitige Vorkommen gekörnter und 
polychromatophiler Blutkörperchen in dem gleichen Blute vielfach 
beobachtet worden (Grawitz 1900). Ich beabsichtige nicht, die 
Literatur über die Polychromatophilie hier zu besprechen, zumal 
ich zu dieser Frage bereits in dem ersten Teil meines Referates 
(1904) Stellung genommen habe; ich führte dort aus, dass die 
Bevorzugung der basischen Farbkomponente von seiten der roten 
Blutkörperchen sowohl ein Zeichen degenerativer Umsetzungen 
des Zellleibes wie auch eine Besonderheit des Erythroblasten ist. 
Meine inzwischen fortgesetzten Untersuchungen über diesen Gegen- 
stand haben mich zu dem gleichfalls an jener Stelle schon aus- 
gesprochenen Resultate geführt, dass unter normalen Verhältnissen 
die Erythroblasten den basischen Färbungscharakter nur solange 


Studien über das Blut. 431 


zeigen, als der Fragmentierungsprozess des Kernes noch nicht 
zu weit vorgeschritten ist. Bei neugeborenen Tieren z. B., bei 
denen, wie ich im dritten Teile dieses Aufsatzes ausführte, noch 
kernhaltige Erythrocyten — die punktierten Erythrocyten Jollys 
— in die Zirkulation kommen (Fig. 9a bis g), sind diese ge- 
kernten Elemente schon nicht mehr polychromatophil, sondern 
färben sich in derselben Nuance wie die kernlosen Formen. Dass 
nun die basophil gekörnten Blutkörperchen des Meerschweinchen- 
blutes stets auch im ganzen basophilen Färbungscharakter be- 
sitzen, scheint mir von Bedeutung für die ganze Frage des 
Degenerationsvorganges, der sich hier abspielt; denn offensichtlich 
bestelit ein inniger Zusammenhang zwischen der Basophilie und 
der basophilen Körnelung. Schmidt (1903) hat geglaubt, dass 
die Polychromatophilie auf einer Beimischung aufgelöster Kern- 
substanzen zum Hämoglobin beruhe, eine Ansicht, die schon des- 
wegen nicht richtig sein kann, weil ja gerade die intaktkernigen 
Erythroblasten des Knochenmarks besonders polychromatisch sind, 
worauf auch schon Boellke (1904) mit Recht hingewiesen hat, 
und weil (cf. III. Teil meines Referates) eine derartige Auflösung 
des Kernes nicht vorkommt. Meines Erachtens haben wir es zu- 
nächst mit Veränderungen des flüssigen Endosomas zu tun, die 
in fein tlockigen Ausscheidungen bestehen; diese Ausscheidungen 
sind spezifisch leichter als das übrige Endosoma, sie haben des- 
halb die Neigung, eine periphere Lage einzunehmen und setzen 
sich an der Membran fest, mit der sie unter Umständen eine 
innigere Verbindung eingehen können (siehe oben). Die Aus- 
scheidungen haben im Gegensatz zu dem normalen Endosoma 
basophilen Charakter, aber das gleiche Lichtbrechungsvermögen, 
weshalb sie im ungefärbten Blutkörperchen unsichtbar bleiben. 
Neben diesen Ausfällungen verändert sich das Endosoma im 
Ganzen d.h. es wird basophil, und schliesslich bildet es nur noch 
eine körnige, klumpige, basophile Masse; Hand in Hand damit 
findet eine Verkleinerung des Blutkörperchens statt. In den 
Fällen, wo es nur zu einer Polychromatophilie kommt und die 
körnigen Ausscheidungen fehlen, dürfte es sich um eine gleich- 
mässige Umsetzung des Endosomas handeln. 

Wir haben es also bei der basophilen Körnelung mit einem 
Degenerationsprozess zu tun, der zum Untergang der 
betroffenen Erythrocyten führt. Freilich muss es noch zweifel- 


432 Franz Weidenreich: 


haft bleiben, ob die letzte Phase sich innerhalb des strömenden 
Blutes oder in den Blutorganen abspielt. Aber das ist jedenfalls 
sicher, dass die Körnchen, wie Grawitz von Anfang an betont 
hat, innerhalb der Zirkulation entstehen und nicht, wie Nägeli 
(1904) behauptet, im Knochenmark; denn im strömenden Blut 
findet man alle Phasen der Entwicklung und im Knochenmark 
überhaupt nicht mehr gekörnte Elemente als auch sonst in de 
Zirkulation. Da nun beim Meerschweinchen diese Erythrocyten 
einen normalen Blutbestandteil bilden, so ist man wohl zu der 
Annahme berechtigt, dass es Blutkörperchen sind, die infolge 
ihrer physiologischen Abnutzung geschädigt und aus dem Kreis- 
lauf schliesslich ausgeschaltet werden. Im menschlichen Blute 
gehören die gekörnten Elemente jedoch nicht zum normalen Be- 
fund; wenn sie hier also unter pathologischen Verhältnissen auf- 
treten, so sind sie als der Ausdruck einer besonderen, das Endo- 
soma befallenden Schädigung aufzufassen. Im übrigen verweise 
ich auf das, was ich oben bei der Kritik der klinischen Beob- 
achtungen in dieser Hinsicht gesagt habe. 


V. Pseudostrukturen. 


In der Frage nach der Struktur der roten Blutkörperchen 
habe ich meinen Standpunkt schon wiederholt (vergl. meine Refe- 
rate 1904 und 1905 b) dahin präzisiert, dass die Säugererythro- 
cyten keinerlei Gerüstwerk enthalten, sondern lediglich als mem- 
branumhüllte Flüssigkeitsblasen aufzufassen sind. Ich habe dort 
auch nachgewiesen, dass alle die Strukturen, die manche Unter- 
sucher bei Anwendung bestimmter Reagentien erhalten haben, 
als fädige oder fädig-körnige Ausfällungen des Endosomas aufzu- 
fassen sind. Diesem Standpunkt und meiner Beurteilung der 
Strukturbilder hat sich auch Meves (1905) angeschlossen, und 
neuerdings sind Grawitz und Grüneberg (1906) und 
v.Schrötter (1906) auf Grund der Untersuchung mit dem 
ultravioletten Licht-Verfahren zu dem Ergebnis gelangt, dass die 
Erythrocyten völlig homogen sind und irgend eine Innenstruktur 
nicht an ihnen nachweisbar ist. Nun hatte schon früher Ruzicka 
(1903) Netzwerke, die er mit vitaler Methylenblaufärbung zur 
Darstellung gebracht hat, als präformierte Bildungen beschrieben. 
Trotz meiner und Meves’ Einwände gegen die Beurteilung der- 
artiger Zeichnungen als Protoplasmagerüste hat derselbe Autor, 


Studien über das Blut. 455 


an seiner Deutung festhaltend, in dieser Zeitschrift (1905) ein 
Verfahren publiziert, mit dessen Hilfe es ihm geglückt ist, in 
Meerschweinchenerythrocyten richtige Wabenstrukturen darzu- 
stellen, die er für vorgebildet hält. Die von ihm angewandte 
Methode ist sehr kompliziert: Er lässt das Blut auf dem Glase 
antrocknen, übergiesst dann mit einer Mischung von °”'3 Prager 
Leitungswasser und !/s destilliertem Wasser (!!), lässt verdünnte 
Essigsäure nachfolgen, „fixiert“ (!) nun mit Sublimat und färbt 
mit Karbolchinablau; statt Essigsäure benutzte er auch 7 Joige 
Salzsäure. Auf diese Weise erhielt er ein „Strukturbild“, das nicht 
in allen Blutkörperchen gleich ist, aber doch eine Wabenstruktur 
mit grösseren oder kleineren Waben wiedergibt. Er glaubt 
weiter, dass die Stromata aus einer dem Nuklein nahen Substanz 
bestünden. Ich habe demgegenüber geltend gemacht (1905 ec), dass 
es sich bei den von Ruzicka erzielten Bildern um Kunstprodukte 
handelt und dass, wie erst von Pascucei (1905) überzeugend 
dargetan worden ist, die Stromata keinerlei kernähnliche Sub- 
stanzen enthalten. In einer neueren Publikation hält trotzdem 
Rüzicka (1906) an seiner Auffassung fest. 

Ich beabsichtige nun keineswegs, hier nochmals den Nach- 
weis zu erbringen, warum die von Ruzicka für Protoplasma- 
strukturen erklärten Zeichnungen Artefakte sind; ich habe das 
in dem ersten Teil meines Referates (1904) getan, das R. an- 
scheinend überhaupt nicht gelesen hat, da er es nicht zitiert. 
Seine Aufgabe ist es also zunächst, die dort von mir und in- 
zwischen auch von Meves (l. c.) gemachten Einwände zu wider- 
legen. Ich halte diese Strukturfrage vorerst für erledigt, und 
wenn Ruzicka seine Waben für den Ausdruck einer natürlichen 
Bildung hält und sie trotz des auf chemischem Wege bewiesenen 
(regenteils (Pascucci 1905) auf Grund seiner für die Beurteilung 
dieser Frage völlig unzureichenden Reaktionen aus Kernsubstanzen 
bestehen lässt, so bleibt ihm das unbenommen; wir haben es hier 
eben mit einer rein subjektiven Auffassung zu tun, die für das 
allgemeine Urteil wohl wenig Bedeutung haben dürfte. 

Immerhin ist es interessant, eine Methode zu kennen, die 
solche Pseudostrukturen in Erythrocyten hervorzubringen vermag, 
und darum möchte ich einige Mitteilungen in dieser Beziehung 
machen. Das Verfahren Ruzickas habe ich nicht versucht, weil 
ich kein Prager Leitungswasser zur Verfügung hatte und mich 


454 Franz Weidenreich: 


nicht der Enttäuschung aussetzen wollte, mit Strassburger Leitungs- 
wasser operierend schliesslich negative Resultate zu erhalten. Da- 
gegen ist es mir auf weit weniger komplizierte Weise gelungen, 
die wabigen oder vielmehr netzförmigen Artefakte in den mensch- 
lichen Erythrocyten zu erhalten und im Dauerpräparate zu fixieren. 
Nach der von Rosin und Bibergeil (l. c.) empfohlenen Methode 
bringe ich eine wässerige Methylviolettlösung auf dem Deckglas 
zum Eintrocknen und decke damit ein frisches Blutpräparat zu: 
umrandet wird mit warmem Paraffın, das nach dem Erkalten 
einen starren Ring bildet; hat der Farbstoff längere Zeit 
(!/g Stunde und länger) eingewirkt, so ist aus einer grossen Zahl 
von Erythrocyten das Hämoglobin in Lösung gegangen, während 
es in anderen in Form sehr zierlicher blauer Netze zur Aus- 
tällung kommt. Ist dies eingetreten, so schneidet man mit einem 
Messer das Paraffıin weg, zieht das Deckglas sehr rasch ab und 
hält das noch feuchte Blutpräparat auf dem Objektträger für etwa 
eine Minute über Osmiumdämpfe. Dann Jässt man es lufttrocken 
werden, übergiesst mit einer 10°/oigen Lösung von Ammonium- 
molybdänat zum Fixieren der Farbe und wäscht mit Wasser ab. Es 
empfiehlt sich alsdann des Kontrastes wegen mit Eosin ein wenig 
nachzufärben. Man trocknet und bettet in Balsam ein. Die 
Methode eignet sich, um überhaupt vital dargestellte Bilder im 
Dauerpräparat zu fixieren; ich habe z. B. auf diese Weise auch 
solche Präparate von den mit vitalen Farblösungen dargestellten 
basophilen Granulationen erhalten. 

In unserem Falle zeigt sich nun in den meisten Erythro- 
cyten ein ausserordentlich schön ausgeprägtes Netz, von dem Fig. 16 
(Taf. XVI) eine gute Vorstellung gibt. Das Gerüstwerk ist intensiv 
blau gefärbt und hebt sich vom eosinroten Grunde sehr scharf 
ab. Wie die Abbildung zeigt, sind die Netzmaschen bald grösser, 
bald kleiner, die Netzfäden bald gröber und bald zärter; kurz, 
es herrscht die allergrösste Variation in der Anordnung; in den 
Knotenpunkten finden sich meist punktförmige Verdickungen. 
Das Ganze macht ohne weiteres den Eindruck von Artefakten; 
die Bilder sind aber besonders zierlich und instruktiv, und darum 
wollte ich die Aufmerksamkeit auf sie lenken. 


or 


Studien über das Blut. 43 


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Erklärungen der Figuren auf Tafel XVI und XVII. 


Fig. 1. Menschliche Erythrocyten (Blut des Verfassers). Napfformen. 
Osmiumdampf-Fixation — Gentianaviolett-Färbung. Zeiss Ap. 2 mm. 
GEH: 

Fig. 2. Objekt wie oben. Geldrollen- und Maulbeerform. Osmiumdampf- 
Fixation — Eosinfärbung. Zeiss Ap. 4 mm, Oe. 6. 

Fig. 3. Objekt: das gleiche. Beginnende Geldrollenbildung. Osmiumdampf- 
Fixation — Gentianaviolett-Färbung. Zeiss Ap. 2 mm. 0e. 6. 

Fig. 4. Erythrocyten vom Auchenia lama. Flächen- und Kantenansichten. 
ÖOsmiumdampf-Fixation — ungefärbt. Zeiss Ap. 2 mm, Oec. 6. 

Fig. 5. Dasselbe Objekt. Geldrollenbildung. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69, 29 


Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 


. 10. 


ne 


12. 


13. 


14. 


15. 


16. 


Franz Weidenreich: Studien über das Blut. 


Menschliche Erythrocyten von gemischtzelliger Leukämie. Chromatin- 
stäubchen. Die etwas dunkler gehaltenen Körperchen sind polychro- 
matophil. Agarmethode — Osmium-Fixation — Giemsasche Färbung. 
Zeiss Ap. 2 mm, Oec. 8. 

Menschliche Erythrocyten (Blut des Verfassers). Chromatinstäubchen. 
Osmiumdampf-Fixation — Giemsasche Färbung. Zeiss Ap. 2 mm, 
Oe. 8. 

Objekt und Technik wie bei Fig. 8. Zeiss Ap.2 mm, Oec. 12. 
Erythrocyten aus dem Blute eines 2 Tage alten Kätzchens. Kern- 
reste (punktierte Erythrocyten Jollys). Osmiumdampf-Fixation — 
Giemsasche Färbung. Zeiss Ap. 2 mm, Oc. 8. 

Objekt, Technik und Vergrösserung wie bei Fig. 9. Plattgedrückte 
Erythrocyten mit Kernresten. 

Menschliche Erythrocyten aus dem Leberblut eines 3!/2 Monate 
alten Fötus. Übergänge von Kernfragmenten und -resten zu 
Chromatinstäubchen. Osmiumdampf-Fixation — Färbung: Hämatein, 
Eosin. Zeiss Ap. 2 mm, Oc.8. 

Erythrocyten aus dem Blute eines normalen, ausgewachsenen Meer- 
schweinchens. Basophile Körnelung. Osmiumdampf -Fixation — 
Giemsasche Färbung. Zeiss Ap. 2 mm, Oc. 12. 

Objekt wie bei Fig. 12. Vital dargestellte basophile Granulationen. 
Neutralrotfärbung nach Rosin und Bibergeil. Zeiss Ap. 2 mm, Oc. 12. 
Objekt, Technik und Vergrösserung wie bei Fig. 13. Toluidinblau- 
färbung. 

Objekt und Technik wie bei Fig. 12. Endstadien basophil gekörnter 
Erythrocyten. Zeiss Ap.2 mm, Oc. 8. 

Menschliche Erythrocyten (Blut des Verfassers). Pseudostrukturen. 
Vitale Methylviolettfärbung nach Rosin und Bibergeil. Zeiss 
Ap. 2 mm, Oe. 8. 


439 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 
Von 
P. Schiefferdecker. 


Es ist wahrscheinlich, dass es im Körper Spalträume gibt, 
welche so fein sind, dass sie mit unseren Mikroskopen nicht er- 
kennbar sind. Trotzdem sie so fein sind, ist man genötigt, anzu- 
nehmen, dass diese Räume für die Ernährung bestimmter Ge- 
websteille von grosser Bedeutung sind. Ich habe schon im 
Jahre 1587 einen solchen Raum beschrieben (5), den „periaxialen 
Spaltraum“ der markhaltigen Nervenfaser, und bin vor kurzem 
in einer neueren Arbeit (6) wieder auf diese Frage bei der Be- 
sprechung des Baues der Nervenfaser eingegangen. In einem 
Vortrage, den ich am 21. Mai dieses Jahres in der Nieder- 
rheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn hielt, 
habe ich dann allgemeiner über das Vorkommen von „minimalen 
Räumen“ im Körper gesprochen und möchte auch in dieser kurzen 
Arbeit die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese, meiner Meinung 
nach, so wichtigen Räume lenken. Gut ausgesprochene Beispiele 
für diese „minimalen Räume“ finden wir in der Bindegewebs- 
gruppe und im Nervengewebe. Eins der klarsten Beispiele 
liefert das Knochengewebe. Die feste Knochenmasse ist be- 
kanntlich ausser von den Haversschen Kanälchen durchsetzt von 
einem ausserordentlich reichen Netzwerke, das aus den Knochen- 
lücken und den von diesen ausgehenden, sie untereinander ver- 
bindenden feinen Kanälchen besteht. In den Knochenlücken liegen 
die Knochenzellen und in den Kanälchen die Fortsätze dieser, 
die mit denen benachbarter Zellen anastomosieren. Sehr schöne 
Bilder von solchen Knochenzellen und den Anastomosen zwischen 
ihren Fortsätzen hat uns Vivante (4) gegeben. Vorher schon 
hatte Renaut (l.p. 491 fi.) in seinem schönen Werke nachge- 
wiesen, dass die Knochenzellen weithin in die Kanälchen ihre 
Fortsätze hineinschicken, mit anderen Zellen anastomosieren, und 
dass sowohl die Zellen wie ihre Fortsätze die Lücken und 
Kanälchen, in denen sie liegen, völlig ausfüllen. Auch ich habe 
in meiner Gewebelehre (2, S. 305) nach meinen Präparaten an- 


genommen, dass die Knochenzellen die Lücken vollständig aus- 
: a 


440 P. Schiefferdecker: 


füllen; ich sagte: „der Raum zwischen dem Zelleib und der 
Wand der Knochenhöhle kann meiner Meinung nach nur ein sehr 
schmaler Spalt sein.“ Nun ist es zweifellos, dass durch dieses 
Lücken- und Kanälchenwerk fortwährend ein Flüssigkeitsstrom 
hindurchgehen muss, in welchem einmal die aus den Blutgefässen 
ausgetretene Ernährungsflüssigkeit enthalten ist, die den Knochen- 
zellen zugeführt wird, und in dem weiter die Abscheidungsstoffe 
dieser Zellen fortgeführt werden. Dass dieser Strom innerhalb 
der Zellkörper und ihrer Fortsätze geleitet werden sollte, ist so 
unwahrscheinlich, dass man diese Annahme ruhig beiseite lassen 
kann; es bleibt also nur übrig, anzunehmen, dass der Strom 
hindurchgeht zwischen den Zellen mit ihren Fortsätzen einerseits 
und der Wand der Knochenlücken und der Knochenkanälchen 
andererseits. Wenn es also auch durchaus den Anschein hat, 
als ob diese Lücken und Kanälchen von den Zellen und ihren 
Fortsätzen völlig erfüllt würden, so ist man doch genötigt, an- 
zunehmen, dass zwischen ihnen und der Wand ein sehr feiner 
Spaltraum existiert. Dass dieser für die Ernährung des gesamten 
Knochengewebes von der grössten Bedeutung sein muss, geht 
aus dem eben Gesagten hervor. Ganz ähnlich liegen nun die 
Verhältnisse in dem-Bindegewebe. Hier finden wir, deutlich 
ausgeprägt in dem festeren, geformten, weniger deutlich ausge- 
prägt in dem lockeren, ungeformten Bindegewebe, das bekannte 
Saftlückennetz, d. h. ein Netz von Lücken und Kanälchen, in 
welchem wieder die Bindegewebszellen mit ihren Fortsätzen sich 
befinden. Je fester die Grundsubstanz des betreffenden Gewebes 
ist, um so deutlicher tritt dieses Saftlückennetz hervor, um so 
deutlicher sieht man die Konturen desselben. Im Prinzipe haben 
wir hier also dasselbe wie im Knochengewebe, nur werden die 
Konturen immer nndeutlicher, je weicher die Grundsubstanz ist. 
Auch hier füllen, nach unseren Kenntnissen, die Zellen und ihre 
Fortsätze das gesamte Netz völlig aus. Bei der Besprechung 
der Lehre von den Saftkanälchen, wie sie v. Recklinghausen 
aufgestellt hat, sagt v. Ebner (3, S. 684): „Der schwache Punkt 
dieser Lehre ist der Nachweis der selbständigen Spalten zwischen 
den Zellkörpern und deren Ausläufern einerseits und der Grund- 
substanz andererseits im lebenden Gewebe, ein Nachweis, der 
von niemanden erbracht wurde.“ Weiter sagt v. Ebner bei 
der Besprechung der Silberbilder (3, S. 684 u. 685) das folgende: 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 441 


„Stellt man sich die hellen Räume als von Flüssigkeit erfüllt vor, 
so hätte man anschaulich den Zusammenhang von Lymph- und 
Blutkapillaren vor sich. Allein in Wirklichkeit ist das Bild ganz 
anders zu deuten. Die anscheinenden Saftkanälchen sind nichts 
anderes, als die Negativbilder von Bindegewebszellen, welche 
gerade so wie die Endothelzellen, wenn man lebendes Gewebe 
mit verdünnten Silbernitratlösungen behandelt, dieselben in das 
Protoplasma nicht eindringen lassen, während die Zwischensubstanz 
zwischen den Zellen sowohl in den Lymphkapillaren (Endothel- 
zellengrenzen) als im Bindegewebe (Grundsubstanz) das Silbersalz 
aufnimmt und sich am Lichte schwärzt. Die anscheinend leeren 
Räume des Silberbildes sind also in Wirklichkeit protoplasmatische 
Zellkörper und daher keineswegs ein Kanalsystem. Ganz ähn- 
liche, anastomosierende, sogenannte Saftkanälchen erhält man 
auch in der, der Blut- und Lymphgefässe entbehrenden Cornea, 
welche hier ebenfalls den Negativbildern der anastomosierenden 
Protoplasmakörper, den Corneazellen oder Uorneakörperchen ent- 
sprechen. Die Silberbilder können für die Existenz von wirk- 
lichen Saftkanälchen, d.h. von mit Flüssigkeit erfüllten Spalten 
nichts beweisen, sie zeigen im Gegenteil, dass verdünnte Silber- 
nitratlösungen in Räume, welche von lebenden Zellen erfüllt sind, 
nicht eindringen. Die Injizierbarkeit der Saftkanälchen der 
Cornea kann ebenfalls nicht für die Präexistenz der Saftkanälchen 
ins Gewicht fallen, da ja eine Verdrängung und Zertrümmerung 
von weichen Zellen durch Injektionsdruck leichter sich vollziehen 
wird, als die des relativ festeren Gewebes der Grundsubstanz. Ganz 
und gar nicht fügt sich in die Lehre von den Saftkanälchen der 
Bau des typischen Hyalinknorpels, der nur rundliche oder abge- 
plattete, in weitaus den meisten Fällen nirgends anastomosierende 
Zellen zeigt, die — wie man hier am lebenden Gewebe zweifellos 
sehen kann — die Höhlen der Grundsubstanz, in welchen sie 
liegen, vollständig ausfüllen.“ Sodann weiter: „Im typischen 
Hyalinknorpel gibt es weder Blut noch Lymphgefässe. Die Er- 
nährungsflüssigkeit kann hier nur durch die Grundsubstanz selbst 
zu den Zellen gelangen und zwar zwischen den feinen Fäserchen 
derselben und durch die Kapseln, welche die Zellen umhüllen, 
wobei von einem regelmässigen Strome keine Rede sein kann. 
Dasselbe gilt auch für die Hornhaut, für welche insbesondere 
die Versuche von Leber experimentell zeigten, dass ein Flüssig- 


AD P. Schiefferdecker: 


keitsstrrom durch die Saftkanälchen bei Filtrationsversuchen 
mit der lebenden Cornea nicht stattfindet. Was für diese 
Gewebe gilt, darf wohl auch auf die anderen Bindesubstanzen 
übertragen werden.“ Auf Seite 790 sagt v. Ebner bei der 
Besprechung der Cornea sodann: „v. Recklinghausen hält 
auch in seiner letzten Mitteilung (in Anat. Anz., Bd. 3, S. 612) 
noch an den Saftkanälchen fest; es wird jedoch auch bei dem 
besten Willen seine erste Aufstellung nur in sehr beschränkter 
Weise sich retten lassen. Mit Recht behauptet Koelliker, 
wie auch Kühne, Engelmann, Rollett, Ranvier u.a., 
dass die Hornhautkörperchen einer normalen Hornhaut die Lücken 
in der Grundsubstanz ganz erfüllen und dass sonach kein 
Grund vorliegt, diese Lücken besonders zu bezeichnen. Hiermit 
soll jedoch nicht gesagt sein, dass diese Lücken sich nicht in- 
jizieren lassen oder dass nicht auch unter anderen Umständen 
fremde Elemente unter teilweiser Verdrängung der Hornhaut- 
zellen in sie einzutreten imstande seien, wie dies in der Tat 
auch Engelmann von den wandernden Zellen gesehen hat. 
Noch weiter als v. Recklinghausen geht in der Verteidigung 
eines besonderen Saftkanalsystems, teilweise auf die Befunde 
Schweigger-Seidels sich stützend, G. Schwalbe (in 
Anat. d. Sinnesorg., S. 156), indem dieser Forscher den fixen 
Hornhautzellen den Charakter von plättchenartigen, da und dort 
mit seitlichen Flügeln versehenen, jedoch nicht anastomosierenden 
(Grebilden zuschreibt und die von anderen Autoren beschriebenen 
Fortsätze als Niederschläge betrachtet. Doch ist diese Ansicht 
mit den gesicherten Erfahrungen über die Natur der Hornhaut- 
zellen nicht vereinbar.“ Ich habe hier die Ansicht von v. Ebner 
ausführlicher mitgeteilt, da in ihr ein kurzer Extrakt der neueren 
Literatur zu sehen ist, zugleich mit der eigenen Ansicht eines 
hervorragenden Histologen. Auch H. Virchow spricht sich in 
seiner neuesten Arbeit über die Cornea dahin aus, dass die 
Lücken von den Zellen in der Cornea völlig erfüllt sind (12, S. 158), 
und dass in der Anordnung des Zellgerüstes keine Züge erkennbar 
sind, welche auf eine Strombahn mit bestimmter Richtung be- 
zogen werden könnten. Wir sehen also, es existiert in dem 
Bindegewebe ein System von Lücken, die durch Kanälchen anasto- 
mosieren, und dieses wird ausgefüllt von den Bindegewebszellen 
und ihren Fortsätzen; so völlig ausgefüllt, dass irgend welche 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 445 


Spalträume nicht zu erkennen sind. v. Ebner meint daher, 
um die notwendig anzunehmende Zirkulation des Säftestromes 
zu erklären, dass dieser überall durch die Grundsubstanz hindurch- 
gehe. Dass durch die Grundsubstanz des Bindegewebes ein Saft- 
strom hindurchzieht, kann man wohl mit Sicherheit annehmen, 
eine andere Frage ist es aber, wie weit man ihn als für die 
Ernährung der Zellen bestimmt und notwendig anzusehen hat. 

Zunächst spricht gegen die Annahme von v. Ebner das 
Verhalten des Knochens. Dass bei diesem der nötige Saftstrom 
durch die Grundsubstanz hindurchgehen soll, ist äusserst unwahr- 
scheinliich. Wenn beim Knochen aber das Lückensystem zur 
Zirkulation des Saftstromes genügt, dann ist es nicht einzusehen, 
warum es bei dem Bindegewebe nicht genügen soll, und man 
braucht dann die durch die Grundsubstanz hindurchgehenden 
Ströme hier nicht zu Hülfe zu nehmen. Nun aber der Knorpel. 
Wie wir eben gesehen haben, nimmt v. Ebner an, dass im 
typischen Hyalinknorpel die Ernährungsflüssigkeit nur durch die 
Grundsubstanz selbst zu den Zellen gelangen kann und zwar 
zwischen den feinen Fäserchen derselben und durch die Kapseln, 
welche die Zellen umhüllen. Hier wäre nun zunächst zu bedenken, 
dass es bei bestimmten niederen Tieren, so bei Sepia, bei Stör, 
einen Hyalinknorpel mit stark verästelten Zellen gibt, die unter- 
einander anastomosieren; hier haben wir also wieder ein System 
von Lücken und Kanälchen, woraus folgt, dass eine Zirkulation 
der Ernährungsflüssigkeit resp. der Abfuhrstoffe durch die Grund- 
substanz keine prinzipielle Eigentümlichkeit des Knorpelgewebes 
darstellt. Was den Hyalinknorpel der höheren Tiere anlangt, 
mit seinen unverästelten Zellen, so ist es richtig, dass man in 
ihm von einem Saftlückennetze nichts sehen kann. Es ist aber 
ebenso unzweifelhaft nachgewiesen worden, dass in dieser schein- 
bar ganz homogenen Grundsubstanz durch Behandlung mit 
Alkohol, mit Äther-Collodium und durch Färbung nach Alkohol- 
behandlung sehr eigenartige Bildungen deutlich sichtbar zu machen 
sind, welche dafür sprechen, dass die scheinbar so homogene 
Grundsubstanz in Wirklichkeit durchaus nicht so homogen ist. 
Ich verweise dieserhalb auf die beiden Arbeiten von Wolters 
(1891 [7, 8]), welcher unter meiner Leitung arbeitete, und auf 
das, was ich in meiner Gewebelehre (2, S. 287 ff.) gesagt habe. 
Ich würde an dem damals Gesagten noch jetzt festhalten und 


444 P. Schiefferdecker: 


annehmen, dass die Grundsubstanz des Hyalinknorpels von mehr 
oder weniger ausgebildeten Streifen durchsetzt ist, welche die 
Zellen untereinander mit dem Perichondrium und mit eventuell 
in der Knorpelsubstanz enthaltenen Blutgefässen verbinden. Diese 
Streifen würden so beschaffen sein, dass sie dem Saftstrome einen 
geringeren Widerstand entgegensetzen als die Umgebung und 
würden in diesem Sinne als Saftbahnen aufzufassen sein, Saft- 
bahnen, in denen natürlich keine Zellfortsätze liegen würden, die 
nicht scharf gegen die Umgebung abgegrenzt sein würden, und 
die nicht injizierbar sein würden. Die Knorpelzellen selbst 
würden im frischen Zustande ihre Höhlen genau so ausfüllen, 
wie die übrigen bisher besprochenen Zellen auch. Diese „Saft- 
bahnen“, wie man sie nennen könnte, würden also von den 
„Saftkanälchen“ wesentlich verschieden sein, da keine Zellfortsätze 
in ihnen liegen. Sie würden einfach als Differenzierungen der 
den Saftstrom im Sinne von v. Ebner leitenden Grundsubstanz 
anzusehen sein, Differenzierungen, welche eine leichtere Strömung 
an bestimmten Stellen erlauben und würden nicht immer gleich 
stark entwickelt sein. Die Cornea würde sich ganz ebenso 
verhalten wie das Bindegewebe sonst. Ähnlich wie der Knochen 
würde sich auch das Zahnbein verhalten, soweit die Zahnfasern 
in ihren Kanälchen liegen. In allen diesen Geweben 
würde man also annehmen müssen, dass ein sehr 
schmaler Spaltraum zwischen der Grundsubstanz 
und der Zelle, eventuell den Fortsätzen dieser, 
übrigbleibt, in welchem ein Saftstrom zirkulieren 
kann. 

Aus dem bisher Gesagten würde folgen, dass ein offenes 
Saftkanalsystem im Sinne von v. Recklinghausen nicht 
existiert. Die für dieses in Anspruch genommenen Lücken- 
systeme würden in der Tat nichts weiter sein als die zur Auf- 
nahme der Zellen nötigen Räume in der Grundsubstanz, die man 
aber dessenungeachtet praktischer Weise doch als Lücken und 
Kanälchen noch besonders bezeichnen kann, denn sie sind eben 
als besondere Bildungen der Grundsubstanz nachzuweisen. Trotz- 
dem dieses Lückensystem nun von den Zellen und ihren Fort- 
sätzen erfüllt ist, würde in ihm dennoch ein Saftstrom zirkulieren, 
so dass die von v. Recklinghausen gemachte Annahme von 
der Bedeutung des Saftlückensystems, wenigstens bis zu einem 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 445 


gewissen Grade, aufrecht erhalten werden kann. Die Breite der 
feinen Spalträume, in denen diese Zirkulation vor sich geht, wird 
sehr verschieden sein können, je nach dem Zustande der Zellen. 
Schrumpfen die Zellen, so können die Spalträume sehr breit 
werden, meist aber werden sie so schmal sein, dass sie für 
unsere Vergrösserungen kaum sichtbar oder ganz unsichtbar sind. 
Die Kraft für die Fortbewegung der Flüssigkeit in dem Spalt- 
raume kann erstens geliefert werden durch den Druck. unter 
welchem die aus den Gefässen austretende Ernährungsflüssigkeit 
steht (wie weit dieser Druck wirklich mitwirken wird, ist sehr 
schwer zu sagen), und zweitens durch die eigene Tätigkeit der 
Zellen, welche Nahrungsstoffe aktiv in sich aufnehmen und Aus- 
scheidungen aktiv abgeben. Hasse (13) hat in einer Arbeit 
die Muskelbewegung als wesentliches Moment herangezogen. Dass 
das innerhalb und zwischen den Muskeln befindliche Bindegewebe 
durch die Zusammenziehung dieser derartig beeinflusst werden 
kann, dass eine Fortbewegung der in ihm enthaltenen Flüssig- 
keiten nach einer bestimmten Richtung hin gefördert wird, ist 
wohl möglich. Indessen ist es immerhin nicht so leicht, anzu- 
nehmen, dass die in diesen feinen Räumen in ganz verschiedenen 
Richtungen das Bindegewebe durchziehende Flüssigkeit stets 
durch diesen Muskeleinfluss weitergeschoben wird. Wenn man 
einfach eine direkte Durchtränkung der Grundsubstanz mit der 
Ernährungsflüssigkeit annimmt, wie das Hasse ja allerdings 
auch tut, ohne auf die Saftbahnen Rücksicht zu nehmen, dann 
liegt die Sache weit einfacher, und es ist wohl möglich, dass in 
solchem Falle in der Tat die Muskelzusammenziehung wesentlich 
mitwirken kann. Wenn man aber annimmt, dass der .Haupt- 
saftstrom durch die vorgezeichneten Bahnen geht, so wird der 
Einfluss der Muskulatur wahrscheinlich als ein sehr viel geringerer 
anzusehen sein. Was den Knorpel anlangt, so hat Hasse eine 
sehr vollkommene Ernährung der Zellen auf dem Wege der 
Imbibition der Kittsubstanzen angenommen. „Allein auch das 
Herausdringen ist gesichert (so sagt er, 13, S.55) und zwar, wie 
ich mich überzeugt halte, durch Vermittlung der Saftkanäle oder 
Safträume des umgebenden bindegewebigen, weichen Perichondrium, 
an welches sich entweder Muskeln mit ihren Fascien anlehnen, 
oder an welches sich Muskelfasern direkt oder indirekt anheften. 
Ziehen sich die Muskeln zusammen oder erschlaffen dieselben, so 


446 P. Schiefferdecker: 


wird sowohl bei einer Anlagerung, als bei einer Anheftung der- 
selben an das Perichondrium das Saftraumsystem innerhalb des- 
selben notwendig verändert, je nachdem erweitert oder verengt, 
ganz abgesehen von der gleichen Wirkung auf die Blutgefässe. 
Die seröse Flüssigkeit, welche sich in diesen Räumen befindet, 
muss also entweder aspiriert oder an andere Orte verdrängt 
werden, und im ersteren Falle bei der Erweiterung der Saft- 
lücken können wir voraussetzen, dass dadurch das Austreten der 
imbibierten Ernährungsflüssigkeit des Knorpels in dieselben be- 
wirkt wird. Einfacher noch gestaltet sich die Sache bei den 
Knochen. Auch bei diesen lehnen sich Muskeln an das Periost, 
oder setzen sich direkt oder indirekt an dasselbe an. Sie müssen 
deshalb auf die Safträume der Beinhaut denselben Einfluss aus- 
üben, wie bei der Beinhaut des Knorpels. Da nun aber aller 
Grund vorliegt, anzunehmen, dass das seröse Kanalsystem des 
Knochens, das System der Knochenkanälchen, welche die Er- 
nährungsflüssigkeit infolge der Obertlächenansaugung erfüllt, mit 
den Safträumen des Periostes in Verbindung steht, so ist das 
Abströmen der serösen Ernährungstlüssigkeit aus dem starren 
Knochen durch die Aktion der Skelettmuskulatur in vollkommener 
Weise gesichert.“ Es ist durchaus möglich, dass die hier vor- 
getragene Anschauung von Hasse in der Tat beim Knorpel und 
beim Knochen insoweit zu Rechte besteht, als die Muskeln die 
Strömung befördern werden, trotzdem möchte ich aber doch die 
von den Zellen selbst gelieferte Kraft als haupt- 
sächlich wichtig ansehen. Haben wir doch Stellen, an denen eine 
Muskelwirkung vollkommen ausgeschlossen ist, so z. B. in der 
Cornea. Allerdings sagt Hasse: „Dasselbe gilt auch meines Er- 
achtens für die Gelenkflüssigkeit, für die serösen Flüssigkeiten 
der Bauch-, Brust-, der Perikardialhöhle, sowie der vorderen 
Augenkammer. Durch die Bewegung der Gelenkmuskeln, der 
Muskeln an der Bauchwand, des Zwerchfelles, des Herzens und 
des Ciliarmuskels werden luftleere Räume erzeugt, in welche 
hinein die serösen Flüssigkeiten gesogen werden, um von da in 
der nächsten Phase wieder andere Orte aufzusuchen.“ Ob diese 
Annahme für die Gelenkknorpel, für die Cornea wirklich als 
richtig anzusehen ist, erscheint mir sehr zweifelhaft, jedenfalls 
aber würde es sich immer nur um eine Hülfskraft handeln. 
Wenn ich hier von der Tätigkeit der Zellen gesprochen 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 447 


habe, so verstehe ich darunter die Fähigkeit der Zelle, durch 
eine ihr innewohnende Kraft Nahrungsstoffe in sich aufzunehmen 
und Stoffwechselprodukte auszuscheiden. Ich will an dieser Stelle 
nicht näher darauf eingehen, wie weit hierbei chemische oder 
physikalische Kräfte und von welcher Art in Frage kommen, es 
genügt hier, dass es eine der Zelle innewohnende Kraft gibt, 
welche die genannten Tätigkeiten auszuführen imstande ist. Ob 
man dabei anzunehmen hat, dass die Bindegewebszelle auch 
ihre Form und Grösse zu verändern vermag, ist sehr schwer zu 
sagen. An der normalen Bindegewebszelle sind: irgendwelche 
aktive Bewegungen bis jetzt nicht nachzuweisen gewesen. Man 
könnte ja aber daran denken, dass während des Stoffwechsels 
eine geringe Grössenzunahme bei der Nahrungsaufnahme und 
eine geringe Grössenabnahme bei der Ausscheidung vorkommt, 
die so gering sind, dass sie bisher unbeobachtet blieben, die aber 
bei den minimalen Räumen, um die es sich hier handelt, doch 
von Bedeutung sein könnten. Dies ist aber nur eine Möglichkeit, 
man weiss darüber nichts. 

Der wesentliche Grund für die Entstehung von besonderen 
„Saftbahnen“ oder „Saftlückensystemen“ scheint mir in der Be- 
schaffenheit der Grundsubstanz zu liegen. Während der Ent- 
wicklung liegen die Bindegewebszellen ja zuerst so dicht an- 
einander, dass eine Zwischensubstanz kaum vorhanden ist. Die 
erste Zwischensubstanz, welche sich bildet, ist ausserdem so flüssig, 
dass von gesonderten Saftbahnen in ihr ebenfalls nicht die Rede 
sein kann. Erst später, wenn die Entfernung zwischen den 
Zellen grösser geworden ist, und wenn die Zwischensubstanz an 
Konsistenz zugenommen hat, wird die Notwendigkeit für die Aus- 
bildung besonderer, besser leitender Wege, mehr und mehr hervor- 
treten. Ganz gut kann man diese Verhältnisse auch am Nabel- 
strange verfolgen. Während man hier zunächst die bekannten 
verästelten Zellen in einer sehr weichen Grundsubstanz liegend 
findet, ohne dass man irgendwelche Saftlücken nachweisen kann, 
vermag man bei älteren Nabelsträngen, in denen die Grundsub- 
stanz erheblich an Festigkeit zugenommen hat, wohl Saftlücken 
zu sehen. Man wird also annehmen müssen, dass zunächst die 
Grundsubstanz für die Stoffwechselflüssigkeiten derartig leicht 
durchgängig ist, dass eine besondere Bahn für dieselben 
wenigstens nicht sichtbar zu machen ist; ob sie trotzdem vor- 


445 P. Schiefferdecker: 


handen ist, weiss man ja nicht. Später aber tritt eine solche 
Bahn mehr und mehr hervor; natürlich nur in der Breite und 
Ausdehnung, wie sie gerade notwendig ist; sie bildet sich ja nur 
durch die Notwendigkeit. In dieser Weise muss man sich natür- 
lich auch, wie ich das oben schon hervorgehoben habe, jene Saft- 
bahnen im Knorpel entstanden denken, welche nicht als wirkliche 
Lücken auftreten, sondern nur als Streifen in der Grundsubstanz, 
die für die Stoffwechseltflüssigkeiten durchgängiger sind als die 
übrige Grundsubstanz, und die man nur auf ganz bestimmte 
Weise einigermassen deutlich zu machen vermag. Verästeln sich 
die Zellen und anastomosieren die Aeste derselben untereinander, 
so bilden sich auf eine sehr einfache Weise in der Grundsubstanz 
Kanälchen. Diese treten um so deutlicher hervor, je consistenter 
die Grundsubstanz ist. So findet man also je nach der Art der 
Grundsubstanz und je nach dem Stoffwechselbedürfnisse der Zellen 
des betreffenden Gewebes alle möglichen Arten der Entwicklung 
der Saftbahnen, von den unscheinbarsten Anfängen an bis zu 
schön ausgebildeten, komplizierten Lückensystemen. Es ist dabei, 
wie ich hier noch besonders hervorheben möchte, durchaus 
anzunehmen, dass von denselben aus bestimmte Stoffwechsel- 
produkte auch in die Grundsubstanz eindringen. Die Zelle hat’ 
zuerst die Grundsubstanz gebildet und wird sie auch später 
voraussichtlich ernähren und beeinflussen. Meiner Meinung nach 
muss man annehmen, dass die Grundsubstanz ein lebendes Gebilde 
ist, das unter dem Einflusse der Zelle steht; auch in meiner 
(Gewebelehre (2) habe ich mich schon in diesem Sinne aus- 
gesprochen. 

Ausser in den Bindesubstanzen findet man, wie schon er- 
wähnt, derartige feine Spalträume auch im Nervensysteme. 
In einer Arbeit über den Bau der Nervenfaser (5) habe ich zuerst 
im Jahre 1557 darauf aufmerksam gemacht, dass man zwischen 
dem Achsenzylinder und der Markscheide in der markhaltigen 
Nervenfaser einen für gewöhnlich unsichtbaren, sehr feinen Spalt- 
raum annehmen müsse, den „periaxialen Spaltraum®. In einer 
weiteren Arbeit habe ich im Anfange dieses Jahres ausgeführt, 
dass man bei der marklosen, aber mit einer Schwannschen 
Scheide versehenen Nervenfaser ebenfalls einen „periaxialen Spalt- 
raum“ annehmen müsse, und bei der markhaltigen, mit einer 
Sehwannschen Scheide versehenen Nervenfaser ausserdem auch 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 449 


noch einen „perimyelinen Spaltraum“ zwischen Markscheide und 
Schwannscher Scheide. Alle solche Spalträume können natür- 
lich nur zwischen Gebilden vorkommen, welche völlig unabhängig 
voneinander sind (im morphologischen Sinne) und sich daher auch 
direkt voneinander abheben können. Das ist der Fall. Sowohl 
die Bindegewebszellen mit ihren Fortsätzen wie die Grundsubstanz, 
sowohl der Achsenzylinder und die Markscheide wie die 
Schwannsche Scheide sind selbständige, organisierte Bildungen, 
welche einander nur anliegen, sich aber gegebenenfalls glatt 
voneinander zu trennen vermögen. Dass dies der Fall ist, sieht 
man sofort, wenn eine Veränderung der Teile eintritt, durch 
welche ein Abheben bedingt wird: dann treten deutlich die Räume 
der Saftlücken hervor, dann sieht man deutlich Räume entstehen 
zwischen Achsenzylinder und Schwannscher Scheide. zwischen 
Achsenzylinder und Markscheide, zwischen Markscheide und 
Schwannscher Scheide. Ich habe in meiner ersten Nerven- 
arbeit (5) das Verhalten des Achsenzylinders zu der Markscheide 
verglichen mit dem Verhalten der beiden Pleurablätter zueinander. 
Die Lunge mit dem sie überziehenden Pleurablatte liegt unter 
normalen Verhältnissen dem parietalen Pleurablatte zweifellos 
dicht an. Zwischen den beiden Blättern liegt sicher eine ausser- 
ordentlich feine Flüssigkeitsschicht, welche eben das leichte Gleiten 
der beiden Blätter aufeinander gewährleistet. An den Stellen, 
an denen aus irgend einem Grunde die Blätter auseinander- 
weichen, so z. B. bei dem Übergange in die Sinus pleurae, wird die 
Flüssigkeitsschicht an Dicke zunehmen. An den Stellen des engen 
Aneinanderliegens der beiden Blätter wird sie wahrscheinlich so 
fein sein, dass sie auf einem Durchschnitte ebenfalls unsichtbar 
sein würde. Die Blätter sind eben auf ihrer Oberfläche einfach 
feucht. Wenn wir zwei Blätter feuchten Papiers nehmen und 
diese aufeinanderlegen, so wird sich zwischen beiden eine feine 
Flüssigkeitsschicht befinden. Die Blätter sind feucht, weil auf 
ihrer Oberfläche eine feine Flüssigkeitsschicht liegt. Lege ich 
die Blätter aufeinander, so verbinden sich die beiden Schichten 
zu einer. Die Dicke dieser Schicht wird verschieden sein, je 
nach dem Drucke, durch welchen die beiden Blätter aufeinander 
gepresst werden. Wird dieser Druck sehr gross, so werde ich 
die gesamte Flüssigkeit aus den beiden Blättern auspressen 
können, dann werden die Blätter trocken werden und die Flüssig- 


450 P. Schiefferdecker: 


keitsschicht zwischen ihnen wird verschwinden; bei einem mässigen 
Drucke aber werden die Blätter feucht bleiben und die Flüssig- 
keitsschicht zwischen ihnen wird nur, je nach der Stärke des 
Druckes, verschieden dick sein. Im Körper wird es sich immer 
nur um einen mässigen Druck handeln, die Gewebsteile werden 
stets hinreichend feucht sein, aber auch hier wird der Druck 
innerhalb gewisser Grenzen schwanken können, und die Dicke 
der Flüssigkeitsschicht wird demgemäss verschieden sein. Der 
Druck der in dem Körper aufeinanderwirkenden Teile wird 
einmal abhängen von der inneren Spannung der aufeinander- 
wirkenden Teile, von der „Protoplasmaspannung“, wenn man so 
sagen darf, und dann von dem in der betreffenden Körpergegend 
gerade herrschenden Flüssigkeitsdrucke. Ist die Spannung der 
organisierten Teile, die nicht einfach physikalisch von der Flüssig- 
keit durchsetzt werden, gering, so wird der Flüssigkeitsdruck 
überwiegen und die Spalten werden breiter werden und umge- 
kehrt. Ich glaube allerdings nicht, dass die Verhältnisse immer 
so einfach liegen werden, ich möchte vielmehr annehmen, dass 
sie oft sehr kompliziert sein werden, besonders auch unter patho- 
logischen Verhältnissen. Hierauf hier näher einzugehen, hat 
keinen Zweck. 

Wenn ich vorher davon gesprochen habe, dass diese feinen 
Spalträume so fein sein können, ja unter normalen Verhältnissen 
sogar gewöhnlich so fein sind, dass sie auch bei unseren stärksten 
Vergrösserungen unsichtbar bleiben, so könnte es scheinen, dass 
es unmöglich ist, in ihnen eine Zirkulation anzunehmen. Ich 
möchte indessen annehmen, dass das nicht der Fall ist. Liegen 
zwei Punkte nicht weiter von einander entfernt als 0.2 u, so ist 
es bekanntlich für die besten Mikroskope und die stärksten Ver- 
grösserungen nicht mehr möglich, diese Punkte getrennt zu sehen. 
Wenn die von mir angenommenen Spalträume also diese Breite 
besitzen, so wird es physikalisch unmöglich sein, sie als solche 
zu erkennen. Wie breit sie in Wirklichkeit sind, weiss man 
nicht, da sie eben unsichtbar sind. Vergleichen wir eine solche 
Breite des Spaltraumes aber mit der wahrscheinlichen Grösse der 
Moleküle, so finden wir, dass er im Verhältnis zu dieser immer- 
hin noch breit ist, ja selbst noch dann, wenn seine Breite zehn- 
mal geringer sein sollte. Wir werden also auch in einem so kleinen 
Spaltraume eine Zirkulation noch annehmen können und dieses um 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 451 


so eher, da es sich nicht um einen von starren Wänden begrenzten 
Raum handelt, und da die Wände selbst mehr oder weniger an 
der Ausscheidung von Flüssigkeit in den Spaltraum teilnehmen 
und so also auch die nötige Kraft für die Zirkulation liefern. 
Ganz anders werden die Verhältnisse aber liegen, wenn 
pathologische Veränderungen eintreten. Tritt z. B. eine Quellung 
eines der aneinanderliegenden Gebilde ein, so wird der Spaltraum 
in mehr oder weniger grosser Ausdehnung und in mehr oder 
weniger hohem Grade verengert werden können. Noch mehr 
wird dies der Fall sein, wenn eines der aneinanderliegenden Ge- 
bilde derartig verändert wird, dass es sich nicht mehr glatt von 
dem anderen abheben lässt, sondern an ihm anhaftet, anklebt, 
oder wenn es Stoffe ausscheidet, welche den Spaltraum ver- 
engern oder völlig unterbrechen, event. so beschaffen sind, dass 
sie ebenfalls an dem anliegenden Gebilde zu haften vermögen. 
Dann werden auf mehr oder weniger lange Strecken völlige Ver- 
legungen des Spaltraumes möglich sein und als Folge davon eine 
Unterbrechung der Zirkulation des Stoffwechselstromes, und als 
Folge hiervon wieder Ernährungsstörungen eintreten können. 
Alle diese Veränderungen werden ihrer Grösse nach so gering 
sein können, dass sie unsichtbar bleiben, zumal wenn man nicht 
besonders an die Möglichkeit des Vorkommens derartiger Ver- 
änderungen denkt und die Untersuchung besonders auf sie richtet. 
So ist es wohl möglich, dass manche Erkrankungen, bei denen 
man bisher eine morphologische Veränderung in den Geweben 
nicht hat auffinden können, auf Veränderungen in diesen so 
feinen Spalträumen zurückzuführen sind. Wie weit das der Fall 
ist, müssen erst nähere Untersuchungen lehren. Es wird oft 
nicht leicht sein, nachzuweisen, dass diese feinen Spalträume 
dabei beteiligt sind, und es wird dies wahrscheinlich zunächst 
nur dann gelingen, wenn die Räume infolge der Veränderungen 
so breit werden, dass man sie sehen kann. Von solchen Fällen 
aus wird man dann event. Rückschlüsse auch auf andere machen 
‚können, in denen sie unsichtbar geblieben sind. Es liegt die 
Sache hier ja ganz ähnlich wie bei dem Auffinden dieser Räume 
unter normalen Verhältnissen. Ich bin seinerzeit bei der Nerven- 
faser zu der Annahme dieser Räume auch nur dadurch gekommen, 
dass ich beobachtete, wie die einzelnen Teile unter bestimmten 
Umständen sich voneinander. abhoben. Ich habe angenommen, 


452 P. Schiefferdecker: 


dass der periaxiale Spaltraum für die Ernährung des Achsen- 
zylinders bei der markhaltigen Nervenfaser von grosser Bedeutung 
sein müsse: die durch die Ranvierschen Einschnürungen 
hindurchgetretenen Nahrungsstoffe verbreiten sich meiner Meinung 
nach in dem periaxialen Spaltraume längs des Achsenzylinders 
und umhüllen ihn so als eine Flüssigkeitsscheide. In diese Flüssig- 
keitsschicht treten aber natürlich auch die von dem Achsen- 
zylinder abgegebenen Stoffe ein und ebenso die von der Mark- 
scheide abgegebenen. Dass sich der Achsenzylinder und die 
Markscheide während des Lebens gegenseitig beeinflussen, ist sehr 
wahrscheinlich, wenn man an die starken Veränderungen denkt, 
welche in der Markscheide eintreten, wenn der Achsenzylinder 
erkrankt, z. B. wenn er nach Durchschneidung degeneriert. Ein 
Teil der von dem Achsenzylinder ausgeschiedenen Stoffe muss 
aber natürlich als unbrauchbar auch wieder aus dem Periaxial- 
raume nach aussen hin entleert werden. Ganz ähnlich liegen die 
Verhältnisse bei der marklosen Faser, nur einfacher. Hier werden 
von den Zellen der Schwannschen Scheide nur bestimmte 
Stoffe aus der von aussen zutretenden Ernährungsflüssigkeit 
hindurchgelassen, die dann die Ernährung des Achsenzylinders 
bewirken; ähnliches gilt für die Ausscheidungsprodukte. Auch 
bei der markhaltigen Faser wird die Schwannsche Scheide 
elektiv wirken, dazu wird dann noch die Wirkung der Mark- 
scheide mit den Zwischenscheiben und Zwischentrichtern kommen. 
Sowohl in dem periaxialen wie in dem perimyelinen Spaltraume 
wird man eine Zirkulation der Stoffe annehmen können. Es ist 
klar, dass schwere Ernährungsstörungen des Achsenzylinders und 
vielleicht auch der Markscheide eintreten werden, wenn die 
Zirkulation in diesen Räumen unterbrochen wird. Das kann 
nun, wie ich oben schon ausgeführt habe, durch Erkrankung der 
einzelnen aneinanderliegenden Teile geschehen, es könnte hier 
aber noch an andere Hindernisse gedacht werden. So wäre es 
möglich, dass bei jenen eigenartigen Erkrankungen der Caisson- 
arbeiter, bei denen bekanntlich ein Gasaustritt in den Blut-. 
gefässen beobachtet worden ist, sich minimale Gasbläschen in 
diesen Spalträumen bilden und so die Zirkulation in ihnen hemmen. 
Herr Prof. Rumpf machte mich in der Diskussion zu meinem 
Vortrage hierauf aufmerksam. Durch die Beobachtungen von 
L. v. Schrötter (10) ist festgestellt worden, dass bei diesen 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 453 


Erkrankungen Stickstoffgasblasen im Blute auftreten und so eine 
Zirkulationsbehinderung eintritt. Solche Gasblasen konnten auch 
bei Versuchstieren nach rascher Dekompression in den Coronar- 
gefässen des Herzens beobachtet werden. L. v. Schrötter (10) 
und ebenso H. v.Schrötter (11) nehmen daher an, dass das 
Wesen der sogenannten „Caissonkrankheit“, von den selteneren 
Hirnerscheinungen abgesehen, in ischaemisch entstandenen, be- 
grenzteren oder disseminierten Nekrosen, namentlich der weissen, 
in der geringeren Anzahl von Fällen aber auch der grauen Sub- 
stanz des Rückenmarkes besteht. Die Ischaemie wird bewirkt 
durch die Gasblasen; von Blutungen ins Gewebe findet man 
nichts. Die Grösse und Form der Nekroseherde wird durch die 
Art der Gefässverzweigung (Endarterien der Tractus antero- und 
posterolaterales) bestimmt. So entstehen Höhlenbildungen, da 
durch die Nekrose nicht nur die Nervenelemente, sondern auch 
die Stützsubstanz zugrunde gegangen sind. Diese multiplen, 
herdweisen Nekrosen treten, wie schon oben bemerkt, insbesondere 
in der weissen, seltener in der grauen Substanz des Rücken- 
markes auf, da diese letztere infolge des grösseren Reichiumes 
an Kapillaren in der Mehrzahl der Fälle verschont bleibt. Wie 
H. v. Schrötter (9) hervorhebt, besteht die beste Therapie 
dieser Erkrankungen in einer möglichst bald ausgeführten 
Rekompression, infolge deren augenscheinlich die Gasblasen 
wieder gelöst werden und so die Behinderung in der Blutbahn 
fortfällt. 

Es ist wohl möglich, dass die von den genannten Autoren 
für die Veränderungen im Rückenmarke angenommene Ursache, die 
durch die Gasblasen bewirkte Ischaemie, als die alleinige anzu- 
sehen ist. In der Tat würde der grössere Gefässreichtum der 
grauen Substanz, die grössere Möglichkeit von Anastomosen der 
Blutgefässe es wohl verstehen lassen, dass die Erkrankung hanpt- 
sächlich die weisse Substanz befällt. Immerhin ist dabei zu be- 
denken, dass die graue Substanz auch einer sehr viel reichlicheren 
Ernährung bedarf als die weisse. So meine ich, wäre es immer- 
hin zu überlegen, ob nicht neben der ja wohl unzweifelhaft vor- 
handenen Ischaemie auch noch eine andere Ursache für die 
Erkrankung speziell der weissen Substanz zu finden wäre. Da 
könnte man dann an eine solche Behinderung der Zirkulation 


innerhalb der Nervenfasern wohl denken. Vielleicht könnte man 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 30 


454 P. Schiefferdecker: 


bei der Untersuchung von weiteren derartigen Erkrankungen auf 
diesen Punkt die Aufmerksamkeit richten. 

Herrn Dr. H. v. Schrötter sage ich an dieser Stelle 
meinen Dank für die freundliche Beantwortung meiner Anfragen 
und für die Zusendung der oben zitierten Arbeiten. 

Wie weit jene feinen Spalten zwischen den Zellen der 
Epithelien ebenfalls zu diesen „minimalen Räumen“ zu rechnen 
sind, ist schwer zu sagen. Einmal sind diese Spalten mitunter 
verhältnismässig recht breit und dann kommen hier Zellbrücken, 
Kittsubstanz und dergleichen Dinge in Frage, durch welche die 
Verhältnisse. wesentlich geändert werden können. Wir wissen 
ausserdem über diese hier in Frage kommenden Dinge noch zu 
wenig, um ihren Einfluss ermessen zu können. Ich will daher 
auf diese Spalten zwischen den Epithelzellen hier nicht weiter 
eingehen. lag es mir doch überhaupt nicht so sehr daran, nach- 
zuweisen, wo überall im Körper solche „minimalen Räume“ vor- 
kommen, als daran, die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese 
bisher noch gar nicht beachteten Verhältnisse zu lenken. Ich 
hoffe, in dieser kurzen Mitteilung so weit wenigstens die Ver- 
hältnisse klar gelegt zu haben, dass man diese „minimalen 
Räume“ und ihre Bedeutung, wenn auch noch nicht als sicher 
bewiesen, so doch wenigstens als wahrscheinlich vorhanden an- 
sehen wird. Damit aber wäre für das Verständnis der Ernährungs- 
vorgänge im normalen Körper schon viel gewonnen und ebenso 
auch für das Verständnis so mancher pathologischer Vorgänge. 
Man würde dann auch zu verstehen vermögen, dass es Vorgänge 
im Körper gibt, die im Verhältnisse zuden Molekularveränderungen, 
die wir als die Grundursache unseres ganzen Lebens anzusehen 
haben, verhältnismässig noch sehr grob sind, die aber dennoch 
so fein sind, dass unsere optischen Hilfsmittel nicht mehr genügen, 
um sie uns sichtbar zu machen. Daraus würde dann folgen, dass 
wir unter Umständen auch dann Veränderungen in den Geweben 
anzunehmen berechtigt sind, Veränderungen, welche nicht mole- 
kularer Natur sind, wo wir solche nicht wahrzunehmen vermögen. 
Vielleicht dürfte es dann aber doch, wenn die Aufmerksamkeit 
einmal hierauf gerichtet ist, auf irgend eine Weise gelingen, 
solche Vorgänge sichtbar zu machen. 


Pr 


ot 


©. 


-] 


Sa 


10. 


11: 


13: 


Die „minimalen Räume“ im Körper. 455 


Literaturverzeichnis. 
Renaut, J.: Trait& d’histologie practique.. T.I. Paris. Rueff & Cie. 
Schiefferdecker, P.und Kossel, A.: Gewebelehre mit besonderer 
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schweig. Harald Bruhn 1891. 
v. Ebner, V.: A. Koellikers Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 
VI. Aufl., Bd. 3, Leipzig. Wilhelm Engelmann 1902. 
Vivante, R.: Contributo allo studio della fina anatomia del tessuto 
osseo normale. Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. 9, S. 394—405, 
1892, mit 1 Taf. 
Schiefferdecker, P.: Beiträge zur Kenntnis des Baues der Nerven- 
fasern. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 30, 1887, S. 435—494, mit 1 Taf. 
Derselbe: Über das Verhalten der Fibrillen des Achsenzylinders an den 
Ranvierschen Einschnürungen der markhaltigen Nervenfasern. Arch. 
f. mikr. Anat., Bd. 67, 1906, S. 783—798, m. 1 Taf. 
Wolters, M.: Zur Kenntnis der Grundsubstanz und der Saftbahnen 
des Knorpels. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 37, 1891, S. 492—512, m.1 Taf. 
Derselbe: Zur Kenntnis der Grundsubstanz und der Saftbahnen des 
Knorpels. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 38, 1891, S. 618—621. 
v. Schrötter, H.: Über die Bedeutung der Rekompression bei Luft- 
druckerkrankungen. Wien 1899. Nachdruck des gleichnamigen Auf- 
satzes aus der Monatsschrift für Unfallheilkunde 1898. 8 Ss. 
v. Schrötter, L.: Zur Kenntnis der Dekompressionserkrankungen. 
Prager med. Wochenschrift, Bd. 24, Nr. 14, 1899. Im Separatabdruck 
17 S. m. 2 Abb. 
v.Schrötter, H.: Zur Pathogenese der sogenannten Taucherlähmung. 
Verhandlung der Deutschen pathol. Ges., 8. Tagung, Breslau, 18. bis 
21. September 1904, S. 136—138, mit 1 Taf. 


. Virchow, H.: Mikroskopische Anatomie der äusseren Augenhaut und 


des Lidapparates. Graefe-Saemisch, Handbuch der ges. Augenheilk., 
Lief. 103 und 104, 1906, 2. Aufl., S. 1—160, mit 48 Fig. 

Hasse, C.: Über die Ursachen der Bewegung der Ernährungsflüssig- 
keiten im tierischen Körper. Pflügers Arch., Bd.33, 1884, S. 52—59. 


30* 


457 


Über die Entwicklung des Mittelohres von 
Emys europaea nebst Bemerkungen zur Neurologie 
dieser Schildkröte. 


Von 
Dr. phil. Noack. 


Hierzu Tafel XVIII und 6 Textfiguren. 


Darlegung der Frage und Literarisches. 


Die. Entstehung des Mittelohres der Reptilien sowohl, wie 
der Amphibien, vor allen Dingen aber die Bildung des Gehör- 
knöchelchens bildet noch immer einen strittigen Punkt in der 
Entwicklungsgeschichte dieser Tiere. Eine grosse Zahl der 
älteren und neueren Anatomen haben die Entwicklung der Ge- 
hörknöchelchen bei den verschiedensten Wirbeltieren untersucht, 
und leider sind ziemlich widersprechende Ansichten als End- 
resultate dieser Untersuchungen aufgestellt worden. In aller 
Kürze möchte ich hier zunächst eine Zusammenstellung der haupt- 
sächlichsten Meinungen geben, die dem vortrefflichen Referat 
E. Gaupps: „Ontogenese und Phylogenese des schall-leitenden 
Apparates bei den Wirbeltieren* entnommen, hier aber des 


besseren Verständnisses wegen kaum zu entbehren sind. 

Die ersten verlässlichen Angaben stammen von Rathke (1832), der 
das Operculum und die Ohr-Columella des Frosches als eine Bildung der 
Labyrinthwand betrachtet, in einer späteren Arbeit aber (1839) bei der Natter 
die Entstehung der Ohr-Columella von dem zweiten Visceralbogen ableitet. 

Ebenso gehört nach Huxley (1869) die Columella der Sauropsiden 
zum Hyoidbogen, der ja dem zweiten Visceralbogen entspricht. Er ver- 
gleicht die Columella dem Stapes 4 Incus der Säuger und behauptet diese 
beiden Teile noch deutlich als Stapes und Suprastapediale (— Incus der Säuger) 
unterscheiden zu können. Beide Teile seien nun aber bei den Sauropsiden 
noch kontinuierlich verbunden, während bei den Säugern zwischen beiden 
ein Gelenkspalt bestehe. Der dritte Abschnitt „Extrastapediale“ der Saurop- 
siden-Columella, der die Verbindung mit dem Trommelfell vermittle, gehe 
bei den Säugern zu Grunde. 

Als nächster sprach nun Stoehr (1879) die Vermutung aus, dass bei 
einer Columella, die aus einem Operculum und einem Stiel besteht, der letztere 
vielleicht dem Zungenbeinbogen entstammt, somit eine derartige Columella 
eine zusammengesetzte Bildung sei. Diese Vermutung, die in der „Morphology 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 31 


458 Noack: 


of the Skull“ (1877) schon als Tatsache proklamiert war, ist von Parker 
noch in mehreren Spezialarbeiten als zu Recht erklärt worden. 

Für die Anuren haben Villy (1890), Killian (1890) nnd Gaupp 
(1893) bestätigt, dass das Operculum eine rein labyrinthäre Bildung sei, die 
Columella aber aus einem Strange entsteht, der anfangs von der Labyrinth- 
kapsel zum Quadratum zieht und von der Ohrkapsel aus verknorpelt. 

Vorher schon (1889) hatte C. K. Hoffmann bei Embryonen von 
Lacerta agilis gefunden, dass ein medialer Abschnitt der Columella auris als 
ein Fortsatz der Labyrinthkapsel entsteht, daher lässt er die Columella sich 
aus zwei Teilen bilden: Otostapes und Hyostapes. Der weitaus grösste Teil, 
der Otostapes, soll aus dem mesoblastischen Labyrinth entstehen, der andere 
kleinere Teil, der Hyostapes, soll ein vom Hyoidbogen abgetrennter Skelet- 
teil sein. 

Bis hierhin reichen die älteren Angaben aus dem Gauppschen Referat. 
In neuerer Zeit sind nun zwei bemerkenswerte Arbeiten erschienen und zwar 
von Versluys jr. (1903): „Entwicklung der Columella auris bei den Lacer- 
tiliern“ und von Moeller (1905): „Zur Kenntnis der Entwicklung des 
Gehörknöchelchens bei der Kreuzotter und der Ringelnatter.“ 

Letzterer spricht bei den bezüglich des Gehörorgans weit tiefer stehenden 
Ophidiern der Columella jedweden hyoidalen Ursprung ab. Nach ihm bildet 
das Gehörknöchelchen im Gegensatz zu Parker und Hoffmann ein ein- 
heitliches Gebilde, das aus dem caudalen Ende der Blastemkapsel des häutigen 
Labyrinthes entsteht. 

Im geraden Gegensatze zu den Ergebnissen von Moeller steht 
nun Versluys jr. mit seinen Befunden, deren Beschreibung mit einigen 
Abkürzungen beinahe wörtlich wiedergegeben ist: „Hoffmanns Angaben, dass 
sich bei jüngeren Lacerta-Embryonen der Stapes nicht gegen die Ohrkapsel 
abgrenzen lässt, kann ich bestätigen; Aehnliches finde ich auch bei Hemi- 
dactylus. Andererseits war bei Platydactylus und Gecko immer eine 
Abgrenzung möglich, wie Kingsley von Sceleporus beschrieben hat.“ 

Nachdem Versluys dann noch näher auf die einzelnen Unterschiede 
eingeht und betont, dass seine Präparate nur für Gecko und Pladydaectylus, 
nicht aber für Lacerta und andere Sauropsiden eine Beteiligung der Labyrinth- 
kapsel am Aufbau des Stapes ausschliessen, fährt er folgendermassen fort: 
„Wohl aber beweisen meine Präparate, dass bei Gecko und Pladydactylus 
die Fussplatte des Stapes ein vom Labyrinth unabhängig entstehender Skelet- 
teil ist. Und dann wird man doch wohl gezwungen, für die Fussplatte bei 
allen Lacertiliern eine Entstehung ganz oder grösstenteils von der Labyrinth- 
kapsel aus zu verneinen. Hierin schliesse ich mich Kingsley an.“ 


Wie sich aus dieser literarischen Darstellung ergibt, bieten 
sich nunmehr für die weiteren Untersuchungen dieser Verhältnisse 
vor allen Dingen die Hydrosaurier dar, umsomehr, als unsere bis- 
herigen Kenntnisse darüber fast ausschliesslich aus älteren Arbeiten 
stammen. (Geeignetes Crocodilier- Material zu beschaffen dürfte 
wohl mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden sein. Dagegen 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 459 


ist mir die Beschaffung eines sehr brauchbaren Schildkröten- 
Materials gelungen, das dem anatomisch-biologischen Institut zu 
Berlin entstammt, und für dessen Überlassung ich gleich an 
dieser Stelle Herrn Geheimrat Prof. Dr. OÖ. Hertwig meinen 
verbindlichsten Dank aussprechen möchte. 

Die erst in neuerer Zeit wieder hervorgetretenen oben 
näher charakterisierten Meinungsverschiedenheiten über die Ent- 
wicklung der Columella rechtfertigen wohl ohne weiteres meine 
hauptsächlich diese Frage betreffenden Untersuchungen. 


Material und technische Methoden. 


Aus der Reihe der 15 Schnittserien, die zur Untersuchung 
gelangten, war bei den den sechs jüngsten Stadien angehörenden 
noch keine Spur einer Columella-Anlage vorhanden. Die folgende 
Untersuchung bezieht sich demnach auf neun Serien Embryonen 


von Emys europaea. 

Nach Durchfärbung der durchgeschnittenen Köpfe mit Boraxkarmin 
wurden dieselben in Paraffinblöcke eingebettet und in dorso-ventraler Richtung 
in Serien von 10 „ zerlegt. Es wurde dann noch eine Schnittfärbung mit 
Bismarck-Braun und Bleu de Lyon angewandt zur besseren Differenzierung 
des Knorpels und des Nervengewebes. 

Von zweien der Embryonen wurden nun nach der Bornschen Methode 
plastische Rekonstruktionen der sämtlichen in Betracht kommenden’knorpligen 
Teile, der Kiementaschen, Gefässe, Nerven und der Knochenanlagen, soweit 
letztere vorhanden waren, hergestellt einmal, um die Lageverhältnisse der 
einzelnen Organe zu einander in 'situ zu konstatieren, vor allen Dingen aber, 
um den Verlauf der Columella zwischen der knorpligen Labyrinthkapsel und 
der eigentlichen Mittelohranlage zu bestimmen. Die Schnitte wurden in 
hundertfacher Vergrösserung projiziert, die Skizzen aus Wachsplatten von 
1 mm Dicke ausgeschnitten und unter Anwendung der an sämtlichen Schnitten 
vorhandenen Richtungsebene zu den Modellen zusammengefügt. 


Ergebnisse der früheren Untersuchungen. 


Über das Mittelohr der Schildkröten liegen hauptsächlich 
ältere Angaben vor. Eine sehr genaue anatomische Beschreibung 
des Gehörorgans der Schildkröten gab zuerst Hasse. Zum besseren 
Verständnis des Folgenden möchte ich, bevor ich auf die spezielle 
Entwicklungsgeschichte eingehe, an ihn mich anlehnend, zunächst 
eine kurze Anatomie des Gehörorgans vorausschicken. 

Das Quadratum ist bekanntlich bei allen Schildkröten mit 


dem Schädel in feste Verbindung getreten. Oberhalb des Proc. 
3 


460 Noack: 


articularis, den das Quadratum an seiner unteren Fläche zur 
Verbindung mit dem Unterkiefer besitzt, vertieft sich das Quadra- 
tum sehr stark und nimmt in sich den vorderen oder äusseren 
Teil der Paukenhöhle auf, der nach lateral von dem im Quadra- 
tum ausgespannten Trommelfell begrenzt wird. In diesen äusseren 
Abschnitt mündet jederseits die Tube. Die Kommunikation des 
äusseren mit dem inneren Teil des Cavum tympani wird durch 
einen Kanal hergestellt, der bei einigen Formen ganz vom 
Quadratum umlagert wird, bei anderen Formen dagegen, wie 
auch bei Emys, nur, teilweise. Der knöcherne Paukenhöhlen- 
kanal ist z. B. bei Emys nach hinten und unten spaltförmig offen 
und wird erst durch accessorische Weichteile verschlossen. Nach 
medial gelangen wir durch den Paukenhöhlenkanal in den inneren 
Raum der Paukenhöhle, der teils von Knochen, teils von Weich- 
teilen begrenzt sich gegen die Labyrinthkapsel erstreckt. Durch 
den Kommunikations-Kanal nun tritt die Columella hindurch. 

Gaupp schreibt in seiner vorher erwähnten Zusammen- 
stellung: „Alle Autoren schildern die Columella auris als ein 
einheitliches Gebilde, das einen längeren medialen knöchernen 
Stiel und eine laterale knöcherne Endscheibe unterscheiden lässt. 
Der mediale Stiel verschliesst mittels einer Fussplatte die Fenestra 
vestibuli, die laterale Endscheibe ist in das Trommelfell eingewebt 
und wird daher auch Insertionsplatte genannt.“ 

Wenn schon in den Entwicklungsgeschichten der Schild- 
kröten von Agassiz und Clark und in dem noch älteren Werke 
von Rathke von der Entwicklung des häutigen Labyrinthes mit 
seiner Kapsel wenig mitgeteilt wird, so sind die Angaben über 
die Bildung des Mittelohres mit seinen zugehörigen Organen noch 
spärlicher. Nachdem Agassiz bei einem Embryo von Chelonia 
Midas die frühesten Stadien der Ohrentwicklung als zwei becher- 
artige Vertiefungen an jeder Seite des Kopfes geschildert hat 
und dann kurz die Bildung und Lage des Vestibulums mit seinen 
drei Bogengängen beschrieben hat, geht er etwa mit folgenden 
Worten zur Schilderung des Antevestibulums über: „Das Ante- 
vestibulum oder die Paukenhöhle, die den Steigbügel des Ohres 
enthält, ist sehr breit und in zwei Abteilungen geteilt, eine bei- 
nahe kugelförmige, den S. mastoideus, der sich in seine breitere 
Abteilung, die richtige Paukenhöhle, öffnet. Das Antevestibulum 
breitet sich sowohl nach vorn als auch nach hinten viel weiter 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 461 


aus als das Vestibulum. Der Steigbügel, das einzige Gehör- 
knöchelchen, das die Schildkröte besitzt, ist ein kurzer und dicker 
Knorpelzylinder mit sehr breiten äusseren und inneren Enden.“ 

Rathke hat nun seine entwieklungsgeschichtlichen Unter- 
suchungen über die Schildkröten an mehreren ausländischen 
Tieren, aber auch an vier Exemplaren von Emys europaea ange- 
stellt. Jedoch auch seine Angaben speziell über den Gehör- 
apparat, die sich auf ein junges und ein erwachsenes Exemplar 
von Chelonia Midas und zwei ziemlich gleichaltrige Embryonen 
von Emys europaea beziehen, beschränken sich im wesentlichen 
auf die Beschreibung der Form und der Lage des Vestibulums 
mit seinen Anhängen. Nur macht er noch einige für mich 
unwesentliche Angaben über das Gehörknöchelchen, das er bei 
den reiferen Embryonen schon vollständig ausgebildet vorfand, 
so dass er über seine Entwicklung nichts angeben konnte. Rathke 
schildert das Gehörknöchelchen als einen’ stabförmigen Knorpel, 
der an beiden Enden eine fast linsenförmige Anschwellung besitzt. 
Von letzteren verschliesst die etwa um ein Drittel kleinere die 
Öffnung des inneren Ohres, während die andere mit ihrer schwach 
gewölbten äusseren Seite dem Trommelfell anliegt und mit dem- 
selben ziemlich fest zusammenhängt. 

Als letzter hat wohl Parker, der verschiedene Entwicklungs- 
stadien des Chelone-Schädels untersuchte, eine Reihe Bemerkungen 
über die Columella gemacht, jedoch kann man über den wichtigsten 
Punkt, eine etwaige Beteiligung des Hyalbogens an der Columella- 
Bildung, nichts mit Sicherheit entnehmen. Nach seiner Ansicht 
muss man genetisch zwei verschiedene Abschnitte der Columella 
unterscheiden, einen labyrinthären, der die Fussplatte der Colu- 
mella bildet, und einen hyalen, der den Stiel mit der Endplatte 
oder Insertionsplatte bildet. Irgend ein Moment, welches die 
Zugehörigkeit des letzteren Abschnittes zum Hyalbogen ergäbe, 
ist dagegen bei Parker nicht angeführt. 

Nach dem heutigen Standpunkt der Wissenschaft wären 
demnach drei verschiedene Möglichkeiten für die 
Entstehung der Columella auris der Schild- 
kröten denkbar. Entweder hat sie rein labyrin- 
thären Ursprung, oder aber rein hyalen Ursprung, 
und drittens könnte sie einGemisch von labyrin- 
thärem und hyalem Ursprung darstellen. 


462 Noack: 


Welche von den drei Ansichten für meine Untersuchungs- 
objekte die zutreffende ist, werde ich in der folgenden Darstellung 
auseinanderzusetzen versuchen. 

Nachdem so die Entstehungsmöglichkeiten der Columella 
auris speziell für die Schildkröten erwogen wurden, gehe ich nun- 
mehr zur Darstellung der Untersuchungen selbst über. 

Nach einer kurzen Schilderung der äusseren Form des Embryos 
folgen die an den Schnittserien gewonnenen Beobachtungen, welch 
letzteren dann bei den beiden betreffenden Serien gleich die 
Beschreibung der beiden Modelle angefügt wird. 


Embryonalstadium VI. 
Das Äussere des Embryos. 

Dieser Embryo hat in seiner stark gekrümmten Lage eine 
kranio-kaudale Länge von 12,5 mm. Im Innern der Augenblase 
ist die Linse bereits als zentraler, weisslicher Körper wahrzu- 
nehmen. Die beiden ersten Visceraltaschen kommen nicht mehr 
zum Durchbruch, was auf dem vorhergehenden Stadium noch der 
Fall war. Die Anlagen der Gliedmaßen lassen sich schon deutlich 
als warzenförmige Erhebungen erkennen. 

Rings vom Mesenchymgewebe umgeben treten lateral vom 
Hinterhirn zunächst die Qnerschnitte des Labyrinthanhanges, dann 
die der epithelialen Labyrinthblase hervor. Letztere zeigt bereits 
die Anfänge der Bogengangsbildung. Durch Verdichtung des 
Mesenchymgewebes bildet sich nach kaudalwärts um die Labyrinth- 
blase herum allmählich das Blastem der Labyrinthkapsel, das 
durch seine stärkere Färbung von dem embryonalen Bindegewebe 
leicht zn unterscheiden ist. Von den umgebenden Organen der 
Labyrinthblase fällt zunächst der mächtig entwickelte N. trige- 
minus auf. Kurz nach seinem Austritt ans dem Gehirn schwillt 
er zu einem deutlich in zwei Abschnitte zerlegbaren Ganglion 
an, das aus dem einen Teil den gegen den hinteren Augenpol ver- 
laufenden R. ophthalmieus abgibt, aus dem anderen Teil einen 
dicken Strang, der sich bald in den R. supramaxillaris und den 
R. inframaxillaris teilt. Beide Äste verlaufen kaudalwärts noch 
eine kurze Strecke neben einander, bis man den R. supramaxillaris 
zu einer Muskelanlage abbiegen sieht. An der medialen Seite 
des Kapselblastems erscheint dann das gemeinsame Ganglion des 
N. acusticus und des N. facialis. Bald verlässt dieses Ganglion 


Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 463 


der N. facialis als dichter Zug von Nervenfasern in latero-kaudaler 
Richtung, um dann an der lateralen Blastemseite zu dem besonderen 
Ggl. faciale s. geniculi anzuschwellen. Nach ventral und nach 
dorsal geht vom letzteren Ganglion je ein Nervenast ab. Der 
zwischen der A. carotis interna und der ersten inneren Schlund- 
spalte nach ventral ziehende Ast bildet den vorderen Hauptstamm 
oder R. palatinus älterer Embryonen, der vor dem sich bald 
zeigenden Columellablastem nach dorsal ziehende Ast bildet den 
hinteren Facialis-Hauptstamm älterer Embryonen. Lateral von 
der A. carotis interna befindet sich die weite V. capitis lateralis. 

Wie ich schon vorher kurz erwähnt hatte, ist dies das erste 
Stadium, auf dem die erste Kiemenspalte nicht mehr zum Durch- 
bruch gelangt. Den eigentümlichen Vorgang, der mir bei der 
Verschlussbildung der Kiemenspalte aufgefallen ist, möchte ich 
am Schluss der Betrachtungen über diese Serie noch eingehender 
behandeln. Erwähnen möchte ich hier noch, dass, wie aus Tafel- 
fig. I ersichtlich ist, sich lateral von der Spitze der ersten inneren 
Kiemenspalte das Blastem des Quadratums (Bl. Qu.) zeigt, 
noch in innigem Zusammenhange mit dem Kieferbogen (K. B.) 
stehend. 

Kurz bevor nun das Blastem des Labyrinthes in dieser 
Serie zu verschwinden beginnt, bemerkte ich medial von der 
V. capitis lateralis und vom hinteren Facialisstamme, direkt im 
Labyrinthblastem, eine nur schwach zu erkennende konzentrische 
Schichtung von Blastemzellen (Tafelfig. I, Bl. Col.), die ich glaube 
mit ziemlicher Bestimmtheit als die erste Anlage des Gehör- 
knöchelchens oder der Columella auris bezeichnen zu dürfen. 
Denn stets werden wir in den älteren Entwicklungsstadien die- 
selben Lagebeziehungen des Gehörknöchelchens zu den betreffenden 
Gefässen und Nerven wieder auftreten sehen. 

Während nun das Kapselblastem mehr und mehr schwindet, 
zeigt diese konzentrische Schichtung das Bestreben, sich etwas 
nach ventral zu verschieben, um sich an die dorsale Wand der 
Kiemenspalte anzulegen; hier verdichtet es sich bedeutend mehr 
und dehnt sich an der Wand der Kiemenspalte nach lateral zur 
Körperoberfläche hin aus (Tafelfig. II und III). 

Gerade auch diese Lage zur Kiemenspalte bestärkt mich 
in der Meinung, dass ich es mit der Columellaanlage zu tun habe. 
Denn auch bei den späteren Stadien, bei denen eine Verwechselung 


464 Noack: 


des Gehörknöchelchens mit anderen Organen ausgeschlossen ist, 
werden wir immer wieder die engen Beziehungen des Gehör- 
knöchelchens zur ersten Kiemenspalte wahrnehmen können. 

Vom dorsalen Facialisstamme (Tafelfig. III, VII r. d.) trennt 
sich bald ein feiner Nervenstrang (Ch. ty.) ab, den man bei auf- 
merksamer Betrachtung deutlich das Columellablastem durchziehen 
und sich scharf an der lateralen Spitze der ersten Kiemenspalte 
vorbei auf die ventrale Seite der Spalte hinüberwenden sehen 
kann. Die nahen Beziehungen, die dieser Nerv zum Blastem 
der Ohrcolumella hat, lassen nur auf die Chorda tympany schliessen, 
die diesen Weg nimmt, um sich in das Gebiet des Unterkiefers 
zu begeben. Der Hauptteil des dorsalen Facialisastes verliert 
sich etwas weiter kaudalwärts in einer Muskelanlage. 

Bevor ich nun meine Bemerkungen über diese Serie schliesse, 
möchte ich noch mit wenigen Worten die Vorgänge bei der Ver- 
schlussbildung der Kiemenspalte behandeln. Zu diesem Zweck 
musste ich allerdings auf die nächstjüngere, für meine haupt- 
sächlichen Untersuchungen noch nicht brauchbare Serie zurück- 
greifen. Die etwas schematisierten Tafelfiguren IV’— VIII dieser 
Serie mögen zum besseren Verständnis der folgenden Beschreibung 
dienen. 

Die erste Kiemenspalte (l, K. S.) ist bei diesem Embryo 
noch vollständig durchgängig. Der auf den bei weitem am meisten 
Schnitten fast gestreckte Verlauf der Kiemenspalte erfährt plötz- 
lich eine Störung, indem der laterale Endteil — etwa ein Drittel 
von der ganzen Länge der Spalte — wie Tafelfıg. IV zeigt, scharf 
nach dorsalwärts umbiegt. An der .dorsalen und ventralen Wand 
der Spalte treten nun gerade an dieser Umbiegungsstelle Epithel- 
wucherungen (Tafelfig. VI, Epw.) auf. Letztere wachsen nun ein- 
ander entgegen und bilden eine Verschlussmembran (Tafelfig. VII 
und VIII, Verm.) für den medialen Abschnitt der Spalte. Das 
auf diese Weise abgeschnürte laterale Drittel (Tafelfig. VII, abg. D.) 
der Kiemenspalte obliteriertt nun aber nicht, sondern vollführt 
mit seinem jetzt blinden Ende gewissermaßen einen zweiten Durch- 
bruch (Tafelfıg. VIII, 2. Db.) nach ventralwärts hin, dadurch ein 
länglich ovales Epithelstück von dem übrigen Querschnitt isolierend. 

Bei dem älteren, vorher beschriebenen Stadium, bei dem 
die Reihenfolge dieser Vorgänge nicht mehr im Zusammenhange 
zu erkennen ist, da der Verschluss der Spalte, das heisst die 


Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 465 


Lostrennung des lateralen Endes der Kiementasche bereits statt- 
gefunden hat, tritt aber dennoch dieser laterale Endteil (Tafel- 
fig. IL, 1.K.S.‘) auf, um ebenfalls die Abschnürung des betreffenden 
Epithelstückes zu vollführen. Nur bei diesen beiden Serien konnte 
ich diese eigentümliche Art der Verschlussbildung konstatieren. 
Vielleicht hat diese Zweiteilung der ersten Kiemenspalte 
mit zu der irrtümlichen Behauptung Veranlassung gegeben, dass 
die Paukenhöhle und Ohrtrompete sich aus einer sekundären Aus- 
stülpung des Rachens bilde, indem dann dieser abgeschnürte End- 
teil für den Rest der ganzen Kiemenspalte angesehen wurde. 


Von den oben angeführten Beobachtungen fasse ich die 
wichtigsten. noch einmal kurz zusammen. 

1. Ziemlich zu gleicher Zeit treten in diesem Entwicklungs- 
stadium die Blasteme des Quadratums und der Columella auris 
auf. Das erstere, allerdings noch. im- Zusammenhang mit dem 
Meckelschen Knorpel, wird von dem der Columella durch die 
V. capitis lateralis und später durch die erste Schlundspalte ge- 
trennt. 

2. Das Colomellablastem wird durch seine Lage zum hinteren 
Hauptstamm des N. facialis und zur V. capitis lateralis, ausserdem 
durch seine Beziehungen zur ersten Kiemenspalte bestimmt. 

3. Der vom hinteren Hauptstamme des Facialis sich los- 
trennende Nervenstrang kann nur die Uhorda tympani sein. 

4. Der bei der Verschlussbildung der ersten Kiemenspalte 
losgetrennte laterale Endteil derselben darf nicht für die ganze 
Spalte angesehen werden. 


Embryonalstadium VII. 
Das Äussere des Embryos. 


Dieser Embryo hat bei. seiner ausserordentlich stark aus- 
geprägten Nackenbeuge eine kranio-kaudale Länge von ungefähr 
14 mm. Eine Mundöffnung ist noch nicht vorhanden. An den 
vorderen und hinteren Extremitäten kann man deutliche End- 
platten wahrnehmen, ausserdem beginnt die Anlage des Rücken- 
schildes sichtbar zu werden. 

Nicht gerade bedeutende Unterschiede zur vorigen Serie 
treten uns bei diesem Stadium entgegen. Die Labyrinth- und 
Mittelohranlage lassen etwa folgendes Bila erkennen. 


466 Noack: 


Lateral vom Gehirn, mehr nach dorsal als nach ventral ver- 
lagert, befindet sich die häutige Labyrinthanlage. Wir haben es 
hier mit einem Stadium zu tun, auf dem alles schon vorhanden 
und alles dabei soweit differenziert ist, dass man kaum mehr von 
Taschen und Anlagen sprechen darf, sondern von embryonalen 
Teilen des häutigen Labyrinthes. 

Die pars inferior hat sich schon deutlich in den Sacculus 
und die Cochlea gesondert. An der medialen Wand des Sacculus 
mündet der Ductus endolymphaticus ein. Sacculus und Utrieulus 
kommunizieren noch ganz frei mit einander, ein canalis utriculo- 
saccularis ist also noch nicht vorhanden. Die pars superior 
labyrinthi lässt nun schon deutlich die drei Bogengänge erkennen. 

Diese ganzen Teile sind von anfangs spärlichem, später sich 
immer mehr verdichtendem Knorpelblastem umgeben. 

Über die umgebenden Organe ist folgendes zu bemerken. 

Der N. trigeminus lässt nach seinem Austritt aus der Hirn- 
blase wieder zwei deutlich von einander zu trennende gangliöse 
Anschwellungen erkennen, von denen die eine den ziemlich starken 
R. ophthalmieus zum Auge entsendet, die andere umfangreichere 
dagegen die Rr. maxillares abgibt. 

Von dem sich nun bald an der medialen Seite des Kapsel- 
blastems zeigenden Ggl. acustico-faciale trennt sich wieder der 
N. facialis ab. In latero-kaudaler Richtung durchzieht er die 
ventrale Spitze des Blastems (Tafelfig. IX, N. fac.) und bildet 
zwischen letzterem und der V. capitis lateralis sein eigenes 
Ganglion (Tafelfiıg. X, Ggl. fac.). Das Verhalten der beiden Haupt- 
äste dieses Ganglions ist genau wie in der vorigen Serie. Schon 
vor dem Erscheinen des Facialis Ganglions sieht man in dieser 
Serie den N. glossopharyngeus vom Gehirn aus ebenfalls latero- 
kaudalwärts das Kapselblastem durchziehen und an der dorsalen 
Spitze des Blastems sein Ganglion bilden (Tafelfig. IX, Ggl. gloss.). 

Lateral vom Kapselblastem, von diesem durch die V. capitis 
lateralis und die erste Kiemenspalte getrennt, liegt dicht unter 
dem äusseren Epithel das rundliche Quadratumblastem (Tafelfig. IX, 
Bl. Qu.). Die später sich im Quadratum bildende Höhlung, die 
zur Aufnahme des tympanalen Raumes bestimmt ist, lässt sich 
schon deutlich durch leichte zentrale Zellauflockerung im Blastem 
erkennen. Dorsal von diesem Blastem zeigt sich die Öffnung der 
ersten inneren Kiemenspalte (1. K. S.). 


Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 467 


Genau wie in der vorigen Serie lässt das Blastem des Laby- 
rinthes medial von der V. capitis lateralis und vom hinteren 
Facialisstamme einen dichteren Zellenkomplex erkennen (Tafelfig. IX, 
Bl. Col.).. Wenige Schnitte weiter kaudalwärts, nachdem der 
dorsale Facialisast zwischen Kapselblastem und Kiemenspalte nach 
dorsal gezogen ist, dehnt sich dieser Zellenkomplex nach lateral- 
wärts aus. Dadurch kommt er wieder an die dorsale Wand der 
Kiemenspalte zu liegen, wo er als dichte, von dem umgebenden 
Mesenchymgewebe scharf abgesonderte Blastemmasse zu erkennen 
ist (Tafelfig. X, Bl. Col.). Der ganzen Form und vor allen Dingen 
der ganzen Lage zu den umgebenden Organen nach kann ich 
dieses Gebilde nur für das in der Entstehung begriffene Gehör- 
knöchelchen halten. 

Kaudalwärts von der ersten Kiemenspalte bemerkte ich jeder- 
seits eine blastematöse Spange, die in der Medianlinie zusammen- 
fliessen. Diese Elemente des Zungenbeinbogens treten erst auf, 
nachdem von dem Columellablastem auf den Schnitten nichts mehr 
zu bemerken ist, ein Zusammenhang zwischen diesen beiden An- 
lagen war daher nicht zu konstatieren. 

Der hintere Facialisstamm begibt sich wieder zu einer 
Muskelanlage (Tafelfig. X, M VII), nachdem er vorher die Chorda 
tympani abgegeben hat. Letztere durchsetzt ziemlich weit kaudal- 
wärts die Gehörknöchelchen-Anlage, um sich ventral von der 
Kiemenspalte zum Blastem des Quadratums zu begeben. 


1. Als wichtigste Betrachtung dieser Serie wäre die vom 
Gehörknöchelchen vollständig getrennte Anlage des Zungenbein- 
bogens zu bemerken. 

2. Die Anlage des Gehörknöchelchens ist durch seine dichtere 
Zellschichtung sowohl gegen das Blastem der Labyrinthkapsel, 
als auch gegen das umgebende Mesenchymgewebe ganz gut abzu- 
grenzen. 

Embryonalstadium g. 

Der Embryo g war in der ursprünglichen Serienreihe noch 
nicht vorhanden. Zwischen Emys VIII und IX war ein so grosser 
Entwicklungsunterschied, dass wir uns nach einem Zwischenstadium 
umsehen mussten. Durch die Freundlichkeit von Herrn Prof. 
Koltzoff in Moskau ist es uns gelungen, diese Lücke in der 


468 Noack: 


Entwicklungsreihe zu überbrücken. Ich möchte daher nicht ver- 
säumen Herrn Prof. Koltzoff für die freundliche Überlassung 
einiger Embryonen aus seiner Sammlung meinen verbindlichsten 
Dank auszusprechen. 


Das Äussere des Embryos. 


Der Embryo g hat eine Länge von 15 mm. Der Kopf hat 
sich beträchtlich aufgerichtet, und es hat sich ein deutlicher 
Hals herausgebildet. Immerhin ist aber die Nackenbeuge noch 
gut zu erkennen. Die Extremitäten lassen an ihren Endplatten 
eine deutliche Gliederung erkennen, auch die Ausbildung des 
Rückenschildes hat Fortschritte gemacht. 


Es ist dies das erste Stadium, bei dem gelblich schimmernde 
Blastemkapseln um die epithelialen Labyrinthblasen auftreten. 
Der Übergang der Kapseln in das Vorknorpelstadium ist noch 
nicht überall eingetreten, sondern stellenweise bestehen sie noch 
aus blastematösen Schichten. Oralwärts stehen die beiden Kapseln 
durch einen epithelialen Bogen in Verbindung, in dem das bereits 
auch knorplige Basi-sphenoid auftritt. Lateral von der Labyrinth- 
kapsel liegt das Quadratum, dessen Blastem ebenfalls schon in 
das Vorknorpelstadium übergegangen ist. Oralwärts vom Quad- 
ratum tritt der ovale Querschnitt des Meckelschen Knorpels her- 
vor. Alle Knorpelteile werden von einem dichten Blastemmantel 
umhüllt. 

Medial und etwas dorsal vom Auge treten zwei feine Nerven- 
fasern zu einem gemeinsamen Stamm zusammen, der kaudalwärts 
dann in das Trigeminus-Ganglion eintritt. Nach wenigen Schnitten 
nun verlässt der uns schon bekannte R. ophthalmicus dasselbe 
Ganglion, um sich nach vorn zum Auge zu begeben. Er kreuzt 
auf seinem Wege einen dichten Nervenstrang, den Oculomotorius. 
Aus dem langgestreckten Ganglion acusticum tritt wieder der 
N. facialis heraus. Er schlingt sich um die orale Spitze der 
Kapsel herum, an deren lateraler Seite er dann zum Ganglion 
faciale anschwillt. Vom Hinterhirn trennt sich bald der N. glosso- 
pharyngeus ab. Dicht bei dem Acusticus-Ganglion vorbei dringt 
er in die Labyrinthkapsel ein und durchzieht sie in lateraler 
Richtung. Durch einen eigenen Kanal kommt er an der lateralen 
Kapselwand wieder zum Vorschein, um dann hier mit einem 
Facialis- Aste unter Bildung einer gangliösen Anschwellung 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 469 


eine Verbindung einzugehen. Dieser betreffende Facialis - Ast 
(Tafelfig. XI, VITI— IX) kommt ventral vom hinteren Facialis- 
stamm direkt aus dem Facialis-Ganglion und begibt sich in 
geradem Verlauf zum Glossopharyngeus. Ausserdem treten dann 
noch aus dem Gehirn die Wurzeln des Accessorio-vagus zu dem 
gleichnamigen dicken Nervenstamm zusammen und einige Schnitte 
hinterwärts aus der Medulla oblongata die beiden Wurzeln des 
N. hypoglossus hervor. 

Zwischen die Labyrinthkapsel und den Quadrat-Knorpel 
schiebt sich nun die V. capitis lateralis, ventro-dorsalwärts nach 
vorn ziehend. Dicht an ihrer lateralen Wand zeigt sich bald 
das Lumen der ersten inneren Kiemenspalte, an ihrer medialen 
Wand liegt das Ganglion faciale und von ihm ausgehend der 
hintere Facialisstamm. Wenn letzterer Nerv eben etwa die Mitte 
der lateralen Labyrinthwand passiert hat, beginnt diese Stelle der 
Wand dicht an der ventralen Kante gegenüber der vorher erwähnten 
Vene, allmählich sich mehr und mehr zu verdicken, bis sie schliess- 
lich zu einem langen kegelförmigen Fortsatz nach lateralwärts 
auswächst. Gegen die übrige Labyrinthwand ist die mediale 
verbreiterte Partie der Columella, denn das ist der aus der 
Labyrinthwand herauswachsende Zapfen (Tafelfıg. IX, Col.), durch 
einen dichten Kranz etwas mehr rot gefärbter, also noch blas- 
tematöser Zellen, abgesetzt. Das blinde Ende der Kiemenspalte, 
die aus ihrer ursprünglichen aboralen Richtung abbiegt, und sich 
mit dem Gehörknöchelchen nach. lateralwärts erstreckt, wird von 
der Columella überragt. Die noch nicht verknorpelte verbreiterte 
laterale Partie der Columella ist die sich bildende Insertions- 
platte im Trommelfell, während die vorher erwähnte mediale - 
Verbreiterung die Fussplatte bildet. 

An der lateralen Wand der V. jugularis, zwischen ihr und 
der für den hinteren Facialisstamm bestimmten Muskelanlage, 
tritt der Zungenbeinbogen als ziemlich starke Knorpelspange auf. 
Zwischen dem Rest der ersten und zweiten Kiemenspaite zieht 
er in nach hinten offenem Halbbogen zur Medianlinie, wo er mit 
dem Bogen der anderen Seite zusammen stösst. Irgend ein 
Zusammenhang mit dem viel weiter nach vorn gelegenen Gehör- 
knöchelchen war nicht festzustellen. 


470 Noack: 


l. Als wichtige Tatsache dieses Stadiums wäre die bereits 
eingetretene Verknorpelung fasst aller Blastemteile und die Ana- 
stomose des Facialis mit dem Glossopharyngeus durch einen direkt 
aus dem Facialis-Ganglion kommenden Ast hervorzuheben. 

2. Die Columella- Anlage lässt an ihren verdickten Enden 
bereits die sich bildende Fussplatte und Insertionsplatte erkennen. 


Beschreibung des Modells. 
Die Labyrinthkapsel hat in diesem Stadium polyedrische 
Form, man könnte sie vielleicht am besten mit einem dreiseitigen 
liegenden Prisma vergleichen, das zwei grössere — eine mediale 


N.hpgl. A.car int. 
ventral 
Fig. 1. 
(Textfig. 1, 1) und. eine laterale (Textfig. 3, 2) — und eine 


kleinere dorsale Fläche (Textfig. 2 und 3, 3) besitzt. Es wären 
dann noch die vordere orale, auf den Abbildungen allerdings 
nicht sichtbare, und die hintere aborale Grundfläche (Textfig. 2 
und 3, 4) zu erwähnen, die aber nichts bemerkenswertes auf- 
weisen. Auch von der kleineren, nach dorsalwärts gekehrten 
Fläche ist nur zu bemerken, dass sie von medial nach lateral 
leicht konkav ist und im Vergleich zu den anderen Wänden eine 
noch ziemlich unebene Verknorpelung zeigt. 

Während die Verknorpelung im allgemeinen bereits überall 
eingetreten ist, lässt nur die mediale Seite noch zwei grosse 
Lücken erkennen. Die grössere Lücke, nur teilweise vom Ganglion 
acusticum (Textfig. 1, Ggl. act.) verdeckt, gewährt dem N. acusticus 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 471 


und dem N. glossopharyngeus (Textfig. 1, N. gl.) Eintritt in das 
Innere des Labyrinthes. Dicht am hinteren Rand der Lücke 
dringt der letztere Nerv in das Innere des Labyrinthes, um den 
Binnenraum der Kapsel in lateraler Richtung zu durchlaufen. 
Nahe dem hinteren Rand der lateralen Kapselwand erscheint er 
dann wieder (Textfig. 3, N. gl.) und geht dann hier die schon 
vorher bei der Serienbeschreibung erwähnte Anastomose mit dem 
betreffenden Facialisast (Textfig. 3, VIT—-IX) ein. Die kleinere an 
der dorsalen Kante gelegene Lücke (Textfig. 1, F. D. e.) ist von 
der grösseren nur durch eine schmale Knorpelspange getrennt. 
Durch sie tritt der Ductus endolymphaticus zum häutigen 
Labyrinth. 

Die Labyrintnkapsel selbst steht mit den umliegenden 
Knorpelteilen im engen Zusammenhang. WVentralwärts geht sie 


ventral 


VI 


Alyınsn Col. vjgl. 
Zbg. 


Fig. 2. 


in die Rathkeschen Trabekel (Textfig. 1, R. Tr.) über, die als 
ein vorübergehendes Verknorpelungsstadium der mesenchymalen 
Skelettanlage bekanntlich den Knorpelboden für das Gehirn bilden. 
Nach vorn gehen die Trabekel in diejenigen Knorpelteile über, 
die zur Begrenzung der lateralwärts davon gelegenen Augenhöhle 
dienen, während medialwärts von ihnen das Vorderhirn liegt. 
Im wesentlichen bilden sie die knorpelige Anlage des Parietale 
(Textfig. 1—3, Par.). Zwischen der Labyrinthkapsel und den 
eben erwähnten Knorpelteilen ist ein freier Raum ausgespart für 
das mächtige Trigeminus-Ganglion (Ggl. trg.) mit zwei in das 
Ganglion hereintretenden Wurzeln, einer vorderen dorsalen und 


472 Noack: 


einer hinteren ventralen. Von der lateralen Seite des Ganglions 
tritt nach vorn der R. ophtalmieus (Textfig. 2, R. opht.) ab, während 
der hintere Abschnitt des Ganglions nach lateralwärts den gemein- 
samen Stamm des R. supra et inframaxillaris (Textfig. 2, Rr. m.) 
entsendet. Nach kaudal schliesst sich an die Rathkeschen Trabekel 
die knorplige Anlage des Oceipitale laterale (Textfig. 1—3, O. 1.) 
und an diese wieder die der Wirbel (W.) an. Zwischen der Kapsel 
und dem Oceipitale laterale befindet sich das Foramen internum 
pro nervo vago et accessorio, das in lateraler Richtung von den 
beiden vereinigten Nerven (Textfig. 1, N. vg. acc.) durchzogen 
wird. Ausserdem wird das Oceipitale laterale etwas weiter kaudal- 
wärts dann noch von dem Canalis pro nervo hypoglosso (Textfig. 1, 
N. hpgl.) durchbohrt. 

Betrachten wir jetzt das Modell von der lateralen Seite, 
so wird uns durch das Quadratum (Textfig. 2, Qu.) die laterale 
Labyrinthwand (2) fast vollständig verdeckt. Erst nach Ent- 
fernung dieses Knorpelteiles zeigt sie sich uns als ziemlich ebene 
Fläche, aus der an der ventralen Kante konusartig die Columella 
(Textfig. 2 und 3, Col.) hervorwächst. Die kolbig verdickte mediale 
Partie des Gehörknöchelchens bildet die Anlage der Fussplatte, 
die verbreiterte laterale Partie die Anlage der Insertionsplatte. 
Beide Teile werden durch einen kompakten, leicht gebogenen 
Stiel verbunden. Dieser läuft zwischen den beiden hinteren 
Zweigen des Facialis-Ganglions hindurch, ventral von ihm läuft 
der-Verbindungszweig zum Glossopharyngeus (Textfig. 3, VII—IX), 
dorsal von ihm der hintere Hauptstamm des Facialis (Textfig. 3, 
VII r.d.). Letzterer gibt an der aboralen Seite der Columella 
die Chorda tympani (Textfig. 2 und 3, Ch. ty.) ab, die, um in 
das Gebiet des Kieferbogens zu gelangen. nun wieder über die 
dorsale Seite des Stieles hinweg sich nach oralwärts begeben muss. 

Das Quadratum selbst, noch ziemlich unregelmässig ver- 
knorpelt, zeigt bereits die noch unvollkommene, nach lateral- 
wärts weit offene Höhlung, die später zur Aufnahme der Pauken- 
höhle dient. Deshalb ragt auch von medial die erste innere 
Kiemenspalte (Textfig. 2, 1. K. S.) mit ziemlich breiter Aussackung 
in die Quadrathöhlung, wenn man sie als solche bezeichnen darf, 
hinein. Zwischen Quadratum und lateraler Labyrinthkapselwand 
verlaufen nun die grösseren Gefässe. Die V. capitis lateralis 
fliesst als mächtig weiter Venensinus, ebenso wie es Rathke in 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 473 


der Entwicklungsgeschichte der Natter angibt, etwas hinter dem 
Auge aus zwei Gefässen zusammen. Von ventral ergiesst sich 
in sie die V. facialis (Textfig. 2, V. fac.), die von vorn aus dem 
Gebiet des Oberkieferfortsatzes kommt, von dorsal die V. cerebralis 
(Textfig. 2, V. erb.), die allerdings auch von vorn, aber mehr von 
innen kommt. Nur bezeichnet Rathke das so gebildete Gefäss 
dann schon als V. jugularis, während ich nach Hochstetter 
diesen vorderen Abschnitt lieber mit V. capitis lateralis bezeichnen 
möchte. Dicht vor der Ohrkapsel nimmt die Vene dann noch 
einen kleineren Ast auf und läuft dann über der Columella und 


dorsal par 
? 2 I 


TER 
E 


UR/Chb, 
> 


4 


Nvg.ace, ventral 


N.hpgl, 


Acarint Col. nal. € 


Fig. 3: 


der ersten Schlundspalte, dorsal und lateral vom Facialisstamme 
bis zum hinteren Ende der Ohrkapsel, wo sie sich lateral von den 
Ganglien der Vagusgruppe in die V. jugularis ergiesst. Ventral 
von der V. capitis lateralis, derselben ziemlich parallel, verläuft 
die A. carotis interna (Textfig. 1 und 3, A. car. int... Vorn liegt 
sie dem Dach der Mundbucht (Textfig. 1, Mb.) dicht auf. 
Lateral von der V. jugularis und ein beträchtliches Stück 
ventral von der Columella befindet sich ein Knorpelstück (Textfig. 2, 
Zbg.), das den hinteren Abschnitt des Zungenbeinbogens darstellt. 
Ohne irgend wie eine Annäherung an die Columella zu suchen, 
würde es sich bei vollständiger Rekonstruktion bogenförmig nach 


medialwärts erstrecken. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 32 


474 Noack: 


Embryonalstadium IX. 


Das Äussere des Embryos. 


Die Länge dieses Embryos beträgt 16 mm. Er lässt nun 
unzweifelhaft die typische Schildkrötengestalt erkennen, wenn 
auch Kopf und Hals dem Rumpf gegenüber noch sehr gross sind. 
Die Nackenbeuge hat sich fast ganz zurückgebildet. Eine deut- 
liche Schnauze ist zur Ausbildung gekommen, an der man nun 
auch schon äusserlich den Unterkiefer wahrnehmen kann. 


Auf diesem Stadium treten zum ersten Male Spuren von 
Belegknochen und deutlich erkennbare Muskelplatten auf. Das 
häutige Labyrinth ist jetzt allseitig von einer kompakten Knorpel- 
kapsel umgeben. Im Inneren der Kapsel sind zwischen den 
häutigen Bogengängen trennende Knorpelsepten bemerkbar. 


Noch bevor auf den Schnitten irgend etwas von der Labyrinth- 
kapsel zu sehen ist, fällt schon das mächtig entwickelte Trigeminus- 
Ganglion ins Auge. Überhaupt lässt diese Serie schon eine viel 
regelrechtere Anordnung der einzelnen Organe zu einander er- 
kennen, ich möchte damit sagen, dass der embryonale Charakter 
schon vielmehr geschwunden ist. Der R. ophthalmieus verläuft 
jetzt vom Trigeminus-Ganglion aus als sehr dünner Strang nach 
vorn und dorsal. Auf diesem Wege kreuzt er sich mit dem 
N. oculomotorius, der ganz in seiner Nähe das Ggl. ciliare bildet, 
von dem -auch er Fasern in seine Bahn aufnimmt. Dann setzt 
er nach Abgabe feiner Aeste zum Augapfel hin seinen Weg nach 
vorn zur Nasenhöhle fort. Kurz nachdem der R. ophthalmicus 
das Trigeminus-Ganglion verlassen hat, geht noch ein zweiter 
feiner Ast vom Ganglion nach vorn ab. An der lateralen Seite 
der V. cerebralis gabelt er sich. Der schwächere Teil läuft 
ventral am Auge entlang, während der stärkere Teil sich mit 
der erwähnten Vene zusammen auf die dorsale Fläche des Aug- 
apfels begibt. Es ist das der auch schon von Bronn angegebene 
vierte Trigeminusast, der zur Innervation des M. depressor palpebrae 
superioris et inferioris dient. 

Der R. supramaxillaris und inframaxillaris entspringen jetzt 
nicht mehr mit einer gemeinsamen Wurzel, sondern getrennt 
voneinander, der eine mehr dorsalwärts und hinten, der andere 
mehr ventralwärts und vorn. Das Ganglion selbst hat seine bei 
den jüngeren Stadien konstatierte Zweiteilung aufgegeben und 


Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 475 


bildet nunmehr ein zusammenhängendes Ganze. Kaum hat sich 
der Knorpelbogen hinter dem Rest des Trigeminus-Ganglions ge- 
schlossen, so tritt lateral von der vorderen Spitze der Labyrinth- 
kapsel das Fascialis-Ganglion auf, das etwas weiter kaudalwärts 
durch ein sich von neuem im Knorpelbogen öffnendes Loch den 
vom Gel. acusticum kommenden N. facialis aufnimmt. Nachdem 
das Ggl. facialis den vorderen Hauptstamm abgegeben hat, setzt 
es sich direkt in den hinteren Hauptstamm (Tafelfig. XII, VII r. d.) 
fort, der immer dicht an der Wand der V. capitis lateralis (Tafel- 
fig. XII, V. ec. 1.) kaudalwärts zieht. Von der Mundbucht beginnt 
sich nun zwischen die Labyrinthkapsel und das bedeutend grösser 
gewordene Quadratum die erste Kiemenspalte (Tafelfig. XII, 1. K.S.) 
vorzustülpen, die bald umbiegt und zusammen mit der aus der 
Labyrinthwand herauswachsenden Columella nach lateralwärts 
zieht. Die Columella ist, wegen der eingetretenen Biegung des 
Stieles, auf dem Schnitt (Tafelfig. XII), dreimal getroffen. Der 
Stiel (St. Col.) und die laterale kolbige Verdickung der Columella 
mit der Insertionsplatte (In. Col.) werden zu beiden Seiten von 
Elementen der ersten Kiemenspalte umgeben, die die sich 
bildende Paukenhöhle (Pk.) darstellen. Immer noch steht die 
Fussplatte (Fp. Col.) mit der Labyrinthwand in engem Zusammen- 
hang. Zwar ist durch mehr bindegewebige Zwischenschichten 
eine Unterscheidung der Fussplatte vom Labyrinthknorpel möglich, 
immerhin hat aber die Bildung des Foramen ovale noch nicht 
stattgefunden, demnach auch noch nicht die vollständige Los- 
trennung des Gehörknöchelchens von seiner Bildungsstätte. 

Ventral von der Trachea liegt der Zungenbeinbogen. Weit 
kaudalwärts von der Columella schiebt er sich erst nach dorsal- 
wärts hinauf. 


1. Bei der nochmaligen kurzen Zusammenfassung der wich- 
tigsten an diesem Stadium gewonnenen Beobachtungen wäre 
zunächst das Auftreten von Belegknochen und von deutlicher 
Körpermuskulatur hervorzuheben. 

2. Wenn auch die Elemente des Gehörknöchelchens gegen 
den Labyrinthknorpel durch Zwischenschichten bereits abgrenzbar 
sind, so kann man doch immer noch den Zusammenhang zwischen 


diesen beiden Organen konstatieren. 
32* 


476 Noack: 


3. Der R. ophthalmicus nimmt in seine Bahn Fasern vom 
Ggl. eiliare des N. oculomotorius auf. 

4. Im Gegensatz zu den Beobachtungen der jüngeren Stadien 
haben die Rr. maxillares von jetzt ab einen getrennten Ursprung. 
Das Trigeminus-Ganglion hat dagegen seine Zweiteilung auf- 
gegeben. 

5. Die Erweiterung des lateralen blinden Endes der ersten 
inneren Kiemenspalte deutet auf den Beginn der Paukenhöhlen- 
bildung hin. 


Beschreibung des Modells. 


An diesem Modell ist die Gestalt der Labyrinthkapsel. 
ebenso die Form fast aller anderen Gebilde im Vergleich zum 


x N 
girl 


r 


jüngeren Modell beträchtlich verändert. Die knorplige Labyrinth- 
kapsel, die bis auf die Foramina für die betreffenden Nerven und 
den Ductus endo-Iymphaticus an der medialen Seite sonst überall 
geschlossen ist, zeigt an ihren Wänden Hervorwölbungen und 
Einsenkungen, die durch die vorgeschrittene Ausbildung der 
häutigen Bogengänge bedingt werden. Vorn schliesst sich an 
die Kapsel die knorplige Anlage des Pterigoideum (Textfig. 4, Ptg.) 
an, die dem Dach der Mundbucht (Mb.) aufgelagert der Chorda 
dorsalis zur Stütze dient. Auf der vorderen Spitze der Kapsel 
liegt das Trigeminus-Ganglion (Textfig. 5, Ggl. trg.). An der 
lateralen Seite sieht man aus ihm voneinander getrennt den 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 477 


R. supramaxillaris (R. spm.) und .den R. inframaxillaris (R. ifm.) 
entspringen. Letzterer gabelt sich nach seinem Ursprung sofort 
in einen vorderen und hinteren Ast, von denen der erstere nach 
vorn an die laterale Seite des Meckelschen Knorpels zieht, 
während der andere die in der Nähe befindliche Muskulatur auf 
dem Quadratum zu versorgen scheint. An der medialen Kapsel- 
wand befindet sich zu oberst das Ggl. acusticum (Textfig. 4, Ggl. 
act.). Ins Innere der Kapsel lässt es den Hörnerven eintreten, 
von seiner vorderen dorsalen Spitze entsendet es dagegen durch 
ein besonderes Loch im Knorpelbogen nach lateralwärts den 
N. facialis zu seinem Ganglion. Eine längliche Öffnung (Textfig. 4, 


z gem 


vjgı 
/ventral VIrd-K 


F.D.e.) in der Kapselwand, ventral vom Acusticus-Ganglion, 
wird, wie die Schnittserie lehrt, vom Ductus endo-lymphaticus 
durchzogen. Durch zwischenliegende Knorpelmassen vom Acusticus- 
Ganglion jetzt weit nach ventral verschoben sehen wir den N. 
glossopharyngeus (Textfig. 4, N. gl.) in die Kapsel eindringen, die 
er, um zu seinem Ganglion zu gelangen, in lateraler Richtung 
durchlaufen muss. An die Kapsel selbst schliesst sich nach ventral 
das Occipitale laterale (Textfig. 4, O.1.) an. Zwischen beiden Or- 
ganen bleibt wieder das Foramen internum für den N. vagus et 
accessorius offen. Die laterale Seite des Modells (Textfig. 5) zeigt 
uns hauptsächlich wieder den jetzt schon ziemlich kräftig ent- 
wickelten Quadratknorpel (Qu.) der von der Labyrinthkapsel (L.K.) 


478 Noack: 


nur die hintere Partie sichtbar lässt. Nach oben setzt sich das 
Quadratum in das knorplige Prooticum (Pro.) fort, dessen 
knöcherne Anlage (Kn.1.) bereits vor ihm zu erkennen ist. Durch 
den Gelenkspalt schon deutlich getrennt schliesst sich nach oral- 
wärts an das Quadratum der lange stabförmige Meckelsche 
Knorpel (M.K.) an. 

Das Quadratum selbst nun erinnert mit seiner tiefen nach 
lateralwärts offenen Höhlung schon stark an den ausgewachsenen 
Zustand. An seinem hinteren lateralen Ende tritt ebenfalls 
schon die Verknöcherung (Kn. 2) auf. Das laterale Ende der 
mit der Mundbucht (M. B.) noch durch weite Kommunikation im 
Zusammenhang stehenden Kiemenspalte (1. K. S.) liegt nun nicht 
mehr nur neben der mit ihr zusammen von medialwärts kommenden 
Columella (Col.), sondern hat bereits begonnen das Gehör- 
knöchelchen zu umwachsen. Dorsalwärts hat sie sich über die 
kolbige Endverdickung des Gehörknöchelchens hinweggeschoben 
und lässt durch die Aussackung an ihrem blinden Ende das Be- 
streben erkennen sich noch weiter nach dorsalwärts in die Aus- 
höhlung des Quadratums hineinzuschieben, um hier in der 
Quadrathöhlung die epitheliale Auskleidung, mit anderen Worten 
die Paukenhöhle zu bilden. Zwischen Quadratum und Labyrinth- 
kapsel treffen wir nun wieder die grossen Gefässe und wichtigen 
Nerven an. Von den Gefässen, deren Verlauf mehr ein ventro- 
dorsaler geworden ist, gibt die A. carotis interna (Textfig. 6) 
ventral vom Gehörknöchelchen einen Ast nach hinten zwischen 
Quadratum und Labyrinthkapsel ab. Auch die V. capitis lateralis, 
die jetzt einen, das Trigeminus-Ganglion dicht umspinnenden, aus 
der Vereinigung der V. cerebralis und mehrerer kleinerer Venen 
entstehenden mächtigen Venensinus bildet, entsendet in der Höhe 
des hinteren Endes des Quadratums einen umfangreichen Ast 
nach dorsalwärts auf die Labyrinthkapsel (Textfig. 5). Das 
Facialis-Ganglion setzt sich nach kaudalwärts wieder in den 
hinteren Facialisstamm fort. Nach Überschreitung des Columella- 
stieles gibt dieser einen Ast ab (Textfig. 5 und 6, VIlr.d.-IX), 
der ventral vom Columellastiel wieder nach vorn verläuft und 
sich mit einem direkt vom Facialis-Ganglion kommenden Ast 
medial von der Abzweigungsstelle des vorher erwähnten Carotis- 
astes vereinigt. Die vereinigten Facialisäste bilden dann die be- 
kannte Anastomose mit dem Glossopharyngeus-Ganglion, doch 


Über die Entwicklung des Mittelohres ete, 479 


spielt wohl der stärkere direkte Ast die Hauptrolle dabei. Der 
hintere Hauptstamm läuft nach Abgabe des erwähnten Astes 
etwas nach lateralwärts und hinten. Die Chorda tympani (Text- 
fig. 5 und 6, Ch. ty.) läuft von ihm aus an der aboralen Seite 
der Columella bis zu der lateralen kolbigen Verdickung derselben, 
dringt hier von ventral in die Knorpelmasse des Gehörknöchelchens 
ein, durchzieht es in schräg dorsaler Richtung, um sich dann an 
der Spitze der ersten inneren Kiemenspalte vorbei auf die innere 
Seite des Meckelschen Knorpels zu begeben. Zum Schluss der 
Betrachtungen dieses Modells möchte ich dann noch erwähnen, 


VIrd. Wrd:K \ ty. 
Fig. 6. 


dass in der Nähe der Fussplatte der Columella eine einzige 
kleine Lücke im Kapselknorpel auf die beginnende Lostrennung 
des Gehörknöchelchens von der Labyrinthkapsel hindeutet. 


Embryonalstadium X—-XIV. 


Die Beschreibung der Befunde der folgenden Embryonen 
von 17, 19, 24, 26 und 28 mm möchte ich jetzt nicht mehr im 
einzelnen vornehmen, da ja die Entwicklung der hauptsächlich in 
Frage kommenden Mittelohrgebilde so ziemlich abgeschlossen ist, 
es sich demnach nur noch um verhältnismässig geringfügige Ver- 
änderungen handelt, die auch bei einer zusammenfassenden Be- 
schreibung genügend hervorgehoben werden können. 

Äusserlich lassen die Embryonen gegen die vorhergehenden 
eben hauptsächlich nur durch die Grössenunterschiede, den sich 


480 Noack: 


immer regelmässiger gestaltenden Kopf, die fortgeschrittene Aus- 
bildung der Extremitäten, Abweichungen erkennen. 

Sehr eingehend habe ich mich gerade bei diesen Embryonen 
mit den Nervenverhältnissen beschäftigt, deswegen möchte ich 
auch die zusammenfassende Beschreibung meiner Befunde hierüber 
an erster Stelle mitteilen. 

Zunächst fielen in den Serien ziemlich weit oralwärts, vom 
Trigeminus-Ganglion und der Labyrinthkapsel war auf den 
Schnitten noch nichts zu erkennen, dagegen war das Auge noch 
im ganzen Querschnitt zu sehen, konstant zwei Nervenquer- 
schnitte auf. Beide erstrecken sich nach oralwärts zum Auge 
hin, wo sich der mehr lateral gelegenere Nerv in zwei feine Äste 
gabelt. Kaudalwärts rücken sie immer dichter aneinander, um 
schliesslich ziemlich zu gleicher Zeit in das Trigeminus-Ganglion 
einzutreten. Der mehr medial verlaufende Ast ist der schon 
vorher mehrmals erwähnte R. ophthalmicus, der auf seinem Weg 
zur Nasenhöhle hin mit dem Gel. eiliare anastomosiert. Der andere 
steilt den R. palpebralis superior et inferior dar. Stets ist erin 
der Nähe der V. cerebralis anzutreffen, nach deren Verästelung 
er dann ebenfalls seine Teilung vollzieht; der schwächere Strang 
verliert sich ventral vom Auge in seiner Muskulatur, der stärkere 
aber setzt mit einem Ast der Vene zusammen seinen Weg noch 
weiter nach dorsalwärts fort. 

Nachdem die beiden erwähnten Nerven das Trigeminus 
Ganglion erreicht haben, verlässt einige Schnitte weiter kaudal- 
wärts ein nicht gerade sehr starker Nervenast das Ganglion. 
Nach ventral und oral sich begebend geht er unter schleifen- 
förmiger Umbiegung seine Verbindung mit dem R. palatinus des 
Facialis-Ganglions ein, der von kaudalwärts kommend sich immer 
in der Nähe der knöchernen Pterygoideus-Anlage hält. Auch bei 
Bronn wird schon dieser R. recurrens ad nervum facialem erwähnt, 
jedoch soll er nicht direkt aus dem Trigeminus-Ganglion kommen, 
sondern wird als R. communicans rami supra maxillaris nervi 
trigemini bezeichnet. 

Diese drei beschriebenen Äste kommen hoch oben aus der 
dorsalen Spitze des Ganglions, während die beiden Kieferäste 
aus der mehr verdickten ventralen Partie entspringen. Trotz- 
dem ist es nicht möglich, die in der Jugend festgestellte Zwei- 
teilung des Ganglions aufrecht zu erhalten. Es fehlt nicht an 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 481 


Zwischenstadien, bei denen durch die verschiedene Faserschichtung 
die beiden dicht an einander liegenden Abschnitte des Ganglions 
noch zu unterscheiden sind. Später findet aber eine so innige 
Verflechtung der verschiedenen Nervenbahnen statt, dass man nur 
noch von einem einzigen zusammenhängenden Trigeminus-Ganglion 
sprechen kann. Den wichtigeren von den beiden Kieferästen, den 
R. infra maxillaris, konnte ich nach Durchquerung einer breiten 
Muskelmasse ventro-lateralwärts bis zum Meckelschen Knorpel 
verfolgen. In einem freien Raum zwischen diesem und den ihn 
umgebenden Knochenlamellen, also in dem sich bildenden Unter- 
kieferkanal, ist sein Querschnitt als R. alveolaris inferior leicht 
aufzufinden. 

Das Facialis-Ganglion, das nun als nächstes auf den Quer- 
schnitten erscheint, steht nach medialwärts mit dem sich auch 
bald zeigenden Acusticus-Ganglion durch den N. facialis in Ver- 
bindung. Von vorn tritt der R. anterior s. palatinus in das 
Ganglion ein, nach hinten setzt es sich direkt in den R. posterior 
fort, der über die Columella hinweg nach kaudalwärts verläuft. 
Dicht an der vorderen Seite des Gehörknöchelchens verlässt ein 
feiner Nervenstrang den R. posterior (Tafelfiıg. XIII, VII r. d.), 
die schon vorher mehrmals erwähnte Chorda tympani (Tafelfig. XIII, 
Ch. ty.). Während sie bei den jüngeren Embryonen an der aboralen 
Seite der Öolumella weit nach lateral ziehend die kolbige End- 
anschwellung des Gehörknöchelchens durchsetzt, kreuzt sie bei 
den älteren Stadien viel weiter medial den Columellastiel. Sie 
zieht nun nicht mehr an der äusseren lateralen, sondern an der 
medialen Wand des Quadratums entlang, über die Tubenanlage 
hinweg zur medialen Seite des Meckelschen Knorpels, wo sie 
zwischen diesem und einer an dieser Seite bald auftretenden 
Knochenlamelle, anfangs in einer Rinne des Knochens, eine Art 
halboffenen Kanal, als feiner Nervenquerschnitt weit nach vorn 
zu verfolgen ist. Mittlerweile hat sich nun der Knorpel an 
allen Seiten mit Knochenlamellen umgeben und lässt in dem so 
gebildeten Unterkieferkanal den vorher erwähnten R. alveolaris 
inferior erkennen. Hier in dem Kanal findet auch die Ver- 
einigung der Chorda tympani mit dem Unterkieferast statt. 
Letzterer teilt sich in drei Äste, der innere verbindet sich mit 
der Chorda tympani und dringt von dem nun an der medialen 
Seite wieder vollständig von Knochenlamellen entblössten Knorpel 


482 Noack: 


fort zwischen die Muskulatur des Bodens der Mundhöhle. Der 
mittlere Ast schlingt sich zwischen der einzigen an der lateralen 
Seite übrig gebliebenen Knochenlamelle und dem Knorpel um 
letzteren herum und zieht nun an der unteren Seite des Knorpels 
ebenfalls zur Muskulatur. Nur der äussere Ast bleibt innerhalb 
des Unterkieferknochens auf der dorsalen Seite übrig. Die Haupt- 
masse des R. posterior selbst aber verläuft noch eine ganze Strecke 
nach kaudalwärts und verliert sich dann in eine ventral vom 
Quadratum gelegene Muskelmasse, die jedenfalls den M. sqamoso- 
maxillaris darstellt. Bevor er aber in die Muskulatur eindringt, 
gibt er Fasern zu dem gleich zu beschreibenden dritten Facialisast 
ab. Bei den jüngeren Embryonen verlässt dieser Nervenzweig 
nur wenig früher als die Chorda tympani, also ziemlich weit kaudal- 
wärts den hinteren Facialis-Hauptstamm, bei den älteren Embryonen 
nur kurze Zeit nach dem Austritt des Hauptstammes aus dem 
Ganglion. Wegen dieser Verschiebung machte mir auch das Auf- 
finden dieses rücklaufenden Nerven bei dem ältesten Embryo, bei 
dem er einen ganz dünnen unscheinbaren Ast darstellt, ziem- 
liche Mühe. 

Kurz nachdem der R. palatinus in. das Facialis-Ganglion 
eingetreten ist, verlässt nun der dritte Ast (Tafelfig. XII, 
VII—IX) dieses Ganglion. Ventral vom Pterygoideum zieht er 
mit der beträchtlich verengten A. carotis interna (Tafelfig. XIII, 
A. car. int.) zusammen kaudalwärts. An der lateralen Seite der 
Arterie findet auch die Vereinigung mit dem eben erwähnten 
Ast des R. posterior des Facialis statt. Nachdem nun der von 
medial nach lateral und kaudal die Labyrinthkapsel durchziehende 
N. glossovaryngeus an der lateralen Kapselwand das Ggl. petrosum 
gebildet hat, treten die vereinigten Facialiszweige in dieses 
Ganglion ein. 

Der N. vago-accessorius bildet nach seinem Durchtritt durch 
sein Foramen das Ggl. radieis nervi vagi, das von dem Ggl. 
petrosum des Glossopharyngeus zwei umfangreiche Äste empfängt. 
C.K. Hoffmann lässt diese Verbindungsäste zwischen diesen 
beiden Ganglien in umgekehrter Weise aus dem Vagus-Ganglion 
abstammen, aus welchem Grunde ist mir nicht klar; ich sehe sie 
deutlich aus dem Ganglion petrosum kommen und in das rundliche 
Gel. radieis nervi vagi eintreten. Aus der Medulla oblongata 
sieht man nun schliesslich die beiden Wurzeln des N. hypoglossus 


Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 483 


kommen. Nach ihrer Vereinigung laufen sie dicht neben einem 
dicken Ast, der die Fortsetzung des Gel. radicis bildet. Den 
weiteren genaueren Verlauf dieser Nervenäste zu schildern würde 
den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. 

Betrachten wir nun den Gehörapparat dieser Stadien, so 
finden wir, dass die Labyrinthkapsel (Tafelfiıg. XIII, L. K.) an der 
medialen Seite bis auf die meist sehr kleinen Eintrittsöffnungen 
für Nerven, ein Gefäss und den Ductus endo-Iymphaticus bei 
allen fünf Embryonen vollständig geschlossen ist. Die laterale 
Seite lässt dicht an ihrer ventralen Spitze eine grosse Öffnung, 
das Foramen orale erkennen, das sich durch die bei den älteren 
Embryonen jetzt ziemlich schnell erfolgte vollständige Los- 
trennung ‘der Fussplatte der Columella (Tafelfig. XIII, Fp. Col.) 
von der Labyrinthwand gebildet hat. Die Knorpelmasse nicht 
nur der Kapsel, sondern auch der anderen Organe, besteht aus 
reifem embryonalen Korpel, der von einem intensiv rot gefärbten 
dichten Bindegewebssaum umgeben wird. Dieser bildet eine 
Scheidegrenze zwischen dem Primordialeranium und den sich nun 
an vielen Stellen zeigenden Deckknochen. Lateral von der Kapsel 
liegt das tief ausgehöhlte Quadratum (Tafelfig. XIII, Qu.), das, je 
höher wir in der Entwicklungsreihe hinaufsteigen, immer deut- 
licher den grössten Teil der Paukenhöhlenanlage (Tafelfig. XIII, 
Pk.) in seinem Hohlraum erkennen lässt. Die Aussackung, die 
wir bei dem Embryo IX an der Spitze der ersten inneren Kiemen- 
spalte beobachten konnten, war das erste Zeichen zur Bildung 
der Paukenhöhle. Jetzt können wir sie nun bei dem ältesten 
Embryo schon deutlich im Quadratum erkennen, und erst nach 
mehreren Schnitten öffnet sich in sie vom Rachen her die bereits 
bedeutend verengte erste innere Kiemenspalte, die man jetzt 
schon eher als Tubenanlage (Tafelfıg. XIII, Tb.) bezeichnen kann. 
Die Columella, mit ihrer Fussplatte im Foramen ovale durch 
bindegewebige Massen befestigt, erstreckt sich zwischen der 
hinteren Wand des Quadratums und der Tubenanlage hindurch 
nach lateralwärts, sodass ihre Insertionsplatte (Tafelfig. XIII, In. 
Col.) mit der lateralen Quadratwand in eine Flucht zu liegen 
kommt. 


484 Noack: 


Vielleicht darf ich an die bei diesen letzten Embryonen 
gemachten Beobachtungen gleich die Resultate derjenigen Be- 
trachtungen, die ich über die in der Nähe der Labyrinthkapsel 
befindlichen Nerven angestellt habe, anschliessen. Und zwar 
möchte ich hier nur einige Befunde, die ©. K. Hoffmann in 
Bronns „Klassen und Ordnung des Tierreiches“ anders oder gar 
nicht angibt, kurz mitteilen: 

1. Aus dem vom Acusticus-Ganglion deutlich getrennten 
Ganglion-faciale s. geniculi konnte ich ausser dem R. palatinus 
s. anterior und dem R. posterior noch einen dritten Ast heraus- 
treten sehen. An der ventralen Seite des knorpligen Ptery- 
goideums entlang läuft er nach kaudalwärts zum Ggl. petrosum 
des N. glossopharyngeus, vorher empfängt er noch Verstärkungs- 
zweige vom R. posterior des Facialis. Hoffmann spricht zwar 
auch von einer Anastomose zwischen N. glossopharyngeus und 
Facialis, bezeichnet sie aber als einen sympathischen Zweig, den 
der R. palatinus aufnehmen soll. 

2. Wohl aber kann ich die Anastomose zwischen dem R. 
palatinus und Trigeminusfasern bestätigen, sehe letztere aber 
nichtt vom zweiten Trigeminusast, sondern direkt aus dem 
Trigeminus-Ganglion kommen. 

3. Eine Anastomose zwischen Facialis und Abducenz konnte 
auch ich nieht beobachten. 

4. Gar keine Erwähnung findet aber bei Hoffmann die 
vom hinteren Facialisaste kommende Chorda tympani. Ihren 
Verlauf habe ich in der zusammenfassenden Beschreibung der 
ältesten Stadien genau geschildert, möchte deswegen hier nicht 
noch einmal näher darauf eingehen. 

5. Die Verbindung zwischen Ggl. petrosum und Ggl. radieis 
nervi vagi glaube ich für Glossopharyngeus-Elemente ansehen zu 
müssen. 


Zusammenfassung der Ergebnisse. 


Meine Untersuchungen über die Entwicklung des Mittel- 
ohres, vor allen Dingen aber über die Entstehung des Gehör- 
knöchelchens haben mich zu den folgenden Resultaten geführt. 

Das Gehörknöchelchen stellt in der jüngsten von mir be- 
obachteten Anlage einen verdichteten Zellenkomplex der blaste- 


za 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 485 


matösen Kapsel dar, der in dem kaudalen Ende der Kapsel 
auftritt. Zapfenartig dehnt sich dieser Komplex von hier aus an 
der Wand der ersten inneren Kiemenspalte nach lateralwärts aus, 
bis er das blinde Ende der Spalte nur wenig überragt. Nie ist 
es mir bei meinen Beobachtungen gelungen auch nur den 
geringsten Zusammenhang des Columellablastems mit dem Blastem 
des Zungenbeinbogens zu konstatieren, deswegen muss ich der 
Schildkröten-Columella jedweden hyalen Ursprung absprechen. 

Mit dieser Meinung stehe ich im direkten Widerspruch zu 
den Ergebnissen zahlreicher anderer Arbeiten, die die Columella- 
Frage meist der Lepidosaurier behandeln. Der von Rathke, 
Gaupp und noch mehreren anderen Autoren ausgesprochene 
hyale Ursprung der Sauropsiden-Columella ist, wie ich in der 
Einleitung bereits angegeben habe, auch neuerdings wieder von 
Versluys jr. für die Lacertilier ausgesprochen worden. Trotz- 
dem ich nun gerade bei den jüngsten Stadien mein ganzes Augen- 
merk darauf gerichtet hatte, ist es mir dennoch nicht gelungen, 
den Zusammenhang des Columellablastems, wie es Versluys in 
seinen Abbildungen zeigt, mit dem Blastem des Zungenbeinbogens 
festzustellen. 

Aus dem oben Gesagten ist es vielmehr ersichtlich, dass 
ich das Gehörknöchelchen für eine rein labyrinthäre Bildung halte. 
Mit dieser Meinung schliesse ich mich der kürzlich von Moeller 
geäusserten Ansicht über die Entwicklung des Gehörknöchelchens 
bei der Kreuzotter und Ringelnatter vollständig an. 

Durch meine Befunde werde ich auch gezwungen, die in 
der Einleitung von C.K. Hoffmann für Lacerta angegebene 
gemischte Entstehung der Columella aus dem Labyrinth und dem 
Zungenbeinbogen für die Schildkröten zu verneinen. Denn erstens 
ist es mir, wie vorher schon erwähnt wurde, niemals gelungen, 
zwischen dem Blastem des Gehörknöchelchens und derjenigen 
blastematösen Spange, die dem Zungenbeinbogen zum Ursprung 
dient, einen Zusammenhang zu konstatieren, zweitens war nie- 
mals in der ganzen Entwicklungsreihe eine Gliederung der Anlage 
des Gehörknöchelchens, aus der man auf eine gemischte Ent- 
stehungsmöglichkeit hätte schliessen können, festzustellen. 

Der Zusammenhang nun des Gehörknöchelchens mit der 
lateralen Labyrinthwand bleibt lange Zeit bestehen, erst ziemlich 
spät, nach bereits vollständig eingetretener Verknorpelung, kommt 


456 Noack: 


es zur Ausbildung des Foramen ovale. Nach der Verknorpelung, 
die von der Fussplatte aus einzutreten scheint, stellt die Colu- 
mella ein einheitliches Gebilde dar, das in meinem ältesten 
Stadium etwa folgende Gestalt hat. Das Foramen ovale ver- 
schliesst die an ihrer ventralen Seite von der Labyrinthwand 
überragte Fussplatte ziemlich genau. Sie stellt eine rundlich 
ovale, nicht zu grosse, aber verhältnismäßig dicke Platte dar, 
aus der konusartig der Columellastiel herauswächst. Letzterer 
verjüngt sich nach lateralwärts sehr stark und erfährt kurz vor 
dem Ansatz der Insertionsplatte eine beinahe rechtwinklige Knickung 
nach dorsalwärts. Die Insertionsplatte der Columella hat ihren 
grössten Durchmesser in dorso-ventraler Richtung. Nach ventral- 
wärts verkleinert sich ihr Querdurchmesser unterhalb des Stieles 
ziemlich plötzlich. Diese untere Partie der Insertionsplatte möchte 
ich daher eher als einen Pre. ventralis auffassen, der an seinem 
Ende knieförmig nach medialwärts umbiegt. 

Die Entwicklung der Paukenhöhle nun leitet sich von der 
ersten Kiementasche ab. Letztere bricht für kurze Zeit nach 
aussen durch, stellt dann also eine offene Schlundspalte dar, die 
aber durch Zellwucherungen bald wieder verschlossen wird. Nun 
erweitert sich das laterale blinde Ende der Kiementasche zu- 
sehends, umwächst zunächst an der dorsalen, später aber auch 
an der ventralen Seite das Gehörknöchelchen, und füllt so all- 
mählich die Quadrathöhlung fast vollständig aus. Anfangs bildet 
der mediale Abschnitt der Kiementasche eine weite Kommuni- 
kation der lateralen erweiterten Partie der Tasche mit dem 
Rachen. Später verengt sich dieser Teil der Tasche deutlich 
und bildet sich dadurch zur Tuba auditiva um. 


Begonnen wurde diese Arbeit im anatomisch-biologischen 
Institut zu Berlin. Deswegen will ich es nicht versäumen, dem 
Direktor dieses Institutes, Herrn Geheimrat Professor Dr. ©. Hert- 
wig, für das mir zur Bearbeitung übergebene Material der Schild- 
krötenembryonen und für das stete Interesse, das er meiner Arbeit 
entgegenbrachte, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 

Im zoologischen Institut zu Marburg konnte ich meine Arbeit 
zur Vollendung bringen. Es ist daher eine angenehme Pflicht 
für mich, auch dem Direktor dieses Institutes, Herrn Professor 


Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 487 


Dr. E. Korschelt, für das liebenswürdige Entgegenkommen bei 
der Ausführung meiner Arbeit vielmals zu danken. 

Zu sehr grossem Danke bin ich schliesslich noch Herrn 
Professor Dr. R. Krause verpflichtet. Auf seine Anregung hin 
habe ich diese Arbeit unternommen, stets hat er mich bei Aus- 
führung derselben in liebenswürdigster Weise mit Rat und Tat 
unterstützt. 


Zeichenerklärung. 
A. car. int. — Arteria carotis interna. 
abg. D. — abgeschnürtes laterales Drittel der ersten Kiemenspalte. 
Bl. Cal. — Blastem der Columella auris. 
151.0), — Blastem der Ohrkapsel. 
Bl. Qu. — Blastem des Quadratum. 
Ch. d. — Öhorda dorsalis. 
Ch. ty. — Chorda tympani. 
Col. — Columella auris. 
Epd. — Epidermis. 
Epw. — Epithelwucherungen. 
ae: — Foramen zum Durchtritt des Ductus endo-Iymphaticus. 
Fp. Col. — Fussplatte der Columella auris. 
Ggl. act. = Ganglion acusticum. 
Ggl. face. = Ganglion faciale. 
Ggl. glos. — Ganglion glossopharyngeum. 
Ggl. trig. — Ganglion trigeminum. 
h.L. — häutiges Labyrinth. 
In. Col. — Insertionsplatte der Columella auris. 
RB. — Kieferbogen. 
Krer. — knöcherne Anlage des Prooticum. 
Kn 2. — knöcherne Anlage des Quadratum. 
Kn 3. — knöcherne Anlage des Unterkiefers. 
E2K — Labyrinthkapsel. 
Mb. — Mundbucht. 
M.K. — Meckelscher Knorpel. 
MV. = Muskelanlage im Trigeminusgebiet. 
M. VII. — Anlage des Muskulus squamoso-maxillaris. 
N. fac. — Nervus facialis. ; 
N. gl — Nervus glossopharyngeus. 
N.hpgl.e = Nervus hypoglossus. 
N.ocm. . = Nervus oculomotorius. 
N. vg. acc. = Nervus vago-accessorius. 
DET = knorplige Anlage des Oceipitale laterale. 


as 
= 
| 


—= knorplige Anlage des Parietale. 


488 


Noack: 


DK: — Paukenhöhlen-Anlage. 

Pte. — knorplige Anlage des Pterygoideum. 

Pro. — knorplige Anlage des Prooticum. 

Pro. vent. — Processus ventralis der Columella auris. 

Qu. — knorplige Anlage des Quadratum. 

R. ifm. — Ramus inframaxillaris. 

Rr. m. — gemeinsame Wurzel des Ramus supra- et inframaxillaris. 

R. opht. — Ramus ophthalmicus. 

R.sprm. = Ramus supramaxillaris. 

R..Tr: —= Rathkesche Trabekel. 

St. Col. — Stiel der Columella auris. 

TR: — Tubenanlage. 

Ve. = Vena capitis lateralis. 

V. crb. —= Vena cerebralis. 

NV. Tac. — Vena facialis. 

V.iel. = Vena jugularis. 

Verm. — Verschlussmembran der ersten Kiemenspalte. 

W. » = knorplige Wirbelanlage. 

Zbg. — Zungenbeinbogen. 

il, — mediale Wand der Labyrinthkapsel. 

2. — laterale Wand der Labyrinthkapsel. 

3. — dorsale Wand der Labyrinthkapsel. 

4. — aborale Wand der Labyrinthkapsel. 

1.K.S) = erste Kiemenspalte. 

1.K.S.‘ == abgeschnürter lateraler Endteil der ersten Kiemenspalte. 

2.Db. — zweite Durchbruchstelle des abgeschnürten lateralen 
Endteils der ersten Kiemenspalte. 

2.8, — zweite Kiemenspalte. 

VI.r.d. = hinterer Hauptstamm des Nervus facialis. 

VI—IX. = direkt aus dem Ganglion faciale kommender Ast zum 


Glossopharyngeus. 


VIlr.d.-IX. = vom hinteren Hauptstamm des Nervus facialis kommender 


Fig. 1. 


Fig. II. 


Ast zum Glossopharyngeus. 


Erklärung der Tafelfiguren. 


Tafel XVIIl. 


Querschnitt durch den Kopf vom Embryonalstadium VII. Ohrgegend 
des Schnittes, der das direkt im Labyrinthblastem liegende Colu- 
mellablastem zeigt. Das Blastem des Quadratum steht noch im 
Zusammenhang mit dem Kieferbogen. Vergr. 1:45. 

Der etwas !weiter nach kaudalwärts gelegene Schnitt durch die 
Ohrgegend desselben Embryos zeigt die Anlagerung des Columella- 
blastems an die erste Kiemenspalte. Vergr, 1:60. 


Fig. III. 


Über die Entwicklung des Mittelohres ete. 48%) 


Der von demselben Embryo noch weiter nach kaudalwärts gelegene 
Schnitt zeigt, wie sich das Columellablastem an der dorsalen Wand 
der ersten Kiemenspalte nach lateralwärts ausdehnt. An der Spitze 
der ersten inneren Kiemenspalte vorbei zieht die Chorda tympani 
durch das Blastem des Gehörknöcheichens nach ventralwärts. Ausser- 
dem ist der abgeschnürte laterale Endteil der ersten Kiemenspalte 
auf dem Schnitte zu bemerken. Vergr. 1:60. 


Fig. IV— VIII. Etwas schematisierte Schnitte von einem jüngeren Embryonal- 


stadium, die die Vorgänge bei der Verschlussbildung der ersten 
Kiemenspalte zeigen sollen. Vergr. 1:60. 


Fig. IX und X, Querschnitte durch die Ohrgegend vom Embryonalstadium VII. 


Fig. XL. 


Fig. XIII. 


Archiv 


Das Blastem der Columella auris noch im Zusammenhang mit dem 
Labyrinthblastem dehnt sich an der Wand der ersten Kiemenspalte 
nach lateralwärts aus. Durchzogen wird es wieder von der Chorda 
tympani. Vergr.1:45 und 1:60. 

Querschnitt durch die Ohrgegend vom Embryonalstadium g. Die 
Verknorpelung ist auf diesem Stadium bereits eingetreten. Die 
gegen die Labyrinthwand schon schärfer abgesetzte knorpelige An- 
lage der Columella auris lässt an ihrer dorsalen Seite den hinteren 
Hauptstamm des N. facialis und die von letzterem abgezweigte 
Chorda tympani erkennen. Vergr. 1:60. 

Querschnitt durch die Ohrgegend vom Embryonalstadium IX. Fuss- 
platte der Columella auris durch zwischen gelagerte mehr binde- 
gewebige Massen von der Labyrinthwand zu unterscheiden. Der 
Stiel und die laterale kolbige Verdickung des Gehörknöchelchens 
werden jetzt schon von Elementen der ersten Kiemenspalte, der in 
Bildung begriffenen Paukenhöhle, umgeben. Vergr. 1:45. 
Querschnitt durch die Ohrgegend vom Embryonalstadium XIV. Im 
segensatz zu den anderen Schnitten ist diesmal die rechte Hälfte 
abgebildet. Im Foramen ovale liegt die Fussplatte der Columella 
auris. Die vom hinteren Facialis-Hauptstamm kommende Chorda 
tympani nimmt jetzt einen viel weiter medialeren Verlauf, und 
zwar sieht man sie in mehr kaudalen Schnitten an der medialen 
Wand des Quadratum entlang zum Unterkiefer ziehen. Die 
Paukenhöhlenanlage hat schon bedeutenden Umfang angenommen. 
Vergr: 1:45. 


f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 33 


490 Noack: Über die Entwicklung des Mittelohres etc. 


189) 


Erklärung der Rekonstruktionsmodelle, 
welche als Figuren 1—6 in den Text gedruckt sind. 


. Rekonstruktionsmodell zum Embryonalstadium g von der medialen Seite 


gesehen. 


. Dasselbe Modell von der lateralen Seite gesehen. 
. Dasselbe Modell ebenfalls von der lateralen Seite gesehen, aber nach 


Entfernung des Quadratum, der V. capitis lateralis und der Mundbucht 
mit Kiemenspalte. 


. Rekonstruktionsmodell vom Embryonalstadium IX. von vorn und medial 


gesehen. 


. Dasselbe Modell von der lateralen Seite gesehen. 
6. Dasselbe Modell von medial aber nach Entfernung der Labyrinthkapsel 


betrachtet. 


Literaturverzeichnis. 


. Agassizand Clark: Contributions to the natural history of New-York. 


Vol. 2: The Embryologie of the Turtle. New-York 1857. 


. Gaupp, E.: Öntogenese und Phylogenese des schalleitenden Apparates 


bei den Wirbeltieren. Merkel-Bonnet, Ergebnisse VIII, 1898. 


. Hasse, ©.: Das Gehörorgan der Schildkröten, Anat. Studien, Leipzig 1871. 


4. Hochstetter: Die Entwicklung des Blutgefäßsystems. Hertwig, Hand- 


6. 


1 


buch der vergleichenden und experimentellen Entwicklungslehre der Wirbel- 
tiere. Jena 1903. 


. Hoffmann, C.K.: Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs, 


Bad. VI, Abtlg. III, Leipzig 18%. 

Krause, R.: Entwicklungsgeschichte des Gehörorgans. Hertwig, Hand- 
buch der vergleichenden und experimentellen Entwicklungslehre der 
Wirbeltiere. Jena 1902. 


. Möller: Zur Kenntnis der Entwicklung des Gehörknöchelchens bei der 


Kreuzotter und der Ringelnatter. Arch. f. mikrosk. Anatomie und Ent- 
wicklungsgeschichte. Bd. 65. 1905. 


. Rathke, H.: Entwicklungsgeschichte der Natter. Königsberg 1839. 
. Derselbe: Entwicklungsgeschichte der Schildkröten. Leipzig 1848. 
. Versluys jr.: Die mittlere und äussere Ohrsphäre der Lacertilia und 


Rhynchocephalia. Jena 1898. 


. Derselbe: Entwicklung der Columella auris bei den Lacertiliern. Spengels 


zoologische Jahrbücher. Jena 1903. 


491 


Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Universität Berlin. 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 
Von 


S. Gutherz. 


Hierzu 12 Textfiguren. 

In den während der letzten anderthalb Jahrzehnte er- 
schienenen zahlreichen Untersuchungen über die Geschlechts- 
zellenbildung wirbelloser Tiere hat neben den viel erörterten 
Problemen des Reduktionsvorganges, des Synapsisstadiums und 
der Grössenunterschiede der Chromosomen auch das Studium der 
von Montgomery so genannten Heterochromosomen in be- 
sonderem Maße die Aufmerksamkeit der Forscher gefesselt. 

Unsere Kenntnis der Heterochromosomen datiert seit der 
merkwürdigen Beobachtung Henkings (1891), dass in der 
Spermiogenese') von Pyrrhocoris apterus bei der zweiten Reifungs- 
teilung ein Chromosom ungeteilt in die eine Tochterzelle über- 
geht, so dass zweierlei Spermiden — solche mit und solche ohne 
jenes Chromosom — entstehen. Schon diesem Autor war in den 
Spermiocyten der grosse, mit Chromatinfarbstoffen stark tingier- 
bare und während der ganzen Wachstumsperiode äusserst kon- 
stante Nucleolus aufgefallen, und es lässt sich bereits aus seiner 
Darstellung mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine Beziehung 
zwischen diesem „Nucleolus“ und dem nur in die Hälfte der 
Spermiden übergehenden Chromatinelement ableiten. Mit Sicher- 
heit wird eine solche Beziehung erst in späteren Untersuchungen 
an anderen Objekten behauptet, und zwar in dem Sinne, dass 
jenes im Verlaufe der Reifungsteilungen nur in die Hälfte der 
Spermiden gelangende Element während der Wachstumsperiode 
des Spermiocyten nicht wie die übrigen Chromosomen in ein 
mehr oder minder deutliches Ruhestadium eintrete, sondern 
unter der Gestalt eines Nucleolus in dem sonst nur für den 


!) Entsprechend dem Vorschlage v. Lenhosseks auf dem inter- 
nationalen Anatomen-Kongress (Genf 1905) seien für die verschiedenen Zell- 
generationen der Samenentwicklung die Ausdrücke: Spermiogonien, Spermio- 
cyten, Präspermiden, Spermiden verwandt. 


492 S. Gutherz.: 


Höhepunkt der Mitose charakteristischen Zustande der Chromatin- 
konzentration verharre; man sprach daher von Chromatin- oder 
Chromosom-Nucleolus. Andererseits wurden Fälle mitgeteilt, in 
denen zwar während der Wachstumsperiode ein oder mehrere 
„Chromatinnucleoli‘‘ vorkämen, die sie darstellenden Chromosomen 
aber sich während der Reifungsteilungen wie die übrigen ver- 
hielten und so auf sämtliche Spermiden verteilt würden. Auf die 
im einzelnen mancherlei Besonderheiten enthaltenden Darstellungen 
der Autoren soll bald näher eingegangen werden. 

So viel geht aber bereits aus diesem kurzen Referat hervor, 
dass in den Heterochromosomen Gebilde von hohem. Interesse 
vorliegen. Dürfen wir doch, ganz allgemein gesprochen, bei ihrer 
starken Abweichung vom gewöhnlichen Chromosomentypus die 
Hoffnung hegen, es möchte ihre Untersuchung vielleicht auf die 
Jedeutung der chromatischen Substanz überhaupt Licht werfen, 
etwa in der Weise, wie pathologische oder experimentell hervor- 
gerufene Erscheinungen so häufig für normale Verhältnisse auf- 
klärend gewirkt haben. 

Aber auch im speziellen ist das Studium der Heterochromo- 
somen bereits theoretisch verwertet worden. So sind sie als 
Stütze für die Theorie der Chromosomenindividualität verwandt 
worden, so hat man sie mit dem vielfach und doch meist ver- 
geblich bearbeiteten Problem der sexuellen Differenzierung in 
Verbindung gebracht. In letzterer Beziehung sind die Hypo- 
thesen Mc Clungs (1902) und E. B. Wilsons (1905) zu 
nennen. Beide Autoren stimmen darin überein, dass sie den 
durch die ungleiche Verteilung der Heterochromosomen auf die 
Spermiden morphologisch verschiedenwertig gewordenen Spermien 
auch eine funktionelle Verschiedenheit zuschreiben, und zwar 
derart, dass die eine Hälfte der Spermien männliche, die andere 
weibliche Individuen in Verbindung mit dem Ei hervorbringe. 
Während aber Me Clung die Spermien mit Heterochromosom 
für das männliche Geschlecht in Anspruch nimmt, lässt Wilson!) 
gerade diese Weibchen hervorbringen. Hierbei ist zu betonen, 
dass Me Clungs Ansicht rein vermutungsweise geäussert wird, ?) 


'‘, Hierbei ist nur der einfachste Fall der Wilsonschen Befunde 
(Formen mit „heterotropischem Chromosom“, s. u.) berücksichtigt. 

®) Später erhielt Mc Clungs Hypothese durch Sutton eine tat- 
sächliche Grundlage (s. S. 500). 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 493 


während Wilson die seine auf einen Vergleich männlicher und 
weiblicher (Oogonien, Follikelzellen, Nährzellen) Mitosen stützt. 

Aus den nur flüchtig skizzierten Anschauungen Me Clungs 
und Wilsons ergibt sich für den Untersucher der Heterochromo- 
somen das wichtige Postulat, neben dem Studium der Spermio- 
genese auch das der Oogenese zu berücksichtigen. Ja, wir 
können noch weiter gehen: eine vollständig gesicherte Stellung- 
nahme zu den eben erwähnten Anschauungen wird erst möglich 
sein, wenn auch männliche und weibliche Körpermitosen, der Be- 
fruchtungsvorgang, die embryonalen Mitosen bis zur Keimdrüsen- 
anlage, kurz möglichst sämtliche Chromatinprozesse eines Unter- 
suchungsobjektes in den Kreis der Betrachtung gezogen sein 
werden. 


I. Die verschiedenen Typen der Heterochromosomen. 


Nicht eine erschöpfende Bearbeitung der Heterochromo- 
somenliteratur soll hier gegeben werden, sondern eine Über- 
sicht der sich aus den Darstellungen heraushebenden Typen 
Auch ein solches Unternehmen möchte überflüssig erscheinen, 
nachdem Mc Clung (1902, 7) und Montgomery (1905, 8) 
ausführliche Zusammenfassungen unseres Gebietes gegeben haben. 
Indessen hat seitdem Wilson (1905/06) seine an Tatsachen wie 
Gesichtspunkten reichen Chromosomenstudien (14, 16, 17) ver- 
öffentlicht, und sie lassen eine erneute Zusammenstellung 
wünschenswert erscheinen. 

Heterochromosomen sind vorwiegend in der Spermiogenese 
beschrieben worden; ihr gebührt daher in unserer Übersicht die 
Hauptstelle; nur anhangsweise sollen einige Angaben über 
Oogenese und somatische Zellen referiert werden. 

Bevor wir uns den Heterochromosomen selbst zuwenden, 
sei kurz einer Anschauung gedacht, die in den neueren Arbeiten 
regelmässig wiederkehrt und an die merkwürdige Tatsache an- 
knüpft, dass in vielen Fällen die Zahl der in der ersten Reifungs- 
teilung auftretenden Chromosomen annähernd oder genau die 
Hälfte derjenigen in den Spermio- resp. Oogonien beträgt. Man 
hat nun diese Erscheinung dahin zu erklären gesucht, dass es 
sich hier um eine Vereinigung (Kopulation) je zweier Chromosomen 
zu einem bivalenten Körper handele, und Häcker (3) hat den 
hier angenommenen Vorgang der Chromosomenpaarung als 


494 S. Gutherz: 


„Syndese“ bezeichnet. Der Vorgang der Syndese ist vielfach in 
das Synapsisstadium verlegt worden, jenen Zustand der zentralen 
oder exzentrischen Chromatinanhäufung im Kernraum, der sich 
bei fast allen Untersuchungsobjekten im Beginn der Wachstums- 
periode des Spermio- resp. Oocyten vorfand. In anderen Fällen 
wieder wurde die Syndese für einen späteren Zeitpunkt an- 
genommen, da nach dem Synapsisstadium noch die Chromatin- 
fäden sich in der vollen unreduzierten Zahl vorfanden. Eine 
weitere Konsequenz der Annalıme einer Chromosomenkopulation 
ist dann die Vorstellung, dass in einer der beiden Reifungsmitosen 
die Copula wieder gelöst wird, und es so zu einer wahren 
Reduktionsteilung kommt. Den Begriff der Syndese, der bei den 
meisten unserer Autoren Eingang gefunden hat, möchte ich im 
Interesse der Einfachheit auch der folgenden Darstellung zugrunde 
legen, ohne dass ich den für viele Fälle sicherlich noch durchaus 
hypothetischen Vorgang der Chromosomenpaarung etwa als all- 
gemein bewiesen ansähe. 

Nunmehr sei eine Definition der uns beschäftigenden Gebilde 
gegeben, die ich entsprechend dem vorliegenden mannigfaltigen 
Tatsachenmaterial sehr weit fassen zu müssen glaube: Hetero- 
chromosomen!) sind solche Chromosomen, welche sich 
von den übrigen in bezug auf die sich an ihnen ab- 
spielenden Prozesse in wesentlicher Weise unter- 
scheiden; charakteristische Grössen- oder Gestalts- 
abweichungen gegenüber den gewöhnlichen Chromo- 
somen sind häufig. brauchen aber nicht vorhanden 
zu sein. Der Zusatz ‚in wesentlicher Weise“ ist leicht erklärt. 
Wie alle biologischen Vorgänge, spielt sich auch der mitotische 
Prozess nicht mit mathematischer Regelmässigkeit ab, hier und 
da bleibt ein Chromosom ein wenig hinter den übrigen zurück 
oder eilt ihnen etwas voraus; diese sozusagen physiologische 

) Neuerdings hat Montgomery (9) statt des von ihm eingeführten 
Ausdrucks „Heterochromosom‘‘ der Kürze wegen die Bezeichnung „Allosom‘ 
vorgeschlagen. Ohne mir zu verhehlen, dass eine von einem so hervorragenden 
Kenner unseres Gebietes kommende Anregung alle Beachtung verdient, glaube 
ich doch dem Ausdruck „Heterochromosom“ den Vorzug geben zu sollen, 
da er ohne weiteres beim Leser die richtige Vorstellung erweckt, während 
„Allosom‘‘ zu unbestimmt (Plasma- oder Kernbestandteil?) erscheint. Die 
für die Unterteilung der „Allosomen“ von Montgomery vorgeschlagenen 


Ausdrücke „Monosomen‘“ und ‚„Diplosomen“ scheinen mir sehr glücklich gewählt 
und auch bei Beibehaltung der Bezeichnung ‚„Heterochromosomen‘“ anwendbar. 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 495 


Breite der Abweichung muss überschritten werden, damit von 
einem Heterochromosom die Rede sein kann. 

Drei Hauptphänomene im abweichenden Verhalten der 
Heterochromosomen lassen sich unterscheiden, für die ich die 
folgenden Bezeichnungen mir vorzuschlagen erlaube. 

1.Heteropyknose. Es handelt sich um eine Abweichung 
betreffs des Konzentrationsgrades der chromatischen Substanz, 
und zwar fast stets im Sinne eines dichteren Baues. Die Er- 
scheinung ist mehrfach im Ruhestadium der Spermiogonien, bei 
fast allen Heterochromosomentypen aber in der Wachstumsperiode 
der Spermiocyten beschrieben worden. Es finden sich hier, 
während die übrigen Chromosomen einen Zustand mehr oder 
minder starker Auflösung durchmachen, ein oder mehrere nuc- 
leolusartige Körper, die ihrer färberischen Reaktion sowohl als 
ihrem weiteren Verhalten nach als modifizierte Chromosomen 
aufgefasst werden. Diese Erscheinungsform der Heterochromo- 
somen ist unter dem Namen der „Chromatin“- oder „Chromo- 
som-Nucleoli“ geschildert worden.‘) Für die rein objektive Be- 
schreibung scheint mir die mehr indifferente Bezeichnung 
„Chromatinnucleolus“ sehr gut brauchbar; sie drückt aus, dass 
es sich um einen nucleolusartigen, d. h. scharf begrenzten, an- 
nähernd rundlichen Körper handelt, der die färberischen resp. 
auch chemischen Reaktionen des Chromatins?) aufweist. Dem 
Chromatinnucleolus steht der aus Pyrenin bestehende und dem 
entsprechend anders reagierende echte Nucleolus gegenüber. In 

z !) Es sei hier gewisser interessanter Befunde Mc Clungs an Locu- 
stiden (The Spermatocyte Divisions of the Locustidae. Kansas Univ. Sci. 
Bull. I, 1902) gedacht, die ich nur aus dem Referate Blackmans (la) 
kenne, da mir die Originalarbeit nicht zugänglich war: In der Spermiocyten- 
prophase von Örchesticus und anderen Locustiden nimmt auch das Hetero- 
chromosom ein Spiremstadium an, in welchem jedoch das Chromatin weniger 
diffus verteilt ist als bei den übrigen Chromosomen; voran geht ein Stadium, 
in dem das Heterochromosom so dicht aufgewickelt ist, dass seine Fadennatur 
erst bei stärkster Vergrösserung erkennbar wird; in der späteren Prophase 
verdickt und entfaltet sich der Faden und unterscheidet sich von den übrigen 
Chromatinelementen nur noch durch etwas homogeneren Bau. In unserer 
Ausdrucksweise würde es sich hier um eine Heteropyknose geringeren Grades 
als im Falle des Chromatinnucleolus handeln. 

?) Dass bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens diese Reak- 
tionen keine absolut sicheren sind, braucht kaum betont zu werden. Immer- 
hin bieten sie einen wertvollen Anhaltspunkt für die Annahme der Chromatin- 
natur eines untersuchten Gebildes. 


496 S. Gutherz: 


seltneren Fällen kann Heteropyknose auch in einem stärkeren 
Auflösungsgrade der Heterochromosomen im Vergleich zu den 
übrigen Chromosomen zutage treten'). 

2. Heterosyndese. Das abweichende Verhalten macht 
sich einmal im Zeitpunkte der Chromosomenpaarung (zeitliche 
Heterosyndese), sodann in verschiedener Grösse der Kopulanten 
geltend (Heterosyndese inbezug auf die Kopulantengrösse).?) Beide 
Formen der Heterosyndese können kombiniert vorkommen. Solche 
Heterochromosomen, die in den Spermiogonien unpaar auftreten, 
finden keinen Partner für die Syndese und bleiben daher während der 
Wachstumsperiode und der Reifungsteilungen univalent (Asyndese). 

3. Heterokinese. Hierunter sei die Erscheinung ver- 
standen, dass in der Mitose ein Chromosom’), anstatt in zwei nach 
verschiedenen Polen auseinander weichende Teile zu zerfallen 
(Eukinese), ungeteilt dem einen Po! zuwandert und so nur in eine 
Tochterzelle gelangt. Dieser Vorgang kann sich entweder in der 
ersten oder in der zweiten Reifungsteilung abspielen.*) 


!‘, In dieser Beziehung sei an das von Sutton (12) bei Brachystola 
magna beschriebene Verhalten des Heterochromosoms in den Spermiogonien 
erinnert: Im Ruhestadium geht das ein eigenes Kernbläschen besitzende 
Heterochromosom in ein typisches Reticulum über, während die übrigen 
Ohromosomen sich nur etwas diffus ausbreiten, in den Spermiogonienmitosen 
zeigt sich sein etwas weniger dichter Bau häufig an seiner rauhen Oberfläche, 

?) Gerade bei gewissen Heterochromosomen (Idiochromosomen, Mikro- 
chromosomen) lässt sich nach Angabe der Autoren der Vorgang der Syndese 
direkt beobachten. Somit ergibt sich hier aus dem Studium der abweichenden 
Chromosomen eine Stütze für die Annahme einer weiteren Geltung des Pro- 
zesses der Chromosomenpaarung. 

®) Der Ausdruck „Chromosom“ wird hier im Sinne Wilsons (14, p. 374) 
für jede in die Äquatorialplatte eintretende zusammenhängende Chromatin- 
masse ungeachtet ihrer Form, Entstehungsart und Valenz gebraucht. 

*, Fälle von Heterokinese in beiden Reifungsteilungen berichtet 
Wallace (19) bei verschiedenen Spinnen (insbesondere Agalena naevia). 
Die paarweise auftretenden Heterochromosomen sollen sowohl in der ersten 
wie in der zweitenReifungsmitose nur in die eine Tochterzelle übergehen, so 
dass sie schliesslich nur in ein Viertel der Spermiden gelangen. Verfasserin 
gibt aber selbst zu, dass die zweite Reifungsmitose hier Schwierigkeiten 
für die Untersuchung biete und stützt ihre Darstellung besonders auf den 
Umstand, dass sie ca. 3’ der Spermiden der Degeneration anheimfallen sieht; 
diese Spermiden betrachtet sie als solche, denen die Heterochromosomen 
mangeln. Es dürfte daher das Vorkommen einer doppelten Heterokinese noch 
nicht als sicher bewiesen zu betrachten sein, zumal Blackman (la) bei 
der Spinne Lycosa keine derartige Degeneration antraf. 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 497 


Zusatz bei der Korrektur. Mehrere Wochen nach Abschluss 
vorliegender Arbeit wurde es mir bekannt, dass Weismann schon 1892 die 
Bezeichnung „Heterokinesis“ (Gegensatz „Homoeokinesis“) für die vonRoux 
und ihm hypothetisch angenommene „qualitative“ („erbungleiche“) Kernteilung 
angewandt hat. 


Nicht berücksichtigt wurde bei der Bildung unserer drei 
Hauptbegriffe ein interessantes Phänomen, das bisher nur in 
wenigen Fällen beschrieben ist und darin besteht, dass ein Hetero- 
chromosom im Ruhestadium eine eigene Membran erhält und so 
gewissermaßen einen kleinen selbständigen Kern neben dem 
grossen bildet (Spermiogonien von Brachystola magna nach 
Sutton (12,) Präspermiden von Gryllus domesticus nach Baum- 
gartner (1).') 

Die folgende Darstellung der verschiedenen Heterochromo- 
somentypen gliedert sich in einen allgemeinen und einen speziellen 
Teil, von denen der erstere sie losgelöst vom Einzelfall betrachtet, 
während der letztere sie in ihrem Vorkommen bei bestimmten 
Tierarten verfolgt. 


Allgemeine Darstellung der Heterochromosomen- 
typen. 
I. Monosomen. (Montgomery). 

(Synonym. Akzessorisches Chromosom [Me Clung], Chromosome 
special [de Sin&ty], heterotropisches Chromosom [Wilson].) 

In den Spermiogonien in der Einzahl, in der Wachstums- 
periode des Spermiocyten Heteropyknose in Form eines Chromatin- 
nucleolus, Asyndese, Heterokinese in einer der Reifungsmitosen. 
Sie treten in zwei Typen?) auf: 

a) mit Heterokinese in der ersten Reifungsteilung 

b) mit Heterokinese in der zweiten Reifungsteilung. 


II. Diplosomen. (Montgomery). 
In den Spermiogonien paarweise. 
a) ohne Heterosyndese: 
in der Wachstumsperiode Heteropyknose in Gestalt eines 
eine Einschnürung aufweisenden oder einheitlichen 
Chromatinnucleolus, in den Reifungsteilungen Eukinese. 
b) mit Heterosyndese: 


!) Vgl. meine Fig. 6. 
?, Diese Typen seien abgekürzt als Monosomen mit Heterokinese I 
resp. II bezeichnet. 


498 S. Gutherz: 


1. Mikrochromosomen (Wilson). 


Bedeutend kleiner als die übrigen Chromosomen, unter sich 
von gleicher Grösse; zeitliche Heterosyndese (Syndese geschieht 
erst in der Metaphase der ersten Reifungsmitose; ihr folgt sofort 
die Anaphase); in der ersten Mitose Trennung der Kopulanten, 
in der zweiten Äquationsteilung. Im Verhalten während der 
Wachstumsperiode ergeben sich zwei Typen: 


«) mit Heteropyknose in Form zweier Chromatinnucleoli, 
5%) ohne Heteropyknose. 


2. Idiochromosomen (Wilson). 


Kleiner als die meisten übrigen Chromosomen; zeitliche 
Heterosyndese (Syndese erst am Ende der ersten Reifungsmitose); 
in der Wachstumsperiode Heteropyknose in Form entweder zweier 
Chromatinnucleoli oder eines einheitlichen Chromatinnucleolus, 
der jedoch vor der ersten Mitose in seine Komponenten zerfällt: 
in der ersten Mitose teilt sich jedes Idiochromosom für sich äqual, 
in der zweiten Mitose Trennung der Kopulanten. 

«) Idiochromosomen von ungleicher Grösse: das kleine Idio- 
chromosom fast stets das kleinste vorhandene Chromosom; Hetero- 
syndese in bezug auf die Kopulantengrösse. In die eine Hälfte 
der Spermiden gelangt das grosse, in die andere das kleine Idio- 
chromosom. | 


&) Idiochromosomen von gleicher Grösse. 


Spezielle Darstellung der Heterochromosomentypen. 
A. Formen mit einem Heterochromosomentypus. 
I. Monosomen. 
a) Mit Heterokinese 1.!) 


Beispiele: Die Orthopteren Orphania denticauda (de Sinety) 
(Heterochromosom von kolossaler Grösse, in sämtlichen Stadien 
identifizierbar), Brachystola magna (Sutton), Grylius domesticus 

'‘, Eine Modifikation dieses Typus findet sich nach de Sinety (10) 
bei gewissen Phasmiden (Leptynia attenuata), indem hier während der Hetero- 
kinese das Monosom mit einem gewöhnlichen Chromosom zu einem L-förmigen 
Körper eng verbunden ist; dementsprechend zeigt sich der Chromatinnucleolus 
der Wachstumsperiode oft in Zusammenhang mit dem Kernfaden. 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 499 


(Baumgartner), der Myriopode Scolopendra Heros (Black- 
man).‘) 
b) Mit Heterokinese II. 
Beispiel: Die Hemiptere Pyrrhocoris apterus (Henking). 
II. Diplosomen. 
a) Ohne Heterosyndese. 
Beispiele : Die Orthoptere Syrbula acuticornis(Montgomery), 
die Spinne Lycosa insopita (Montgomery). 
b) Mit Heterosyndese. 


1. Mikrochromosomen nur in Verbindung mit einem Mono- 
som (s. u). 

2. Idiochromosomen. 

«) Von ungleicher Grösse. Beispiele: Die Hemipteren 
Lygaeus tureicus, Coenus delius (Wilson), der Käfer Tenebrio 
(Stevens). 

3) Von gleicher Grösse. Beispiel: Die Hemiptere Nezara 
hilaris (Wilson). 

B. Formen mit mehreren kombinierten Hetero- 
chromosomentypen. 


I. Monosom und Mikrochromosomen.?) 
a) Monosom mit Heterokinese II. 


«@) Mit Heteropyknose der Mikrochromosomen. Beispiel: 
Die Hemiptere Alydus pilosulus (Wilson). 

8) Ohne Heteropyknose der Mikrochromosomen. Beispiel: 
Die Hemiptere Anasa tristis (Wilson). 


‘!) Hier zeigt sich nach Blackmans Darstellung (1a) insofern eine 
Besonderheit, als während der Wachstumsperiode des Spermiocyten die 
Chromatinelemente sich um das Heterochromosom als Zentrum in Form eines 
dichten kugeligen Haufens, der „Karyosphäre“, anordnen, aus der sie in der 
folgenden Prophase durch einfaches Abwickeln wieder hervorgehen. 

2, Hierher scheint auch die Hemiptere Syromastes marginatus zu ge- 
hören, obwohl deren Untersucher Gross (2) zu der Annahme gelangt, dass 
sich hier die an den Heterochromosomen abspielenden Veränderungen über 
zwei Generationen erstrecken und zwar so, dass in jeder Generation beide 
verschiedenen Stadien der Heterochromosomen nebeneinander erscheinen- 
Jedenfalls ist eine Nachprüfung unter diesem Gesichtspunkte erforder- 
lich, da die von Gross beschriebenen Chromatinnucleoli im Beginn der 
Wachstumsperiode weit grösser sind als im späteren Stadium derselben 
(trotz gleicher Vergrösserungszahl,, so dass die Möglichkeit einer Ver- 
wechslung vorliegt. 


500 S. Gutherz: 


b) Monosom mit Heterokinese I. 
Beispiel: Die Hemiptere Archimerus calcarator ') (Wiison). 


II. Monosom und ungleiche Idiochromosomen. 


Monosom mit Heterokinese I; es resultieren vier verschiedene 
Spermidensorten. Beispiel: die Hemiptere Banasa calva (Wilson).!) 


Eine vergleichende Untersuchung von somatischen und 
Keimbahnzellen des Weibchens bei solchen Objekten, die in der 
Spermiogenese Heterochromosomen besitzen, ist erst von wenigen 
Autoren vorgenommen worden. Sutton (13) fand in den 
Spermiogonien der Orthoptere Brachystola magna 22 gewöhnliche 
Chromosomen und ein Monosom, in den Oogonien und Follikel- 
zellen des Ovariums nur 22, von denen sich keines wie das Hetero- 
chromosom verhielt. Im Gegensatz hierzu konstatiert Wilson 
(15—17) bei zahlreichen von ihm untersuchten Hemipteren, dass 
in weiblichen Körper- und Keimbahnmitosen im Falle des Mono- 
soms ein Chromosom (von der Grösse des Monosoms) mehr, im 
Falle der ungleichen Idiochromosomen an deren Stelle zwei gleiche 
Chromosomen von der Grösse des. grossen Idiochromosoms vor- 
handen sind. Er lässt daher Weibchen durch diejenigen Spermien 
hervorbringen, die das Monosom resp. das grosse Idiochromosom 
empfangen haben, Männchen dagegen durch Spermien, denen das 
Monosom fehlt oder das kleine Idiochromosom zuerteilt wurde, 
und nimmt für diese Fälle eine konstante Beziehung zwischen 
Chromosomen und Geschlechtsdifferenzierung an. Zu ähnlichen 
tesultaten gelangte nach Wilsons Angabe bei dem Käfer Tenebrio 
(ungleiche Idiochromosomen) N. M. Stevens (11), deren Arbeit 
mir nicht zugänglich war. 
II. Untersuchungen an Gryllus domesticus 

und Pyrrhocoris apterus. 
1. Material und Methoden. 


In erster Linie wurden männliche und weibliche Geschlechts- 
drüsen von Gryllus domesticus L. untersucht, mit besonderer 
Berücksichtigung jüngerer Larven, so dass sich auch die Ge- 


!) Im allgemeinen findet sich bei Orthopteren ein Monosom mit Hetero- 
kinese I, bei Hemipteren dagegen ein solches mit Heterokinese Il. Die beiden 
von Wilson eingehend untersuchten Fälle der Hemipteren Archimerus und 
Banasa zeigen, dass diese Regel nicht ohne Ausnahme ist. 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 01 


legenheit zur Beobachtung von somatischen Mitosen ergab. Das 
Material wurde von Januar bis April 1906 gesammelt. Als 
Fixationsmittel benutzte ich hauptsächlich das von Baumgartner 
für unser Objekt besonders empfohlene starke Flemmingsche 
(Gemisch, das ich in der Regel 24 Stunden einwirken liess. 
Daneben kam unter anderem Zenkers Flüssigkeit zur Anwendung. 
Von Färbungsmethoden leisteten mir neben der häufig verwandten 
Heidenhainschen Eisenhämatoxylinmethode die Flemming- 
sche Dreifachfärbung') (nach Flemmings starkem Gemisch) 
und das Biondische Gemisch (nach Zenkerscher Flüssigkeit) 
ganz besonders gute Dienste. 

Die in Paraffın eingebetteten Objekte wurden meist in 
Serienschnitte von 5 « Dicke zerlegt. Für gewisse Zwecke er- 
wiesen sich dickere Schnitte als nützlicher. 


Fig. 1.°) 
Gryllus domesticus. Spermiogonienmetaphase. 
h Heterochromosom, violett gefärbt, die übrigen Chromosomen rot. 
Flemmings Dreifachmethode. 

Neben Gryllus gelangte unter ähnlichen Methoden Pyrrho- 
coris apterus L. zur Untersuchung, von der im folgenden nur 
der Beginn der Wachstumsperiode des Spermio- und Oocyten 
Berücksichtigung finden soll. 

2. Das Heterochromosom in der Spermiogenese von Gryllus 
domesticus. 

Die Geschichte des Heterochromosoms in der Spermiogenese 
von Gryllus domesticus?) hat bereits durch Baumgartner (1) 

!) Dieselbe wurde nach der im Strasburgerschen Institut aus- 
gebildeten Modifikation angewandt (Enzyklopädie der mikr. Technik, p. 1102). 

:) Sämtliche Figuren, von Fräulein M. Techow angefertigt, sind halb- 
schematisch gehalten und wurden bei Zeiss’ Apochromatimmersion 2 mm, 
Apert. 1,30, Kompensationsokular 12 mittels des Abbeschen Zeichenapparates 
in Höhe des Arbeitstisches in den Konturen angelegt. Die den Figuren 1—10 
zugrunde liegenden Präparate wurden mit Flemmings starkem Gemisch fixiert. 

°, Zuerst aufgefunden wurde dieses Heterochromosom von de Sinedty 
(10), der es indessen nicht in allen Stadien verfolgte. 


502 S. Gutherz: 


eine eingehende Schilderung erfahren, die ich in der Hauptsache 
durchaus bestätigen kann. Ich möchte an der Hand einer Reihe 
von Abbildungen, welche z. T. die von Baumgartner gegebenen 
ergänzen, einige wichtige Stadien aus der Geschichte unseres 
Elementes besprechen. 

In den Spermiogonien (Fig. 1) findet sich neben den zwanzig 
länglich ovalen oder bohnenförmigen gewöhnlichen Chromosomen 
ein wesentlich grösseres, vielfach hufeisen- oder magnetförmiges 
Chromatinelement, welches sich bereits durch sein unpaares Auf- 
treten als Heterochromosom charakterisiert. Bei der Flemming- 
schen Dreifachfärbung nimmt es, während die übrigen Chromosomen 
leuchtend rot gefärbt sind, einen 
violetten Ton an, eine Erscheinung, 
welche wohl auf dem etwas weniger 
dichten Bau dieses Chromosoms be- 
ruht. Ein ausserordentlich charak- 
teristisches Bild gewährt die Sper- 
miogonienanaphase (Fig. 2), indem 
hier die durch Längsspaltung des 

Heterochromosoms entstandenen 
beiden, mit den freien Ende neinander 
zugekehrten magnetförmigen Körper 
fast den ganzen Raum zwischen den 
durch die übrigen Chromosomen ge- Fig. 2. 
bildeten Häufchen einnehmen. Dieses Gryllus domesticus. 
Stadium soll uns später zum Vergleich S'Permiogonienanaphase. 

} { i \ h Heterochromosom. 
mit somatischen Mitosen dienen. Ich 
möchte aber darauf hinweisen, dass 
diese charakteristische Lagerung der Heterochromosomen nicht 
mehr besteht, nachdem die Auflösung der Chromosomen in der 
Telophase begonnen hat. 

Während der gesamten Wachstumsperiode zeigen sich im 
Spermiocyten zwei nucleolusartige Körper (Fig. 3), von denen 
Baumgartner den einen als Heterochromosom, den andern 
als echten Nucleolus auffasste. Ich kann mich dieser Ansicht 
anschliessen, einmal auf Grund von Färbungsreaktionen, sodann 
im Hinblick auf die weiteren Entwicklungsvorgänge Baum- 
gartner gibt an, dass es ihm mit der Flemmingschen 
Dreifachmethode nur gegen Ende der Wachstumsperiode gelang, 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 503 


das Heterochromosom vom echten Nucleolus zu differenzieren. 
Setzt man bei dieser Methode die Extraktion mit Nelkenöl etwas 
länger fort, so dass das Chromatin im Ruhestadium blass violett 
gefärbt wird, so gelingt es in fast allen Stadien des Spermiocyten 
(abgesehen von den jüngsten), die beiden Körper voneinander zu 
unterscheiden, dadurch, dass der als Heterochromosom aufgefasste 
leuchtend rot, der andere blass violett erscheint. Allerdings ist 
dieses Färbungsresultat kein ganz konstantes, indem mitunter 
sich in einzelnen Zellen beide Körper rot färben. Ein vollkommen 


Fig. 3. 
Gryllus domesticus. Spermiocyt inmitten der Wachstumsperiode. 
h Heterochromosom (rot gefärbt), n echter Nucleolus (blassviolett). 
Flemmings Dreifachsmethode. 


eindeutiges Resultat gibt dagegen das Biondische Gemisch, 
und zwar in sämtlichen Stadien des Spermiocyten: stets wird 
der eine meist längsovale, der Kernmembran dicht anliegende 
Körper grün gefärbt, während der andere meist voluminösere 
und mehr im Kerninnern liegende Körper rot erscheint. Der 
erstere weist demnach die färberischen Eigenschaften eines 
Chromatinnucleolus, der letztere die eines echten Nucleolus auf. 
Eine Bestätigung dieses Ergebnisses erhielt ich bei Einwirkung 
von wässriger Methylgrünessigsäure (Methylgrün 0,3 Proz., Essig- 
säure 0,5 Proz.) auf die frisch zerzupfte Geschlechtsdrüse Es 
fand sich in den Spermiocyten ein leuchtend grün gefärbter, der 
Kernmembran dicht angeschmiegter Chromatinnucleolus, während 


504 S. Gutherz: 


der echte Nucleolus ungefärbt blieb oder eine sehr blasse 
Färbung annahm. 

In der auf die Wachstumsperiode folgenden ersten Reifungs- 
mitose finden wir ein Chromosom vor den übrigen in dreierlei 
Hinsicht ausgezeichnet: 1. durch seine häufig charakteristische 
wurstförmige Gestalt, 2. durch Heterokinese, 3. durch sein Ver- 
halten zum Spindelapparat. Es ist dies das Heterochromosom. 
In der Metaphase zeigt es sich (Fig. 4 und 5) häufig dem einen 
Spindelpol genähert, häufig aber auch noch in der Äquatorebene. 
Etwas genauer sei auf sein Verhalten zum Spindelapparat ein- 
gegangen, da in dieser Beziehung meine Darstellung von der 
Baumgartners abweicht. Baumgartner lässt in den meisten 
seiner Figuren von dem Pole aus, dem das Heterochromosom 


Fig. 4. 
Gryllus domesticus. Spermiocytenäquatorialplatte. 
h Heterochromosom (erst bei Hebung des Tubus um 4 « sichtbar). 


genähert liegt, eine Faser an dasselbe herantreten, die sich in 
ihrer Dicke von den sich an die übrigen Chromosomen begebenden 
nicht unterscheidet. Merkwürdigerweise bildet Baumgartner 
sehr kurze Polstrahlen ab, während an meinen Präparaten gerade 
die ausserordentliche Länge dieser Gebilde ins Auge fällt, die 
sich in der Äquatorebene kreuzen (Fig. 5) und mitunter sogar 
bis in das Niveau des gegenüberliegenden Üentrosoms reichen 
können. Da in den meisten Figuren Baumgartners die an 
das Heterochromosom herantretende Faser um das Vielfache 
länger ist als die abgebildeten Polstrahlen, so kann es sich 
nicht um einen zufällig in der Nähe des Heterochromosoms 
gelegenen Polstrahl handeln, Baumgartner scheint vielmehr 
ausdrücken zu wollen. dass, wie an die übrigen Chromosomen 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 505 


doppelseitig, sich an das Heterochromosom einseitig eine Zugfaser 
begibt. Dies kann ich nicht bestätigen. An Heidenhainschen 
Eisenhämatoxylinpräparaten, die nicht zu stark differenziert sind, 
ist ein sehr deutlicher Unterschied in der Dicke der an die 
Chromosomen herantretenden Halbspindelfasern und der viel 
zarteren Polstrahlen zu beobachten (Fig. 5). Besonders macht 
sich die grössere Dicke der Halbspindelfasern gegen ihren Ansatz 
an die Öhromosomen zu bemerkbar, indem sie nach dem Spindel- 
äquator hin gewissermassen anschwellen, während sie in der Nähe 
der Pole eben so zart gebaut sind wie die Polstrahlen. An 
das stets ausserhalb der Spindel im Polstrahlengebiet gelegene 


Gryllus domestieus. Spermiocytenmetaphase. 
h Heterochromosom. 


Heterochromosom habe ich nun niemals eine derartig verdickte 
Faser herantreten sehen. Die zarten Polstrahlen können in der 
Nähe des Heterochromosoms endigen, gehen aber eben so häufig 
an ihm vorbei. Neben den verdickten Halbspindelfasern finden 
sich zarte durchgehende Fasern. Eine solche habe ich mehrfach 
dicht am Heterochromosom vorbeiziehen sehen; ob es sich hier 
um einen zufälligen Befund oder um eine „Gleitfaser“ für das 
Heterochromosom handelt, sei dahingestellt. 

Über das weitere Schicksal des Heterochromosoms gewähren 
die Fig. 6—S rasche Orientierung. In dem nach der ersten 


Reifungsteilung eintretenden Ruhestadium, welches Baumgartner, 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69, 34 


506 S. Gutherz: 


da die Auflösung des Chromatins nicht bis zur Bildung eines 
Kernreticulums führt, als „semiresting stage“ bezeichnet, finden 
wir das Heterochromosom in seiner besonderen Membran vom 
übrigen Kern isoliert (Fig. 6), und zwar, entsprechend der vor- 
angegangenen Heterokinese, nur in der einen Tochterzelle Für 
die Untersuchung dieses Stadiums eignen sich etwas dickere 
Schnitte besser als solche von 5 «, da sonst durch eventuelles 
Fortschneiden des Heterochromosoms die Klarheit des Bildes 
getrübt wird. Sehr lehrreich ist der Vergleich der in Fig. 7 
und 8 dargestellten Präspermidentelophasen; die eine stammt 
von einer Präspermide, die durch Heterokinese ein Heterochro- 
mosom erhielt, die andere von einer solchen, die frei davon blieb. 
Man sieht hier mit grosser Anschaulichkeit, wie schliesslich nur 


Fig. 6. 
Gryllus domesticus. Spermiocytentelophase. 
h Heterochromosom im eigenen Kernbläschen. 


die Hälfte der Spermiden ein Heterochromosom empfängt. In 
der Tat findet man nur in einem Teile der Spermiden, wenn ihr 
Kern bläschenförmig geworden ist, einen der Kernmembran dicht 
anliegenden längsovalen Körper, der dem in den Spermiocyten 
heschriebenen CUhromatinnueleolus durchaus ähnlich ist, nur dass 
er etwa die halbe Grösse besitzt, und auch die gleichen Färbungs- 
reaktionen aufweist.!) 

Überblicken wir die eben gegebene Darstellung, so drängt 
sich die Frage auf: Ist der in der Wachstumsperiode des Spermio- 
eyten vorhandene Uhromatinnucleolus auch wirklich identisch mit 
dem in den Spermiogonien auftretenden hufeisenförmigen Chro- 
matinelement, und ist das in der ersten Reifungsteilung Hetero- 
kinese erfahrende Chromosom wiederum auf jenen zurückzuführen ? 


!) Allerdings wurde er nicht frisch mit Methylgrünessigsäure untersucht. 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 507 


Mit absoluter Sicherheit lässt sich diese Frage nicht bejahen, da 
das Heterochromosom seine in den Spermiogonien so charak- 
teristische Gestalt nicht weiter bewahrt, und auch sein in den 
Spermiogonien hervortretender beträchtlicher Grössenunterschied 
gegenüber den gewöhnlichen Chromosomen doch nicht so bedeutend 
ist, um in den Reifungsmitosen, in welche die übrigen Chromo- 
somen nach starkem Wachstum eintreten, noch besonders aufzu- 
fallen. Hier treten die an anderen in dieser Beziehung günstigeren 
Untersuchungsobjekten gewonnenen Frgebnisse helfend ein, und 


Fig. 8. 
Gryllus domesticus. Gryllus domesticus. 
Präspermidentelophase ohne Präspermidentelophase mit 
Heterochromosom. Heterochromosom h. 


ich glaube, dass wir nach den Erfahrungen an Objekten wie 
Orphania denticauda oder Protenor belfragei, bei denen sich das 
„Heterochromosom infolge seiner exzessiven Grösse stets mit 
Gewissheit wiedererkennen lässt, die Identität jener drei Gebilde 
als so gut wie sicher annehmen können. Einen Hinweis auf die 
Beziehung zwischen dem hufeisenförmigen Element in den Spermio- 
gonien und dem Chromatinnucleolus in den Spermiocyten glaube 
ich in einer Beobachtung erblicken zu dürfen, die man mitunter 
an Spermiocyten machen kann: statt eines Chromatinnucleolus 


findet sich ein dünner, der Kernmembran dicht anliegender und 
34* 


508 Sr Gurt henrize 


etwa fast ein Viertel ihres Umfanges einnehmender Faden; ich 
fasse dies so auf, dass hier das Heterochromosom seiner ursprüng- 
lichen langgestreckten Gestalt (allerdings unter Anlagerung an 
die Kernmembran) treu geblieben ist, anstatt in den länglich- 
ovalen Nucleolus überzugehen. 


3. Somatische Mitosen des Männchens 
von Gryllus domesticus. 
Gelegenheit zur Untersuchung somatischer Mitosen ergab 
sich beim Studium sehr junger Larvenhoden, die erst bis zur 
Bildung von Spermiogonien fortgeschritten waren. Hier fanden 


Fig. 9. Fig. 10. 


Gryllus domesticus. Gryllus domesticus. 
Anaphase einer somatischen Zelle Anaphase einer Endfadenzelle 
(Hodenwandzelle) aus dem Larvenovarium. 


aus dem Larvenhoden. 


sich Hodenwandzellen, Spermiocystenzellen, Fettzellen reichlich 
in Mitose. Es fiel mir bald auf, dass das so charakteristische 
Bild der Spermiogonienanaphase sich bei den Körperzellen nicht 
wiederfand. Ein Vergleich von Fig. 9 mit Fig. 2 zeigt dies sehr 
deutlich; man gewinnt bereits aus dem Bilde der Anaphase den 
Eindruck, als ob das Heterochromosom in den Körperzellen nicht 
vorhanden sei In der Tat konnte ich bei Untersuchung zahl-„ 
reicher Metaphasen niemals ein durch Grösse und hufeisenförmige 
(restalt ausgezeichnetes Uhromatinelement auffinden. Allerdings 
sind zur Zählung geeignete Äquatorialplatten äusserst selten, da 
die Chromosomen nie streng in einer Ebene liegen. So ergab 
sich in den wenigen, für Zählung brauchbaren Fällen auch nur 
annähernd die Zahl 20. Bemerkt sei noch, dass sämtliche Chromo- 
somen länger und dünner sind als in den Spermiogonien. 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 509 


4. Mitosen aus den Endfäden des Larvenovariums 
von Gryllus domesticus. 


Die hier beobachteten Mitosen sind den männlichen somatischen 
sehr ähnlich; auch hier zeigt die Anaphase (Fig. 10) einen 
bemerkenswerteu Gegensatz zur Spermiogonienanaphase, indem 
kein magnetförmiges grosses Element zu sehen ist; auch hier 
ist das Verhalten in der Metaphase ein gleiches, und es ergibt 
sich nur mit Wahrscheinlichkeit als Zahl der Chromosomen 20, 
unter denen kein durch Grösse oder Gestalt sich auszeichnendes 
Chromatinelement gefunden wird. 

Oogonienmitosen habe ich nur äusserst spärlich angetroffen 
und auch dann in ungünstiger Lagerung. 

Ob. die Endfadenzellen zum Teil der Keimbahn angehören, 
ist mindestens sehr fraglich. Folgt man der embryologischen 
Darstellung von Heymons (6), so sind sie, da mesodermalen 
Ursprungs, als Körperzellen aufzufassen. 

Ich kann daher nur mit Wahrscheinlichkeit eine Überein- 
stimmung zwischen männlichen und weiblichen Körperzellen fest- 
stellen, über weibliche Keimbahnzellen aber noch nichts aussagen. 
Ich hoffe, die hier vorhandenen Lücken durch weiteres Suchen 
nach günstigen Körpermitosen beider Geschlechter sowie nach 
Oogonienmitosen später ausfüllen zu können. 


5. Synapsisstadium des Spermio- und Oocyten 
von Pyrrhocoris apterus. 

Im dritten Teile seiner „Uhromosomenstudien“ berichtet 
Wilson (17), dass er bei einer Reihe von Hemipteren, die im 
Synapsisstadium des Männchens einen Chromosomnucleolus auf- 
wiesen, keine Spur eines derartigen Körpers im entsprechenden 
Stadium beim Weibchen gefunden habe. Wilson zieht hieraus 
einen allgemeinen Schluss auf grössere Aktivität gewisser 
Chromosomen beim Weibchen als beim Männchen, indem er den 
in Form eines Chromatinnucleolus ausserhalb des Synapsisknäuels 
verbleibenden Chromosomen eine mehr passive Rolle zuschreibt. 
Da ich nun bei Pyrrhocoris apterus zum entgegengesetzten 
Untersuchungsergebnis gelangt bin, so sei darüber kurz berichtet. 

Ein Vergleich der Synapsisstadien beider Geschlechter (Fig. 11 
und 12) ergibt bei beiden einen nucleolusartigen Körper, der 
ach Behandlung mit dem Biondischen Gemisch grün und bei 


510 S. Gutherz: 


Flemmingscher Dreifachmethode leuchtend rot erscheint. Das 
weibliche Synapsisstadium weist ausserdem einen echten Nucleolus 
auf, der durch Biondis Gemisch rot und mittels Flemmings 
Dreifachmethode blass violett gefärbt wird. Den Chromatin- 
nucleolus des Männchens dürfen wir, da nach Henkings (4) 


Pyrrhocoris apterus. Spermiocyt im Synapsisstadium. 
h Heterochromosom. Fixation mit Hermanns Gemisch. 


Fig. 12. 
Pyrrhocoris apterus. Oocyt im Synapsisstadium. 
x Körper mit den Färbungsreaktionen eines Chromatinnucleolus, 
n echter Nucleolus. Fixation mit Hermanns Gemisch. 


Darstellung Pyrrhocoris ein Monosom besitzt, als Hetero- 
chromosom im Zustande der Heteropyknose betrachten. 
Welche Deutung dem Chromatinnucleolus beim Weibchen zu 
geben ist, vermag ich nicht zu sagen. Es sei hervorgehoben, 
dass er im Synapsisstadium mit absoluter Konstanz auftritt, während 
der echte Nucleolus öfters vermisst wird, vielleicht weil er im 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen. a 


Chromatinknäuel verborgen liegt. Ich fand den Chromatinnucleolus 
auch in grösseren Oocyten nach der Synapsis, wenn die einzelnen 
Chromatinfäden sich bereits voneinander isoliert haben, und zwar 
manchmal mit einer deutlichen Einschnürung, daneben den blassen 
echten Nucleolus. 

Übrigens ist der Chromatinnucleolus des Oocyten H enking, 
dem Entdecker der Heterochromosomen, nicht entgangen. Nach- 
dem er eine anschauliche Schilderung des damals noch nicht 
besonders benannten Synapsisstadiums gegeben hat, heisst es in 
seiner Darstellung (5): „Neben dem Fadenknäuel sieht man oft 
einen deutlich gesonderten kompakteren Chromatinkörper“ und 
an späterer Stelle: „Der nucleolusartige Körper behält seine 
kompakte Form länger als der Fadenknäuel. Wenn dieser aber 
völlig gelockert ist, vergrössert sich auch dessen Oberfläche, 
indem er knotenförmige Vorsprünge erhält, so dass er schliess- 
lich wie ein Haufen von Körnchen erscheinen kann.“ 


6. Zusammenfassung der Ergebnisse. 
A. Gryllus domesticus. 


1. In der Spermiogenese findet sich ein Heterochromosom 
vom Monosomentypus mit Heterokinese I, welches sich in den 
Spermiogonien vor den 20 gewöhnlichen Chromosomen durch 
besondere Grösse und Gestalt auszeichnet. 

2. In der ersten Reifungsmitose begeben sich an die 
gewöhnlichen Chromosomen Halbspindelfasern, die von stärkerer 
Dicke sind als die Polstrahlen; das Heterokinese erfahrende 
Monosom erhält keine derartige Faser. 

3. In männlichen somatischen Mitosen sowie in Mitosen 
aus den Endfäden des Ovariums findet sich kein dem Hetero- 
chromosom der Spermiogonien vergleichbares Element; die Zahl 
der Chromosomen beträgt wahrscheinlich 20. 


B. Pyrrhocoris apterus. 
Im Synapsisstadium sowohl des Spermio- als des Oocyten 
ist ein Chromatinnucleolus vorhanden. 


Eine kurze Diskussion gewisser Untersuchungsergebnisse 
sei angefügt. ; 

Betrefis der Beziehungen des in Heterokinese begriffenen 
Monosoms zum Spindelapparat hat de Sin&ty (10) bei Orphania 


512 S. Gutherz: 


denticauda angegeben, dass es, exzentrisch gelegen, häufig mit 
der Spindel verbunden sei, zuweilen aber auch mitten im Cyto- 
plasma angetroffen werde. Boveri (15) hat nach den Abbildungen 
de Sinetys die Vermutung geäussert, dass der Transport des 
Monosoms nicht durch den karyokinetischen Fadenapparat bewirkt 
werde und es je nach seiner zufälligen Lage in die eine oder 
andere Tochterzelle gelange. Auf Grund der von mir mitgeteilten 
Beobachtungen glaube ich Boveris Annalıme für Gryllus domesticus 
bestätigen zu können. 

Der zwischen den Spermiogonien und den somatischen Zellen 
von Gryllus domesticus sich darstellende Unterschied lässt es 
wünschenswert erscheinen, eine Untersuchung der Embryonal- 
entwicklung von Gryllus bis zur Sonderung der Keimzellen mit 
besonderer Berücksichtigung der Chromatinverhältnisse vorzu- 
nehmen. Heymons (6) ist auf Gruud embryologischer Unter- 
suchungen zu der Vorstellung gelangt, dass bei Gryllus domesticus 
die Trennung der Keimbahnzellen von den somatischen Zellen 
sehr frühzeitig erfolge; vielleicht gelingt es bei Beachtung des 
Verhaltens der Chromosomen, diesen Zeitpunkt exakt zu ermitteln. 
Nehmen wir, was ich bisher nur als wahrscheinlich angeben kann, 
die Zahl der Chromosomen in den Körperzellen als 20 an, so 
erbebt sich die interessante Frage, in welcher Weise die Son- 
derung in Zellen mit Heterochromosom und ohne Heterochromosom 
vor sich gehe. Stellen wir uns auf den Standpunkt der Indivi- 
dualitätstheorie der Chromosomen, so müssen wir eine Art von 
„Diminutionsprozess“ annehmen; andernfalls besteht die Möglich- 
keit, dass das Heterochromosom im Beginn der Entwicklung noch 
nicht vorhanden ist und erst später auftritt. Jedenfalls scheint 
sich mir im Studium der frühen Embryonalentwicklung von 
Gryllus domesticus ein ausgezeichneter Prüfstein für die Theorie 
der Chromosomenindividualität darzubieten. 

Da mir sichere weibliche Keimbahnzellen von Gryllus 
domesticus nicht zur Verfügung standen, so kann ich zu der 
interessanten von Sutton und Wilson an verschiedenen Objekten 
verschieden beantworteten Frage nach der Beziehung zwischen 
Chromosomen und Geschlecht noch keine Stellung nehmen. 


Zur Kenntnis der Heterochromosomen, 513 


Es ist mir eine angenehme Pflicht, Herrn Geheimrat 
O. Hertwig, der mir die Anregung zur vorliegenden Unter- 
suchung gab, hierfür sowie für sein liebenswürdiges Interesse 
am Verlaufe der Arbeit, sodann für freundliche Unterstützung 
mit neuester Literatur und die ausserordentliche Liberalität, mit 
der er mir die Institutsmittel zur Verfügung stellte, meinen herz- 
liechsten Dank auszusprechen. Ferner seien die Herren Prof. 
R. Krause, Privatdozent Dr. H Poll und Dr. W. Berg für 
mannigfache wertvolle Ratschläge meines ergebensten Dankes 
versichert. 


Berlin, Ende Juli 1906. 


Literaturverzeichnis. 


(Eine ausführliche Zusammenstellung der Heterochromosomen-Literatur 


findet sich bei 7 und 8.) 


1. Baumgartner, W. J.: Some new Evidences for the Individuality of 
the Chromosomes. Biol. Bull. VIII. 1904. 

la. Blackman, M. W.: The Spermatogenesis of Scolopendra Heros. Bull. 
Mus. Uomparat. Zool., Harvard College. Bd. 48. 1905. 

2. Gross, J.: Die Spermatogenese von Syromastes marginatus L. Zool 
Jahrb., Anatomie XX. 1904. 

9. Häcker, V.: Bastardierung und Geschlechtszellenbildung. Zool. Jahrb. 
Suppl. VII. 1904. 

4. Henking, H.: Untersuchungen über die ersten Entwicklungsvorgänge 
in den Eiern der Insekten. II. Über Spermatogenese und deren Be- 
ziehung zur Eientwicklung bei Pyrrhocoris apterus L. Zeitschr. wiss. 
700]. Bd. 51. 1891. 

9. Derselbe: Untersuchungen über die ersten Entwicklungsvorgänge in den 
Eiern der Insekten. III. Spezielles und Allgemeines. Zeitschr. wiss. 
Zool, Bd. 54. 1892. 

6. Heymons, R.: Die Embryonalentwicklung von Dermapteren und 

ÖOrthopteren. Jena 189. 

Me Clung, C. E.: The Accessory Chromosome — Sex Determinant ? 

Biol. Bull. III. 1902. 

'8. Montgomery, Th. H.: The Spermatogenesis of Syrbula and Lycosa, 
with general considerations upon chromosome reduction and the hetero- 
chromosomes. Proc. Acad. of Nat. Sc. of Philadelphia. 1909. 

9. Derselbe: The Terminology of aberrant Chromosomes and their Behavior 
in certain Hemiptera. Science. Vol. XXIII. Jan. 1906. 

10. de Sinety, R.: Recherches sur la biologie et l’anatomie des Phasmes. 
La Cellule. XIX. 1901. 


=] 


S. Gutherz: Zur Kenntnis der Heterochromosomen. 


. Stevens, N.M.: Studies in Spermatogenesis with especial Reference to 


the „Accessory Chromosome“. Publication No. 36. Carnegie Institution, 
Washington. 1905. 


2. Sutton, W. S.: The Spermatogonial Divisions in Brachystola magna. 


Bull. Univ. Cansas. IX. 1900. 

Derselbe: On the Morphology of the Chromosome Group in Brachystola 
magna. Biol. Bull. IV. 1902. 

Wilson, E.B.: Studies on Chromosomes. I. The Behavior of the Idio- 
chromosomes in Hemiptera. Journ. Exper. Zool. Vol. II. 1905. 


5. Derselbe: The Chromosomes in Relation to the Determination of Sex in 


Inseets. Science. Vol. XXII. Okt. 1905. 


3. Derselbe: Studies on Chromosomes. II. The paired Microchromosomes, 


Idiochromosomes and Heterotropic Chromosomes in Hemiptera Journ. 
Exper. Zool. Vol. II. 1905. 


. Derselbe: Studies on Chromosomes. III. The sexual Differences of the 


Chromosome Groups in Hemiptera with some Considerations on the 
Determination and Inheritance of Sex. Journ. Exper. Zool. Vol. III. 1906. 


. Boveri, Th.: Ergebnisse über die Konstitution der chromatischen Sub- 


stanz des Zellkerns. Jena 1904. 
Wallace, L. B.: The Spermatogenesis of the Spider. Biol. Bull. VIII. 
1905. 


Die Analogie in der Entwicklung der Knochen- 
und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere nebst 
kritischen Bemerkungen über die Osteoblasten- 


und Odontoblastentheorie. 
Von 


Dr. K. v. Korif, 
ll. Prosektor am anatom. Institut zu Kiel. ® 


Hierzu Tafel XIX, 


Meine mitgeteilten Befunde über die erste Anlage der 
histologischen Bestandteile des Dentins stehen in scharfem Gegen- 
satz zu der bisherigen Auffassung von der Genese des Dentins. 
Ich habe gezeigt, dass die Grundsubstanz nicht homogen, sondern 
von vornherein fibrillär angelegt wird. Nicht die Odontoblasten, 
‘sondern die Fibrillen der Pulpa bilden die ersten Fibrillen des 
Dentins. 

Die deutlich erkennbaren Strukturen der ersten Dentinanlage 
wiesen mich auf histogenetische Untersuchungen des Knochen- 
gewebes. Ich habe geprüft, ob hier ähnliche oder dieselben 
Entwicklungserscheinungen wie bei der Histogenese des Dentins 
vorliegen, ob die von Gegenbaur aufgestellte, von Waldeyer 
bestätigte Osteoblastentheorie auch bei Anwendung von scharf 
differenzierenden Untersuchungsmethoden weiter anerkannt werden 
muss, ob sie imstande ist, die späteren Wachstumserscheinungen 
zu erklären. 

Meine histogenetischen Befunde über das Dentin werde ich 
später in Anbetracht der analogen genetischen Erscheinungen 
der Hauptsache nach wieder anführen und bezüglich der Um- 
lagerung der ersten Fibrillen vervollständigen. 

Das Material meiner Untersuchungen stellen die in Entwicklung 
begriffenen Bindegewebsknochen von Säugetieren (Embryonen, Neu- 
geborenen) dar. Vor allem wurden untersucht die in lockerem 
embryonalem Bindegewebe gelegenen Knochenbälkchen des Unter- 
kiefers, Oberkiefers, Palatinums (Schwein, Katze, Hund, Meer- 
schweinchen), dann die Deckknochen an der Dorsalseite des 


516 RE yEaRWo TI: 


Schädels (Katze), die aus dem Periost hervorgehenden Knochen- 
bälkchen der langen Röhrenknochen (Hund, Mensch, Meer- 
schweinchen). dann der etwa 1 cm lange Stirnbeinhöcker vom 
neugeborenen Kalbe. Die noch wenig Kalksalze enthaltenden 
Knochen wurden durch ‘die fixierende Flüssigkeit meist selbst 
entkalkt; als solche wählte ich hauptsächlich öfter gewechseltes 
Flemmingsches Gemisch, Sublimat-Alkohol-Eisessig, Zenkersche 
Flüssigkeit oder Sublimat. Vor der Fixierung wurden die Objekte 
in möglichst dünne Längs- oder Querschnitte zerlegt, so dass 
eine "schnelle Entkalkung, ein in alle Gewebsschichten gleich- 
mässig schnelles Eindringen der Flüssigkeiten stattfinden konnte. 

Die angewandten Färbemethoden sind folgende: 

I. Eisenalaun-Hämatoxylinfärbung nach M. Heidenhain 

mit nachfolgender Bindegewebsfärbung. 

1. Färben der aufgeklebten Schnitte in der von M. Heiden- 

hain angegebenen Weise (24 Stunden). 

2. Differenzieren mit Eisenalaunlösung, bis die bereits 
verkalkt gewesenen Stellen der Grundsubstanz, welche 
sich am intensivsten färben, sich zu entfärben anfangen. 
Abspülen im fliessenden Wasser (etwa 15 Minuten). 

4. Färben der fibrillären Grundsubstanz: 

Die Schnitte kommen aus Wasser in 95°%o Alkohol, 
dann auf 10—15 Minuten in sehr dünne alkoholische 
Lösungen von Rubin S (ca. 0,25 Rubin S 500—1000 
Alkohol) oder in konzentrirte oder verdünnte alkoholische 
Lösungen der von M. Heidenhain eingeführten 
Farbstoffe für Bindegewebe, der Chromotropen. Die 
Osteoblasten, Knochenzellen. Odontoblasten färben sich 
stärker schwarz als die Bindegewebszellen. Die Aus- 
läufer von Osteoblasten und Knochenzellen und weichen 
Zahnfasern erscheinen homogen blassgrau, die unver- 
kalkten Stellen der Grundsubstanz differenzieren sich 
als rot gefärbtes Flechtwerk von Fibrillen. Die ver- 
kalkt gewesenen Stellen färben sich homogen tiefschwarz. 

ll. Färbung in einer Mischung von zwei Farbstoften von 
Präparaten, die in chromsäurehaltigen Flüssigkeiten fixiert 
waren: Rubin S 2, Orange G 1, Glycerin 7, aq. destill. 
ad 100. Dieses Gemisch färbt fast momentan ("es Min). 
Die gefärbten Schnitte werden in 95° 0 Alkohol extrahiert. 


o 


—1 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 5l 


Östeoblasten und Knochenzellen und Odontoblasten färben 
sich orange, ebenso, wenn auch nicht so scharf, deren 
homogene Ausläufer; die Fibrillen der unverkalkten 
Grundsubstanzen und die in sie übergehenden Fibrillen- 
bündel erscheinen deutlich rot. Die verkalkt gewesenen 
Stellen der Grundsubstanzen färben sich orange oder 
gelb mit verschiedenen Nuancierungen. 

Die von M. Heidenhain eingeführten Chromotropen färben 
die Bindegewebsfibrillen ebenso deutlich wie Rubin S. Dieselben 
sind dem -Rubin S insofern vorzuziehen, als die mit ihnen gefärbten 
Bindegewebsfibrillen nach den Erfahrungen von M. Heidenhain 
den einmal angenommenen Farbenton beibehalten, während die 
Rubin S-Färbung der in Kanadabalsam eingeschlossenen Fibrillen 
bald mehr bald weniger schnell verblasst. Die von vielen Autoren 
angewandte Färbung von Hämatoxylin und Eosin hat sich als 
unzweckmässig erwiesen; die Fibrillen werden mit Eosin nicht 
scharf difterenziert. 

Das lockere embryonale Bindegewebe, in dem sich die 
Knochenbälkchen entwickeln, ist reich an Bindegewebsfibrillen und 
jungen Bindegewebszellen, die sich durch mitotische Teilung stark 
vermehren, ähnlich dem Gewebe von wachsenden Zahnpulpen. 
Besonders in der innersten periostalen Schicht der langen Röhren- 
knochen kann man die markantesten Stadien des Monasters und 
Diasters während der Mitose häufig antreffen. Das Verhalten 
der Zellen zu den Fibrillen ist an vielen Bindegewebszellen zu 
erkennen. An den in Flemmingschem Gemisch fixierten Prä- 
paraten erkennt man, wie aus dem Protoplasma der Binde- 
gewebszellen die Fibrillen hervorgehen. Der Sachverhalt erscheint 
nicht etwa so, dass an einer bestimmten Stelle das Protoplasma 
aufhört und die Fibrille anfängt, sondern so, dass der Übergang 
ein sehr allmählicher ist, dass die Protoplasmafärbung an einer 
Übergangsstrecke immer schwächer, die Fibrillenfärbung mit 
Rubin S dagegen peripheriewärts immer markanter wird. 
Öfter habe ich Bilder gesehen, welche den Entwicklungsmodus 
der Fibrillen, wie ihn Spuler in seinen ausführlichen und 
genauen Untersuchungen über die Entstehung der Fibrillen aus 
dem Protoplasma der Bindegewebszellen beschreibt, dartun. Im 
Zellleib gelegene, geradlinig verlaufende Reihen von dicht an- 
einander gelagerten feinen Körnern des Protoplasmas, gehen in 


518 Kay Kork: 


Fibrillen, unter Verschwinden trennender Zwischenräume, über. 
Erst ausserhalb des Zellieibes nehmen die Fibrillen die intensive 
Bindegewebsfärbung an. Sie lassen sich auf weite Strecken ver- 
folgen, kreuzen in geschlängeltem Verlauf die Bindegewebszellen 
und deren Ausläufer. Sie zeigen charakteristische glatte Ober- 
fläche, erscheinen immer homogen. Auf Schnittpräparaten sieht 
man natürlich die bei weitem grösste Anzahl von Fibrillen nicht 
in ihrer ganzen Ausdehnung, welche als sehr lang angesehen 
werden muss. Bei der ausserordentlichen, kaum messbaren 
Feinheit und grossen Anzahl derselben, liegen sie selbst in den 
feinsten Schnitten überall massenhaft übereinander und kreuzen 
sich in allen möglichen Richtungen (Fig. 2, L. e. B.). (Fig. 1.) 

In der innersten Schicht des Periostes (Fig. 1, I. Sch.), in 
dem „ossificierenden Blastem“ (Koelliker), oder dem „osteoiden 
(sewebe des Periostes* (Virchow) ist von Rollet und anderen 
ein Reticulum des Gewebes beschrieben. Dies findet sich, wie ich 
besonders hervorheben möchte, nach meinen Präparaten niemals in 
dem lockeren, stark wachsenden Bindegewebe. Die Bindegewebs- 
zellen setzen sich nicht miteinander zur Konstitution eines Reticulums 
in Verbindung. Ebensowenig treffen wir im analogen (sewebe 
der wachsenden Zahnpulpa jemals ein Reticulum an. Wir haben 
es hier wie dort vielmehr mit einem Gewebe zu tun, das bei stets 
stattfindender und nachweisbarer mitotischen Vermehrung seiner 
zelligen Elemente die eine Hauptaufgabe hat, immer neue, zu- 
nächst isoliert laufende Bindegewebsfibrillen zu differenzieren, die, 
wie ich später zeigen werde, für die Bildung der Grundsubstanz 
das hauptsächlichste Moment bilden. 

Nach Sublimatfixierungen färbt Rubin S oft im lockeren 
embryonalen Bindegewebe, in dem sich die Knochenbälkchen ent- 
wickeln, sowie in der Zahnpulpa die sich bildenden Fibrillen nicht 
so intensiv wie die mit diesen kontinuierlichen Fibrillen der 
ersten Anlage von Knochen- und Dentingrundsubstanz. Es ist 
wahrscheinlich, dass diese nuancierende Reaktion auf Rubin S 
der Ausdruck ist für eine, wenn auch nur geringe Verschiedenheit 
in der chemischen Zusammensetzung, oder für die verschiedene 
Dichtigkeit der färbbaren Fibrillensubstanz bei den verschiedenen 
Abschnitten der Bindegewebsfibrillen. Demnach bilden die ersten, 
jüngst entstandenen, oft noch in nachweisbarem Zusammenhang 
mit den Bindegewebszellen stehenden Abschnitte der Fibrillen 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 519 


chemisch eine Vorstufe zu den echten oder collagenen Binde- 
gewebsfibrillen sowohl der Knochen als der Dentingrundsubstanz. 
Die collagene Fibrille ist hiernach ein sekundäres Produkt. Der 
Collagengehalt derselben, der sie charakterisiert, bildet schliess- 
lich wohl den Hauptbestandteil derselben, die anderen kon- 
stitulerenden Teile treten bei der reifen Fibrille zurück. Bei 
der „unreifen Fibrille‘ dürften sie mehr überwiegen. 

An dem wachsenden Knochenbälkchen lassen sich besonders 
leicht zweiEntwicklungsstadien histologisch unterscheiden. Daserste 
ist charakterisiert lediglich durch sich kreuzende Fibrillenbündel 
ohne färbbare Interfibrillarsubstanz, wir finden es an der Peripherie, 
das zweite dadurch, dass ausser der fibrillären auch eine färb- 
bare interfibrilläre homogene Substanz entwickelt ist. Diese 
Stellen entsprechen den zentralen Abschnitten des Knochen- 
bälkchens (Fig.2). In diese interfibrilläre fär bbare Substanz werden 
wahrscheinlich die Kalksalze abgelagert (Spuler). Gleichzeitig mit 
der Verknöcherung entsteht ein dem Stofiwechsel dienendes 
Röhrensystem, in das differenzierte Bindegewebszellen ganz oder 
nur mit ihren Fortsätzen zu liegen kommen (Knochenzellen, Osteo- 
blasten, |[Fig. 3]). 

An den Stellen, wo wir die Bildung der fibrillären Grund- 
substanz als erstes Stadium erkennen können, an der Peri- 
pherie des wachsenden Bälkchens, ist ein Flechtwerk von sich 
kreuzenden Fibrillenbündeln mit zwischenliegenden, sich modi- 
fizierenden Bindegewebszellen, angelegt. Das Gewebe der Fibrillen- 
bündel ist bald mehr locker, bald mehr dicht. Bei den sich 
hauptsächlich der Fläche nach ausbreitenden Knochen, wie den 
dorsalen Schädeldeckknochen, sind die sich kreuzenden Fibrillen- 
bündel in ähnlicher Orientierung mehr oder weniger parallel zur 
Schädeloberfläche gelegen. Ihre Herkunft ist daher auf Flach- 
schnitten verhältnismässig leicht zu erkennen. Schwieriger ist 
die Orientierung bei unregelmässiger sich ausbreitenden Knochen- 
anlagen. Hier werden die Fibrillenbündel, einerlei, wie man die 
Schnittrichtung wählt. selten der Länge nach, öfter quer, am 
häufigsten schräg durchschnitten. In beiden Fällen handelt es 
sich um ein sehr kompliziert zusammengesetztes Flechtwerk von 
Fibrillenbündeln, die meist in verschiedenen Ebenen liegen und 
sich in allen möglichen Richtungen kreuzen. 

Die Bindegewebsfibrillen dieser ersten unverkalkten Anlage 


520 K. v. Korff: 


von Knochengrundsubstanz bilden nun nicht etwa ein in sich ab- 
geschlossenes (rewebe, sondern stehen mit den beschriebenen 
Fibrillen des peripheren embryonalen, stark wuchernden Binde- 
gewebes in kontinuierlichem Zusammenhang. Die Bindegewebs- 
zellen vermehren sich hier, wie erwähnt, durch mitotische Teilung 
und differenzieren sehr zahlreiche Bindegewebsfibrillen. Die letz- 
teren laufen, von verschiedenen Richtungen kommend, pinselartig 
zusammen; dann legen sie sich zu Fibrillenbündeln aneinander 
und gehen kontinuierlich in die Fibrillenbündel der ersten Knochen- 
grundsubstanz über. Da sich die so zahlreich entstehenden Fib- 
rillenbündel nach einer bestimmten Stelle konzentrieren und von 
den verschiedensten Richtungen kommen, finden die mannigfachsten 
Kreuzungen statt. Es entsteht ein Flechtwerk von Fibrillenbündeln 
als erste Anlage des Knochengewebes. Einzelne Fibrillen des 
lockeren peripheren Bindegewebes strahlen selten in das Knochen- 
bälkchen ein, meist immer Fibrillenbündel (Fig. 1, 2). 

A. Spuler, welcher die von mir zuerst angeführte 
Untersuchungsmethode ebenfalls bei seinen osteogenetischen Unter- 
suchungen benutzte, hebt ausdrücklich hervor, dass auch die 
weiter vom Knochenbälkchen entfernt gelegenen Bindegewebszellen 
sich an der Bildung der collagenen Fibrillen der Knochengrund- 
substanz beteiligen. Dass die von den Bindegewebszellen gebildeten 
Fibrillen einzeln in den fibrillären Saum übergehen, habe ich zwar 
auch beobachtet, doch die bei weitem grösste Menge der Binde- 
gewebsfibrillen geht erst nach der Formation von Fibrillenbündeln 
in die Grundsubstanz über. 

Ganz anders sieht das Gewebe am Saume eines wachsenden 
IKnochenbälkchens aus, welches nur mit einer gewöhnlichen Proto- 
plasmafärbung gefärbt wurde. Die fibrilläre Struktur tritt nicht 
deutlich hervor: die ganze Grundsubstanz erscheint homogen. 
Am Saume liegen scheinbar nur die Osteoblasten, welche bei den 
häufigen Tangentialschnitten des Bälkchens eine dichtgedrängte 
Lage vortäuschen, und mit ihren Fortsätzen scheinbar kontinuier- 
lich in die Grundsubstanz übergehen. Dass dies, wie die scharf 
differenzierende Eisenalaun-Hämatoxylinmethode zeigt, nicht der 
Fall ist, und dass die Angaben Gegenbaurs und Waldeyers 
über das spezielle Verhalten der Osteoblasten bei der Knochen- 
substanzbildung nicht zutreffen oder wenigstens in keiner Weise 
erkannt werden können, werde ich später erörtern. 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 521 


Die von mir beschriebenen Erscheinungen am Saume des 
Knochenbälkchens müssen als osteogenetische aufgefasst werden. 
Dies geht daraus hervor, dass sie immer da zu beobachten sind. 
wo ein ständiges Wachstum der Knochen erfolgen muss. Daher 
finden wir das Einstrahlen der von Bindegewebszellen gebildeten 
Fibrillen in den Saum des Knochenbälkchens an den Endphan- 
langen junger Tiere, den peripheren periostalen Knochenbälkchen, 
in der Spitze wachsender Rehgehörne, im Stirnzapfen vom Kalbe. 
Anderseits fehlen diese Vorgänge, wo das Wachstum der Knochen- 
bälkchen ruht oder die Knochensubstanz resorbiert wird, wie 
an denjenigen periostalen Knochenbälkchen, welche in der Nähe 
der Markhöhle der langen Röhrenknochen liegen. 

Das: zweite Entwicklungsstadium finden wir in den zentralen 
Stellen der Knochenbälkchen. Hier tritt eine zweite färbbare 
homogene interfibrilläre Substanz auf, welche die Fibrillenbündel 
maskiert, die Grundsubstanz homogen erscheinen lässt und in welche 
die Kalksalze abgelagert werden (Fig. 2). Diese verkalkten zentralen 
Stellen haben gegenüber den peripheren, sich nur acidophil färbenden, 
eine ausgesprochene „Basophilie‘, was auf die Anwesenheit der 
interfibrillären färbbaren Substanz zurückgeführt werden muss. 
Entfernt man nämlich durch längeres Verweilenlassen der Präparate 
in Macerationsflüssigkeit (Salpetersäure, 2—5 "/o) die interfibrilläre 
Substanz, so erscheinen die verkalkt gewesenen Stellen wieder 
fibrillär und zugleich mit dem Wiedersichtbarwerden der fibrillären 
Struktur färbt sich die Grundsubstanz intensiv mit sauren 
Farbstoffen. Auch Flemmingsches Gemisch zersetzt die färbbare 
basophile Interfibrillärsubstanz, wenn sie öfter erneuert wird und 
mehrere Monate auf nicht zu sehr verkalkt gewesene Knochen- 
stücke einwirkt. Gegenüber diesen zentralen, für gewöhnlich 
homogenen, verkalkten, basophilen Abschnitten, bleibt der Saum 
des wachsenden Knochenbälkchens unverkalkt, ohne färbbare 
Interfibrillarsubstanz, also rein fibrillär und färbt sich nur 
acidophil. 

Die Osteoblasten zeichnen sich vor den gewöhnlichen Binde- 
gewebszellen durch ihre stärkere Färbbarkeit aus. Ihr Kern ist sehr 
chromatinreich, liegt stark exzentrisch zum Zelleib, meist an 
der dem Knochenbälkchen abgewandten Seite. Ihrer Form nach 
sind sie sehr verschieden. Auf Schnittpräparaten trifft man lange, 


den Elfenbeinzellen gleichende, öfters werden kurze, nach aussen 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 35 


522 K vaKkoriir: 


abgerundete, beobachtet. Der Zellleib zeigt ähnlich den Elfenbein- 
zellen zwei differente Abschnitte, einen stark gekörnten, basalen, 
dem Kern anliegenden, und einen mehr homogenen peripheren, 
nach dem Saume des Knochenbälkchens zu gerichteten. Hier 
sehen aus dem Protoplasma mehr oder weniger zahlreiche Fort- 
sätze hervor, die Fortsätze sind von der Grundsubstanz des Knochens 
scharf abgesetzt (Fig. 3), liegen von Anfang an in den Kanälchen 
der Knochensubstanz und anastomosieren mit den Protoplasmafort- 
sätzen der Knochenzellen (Fig. 3), welche ebenfalls in ein Kanal- 
system eingelagert werden, in das vom Saume des Bälkchens die 
Gewebeflüssigkeit für den Stoffwechsel eindringen kann. 

Im Zellleib der Osteoblasten entwickeln sich zahlreiche 
basophile Körner, die scheinbar in die Fortsätze übergehen. 
Spuler gibt an, dass dieselben durch Vermittlung der Fortsätze 
in die Grundsubstanz abgelagert werden. Wahrscheinlich wird 
in diesen Körnern die interfibrilläre Substanz des Knochens 
vorgebildet, welche später verkalkt. 

Entwicklungsgeschichtlich müssen die Osteoblasten als stark 
modifizierte Bindegewebszellen aufgefasst werden. Sie gehen in 
ähnlicher Weise aus denselben hervor, wie die Elfenbeinzellen 
aus den Pulpazellen. Die Differenzierung der peripheren Pulpa- 
zellen ist leichter zu erkennen, weil die sehr allmählich inein- 
ander übergehenden Entwicklungsstadien ziemlich dicht aneinander 
in einer Zellreihe liegen. Wir können hier das charakteristische 
in die Länge wachsen des Zellleibes, die exzentrische Verlagerung 
des Kerns, verfolgen. Schwieriger ist diese allmähliche Umbildung 
der Bindegewebszellen in Osteoblasten und Knochenzellen zu 
erkennen. Doch aus der Fig. 2 können wir, möchte ich glauben, 
entnehmen, wie der Vorgang der allmählichen Differenzierung 
sich macht. Die weit vom Knochensaume entfernt gelegenen 
Bindegewebszellen sind meist spindelförmig, einzelne sternförmig. 
In der Nähe des Saumes, wo sich die aufs Knochenbälkchen 
zulaufenden Fibrillenbündel näher aneinanderlegen, nehmen die 
Zellen an Grösse zu, ganz dicht am Bälkchensaume entwickeln 
sie stärkere, fast ausschliesslich nach dem Bälkchen gerichtete 
Protoplasmafortsätze, aber keine Fibrillen mehr. In ihrem Zell- 
leib bilden sich basophile Körner. Die Protoplasmafortsätze 
dringen in die Lücken zwischen den Fibrillenbündeln ein. Die 
Zellen sind zu Osteoblasten geworden. An ganz im Innern des 


oO 
[&) 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 


Bälkchens liegenden Zellen haben sie noch mehr Fortsätze nach 
allen Richtungen hin entwickelt, die sich, wie aus Fig. 3 hervor- 
geht, mit denen der Osteoblasten verbinden und in Knochen- 
kanälchen liegen. Dies charakteristische Verhalten der Osteo- 
blasten und Knochenzellen macht meiner Meinung nach eine 
Beteiligung derselben an der Bildung der collagenen Fibrillen 
der Grundsubstanz unmöglich, denn andere Fortsätze als die in 
den Knochenkanälchen gelegenen lassen sich nicht nachweisen. 
Offenbar ist mit der Umwandlung zur Osteoblastenzelle auch die 
Funktion der Zelle eine wesentlich andere geworden. Als Binde- 
gewebszelle differenziert sie Fibrillen, als Osteoblast entwickelt 
sie nur in Knochenkanälchen gelegene Fortsätze und in den 
basophilen Körnern des Zelleibes wahrscheinlich die später in die 
Grundsubstanz» eingelagerte Interfibrillarsubstanz, wie wir es auch 
für die Elfenbeinzelle annehmen müssen. 

Die Angaben Waldeyers und Gegenbaurs, dass die 
Osteoblasten sich öfter durch Teilung vermehren, habe ich in 
keinem Falle zu bestätigen vermocht. Osteoblasten, wie sie von 
Gegenbaur wiedergegeben sind, mit sehr kleinem, in der Mitte 
des Zellleibes gelegenen Kern, dann solche mit fünf Kernen, habe 
ich nie gefunden. Gegenbaur und Waldeyer betonen, dass 
die Osteoblasten nach Art der Zellen eines Epithels dicht gedrängt 
aneinander liegen ohne Zwischenraum. Diese irrige Anschauung, 
dass das Knochenbälkchen durch eine Osteoblastenschicht voll- 
kommen von der Umgebung abgeschlossen werde, liess vor allem 
den Glauben an die Grundsubstanz bildende Kraft der Osteoblasten 
aufkommen. In Wirklichkeit sind jedoch die Osteoblasten des 
wachsenden Knochenbälkchens ebenso wie die Elfenbeinzellen 
stets durch Zwischenräume voneinander getrennt; bei den häufigen 
Flachschnitten der Knochenbälkchen bekommt man die Zellen 
der Osteoblastenreihe meistens schräg durchschnitten, was ein 
Aneinanderstossen der einzelnen Zellen im mikroskopischen Bilde 
vortäuscht. Dies tritt besonders deutlich beim Vergleich von 
Flächen- und Querschnitten von Schädeldeckknochen auf. 

Nach meinen früher mitgeteilten Befunden über die fibrilläre 
Struktur der ersten Dentinanlage und ihre Genese gehen die 
Entwicklungsvorgänge derselben prinzipiell in derselben Weise 
vor sich, wie bei der Anlage der fibrillären Grundsubstanz des 


Knochens. In beiden Fällen wird nicht zuerst eine homogene 


524 Key; Küoir tat: 


Substanz gebildet, in der sich sekundär die collagenen Fibrillen 
differenzieren, sondern die Grundsubstanz ist vom allerersten 
Anfang an fibrillär. Die Fibrillen beider Bindegewebsarten werden 
von den Bindegewebszellen gebildet. welche in dem Gewebe der 
Zahnpulpa und in dem analogen lockeren embryonalen Binde- 
gewebe liegen, das die Knochenbälkchenanlage umgibt. Nach 
der Differenzierung der Bindegewebsfibrillen, wachsen letztere, auf 
weite Strecken verfolgbar, lang aus. Sie laufen einzeln oder 
sehr zahlreich zu Bündeln oder Strängen aneinandergelegt, zum 
Teil in sehr charakteristischer Weise dorthin, wo wir mit Sicher- 
heit die erste Anlage des Dentins und Knochens erkennen können. 
Die von mir beschriebenen intercellulären collagenen Fasern oder 
Stränge zwischen den ersten Elfenbeinzellen, welche aus den 
Bindegewebsfibrillen der Zahnpulpa gebildet werden, durchsetzen 
die Zwischenräume zwischen den Elfenbeinzellen in stark ge- 
schlängeltem Laufe. Für die Bildung der ersten Fibrillen des 
Dentins zeigen sie ein sehr charakteristisches Verhalten. Sie 
lösen sich zwischen den peripheren Enden der Elfenbeinzellen in 
ihre Bestandteile, nämlich in Bindegewebstibrillen, auf. Von hier 
aus nämlich gehen aus den intercellulären Bindegewebssträngen oder 
Fasern sehr zahlreiche, äusserst feine Fibrillen hervor. Letztere 
strahlen dann als Radiärfibrillen büschelförmig oder pinsel- 
artig nach allen Richtungen bis zur Schmelzmembran aus. Sie 
kreuzen sich hierbei gegenseitig in den verschiedensten Richtungen. 
Zu den weichen Zahnfasern liegen die ersten Fibrillen des Dentins 
zunächst sehr verschieden, die meisten kreuzen die Zahnfasern in 
sehr verschiedenen Richtungen, andere liegen schräg oder parallel 
zu ihnen. Auf diese Weise wird ein der Hauptsache nach von 
Fibrillen zusammengesetztes, filzartiges Gewebe als erste Anlage 
des Dentins gebildet, dessen Fibrillen jedoch immer in büschel- 
förmiger oder pinselartiger Anordnung bis zu den peripheren 
Enden der intercellulären Stränge verfolgbar sind. Es finden 
also zunächst nur Kreuzungen einzelner Bindegewebsfibrilien in 
der ersten Dentinsubstanz statt, nicht solche von Fibrillenbündeln. 
Das Gewebe der ersten Knochensubstanzanlage, welches von mir 
am Saume des Knochenbälkchens beschrieben wurde, entwickelt 
sich also in analoger Weise. Die Grandsubstanz bildenden Fibrillen 
kommen ebenfalls zu Bindegewebsbündeln aneinandergelegt aus 
der Peripherie und legen sich an den Saum des jungen Knochen- 


DD 
(or 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. ) 


bälkchens an. Hier behalten sie jedoch ihre Anordnung zu 
Fibrillenbündeln und gehen kontinuierlich in die des Knochen- 
bälkchens über. Da sie sich schon am Saume des Knochen- 
bälkchens in mannigfacher Weise durchflechten, werden die 
Osteoblasten durch die so gebildete neue Knochensubstanz von 
der Peripherie ins Innere des verbreiterten Knochenbälkchens 
verlagert und entwickeln sich zu Knochenzellen. 

Dass die Fibrillen des Dentins in ihrer ersten Anlage nicht 
parallel zur Pulpaoberfläche laufen und die Dentingrundsubstanz 
von Anfang an nicht aus einer homogenen Substanz, in der sich 
später Fibrillen differenzieren, sondern aus collagenen Fibrillen 
angelegt wird, hat bereits vor mir C. Hansen konstatiert; er 
äussert sich folgendermassen: „Wie bekannt, hat v. Ebner nach- 
gewiesen, dass die Bindegewebsfibrillen des Zahnbeins der Pulpa- 
oberfläche annähernd parallel verlaufen, also der Hauptsache nach 
senkrecht auf der Richtung der Odontoblastenausläufer. Er ge- 
braucht auch dieses Verhältnis als ein eklatantes Beispiel, wo die 
leimgebenden Fibrillen senkrecht auf die Längsrichtung und den 
Verlauf ihrer Bildungszellen sich entwickeln, zugunsten der extra- 
cellulären Genese der Bindegewebstibrillen in diesem Falle. Soviel 
ich aber sehen kann, hat weder v. Ebner noch die Verfasser, 
welche sich in der neuesten Zeit (z.B. E. Hoehl) mit dem 
Dentin beschäftigt haben, die allererste Anlage im Dentin be- 
obachtet. Durch meine Bindegewebsfärbung ist mir aber dies 
gelungen. Das Collagen wird nämlich nicht als (längere) senk- 
recht zu den Ausläufern der Odontoblasten gebildet, sondern 
zuerst um jene Ausläufer als eine filzähnliche Lage von ungeheuer 
dünnen und feinen kurzen Fibrillen. welche sich gegenseitig 
kreuzen und -aneinanderlegen, anfangs in allen möglichen 
Richtungen; später aber, wenn sie von der Pulpaoberfläche weg- 
rücken, findet eine Umlagerung statt. Die Richtungen werden 
minder unregelmässig, zu den Odontoblastenausläufern mehr quer 
verlaufend.“ 

Nach meinen Präparaten geht nun an vielen Stellen die 
Umlagerung der von mir beschriebenen ersten Fibrillen des Dentins 
in einer bestimmten Weise vor sich. Je weiter der Zahnkeim 
vom Umschlagsrande des äusseren ins innere Schmelzepithel in 
die Tiefe wächst, desto mehr werden die Fibrillen des Dentins 
zur Oberfläche der Pulpa annähernd parallel gestreckt. An der 


526 K x. Korff: 


Innenseite der älteren, stärker verkalkten Zone nämlich liegen 
die Fibrillen nicht mehr radiär zur Oberfläche, wie es immer die 
jüngsten an der Basis der Pulpa tun, sondern schräg zur Pulpa- 
oberfläche mit ihren peripheren Abschnitten nach der Spitze des 
Zahnes zu, mit ihren unteren Abschnitten nach der Basis zu. Die 
äusseren Abschnitte legen sich immer mehr aneinander, die büschel- 
förmige Anordnung verschwindet, sie liegen dann mehr zu Bündeln 
zusammen, welche schräg, beinahe quer zur Zahnfaser laufen. Auch 
die intercellulären Fasern liegen bald nicht mehr in der Längs- 
richtung der Elfenbeinzellen zwischen ihnen, sondern kreuzen die- 
selben. Dass diese Verlagerung auf eine nach der Basis der Pulpa 
zu gerichtete Zugwirkung des in tiefere Schichten der Kiefer 
wachsenden Pulpagewebes zurückgeführt werden muss, ist sehr 
wahrscheinlich (vergl. Fig. 5). 

So lange der Zahnkeim wächst, findet in den basalen 
Abschnitten der Pulpa eine ständige Neubildung der von mir 
beschriebenen intercellulären Fasern statt, aus welchen immer 
neue Fibrillen des Dentins gebildet werden. Aus dem charakte- 
ristischen Verhalten, aus dem ständigen Vorkommen der inter- 
cellulären Fasern, einerlei, wie weit das Entwicklungsstadium des 
Zahnes vorgeschritten ist, aus der Umlagerung der Radiärfibrillen 
annähernd parallel zur Pulpaoberfläche, geht meines Erachtens 
hervor, dass die ersten Radiärfibrillen auch für die des fertigen 
Dentins von fundamentaler Bedeutung sind. Wie diese Fibrillen 
bei dem weiteren Wachstum des Zahnes den Zusammenhang mit 
der Pulpa verlieren, wie sie sich dann in der Grundsubstanz 
vermehren, entzieht sich vorläufig unserer Beurteilung. 

Die Elfenbeinzellen und die Zahnfasern lassen sich bei der 
von mir angewandten Methode auf das deutlichste von den 
intercellulären Fasern und den Fibrillen der Dentingrundsubstanz 
unterscheiden (Fig. 4, 5); sie haben offenbar eine ganz andere Be- 
deutung, als man bisher angenommen hat. Schon in einer früheren 
Abhandlung habe ich es als wahrscheinlich hingestellt, dass die 
später angelegten Neumannschen Zahnfaserscheiden von den 
Zahnfasern gebildet würden und zwar von einer aus feinen Körnern 
zusammengesetzten, die Aussenfläche membranartig bekleidenden 
Substanz, die sich später von der Zahnfaser abhebt. Die zahl- 
reichen Zahnfasern und ihre Scheiden, welche nıiteinander durch 
Kommunikationen verbunden werden, konstruieren ein dem Stoff- 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 927 


wechsel und der Ernährung dienliches Kanalsystem in derselben 
Weise wie die Osteoblasten beim Knochen. 


Auf das erste rein fibrilläre Stadium der Dentinanlage folgt 
bald wie beim Knochen das der Verkalkung. Die älteren Partien 
an der Spitze verkalken zuerst, es folgen die jüngeren, nach der 
Basis zu liegenden. Der zuletzt angelegte, jüngste, am tiefsten 
gelegene Abschnitt bleibt immer unverkalkt. In den älteren 
Abschnitten wird die fibrilläre Struktur des Dentins maskiert, 
zugleich mit dem Auftreten einer sekundär angelegten Inter- 
fibrillarsubstanz, dem die Verkalkung unmittelbar folgt (Fig. 4, 5)- 
Die verkalkt gewesenen Stellen der Präparate unterscheiden sich 
wie beim Knochen durch ihre Färbbarkeit von den unverkalkten. 
Sie haben 'eine grosse Affinität für basische Farbstoffe, mit denen 
sie sich intensiv und homogen färben; die unverkalkten Stellen 
dagegen färben sich nur acidophil. Die ausgesprochene Basophilie 
der verkalkten Stellen, das Verschwinden der fibrillären Struktur 
beruht auf der Anwesenheit der erwähnten zweiten Substanz, der 
homogenen stark färbbaren basophilen Interfibrillarsubstanz. Durch 
dieselbe wird für gewöhnlich die fibrilläre Grundsubstanz maskiert. 


Die Frage, wie die Interfibrillarsubstanz gebildet wird, lässt 
sich an meinen Präparaten nieht bestimmt entscheiden. Sehr 
auffallend ist immerhin, dass zur Zeit, wo die ersten Spuren der 
Einlagerung der Interfibrillarsubstanz in der Zone der Verkalkung 
konstatiert werden, in dem Zelleib der Elfenbeinzellen ausser- 
ordentlich zahlreiche basophile Körner sich färben, ähnlich den 
Körnern der Osteoblasten. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, — 
wie A. Spuler es bei den Osteoblasten für den Knochen anzu- 
nehmen scheint, wenn ich ihn recht verstehe —, dass in den 
basophilen Körnermassen der Elfenbeinzellen die Interfibrillar- 
substanz vorgebildet wird, welche unter Vermittlung der weichen 
Zahnfasern in die Zahnbeingrundsubstanz transportiert und zwischen 
die Fibrillen eingelagert wird. 

Die Ansichten von Koelliker, Waldeyer und v. Ebner, 
dass die Odontoblasten durch einen Sekretionsprozess das erste 
Elfenbein lieferten, lassen sich durch mikroskopische Präparate 
weder beweisen noch wahrscheinlich machen. Schon in einer 
früheren Abhandlung habe ich ihre diesbezüglichen Anschauungen 
kritisieren müssen. 


[br 
D&D 
[0 0) 


SV KS or: 


Fleischmann vertritt in einer kürzlich erschienenen 
Abhandlung die Ansicht, dass ein nicht färbbares und nicht 
fixierbares Häutchen, welches nach Zerstörung der Dentingrund- 
substanz durch 40°/. Natronlauge zunächst als Rest übrig bleibt, 
später aber auch vergeht und welches die zentralen Enden der 
Zahnbeinkanälchen verbinden soll, die erste Anlage der Dentin- 
substanz ist. Dieses Häutchen soll nach Fleischmann unter 
chemischer Umwandlung in collagene Grundsubstanz übergehen. 
Es soll von den Elfenbeinzellen gebildet werden und den peri- 
pheren Enden derselben aufliegen. Das Häutchen soll von 
Koelliker entdeckt sein und wird als Koellikersches Häutchen 
bezeichnet. Dass das von Fleischmann beschriebene Häutchen 
von Koelliker gesehen wurde, geht zunächst aus der Literatur 
nicht hervor. Koelliker beschreibt an dem Dentin von aus- 
gewachsenen nicht aber sich entwickelnden Zähnen, dass nach 
dem Auflösen der Grundsubstanz durch Salzsäure, Salpetersäure, 
Schwefelsäure oder kaustische Alkalien „eine dünne Lamelle der 
Grundsubstanz übrig bleibt, welche viel resistenter ist, als die 
übrigen Teile derselben und als ein weisses Häutchen die Anfänge 
der Röhrchen verbindet.“ Nach der von Koelliker gegebenen 
Zeichnung geht dies Häutchen nicht in die die Öffnungen der 
Zahnbeinröhrehen begrenzenden Abschnitte der Neumannschen 
Scheide über, sondern wird von den Röhrchen durchsetzt. Es 
kann also nicht wie das von Fleischmann geschilderte Häutchen 
die der Pulpa zunächst gelegene Schicht der Grundsubstanz sein. 
Wie das Koellikersche Häutchen histologisch zusammengesetzt 
ist, wie es sich färbt, wie es gebildet wird, ob es eine histo- 
genetische Bedeutung hat, wird von Koelliker nicht angegeben, 
konnte auch wohl kaum erkannt werden. 

Auch Fleischmann gibt über die histologische Struktur 
des Häutchens und der vor ihr gebildeten Grundsubstanz nichts 
genau an: „Zunächst beteiligen sich an der Bildung des Dentins 
die Odontoblasten, indem sie das Koellikersche Häutchen 
bilden, das sich in leimgebende Substanz umwandelt. Während 
der weiteren Neubildung von Grundsubstanz nach diesem Mecha- 
nismus wachsen die Odontoblasten in ihre Dentinfortsätze, die 
Zahnfasern aus, die sich aber an der Neubildung von Dentin 
zunächst noch nicht beteiligen. Diese wird nur von den Körpern 
der Odontoblasten besorgt. Dadurch, dass die Substanz, die 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 529 


seitens der Odontoblasten gebildet wird, sich um die schon vor- 
handenen Fortsätze herumbildet, entstehen die Kanälchen. Wenn 
nun die Kanälchen bezw. die Zahnfasern bis zu einer gewissen 
Länge herangewachsen sind, beginnen auch die Fasern sich an 
der Bildung der Grundsubstanz zu beteiligen.“ 

Derartige schwer verständliche Ansichten lassen sich mit 
histologischen Präparaten nicht beweisen. Die von Fleischmann 
wiedergegebenen diesbezüglichen Figuren lassen durchaus nicht 
erkennen, dass der Bildungsprozess so vor sich geht. wie er 
beschrieben wird. Zunächst Fig. 2. Sie stellt ein sehr junges 
Stadium der Dentinentwicklung dar. Hier ist als erste Zahn- 
beinschicht eine homogene, ziemlich dicke Masse dargestellt, die 
nicht den. Eindruck eines dünnen Häutchens macht. Auch ist 
an ihr nicht eine innerste Schicht zu erkennen, aus der die 
peripheren Partien hervorgehen könnten, und welche sich scharf 
gegen die Intercellularräume zwischen den Elfenbeinzellen ab- 
setzte. Die Elfenbeinzellen dieser Fleischmannschen Figur, 
trotzdem sie in ihrer ganzen Länge geschnitten sind, setzen sich 
nicht in Zahnfasern fort, sondern erscheinen in der Peripherie 
fast stumpf ohne lange Fortsätze. Derartige Elfenbeinzellen 
existieren an gut fixierten und gefärbten Präparaten nicht; viel- 
mehr haben die Elfenbeinzellen von Anfang an die für sie 
charakteristische weiche Zahnfaser entwickelt, in die der Zelleib 
der Elfenbeinzellen allein übergeht, und welche von der ersten 
fibrillären Anlage des Dentins sich scharf absetzt. Eine homogene 
Substanz als erste Anlage gibt es in keinem meiner Präparate, 
ist überhaupt nie vorhanden. 

Zu Fig.5 Fleischmanns muss ich folgendes bemerken: 
Das Präparat wurde in 40°/o Kalilauge gebracht und auf dem 
Objektträger bis zur Auflösung der Grundsubstanz erwärmt. Der 
dabei unlöslich gebliebene Rückstand wird als Koellikersches 
 Häutchen bezeichnet. Was man als Produkt dieser meiner Meinung 
nach für histogenetische Untersuchungen ganz unbrauchbaren 
Methode zurückbehält, entzieht sich doch wohl jeder Beurteilung 
für den Histologen. Elfenbeinzellen mit zahlreichen kurzen Fort- 
sätzen, wie sie Fleischmanns Figur zeigt, habe ich nie gesehen. 

Zu der Bemerkung Fleischmanns auf Seite 308: „Mit 
diesem Nachweis des genetischen Zusammenhangs der Scheiden 
und der Grundsubstanz ist auch die Behauptung v. Korffs hin- 


530 KR. v. Korff: 


fällig, dass die Odontoblasten bezw. deren Fortsätze, die Fasern, 
mit der Zahnbeinbildung nichts zu tun hätten, da ja die Scheiden 
ein Produkt der Fasern sind,“ erwidere ich, dass dieser Nach- 
weis von Fleischmann nicht erbracht wurde und überhaupt 
nicht gebracht werden kann. Dass die Scheiden als ein Produkt 
der Zahnfasern aufgefasst werden müssen, ist auch meine Ansicht, 
und ich habe bereits mitgeteilt, in welcher Weise sie höchst- 
wahrscheinlich gebildet werden. Die Scheiden sind aber in 
chemischer Beziehung so verschieden von der Grundsubstanz, 
haben von Anfang an einen so bestimmten funktionellen Wert, 
dass der Versuch, von ihnen die Bildung der Grundsubstanz ab- 
leiten zu wollen, von vornherein aussichtslos erscheinen muss. 
Warum man überhaupt, nachdem durch positive Befunde fest- 
gelegt ist, wie die Fibrillen des Dentins angelegt werden, versucht, 
die Verhältnisse der Genese und Struktur des ersten Dentins 
anders hinzustellen als sie sind, ist ganz unverständlich. 

Das nicht färbbare und nicht fixierbare und seiner 
histologischen Beschaffenheit nach nicht präzisierte Häutchen 
Fleischmanns wird nun mit dem Namen Lamina terminalis 
interna belegt. Ich betone, dass es ein solches Häutchen in 
meinen Präparaten nicht gibt, welches die Zahnbeinsubstanz 
gegen die Pulpa abschliesst. Ein solches Häutchen ist schon des- 
halb unmöglich, da, wie ich nachgewiesen habe, die Fibrillen der 
Pulpa durch die Vermittlung der von mir beschriebenen inter- 
cellulären, zwischen den Elfenbeinzellen gelegenen Fasern in die 
Fibrillen der Dentinanlage massenhaft übergehen. Von einem 
zusammenhängenden, über den peripheren Enden der Elfenbein- 
zellen gelegenen, die Pulpa von der Dentinanlage abschliessenden 
Häutchen kann also keine Rede sein. Das Häutchen ist nach 
Fleisehmanns Angabe anscheinend homogen. Die erste An- 
lage von Elfenbein ist jedoch niemals homogen, sondern immer 
aus Fibrillen zusammengesetzt, wie ich nachgewiesen habe. 

Die Arbeiten, welche die noch jetzt allgemein anerkannte Lehre 
von den Osteoblasten als Knochengrundsubstanz bildende Zellen 
hervorgehen liessen, liegen weit zurück; es sind dies die von 
Gegenbaur (1864, 1867) und die von Waldeyer (1865). 
Gegenbaur ist der Ansicht, dass die Osteoblasten die sklero- 
sierende Grundsubstanz abscheiden, sowohl bei der enchonchralen 
wie intramembranösen Verknöcherung. Den Beweis seiner Theorie 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 531 


hat er in keiner Weise erbracht, sondern uns über den Modus 
der Abscheidung völlig im Unklaren gelassen. Wenn auch das 
plötzliche Auftreten und auffallende Aussehen der Osteoblasten 
die Wahrscheinlichkeit einer spezifischen Funktion dieser Zellen 
nahelegte, so ist doch die Art dieser Funktion damit noch nicht 
bezeichnet. Die. damaligen Untersuchungsmethoden genügten 
auch wohl kaum, um die vorliegenden Strukturverhältnisse genau 
zu erkennen. 

Über den Entwieklungstypus der Knochengrundsubstanz 
teilt Gegenbaur in seiner ersten Abhandlung (1864) folgende 
Beobachtungen mit: „Die Osteoblasten laufen zuweilen in so 
blasse, zarte Gebilde aus, dass man sie von der gebildeten Grund- 
substanz schwer unterscheiden kann. In solchen Fällen ergibt 
sich, dass die Osteoblasten mit Fortsätzen in die abgesonderte 
Grundsubstanz eindringen und dass zwischen beiden Teilen eine 
Grenze besteht, dass also ein unmittelbares Übergehen des Proto- 
plasmas der Zelle in die Grundsubstanz nicht stattfindet.“ 

Was soll man sich unter den blassen zarten Gebilden vor- 
stellen, in welche die Osteoblasten auslaufen und die schwer 
von der gebildeten Grundsubstanz zu unter- 
scheiden sind? Aus den weiteren Auseinandersetzungen 
muss man schliessen, dass es die Fortsätze der Osteoblasten sind, 
von denen jedoch gleich darauf angegeben wird, dass zwischen 
ihnen und der Grundsubstanz eine. Grenze be- 
steht. Eine Aufklärung über diese sich widersprechenden An- 
gaben gibt Gegenbaur ebensowenig, wie darüber, ob diese 
Fortsätze identisch sind mit den von ihm später beschriebenen 
Protoplasmaausläufern der Osteoblasten, welche „in die feinen 
Kanälchen sich erstrecken und mit den Knochenzellen in Zu- 
sammenhang stehen“. 

Hinsichtlich der Knochenbildung der Schädeldeckknochen 
äussert sich Gegenbaur: „Die erste Entwicklung der bekannten 
Knochenbälkchen des Scheitel- und Stirnbeins erfolgt innerhalb 
einer ganz kontinuierlichen Schichte von Zellen, welche etwas 
grösser als die aus fötalen Markzellen hervorgehenden Osteo- 
blasten, mit letzteren sonst ganz übereinstimmen. Zwischen diesen 
Zellen sondert sich eine alsbald sklerosierende, meist eckig ge- 
formte Masse ab, die von den Zellen allseitig umgeben wird und 
durch fernere Abscheidung von seiten dieser Zellen weiter- 


532 K.v. Korft: 


wächst. Eine faserige Beschaffenheit dieser Anlage habe ich nicht 
wahrzunehmen vermocht.“ 

Diese bestimmten Angaben Gegenbaurs habe ich an 
Präparaten vom Os frontale einer neugeborenen Katze in keiner 
Weise bestätigen, vielmehr konstatieren können, dass man am 
wachsenden Bälkchen keine zusammenhängende Osteoblasten- 
schicht vorfindet, sondern stets voneinander getrennte Osteoblasten. 
dass das Protoplasma der Osteoblasten nicht in die Grundsubstanz, 
sondern nur in die in den Knochenkanälchen gelegenen homo- 
genen Fortsätze übergeht, dass die Fibrillen der Grundsubstanz 
mitdenen desumgebenden lockeren Bindegewebes kontinuierlich sind. 

Doch Gegenbaur gibt dann den direkten Übergang von 
faserigem Bindegewebe in die Knochensubstanz an den Deck- 
knochen des Schädels und den langen Röhrenknochen an einzelnen 
Stellen zu. Über die Bedeutung dieser Erscheinung gegenüber 
den Osteoblasten äussert er sich verschieden. Zunächst ist er 
der Ansicht, dass ein und dasselbe Gewebe auf verschiedene Weise 
entstehen könne. Dann meint er, dass an den Stellen, wo Binde- 
gewebe in Knochensubstanz übergehe, der Knochenbildungsprozess 
aufhöre, da er hier immer noch spindelförmige Zellen dazwischen- 
liegend gefunden habe, niemals aber in Bildung begriftene Knochen- 
körperchen. .‚Es erscheint mir daher gerechtfertigt, fährt er fort, 
jenen Stellen der Begrenzungsschicht einen von der Osteoblasten- 
schicht differenten Wert zuzulegen und in ihnen Abschnitte zu 
erkennen, an denen mit dem Übergang der letzten Osteoblasten 
in Bindegewebszellen die abscheidende Tätigkeit und damit die 
Entstehung neuer Knochensubstanz an diesen Partien ein Ende 
erreicht.“ Nach meinen Beobachtungen findet an den betreffenden 
Stellen, wo Bindegewebe in Knochensubstanz übergeht, niemals 
ein Stillstand der Knochenentwicklung, sondern vielmehr eine 
lebhafte appositionelle Neubildung von Knochensubstanz statt. 
So wird niemand behaupten können, dass an den jungen, 
dem Periost zugekehrten Knochenbälkchen, wo der Übergang 
von Bindegewebsfibrillen in die Knochengrundsubstanz auf Längs- 
oder Flachschnitten ausserordentlich deutlich ist, die Knochen- 
bildung aufhöre. Gerade an diesen Stellen zeigt sich der typische 
von mir beschriebene Entwickelungsmodus des Knochens. 

Auch Waldeyer erkennt die Auffassung Gegenbaurs 
in diesem Falle nicht an, sondern bemerkt hierzu mit Recht: 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. )90 


„Ich muss indessen bekennen, dass man an den Stellen, wo deut- 
lich faseriges Bindegewebe direkt an den Knochen stösst, ohne 
alle Schwierigkeiten alle die Bündelformationen, nicht bloss ein- 
zelne, als etwaige Sharpeysche Fasern, so wie sie gerade vor- 
liegen, noch ziemlich weit mit ganz kontinuierlichem Übergange 
hinein in den fertigen Knochenbalken verfolgen kann, der sich 
nur dadurch, dass er sklerosiert ist, von dem anstossendem Binde- 
gewebe unterscheidet.“ 

Waldeyer schreibt in einer ein Jahr später erschienenen 
Arbeit den Osteoblasten ebenfalls die Bildung der ersten Knochen- 
substanz zu. Der Entwicklungsmodus ist der, dass „das Proto- 
plasma der Osteoblasten unter formaler und chemischer Um- 
wandlung in die Grundsubstanz übergeht“. Spezieller äussert 
sich dann Waldeyer: „Soviel ich sehe, ist ein doppeltes Ver- 
halten der Osteoblasten bei der Ossification möglich. Einmal 
können einzelne Osteoblasten ganz zu leimgebendem Gewebe 
werden, wobei der Kern schwindet; das anderemal, und das erachte 
ich nach meinen Untersuchungen als bestimmt erwiesen, findet 
eine teilweise Umwandlung der Osteoblasten in Knochengrund- 
substanz statt, während der um den Kern gelegene Teil als Zelle 
“zackiges Knochenkörperchen“ persistiert. Diese Angaben Wal- 
deyers treffen nach meinen Beobachtungen nicht zu. Der zuerst 
angenommene Umwandlungstypus, bei dem die Osteoblasten ganz 
in leimgebendes (ewebe übergehen und der Kern schwindet, kann, 
wenn er wirklich stattfindet, sich kaum mit den jetzt üblichen 
histologischen Untersuchungsmethoden der Beobachtung entziehen. 
Man müsste die sich auflösenden Kerne im Zustande der Karyo- 
lyse antreffen. Dies ist jedoch nirgends zu beobachten, sondern 
die Kerne der Osteoblasten eines wachsenden Knochenbälkchens 
zeigen immer ein und dasselbe Verhalten. Der zweite Umwandlungs- 
modus kann sich nur auf die in den Knochenhöhlen gelegenen 
Osteoblasten beziehen. Das hier gelegene „zackige Knochen- 
körperchen" setzt sich jedoch stets scharf gegen die Grundsub- 
stanz ab, so dass hier eine teilweise Umwandlung des Protoplas- 
mas in Knochengrundsubstanz unmöglich beobachtet werden kann. 


Zur Stütze seiner Umwandlungstheorie führt Waldeyer 
ferner an: „Ich verfehle nicht, auf einen Umstand aufmerksam 


534 KVARorTtT: N 


zu machen, dass nämlich die ÖOsteoblasten immer grösser sind 
als die bereits eingeschlossenen Knochenkörperchen. Hierzu 
kommt noch die Tatsache, dass man nicht selten an grösseren 
Östeoblasten bemerkt, wie eine dem Knochenbalken zugekehrte 
periphere Schicht sich in Form einer anders lichtbrechenden 
Masse. oft feinfaserig erscheinend, von ihnen ablöst und direkt 
in die Knochensubstanz übergeht. Einen für meine Ansicht 
sprechenden Eindruck machen auch diejenigen Stellen, wo zwei 
Knochenbalken einander entgegenwachsen. Sind die Balken 
einander ziemlich nahe gekommen, so füllt sich der Raum zwischen 
beiden durch eine Schicht dicht gelagerter Osteoblasten, welche 
einen Zellenbalken von ganz derselben Dicke bilden, wie die 
beiden zu verbindenden Knochenbalken. Wir haben hier ganz 
denselben Anblick, wie bei dem Gewebe einer neu sich bildenden 
Sehne. Die Osteoblasten sind spindelförmig mit ihrer Längs- 
richtung von einem Ende zum anderen gestreckt und lagern 
parallel dicht aneinander.“ 

Zu dieser Beweisführung muss ich bemerken, dass die von 
mir. beobachteten Knochenkörperchen des wachsenden Knochens 
meistens ebenso gross erscheinen als die Osteoblasten ; doch selbst, 
wenn sie als kleiner nachgewiesen würden, so kann man hieraus 
nicht schliessen, dass das fehlende Quantum von Protoplasma in 
die Grundsubstanz übergegangen ist: vielmehr liegt die Ver- 
mutung in diesem Falle nahe, dass es zur Entwickelung der 
länger und zahlreicher werdenden Fortsätze gebraucht wird. Wie 
sich eine anders lichtbrechende Masse vom Protoplasma ablösen 
und in die Knochensubstanz übergehen soll, ist ohne nähere Er- 
klärung des Ablösungsmodus unverständlich und dürfte wohl kaum 
je direkt zu beobachten sein. Dann setzen sich die zwischen 
zwei sich entgegen wachsenden Knochenbalken gelegenen spindel- 
förmigen, langgestreckten, parallel aneinander gelagerten Zellen 
nicht aus Osteoblasten, sondern aus spindelförmigen Bindegewebs- 
zellen zusammen. 

Bei der periostalen Knochenbildung ist auch von Waldeyer 
das Übergehen der Fibrillen des lockeren Gewebes in die Grund- 
substanz beobachtet. Er fasst diese feinen übergehenden Fibrillen 
als eine Zwischenstufe „deutlich faserigen Gewebes auf, das nicht 
gut von echtem Bindegewebe zu unterscheiden ist“. Nach 
Waldeyer werden nun diese übergehenden Fibrillenbündel von 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 535 


den zwischen ihnen gelegenen Osteoblasten gebildet: „Bei auf- 
merksamer Beobachtung gewahrt man, dass die neugebildeten 
Östeoblasten es sind, auf deren Rechnung das Wachstum und 
Stärkerwerden der Faserzüge beruht. Ein Teil derselben wandelt 
sich nämlich in bindegewebige Intercellularsubstanz um und er- 
zeugt dadurch die Verdickung der Bündel. Man sieht kleine, 
faserige Bündel, die noch ganz die Form einer grossen Spindel- 
zelle haben und an denen sogar in der Mitte noch rudimentäre 
Kerne zu erkennen sind.“ 

Diese Angaben lassen sich an meinen Präparaten nicht be- 
stätigen. Die einstrahlenden Fibrillenbündel haben mit den eigent- 
lichen, am Rande des Knochenbalkens gelegenen Osteoblasten 
keine genetische Beziehung; sie kommen aus dem lockeren embryo- 
nalen Bindegewebe des Periostes. Ihr Ursprung liegt weit ent- 
fernt von der Stelle, wo man Osteoblasten bestimmt erkennt. 
Die von Waldeyer hier für Osteoblasten erklärten Zellen sind 
offenbar — dies geht schon aus der Beschreibung hervor — 
keine Osteoblasten, sondern spindelförmige Bindegewebszellen ; die- 
selben erscheinen jedoch dort, wo die Fibrillenbildung vor sich 
geht, niemals rudimentär. 

Wenn man die stark differenzierten, nur am Rande 
des Knochenbalkens gelegenen Bindegewebszellen, die wirkliche 
Östeoblasten geworden sind, von den im lockeren Gewebe gelegenen 
nicht differenzierten Bindegewebszellen scharf unterscheidet, so 
wird man sich vergeblich bemühen, zu erkennen, wie die Osteo- 
blasten die erste fibrilläre Grundsubstanz produzieren. 

Eine weitere Arbeit Gegenbaurs bringt gegenüber der 
ersten nichts Neues. Es wird dargetan, dass die Umwandlungs- 
theorie Waldeyers deshalb unmöglich sei, weil die stärkeren 
Fortsätze der Osteoblasten sich zwar in die Grundsubstanz ver- 
folgen, aber ebenso wie die Osteoblasten von der Grundsubstanz 
unterscheiden lassen. 


(Gerade diese Tatsache jedoch macht auch die von Gegen- 
baur aufgestellte Ausscheidungstheorie unhaltbar; denn bei ge- 
wöhnlich stattfindender Sekretion kann man keine scharfe Grenze 
zwischen Sekret und secernierender Zelle erkennen. 


Trotzdem Gegenbaur auch in dieser Arbeit keine be- 
weisenden Beobachtungen für seine Auffassung anführen kann 


536 Key: Kortt: 


und öfters zugibt. dass faseriges Bindegewebe in Knochengrund- 
substanz übergeht, hält er an seiner Ausscheidungstheorie fest. 

Doch plötzlich am Schluss seiner Auseinandersetzungen stellt 
er folgende Sätze auf: 

1. „Bindegewebe bildet für sich allein Teile von Knochen 
oder auch selbständige Verknöcherungen, indem die sklerosierende 
Intercellularsubstanz des Bindegewebes in die Grundsubstanz vom 
Knochen übergeht, die Bindegewebszellen aber zu Knochenzellen 
werden. 

2. Von einer bindegewebigen Grundlage ossifieiert nur die 
faserige Intercellularsubstanz. Sie bildet ein Gerüste, auf dem 
weitere Knochensubstanz abgesetzt wird. Zellige Elemente im 
Bindegewebe bilden unter reicher Vermehrung Osteoblasten- 
schichten, welche auf jenem ossifizierten Balkengerüste der Inter- 
cellularsubstanz neue Knochengewebsmassen bilden.“ 

Hiermit stellt Gegenbaur zunächst als Resultat seiner 
Untersuchungen das hin, was er früher meistens bestritten, manch- 
mal als ausnahmsweise vorkommend zugegeben hat, dass sich 
nämlich die erste Anlage der Knochengrundsubstanz ohne Osteo- 
blasten aus der bindegewebigen Intercellularsubstanz entwickelt. 
Warum der Knochenbildungsprozess zunächst ohne, dann mit 
Osteoblasten vor sich geht, wird nicht erörtert. 

Die von Gegenbaur in seiner zweiten Abhandlung ange- 
stellten Untersuchungen beziehen sich auf Säugetiere, Vögel und 
Amphibien. Es wird jedoch nicht erwähnt, ob sich bei diesen 
verschiedenen Wirbeltierklassen ein Unterschied in der Knochen- 
entwicklung gezeigt hat. Ich muss es indessen für höchstwahr- 
scheinlich halten. dass bei den niederen Wirbeltieren die Ent- 
wicklungsvorgänge des Knochens einfacher sind als bei den 
höheren. Ähnlich verbält es sich bei der Genese des Dentins, 
welches bei niederen Klassen nicht so stark differenziert ist als 
bei den höheren, sich also auch einfacher in seiner ersten Anlage 
entwickelt. So sind z. B. die Elfenbeinzellen der jungen Sala- 
manderlarvenzähne, soweit ich bisher gesehen habe, nicht von 
den Pulpazellen differenziert, sondern in bezug auf Struktur und 
Funktion identisch. Es müssen demnach auch die weichen Zahn- 
fasern und die Zahnbeinkanälchen der ersten Anlage des Dentins 
fehlen, 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 337 

Die älteren Arbeiten über Knochenwachstum die von 
R. Virchow, H. Müller, Koelliker und Lieberkühn, 
sprechen, soweit die Histogenese der Grundsubstanz behandelt 
wird, dieselbe keinen bestimmten Zellen zu; vielmehr geht aus 
ihnen hervor, dass fibrilläres Bindegewebe nach Imprägnation 
mit Kalksalzen zu Knochengewebe wird. Virchows Ansicht 
über das „osteoide Gewebe“ in der innersten Schichte des Periostes 
der langen Röhrenknochen ist folgende: „Man sieht vom Knochen 
her dichtere balkenartige Züge senkrecht hervortreten und in 
grösseren Bogenlinien die Masse durchziehen, so dass eine alveoläre 
Anlage hervortritt, verschieden von dem früheren feinmaschigen 
Netz des Periostes. In diesen Richtungen verdichtet sich die 
(Grundsubstanz allmählich, sie bekommt ein derberes homogenes. 
mehr knorpelähnliches Aussehen, wie bei der Sklerose des Binde- 
gewebes, und zu gleicher Zeit werden die kleinen Zellen eckiger, 
geräumiger und sternförmig; sie fangen an, kleine Ausläufer und 
Fortsätze zu bekommen, genug, diese Zellen gewinnen den 
osteiden Charakter, und wenn sich die Kalksaize in sie ablagern. 
so entstehen daraus die Balken und Netze des jungen Knochens.“ 

H.Müllergibtan, dass er von einem direkten Hervorgehen 
der Grundsubstanz aus Zellen nichts habe wahrnehmen können. 
Doch er bezweifelt nicht die Möglichkeit, dass sie unter dem 
Einflusse der mit ihr in Berührung stehenden sternförmigen Zellen, 
vielleicht auch der benachbarten sogenannten Markzellen zustande 
kommt. 

Koelliker hat bei der periostalen Verknöcherung der 
langen Röhrenknochen dieselben Beobachtungen wie Virchow 
gemacht; er ist der Ansicht, dass die Grundsubstanz des Knochens 
aus der innersten, der Hauptsache nach aus Fibrillen zusammen- 
gesetzten Schichte des Periostes entsteht durch „einfache gleich- 
mässige Ablagerung von Kalksalzen, jedoch wie es scheint, in der 
Regel ohne vorheriges Auftreten von Kalkkrümeln“. In bezug 
auf die Herkunft der Fibrillen des ossificierenden Gewebes gibt 
Koelliker an, dass sie sich aus einer Zwischensubstanz der 
embryonalen Zellen entwickeln, welche sich nach und nach ab- 
scheidet, „später faserig wird“. Hierzu muss ich bemerken. dass 
ich eine homogene, von Bindegewebszellen abgeschiedene färbbare 
Intercellularsubstanz, die sich sekundär zu Fibrillen differenziert, 


niemals angetroffen habe. Vielmehr ist die Intercellularsubstanz 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 36 


538 K. v Korff: 


von vornherein fibrillär, setzt sich aus einer ungeheuren Masse 
der allerfeinsten Fibrillen zusammen, welche nicht selten noch 
mit den Bindegewebszellen in Zusammenhang stehen. 


Lieberkühn beschreibt an einem Schnitt durch die Naht 
zwischen Stirn und Seitenbein eines Rehkalbes nahezu parallel zur 
Oberfläche die Verknöcherung folgendermassen: „In der Mitte des 
sogenannten Nahtknorpels erscheint die Bindesubstanz bei der hier 
angewandten schwachen Vergrösserung homogen, gegen die Ränder 
des Knochens dagegen streifig, so zwar, dass die Streifen von der 
Mitte der Naht aus ihren Anfang nehmen und sich eine Strecke weit 
in mehr oder weniger gerader Richtung in die Knochensubstanz 
hinein fortsetzen, wo man sie für längsgetroffene Lamellen halten 
könnte, zwischen denen sich die Knochenkörper hinziehen. Bei 
stärkerer Vergrösserung erkennt man in der homogenen struk- 
turlosen Substanz zahllose Bindesubstanzkörper, die sich in die 
Streifen hinein fortsetzen und in dem Knochen die Form der 
Knochenkörper annehmen. 


Von neueren Arbeiten ist die von Spuler am bemerkens- 
wertesten. Spuler wandte die Eisenalaun-Hämatoxylinmethode 
mit nachfolgender Rubin S-Färbungan: „Ich finde, dass zunächst 
collagene fibrilläre Massen gebildet werden, welche in direktem 
Zusammenhang mit den in Fortsätze auslaufenden Osteoblasten 
getroffen werden. Aber nicht nur die eigentliche Osteo- 
blastenschicht, sondern auch die weiter von dem 
entstehenden Knochen abliegenden Bindegewebs- 
zellen können sich an der Lieferung dieser colla- 
genen fibrillären Massen beteiligen.“ 


Spuler gibt nicht an, ob die Fibrillen aus den Fortsätzen 
oder aus dem eigentlichen Zellleib der Osteoblasten hervorgehen. Da 
er beschreibt, dass diefeinen Fortsätze derOsteoblasten untereinander 
und mit den Knochenzellen von Anfang an in Verbindung stehen, und 
in Knochenkanälchen liegen, so muss ein anderer Abschnitt, der Zell- 
leib derOsteoblasten, gemeint sein, der jedoch nicht näher angegeben 
wird. Ich selbst habe nur gesehen, dass der Zellleib der Osteoblasten 
in die feinen, in den primären Knochenkanälchen liegenden Fortsätze 
übergeht und glaube, dass er deshalb an der Bildung der ersten 
Fibrillen nicht teilnehmen kann. Dagegen halte ich die Ansicht 
Spulers, dass die in die Grundsubstanz übergehenden Fibrillen 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 539 


auch von den weiter entfernt gelegenen Bindegewebszellen ge- 
bildet werden, für die einzige Möglichkeit, wie die Fibrillen der 
Knochengrundsubstanz entstehen. Über den zweiten organischen 
Bestandteil der Grundsubstanz, die interfibrilläre färbbare Substanz, 
gibt Spuler folgendes an: „Nachdem also zunächst die fibrilläre 
Grundsubstanz gebildet ist, findet zweitens die Einlagerung einer 
kalkhaltigen Kittsubstanz statt.“ Auf Grund seiner Färbemethode, 
verglichen mit Hämatoxylin-Eosin- und Karminfärbungen, kommt 
Spuler zu dem Schlusse, dass die mit Eisenalaun-Hämatoxylin 
sich schwarz färbenden Massen junger Knochenbalken „den 
organischen Rest darstellen, mit dem die bei der Entkalkung 
entfernten anorganischen Salze verbunden waren“. Dieser Auffassung 
Spulers kann ich mich nach meinen Untersuchungen nur an- 
schliessen. 

Die von mir erwähnten Körner im Zelleib der Osteoblasten, 
hat bereits Spuler beschrieben: „Häufig begegnet man Bildern, 
bei denen sich jene schwarzen Körner an den feinen Protoplasma- 
fortsätzen der Östeoblästen befinden. Sie werden offenbar so an 
die Stelle transportiert, wo sie abgelagert werden. Dieser Prozess 
ist vielfach noch an Zellen zu beobachten, welche allseits von 
neugebildeter Grundsubstanz umgeben, welche also schon richtige 
Knochenzellen sind.“ Diese Beobachtungen Spulers, dass die 
Körner des Protoplasmas der Osteoblasten in die Fortsätze über- 


gehen, kann ich ebenfalls bestätigen. Ich möchte jedoch nicht 


glauben, dass diese Körner schon kalkhaltig sind, sondern nur zur 
Bildung der zunächst kalklosen Interfibrillarsubstanz abgegeben 
werden. 

v. Ebner scheint ebenfalls die Osteoblasten für die die 
erste Knochenanlage bildenden Elemente zu halten, von welchen 
er allerdings nur angibt, dass sie sich mit ihrem Protoplasma in 
der unverkalkten Knochensubstanz verliere. Er beschreibt, dass 
von dem fibrillären unverkalkten Saume aus „dickere und dünnere 
jündel nicht verkalkter Fibrillen ausgehen und sich in den 
angrenzenden Weichteilen verlieren.“ Zwischen denselben liegen 
die Osteoblasten. v. Ebner deutet diese Fibrillenbündel als 
Sharpeysche Fasern und misst ihnen keine genetische Bedeutung 
bei. Nähere Angaben über das Verhalten der Osteoblasten zu der 
neugebildeten Grundsubstanz teilt v. Ebner nicht mit. 

Die Arbeiten von Retterer über Ursprung und Struktur 

36* 


540 RKvRowft: 


der Osteoblasten und des Knochengewebes bringen nichts Neues, 
sondern vertreten im wesentlichen die Waldeyersche Um- 
wandlungstheorie. 


Nachträgliche Bemerkungen. 


Während der Drucklegung dieser Untersuchungen erschien 
eine Abhandlung v. Ebners: „Über die Entwicklung der leim- 
gebenden Fibrillen insbesondere im Zahnbein“, in welcher er 
meine früher mitgeteilten Befunde über die Struktur und Genese 
der ersten Dentinanlage angreift. Vorläufig kann ich an dieser 
Stelle nicht auf alle Einwendungen, welche gegen meine Befunde 
und ihre Deutung gemacht werden, eingehen; doch die wichtigsten 
Punkte möchte ich schon kurz beantworten. v. Ebner behauptet. 
dass nach seinen angestellten Untersuchungen die erste Anlage 
des Dentins, welches als Prädentin bezeichnet wird, nicht fibrillär. 
sondern homogen sei und dass sich in dieser seiner Ansicht nach 
von den Elfenbeinzellen gebildeten Grundsubstanz sekundär 
collagene Fibrillen differenzieren. Diese bestimmten Angaben 
v. Ebners sind in keiner Weise durch histologische Präparate 
bewiesen worden — wenigstens lassen die von v. Ebner 
wiedergegebenen Figuren dies nicht erkennen. Dann muss ich 
erklären, dass die Anschauungen v. Ebners den tatsächlichen 
Strukturen der ersten Dentinsubstanz nicht entsprechen. Schon 
vor mir, wie erwähnt, stellte ©. Hansen fest, dass das Dentin 
vom allerersten Anfang an aus collagenen Fibrillen der Haupt- 
sache nach zusammengesetzt ist. Die von mir beschriebene 
periphere Aufsplitterung der intercellulären, zwischen den Elfen- 
beinzellen gelegenen Bindegewebsfasern in zunächst büschel- 
förmig oder pinselartig angeordneten Fibrillen des ersten Dentins, 
hat v. Ebner in seinen Präparaten nicht erkennen können. 
Trotzdem existieren diese Fibrillen, was gut fixierte und scharf 
differenzierte Schnittpräparate immer wieder auf das deutlichste 
zeigen (Fig. 4,5). Dann geht aus den v. Ebnerschen Figuren 
nicht hervor, wie sich die intercellulären Fasern aus den Binde- 
gewebsfibrillen der Pulpa zusammenlegen. Die von v. Ebner 
wiedergegebene Fig. 1 lässt zwar erkennen, dass die von mir 
beschriebenen Fasern aus der Pulpa kommen und in die erste 
Dentinsubstanz übergehen, doch keineswegs die für die Deutung 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 541 


meiner Befunde so wichtige Tatsache, dass die Bindegewebs- 
fibrillen der Pulpa sich in sehr charakteristischer Weise zur 
Bildung der intercellulären Fasern aneinanderlegen. Die Ver- 
mutung v. Ebners, dass die von mir in embryonalem Pulpa- 
gewebe gefärbten Bindegewebsfibrillen mit Protoplasmafäserchen 
verwechselt wären, muss ich zurückweisen, da ich beide als durch- 
aus verschiedene Gebilde dargestellt und wiedergegeben habe. 


Literaturverzeichnis. 


R. Virchow: Das normale Knochenwachstum und die rachitische Störung 
desselben. Virchows Archiv, Bd. 5, 1853. 

H. Müller: Über die Entwicklung der Knochensubstanz nebst Bemerkungen 
über den Bau rachitischer Knochen. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, 
Bd. 9, 1858. 

Kölliker, A.: Handbuch der Gewebelehre des Menschen, 4. Aufl., 1863. 

N. Lieberkühn: Über Knochenwachstum. Arch. f. Anatomie und Physiologie 
von Reichert und du Bois Reymond, 1864. 

C. Gegenbaur: Über die Bildung des Knochengewebes. Jenaische Zeit- 
schrift für Med. und Naturwiss., Bd. 1, 1864. 

Waldeyer, W.: Über den Ossificationsprozess. Areh. für mikrosk. Anatomie, 
Bd. 1, 1865. 

©. Gegenbaur: Über die Bildung des Knochengewebes. II. Mitteilung. 
Jenaische Zeitschrift für Mediz. u. Naturwiss., Bd. 3, 1867, 

A. Rollet: Von den Bindegeweben. Strickers Handbuch der Lehre von den 
Geweben, Bd. 1, 1871. 

Spuler, Arnold: Beiträge zur Histologie und Histogenese der Binde- und 
Stützsubstanzen. Anat. Hefte, Bd. 7, 1896. 

Derselbe : Beiträge zur Histogenese des Mesenchyms. Verhandl. d. anat. 
Gesellsch., 13. Versammlung, 1899. 

Retterer, E.: Origine et structure des osteoblastes et du tissu osseux. 
Compt. rend. hebd. de la Soc. de Biologie, 1898. 

v. Ebner: Histologie der Zähne mit Einschluss der Histogenese. Handbuch 
der Zahnheilkunde, herausgeg. von Scheff, II. Auflage, I. Band, 1902. 

Leo Fleischmann: Die Entwicklung der Zahnscheiden; gleichzeitig ein 
Beitrag zur Entwicklung der Zahnbeingrundsubstanz. Arch. f. mikro- 
skop. Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 68, 1906. 


Fig. 1. 


Fig. 2. 


Fig. 3. 


Ra Kioske 
Erklärung der Figuren auf Tafel XIX. 


Saum eines periostalen Knochenbälkchens von dem humerus eines 
neugeborenen Hundes. Flemmin gsches Gemisch. Eisenalaun-Häma- 
toxylinfärbung, dann Rubins S-Färbung. Die innerste Schichte des 
Periostes setzt sich aus spindelförmigen und sternförmigen Binde- 
gewebszellen zusammen und ausserordentlich zahlreichen Binde- 
gewebsfibrillen. Die Fibrillen laufen nach dem Knochenbälkchen in 
Fibrillenbündel zusammen. Letztere kreuzen sich in der Zone des 
Knochengewebes in den verschiedensten Richtungen. Es entsteht 
ein Flechtwerk sich durchkreuzender Fibrillenbündel als erste Anlage 
neuer Knochengrundsubstanz. Die von sich kreuzenden Fibrillen- 
bündeln eingeschlossenen Bindegewebszellen differenzieren sich. Sie 
werden in den Nestern der Fibrillenbündel sternförmig, entwickeln 
sich zu Knochenzellen. K — Gewebe des Knochenbälkchens. Fb —= 
Fibrillenbündel. Kz= Knochenzelle. I. Sch. — Innerste Schicht des 
Periostes.. 0 — Osteoblasten. 

Teil eines Knochenbälkchens vom os maxillare einer neugeborenen 
Katze. Fixierung und Färbung wie in Fig. 1. K = Gewebe des 
Knochenbälkchens. Fibrillenzüge rot, teils längs-, teils schräg-, teils 
quergeschnitten, teils ohne färbbare Interfibrillarsubstanz, welche 
wahrscheinlich schon vorhanden, aber durch die Fixierungsflüssigkeit 
aufgelöst wurde. In den grauen Stellen ist die Interfibrillar- oder Kitt- 
substanz noch vorhanden. Sie maskiert hier die Fibrillen der Grund- 
substanz. Die Knochenzellen werden von roten Fibrillenzügen um- 
geben. S.d. K. — Saum des Knochenbälkchens, setzt sich zusammen 
aus einstrahlenden, sich kreuzenden Fibrillenbündeln. Zwischen 
ihnen werden die eingeschlossenen Osteoblasten durch Entwicklung 
zahlreicher Ausläufer zu sternförmigen Knochenzellen. O-Osteo- 
blasten. L.e.B. = Lockeres embryonales Bindegewebe, besteht 
aus meist spindelförmigen Bindegewebszellen, aus denen Binde- 
gewebsfibrillen hervorgehen. Die überaus zahlreich sich ent- 
wickelnden Fibrillen legen sich nach dem Saume des Knochen- 
bälkchens zu zum Teil geschlängelt verlaufenden Fibrillenbündein 
aneinander. Die Bündel, an einzelnen Stellen quergetroffen, er- 
scheinen als rote Punkte. Die Fibrillenbündel werden nach dem 
Knochen zu, da sich immer mehr Fibrillen anschliessen, dicker, 
durchfiechten sich im Saume des Knochenbälkchens, bilden ein 
Flechtwerk neuer fibrillärer Knochensubstanz, die zunächst ohne 
färbbare Interfibrillarsubstanz ist. Einzelne einstrahlende Fibrillen- 
züge lassen sich noch weiter bis ins Innere des Knochenbälkchens 
verfolgen. 

Stück eines Knochenbälkchens aus dem Unterkiefer eines Schweine- 
embryo. Sublimat. Eisenalaun-Hämatoxylin, ohne Bindegewebs- 
färbung. Am Rande liegen die Osteoblasten mit schwarz gefärbten 
Körnern des Zellleibes. Der periphere Abschnitt des Zellleibes setzt 


Fig. 4. 


Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. 543 


sich in zahlreiche Fortsätze fort, welche sich mit denen der im Innern 
des Knochenbälkchens gelegenen Knochenzellen verbinden. Es ent- 
steht eine netzförmige Verbindung von Zellfortsätzen, welche in 
einem Kanalsystem liegen. An einigen Stellen liegen in den Fort- 
sätzen der Osteoblasten und Knochenzellen schwarze Körner 
welche wahrscheinlich mit denen im Zellleibe der Zellen differen- 
zierten identisch sind und in die Grundsubstanz als Interfibrillar- 
substanz eingelagert werden. Grundsubstanz des Knochens blass- 
grau; eingelagerte Interfibrillarsubstanz an zwei Stellen besonders 
dicht, schwarz gefärbt. 

Erste Dentinarlage vom Eckzahn eines Schweineembryo ohne 
Bindegewebsfärbung. Sublimat. Eisenalaun-Hämatoxylin. Elfen- 
beinzellen meist lang-, einige schräggetroffen. Der Zölleib ent- 
hält zahlreiche schwarze Körner, er geht nur in die weiche Zahn- 
faser über, die an ihrer Oberfläche von einem scheinbar aus feinen 
Körnern zusammengesetzten Mantel bekleidet ist, aus dem sich 
wahrscheinlich später die Neumannsche Zahnfaserscheide ent- 
wickelt. Die Interfibrillarsubstanz des Dentins ist nach der Peri- 
pherie zu schwarz gefärbt. Diese Stellen entsprechen denen der 
späteren Kalkeinlagerung. Die schwarzen Körnermassen, aus denen 
die Interfibrillarsubstanz zusammenfliesst, werden wahrscheinlich in 
der Substanz der Körner im Zelleib der Elfenbeinzellen vorgebildet. 
I = gefärbte Interfibrillarsubstanz des Dentins. E — Elfenbein- 
zellen mit weichen Zahnfasern. 

Dasselbe Präparat und derselbe Schnitt, dieselbe Färbung wie in 
Fig. 4, aber mit Rubin S nachgefärbt. Es ist nur die rechte 
Hälfte von Fig. 4 wiedergegeben. Elfenbeinzellen dieselben wie in 
Fig. 4 auf der rechten Seite. Die vorher ungefärbte Intercellular- 
substanz zwischen den Elfenbeinzellen tritt deutlich als inter- 
celluläre Bindegewebsfasern oder Stränge hervor. Sie splittern 
sich büschelförmig auf in die ersten Fibrillen des Dentins, welche 
sich untereinander kreuzen und schräg zu den weichen Zahnfasern 
liegen. Nach aussen werden die Fibrillen von der schwarzen 
Interfibrillarsubstanz verdeckt. Die intercellulären Fasern zwischen 
den Elfenbeinzellen entstehen aus den Fibrillen der Pulpa. 
I — Interfibrillarsubstanz des Dentins. B.v. F. — Büschel von 
Fibrillen des Dentins. I. F. — Intercelluläre Fasern zwischen den 
Elfenbeinzellen. F.d.P. = Fibrillen der Pulpa. 


544 


Über den Bau und die Bedeutung 
der Aussencuticula der Amphibienlarven. 
Von 
Oskar Schultze. 


Hierzu Tafel XX. 


Gelegentlich meiner Untersuchungen über die Entwicklung 
der peripheren Nerven bei Amphibienlarven bin ich zu der Über- 
zeueung gekommen, dass im Bereiche des Integumentes nicht 
nur noch manche wichtige Fragen der Lösung harren, sondern 
dass sich auch aus eigenartigen mikroskopischen Quer- und Flach- 
schnittsbildern vornehmlich der tiefen Epidermiszellen und deren 
Beziehungen zu dem allgemeinen, die Anlage des späteren Plexus 
nervosus profundus darstellenden Zellennetze sowie zur Binde- 
substanz neue Fragen ergeben. Da es sich hier um recht 
schwierig aufzudeckende Strukturen handelt, deren Schwierigkeit 
meine Bemühungen trotz gewisser Resultate noch zu keinem 
Abschluss kommen liess, möchte ich das Verhalten der basalen 
Fpidermisfläche jetzt ausser Acht lassen. Viel einfacher, wenn 
auch durchaus noch nicht zur Genüge untersucht. ist der Bau 
des freien Flächengebietes, das unter dem Namen Cuticula, 
tandsaum, gestreifter Basalsaum, poröser Cutieularsaum u. a. 
bekannt ist. Die genauere Untersuchung dieses Saumes hat 
zunächst insofern allgemeineres Interesse, als bekanntlich eine 
gleiche oder ähnliche Randzone die Aussenfläche von zahlreichen 
wasserbewohnenden Wirbeltieren, besonders im Jugendzustand, 
vom Amphioxus und von vielen Wirbellosen bedeckt. Dazu kommt 
dann die Frage nach dem Bau und der Bedeutung entsprechender 
Säume an inneren Epithelien, vor allem des Darmes und mancher 
Drüsenkanäle und der genetischen Beziehungen der Cutieular- 
säume zu dem Flimmerbesatz. Dass die Bedeutung des Saumes 
als einer Schutzvorrichtung des Protoplasmas eine allgemeine ist, 
darüber dürfte kaum ein Zweifel bestehen. Im speziellen aber 
ergeben sich, wie es scheint, im Bereiche dieser Schutzvorrichtung 
verschiedenartige Strukturen, welche teils auch direkt diesem 
Schutze dienen, teils — in verschiedenem Grade — die durch die 


Die Ausseneuticula der Amphibienlarven. 545 


Funktion erforderte Beziehung des Zellprotoplasmas zu dem um- 
gebenden Medium oder dem umschlossenen Hohlraum unterhalten. 

In der folgenden Mitteilung möchte ich die Aufmerksam- 
keit aller derer, welche in Zukunft sich mit der Struktur der 
Cutieularsäume beschäftigen, auf die betreffende Aussenzone der 
Larven und zwar vornehmlich der erst vor kurzem ausgeschlüpften 
Larven der anuren Amphibien lenken, bei denen die Cuticula 
durch ihre, man muss sagen, verhältnismässig grobe Struktur eine 
genauere Beachtung herausfordert, als sie bisher gefunden hat. 
Und wenn es auch durchaus nicht angängig erscheint, die charak- 
teristischen Befunde, welche diese Cutieula ergibt, ohne weiteres 
zu verallgemeinern, so ist, wie ich zeigen möchte, das was sich 
hier findet, doch geeignet, als Ausgangspunkt für weitere Frage- 
stellungen bezüglich des Baues der Cuticularsäume im allgemeinen 
zu dienen. 


Der Cuticularsaum der Epidermis, wie er bei niederen Wirbel- 
tieren vorkommt, wird ziemlich allgemein als ein „poröser Saum“, 
„Porensaum“ oder „eine von Porenkanälen durchsetzte Membran“ 
und ähnlich bezeichnet. Eine Literaturzusammenstellung finden wir 
bei Studnicka.') Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Vor- 
stellung der porösen Aussencutieula durch eine Übertragung der 
gleichen Vorstellung von dem Cntienlarsaum der Darmepithelzellen 
auf die Aussenfläche des Integumentes entstand, und sie erscheint 
auch in der Tat in gewisser Weise berechtigt, da man im Flächen- 
bild bei manchen Aussencutienlae eine feine an Poren erinnernde 
Punktierung und im senkrechten Durchschnitt die bekannte feine 
vertikale Strichelung wahrnimmt. Freilich fehlte es auch nicht 
an — bisher allerdings wenig durchgedrungenen — Angaben, 
welche für eine andere Deutung sprechen. Von diesen beansprucht 
hier vor allem Interesse, was F. E. Schulze, wenn auch nur 
kurz, an mehreren Stellen über den Grenzsaum der Larven von 
Pelobates fuscus angegeben hat, um so mehr, als dieser Saum auch 
meine folgenden Angaben veranlasst hat. Schon im Jahre 1869 
hat F. E. Schulze?) eine kurze Beschreibung des Saumes von 


) F.R. Studnicka: Über die intercellularen Verbindungen, den so- 
genannten Cuticularsaum und den Flimmerbesatz der Zellen. Sitzungsb. der 
K. Böhm. Gesellsch. d. Wiss., math.-nat. Klasse 1898. 

») F.E. Schulze: Über cuticulare Bildungen und Verhornung von 
Epithelzellen bei den Wirbeltieren. Dieses Archiv Bd. 5, 1869. 


546 Oskar Schultze: 


grossen Larven von Pelobates fuscus und Rana esculenta gegeben, 
‚wobei er sich auf ähnliche Angaben von Eberth'!) an Bombinator 
Larven bezog. Im Text spricht F. E. Schulze von „nischen- 
artigen, nach aussen sich öffnenden Hohlräumen, welche seitlich 
von den Balken eines netzförmigen Leistengitters umschlossen, 
sich fast bis an die untere Grenze des ganzen Cutieularsaumes 
erstreckten und mit abgerundetem Ende blind endigten“. In den 
nischenartigen Räumen lagen — bereits von Eberth gesehene — 
rundliche, glänzende Körperchen, die gelegentlich aus den Nischen 
herausfallen. Durch fünf Abbildungen und die zugehörige Figuren- 
erklärung (Taf. XVII, Fig. 21—25) werden diese Struktur- 
verhältnisse im wesentlichen richtig (s. u.) erläutert, wobei das 
Hauptgewicht auf die „Maschen“ des Cuticularsaumes und die 
darin enthaltenen glänzenden Körperchen gelegt wird. 

Zum zweiten Male hat F.E. Schulze?) unter Hinweis auf 
seine frühere Beobachtung der gleichen Struktur im Jahre 1885 
gedacht. Er beschreibt hier von der überlebenden Oberhaut 
des abgeschnittenen Larvenschwanzes „bei Einstellung auf die 
äusserste Oberfläche ein höchst zierliches Leistengitternetz.“ Stark 
lichtbrechende breitere Leisten umschliessen eckige ziemlich 
unregelmässige Polygone, das sind die Zellgrenzen der Aussen- 
ephithelschicht, und in diesen Polygonen ist ein viel zarteres 
Gitternetz ausgespannt, das aus zahlreichen rundlichen oder ab- 
gerundet sechseckigen Maschen von zirka 3—5 «u Breite besteht. 
Auch betont F. E. Schulze, dass das Lichtbrechungsvermögen 
der Maschen im Bereich der einzelnen Zellen dasselbe sei wie 
das der Zellgrenzen d. h. dessen, was wir jetzt als Kittleisten 
der oberflächlichsten Zellschicht bezeichnen. Der Inhalt der 
Maschen dagegen erscheint schwach lichtbrechend und „es macht 
den Eindruck, als ob eine weniger feste, etwas zähflüssige Masse 
gleichmässig die ganze Maschenlücke ausfülle“ (vergl.unten 8.558). 
Die auf Taf.-II von F. E. Schulze gegebenen Abbildungen lassen 
nicht den geringsten Zweifel darüber, dass es sich um die näm- 


) C. T. Eberth: Zur Entwicklung der Gewebe im Schwanz der 
Froschlarven. Dieses Archiv Bd. 2, 1866. 

2) F. E. Schulze: Über die inneren Kiemen der Batrachierlarven 
I. Mittlg. Über das Epithel der Lippen, der Mund-, Rachen- und Kiemen- 
höhle erwachsener Larven von Pelobates fuscus. Abhandlungen der K. 
Preuss. Ak. d. Wiss. zu Berlin 1888. 


Die Aussencuticula der Amphibienlarven. D47 


lichen Strukturen handelt, welche ich hier zu beschreiben im 
Begrifte bin. 

Zum dritten Male hat der Berliner Forscher!) in einer 
Anmerkung (S. 7) den in Rede stehenden Bau der Cuticula ge- 
streift, wobei er gleichzeitig eine nach einer Mikrophotographie von 
F. Schaudinn bei 1200 facher Vergrösserung angefertigte 
Abbildung (Taf. VIII, Fig. 5) eines Tangentialschnittes der Haut 
einer in CUhromsäure conservierten erwachsenen Pelobates-Larve 
gab. Unter diesen Umständen erscheint es auffallend, dass diese 
zweifellos unter allen bei Wirbeltieren vorkommenden gröbste 
Cutieula bisher selbst in Arbeiten, die sich speziell mit der Er- 
kenntnis des Baues der Cutieula im allgemeinen beschäftigten, keine 
Nachuntersuchung fand. Ausser den Angaben von F. E. Schulze 
finden wir in der Literatur über die Struktur der Aussenceutieula 
noch andere, welche sich auf einen „lamellös-vacuolisierten“ oder 
„gitternetzartigen“ Bau der Cuticula beziehen. So äussert sich 
Studnicka?) über den Cutieularsaum von Ammocoetes, dass 
man an ganz feinen, parallel mit der Oberfläche der Cutieula 
geführten Schnitten sieht, dass diese „aus ihre ganze Dicke durch- 
setzenden Lamellen gebaut ist, die so miteinander verbunden sind, 
dass sie die Wände langer röhrenförmiger Vacuolen vorstellen“. 
Das Lamellensystem geht kontinuierlich in das Zellprotoplasma 
über und entspricht als dessen Fortsetzung nach aussen den 
Stäbchen der gewöhnlichen Auffassung oder dem Inhalt der Poren. 
Aber von solchen Stäbehen und Poren ist nichts bei Ammocoetes 
vorhanden. Studnicka weist auf die Übereinstimmung dieser 
Struktur mit der von F. E. Schulze bei Pelobates-Larven be- 
schriebenen hin. Sehr richtig bemerkt dann Studnicka: „Es 
wird nötig sein, die einzelnen der Angaben von der Existenz 
der Stäbchen zu revidieren; es ist möglich, dass auch anderswo 
statt der Stäbchen solch ein Septensystem, wie wir es z.B. beim 
Ammocoetes haben, existiert. Die Seitenansicht ist ja in beiden 
Fällen dieselbe und auch die Flächenansicht, welche die bekannte 
Punktierung zeigt, kann bei schwächerer Vergrösserung die- 
selbe sein.“ 


» F. E. Schulze: Über die Verbindung der Epithelzellen unterein- 
ander. Sitzungsb. d. K. Preuss. Ak. d. Wiss. 30. Juli 1896. 


2) 1.c. 8.2. 


548 Oskar Schultze: 


Auch Leydig!) hat den Uuticularsaum nicht einfach als eine 
von Poren durchsetzte Membran aufgefasst, sondern er sagt von 
dem Saume des Schwanzes der Urodelenlarven, dass sich zwar in 
der Seitenansicht die feinen Strichelchen des Saumes als lineare 
Ausläufer des Spongioplasmas erweisen, dass aber das „was sich 
im Profil als Strich zeigt, in der Flächenansicht eigentlich eine 
blatt- oder leistenförmige Erhöhung ist.“ 

Nach Flemming?) hat der Cuticularsaum an den Kiemen- 
blättern der Salamanderlarve „eine Art Vacuolenbau.“ Ein solcher 
ist aber nach Flemming an dem übrigen Körperepithel nicht 
vorhanden. Demgemäss bildet dieser Forscher vom Schwanz der 
Salamanderlarve einen porösen Saum im Flächenbild ab°) und 
sagt, dass der Saum im Querschnitt eine Stäbchenstrichelung 
besitze. Nun aber schliesst die Querstrichelung des Durchschnitt- 
bildes durchaus nicht den „vacuolären“ Bau aus, sobald diese 
Vacuolen Röhrenform besitzen. Eine, von der einfachen Poren- 
saumstruktur abweichende Beschreibung des Cuticularsaumes bei 
Salamanderlarven hat K. C. Schneider *) gegeben, welche 
hinsichtlich der Flächenbilder mit meiner später zu gebenden 
Beschreibung übereinstimmt. Die den gestrichelten Grenzsaum 
hier durchsetzenden Protoplasmafäden „sind durch eine leicht 
färbbare Kittsubstanz zu Alveolenwandungen verbunden, welche 
auf flächenhaften Ausschnitten der Zellen hexagonale Maschen 
bilden und, bei Mangel an Pigment, eine hellere Zwischen- 
substanz zeigen“. Entsprechend lauten Schneiders Angaben für 
Ammocoetes. 


Indem ich zu meinen eigenen Befunden übergehe, aus welchen 
sich ergibt, wie ausserordentlich günstig für die Untersuchung 
des Grenzsaumes die Larven mancher anuren Amphibien und in 
Übereinstimmung mit F. E. Schulze besonders diejenigen von 
Pelobates fuscus sind, beginne ich mit dem auffallendsten Bilde, 

') F. Leydig: Zelle und Gewebe 1885. 

>) W.Flemming: „Zelle“ in Merkel-Bonnets Ergebnissen Band V, 1896, 
S. 267. 

>) Derselbe: Zellsubstanz, Kern und Zellteilung. Leipzig 1882, Taf. Ila, 
Mira. 

») K. ©. Schneider: Lehrbuch der vergleichenden Histologie der 
Tiere. Jena 1902. 


Die Ausseneuticula der Amphibienlarven. 549 


wie es durch die Betrachtung der lebenden bezw. überlebenden 
Epidermis junger Larven der Knoblauchkröte von 1—2 cm Länge 
mit Leichtigkeit zu erhalten ist. Hier liegt eine auf den ersten 
Blick durchaus fremdartige Struktur der Aussenfläche einer Wirbel- 
tierepidermis vor, wie sie in dieser Ausbildung von keinem anderen 
Wirbeltier bekannt ist. Am bequemsten ist es natürlich, den 
ganzen abgeschnittenen Schwanz in Wasser oder physiologischer 
Kochsalzlösung unter gestütztem Deckglas zu untersuchen. Der 
Pigmentgehalt der äussersten Fpidermiszellen, der bei anderen 
Larven der genannten Länge, z. B. bei Rana fusca und Bufo 
vulgaris, die Struktur der äussersten Zellschicht fast ganz ver- 
deckt, fehlt hier an vielen leicht auffindbaren Stellen. Neben 
der Fremdartigkeit der Struktur überrascht die ausserordentliche 
Zierlichkeit. Schon bei verhältnismässig schwacher Vergrösserung 
erscheint bei Einstellung auf die Oberfläche diese wie von einem 
feinen bei bestimmter Einstellung glänzenden d.h. stark licht- 
brechenden Netz überzogen, dessen in bestimmten Grenzen 
schwankende Maschen verhältnismässig weit und dessen Bälkchen 
im allgemeinen zart erscheinen. Ein solches Bild ist von dem 
Schwanzflossensaum einer 12 mm langen Pelobates-Larve in Fig. 1 
Tafel XX nach dem Leben naturgetreu bei nur zirka 500 facher 
Vergrösserung (!) gezeichnet. Ausser dem Netz als solchem ist 
in vielen Fällen und an vielen Stellen das völlige Fehlen der 
Zellgrenzen der Aussenschicht des Epithels überraschend. Daneben 
existieren alle Übergangsformen von fehlenden bis zu deutlich 
ausgebildeten Zellgrenzen. So kommt es, dass man oft erst nach 
einer genaueren Betrachtung oder einer gewissen Übung innerhalb 
des auffallenden Flächenbildes Zellgrenzen herausfindet. In der 
Fig. 1 ist dieses charakteristische Verhalten gut zum Ausdruck 
gekommen, wobei ich nochmals hervorhebe, dass es sich nicht 
etwa um ein durch präparatorische Wirkung entstandenes Bild 
handelt. Am deutlichsten lässt sich die mittlere zirka siebeneckige 
Zelle innerhalb des Maschennetzes herauserkennen, von ihr läuft 
nach dem oberen Tafelrand vertikal eine deutliche Grenze; auch 
nach dem unteren Rande hin sieht man deutliche Grenzen. 
Dagegen ist es in den beiden Seitenteilen der Abbildung kaum 
möglich die Zellen zu trennen. Da wir wissen, dass die Grenzen 
dieser Aussenschicht durch die die Intercellularräume nach aussen 
abschliessenden Kittleisten (Th. Cohn) gebildet werden, so er- 


550 Oskar Schultze: 


hält man den Eindruck, dass diese Abgrenzung innerhalb des 
auf diesem Jugendstadium noch teilweise syneytialen Verbandes 
erst in allmählicher Ausbildung begriffen ist. Da, wo es zu einer 
solehen Ausbildung gekommen ist, erkennt man, dass die die 
Zellerenzen bildende Substanz sich optisch genau ebenso, nämlich 
in gleichem Grade stark lichtbrechend, verhält, wie die Bälkchen, 
welche die annähernd kreisrunden Maschen begrenzen. Man er- 
hält den Eindruck, dass aus der lichtbrechenden Substanz des 
Gitternetzes die Zellgrenzen sich allmählich einzelnen Strassen 
vergleichbar als etwas breitere Massen derselben Substanz, welche 
innerhalb der Grenzen einer Einzelzelle die Netzsubstanz bildet, 
herausdifferenzieren. Nach dieser Auffassung, die sich, wie gesagt, 
dem optischen Verhalten und dem Charakter des ganzen Bildes 
nach, aufdrängt, wäre die Kittleisten-Substanz identisch mit der- 
jenigen des gesamten Netzes, sodass die ganze Aussenfläche bei 
ausgebildeten Zellgrenzen von einem Netze einer einheitlichen 
Substanz in Anspruch genommen wäre, welches gröbere Bälkchen 
— die Kittleisten der FEpithelzellen — und innerhalb dieser die 
zahlreichen feineren Bälkchen bildet. 

Schon im lebenden Präparat lässt sich erkennen, dass das 
zierliche Netz nur die äusserste Zone der oberflächlichen Zell- 
schicht einnimmt. Bei geringer Senkung des Tubus verschwindet 
das Bild und — mehr oder weniger deutlich — erscheinen die 
blassen Kerne der zugehörigen Deckzellen. Die ganze „Netz- 
struktur“ liegt also, bei Einstellung von oben betrachtet, über 
der Kernzone der Zelle. Dies tritt deutlich in der Fig. 2 hervor. 
Auch diese entstammt dem Flossensaum einer 12 mm langen 
Pelobates-Larve und zwar einer Region, in welcher die Zellgrenzen 
gut ausgeprägt waren. Übrigens hatte ich öfters den Eindruck, 
als ob durch die Konservierung innerhalb des Netzes Zellgrenzen 
in schärferer und gradlinigerer Ausprägung hervortraten, als sie 
sich am lebenden Objekt darboten. Das in Fig. 2 dargestellte 
Präparat wurde mit Osmiumsäure von 0,5°/o vorbehandelt und 
nach Übertragung und Auswaschen in 1°/o wässrige Kalium- 
bichromatlösung in Alauncochenille gefärbt!) in Wasser aus- 


‘) Das Auswaschen der Osmiumpräparate mit häufig gewechselter 1°,o 
Kaliumbichromatlösung — mehrere Tage hindurch und die direkte Über- 
tragung in (nicht alte) Alauncochenillelösung kann ich als einfache und 
vortreffliche Kernfärbemethode von Osmiumpräparaten sowohl für Schnitte 
als für Stücke sehr empfehlen. 


>| 
je 


Die Aussencutieula der Amphibienlarven. 3. 


gewaschen und in KMW !) eingeschlossen. Man sieht in der 
Abbildung unter dem Gitternetz, welches die beiden Zellen 
gleichsam bedeckt, die Kerne und deren Inhalt in dem Tone 
(nicht in der Farbe), dargestellt, wie er durch die Vochenillefärbung 
erzielt war. 

Dass es sich bei der beschriebenen Struktur um die „Uuti- 
cula“ handelt, braucht kaum hervorgehoben zu werden, obwohl 
eine deutliche Vorstellung natürlich erst von den später zu 
gebenden Durchschnittsbildern gewonnen werden kann. Schon die 
Übereinstimmung mit der Schilderung, die F. E. Schulze von 
der Cuticula gab, lässt hierüber keinen Zweifel. Vergleicht man 
aber das oben (S. 547) zitierte Bild, welches von F. E. Schulze 
von der Cutieula bei 1200 facher Vergrösserung nach einer Mikro- 
photographie stammt mit meinen bei nur 500 facher Vergrösserung 
mit dem Zeichenapparat gezeichneten Figuren 1 und 2, so fällt 
sofort der annähernd gleiche Durchmesser der „Maschen“ des 
„Netzes“ auf. Die Erklärung gibt ein Vergleich meiner Figur 1 
mit der Figur 3. Beide sind bei der gleichen Vergrösserung 
(Leitz Objektiv 7, Okular III, Tubuslänge 160) von ea. 500 ge- 
zeichnet, und winzig erscheinen die Maschen des Netzes in Fig. 3 
gegenüber denen von Fig. 1. Beide Bilder rühren von ver- 
schieden alten Larven her; Figur 1 von einer 12 mm langen, 
Figur 3 von einer 6,5 mm langen, fast ausgewachsenen Larve. 
Mit der Abnahme der Zellengrösse im Verlauf des Wachstums 
der Larven ist an die Stelle des bei jungen Larven so groben 
„Netzes“ allmählich ein viel feineres getreten. Zum Studium des 
Saumes, sowie zu der noch dunklen, aber an diesem Objekt 
vortrefflich zu untersuchenden Genese des Saumes hat man also 
von jüngsten Larven auszugehen. Die genannte Abbildung von 
F.E. Schulze stammt von einer ausgewachsenen Larve. 

Wenn es nun auch möglich ist, die beschriebene auffallende 
Struktur ohne weiteres am lebenden Objekt zu erkennen, diese 
Struktur tadellos zu konservieren und dieselbe mit meiner Kalium- 
bichromatosmiumhämateinmethode ?) gefärbt im Lackpräparat zu 


!) Mit KMW bezeichne ich das von mir viel angewandte, schon 
mehrfach erwähnte schwachlichtbrechende Medium, das aus gleichen Volum- 
teilen Kali aceticum, Methylalkohol un! Wasser besteht. 

®) O0. Schultze:. Über Stückfärbung mit Chromhämatoxylin. Zeitschr. 
für wiss. Mikroskopie, 1904. 


552 Oskar Schultze: 


erhalten (vergl. Fig. 14 und 15), so gelingt es doch auch mit Hülfe 
einer kombinierten Wirkung von Silbernitrat und Überosmium- 
säure das eigenartige Obertlächenbild in so guter Weise prägnant 
darzustellen, dass ich diese Bilder hier wiedergeben möchte. Die 
betreffenden Präparate haben den Figuren 4 und 5 von Pelobates- 
Larven von 15 mm Länge zugrunde gelegen, die zugleich genau 
in der erzielten Farbe wiedergegeben sind. Die angewandte 
Methode dürfte sich auch sonst zur Darstellung von Zellgrenzen 
empfehlen. Figur 4 wurde in folgender Weise gewonnen. Die 
lebende Larve wurde für 30 Minuten in Argentum nitrieum von 
2° mit 0,1°/o Osmiumsänregehalt übertragen, dann in Aq. dest. 
abgespült und in vollem Sonnenlicht 30 Minuten lang reduziert. 
Nach Einlegen in Alkohol von 50° wurde in üblicher Weise 
in Canadabalsam eingeschlossen. Zur Abbildung wurden absichtlich 
einige Zellen gewählt, in denen einige der „Netzmaschen“ sich 
durch auffallende, fast abnorme Grösse auszeichneten. Auch die 
Figur 5 ist einem Silbernitratpräparat entnommen. Es unter- 
scheidet sich von den vorigen vor allem dadurch, dass der bei 
der Silbernitratreduktion eingetretene Niederschlag ein tief- 
schwarzer ist und vielfach auch die Kerne erfüllt hat. Es wurde 
eine Stelle zur Abbildung gewählt, in welcher vollständige neben 
unvollständiger Reduktion zugleich vorhanden war. In diesem 
Falle war die lebende Larve für 24 Stunden in Osmiumsäure von 
0,5°/o eingelegt und dann für 24 Stunden in Arg. nitr. von 2°o 
übertragen worden. Nach Abspülung in Wasser erfolgte innerhalb 
von wenigen Minuten die Reduktion in 1°/'oiger wässeriger Hydro- 
chinonlösung in der abgebildeten Weise. Auch mit 1°/oiger Pyro- 
gallussäurelösung erhielt ich gute Resultate. 

Von anderen Anuren erwiesen sich die Larven von 
Bufo cinereus auf frühem Stadium wegen ihres starken 
Epidermispigmentes als ungeeignet. Sehr brauchbar jedoch 
sind die Larven des grünen Wasserfrosches. Geeignete 
(nicht zu piementreiche) Stellen des Flossensaumes von Rana 
esculenta-Larven von erst S mm Länge geben zierliche 
Bilder (s. Fig. 6 und 7). Die Figur 6 ist nach dem im Wasser 
liegenden Schwanz der lebenden Larve gezeichnet. Die fünf dar- 
gestellten Zellen enthalten noch einige kugelförmige Dotter- 
elemente. Die Maschen des Saumes sind sehr gleichmässig aus- 
gebildet und in die sie begrenzenden Bälkchen (bezw. Alveolen- 


Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 553 


wände, s. unten) sind ebenso wie in die Zellgrenzen feine Pigment- 
körnchen abgelagert, während die Alveolen selbst frei sind und 
im Leben blasser erscheinen als das sie einschliessende Netz. 
Auch die Figur 7 ist aus dem Flossensaume einer Esculenta- 
Larve’von 1,0 em Länge gewonnen. Sechs Zellen umgeben in dem 
nach Osmiumkonservierung in Wasser eingeschlossenen und ge- 
zeichneten Präparate eine der typischen, mit ausserordentlich 
langen Cilien versehenen Flimmerzellen. In manchen Stellen des 
Netzes fehlten die Pıgmentgranula vollständig. Ein Vergleich der 
bei gleicher Vergrösserung gezeichneten Säume ungefähr gleich- 
langer Larven von Rana esculenta und Pelobates ergibt, dass bei 
Pelobates die Struktur zwar bedeutend gröber ist als bei dem 
grünen Frosch, jedoch auch bei diesem finden wir einen für ge- 
nauere Untersuchungen vortrefllich geeigneten Saum. Viel weniger 
ist dies bei dem braunen Frosch der Fall. In Figur 8 ist das 
Flächenbild des Saumes der Deckzellen bei homogener Immersion 
und Okular III (Leitz) dargestellt, wie man es bei jungen Rana 
fusca-Larven (16 mm Länge) nach Einlegen in Argentum nitrieum- 
Osmiumlösung (s. oben) und Reduktion im Sonnenlicht erhält. 
In diesem Falle fanden sich neben vollständig imprägnierten 
Stellen viele unvollständige, in denen im Bereiche mancher Zellen 
nur wenige oder gar keine Wabenwände zur Anschauung ge- 
kommen waren. 

Am schwierigsten ist es, gute Oberflächenbilder von Uro- 
delenlarven zu erhalten. Bei Salamanderlarven hat man solche 
Stellen zu wählen, wo keine Pigmentkörncheneinlagerung die 
Saumstruktur verdeckt. Am besten geeignet fand ich die Epi- 
dermis des Kiemendeckels. Da es aber nicht möglich ist, hier 
ein frisches Flächenbild bei der erforderlichen starken Ver- 
grösserung zu erhalten, muss man Flächenschnitte wählen.!) 


!) Hier wie auch in anderen Fällen habe ich das überaus wichtige 
Erfordernis tadelloser Konservierung und Vermeidung von Schrumpfung, sei 
es durch die Konservierung oder durch Prozeduren der Paraffineinbettung, in 
folgender Weise tunlichst vermieden und bin zu befriedigenden Ergebnissen 
gelangt, die ich hier einschalten möchte. Zahlreiche Messungen mit dem 
Zehntelmillimetermaf, die ich immer wieder bei Anwendung verschiedenster 
Konservierungen machte, haben ergeben, dass die chromsäure- und sublimat- 
haltigen Flüssigkeiten, so gut sie für viele Fälle zweifellos sind, hinter der 
Osmiumsäure und Kaliumbichromatosmiumsäure bezüglich der zu vermeidenden 
Schrumpfung weit zurückstehen. Aber auch diese sind bei der üblichen 

Archiv f. mikrosk. Anat. Ba. 69. 37 


Oskar Schultze: 


{eb} | 
(ST 
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Ein solcher ist in Fig. 9 nach einem Schnitt von 3 « Dicke 
abgebildet. Es hat zweifellos die äusserste Schicht der Deck- 
zellen getroffen. Es ist jede Verwechslung mit dem bekanntlich 
ähnliche Bilder liefernden „Netz“ der Intercellularen zwischen 
der oberflächlichen und tiefen Epithelschicht ausgeschlossen, wie 
wir es durch Fiemming und J. E. Schulze zuerst kennen 
gelernt haben. Man sieht, dass das Charakteristische des Saumes 
nicht das einer porösen Membran ist, dass vielmehr das Flächen- 
bild in guter Übereinstimmung mit dem Verhalten bei den 
Anuren wie ein Gitter erscheint, dessen Maschen sich hier 
allerdings weniger kreisrund, als vielmehr polygonal erweisen. 
Ich muss dieses Aussehen als das normale bezeichnen, denn die 
genau gleiche Behandlung des Saumes bei Pelobates und Rana 
esculenta konserviert die Struktur, welche dieser im Leben zeigt, 
tadellos. 

Die richtige Vorstellung von dem Bau des Saumes gewinnen 
wir natürlich erst, wenn wir die eigenartigen Flächenbilder mit 
Querschnittsbildern vergleichen. In Fig. 10 sehen wir ein Quer- 
schnittsbild der Epidermis der seitlichen Kopfgegend einer sehr 
jungen, noch dotterhaltigen Pelobates-Larve (Osmium-Alaun- 
Cochenille-Präparat). In der Deckzellenschicht waren keine deut- 
lichen Zellgrenzen zu erkennen. Anstatt einer „porösen Cuticula“ 
sehen wir einen „wabigen“ Saum, der der äussersten Zone der 


Paraffineinbettung, welche mit oft lange wirkenden Hitzegraden von 50—60° 
arbeitet, bekanntlich nachträglichen Schrumpfungen ausgesetzt. Meine Methode 
ist deshalb folgende: In die Schale, welche die in Alkohol absolutus liegenden 
und einzubettenden Stücke entbält, giesse ich vom Rande her langsam so 
viel Cedernöl, dass die am Boden sich ansammelnde Ölschicht hoch genug 
ist, um die zunächst mit dem Alkohol auf dem Öl schwimmenden, allmählich 
untersinkenden Stücke ganz aufzunehmen. Nach einigen Stunden oder länger 
(je nach der Grösse der Objekte) wird die Flüssigkeit abgegossen und schnell 
durch reines Cedernöl ersetzt. Aus diesem kommen die Stücke in Paraffın 
von nur 36° Schmelzpunkt (bezogen von Grüber) und schliesslich mög- 
lichst kurz (je nach der Grösse, dünne Stücke z. B. Retina nur für einen 
Moment) in Paraffin von 45—48°. Dieses schneide ich im Winter in mög- 
lichst kaltem Zimmer und bei offenem Fenster. Im Sommer lege ich die Blöcke 
vor dem Schneiden in eine mit Eisstückchen gefüllte Porzellanschale oder 
auch in eine Eis-Salzmischung, die leicht bis zu 10° heruntergeht und schneide 
nach schnellem Abtrocknen der Blöcke möglichst schnell, bevor der Block 
wieder warm geworden. So erhält man auch von Paraffin von 48° leicht 
Schnitte, die wenige Mikren dick sind. Oft habe ich auch das Messer in 
geeignet vorsichtiger Weise auf einem Eisblocke gekühlt. 


Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 555 


Deckzellen entspricht und zweifellos als modifizierte Zellsubstanz 
zu deuten ist. Wir sehen, wie das Protoplasma von innen her 
zwischen die einzelnen Waben eindringt und sich nach aussen 
verschmälernd die Septen zwischen den Waben bildet, dieselben 
Septen, die uns im Flächenbilde als Netzbälkchen erscheinen 
(vergl. Fig. 10 mit Fig. 1). Im ganzen hat jedoch der in 
Fig. 10 abgebildete Schnitt etwas Unvollkommenes, sodass man 
auch keinen sicheren Schluss ziehen möchte mit bezug auf die 
Frage, ob die Waben alle nach aussen abgeschlossen sind. Ver- 
schiebungen oder Verzerrungen der Waben im Querschnitt sind 
hier offenbar im Spiel. So wird man sich auch nicht berechtigt 
fühlen, die eine der Waben, die links von der Mitte des Randes 
geöffnet erscheint, als in natura geöffnet gewesen zu deuten. 
Bessere Bilder geben die in den Figuren 11—13 abgebildeten 
Querschnitte von Rana esculenta-Larven, die ich mit den Flächen- 
bildern derselben Larve (Fig. 6 und 7) zu vergleichen bitte. In 
Fig. 11 ist die Epidermis noch reich an Dotterelementen und 
Pigmentkörnchen; Zellgrenzen treten nicht hervor. Bei der 
14 mm langen Larve (Fig. 12 und 13) ist die Struktur des 
Saumes in bester Weise konserviert. Die Epidermis ist noch 
zweischichtig. Der Coriumanlage sitzen pyramidenförmige, nicht 
immer im Bereich des Kernes getroffene Zellen mit ihrer Basis 
auf, während der periphere Fortsatz — die Spitze der Pyramide 
— nach aussen verlängert gedacht auf die Zellgrenzen (Kitt- 
leisten) der Deckzellen trifft. Diese sind durch Interzellularen mit 
der tieferen Zellschicht allenthalben verbunden, haben eine einer 
Halbkugel zu vergleichende Form und bilden mit ihrem peri- 
pheren Teil die sogenannte Cuticula. Sie lässt sich nunmehr 
direkt mit einer Bienenwabe vergleichen, deren Wände nichts 
sind als pigmentkörnchenführende, nach aussen zwischen die 
Waben in Form eines aus dünnen Wänden gebildeten Fachwerks 
gleichsam vorgeschobene, wenn auch, wie die starke Lichtbrechung 
im Flächenbilde lehrt, modifizierte Zellsubstanz, die im Flächen- 
bild naturgemäss den Eindruck des Pigmentkörnchen ein- 
schliessenden Netzes macht. Indem die röhrenartigen Proto- 
plasmafortsätze, welche die Waben begrenzen, breit aus dem Zell- 
körper sich erheben, nach aussen sich gleichsam zuschärfend, er- 
scheint zugleich die einzelne Wabe gegen den Zellkörper konvex 


vorspringend. Obwohl die Form der Waben sich im allgemeinen 
37* 


556 Oskar Schultze: 


gleich bleibt, sehen wir doch solche von besonderer Weite (s. 
Fig. 13) und Tiefe (s. Fig. 12) zwischen die übrigen eingelagert. 
Nur im Bereich der spärlichen, mehr und mehr der Rückbildung 
verfallenden Flimmerzellen ist der Saum hie und da unterbrochen 
(s. Fig. 12). 

Viel schwieriger als dieser Saum bei den genannten Anuren 
ist der der Urodelen im Querschnitt zu untersuchen, was schon 
aus der Tatsache zu entnehmen ist, dass das Vorhandensein des 
Saumes bei Urodelenlarven bereits überhaupt angezweifelt worden 
ist. Für die Untersuchung des Querschnittes ist der grösste Teil 
der Oberhaut bei Salamanderlarven ungeeignet, da die Cuticula 
mit Ausnahme der Bauchfläche fast überall von feinsten Pigment- 
körnchen durchsetzt ist, man müsste dann pigmentlösende Reagentien 
in Anwendung bringen. Übrigens ist auch die Cutieula keines- 
wegs an allen Stellen des Integumentes von gleicher Dicke. Sehr 
geeignet ist das Operculum, das sich ausserdem infolge seiner Dünn- 
heit empfiehlt, die man dadurch noch steigern kann, dass man 
dessen Muskel- und Innenepithelschicht vorher durch Spaltung 
entfernt. An dem dünnen Querschnitt des mit Hämatein intensiv 
geschwärzten Präparates sind die den Abschluss der Interzellularen 
bildenden Kittleisten der äusseren Epidermiszellen (Deckzellen) 
deutlich als schwarze Linien imprägniert zu erkennen. Der Saum 
zeigt die bekannte Querstrichelung. Dunklere sehr feine Linien 
finden sich in ziemlich regelmässigen Abständen durch breitere 
hellere Zwischenräume getrennt. Bei der Betrachtung mit der 
Immersion erscheinen die dunkleren Linien jedoch nie so gleich- 
mässig in einer Ebene gelagert, wie dies in Fig. 24 nach der 
Einstellung auf mehrere Ebenen eingezeichnet ist. Dieses Bild 
deckt sich vortrefflich mit dem Flächenbild der Fig. 9, wobei 
zu beachten ist, dass diese mit einem stärkeren Okular als Fig. 14 
gezeichnet wurde. Es unterliegt aber keinem Zweifel, dass wir 
es hier, ebenso wie bei den Anuren, mit einem wabenartigen, 
aus nebeneinander gereihten röhrenförmigen 
Alveolen aufgebauten Saum zu tun haben. Die feinen 
dunklen Querlinien entsprechen den je nach der Einstellung bald 
im Flächenbild bald im optischen Querschnitt sichtbaren dünnen 
Alveolenwänden. Diese Auffassung wird in solchen Fällen noch 
klarer, in denen, wie es unvermeidlich ist, neben genauen 
Querschnitten geringe Schiefschnitte vorliegen. Man sieht hier 


Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 957 


mit der Immersion oft den der Dicke des Schnittes entsprechenden 
Teil des Saumes in schiefer Aufsicht und überzeugt sich auf 
das deutlichste, dass die feinen Querlinien des Durchschnitts am 
freien Durchchnittsrande des Saumes genau in das bei etwas 
tieferer Einstellung schief von der Fläche sichtbare „Oberflächen- 
netz“ übergehen; ebenso sieht man, dass die breiten helleren 
Z/wischenräume zwischen den feinen dunkler erscheinenden Septen 
genau den Maschen des Flächenbildes entsprechen. 

Eine Unterscheidung in eine dem gestrichelten Saum ent- 
sprechende „Pseudocutieula* und eine aufgelagerte „Cuticula* 
wie sie &. Wolff!) ausgehend von der CGuticula des Amphioxus, 
bei Petromyzon und bei Salamandra atra unterschied, erscheint 
mir hier nicht berechtigt. Oft auch erhält man die, auch von 
Flimmerzellen und Darmepithelzellen her bekannten Bilder, in 
welchen die Querlinien oder „Stäbchen“ am freien Rande in. 
kugelförmige Anschwellungen übergehen. An solchen Objekten 
sieht man klar, dass da, wo solche „Knöpfchen“ als dunkle 
Pünktchen vorliegen, diese hier nichts anders sind, als die 
optischen Durchschnitte des freien Randes von Alveolenwänden 
oder Knotenpunkten mehrerer zusammentreffender Alveolenwände. 
Man überzeugt sich mit Sicherheit, dass hier von Stäbchen oder 
Protoplasmafäden mit kugelförmigen Endanschwellungen nichts 
vorhanden ist. Eine wesentliche Vorbedingung für solche das 
Durchschnittsbild mit der Flächenansicht des der Schnittdicke 
entsprechenden schmalen, etwas schief geneigten und je nach der 
Einstellung eine Aufsicht ermöglichenden Teiles des Saumes 
kombinierende Betrachtung ist jedoch, dass man die Paraffin- 
schnitte nach der Fixierung auf dem Objektträger nicht trocknet. 
Denn die — vollends im Wärmeschrank — vorgenommene, dem 
Aufkleben mit Wasser, Alkohol u. a. folgende völlige Auftrocknung 
der Schnitte führt zu einer innerhalb des auch dünnsten Schnittes 
bei Betrachtung mit Immersion höchst störenden Verflachung 
des Bildes und zu einer Zerstörung des auch noch im dünnsten 
Schnitte vorhandenen Reliefs. Man hat sich vielfach an diese 
aufgetrockneten verflachten Bilder ganz gewöhnt. Und doch 
werden sie demjenigen der, wie ich, in folgender Weise vorgeht, 
bald ebenso nur als Notbehelf erscheinen, wie mir. Hierzu kommt 


2) G. Wolff: Die Cuticula der Wirbeltierepidermis. Jenaische Zeit- 
schrift, Bd. 23. 1889. 


558 Oskar Schultze: 


freilich, dass ich ein Feind des Färbens auf dem Öbjektträger 
bin, obwohl sich solches ja nicht völlig vermeiden lässt. Aber 
ich bin überzeugt, dass jeder, der die von mir beschriebene!) und 
sehr viel ausgeübte Doppelfärbung im Stück mit Osmiumchrom- 
hämatein und Alauncochenille versucht hat, zu der Überzeugung 
kommt, dass sie die Objektträgerfärbung für eine grosse Menge 
von Strukturverhältnissen — einschliesslich feiner Zellstruktur — 
ersetzt bezw. übertrifft. Man klebe zwei von völlig gleichen Schnitten 
den einen mit Wasser auf und trockne und „verflache“ ihn auf 
diese Weise, den andern mit Nelkenölcollodium, das den Schnitt 
nicht antrocknet und vergleiche: man wird, wo es sich um feine 
Strukturverhältnisse handelt, dem Aufkleben mit Nelkenöl- 
collodium bei weitem den Vorzug geben. 

Ich komme nun zu der Frage nach der Bedeutung der 
. beschriebenen Saumstruktur. Die Betrachtung der Fig. 11 und 
anderer erinnert ohne weiteres an die bekannten Bilder. die wir 
von dem sekreterfüllten Teil einer Becherzelle kennen, und es 
erscheint sonach, wenn ich mich auch niemals überzeugen konnte, 
dass die Waben des Saumes nach aussen geöffnet sind, zum 
mindesten berechtigt, auch hier die Frage nach einem sekretorischen 
Vorgang zu stellen. Schon F. E. Schulze vermutete einen 
innerhalb der Maschenräume des Leistennetzes bei Pelobateslarven 
sich abspielenden Sekretionsvorgang. Er sagt’): „Eine merk- 
würdige Veränderung tritt durch die Chromsäure - Einwirkung 
an dem cuticularen Grenzsaume der oberen Epidermiszellen auf. 
In jeder der kleinen Maschen des cuticularen Leistennetzes zeigt 
sich ein zentral gelegener ziemlich stark lichtbrechender Körper 
von der Gestalt eines oben abgerundeten unten mit schwacher 
Verbreiterung aufliegenden Zapfens oder Kegels, welcher in vielen 
Fällen sich leicht von dem Grunde der Leistenmaschen ablöst 
und dann als ein kleines eiförmiges Gebilde aus der Maschen- 
lücke herausfallen kann (Taf. II Fig. 10—12). Lässt man auf 
ein überlebendes, eben frisch abgeschnittenes Hautstückchen, 
dessen Cuticularsaum zunächst noch nichts von diesen Körperchen 
zeigt, langsam ein coagulierend wirkendes Reagenz, etwa Chr 0? 
oder Au Cl einwirken, so sieht man, wie sich in jedem Maschen- 
raume der vorher gleichmässig helle Inhalt zu einem zentralen 


') 0. Schultzel.c. 
®) F.E.Schulze: Über die inneren Kiemen etc. |. c. S. 24. 


Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 299 


Coagulum zusammenzieht, und so die eben beschriebenen stark 
lichtbrechenden Klümpchen entstehen. Da ich bei der reinen 
Seitenansicht feiner senkrechter Durchschnitte keine scharf vom 
Plasmakörper der Zelle abgesetzte besondere Basalplatte des 
2 bis 3 a dieken Uuticularsaumes habe wahrnehmen können (Taf. II 
Fig. S u. 10), so bin ich zu der Ansicht gelangt, dass es sich 
hier um ein im Plasmakörper der Grenzzellen ausgeschiedenes 
weiches Sekret handelt, welches die Maschenräume des Leisten- 
netzes des Cuticularsaumes im Leben vollständig ausfüllt, und 
dessen äussere freie Oberfläche direkt vom umgebenden Wasser 
bespült wird“. 

Obwohl ich die von F. E. Schulze hier beschriebenen 
Coagulationserscheinungen nicht verfolgt habe, bin ich doch voll- 
kommen in Übereinstimmung mit ihm, insofern als auch ich hier 
die Bildung eines Sekretes für zweifellos halte, wenn auch 
auf Grund anderer, die Beobachtung F. E. Schulzes er- 
weiternder Angaben. Die Untersuchung des lebenden bezw. 
überlebenden Saumes lässt zwar in zahlreichen Fällen die Waben 
desselben homogen erscheinen. In vielen Fällen beobachtet man 
jedoch in jeder Wabe ein mehr oder weniger glänzendes Korn, 
sodass es nach diesem Befunde am frischen Präparat keinem 
Zweifel unterliegen kann, dass diese Granula vitale Bildungen 
sind. Es ist nur ein Zufall, dass unter meinen hier gegebenen 
Abbildungen, die ich nicht noch vermehren wollte, keine solchen 
Granula nach dem Leben dargestellt zeigt. Die Behandlung mit 
der nicht coagulierend wirkenden Osmiumsäure oder Kalium- 
bichromatosmiumsäure ermöglicht die Konservierung und nach- 
trägliche Hämateinfärbung dieser Granula in trefflicher Weise 
sowohl bei Pelobates- als bei Rana esculenta-Larven. Fig. 15 
zeigt sechs solcher Zellen im Flächenbild des gefärbten und durch 
Abziehen median halbierten Saumes von einer 13 mm langen 
Pelobates-Larve. Instruktiver ist der von der Esculenta-Larve 
in Fig. 14 dünne Flachschnitt der Cuticula einer Zelle und an- 
grenzender Zellteile.. Ergänzend wirkt das in Fig. 25 gegebene 
(Juerschnittsbild, das die in den Waben des Saumes gelegenen 
Granula von einer jungen Rana esculenta zeigt. Im allgemeinen 
gilt, wenn auch nicht immer genau wiederkehrend, folgendes: 
Die kleineren Waben enthalten stärker gefärbte Granula. Die 
grössten sind entweder leer oder sie enthalten eine ganz blass 


560 Oskar Schultze: 


gefärbte Masse. Dazwischen finden wir Übergangstadien, sodass 
man zu der Überzeugung kommt, dass hier, wie in vielen Drüsen- 
zellen, Sekretgranula unter „Aufquellung“* in das Sekret sich 
umwandeln. Wir werden in dieser Auffassung bestärkt, wenn 
wir finden, dass die Deckzellen in ihrem Plasma reichlich mit 
blassen Körnern erfüllt sind, die ich als Vorstadien der oft in 
den Waben gefundenen Granula deute. Fassen wir alles zu- 
sammen, so sind wir berechtigt zu sagen, dass hier innerhalb 
der Epidermisdeckzellen ein Sekretionsvorgang 
stattfindet, der an die weitverbreitete, zumteil enorme ab- 
scheidende Tätigkeit der Oberhaut bei vielen wirbellosen Tieren 
erinnert. Auch denken wir hier an die bei den höheren Wirbel- 
tieren aus den Keratohyalinkörnern der Epidermiszellen hervor- 
gehende Abscheidung des Keratins. 

Es liegt nahe, an Mucinbildung zu denken. Jedoch ver- 
sagen, wie ich. schon in meiner vorläufigen Mitteilung!) bemerkte, 
die üblichen Reaktionen auf Muein vollkommen (Delafields 
Hämatoxylin, Mucinkarmin nach P.Mayer, Thionin nach Hoyer). 

Eine Verallgemeinerung dieser hier geschilderten sekre- 
torischen Bedeutung der Aussencuticula liegt mir jetzt fern: 
jedoch wird man zugeben, dass eine Prüfung auch anderer 
Cutieulae von diesem Gesichtspunkte aus gerechtfertigt ist. Mir 
scheint, dass-.es sich hier bei den Amphibienlarven um einen im 
Verhältnis zu anderen Cutieulae — besonders von Wirbellosen — 
geringeren Ausbildungsgrad einer von der sezernierenden Zelle 
sich weniger emanzipierenden Schicht handelt, die während der 
ganzen Zeit ihres Bestehens ein typischer Zellbestandteil bleibt. 
Mit der Verhärtung des in den Alveolen gebildeten Sekretes 
könnte die bei den Amphibien nicht zur Ausbildung kommende 
Ablösbarkeit und grössere Selbständigkeit des Sekretes, d. h. der 
Cutieula, zur Ausbildung kommen. Der alveoläre Bau könnte bei 
weiterer Ausbildung durch Schwund der plasmatischen Alveolen- 
wände und Verschmelzung der in den Alveolen gebildeten Sekret- 
massen in einen porösen übergehen, sodass (vergl. Fig. 1) nur in 
den Knotenpunkten des Netzes oder, besser ausgedrückt, nur da, 
wo die Wände mehrerer Waben zusammenstossen, die plasma- 
tischen Teile als nunmehr in feinen Röhrchen oder Poren liegende 


5) 0. Schultze: Über Sekretionsvorgänge in Epidermiszellen. Sitzungs- 
bericht der phys. med. Gesellsch. zu Würzburg. 19. Juli 1906. 


Die Aussencutieula der Amphibienlarven. 561 


„Plasmastäbehen* sich erhalten. Die Entwicklung zweifellos 
„poröser“ Cutieulae würde hier Aufschluss geben. Allerdings 
müssen wir auch hier wohl bedenken, dass die Aussencuticulae 
von Wirbeltieren und Wirbellosen gewiss nicht ohne weiteres 
einen Vergleich zulassen. Man denke nur an die zierliche aus 
sich rechtwinklig kreuzenden Fasern aufgebaute Struktur der 
Cuticula eines Lumbrieus. Auch hier hat freilich Sukatschoff') 
ebenso wie bei Hirudo, Aulostomum und im Chitinpanzer von 
Gammarus eine feinwabige Struktur beschrieben. In jedem Falle 
aber glaube ich gezeigt zu haben, dass die Bildung der Aussen- 
cuticula mit typischen, morphologisch nachweisbaren Sekretions- 
vorgängen innerhalb der Deckzellen einhergehen kann und dass 
sie bei den beschriebenen Objekten nichts ist, als ein durch 
die sekretorische Funktion erklärter Zellbe- 
standteil. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XX. 


Fig. 1. Flächenbild der Cutieula in Deckzellen einer 12 mm langen Pelobates- 
Larve. Flossensaum, lebend. Leitz Oc. III, Obj. 7. 

Fig. 2. Zwei Deckzellen mit Cuticula aus dem Flossensaum einer 12 mm 
langen Pelobates-Larve. Osmium-Kaliumbichromat-Alauncochenille- 
Präparat. Vergr. wie Fig. 1. 

Fig. 3. Sechs Deckzellen aus dem Flossensaum einer 65 mm langen Pelobates- 
Larve. Lebend. Vergr. wie Fig. 1 und 2. Die Zellen und Waben 
der Cuticula sind bedeutend kleiner geworden. 

Fig. 4. Vier Deckzellen aus dem Flossensaum einer 15 mm langen Pelobates- 
Larve. Zellgrenzen und Wabenwände durch Argentum nitricum 
dargestellt. Leitz Oc. I, Obj. 7. 

Fig. 5. Osmium-Argentum nitricum - Hydrochinon - Präparat der Deckzellen- 
schicht einer 15 mm langen Pelobates-Larve. Die Reaktion hat 
die Waben der Cuticula nicht überall gleich deutlich kenntlich 
gemacht. Vergr. wie Fig. 4. 

Fig. 6. Cuticula einer 8 mm langen Larve von Rana esculenta; lebender 
Flossensaum in Wasser untersucht. Vergr. wie Fig. 1—9. 

Fig. 7. Flächenbild der Deckzellenschicht des Flossensaumes einer 1,0 cm 

langen Larve von R. esculenta. In der Mitte eine Flimmerzelle. 

Die umgebenden Zellen mit den Waben der Cuticula, deren Wände 

teilweise Pigment-Körnchen enthalten. Osmium-Präparat. Leitz 

Oc. I. Hom. Immers. !/ı2. 


ı, B. Sukatschoff: Über den feineren Bau einiger Cuticulae und 
der Spongienfasern. Zeitschr. f. w. Zoologie. Bd. 66, 1899. 


562 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


8. 


3 


10: 


a 


13, 
. 14. 


. 16— 


24. 


25 


zu). 


Oskar Schultze: Die Aussencuticula der Amphibienlarven. 


Cuticula der Deckzellen einer 16 mm langen Larve von Rana fusca. 
Die Waben sind durch Argentum nitricum nur zumteil sichtbar 
gemacht. 

Flächenbild der Cuticula der Larve von Salamandra maculata. 
Flachschnitt des Operculum. Osmium-Kaliumbichromat-Haematein- 
Präparat. Leitz Oc. III. Hom. Immers. !ı2. 

Querschnitt der Epidermis einer jungen Larve von Pelobates fuscus. 
Osmium-Alauneochenille-Präparat. Vergr. 500. 

Querschnitt der Epidermis einer jungen Larve von Rana esculenta. 
Osmium-Kaliumbichromat-Boraxkarmin. Leitz Oc.I. Hom. Imm. !' 12. 
Querschnitt der Epidermis einer 14 mm langen Larve von Rana 
esculenta. In der Mitte eine in Rückbildung stehende Flimmer- 
zelle. Osmium-Haematein-Präparat. Leitz Oc. Ill. Hom. Immers.'/ı2. 
Querschnitt wie vorher. 

Flachschnitt der Cuticula einer 14 mm langen Larve von Rana 
esculenta. Granula in den Waben. Leitz Oc. III. Hom. Immers.'ı2. 
Flächenbild des Cuticularsaumes einer 13 mm langen Pelobates- 
Larve mit Sekret in den Waben. Osmium - Kaliumbichromat- 
Haematein-Präparat des Flossensaumes. Leitz Oc. III, Obj. 7. 


23. Diese Figuren zeigen je eine Deckzelle gezeichnet bei Ein- 


stellung auf die Cuticula nach Einlegen des der lebenden 1,0 cm 
langen Larve von R. esculenta abgeschnittenen Schwanzes in ver- 
schiedenartige Reagentien, um deren Wirkung auf die Cuticula zu 
prüfen. Es zeigte sich, dass der wabige Bau im allgemeinen gegen 
die verschiedenen Reagentien sich als gleich widerstandsfähig er- 
weist. Die Zeichnungen wurden alle an Präparaten gefertigt, die 
innerhalb eines Tropfens der angewandten Fixierungsflüssigkeit — 
ohne Anwendung von Färbemitteln — lagen. Das Vorhandensein 
bezw. Fehlen der Sekretkörner in den Waben steht in keiner Be- 
ziehung zu der Reagentienwirkung. 
Fig. 16: Chromsäure 0,25°/o. 
Fig. 17: Salpetersäure 3°)o. 
Fig. 18: Sublimat, concentriert. 
Fig. 19: Formollösung 10° o. 
Fig. 20: Alkohol absol. 
21: Osmium 0,5°/o. 
Fig. 22: Chromosmiumessigsäure (starke Mischung). 
23: Kaliumbichromatosmiumsäure. Das Bild nach Fixie- 
rung in Zenkerscher Flüssigkeit gleicht dem der 
Fig. 16. 
Querschnitt der Epidermis mit Cuticula des ÖOperculum einer 
Salamander-Larve von 3,0 cm Länge. Kaliumbichromatosmium- 
säure-Haematein. Leitz Oc.I. Kom. Immers. !jı.. 
Querschnitt der Epidermis mit Cuticularsaum einer 14 mm langen 
Larve von Rana esculenta. Behandlung und Vergr. wie Fig. 24. 


563 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 


Von 
M. U. Dr. Wilhelm Kose, Dresden. 


Hierzu Tafel XXI—XXIII und 1 Textfigur. 


Erster Teil. 
1. Einleitung. 


In der Geschichte der sog. „Nebenniere“ der Autoren 
sind zwei grosse Perioden zu verzeichnen. Bis auf Kohn be- 
trachtete man ganz allgemein die Zellen der „Marksubstanz“ 
als eigene, der „Nebenniere“ zukommende Elemente und 
nahm überdies noch eine Umwandlung von Rinden- in Mark- 
zellen an. Damals schon kannte man bereits viele von der 
„Nebenniere“ völlig getrennte und dem sympathischen 
Nervensysteme angeschlossene Gruppen von „Marksubstanz“. 
Schon dieser Namen deutet darauf hin, in welcher Weise mau 
sich dies Vorkommen zu erklären versuchte. Man betrachtete 
alle diese Zellanhäufungen eben nur als versprengte Mark- 
substanz der Nebenniere. Auch entwicklungsgeschicht- 
liche Untersuchungen, die den Ursprung der sogenannten „Mark- 
substanz“ der Nebenniere aus den Anlagen sympathischer 
Ganglien demonstrierten, beirrten die Forscher nicht in ihrer 
Auffassung. 

Erst Kohn stellte sich durch seine aus zahlreichen Unter- 
suchungen gewonnene Theorie in einen direkten Gegensatz zu 
dieser allgemein angenommenen Meinung. Es liegt nun nicht 
im Plane meiner Arbeit, eine chronologische Darstellung der 
sämtlichen diesbezüglichen Arbeiten aller Autoren zu geben; 
auch wäre dies überflüssig, da Kohn in seinen Publikationen, 
besonders aber in „Die Paraganglien“ (9) und „Das 
chromaffine Gewebe“ (10) sich dieser Aufgabe in einer 
übersichtlichen und erschöpfenden Art und Weise entledigt hat. 
Ich verweise daher hier auf diese Arbeiten. Es sei mir aber an 
dieser Stelle gestattet, nur in grossen Zügen die prinzipielle 
Wandlung in der Beurteilung der sog. „Marksubstanz“ der 
„Nebenniere“ hervorzuheben. 


564 Wilhelm Kose: 


Die Publikationen Kohns erweckten das lebhafteste Inter- 
esse an der Entscheidung der Frage nach dem geweblichen 
Charakter der sog. „Marksubstanz“. Es folgten nun eine 
ganze Reihe von weiteren Untersuchungen und es wurden nicht 
bloss alle Wirbeltierklassen, sondern auch die Wirbellosen mit in 
den Bereich der Betrachtungen gezogen. 

Die Lösung der schwebenden Fragen wurde sowohl durch 
histologische und entwicklungsgeschichtliche Methoden als auch 
auf experimentell physiologischem Wege versucht; pathologische 
Erfahrungen wurden ebenfalls hierzu verwertet. Nur die 
Histologie des chromaffinen Gewebes der Vögel 
erfuhr bis jetzt keine eingehende Berücksichtigung. Meine Arbeit 
soll nun versuchen, diese Lücke in dem sonst ziemlich ge- 
schlossenen Ringe von Untersuchungen auszufüllen. Ich be- 
schränke mich in ihr ausschliesslich auf die Histologie 
des chromaffinen Gewebes und kann daher nur die in 
dieses Gebiet gehörigen Arbeiten, nicht aber auch die ent- 
wicklungsgeschichtlichen Untersuchungen eingehender berück- 
sichtigen. Aus der Fülle der Abhandlungen der anderen Autoren 
werde ich, sofern sie die Vögel nicht zum Gegenstande haben, 
nur jene gelegentlich hervorheben, die zur Erklärung meines 
eigenen Standpunktes dienen können. Ich hatte ursprünglich 
die Absicht, noch viel mehr Material von Vögeln zu bearbeiten, 
und es liegt auch schon mindestens ein dreimal so reiches 
schnittfertig im Paraftin. Allein manche Untersuchungen, so Z. BD. 
die vielen spezifischen Bindegewebsfärbungen und die nach- 
trägliche Durchmusterung der Serien mit den stärksten Ver- 
grösserungen, nahmen so viel Zeit in Anspruch, dass mir die 
vollständige Ausführung meines ursprünglichen Planes unmöglich 
wurde, wollte ich die Publikation nicht auf unbestimmte Zeit 
hinausschieben. Die dadurch entstandenen Lücken in meiner 
Arbeit sind mir gar wohl bekannt, doch hoffe ich durch diesen 
Hinweis eine Entschuldigung für sie gefunden zu haben. 

Und nun wende ich mich den! Arbeiten Kohns zu, die 
einen Wendepunkt in der Entwicklung der Ansichten über das 
sog. „Mark der Nebennieren“ bedeuten. Es ist am besten, 
ich lasse ihn für sich selbst sprechen. „Die Paraganglien“ 
(9) Seite 263—265: „Die Stellung der Marksubstanz der 
Nebenniere war in Dunkel gehüllt. Seit Henle (32) wusste man, 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 565 


dass sich ihre Zellen in Chromatlösungen braun färben. Über 
ihre Entwicklung ‚gingen die Meinungen auseinander, über ihr 
eigentliches Wesen war nichts Zuverlässiges zu ermitteln. 

Es gelang auch mir nicht, die Zellen der Marksubstanz 
auf eine der bekannten Zellarten zurückzuführen. Da half ich 
mir in der Weise, dass ich für sie einen neuen Typus begründete, 
die chromaffine Zelle. Ich habe aber den neuen Namen 
nicht gewählt, um damit bloss die bekannte Chromreaktion mehr 
hervorzuheben, sondern hauptsächlich darum, um diese Zelle 
durch eine besondere Bezeichnung von den anderen Zellformen 
zu unterscheiden, um sie alseine neue Zellart den bekannten 
Zelltypen gegenüberzustellen. Ausser der Epithelzelle, der Binde- 
substanzzelle, der Muskel-, der Nervenzelle usw. haben wir noch 
besonders zu unterscheiden die chromaffine Zelle. 

Ihre fundamentalen Verschiedenheiten von allen bekannten 
Zellarten und ihre spezifischen Besonderheiten rechtfertigen die 
Forderung, ihr eine Sonderstellung einzuräumen. Ihre Eigen- 
art ist ausgeprägt in ihrer besonderen Abkunft, ihrem morpho- 
logischen Habitus, ihrer Anordnung, inren Reaktionen und Lage- 
beziehungen und in dem besonderen Charakter des Gewebes und 
der Organe, deren Bauelement sie ist. 

Die chromaffinen Zellen stammen von Elementen des Nerven- 
systems ab, aus den embryonalen Anlagen der sympathischen 
Ganglien. Sie sind also eigentlich nahe Verwandte der sym- 
pathischen Ganglienzellen, von denen sie sich aber in ihrem 
weiteren Entwicklungsgange sehr unterscheiden. Es enthalten 
demnach jene Zellkomplexe, die man ungenau als die Anlagen 
der sympathischen Ganglien bezeichnet, neben den Keimen für 
die sympathischen Ganglien auch noch jene für die chromaffinen 
Körper, die ich Paraganglien nannte. 

Diese ursprüngliche Verwandtschaft hinterlässt deutliche 
Spuren. Die chromaffinen Zellen und Organe bewahren nahe 
Beziehungen zum sympathischen Nervensystem.“ 

Seite 265. (9): „Da die chromaffinen Gewebskomplexe 
ganglienartige Körper bilden, da ihre Elemente aus Ganglien- 
anlagen entstehen, da sie an das sympathische Nervensystem 
gebunden erscheinen und doch keine echten Ganglien sind, habe 
ich sie auch „Paraganglien“ genannt. Man kann also 
Paraganglia intercarotica, suprarenalia, aortica abdom. etc. unter- 


566 Wilhelm Kose: 


scheiden.“ Weiter unten Seite 265: „Auf diesem Wege war 
ich dahin gelangt, eine neue Zellart — die chromaffine 
Zelle, eine neue Gewebsform — das chromaffine Ge- 
webe, einen neuen Organtypus — diechromaffinen Organe 
oder Paraganglien — aufzustellen.“ 
Kohn erbrachte nun in seiner Arbeit „Die Paraganglien“ 
(9) für die Säugetiere den noch von keiner Seite ge- 
lieferten Beweis, dass nicht bloss die Zellen der sog. „Mark- 
substanz der „Nebenniere“, sondern alle chromaffinen 
Zellen, wo immer sie sich auch finden mögen, ausnahmslos 
aus embryonalen Anlagen der sympathischen Ganglien entstehen. 
Infolgedessen kann fortan kein Zweifel mehr an der Gleich- 
wertigkeit aller chromaffinen Zellanhäufungen bestehen. Waren 
auch durch diese Ergebnisse die chromaffinen Zellen ihrer bis- 
her angenommenen genetischen Zugehörigkeit zur „Rinde“ der 
„Nebenniere“ (eigentliche Nebenniere nach Kohn) vollkommen 
entkleidet, so ergab sich nun die nicht minder schwierige Frage 
nach ihrer Stellung unter den bereits bekannten Gewebstypen. 
Kohn (9) sagt auf Seite 349: „Wo soll also das chromaffine 
Gewebe eingereiht werden ? Seiner Herkunft nach steht es dem 
nervösen Gewebe nahe; sein definitiver Bau ist aber ein vor- 
wiegend zelliger. Es ist kein nervöses Gewebe im ge- 
wöhnlichen Sinne, da seine Zellen keine Nervenfortsätze besitzen 
und auch nicht einmal ausschliesslich in echten nervösen Organen 
vorkommen ; es ist auch kein epitheliales Gewebe, weil 
es nicht von einem Epithel, sondern aus hochdifferenziertem, 
sympathischem Gewebe abstammt und weder in seiner Anordnung 
noch in seinem feineren Bau dem Fpithelcharakter entspricht. 
Es ist ein Gewebe sui generis, das unter keinen der 
bekannten Gewebstypen eingereiht werden kann; 
es repräsentiert selbst einen neuen Gewebstypus.“ 
Durch diese Auffassung stellt sich aber Kohn in Gegensatz zu 
den meisten der neuesten Autoren. Er sagt auf Seite 346 (9): 
„Sehr schroff stehen die Meinungen betrefis des morpho- 
logischen Charakters der Paraganglien einander gegenüber. 
Ich hatte von allem Anfange an die Meinung vertreten, 
dass die chromaffinen Körper Organe eigener Art seien, 
Derivate der embryonalen sympathischen Ganglienanlagen, die aber 
bei voller Entwicklung sowohl von den Ganglien, als 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 567 


auch von allen anderen Organen durchaus unter- 
schieden werden müssen. Man dürfe sie auch nicht 
den epithelialen Organen oder gar den Drüsen zu- 
rechnen, wenn ihnen auch ihr zelliger Bau eine gewisse ober- 
tlächliche Ähnlichkeit mit Epithelgebilden verleiht. 

Diese Auffassung wird nur von wenigen Autoren geteilt: 
fast alle bezeichnen das Gewebe der chromaffinen Organe als 
ein epitheliales oder drüsiges, oder schreiben ihm — ohne 
weitere Berücksichtigung der besonderen Bauart — auf Grund 
physiologischer Experimente eine innere Sekretion zu.“ 

Die sichere Entscheidung dieser strittigen Frage ist bis 
heute nicht gefallen. Für beiderlei Ansichten lassen sich eine 
Menge von Befunden als Stütze anführen. Überblicke ich meine 
eigenen Beobachtungen in der Absicht, sie in diesem oder jenem 
Sinne zu verwerten, so muss ich offen eingestehen, dass sie es mir 
nicht gestatten, einen ganz bestimmten Standpunkt einzunehmen. 
Ich kann es aber nicht leugnen, dass mir die histologischen und 
cytologischen Eigenschaften des chromaffinen Gewebes beim Vogel 
weit mehr für als gegen eine sekretorische Taler, 
der chromaffinen Zellen sprechen. In erster Linie 
wäre hier auf ihre auffallende Verbindung mit dem Gefäss- 
systeme hinzuweisen. Die innige und gesetzmässige Lagebeziehung 
des chromaffinen Gewebes zum sympathischen Nervensysteme 
erweckte ja auch in Kohn den Gedanken einer genetischen 
Zusammengehörigkeit beider. Meiner Meinung nach muss die 
mindestens ebenso gesetzmässige und innige Ver- 
bindung der chromaffinen Zellen mit den Blut- 
gefässen zum Nachdenken anregen. — Ihr regelmässiges 
Vorkommen innerhalb der verschiedensten Paraganglien, mögen 
diese nun mit dem sympathischen Nervensysteme verbunden sein 
oder nicht, böte an und für sich noch nicht so viel Charakte- 
ristisches, um daraus allein schon eine sekretorische Tätigkeit 
. der cbromaffinen Zeilen zu erschliessen. Es ist vielmehr der 
unverhältnismässig grosse Gehalt an Kapillaren und 
Venen und die Lagebeziehung der einzelnen chromaffinen 
Zellen zu diesen, die hier bestimmend wirken können. Die 
Kapillaren und Venen bilden ganz besonders schön im Para- 
ganglion caroticum bei der Krähe ein dichtes Netz 
zwischen den chromaffinen Zellen, so dass nur kleine Gruppen 


568 Wilhelm Kose: 


von ihnen überall von den Blutgefässen umgeben sind. Studiert 
man die Lage der chromaftinen Zellen der verschiedensten Para- 
ganglien genauer, so sieht man, wie die einzelnen Zellen entweder 
dem dünnen Gefässendothel unmittelbar anliegen, oder wie sich 
nur einige dünne bindegewebige Fäserchen zwischen beide ein- 
schieben. Ich muss aber hier ausdrücklich hervorheben, dass 
durchaus nicht alle chromaffinen Zellen den Gefässen auf diese 
Weise unmittelbar anliegen. Sie bilden vielmehr in den ver- 
schiedensten Paraganglien häufig kleinere und -grössere Zell- 
gruppen, bei denen die Gefässe bloss in ihrer Peripherie verlaufen. 

Wenn ich mich nun frage, ob diese Anordnung der chrom- 
affınen Zellen sich mit einer sekretorischen Tätigkeit der letzteren 
vereinigen lässt, so muss ich folgendes sagen: Alle jene Zellen, 
die dem Gefässendothel direkt aufliegen, könnten ihr Sekret nach 
Art einer Drüse mit innerer Sekretion leicht in das Gefässlumen 
abgeben. Tatsächlich findet man im Innern vieler Venen des 
Paraganglion suprarenale Granula, die infolge ihres morpho- 
logischen Aussehens jenen der chromaffinen Zellen auffallend 
ähnlich sind. Ich komme später nochmals auf diese Tatsache 
zu sprechen Bei allen jenen chromaffinen Zellen, welche 
weiter von den Blutgefässen entfernt liegen, muss erst der 
einwandfreie Beweis erbracht werden, auf welchem Wege ein 
eventuell gebildetes Sekret in die Blutbahn gelangen könnte. 
Es ist mir nach der Methode von Heidenhain nicht mit Sicher- 
heit gelungen, typische interzelluläre Sekretkapillaren zwischen 
den chromaffıinen Zellen nachzuweisen. Dafür ist hier das ganze 
bindegewebige Stützgerüste von einem weitverzweigten und bis 
zwischen die einzelnen chromaffinen Zellen sich erstreckenden 
Systeme von Lücken und Spalten durchzogen, von dem ich 
annehme, dass es der Abfuhr eines spezifischen 
Zellsekretes dient. Dieser histologische Befund wird bei 
Beschreibung des Paraganglion suprarenale genau geschildert 
werden. 

Weit mehr noch als der auffallende Gefässreichtum der 
verschiedenen Paraganglien spricht folgende Tatsache für eine 
sekretorische Tätigkeit der chromaffinen Zellen. Es ist ja bekannt, 
dass innerhalb des sympathischen Nervensystemes ganz ver- 
einzelte chromaffine Zellen vorkommen. Die grösste Mehrzahl 
von ihnen war nun ebenfalls Kapillaren unmittelbar angeschlossen. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 569 


Besonders schön konnte man häufig die quergetroffene Kapillare 
von dem hüllenlosen Plasmaleib der einzelnen chromaffinen Zellen 
halbmondförmig umgeben sehen. Ich gebe gerne zu, dass eine 
gewisse Anzahl dieser isolierten chromaffinen Zellen mitten unter 
den Ganglienzellen oder Nervenfasern liegt, ohne dass der 
Nachweis von Kapillaren in ihrer Nähe gelingt. Bedenkt man 
aber, dass die Kapillaren oft so dünn sind, dass gerade nur ein 
einziges rotes Blutkörperchen in ihnen Platz hat, so werden sich 
viele von den ersteren, besonders wenn sie quergetroffen und 
noch dazu kollabiert sind, gewiss der Beobachtung entziehen. 
Trotzdem gibt es unter diesen vereinzelten chromaffınen Zellen 
solche, die z. B. Ganglienzellen unmittelbar anliegen 
und bei.denen man doch den Eindruck erhält, dass sie nicht 
mit Kapillaren in Verbindung stehen. 

Ganz abgesehen von der gesetzmässigen Verknüpfung der 
chromaffinen Zellen mit dem Blutgefäss-System, die auch darin 
noch ihren Ausdruck findet, dass die Wand der verschiedensten 
abdominalen Arterien und Venen von zahlreichen Para- 
ganglien durchsetzt sein kann, sprechen mir für eine sekretorische 
Tätigkeit der chromaffinen Zellen die weitgehenden Differenzen 
in der Grösse und Struktur ihrer Kerne, ferner die auffallenden 
Schwankungen in der Färbbarkeit des Plasmas der verschiedenen 
Zel.en mit den diversen Kern- und Plasmafarbstoffen, die häufig 
auftretende Vakuolisierung der Zellen. die oft zu ihrer fast 
vollständigen Unkenntlichkeit führen kann und endlich 
die Bereitung ganz spezifischer Granula im Plasma (Huhn, Taube). 
Alle diese Struktureigentümlichkeiten werden später genau be- 
sprochen werden. 

Wenn ich nun zum Schlusse meiner eigenen Überzeugung 
Ausdruck gebe, so muss ich sagen: Ich fühle mich mit Kohn 
und den meisten anderen Autoren eines Sinnes in der Auffassung 
der chromaffinen Zellen als eines von den „Rindenzellen 
grundverschiedenen Zelltypus“ (Kohn). Überblicke ich 
aber die Summe der von den verschiedenen Autoren angegebenen 
morphologischen Kennzeichen der chromaffinen Zellen im Zu- 
sammenhange mit den von mir beim Vogel beobachteten histo- 
logischen und ceytologischen Details, dann kann ich mich, trotz 
der von Kohn (9), Seite 345—349 gegen eine solche Auffassung 


vorgebrachten schwerwiegenden Einwände, der Überzeugung nicht 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 38 


570 Wilhelm Kose: 


entziehen, dass es sich bei den chromaffinen Zellen 
doch um sekretorisch tätige Zellen handeln muss. 

Das letzte und entscheidende Wort werden hier wohl die 
physiologischen Experimente zu sprechen haben. Kohn selbst 
schenkt den bisher erzielten experimentellen Erfolgen seine grösste 
Beachtung, nur verlangt er, bevor aus ihnen bindende Schlüsse 
gezogen werden, noch eine einwandfreie Wiederholung dieser 
Versuche. Das chromaffine Gewebe ist eben ein Gewebe „sui 
generis“, das eine eigenartige Stellung unter allen anderen bekannten 
Geweben einnimmt und daher auch in funktioneller Beziehung 
seine ganz besonderen Eigenheiten besitzen wird, die nicht 
von dem gewöhnlichen Standpunkte aus beurteilt 
werden dürfen. 

Den gesamten Stoff teile ich nun in drei grössere Abschnitte 
ein. Auf diese Weise werden das Paraganglion suprarenale, 
das Paraganglion caroticum urd endlich alle übrigen 
Paraganglien der Reihe nach besprochen werden. 


2. Material. 


Das gesamte von mir untersuchte Material war folgendes: 


I. Paraganglion caroticum. 
A. Von beiden Halsseiten. 


© 
RA 
wD 


Zeisige 4 (Fringillus spinus L.), 
Gimpel 2 (Pyrrhula europaea), 
Kreuzschnabel 2 (Loxia curvirostra), 
Würger 2 (Lanius collurio), 

alte Krähe 2 (Corvus frugilegus), 
junge Nestkrähe (Corvus frugilegus), 
Käuzchen Z (Athene noctua), 

junge Nestdrossel (Turdus musicus), 
zwei Monate alte Drossel 2 (Turdus musicus), 
alter Hahn (Gallus domesticus) d, 
alte Hennen (Gallus domesticus) 2. 


Key 
[89] 


je} 
Du 
Da A 


B. Von nur einer Halsseite. 
erwachsene Henne (Gallus domesticus) 9, 
alte Taube 2 — links — (Columba 1. domestica), 
alte Krähe 3 — links — (Corvus frugilegus), 
alte Kreuzschnäbel d — links — (Loxia curvirostra), 


mE 
— 
Ve et 


je? 
m 
[89) 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 


& 
— 
1‘ 
St 
—1 
je 


alter Fink & — rechts — (Fringilla coelebs), 
junge Wasseramsel — rechts — (Cinelus aquaticus Brehm). 


lm) 
— 
je 


II. Paraganglion suprarenale. 
A. Von beiden Seiten. 


a) 3 junge, noch blinde Nestkrähen (Corvus frugilegus), 
b) 1 junger Hahn Z (Gallus domesticus), 

ec) 1 alte Taube 2 (Columba 1. domestica), 

d) 1 Käuzchen Z (Athene noctua), 

e) 2 junge Nestdrosseln (Turdus musicus), 

f) 1 zwei Monate alte Drossel 2 (Turdus musicus), 

g) 1 alter Kreuzschnabel (Loxia eurvirostra), 


h) 1 alter Würger 2 (Lanius collurio), 
ı) l alter Zeisig (Fringillus spinus L.), 
k) 1 alter Fink (Fringilla coelebs) 4, 
l) 2 alte Amseln (Turdus merula L.). 
B. Von nur einer Seite. 
1 junge und 5 alte Hennen (Gallus domesticus) 2. 


III. Grenzstränge. 
A. Diverse Ganglien des Halssympathicus. 
a) Ganglion cervic. suprem. 
2 Nestdrosseln (Turdus musicus), 
1 Nestkrähe (Corvus frugilegus), 
1 alter Würger 2 (Lanius collurio). 


b) 6 Ganglien des innerhalb der Querfortsätze der 
Halswirbelsäule gelegenen Grenzstranges. 
1 alte Krähe (Corvus frugilegus). 
B. Diverse Brust-Grenzstrangganglien. 
a) 1 blinde Nestkrähe (Corvus frugilegus), 
b) 1 eben flügge Krähe (Corvus frugilegus), 
c) 2 alte Krähen (Corvus frugilegus), 
Il alter Fink & (Fringilla coelebs), 
e) 5 junge Nestdrosseln (Turdus musicus), 
ft) 1 alte Taube (Columba 1. domestica), 
g) 1 alte Henne (Gallus domesticus). 
C. Diverse Bauch-Grenzstrangganglien. 
a) 4 junge, noch blinde Nestkrähen (Corvus frugilegus), 


b) 1 junge Nestdrossel (Turdus musicus), 
38* 


572 Wilhelm Kose: 


c) 2 junge Nestamseln (Turdus merula L.), 
d) 1 alter Würger 2 (Lanius collurio), 
e) 1 alte Schwalbe (Hirudo rustica, domestica). 


3. Methoden. 
I. Fixierung, Härtung, Einbettung. 

Die Erzielung einer deutlichen Gelbfärbung der chromaffinen 
Zellen ist zum Studium ihrer Verbreitung im Körper durchaus 
notwendig. Aus diesem Grunde wurden die meisten Präparate 
in Chromatlösungen fixiert. Folgende Fixierungsflüssigkeiten 
kamen zur Anwendung: 

1. Reine Müllersche Flüssigkeit. 

2. Reines 3°/o Kaliumbichromat. 

3. Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1 (Formalin conc. 40 °/o). 

4. 3°/o Kaliumbichromat 9: Formol 1. 

5. Müllersche Flüssigkeit 100 :: Eisessig 5 ccm. 

6. 3°/o Kaliumbichromat 100: Eisessig 5 cem. 
Die Fixationsdauer betrug bei Nr. 1—6 stets 3—10 Tage. 

7. Zenkersche Lösung. Dauer 3—7 Tage. 

8. Konzentrierte Sublimat-Kochsalzlösung. Dauer 6—24 Stunden. 

9. Carnoysches Gemisch (6 Alkohol absolutus [99,8°/o] — 
3 Chloroform — 1 Acid. acetic. pur. conc.). Dauer 4—5 Std. 

10. Alkohol absolutus (99,8 °/o, Gewichtsprozent). 

11. Flemmingsche Lösung. 

Die besten Resultate, mit denen sich alle anderen nicht 
messen können, erzielte ich stets mit der Müller-Formol- 
lösung; Kaliumbichromat-Formol gab fast genau so gute Bilder. 
Erst in zweiter Reihe sind dann zu nennen: Müller- oder 
Kaliumbichromat-Eisessig, Zenker, Sublimat-Kochsalz und schliess- 
lich Carnoy und Flemming. Reine Müllersche Flüssig- 
keit konserviert die chromaffinen Zellen auch nicht schlecht, 
reines Kaliumbichromat 3°/o macht dagegen schon merk- 
liche Schrumpfungen. 

Ganz abgesehen davon, dass die Zellformen in Müller- 
Formol am besten erhalten werden, stelle ich dieses Fixierungs- 
gemisch auch darum an die Spitze aller anderen, weil erstens 
ein längeres Verweilen der Präparate in ihm diesen nicht schadet 
und zweitens sämtliche Nachfärbungen am besten gelingen. 
Kaliumbichromat-Formol verhält sich diesbezüglich ähnlich. Die 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 573 


Fixation mit Sublimat-Kochsalz oder Alkohol absolutus vereitelte 
oft vollständig die Bindegewebsfärbungen. Ein Nachteil aller 
Essigsäure enthaltenden Mischungen war die dabei auftretende, 
vollkommene oder fast vollständige Farblosigkeit der chromaffinen 
Zellen. Diese Eigenschaft teilen also die chromaffinen Zellen 
des Vogels mit jenen der Säugetiere. Zum Studium feiner 
Plasmastrukturen innerhalb der chromaffinen Zellen erwiesen 
sich auch diese Flüssigkeiten manchmal als vorteilhaft. 

Sämtliche Präparate befanden sich, von ihrer Herausnahme 
aus dem Tierkörper angefangen, während der ganzen Nach- 
behandlung bis zum Einlegen in das Paraffin stets in einem voll- 
kommen finsteren Kasten. Um sie in den obersten Schichten der 
verschiedenen Medien schwebend zu erhalten, verwendete ich mit 
grösstem Vorteile die Fairchildschen Porzellanzylinder. Diese 
sind in fünffacher Grösse bei der Firma Leitz in Berlin erhältlich. 

Aus den Fixierungsflüssigkeiten kamen die Präparate in 
steigenden Alkohol 30, 40, 50, 60, 70, 80, 90, 96°/o, dann in 
Alkohol absolutus 99,8%, der mindestens dreimal gewechselt 
wurde, Alkohol-Xylol, Xylol, Xylol-Paraffin, reines Paraffın. Sämt- 
liche Präparate wurden in Paraffin eingebettet und für gewöhnlich 
in Serienschnitte von 10 oder 5 « zerlegt. Seltener wurden 
dünnere (3 «) oder dickere (15—20 «) Schnitte angefertigt; 
letztere hauptsächlich aus dem Grunde, um sich über den weiteren 
Verlauf von bindegewebigen und elastischen Fasern zu orientieren. 
Da ich zum Einbetten stets eine Mischung von drei Teilen 
Paraffin 58° C und einem Teil Paraffin 52° C verwendete, ge- 
langen mir selbst im Sommer die 3 « dicken Schnitte fast immer 
ohne weiteres. Selten nur bediente ich mich zu letzterem Zwecke 
‚der von C. Rabl!) oder Mark?) angegebenen Methoden. Die 
Schnitte wurden entweder mit reinem destillierten Wasser, 
30°/o Alkohol, oder aber nach Mayer mit Eiweiss-Glyzerin auf- 
geklebt und in Canadabalsam, Xylol-Damarlack oder Terpentin- 
Colophonium (Grübler) eingeschlossen. 

II. Färbung. 
Zum Durchfärben der ganzen Stücke verwendete ich ent- 


weder Cochenille-Alaun in der von C. Rabl angegebenen Zu- 
sammensetzung oder Hämalaun (Mayer) in der Verdünnung 3 


'!) C. Rabl, Zeitschr. f. wiss. Mikroskopie, 11. Band, 1894, p. 170. 
?) Mark, Amer. Natural., Vol. 19, 1885, p. 628. 


574 Wilhelm Kose: 


oder 2:1 Aqua destillata, ferner Parakarmin (Mayer). Letzteres 
färbte aber nach den Fixierungen mit Chromatlösungen viel zu 
schwach und wurde daher auch nicht oft verwendet. 

Behufs Nachfärbung einzelner Schnitte wurden zur all- 
gemeinen Orientierung Doppelfärbungen mit Hämatoxylin (Dela- 
field)- Eosin oder Hämatoxylin - Pikrinsäure in Anwendung 
gebracht. Zu ganz speziellen Färbungen des Paraganglion 
caroticum und suprarenale dienten folgende Methoden: 


A. Färbungen des Plasmas der chromaffinen Zellen. 
«) Kernfarbstofte. 

Hämatoxylin (Delafield), Bismarckbraun, Methylgrün, 
Thionin, Neutralrot (schwach rötliche Lösung in 0,15 °/o Koch- 
salzlösung; Färbungsdauer ein- bis zweimal 24Stunden), Cochenille, 
Saffranin, Hämatoxylin-Eisenalaun nach M. Heidenhain. Be- 
treffs der Färbung mit Saffranin will ich nur bemerken, dass ich 
mit der von Stöhr!) angegebenen Mischung und einer Färbungs- 
dauer von fünf Minuten bis eine Stande keine Färbung des 
Plasmas erhielt, dagegen um so schönere Resultate mit der von 
Pfitzner?) angegebenen Lösung und einer Färbungsdauer von 
24 Stunden. Es handelte sich dabei stets um dieselben 
Schnitte. 

ß) Plasmafarbstoffe. 


Bleu de Lyon (ganz schwachblaue Lösung — Dauer ein- bis 
zweimal 24 Stunden), Pikrinsäure, Orange G, Eosin (1°/o Stamm- 
lösung — die Verdünnung wurde stets ausprobiert). Säure- 
fuchsin 1:500 Aqua destillata, Säurefuchsin-Pikrinsäure (siese Binde- 
gewebsfärbungen), Ehrlich-Biondi-Heidenhain, Triacid 
(Mayer).’) 

Das Biondi-Ehrlieh-R. Heidenhainsche Gemisch be- 
zog ich von Grübler in fester Form und löste es genau nach 
der Vorschrift auf. Die Resultate waren recht brauchbar. Das 
Orange der Blutkörperchen und das Methylgrün der Kerne kamen 
neben dem Fuchsin, das allerdings etwas stark hervortrat, dennoch 
gut zur Geltung. Weniger gute Erfahrungen machte ich mit 
dem Triacid-Mayer. Hier wurde die gewünschte Farben- 


!) Lehrbuch der Histologie, 11. Auflage. 
>) Böhm und Oppel, Taschenbuch. 4. Auflage. Seite 62. 
3) Grundzüge der mikroskopischen Technik, 2. Auflage, Seite 212. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. au 


differenzierung infolge einer Überfärbung seitens des Säurefuchsins 
unmöglich. 
B. Spezifische Bindegewebsfärbungen. 
1. Hansen. — Anatom. Anzeiger, 15. Bd., Seite 151—153. 
2. Schaffer. — Böhm u. Oppel, Taschenb., 4. Aufl., $ 323. 


3. Freeborn. — Böhm und Oppel, Taschenbuch, 
4. Auflage, S 323. 

4. Mallory. — Stöhr, Lehrbuch der Histologie, 8. Auflage, 
Seite 8 und 24. 

Salnna, 


a) Polychrom. Methylenblau - neutr. Orcein. Seite 693. 
b) Orcein - polychr. Methylenblau-Glyzerinäther. S. 694. 
ce) Polychrom. Methylenblau-Säurefuchsin-Tannin. S. 690. 
d) Säurefuchsin-Pikrinsäure (Modifikation der v. Gieson- 
schen Methode). Seite 692. 
e) Säurefuchsin-Orange. Seite 694. 
f) Wasserblau-Orcein. Seite 695. 
a- f Eneyklopädie der mikroskopischen Technik. 
&) Karbolfuchsin - Tannin - Wasserblau. (Methode für 
basophiles Kollagen.) — (Joseph und Löwen- 
bach. — Dermatohistologische Technik, 3. Aufl., S. 72.) 
6. Holmgren. 
a) Toluidinblau-Erythrosin. — Anat. Anz., 16. Bd., S. 389. 
b) Thiazinrot R-Toluidinblau. „ el 7, 
Von allen diesen Methoden eigneten sich für die Vögel 
nur die von Hansen, Schaffer, Unna (d), Freeborn und 
Mallory. Ich werde darauf bei Besprechung der Verteilung 
des Bindegewebes im Paraganglion caroticum und Paraganglion 
suprarenale noch genauer zurückkommen. Bei allen diesen 
Methoden habe ich mich stets peinlichst an die von den Autoren 
angegebenen Vorschriften gehalten und nur im Falle des Miss- 
lingens einer Färbung diese verschiedentlich variiert. 
C. Elastische Fasern. 
1. Weigerts Resorzin-Fuchsin (von Grübler in Lösung 
bezogen). Färbungsdauer 1—2— 24 Stunden. 
2. Unnas .Orcein. 
Orcein für elast. Fasern 0,3 gr. 
Alkohol 70°/o 100,0 
Acid. hydrochlor. pur. 3,0 


» 


” 


Wilhelm Kose: 


[eb | 
a 
(op) 


Färbedauer 24 Stunden. Mit beiden Methoden erzielte 
ich in Sublimat - Kochsalz und in Müller-Formol fixierten 
Präparaten stets nur beste Resultate. 

D. Methylenblaufärbungen. 
1. Injektion von !/2”/o Methylenblau rectif. Ehrlich 
in die Carotis communis. Blosslegen der Halsorgane und 
1—24 Stunden im Körper liegen gelassen. 

2. Pikrinsaures Ammonium !/s—2—24 Stunden. 

Oder aber ich nahm die Halsgefässe samt den Epithel- 
körpern und der Thyreoidea heraus, befeuchtete sie fortwährend 
neu durch !/—1 Std. mit einer !/ıo°/o Methylenblaulösung, die 
im Thermostat auf 35° C. erwärmt wurde, und stellte auch die 
Präparate während der ganzen Dauer des Versuches in den 
Wärmekasten. Im Anschlusse an die Nachbehandlung mit pikrin- 
saurem Ammonium konnte man unter dem Mikroskope schöne 
Nervenfärbungen wahrnehmen. Ihre Verteilung im Innern des 
Paraganglion caroticum war aber auf diese Weise nicht zu ver- 
folgen. Hier konnten nur Schnittpräparate Aufklärung bringen. 
Ich machte nun oft den Versuch, die Objekte in Paraffın einzu- 
betten, doch stets mit vollkommen negativem Erfolge. 
Bis auf wenige Fäserchen hatten sich alle Nerven vollkommen 
entfärbt. Ich befolgte dabei genauestens die von Bethe!) ange- 
gebenen Vorschriften. Die Nachbehandlung der Präparate erfolgte 
mit Ammoniummolybdat 1 gr:10 Aq. dest. : !/a°/o Osmiumsäure 
10: Salzsäure 1 Tropfen. Zur Vorsicht wurden die Glasgefässe 
ausserdem stets ganz in Eis vergraben. 


Il. Verdauungsversuche. 


Hierzu kamen in Verwendung: 
a) Pankreatinglyzerin. 
b) Pepsinglyzerin. 

Beide Lösungen waren von Grübler frisch bezogen worden 
und wurden genau nach Vorschrift mit 0,3°/o Soda- oder 0,3°/o 
Salzsäurelösung verdünnt. Die Paraganglia suprarenalia, von 
denen die Schnitte stammten, waren entweder in Alkohol absolutus 
(99,8°/o), 0,03°/o reiner Chromsäurelösung, Sublimat-Kochsalz oder 
in Müller-Formol fixiert gewesen. Die mit Eiweissglyzerin 
oder Wasser aufgeklebten Schnitte wurden in Benzin zweimal 


!) Anatomischer Anzeiger, XII, 1896, Seite 438. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 57T 


24 Stunden im Thermostat bei einer Temperatur von 40° C. ent- 
fettet und dann erst in die Verdauungsflüssigkeiten — Thermostat 
37—40° C., — für ein- oder zweimal 24, seltener dreimal 24 Stunden 
eingelegt. Die Nachfärbungen der Schnitte erfolgten entweder 
mit dem Hämatoxylin-Eisenalaun nach Heidenhain oder nach 
Höhl.!) Ausserdem kamen noch die meisten übrigen spezifischen 
Bindegewebsfärbungen zur Anwendung. 


4. Besprechung der einschlägigen Literatur. 


Die Literatur über das chromaffine Gewebe der Vögel 
scheidet sich naturgemäss in zwei Gruppen, je nachdem die be- 
treffenden Autoren bloss seine Entwicklung oder aber seine 
Histologie zum Gegenstande ihrer Untersuchungen gemacht 
haben. Dem lebhaften Interesse an der Entwicklung der sog. 
„Marksubstanz“ der Nebenniere ist es zu danken, dass wir über 
diese Frage durch eine ganze Reihe von Arbeiten heute in zu- 
verlässiger Weise orientiert sind. Nach den Angaben von 
H. Rabl (20), Fusari (eit. nach Kohn [10]), Swale Vincent 
(24), insbesondere aber durch die schöne Arbeit Soulie@s (22), kann 
im Gegensatze zu der Ansicht von Janosik, Mihalcovics, 
Valenti (ecit.nach Kohn [10]) und in neuester Zeit von R.Mi- 
nervini (19), keinZweifel mehr an dem Ursprung der sog. „Mark- 
substanz“ — des eigentlichen Paraganglion suprarenale 
— aus embryonalen sympatlischen Ganglien - Anlagen bestehen. 
Minervinis Ansicht steht in einem gar zu schroffen Gegen- 
satze zu den überzeugenden Untersuchungen Soulies (22), als 
dass ich sie hier nicht wörtlich anführen sollte: Minervini (19) 
sagt auf Seite 644: „Je m’associe & cette derniere facon de 
voir, etant convaincu que les cellules medullaires sont de la 
meme nature epitheliale que celles de la corticale.* Weiter 
auf Seite 645: „Si je pouvais formuler une hypothese fondee 
exclusivement sur les caracteres morphologiques, je dirais que 
les cellules medullaires me paraissent representer un etat moins 
avance en evolution que les corticales, et leur plus grande 
affinit&E pour les substances oxydantes ne me semble pas une 
preuve suffisante de differeneiation plus grande. 

D’autre part, comme on l’a vu, les cellules qui constituent 
tout l’organe surrenal durant la vie embryonnaire ressemblent 


:2) Böhm und Oppel, Taschenbuch, 4. Auflage, Seite 105. 


578 Wilhelm Kose: 
bien plus aux cellules de la substance medullaire quw’ä celles 
de la corticale de l’adulte.“ 

Es muss nun in Zukunft, gerade so wie es durch Kohn 
für die Säugetiere geschah, auch für die Vögel der Beweis 
erbracht werden, dass nicht bloss das Paraganglion suprarenale, 
sondern dass sämtliches chromaffines Gewebe, wo immer es sich 
auch im Körper findet, aus embryonalen sympathischen Ganglien- 
anlagen sich entwickelt. Durch diese entwicklungsgeschichtlichen 
Untersuchungen würde auch bei den Vögeln die Gleichwertigkeit 
aller Paraganglien ausser Zweifel gesetzt, eine gewebliche Identität, 
welche man meiner Meinung nach schon bei der ausschliesslichen 
histologischen Untersuchung mit Sicherheit erschliessen kann. 
Ich zweifle auch keinen Moment an dem positiven Ausfalle dies- 
bezüglicher entwicklungsgeschichtlicher Beobachtungen. 

Die histologische Beschreibung des chromaffinen Gewebes 
der Vögel dagegen erfreute sich bis in die Neuzeit nur geringer 
jeachtung. Mit Ausnahme von Eberth (2), v. Brunn (1) und 
H. Rabl (20), der in seiner vorwiegend entwicklungsgeschichtlich 
gehaltenen Arbeit etwas näher auf die histologischen Verhältnisse 
eingeht und in neuester Zeit Swale Vincent (24) und 
R.Minervini (19), wüsste ich keinen anderen Forscher zu nennen, 
der sich diesem Gegenstand zugewendet hätte. Wie ich schon 
eingangs erwähnte, will ich diese Lücke in der Reihe der Unter- 
suchungen durch eine eigene ausführlichere Arbeit auszufüllen 
versuchen. Ich habe bereits in zwei vorläufigen Mitteilungen über 
die wichtigsten dabei erzielten Ergebnisse berichtet (Kose [12, 13}). 

Hat das chromaffine Gewebe des Paraganglion suprarenale 
(Marksubstanz) nur eine so geringe Anzahl von Bearbeitern ge- 
funden, so steht es um alle anderen von ihm getrennt vor- 
kommenden Paraganglien noch viel schlechter Diese haben 
überhaupt von keiner Seite eine Berücksichtigung erfahren. Nur 
das Paraganglion caroticum (Carotisdrüse) wird zweimal 
in der Literatur erwähnt. Schaper (21) suchte erfolglos nach 
einer sog. „Carotisdrüse* und sagt: „Bei den Vögeln fehlt 
sie (die Carotisdrüse) bereits, wenigstens trifitt man in der Um- 
gebung der Carotisbifurkation kein homologes Organ, wie mir 
meine vergeblichen Nachforschungen bei der Gans und bei alten 
Hühnerembryonen erwiesen haben.“ Diese Beobachtung Schapers 
ist völlig richtig, da tatsächlich an dieser Stelle das Paraganglion 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 9.19 


caroticum bei keinem Vogel liegt. Dieses findet sich vielmehr 
kaudalwärts gerückt, in der Nähe der Kiemenspaltenderivate. 
Verdun (23) war in dieser Beziehung glücklicher. Es gelang 
ihm der Nachweis einer „Carotisdrüse“ an der eben erwähnten 
Stelle. Er behauptet: „Vers le neuvieme jour (chez l’embryon du 
poulet) la tunique externe de la carotide s’&paissit vis-a-vis des 
glandules branchiales et fournit un organ qui repond par sa 
structure histologique a la glande carotidienne. Celle-ci peut 
affeeter avec les divers derives branchiaux et le corps postbranchial, 
des connexions assez intimes pour qu’on ne puisse l’en distinguer 
qu’a l’aide d’un examen tres attentif.“ Verdun beschränkt 
sich aber ausschliesslich auf diese blossen Angaben eines Vor- 
kommens : der Carotisdrüse und gibt keine histologische Be- 
schreibung. Er erwähnt bezüglich der Carotisdrüse nur ganz 
kurz, dass sie den gewöhnlichen Aufbau besitze. So kommt es, 
dass man im unklaren darüber bleibt, was für ein Organ Verdun 
eigentlich vor sich gehabt hat. Es macht allerdings den Ein- 
druck, dass Verdun wirklich die „Uarotisdrüse“ (Paraganglion 
caroticum) entdeckt hat; darum waren hier Nachuntersuchungen 
dringend geboten. 

Dies war der Stand der Forschungen als ich zur Unter- 
suchung des chromaffinen Gewebes der Vögel schritt. Die 
Arbeiten der einzelnen Forscher werden im Texte näher be- 
rücksichtigt werden. 


5. Das Paraganglion suprarenale und die Nebenniere. 


A. Histologie des Paraganglion suprarenale. 


Unter der „Nebenniere“ versteht man für gewöhnlich das 
aus der sogenannten „Rinde“ und dem sogenannten „Marke“ 
zusammengesetzte Gesamtorgan. Wie wir aber durch entwicklungs- 
geschichtliche Untersuchungen für Reptilien (Braun) zit. nach 
Kohn [10], Vögel Souli& [22] und Säugetiere (Kölliker, 
Inaba, Mitsukuri, Fusari, Wiesel, zit. nach Kohn [10] 
und Kohn selbst [9]) wissen, entsteht das „Mark“ bei diesen Tier- 
gattungen völlig getrennt von der „Rinde“ innerhalb der Anlagen 
des sympathischen Nervensystemes und verbindet sich erst später 
mit der „Rinde“; diese geht ihrerseits aus dem Cölomepithel 
hervor. Kohn (9) hat nun durch seine Untersuchungen in über- 
zeugender Weise nachgewiesen, dass das sogenannte „Mark“ 


580 Wilhelm Kose: 


d.h. alle mit der Rinde zu einem Gesamtorgane verbundenen 
chromaffinen Zellen nur als ein sekundärer Organbestand- 
teil der sogenannten „Nebenniere“ (Rinde + Mark) aufzu- 
fassen sind. Er belegt daher auch ihre Gesamtheit mit dem 
eigenen Namen — Paraganglion suprarenale — und wendet 
den bisher für das Gesamtorgan üblichen Terminus „Nebenniere“ 
bloss für die „Rinde“ an. 

Durch die Arbeiten Kohns von der Richtigkeit seiner An- 
schauungen überzeugt, weiter infolge meiner eigenen histologischen 
Untersuchungen an Vögeln, Säugetieren und dem Menschen, 
schliesse ich mich seinem Standpunkte vollkommen an und werde da- 
her auch die von ihm vorgeschlagene Nomenklatur in seinem 
Sinne anwenden. Die Vereinigung der chromaffinen Zellen mit 
der Nebenniere (Rinde) wird, wie bekannt, im Verlaufe der indi- 
viduellen Entwicklung eine organische. Es ist daher von 
diesem Standpunkte aus die frühere Benennung beider Gewebs- 
systeme mit einem einzigen Namen verständlich. Wollte man 
auch heute noch diesem Sprachgebrauch huldigen, dem a priori 
eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, so 
müsste man zur Vermeidung von Missverständnissen für das aus 
dem Paraganglion suprarenale (Mark) und der Neben- 
niere (Rinde) zusammengesetzte (sesamtorgan eine passendere 
Bezeichnung als gerade „Nebenniere“ wählen. Dem allen 
entgeht man am besten, wenn man die von Kohn vorgeschlagene 
Nomenklatur annimmt. 

Da ich zum Gegenstande meiner Arbeit ausschliesslich 
das chromaffıne Gewebe gemacht habe, so werde ich nur wenn 
es nötig ist, die Nebenniere (Rinde) mitbesprechen. Das ver- 
gleichende Studium des Paraganglion suprarenale aller unter- 
suchten Vögel ergab im wesentlichen dieselben Resultate. Zur 
Beschreibung wähle ich hier das Paraganglion suprarenale 
einer alten Henne und werde nur im Falle wirklicher Diffe- 
renzen auf die anderen untersuchten Vögel hinweisen. 

Das Paraganglion suprarenale setzt sich in der schon be- 
kannten Weise aus unregelmässig geformten und an verschiedenen 
Stellen verschieden mächtig entwickelten Zellsträngen und Zell- 
gruppen zusammen, die ein reiches, vielfach miteinander zu- 
sammenhängendes Balken- und Astwerk bilden, das nach allen 
Riehtungen hin die Nebenniere durchdringt, (v. Brunn [1], 


Die Paraganglien bei den Vögeln. ot 


Seite 625; Eberth [2], Seite 509; H. Rabl [20], Seite 512; 
Swale Vincent [24]; Minervini [19], Seite 487). Freie 
Ausläufer der „Markstränge“, wie sie Eberth annimmt, scheinen, 
wenn auch nicht sehr häufig, tatsächlich vorzukommen. Manche 
Zellstränge bestehen nur aus ein oder zwei Lagen chromaffiner 
Zellen und bilden dann gewissermassen schmale Verbindungs- 
brücken zwischen den grossen Gruppen und Strängen. Die gegen- 
seitige gewebliche Verknüpfung benachbarter Zellgruppen des 
Paraganglion suprarenale wird öfters nur durch verschieden starke 
bindegewebige Septa bewerkstelligt, welche während ihres Ver- 
laufes durch die Zellanhäufungen der Nebenniere entweder 
nur spärliche oder aber gar keine chromaffinen Zellen enthalten. 
Im Gegensatze zu diesen innerhalb der bindegewebigen Septen 
der Nebenniere befindlichen chromaffinen Zellen liegen manchmal 
ganz isolierte chromaffine Zellen mitten unter jenen der 
Nebenniere. Ebenso finden sich vereinzelte oder zu kleinen 
Gruppen vereinte Zellen der Nebenniere mitten im Innern der 
Zellstränge des Paraganglion suprarenale. An der Peripherie der 
Nebenniere bildet das Paraganglion suprarenale eine nur wenig 
Zellen enthaltende Schichte, wie dies H. Rabl (20) schon angibt, 
und Swale Vincent (24) für das Bankivahuhn (Gallus 
bankiva) hervorhebt. Letzterer Autor erwähnt, dass bei diesem 
Vogel die periphere Randschichte des Paraganglion suprarenale 
verschiedene Unterbrechungen besitzt. Diese Beobachtung habe 
ich bei allen daraufhin untersuchten Vögeln auch gemacht. Durch 
die verschieden weiten Lücken in dieser peripheren Randschichte 
reichen nun die Zellstränge der Nebenniere bis an die binde- 
gewebige Kapsel des Gesamtorganes (Nebenniere + Paragang- 
lion) heran. Das chromaffıne Gewebe setzt sich an manchen 
Stellen der Oberfläche des Paraganglion suprarenale in kon- 
tinuierlichem Zuge aus dem Innern des letzteren nach aussen 
fort und dringt in die daselbst gelegenen sympathischen Ganglien 
und Nerven ein. Schon H. Rabl (20), Seite 518, beobachtete 
eingestreute chromaffine Zellen zwischen den Ganglienzellen der 
Kapsel. Swale Vincent (24) beschreibt folgendes: „The 
medullary masses in the outer portion of the suprarenal body 
are always more abundant in the neighbourhood of the nerve- 
ganglia.“ 

Aber auch in das in der Umgebung des Paraganglion supra- 


582 Wilhelm Kose: 


renale befindliche lockere Bindegewebe lassen sich solche aus- 
tretende Partien des Paraganglion suprarenale direkt verfolgen. 
Dort zerfallen sie häufig in eine Anzahl von verschieden grossen 
Gruppen, die durchaus nicht immer mit dem sympathischen 
Nervensystem in Verbindung treten. 

Das Verhalten des Bindegewebes ist sowohl für die 
Histologie des Paraganglion suprarenale alsauch 
der Nebenniere so charakteristisch, dass ich mich nun seiner 
näheren Besprechung zuwende. Da muss ich nun vor allem auf 
die Schwierigkeiten einer sicheren und deutlichen 
Bindegewebsfärbung aufmerksam machen. Im ganzen 
wurden die Paraganglia suprarenalia von acht Hühnern und 
zwei Tauben mit den im Kapitel „Methoden“ erwähnten Farb- 
stoffen behandelt. Anfänglich hielt ich mich, wie ich nochmals 
betonen will, stets peinlichst genau an die von den betreffenden 
Autoren selbst angegebenen Vorschriften, und nur im Falle eines 
wiederholten Misslingens der einzelnen Färbungen variierte ich 
sie in der verschiedensten Weise. Ich widmete volle fünf Monate 
diesen zeitraubenden Untersuchungen. Es wurden dabei mehrere 
hundert Präparate angefertigt. Ich erwähne dies alles nur aus 
dem einzigen Grunde, um zu zeigen, dass ich erst nach aus- 
sedehnten Versuchen zu einem abschliessenden Urteile kam. 

Zwei Momente tragen gleichzeitig zum Gelingen einer 
guten Bindegewebsfärbung bei: erstens die Art der Fixierung 
der Präparate und zweitens die Wahl eines geeigneten Farb- 
stoffes. In höchstem Maße war die Tatsache auffallend, dass 
in den mit Sublimat-Kochsalz, absolutem Alkohol oder dem 
Carnoyschen Gemische fixierten Präparaten mit allen Säure- 
fuchsin enthaltenden Farblösungen entweder gar 
keine oder doch nur eine äusserst mangelhafte 
Färbung des fibrillären Bindegewebes erzielt werden 
konnte. Fast regelmässig blieb das gesamte im Innern des 
Paraganglion suprarenale und der Nebenniere enthaltene Binde- 
sewebe vollständig farb!los, oder aber es färbte sich durch 
die Pikrinsäure gelb. Nur selten erreichte ich im Innern dieser 
zwei Organe eine stellenweise mattrote Färbung des Binde- 
gewebes. Leider nahm in diesen Fällen das Plasma der chromaffinen 
Zellen ebenfalls eine lebhaftere rote Farbe an, so dass dadurch 
eine differenzierende Säurefuchsinfärbung des Bindegewebes nicht 


os 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 98: 


zustande kam. Das ausserhalb des Paraganglion suprarenale und 
der Nebenniere gelegene Bindegewebe zeigte entweder ganz das- 
selbe Verhalten, oder aber es färbte sich stellenweise in einem 
mattroten oder rötlich-gelben Tone. 

Im Gegensatze zu diesen Methoden ergaben mir, bei den- 
selben Fixierungen, Färbungen mit dem Freebornschen 
(Gemische recht gute Resultate. Besonders in einem mit Alkohol 
absolutus fixierten Paraganglion suprarenale einer alten Henne 
färbte sich das Bindegewebe schön blau. Das nach aussen von 
dem Paraganglion suprarenale vorhandene Bindegewebe wurde 
aber noch intensiver blau. Das Plasma der chromaffinen Zellen 
besass nur einen blaugrünlichen schwachen Mischton. Die Faser- 
bündel und stärkeren Fasern konnten infolge ihrer ausgesprochenen 
Blaufärbung ohne weiteres vom Plasma der chromaffinen Zellen 
differenziert werden. Die schwachen Fasern dagegen zeigten einen 
ähnlichen Farbenton wie das Plasma selbst, so dass sie in ihrem 
weiteren Verlaufe nicht mit Sicherheit zu verfolgen waren. 

Schliesslich ergaben mir noch Versuche mit der Unnaschen 
Methylenblau-Orceinmethode gute Resultate. Das ausserhalb 
des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere befindliche 
Bindegewebe wies eine schöne und lebhafte Orceinfärbung auf. 
Auch im Innern der zwei Organe färbten sich die Faserbündel 
und stärkeren Fasern, wenn auch merklich schwächer, so doch 
noch intensiv genug. Die feinen Fäserchen dagegen besassen 
dieselbe Farbe wie das Plasma der chromaffinen Zellen, so dass 
sie bloss auf Grund dieser Farbe niemals als Binde- 
gewebe hätten angesprochen werden dürfen. Dass es sich dabei 
trotzdem um ein solches handelte, bewiesen die stellenweise in 
den Verlauf der Fäserchen eingeschalteten und schön blau ge- 
färbten Bindegewebskerne. 

Alle anderen angegebenen Methoden lieferten keine so 
scharfen und kontrastreichen Bilder, als dass ich sie für die 
Untersuchungen über die Endausbreitung des Bindegewebes 
im Innern des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere 
hätte verwenden können. 

Da ich in diesen Präparaten keine charakteristischen Säure- 
_fuchsinfärbungen erzielen konnte, so versuchte ich nun alle die- 
selben Färbungen der Reihe nach an den Paraganglia suprarenalia 
von sechs verschiedenen Hühnern und zwei Tauben, 


584 Wilhelm Kose: 


die entweder in reiner Müllerscher Flüssigkeit oder in 
der Mischung Müller 9:Formol 1 durch 5—7 Tage 
fixiert worden waren. Aber auch hier fehlte dem fibrillären 
Bindegewebe, besonders nach Vorbehandlung mit reiner Müller- 
scher Flüssigkeit, die Affinität zu dem Säurefuchsin mehr oder 
weniger. Je nachdem blieb also ersteres gerade so wie früher 
entweder ganz farblos oder es färbte sich nur sehr 
schwach. Ein Teil des Bindegewebes und ganz besonders das 
endoneurale Bindegewebe der sympathischen Nerven und 
und Ganglien wurde durch die Pikrinsäure gelb tingiert. 
Im Gegensatze dazu färbte sich das Bindegewebe in einem mit 
Müller-Formol fixierten Paraganglion suprarenale einer ein- 
jährigen Henne und eines gleichaltrigen Hahnes, 
wenigstens zum grossen Teile, bis in seine feinsten Aus- 
läufer mit aller nur wünschenswerten Schärfe und Deutlichkeit. 
In einem anderen Paraganglion einer erwachsenen Henne, 
das ebenfalls in der gleichen Weise mit Müller-Formol vor- 
behandelt worden war, versagten die verschiedenen Säure- 
fuchsinmischungen wieder vollkommen. An dieser Stelle will 
ich nur erwähnen, dass ich die einzelnen Färbungen stets von 
Zeit zu Zeit unter dem Mikroskope kontrollierte. Es lassen sich 
meiner Erfahrung nach keine bestimmten Zeitangaben zur Er- 
zielung der besten Resultate angeben. Zum Beweise dafür, dass 
auch die Dauer der Färbung einen gewissen Einfluss auf den 
Ausfall der letzteren besitzt, mögen folgende kurze Angaben 
dienen. Bei Verwendung des Hansenschen Gemisches waren 
die ganzen Schnitte durch das in Müller-Formol fixierte 
Paraganglion suprarenale einer Henne nach zehn Minuten noch 
ganz gelb; nach 26 Minuten färbten sich bloss einzelne Faser- 
bündel und Fasern rot: erst nach sechs Stunden war die Färbung 
eine gute. Bei anderen Paraganglien erzielte ich: dieselben 
günstigen Resultate schon nach einer Stunde. Ein längeres, bis 
24 stündiges, Verweilen in der Farbe änderte daran nichts mehr. 
Im Gegenteil war dies manchmal eher schädlich als nützlich. Es 
wurden dabei öfters sämtliche oder doch die meisten chromaffinen 
Zellen dunkel braun-violett. Das Bindegewebe färbte sich 
nicht rot, sondern ebenfalls mehr violett oder blieb einige- 
male vollständig farblos; stellenweise färbte die 
Pikrinsäure dasselbe gelb. Diese intensive Braunfärbung der 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 585 


chromaffinen Zellen trat nur bei Anwendung der Hansenschen 
Methode, manchmal schon sogar nach kurzer Zeit auf. 
Auch bei den anderen Methoden schwankt die Intensität der 
Färbung der chromaffinen Zellen in gewissen Grenzen, insofern 
sie das Säurefuchsin verschieden stark aufnehmen. Sie wurden 
aber selbst durch das Unnasche starke Säurefuchsin-Orange- 
gemisch niemals so intensiv braun oder rot, dass nicht das 
leuchtende Rot des Bindegewebes sicher zu erkennen gewesen wäre. 

Betreffs der Güte der einzelnen Säurefuchsinfärbungen be- 
standen wohl geringe, aber keine wesentlichen Unterschiede 
zwischen den verschiedenen Methoden. Jene von Hansen lieferte 
wenigstens stellenweise die kontrastreichsten Bilder. Eine 
ausgedehntere Färbung erbrachten die Methoden von 
Schaffer und Unna (Säurefuchsin-Pikrinsäure). Die Verteilung 
des Bindegewebes konnte hier insbesondere auch aus dem Grunde 
auf weitere Strecken hin verfolgt werden, weil die lebhafte und 
störende Braunfärbung der chromaffinen Zellen in Wegfall kam. 

Mit keiner der als zweckdienlich angeführten Methoden 
erhält man aber eine gleichmässige Färbung des gesamten 
Bindegewebes. Streckenweise wurde letzteres tadellos dargestellt, 
daneben fanden sich aber stets ganze Bündel und einzelne 
Fasern, die gar nicht oder nur schwach gefärbt waren. 
Diese liegen oft mitten in den lebhaft gefärbten Abschnitten 
des Bindegewebes. Die schlecht gefärbten Faserbündel sehen 
wie trüb, wie angehaucht aus. Ihre Zusammensetzung aus ein- 
zelnen Fasern war nicht immer gut zu erkennen, häufig 
schien sie vollkommen zu fehlen. Wenigstens bildeten 
viele Faserbündel homogene, nicht scharf konturierte breitere 
oder schmälere Bänder. Es bestand kein wesentlicher 
Unterschied in der Färbung des im Innern des Paraganglion 
suprarenale und der Nebenniere befindlichen und dem nach 
aussen von ihnen gelegenen Bindegewebe, nur stellenweise machte 
es allerdings den Eindruck, als ob ersteres schwerer färbbar 
wäre. Eine eigene Stellung nimmt das endoneurale 
Bindegewebe des sympathischen Nervensystemes 
ein, indem es sich ganz besonders schwer durch das 
Säurefuchsin färbt. 

Aus all dem Gesagten ist ohne weiteres ersichtlich, dass 


selbst die gelungensten Fuchsinfärbungen infolge ihrer nur teil- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 39 


>86 Wilhelm Kose: 


weisen Wirkung kein sicheres Urteil über die tatsächliche 
Verbreitung des fibrillären Bindegewebes im Paraganglion 
suprarenale und der Nebenniere der Vögel fällen lassen 
Diesen grossen Übelstand kann man am besten auf die Art und 
Weise vermeiden, dass man inMüller-Formol fixierte Präparate 
mit dem Freebornschen Gemisch behandelt. Das gesamte 
bindegewebige Stützgerüst wird dabei bis in seine feinsten 
Verzweigungen in einer Deutlichkeit wie mit keiner anderen 
Methode dargestellt. Jene Stellen, die das Säurefuchsin voll- 
ständig oder teilweise zurückgewiesen hatten, färbten sich dabei 
dunkel saphirblau. Bei diesen vergleichenden Versuchen handelte 
es sich stets um Schnitte durch dasselbe Paraganelion 
suprarenale. Sehr viele chromaffine Zellen nehmen bei der 
Freebornschen Methode nur ein schwach gelbgrünes Aussehen 
an. Dies ist ein weiterer günstiger Umstand, der es ermöglicht, 
selbst den Verlauf der schwächsten Fäserchen gut verfolgen zu 
können. Nirgends findet man solche ungefärbte Stellen wie 
in den Säurefuchsinpräparaten. Der Grad der Blaufärbung 
schwankt aber auch bei der Freebornschen Methode in ge- 
wissen Grenzen. Die Intensität der Färbung ist für gewöhnlich 
der Stärke der Faserbündel und einzelnen Fasern direkt pro- 
portional, doch können auch grössere Faserbündel weniger lebhaft 
als die schwächeren gefärbt sein. Die dünnsten Fäserchen färbten 
sich häufig relativ am wenigsten, andere wieder, ebenso schwache, 
wurden im Gegensatze dazu lebhaft blau. Dort, wo die Fäserchen 
so dünn sind, dass sie eben an der Grenze der Wahr- 
nehmbarkeit stehen, entziehen sie sich, besonders bei einer 
schwachen Färbung, leicht einer sicheren Beobachtung. Mit Ab- 
nahme der Intensität ändert sich auch stellenweise die Nüance der 
blauen Farbe. Das schöne Saphirblau geht dabei in ein schmutziges 
Blaugrau über. Die intensive Färbung der starken Faserbündel 
ist für gewöhnlich der Grund, warum man ihre Zusammen- 
setzung aus einzelnen Fasern nur schwer oder gar nicht erkennen 
kann. Im Gegensatze dazu gibt es nun eine Anzahl ebenso 
starker Faserbündel, die, trotzdem sie merklich schwächer gefärbt 
sind, in ihrem Innern ebenfalls keine einzelnen Fasern zu ent- 
halten scheinen. Diese Faserbündel besitzen ein ähnliches Aus- 
sehen wie jene, die sich mit dem Säurefuchsin nur schlecht 
gefärbt hatten. Trotzdem ihnen eine Innenstruktur fehlt, müssen 


L 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 987 


sie aber dennoch aus einzelnen Fasern zusammengesetzt sein, 
weil sie sich später teilen und in einzelne gut ge- 
färbte Fasern auflösen. 

Verwendet man zur Fixierung der Präparate reine Müllersche 
Flüssigkeit, dann färbt sich erstens das Bindegewebe viel weniger 
schön blau, es wird mehr blaugrau und dann bleibt auch ein 
grösserer Teil der feinsten Fäserchen ungefärbt. Keine der noch 
von mir erprobten Methoden kann sich mit jener von Freeborn 
messen. Sehr gute Resultate erzielte ich auch mit dem von Unna 
angegebenen Gemisch zur Färbung basophilen Kollagens. 
Hier waren die Resultate vollkommen gleich, ob nun die Präparate 
in reiner Müllerscher Flüssigkeit oder aber inMüller-Formol 
fixiert wurden. Das intensiv türkisblaue Bindegewebe hob sich 
sehr schön von den rein gelb gebliebenen chromaffinen Zellen 
ab. Keine einzige Faser tärbte sich rot; es handelte sich 
also stets um ein normales Kollagen im Sinne Unnas. 
Nur die feinen und allerfeinsten Fäserchen waren öfters schwach 
blau oder gar nicht gefärbt. Die übrigen Methoden, selbst jene 
von Mallory-Stöhr, ergaben mir darum keine gut brauchbaren 
Resultate, weil die feinen Ausläufer des Bindegewebes sich zu 
wenig ausgesprochen färbten, um mit Sicherheit von dem ebenfalls 
lebhaft tingierten Plasma der chromaffinen Zellen differenziert 
werden zu können. 

Wie wir aus dem vorhergehenden ersehen, sind also tat- 
sächlich die Art der Fixierung und Färbung von Einfluss auf 
den Ausfall der letzteren. Denn bei derselben Fixation geben 
die verschiedenen Farbstoffe verschieden gute Resultate, und um- 
gekehrt erzielt man mit derselben Methode bei den einzelnen 
Fixierungen sehr differente Färbungen. Rätselhaft bleibt nur 
die fehlende oder geringe Affinität des fibrillären Bindegewebes 
zu dem Säurefuchsin. die unter allen Umständen sich 
mehr oder minder kundgibt. Die Art der Vorbehand- 
lung des Präparates kann diese Eigentümlichkeit verstärken 
oder abschwächen. Die einzige Ursache dafür dürfte in 
einer veränderten chemischen Zusammensetzung des Binde- 
gewebes gesucht werden. Um basophiles Kollagen z. B. kann 
es sich nach dem regelmässig negativen Ausfall der Unnaschen 
Färbungen nicht handeln. Würden sich nur wenige Fasern oder 


Faserbündel schlecht oder gar nicht färben, dann müsste man 
39*+ 


585 Wilhelm Kose: 


daran denken, dass es sich vielleicht um degenerierendes oder erst 
neugebildetes und noch nicht vollentwickeltes Bindegewebe handeln 
könnte. Diese Möglichkeit kommt aber in Anbetracht des Um- 
standes, dass oft sehr grosse Abschnitte, ja das ganze im Schnitte 
enthaltene Bindegewebe sich schlecht oder gar nicht mit dem 
Säurefuchsin färbt, in Wegfall. Eine strukturelle Ver- 
änderung des Bindegewebes kann man auch nicht gut annehmen, 
weil dieses schlecht gefärbte Bindegewebe nach der Methode von 
Freeborn in wunderbarer Deutlichkeit bis in seine feinsten 
Ausläufer dargestellt wird. Diejenigen Abschnitte des Binde- 
sewebes, die durch das Säurefuchsin ungefärbt geblieben waren, 
zeigten dann eine normale Struktur und Verteilung. So bleibt 
vorläufig nur die Annahme übrig, dass dasBindegewebeder 
Vögel eine eigene chemische Zusammensetzung 
besitzt, die sich durch eine fehlende oder mangel- 
hafte Affinität zu dem Säurefuchsin kundgibt. 

Nachdem ich die Schwierigkeiten hervorgehoben habe, die 
sich einer verlässlichen Bindegewebsfärbung in den Weg stellen, 
gehe ich zur Beschreibung der Verteilung des fibrillären Binde- 
sgewebes im Innern des Paraganglion suprarenale 
und der Nebenniere über. Das aus diesen beiden Organen 
zusammengesetzte Gesamtorgan, die sog. „Nebenniere“, 
wird an seiner Oberfläche von einer gemeinsamen bindegewebigen 
Kapsel umgeben. Diese bildet entweder ein aus dichtgedrängten 
Fasern und Faserbündeln zusammengesetztes, mehr einheitliches 
Häutchen, oder zeigt stellenweise eine Auflockernung ihres 
(refüges und eine Durchsetzung mit chromaffinen und stellenweise 
mit Ganglienzellen. Ein Teil der von der Kapsel nach innen zu 
abzweigenden Septen gelangt in die Nebenniere (Rinde), der 
andere zu den Zellsträngen des Paraganglion suprarenale. An 
vielen Stellen verwebt sich aber das Bindegewebe beider Organe 
durch einen wechselseitigen Austausch von Fasern. Die stärksten 
Septen ziehen regelmässig ins Paraganglion suprarenale; die 
im Innern der Nebenniere sind absolut schwächer. Die einzelnen 
/ellstränge und Zellgruppen des Paraganglion suprarenale 
werden überall stets von Bindegewebe an ihrer Oberfläche umkleidet. 
Stärkere oder schwächere Faserzüge dringen aber an vielen Stellen 
auch in ihr Inneres. Dort zerfallen die stärkeren Faserbündel 
entweder sofort in eine Anzahl dünnerer Bündelchen. welche sich 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 589 


dann ihrerseits mehr gleichmässig weiterverteilen, oder aber es 
durchsetzt ein starkes Faserbündel als ein achsialer Strang auf 
kürzere oder weitere Strecken die chromaffinen Zellgruppen, 
bevor es eine Zerfällung erfährt. Zahlreiche einzelne binde- 
gewebige Fasern, die von dem äusseren Überzuge der Zellstränge 
abbiegen, verstärken das im Innern der letzteren gelegene 
Stützgerüste. Das gesammte Bindegewebe des Paraganglion 
suprarenale ist durchausnicht gleichmässig verteilt. 
Die einzelnen Stränge und Ballen chromaffiner Zellen besitzen 
bei demselben Vogel einen sehr verschiedenen Gehalt davon. 
Aber auch zwischen den Paraganglia suprarenalia verschiedener 
Vögel derselben Art machen sich ebenfalls diesbezüglich 
individuelle Schwankungen bemerkbar, insofern als manche Para- 
ganglien entschieden mehr Bindegewebe als die anderen enthalten. 
Ob hier das Alter eine Rolle spielt, wie R. Minervini (19) auf 
Seite 437 hervorhebt, kann ich nach meinen Beobachtungen nicht 
mit Sicherheit entscheiden. Das meiste Bindegewebe fand ich 
stets bei den Hühnern vor. Eine ähnliche Angabe macht 
R. Minervini (19) Seite 487: „Le tissu conjonetif, formant 
un reseau de cloisons entre les cordons et se continuant avec 
l’enveloppe exterieure, parait plus abondant dans certaines especes, 
comme le poulet et la dinde, que dans les autres.“ Im Innern 
des Paraganglion suprarenale entsteht durch eine weitgehende 
Teilung und Verflechtung der Faserbündel und einzelnen Fasern 
ein so dichtes Netz, dass von den chromaffinen Zellen 
die allermeisten, jede für sich, von Bindegewebs- 
fasern in Gestalt von einfachen Maschen oder 
Körben umsponnen werden. Da aber die Dicke der 
einzelnen Faserbündel und Fasern bedeutend schwankt, so sind 
die verschiedenen Abschnitte dieses bindegewebigen Netzwerkes 
von einer sehr ungleichen Stärke. So kommt es, dass die 
einzelnen chromaffinen Zellen entweder nur von starken, oder 
aber von starken und schwachen Faserzügen und einzelnen Fasern 
gleichzeitig umhüllt werden. Die perizellulären Netze 
sehr vieler chromaffiner Zellen werden ausschliesslich nur 
von den allerfeinsten Fäserchen zusammengesetzt. Fig. 2, Taf. XXI, 
stellt einen Abschnitt durch das Paraganglion suprarenale einer 
einjährigen Henne dar. Letzteres wurde in der Mischung 
Müller 9: Formol 1 fixiert und nach Hansen gefärbt. Man 


590 Wilhelm Kose: 


sieht hier nicht bloss die verschiedene Stärke der einzelnen 
Fasern sehr deutlich, sondern auch wie schön das Säurefuchsin 
an denjenigen Stellen färbt, an denen es seine volle Wirkung 
ungehindert entfalten kann. Ein Teil der chromaffinen Zellen 
nahm bei dieser Behandlung eine braune Farbe an, der andere 
wurde durch die Pikrinsäure noch lebhafter gelb gefärbt. Manche 
Zellen dagegen, wie die in der Mitte der Zeichnung gelegene, 
blieben ganz schwach gelb. Die braunen und gelben Zellen ver- 
mischen sich ganz regellos miteinander oder bilden jedes- 
mal für sich ganze Zellstränge und Gruppen. Fast alle 
chromaffinen Zellen sind in der Figur maschenartig von den 
bindegewebigen Fäserchen umsponnen, die wie in der Mitte und 
am rechten Rande der Zeichnung die Zellen auch verschiedentlich 
überqueren. In manchen Zellen fehlt der Kern; er lag 
dann stets im vorhergehenden oder nachfolgenden Schnitte der 
Serie. Die kleinen braunen oder gelben Felder an der rechten 
Seite der Figur sind Zellanschnitte. Jene Zellen, die in der 
Figur ohne ein trennendes Zwischengewebe unmittelbar anein- 
anderstossen, wurden im folgenden Schnitte ebenfalls durch binde- 
gewebige Fasern voneinander getrennt. Manche Zellen, wie z. B. 
die links befindlichen zwei braunen Zellen, sind nur zum 
Teile auf diese Art voneinander geschieden. Die stärkeren, 
zwischen den chromaffinen Zellen verlaufenden, scheinbar einheit- 
lichen Fasern sind sehr oft nur Faserbündel, wie ihre spätere 
Zerklüftung beweist. Die dünnsten Fäserchen stehen eben an 
der Grenze der Wahrnehmbarkeit; es ist ungemein schwer, be- 
sonders wenn sie nicht lebhaft gefärbt sind, ihren weiteren Ver- 
lauf, besonders zwischen den braunroten Zellen, zu verfolgen. 
Die Faserbündel und einzelnen Fasern sind aber nicht bloss im 
Längs-, sondern auch im Querschnitte getroffen (qu). Diese er- 
scheinen in Gestalt runder oder ovaler leuchtend roter Felder 
oder nur kleiner Punkte. In dieser Figur sind nur relativ 
wenige zu sehen. Vergleiche hier die Fig. 1, Taf. XXI, in der 
viele Faserbündel (Mitte der Zeichnung) und einzelne Fasern 
quer getroffen sind. Häufig sind die einzelnen chromaffinen Zellen 
nur von einer Anzahl allerfeinster rot oder blau gefärbter 
Pünktchen (Faserquerschnitte) an ihrer Peripherie umgeben. 
Manche Zellen enthalten zwischen sich oft nur einen einzigen 
solehen Faserquerschnitt und grenzen in ihrer übrigen Aus- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 91 


dehnung unmittelbar, epithelartig aneinander. In Erwägung der 
ausserordentlichen Feinheit vieler Fäserchen und des Um- 
standes, dass sich viele von den letzteren nur ungenügend oder 
gar nicht färben, wird man zugeben müssen, dass ein grösserer 
Teil des bindegewebigen Netzes, insbesondere zwischen den 
braunen chromaffinen Zellen, der Beobachtung entgehen muss. 
Manche der längsgetroffenen Fäserchen zeigen knopfartige 
Verdiekungen. Zum Teile sind dies Knickungen und Verbiegungen 
dieser Fasern, zum Teile aber Querschnitte von in einer anderen 
Richtung verlaufenden Fäserchen. Ein Vergleich der Fig. 1 und 2, 
Taf. XX1, ergibt ohne weiteres die völlige Gleichheit der Bilder, 
nur waren die Bindegewebsfasern in Fig. 1 nach der Freeborn- 
schen Methode blau gefärbt gewesen. Vergleiche mit diesen 
Figuren noch Fig. 3, Taf. XXI. Der Schnitt stammte aus einem 
in Müller-Formol fixierten Paraganglion suprarenale einer 
alten Henne und wurde nach der Methode von Mallory- 
Stöhr gefärbt. Die blaue Farbe des Bindegewebes ist da nicht 
so intensiv wie in der Fig. 1. Ferner vergleiche noch sämtliche 
Figuren auf Taf. XXIL Fig. 6,7, 8, 9 stammen von einer 
einjährigen Henne, die übrigen von einem einjährigen Hahne. 
Alle Präparate wurden nach der Freebornschen Methode ge- 
färbt. In Fig. 13, 14, 18, 20, 21 sind die chromaffinen Zellen der 
Einfachheit halber nur in einem gleichmässig grauen oder gelben 
Tone gehalten. 

Diese Zeichnungen wurden mit zu dem Zwecke angefertigt, 
um die ungemein grosse Mannigfaltigkeit in der Verteilung des 
Bindegewebes wenigstens zu einem ganz kleinen Teile im Bilde 
vorzuführen. Manchmal (Fig. 8 und 10, Taf. XXII) besitzen die 
chromaffinen Zellen in ihrer Peripherie seichtere oder tiefere 
Ausbuchtungen, in welche die in den Interzellularräumen 
befindlichen bindegewebigen Fasern direkt hineinziehen, um da- 
selbst sich zu korbartigen Geflechten zu vereinen (Fig. 10) oder 
bloss schlingenartig umzubiegen. Diese faserhaltigen Aus- 
buchtungen dehnen sich manchmal bis in die Nähe der Kerne aus. 

Auf diese Weise liegen also die allermeisten chromaffinen 
Zellen in separaten bindegewebigen Maschen und Körben. 
Aber selbst in den gelungensten Freebornschen Präparaten 
bleibt eine geringe Anzahl von Zellen übrig, bei welchen man 
diese Anordnung nicht erkennen kann. Sie werden vielmehr 


592 Wilhelm Kose: 


durch das Bindegewebe zu kleinen Gruppen zusammen- 
gefasst. Ich glaube aber nach allem, dass an diesen Stellen sich 
öfters die feinsten Fäserchen nicht genügend stark färbten 
oder zu dünn waren, um zwischen den dichtgedrängten Zellen 
wahrgenommen werden zu können. Es ist mir aber sehr wahr- 
scheinlich, dass es trotzdem eine gewisse Anzahl von Zell- 
gruppen gibt, in denen die einzelnen Zellen ohne jedes 
trennende Zwischengewebe epithelartig anein- 
ander grenzen. 

Innerhalb der Lücken des bindegewebigen Geflechtes stossen 
die einzelnen chromaffinen Zellen unmittelbar aneinander. Darum 
kommt es häufig vor und ist auch in Fig. 1 und 2, Tafel XXI. 
zu sehen, dass manche Zellen nicht durch Bindegewebe von- 
einander getrennt sind; im nächsten Schnitte aber waren sie 
von diesem maschenartig umgeben. 

Viele chromaffine Zellen verschmelzen jedoch inner- 
halb der Lücken der perizellulären Fasernetze zum Teile mit- 
einander. Auf diese Art kommen, — wenigstens im fixierten 
Präparate, — kleinere oder grössere kernhaltige Syneytien 
zustande. Die Zerfällung in einzelne Zellen ist bei den letzteren 
oft in verschiedenem Grade ausgesprochen. Es ist unmöglich, 
so ohne weiteres zu entscheiden, ob diese Synceytien durch eine 
unvollständige Trennung einer ursprünglich einheitlichen 
Protoplasmamasse, oder aber durch eine nachträgliche Ver- 
schmelzung schon selbständig gewesener Zellen entstanden 
sind. Möglicherweise spielen hier beide Momente eine 
Rolle. Wenn ich daher von einer syncytialen Ver- 
schmelzung der chromaffinen Zellen spreche, so 
ist diesnur im bildlichen Sinne gemeint, um damit 
den protoplasmatischen Zusammenhang unter ihnen 
zu charakterisieren. 

Die bindegewebigen Faserbündel oder einzelnen Fasern um- 
spinnen an jenen Stellen, an welchen das Syneytium eine un- 
vollständige Zerfällung in einzelne Zellen zeigt, letztere in der 
früher geschilderten Weise. Stellenweise aber dringen 
die Fasern in das Innere des noch ungeteilten 
Protoplasmas. Sie durchziehen das letztere auf kürzere 
oder weitere Strecken, um ‚schliesslich wieder aus ihm heraus- 
zukommen und sich mit den perizellulären Netzen zu vereinen. 


or 
6) 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 


Fig. 6, 7 und 9, Taf. XXII, geben drei Beispiele für dieses 
Verhalten. In den beiden ersten Zeichnungen handelt es 
sich scheinbar um einzelne von bindegewebigen Fasern 
vollständig oder doch zum grössten Teile umgebene selbständige 
chromaffine Zellen. Beide wurden von je einem intensiv blau- 
schwarz gefärbten, quergetroffenen Faserbündel durchzogen. 
In Fig. 6 verlief dieses in einer schrägen von rechts oben nach 
links unten abfallenden Richtung an der Unterseite des Kernes 
weiter. An der mit einer Klammer und einem Stern bezeichneten 
Stelle hing aber diese Zelle, oder richtiger gesagt, diese kern- 
haltige Protoplasmapartie, in breiter Ausdehnung ohne 
jede Unterbrechung mit einer etwas höher gelegenen Nach- 
barzelle zusammen. In Fig. 7 zweigte von dem interstitiellen 
bindegewebigen Stützgerüste an der mit (qu) bezeichneten Stelle 
ein schwächeres Faserbündel in einer zur Bildebene senkrechten 
Richtung nach unten ab. Anfänglich verlief es an der unteren 
Fläche der Zelle und durchsetzte dann diese in einer nach links 
und oben schräg aufsteigenden Richtung. In der unmittelbaren 
Nähe des Kernes gelangte das Bündel wieder an die Oberfläche, 
um dann weiter nach links und oben ziehend, sich an der mit ** 
bezeichneten Stelle mit dem interzellulären bindegewebigen Gerüste 
abermals zu vereinigen. Die Zelle war an drei Seiten von binde- 
gewebigen Fasern umsponnen, mit der vierten (Klammer *) 
stiess sie aber unmittelbar an eine benachbarte Zelle, mit welcher 
sie auch teilweise syncytial verschmolz. Ausserdem bestand 
noch in der oberen Hälfte der Zelle (Fig. 7) ein breiter und 
ununterbrochener plasmatischer Zusammenhang mit 
einer dritten, etwas höher gelegenen chromaffinen Zelle. In 
Fig. 9, Taf. XXII, liegt rechts neben einer einkernigen Zelle (a) 
eine zweikernige, die allseitig von dünnen und etwas schwächer 
gefärbten bindegewebigen Fasern eingehüllt wird. In der linken 
Hälfte dieser Zelle verläuft ein deutliches Bindegewebsbündel. 
Dieses legt sich dem einen Kerne unmittelbar an, biegt an 
seinem oberen Ende in die Tiefe, um im welligen Verlaufe später 
wieder an die Oberfläche der Zelle zu gelangen. Die beiden in 
der Fig. 9 getrennt wiedergegebenen Abschnitte dieses Bündels 
hingen in der Tiefe ohne Unterbrechung zusammen. Der Deut- 
lichkeit halber wurden in den Figuren breite Bindegewebsbündel 
ausgewählt. Es zeigen aber auch die verschiedensten 


594 Wilhelm Kose: 


einzelnen Fasern dieselbe eigentümliche Lagerung. 
Je nachdem man sich nun die Entstehung der Syneytien vor- 
stellt, muss man entweder ein selbständiges Einwachsen 
der bindegewebigen Fasern in das Protoplasma annehmen, oder 
aber daran denken, dass erstere durch die gegenseitige Ver- 
schmelzung benachbarter Zellen erst sekundär von deren 
Plasma allseitig umschlossen werden. In Fig. 6 und 7 könnte 
es sich wohl um letzteren Modus handeln, in Fig. 9 wird man 
aber mehr dazu neigen, die erste Auffassung gelten zu lassen. 
An dieser Stelle muss nun ganz besonders hervorgehoben werden, 
dass nur dort, wo die einzelnen Zellen miteinander in einem 
deutlichen, schmäleren oder breiteren plasmatischen Zusammen- 
hange standen, die bindegewebigen Fasern und Faserbündel an 
verschiedenen Stellen im Innern der einheitlichen 
Protoplasmapartien vorgefunden wurden. Überalldort, 
wo die Zellen vollkommen von allen Nachbarzellen isoliert 
waren, breitete sich das bindegewebige Netz nur an ihrer 
Oberfläche aus. An jenen Stellen, an welchen es dennoch 
den Anschein hatte, als ob einzelne Fasern auch in das Innere 
dieser wirklich selbständigen Zellen eingedrungen seien, handelte 
es sich nur um eine Überlagerung seitens des Binde- 
gewebes. 

Die bisher besprochenen, die chromaffinen Zellen einhüllenden 
Netze, wurden ausschliesslich durch Fasern des allge- 
meinen bindegewebigen Stützgerüstes zusammen- 
gesetzt. Viele chromaffine Zellen werden im Gegensatze dazu 
von bindegewebigen Flechtwerken umgeben, die auf eine andere 
Art zustande kommen. Man kann nämlich an solchen Präparaten, 
die nach der Methode von Freeborn gefärbt wurden, mit aller 
Deutlichkeit sehen, dass die im Innern des Paraganglion 
suprarenale verlaufenden sympathischen Nerven sich stellen- 
weise teilen und in einzelne Faserbündel auflösen. Die Fort- 
setzungen des endoneuralen Bindegewebes umgeben dabei 
in ganz genau derselben Art und Weise, wie ich dies 
bei Beschreibung des Paraganglion caroticum der Krähe 
noch eingehend schildern werde, jede einzelne chromaffine 
Zelle korb- oder maschenartig. An diesen Stellen besteht also 
das interzelluläre Flechtwerk der Hauptsache nach aus den 
Endverzweigungen des endoneuralen PBindegewebes; zum 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 395 


Teile wird ersteres aber noch durch Fortsetzungen des übrigen 
bindegewebigen Stützgerüstes verstärkt. 

Die Verteilung des endoneuralen Bindegewebes 
gibt auch hier, gerade so wie im Paraganglion caroticum, eine 
Handhabe zur Beurteilung der Endausbreitung der mark- 
losen Nervenfasern. Diese letzteren müssen in derselben 
Weise wie das endoneurale Bindegewebe jede einzelne 
chromaffine Zelle umflechten. Ich verweise hier auf die dies- 
bezüglichen genauen Ausführungen im Kapitel „Paraganglion 
cearoticum‘“. 

Die wichtigsten Ergebnisse über die Verbreitung des 
fibrillären Bindegewebes und die Anordnung der chromaffiınen 
Zellen sind in kurzer Zusammenfassung folgende: 

1. Das Bindegewebe bildet im Innern des Paraganglion 

suprarenale ein sehr dichtes Gitter- und Maschenwerk. 
Die allermeisten chromaffinen Zellen werden jede 
für sich von bindegewebigen Fasern umsponnen. Eine 
geringe Anzahl von ihnen aber scheint durch das Binde- 
gewebe zu kleinen Gruppen zusammengefasst zu werden. 
Infolge der schweren Färbbarkeit des Bindegewebes und 
in Anbetracht der kolossalen Feinheit sehr vieler Fäserchen, 
kann es sich aber öfters auch darum handeln, dass letztere 
einfach nicht wahrgenommen werden. Eine sichere Ent- 
scheidung kann man daher, heute wenigstens, in diesem 
Punkte nicht fällen. 


[6] 


. Die Lücken in den bindegewebigen perizellulären Ge- 
flechten sind sehr verschieden gross. Viele chromaffine 
Zellen werden von einer grossen Anzahl von Fasern aufs 
dichteste umsponnen, andere sind von den letzteren nur 
maschenartig eingehüllt. 

3. Die chromaffinen Zellen grenzen innerhalb der Lücken 

der perizellulären Netze entweder epithelartig an- 

einander, oder aber sie sind stellenweise syneytial 
verschmolzen. 


4. Die bindegewebigen Fasern dringen auch stellenweise in 
das Innere der syncytial vereinigten Zellen ein, 
um schliesslich wieder aus dem Zellplasma herauszuziehen 
und sich mit den perizellulären Geflechten zu verbinden. 


596 Wilhelm Kose: 


Eine gewebliche Verbindung dieser intrazellulären 
Fasern mit dem Zellkerne konnte ich niemals nachweisen. 
5. Die Netzwerke um die einzelnen chromaffinen Zellen 
werden zum grössten Teile ausschliesslich von dem 
bindegewebigen Stützgerüste zusammengesetzt. Stellen- 
weise dagegen verdanken die ersteren ihre Entstehung 
der Endausbreitung des endoneuralen 
Bindegewebes der sympathischen Nerven. 

Vergleiche ich nun mit meinen Ergebnissen die in der 
Literatur vorliegenden Angaben, so ist H. Rabl (20), Seite 517, 
der Ansicht, dass alle chromaffınen Zellen in separaten binde- 
gewebigen Maschen liegen, während dagegen v. Brunn (Il), 
Seite 625, behauptet, dass die meisten Markzellen (chromaffine 
Zellen) gruppenweise angeordnet sind. Ich kann keinem 
dieser zwei Autoren vollkommen beistimmen, indem mir nur 
der sichere Nachweis gelang, dass die allermeisten 
chromaffinen Zellen, jede für sich, von bindegewebigen 
Fäserchen eingehüllt werden, während eine geringe Menge von 
ihnen zu kleinen Gruppen vereint ist. Möglich ist es ja, dass 
man mit besseren und noch sichereren Methoden, als es heute 
die Freebornsche ist, das Eindringen von bindegewebigen 
Fäserchen auch in diese kleinsten Gruppen beobachten wird. 
Über eine syneytiale Verschmelzung oder aber über das 
Eindringen von bindegewebigen Fäserchen indas Innere dieser 
Syneytien finde ich in der Literatur keine Angaben. 

Zum Schlusse dieses Abschnittes will ich noch erwähnen, 
dass ich zur Darstellung des fibrillären Bindegewebes im Innern 
des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere auch die künst- 
liche Verdauung der Schnitte mit Pankreatin- und Pepsin- 
elyzerin anwendete. Im letzteren Falle wurden die Präparate 
in einer 0.03°o Chromsäurelösungim Tageslichte durch 
mehrere Tage fixiert und dann im fliessenden Wasser ausgewaschen. 
Alle weiteren Prozeduren, bis zum Einlegen in das Paraffin, er- 
folgten dann ebenfalls bei Tageslicht. Die kollagenen Fasern 
werden, wie bekannt, auf diese Weise im Gegensatze zu den 
elastischen für gewöhnlich in Pepsin unverdaulich. 

Ich halte nun alle diese Untersuchungen aus mehreren 
Gründen für meine Zwecke für gänzlich ungeeignet. Infolge 
seines eigentümlichen färberischen Verhaltens muss man dem 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 397 


Bindegewebe der Vögel eine eigene, spezifisch 
veränderte chemische Beschaffenheit zuschreiben. 
Es ist daher schon von vornherein fraglich, ob ein Teil des 
Bindegewebes der künstlichen Verdauung widerstehen wird. 
Diese Vermutung wird durch die dabei erzielten Resultate zum 
grossen Teile bestätigt. Es gelingt nämlich nur ausnahmsweise, 
feinste Netzwerke im Innern des Paraganglion suprarenale und 
der Nebenniere darzustellen, die allem Anscheine nach dem 
bindegewebigen Fasergerüste entsprechen. Sonst sind die Lücken 
im letzteren durchwegs viel grösser, als in den nicht verdauten 
Kontrollpräparaten. Es gelingt in einzelnen Schnitten ganz gut, 
mit Hilfe der künstlichen Verdauung die Verteilung des gröberen 
Bindegewebes und auch vieler einzelner Fasern nachzuweisen, 
doch schauen manche der letzteren wie angedaut aus. Aber 
selbst an jenen Stellen, an denen ein feines Maschen- und Gitter- 
werk innerhalb der Zellstränge des Paraganglion suprarenale dar- 
gestellt wird, welchen Anhaltspunkt besitzt man denn für die 
Annahme, dass die einzelnen Lücken mehrere oder 
bloss eine einzige chromaffine Zelle enthalten? 
Die Grösse der einzelnen Lücken kann hier gar nicht entschei- 
dend sein, da erstens die Grösse der einzelnen chromaffinen 
Zellen bedeutend schwankt und zweitens letztere oft nur an- 
geschnitten sind. Es kann z. B. ganz gut vorkommen, dass 
öfters zwei kleinere Zellen zusammen die Ausdehnung einer 
einzigen grösseren besitzen. Zwei gleichgrosse Lücken im Binde- 
sewebe können daher entweder nur eine oder aber auch zwei 
chromaffine Zellen enthalten. Dann wieder findet man (in Müller- 
Formolpräparaten) oft ein kleines angeschnittenes Stück einer 
chromaffinen Zelle neben einer anderen kleineren in einer ein- 
zigen bindegewebigen Lücke, die nicht einmal so gross ist, dass 
eine einzige grosse chromaffine Zelle in ihr Platz hätte. Die 
Zellkerne, die eine Orientierung noch am ehesten ermöglichen 
könnten, sind bei der richtigen Ausführung des Versuches mit 
verdaut. Ist dies noch nicht vollständig der Fall, dann sind 
auch noch stets Plasmareste vorhanden, und diese Resultate darum 
nicht beweisend, weil öfters um die einzelnen Zellen eine feine 
Randschichte stehen geblieben ist, die ebensogut eine ekto- 
plasmatische Bildung als vielleicht Bindegewebe sein kann. Da wir 
ferner gesehen haben, dass bindegewebige Fasern auch in das 


595 Wilhelm Kose: 


Innere der syneytial verschmolzenen Zellen eindringen, so fehlt 
in den künstlich verdauten Schnitten die Handhabe zur Beur- 
teilung, ob die Fasern den Zellen bloss aufliegen oder aber in 
sie einbiegen. 

Ich wiederhole daher nochmals, dass die Verdauungsmethoden 
nach all dem Gesagten keine sichere Entscheidung über die Ver- 
teilung des Bindegewebes zulassen, insbesondere darum, weil ein 
grösserer oder kleinerer Teil des Bindegewebes bei ihrer An- 
wendung mit verdaut wird. 

Der Kapsel des Gesamtorganes (Paraganglion suprarenale 
+ Nebenniere), aber auch jenem im Innern des Paraganglion 
suprarenale und der Nebenniere befindlichen Bindegewebe sind 
in sehr verschiedener Menge elastische Fasern beigegeben. Bei 
einer einjährigen Henne enthielt die Kapsel die meisten 
elastischen Fasern. Innerhalb der von der Kapsel zum Paraganglion 
suprarenale verlaufenden Septen sind die elastischen Fasern teils 
an die Gefässe gebunden, teils aber von diesen ganz unabhängig. 
Im Innern des Paraganglion suprarenale zeigen die elastischen 
Fasern ein ähnliches Verhalten. 

Die selbständigen Fasern bilden in den Zellsträngen des 
Paraganglion suprarenale (Huhn) oft auf weite Strecken 
ungemein dichte und zarte Netze und umspinnen dabei nach 
Art der bindegewebigen Fasern sehr viele einzelnechrom- 
affine Zellen. Die Lücken dieser elastischen peri- 
zellulären Gitter und Netze sind dabei häufig viel kleiner 
als jene des bindegewebigen Stützgerüstes. Sehr 
viele elastische Fäserchen sind mindestens so dünn wie die aller- 
feinsten des Bindegewebes. (rerade so wie letzteres sind auch 
die elastischen Fasern nicht gleichmässig im Paraganglion 
suprarenale desselben Vogels verteilt. Manche Zellstränge 
sind von ihnen in dichtester Anordnung durchsetzt, andere wieder 
besitzen nur spärliche Fasern. Auch bezüglich des Gesamt- 
gehaltes an elastischen Fasern bestehen zwischen den 
Paraganglia suprarenalia verschiedener Vögel Difterenzen. 
Nicht jedes Paraganglion suprarenale enthält auch gleichviel von 
den ersteren; es spielen hier entschieden uns bisher unbekannte 
individuelle Schwankungen eine Rolle. 

Auffallend war die Armut des Paraganglion suprarenale 
vieler Vögel an Nerven und Ganglienzellen. An seiner Aussen- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 599 


seite dagegen wurde es stets von grösseren und kleineren Ganglien 
und Nerven eingehüllt.e Diese Verhältnisse erwähnt schon 
Eberth (2) in seiner Arbeit auf S. 515: „Grosse Ganglien 
finden sich bei den Vögeln an der Oberfläche des Organs, da- 
gegen ist letzteres selbst ziemlich arm an Nerven und Ganglien- 
zellen.“ Auch H. Rabl (20) berührt diese Frage, er sagt auf 
S. 518: „Echten Ganglienzellen und Nervenfasern begegnet man 
nur selten im Innern des Organes. Die ersteren liegen dann — wie 
Fig. 13 (G. Z.) zeigt — inmitten von Markzellen (chromaffine 
Zellen). Die Nervenfasern, die man hie und da zwischen den 
Strängen trifft, gehören nachweisbar zu diesen einzelnen zer- 
streuten Ganglienzellen und besitzen keine Beziehung zu den 
Zellen der Zwischenstränge (chromaff. Zellen).“ Swale Vincent 
(24) beschränkt sich bloss auf die kurze Notiz: „Large nerve- 
ganglia are found near the surface of the organ. The nerve- 
supply is derived from the ovarian or spermatic plexus.“ Die 
Verteilung der Nerven im Paraganglion suprarenale der Vögel 
wurde dann eingehend von Giacomini — Sulle terminazioni 
nervose nelle capsule surrenali degli Uccelli. Estr. dai Processi 
verbali della R. Accad. dei Fisiocritiei in Siena. 1898. (zit. 
nach Kohn [10|) — untersucht. Nach ihm endigen die Nerven an 
den chromaffinen Zellen nach Art von Drüsennerven. Leider 
war mir seine Arbeit im Originale nicht zugänglich und ich muss 
daher auf dieses hier bloss hinweisen. Minervini (19) endlich 
gibt auf Seite 457 über dieses Thema nur eine ganz allgemein 
gehaltene Angabe: „Dans ce tissu interstitiel on rencontre des 
vaisseaux & faibles parois et de petits ganglions nerveux, formes 
de peu de cellules entourees d’une mince capsule. De ces ganglions 
cependant on en rencontre de plus gros, situds immediatement 
au-dessous de l’enveloppe et plus ordinairement sur la face 
dorsale. Et chez les jeunes oiseaux, on trouve presque con- 
stamment sur le bord posterieur interne de l’organe un gros 
amas de ganglions nerveux.“ 

Ich habe diesbezügliche spezifische Methoden nicht in 
Anwendung gebracht, aber auch so kann man mit Sicherheit 
behaupten, dass oftmals nur spärliche Ganglienzellen oder Nerven- 
stämmchen im Innern des Paraganglion suprarenale vorkommen. 
Bei der Abstammung der chromaffinen Zellen aus den Anlagen 
des sympathischen Nervensystemes berührt dies merkwürdig. 


600 Wilhelm Kose: 


Nur die Hühner und ein altes Würgerweibchen 
(Lanius collurio 2) machten hier eine Ausnahme. Bei den 
ersteren durchzogen stets starke und schwache, 
marklose und markhaltige Nerven das Paragang- 
lion suprarenale. Innerhalb dieser Nerven lagen 
vereinzelte oder zu kleineren und grösseren 
Ganglien vereinte Ganglienzellen. Die Nerven ent- 
stammten meist denan der Aussenseite des Paraganglion suprarenale 
befindlichen Ganglien. Wie wir bei Besprechung der Verteilung 
des Bindegewebes gesehen haben, verteilen sich die sympathischen 
Nervenfasern auf die Art, dass jede einzelne chromaffıne Zelle 
von ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach umgeben wird. Ich hebe 
dies hier im Gegensatze zu H. Rabl (20) hervor, der die Ansicht 
vertritt, dass die Nerven mit den chromaffinen Zellen (Mark- 
zellen) in keinem Zusammenhange stehen. 

Bei dem alten Würgerweibchen war das ganze Para- 
sanglion suprarenale von einer grossen Anzahl einzelner, 
meist aber gruppenweise gehäufter Ganglienzellen 
durchsetzt. Fast in keinem Zellstrange fehlten sie. Häufig waren 
die Ganglienzellen ringsum von den chromaffinen Zellen umgeben. 
Im Gegensatze zu diesem kolossalen Reichtume an Ganglienzellen 
enthielt das Paraganglion suprarenale nur wenige und nicht 
besonders starke sympathische Nerven. 

Das Gefäss-System der Nebenniere und des Paraganglion 
suprarenale ist ein durchweg einheitliches. Aus diesem Grunde 
wird seine gemeinschaftliche Besprechung erst nach der Schilderung 
der Zusammensetzung der Nebenniere (Rinde) erfolgen. Von 
dieser seien hier nur die Grundzüge ihres Aufbaues einer 
Besprechung unterzogen. 

B. Grundzüge'im Aufbau der -Nebenniere 

Die Nebenniere besteht in ähnlicher Weise wie das 
Paraganglion suprarenale aus einem Systeme vielfach zusammen- 
hängender Zellstränge und mehr unregelmässiger Zellgruppen. 
Die Art und Weise, auf welche sich die ersteren gegenseitig 
verbinden, kann eine verschiedene sein. Die einzelnen Zellstränge 
besitzen einen gewundenen Verlauf (v. Brunn [1], Eberth [2], 
H. Rabl [20], Sw. Vincent [24], R. Minervini [19]) und 
durchflechten sich nach allen Richtungen. Viele von ihnen be- 
rühren sich bloss an einzelnen Stellen; andere wieder verschmelzen 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 601 


daselbst miteinander. In den Zwischenstrecken begrenzen die 
Stränge aber verschieden grosse Lücken. Andere Zellstränge 
wieder legen sich in mehr minder breiter Ausdehnung aneinander. 
Dabei bewahren sie entweder ihre Selbständigkeit, oder sie ver- 
einigen sich, wie ich später zeigen werde, zu mehr einheitlichen 
Zeligruppen. Manche von den Zellsträngen endigen blind (Eberth 
[2], Seite 509). 

Das Parenchym der Nebenniere ist daher nach Art einer 
Spongiosa angeordnet, deren Bälkchen und Plättchen eine sehr 
ungleiche Grösse und Form aufweisen. Die im Innern der Neben- 
niere auf diese Weise gebildeten Lücken und Hohlräume hängen 
überall miteinander zusammen und werden von den Zellsträngen 
des Paraganglion suprarenale zum allergrössten Teile vollständig 
ausgefüllt, den Rest nehmen grössere Venen ein. Die Zu- 
sammensetzung der Nebenniere ist daher keine gleichmässige. 
Prägt sich dies schon in der gröberen Anordnung des Parenchyms 
aus, so kommt dies noch deutlicher in der Struktur der einzelnen 
Zellstränge und Gruppen, sowie in der gegenseitigen Anordnung 
der Epithelzellen zum Ausdrucke. Hier sieht man ganz deutlich, 
dass der Bauplan der Nebenniere kein einheitlicher ist. 

Die Zellstränge bestehen in ihrer typischen und einfachsten 
Form aus zwei Reihen zylindrischer Epithelzellen (Eberth [2]. 
S. 509; H. Rabl [20], S. 514), die senkrecht zur Längsrichtung 
der Stränge orientiert sind und in der Achse der letzteren un- 
mittelbar aneinander grenzen. Sw. Vincent (24), S. 23, spricht 
von säulenförmigen Zellen, während R. Minervini (19), S. 486, für 
die verschiedenen Spezies verschiedene Zellformen angibt. Die 
Kerne liegen, wie H. Rabl (20), S. 515, angibt, häufig um 
das Doppelte ihres Durchmessers von der Oberfläche der Stränge 
entfernt. Eine genügende Anzahl von den ersteren ist dagegen 
der Oberfläche viel mehr genähert, oder berührt letztere sogar. 
Die Zellstränge besassen bei keinem Vogel ein 
wirkliches Lumen. Dieser Meinung ist auch v. Brunn (1), 
S. 625, H. Rabl (20), S. 514 und R. Minervini (19), S. 486— 487. 
Rabl beobachtete nur bei der Taube in der äussersten Peripherie 
der Nebenniere solche Zellstränge, welche ein enges Lumen hatten. 
Mir gelang dieser Nachweis nicht. Ueberall dort, wo im Innern 
der Zellstränge ein Jumenartiger Hohlraum vorkam, handelte es sich, 


in meinen Präparaten wenigstens, um Kunstprodukte. Ich schliesse 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 40 


602 Wilhelm Kose: 


mich hier in der Deutung dieser Hohlräume R. Minervinis (19) 
Ansicht an. Dieser sagt auf Seite 486—487: „Sur la seetion 
transversale du cordon, elles apparaissent alors comme un faisceau 
d’elöments allonges disposes en rajons autour d’un point souvent 
excentrique et parfois, surtout quand il y a un espace vide, on 
a l’image d’un vrai tube glandulaire avec un £pithelium eylindrique 
tres haut. 

Cette apparence se rencontre frequemment dans le corps 
surrenal du pigeon, et elle a et@ deja observee par d’autres tels 
que Stilling et Rabl, qui ont interpröt& ces formes comme de 
vrais cordons creux. Mais, en observant attentivement un grand 
nombre de ces sections, je me suis convaincu que le vide central 
des cordons est un fait purement accidentel, dependant probab- 
lement de la preparation, soit comme un effet de la retraction 
subie par les elements cellulaires pendant la fixation, de facon 
qu’ils n’arrivent plus a se toucher avec leurs extr@mites centrales, 
soit comme une suite de la chute ou de la destruction, d’autres 
elements situes dans le centre du cordon.“ 

Eine irrige Ansicht vertritt Eberth (2), Seite 509, der 
hervorhebt, dass sich bei den Vögeln im Gegensatze zu den 
Säugetieren keine soliden Zellstränge, sondern Zellschläuche mit 
engem Lumen finden. Den Untersuchungen Sw. Vincents (24), 
S. 23, zufolge, setzt sich die Nebenniere aus soliden und hohlen 
Schläuchen zusammen: „In the small peripheral evlinders, there 
is often only one laver, which bounds a distinet, round or oval, 
lumen. But in most cases the structure is that of solid masses 
of polyhedral cells surrounded by a layer of columnar ones and 
having no lumen (Pl. XVII, fig. 14).“ 

Die einfachsten Stränge besitzen einen Breitendurchmesser 
von 0,04--0,066 mm (Rabl [20], S. 514). Eine grössere Anzahl 
von Zellsträngen ist aber durchaus nicht so einfach zusammen- 
gesetzt. Es schieben sich hier in ihrer Achse zwischen die ur- 
sprünglichen zwei Zellreihen verschieden grosse Zellansammlungen 
ein. Erstere liegen nach wie vor in der äussersten Peripherie 
der Stränge und bewahren die typische Anordnung ihrer Zellen 
und Kerne. Sw. Vincent (24) gibt von diesen Strängen eine 
Abbildung. Die in der Mitte der Stränge gelegenen Zellen sind 
polyedrisch. Manchmal handelt es sich aber wohl um typische 
zylindrische Zellen, die bloss mit ihrer Längsachse senkrecht zu 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 605 
jener der am Rande der Stränge angeordneten zylindrischen 
Zellen orientiert sind. Solche Stränge besitzen oft einen Breiten- 
durchmesser von 0,1 mm und darüber. 

Eine weitere Veränderung im Aufbaue der Nebenniere kommt, 
wie schon früher erwähnt wurde, durch die Vereinigung benach- 
barter Zellstränge zustande. Letztere besitzen in gleicher Weise 
wie auch die grossen Zellgruppen an ihrer äusseren Oberfläche 
eine dünne, mit elastischen Fasern vermengte, bindegewebige Hülle. 
Diese besteht aus einem Geflechte stärkerer und schwächerer 
Fasern. Die dünnsten von ihnen stehen eben an der Grenze 
der Wahrnehmbarkeit. Ueberall dort, wo die Zellstränge sich 
aneinander legen, sind sie entweder durch Kapillaren voneinander 
geschieden, oder aber es berühren sich ihre Faserhüllen direkt 
und verflechten sich gegenseitig zu mehr einheitlichen Septen. 
Diese zeigen öfters eine Reduktion bis auf wenige, ja sogar eine 
einzige bindegewebige Faser. Es fehlen nun öfters zwischen den- 
jenigen Zellsträngen, welche sich unmittelbar aneinander legen, die 
bindegewebigen Faserzüge vollkommen. Dadurch entstehen mehr 
einheitliche Zellanhäufungen, deren Zusammensetzung aus ein- 
zelnen Strängen oftmals nur an einer reihenförmigen Anordnung 
der Zellkerne zu erkennen ist. Häufig aber ist letztere voll- 
kommen verwischt. H. Rabl (20) gibt eine genauere Darstellung 
dieser histologischen Verhältnisse. Er sagt auf S. 515: „Dadurch 
aber, dass die Hauptstränge (Nebenniere) nur von einer sehr 
dünnen Faserlage umhüllt sind und einer Membrana propria ent- 
behren, verlieren sie dort, wo sie zusammenstossen, den Character 
eines soliden Schlauches und erzeugen den Eindruck von Zell- 
haufen, wofern nicht die reihenweise Anordnung der Kerne auf 
einen speciellen Bau hinweist.“ 

Jene Zellstränge, die bloss aus zwei Zellreihen zusammen- 
gesetzt sind, legen sich stellenweise in Gestalt eines völlig ge- 
schlossenen Ringes um die an ihrer Aussenseite befindlichen 
Kapillaren. Auf dem Querschnitte sind letztere dann von einer 
doppelten Zellreihe umfasst. Die Kerne der inneren Schichte 
liegen, wie sich von selbst ergibt, in den den Kapillaren zuge- 
wendeten Zellhälften. Wenn nun mehrere solcher Zellstränge 
sich miteinander vereinigen, dann lösen sich bloss ihre äusseren 
Zellreihen auf, während diejenigen, welche die Kapillaren un- 


mittelbar umgeben, in ihrer typischen Anordnung häufig erhalten 
40* 


604 Wilhelm Kose: 


bleiben. Auf diese Weise gelangen die ursprünglich 
an der Aussenseite der Stränge verlaufenden Kapillaren 
in das Innere der Zellgruppen. 

Man sollte nun eigentlich a priori annehmen, dass die Zellen der 
Nebenniere, einesOÖrganes von anerkannt epithelialem 
Ursprunge, zeitlebens auch eine diesbezügliche Anordnung 
bewahren. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Meiner nun 
folgenden Beschreibung lege ich hauptsächlich in der Mischung 
Müllersche Flüssigkeit 9 : Formol 1 fixierte Präparate von 
Hühnern zugrunde Nur eine gewisse Anzahl von Zellen 
bleibt in einem typischen epithelialen Verbande. An anderen 
Stellen erfährt dieser dadurch eine Lockerung und Auflösung 
seines Gefüges, dass von der bindegewebigen Hülle der Zellstränge 
und Gruppen feine und stärkere Fasern direkt zwischen 
die einzelnen Epithelzellen hineinziehen. Diese meist längsver- 
laufenden Fasern verbinden sich durch mehr quer oder schräg 
angeordnete zu lockeren und weitmaschigen Gittern oder Körben 
in der Art, dass jede Zelle für sich von ihnen umgeben 
wird. Diese bindegewebigen perizellulären Netze erreichen aber 
niemals eine so grosse Dichte wie im Paraganglion suprarenale. 
Da das Bindegewebe der Nebenniere seiner Darstellung durch 
spezifische Farbstoffe vielleicht noch grössere Schwierigkeiten als 
jenes im Paraganglion suprarenale entgegensetzt, so glaube ich, 
dass gerade so wie dort auch hier sich ein Teil von ihm der 
Beobachtung einfach entzieht. Dennoch gibt es genügend viele 
Stellen, in den nach der Methode von Mallory-Stöhr oder 
Freeborn gefärbten Präparaten, wo man das oben geschilderte 
Verhalten genau studieren kann. 

Ganz besonders schön sieht man dort, wo die Kapillaren im 
Querschnitt getroffen sind, von ihrer bindegewebigen Umhüllung 
die Fasern pinsel- oder büschelartig zwischen die einzelnen Epithel- 
zellen einstrahlen. Dass es sich hier sicher um fibrilläres 
Bindegewebe handelt, geht erstens aus der direkten morpho- 
logischen Betrachtung, zweitens aus dem positiven Ausfalle der 
spezifischen Färbungen und endlich auch daraus hervor, dass 
sichere, wenn auch nur sehr spärliche Bindegewebs- 
kerne in den Verlauf der interzellulären Fäserchen eingeschaltet 
waren. 

Bevor ich nun die Art und Weise der gegenseitigen An- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 605 


ordnung der Epithelzellen näher bespreche, will ich auf ihren 
feineren Aufbau etwas genauer eingehen. Die Zellen der Neben- 
niere (Rinde) sind im frischen Zustande vollständig von einer 
Anzahl feinster, verschieden grosser Tröpfehen erfüllt. H. Rabl (20) 
beschreibt dies genau auf S. 513: „Diese Farbe (gelb) rührt 
von einer Menge feinster Tröpfehen her, welche in den Epithel- 
zellen enthalten sind. Wenn man das Organ frisch, unter Zusatz 
von Kochsalz, zerzupft, ist es ganz unmöglich, einen Einblick in 
die Structur der Stränge zu erhalten. Sie sind von diesen Tröpfchen, 
welche dann auch in grosser Menge frei in der Flüssigkeit 
schwimmen, und auch offenbar bei der Präparation aus ihren 
Zellen ausgefallen sind, dicht erfüllt. Die Tröpfehen sind zumeist 
klein, doch trifft man auch grössere, und kann eine kontinuierliche 
teihe von den kleinsten bis zu solchen von ansehnlicher Grösse 
wahrnehmen. Sie sind stark lichtbrechend.....“ Rabl kommt 
schliesslich zu der Überzeugung, dass diese Tropfen Fett 
sind (S. 514): „Ich glaube daraus folgern zu dürfen, dass das 
Nebennierenfett mit dem normalen Körperfett nicht identisch ist. 
ohne aber — nach den anderweitigen Reactionen — seine Natur 
als Fett leugnen zu können.“ Sw. Vincent (24) schliesst sich dieser 
Anschauung an (S. 23): „The cells are finely granular and contain 
in a fresh state numerous fat-globules.“ Auch R. Minervini (19), 
S. 457, zweifelt nicht an der Fettnatur der Tröpfehen. „Leur proto- 
plasma finement granuleux contient de tres petites gouttelettes 
graisseuses, qui sont moins evidentes ou font defaut chez V’animal 
tres jeune ou le nouveau-ne.“ 

Ich habe die Versuche Rabls nicht nachgemacht, da ja 
kein Zweifel an ihrer Richtigkeit besteht. Ich kann aber so viel 
sagen, dass diese Tröpfchen in den allermeisten Zellen meiner 
sämtlichen Präparate — mögen diese wie immer fixiert ge- 
wesen sein — entweder vollständig oder doch zum allerergrössten 
Teile fehlten. Nur hier und da enthielten spärliche Zellen 
wenige solcher Sekrettropfen. Da die Präparate stets durch 
Alkohol absolutus (99,8 °/o Gewichtsprozent), der dreimal 
binnen zweimal 24 Stunden gewechselt wurde, und ferner durch 
Xylol, das ebenfalls dreimal in zweimal 24 Stunden erneuert 
wurde, in Paraffin überführt wurden, so mussten die Tröpfehen 
entschieden in diesen Reagentien aufgelöst werden, ein Umstand, 
der ebenfalls für ihre Fettnatur zu sprechen scheint. Am deut- 


606 Wilhelm Kose: 


lichsten trat diese Erscheinung in solchen Präparaten auf, die in 
dem Carnoyschen Gemische fixiert wurden. Hier waren 
aus sämtlichen Zellen alle Tröpfchen extrahiert. 
Nur manchmal fand ich in einem Schnitte zwei bis drei solcher 
Tröpfchen. 

Weiter unten auf Seite 514 fährt H. Rab (20) fort: „Eine 
zweite Art von Körnchen finde ich neben diesen Fetttröpfehen 
in der Nebenniere nicht. Braun beschreibt bei den Reptilien 
ausserdem gelbe Körnchen, mit welchen die kleinsten dieser Fett- 
tröpfchen leicht zu verwechseln wären. Sie sollten es auch sein, 
welche die gelbe Farbe des Organes bedingen. Ich war nicht 
im Stande, weder bei Vögeln, noch auch bei mehreren Reptilien 
(Lacerta, Tropidonotus, Stellio), solche Körnchen zu sehen und 
muss daher auch die gelbe Farbe des Organes als Wirkung des 
Fettes auffassen.“ Entgegen diesen Angaben H. Rabls erwähnt 
R. Minervini (19), Seite 487: „De plus elles (Nebennierenzellen 
— Rindenzellen) contiennent tres souvent de tres petits grains de 
pigment jounätre, qui sont aussi moins visibles chez le nou- 
veau-ne.“ 

Es ist nun tatsächlich sekr schwer, in dieser Frage eine 
sichere Entscheidung zu tretien. Stellenweise scheinen die Neben- 
nierenzellen neben den Fettropfen noch kleine gelbe oder mehr 
bräunliche Pigmentkörnchen zu enthalten. Man muss sich jedoch 
sehr vor einer Verwechslung mit den allerkleinsten Fettropfen 
hüten. Diese können überall dort, wo sie gehäuft liegen, bei 
einer unscharfen Einstellung, dadurch, dass sie als kleine, dunkle 
Punkte erscheinen, Pigmentkörnchen vortäuschen. Die Zahl 
derjenigen Körnchen, bei denen es zweifelhaft bleibt, ob es sich 
nicht doch um ein eigenes Pigment handelt, ist aber viel zu 
gering, um durch sie allein die gelbe Farbe des Gesamtorganes 
erklären zu wollen. H. Rabl hat daher auf alle Fälle recht, 
wenn er die letztere auf die in den Zellen enthaltenen Fettropfen 
zurückführt. 

Für das Studium der Anordnung des eigentlichen Plasmas 
ist der fast völlige Schwund der Fettröpfehen im fixierten Prä- 
parate ein sehr günstiger Umstand. Auf diese Weise erkennt 
man leicht, dass das Plasma die Zellen in Gestalt dünnster 
Fädchen nach allen Richtungen durchsetzt, die sich ihrerseits zu 
einem feinmaschigen Wabenwerke verbinden. Diese plasmatischen 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 607 


Fädchen sind trotz ihrer ausserordentlichen Feinheit dennoch 
nicht gleich stark. Das Gerüst ein und derselben Zelle besteht 
teils aus etwas stärkeren, teils aber aus so schwachen Fädchen, 
dass diese eben nur noch wahrgenommen werden. Die Maschen, 
die durch die gegenseitige Verbindung der Fädchen gebildet 
werden, sind meist gleich gross und sehr klein; eine Anzahl von 
ihnen ist aber merklich grösser. Diese sind unter den kleineren 
Maschen unregelmässig verteilt. In den Knotenpunkten des plas- 
matischen Wabenwerkes liegen kleine Granula.. Es kommt nun 
öfters vor, dass stellenweise infolge der Fixation oder aber der 
Schnittführung das intrazelluläre Netz leichte Zerreissungen auf- 
weist. Es gibt aber auch Stellen, an welchen der Einfluss 
dieser zwei schädigenden Momente mit Sicherheit auszuschliessen 
ist und das plasmatische Fadengerüst dennoch teils geschwunden 
ist, teils Lockerungen seines Gefüges zeigt. Ich glaube, dass 
dies im letzteren Falle nur den morphologischen Ausdruck des 
physiologischen Lebensprozesses der betreffenden Zellen bildet. 
Mögen nun welche Ursachen immer eine Rolle spielen, es werden 
dabei die in den Knotenpunkten des Maschenwerkes gelegenen 
Granula frei. Diese Zellen zeigen dann ein ähnliches granu- 
liertes Aussehen wie die chromaffinen Zellen, nur sind die 
Granula viel spärlicher als in den letzteren und liegen daher 
weiter voneinander. Die plasmatischen Fädchen können ihrerseits 
ebenfalls in feinste staubartige Körnchen zerfallen. 

In den Lücken des plasmatischen Wabenwerkes liegen die 
Fettropfen und die in Frage kommenden kleinen gelben Körnchen. 
Man sollte nun annehmen, dass die grössten Lücken stets auch 
die grössten Fettropfen umschliessen. Dies ist aber durchaus 
keine unumstössliche Regel. Es liegen vielmehr oft mehrere 
kleinste, dichtgedrängte Fettropfen in einer einzigen grösseren 
Lücke. 

Die plasmatischen Fadengerüste der einzelnen Zellen hängen 
nun vielfach miteinander zusammen. Mögen nun die Zellen durch 
Bindegewebsfasern voneinander getrennt sein oder nicht, man 
sieht ganz deutlich, wie sich die intrazellulären Fädchen aus 
einer in die andere Zelle fortsetzen. Auf diese Weise werden 
die zwischen den Zellen gelegenen bindegewebigen Fasern von 
den protoplasmatischen Fädchen über- und unterlagert 
und erhalten so stellenweise einen ganz feinen protoplas- 


608 Wilhelm Kose: 


matischen Überzug. An solchen Stellen sind die binde- 
gewebigen Fasern nur durch eine gelungene spezifische Färbung 
von dem Protoplasma zu differenzieren. Wo diese ganz oder 
zum grössten Teile versagt, macht es nur den Eindruck, als ob 
die einzelnen Zellen durch eine etwas verdichtete protoplasmatische 
Wandschichte voneinander getrennt wären. Es muss daher oft 
unentschieden gelassen werden, ob letztere in ihrem Innern 
bindegewebige Fäserchen birgt. 

Es gibt nun eine grosse Anzahl von Zellen, die neben- 
einander liegen, ohne dass sie in der eben be- 
schriebenen Art eine gegenseitige Verbindung 
eingingen. Diese bewahren den epithelialen 
Typus am reinsten. An anderen Stellen zeigt die Neben- 
niere endlich noch besondere Struktureigentümlichkeiten. Grössere 
oder kleinere Abschnittte von ihr bestehen nur aus einem 
vollkommen einheitlichen protoplasmatischen 
Netzwerke, das jenem im Innern der einzelnen 
Zellen befindlichen völlig gleich ist. Nirgends ist, 
weder durch bindegewebige Fäserchen noch sonst wie, auch nur 
eine Andeutung einer Zerklüftung in einzelne Zellen wahrzu- 
nehmen. Die Kerne sind ohne eine bestimmte Anordnung in dem 
protoplasmatischen Netze verteilt; nur stellenweise zeigen sie 
noch eine reihenförmige Anordnung. Die syneytiale Ver- 
schmelzung der einzelnen Epithelzellen tritt an solchen Stellen 
am besten zutage. 

Die Kerne der Nebennierenzellen sind meist rund und besitzen 
ein oder mehrere grössere und einige kleinere Kernkörperchen. 
Ihr Durchmesser schwankt zwischen 0,003— 0,006 mm. Als Bei- 
spiele seien einige Kernmaße angeführt: 

Kern a 0,004—0,006 mm 

b 0,005—0,006 „ 
c 0.004—0,006 
„. d 0,003—0,006 
„7 e20,006=0;006 

Artunterschiede machen sich Beiglich. a Kerngrösse nicht 
bemerkbar. Es gelang mir nicht, so grosse Kerne von 0,008 mm, 
wie H. Rabl (20), angibt aufzufinden. Grosse und kleine Kerne 
sind bei ein und demselben Vogel oft bunt durcheinander ge- 
mischt. Manchmal finden sich in den Schnitten vorwiegend nur 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 609 


die grossen, dann wieder nur die kleinen Kerne, ohne dass ich 
für diese verschiedene Verteilung einen Grund angeben könnte. 

H. Rabl (20), S. 516, beobachtete, dass nach Härtung in 
1°/o Chromsäure im Gegensatze zu den anderen Methoden 
zweierlei Zellen in den Hauptsträngen (Nebenniere = Rinde) 
auftreten. Er sagt: „Die eine (Zellart) characterisirt sich durch 
eine weitbauchige, becherzellenartige Form des Zellleibes, in der 
nur wenig Protoplasma und ein runder Kern mit Kernkörperchen 
enthalten ist, die andere färbt sich gelbbraun, scheint zusammen- 
gedrückt und nur die Lücken zwischen den Blasenzellen auszu- 
füllen.“ Weiter unten: „Die Vertheilung der Blasenzellen in den 
Strängen ist eine wechselnde. An manchen Punkten constituiren 
sie dieselben fast ausschliesslich, an manchen fehlen sie voll- 
ständig. An der Peripherie finden sich häufig Zelleomplexe, 
welche den bei anderwärtiger Härtung erhaltenen Bildern ent- 
sprechen. Doch kann man daraus nicht auf ungleiche Einwirkung 
der Chromsäure entsprechend ihrem Eindringen in das Organ 
schliessen, denn wie aus Fig. 16 hervorgeht, finden sich die 
Blasenzellen auch in der Peripherie. Es besitzt also die Chrom- 
säure eine specifisch quellende Wirkung auf gewisse Zellen der 
Hauptstränge (Nebenniere — Rinde). Da aber gar keine Regel- 
mässigkeit in dem Auftreten dieser Reaction liegt und bei anderen 
Fixirungsmethoden ein Unterschied zwischen den Zellen der 
Hauptstränge fehlt, möchte ich derselben keine weitere Bedeutung 
beilegen.“ 

Ich konnte nun nach Vorbehandlung der Nebenniere der 
Taube und des Huhnes mit reiner Müllerscher Flüssig- 
keit eine ähnliche Difterenz im Aussehen der einzelnen Zellen 
erkennen. Da ich aber ferner beim Huhne auch nach der 
Fixierung mit Müller-Formol — der besten Methode für unsere 
Zwecke — mitten unter den gewöhnlichen Epithelzellen, wenn 
auch nur selten, blasenartige aufgetriebene Zellen fand, so glaube 
ich, dass es sich dabei, wenigstens nicht ausschliess- 
lich, um einen durch die Fixierung herbeigeführten Effekt 
handeln kann. 

Die eigentümliche Verteilung des fibrillären Bindegewebes 
im Innern der Nebenniere wurde schon von v. Brunn (1) und 
H. RablI (20) beobachtet. Ersterer nimmt aber irrigerweise an, 
dass die Nebennierenzellen (Rindenzellen) Bindegewebszellen seien, 


610 Wilhelm Kose: 


während H. Rabl bloss die feinen interzellulären Fäserchen als 
Ausläufer von Bindegewebszellen auffasst. Er sagt auf S. 514: 
„Häufig findet man auch innerhalb der Stränge kernartige Ge- 
bilde. welche Bindegewebszellen angehören, deren feinste Aus- 
läufer Maschen bilden, in welchen die Epithelzellen enthalten sind.“ 
Ich muss hier nochmals betonen, dass ich diese Kerne nur sehr 
selten aufzufinden vermochte. Weiter unten fährt Rabl fort: 
„Ähnliche Netze finden sich auch in der Rinde der Säugethier- 
nebenniere, nur sind sie dort noch reichlicher entwickelt, so dass 
die einzelnen Epithelzellen einen höheren Grad von Selbständig- 
keit erlangen, während sie hier noch zu Strängen zusammen- 
geordnet sind.“ Die diesbezüglichen Beobachtungen über 
die Nebenniere der Säugetiere von v. Brunn (1), Eberth (2). 
u. a. waren auch mir bekannt. Angeregt durch die neueren 
Untersuchungen von E. Holmgren (3) habe ich seine dies- 
bezüglichen Angaben beim Igel (Erinaceus europeus L.) nach- 
geprüft und in der Hauptsache vollkommen bestätigt gefunden. 
Das fibrilläre Bindegewebe färbt sich beim Igel schon durch die 
gebräuchlichsten Säurefuchsin enthaltenden Mischungen scharf 
bis in seine feinsten Ausläufer, dass es ganz leicht ist, seine Ver- 
teilung zu verfolgen. Tatsächlich lagen fast alle Zellen der Zona 
reticularis und fasciculata in separaten bindegewebigen 
Maschen, während in der Zona glomerulosa dies nicht eine 
allgemeine Regel bildete. Da ich aber nur diesen einen Igel 
untersuchte und dieser im Frühjahr noch im tiefsten Winter- 
schlafe im Walde aufgefunden wurde — sein Ernährungszustand 
daher ein sehr schlechter war — so könnte man daran denken, 
dass dabei ein Teil der feinen bindegewebigen Fasern geschwunden 
oder doch wenigstens chemisch so verändert war, dass er sich 
nicht färbte. Ich werde zu dieser Annahme darum hingeleitet, 
weil Holmgren (3) ausdrücklich folgendes angibt (S. 161:) 
„Muss es also als sicher angesehen werden, dass die einzelnen 
Epithelzellen der verschiedenen Regionen von Nebennierenrinde 
des Igels von interstitiellem Gewebe ringsherum umgeben 
werden, .....* Da ich aber nur diesen einen Igel untersuchte, 
so möchte ich meinen obigen Befund nicht verallgemeinern. — 
Auch bei der Maus (Mus musculus L.) lagen die einzelnen 
Epithelzellen der Nebenniere, jede für sich, in einzelnen binde- 
gewebigen Hüllen. Durch diese positiven Befunde bei Säuge- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 611 


tieren erfahren die Beobachtungen an der Nebenniere bei Vögeln 
eine weitere und wichtige Stütze. 

Die organische Verbindung des Paraganglion supra- 
renale mit der Nebenniere prägt sich nicht zum mindesten auch 
in der Anordnung ihres allseitig zusammenhängenden Gefäss- 
netzes aus. Die zuführenden Arterien verzweigen sich schon viel- 
fach in der äusseren, das Paraganglion suprarenale und die Neben- 
niere gemeinschaftlich umhüllenden, bindegewebigen Kapsel. Von 
hier aus ziehen in das Innere der Nebenniere hauptsächlich 
nur Kapillaren. Dem Paraganglion suprarenale wird aber 
nicht bloss durch Kapillaren, sondern auch durch kleinere und 
grössere Arterien, die öfters ziemlich weit in dasselbe ein- 
dringen, ehe sie sich in Kapillaren auflösen, das Blut zugeführt. 
Im Innern des Paraganglion suprarenale bilden die Arterien, vor 
allem aber die Kapillaren, ein ungemein reiches und dichtes Ge- 
flecht und gehen schliesslich in Venen über, die sich ihrerseits zu 
grösseren Stämmchen vereinen. Es kommt aber häufig genug 
vor, dass die Kapillaren direkt in die letzteren einmünden. Die 
Venen ziehen dann aus dem Paraganglion suprarenale in die 
Nebenniere. Dabei durchqueren sie öfters einen Zellstrang des 
ersteren und treten an zwei entgegengesetzten Seiten gleichzeitig 
aus ihm heraus. In der Nebenniere angelangt, nehmen diese 
Venen auch die Kapillaren der letzteren auf. Diese umspinnen 
auf ihrem Verlaufe von der Kapsel her die Zellstränge von aussen 
und gelangen dadurch, dass sich die letzteren zu Gruppen ver- 
einen, auch in das Innere dieser. Die Kapillaren erweitern sich 
vor ihrem Eintritte in die Venen streckenweise ganz bedeutend. 
Es kommt nun öfters vor, dass kleinere Venen unmittelbar nach 
ihrem Austritte aus dem Paraganglion suprarenale in ungemein 
breite Venen einmünden, die eigentlich zwischen die Nebenniere 
und das Paraganglion suprarenale eingeschaltet sind. Sie liegen 
nämlich in den von den Zellsträngen der Nebenniere begrenzten 
Lücken, werden aber gleichzeitig auch von den Gruppen 
chromaffiner Zellen umgeben. Eine grössere Anzahl von Kapillaren 
der Nebenniere ergiesst nun ihr Blut direkt in diese breiten Venen. 
Fürs erste erwecken die letzteren den Eindruck lakunenartiger, 
wandungsloser Bluträume. Es handelt sich aber, wie wir gleich 
sehen werden, stets um geschlossene Blutgefässe. In 
den Venen der Nebenniere mischt sich demnach 


612 Wilhelm Kose: 


das Blut letzterer mit jenem des Paraganglion 
suprarenale. 

Die Wand sämtlicher Venen und Kapillaren, sowohl des 
Paraganglion suprarenale, als auch der Nebenniere, besteht aus 
einem einfachen Endothel und einer sehr verschieden starken 
bindegewebigen Faserhülle. Im Paraganglion suprarenale wird 
diese durch Fortsetzungen des Stützgerüstes gebildet. 

Wie wir gesehen haben, besitzen die Zellstränge und Zell- 
gruppen der Nebenniere an ihrer äusseren Oberfläche eine Hülle 
netzartig miteinander verwebter bindegewebiger Fäserchen. Diese 
legen sich den zwischen den Strängen verlaufenden Kapillaren, 
die nur aus einem einfachen Endothel zusammengesetzt sind, un- 
mittelbar an und spinnen auf diese Weise die letzteren gleich- 
zeitig mit ein. Dass diese bindegewebigen Fäserchen nicht 
als ein eigentlicher Wandbestandteil der Kapil- 
laren aufzufassen sind, ergeben jene Stellen mit Sicherheit, an 
denen keine Kapillaren die einzelnen Stränge voneinander trennen 
und diese dennoch von derselben bindegewebigen Hülle bedeckt 
sind. Man muss sich aber hier vor der Verwechslung mit solchen 
Stellen hüten, wo die Kapillaren vollständig blutleer und kolla- 
biert sind und die benachbarten Zellstränge nur scheinbar an- 
einander grenzen. 

Weder im Paraganglion suprarenale noch in der Nebenniere 
steht die Weite des Lumens der Venen, und Kapillaren in einem 
gesetzmässigen Verhältnisse zu der Dicke ihres bindegewebigen 
Überzuges. Wenn auch für gewöhnlich die Kapillaren und kleineren 
Venen den schwächsten Wandbelag haben, so sind es manchmal 
gerade die grossen Venen die von nur wenigen Fäserchen um- 
sponnen werden, während die Kapillaren eine ansehnliche adven- 
titielle Scheide besitzen. Nur die allerstärksten Venen, welche 
die Anfänge der Vena suprarenalis bilden, sowie letztere selbst, 
nehmen insofern eine Ausnahmestellung ein, als ihre Wand ausser 
dem Endothel regelmässig noch eine ansehnlichere Lage fibril- 
lären, mit elastischen Fasern vermengten, Bindegewebes besitzt, 
das ausserdem durch spärliche glatte Muskelfasern verstärkt wird. 
Auf diese Art und Weise ist die gesamte Blutbahn im Paraganglion 
suprarenale und der Nebenniere eine völlig geschlossene, 
nirgends fand ich wandungslose Bluträume. Überall sind die 
Epithel- und die chromaffinen Zellen ausser durch das Endothel 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 613 


noch durch verschieden starke Züge feinster bindegewebiger 
Fibrillen vom Lumen der Kapillaren und Venen getrennt. 

Über die Gefässverteilung in der sogenannten „Nebenniere“ 
(Nebenniere + Paraganglion suprarenale) finde ich nur spärliche 
Angaben in der Literatur. v. Brunn (1) bemerkt folgendes auf 
Seite 628: „In der Nebenniere ((sesamtorgan) der Vögel ist der 
Verlauf (der Gefässe) natürlich ein völlig anderer: die Arterien 
treten zur Kapsel, verzweigen sich in ihr und treten in das 
Organ ein. 

Beim Eintritt sind sie am schwächsten. Sie verlaufen dann 
geschlängelt zwischen den Zellsträngen hin, diese wie auch die 
zwischen denselben liegenden Markzellenhaufen eng umstrickend. 
Je weiter. nach dem Centrum hin werden sie immer weiter und 
weiter und ergiessen sich dort in die mächtige Centralvene.“ 
H. Rabl (20) macht bloss die kurze Bemerkung (Seite 514:) 
„Die Zellen (Nebenniere-Rinde) liegen dem Endothel der weiten 
Kapillaren scheinbar direct auf, nur eine Lage feinster Fibrillen 
trennt sie von demselben.“ 

R. Minervini (19), Seite 487, beschränkt sich bloss auf 
die Bemerkung: „Dans ce tissu interstitiel, on rencontre des 
vaisseaux & faibles parois...... “ Dies bezieht sich sowohl 
auf die Nebenniere als auch auf das Paraganglion 
suprarenale. 

Es ist nun sicher, dass überall dort, wo die adventitielle 
Faserlage eine besondere Mächtigkeit erreicht. die Parenchymzellen 
sowohl im Paraganglion suprarenale als auch in der Nebenniere 
unmöglich bis ans Gefässrohr heranreichen können. Sind dagegen 
die Venen und Kapillaren nur von einem Netzwerke feinster 
Fibrillen umgeben, dann grenzen die Zellen in seinen Lücken 
vielfach unmittelbar an das Endothel. Aber selbst dort, wo dies 
nicht der Fall ist, ermöglichen dennoch die Spalten in dem 
bindegewebigen Faserwerke den freien Zutritt des Zellsekretes 
zur Gefässwand. Man kann also darin, dass sich überall binde- 
gewebige Fäserchen zwischen das Endothel und die Parenchym- 
zellen einschieben, nicht eine morphologische Struktureigentümlich- 
keit erblicken, die als ein Beweis gegen eine innere Sekretion 
des Paraganglion suprarenale oder der Nebenniere anzuführen wäre. 

Viel schwerer fiele hier ein anderer Umstand in die Wag- 
schale. Wenn auch das im Innern des Paraganglion suprarenale 


614 Wilhelm Kose: 


von den Kapillaren und Venen zusammengesetzte Netz ein weit- 
verzweigtes ist, so gibt es dennoch viele Stellen, welche nur 
spärlicher vaskularisiert sind. Ist aber das Paraganglion supra- 
renale eine Drüse mit innerer Sekretion, auf welchem Wege 
gelangt dann das Sekret jener Zellen, die weiter von der Blut- 
bahn entfernt sind, in diese? Die Antwort darauf kann ich nur 
in Form einer Vermutung geben. 

Es finden sich überall zwischen den chromaffinen Zellen 
eigentümliche, häufig kreisrunde, seltener mehr unregelmässige 
Lücken oder längliche Spalten. Diese besitzen eine sehr ver- 
schiedene Grösse und Anordnung. Einige Zeichnungen mögen 
diese histologischen Verhältnisse erläutern. In Fig. 1, Taf. XXI, 
befindet sich rechts unten zwischen zwei ungleich intensiv gelb 
gefärbten chromaffinen Zellen ein solcher mehr dreieckiger Hohl- 
raum (Pfeil mit Vak’). Er wird gegen die chromaffinen Zellen 
zu nur von je einer äusserst feinen bindegewebigen Faser ab- 
gegrenzt. An der rechten Spitze dieses Hohlraumes ist ein 
etwas stärkeres und sehr lebhaft blau gefärbtes Fäserchen im 
Querschnitte getroffen (dunkelblau-schwarzes Pünktchen). Von 
da aus erstreckt sich weiter zwischen die zwei chromaffinen Zellen 
hinein ein sehr dünnes und nur schwach gefärbtes Fäserchen. 
Dem Hohlraum lagert links ein länglicher Bindegewebskern un- 
mittelbar an. Vergl. damit die vakuolenartigen Hohlräume Vak! 
in Fig. 2, Taf. XXI, ferner auch die zwei am oberen Rande be- 
findlichen je ein Kreuzchen (X) enthaltenden Hohlräume. Diese 
werden aber nicht mehr allseitig von chromaffinen Zellen 
eingehüllt. In Fig. 20, Taf. XXIL, ist eine von den allerkleinsten 
zwischenzelligen und vom Bindegewebe ausgekleideten Lücken 
gezeichnet (Pfeil mit Vak!). Vergl. damit auch die untere kleinere 
Lücke in Fig. 14, Taf. XXII, die im Vergleiche zu Fig. 20 eine 
ungemein viel grössere Ausdehnung besitzt. Sie wurde von drei 
chromaffinen Zellen umgeben. Die eine von ihnen war gelb, 
die anderen grau, und zwar ist von den letzteren die eine (dunkel- 
graues schmales Feld) nur im Anschnitte zu sehen. 

Man findet nun auch in solchen Schnitten, die nach der 
Freebornschen Methode gefärbt wurden, Stellen, wo diese 
interzellulären Lücken unmittelbar vom Plasma der chrom- 
affınen Zellen umgeben werden, wo also kein fibrilläres Binde- 
gewebe sich zwischen beide vorschiebt. Wie wir früher gesehen 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 615 


haben, grenzen die chromaffınen Zellen innerhalb der Lücken der 
bindegewebigen perizellulären Netze unmittelbar epithelartig 
aneinander. Es nimmt daher nicht wunder, dass ein Teil dieser 
zwischenzelligen Hohlräume auch an solchen Stellen sich vorfindet, 
wo kein fibrilläres Bindegewebe ausgebreitet ist. Erstere 
werden dann von den chromaffinen Zellen ganz nach 
Art von Drüsenzellen umlagert. An den Begrenzungen 
der Hohlräume beteiligen sich entweder bloss zwei, oder aber 
mehrere chromaffine Zellen. Man erhält auf diese Weise Bilder 
eines Querschnittes durch einen Drüsenalveolus. Es 
ist selbstverständlich, dass in solchen Schnitten, die nicht mit 
spezifischen Bindegewebsfarbstoffen behandelt wurden, diese Bilder 
umso gehäufter auftreten. 

Es kann nun aber vorkommen, dass diese zwischenzelligen 
Lücken durch stärkere oder schwächere Züge oder bloss Fasern 
des Bindegewebes umgeben und so gewissermassen von den 
chromaffinen Zellen abgedrängt werden. Vak! und Vak? in 
Fig. 1, Taf. XXI, geben ein Bild davon. Die Vak? ist von einem 
eben an der Grenze der Wahrnehmbarkeit stehenden, aber intensiv 
blauen Fäserchen umgeben. In seinen Verlauf sind vier quer- 
getroffene stärkere Fäserchen eingeschaltet (dunkle Pünktchen). 
Vergl. hier Fig. 20, Taf. XXIL, Vak?. Diese Lücke ist von einem 
stärkeren, aber schwächer gefärbten bindegewebigen Fäserchen 
umgeben. Links unten von der Lücke liegen die Querschnitte 
zweier Bindegewebsfäserchen. Schliesslich vergl. auch die grössere 
vakuolenartige Bildung in Fig. 14 und Fig. 12, Taf. XXI, Vak. 

Das mikroskopische Bild erfährt aber oft eine gewaltige 
Veränderung an jenen Stellen, an denen das zwischenzellige Binde- 
gewebe angehäuft ist. Letzteres wird hier öfters von den vakuolen- 
artigen Hohlräumen nach allen Richtungen durchsetzt. Fig. 18, 
Taf. XXII, gibt ein Bild davon. Zwischen den der Einfachheit 
halber gleichmässig grau gehaltenen chromaffinen Zellen liegt ein 
bindegewebiges Netz- und Maschenwerk. Seine einzelnen Lücken 
stehen alle miteinander in schmälerem oder breiterem Zusammen- 
hange. In der Figur ist nur ein Teil dieses Flechtwerkes wieder- 
gegeben. Die bindegewebigen Fasern sind teils längs-, teils 
quergetroffen. Aus dem maschigen Gerüste setzen sich in un- 
unterbrochenem Zuge verschieden starke bindegewebige Fasern 
zwischen die einzelnen chromaffınen Zellen fort. Die Grösse der 


616 Wilhelm Kose: 


Lücken solcher interzellulären Maschenwerke, wie eines in der 
Fig. 18 abgebildet ist, schwankt in denselben Grenzen wie jene 
der vereinzelt liegenden Vakuolen. Diese wabigen bindegewebigen 
Netze schieben sich manchmal bloss zwischen zwei chrom- 
affıne Zellen in der Art ein, dass ihre einzelnen Lücken in einem 
einfachen Zuge hintereinander angereiht sind. Es kommt aber 
auch vor, dass einzelne chromaffıne Zellen von den angehäuften 
Hohlräumen im Bindegewebe allseitig in einer schmäleren 
oder breiteren Schichte umgeben und so aus dem Verbande der 
anderen chromaffinen Zellen vollkommen isoliert werden. Ferner 
findet man die einzelnen oder zu (Gruppen vereinten Hohlräume 
und Lücken häufig an der Grenze zwischen dem Paraganglion 
suprarenale und der Nebenniere. Infolge dieser Lage werden sie 
dann an ihrer Peripherie zum Teile von den chromaffinen, zum 
Teile aber von den Epithelzellen der Nebenniere umgeben. 

Die vollständig im Bindegewebe vergrabenen Lücken 
könnnen aber auch die Gestalt ganz unregelmässiger Spalten 
haben. (Vergl. Fig. 1, Taf. XXI. Mitte der Zeichnung.) 

Die interzellulären Hohlräume treten aber noch in einer 
anderen Gestalt auf. Man findet nämlich häufig zwischen den 
chromaftfinen Zellen schmale, parallelwandige Spalten, 
die sofort lebhaft an Sekretkapillaren erinnern. 
Diesen Befund beschreibt schon Sw. Vincent (24), Seite 23: 
„After treatment with hardening fluids containing bichromate of 
potassium, they (chromaffine Zellen) shew a tendency to separate 
from each other, leaving clear spaces between them.“ 

Diese Spalten sind nun entweder von Bindegewebsfasern 
ausgekleidet oder sie entbehren eines solchen Wandbelages. 

In Fig. 21, Taf. XXII, verläuft zwischen der chromaffinen 
Zelle a und b eine solche von zwei schwachen bindegewebigen 
Fäserchen ausgekleidete Spalte (sk. kp!). 

Am linken oberen Ende der unteren Faser liegt der Quer- 
schnitt (qu) einer dritten bindegewebigen Faser. In Fig. 10, 
Taf. XXI, sind die chromaffinen Zellen 1 und 2 durch einen 
etwas breiteren Spalt (sk. kp) voneinander geschieden, welcher 
aber keine bindegewebige Faser enthält. In Fig. 1, Taf. XXI, 
ist an der rechten oberen Seite ebenfalls ein kleiner, vom Binde- 
gewebe vollständig ausgekleideter Spalt (sk. kp) dargestellt. Sind 
nun diese interzellulären kapillarartigen Spalten 


u 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 617 


quergetroffen, so können die Querschnitte der leb- 
haft gefärbten Bindegewebsfibrillen, die bloss 
als runde, schwarzblaue Punkte erscheinen, typische 
Schlussleisten vortäuschen. 
e Häufig enthalten die Querschnitte dieser kapillären Spalten 
nur zwei, seltener mehrere solcher Punkte. Es kommt aber 
auch vor, dass die bindegewebigen Fäserchen der benachbarten 
chromaffinen Zellen sich streckenweise unmittelbar 
aneinander legen, so dass dann in der Lücke scheinbar nur ein 
einziges quergetroffenes Fäserchen aufzufinden ist. Dieses ver- 
läuft entweder der Wand der Lücke angeschmiegt, oder in ihrem 
Zentrum. Im letzteren Falle sieht man dann ohne weiteres, dass 
es sich um „Schlussleisten“ nicht handeln kann. 
Trachten wir, uns über den morphologischen Charakter dieser 
interzellulären Lücken und Spalten Klarheit zu verschaffen, so 
muss ich folgendes hervorheben. Um Schrumpfungsprodukte 
kann es sich in diesen Fällen auf keinen Fall handeln. 
Erstens waren sämtliche Präparate, in welchen die fraglichen 
Strukturen beobachtet wurden, stets sorgfältigst in der Mischung 
Müllersche Flüssigkeit 9:Formol 1 fixiert gewesen. Nur 
ganz vereinzelte chromaffine Zellen zeigten dabei ausnahms- 
weise hier und da unwesentliche Schrumpfungen. Gerade 
jene Zellen, welche die interzellulären Längsspalten begrenzten, 
zeigten einen tadellosen Erhaltungszustand. Sie erfüllten, ohne 
die geringsten Schrumpfungen, die bindegewebigen Lücken, in 
welchen sie lagen, vollständig. Es ist auch in Fig. 21, Taf. XXL, 
zu sehen, wie die feinen bindegewebigen Fäserchen ohne die 
geringste Abhebung den chromaffinen Zellen aufliegen. So kommt 
es, dass die Spalten, mögen sie nun durch Bindegewebe aus- 
gekleidet sein oder nicht, von scharfkantigen und un- 
geschrumpften chromaffinen Zellen umgeben werden. 
Weitere Gründe, die mich zu der Annahme bestimmen, dass diese 
interzellulären Spalten nicht als Kunstprodukte, sondern, um es 
gleich zu sagen, als Sekretkapillaren ähnliche, wenn 
nicht gleichwertige, Strukturen aufgefasst werden 
müssen, sind schliesslich noch ihr relativ häufiges Vorkommen 
und der Umstand, dass sie sich ohne Unterbrechung in die 
interzellulären, mehr unregelmässig geformten Hohlräume 


verfolgen lassen. Sie bilden dann häufig ihre unmittelbare Ver- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 41 f 


| 


615 Wilhelm Kose: 


längerung. In Fig. 21, Taf. XXII, setzte sich die zwischenzellige 
vakuolenartige Lücke bei der geringsten Verstellung der Mikro- 
meterschraube direkt in den kapillaren Spalt (sk. kp!) fort. Ebenso 
sieht man deutlich, wie zwischen die Zelle (ce) und die Kapillare 
(gelbes Feld) sich als unmittelbare Fortsetzung des Hohlraumes eine _ 
ganz schmale längsverlaufende und von Bindegewebe begrenzte 
Spalte (sk. kp?) fortsetzt. Dies Verhalten kann stellenweise noch 
viel deutlicher werden. In Fig. 13, Taf. XXI, begrenzen die 
Nebenniere (nb) und zwei chromaffine Zellen (a. b.) ein aus 
mehreren Lücken zusammengesetztes Hohlraumsystem. Von den 
Lücken ist hier nur die grösste eingezeichnet worden, weil die 
anderen in einer höheren Ebene lagen. Diese Lücke setzt sich 
nach links unten in einen ziemlich breiten von Bindegewebe 
ausgekleideten Spalt (sk. kp!) fort, der zwischen der Nebenniere 
und der einen chromaffinen Zelle weiter verläuft. Bei Verstellung 
der Mikrometerschraube öffnet sich diese vakuolenartige Lücke 
auch in den kapillaren Spalt (sk. kp?), der sich dann seinerseits 
nach oben zu verlängert. Der Spalt (sk. kp!) hat hier schon 
den Durchmesser einer Blutkapillare. Ich konnte aber mit 
aller Bestimmtheit feststellen, dass es sich nicht um 
eine solche handelte. Dieser Längsspalt bildete 
vielmehr die unmittelbare Fortsetzung des binde- 
gewebigen zwischenzelligen Wabenwerkes. 

Zum Schlusse will ich hier noch erwähnen, dass die Ent- 
scheidung, ob man es mit zwischenzelligen Lücken oder aber mit 
solchen vakuolenartigen Hohlräumen zu tun hat, die innerhalb 
der Zellen selbst gelegen sind, nicht immer leicht, manch- 
mal sogar unmöglich wird. Die intrazellulären Vaku- 
olen liegen häufig in der äussersten Zellperipherie, wie dies später 
noch ausführlicher besprochen werden wird. Sie sind dann häufig 
nur durch eine äusserst dünne, ein bis zwei Reihen Zellgranula 
enthaltende Plasmalage von dem interzellulären Gangsysteme 
geschieden. (Vergl. in Fig. 13, Taf. XXII, die in der untersten 
Peripherie der Zelle b gelegene grosse Vakuole und Fig. 2, 
Taf. XXI, die braune, kernlose chromaffine Zelle in der Mitte 
der Zeichnung.) Im letzteren Falle sitzt die Vakuole im äussersten 
Ende der birnförmig gestalteten Zelle. Je nach der Schnittrichtung 
kann esnun vorkommen, dass der schmale, die Vakuolen umgebende 
protoplasmatische Wandbelag nur sehr schwer zu erkennen ist. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 619 


Eine andere Frage ist nun die nach der funktionellen 
Bedeutung dieses interzellulären weitverzweigten und vielfach 
zusammenhängenden Hohlraumsystems.. Vor allem ist seiner 
morphologischen Zusammensetzung nach mit Sicherheit aus- 
zuschliessen, dass es sich um Kapillaren handelt. 
Diese in Frage stehenden Lücken und Spalten enthielten ferner 
niemals rote Blutkörperchen, während benachbarte Kapillaren 
strotzend mit Blut gefüllt waren, auch fand ich niemals in 
ihrer Wand typische Endothelkerne. Die Lücken und Spalten 
waren entweder vollständig leer oder mit einer weisslichen, durch 
das Nigrosin stellenweise leicht blaugrau gefärbten, homo- 
genen, Masse erfüllt. Es gelang mir wenigstens nicht — selbst 
mit den stärksten Vergrösserungen — auch nur eine leichte 
Granulierung des Inhaltes nachzuweisen. 

Betrachten wir die allgemeine Anordnung des zwischen- 
zelligen Gang- und Wabensystems übersichtlich, so glaube ich, 
dass man auf diese Weise am ehesten zu einer bestimmten Vor- 
stellung über seinen geweblichen Charakter gelangen kann. Man 
beobachtet öfters, dass die intrazellulären Vakuolen 
sich direkt in das zwischenzellige Gangsystem 
öffnen. In Fig. 13, Taf. XXH, verschwindet bei der geringsten 
Verstellung der Mikrometerschraube der schmale, nur zwei 
Granulareihen enthaltende, protoplasmatische Randsaum und es 
mündet die grosse, in der untersten Zellperipherie befindliche 
Vakuole direkt in das zwischenzellige Wabenwerk. Ich habe 
die Zelle (b) absichtlich bei jener Einstellung gezeichnet, bei 
welcher die schmale, trennende Protoplasmabrücke scharf zu 
sehen war, um zu zeigen, wie dünn ein solcher Wandbelag der 
Vakuolen sein kann. Von solchen Stellen aus, an denen die 
binnenzelligen Vakuolen nach aussen münden, sind dann die 
interzellulären Spalten häufig bis an die Kapillaren und Venen 
zu verfolgen. Diese Blutgefässe werden dann streckenweise von 
den im Bindegewebe gelegenen Vakuolen und Spalten zum Teile 
oder aber vollkommen eingehüllt. Es ist mir aber niemals 
gelungen einen sicheren Zusammenfluss der letz- 
teren mit dem Blutgefäss-Systeme nachzuweisen. Ich 
stelle aber einen solchen damit nicht in Abrede, da nur gelungene 
Injektionspräparate eine sichere Entscheidung herbeiführen können. 

Ich stelle mir nun vor, dass dieses zwischenzellige Gang- 

41* 


620 Wilhelm Kose: 


system überall dort, wo die chromaffinen Zellen weiter weg von 
den Blutgefässen liegen, für die Abfuhr der spezifischen 
Zellsekrete zu sorgen hat. Wie wir später sehen werden, 
sind, meiner Meinung nach, die innerhalb der chromaffinen 
Zellen befindlichen vakuolenartigen Bildungen als Ausdruck 
einer gesteigerten Zelltätigkeit aufzufassen. An 
allen denjenigen Stellen, an welchen diese Vakuolen sich direkt 
in das zwischenzellige Gangsystem öffnen, kann das Zellsekret 
leicht und ungehindert abfliessen. Ich glaube aber nach meinen 
Beobachtungen schliessen zu müssen, dass es viel häufiger auf 
osmotischem Wege in die Sekretbahnen abgegeben wird. Ich bin 
ferner der Meinung, dass es sich bei den interzellulären Hohl- 
räumen und Spalten um keine präformierten, sondern 
um vergängliche, dem jeweiligen Funktionszustande 
der Zellen entsprechende Bildungen handelt. Damit 
stünde auch im Einklange, dass dieses zwischenzellige Gangsystem 
erstens in verschiedenen Abschnitten desselben Paraganglion 
suprarenale, zweitens aber auch bei den einzelnen Vögeln eine 
verschieden deutliche Entwicklung aufweist. Bei einem einjährigen 
Hahne erreichte sie ihren Höhepunkt. 

Im Gegensatze zum Paraganglion suprarenale konnte ich 
nur ganz ausnahmsweise zwischen den Zellen der Nebenniere 
ganz kleine, runde oder mehr längliche Spalten und Lücken 
beobachten, ohne dass ich imstande wäre, hierfür eine Deutung 
geben zu können. 

Es würde mich nun zu weit vom eigentlichen Gegenstande 
meiner Arbeit ablenken, wollte ich an dieser Stelle alle jene 
Autoren anführen, die in neuerer Zeit bei den übrigen Wirbel- 
tieren ein ähnliches zwischen den chromaffinen Zellen gelegenes 
Grangsystem beschrieben haben. Ich bin nun der Ansicht, dass 
es sich bei den Vögeln um ähnliche, wenn nicht identische 
Strukturen handelt. 

Die Resultate meiner Untersuchungen sind in kurzer Zu- 
sammenfassung folgende: 

1. Die Zellen der Nebenniere (Rinde) sind durchaus 
nicht gleichmässig angeordnet. Nur eine gewisse Anzahl 
von ihnen bleibt zeitlebens in einem typischen epithelialen 
Verbande. Von den anderen aber wird jede Zelle für 
sich von bindegewebigen Fasern umsponnen, welche direkt 


ID 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 621 


von der äusseren Hülle der Zellstränge und Zellgruppen 
oder jener der Kapillaren und Venen abzweigen. 


Es besteht fast überall ein ununterbrochener Zusammen- 
hang der endozellulären plasmatischen Wabenwerke 
benachbarter Zellen der Nebenniere, mögen diese nun 
durch bindegewebige Fasern getrennt sein oder nicht. 


Einzelne Zellstränge und auch ganze Gruppen setzen 
sich ausschliesslich aus solchen vollkommen ein- 
heitlichen plasmatischen Netzwerken zusammen, in welchen 
auch nicht die geringste Andeutung einer 
Einteilung in einzelne Zellen wahrzunehmen ist. Nur 
eine undeutliche, reihenförmige Anordnung der Kerne 


‘zeigt manchmal an, dass diese Grewebspartien durch 


Verschmelzung einzelner Zellstränge hervorgegangen sind. 
Das Gefäss-System des Paraganglion suprarenale und der 
Nebenniere (Rinde) ist ein völlig geschlossenes. Die Wand 
aller Kapillaren und Venen besteht aus einem einfachen 
Endothel und einer meist dünnen bindegewebigen Faser- 
lage. Nur die Anfänge der Vena suprarenalis 
sowie diese selbst sind stets von einem reichlicheren 
adventitiellen Bindegewebe eingehüllt. In diesem finden 
sich auch spärliche glatte Muskelfasern. Die chrom- 
affinen und auch die Zellen der Nebenniere werden 
überall dort, wo die perivaskuläre Faserlage eine grössere 
Stärke besitzt, durch diese von der Gefässwand getrennt. 
Umgeben dagegen die bindegewebigen Fasern die Kapil- 
laren und Venen nur in einer einfachen Lage, so reichen 
die Zellen überall dort, wo die Lücken und Spalten in 
letzterer gross genug sind, bis an das Gefässendothel 
heran. Aber selbst in jenen Fällen, wo dies nicht der 
Fall ist, kann sich das Zellsekret leicht zwischen den 
bindegewebigen Fasern seinen Weg zur Gefässwand bahnen. 
Die Venen der Nebenniere führen Blut aus dieser und 
dem Paraganglion suprarenale. 

Es findet sich durch das ganze Paraganglion suprarenale 
verbreitet ein interzelluläres Lücken- und Spaltensystem, 
welches meiner Meinung nach für die Ableitung der von 
den chromaffinen Zellen ausgeschiedenen Stoffe mit zu 


622 Wilhelm Kose: 


sorgen hat. Ein Zusammenfluss mit den Blutgefässen 
konnte nicht mit Sicherheit beobachtet werden. 


C. Cytologie des Paraganglion suprarenale. 


Die chromaffinen Zellen besitzen keine eigene Membran. 
Ihre Gestalt ist, wie dies auch die verschiedenen Autoren an- 
geben, eine unregelmässige. Eberth (2), Seite 509, sagt: Die 
Zellen sind „in den medullären Partieen (d.h. „Marksubstanz“ ) 
mehr polymorphe, meist cylindrische und polygonale Elemente.“ 
v. Brunn (Il), Seite 627, gibt an: „Die Längsachse sowohl der 
Markzellenconglomerate wie der einzelnen Zellen geht parallel 
zum Zuge des Bindegewebes.“ Nach H. Rabl (20), Seite 518, 
zeigen die chromaffinen Zellen folgende Formen: „Die echten 
Markzellen besitzen einen Durchmesser von 0,017—0,019 mm 
und sind rund bis oval, polygonal oder unregelmässig sternförmig 
gebildet.“ Sw. Vincent (24), Seite 23, beschreibt die chrom- 
affınen Zellen wie folgt: „The medullary cell-columns (Pl. XVII, 
Fig. 14 me.) are smaller than the cortical, and shew no regular 
glandular arrangement of the cells. These are considerably larger 
than the cortical cells and more irregular in shape.“ R. Minervini 
(19), Seite 487, der wie schon erwähnt die Epithelzellen der Neben- 
niere (Rinde) und jene des Paraganglion suprarenale für identische 
Zellen hält, beschränkt sich bezüglich der chromaffınen Zellen 
auf folgende ganz allgemein gehaltene Angaben, ohne im ge- 
ringsten die auffallenden cytologischen Differenzen anzugeben, die 
zwischen den Zellen der Nebenniere und jenen des Markes 
bestehen. Minervini sagt: „Dans les preparations traitdes 
par les solutions chromiques, on voit que toute la masse de 
l’organe a pris une tres faible teinte jaune, mais certains cordons 
seulement sont plus fortement colores en jaune fonce. Ces cordons 
speciaux et groupes de cellules chromophiles sont ordinairement 
plus petits que les autres et disseminds irregulierement de facon 
a donner aux sections un aspect jaspe, comme si ces elements 
plus fonees remplissaient les interstices entre les gros cordons 
incolores.“ 

Neben polygonalen Zellen liegen mehr rundliche oder läng- 
liche, manchmal sind sie ganz unregelmässig geformt. Die 
chromaffinen Zellen besitzen eben die Gestalt derjenigen binde- 
gewebigen Maschen und Körbe, in welchen sie liegen und welche 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 623 


sie für gewöhnlich vollkommen ausfüllen. Manchmal sind die 
Zellen flach und länglich und an einer Seite in einen längeren 
Fortsatz ausgezogen. Dabei handelt es sich aber nicht um faden- 
artige Bildungen, sondern der ganze Zelleib verschmälert und 
verlängert sich an dieser Stelle in der Art eines Fortsatzes. Die 
Figuren auf Taf. XXI u. XXII enthalten eine kleine Auswahl der 
verschiedenen Zellformen. 

Der Durchmesser der chromaffınen Zellen schwankt in sehr 
bedeutenden Grenzen. Infolge der ganz unregelmässigen Gestalt 
der chromaffinen Zellen müsste man eigentlich, um sich eine 
annähernd richtige Vorstellung von ihrer Grösse bilden zu können, 
stets für ein und dieselbe Zelle viele Durchmesser angeben. Ich 
beschränke mich daher auf die blosse Mitteilung, dass die grössten 
von mir gemessenen Durchmesser 0,016—0,017 mm betrugen. 
H. Rabl (20) Seite 518, gibt solche von 0,017—0,019 mm an. 

Bei Besprechung der Verteilung des Bindegewebes haben 
wir gesehen, dass die allermeisten chromaffinen Zellen einzeln 
vom Bindegewebe umsponnen werden. Trotzdem grenzen sie in 
den Lücken der perizellulären Gitter epithelartig aneinander. 
Bei einer Anzahl von Zellgruppen machte es aber den Eindruck, 
als ob die Zellen ohne ein trennendes Zwischengewebe in mehr 
minder breiter Ausdehnung aneinander stossen würden. Auch 
der syneytiale Aufbau gewisser Abschnitte des Paraganglion supra- 
renale wurde bereits genauer geschildert, ebenso die zwischen 
den Zellen verteilten Sekretspalten und Lücken. Ich verweise 
daher auf die betreffenden detaillierten Angaben. 

Bei einem einjährigen Hahne fand ich häufig eine ganz 
eigentümliche Verbindungsart zweier benachbarter chromaffıner 
Zellen. Die kleinere von beiden schob sich mehr minder weit in 
eine in der Peripherie der anderen Zelle gelegene halbkreis- 
föormige Ausbuchtung vor (Fig. 12, Taf. XXI). Fast regelmässig 
war die kleinere Zelle leuchtend gold- oder mehr strohgelb und 
deutlich granuliert, die grössere dagegen schmutzig grün- oder 
bräunlichgelb ; ihre Granulierung erschien häufig verwischt. Manch- 
mal war die kleine gelbe Zelle so weit in die grosse eingelagert, 
dass sie fast an ihrer ganzen Peripherie von der letzteren um- 
geben wurde. Ich war niemals imstande, zwischen den zwei 
Zellen Bindegewebsfasern aufzufinden. Die Schnitte, in welchen 
ich diese eigentümliche Anordnung beobachtete, waren 5 « dick 


624 Wilhelm Kose: 


und enthielten fast überall nur eine Zellage. Es war mit aller 
Bestimmtheit auszuschliessen. dass es sich hier um eine gegen- 
seitige Überlagerung der Zellen handelte. Ich brauche wohl erst 
nicht zu erwähnen, dass an manchen Stellen ähnliche Bilder auch 
auf die letztere Art zustande kommen können. 

Durch alle chromhaltigen Fixierungsgemische werden die 
chromaffinen Zellen des Paraganglion suprarenale lebhaft gelb 
gefärbt. Es bleibt da ganz gleich, ob man reines 3°/o Kaliumbichromat 
oder die Müllersche Flüssigkeit oder aber beide mit einem 
Zusatze von Formol verwendet. In solchen Schnitten, die nicht 
anderweitig nachgefärbt wurden, machten sich wohl in der Inten- 
sität und Nüance der gelben Farbe der einzelnen Zellen 
gewisse Unterschiede bemerkbar, niemals aber färbten sich 
die Zellen ausgesprochen braun. Bloss bei den Hühnern 
und den Tauben machen manche Zellen insofern eine Ausnahme, 
als sie verschieden viele ganz spezifische Granula enthalten, 
die sich im Gegensatze zu dem übrigen Zellinhalte, der lebhaft 
gelb bleibt, intensiv braun färben. Meist sind diese Granula 
nicht so zahlreich, dass man berechtigt wäre von braunen Zellen 
zu sprechen. Nur spärliche Zellen sind von diesen braunen 
Granulis so dicht erfüllt, dass auf sie die obige Bezeichnung 
angewendet werden könnte. Die gelbe Farbe der chromaffinen 
Zellen ändert sich aber in auffallender Weise, sobald man die 
Schnitte mit den verschiedenen Kern- und Plasmafarbstoffen nach- 
färbt. Davon soll später die Rede sein. 

3evor ich nun das oben erwähnte eigentümliche Vorkommen 
der braunen Granula beschreibe muss ich hier erwähnen, dass die ver- 
schiedenen Autoren bezüglich der Färbung der chromaffinen Zellen 
in Chromatlösungen bald von gelben und bald von braunen Zellen 
sprechen. So erwähnt v. Brunn (1) auf S. 625: „Diese sog. 
Rindensubstanz ist in Strängen, die ungeordnet, etwa wie die 
Tubuli contorti der Niere, erscheinen, gleichmässig durch das 
ganze Organ verbreitet, während die braun gefärbte Substanz in 
den zwischen diesen Strängen freibleibenden Räumen liegt, ebenso 
durch das ganze Organ verbreitet.“ Eberth (2) drückt sich 
auf S. 513 folgendermassen aus: „Beim Menschen erfolgt nur 
eine leichte Bräunung gegenüber der intensiven Färbung bei 
dem Rind, Schwein, Hund, der Katze, dem Igel, Meerschweinchen, 
IKaninchen, der Maus und Ratte, der Taube, Ente, dem Huhne, 


Die Paragenglien bei den Vögeln. 625 


der Schildkröte und Eidechse, dem Frosch und Salamander.“ 
H. Ra b1(20) gebraucht auf S. 518 den Ausdruck gelblich-braun : 
» : . . der Zelleib färbt sich intensiv mit Kernfärbemitteln 
und gelblich- braun in Chromsäure und chromsauren Salzen.“ 
Sw. Vincent (24) wieder spricht nur von einer braunen Färbung: 
„Ihe most distinet feature of these cells is the brown pigmen- 
tation which oceurs after such treatment“ (bichromate of potassium). 
Die betreffende Stelle aus R. Minervinis (19) Arbeit S. 487 


lautet: „.. .. mais certains cordons seulement sont plus 
fortement colores en jaune fonce. es cordons speciaux et 
groupes de cellules chromophiles . . . .* 


Die gelbe Farbe der chromaffinen Zellen ist in erster Reihe 
an die Granula, dann aber auch an das spärliche zwischen ihnen 
verteilte eigentliche Plasma gebunden. Die Granula sind kleine, 
runde, meist scharf begrenzte und stark lichtbrechende Kügel- 
chen oder Körnchen, seltener mehr unregelmässige Bröckchen. 
Die allermeisten Granula sind fast gleich gross; etwas grössere 
sind öfters unter den kleineren ganz unregelmässig verstreut. 
Die Granula liegen für gewöhnlich so dicht beisammen, dass es 
den Anschein hat, als ob die chromaffinen Zellen ausschliesslich 
von ihnen erfüllt würden. Durch Anwendung der Fixierungs- 
gemische von Carnoy, absolutem Alkohol oder Sublimat-Kochsalz 
werden stets verschieden viele Granula aus den chromaffınen 
Zellen extrahiert. Hier sieht man nun, dass sich zwischen den 
Granulis noch eine dünne Schichte Protoplasma in Gestalt feinster 
Fädchen (fixiertes Präparat!) ausspannt. Diese können selbst 
wieder in allerfeinste staubartige Körnchen zerfallen. 

Nicht alle chromaffinen Zellen sind gleich deutlich granuliert. 
Aber selbst in jenen Zellen, welche auf den ersten Blick wenig 
oder keine Granula zu besitzen scheinen, waren diese bei starker 
Abblendung, wenn auch nur sehr verschwommen, wahrzunehmen 
(Fig. 10 u. 12, Taf. XXI). Völlig granulafreie Zellen habe 
ich bei keiner Fixierungsmethode aufgefunden, dagegen findet 
stellenweise eine Einschmelzung der Granula statt. Dieser 
Vorgang wird später ausführlich besprochen werden. Bezüglich 
der Deutlichkeit in der Granulierung der chromaffinen Zellen 
siehe folgende Figuren. In Fig. 2, Taf. XXI, sind die braunen 
Zellen entschieden deutlicher als die gelben granuliert. (In der 
Reproduktion der Zeichnung ist dies nicht so deutlich zu sehen.) 


526 Wilhelm Kose: 


Dieser Schnitt wurde nach Hansen gefärbt. Die braune Farbe 
vieler chromaffinen Zellen ist aber nur eine Mischfarbe zwischen 
ihrem ursprünglichen Gelb und dem Rot des Säurefuchsins. 
Vergl. auch Fig. 3, Taf. XXI, Zelle 4 u. 2, ebenso Fig. 10, 11, 12, 
Taf. XXIl. Die‘ Fig. 1, Taf. XXI, ferner Fig. 6, 7,9, "Taf. X 
zeigen, dass auch die gelben Zellen von deutlichen Granulis 
durchsetzt sind. | 

Wurden die chromaffinen Zellen in der Mischung M üllersche 
Flüssigkeit 9: Formol 1 gut fixiert (andere Gemische wurden 
diesbezüglich nicht angewendet), dann bewirkt auch tagelanges 
Liegen der Schnitte in Chloroform oder Benzin bei einer 
Temperatur von 40° ©. im Brutschranke, oder absolutem 
Alkohol und Aether absolut bei 20° R. Zimmertemperatur 
nicht die allergeringste Veränderung im Aussehen oder der Gelb- 
- färbung der chromaffinen Zellen. 

Eine verschieden grosse Anzahl von Granulis kann, wie 
schon oben erwähnt, während des Lebens eine Einschmelzung 
erfahren. Das Plasma vieler chromaffiner Zellen ist nämlich — 
auch bei Fixierung der Präparate in Müller, oder Kalium- 
bichromat-Formol — von einer verschieden grossen Anzahl leerer 
vakuolenartiger Hohlräume durchsetzt. Der Einfachheit halber 
will ich diese als Vakuolen bezeichnen und vor allem ihr 
morphologisches Verhalten und ihre Verteilung genauer schildern. 
Das Vorkommen der Vakuolen ist durchaus nicht an bestimmte 
Abschnitte des Zellplasmas gebunden, sie sind vielmehr ganz 
unregelmässig im Zellinnern verstreut. Fig. 11, Taf. XXII. Manche 
Zellen enthalten eine so grosse Anzahl von diesen Vakuolen, dass 
das Plasma nur als ein dünner Wandbelag zwischen den letzteren 
aufgespart bleibt. Dadurch werden die betreffenden Zellen oft 
bis zur Unkenntlichkeit verändert. Öfters legen sich einzelne 
Vakuolen unmittelbar an den Kern, dabei kann es vorkommen, 
dass letzterer eine seichte Einbuchtung besitzt, in welche die 
Vakuole eingebettet ist. Fig. 2, Taf. XXI, Vak 5. Vergl. auch 
Fig. 13, Taf. XXI. Die chromaffine Zelle b. enthält in ihrer 
oberen Hälfte drei nebeneinander liegende, nur durch ganz dünne 
Plasmaschichten voneinander getrennte, mehr länglich - ovale 
Vakuolen. Die unterhalb des Kernes befindliche Vakuole ist 
länglich und entstand allem Anscheine nach durch die Vereinigung 
dreier nebeneinander liegenden Vakuolen. Diese grosse Vakuole 


Die Paraganelien bei den Vögeln. 627 
© < c 


überlagerte bloss den Kern, ohne ihn im geringsten einzubuchten. 
Die punktierte Linie, die am oberen Rande die Vakuole über- 
schneidet, gibt bei veränderter Einstellung die unteren Kern- 
grenzen an. 

Die Vakuolen sind entweder vollkommen leer und dann 
rein weiss, oder aber sie sind von einem homogenen Inhalte er- 
füllt, der entweder fast farblos ist, häufiger aber die jeweilige 
Farbe des Plasmas zeigt. Vergl. Fig. 6, 7, 9, 10, Taf. XXIl. Die 
sämtlichen kleinen kreisrunden Vakuolen sind von einer homogenen 
gelben oder schmutzig grünen Substanz erfüllt. Die Grösse 
der einzelnen Vakuolen schwankt bedeutend. Es bestehen zwischen 
den allerkleinsten, die kaum wahrnehmbar sind (Fig. 12, Taf. XXI, 
zwei kleine weisse Vakuolen in der Zellmitte) und den ganz 
grossen, die den Kern sogar an Ausdehnung übertreffen können, 
alle möglichen Übergänge. Viele Zellen enthalten ausschliess- 
lich die kleinen, andere wieder nur die grossen Vakuolen. Sehr 
häufig findet man die verschiedensten Vakuolen in ein und der- 
selben Zelle. Sämtliche Vakuolen sind scharf begrenzt und ent- 
behren einer eigenen Wand. 

Wie entstehen nun diese Vakuolen im Innern der chrom- 
affinen Zellen? Die Antwort auf diese Frage kann ich nur in Form 
einer subjektiven Anschauung geben. Betrachten wir die kon- 
tinuierliche Reihe, die man ohne weiteres von den allerkleinsten 
bis zu den grössten Vakuolen aufstellen kann, dann drängt sich 
einem ganz von selbst die Vermutung auf, dass erstere den 
morphologischen Ausdruck für die Anfangs-, letztere aber für die 
vorgeschrittenen Stadien einer spezifischen Zelltätigkeit bilden. 
Die im Plasma verteilte tropfenartige Substanz, durch deren 
Fehlen eben die Vakuolen zustande kommen, besitzt offenbar 
eine ähnliche chemische Zusammensetzung wie das Plasma selbst, 
da sie dieselben Farbenreaktionen gibt. (Fig. 6, 7, 9, 10, Taf. XXII.) 
Die kleinsten Vakuolen sind oft nur so gross, dass nur zwei bis drei 
Zellgranula in ihnen enthalten sein könnten. Wenn sie mit 
einem dem Plasma gleichgefärbten Inhalte erfüllt sind, entgehen 
sie leicht der Beobachtung. Kleine und grosse Vakuolen liegen 
häufig unmittelbar nebeneinander. An der Grösse und Form 
vieler Vakuolen ist es leicht erkenntlich, dass sie durch eine 
Vereinigung benachbarter Vakuolen hervorgegangen sind. (Fig. 13, 
Taf. XXIL) Es wäre aber noch ein anderer Entstehungsmodus 


628 Wilhelm Kose: 


der grösseren Formen auf die Weise denkbar, dass im Umkreise 
der kleineren Vakuolen eine konzentrisch fortschreitende Ein- 
schmelzung der Zellgranula stattfändee Man könnte mir hier 
den Einwand machen, und ich selbst habe auch schon daran ge- 
dacht, dass die Granula bei Bereitung der fraglichen Tropfen 
gar nicht aufgelöst zu werden brauchten. In diesem Falle würden 
aber die Granula durch die zwischen sie ausgeschiedene Substanz 
auseinander gedrängt werden und in der Peripherie der Vakuolen 
besonders dicht angehäuft sein, was niemals der Fall war. 
Nur diejenige Lage von Granulis, welche den Vakuolen unmittel- 
bar anliegt, färbt sich manchmal etwas lebhafter und täuscht so 
eine eigene Wandschichte vor. 

Vergleiche ich meine sämtlichen Befunde, dann komme ich 
zu der Überzeugung, dass von den chromaffinen Zellen durch 
Einschmelzung einer verschiedenen Menge von Granulis spezifische 
Stoffe gebildet werden, die in Gestalt grösserer oder kleinerer 
Tropfen in den Zellen ganz unregelmässig verteilt sind. Diese 
Substanz fehlt häufig im fixierten Präparate. Diese Stellen er- 
scheinen im mikroskopischen Bilde als rein weisse, scharf kontou- 
rierte, vakuolenartige Hohlräume. 

Ich kann keine näheren Angaben über die chemische Zu- 
sammensetzung dieser Sekrettropfen machen, ich will nur nochmals 
hervorheben, dass sie sich fast stets genau so wie das übrige 
Plasma resp. die Granula färben. Als eine weitere Stütze für 
meine Anschauung möchte ich die Tatsache anführen, dass diese 
intrazellulären Vakuolen sich öfters in das zwischenzellige Gang- 
system direkt öffnen, das meiner Ansicht nach zur Ableitung der 
Zellsekrete dient. (Vergl. Seite 619.) 

Wenn auch eine grosse Anzahl von chromaffinen Zellen 
von diesen Sekrettropfen durchsetzt ist, so ist das Vorkommen 
der letzteren doch kein so gesetzmässiges, um daraus den Schluss 
ziehen zu dürfen, dass dies die einzige Art sei, auf welche die 
chromaffinen Zellen ihr Sekret bilden. Ich bin vielmehr 
der Meinung, dass dies häufiger noch auf eine 
mikroskopisch nicht wahrnehmbare Art durch Ab- 
gabe flüssiger Stoffe stattfindet. Die Einlagerung der 
tropfenartigen Substanz würde nur den morphologischen Ausdruck 
einer ganz spezifisch differenzierten Tätigkeit einer 
beschränkten Anzahl chromaffiner Zellen darstellen. Ich muss 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 629 


noch an dieser Stelle erwähnen, dass ich öfters im Innern der 
grossen Venen des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere 
in gehäufter Menge Granula vorfand. die jenen der chromaffinen 
Zellen sehr ähnlich waren. 

Und nun gehe ich über zur Beschreibung des früher erwähnten 
Befundes dunkelbrauner Granula im Innern der chrom- 
affinen Zellen von Hühnern und Tauben. — Siehe Fig. 3, Taf. XXI. 
Diese vier Zellen entstammten dem Paraganglion suprarenale einer 
alten Henne. Der Schnitt wurde nach der Methode von Mallory- 
Stöhr gefärbt. Das Bindegewebe nahm dabei eine viel hellere 
blaue Farbe, als bei der Methode von Freebornan. Sämtliche 
chromaffine Zellen waren mehr minder intensiv gelbgrün. In 
der Zelle-2 und 3 liegt in der Nähe des Kernes je ein stumpf 
dreieckiges goldgelbes Feld (fı und f2), welches eine Menge ver- 
schieden grosser, mehr minder lebhaft braun gefärbter Granula 
enthält. Diese Felder befinden sich durchaus nicht immer in 
der Nähe des Kernes wie in Zelle 1, 2 und 3. Fig. 4 z.B. ist 
der periphere Abschnitt einer chromaffinen Zelle, der weiter vom 
Kern entfernt, ein Häufchen der braunen Granula enthielt. 
Häufig ist nur ein einziges gelbes Feld, ebenso oft aber zwei oder 
mehrere in ein und derselben Zelle vorhanden. Im letzteren 
Falle sind die Felder kleiner (Fig. 3, Taf. XXI, Zelle 3). 

Bei der Anwendung verschiedener Kernfarbstoffe, durch 
welche das Plasma sich lebhaft färbt, bleiben diese Felder stets 
goldgelb oder schwach gelblichweiss und die in ihnen enthaltenen 
Granula braun. Nach der Färbung mit Hämatoxylin Delafield, 
Mallory, ferner mit dem Freebornschen Gemische treten 
diese Felder besonders schön hervor. Extrahiert man die nach 
Heidenhain mit Hämatoxylin-Eisenalaun tief schwarz gefärbten 
Schnitte sehr langsam, so erscheinen diese Felder bereits zu 
einer Zeit, zu welcher das übrige Plasma noch schwärzlich ge- 
blieben ist. Bei Nachbehandlung der Schnitte mit Plasma- 
farben färbten sich diese Felder gewöhnlich mit, und nur bei 
Anwendung von Cochenille-Alaun bewahrten sie teilweise ihre 
gelbe Farbe. Einige Felder wurden auch durch das Hämatoxylin 
(Delafield) schwach grünlich gelb. 

Die einzelnen gelben Felder enthalten eine sehr verschiedene 
Anzahl von Granula. Diese sind entweder gleich gross oder aber 
es liegen mitten unter den kleinen Körnchen bedeutend grössere, 


630 Wilhelm Kose: 


mehr unregelmässige Bröckchen. Die braunen Granula sind für 
gewöhnlich merklich grösser als die übrigen typischen Zellgranula, 
doch überschreiten manche von den ersteren nicht die Grösse 
der letzteren. Oefters lagen die gruppenweise gehäuften braunen 
Granula in vakuolenartigen Hohlräumen. Der gelbe, von den 
Granulis durchsetzte Inhalt hatte sich von der Wand der Vakuole 
gewissermassen zurückgezogen. (Fig. 3, Taf. XXI, Zelle 4.) Die 
braunen Granula sind sehr stark lichtbrechend und leuchten bei 
einer gewissen Einstellung in einer goldgelben Farbe auf. Die 
gelben Felder zeigen öfters zwischen den braunen Granula keine 
eigene Struktur. Häufig aber sind sie nur scheinbar ohne eine 
solche. Viele der gelben Felder enthalten nämlich ausser den 
braunen Granula noch eine verschieden grosse Anzahl goldgelber 
Tröpfchen, die, wenn sie dicht beisammen liegen, leicht eine 
homogene gelbe Grundsubstanz vortäuschen. Auch dadurch kann 
das Bild einer solchen hervorgerufen werden, dass die tiefer 
liegenden Granula bei scharfer Einstellung der oberen Schichte 
als goldgelbe winzige Kreise erscheinen. Es gibt nun eine ganze 
Anzahl von chromaffinen Zellen, welche keine goldgelben Felder 
enthalten, in welchen aber verschieden viele rostbraune Granula 
ganz unregelmässig im Zellinnern verstreut sind. (Fig. 1, Taf. XXI. 
Die chromaffinen Zellen in der Mitte). Aber auch im Plasma 
jener Zellen, die von den gelben Feldern durchsetzt sind, findet 
man entweder in der Nähe der letzteren oder weiter von ihnen 
entfernt die braunen Granula. (Fig. 3, Taf. XXI, Zelle 1, 2, 3.) 
Diese im Plasma verstreuten einzelnen Granula möchte ich als 
freie Granula bezeichnen. 

Das Plasma der chromaffinen Zellen besitzt eine lebhafte 
Affinität zu den verschiedensten Kern- aber auch Plasma- 
farbstoffen. Es wurden an Schnitten von in Müller- oder 
Kaliumbichromat-Formol und Sublimat-Kochsalz fixierten Para- 
ganglien mehrerer Hühner, Tauben, einem Kreuzschnabel 
und einer Amsel stets folgende Farbstoffe ausprobiert. Kernfarb- 
stoffe: Hämatoxylin (Delafield, Mallory, Heidenhain), 
Bismarckbraun, Thionin, Methylgrün, Saffranin, Cochenille-Alaun. 

Plasmafarbstoffe: Bleu de Lyon, Pikrinsäure, Gold- 
orange, Eosin, Neutralrot, Säurefuchsin (1:500 Aq.), Gemisch 
von Ehrlich, Biondi oder R. Heidenhain, Triaeid (Mayer), 
dies letztere nur bei einem Huhne. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 631 


Bei allen Paraganglia suprarenalia war die Reaktion eine 
gleiche, auch die ausserhalb gelegenen Paraganglien zeigten die- 
selben Farbennüancen. Die einzelnen chromaffinen Zellen desselben 
Paraganglion suprarenale, oft ein und desselben Stranges, färben 
sich in sehr verschiedenem Grade mit den einzelnen Farbstoffen. 
Die infolge dieses Umstandes erzielten Bilder lassen an Mannig- 
faltigkeit nichts zu wünschen übrig. Entweder besitzen grössere 
oder kleinere Zellbezirke eine mehr gleichmässige Farbe, oder 
aber es wechseln in bunter Reihenfolge stärker und schwächer 
gefärbte Zellen miteinander ab. Manchmal liegen einzelne ganz 
besonders intensiv gefärbte Zellen mitten unter ganz schwach 
tingierten. Die schönsten diesbezüglichen Präparate erzielt man 
bei Nachfärbungen mit Hämatoxylin (Delafield, Mallory, 
Heidenhain). Die chromaffınen Zellen färben sich wohl im 
grossen ganzen lebhafter mit den Kern-, als mit den Plasma- 
farbstoffen, aber auch mit letzteren erreicht man prachtvolle 
Bilder, die häufig denen mit Kernfarbstoffen hervorgebrachten 
nicht nachstehen. Sowohl bei der Anwendung von Kern- als 
auch Plasmafarbstofien findet man stets eine Anzahl von Zellen, 
die sich fast gar nicht gefärbt haben und daher mehr minder rein 
gelb geblieben sind. Sig. Mayer (18) hat in einer interessanten 
Arbeit von der Reaktion der chromaffinen Zellen bei Amphibien 
nach Fütterungsversuchen mit Neutralrot berichtet. Durch seine 
und Kohns (10) Angaben beeinflusst, versuchte ich dem soeben 
getöteten Vogel entnommene Stükchen des Paraganglion suprarenale 
und des Plexus coeliacus mit einer durch Neutralrot nur 
ganz schwach gefärbten Kochsalzlösung (0,75°/,) zu färben. Im 
Zupfpräparate verschleiern die massenhaften gelben Tröpfchen 
und Granula das Bild und es gelingt nur schwer, schön gefärbte 
chromaffine Zellen zu entdecken. Dagegen waren die im Plexus 
coeliacus enthaltenen Zellen schön rot gefärbt. Aber auch in 
den Schnitten fixierter Präparate (M ülle r-Formol) bekommt man 
mit derselben dünnen Lösung, je nachdem man kürzer oder länger 
färbt (bis 24 Stunden), eine prachtvolle Tingierung des Plasmas 
und auch vieler Kerne. Die Eigenschafteiner Anzahl von chromaffinen 
Zellen, die Farbstoffe in sehr verschiedenem Maße aufzunehmen, 
tritt in einer auffallenden Weise in solchen Präparaten hervor, 
die mit irgend einer Säurefuchsin enthaltenden Mischung, 
in erster Linie mit der von Hansen angegebenen Säurefuchsin- 


632 Wilhelm Kose: 


Pikrinsäurelösung behandelt wurden (Fig. 2, Taf. XXD). Man sieht 
hier. wie neben den hellgelben Zellen, deren Eigenfarbe durch 
die Pikrinsäure oft noch viel intensiver wurde, bräunlichgelbe 
oder braunrötliche liegen, die im Gegensatze zu den ersteren 
eine gesteigerte Affinität zu dem Säurefuchsin aufwiesen. Diese 
braunrote Färbung des Plasmas kann aber wieder durch Waschen 
der Präparate in Leitungswasser oder schwachem 30°/o Alkohol 
vollständig entfernt werden, selbst wenn man dazu ältere Präparate 
nimmt, die schon Monate in Xylol-Canadabalsam eingeschlossen 
waren. Ebenso verblassen die mit Eosin und Neutralrot 
erzielten Färbungen von selbst nach längerer Zeit. 

An einem mit Cochenille-Alaun durchgefärbten und 
einige Jahre im Alkohol (96°/o) aufbewahrten Paraganglion 
suprarenale eines Kätzchens machte ich ebenfalls die 
Beobachtung, dass die chromaffınen Zellen wieder vollständig 
hellgelb geworden waren. 

Ich glaube daraus schliessen zu dürfen, dass es sich bei den 
verschiedenen Färbungen der chromaffinen Zellen weniger um 
eine chemische Bindung der betreffenden Farbstoffe, sondern 
vielmehr um einen physikalischen Vorgang handeln muss. 

Die Kerne der chromaffinen Zellen zeigen in bezug auf 
ihre Grösse, Form und Struktur ebenfalls merkliche Verschieden- 
heiten. Entweder sind sie rund, oder mehr oval, dann wieder 
länglich elliptisch, seltener mehr unregelmässig. (Vergl. die sämt- 
lichen Figuren auf Taf. XXIu. XAXII). Ihre Durchmesser schwanken 
zwischen 0,004—0,008 mm. Im ganzen wurden weit über hundert 
ganz genaue Messungen bei verschiedenen Vögeln vorgenommen. 
Die Kerngrössen bleiben sich bei den verschiedenen Vögeln aller 
Arten innerhalb der angegebenen Grenzwerte gleich. Nur bei 
einem einjährigen Hahne erreichten viele Kerne eine Aus- 
dehnung von 0,008S—0,009 mm. Als Beispiel seien hier einige 
Kernmassen angeführt: 

Kern (a). 0,004—0,004 mm 
„. .(b).  0,004—0,005 , 
-:'r(e):8501004--0,00647 „ 
„. (d). 0,005—0,005 „ 
„. (e). »0,005—0,006 , 
4(f)e: 0,006-=0,008° ;; 
„.(@. 0,008—0,008 „ 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 633 


Die grossen Kerne sind deutlich konturiert und besitzen 
entschieden eine sog. Kernmembran. Sie enthalten ein 
oder zwei, seltener mehrere grosse Kernkörperchen. Gewöhnlich 
liegt das letztere, wenn es in der Einzahl vorhanden ist, mehr 
im Innern des Kernes, es kann aber auch der Kernmembran 
mehr genähert sein, oder ihr direkt anliegen. Die kleineren 
Chromatingranula sind ganz unregelmässig im Kerninnenraum 
verstreut, manchmal liegen sie perlschnurartig an der Kern- 
membran. Zwischen den Chromatingranula befindet sich für ge- 
wöhnlich eine nur ganz schwach gefärbte, wolkig-staubige, aufs 
feinste granulierte, oder aber leicht fädige Masse. Stellenweise 
fehlt in manchen Kernen ein wahrnehmbarer Inhalt. Viele der 
grossen Kernkörperchen sind sehr stark lichtbrechend und er- 
scheinen bei einer bestimmten Einstellung als dunkelgelbe häufig 
deutlich konturierte oder von feinsten Körnchen begrenzte Felder. 
In den Fig. 1 u. 2, Taf. XXI, und Fig. 12, Taf. XXII sind die 
meisten Kernkörperchen bei dieser Einstellung gezeichnet. 

Die kleinen Kerne sind oft gar nicht scharf kontouriert 
und mit einer sich lebhaft färbenden mehr homogenen Substanz 
zwischen den Chromatinbrocken erfüllt. Sie besitzen öfters eine ganz 
unregelmässige Gestalt (Fig. 17 Taf. XXII). Diese chromaffıne 
Zelle war genau so gefärbt und granuliert wie jene in Fig. 19, 
Taf. XXII. Da es sich mir in diesem Falle hauptsächlich um die 
Kernform handelte, so habe ich die Zeichnung so vereinfacht. 
Der genau so wie in Fig. 10 lebhaft graublau gefärbte Kern 
besass eine ganz unregelmässige Gestalt und an seiner oberen 
Peripherie eine Delle. Von einer Innenstruktur war nichts wahr- 
zunehmen. In seiner Nähe lag im Plasma ein runder, genau so 
wie der Kern, nur etwas schwächer gefärbter Körper, der die 
Grösse und Gestalt eines grossen Kernkörperchens hatte. Ich 
kann nicht sagen, um was für eine Bildung es sich da handelt, 
muss aber erwähnen, dass ich solche runde Körper öfters in der 
Nähe der kleinen Kerne beobachtet habe. Die kleinen Kerne 
färben sich häufig so intensiv, dass von ihrer Innenstruktur gar 
nichts oder doch nur sehr wenig zu sehen ist. Vergl. Fig. 15, 16, 
Taf. XXII. Diese Zellen glichen vollkommen der in Fig. 17 ab- 
gebildeten. Alle drei Figuren waren nach der Methode von Free- 
born gefärbt und entstammten dem Paraganglion suprarenale 


des einjährigen Hahnes. Manche von den grösseren Kernen 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bad. 69. 42 


634 Wilhelm Kose: 


besitzen ebenfalls, nach einer Färbung mit Hämatoxylin Dela- 
field, Mallory oder dem Gemische von Freeborn, auch 
wenn sie nur schwach tingiert sind, eine verwaschene Struktur. 
Vergl. Fig. 6, 7, 9 (Paraganglion: suprarenale einer erwachsenen 
Henne; Färbung nach Freeborn). Ganz besonders schön tritt 
diese Erscheinung in solchen Schnitten auf, die nach Hansen, 
dann aber auch mit sämtlichen anderen, Säurefuchsin enthaltenden 
Gemischen gefärbt wurden. Sehr viele Kerne werden dabei 
intensiv rot (Fig. 2 Taf. XXI). Bei den am meisten tingierten 
Kernen ist eine Innenstruktur kaum oder gar nicht wahrzunehmen. 
Es kann dies aber in derselben Weise auch bei den nur schwach 
rötlichen Kernen der Fall sein. 

Eine verschiedene Anzahl von Kernen besitzt die merk- 
würdige Eigenschaft, sich mit den verschiedenen Plasmafarb- 
stoffen lebhaft zu tingieren. Hier will ich noch erwähnen, 
dass ich bei keinem Vogel Teilungsfiguren im Paraganglion 
suprarenale auffinden konnte. 

Es fragt sich nun, ob aus der verschiedenen Beschaffenheit 
des Plasmas und der Kerne ein Rückschluss auf den physio- 
logischen Zustand der einzelnen chromaffinen Zellen gezogen 
werden kann. Hier unterstützen mich die Befunde, die ich an 
dem Paraganglion suprarenale einer ausgewachsenen Taube erhob, 
die während zweier Tage hungern gelassen wurde. Alle chrom- 
affınen Zellen waren in hohem Masse geschrumpft, oft bildeten sie 
nur dünne, längliche Protoplasmabrücken. Fast alle Kerne waren 
klein und enthielten nur selten grössere Kernkörperchen. Aus- 
nahmsweise nur fand ich die grösseren Kernformen. Alle Kerne 
und das Protoplasma der allermeisten Zellen färbten sich mit 
den verschiedenen Kern- und Plasmafarbstoffen viel intensiver 
als es sonst der Fall war. Da es sich hier mit Sicherheit um 
ermüdete oder erschöpfte Zellen gehandelt hat, so glaube ich, 
dass auch bei gut genährten Vögeln die Kleinheit und lebhafte 
Färbung vieler Zellen als Ausdruck einer weit vorgeschrittenen 
Tätigkeit aufzufassen ist. Bei verschiedenen Vögeln, besonders 
schön bei einer Nestdrossel und einer Krähe, fand ich noch 
mitten unter den mit Cochenille lebhaft braunrot gefärbten Zellen 
solche mit goldgelb gebliebenem Plasma. Diese goldgelben Zellen 
setzen sich durch ihren feineren Aufbau in einen gewissen Gegen- 
satz zu den anderen chromaffinen Zellen. Ihr Plasma war näm- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 635 


lich in Form feinster Netzwerke angeordnet, deren Lücken keine 
Granula enthielten. Ein anderer Teil dieser goldgelben Zellen 
erwies sich aber in typischer Weise granuliert. Die Kerne 
sämtlicher goldgelber Zellen waren klein, rund, dunkel gefärbt. 
Nur wenige von ihnen zeigten eine erkennbare Innenstruktur; 
die anderen bildeten gleichmässig gefärbte homogene Scheiben 
oder mehr unregelmässige Körper (vergl. Fig. 24 b, Zellen 11, 
Taf. XXIII). Die goldgelben Zellen setzten verschieden grosse 
Gruppen zusammen und glichen vollständig jenen goldgelben 
Zellen, die ich im letzten Kapitel 7. Abschnitt VIII, genauer 
beschreiben werde. Ich verweise daher auf das an dieser Stelle 
Gesagte. Vergl. hier auch Fig. 20a und 20b, Taf. XXVI zweiter Teil 
der Arbeit. Man ersieht aus diesem Befunde, dass die goldgelben 
chromaffinen Zellen nicht bloss in den peripheren Paraganglien, 
sondern auch im Paraganglion suprarenale vorkommen. Ich 
habe in dem erwähnten Kapitel auch die Schwierigkeiten näher 
beleuchtet, die sich einem in den Weg stellen, sobald man aus 
dem morphologischen Verhalten der einzelnen chromaffinen Zellen 
auf ihren physiologischen Zustand schliessen will. Ich verweise, 
um mich nicht wiederholen zu müssen, auf das an dieser Stelle 
(esagte und will hier nur ganz kurz erwähnen, dass es mir bei 
der ungeheuer grossen Mannigfaltigkeit in den Farbennüancen 
der einzelnen Zellen nicht gelang, zwischen diesen und dem 
sonstigen Aufbaue des Plasmas oder der Kerne einen gesetz- 
mässigen Zusammenhang aufzudecken. Die zahlreichen im Plasma 
verstreuten homogenen Tropfen und Vakuolen muss ich aber als 
den morphologischen Ausdruck einer vorgeschrittenen Zelltätig- 
keit auffassen. — 

Ein ganz eigentümliches Bild bot das Paraganglion supra- 
renale eines einjährigen Hahnes. Hier blieben nach Fixierung 
in einer Mischung von Müllerscher Flüssigkeit 9: Formol 1 
nicht bloss vereinzelte chromaffiıne Zellen — wie dies ja in jedem 
Paraganglion suprarenale vorkommt — sondern kleinere und 
grössere Gruppen von ihnen, ja ganze Zellstränge vollständig 
farblos. Je nach den Methoden von Freeborn oder Hansen 
tingierten sich diese Zellen entweder durch das Nigrosin ver- 
schieden intensiv blaugrau oder durch die Pikrinsäure gelb. 

Trotz des Mangels jeglicher Gelbfärbung bei der erwähnten 


Fixierungsart konnte aber nicht der leiseste Zweifel bestehen, 
42* 


636 Wilhelm Kose: 


dass es sich um typische chromaffine Zellen handelte. Wie wir 
später bei der Beschreibung des Paraganglion caroticum sehen 
werden, gibt es eine Abart der chromaffinen Zellen, die sich 
von den übrigen dadurch in auffallender Weise unterscheidet. 
dass sie sich bei einer Fixierung mit Chromver- 
bindungen niemals auch nur eine Spur gelb färbt. 
(Siehe Kapitel 6, B. Cytologie.) Sehen wir also von der Farb- 
losigkeit dieser Zellen des Paraganglion suprarenale vorläufig 
ganz ab, so war ihr Plasma in genau derselben Weise wie jenes 
der gelben Zellen granuliert. Nur manchmal schienen die Granula 
etwas grösser zu sein. Einige der farblosen Zellen waren nicht 
so gut fixiert wie die gelben Zellen. Die Kerne der ersteren 
glichen in bezug auf Grösse und Struktur den grösseren, blasen- 
förmigen Kernen der gelben chromaffinen Zellen. Ihre Durchmesser 
betrugen 0,006—0,008—0,009 mm. Sie enthielten entweder ein 
oder zwei grössere und mehrere kleinere Kernkörperchen. Manch- 
mal durchsetzte das Chromatin in Gestalt grösserer fast gleich 
grosser Bröckchen das Kerninnere. Selten nur hatten die Chromatin- 
stückchen die Gestalt winziger gebogener Stäbchen. Die 
farblosen Zellen enthielten jedoch niemals, wie so viele gelbe 
Zellen, kleine homogene und strukturlose Kerne. Fig. 1, Taf. XXI, 
enthält rechts oben als ein Beispiel eine besonders grosskernige 
farblose Zelle (gr. Z.). 

Von diesen vollkommen farblosen Zellen unterscheiden sich 
andere einzig und allein durch eine kaum merkliche gelbe 
Farbe. Von diesen Zellen angefangen bis zu den intensiv gelben 
konnte man mühelos eine kontinuierliche Reihe von Abstufungen 
in der gelben Farbe der verschiedenen Zellen wahrnehmen. 

Wenn ich die Gründe, die mich bestimmen, diese farblosen 
Zellen als chromaffın zu bezeichnen, nochmals kurz zusammen- 
fasse, so muss ich sagen: 

1. Die farblosen und die gelben Zellen waren aufs innigste 
miteinander vermengt. Ganze Abschnitte des Paragang- 
lion suprarenale wurden dabei ausschliesslich von 
den farblosen Zellen aufgebaut; letztere lagen gerade so 
wie die gelben Zellen in separaten bindegewebigen 
Maschen. 

2. In Bezug auf die Grösse und Struktur von Plasma und 
Kern glichen die farblosen den gelben chromaffinen Zellen. 


u) 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 637 
3. Die Farblosigkeit kann für sich genommen keinen Grund 
bilden, die fraglichen Zellen. von den chromaffinen Zellen 

zu trennen. 

Meines Erachtens kommen bezüglich einer Erklärung des 
auffälligen färberischen Verhaltens einer so grossen Anzahl von 
chromaffinen Zellen dieses Hahnes verschiedene Möglichkeiten 
in Betracht. Entweder handelt es sich hier um eine ganz eigene, 
bei keinem der übrigen Vögel beobachtete Unterart der 
chromaffinen Zellen oder bloss um den morphologischen Ausdruck 
einer besonderen Phase ihrer physiologischen Tätigkeit. Ich 
glaube, dass die letztere Annahme mehr Berechtigung besitzt. 
Wie wir gesehen haben, gibt es sehr viele Zellen, die sich von 
den farblosen nur durch eine kaum merkliche gelbe Farbe unter- 
scheiden. Es kommt auch häufig vor, dass mitten in dem farb- 
losen Plasma vereinzelte oder gruppenweise gehäufte gelbe 
(Gsranula liegen. Diese gleichmässig schwach oder nur teil- 
weise gelb gefärbten chromaffinen Zellen bilden den Übergang 
zu den lebhafter gelben chromaffınen Zellen. Es ist daher meiner 
Meinung nach unstatthaft, hier beim Hahne bloss daraufhin, 
dass viele Zellen sich nicht gelb färbten, anzunehmen, dass die 
farblosen Zellen eine eigene Unterart der chromaffinen Zellen 
repräsentieren. 

Die letzte Möglichkeit wäre die, dass die Farblosigkeit als 
Ausdruck einer Ermüdung oder Erschöpfung anzusehen sei. Ein 
Vergleich der farblosen Zellen mit den chromaffinen Zellen jener 
Taube, die durch zwei Tage hungerte, ergibt aber ohne 
weiteres, dass dies unmöglich der Fall sein kann. 

Vergleiche ich nun zum Schlusse die Kerne der chromaffinen 
Zellen und der ihnen stammverwandten sympathischen Ganglien- 
zellen, so muss ich often eingestehen, dass oftmals zwischen beiden 
eine grosse Ähnlichkeit besteht. Ich muss hier nur ganz kurz 
erwähnen, dass Grösse und Beschaffenheit der Kerne sympathischer 
Ganglienzellen so bedeutend schwanken können, dass man sichere 
Ganglienzellen, wenn man sie nicht im Innern der Ganglien 
liegen sehen möchte, niemals, für sich allein betrachtet, 
als Ganglienzellen ansprecheri würde. Ich kann, so verlockend 
es auch ist, hier leider nicht näher auf diese Frage eingehen, 
ich gedenke sie aber zum Gegenstande einer eigenen Mitteilung 
zu machen. Eine scharfe Grenze zwischen chromaffınen und 


638 Wilhelm Kose: 


Ganglienzellen zu ziehen, ist vom morphologischen Standpunkte 
aus, wenn man ganz objektiv sein will, unmöglich. Ihre ver- 
wandtschaftlichen Beziehungen finden, wie Kohn dies hervorhebt, 
in dieser oftmals weitgehenden Ähnlichkeit den besten Ausdruck. 

Besonders günstige Repräsentanten der Stammverwandtschaft 
zwischen den chromaffinen und den Ganglienzellen würden die 
farblosen chromaffinen Zellen des Hahnes darstellen. Vergl. 
Fig. 1, Taf. XXI. Ein gleicher Befund ist in der Literatur nicht 
erwähnt. Nur H. Rab] (20), S. 518, beschreibt sog. „Übergangs- 
formen“ mit graubräunlichem Protoplasma. Ich setze seine eigenen 
Worte an diese Stelle: „Man trifft dort (in der Kapsel) neben 
echten Ganglienzellen mit kreisrundem Kern von 0,012 mm 
Durchmesser ziemlich grosse Zellen mit graubräunlichem ge- 
körntem Protoplasma und einem Kern, der häufig das Aussehen 
des Kernes einer Ganglienzelle besitzt, der kreisrund ist und-ein 
Kernkörperchen enthält, welches sich den Färbungs-Reactionen 
gegenüber wie das einer echten Ganglienzelle verhält. Manchmal 
fehlt jedoch diese typische Beschaffenheit des Kernes und es 
kann an Stelle eines besonders hervortretenden Nucleolus ein 
deutliches Gerüst erscheinen. Es liegen also hier Zellen vor, 
von denen die einen den entschiedenen Eindruck kleiner 
Ganglienzellen machen, während man über den Character anderer, 
welche sich von jenen nur in den feinsten Details unterscheiden, 
keine bestimmte Aussage machen kann. Ob die Zellen der ersten 
Art mit Nervenfasern zusammenhängen, müsste mit Hilfe anderer 
Methoden als der angewandten untersucht werden.“ 

Wenn ich auch, rein morphologisch gedacht, keine 
Möglichkeit einer scharfen Abgrenzung der chromaffinen Zellen 
von den Ganglienzellen sehe, so will ich damit nicht gesagt 
haben, dass ich einen „Übergang“ der chromaffinen in 
Ganglienzellen im Verlaufe des Lebens annehme. Ich bin viel- 
mehr mit Kohn der Ansicht, dass die chromaffinen Zellen zeit- 
lebens einen eigenen Zelltypus repräsentieren. 

Die Frage von den sogenannten „Übergangsformen“ wird 
wohl stets ein heikles Kapitel in der Histologie bleiben. Das 
weitere Schicksal, das der einmal fixierten Zellen im Verlaufe 
der individuellen Existenz des betreffenden Vogels geharrt hätte, 
wer will es ergründen? Man wird stets beim Studium dieser 
Verhältnisse nur auf die direkte histologische Beobachtung des 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 639 


fixierten Präparates und die aus ihr gezogenen Schlüsse angewiesen 
sein. Auf welche Art will man denn beweisen, dass diese so- 
genannten „Übergangsformen“ zeitlebens auf ihrer im Präparate 
zur Anschauung gebrachten Entwicklungsstufe entweder stehen 
geblieben wären oder aber sich später weiter entwickelt hätten ? 
Die interessanten Befunde, die ich nun erwähnen will, bringen 
auch keine rechte Klarheit in die Sache, wenn sie auch darauf 
hinzudeuten scheinen, dass selbst im vollentwickelten 
Organismus vielleicht noch eine Umwandlung 
eines nicht vollständig entwickelten Gewebesin 
höher differenzierte Zellen stattfinden kann. 


\ 
embr.nerv. 


geWw. 


bde. Hr nb. 


Überraschend war das Vorkommen eines mir gänzlich fremden 
(sewebes im Paraganglion suprarenale einer alten 
Henne. Die Stränge und Ballen des gesamten Paraganglion 
suprarenale setzten sich nur zu einem Teile aus den typischen 
chromaffinen Zellen zusammen, zum anderen dagegen aus einem 
merkwürdigen, äusserst kernreichen Gewebe, das sich bei der 
Fixierung mit Müller-Formol auch nicht eine Spur gelb 
färbte. Stellenweise waren die chromaffinen Zellen durch dieses 
Gewebe vollständig verdrängt und die einzelnen Zellstränge des 
Paraganglion suprarenale bestanden fast ausschliesslich 


640 Wilhelm Kose: 


aus dem nicht gelben Gewebe. Zur Übersicht über seine Ver- 
teilung im Paraganglion suprarenale diene die beigegebene 
Figur. Die gelb gefärbten Zellstränge und Gruppen sind schwarz 
straffiert (chrz.). das fremdartige Gewebe durch schwarze Punkte 
auf weissem Grunde dargestellt (embr. nerv. gew.) und die 
epitheliale Nebenniere (nb.) gleichmässig grau gehalten. Die 
zahlreichen das Innere der letzteren durchziehenden Linien sind 
durchweg bindegewebige Septa (bdg), die sich an vielen Stellen 
mit dem Paraganglion suprarenale direkt verbinden. Das 
fremdartige Gewebe bildete entweder mehr selbständige 
Gruppen und Stränge oder lag in (Gestalt verschieden grosser 
Anhäufungen mitten unter den gelben chromaflinen Zellen, 
oder es war endlich den letzteren nur von aussen angelagert. 
Stellenweise hingen die grösseren nicht gelben Zellansammlungen 
in ähnlicher Weise wie jene des Paraganglion suprarenale netz- 
artig zusammen. Häufig besassen die einzelnen Gruppen dieses 
rätselhaften Gewebes an ihrer Oberfläche einen dünnen Überzug 
von gelben chromaftinen Zellen. Umgekehrt fand ich auch einzelne 
oder gehäufte chromafline Zellen mitten in dem nicht gelben 
Gewebe, mitten unter seinen eigenen Kernen und Zellen. (Fig. 22, 
Taf. XXIII). Dieser Schnitt wurde nach Heidenhain mit Häma- 
toxylin-Eisenalaun behandelt. Bei der Differenzierung gaben die 
einzelnen chromaffinen Zellen den Farbstoff ungleich rasch ab, 
und darum erschienen manche von ihnen noch gleichmässig schwarz, 
die anderen aber schon undeutlich granuliert (chrz! und chrz ?), 
chrz? ist ein Anschnitt einer solchen schwarz gebliebenen Zelle. 

Betrachten wir die Anordnung der chromaffinen Zellen und 
des rätselhaften Gewebes übersichtlich, so muss ich sagen, dass 
ihre gegenseitige Verbindung eine ungemein innige, ja sogar eine 
organische ist. Das gesamte Paraganglion suprarenale wurde 
hier aus einem doppelten Ballen- und Strangsystem aufgebaut, 
von dem aber nur der eine Teil aus gelben chromaffinen Zellen, 
der andere aber aus einem kernreichen Gewebe bestand, das 
sich bei der Fixation in Müller-Formol nicht gelb färbte. 
Fig. 22, Taf. XXIII, gibt einen Abschnitt aus einer grösseren 
Anhäufung dieses Gewebes wieder. Das erste, was einem auffällt, 
ist die ganz bedeutende Differenz in der Grösse und Beschaffen- 
heit der einzelnen Kerne. Ich habe hier absichtlich eine Stelle 
wiedergegeben an welcher die verschiedensten Kerne bei- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 641 


sammen liegen. Dieses fremdartige Gewebe setzt sich aber 
durchaus nicht überall in dieser Weise zusammen, vielmehr über- 
wiegt bald dieser, bald jener Kerntypus, so dass das Aussehen 
der einzelnen Ballen und Stränge an verschiedenen Stellen be- 
deutend schwankt. Und nun wende ich mich der Beschreibung 
der einzelnen Kern- und Zellformen zu. Nur um verhältnis- 
mässig wenig Kerne ist ein deutliches Protoplasma entwickelt, 
und dieses färbte sich überdies nur sehr schwach. Das Plasma 
erfüllt meist nur zum Teile die zwischen den Kernen befindlichen 
Zwischenräume in Gestalt wolkig getrübter, unregelmässiger und 
vielfach zusammenhängender Anhäufungen. Den Charakter 
des ganzen Gewebes bestimmen in erster Linie die massen- 
haften kleinen Kerne. Ich will sie zum Unterschiede von 
den anderen als Kerntypus A. zusammenfassen. Rechts unten 
und oben sind einige von ihnen so bezeichnet. Die Kerne lassen 
sich nicht einem bekannten Zelltypus ohne weiteres einreihen. 
Neben mehr rundlichen oder ovalen liegen bald dreieckige, 
bald mehr unregelmässige Formen, kurz die Mannigfaltigkeit 
ist eine sehr grosse. Die allermeisten Kerne färben sich mit 
allen zur Anwendung gebrachten Kernfarbstoffen lebhaft. Das 
Plasma wurde dagegen nur in auffallend schwachem 
Grade mitgefärbt. Es bestand aus einer wolkig getrübten ent- 
weder scholligen oder leicht fädigen und granulierten Masse, die 
nur um relativ wenige Kerne herum eine deutliche Zerklüftung 
in einzelne Zellen besass. Es wurden nun sehr häufig 
grössere Abschnitte des nicht gelben Gewebes ausschliesslich 
von den kleinen Kernen A zusammengesetzt. und es fanden 
sich nur ausnahmsweise ganz vereinzelte grössere Kerne unter 
ihnen. Alle diese Stellen sehen Iymphoiden Zellan- 
häufungen auffallend ähnlich und ich würde in dem 
Falle, dass ich diese Kerngruppen für sich allein gesehen hätte, 
kaum gezweifelt haben, sie als solche aufzufassen. Betrachten 
wir aber andere Stellen, an welchen die grösseren Kerne regellos 
unter den kleinen verteilt sind, so erkennt man leicht, 
dass es sich unmöglich um ein lymphoides Ge- 
webe handeln kann. Wie ich hier vorweg betonen will, 
fasse ich das fremdartige Gewebe in seiner Gesamtheit als ein, 
wenigstens teilweise unfertiges, dem Nerven- 
systeme genetisch zugehörigesGewebe auf undwill 


642 Wilhelm Kose: 


zur Begründung meiner Ansicht vor allem in der Beschreibung 
der einzelnen Kernformen fortfahren. 

Mitten unter den Kernen A. liegen sehr viele, die sofort 
durch ihre Grösse auffallen. Sie übertreften die Kerne der 
chromaffinen Zellen an Ausdehnung (Zelle 1, 2, 3). Diese Kerne 
haben eine deutliche Kernmembran; ihr Inneres birgt ein oder 
zwei auffallend grosse, und überdies manchmal mehrere 
kleinere Kernkörperchen, die dann unregelmässig verteilt sind. 
Das grosse Kernkörperchen setzte sich öfters aus mehreren 
kleineren Kügelchen oder unregelmässigen Bröckchen zusammen, 
die durch eine etwas weniger lebhaft gefärbte mehr homogene 
Grundsubstanz zu einem Ganzen zusammengehalten wurden 
(Kern 1, 2). Das grosse Kernkörperchen lag durchaus nicht immer 
zentral, es stiess vielmehr häufig an die Kernmembran an. Die 
kleineren Chromatinbrocken waren manchmal durch dünne und 
geschlängelte Fädchen einer fast ungefärbten Substanz mit ein- 
ander verknüpft (Zelle 3). Der übrige Kerninnenraum erschien 
wie leer und war darum rein weiss. Diese grossen Kerne wurden 
von einem schwach entwickelten Plasmamantel umgeben und so 
gegen die benachbarten Zellen mehr minder deutlich abgegrenzt. 
Das Protoplasma färbte sich weder mit Kern- 
noch Plasmafarbstoffen. 

Zwischen vielen dieser grossen Kerne und jenen sympathischer 
Ganglienzellen besteht eine weitgehende Ähnlichkeit, 
manchmal sogar völlige Gleichheit. Ich bezeichne 
alle diese grossen Kerne als Kerntypus B. 

Es gibt nun eine genügende Anzahl von Kernen, die etwas 
kleiner als die Kerne 1, 2, 3 sind, trotzdem aber hierher gezählt 
werden müssen. Bezüglich ihrer Zugehörigkeit zu Typus B ist für 
mich ihr ganz besonders grosses Kernkörperchen maß- 
gebend, durch welches sie sich deutlich von den anderen Zellen 
unterscheiden (Zelle 16). An manchen Stellen bilden diese 
Kerne B durch eine lokale Anhäufung Ganglien ähnliche 
Bildungen. Diese sind öfters kugelrund und besitzen an ihrer 
Oberfläche eine dünne bindegewebige Hülle. Ich fasse die 
Kerne B als solche unvollständig entwickelter 
Ganglienzellen auf und zwar aus folgenden 
Gründen: Diese Kerne und Zellen B sind keiner der bekannten 
vollentwickelten Kern- oder Zellarten einzureihen. Sie besitzen 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 645 


infolge ihrer Grösse und Struktur am ehesten noch die grösste 
Ähnlichkeit mit jungen Ganglienzellen. Das Kern- 
körperchen erreicht in den Kernen vollentwickelter Ganglienzellen 
fast niemals eine so enorme Grösse wie in Zelle 2, auch färbt 
sich das Plasma bei den Ganglienzelien viel lebhafter, 
wenn auch diesbezüglich zwischen den einzelnen Zellen gewaltige 
Differenzen bestehen. 

Neben diesen Kernen und Zellen B liegen in sehr ver- 
schiedener Menge ganz regellos solche Zellen oder bloss Kerne, 
die in jeder Beziehung den farblosen chromaffinen 
Zellen des Paraganglion caroticum gleichen. Die 
Kerne sind daher auch jenen der chromaffinen gelben Zellen 
gleich. Vergl. Zelle 4 mit Zelle chrz!. Die fraglichen Kerne 
sind in gleicher Weise gebaut. Sie sind blasenförmig und ent- 
halten ein oder zwei grössere und mehrere kleinere Kern- 
körperchen. Letztere waren der Kernmembran perlschnurartig 
angereiht. Der übrige Kerninnenraum war nur mit einer spär- 
lichen und matt gefärbten oder farblosen Substanz erfüllt. Diese 
Kerne sind nicht immer rund, sondern öfters mehr längs-oval 
(Kern 9) oder mehr stumpf-dreieckig (Kern 5). Ihre Grösse 
schwankt in denselben Grenzen wie jene der Kerne der chromaffinen 
Zellen. Auch diese Kerne umgibt öfters eine mehr minder deut- 
liche Protoplasmaschichte (Zelle 8, 9). Manchmal dagegen lag 
das Plasma nur in Gestalt kleinerer oder grösserer Abschnitte 
den Kernen ein- oder mehrseitig an (Zelle 5, 6). Das Plasma 
‘war mehr homogen oder nur äusserst fein gekörnt. Seine Granu- 
lierung erreichte nicht im entferntesten eine solche Deutlichkeit wie 
in den gelben chromaffinen Zellen. Man findet öfters in den Zellen 
Vakuolen, die genau so wie in den gelben chromaffinen Zellen 
dem Kern unmittelbar anliegen können (Zelle 8). Es sind aber 
in ähnlicher Weise wie bei Typus B. auch hier eine ganze Anzahl 
kleinerer Kerne oder Zellen hierher zu rechnen. Die kleineren 
Kernformen (15, 10, 11) besitzen in ähnlicher Weise wie viele 
Kerne der chromaffinen Zellen kein besonders grosses Kern- 
körperchen. Die färbbaren Kernsubstanzen sind vielmehr, hier 
wie dort, in Form kleinerer Bröckel unregelmässig verteilt. Das 
Protoplasma hat sich für gewöhnlich um diese Kerne noch nicht 
in abgegrenzten Partien angeordnet. Alle die zuletzt beschriebenen 
grösseren und kleinen Kerne fasse ich unter dem Typus. zusammen. 


644 Wilhelm Kose: 


Es gibt nun unter den kleineren Kernformen auch solche, 
welche ein auffallend grosses Kernkörperchen enthalten (Zelle 17). 
Ich glaube sie infolgedessen eher zum Typus B. zählen zu 
müssen. 

Versuchen wir nun, uns eine Vorstellung über die näheren 
Beziehungen der einzelnen Kerne und Zellen zueinander zu 
verschaffen, so sind wir hier nur auf Vermutungen angewiesen. 
Sehen wir also zu, welche von ihnen die grösste Wahrscheinlich- 
keit besitzt. Meines Erachtens kann die grosse Mannigfaltigkeit 
der Kerne auf eine dreifache Art und Weise erklärt werden. 

Die verschiedenen Kerne könnten erstens einmal als eine 
ununterbrochene Entwicklungsreihe einer einzigen Kernart 
gelten. Als Ursprungsgewebe wären die Kerne A., als Mittelstufe 
die Kerne Ü. und als Endglieder dieser Kette die Kerne B. auf- 
zufassen, wobei es vorläufig unentschieden bleiben muss, ob letztere 
ihre volle Entwicklung erreicht haben oder nicht. Alle jene zahl- 
reichen Kernformen, deren Einreihung in eine der Gruppen A. B.Ü. 
schwer fällt, müssten dann als typische „Übergangsformen“ gelten. 
Da bis jetzt nur meine diesbezüglichen Beobachtungen vorliegen 
und es mit Sicherheit nicht zu entscheiden ist, um was für Kerne 
und Zellen es sich beim Typus B. handelt, so kann diese Ansicht, 
bevor nicht weitere Untersuchungen unternommen sind, nicht so 
ohne weiteres von der Hand gewiesen werden. 

Man kann aber auch, und wie ich glaube, mit viel mehr 
Recht, daran denken, dass sich aus dem noch scheinbar un- 
differenzierten kleinkernigen Muttergewebe A. zwei ver- 
schiedene Zellspezies B. und C. entwickeln. Diese würden 
dann zeitlebens als vollständig selbständige Arten 
nebeneinander bestehen. 

Das von den kleinen Kernen A. zusammen- 
gesetzte Gewebe besitzt alle Merkmale eines un- 
fertigen, noch nicht differenzierten Gewebe» 

Es wird, die Richtigkeit dieser oder jener Anschauung 
vorausgesetzt, stets den Mutterboden für die anderen Typen B. 
und C. abgeben. Man findet nun tatsächlich unzweifelhafte 
„Übergangsformen* oder besser gesagt Entwicklungsstufen 
zwischen den Kernen A. und den kleinsten Formen B. oder Ü. 
Viele dieser „Übergangskerne“ unterscheiden sich von A. nur 
durch eine schwächere Färbung. Ihr Inneres ist nicht mehr so 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 645 


gleichmässig mit der färbbaren Substanz wie bei A. erfüllt. Da- 
durch fallen sie unter den dunkeln kleinen Kernen A. sofort als 
hellere Kerne auf. Sie besitzen aber noch kein merklich grösseres 
Kernkörperchen. (Kerne 15, 10). Andere ebenso beschaftene 
Kerne haben aber bereits ein solches. 

Sind sie dabei ganz besonders schwach gefärbt, so zeigen 
sie schon die Merkmale des Typus C. (Zelle 13). Erreicht das 
Kernkörperchen eine ganz besondere Grösse (Zelle 17), so gehören 
die Kerne schon zu Typus B. Von da an würde dann die 
Scheidung in die Zellen B. und C. erfolgen. 

Es gelingt tatsächlich, zwischen A. einerseits und B. und (. 
andererseits, zwei kontinuierliche Reihen von Übergangsformen 
nachzuweisen, wobei es aber manchmal unmöglich ist, eine scharfe 
Trennung zwischen den einzelnen Kernformen herzustellen. Es 
gibt genug Kerne, von denen man nicht weiss, ob sie zu den 
kleinen Formen von B. oder Ü. gehören. Entweder kann man 
diese noch nicht genügend charakterisierten Kerne als wirkliche 
„Übergänge“ zwischen den kleinen Kernen B. und C., oder aber 
als solche Kerne auffassen, denen wir es mit unseren Hilfs- 
mitteln nur nicht ansehen können, in welcher 
Richtung sie bereits differenziert sind. 

Nach der im Vorhergehenden ausgesprochenen zweiten Hypo- 
these würden also aus einem scheinbar noch einheitlichen, 
tatsächlich aber schon potentia differenzierten 
Muttergewebe A. zwei voneinander verschiedene 
Zellarten B. und C. ihren Ursprung nehmen. 

Frage ich mich nun, ob die Zellen B. und C. jenen irgend 
eines wohlbekannten und vollentwickelten Gewebes gleichzustellen 
sind, so muss ich dies zu einem Teile bejahen. Die Zellen C. 
gleichen in jeder Beziehung denfarblosenchromaffinen 
Zellen des Paraganglion caroticum. Infolge dieser 
(Gleichheit besteht auch zwischen den Kernen C. und jenen der 
gelben chromaffinen Zellen kein Unterschied. 

An dieser Stelle möchte ich auch hervorheben, dass die 
Zellanhäufungen des fraglichen Gewebes von einem reichen binde- 
gewebigen Gerüste durchzogen werden. das die gleiche Verteilung 
wie in den gelben Abschnitten des Paraganglion suprarenale 
besitzt. Sehr viele Zellen werden auch hier separat vom Binde- 
gewebe maschenartig eingeschlossen. 


646 Wilhelm Kose: 


Wie wir später bei Beschreibung der farblosen chromaffinen 
Zellen des Paraganglion caroticum sehen werden, kommen diese 
Zellen sicher auch im Paraganglion suprarenale wenn- 
gleich nur ausnahmsweise vor. Da nun die unter Ü. zusammen- 
gefassten Zellen den farblosen chromaffinen Zellen gleich sind, 
so könnte es sich auch hier um solche handeln. Da sie aber 
mitten in dem teilweise noch unentwickelten Gewebe A. in regel- 
loser Anordnung verbreitet sind, muss man in seiner Auffassung 
etwas vorsichtig sein. Nehmen wir aber einmal an, es seien 
wirklich farblose chromaffine Zellen, wie verträgt sich 
dies mit der Ansicht, dass es sich bei dem fraglichen Gewebe 
um ein unentwickeltes, auf einer embryonalen Stufe stehen- 
gebliebenes Gewebe handele? Ich habe deshalb schon eingangs 
nur von einem teilweise unentwickelten Gewebe gesprochen. 
Typus A. mit seinen kleinen gehäuften Kernen und dem kaum 
entwickelten Plasma, sowie die Kerne und Zellen B., die man 
am ehesten noch als junge Ganglienzellen auffassen kann, wären 
die unentwickelten Partien dieses Gewebes, die Zellen C. dagegen 
hätten schon das Ende ihrer individuellen Entwicklung erreicht. 

Die dritte Möglichkeit einer Erklärung für die Polymorphie der 
Kern- und Zellformen wäre folgende. Man müsste hier nämlich 
die Annahme machen, dass dieses bei der Henne von mir 
beschriebene neuartige Gewebe mit allen seinen Kernen und 
Zellen seine Entwicklung bereits vollständig durchlaufen hätte. 
Die verschiedenen Zellen und Kerne würden ebensoviele bisher 
noch unbekannte Typen repräsentieren. die nicht ineinander 
übergehen würden. Das Gewebe müsste seiner Verbreitung nach 
auch physiologisch tätig sein. Ich glaube nicht, dass man sich 
mit dieser Ansicht wird befreunden können, ich wollte sie nur 
als eine fakultative Erklärung der vorliegenden Verhältnisse 
anführen. 

Meine an den Präparaten der alten Henne gewonnene 
Ansicht (zweite Hypothese) erfuhr durch Beobachtungen bei 
jungen Krähen und Amseln nicht nur eine Bestätigung, 
sondern insofern auch eine gewisse Erweiterung, als ich annehmen 
muss, dass aus dem kleinkernigen Gewebe A. sich 
auch typische gelbe chromaffine Zellen entwickeln 
können. Bevor ich darauf näher eingehe, muss ich es noch 
begründen, warum ich das bei der Henne aufgefundene Gewebe, 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 647 


ganz abgesehen von der Ähnlichkeit oder Gleichheit vieler seiner 
Zellen mit typischen farblosen chromaffınen und jungen Nerven- 
zellen, als ein dem Nervensysteme zugehöriges auffasse. 

Das Paraganglion suprarenale dieser Henne war in der 
bekannten Art und Weise von mehreren sympathischen Ganglien 
und zahlreichen Nerven umgeben, die hauptsächlich aus den 
ersteren ihren Ursprung nahmen. Die Nerven zogen an vielen 
Stellen in das Innere des Paraganglion suprarenale. Sie waren 
oft ziemlich stark und enthielten eine ganze Menge feiner mark- 
haltiger Fasern. Einzelne Nervenstämmchen waren fast aus- 
schliesslich aus diesen zusammengesetzt. 

Fast alle Nerven drangen bloss in das fragliche (Gewebe 
ein und verteilten sich hier zwischen den einzelnen Zellen ganz 
unregelmässig. An vielen Stellen lagen innerhalb dieser Nerven, 
aber auch zwischen ihnen oder den Zellen A. B. (., ganz 
vereinzelte oder zu kleinen Gruppen angehäufte deutliche 
Ganglienzellen. Die aus gelben chromaffinen Zellen 
zusammengesetzten Abschnitte des Paraganglion suprarenale 
waren geradezu arm an Nerven zu nennen; Ganglienzellen 
fand ich in ihnen überhaupt nicht. 

Der ganz auffallend grosse Gehalt an sympathischen Nerven 
und Ganglienzellen, ferner die regellose und weitgehende Ver- 
mischung dieser mit den Zellen des neuartigen Gewebes und 
schliesslich seine innige organische Verbindung mit einem dem 
sympathischen Nervensysteme stammverwandten Gewebe, — dem 
Paraganglion suprarenale, sind die Gründe, die mich 
bestimmen, das fremdartige Gewebe als ein dem sym- 
pathischen Nervensysteme zugehöriges Gewebe 
aufzufassen. 

Ich fand das letztere in dieser mächtigen Ausbildung nur 
bei dieser einzigen alten Henne. In den Paraganglia suprarenalia 
mancher anderer Vögel dagegen kamen verschieden grosse den 
chromaffinen Zellen beigegebene Kern- und Zellgruppen eines 
nicht gelb gefärbten Gewebes vor, ‚die ich ohne Kenntnis der 
Präparate von der Henne wohl für Iymphoide Zellansammlungen 
gehalten hätte. So aber kann ich nun mit Bestimmtheit 
sagen, dass es sich wenigstens in der Mehrzahl um 
dasselbe Gewebe wie bei der Henne handelte. Diese 
Kernanhäufungen bestanden nämlich meistens nur aus den 


648 Wilhelm Kose: 


Kernen A. und standen nur selten mit sympathischen Nerven 
im Zusammenhange. Um ganz sicher zu gehen, entwarf ich mit 
Hilfe des Zeichenapparates von den verschiedensten Zellgruppen 
mehrerer Vögel ganz genaue Bilder und verglich diese miteinander. 
Ich kann mit Sicherheit behaupten, dass es sich 
in allen Fällen um dasselbe kleinkernige Gewebe A. 
wie bei der Henne handelte. Diese Kerngruppen sind 
entweder bei den verschiedenen Vögeln oder aber an einzelnen 
Stellen desselben Paraganglion suprarenale verschieden gross. 
Einige von ihnen verbinden sich ausser mit den chromaffınen 
Zellen auch noch mit sympathischen Nerven und Ganglien. Als. 
ein Beispiel dafür diene Figur 23, Tafel XXIII. Sie stellt einen 
Ausschnitt aus der Peripherie der Nebenniere und des Paraganglion 
suprarenale eines alten Würgerweibchens (Lanius collurio) 2 
dar. Der gleichmässig grau gehaltene Teil ist die Nebenniere. 
Ein kleines sympathisches Ganglion liegt an ihrer Aussenseite. 
In der äussersten Peripherie der Nebenniere (nb.) befindet sich 
so eine kleinkernige Anhäufung, die nicht scharf begrenzt ist. 
Chromaffine Zellgruppen durchsetzen sie nach verschiedenen 
tichtungen. An der dem Ganglion abgewendeten Innenseite der 
kleinkernigen Anhäufung liegt ein kleines, von chromaftinen Zellen 
vollständig eingehülltes Ganglion, welches, wie die folgenden 
Schnitte lehren, nur die direkte Fortsetzung des ausserhalb der 
Nebenniere befindlichen grossen Ganglions ist. Man findet daher 
in den nächsten Schnitten zahlreiche Ganglienzellen und Nerven 
zwischen den kleinen Kernen A. Die chromaffinen Zellen hatten 
sich mit Cochenille so lebhaft braunrot gefärbt, dass ihre Kerne 
nur stellenweise als dunkle Flecken zu sehen sind. Die zahlreichen 
kleinen runden und helleren Stellen im Plasma sind Vakuolen. 
Eine unmittelbare Fortsetzung der kleinkernigen Anhäufung A 
(embr. nerv. gew.) erstreckte sich in das Innere des grösseren 
Ganglions, um sich dort in seiner äussersten Peripherie nach Art 
der gelben Paraganglien auszubreiten. In der Figur 23 ist nur 
der Beginn dieses im Ganglion gelegenen Fortsatzes zu sehen. 

Folgende weitere Tatsachen sprechen ebenfalls in über- 
zeugender Weise für die Zugehörigkeit des fraglichen Gewebes 
zum sympathischen Nervensysteme. Das Paraganglion supra- 
renale ist nämlich gar nicht seine einzige Fundstätte. 
Es verbindet sich vielmehr ausserdem in Gestalt verschieden 


Br, 


Die Paraganglien bei den Vögeln 649 


grosser Gruppen mit zahlreichen abdominalen sympathischen 
Nerven und Ganglien der verschiedensten Plexus, aber auch 
mit jenen des sympathischen Grenzstranges. Die Zellgruppen 
des, wenn ich so sagen darf, embryonalen nervösen Gewebes 
liegen dabei entweder als typische Paraganglien den Nerven und 
(Ganglien bloss von aussen an, oder aber sie versenken sich in 
sie mit einem Fortsatze, gerade so, wie bei dem Würgerweibchen. 
Manchmal liegen die Gruppen ganz im Innern der Ganglien und 
Nerven und zwar wieder häufig wie die aus gelben chromaffinen 
Zellen zusammengesetzten Paraganglien, nur in der äussersten 
Peripherie der ersteren. Bei einer jungen Krähe besassen die 
(Gruppen des embryonalen nervösen Gewebes manchmal die Gestalt 
und Grösse kleiner Ganglien und waren durch stärkere Nerven- 
stämmcehen mit verschiedenen abdominalen Grenzstrangganglien 
direkt geweblich verbunden. Für die Zugehörigkeit des fraglichen 
(rewebes zum sympathischen Nervensysteme spricht daher ausser 
seiner gesetzmässigen Verbindung mit typischen chromaffınen 
Zellen seine ebenso auffällige gewebliche Verknüpfung mit dem 
sympathischen Nervensysteme selbst. Es gibt wohl vereinzelte 
Zellgruppen, die in keinem nachweisbaren Zusammenhange mit 
dem Sympathicus stehen. Sie können aber als ein Beweis gegen 
die oben angeführte Zugehörigkeit zum Sympathieus nicht an- 
geführt werden. Wir finden ja auch so viele chromaffine Zell- 
gruppen, die unabhängig vom sympathischen Nervensysteme sind 
und doch wird wohl niemand heute mehr an ihrer genetischen 
Zugehörigkeit zu letzterem zweifeln können. .Die vom Sym- 
pathicus abgetrennten Gruppen des embryonalen nervösen Gewebes 
enthielten aber fast stets in verschiedener Menge deutliche gelbe 
chromaffine Zellen. Gerade diese gewebliche Verbindung mit 
letzteren weist meiner Überzeugung nach lebhaft auf verwandt- 
schaftliche Beziehungen dieser beiden Gewebs- 
arten hin. 

Als letztes Beispiel dafür sei Fig. 24a und 24b, Taf. XXIII, 
angeführt. Erstere stellt ein grösseres Ganglion des Plexus 
coeliacus einer jungen Nestamsel (Turdus merula) dar. 
An der rechten Seite des Ganglions (sy. gl.) liegt ein aus den 
kleinen Kernen und Zellen A. (nerv. embr. gew.) und 
chromaffinen Zellen (chrz) aufgebauter Körper, — ein echtes 


Paraganglion. Dieses wurde mitsamt dem Granglion 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 43 


650 Wilhelm Kose: 


von einer gemeinsamen bindegewebigen Kapsel grösstenteils 
eingehüllt. Hier in der Fig. 24a umgibt diese das Ganglion und 
Paraganglion vollständig, in den folgenden Schnitten besass sie 
aber verschieden grosse Unterbrechungen. In dem peripheren 
Bindegewebe liegen die Querschnitte mehrerer grosser Venen (ven). 
Dieses Paraganglion setzte sich bei Beginn der Serie fast aus- 
schliesslich nur aus den gelben chromaffinen Zellen zusammen, 
die eine ausgesprochene strangförmige Anordnung zeigten. 
Die wenigen Kerne A. lagen in Gestalt kleiner Gruppen zwischen 
den gelben Strängen. Das embryonale nervöse Gewebe A. (embr. 
nerv. gew.) schob sich dann im Verlaufe der Serie immer mehr 
und mehr zwischen die chromaffinen gelben Zellen vor und ver- 
drängte diese schliesslich fast vollständig. Die Fig. 24a gibt 
einen Schnitt aus der Mitte der Serie wieder. Das chromaffine 
Gewebe ist noch deutlich zu sehen und bildet entweder isolierte 
oder zusammenhängende Gruppen und Stränge. Vergleicht man 
die Anfangs- und Endschnitte der Serie, so ist das Bild jedesmal 
ein anderes. Das Paraganglion setzt sich einmal fast ausschliesslich 
aus dem fraglichen Gewebe (embr.nerv.gew.), das anderemal fast nur 
aus den gelben chromaffinen Zellen zusammen. Tatsächlichaber 
durchdringen sich die beiden Gewebe aufs innigste 
und bilden zusammen ein einziges Paraganglion. 
Fig. 24b gibt einen Teil dieses Paraganglion bei starker Ver- 
erösserung wieder. Einige der kleinen Kerne sind auch hier 
mit A. bezeichnet, sie liegen hier etwas gedrängter beisammen 
als in Fig. 22.- Auch besteht die Fig. 24b wiedergegebene Stelle 
aus den etwas grösseren Kernformen des Typus A. Ich will 
hier ‚nur erwähnen, dass sich auch bei der Henne ganze 
Abschnitte des fraglichen Gewebes aus genau solchen Kernen 
zusammensetzten. (Gerade so wie bei dieser Henne bildeten sie 
auch bei der Amsel den Mutterboden für eine ganze Anzahl 
anderer Kerne oder Zellen. Diesbezüglich bestanden aber 
zwischen diesen beiden Vögeln gewisse Unterschiede. Sehen wir 
einmal Fig. 24b etwas näher an. Die chromaffınen Zellstränge 
und Gruppen bestanden nur zu einem Teile aus den grosskernigen 
schmutziggelb oder braunrötlich gefärbten Zellen (6, 7), deren 
Kern sich nur ganz schwach violett tingiert hatte. Mitten unter 
ihnen oder aber in Gestalt selbständiger Gruppen treten hier 
zahlreiche kleinkernige goldgelbe chromaffine Zellen auf, die 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 651 


eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen haben, die auch im Innern 
des Paraganglion suprarenale und vieler peripherer 
Paraganglien vorkommen. Ich verweise hier aufden Abschnitt 
U. Cytologie des Paraganglion suprarenale. S. 634—635. Im letzten 
Kapitel dieser Arbeit werden sie bei Besprechung der peripheren 
Paraganglien nochmals genau geschildert werden. Links unten 
und rechts oben sind zwei solcher Gruppen mit (11) bezeichnet. 
Zum Vergleiche mit ihnen siehe Fig. 20a und 20b, Taf. XXVI 
zweiter Teil dieser Arbeit. Das Plasma der goldgelben chromaffinen 
Zellen in Fig. 24b, Taf. XXIII, war entweder in ähnlicher Weise 
wie in Fig. 20b, Taf. XXVL, netzförmig angeordnet, manchmal 
aber wieder deutlich fein granuliert. Die goldgelbe Farbe war 


-nur selten so lebhaft, wie in Fig. 20b, Taf. XXVI, doch unter- 


schieden sich diese Zellen stets durch sie von den schmutzig 
braungelben Zellen. Betreits der Kerne bestehen aber zwischen den 
hier beobachteten und den in Fig. 20b, Taf. XXVI, abgebildeten 
Zellen insofern durehgreifende Unterschiede, indem bei letzteren 
fast alle Kerne rund oder oval waren und keine Struktur er- 
kennen liessen, während die Kerne hier unregelmässig gestaltet 
sind und trotz ihrer lebhaften Farbe deutliche Kernkörperchen 
besitzen. Wie ein Vergleich mit den neben ihnen 
liegenden Kernen A. lehrt, sind sie diesen in jeder 
Beziehung gleich. Die Vermutung, die sich einem dabei 
sofort aufdrängt, dass diese kleinkernigen chromaffinen Zellen 
sich aus dem Grundgewebe A. entwickeln, findet eine weitere 
Stütze in einer kontinuierlichen Reihe von Übergangsformen 
zwischen beiden. Man sieht nämlich ganz deutlich, wie das 
spärliche zwischen den Kernen A. befindliche und ungefärbte 
Plasma stellenweise etwas angehäuft ist. Gleichzeitig besitzt es 
einen ganz schwach gelblichen Ton. Die Kerne A. verändern 
dabei weder ihr Aussehen noch ihre Anordnung. Hand 
in Hand mit der Zunahme des Plasmas wird auch seine gelbe 
Farbe immer deutlicher. Die Kerne färben sich dann intensiver 
violett und wir. gleiten so, ohne irgend eine Grenze 
fixieren zu können, durch eine kontinuierliche Reihe von 
Abstufungen in der Entwicklung und Gelbfärbung des 
Plasmas von dem kleinkernigen Gewebe A. zu den kleinkernigen 
mehr goldgelb gefärbten chromaffinen Zellen hinüber. Die 


einzelnen Zellstränge dieses Paraganglions werden auf diese Weise 
43* 


652 Wilhelm Kose: 


häufig zur Hälfte aus den Kernen A., zur anderen aber aus den 
kleinkernigen chromaffinen Zellen zusammengesetzt, ohne dass 
es gelingt, anzugeben, wo die einen aufhören und 
die anderen anfangen. Ich muss aber hier hervorheben, 
dass die oftmals sehr merklichen Schwankungen in der Gelbfärbung 
der Zellen häufig nur als Ausdruck einer verschieden 
weit gegangenen physiologischen Tätigkeit aufzu- 
fassen sind. 

Ein so ausgesprochener Übergang zwischen den Kernen A. 
und jenen der goldgelben chromaffinen Zellen besteht aber durch- 
aus nicht überall. Vielmehr liegen häufig kleine und grosse 
(Gruppen der chromaffinen Zellen mitten im Gewebe A., ohne 
dass man imstande wäre, solche Übergänge nachzuweisen. Die 
Abgrenzung der chromaffinen Zellen ist hier eine 
scharfe und deutliche. 

Es gibt nun unter den Kernen A. eine gewisse Anzahl, 
welche die Durchschnittsgrösse dieses Typus mehr minder über- 
schreitet. Zwischen ihnen, die sich bloss in bezug auf die Grösse, 
sonst aber nicht, von den Kernen A. unterscheiden, und solchen 
Kernen, die in jeder Beziehung den grossen Kernen chromaffiner 
Zellen (6, 12, 2) gleichen oder ähnlich sind (13a, 9, 10), steht 
eine ganze Reihe von Kernen, die man vielleicht doch als 
„Übergangsformen“ auflassen kann. Das Zellplasma ist für 
gewöhnlich um jene Kerne, die dem Typus A. noch am nächsten 
stehen, ebenso spärlich wie um letztere entwickelt und findet sich 
erst in der Umgebung der grösseren Kernformen in Gestalt 
deutlicherer Anhäufungen. (Vergl. Kern 14.) Dieser nur schwach 
violett gefärbte Kern besass das deutliche Aussehen der Kerne 
gelber chromaffiner Zellen; links von ihm ist etwas Plasma an- 
gehäuft (pl). Ferner vergleiche auch den Kern 13a mit dem 
Kerne einer ihm anliegenden chromaffinen Zelle (12). Beide 
Kerne sind vollkommen gleich. In der Umgebung des Kernes 13a 
lag aber überhaupt fast kein wahrnehmbares Plasma, während 
jenes der Zelle (12) schmutzig gelb gefärbt war (vergl. auch den 
Kern 13b). Solche den Kernen chromaffiner Zellen vollständig 
gleiche Kerne liegen häufig mitten unter den kleinen Kernen A. 
in weiter Entfernung von den chromaffinen Zellen. Oft sind sie 
ebenso kugelrund wie die Kerne der letzteren. Manchmal um- 
gibt ein deutlicher nicht gelber Plasmahof diese Kerne (9). 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 653 


Dieser war schwach violett gefärbt, das Plasma schmutzig-weiss. 
Vergleichen wir mit dieser Zelle 9 die Zelle 1, so sehen wir, 
dass beide einander ähnlich sind, nur war bei letzterer der Kern 
lebhafter gefärbt und das Plasma schwach gelb. Nach all dem 
(sesagten macht es mir den lebhaften Eindruck, als ob zwischen 
den Kernen A. und den klein- und grosskernigen chromaffinen 
Zellen Übergangsformen nachzuweisen wären. So viel steht 
aber sicher, dass es unmöglichist, zwischen den 
Kernen A. und jenen der chromaffinen Zellen eine 
scharfe Grenze zu ziehen. Ich will bevor ich weiter fortfahre, 
zur übersichtlichen Orientierung eine kleine Zusammenfassung der 
einzelnen Kerne und Zellen geben. 

1. Zelle 1, 2, 3. Das Plasma leicht gelblich, der Kern 
ziemlich intensiv violett. 

2. Zelle 4. Kern tief violett, vollkommen den Kernen A. 
gleich und auch jenen der kleinkernigen chromaffinen Zellen (11). 
Das Plasma schwach violett. 

3. Zellen 6. Drei chromaffine Zellen, die unmittelbar an- 
einander liegen. Deutliche Zellgrenzen. Plasma schmutzig braun- 
gelb, Kern kaum violett. 

4. Zelle 7. Kern viel deutlicher violett als in 6, Plasma 
reiner gelb. 

5. Zelle 8. Kern intensiv violett, wie diejenigen der 
kleinkernigen chromaffinen Zellen (11). Plasma intensiv braunrot. 

6. Zelle 9. Kern schwach violett, wie die freiliegenden 
Kerne. Plasma ungefärbt, nur schmutzig weiss, keine Spur einer 
gelben Farbe. 

7. Zelle 10. Kern violett. Kein wahrnehmbares Plasma. 
Dieser freie Kern glich auffallend jenem der Zelle 3, die deutlich 
gelb war. 

S. Zellen 11. Kerne dunkel violett, unregelmässig. Plasma 
mehr goldgelb. 

9. Zelle 12. Kern leicht violett, Plasma schmutzig gelb. 
Vergl. mit dem Kern der oberen Zelle 12 den daneben liegenden 
freien Kern 13a und auch Kern 135b. 

10. Kerne 13a und 13b. Freie Kerne, die den Kernen 
chromaffiner Zellen gleich sind. 

ll. Kern 14. Freier Kern, lichtviolett, der ebenfalls jenen 
der chromaffinen Zellen gleich ist. Links von ihm etwas Plasma (pl). 


654 Wilhelm Kose: 


Mitten unter diesen Kernen fand ich öfters solche, die den 
Kernen typischer Ganglienzellen auffallend ähnlich waren, um 
welche aber kein Plasma entwickelt zu sein schien. Ich kann 
nicht sagen, um was für Kerne es sich in diesen Fällen handelte. 
Um Kerne junger Ganglienzellen konnte es sich nicht gut handeln, 
da sie den Kernen vollentwickelter Ganglienzellen glichen. 

Ein Vergleich des fraglichen Gewebes der Amsel mit 
jenem des Huhnes ergab bei beiden Vögeln mit Sicherheit 
dieGleichheitdeskleinkernigenGrundgewebesA. 
Bei der Amsel bildete es scheinbar den Mutterboden für die 
klein- und grosskernigen chromaffinen Zellen sowie für eine 
Anzahl von Kernen, die jenen vollentwickelter Ganglienzellen 
sehr ähnlich waren. Trotzdem unterschied sich das Gewebe der 
Amsel in gewisser Beziehung dadurch von jenem des Huhnes, 
dass die Kerne A. vorherrschten und und nur relativ spärliche 
Zellen vorkamen, die jenen des Typus Ü. ähnlich waren. Ein 
durchgreifender Unterschied bestand zwischen der 
Amsel und der Henne darin, dass der ersteren dieZellen 
des Typus B. vollständig mangelten. — 

Das Paraganglion war auch hier von zahlreichen sym- 
pathischen Nerven durchzogen. Ebenso lagen mitten unter den 
kleinen Kernen A. im Anschlusse an die Nerven, aber auch von 
ihnen unabhängig, typische grosskernige Ganglienzellen. Das 
fragliche Gewebe war hier auch von zahlreichen Venen und 
Kapillaren durchzogen. 

Ehe ich meine Befunde kurz zusammenfasse, muss ich 
bemerken, dass R. Minervini (19), Seite 488, das Vorkommen 
Iymphoider Zellansammlungen im Paraganglion suprarenale der 
Vögel ganz kurz erwähnt. Aus den beigegebenen Zeichnungen 
aber kann man nicht erkennen, was für ein Gewebe Minervini 
vor sich gehabt hat. Seine Angaben lauten wörtlich: „On voit 
de plus, dans le tissu interstitiel, de petits amas de cellules 
Iymphoides, et dans quelques especes, comme dans le pigeon, on 
trouve presque constamment un amas considerable de ces cellules 
pres du bord interne ou sur le cöte dorsal, de facon a constituer 
comme un petit lobe Iymphatique (voir fig. 22).* — 

Ich will nun trotz meiner früheren Ausführungen nicht in 
Abrede stellen, dass sich auch tatsächlich Iymphoide 
Anhäufungen im Innern des Paraganglion suprarenale vorfinden 


BE 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 655 


können. Ich gestehe es offen ein, dass ich öfters über die 
gewebliche Natur der kleinkernigen Anhäufungen im Zweifel blieb 
und eher zu der Auffassung neigte, dass es sich um ein Iymphoides 
(sewebe handelte. Bleibt man auch bei einer gewissen Anzahl 
von Kern- und Zellgruppen über ihren histologischen Charakter 
im unklaren, so ergibt ein genaues vergleichendes Studium mit 
Sicherheit, dass sehr viele derjenigen Gruppen, die 
fürs erste als Ilymphoide Zellanhäufungen impo- 
nierten, als ein dem sympathischen Nervensysteme 
genetisch zugehöriges Gewebe aufgefasst werden 
müssen. 

Die wichtigsten Ergebnisse meiner diesbezüglichen Unter- 
suchungen sind in kurzer Zusammenfassung folgende: 

1. Bei allen von mir untersuchten jungen Nestkrähen 
und einer Nestamsel bestanden zahlreiche abdominale Para- 
ganglien nur zu einem Teile aus den gelben chromaffinen Zellen. 
Der übrige Abschnitt wurde aus einem grösstenteils kleinkernigen 
(Gewebe, welches sich intensiv färbte, gebildet. Dieses setzte 
sich der Hauptsache nach aus einer Summe kleiner, polymorpher 
Kerne zusammen, die sich lebhaft mit allen Kernfarbstoffen 
tingierten. Das zwischen ihnen gelegene spärliche Plasma blieb 
fast farblos. Ich betrachte dieses kleinkernige gewebe 
als ein teilweise unentwickeltes dem sympathischen 
Nervensysteme zugehöriges (Gewebe, weil, wie es mir 
scheint, die Entwicklung farbloser und gelber chromaffiner Zellen, 
sowie von Ganglienzellen (Henne) aus ihm durch eine Reihe von 
Übergangsformen gesichert zu sein scheint. Für seine Zugehörig- 
keit zum Sympathicus spricht auch seine gesetzmässige 
gewebliche Verbindung mit dem letzteren. 

2. Das auf einer embryonalen Stufe der Entwicklung stehen 
gebliebene Gewebe war bei jungen Vögeln viel reicher als bei 
alten (Zeisig, Würger) entwickelt. 

3. Den Höhepunkt seiner Ausbildung erreichte das fragliche 
(Gewebe im Innern des Paraganglion suprarenale einer 
alten Henne. Hier bildete es gut die Hälfte des letzteren. 
Bei den anderen jungen und alten Vögeln war es nur in Gestalt 
kleinerer oder grösserer mehr selbständiger Gruppen den Zell- 
strängen des Paraganglion suprarenale angeschlossen, oder fehlte 
in mehreren Paraganglia suprarenalia vollständig. 


656 Wilhelm Kose: 


Eine weitere Frage, die sich einem von selbst aufdrängt, 
ist die nach der Bedeutung dieses fraglichen Gewebes. Es ist 
vollständig unmöglich, heute schon eine Antwort darauf zu geben. 
Ich will hier nur einige Möglichkeiten kurz erwähnen. Die 
besonders reiche Entwicklung dieses Gewebes bei jungen Vögeln 
und bei der alten Henne spricht dafür, dass es sich nicht um 
ein bedeutungsloses Gewebe, sondern um Bildungen 
handeln müsse, die entweder als solche für sich oder aber als 
Mutterboden für andere (Gewebe bestimmt sind im physio- 
logischen Haushalte des betreffenden Vogels eine wichtige Rolle 
zu spielen. Das Vorkommen dieses fraglichen Gewebes auch bei 
alten Vögeln könnte entweder in ähnlicher Weise gedeutet 
werden, oder noch auf die Art, dass es sich bei ihnen um ein 
Reservematerial für die Neubildung von chromaffinen oder 
Ganglienzellen handeln könnte. Bei alten Vögeln habe ich mit 
Ausnahme der einzigen Henne das Gewebe nur in Gestalt kleiner 
(Gruppen vorgefunden. Doch sind meine Untersuchungen in bezug 
auf alte Vögel viel zu wenig ausgedehnt, um mir hier ein be- 
stimmtes Urteil zu gestatten. 

Die ganz einzig dastehende Entwicklung des Gewebes bei 
dieser alten Henne legte mir den Gedanken an eine patho- 
logische, excessive Wucherung nahe Die vollständig 
regellose Durchmengung der verschiedensten Kerne und Zellen 
erhöhte noch diesen Eindruck. Jedenfalls befand sich das frag- 
liche Gewebe bei der Henne auf einer weiter vorgeschrittenen 
Entwicklungsstufe als bei irgend einem anderen Vogel. Das 
chromaffine Gewebe wurde dadurch stellenweise vollkommen 
ersetzt. Dass es sich hier um kein für das Tier bedeutungs- 
loses Gewebe gehandelt hat, liegt auf der Hand. 

Es müssen nun weitere diesbezügliche Untersuchungen 
abgewartet werden, und ich 'selbst will mich ihnen bei Gelegen- 
heit zuwenden, ehe man aus den blossen Vermutungen heraus- 
kommen wird. Ich begnüge mich daher mit den gemachten 
Angaben und gebe mich der Hofinung hin, durch sie den Anstoss 
zu weiteren Arbeiten gegeben zu haben. 


(Schluss mit Literaturverzeichnis im nächsten Heft.) 


d 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 65 


10. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI— XXIII. 


Sämtliche Figuren sind mit Hilfe des Abb&schen Zeichenapparates 
in der Höhe des Objekttisches entworfen worden. Folgende Figuren wurden 
von mir selbst angefertigt: Taf. XXI, Fig. 1, 2, 3; Taf. XXII, sämtliche 
Figuren; Taf. XXIII, Fig. 22 und 24b; die Zeichnungen 23 + 24a führte 


Fig. 


Herr Richard Scholz, Kunstmaler in Dresden aus. 


Verzeichnis der Abkürzungen. 


art. — Arterie. 
bdg. — Bindegewebe. 
bag. kr. — Bindegewebskern. 
chrz. — chromaffine Zelle. 
chr. kr. — Kerne einer chromaffinen Zelle. 
embr. nerv. gew. — das auf einer embryonalen Stufe der Entwicklung 
stehen gebliebene „nervöse* d. h. dem Nerven- 
systeme genetisch zugehörige Gewebe. 
endonr. kr. — Kern des endoneuralen Bindegewebes. 
end. kr. — Endothelkern. 
ep. kp. — Epithelkörper. 
epnr. — Epineurium. 
erythr. — rotes Blutkörperchen. 
gl. — Ganglion. 
82. — Ganglienzelle. 
hil. —-<Hilus: 
kpl. — Kapillare. 
kps. — Kapsel. 
lum. — Lumen. 
nb. — Nebenniere (Rinde). 
n. qu. — Nervenquerschnitt. 
nr. kl. — Nierenkanälchen. 
pg. — Paraganglion. 
sk. kp. — Sekret kapillare. 
sy.n. — sympathischer Nerv. 
urn. knl. — Urnierenkanälchen. 
vak. — Vakuole. 
vit. chrz. — violette (nicht gelbe) chromaffine Zellen. 
zb. — Zellballen. 
zg — Zellgrenze. 
Tafel XXI. 
1. Partie aus dem Paraganglion suprarenale eines ein- 


jährigen Hahnes (Gallus domesticus) d. Müllersche 
Flüssigkeit 9: Formol 1. 5 «. Freeborn. Zeiss, hom. Im- 
mersion 2. num. Ap. 1,30. Kompens.-Ok. 12. Tub. 160. Vergr. 1500. 

Jede chromaffine Zelle wird für sich von verschieden starken 
Bindegewebsbündeln und Fasern, die nach allen Richtungen ver- 


Fig. 


Wilhelm Kose: 


laufen umgeben. In der Mitte liegt eine besonders mächtige An- 
häufung von Bindegewebe. Manche von ihren getrennt gezeichneten 
schwarz-blauen Feldern übergehen bei Verstellung des Tubus un- 
mittelbar ineinander; es sind daher nur optische Durchschnitte 
wellig gebogener Bündel. Am linken Rande der Zeichnung grenzen 
zwei kernhaltige chromaffine Zellen unmittelbar aneinander. 


“ Zwischen den chromaffinen Zellen vakuolenartige Spaltlücken im 


Bindegewebe (vak.!”®). Die Vakuole (vak.?) wird an ihrer ganzen 
Peripherie von allerfeinsten bindegewebigen Fäserchen umgeben, 
von welchen vier quergetroffen sind und als dunkle schwarz- 
blaue Pünktchen hervortreten. Auch an der rechten Spitze der 
Vakuole (vak.°) liegt ein solcher Querschnitt. Oben rechts eine 
mehr längliche Spalte (sk.kp.). Einige Bindegewebskerne (bdg.kr. 

in dem interzellulären Fasergerüste. Die Granulierung aller Zellen 
deutlich. Die Kerne gross und deutlich strukturiert. Die grossen 
Kernkörperchen erscheinen bei einer gewissen Einstellung deut- 
lich gelb. Sie sind in den meisten Fällen von allerkleinsten 
dunklen Körnchen zum Teile eingerahmt. Oben rechts eine 
grosse, graue Zelle (gr. Z.). Dies ist eine von denjenigen 
chromaffinen Zellen, welche sich nur bei diesem Hahne in 
einer solchen Menge, aus unbekannten Gründen, gar nicht 
selb gefärbt hatten, sondern vollständig farblos geblieben 
waren. Es handelt sich in diesem Falle, trotz der grossen Ähn- 
lichkeit, um keine Ganglienzelle Genau so grosse und 
strukturierte Kerne kommen auch in leuchtend gelben chrom- 
affınen Zellen vor. Die Granulierung des Plasmas entspricht 
ebenfalls jener der chromaffınen Zellen. Oben und rechts neben 
dieser grauen Zelle, Randpartien weiterer solcher Zellen. Alle 
farblosen chromaffınen Zellen färbten sich bloss durch das 
Nigrosin schwach bläulich-grau. 


Abschnitt aus dem Paraganglion suprarenale einer 
alten Henne (Gallus domesticus)?. Müllersche Flüssigkeit 9: 
Formol1. Hansen. 5 „. Zeiss, hom. Immersion 2. num. Ap. 1,30. 
Kompens.-Ok. 12. Tub. 160. Vergr. 1500. 


Diese Figur zeigt ebenfalls die Verbreiterung des fibrillären Binde- 
gewebes innerhalb des Paraganglion suprarenale. Die meisten 
einzelnen chromaffinen Zellen werden jede für sich von binde- 
gewebigen Fasern und Faserbündeln an ihrer Peripherie maschen- 
artig umgeben und von ihnen auch überquert. Einzelne Zellen 
liegen unmittelbar aneinander; in den folgenden Schnitten wurden 
aber auch sie durch feinere oder stärkere Bindegewebsfasern von- 
einander geschieden. Manche chromaffıne Zellen sind bloss ange- 
schnitten und enthalten daher keine Kerne. Die bindegewebigen 
Fasern und Faserbündel sind öfters auch quergetroffen (qu.). Die 
Farbe der einzelnen chromaffınen Zellen schwankt zwischen einem 
ganz lichten Gelb (Zelle in der Mitte) und einem lebhaften Braun 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 659 


oder häufig Braunrot. Die Granulierung ist in den braunen Zellen 
lebhafter als in den gelben. Manche Kerne haben sich durch 
das Säurefuchsin intensiv rot gefärbt. Ihre Innenstruktur ist 
gar nicht oder nur in Gestalt dunkelroter verwaschener Flecken 
zu sehen. Die übrigen Kerne besitzen im wesentlichen denselben 
Farbenton wie das Plasma. Einige Zellen enthalten vakuolenartige 
Hohlräume. Die Vakuole (vak.°) liegt dem Zellkern an und buchtet 
ihn etwas ein. Vergleiche mit diesen intrazellulären Vakuolen 
die im Bindegewebe befindlichen interzellulären vakuolenartigen 
Spalträume (vak. !®). 

Fig. 3. Vier gelbe chromaffine Zellen aus dem Paraganglion 
suprarenale einer alten Henne (Gallus domesticus) 9. 
Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. Mallory-Stöhr 5 .«. 
Zeiss, hom. Immersion 2. num. Ap. 1,30. Kompens.-Ok. 12. Tub. 160. 
Vergr. 1500. 

In allen vier mehr minder lebhaft gelb- oder dunkelgrünen Zellen 
liegen rein goldgelbe Felder (f!und f?), die eine Anzahl dunkel 
rostbrauner, grösserer oder kleinerer Granula enthalten. Diese 
finden sich manchmal auch ausserhalb dieser Felder, unregelmässig 
im Plasma verstreut (gr. in Zelle 2). Vergl. auch Fig. 1, Taf. XXI. 
Die Kerne der Zellen 1 und 3 sind gross, deutlich konturiert, blau- 
grau und enthalten mehrere grosse oder kleine Chromatinbrocken. 
Der Kern der Zelle 2 ist deutlich blau, ohne scharfe Konturen ; 
seine Innenstruktur ist wie verwaschen. In allen Zellen zahlreiche 
Vakuolen. Das perizelluläre Bindegewebe ist nicht so lebhaft blau 
wie in Fig.1. 

Tafel XXI. 

Sämtliche Figuren stellen chromaffine Zellen des Paraganglion 

suprarenale dar und sind mit der homogenen Immersion (Zeiss) 2. num. 

Ap. 1,30 (resp. 1,40), Kompens.-Ok. 12, Tub. 160, Vergr. 1500, gezeichnet. 


Fig. 6—9 stammen von einer alten Henne (Gallus domesticus) 2, die 
übrigen von demselben einjähr. Hahne (Gallus domesticus) d, 
von welchem auch Fig. 1, Taf. XXI, herrührt. Alle Schnitte wurden 
nach Freeborn gefärbt, um die Mannigfaltigkeit in der Verteilung 
des interzellulären Bindegewebes wenigstens teilweise im Bilde vor- 
zuführen. Fig. 15,16, 17 sind nur der Kernformen wegen gezeichnet 
und daher nicht näher ausgeführt worden. 

Fig. 6, 7,9 sollen zeigen, wie Bindegewebsbündel auch im Innern kern- 
haltiger Syneytien verlaufen. Betreffs ihrer näheren Erklärung 
verweise ich auf den Text. (8. 593—-594.) Die Kerne der verschiedenen 
Zellen sind rund oder oval, matt konturiert, schwach blaugrau und 
haben eine undeutliche Struktur. Die Zellen sind lebhaft granuliert und 
von einer verschiedenen Anzahl kleiner, runder, gelber, vollkommen 
homogener Tröpfchen teilweise erfüllt. Letztere denke ich mir durch 
eine physiologische Einschmelzung der Granula erzeugt. Fehlt, 
im fixierten Präparate, der Inhalt dieser Tröpfchen, dann 


PTR 222 2 SZ udn 


u 


660 Wilhelm Kose: 


entstehen die runden, leeren und rein weissen Stellen, die ich der 
Einfachheit wegen als Vakuolen bezeichne (Fig. 11, 12, Taf. XXIT). 
Analoge, nur etwas grössere Sekrettropfen liegen auch in der 
Zelle 1 in Fig. 10, Taf. XXI. 


Fig. 5 u. 10 zeigen, dass die bindegewebigen Fasern und Faserbündel sich in 
seichte, in der Zellperipherie befindliche Dellen einsenken können. 

Fig. 8. Ein Teil einer chromaffinen Zelle. Ein ganz schwaches Faser- 
bündel bildet in einer solchen peripheren Einbuchtung eine offene 
Schlinge. 

Fig. 10. Im einer solchen vertieften Stelle verflechten sich verschieden starke 
bindegewebige Fasern und Faserbündel zu einem lockeren Korbe. 
Der Kern der Zelle (1) ist etwas dunkler blaugrau als in den 
vorhergehenden Figuren, seine Struktur ist fast ganz verwischt. 
Die Granulierung der schmutziggrünen Zellen 1 und 2, die nicht 
in ihrer ganzen Ausdehnung gezeichnet sind, ist ebenfalls undeut- 
lich. Zwischen den Zellen 1 und 2 eine kapilläre Spalte, die kein 
Kunstprodukt ist, sondern meiner Meinung nach, als eine — 
Sekretkapillaren entsprechende — Bildung aufgefasst werden 
muss. Vergl. Text S. 614—620. 

Fig. 11. Die deutlich granulierte, mehr schmutzig gelbgrüne Zelle ist von 
einer grösseren Anzahl verschieden grosser, meist kreisrunder und 
vollkommen leerer Lücken durchsetzt (Vakuolen). Der Kern 
matt bläulich grau mit einem ganz leichten Stich ins Violette. 


Q 


Fig. 12. Dieses Bild verdeutlicht die Ineinanderschachtelung zweier 
benachbarter chromaffiner Zellen. Die kleinere lebhaft gelbe und 
deutlicher granulierte Zelle liegt in einer halbkreisförmigen Aus- 
buchtung der grösseren, schmutziggrünen und weniger deutlich 
granulierten Zelle. Es handelt sich hier, wie mit aller 
Bestimmtheit zu erkennen war, um keine Übereinander- 
lagerung dieser zwei Zellen. Wo immer sich diese eigen- 
tümliche Verbindung zweier chromaffıner Zellen vorfand, war die 
kleinere von ihnen stets lebhaft gelb und die grössere schmutzig 
grüngelb. Der Kern der grossen Zelle ist scharf konturiert, von 
einer staubartig fein gekörnten Masse zum Teile erfüllt, die sich 
schwach bläulich grau gefärbt hatte. Der Kern besitzt eine deut- 
liche Struktur. Die Kernkörperchen des Kernes der kleinen 
Zelle sind bei jener Einstellung gezeichnet, bei welcher sie orange- 
gelb aufleuchten. In der grossen Zelle liegen links neben dem 
Kern zwei von den allerkleinsten Vakuolen in einer gewissen 
Distanz voneinander. Die am meisten links befindliche ist kaum 
wahrzunehmen und nur so gross, dass ein bis zwei Granula in 
ihr Platz hätten. Am oberen Rande der Zelle eine grössere Saft- 
lücke (Vak.) im Bindegewebe. 

Fig. 13. Die chromaffıne Zelle (b) enthält in ihrer oberen Hälfte drei ver- 
schieden grosse und gestaltete, vollkommen leere, vakuolenartige 
Hohlräume. Hart am unteren Rande der Zelle findet sich unter dem 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 661 


Kern, diesen stellenweise sogar überlagernd (punktierte Linie), eine 
sehr grosse, längliche Vakuole, die offenbar durch eine Verschmelzung 
dreier benachbarter Vakuolen hervorgegangen ist. Rechts neben 
ihr noch eine grosse runde Vakuole. Die längliche Vakuole ist nur 
durch einen äusserst schmalen, 2—3 Granula breiten Protoplasma- 
saum von dem interzellulären Gangsystem (sk.kp.'?) teilweise ge- 
trennt, mit welchem sie dann bei der geringsten Verstellung des Tubus 
in breiterer Ausdehnung kommuniziert. Die interzellulären Sekret- 
spalten sind hier besonders breit. Der Zelle (b) liegt unten ein 
länglicher Bindegewebskern (bdg. kr.) an. Von der Zelle (a) ist 
nur ein Stück gezeichnet. Die Nebenniere („Rinde“) (nb.) ist gleich- 
mässig grau gehalten. 


Fig. 14, 18, 20, 21 zeigen verschiedene Abschnitte der interzellulären im Binde- 


Fig. 14. 
Fig. 18. 


Fig. 


2 


. 


I: 


gewebe gelegenen Sekretlücken und -Spalten. Die gelben und 
grauen chromaffınen Zellen sind der Einfachheit wegen nicht 
näher ausgeführt. 


Die obere Lücke erreicht eine besonders grosse Ausdehnung. 


Das zwischenzellige Bindegewebe bildet ein lockeres, maschiges 
Flechtwerk. Seine einzelnen Lücken stehen miteinander in einem 
direkten Zusammenhange. Die bindegewebigen Fasern und Faser- 
bündel sind in den verschiedensten Richtungen getroffen. Die 
Zeichnung wurde bei einer Verstellung des Tubus um ce. 0,0025 mm 
angefertigt, weil man sonst nur Bruchstücke des bindegewebigen 
Gerüstes zu Gesicht bekommen hätte. Tatsächlich war dieses noch 
viel reicher verschlungen, als es hier wiedergegeben ist. Die 
straffierten Partien links und rechts oben sind Kapillaren (kpl.). 


Eine runde, vaknolenartige Lücke (vak?) im Bindegewebe in der 
Mitte der Zeichnung zwischen den chromaffinen Zellen 1, 2 und 3. 
An ihrem linken unteren Rande zwei schwarzblaue Pünktchen 
(Querschnitte von Bindegewebsfibrillen).. Zwischen den Zellen 1 
und 2 liegt ebenfalls eine ganz von Bindegewebe eingehüllte, sehr 
kleine runde Lücke (vak!). 


Zwischen der Zelle a und b eine längliche Spalte (sk. kp.'), deren 
Wandungen von längsverlaufenden, dünnsten bindegewebigen 
Fäserchen ausgekleidet werden, die sich ihrerseits den chromaffinen 
Zellen unmittelbar anlegen. Ganz oben links am Ende des unteren 
Fäserchens der Querschnitt eines dritten dünnen Fäserchens. 
Diese interzelluläre Spalte mündete in die vakuolenartige Lücke 
(vak) ein. Diese wiederum setzte sich in die zwischen der Kapillare 
(gelbes Feld) und der Zelle (ce) längsverlaufende Spalte (sk. kp.?) 
fort. Beide kapillaren Spalten (sk. kp.'?) sind keine Kunst- 
produkte, sondern Abschnitte des interzellulären Gangsystems, 
das meiner Überzeugung nach der Ableitung der spezifischen Zell- 
sekrete dient. Dass viele dieser kapillaren, zwischenzelligen Spalten, 
der Anordnung des fibrillären Bindegewebes entsprechend, nicht 


662 Wilhelm Kose: 


immer von diesem ausgekleidet sein müssen, zeigt (Fig. 10, 
Taf. XXI, sk. kp.) 

Fig. 15, 16, 17. Diese Figuren sollen einige von den kleineren Kernformen 
der chromaffinen Zellen vorführen. Die Kerne und das Plasma 
waren genau so wie in der Zelle 1, Fig. 10, Taf. XXII, gefärbt. 
Die Zellgrenzen sind nur durch einfache Linien angegeben. 

.. 16 und 17. Die Kerne liessen fast gar keine Struktur erkennen, in Fig. 16 
ist sie nur augedeutet. Der Kern in Fig. 17 ist ganz unregel- 
mässig geformt und besitzt an seiner oberen Peripherie eine Ein- 
buchtung. Etwas von ihm entfernt liest im Plasma ein kleiner, 
rundlicher, etwas ‘weniger lebhaft gefärbter Körper, über dessen 
Wesen ich nichts näheres aussagen “ann. Diese unregelmässigen 
Kerne, in deren Nähe ein solches kugeliges Körperchen lag, kamen 
zwar nicht häufig, aber doch in einer relativ genügend grossen Anzahl 
von chromaffinen Zellen vor, so dass es sich nicht gut um einen 
Effekt der Vorbehandlung des Präparates oder der Schnittführung 
handeln konnte. In Fig. 15 liegt dem Kern oben eine mittelgrosse 
Vakuole an. 

Fig. 19. Dieses Bild ist ein schlagender Beweis dafür, dass sich auch die 
Kerne der chromaffinen Zellen durch Chromverbindungen gelb 
färben können. Der Kern war sehr klein (vergl. mit ihm die Kerne 
in Fig. 12, 13, Taf. XXII und jenen der grauen chromaffinen Zelle 
[gr. Z.) in Fig. 1, Taf. XXI) und besass keine eigentliche Struktur. 
Diese war nur in Gestalt schattenhafter, etwas dunklerer Stellen 
angedeutet. Die gelben Kerne, die durchaus nicht gar zu selten 
vorkamen, waren stets klein. Die Nuance des Gelb schwankt bei 
den einzelnen Kernen zwischen einem lichten Strohgelb — und 
einem satten ÖOrangegelb. 


Tafel XXIII. 


Fi 


‘e 


Fig. 22. Partie aus dem embryonalen nervösen Gewebe, das sich 
im Paraganglion s#@prarenale einer alten Henne (Gallus 
dometsicus 9) vorfand. Mülllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 
5 «. Heidenhain: Eisenalaun-Hämatoxylin. Zeiss Ap. 4. Kom- 
pens.-Ok. 18. Tub. 160. Vergr. 1125. 

Betreffs der ausführlichen Beschreibung dieser Figur muss ich 
auf den Text verweisen (Seite 640646). 
Fig. 23. Randpartie aus dem Paraganglion suprarenale und der 


Nebenniere („Rinde“) eines alten Würperweibchens 
(Lanius collurio). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 u. 
Cochenille-Alaun. Zeiss Ap.4. Kompens. Ok.4. Tub. 160. Vergr. 250. 
Diese Figur soll hauptsächlich in übersichtlicher Weise die innige 
Verschmelzung des embryonalen nervösen Gewebes 
(embr. nerv. gew.) mit einem sympathischen Ganglion (sy. gl.) 
und zugleich dem Paraganglion suprarenale zeigen. Der gleich- 
mässig grau gehaltenen Nebenniere (nb.) liegt links ein mittel- 
grosses sympathisches Ganglion (sy. gl.) unmittelbar von aussen 


a er ee ee ee 


Fig. 24a. 


Fig. 24h. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 663 


an. Eine kleine Gruppe des embryonalen nervösen Gewebes (embr. 
nerv. gew.) berührt das Ganglion von rechts und erstreckt sich 
auch zungenförmig in das letztere hinein. Gleichzeitig ist 
das embryonale nervöse Gewebe zwischen die Zellstränge der Neben- 
niere eingegraben und verbindet sich nebstbei mit den chromaffinen 
Zellen in der innigsten Weise. Diese durchziehen das embryonale 
nervöse Gewebe (embr. nerv. gew.) nach allen Richtungen. An 
seiner dem Paraganglion suprarenale zugewendeten Seite liegen 
vereinzelte sympathische Ganglienzellen (sy. gz.) und sgehäufte 
chromaffine Zellen. Die Ganglienzellen bilden nur die äusserste 
Fortsetzung des aussen gelegenen sympathischen Ganglions. 
Dieses setzt sich später in das Innere des Paraganglion supra- 
renale fort. Die Braunfärbuug (Cochenillewirkung) der 
chromaffinen Zellen ist eine so intensive, dass die Kerne vieler 
Zellen gar nicht oder aber nur mit Mühe zu sehen sind. Zahlreiche 
kleine, kreisrunde Vakuolen im Plasma. 

Ein peripheres abdominales sympathisches Ganglion 
einer jungen Amsel (Turdus merula L.) mit anliegendem, 
embryonalem nervösem Gewebe (embr. nerv. gew.). 
Müllersche Flüssigkeit 9 : Formol 1. 10 „. Cochenille-Alaun. 
Zeiss Ap.8. Kompens. Ok. 4. Tub. 160. Vergr. 125. Das embryo- 
nale nervöse Gewebe liegt hier in der Art eines Paraganglion 
dem sympathischen Ganglion (sy. gl.) von aussen an. Eine gemein- 
schaftliche bindegewebige Kapsel (bdg. kps.) umhüllt beide. Das 
embryonale nervöse Gewebe (embr. nerv. gew.) wird von gelben 
chromaffinen Zellen nach allen Richtungen durchzogen. Diese 
bilden entweder mehr isolierte Zellballen oder aber ein teilweise 
zusammenhängendes Netz von Zellsträngen. Zahlreiche Venen 
(ven) und Kapillaren (kpl) in der Peripherie (aber auch im Innern) 
des embryonalen nervösen Gewebes. 

Ein Abschnitt aus dem embryonalen nervösen Gewebe 
der Fig. 24a. Zeiss Ap.4. Kompens. Ok. 18. Tub. 160. Vergr. 1125. 
In dem kleinkernigen Grundgewebe A liegen verstreute typische 
grosskernige chromaffine Zellen (6, 7), ferner klein- 
kernige, mehr /goldgelbe chromaftine Zellen (11). Diese Figur 
zeigt die innige Vermengung aller Zellarten. Betreffs der genauen 
Erklärung verweise ich auf den Text (S. 649—654). Ein Vergleich 
mit Fig. 22 derselben Tafel soll ferner die Gleichheit des klein- 
kernigen Gewebes A in beiden Fällen zeigen. 


ri" 


665 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 
Von 
M. U. Dr. Wilhelm Kose, Dresden. 


Hierzu Tafel XXIV—XXVI und 2 Textfiguren. 


Zweiter Teil. 
6. Das Paraganglion caroticum. 
I. Das Paraganglion earoticum der Krähen. 
A. Histologie. 

Die Zellen, welche am Halse und Herzen in innigster 
Verbindung mit dem sympathischen Nervensystem stehen und 
das Paraganglion caroticum sowie die anderen daselbst 
befindlichen Paraganglien zusammensetzen, unterscheiden sich in 
mehrfacher Beziehung von den gelben chromaffinen 
Zellen. Am auffälligsten ist ihre Eigenschaft, bei Fixierung mit 
Chromgemischen ausnahmslos ungefärbtzu bleiben. 
Wie ich später genauer ausführen werde, müssen diese farblosen 
Zellen trotz aller zwischen ihnen und den gelben chromaffinen 
Zellen bestehenden Differenzen zu der Gesamtgruppe der 
chromaffinen Zellen gezählt werden. Im folgenden 
werde ich also die Zellen des Paraganglion caroticum, 
zum Unterschiede von den gelben chromaffinen, als farblose 
chromaffine Zellen bezeichnen. 

Unter dem Paraganglion caroticum verstehe ich 
eine besonders grosse Anhäufung dieser farblosen chromaffinen 
Zellen, die konstant in der Nähe eines Epithelkörpers und 
grossen sympathischen Ganglion liegt. Ich halte diese Zellgruppe 
für ein der „Carotisdrüse“ der Säugetiere gleichwertiges 
Organ und suche dies auch durch den Namen auszudrücken. 
Der von Kohn für die „Carotisdrüse* der Säugetiere vor- 
geschlagene Terminus — Paraganglion intercaroticum — 
kann aber bei den Vögeln nicht angewendet werden, da bei 
diesen das Paraganglion nicht an der Carotisbifurkation liegt. 
Weil aber letzteres sich stets in der Nähe der Carotis communis 
befindet und seine Hauptarterie ihren Ursprung aus dieser nimmt, 


so nenne ich es Paraganglion caroticum. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 44 


666 


Wilhelm Kose: 


Zum leichteren Vergleiche der bei den einzelnen Krähen 
erhobenen Befunde stelle ich gleich hier eine gedrängte Zu- 
sammenstellung der wichtigsten Ergebnisse an die Spitze meiner 
diesbezüglichen Ausführungen. 


Alte Krähe . d- 


a) Paraganglion caroticum von der rechten Halsseite. 


I: 


ou 


. 


Die drei grössten, senkrecht aufeinander stehenden Durch- 
messer betrugen: 


dy" = .Oamm 
de = 0,4 ”„ 
dis, 0,927, 


Das Paraganglion caroticum lag dem kranialen Epithel- 
körper nur von aussen an. Die dünne bindegewebige 
Hülle des letzteren grenzte unmittelbar an das Geflecht 
feiner markloser Nervenfasern, welches das Paraganglion 
caroticum von aussen einhüllte. 


. Der besonders grosse kraniale Epithelkörper setzte sich 


aus zwei kleineren, teilweise miteinander verschmolzenen 
Epithelkörpern zusammen. Es bestand keine Hilusbildung 
in dem grossen Epithelkörper. 

Das Paraganglion caroticum war vom Stamme der Carotis 
communis durch einen kleinen aber deutlichen Zwischen- 
raum getrennt. 


. Der Reichtum des Paraganglion caroticum an marklosen 


und feinen markhaltigen Nerven war ein sehr grosser. 
Die Nerven umhüllten das Paraganglion caroticum nicht 
bloss an seiner Oberfläche, sondern durchzogen auch sein 
Inneres nach allen Richtungen. 


. In der Nähe des kaudalen Epithelkörpers lag ein grosses 


sympathisches Ganglion; vom Paraganglion caroticum 
war es ziemlich weit entfernt. Vom Ganglion zog in 
einem schwachen Bogen ein stärkeres Nervenstämmchen 
zum Paraganglion caroticum. Im Ganglion fanden sich 
nur zwei kleine Gruppen farbloser chromaffiıner Zellen. 
Der zum Paraganglion caroticum hinziehende Nerv ent- 
hielt nicht eine einzige von diesen Zellen. Gelbe chrom- 
affıne Zellen waren nirgends aufzufinden. 


. An verschiedenen Stellen der Vorhöfe lagen mehrere 


Gruppen farbloser chromaffiner Zellen. 


zw 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 667 


. Aus derCarotis communis entsprang ein grösseres Arterien- 


stämmchen, das sich nach kurzem Verlaufe in einen für 
die Thyreoidea und einen für das Paraganglion caroticum 
bestimmten Ast spaltete. 


. Der postbranchiale Körper fehlte vollständig. 


Alte Krähe « £. 


b) Paraganglion caroticum von der linken Halsseite. 


T 


|) 


Die drei grössten senkrecht aufeinander stehenden Durch- 
messer betrugen: 


de 20:52: mm 
dia — 0,28 „ 
042 0,840 


. Das Paraganglion caroticum zeigte in bezug auf den 


kranialen Epithelkörper ganz genau dieselbe Lage wie 
rechts. 


. Das Paraganglion caroticum war vom Stamme der Carotis 


communis durch einen kleinen aber deutlichen Zwischen- 
raum getrennt. Die für das Paraganglion caroticum 
bestimmte Arterie entsprang direkt aus der Carotis 
communis. 

Das grosse sympathische Halsganglion begann in der Nähe 
des kaudalen und erstreckte sich bis zum kranialen 
Epithelkörper. Vom Paraganglion caroticum war das 
Ganglion ziemlich weit entfernt. Im Gegensatze zu der 
rechten Halsseite war das Ganglion von zahlreichen und 


schönen Gruppen farbloser chromaftiner Zellen durch- 


setzt. Vom Ganglion aus zogen mehrere stärkere Nerven- 
stämmchen zum Paraganglion caroticum. Während ihres 
Verlaufes dorthin enthielten sie viele Gruppen der farb- 
losen chromaffinen Zellen, die stellenweise sehr gehäuft 
auftraten. 


. Der postbranchiale Körper war hier mächtig entwickelt. 


Er hüllte sämtliche zum Paraganglion caroticum hin- 
ziehenden Nerven allseitig ein. Dadurch kamen die mit 
den letzteren zusammenhängenden Anhäufungen der farb- 
losen chromaffinen Zellen mitten zwischen die Zellgruppen 
des postbranchialen Körpers zu liegen. 


. Nirgends waren gelbe chromaffine Zellen aufzufinden. 


44* 


668 


Wilhelm Kose: 


Alte Krähe ?. 


nn caroticum von der linken Ha 


. Die drei grössten Durchmesser des eigentlichen in der 


Nähe des kranialen Epithelkörpers befindlichen 
Paraganglion caroticum betrugen: 


dı = 0,65 mm 
das=04 u 
dia =—=.0,45 


. Die Durchmesser des in der Nähe des kaudalen 


Epithelkörpers befindlichen zweiten Paraganglion 
caroticum betrugen: 


dı —= 0,45 mm 
de= 0.19 
ds ==0)13 


. Sowohl in der Nähe des ale als des kaudalen 


Epithelkörpers lag je ein aus vielen Einzelgruppen farb- 
loser chromaffiner Zellen zusammengesetztes Paraganglion. 
Das eigentliche Paraganglion caroticum war merklich 
grösser und befand sich in der Nähe des kranialen 
Epithelkörpers. Es war von diesem durch einen deut- 
lichen Spaltraum getrennt. Zahlreiche Nerven verbanden 
das Paraganglion caroticum mit dem zweiten tiefer unten 
liegenden Paraganglion und mit dem sympathischen 
Ganglion. Die Nerven und das Ganglion enthielten zahl- 
reiche Gruppen der farblosen chromaffinen Zellen. 

Das Paraganglion caroticum lag der Carotis communis 
unmittelbar an. 


. Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie 


nahm ihren Ursprung in folgender Weise aus dem 
Stamme der Carotis communis. Von dieser zweigte an 
einer dem Paraganglion caroticum zugekehrten Stelle 
eine stärkere Arterie ab. Ehe aber noch diese die 
Carotiswand völlig durchsetzt hatte, ging von ihr seitlich 
eine kleinere Arterie ab, die später direkt in das Para- 
ganglion caroticum zog. Die eigentliche Fortsetzung 
der ursprünglichen grösseren Arterie teilte sich dann 
ausserhalb der Carotis communis alsbald in zwei Äste. 
Einer von ihnen war für die Thyreoidea, der andere für 
den postbranchialen Körper bestimmt. 


6. 


es 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 669 


Der postbranchiale Körper zeigte eine mächtige Ent- 
wicklung und reichte bis zum Paraganglion carotieum. 
Nirgends fand ich gelbe chromaffine Zellen. 


Junge noch blinde Nestkrähe ,. 


a) Paraganglion caroticum von der linken Halsseite 


E 


Die drei grössten Durchmesser betrugen: 


dr. —0,36-:mm 
des (O0 
ds. 0,32 


Vergleichsweise seien hier die Durchmesser der am Herzen 
vorkommenden Paraganglien angeführt: 


2. 


o 


ot 


de 0.49: mm 
des=20,16 
ds==0.18 


2 

Das Paraganglion caroticum lag in der Nähe des kranialen 
Epithelkörpers, von ihm durch einen kleinen Spaltraum 
getrennt. In der Nähe des kaudalen Epithelkörpers fand 
ich auch eine grössere Anhäufung der farblosen chrom- 
affınen Zellen. Die Verhältnisse waren hier genau die- 
selben wie bei den zwei anderen Krähen auf der linken 
Halsseite. 

Das Paraganglion caroticum berührte fast die Wand der 
Uarotis communis, war aber sowohl von dieser als auch 
vom Epithelkörper durch einen kleinen Zwischenraum 
getrennt. 


. Die Carotiswand enthielt bis zu zwei Drittel ihrer Dicke 


zahlreiche schöne Gruppen farbloser chromaffiner Zellen. 
Diese standen nirgends in einem geweblichen Zusammen- 
hange mit dem eigentlichen Paraganglion caroticum. 
Das Paraganglion caroticum war mit dem zweiten tiefer 
unten liegenden Paraganglion und dem sympathischen 
Halsganglion durch zahlreiche marklose Nerven ver- 
bunden. Das Ganglion begann wie gewöhnlich in der 
Nähe des kaudalen Epithelkörpers, reichte aber bis zum 
kranialen hinauf. Das Ganglion und die aus ihm hervor- 
kommenden Nerven enthielten zahlreiche Gruppen farb- 
loser chromaffiner Zellen, dagegen nicht eine einzige 
gelbe chromaffine Zelle. 


6. 


Wilhelm Kose: 


Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie 
entsprang für sich allein direkt aus der Carotis communis. 


. Der postbranchiale Körper zeigte eine sehr mächtige 


Entwicklung. Er umgab das Paraganglion caroticum 
fast auf allen Seiten. Einzelne seiner Zell- 
gruppen drängten sich bis in die Carotis- 
wand vor. 


Junge noch blinde Nestkrähe ;. 


b) Paraganglion caroticum von der rechten Halsseite. 


1 


DD 


3 


= 


oO 


= 


[0 0) 


Die drei grössten Durchmesser betrugen : 


darı== :0.A - mm 
dis — 0,54 
RE 


Das Paraganglion caroticum lag diesmal ausnahms- 
weise in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers. 
Das Paraganglion caroticum berührte die Carotiswand 
direkt. Diese enthielt gerade so wie auf der linken 
Halsseite mehrere Gruppen der farblosen chromaffinen 
Zellen. 

Von der Carotis communis entsprangen an getrennten 
Stellen zwei für das Paraganglion caroticum bestimmte 
Arterien. Die innerhalb der Carotiswand gelegenen 
Gruppen der farblosen chromaffinen Zellen waren längs 
der einen Arterie angeordnet. 

Das grosse sympathische Ganglion reichte vom kaudalen 
bis zum kranialen Epithelkörper. 

Beide Epithelkörper berührten sich fast. 

Vom sympathischen Ganglion zogen zahlreiche Nerven 
in das Paraganglion caroticum. Weder das Ganglion 
noch die Nerven enthielten farblose chromaffine Zellen. 
Der postbranchiale Körper war hier bis auf wenige Zell- 
gruppen reduziert. 

Nirgends fanden sich im sympathischen Nervensystem 
am Halse und Herzen gelbe chromaffine Zellen, dagegen 
mehrere grössere Gruppen der farblosen chromaffınen 
Zellen an den Vorhöfen. 


Eine vergleichende Durchsicht der gesamten bei den drei 
Krähen erhobenen Befunde zeigt, dass sowohl in bezug der gegen- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 671 


seitigen Lagerung des Paraganglion caroticum zu den Epithel- 
körpern, der Carotis communis und dem grossen sympathischen 
Ganglion, als betreffs des feineren Aufbaues des Paraganglion 
caroticum bei den einzelnen Krähen fast genau dieselben Ver- 
hältnisse vorlagen. Die kleinen und mehr unwesentlichen 
Differenzen, die aufzufinden waren, sollen später genauer be- 
sprochen werden. 

Alle drei von mir untersuchten Krähen besassen in der 
gleichen Weise ein Paraganglion caroticum. Dieses bildete eine 
mächtige Anhäufung der zu Gruppen angeordneten farblosen 
chromaffinen Zellen. Das Paraganglion caroticum lag nur mit 
einerAusnahme stets in der Nähe des kranialen Epithel- 
körpers;. bloss bei der Krähe y war es auf der rechten Halsseite 
dem kaudalen Epithelkörper angeschlossen. Bei der Krähe « 
lag es rechts und links, bei der Krähe y bloss rechts dem 
Epithelkörper unmittelbar von aussen an, während es bei der 
Krähe 5 undy auf der linken Halsseite durch einen Zwischen- 
raum vom Epithelkörper getrennt war. Bei allen Krähen begann 
in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers ein grosses sympathisches 
Ganglion. Es reichte bei den einzelnen Krähen ungleich weit 
am Halse kranialwärts hinauf. Infolge seiner bedeutenden Grösse 
erstreckte es sich bis in die Nähe des kranialen Epithelkörpers, 
war aber von diesem regelmässig weiter als vom kaudalen Epithel- 
körper entfernt. Das Ganglion war stets in den Verlauf des 
ausserhalb der Halswirbelsäule befindlichen und längs der 
grossen Halsgefässe verlaufenden Abschnittes des sympathischen 
Halsgrenzstranges eingeschaltet. Eine grössere oder geringere 
Anzahl von verschieden starken Nervenstämmehen verband das 
Ganglion mit dem Paraganglion caroticum. Sowohl das Ganglion 
als diese Nerven enthielten in wechselnder Menge farblose chrom- 
affıne Zellen, niemals dagegen auch nur eine einzige gelbe 
chromaffine Zelle. 

Bei der Krähe y fehlten auf der rechten Halsseite die 
farblosen chromaffinen Zellen sowohl im Ganglion als auch in 
den von ihm zum Paraganglion caroticum hinziehenden sym- 
pathischen Nerven vollständig; bei der Krähe « fand ich. 
ebenfalls auf der rechten Halsseite, nur zwei kleine Gruppen von 
ihnen in der äussersten Ganglionperipherie, in den vom letzteren 
ausstrahlenden Nerven dagegen nicht eine einzige chromaffine 


672 Wilhelm Kose: 


Zelle. Auffallend war es nun, dass bei allen drei Krähen sowohl 
das grosse sympathische Ganglion als auch die verschiedensten 
sympathischen Nerven auf der linken Halsseite stets von 
den farblosen chromaffinen Zellen in reichem Maße durchsetzt 
waren. 

Im Innern des Ganglion bildeten letztere entweder ver- 
schieden grosse und mannigfach gestaltete Gruppen, oder aber 
sie lagen vereinzelt zwischen den Nervenfasern und Ganglien- 
zellen, diesen oft sogar unmittelbar an. Die einzelnen Zell- 
gruppen waren entweder rund, oval oder länglich und mehr 
unregelmässige. Einigemale besassen sie eine ausgesprochen 
dreieckige Form. In diesen Fällen waren die Paraganglien 
keilförmig und zwar mit der Spitze des Keiles dem Innern 
des Ganglion zugewendet, in die äusserste Peripherie 
des letzteren eingesenkt. Überhaupt lag die grössere Mehrzahl 
aller Paraganglien in der Peripherie des Ganglion. Einige Zell- 
ballen und vereinzelte chromaffine Zellen befanden sich ausser- 
halb des eigentlichen nervösen Gewebes des Ganglion mitten 
zwischen den bindegewebigen Fasern seiner 
Kapsel. Es kam aber auch stellenweise vor, dass manche 
Paraganglien sich noch weiter aus dem Ganglion entfernten und 
diesem nur von aussen unmittelbar anlagen. Eine Anzahl 
kleinerer oder grösserer Nerven sorgte dann manchmal für die 
Verbindung beider. 

In bezug auf das Vorkommen der farblosen chromaffinen 
Zellen innerhalb der sympathischen Halsnerven lässt sich Ähn- 
liches wie vom Ganglion aussagen. Die einzelnen Zellballen liegen 
auch hier mit Vorliebe in der Peripherie und viel seltener im 
Innern der einzelnen Nerven. Bestehen die Zellballen nur aus 
wenigen farblosen chromaffinen Zellen, oder aber besitzen sie im 
Verhältnisse zu dem Dickendurchmesser des betreffenden Nerven 
eine relativ geringe Grösse, so braucht der Nerv an diesen 
Stellen keine sichtbare Verbreiterung aufzuweisen. Die grossen 
Paraganglien dagegen führen zu einer lokalen Auftreibung der 
Nervenstämmchen oder ragen teilweise aus ihnen hervor. Dabei 
macht es öfters den Eindruck, als ob diese Paraganglien den 
Nerven nur von aussen anlägen. Es gelingt aber stets der Nach- 
weis ihres direkten gegenseitigen und geweblichen Zusammen- 
hanges. Es drängt sich einem dabei von selbst die Frage auf, 


oo 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 672 


ob diese weitgehende und gesetzmässige Verbindung der 
farblosen chromaffinen Zellen mit dem sympathischen Nerven- 
system den Ausdruck ihrer genetischen Zusammenge- 
hörigkeit bildet, oder aber bloss auf einer sekundären 
geweblichen Verschmelzung beider beruht. Das letzte und 
entscheidende Wort wird in dieser Frage gerade so wie bei den 
gelben chromaffinen Zellen die Entwicklungsgeschichte zu sprechen 
haben. Ich glaube aber, dass man gerade bei den 
farblosen chromaffinen Zellen auch mit rein 
histologischen Methoden dem Ziele sehr nahe 
kommen kann. Da mir. wie schon in der Einleitung erwähnt 
wurde, die vitalen Methylenblaufärbungen an den später in 
Paraffin eingebetteten und geschnittenen Objekten nicht gelangen, 
so versuchte ich auf andere Weise Klarheit in die betreffenden 
Verhältnisse zu bringen. Zur genaueren Erkenntnis der geweb- 
lichen Verknüpfung der farblosen chromaffinen Zellen mit dem 
sympathischen Nervensystem eignen sich in erster Linie die 
diversen Bindegewebsfärbungen. Bei Schilderung des 
Paraganglion suprarenale habe ich die Schwierigkeiten 
die sich einer scharfen und verlässlichen Färbung des fibrillären 
sindegewebes mit allen Säurefuchsin enthaltenden Gemischen 
entgegenstellen, ausführlich erwähnt. Im Kapitel „Paraganglıon 
earoticum der Hühner“ werde ich auf diese Tatsache 
nochmals zu sprechen kommen. Ich verweise daher, um Wieder- 
holungen zu vermeiden, auf diese betreffenden Abschnitte, da 
das Bindegewebe des Paraganglion caroticum der Krähen sich 
gerade so verhält. Erwähnen muss ich an dieser Stelle nur 
folgenden eigentümlichen Befund. Das gesamte in den durch 
die Halsorgane der jungen Krähe y geführten Schnitten ent- 
haltene fibrilläre Bindegewebe färbte sich mit der von Hansen 
angegebenen Mischung gar nicht oder nur kaum merklich. 
Das Präparat war in einer konzentrierten Sublimatkoch- 
salzlösung fixiert gewesen. Dieselbe Farbmischung 
färbte fibrilläres Bindegewebe, nach Vorbehandlung der Präparate 
in Müller-Formol (9:1), tadellos. In den Schnitten des 
ersten in Sublimatkochsalz fixierten Präparates ergab mir die 
Methode Mallory-Stöhr gute Resultate. Auch die Free- 
bornsche Methode gab stets eine schöne und verlässliche Färbung 
des Bindegewebes, hauptsächlich nach Fixierung der Prä- 


674 Wilhelm Kose: 


parate in der Mischung Müllersche Flüssigkeit 9: Formoll. 
Das schwärzlich blau gefärbte Bindegewebe sämtlicher sym- 
pathischer Nerven war bis in seine feinsten Verzweigungen leicht 
zu verfolgen. Die vom endoneuralen Bindegewebe 
eingehüllten marklosen Nervenfaserbündel müssen 
wenigstens zum grossen Teil denselben Weg wie 
ersteres einschlagen. Man kann sich daher aus 
der Verteilung des endoneuralen Bindegewebes 
ein Urteil über die Verbreitung der marklosen 
Nervenfaserbündel bilden. Dies ist der Grund. warum 
ich dem Verlaufe des endoneuralen Bindegewebes meine 
grösste Aufmerksamkeit zuwendete. 

Bei Schilderung der feineren histologischen Details halte 
ich eine gesonderte Besprechung der kleinen und grossen Para- 
ganglien für zweckmässig. Da die letzteren ganz genau den- 
selben Aufbau wie die Zellballen des Paraganglion caroticum 
besitzen, so werden sie in (remeinschaft mit diesem besprochen 
werden. 

Die kleineren, oft nur aus zwei bis drei, manchmal dagegen 
aus 10—20 farblosen chromaffinen Zellen zusammengesetzten 
Paraganglien, mögen sie nun in den Nerven oder dem Ganglion 
liegen, werden niemals durch eine eigene bindegewebige Kapsel 
von den Nervenfasern geschieden. Diese umgeben vielmehr all- 
seitig und unmittelbar die verschiedenen Gruppen der 
farblosen chromaffinen Zellen. Sehr selten kommt es vor, dass 
das endoneurale Bindegewebe in der nächsten Umgebung der 
Paraganglien stellenweise eine leichte Verstärkung aufweist 
und dadurch gewissermassen eine bindegewebige Kapsel bildet. 
Tatsächlich setzt dieses verstärkte endoneurale Bindegewebe an 
diesen Orten nur ein dichteres von Lücken durchsetztes Flecht- 
und Gitterwerk zusammen, durch welches die marklosen Nerven- 
fasern in das Innere des Paraganglion ziehen. 

Das in der Peripherie der Paraganglien angeordnete endo- 
neurale Bindegewebe dringt nämlich in das Innere der Para- 
ganglien und verteilt sich hier in verschiedener Weise. 
Entweder umfassen seine Fortsetzungen nur Gruppen von 
ehromaffinen Zellen oder aber jede einzelne von ihnen wird von 
bindegewebigen Fasern und Faserbündein korb- oder maschen- 
artig umgeben. Nach meinen Beobachtungen kann ich 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 675 


nicht daran zweifeln, dass im letzteren Falle jede 
einzelne chromaffine Zelle auch von den marklosen 
Nervenfasern in ähnlicher Weise umsponnen sein 
wird. Verteilte sich aber das endoneurale Bindegewebe bloss in 
der Peripherie des Paraganglion ohne in sein Inneres einzu- 
dringen, dann fehlte mir an solchen Stellen die wichtigste Hand- 
habe zur Beurteilung der Verbreitung der marklosen Nerven- 
fasern. In allen diesen Fällen konnte ich nur soviel mit Sicher- 
heit erkennen, dass diese Paraganglien an ihrer gesamten Ober- 
fläche unmittelbar von marklosen Neryenfasern umsponnen 
waren und sich nirgends eine bindegewebige Kapsel zwischen 
beide trennend einschob. 

Die vom Bindegewebe zu Gruppen zusammengefassten farb- 
losen chromaffinen Zellen liegen entweder epithelartig und un- 
mittelbar aneinander oder sind manchmal durch dünne inter- 
zelluläre Spalträume teilweise voneinander getrennt. Diese Spalten 
besitzen manchmal eine gewisse entfernte Ähnlich- 
keit mit Sekretkapillaren. Bei einer Anzahl von ihnen handelt 
es sich aber gewiss um Kunstprodukte. 

Es gibt nun eine genügende Anzahl von Gruppen oder 
kleinen Paraganglien, in denen, wenigstens im fixierten 
Präparate, die einzelnen farblosen chromaffınen Zellen in 
Gestalt eines kernhaltigen Syneytium angeordnet sind. Zur 
Veranschaulichung des eben Gesagten mögen Fig. 2, Taf. XAIV 
und die Figuren 9 und 15, Taf. XXV, dienen. Beide stammen 
von derselben Krähe. Der Schnitt, aus welchem die Figur 15 
stammt, wurde zuerst mit Hämatoxylin (Delafield) und dann 
nach van Gieson gefärbt. Hier liegt mitten in einem längs 
getroffenen sympathischen Nerven mittleren Kalibers eine Gruppe 
von acht chromaffinen Zellen. Sie wird allseitig und unmittelbar 
von den marklosen Nervenfaserbündeln umsponnen. An der rechten 
Seite des Paraganglion liegt ein Zug schräg und quer getroftener 
Nervenfaserbündel, dem spärliche und dünne markhaltige Fasern 
beigemischt sind. Selbst mit den stärksten Vergrösserungen war 
nirgends auch nur eine Andeutung einer Zerfällung des die Kerne 
umgebenden Protoplasma in einzelne Zellen wahrzunehmen. Das 
Plasma bildete vielmehr eine einheitliche Grundmasse, in 
welche die dichtgedrängten Kerne eingesenkt waren. Nur am 
oberen Rande des Paraganglion wurde ein einziger Kern mit 


676 Wilhelm Kose: 


einem Teile des Plasma durch eine bindegewebige Faser vom 
übrigen Paraganglion abgetrennt. Der längliche helle, dem Para- 
ganglion links oben unmittelbar anliegende Kern (endonr. kr.!) 
gehört dem endoneuralen Bindegewebe an. Ein ähnlicher Kern 
(endonr. kr.?) liegt am rechten Rande der Zeichnung. 

Als zweites Beispiel sei Fig. 2, Taf. XXIV, angeführt. Dieser 
Schnitt wurde nach der Methode von Mallory-Stöhr gefärbt. 
Das Ganze stellt ein kleines Paraganglion aus dem Innern des 
grossen sympathischen Halsganglion dar. Das Paraganglion 
wurde gerade so wie jenes in der Figur 15 von den Nervenfasern 
allseitig umgeben und besass k eine eigene bindegewebige Kapsel. 
Die peripheren Nervenfasern sind der Einfachheit wegen diesmal 
nicht miteingezeichnet worden. Die länglichen, dunkler blau 
gefärbten Kerne in der Peripherie des Paraganglion gehören 
schon dem endoneuralen Bindegewebe an. An der einen Seite 
stiess eine Ganglienzelle (gz.) unmittelbar an das Paraganglion. 
Dies bestand aus zwölf Zellen. Sieben von ihnen lagen so ziemlich 
in derselben Ebene. Die Kerne befanden sich auch hier in einer 
vollkommen einheitlichen. leicht bläulich-grau gefärbten proto- 
plasmatischen Grundmasse. Von dem peripheren endoneuralen 
Bindegewebe zog ein schwaches Faserbündel in das Innere des 
Paraganglion und zerfällte es in zwei ungleiche Hälften. In den 
Verlauf dieses dünnen, bindegewebigen Septum ist gleich am 
hande des Paraganglion ein etwas dunkler blau gefärbter drei- 
eckiger Kern (endonr. kr.!) eingeschaltet, der aber nur den 
Anschnitt eines mehr länglichen Kernes bildet. 

Fig. 9, Taf. XXV, ist endlich ein Querschnitt durch einen 
kleinen sympathischen Nerven. Eine Hälfte wird von spärlichen 
Nervenfasern, die andere von einer aus drei farblosen chromaffinen 
Zellen bestehenden Gruppe eingenommen. Die Zellen (chrz.t) 
und (chrz.?) lagen etwas höher als die Zelle (chrz.?),. deren Kern 
nur als ein längliches weisses (wie leeres) Feld zu erkennen ist. 
Eine zarte, vom Epineurium (epnr.) abzweigende bindegewebige 
Faser trennt die Zellen 1 und 2 voneinander. Sie war aber 
infolge ihres welligen Verlaufes ohne Verstellung der Mikro- 
meterschraube nur bruchstückweise zu sehen und wurde deshalb 
auch so wiedergegeben. Zelle (chrz.?) und (chrz.?) waren da- 
gegen miteinander syncytial vereint. (Die Figuren 2 und 9 wurden 
der Einfachheit wegen schwarz reproduziert.) 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 677 


Beim Anblick solcher Paraganglien wie in Fig. 2, Taf. XXIV 
und Fig. 15, Taf. XXV, wird man sofort in lebhafter Weise an 
die von Sigm. Mayer (15—17) im Sympathicus von 
Reptilien und Amphibien beschriebenen sog. „Kern- 
oder Zellennester“ erinnert. Wiewohl diese Bildungen 
schon früher von einigen Forschern wie Kölliker, Courvoisier 
und Beale (eit. nach Sigm. Mayer) und auch Leydig be- 
obachtet worden waren, so hat doch Sigm. Mayer als erster 
im Jahre 1872 ihrer näheren Erforschung seine ausgedehnten 
und systematischen Untersuchungen gewidmet. S. Mayer fand 
im Sympathicus von Kröten, Salamandern und Tritonen 
zwischen den typischen Bestandteilen eigenartige „vielkernige 
Körper“, die er als „Kern- oder Zellennester“ be- 
zeichnete. Die Beschreibung, die Mayer von ihnen gibt, passt 
in so auffallender Weise auch für viele Paraganglien des Vogels, 
dass ich an dieser Stelle einiges aus seiner Arbeit (16) wörtlich 
anführen möchte. 

Seite 3: „Entweder mitten unter den gewöhnlichen Nerven- 
zellen oder zwischen markhaltigen und marklosen Nervenfasern, 
auch wohl den genannten Fasern nur seitlich angelagert, oder 
solitär im Bindegewebe, finden sich vielkernige Körper, die sich 
auf den ersten Blick von dem Aussehen der Nervenzellen unter- 
scheiden. In ihrer Grösse zeigen sie sich den grössten Differenzen 
unterworfen. Ihrer Form nach zeigen sie ebenfalls sehr grosse 
Verschiedenheiten; sie sind ebenso häufig rund als oval und ihre 
Begrenzung erscheint umso regelmässiger, je kleiner sie sind; 
die grössten vorkommenden Gebilde sind der Regel nach un- 
regelmässig gestaltet. Die in Rede stehenden Körper sind ent- 
weder von einer Hülle, welche öfters eingestreute Kerne zeigt, 
umkleidet, oder sie entbehren einer solchen. Gar nicht selten 
kommt es vor, dass sich die Hülle in das Innere eines Körpers 
hereinzieht und denselben in zwei oder mehrere Abteilungen, 
die immer mehrere Kerne enthalten, zerfällt, ähnlich wie sich 
die Hülle eines Ganglion in dasselbe fortsetzt und Scheidewände 
zwischen den einzelnen Zellen herstellt.“ Vergl. hierzu die 
Ko: 2, Vai. XXIV und Fig.15, Taf.’ XXV. 

Seite 4 unten fährt Mayer fort: „Die in einem Körper 
vorkommenden Kerne sind entweder von deutlich voneinander 
abgegrenzten Partien der Grundsubstanz umgeben, so dass man 


678 Wilhelm Kose: 


von einer Gruppe kleiner kernhaltiger Zellen zu sprechen berechtigt 
wäre, öfters aber sind die Kerne in die feinkörnige Grundsubstanz 
eingetragen, so dass eine Sonderung in discrete Zellen entweder 
gar nicht oder nur undeutlich zu constatiren ist.“ 

Schon damals erkannte Mayer. dass die Kern- oder 
Zellennester eine eigene Stellung einnehmen. Er sagt auf 
Seite 7: „Wir ersehen aus diesen Angaben zur Genüge, dass 
es nicht gestattet ist, die geschilderten Nester von Kernen oder 
Zellen in die Kategorie der Nervenzellen schlechtweg zu verweisen. 

Wir glauben vielmehr Gründe zu haben zur Aufstellung 
der Behauptung, dass wir in den Kern- oder Zellennestern 
Gebilde sui generis vor uns haben, welche aber zu 
der morphologischen Gruppe des Nervengewebes 
zu-rechnen sind.“ 

Gerade so wie bei den einzelnen Vögeln der Gehalt des 
Sympathieus an chromaffinen Zellen ein sehr verschiedener sein 
kann, so wurden auch von S. Mayer ähnliche Schwankungen 
bei Reptilien und Amphibien nachgewiesen. Mayer konnte 
die „Kern- oder Zellennester*“ bei Kröten, Salamandern 
und Tritonen in allen Abschnitten des Sympathicus ausnahms- 
los nachweisen, während bei Fröschen bei einzelnen Individuen 
manchmal zwar die Zellen sehr gehäuft vorkamen, bei anderen 
aber nur spärlich zu finden waren. Nach dem Stande der heutigen 
Forschung unterliegt es keinem Zweifel, dass die von S. Mayer 
beschriebenen Formationen echte Paraganglien, d. h. An- 
häufungen von chromaffınen Zellen waren. Interessant ist nun 
die weitgehende Ähnlichkeit, ja teilweise völlige Übereinstimmung 
im Vorkommen und im Aufbaue der einzelnen Paraganglien sowohl 
bei Reptilien und Amphibien als auch bei den Vögeln. 

Nach dieser literarischen Abschweifung wende ich mich nun 
der Beschreibung des eigentlichen Paraganglion carotiecum 
zu. Zu Beginn und Schluss der Serie, vor dem Auftreten und 
nach dem Verschwinden des eigentlichen zelligen Parenchynms 
des Paraganglion caroticum, lag stets an seiner Stelle ein von 
sympathischen Nerven gebildetes Netzwerk. Die 
Nerven entsprangen grösstenteils aus dem grossen sympathischen 
Ganglion. Die Lücken in dem nervösen Geflechte wurden im 
Verlaufe der Serie von verschieden grossen Anhäufungen der 
farblosen chromaffinen Zellen ausgefüllt. Fig. #, Taf. XXIV, gibt 


‚a hi 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 679 


einen kleinen Ausschnitt aus den äusseren Randpartien des Para- 
ganglion caroticum wieder. Der untere, linke und rechte Rand 
der Figur stellt die äussere Peripherie des Paraganglion caroticum 
dar, während oben an der mit einer Klammer und einem 
Kreuzchen (__-{___) bezeichneten Stelle das eigentliche-Parenchym 
des Paraganglion caroticum sich weiter fortsetzt. Der Zellballen 
(zb.') hat eine mehr längliche, jener (zb.?) eine mehr ovale Ge- 
stalt. Der dritte Zellballen (zb.”) ist nur angeschnitten, er liegt 
dem Zellballen (zb.') links an und besteht vorerst nur aus wenigen 
farblosen chromaffinen Zellen. Das ganze Paraganglion caroticum 
enthielt ca. 15—20 grössere Zellballen. Die meisten von ihnen 
wurden in gleicher Weise wie die Zellballen (zb.'”?) von den 
sympathischen Nerven (syn.) unmittelbar und allseitig 
umgeben. Sie besassen keine eigene bindegewebige 
Kapsel. Manche Zellballen, besonders die in der Peripherie 
gelegenen, zeichneten sich im Gegensatze hierzu durch 
den Besitz einer dünnen bindegewebigen Hülle 
aus. Links, rechts und oben ziehen mehrere sympathische 
Nerven (sy. n.) in das Paraganglion caroticum. Durch Teilung 
und gegenseitige Verflechtung bilden sie dann das maschige 
Grundgewebe, in welchem die einzelnen Zellballen ruhen. 
Im Innern der zwischen den letzteren verlaufenden Nerven 
findet man zahlreiche einzelne oder zu kleinen Gruppen gehäufte 
farblose chromaffine Zellen (chrz.),. die an ihren, von scharf 
konturierten und oft wie leeren Höfen umgebenen Kernen leicht 
kenntlich sind. Ich kann es hier gleich vorweg erwähnen, dass 
diese scharfen Begrenzungslinien durch das 
endoneurale Bindegewebe erzeugt werden. Später 
werden diese Verhältnisse ausführlich besprochen werden. 

An vielen Stellen biegen stärkere oder schwächere Nerven- 
faserzüge in das Innere der einzelnen Zellballen und zerfällen 
diese vollständig oder teilweise in verschiedene Untergruppen. 
Der Hauptsache nach werden die Zellballen aus den farblosen 
chromaffinen Zellen aufgebaut. Zwischen ihnen befindet sich 
aber ein kernreiches und faseriges Gewebe, über dessen Charakter 
man bei der blossen Anwendung von Kernfarbstoffen im unklaren 
bleibt. Dieses fragliche Gewebe besorgt seinerseits eine weitere 
Einteilung der Zellballen in eine verschiedene Zahl von Unter- 
abteilungen. Die Zellballen sind von einer auffallend grossen 


680 Wilhelm Kose: 


Zahl von Kapillaren und kleinen Arterien nach allen Richtungen 
hin durchzogen und auch auf ihrer Aussenseite umsponnen. 
Venen konnte ich mit Sicherheit nur in der Peripherie des Para- 
ganglion caroticum auffinden. 

Kurz zusammenfassend kann ich daher sagen: Das Grund- 
.gewebe des Paraganglion caroticum, in dessen Lücken 
die zu Gruppen gehäuften farblosen chromaffınen Zellen liegen, 
wird ausschliesslich von sympathischen Nerven gebildet, 
die sich nach allen Richtungen hin aufs innigste durchflechten. 
Die meisten Zellballen besitzen an ihrer Peripherie keine 
eigene bindegewebige Kapsel, sondern werden von den Nerven- 
fasern direkt umsponnen. Nur wenige in der Peripherie des 
Paraganglion caroticum befindliche Zellballen weisen eine dünne 
bindegewebige Kapsel auf. Die grösseren Zellballen sind durch 
deutliche Züge markloser Nervenfasern und ein vorläufig 
noch nicht näher bestimmbares, kernreiches Gewebe in eine 
Anzahl von Untergruppen gesondert. Die Vaskularisation des 
Paraganglion caroticum ist eine äusserst reiche. 

Das sind die Ergebnisse, die man beim Studium solcher 
Schnitte erhält, die bloss mit Kernfarbstoffen gefärbt wurden. 
Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass sich zu diesem 
/wecke am besten das Hämatoxylin (Delafield) eignet, da 
sich das endoneurale Bindegewebe dabei schwach violett mitfärbt 
und daher viel leichter in seiner weiteren Verbreitung zu ver- 
folgen ist, als z. B. in solchen Schnitten, die mit Cochenille 
eefärbt wurden. 

Benützen wir aber zur Klarlegung des Verlaufes der binde- 
gewebigen und elastischen Fasern die eigens für diesen 
/weck gebräuchlichen Färbungsmethoden, dann gestaltet sich die 
/usammensetzung des Paraganglion caroticum in vieler Beziehung 
komplizierter, auch findet meines Erachtens das zwischenzellige 
kernreiche Gewebe dabei seine richtige Erklärung. 

Das Paraganglion caroticum besass bei keiner Krähe 
eine vom Nervensystem getrennte, bindegewebige Kapsel. 
Seine äussere Begrenzung bildeten ausschliesslich die peri- 
phersten Lagen des nervösen Grundgeflechtes. Die zum Para- 
ganglion caroticum gehörigen Nerven sondern sich von selbst in 
zwei grosse Gruppen. Ein Teil von ihnen verläuft hauptsächlich 
nur an der Oberfläche des Paraganglion caroticum, der andere 


e 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 681 


dringt alsbald in sein Inneres zwischen die einzelnen Zellballen. 
Alle Nerven besitzen vor ihrem Zusammentritte zum Paraganglion 
carotieum ein verschieden starkes Epineurium. Dieses besteht 
aus dünnen, dichtgedrängten, mit spärlichen elastischen Fasern 
vermengten, bindegewebigen Faserbündeln, zwischen welche wenige 
kleine und schmale Kerne eingelagert sind. Jene Nerven nun, 
welche ausschliesslich an der Oberfläche des Paraganglion 
caroticum weiterziehen, verlieren für gewöhnlich bald nach ihrer 
Verbindung mit dem Paraganglion caroticum an ihrer dem 
letzteren zugekehrten Seite ihr Epineurium. Dieses fasert 
sich auf und dringt in gemeinschaftlichem Zuge mit den Fort- 
setzungen des endoneuralen Bindegewebes in das Innere der 
einzelnen ° Zellballen. Manchmal umgeben septenartige Fort- 
setzungen des Epineurium die Zellballen zum Teil bloss an 
ihrer Oberfläche. Die Nerven bleiben also bloss an ihrer 
dem Paraganglion caroticum abgewendeten Seite vom Epi- 
neurium eingehüllt. Das Bindegewebe der epineuralen Scheide 
jener Nerven, die direkt in das Innere des Paraganglion caroticum 
eindringen, verteilt sich meist bloss an der Oberfläche des Para- 
sanglion caroticum, während die einer besondern Hülle ent- 
kleideten Nerven weiter zwischen die einzelnen Zellballen 
ziehen. Nur selten behalten diese Nerven ihr Epineurium 
noch auf kürzere Strecken bei. So kommt es, dass die aller- 
grösste Mehrzahl der im Innern des Paraganglion caroticum 
befindlichen sympathischen Nerven hüllenlos ist. Die Nerven 
liegen dann den Zellballen unmittelbar an. Nur an jenen 
Stellen, an denen die Nerven noch vom Epineurium überzogen 
sind, bildet dieses gewissermassen eine bindegewebige Scheide- 
wand zwischen ihnen und den Zellballen. Wir werden aber 
alsbald sehen, dass diese Trennung nur eine scheinbare ist. 
Die an der Oberfläche des Paraganglion caroticum verlaufenden 
Nerven bilden durchaus nicht eine überall geschlossene Gewebs- 
schichte, sondern gerade so wie im Innern des Paraganglıon 
caroticum nur ein maschiges Flechtwerk. Die ihnen zunächst 
liegenden Zellballen ragen durch diese Lücken bis an die Ober- 
fläche des Paraganglion caroticum, oder aber wölben sich mehr 
minder über diese noch hervor. An diesen Stellen besitzen sie 
eine dünne bindegewebige Umhüllung, die sich bei genauem 


Zusehen als eine Fortsetzung des epineuralen Binde- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 45 


682 Wilhelm Kose: 


gewebes der benachbarten Nerven erweist. Auch 
nach innen zu kann man diese Kapsel noch streckenweise ver- 
folgen. 

Kommt also auch dem Paraganglion caroticum keine 
eigene, vom Nervensystem getrennte bindegewebige 
Hülle zu, so wird es dennoch an seiner Oberfläche von dünnen 
Lagen des epineuralen Bindegewebes aller jener Nerven um- 
schlossen, die zum Paraganglion caroticum hinziehen. Auch die 
über die Oberfläche hervorragenden Zellballen werden von den 
Fortsetzungen dieses epineuralen Bindegewebes kapselartig zum 
Teil umkreist. 

Diese Verhältnisse sind im Paraganglion caroticum infolge 
der Häufung der Zellballen und der gegenseitigen und weit- 
gehenden Durchflechtung der sympathischen Nerven durchaus 
nicht immer leicht zu erkennen. Man erlangt eine viel bessere 
Übersicht, wenn man die zahlreichen Nerven vor ihrem Eintritte 
in das Paraganglion caroticum durchmustert. Sie enthalten näm- 
lich zahlreiche vereinzelte oder gruppenweise gehäufte farblose 
chromaffine Zellen. Die kleineren Zellballen wurden im vorher- 
gehenden bereits besprochen und es erübrigt nur noch eine 
Beschreibung der grösseren Paraganglien. Diese führen entweder 
zu einer lokalen Verbreiterung der betreffenden Nerven oder 
treten zu einem kleineren oder grösseren Teil aus den letzteren 
heraus. Würde man nicht die Serienschnitte genau verfolgen, 
so müsste man manchmal annehmen, dass diese Zellballen den 
Nerven nur von aussen anlägen. Es zeigte sich aber fast immer, 
dass sie in Gestalt vereinzelter farbloser chromaffiner Zellen 
zwischen den Nervenfasern beginnen und erst durch eine all- 
mähliche Anhäufung der chromaffinen Zellen entstehen und an- 
wachsen. Schliesslich ragen sie aus dem Nerven heraus. Das 
Epineurium des letzteren wird an dieser Stelle dann vorgewölbt 
und entsendet wohl auch Faserzüge in das Innere des Nerven, 
die den Zellballen teilweise von dem Nerven trennen. Besitzen 
nun solche Zellballen eine ganz besondere Grösse, dann ragen 
sie so weit aus dem Nerven heraus, dass ihre periphersten 
Abschnitte in einzelnen Schnitten einen von Bindegewebszügen 
völlig eingehüllten, neben dem Nerven gelegenen Zellballen 
darstellen. Ein genaues Studium der Serie ergibt aber, dass 
diese Zellballen sich ohne Unterbrechung bis in das Innere 


Die Paraganglien bei den Vögeln, 685 
zen 


der Nerven verfolgen lassen. Die bindegewebige Kapsel dieser 
scheinbar isolierten Paraganglien ist nur das an dieser Stelle 
besonders weit vorgetriebene Epineurium des Nerven. Die 
Zellballen liegen also gar nicht, wie es den Anschein hat, 
ausserhalb, sondern eigentlich innerhalb der sympathischen 
Nerven und ragen manchmal nur streckenweise be- 
sonders weit aus den letzteren heraus. 
Überschreitet die Grösse der einzelnen Zellballen den 
Diekendurchmesser der Nerven nur um ein Geringes, so führen 
erstere, je nach ihrer Gestalt, entweder zu einer mehr spindel- 
förmigen oder kugelförmigen Auftreibung des Nerven. Manch- 
mal ragen die Paraganglien rosenkranzartig aus den Nerven 
hervor. Das Epineurium überzog aber jedesmal ohne Unter- 
brechung die Oberfläche dieser Zellballen. Treten an einen 
grösseren Zellballen mehrere kleine Nerven heran, dann ge- 
staltet sich ihre gegenseitige Verbindung folgendermassen: Das 
Epineurium der Nervchen verteilt sich an der Oberfläche des 
Paraganglion, während die Nerven zum grossen Teil in sein 
Inneres gelangen. Verschieden starke Bündel markloser Nerven- 
fasern umkreisen das Paraganglion auch an seiner Oberfläche. 

Es gibt nun eine ganze Reihe von Vögeln (Gimpel, 
Zeisig. Kreuzschnabel), bei welchen eine Anzahl kleiner 
kugeliger chromaffiner Zellballen den Nerven nur von aussen 
anliegen. ohne sich in das Innere der letzteren zu erstrecken. 
Diese Paraganglien besitzen eine eigene bindegewebige Hülle, 
von welcher ich nicht aussagen kann, ob sie als eine Fortsetzung 
des Epineurium aufgefasst werden kann. Trotz dieser räum- 
lichen Scheidung konnte ich fast immer den Eintritt von Nerven- 
fasern in diese Paraganglien beobachten. 

Ein Vergleich zwischen den mehr vereinzelt im peripheren 
sympathischen Nervensystem gelegenen Paraganglien und dem 
eigentlichen Paraganglion caroticum ergibt nun mit Sicherheit 
die Tatsache. dass die gewebliche Verbindung der farblosen 
chromaffinen Zellen mit dem sympathischen Nervensystem stets 
die gleiche ist. Es besteht nicht der geringste wesentliche 
Unterschied zwischen den peripheren Paraganglien und dem 
Paraganglion caroticum. Letzteres ist eben nichtsanderes 
als eine besonders grosse und dichtgedrängte Anhäufung 


farbloser chromaffiner Zellen und sympathischer Nerven. 
45* 


654 Wilhelm Kose: 


Es erübrigt nun zum Schlusse eine genauere Schilderung des 
Verhaltens der Nerven im Innern der Zellballen, sowie eine Fr- 
klärung des kernreichen zwischen den farblosen chromaffinen 
Zellen liegenden Gewebes. Überall dort, wo die sympathischen 
Nerven ohne ein trennendes Epineurium die Zellballen einhüllen, 
erfolgt an der Grenze beider eine allmähliche und fortschreitende 
Auflösung der Nerven. Einzelne oder zahlreiche marklose Nerven- 
faserbündel biegen direkt aus dem Nerveninnern ab 
und ziehen zwischen die chromaffinen Zellen. Ich lege der nun 
folgenden Beschreibung, wie ich nochmals hervorheben will, nur 
mit spezifischen Bindegewebsfarben tingierte Schnitte zugrunde 
und werde mich bemühen, zu zeigen, dass man aus der 
Verteilung des endoneuralen Bindegewebes auf 
jene der marklosen Faserbündel,. nicht aber einzelner 
markloser Achsenzylinder, schliessen kann. 

Fig. 11 und 12, Taf. XXV, stellen Randpartien zweier im 
Innern des Paraganglion caroticum gelegener Zellballen dar. 
Diese waren allseitig von sympathischen Nerven umgeben, die 
ihre epineurale bindegewebige Scheide bereits früher vollständig 
verloren hatten. Beide Figuren stammen aus einem Schnitte, 
der nach der Methode von Mallory-Stöhr gefärbt worden 
war. Der Einfachheit halber wurden die Zeichnungen bloss schwarz 
gehalten. Das Bindegewebe hatte sich in beiden intensiv schwarz- 
blau gefärbt. Infolge der bekannten Anordnung des endoneuralen 
Bindegewebes erhielten die längsverlaufenden sympathischen 
Nerven ein streifiges Aussehen. Betrachten wir zuerst Fig. 12. 
Direkte Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes 
strahlen zwischen die einzelnen chromaffinen Zellen ein und um- 
geben jede für sich in Gestalt von breiten Maschen. Im ganzen 
liegen hier dem Nerven vier chromaffine Zellen unmittelbar an. 
Zwei von ihnen (chrz.*, chrz.?) enthalten Kerne, während die 
anderen zwei (chrz.?, die mittlerste ist unbezeichnet) kernlos sind. 
Ihr zugehöriger Kern lag im folgenden Schnitte. Diese chrom- 
affınen Zellen bilden daher in dieser Figur zum Teil leere nur 
spärliches Plasma enthaltende Felder, die ebenfalls von direkten 
Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes maschenartig ein- 
gefriedet werden. Das kleinmaschige Gitterwerk (n. qu.) an der 
oberen Seite der chromaffinen Zelle (chrz?) ist der Querschnitt 
durch ein feines markloses Nervenfaserbündel. Links am Rande 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 685 
der Zeichnung liegt noch eine vereinzelte farblose chromaffine 
Zelle (chrz.?), die ebenfalls von Fortsetzungen des endoneuralen 
Bindegewebes eingehüllt wird. 

Der Verlauf der in das Innere der Zellballen eingedrungenen 
Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes ist in den einzelnen 
Zellballen, oder an verschiedenen Stellen ein und desselben Ballens 
ein verschiedener. Entweder lösen sich die bindegewebigen Faser- 
bündel alsbald netz- oder korbartig in der Peripherie der ein- 
zelnen chromaffinen Zellen auf wie in Fig. 12 und 11, Taf. XXV, 
oder aber sie durchziehen als schmälere und breitere Faserzüge 
den Zellballen. Fig. 10, Taf. XXV, gibt eine solche Stelle aus einem 
dritten Zellballen derselben Krähe wieder. Dieser war genau 
so wie die beiden ersten überall von Nerven umhüllt, die kein 
Epineurium mehr besassen. An seiner ganzen Peripherie bogen 
aus den letzteren Fortsetzungen des endoneuralen Binde- 
gewebes in das Innere des Zellballens. Sämtliche dunkeln 
zwischen den farblosen chromaffinen Zellen verlaufenden Linien 
sind Fortsetzungen des endoneuralen Binde- 
gewebes. Sie bilden um die einzelnen chromaffinen Zellen 
Maschen oder Körbe. In der Fig. 10 ist nur ein Bruchstück 
dieses bindegewebigen Netzwerkes bei einer maximalen Ver- 
stellung des Tubus um 0,002 mm wiedergegeben, um eventuellen 
Ungenauigkeiten aus dem Wege zu gehen, die sich bei Kombi- 
nierung der Zeichnung hätten vielleicht ergeben können. Das 
bindegewebige Netzwerk ist tatsächlich aber ein viel reicheres 
als es so den Anschein hat. Die ob ihres gekrümmten Verlaufes 
nur teilweise getroffenen Faserbündel und einzelnen Fasern sind 
bei einer weiter fortgesetzten Verstellung des Tubus und auch 
in den folgenden Schnitten oft auf weitere Strecken hin zu ver- 
folgen. In der Fig. 11, Taf. XXV, liegen dem hüllenlosen Nerven 
bloss zwei farblose chromaffine Zellen direkt an. Die linke (chrz') 
ist kernhaltig, die rechte (chrz.*) kernlos. Ihr Kern erschien 
erst im folgenden Schnitte. Das Bild stimmt hier völlig mit 


jenem in Fig. 12 überein. Auch hier verteilen sich die direkten 


Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes zwischen den 
chromaffinen Zellen. Diese Fig. 11 bietet aber noch gewisse 
Eigentümlichkeiten dar. Die einzelnen farblosen chromaffinen 
Zellen (chrz "**) sind stellenweise von einem kleinmaschigen Faser- 
werke (n. qu. und n. qu.'=?) umgeben, das sich ebenfalls intensiv 


656 Wilhelm Kose: 


blau gefärbt hatte und auch durch die anderen Bindegewebs- 
färbungen deutlich zur Darstellung gebracht werden konnte. Es 
gelingt nun fast ausnahmslos .nachzuweisen, dass es sich 
dabei um Querschnitte markloser Nervenfaserbündel handelt. 
Oft bestehen diese nur aus zwei bis drei Bündeln und können 
.so ein plasmatisches Netzwerk vortäuschen. Bei genauestem 
Zusehen bemerkt man zahlreiche intensiv blau gefärbte Pünkt- 
chen, die hauptsächlich in den Knotenpunkten des Netzwerkes 
liegen, sonst aber auch ganz unregelmässig in den Faserzügen 
des letzteren verstreut sind. Diese Pünktchen sind die Quer- 
schnitte von längsverlaufenden Bindegewebsfibrillen oder Fibrillen- 
bündeln der bindegewebigen Hülle der marklosen Nervenfasern. 
Bei Verschiebung des Tubus setzen sich diese dunkelblauen 
Pünktchen ohne die-geringste Unterbrechung in längs- 
verlaufende Fasern des endoneuralen Bindegewebes fort. Über- 
dies färbten sich manchmal die Querschnitte der marklosen Nerven- 
faserbündel selbst mattgrau und erfüllten dann zum Teil als ver- 
waschene Fleckchen und Pünktchen das Innere der Lücken 
(n. qu.'). In seltenen Fällen konnte ich diese Gitterwerke nicht 
mit Sicherheit für Querschnitte markloser Nervenfasern erkennen. 
Es machte mir vielmehr den Eindruck, als ob sie durch eine 
blosse Auffaserung stärkerer oder schwächerer Fibrillenbündel 
des endoneuralen Bindegewebes entstanden wären. Die Fädchen 
dieser Gitterwerke erreichen oft eine ausserordentliche Feinheit 
und färben sich dann entweder nur schwach oder fast gar nicht 
mit den Bindegewebsfarbstoffen, selbst mit dem Malloryschen 
Hämatoxylin. Alle in den Fig. 11 und 12 gezeichneten Netze 
sind aber sicher Querschnitte markloser Nervenfaserbündel. 

In den Verlauf des interzellulären bindegewebigen Maschen- 
und Gitterwerkes ist nun eine grosse Anzahl vielgestalteter 
Kerne (endonr. kr.) eingelagert. (Vergl. die Fig. 10, 11, 12.) 
Nach den oben: angeführten Befunden unterliegt es für mich 
keinem Zweifel, dass das faserige Grundgerüst der Zellballen 
von Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes der sym- 
pathischen Nerven gebildet wird. Die Annahme, dass es sich 
bei den in ihm vergrabenen, zwischen den chromaffinen Zellen 
gelegenen Kernen um solche des endoneuralen Bindegewebes. 
handeln müsse, ergibt sich dann von selbst. Eine Bestätigung 
dafür erhält man durch einen Vergleich dieser Kerne mit jenen, 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 637 


die sich im endoneuralen Bindegewebe der peripheren syın- 
pathischen Nerven finden. Die Fig. 11 und 12, Taf. XXV, geben 
besser als alle Beschreibung eine kleine Auswahl aller jener 
Formen wieder, unter welchen die Kerne des endoneuralen Binde- 
gewebes der in der Peripherie der Zellballen gelegenen sym- 
pathischen Nerven im mikroskopischen Bilde. erscheinen. 
Die einzelnen Kerne sind meist länglich, aber sehr verschieden 
gross. Einige Kerndurchmesser seien an dieser Stelle angeführt, 


Kern a 0,013mm — 0,004 mm 
OO 0,004, 
le oe 0,008, 
Esel 0.002), 
EEE N - ‚0,0049 5 
or 10,000 
00055 0,0080 
21270100617: — 0,0045 


Die Kerne bilden, je nachdem man sie mehr von der Kante oder 
von der Fläche aus sieht, schmale, längliche oder breitere Körper, 
die entweder glatt ausgestreckt oder aber verschiedentlich ge- 
krümmt sind. Teils sind sie ganz im endoneuralen Bindegewebe 
verborgen, teils ragen sie aus diesem heraus und liegen dann 
an seiner Innenseite den marklosen Nervenfaserbündeln an. An 
zahlreichen Stellen sieht man diese Kerne ganz von der Fläche. 
In Fig. 14, Taf. XXV, sind vier solche in verschiedener Höhe in 
einem sympathischen Nerven gelegene Kerne gezeichnet. Kern A. 
ist mehr unregelmässig längs-oval, Kern B. stumpf dreieckig, 
die Kerne C. und D. wieder mehr regelmässig elliptisch. Der 
KernE. ist nur von der Kante aus zu sehen. Die Durchmesser 
der vier ersten Kerne betrugen: 
A 0,01mm — 0,006 mm 


B 0,008 „ — 0,006 „ 
C.0,01 , . — 0,004 ., 
D 0,008 „ — etwas weniger als 0,006 mm. 


Die Dicke aller Kerne überschritt niemals 0,002 mm, 
eher war sie noch kleiner. Besonders an jenen Stellen, an 
welchen die Nervenfasern Krümmungen beschreiben, kann man 
häufig beobachten, wie bei Verschiebung des Tubus ein schmaler, 
am Rande der wellig gebogenen Nerven gelegener Kern sich 
unter den Augen in seiner ganzen Länge und Breite aufrollt. 


n 


68 Wilhelm Kose: 
Diese grossen endoneuralen Kerne stellen daher nur platte 
Scheiben dar, die manchmal eine gewisse Ähnlichkeit mit den 
Kernen der chromaffinen Zellen aufweisen können. Am Schnitt- 
rande mehrerer kleinerer sympathischer Nerven konnte ich öfters 
sehen, wie diese grossen Kerne, gleich einem Stücke zusammen- 
geknitterten Papieres, verschiedene Einfaltungen und Biegungen 
besassen. Diese Kerne besitzen mindestens ebenso häufig eine 
Breiten- als eine Längskrümmung und umgreifen rinnenartig 
zum Teil die marklosen Nervenfaserbündel. Den Kernen fehlt 
eine Membran. Sie sind von zahlreichen oft staubartig feinen 
Granula mehr minder erfüllt. Einzelne von den letzteren erreichen 
eine etwas merklichere Grösse. Für gewöhnlich enthält jeder 
Kern ein oder zwei grosse Kernkörperchen, die entweder zentral, 
aber auch ganz in der Peripherie der Kerne gelegen sein können. 
Viele der länglichen schmalen Kerne sind nur optische oder 
wirkliche Durchschnitte durch solche platte grosse oder kleinere 
Kerne. Von vielen Kernen kann ich dies aber nicht sagen, ich 
bin vielmehr der Ansicht, dass die Spindelform ihre wahre Gestalt 
ist. Es kann somit nicht wundernehmen, dass bei der verschie- 
denen und noch dazu wellig gebogenen Verlaufsrichtung der 
Nerven oder ihrer Faserbündel die einzelnen Kerne in den ver- 
schiedensten Richtungen und Ebenen durchschnitten oder überhaupt 
bloss angeschnitten sein werden. Man findet daher neben den 
beschriebenen und gezeichneten Formen, besonders in den 3 « 
und 5 « dicken Schnitten, aber auch in den obersten und tiefsten 
Lagen der dickeren Schnitte noch unregelmässige, dreieckige oder 
mehr runde Kerne im endoneuralen Bindegewebe. Besonders an 
jenen Stellen, an welchen sich mehrere Nerven gegenseitig durch 
Austausch ihrer Faserbündel durchtlechten, ist der Formenreichtum 
der Kerne des endoneuralen Bindegewebes ein besonders grosser. 
Verfolgt man aber die einzelnen Serienschnitte aufmerksam, so 
lässt sich die grosse Mannigfaltigkeit der Kerne im obigen Sinne. 
auf eine relativ geringe Anzahl von Grundformen zurückführen. 
Diese Bemerkungen schicke ich, obwohl sie nur Bekanntes 
enthalten, aus dem einzigen Grunde voraus, um zu zeigen, dass 
alle Kernformen, die sich im Innern des Paraganglion caroticum 
zwischen den farblosen chromaffinen Zellen finden, dieselben 
sind wie jene, welche im endoneuralen Bindegewebe der sympa- 
thischen Nerven vorkommen. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 659 


Die Kerne liegen in dem bindegewebigen Grundgerüste 
der einzelnen Zellballen entweder ganz vereinzelt oder aber zu 
kleinen Gruppen angehäuft (Fig. 12%). Dabei umkreisen sie 
öfters, wie es hier gezeichnet ist, in halbmondförmiger Anordnung 
die einzelnen chromaffinen Zellen und bilden um diese kern- 
haltige Hüllen. Manchmal erstrecken sich diese gehäuften 
Kerne in einer ununterbrochenen Reihe noch tief in das 
Innere der peripheren sympathischen Nerven hinein. 

Nach all dem Gesagten kann ich mich nun ganz kurz fassen. 
Alle die kleinen und grösseren Kernformen, welche man im 
endoneuralen Bindegewebe der sympathischen Nerven antrifft, 
findet man in dem bindegewebigen Grundgerüste der aus chrom- 
affınen Zellen zusammengesetzten Ballen wieder und zwar häufig 
in ganz genau derselben Anordnung. Auch hier im Innern der 
Zellballen lässt sich der scheinbare Polymorphismus der Kerne 
in derselben Weise wie in den sympathischen Nerven erklären. 
In der Fig. 12, Taf. XXV, sind bloss die zwei mit einem Stern- 
chen (*) bezeichneten Kerne in ihrer ganzen Ausdehnung zu 
sehen, bei den anderen handelt es sich nur um wirkliche oder 
optische Durchschnitte. 

Die Dieke meiner Serienschnitte betrug 3, 5 und 10 «. 
Die dünnen eigneten sich zum Studium der einzelnen Kernformen, 
wie schon früher erwähnt, weniger. Ich verwendete zu diesem 
Zwecke meist 10 « dieke Schnitte und studierte in erster Linie 
die in der Mitte der Schnitte gelegenen Kerne, um Täuschungen 
nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen. Die dünnen Schnitte 
wurden behufs Erkenntnis des Verlaufes der dünnsten binde- 
gewebigen und elastischen Fäserchen und dann auch wegen feiner 
eytologischer Details angefertigt. 

Ich glaube nun, dass ich nach meinen Beobachtungen be- 
rechtigt bin, den Satz auszusprechen, dass das Grundgewebe 
sämtlicher Paraganglien, d.h. der aus farblosen 
-chromaffinen Zellen zusammengesetzten Gruppen 
und Ballen nur eine Fortsetzung des sich weiter 
auflösenden endoneuralen Bindegewebes der sym- 
pathischen Nerven ist. Nur eine geringe Anzahl von 
mehr rundlichen oder mehr unregelmässigen kleineren Kernen 
scheint dem interzellulären Bindegewebe der Zeilballen eigens 
. zuzukommen. Diese Kerne erinnern manchmal an jene runden 


690 Wilhelm Kose: 


Kerne, die um viele Ganglienzellen herum gehäuft liegen. Über 
die Herkunft dieser fraglichen Kerne kann ich nichts Näheres 
aussagen. Soviel will ich nur hervorheben, dass es sich auf 
keinen Fall um Leukozyten gehandelt hat. 

Fasse ich nun zum Schlusse die wichtigsten Ergebnisse 
meiner Untersuchungen zusammen, so kann ich sagen: Das 
Paraganglion caroticum ist eine besonders grosse Än- 
häufung von farblosen chromaffınen Zellen und sympathischen 
Nerven. Die einzelnen Ballen chromaffiner Zellen liegen eigentlich 
nur scheinbar ausserhalb der sympathischen Nerven, in den 
Lücken des von den letzteren gebildeten Gitter- und Flechtwerkes. 
Die eines Epineurium entkleideten Nerven umhüllen nämlich 
diese Zellballen nicht bloss von aussen, sondern 
dringen überallauchinihr Inneres ein. Es besteht 
nicht die geringste gewebliche Trennung zwischen den sympa- 
thischen Nerven und den chromaffinen Zellgruppen. Fast das 
sesamte faserige Grundgerüste der letzteren ist 
nichts anderes als die unmittelbare Fortsetzung 
des endoneuralen Bindegewebes der sympathischen 
Nerven. Stellenweise nur wird das erstere durch 
Fortsetzungen des epineuralen Bindegewebes 
verstärkt. Am besten lassen sich diese feinen Details im 
Aufbau der Zellballen in den peripheren Nerven verfolgen, dort 
wo in diesen vereinzelte Zellballen liegen. Hier sieht man ganz 
deutlich, wie durch die stetige Zunahme der zwischen den 
Nervenfasern gelegenen und zuerst ganz vereinzelten farblosen 
chromaffinen Zellen die Struktur der Nerven vollständig verändert 
wird. Innerhalb der Zellballen werden die chromaffınen Zellen 
durch das endoneurale Bindegewebe entweder jede für sich korb- 
oder maschenartig umgeben, oder aber zu kleinen, meist nur aus 
2—4 Zellen bestehenden Gruppen zusammengefasst. Innerhalb 
dieser letzteren liegen die chromaffinen Zellen entweder neben- 
einander oder bilden kernhaltige Syncytien. Ausser durch die . 
bindegewebigen Faserzüge werden die einzelnen chromaffinen 
Zellen durch quer- und längsgetroffene verschieden starke Nerven- 
faserbündel direkt eingehüllt: stellenweise können die lokal 
sehäuften endoneuralen Kerne zum Teil Hüllen um die einzelnen 
Zellen herstellen. 

Ich glaube wohl nicht zu weit zu gehen, wenn ich aus der 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 691 


Verteilung des endoneuralen Bindegewebes auf eine ebenso weit- 
gehende der von seinen Septen eingehüllten marklosen Nerven- 
faserbündel zurückschliesse. Die genetische Zugehörigkeit 
der farblosen chromaffinen Zellen zu dem sym- 
pathischen Nervensystem ergibt sich aus dieser 
weitgehenden und innigen Verbindung beider 
Gewebsarten ohne weiteres von selbst. 

Trotzdem die peripheren Paraganglien ihrem wesentlichen 
Bau nach dem Paraganglion caroticum vollkommen gleich sind, 
bestimmen mich folgende Gründe, ihre (Gesamtheit in einen ge- 
wissen Gegensatz zum Paraganglion caroticum zu stellen und 
dies auch durch eine diesbezüglich gewählte Bezeichnung aus- 
zudrücken. Die im sympathischen Nervensystem des Halses 
zerstreuten, aus farblosen chromaffinen Zellen zusammengesetzten 
Paraganglien kommen nicht bloss bei den Krähen, sondern auch 
bei allen anderen Vögeln nicht so gesetzmässig wie das 
Paraganglion caroticum vor. Die peripheren Paraganglien können 
auf einer Halsseite vollständig fehlen (Krähe 7 rechts) oder nur 
in Gestalt vereinzelter kleiner Gruppen auftreten (Krähe « rechts). 
Sie zeigen ferner keine konstanten Lagebeziehungen zu einem 
der Epithelkörper oder der Carotis communis. Diese peripheren 
Paraganglien sind vielmehr ohne jede bestimmte An- 
ordnung in den Verlauf verschiedener sympathischer Nerven 
eingeschaltet. Ausnahmsweise können sie dabei (Krähe 2 links) 
dem kaudalen Epithelkörper besonders genähert sein. Schliesslich 
möchte ich noch erwähnen, dass die am Halse gelegenen peri- 
pheren Paraganglien niemals von Arterien versorgt werden, 
die in Gestalt stärkerer Stämmchen aus der Carotis communis 
entspringen. 

In Berücksichtigung dieser Tatsachen und in Erwägung des 
Umstandes, dass genau so gebaute Paraganglien an verschiedenen 
Stellen der Vorhöfe vorkommen, die dann selbstverständlich in 
keiner topographischen Beziehung zur Üarotis communis oder 
einem der Epithelkörper stehen, möchte ich die Gesamtheit der 
peripheren Paraganglien in die Paraganglia cervicalia 
und Paraganglia cardiaca sondern und sie dem Para- 
ganglion caroticum gegenüberstellen. Dabei darf man 
aber nie vergessen, dass alle Paraganglien den gleichen histo- 
logischen Aufbau besitzen. 


692 Wilhelm Kose: 


Das Paraganglion caroticumnimmt nur durch seine besondere 
Grösse, sowie seine mehr gesetzmässigen Lagebeziehungen zu 
den Epithelkörpern und dem Stamme der Carotis communis eine 
Sonderstellung unter den aus farblosen chromaffiınen Zellen 
zusammengesetzten Paraganglien ein. 

Finden sich nun manchmal ganz besonders grosse Para- 
ganglien innerhalb der Nerven kurz vor ihrem Eintritte in das 
Paraganglion caroticum, dann hängt es wohl ganz von dem 
subjektiven Ermessen des Beobachters ab, diese peripheren Para- 
ganglien noch als zu dem Paraganglion caroticum gehörig zu 
betrachten, oder sie schon zu den Paraganglia cervicalia zu zählen. 
Im ersteren Falle müsste man eine teilweise Zerfällung des 
Paraganglion caroticum in einzelne Zellballen an verschiedenen 
Stellen seiner Peripherie annehmen. Dagegen lässt sich nichts 
Stichhaltiges anführen. Wie wir später sehen werden, gibt es 
eine Anzahl von Vögeln (Gimpel,Zeisig, Kreuzschnabel), 
bei denen das Paraganglion caroticum aus zwei vollständig 
getrennten, mit den beiden Epithelkörpern verbundenen Partien 
besteht. Hier kann man mit Recht von einem doppelten 
Paraganglion caroticum sprechen. 

Wie schon früher erwähnt, enthält das Epineurium der 
zum Paraganglion caroticum hinziehenden Nerven nur spärliche 
elastische Fasern. Im endoneuralen Bindegewebe fehlten 
letztere stets. So kommt es, dass das Paraganglion caro- 
ticum an seiner Oberfläche und in seinem Innern nur dort einen 
Gehalt an elastischen Fasern aufwies, wohin die Fortsetzungen 
des Epineurium der verschiedenen Nerven reichten. Meist 
verteilten sich demgemäss die elastischen Fasern nur an der 
Oberfläche einzelner Zellballen, drangen aber stellenweise auch 
in das Innere der letzteren ein, wo sie zwischen den einzelnen 
chromaffinen Zellen selbständig verliefen und endigten. Selbst- 
verständlich werden die verschiedenen im Innern der Paraganglien 
verlaufenden Arterien und auch die Kapillaren von eigenen 
elastischen Fasern umsponnen. Eine gewisse Anzahl der letzteren 
dringt ebenfalls zwischen die chromaffinen Zellen ein. 

Die Arterien im Innern des Paraganglion caroticum sind 
die Endverzweigungen der von der Carotis communis herkommenden 
Hauptarterie. Diese entsprang bei den einzelnen Krähen in ver- 
schiedener Weise aus der Carotis communis. Bei der Krähe « 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 695 


(rechts) ging von der Carotis communis ein kurzes Arterien- 
stämmchen ab, das sich alsbald in eine für die Thyreoidea und 
eine für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie teilte. 
Auf der linken Halsseite entsprang die für das Paraganglion 
bestimmte Arterie für sich, direkt aus der Carotis communis. 
Die zum Epithelkörper hinziehende Arterie entsprang etwas weiter 
davon ebenfalls direkt aus der Carotis communis. Nahe 
der Thyreoidea ging von der dem Epithelkörper zugehörigen 
Arterie ein kleinerer Zweig für die erstere ab. 

Bei der Krähe £ (links) gestalteten sich die Verhältnisse 
etwas komplizierter. Von der Carotis communis ging eine grössere 
Arterie ab. Bevor sie aber noch die Carotiswand völlig durch- 
brochen hatte, zweigte von ihr eine kleinere Arterie ab, die 
später direkt in das Paraganglion caroticum zog. Die Fortsetzung 
der ursprünglichen grösseren Arterie teilte sich in einer geringen 
Entfernung von der Carotis communis in zwei Arterien. Die 
eine gelangte in den postbranchialen Körper, die "andere in die 
Thyreoidea. 

Bei der Krähe y wurde auf der rechten Halsseite das 
Paraganglion caroticum von zwei getrennt voneinander 
und direkt aus der Carotis communis entsprin- 
genden Arterien versorgt, während auf der linken Hals- 
seite nur eine einzige, ebenfalls direkt von der Carotis 
communis abgehende Arterie aufzufinden war. 

Nach ihrem Eintritt in das Paraganglion caroticum zerfällt 
die Hauptarterie sofort in viele kleine Teiläste, die zwischen den 
Zellballen verlaufen. Stellenweise dringen diese kleinen Arterien 
auch in das Innere der Zellballen, meist jedoch sind die letzteren 
bloss von Kapillaren nach allen Richtungen hin durchquert. Die 
Kapillaren hüllen die Zellballen aber auch von aussen ein. In der 
Peripherie des Paraganglion caroticum lagen stets die (uer- 
schnitte mehrerer Venen. 

Anschliessend an die Schilderung der Gefässversorgung des 
Paraganglion caroticum muss ich hier folgenden interessanten 
Befund erwähnen. Bei der jungen, dem Neste entnommenen 
Krähe y enthielt die Carotiswand auf beiden Halsseiten 
reichliche Mengen der farblosen chromaffinen Zellen. Meiner 
Beschreibung lege ich die Verhältnisse von der linken Halsseite 
zu Grunde. Die Wand der Carotis communis besass an ihrer, 


694 Wilhelm Kose: 


dem Paraganglion caroticum zugewendeten Aussenseite eine Ein- 
buchtung. Das Paraganglion caroticum war durch einen schmalen 
aber deutlichen Spalt von der Gefässwand getrennt. Der normale 
Aufbau der Carotiswand zeigte in der Umgebung der Vertiefung 
gewisse Veränderungen. Ein Teil der elastischen und binde- 
gewebigen Fasern bog am Rande der Delle in die Adventitia 
um, ein anderer umkreiste in Gestalt dichtgedrängter Bündel 
die Einbuchtung an ihrer dem Lumen der Carotis communis 
zugekehrten Peripherie. Eine gewisse Anzahl von Muskelfasern, 
dann aber auch von den bindegewebigen und elastischen Fasern. 
endigte in der Peripherie der Ausbuchtung, ohne diese zu um- 
kreisen. Letztere durchsetzte die zwei äusseren Drittel der 
Carotiswand. Zahlreiche Gruppen farbloser chromaffiner Zellen 
erfüllten diese Aushöhlung vollständig. Sie standen aber nirgends 
in einem geweblichen Zusammenhange mit dem Paraganglion 
earoticum. Durch ein allmähliches Zusammenrücken der normalen 
3auelemente der Gefässwand schloss sich in den folgenden 
Schnitten die letztere vollständig. Dadurch wurden die in 
ihr befindlichen Zellballen von aussen abgetrennt. Nach und nach 
nahmen die chromaffinen Zellen ab und schliesslich lagen nur 
ganz vereinzelte Zellen zwischen den Muskelfasern. Die Gewebs- 
elemente der Media hatten mittlerweile ihre normale Anordnung 
grösstenteils wiedergewonnen. Nur eine grössere Anzahl von 
Kapillaren durchsetzte an dieser Stelle die Carotiswand. Sie 
bildeten die Ausläufer der innerhalb der Zellballen gelegenen 
Kapillaren. Knapp vor dem Auftreten der ersten Zellballen 
durchzog die für das Paraganglion caroticum bestimmte Haupt- 
arterie die Carotiswand. 

Nach einigen weiteren Schnitten traten neuerdings chrom- 
affıne Zellballen innerhalb der Media der Carotis communis auf. 
Diesmal erfüllten sie die inneren zwei Drittel der Gefässwand. 
Auch hier war durch die gehäuften Zellballen die normale Zu- 
sammensetzung der Carotis communis stellenweise vollkommen 
zerstört. Die Zellballen waren an manchen Punkten bis an die 
Intima vorgeschoben. Die innerhalb der Gefässwand gelegenen 
Paraganglien standen nirgends in einem nachweisbaren Zusammen- 
hange mit sympathischen Nerven. Obwohl es nun nicht Aufgabe 
dieser Arbeit sein kann, auf die komplizierten Bau- und Lage- 
verhältnisse des postbranchialen Körpers näher einzugehen, muss 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 695 


ich dennoch folgenden Befund anführen. Die zahlreichen und 
ganz verstreut liegenden Gruppen des postbranchialen Körpers 
umgaben das Paraganglion caroticum auf allen Seiten. Sie drangen 
auch zwischen dieses und die Carotis communis und gelangten 
so in das Innere der in der Carotiswand befindlichen Aushöhlung. 

Der Inhalt der vorhergehenden Ausführungen lässt sich 
wie folgt. kurz zusammenfassen. In der unmittelbaren Nähe des 
Paraganglion caroticum, mit diesem aber in keinem geweblichen 
Zusammenhange, lagen innerhalb der Carotiswand zahlreiche 
Gruppen der farblosen ehromaffinen Zellen. Sie durchsetzen im 
Verlaufe der Serie die Carotiswand ihrer ganzen Dicke nach und 
zwar an der Abgangsstelle der für das Paraganglion caroticum 
bestimmten Hauptarterie. Die innerhalb der Carotiswand gelegenen 
Zellballen besassen denselben Aufbau wie jene des eigentlichen 
Paraganglion caroticum. Sie standen aber nirgends in einem 
nachweisbaren Zusammenhange mit sympathischen Nerven. 

Das Paraganglion caroticum und alle am Halse gelegenen 
mit peripheren sympathischen Nerven im Zusammenhange stehenden 
Paraganglien bilden durchaus nicht die einzigen Ansammlungen 
dieser farblosen chromaffinen Zellen. Bei allen untersuchten 
Vögeln lagen an verschiedenen Stellen der Vorhöfe mehr 
minder zahlreiche Gruppen der farblosen chromaffinen Zellen, 
die regelmässig mit sympathischen Nerven geweblich ver- 
knüpft waren. Fig. 3, Taf. XXIV, gibt davon ein Bild. Das 
Präparat stammte von der Krähe «. Ein Vergleich der Fig. 3 
mit Fig. 4 derselben Tafel, ergibt ohne weiteres die völlige 
(Gleichheit im Aufbaue beider Organe. Auch in Figur 3 liegen 
fünf Zellballen (zb.'-?) in einem von sympathischen Nerven (sy. n.) 
gebildeten maschigen Grundgewebe. Dieses entsteht durch die 
Auffaserung eines grossen. von rechts herkommenden sympathischen 
Nerven (sy. n.). Das ganze Paraganglion besass an seiner Ober- 
fläche eine dünne, bindegewebige Hülle, die zum grossen Teil 
aus den Fortsetzungen des Epineurium (epnr.) des sympathischen 
Hauptnerven (sy.n.) bestand. Die Zellballen (zb.',?,*) sind mehr 
kugelig, zb.” mehr oval, zb.? ist hier erst angeschnitten. 

Die einzelnen Zellballen sind von genau denselben farblosen 
chromaffinen Zellen wie das Paraganglion caroticum zusammen- 
gesetzt. Man bemerkt auch hier in der Peripherie vieler chromaffiner 
Zellen die scharfen Konturen. Die Vaskularisation der Zellballen 


696 Wilhelm Kose: 


ist in der Figur 3 deutlicher ausgesprochen als in Figur 4. 
Wollte ich von den die Zellballen zusammensetzenden Zellen 
eine Zeichnung bei starker Vergrösserung wiedergeben, so müsste 
ich reine Kopien der Figuren 9—12, 15, Taf. XXV, anfertigen. 
Der feine histologische Aufbau der Zellballen ist hier genau 
derselbe wie jener des Paraganglion caroticum. Das wichtigste 
Ergebnis bezüglich der an den Vorhöfen gelegenen 
Paraganglien ist die gleich innige gewebliche 
Verbindung der farblosen chromaffinen Zellen 
mit dem sympathischen Nervensystem. 

(Gleich gebaute, aber sehr verschieden grosse Paraganglien 
fand ich noch längs des Arcus aortae, des Truneus art. brachio- 
cephal. com. und der Carotis com. bis in die Nähe des Para- 
ganglion caroticum. 

Aber nicht bloss die Nerven, sondern auch das grosse in 
der Nähe des Paraganglion caroticum gelegene sympathische 
Ganglion enthielt häufig zahlreiche solcher Zellballen (zb.). Fig.5, 
Taf. XXIV, ist ein Teil des Ganglion der Krähe «& von der 
linken Halsseite. Mitten im Ganglion liegt ein rundlicher Ballen 
(zb.) der farblosen Zellen. Er besitzt keine bindegewebige Kapsel, 
sondern ist von den Nerven des Ganglion unmittelbar umgeben 
und auch durchzogen. Ein Vergleich mit den Figuren 3 und 4 
zeigt sofort, dass es sich um dieselben Zellen handelt. Man 
beachte auch hier die scharf umrissenen Zellkonturen. Ein 
Studium mit sebr starken Vergrösserungen ergab die völlige 
(Gleichheit dieser Zellen mit jenen der anderen Figuren. Das 
(ranglion enthielt eine grössere Anzahl solcher Zellballen. 

Ich fand die farblosen chromaffinen Zellen weiter einmal 
in Gestalt einer kleinen Gruppe im Ganglion cervicale 
und ferner dreier Gruppen in einem Ganglion des 
Brustgrenzstranges einer jungen Nestdrossel. Alle 
vier Zellballen waren stets Kapillaren angeschlossen. 

In besonders gehäufter Menge traten mir die farblosen 
chromaffinen Zellen im Paraganglion suprarenale eines 
alten Kreuzschnabels entgegen. Das Paraganglion suprarenale 
wurde von zahlreichen sympathischen Nerven und mehreren 
(anglien von aussen umgeben. Das Ganglion und auch die Nerven 
enthielten reichliche Gruppen der farblosen chromaffinen Zellen. 
Diese lagen gerade so wie am Halse sehr häufig in der äussersten 


ae 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 697 


Peripherie des nervösen Gewebes. Verschiedene Nerven zogen 
dann in das Innere des Paraganglion suprarenale und ent- 
hielten auch hier deutliche Anhäufungen der farblosen chromaffinen 
Zellen. Weitere solche Ballen lagen ganz in der bindegewebigen 
Kapsel des Paraganglion suprarenale. Endlich fanden sich die 
zu Gruppen gehäuften farblosen chromaffinen Zellen noch im 
unmittelbaren Anschlusse an die gelben chromaffinen Zellen des 
Paraganglion suprarenale. Sie bildeten mit den letzteren zu- 
sammen ganze Abschnitte der Zellstränge, aber nur in der 
äussersten Peripherie des Paraganglion suprarenale. In 
Fig. 1, Taf. XXIV, ist ein kleinerer Zellballen aus einem grösseren 
im Innern des Paraganglion suprarenale gelegenen Paraganglion 
gezeichnet. Dieses bestand im ganzen aus sechs bis sieben solcher 
(Gruppen. In der Figur 1 sind die einzelnen Kerne in eine 
einheitliche Protoplasmamasse eingelagert: nirgends waren auch 
nur Spuren von Zellgrenzen wahrzunehmen. In manchen anderen 
Zellgruppen dagegen waren die einzelnen farblosen chromaffinen 
Zellen voneinander deutlich abgetrennt;und von bindegewebigen 
Fäserchen genau so wie im Paraganglion caroticum einzeln für 
sich umsponnen. Ich habe aber absichtlich hier zum Vergleiche 
mit Fig. 2, Taf. XXIV, einen Zellballen gewählt, in dem die Zellen 
zu einem Syneytium vereint sind ‚(fixiertes Präparat!). Besser 
als alle Worte lehrt ein Blick auf beide Zeichnungen, dass es 
sich nur um dieselben Zellen handeln kann. Die Form, Grösse 
und Struktur der Kerne, das staubförmig gekörnte Plasma sind 
beiderseits vollkommen gleich. Auch in der Figur 1 habe ich 
unten von der Gruppe vergleichshalber eine Ganglienzelle (gz.) 
aus dem in der Nähe des Paraganglion suprarenale gelegenen 
sympathischen Ganglion einzeichnen lassen. Der Schnitt, von 
welchem die Figur herstammt, war nach Mallory-Stöhr gefärbt 
worden. Die farblosen chromaffinen Zellen besassen auch hier 
dieselbe schwache Affinität zu,Kernfarbstoffen, wie die chrom- 
affınen Zellen des Paranglion caroticum. Darauf werde ich noch im 
Kapitel „Cytologie“* näher zu sprechen kommen. Das am 
meisten charakteristische Moment der farblosen chromaffinen 
Zellen der am Halse gelegenen Paraganglien, ihre innige gewebliche 
Verbindung mit dem sympathischen Nervensystem, war auch hier 
bei dem Kreuzschnabel bei den im Paraganglion suprarenale vor- 


gefundenen farblosen chromaffinen Zellen deutlich ausgesprochen. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 46 


698 Wilhelm Kose: 


Als letzten Fundort der farblosen chromaffinen Zellen führe 
ich ein stärkeres sympathisches Nervchen aus dem am meisten 
kaudalwärts gelegenen Abschnitte des Plexus rectalis einer 
jungen, noch blinden Nestkrähe an. Vergl. Fig. 17, Taf. XXVL 
In dem sympathischen Nerven (sy. n.) liegt knapp vor seinem 
Eintritt in das Ganglion, von welchem nur eine kleine Partie 
(rechter Rand der Figur) miteingezeichnet wurde, eine Gruppe (pg.) 
der farblosen chromaffinen Zellen. Sie ist von Kapillaren (kpl.) 
umgeben. In ihrer Nähe finden sich auch die Querschnitte einer 
Arterie (art.) und zweier Venen (ven.) In der Peripherie der 
Zellgruppe liegen ganz vereinzelte braungelbe chromaffine Zellen. 

Wo immer wir also die farblosen chromaffinen Zellen 
antreffen, stehen sie in der denkbar innigsten Verbindung mit 
dem sympathischen Nervensystem. Das ist doch kein zu- 
fälliges Zusammentreffen, sondern muss der morphologische 
Ausdruck ihrer gegenseitigen und genetischen Zu- 
sammengehörigkeit sein. 

Bevor ich zur eigentlichen Beschreibung der farblosen 
chromaffinen Zellen übergehe, will ich hier nur ganz kurz die 
Verbreitung des postbranchialen Körpers (Verdun) 
erwähnen. Seine genaue Beschreibung muss zum Gegenstand 
einer eigenen Arbeit gemacht werden. Der postbranchiale Körper 
bildet, wie dies bereits Verdun angibt, kein nach aussen scharf 
begrenztes Organ, sondern besteht meist nur aus lose aneinander 
gereihten oder ganz vereinzelten Zellgruppen. Nur bei einem 
alten Würgerweibehen und einer alten Eule bestand der 
postbranchiale Körper aus mehr zusammengedrängten Zellmassen. 
Die losen Gruppen des postbranchialen Körpers umgeben alle 
in ihrer Nähe befindlichen Gewebe und Organe. Auf diese Weise 
können von ihnen das Paraganglion caroticum, die Epithelkörper, 
ferner zahlreiche sympathische Nerven und Paraganglien, schliesslich 
auch stellenweise der Stamm der Carotis communis eingehüllt 
werden. Anfänglich verwirrt dies Bild, besonders wenn der 
postbranchiale Körper mächtig entwickelt ist. Die Kerne der 
Zellen des postbranchialen Körpers sind oft sehr gross und jenen 
der farblosen chromaffinen Zellen ähnlich. Mit der Zeit erwirbt 
man sich aber eine genügende Sicherheit in der Erkenntnis der 
wahren Verhältnisse. In zweifelhaften Fällen entscheidet immer 
über den geweblichen Charakter der einzelnen Gruppen ihre 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 699 


organische Verbindung mit dem sympathischen Nervensystem. 
In 10 « dieken und bloss mit Cochenille gefärbten Schnitten 
wird man tatsächlich öfter unsicher bleiben, weil man, wie ich 
schon einmal erwähnt habe, den Verlauf des endoneuralen Binde- 
gewebes nicht mit Sicherheit verfolgen kann. Als ein weiteres 
differenzierendes Merkmal zwischen den vereinzelten Gruppen 
des postbranchialen Körpers und jenen des Paraganglion caroticum 
dienen die Hohlräume, die innerhalb der ersteren häufig 
auftreten. Diese sind manchmal von einer wie kolloiden Masse 
erfüllt, die sich mit Eosin, Pikrinsäure, Hämatoxylin 
lebhaft färbt. Es ist am besten, anfänglich nur Präparate von 
der rechten Halsseite zu studieren, und dann erst mit ihnen 
solche von der anderen Seite zu vergleichen. Der postbranchiale 
Körper fehlt nämlich bei vielen Vögeln auf der rechten Seite 
entweder vollständig oder ist im Gegensatze zu der 
linken Halsseite, wo er ausnahmslos vorkommt, viel schwächer 
entwickelt. Auf der linken Seite erreicht der postbranchiale 
Körper manchmal eine ganz besonders grosse Ausdehnung. 


B. Cytologie. 


Die farblosen chromaffınen Zellen des Paraganglion 
caroticum und aller anderen peripheren aus denselben Zellen be- 
stehenden Paraganglien stellen sich durch den absoluten und 
gesetzmässigen Mangel jeglicher Gelbfärbung 
bei Fixierung mit den verschiedenen Chromgemischen m 
einen deutlichen Gegensatz zu der (sesamtheit der anderen 
gelben chromaffinen Zellen. Das Plasma sehr vieler 
farbloser chromaffiner Zellen wird wohl in ähnlicher Weise wie 
jenes der gelben chromaffinen Zellen durch die Chromgemische 
besser fixiert als durch alle anderen diesbezüglichen Lösungen 
(Sublimat-Kochsalz, Alkohol, Carnoy ete.), es besteht aber auch 
hier zwischen den farblosen und gelben Zellen ein gewisser Unter- 
schied, insofern als von den ersteren viele, selbst bei Vorbehandlung 
der Präparate mit Müller-Formol auffallend schlecht 
.erhalten werden. Im Gegensatze zu den farblosen Zellen ver- 
danken die gelben chromaffinen Zellen gerade ihrem 
hervorragend guten Erhaltungszustande bei Anwendung von 
Chromgemischen ihren Namen (Kohn). 


Vor allem betrachte man folgende Zeichnungen. In Fig. 4, 
46* 


7090 Wilhelm Kose: 


Taf. XXIV, fallen einem im Innern des Zellballens (zb.’) auch 
bei dieser schwachen Vergrösserung sofort sechs Kerne auf, die 
in scharf umrissenen, rein weissen Höfen liegen. Einer von ihnen 
ist mit (ehrz.) bezeichnet. Es handelt sich, wie wir schon früher 
gesehen haben, um Kerne der farblosen chromaffinen Zellen. 
Die scharfen Konturlinien um letztere herum sind Bindegewebs- 
fasern. Man findet diese vom endoneuralen Bindegewebe um- 
gebenen, wie leeren Zellhöfe auch in allen anderen Zellballen 
derselben und aller anderer Figuren. Sie finden sich aber auch 
innerhalb der verschiedensten sympathischen Nerven (sy. n.). Das 
Plasma dieser farblosen chromaffinen Zellen hat sich bei der 
Fixierung mit Müller-Formol nur in spärlichen Resten erhalten 
und ist daher bei so schwachen Vergrösserungen kaum oder 
gar nicht wahrzunehmen. 

Die bei 1500 facher Vergrösserung aufgenommenen Zeich- 
nungen zeigen diese cytologischen Feinheiten ganz genau. Man 
vergleiche die Fig. 9—12 und 15, Taf. XXV, miteinander. Der 
in Figur 10 gezeichnete Schnitt wurde nach der Methode von 
Mallory-Stöhr gefärbt. Die Bindegewebsfasern und Bündel 
traten sehr schön als tiefblau gefärbte Linien hervor. Das Zell- 
plasma hatte hier nur einen mattbläulichen Ton angenommen und 
bildete in den verschiedenen chromaffinen Zellen wolkig getrübte, 
fein gekörnte Massen. Rechts unten in der Figur erfüllt das 
Plasma der Zelle (chrz.?) nur die kernhaltige Hälfte der binde- 
gewebigen Masche, während ihre andere Hälfte vollständig leer 
bleibt und den Charakter einer Vakuole an sich trägt (vak.) In 
der angrenzenden Zelle (chrz.*) ist das Plasma ebenfalls stark 
geschwunden. Oben rechts in der Zelle (chrz.?) fehlt es fast 
vollständig. Man sieht auch bei allen anderen chromaffinen Zellen, 
dass das Plasma die bindegewebigen Lücken niemals so voll- 
ständig wie bei den gelben chromaffinen Zellen erfüllt. Man 
erkennt so leicht, dass die farblosen chromaffınen Zellen 
ebenfalls keine eigene Membran besitzen. Noch deutlicher ist 
dies an jenen Stellen zu sehen, an denen kein Bindegewebe 
zwischen die epithelartig aneinander gereihten Zellen hineinzieht. 

Das Plasma der farblosen chromaffinen Zellen besitzt 
nur sehr selten die deutliche Granulierung der gelben chromaffinen 
Zellen, meist erscheint es nur als eine wolkig getrübte, aufs 
feinste gekörnte Masse. Vergl. alle Figuren auf Taf. XXV. Der 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 01 


grösseren Mehrzahl der farblosen chromaffinen Zellen fehlt die 
lebhafte Affinität zu den verschiedenen Kern- und Plasmafarb- 
'stoffen, die gerade für die gelben chromaffınen Zellen so 
charakteristisch ist. Nur eine relativ geringe Anzahl von den 
farblosen chromaffinen Zellen färbt sich in analoger Weise wie 
die gelben chromaffinen Zellen intensiv mit Kernfarbstoffen. 
Gegen Plasmafarbstoffe (ausgenommen Pikrinsäure) verhalten 
sich die farblosen chromaffinen Zellen fast völlig 
ablehnend. 

Was nun die Kerne der farblosen chromaffinen Zellen be- 
trifft, so schwankt ihre Grösse in merklichen Grenzen. Ich will 
an dieser Stelle einige von den vielen Maßen angeben, die ich 
an den verschiedensten Stellen sowohl im Paraganglion caroticum, 
als auch den anderen peripheren Paraganglien aufgenommen habe. 


Kern. dı —— 0.006 mm, ds-= 006mm I) © 
ed, 0007 .. da = 0,008 | S 
a2 oo. de — 00080, 
Bd: 20005 0... :de — 0,007 | 6 

u ums de = 0,008 > 

Kern a! dı = 0,004 mm de = 0,004 mm | = 
„.bidı= 0005 „ de — 0,005 , | 2. 
ed, O0. ide = 0,005. 0,2 2a 

Bali 00 de 0,006 | . 
Bed Ole, da. — 0,006, Suleaer 


Die grossen Kerne sind entweder beinahe kugelrund oder 
längsoval, doch findet man auch unregelmässige bis stumpf drei- 
eckige Formen. Vergl. die Fig. 9—12, Taf. XXV miteinander. 
Die Kerne scheinen eine eigene Membran zu besitzen, wie sich 
nach solchen Präparaten urteilen lässt, die mit Hämatoxylin 
(Delafield) gefärbt wurden. Bei Behandlung der Schnitte 
nach der Methode von Mallory-Stöhr erhält man dagegen 
nur undeutliche und verwaschene mattblaue Kernkonturen. Der 
Kerninnenraum ist bei den grossen Kernen häufig mehr minder 
leer (fixiertes Präparat), oder wird von einer staubartigen auf 
das allerfeinste gekörnten oder leicht fädigen Masse hier und da 
erfüllt, die sich überhaupt nur sehr schlecht färbt. Siehe Fig. 10—12, 
Taf. XXV. Manchen Kernen fehlt sie fast ganz. Diese erwecken 
den lebhaften Eindruck grosser rein weisser Blasen. Fig. 10, 


702 Wilhelm Kose: 


chrz.” ® und Fig. 11, chrz.!'”?. Im übrigen findet man in den 
Kernen ein oder zwei grössere Kernkörperchen und mehrere 
kleinere Chromatinbrocken. Die letzteren sind entweder ganz 
unregelmässig verstreut oder manchmal perlschnurartig in der 
Peripherie angeordnet. Die grossen Kernkörperchen liegen durch- 
aus nicht immer zentral, sondern öfters auch exzentrisch. Manchmal 
bestehen sie aus mehreren kleineren, sehr intensiv gefärbten 
Kügelchen, die in einer etwas schwächer tingierten. entweder 
mehr homogenen oder leicht fädigen Grundsubstanz beisammen 
liegen. Vergl. den Kern der chromaffinen Zellen chrz.°,*,°, Fig. 10, 
Taf. XXV. Genau so gebaute Chromatinbrocken besitzen die 
Kerne mancher sympathischen Ganglienzellen. Siehe Fig. 2, 
Taf. XXIV. 

Die kleinen Kerne zeigen genau dieselben Unterschiede in 
der Form wie die grossen Kerne. Ihre Struktur ist ebenfalls 
die gleiche wie bei den grossen Kernen. Manche kleine Kerne 
sind von der schwer färbbaren, aufs feinste gekörnten Substanz 
sanz erfüllt. Bei einer relativ geringen Anzahl von Kernen 
färbt sich aber die letztere intensiv mit Kernfarbstoffen. 
Es ist mir nun nicht gelungen, zwischen der Grösse und Form 
der Kerne und dem jeweiligen Erhaltungszustande des Plasma 
irgend ein gesetzmässiges Verhältnis aufzudecken. 


Ü. Schlussbetrachtungen und Zusammenfassung. 


Angesichts der Differenzen, die in mehrfacher Beziehung 
zwischen den gelben chromaffinen Zellen und jenen des 
Paraganglion caroticum bestehen, muss ich nun die Gründe 
besprechen, die mich bestimmen, die farblosen Zellen des Para- 
ganglion caroticum den gelben chromaffinen Zellen als gleich- 
wertigan die Seite zu stellen. Am auffälligsten ist der totale und 
gesetzmässige Mangel jeglicher Gelbfärbung bei den Zellen 
des Paraganglion caroticum. Wie wir nun aus der Erfahrung 
wissen, findet man auch in den aus gelben chromaffinen 
Zellen zusammengesetzten Paraganglien vereinzelte Zellen, ‘die 
keine Spur einer gelben Farbe besitzen, infolge ihres sonstigen 
Aussehens aber als sichere chromaffine Zellen aufzufassen sind. 
Diese bei der Fixation mit Chromgemischen vollständig farblos 
bleibenden chromaffinen Zellen setzten, wie wir bereits gesehen 
haben, bei dem einjährigen Hahne einen grossen Teil des Para- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 703 


gan glion suprarenale für sich allein zusammen, oder waren 
mit den gelben chromaffinen Zellen aufs innigste vermengt. Wie 
ich zu zeigen versucht habe, handelteessichhiernicht um 
die eigentlichen farblosen chromaffinen Zellen. 
Der Mangel jeglicher Gelbfärbung so vieler 
Zellen bildete, meiner Meinung nach, in diesem 
Falle nur den morphologischen Ausdruck einer 
ganz bestimmten Phase in der physiologischen 
Tätigkeit der gewöhnlichen gelben chromaffinen 
Zellen. 

Bei dieser Gelegenheit mache ich hier auf die bekannte 
Tatsache aufmerksam, dass die Zahl der deutlich gelb gefärbten 
Zellen auch im Paraganglion intercaroticum der Säuger 
eine wechselnde, oft nur geringe ist. 

Wir sehen also, Zdass die gelbe Chromfärbung des Zell- 
plasma durchaus nicht etwas absolut Charakteristisches für an- 
erkannt typische chromaffine Zellen ist. Wir müssen uns nur 
immer die Bedeutung des Wortes „chromaffin“ vor Augen 
halten. Nach Kohn, der diesen Namen eingeführt hat, soll mit 
ihm nicht so sehr die Gelbfärbung bestimmter Zellen durch 
Chromverbindungen zum Ausdrucke gebracht werden, als viel- 
mehr der Umstand, dass die Zellen durch Chrom- 
gemische besser als durch alle anderen Fixierungs- 
flüssigkeiten erhalten werden. 

Der Mangel einer Gelbfärbung bei den Zellen des Para- 
ganglion caroticum würde demnach kein zwingender Grund sein, 
sie von den chromaffinen Zellen zu trennen. 

Der schlechte Erhaltungszustand vieler Zellen des Para- 
ganglion caroticum bei der Fixierung mit Müller 9: Formol 1 
fällt hier schwerer in die Wage. Wenn die Zellen im Sinne 
Kohns „chromaffin“ sind, warum werden dann so viele von 
ihnen durch Chromverbindungen schlecht erhalten? Sehen wir 
von diesen schlecht fixierten Zellen vorläufig ganz ab, so gibt 
es eine genügende Anzahl von Zellen, bei denen die Chrom- 
affınität deutlich zum Ausdrucke kommt. Der Unterschied zwischen 
den gelben chromaffinen Zellen und jenen des Paraganglion 
caroticum besteht nur darin, dass erstere durch die Chromver- 
bindungen ausnahmslos gut erhalten werden, während von 
den Zellen des Paraganglion caroticum bloss ein Teil diese 


704 Wilhelm Kose: 


Eigenschaft in einer solchen Ausbildung besitzt. Bei manchen 
Vögeln (Taube, Drossel) wurden dagegen fast alle Zellen 
des Paraganglion caroticum durch die Mischung Müllersche 
Flüssigkeit 9 : Formol 1 tadellos fixiert. Nach den 
Ergebnissen der verschiedenen Fixierungen können wir nur so 
viel schliessen. dass das Plasma der Zellen des Paraganglion 
caroticum einen viel labileren Aufbau besitzen muss als jenes 
der gelben chromaffinen Zellen. 

Die Zellen des Paraganglion caroticum unterscheiden sich 
aber noch in einem dritten Punkte von den gelben chrom- 
affınen Zellen. Wir vermissen bei vielen von den ersteren die 
lebhafte Affinität zu den Kernfarbstoffen, die in so hohem Maße 
den gelben chromaffinen Zellen zukommt. Nur verhältnismässig 
wenige Zellen des Paraganglion caroticum färben sich mit Kern- 
farbstoffen intensiv, die grössere Mehrzahl aber nimmt die Farb- 
stoffe nur schwach oder fast gar nicht auf. Die besten Resultate 
erzielte ich mit dem Hämatoxylin (Delafield) und mit der 
Eisenalaun-Hämatoxylinmethode von Heidenhain. Mit Plasma- 
farbstoften tingieren sich die Zellen des Paraganglion caroticum, 
Pikrinsäure ausgenommen, fast gar nicht. 

Es ist nicht zu leugnen, dass diese Differenzen in der 
Färbbarkeit, die zwischen den Zellen des Paraganglion caroticum 
und den gelben chromaffınen Zellen bestehen, im ersten Moment 
auffallen. Betrachten wir aber die verschiedenen Ansammlungen 
der gelben chromaffinen Zellen, speziell das Paraganglion 
suprarenale etwas genauer, so bemerken wir, dass die ein- 
zelnen Zellen in sehr verschiedener Stärke die Kern- und auch 
die Plasmafarbstoffe annehmen. Es gibt unter den gelben 
chromaffinen Zellen eine genügende Anzahl, welche die 
betreffenden Farbstoffe gar nicht aufnehmen und rein gelb 
bleiben. Zwischen diesen und den maximal gefärbten Zellen 
gibt es eine ununterbrochene Reihe von Übergängen und 
Abstufungen in der Färbung der einzelnen chromaffinen Zellen. 
Wir ersehen daraus, dass auch typische gelbe chrom- 
affine Zellen sich mit den Kern- und Plasmafarbstoffen gar 
nicht zu färben brauchen. Im Vergleiche zu der Summe der 
lebhaft gefärbten chromaffınen Zellen bilden diese ungefärbt 
gebliebenen Zellen die weitaus kleinere Minderzahl. 

Im Paraganglion caroticum ist das Verhältnis zwischen den 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 705 


gut und schlecht oder gar nicht gefärbten Zellen gerade umge- 
kehrt. Das Vermögen einer lebhaften Tinktion geht den meisten 
Zellen ab und tritt nur bei relativ wenig Zellen deutlich hervor. 
Die im verstärkten Maße ausgebildete Abneigung der Zellen 
des Paraganglion caroticum gegen Kern- und Plasmafarbstoffe ist 
daher auch kein stichhaltiger Grund für ihre Lostrennung von 
den chromaffinen Zellen, weil anerkannt typische gelbe chromaffıne 
Zellen dieselbe Eigenschaft besitzen können. 

Die bisher angeführten Differenzen zwischen den gelben 
ehromaffinen Zellen und den farblosen Zellen des Paraganglion 
earoticum sind also zu unwesentlich, um gegen die Zu- 
gehörigkeit der letzteren zu der Gesamtheit der chromaf- 
finen Zellen verwertet werden zu können. Ein genaues ver- 
gleichendes Studium lehrt vielmehr, dass auch die Zellen des 
Paraganglion caroticum alle jene Eigenschaften, wenn auch in 
abgeschwächtem Grade besitzen, die für die gelben chromaffinen 
Zellen charakteristisch sind. Ich würde mich aber trotzdem 
niemals trauen, bloss auf Grund der bisher mitge- 
teilten Tatsachen die Gleichheit resp. Stamm- 
verwandtschaft der gelben mit den farblosen Zellen zu 
behaupten. Es ist ein ganz anderes, und wie ich glaube aus- 
schlaggebendes Moment, das mich zu dieser Annahme drängt. 
Die Zellen des Paraganglion caroticum und aller anderen ihm 
gleichenden peripheren Paraganglien besitzen nämlich eine noch 
viel gesetzmässigere gewebliche Verbindung mit 
dem sympathischen Nervensystem als die gelben 
chromaffinen Zellen, von welchen im vollentwickelten 
Organismus stets eine grössere Menge vom Sympathicus voll- 
ständig abgetrennt ist. 

Zur besseren Übersicht will ich zum Schlusse dieses Kapitels 
das Wichtigste noch einmal kurz zusammenfassen. Wie wir im 
vorhergehenden gesehen haben, bestehen das Paraganglion 
earoticum und alle anderen ihm gleichgebauten Paraganglien aus 
einem reichen ausschliesslich von sympathischen Nerven gebildeten 
Grundgewebe, in welches die farblosen chromaffinen Zellen ein- 
gelagert sind. Die Vermengung dieser mit den Nervenfasern 
und auch Ganglienzellen ist überall eine so weitgehende, dass an 
der genetischen Zugehörigkeit der farblosen Zellen zum 
Sympathieus nicht gut gezweifelt werden kann. Die farblosen 


106 Wilhelm Kose: 


Zellen des Paraganglion caroticum und aller anderen aus denselben 
Zellen bestehenden Paraganglien müssen daher zu der Gesamt- 
heit der chromaffinen Zellen gezählt werden. Es 
besteht betrefis der Verteilung zwischen den gelben und 
farblosen chromaffinen Zellen, wie es scheint, ein merkwürdiger, 
gesetzmässiger Gegensatz. Überall dort, wo die farblosen chrom- 
affınen Zellen gehäuft auftreten, z.B. am Halse und den Vor- 
höfen, findet man nur äusserst selten gelbe chromaffine Zellen 
(1. Hahn, Hals; 1 Drossel; Hals; 1 Eules Noch 
Innerhalb der Grenzstränge und peripheren sympathischen Nerven 
im Abdomen, wo die gelben chromaffinen Zellen die verschieden- 
sten Paraganglien zusammensetzen, trifft man wieder nur aus- 
nahmsweise die farblosen chromaffınen Zellen an. (1 Drossel, 
1 Krähe). Das gehäufte Vorkommen der farblosen chrom- 
affınen Zellen im Paraganglion suprarenale eines alten 
Kreuzschnabels steht einzig für sich als eine Ausnahme 
da. Die gelben und die farblosen chromaffinen 
Zellen vertreten einander in den verschiedenen 
Abschnitten des sympathischen Nervensystems. 

Wie ich im vorhergehenden nachzuweisen versucht habe, 
müssen die farblosen Zellen des Paraganglion caroticum, trotz 
mancherlei Eigentümlichkeiten, den gelben chromaffinen Zellen 
als nächstverwandt an die Seite gestellt werden. Für die farb- 
losen Zellen scheint mir nach allem die Bezeichnung chromatftfin 
in mehrfacher Beziehung nicht charakteristisch genug. Beiden 
Zellarten dagegen gemeinsam ist ihre weitgehende gewebliche 
Verbindung mit dem Sympathieus,. die bei den farblosen Zellen 
noch weit mehr als bei den gelben chromaffinen Zellen auf ihre 
genetische Zugehörigkeit zu ersterem hinweist. Für die 
farblosen chromaffinen Zellen würde wohl der von Kohn selbst 
für die gelben chromaffinen Zellen vorgeschlagene Terminus 
„parasympathische Zellen“ am besten passen. Da aber 
seit den Untersuchungen Kohns sich mit der von ihm ein- 
geführten Bezeichnung chromaffin ganz bestimmte Vor- 
stellungsreihen verbinden und ein neuer Namen leicht zu irrigen 
Anschauungen Veranlassung geben könnte, so behalte ich trotz 
der geäusserten Bedenken die Bezeichnung „chromaffin“ bei. 
Die farblosen chromaffinen Zellen fasse ich in- 
folge ihres besonderen Verhaltens als eine eigene 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 707 


Abart der chromaffinen Zellen auf und stelle sie 
den gelben chromaffinen Zellenan die Seite. 


II. Das Paraganglion caroticum der Hühner. 


Der histologische Aufbau und die Lagebeziehung des Para- 
ganglion caroticum zu dem in seiner Nähe befindlichen Epithel- 
körper und der Carotis communis zeigen bei den Hühnern 
im Gegensatze zu den anderen Vögeln mancherlei typische Ver- 
schiedenheiten, so dass eine gesonderte Besprechung der be- 
treffenden Verhältnisse gerechtfertigt erscheint. 

Das Paraganglion caroticum lag bei der Henne % ın 
ähnlicher Weise wie bei der Krähe y nicht wie es sonst die 
Regel ist. dem kranialen, sondern dem kaudalen Epithelkörper 
näher. 

In erster Linie ist es nun die Anordnung des oft reich- 
lichst mit elastischen Fasern vermengten, fibrillären Binde- 
gewebes, die dem Gesamtbilde so viel Charakteristisches, zugleich 
aber auch häufig Fremdartiges aufprägt, dass es auf den 
ersten Blick schwer fallen kann, das Paraganglion caroticum des 
Huhnes dem der anderen Vögel gleichzusetzen. Es wird daher 
am besten sein. wenn ich die Beschreibung einer fortlaufenden 
Serie gebe und in erster Linie das Bindegewebe dabei ins Auge 
fasse. Zur leichteren Orientierung über die bei den einzelnen 
Hühnern erhobenen Befunde diene die folgende ganz kurze 
tabellarische Zusammenstellung. 

Das Paraganglion caroticum wurde beiderseits bei 
zwei alten Hennen « und £ und bei einem einjährigen 
Hahne, ferner einerseits bei einer dritten alten Henne y 
untersucht. 

1. Das Paraganglion caroticum lag nur in der Nähe der 
Carotis communis, von ihr durch einen deutlichen Zwischenraum 
getrennt. Seine Verbindung mit der Carotis besorgte einzig und 
allein die von letzterer abzweigende und zum Paraganglion 
earoticum hinziehende Arterie. Diese histologischen Verhältnisse 
fanden sich: 


a) Henne « — rechts und links 
b) Henne % — bloss rechts 
c) Henne y — Halsseite unbekannt 


d) Hahn —reechtsiundslinks: 


708 Wilhelm Kose: 


2. Die bindegewebigen und elastischen Fasern der Kapsel 
des Paraganglion caroticum verflochten sich direkt mit jenen der 
Adventitia der Carotis communis. Das Paraganglion caroticum 
kam hierdurch unmittelbar an die Wand der Carotis zu liegen 
und verschmolz streckenweise mit letzterer. 

Henne $# — bloss links. 

3. Das Kapselbindegewebe des Paraganglion caroticum 
setzte sich in ununterbrochenen Zügen in einen mehr minder 
deutlichen Hilus im Epithelkörper fort. 

a) Henne «@ — links und besonders schön rechts. 

b) Hahn — links war der im Epithelkörper befind- 

liche Hilus viel tiefer als rechts. 

4. Fehlte der Hilus im Epithelkörper, so kam es zu keiner 
Fortsatzbildung der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion 
caroticum. 

a) Henne $# — links und rechts. 
b) Henne y — Halsseite unbekannt. 

5. Verschieden grosse aus den farblosen chromaffinen Zellen 
zusammengesetzte Paraganglien wurden in den zum Paraganglion 
caroticum hinziehenden Nerven nachgewiesen. 

a) Henne « — rechts und links (reichlich). 

b) Henne # — rechts zahlreiche Paraganglien, die in 
ihrem Innern Ganglienzellen enthielten: links 
nur ganz vereinzelte Paraganglien, neben welchen 
wenige Ganglienzellen lagen. 

ec) Henne y — reichlich. 

d) Hahn — besonders reichlich rechts, sonst aber 
auch links. 

Ich wende mich nun der eigentlichen Beschreibung des 
Paraganglion caroticum zu. Dieses wurde stets an seiner ganzen 
Oberfläche von einer dicken bindegewebigen Kapsel eingehüllt. 
Letztere besitzt bei den Hühnern eine so mächtige Ausbildung 
wie bei keinem anderen der untersuchten Vögel. Die Dicke 
der Kapsel schwankte jedoch bei den einzelnen Hühnern in 
gewissen Grenzen; selbst aber in jenen Fällen, in denen die 
letztere relativ am schmächtigsten entwickelt war, war sie dennoch 
stets dicker als bei irgend einem der anderen Vögel. Die binde- 
gewebige Kapsel zeigt durchaus nicht immer in der ganzen 
Peripherie des Paraganglion caroticum die gleiche Stärke. Sie 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 709 


verdickt sich vielmehr häufig streckenweise (Fig. 6, Taf. XXIV, 
rechte Seite X), so dass das zellige Parenchym, dessen Konturen 
hier durch die gestrichelte Linie angegeben sind, auf einem 
Querschnitte innerhalb der bindegewebigen Kapsel exzentrisch 
gelagert ist. Es kann dadurch der Dickendurchmesser der 
Kapsel genau so gross werden wie jener des eigentlichen Para- 
ganglion caroticum (vergl. dieselbe Stelle), An der unteren 
Fläche des letzteren (XxX) ist die Kapsel wieder auffallend dünn. 
Es kommt aber auch vor, dass die Kapsel überall gleich dick ist. 

In der Fig. 6 ist das zellige Parenchym nicht mit ein- 
gezeichnet worden, um nicht das Charakteristische der Anordnung 
des Bindegewebes zu verwischen. Die Ausdehnung des erst in 
den folgenden Schnitten auftretenden eigentlichen Paraganglion 
caroticum ist, wie schon erwähnt, durch die gestrichelte Linie 
angegeben. Das laraganglion caroticum setzte sich hier aus 
zwei ungleich grossen Hälften zusammen, einer grösseren unteren 
und einer kleineren dieser oben anliegenden. 

Die ungleiche Kapseldicke hat nun zur Folge, dass zu 
Beginn der Serie bloss die Kapsel in mehreren Schnitten an- 
getroffen wird. Das histologische Bild dieses nur aus Binde- 
gewebe bestehenden, rundlich-ovalen Körpers, der mit dem 
Epithelkörper in einer typischen Art verbunden sein kann (vergl. 
die Fig. 6), hat im ersten Moment etwas Fremdartiges. Zur 
Illustrierung dieses Eindruckes diene die Fig. 6, Taf. XXIV. Links 
befindet sich der Epithelkörper (ep. kp.) der nur in einem gleich- 
mässig grauen Ton gehalten wurde. An seiner rechten Seite 
ziehen in eine hilusartige Vertiefung (hil.) mächtige Züge fibrillären 
Bindegewebes. Diese nehmen ihren Ursprung aus einem rechts 
neben dem Epithelkörper liegenden, rundlich-ovalen und eben- 
falls aus fibrillärem Bindegewebe zusammengesetzten Körper (bdg.). 
Von den letzterem beigemischten elastischen Fasern wird später 
die Rede sein. Das in den Hilus (hil.) eindringende Bindegewebe 
(bdg.) verflicht sich nun mit den Bündeln und Fasern der binde- 
gewebigen Kapsel des Epithelkörpers (kps.). Letztere gelangen 
ebenfalls in den Hilus und überziehen seine Wände (kps.), während 
das von dem aussen liegenden bindegewebigen Körper (bdg.) 
abstammende Fasergewebe (bdg.) eine mehr achsiale Lage be- 
wahrt. Innerhalb des in der Nähe des Epithelkörpers gelegenen, 
aus Bindegewebe zusammengesetzten Körpers verlaufen die Faser- 


10 Wilhelm Kose: 


züge in verschiedener Richtung. Die periphersten umkreisen ihn 
meist in konzentrischen Zügen. Von diesen zweigen nach innen 
zu gröbere und feinere Bündel ab, die entweder im Längsschnitte 
(bdg.) oder Querschnitte (qu.) getroffen sind. Letztere erscheinen 
als vereinzelte oder gehäufte, grössere oder kleinere Punkte (qu.). 
Solche Querschnitte trifft man sowohl im Zentrum als auch in 
der Peripherie des bindegewebigen Körpers an. 

Das gesamte Bindegewebe des letzteren setzt sich aus sehr 
verschieden starken Fasern und Faserbündeln zusammen. Ein 
stellenweiser Zerfall mancher anfänglich ganz homogener Fasern 
in feinere und feinste Fäserchen zeigt, dass es sich bei ersteren 
eigentlich um dünnste Faserbündel gehandelt hat. Die stärkeren 
Fasern und Faserbündel bilden hauptsächlich die periphersten 
Lagen, während die schwächeren das Innere des Körpers erfüllen. 
Es finden sich aber auch sehr starke Bündel an der letzteren 
Stelle, d. h. im Zentrum des bindegewebigen Körpers. Die Durch- 
flechtung des Bindegewebes ist im Innern des Körpers eine viel 
lockerere als in der Peripherie. Dadurch entstehen zwischen den 
einzelnen Faserbündeln unregelmässige Lücken. In diesen treten 
dann in den folgenden Schnitten die ersten chromaffinen Zellen 
auf. Der ganze mit dem Epithelkörper verbundene Körper, der 
sich fast ausschliesslich nur aus fibrillärem Bindegewebe zu- 
sammensetzt, stellt nichts anderes als einen Querschnitt durch 
die Kapsel des Paraganglion caroticum dar, und 
zwar an einer Stelle, an welcher erstere besonders dick ist und 
es noch nicht zur Entwicklung des eigentlichen chromaffinen 
(rewebes gekommen ist. 

Ich will an dieser Stelle das Verhalten des Bindegewebes 
des Paraganglion caroticum den diversen Farbstoffen gegenüber 
nur kurz erwähnen ünd die Schwierigkeiten, die sich seiner 
sicheren Darstellung entgegenstellen, betonen. Im übrigen ver- 
weise ich auf das analoge Verhalten des fibrillären Binde- 
gsewebes im Paraganglion suprarenale. Alles was ich 
dort ausführlich besprochen habe, passt mit geringen Modifikationen 
auch für das Paraganglion caroticum. Wie bei allen anderen 
von mir untersuchten Vögeln besitzt auch bei den 
Hühnern das Bindegewebe des Paraganglion caroticum nur eine 
auffallend geringe Affinität zu dem Säurefuchsin der bekanntesten 
spezifischen Farbgemische. Angewendet wurden die eingangs 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 211 


erwähnten Methoden. Die feinen bindegewebigen Fasern 
nehmen dabei nur einen mattrosa Ton an oder bleiben voll- 
ständig farblos. Neben solchen liegen aber wieder Fasern 
und Faserbündel, die sich intensiv rot färben. In den 
Fällen, wo eine Färbung mit dem Säurefuchsin negative 
oder schlechte Resultate gibt, gelingt die Darstellung der feinen 
Fäserchen manchmal noch nach der Methode von Mallory-Stöhr 
oder Freeborn. Die innerhalb der gestrichelten Linie gelegenen 
zentralen Fasern waren für gewöhnlich auch am schwersten färb- 
bar. Trotzdem handelt es sich hier aber bestimmt um fibrilläres 
Bindegewebe. Diese zentralen Fasern bilden die unmittel- 
bare Fortsetzung des in der Peripherie gelegenen Bindegewebes. 
Über dessen geweblichen Charakter kann aber, ganz abgesehen 
davon, dass es sich grösstenteils sicher und leicht 
Pechen liess, "schon infolge: 'derrein morpho- 
logischen Betrachtung kein Zweifel herrschen. 
Um ganz sicher zu gehen, wurden nun Kontrollfärbungen 
mit Weigerts Resorzin-Fuchsin und dem Unnaschen Orcein 
für elastische Fasern gemacht. Alle mit dem Säurefuchsin 
ungefärbt gebliebenen deutlichen Fasern färbten 
sich auch bei diesen zwei Methoden gar nicht. Es 
unterliegt also nach dem negativen Ausfalle dieser Gegen- 
versuche keinem Zweifel mehr, dass es sich bei den fraglichen 
Fasern um fibrilläres Bindegewebe handeln muss. 
Die Methoden von Weigert und Unna sind absolut ver- 
lässlich, weil sie überall und immer mit aller nur wünschenswerten 
Klarheit selbst die allerdünnsten elastischen Fäserchen färbten. 

Im Verlaufe der Serie traten zwischen den im Zentrum 
der bindegewebigen Scheibe gelegenen Fibrillenbündeln die ersten 
farblosen chromaffinen Zellen auf. Entweder lagen sie ganz ver- 
einzelt, oder aber sie erfüllten in Gestalt kleinerer und grösserer 
Gruppen die bindegewebigen Lücken. Man konnte dann die 
zwischen den Zellgruppen befindlichen Bindegewebsbündel, selbst 
wenn sie nur schwach gefärbt waren, noch deutlich erkennen. 
Hand in Hand mit der stetig zunehmenden Häufung der chrom- 
affınen Zellen wurde die bindegewebige Abgrenzung der einzelnen 
Zellballen immer undeutlicher und nur relativ selten gelang der 
sichere Nachweis der Verbreitung der feinen und allerfeinsten 


Fäserchen. 


7L2 Wilhelm Kose: 


Wie wir bei der Krähe gesehen haben, ist eines der 
charakteristischen Kennzeichen des Paraganglion caroticum seine 
organische Verbindung mit dem sympathischen Nervensystem. 
Ähnliche Bauverhältnisse treffen wir bei der Wasseramsel 
und noch bei manchem Vogel an. Ich werde im nächsten Ab- 
schnitte genauer darauf zu sprechen kommen. Während also 
bei manchen Vögeln das Stroma des Paraganglion caroticum, 
in welchem die farblosen chromaffinen Zellen liegen, aus- 
schliesslich nur von sympathischen Nervenfasern 
gebildet wird, ist dies bei den untersuchten Hühnern ganz anders. 
An Stelle des sympathischen Nervensystems 
tritt: hierldas-.fibrilläre, mit elastischen Bags 
vermengte Bindegewebe. Dieses bildet der Hauptsache nach 
das Grundgewebe, welches die chromaffinen Zellgruppen um- 
schliesst. Das Gefüge des Paraganglion caroticum ist nun, je 
nachdem die einzelnen Zellgruppen von schwachen oder starken 
bindegewebigen Scheidewänden umgeben werden, ein mehr ein- 
heitliches oder aber ein aufgelockertes. Einzelne Abschnitte des 
Paraganglion caroticum bestehen auf diese Weise nur aus lose 
aneinander gereihten, öfters vollkommen selbständigen Zellgruppen. 
Stets aber vereint eine gemeinschaftliche bindegewebige 
Kapsel alle, wenn auch verstreut angeordneten Zellgruppen zu 
einem einzigen Organ — dem Paraganglion caroticum. 

Auf den ersten Blick kann dies Bild befremden, bei genauem 
/usehen kann man aber auch bei den Hühnern den Zu- 
sammenhang des Paraganglion caroticum mit dem sympathischen 
Nervensystem nachweisen. Überäll durchbrechen kleinere und 
erössere Nervenstämmchen die dicke Kapsel des Paraganglion 
caroticum, um in sein Inneres zu gelangen. Auffallend war bei 
dem Hahne der Reichtum der sympathischen Nerven an feinen 
markhaltigen Fäserchen. 

Das Paraganglion caroticum besass bei den einzelnen 
Hühnern einen merklich verschiedenen Gehalt an Nervenfasern. 
Die meisten fand ich bei dem Hahne. In der Nähe des Para- 
ganglion caroticum enthielten seine vom grossen sympathischen 
Halsganglion herkommenden Nerven kleine und grössere Gruppen 
farbloser chromaffiner Zellen, die gerade so wie jene 
des Paraganglion caroticum mit Vorliebe kugelrund waren. Im 
Gegensatze zu den anderen Hühnern lag in einem am Para- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 713 


sanglion vorbeiziehenden starken sympathischen Nerven eine 
grosse, runde Gruppe leuchtend gelber chromaffiner Zellen; 
auch in mehreren kleineren sympathischen Nerven fanden sich 
schöne gelbe chromaffıne Zellen. Dieser Befund ist umso 
bemerkenswerter, als gelbe chromaffine Zellen in den peripheren 
Halsnerven nur noch einmal bei einer jungen Drossel vor- 
kamen. Ihre Stelle wird hier von den farblosen chromaffinen 
Zellen eingenommen. 

Es finden sich nun verstreute Ganglienzellen sowohl inner- 
halb der sympathischen Nerven als auch der Gruppen chromaffiner 
Zellen. Öfters liegen sie den letzteren nur von aussen an. 
Einzelne verstreute Ganglienzellen liegen ferner an verschiedenen 
Stellen innerhalb der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion 
earoticum. 

Die Nerven verteilen sich im Innern des Paraganglion 
caroticum nach allen Richtungen zwischen den einzelnen Zell- 
gruppen und dringen gerade so wie bei der Krähe in das 
Innere vieler von ihnen ein. Hier lösen sie sich in der gleichen 
Weise auf und das endoneurale Bindegewebe bildet das 
Maschenwerk, in dessen Lücken die einzelnen chromaffinen Zellen 
liegen. Soweit besteht also eine völlige Übereinstimmung im 
Aufbau der chromaffinen Zellgruppen zwischen den Krähen 
und Hühnern. Bei den letzteren gibt es nun eine Anzahl 
von Gruppen, die in keinem nachweisbaren Zusammenhange mit 
sympathischen Nervenstämmchen stehen. Inr Stroma wird dann 
von den Fortsetzungen des an ihrer Peripherie angehäuften 
Bindegewebes gebildet. In anderen Gruppen wieder 
ist das Stützgerüste ein zusammengesetztes, insofern als 
sich hier das endoneurale Bindegewebe mit den Ausläufern 
des übrigen Bindegewebes zu einem gemeinschaftlichen 
Netze verflicht. In diesem doppelten Ursprunge des binde- 
gewebigen Gitterwerkes vieler Zellballen des Paraganglion 
caroticum kann ich keine prinzipielle Strukturverschiedenheit 
zwischen dem Paraganglion caroticum der Hühner und jenem 
der Krähen erblicken. Wie wir gesehen haben, setzt sich das 
Stützgerüst in einem anerkannt typischen Paraganglion — dem 
Paraganglion suprarenale — stets auf diese zwei- 
fache Weise zusammen. Hier tritt das endoneurale Binde- 


gewebe dem übrigen gegenüber vollständig in den Hintergrund. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 47 


714 Wilhelm Kose: 


In manchen Zellballen der Hühner sind gerade so wie bei den 
Krähen die farblosen chromaffinen Zellen gruppenweise 
angeordnet, wobei sie öfters ebenfalls syneytial verschmolzen 
sein können. 

Bedingt also auch bei den Hühnern die Verteilung des 
fibrillären Bindegewebes eine gewisse Veränderung im Aufbau 
des Paraganglion caroticum, so bestehen doch nirgends so durch- 
greifende, morphologische Unterschiede, die dem Paraganglion 
caroticum der Hühner eine Sonderstellung einräumen würden. 

Soviel betreffs der Verteilung des Bindegewebes und der 
Nerven. Ersterem sind bei den einzelnen Hühnern in sehr ver- 
schiedener Menge elastische Fasern beigemengt. Diese finden 
sich nicht bloss in der Kapsel, sondern auch im Innern des 
Paraganglion caroticum. Die verschiedenen elastischen Fasern 
sind von einer sehr ungleichen Stärke. Die feinsten von ihnen 
stehen oft an der Grenze der Wahrnehmbarkeit. Bei der Henne £ 
bildeten die elastischen Fasern wie bei keinem anderen Huhne 
mehr ausnehmend dicke Bündel und Balken in der Kapsel 
und im Innern des Paraganglion caroticum. Stellen- 
weise verdrängten sie das fibrilläre Bindegewebe 
mehr minder vollständig. Die elastischen Fasern um- 
geben für gewöhnlich die Gruppen chromaffiner Zellen nur von 
aussen, doch dringen sie in ähnlicher Weise wie das fibrilläre 
Bindegewebe auch in ihr Inneres ein und endigen dann zwischen 
den einzelnen chromaffinen Zellen. Beim Hahne war die binde- 
gewebige Kapsel des Paraganglion caroticum nur von wenigen 
und dünnen elastischen Fasern durchwebt. Zum Teil zogen 
welche ins Innere des Paraganglion und durchkreuzten es nach 
allen Richtungen, wobei sie sich niemals zu grösseren Bündeln 
vereinten. Beim Huhne y besass die Kapsel wieder viel mehr 
elastische Fasern als beim Hahne, im Vergleiche zur Henne £ 
dagegen war sie arm an solchen zu nennen. Im Innern des 
Paraganglion caroticum (Henne y) verliefen nur ganz vereinzelte 
elastische Fasern ohne jede erkennbare systematische Anordnung. 
Auch das fibrilläre Bindegewebe besass nur eine relativ schwache 
Ausbildung. Diesem Umstande war es mit zu danken, dass in 
diesem Falle das Paraganglion caroticum ein mehr einheitliches 
(sefüge besass. Bei der Henne « war das reich entwickelte Binde- 
gewebe der Kapsel nur von spärlichen elastischen Fasern durchzogen. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 715 
8 


Vorläufig kann ich de Schwankungen des Gehaltes an 
elastischen Fasern im Paraganglion caroticum der verschiedenen 
Hühner nur auf uns unbekannte, individuelle Ursachen 
zurückführen. 

Überall dort. wo ein Hilus im Epithelkörper ausgebildet war, 
setzten sich sowohl die bindegewebigen als auch die elastischen 
Fasern der Kapsel des Paraganglion caroticum in jenen hinein 
kontinuierlich fort. Bei der Henne « war der Hilus besonders 
auf der rechten Seite auffallend tief, aber auch auf der linken 
Halsseite sehr deutlich entwickelt. Beim Hahne war der Hilus 
rechts auffallend seicht, links erreichte er wohl eine grössere 
Tiefe, blieb aber dennoch weniger ausgebildet als bei der 
Henne «. Bei den übrigen Hühnern fehlte eine eigentliche 
Hilusbildung im Epithelkörper. Höchstens machte sich an der 
Stelle. an welcher sonst der Hilus gelegen zu sein pflegt, eine 
leichte Einziehung der Oberfläche des Epithelkörpers bemerkbar. 
In diesen Fällen entsendet die bindegewebige Kapsel des Para- 
ganglion caroticum keinen Fortsatz zum Epithelkörper; trotz- 
dem reicht die erstere dabei stellenweise bis an diesen heran. 

Die gewebliche Verknüpfung des Paraganglion caroticum 
mit der Wand der Carotis communis kann eben so wie jene mit 
dem Epithelkörper eine mehr minder weitgehende sein. Für 
gewöhnlich lag das Paraganglion caroticum nur in der Nähe der 
Carotis communis, mit dieser nur durch die zuführende Arterie 
zusammenhängend. Bei der Henne 3 kam es aber auf der 
rechten Halsseite zu einer innigen Verschmelzung der 
Carotiswand mit der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion 
caroticum. Diese Vereinigung bestand jedoch nur in wenigen 
Schnitten. Die bindegewebigen und elastischen Fasern der Kapsel 
zogen ohne Unterbrechung zwischen jene der Adventitia der 
Carotis und durchflochten sich mit dieser aufs innigste. Das 
Paraganglion caroticum bildete hier tatsächlich, allerdings nur 
auf eine ganz kurze Strecke, eine Wandverdickung der 
Carotis communis. In den folgenden Schnitten löste sich das 
Paraganglion caroticum wieder vollständig von der Carotis com- 
munis ab. — Ihr gegenseitiger Zusammenhang wurde dann wie 
bei den anderen Hühnern nur durch die zuführende Arterie 
besorgt. Diese besass manchmal bald nach ihrem Ursprunge aus 


der Carotis communis und noch vor ihrem Eintritte in das 
47% 


716 Wilhelm Kose: 


Paraganglion caroticum eine Verdiekung ihrer Adventitia, die in 
verschiedener Menge einzelne oder zu Gruppen gehäufte farblose 
chromaffine Zellen enthielt. 

In bezug des Ursprunges der für das Paraganglion caroticum 
bestimmten Hauptarterie herrschten bei den einzelnen Hühnern 
kleine Differenzen, die ich nun näher besprechen will. Bei der 
Henne « waren die Verhältnisse rechts und links gleich. Von 
der Carotis communis ging ein stärkeres Arterienstämmchen ab. 
Dieses teilte sich alsbald in eine für den postbranchialen Körper 
bestimmte und eine andere Arterie, die gegen das Paraganglion 
caroticum zog. Vor ihrem Eintritt in das letztere teilte sich 
diese Arterie in einen fürs Paraganglion caroticum bestimmten 
Ast und in einen weiteren Zweig, welcher, die äussersten Schichten 
der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion caroticum tangential 
durchsetzend, direkt in den Epithelkörper zog. Bei der Henne 8 
war die Gefässverteilung folgende. Linke Halsseite: Von 
der Carotis communis ging eine grössere Arterie ab, von welcher 
gleich nach ihrem Ursprunge zwei kleine Arterien in einer 
kurzen Entfernung voneinander abzweigten. Beide zogen gleich- 
zeitig in das Paraganglion caroticum, während die direkte 
Verlängerung der ursprünglichen Arterie sich zum Epithelkörper 
begab. Rechte Halsseite: Von der für den Epithelkörper 
bestimmten Arterie ging nur eine einzige Arterie ab, sonst 
herrschten hier dieselben Verhältnisse wie links. Interessant war 
nur der Befund, dass nicht bloss die für das Paraganglion caro- 
ticum, sondern auch jene für den Epithelkörper bestimmte Arterie 
eine von farblosen chromaffinen Zellen durchsetzte Verdickung 
ihrer Adventitia besass.. Beim Hahne war die Gefässverteilung 
links und rechts dieselbe. Beidemal zweigte von der Uarotis 
communis eine stärkere Arterie ab, die bald in zwei Äste zerfiel. 
Einer von ihnen zog direkt in den postbranchialen Körper, der 
andere wendete sich dem Paraganglion caroticum zu. In seiner 
Nähe spaltete er sich seinerseits in zwei kleinere Arterien, von 
denen eine in das Paraganglion caroticum einbog, die andere 
dagegen an diesem vorüber zum Epithelkörper gelangte. Bei der 
Henne y konnte die Gefässverteilung nicht mit Sicherheit er- 
mittelt werden, weil einige Serienschnitte in Verlust geraten 
waren. Doch schienen hier dieselben Verhältnisse wie bei der 
Henne £ vorzuliegen. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 71T 


Ein Vergleich der bei den Hühnern erhobenen Befunde lehrt 
nun folgendes: Das allen Hühnern Gemeinsame besteht darin, 
dass die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie nie- 
mals direkt von der Carotis communis entsprang. Überall 
dort, wo ein postbranchialer Körper entwickelt war, ging die für 
den Epithelkörper bestimmte Arterie nicht unmittelbar von der 
Carotis communis ab, sondern entstand erst durch die Teilung 
einer gemeinsamen Arterie, von welcher der andere Zweig zum 
postbranchialen Körper abbog. Bei der Henne % dagegen nahm 
die für den Epithelkörper bestimmte Arterie ihren Ursprung 
direkt aus der Carotis communis. 


Schon innerhalb der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion 
caroticum löste sich die Hauptarterie in mehrere Äste auf. Im 
Innern des Paraganglion caroticum zerfielen diese alsbald in 
Kapillaren, welche die Zellballen nicht bloss an ihrer Aussenseite 
umgaben, sondern auch nach allen Richtungen durchzogen. Inner- 
halb der Kapsel und in der Peripherie des Paraganglion earoticum 
lagen stets mehrere deutliche Venendurchschnitte. 


Zum Schlusse gehe ich zur näheren Beschreibung des eigent- 
lichen zelligen Parenchyms des Paraganglion caroticum über. 
Ich kann mich hier ganz kurz fassen, indem ich diesbezüglich 
auf den Abschnitt „Uytologie“ (Seite 699—702) bei den 
Krähen verweise. Sehen wir von dem ganz eigentümlichen Ver- 
halten des fibrillären Bindegewebes ganz ab, so besteht das 
Paraganglion caroticum der Hühner in derselben Weise wie 
bei den anderen Vögeln aus den farblosen chromaffinen 
Zellen. Diese waren entweder zu verschieden grossen Gruppen 
vereint oder lagen ganz vereinzelt im Bindegewebe. Sämtliche 
Gruppen chromaffiner Zellen wurden aber stets von einer ge- 
meinsamen Kapsel zu einem (Gesamtorgan zusammengefasst. 


Um einen vergleichenden Überblick über die Grösse des 
Paraganglion caroticum der einzelnen Vögel zu gewinnen, wurden 
stets mit dem Okularmikrometer seine zwei grössten in der Bild- 
fläche gelegenen Durchmesser gemessen. Den dritten auf beiden 
senkrecht stehenden Durchmesser erhielt ich durch Zählung der 
einzelnen Serienschnitte. 


Henne «: 1. rechts. Fixation in 100 cem 3°/o Kalium- 
bichromat + 6 cem Eisessig durch 3 Tage. 


715 Wilhelm Kose: 


Mit Kapsel: wdr=!0,67 mm 


de — 0,48 

ds = 0,4 
Ohne Kapsel: dı = 0,4 

de,=3+0:31 

dA NIE 


2. Links. Fixation in 100 ecem Zenkerscher Lösung 
+ 7 cem Eisessig durch 3 Tage. 
MitKapsel: mdr=10,6y,.mm 


dsr.0;52 
ds==- 0MARE 
Ohm e Kaps el:,.di=.0,32.:, 
da; 0,22; „4; 
ds=02 ,„ 


Henne 2: 1.rechts. Fixation in konzentrierter Sublimat- 
Kochsalzlösung durch 24 Stunden. 
Mit:Kapsel: zdı =.0.b,.mm 
&=04 „ 
das 0:2 E 

2. Links. Fixation in Müllerscher Flüssigkeit 9: 
Formol 1 durch 4 Tage. 

Mit Kapsel: dı = 0,61 mm 
da — 0,41, ;, 
Re 

Hahn: rechts. Fixation n Müller 9: Formol 1 durch 
9 Tage. 

Mit Kapsel: dı =0,8 mm 
de.==3037. u; 
ds 0:6, ı. 

Diese Maße mögen zum Beweise dafür dienen, dass die 
(rössenschwankungen des Paraganglion caroticum sich bei den 
einzelnen Hühnern in engen Grenzen halten. : 

Das Plasma der einzelnen chromaffinen Zellen zeigt gerade 
so wie bei den Krähen und den meisten anderen Vögeln nach 
Fixierung in Müller 9: Formol 1. oder 3°/o Kaliumbichromat 
9: Formol 1 einen verschieden guten Erhaltungszustand. Ich 
fand oft neben tadellos fixierten Zellen solche, deren Plasma fast 
oder gänzlich geschwunden war. Die Resultate, welche man bei 
der Färbung mit den diversen Kern- und Plasmafarbstoffen bekam, 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 719 


stimmten völlig mit jenen bei den anderen Vögeln überein. Es 
bestand zwischen den Krähen und Hühnern nur insofern 
ein kleiner Unterschied, als sich bei den letzteren das Plasma 
mancher Zellen mit Kernfarbstoffen merklich intensiver 
färbte, während die Kerne viel heller blieben. 

Die Kerne gleichen in bezug auf Form, Grösse und Struktur 
den Kernen der anderen Vögel. Sie sind entweder rund, oval 
oder länglich, manchmal an einem Ende etwas aufgetrieben. Sie 
enthalten ein oder zwei grössere Kernkörperchen und mehrere 
kleinere Chromatinbrocken. Die Durchmesser einiger Kerne seien 
hier noch angeführt: 

Kern a dı = 0,006 mm de = 0,006 mm 
bed 0,003, da 009. 
Fed. 0.000: „. de O0 
derdı 30.005, do NO 
ed. —U00R de» — 0,005 
0008 „da: 0.006, % 

Ein zusammenfassender Überblick über die gesamten Be- 
funde lehrt nun folgendes: Das Paraganglion caroticum der 
Hühner stellt sich wohl infolge der ganz besonders reichen 
Entwicklung seines bindegewebigen und elastischen Stützgerüstes 
in einen gewissen Gegensatz zu dem Paraganglion caroticum 
aller anderen untersuchten Vögel. Ein vergleichendes Studium 
der eigentlichen Parenchymzellen lehrt aber, dass sie denjenigen 
der übrigen Paraganglia carotica vollkommen gleich sind. Ihr 
inniger Zusammenhang mit dem sympathischen Nervensystem 
ist auch bei den Hühnern deutlich ausgesprochen, er wird nur 
durch das reichlichst vorhandene Stützgewebe stellenweise ver- 
dunkelt, teils aber in gewissem Sinne abgeändert. Ich stehe 
Waher nicht an, das bei den Hühnmern vorge- 
tundene. Organ ebenfalls als ein Paracanglion 
caroticum aufzufassen und es dem der anderen 
Vögel als gleichwertig an die Seite zu stellen. 


III. Das Paraganglion earoticum der Wasseramsel. 


Die Lagebeziehung des Paraganglion caroticum zu dem ihm 
zunächst befindlichen Epithelkörper kann bei den einzeinen Arten eine 
verschiedene sein. Wir haben die betreffenden Verhältnisse bei 
den Krähen und Hühnern kennen gelernt. Bei den Krähen 


720 Wilhelm Kose: 


und in ähnlicher Weise bei einer Taube, einem Käuzchen, 
einer alten Eule und manchem Huhne war das Paraganglion 
caroticum vom Epithelkörper entweder eine Strecke weit entfernt 
oder lag in seiner unmittelbaren Nähe. Die Oberfläche des Epithel- 
körpers war an keiner Stelle in Gestalt eines Hilus eingebuchtet. 
Bei anderen Hühnern wieder setzte sich ein deutlicher Fort- 
satz der bindegewebigen Kapsel des Paraganglion caroticum in 
einen im Epithelkörper befindlichen Hilus fort. Das eigent- 
liche zellige Parenchym des Paraganglion caroticum blieb 
dabei stets ausserhalb des Epithelkörpers. Nur ein einziges- 
mal fand ich wenige farblose chromaffine Zellen zwischen den 
bindegewebigen Faserbündeln, die in den Hilus eindrangen. 

Es gibt nun eine ganze Anzahl von Vögeln (Wasser- 
amsel, Fink, Drossel, Gimpel, Zeisig, Kreuz- 
schnabel), bei welchen das Paraganglion caroticum entweder 
vollständig oder doch wenigstens zum grossen Teil in 
das Innere des Epithelkörpers versenkt ist. Die gegen- 
seitige Verbindung beider Organe wird dadurch 
die denkbar innigste. 

Meiner nun folgenden Beschreibung lege ich die Serie durch 
das Paraganglion caroticum von der rechten Halsseite der 
Wasseramsel zu Grunde. Das meiste meiner Ausführungen 
kann auch auf die anderen hierher gehörigen Vögel angewendet 
werden, da sich bei allen im wesentlichen dieselben Verhältnisse 
vorfanden. Auf verschiedene kleinere Differenzen werde ich 
später an geeigneter Stelle zu sprechen kommen. Ganz zum 
Schlusse werde ich in einer kurzen tabellarischen Zusammen- 
stellung die bei den einzelnen Vögeln erhobenen Befunde an- 
einanderreihen. 

Bei der Wasseramsel fanden sich nur zwei Epithelkörper 
(rechts), die auf entgegengesetzten Seiten der Carotis communis 
lagen. Den kaudalen trennte der Stamm der Vena jugularis von 
der Carotis communis, der kraniale dagegen war der letzteren 
viel mehr genähert und von ihr durch zahlreiche sympathische 
Nerven getrennt, die in das Paraganglion caroticum zogen. Die 
Nerven nahmen ihren Ursprung aus dem grossen in der Nähe 
des kaudalen Epithelkörpers gelegenen sympathischen Ganglion 
und zogen im Bogen um den letzteren herum. Dort wo sie den 
kaudalen Epithelkörper fast berührten, besass dieser einen 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 721 


schmalen aber ziemlich tiefen Hilus. Dieser war hauptsächlich nur von 
Bindegewebe und der Hauptarterie des Epithelkörpers erfüllt. 
Die sympathischen Nervchen bildeten vor dem Hilus ein ganz 
lockeres (Geflecht, von welchem aus spärliche Fasern in den Hilus 
einbogen. Farblose chromaffine Zellen waren nirgends im letzteren 
aufzufinden. Dafür lag ein kleines aus farblosen chromaffinen 
Zellen zusammengesetztes Paraganglion ausserhalb des Epithel- 
körpers in der Nähe des Einganges zu seinem Hilus. Es wurde 
allseitig von den sympathischen Nerven umgeben und durchzogen. 
Von der für den Epithelkörper bestimmten Arterie zweigten vor 
ihrem Eintritte in den Hilus mehrere kleinere Arterien ab, die 
sich mit den vor dem Hilus liegenden Nerven durchflochten. 
Eine von diesen Teilarterien durchzog das Paraganglion in der 
Richtung seines grössten Durchmessers. Nachdem dieses schon 
geschwunden war, lagen dann noch vereinzelte farblose chrom- 
affıne Zellen in der Adventitia dieser Arterie. 

Ehe das eigentliche kranialwärts gelegene Paraganglion 
caroticum erschien, besass die Adventitia der Carotis communis 
an der Stelle, an welcher später die für das Paraganglion caroticum 
bestimmte Arterie abging. eine lokale bindegewebige Verdickung. 
Diese Arterie durchsetzte die letztere und teilte sich gleich nach 
ihrem Ursprunge in mehrere Äste, die sich miteinander geflecht- 
artig verbanden. Das ganze Gefässkonvolut lag der Carotis 
communis von aussen an. Die Wand der letzteren hatte mittler- 
weile ihre normale Stärke wieder erreicht. An seiner der Carotis 
abgewendeten Peripherie wurde das Arteriengeflecht von den zum 
Paraganglion caroticum gehörigen Nerven kranzartig umfasst. 
Diese enthielten feine markhaltige Fäserchen. Später drangen 
die Nerven überall zwischen die Arterien. Dabei enthielten sie 
anfänglich nur wenige, dann aber immer mehr gehäufte farblose 
chromaffine Zellen und vereinzelte oder zu Gruppen angeordnete 
Ganglienzellen. Der inzwischen aufgetretene kraniale Epithel- 
körper hüllte in Gestalt eines sichelförmig gekrümmten Körpers 
das aus Nerven, chromaffinen Zellen und Arterien zusammenge- 
setzte Organ ein. Fig. 7, Taf. XXV, illustriert diese Verhältnisse. 
Die Aushöhlung an der rechten Seite des Epithelkörpers (ep. kp.) 
wird der Hauptsache nach von einem aus marklosen und auch 
markhaltigen Nerven zusammengesetzten Plexus erfüllt. Ein be- 
sonders starkes sympathisches Nervenstämmchen (sy. n.) zieht direkt 


122 Wilhelm Kose: 


in den Hilus hinein. Hier verlaufen die einzelnen Nerven oder 
auch nur Nervenfaserbündel in den verschiedensten Richtungen. 
In der Figur sind fünf grössere und drei kleinere Querschnitte 
feiner Nerven zu sehen. Einer von ihnen, rechts oben in der 
Zeichnung, ist mit (n. qu.) bezeichnet, die anderen sind ohne 
weiteres leicht herauszufinden. Die Lücken des nervösen Flecht- 
werkes werden nun in genau derselben Weise wie bei den 
Krähen von zahlreichen aus farblosen chromaffinen Zellen zu- 
sammengesetzten Gruppen (zb.!**) ausgefüllt. Hier sind erst 
vier von ihnen zu sehen. Später werden die Nervenfasern durch 
die stetige Zunahme des chromaffinen Gewebes immer mehr ver- 
drängt. Die Zellgruppen liegen dann dicht nebeneinander. Dabei 
können sie entweder ihre kugelrunde Gestalt behalten oder aber 
es finden sich grössere mehr unregeimässige Zellkomplexe, bei 
denen ihre Zusammensetzung aus einigen Untergruppen 
mehr minder deutlich ist. Es kann sich aber in diesen Fällen 
ebensogut um einen unvollständigen Zerfall einer 
ursprünglich einheitlichen Anlage in einzelne Untergruppen 
handeln. Die einzelnenZellballen werden von den 
Nervenfasern unmittelbar umspöonnen. Zwischen 
den Zellballen verlaufen in den verschiedensten Richtungen zahl- 
reiche Arterien und Kapillaren. Fünf Querschnitte von kleinen 
Arterien sind miteingezeichnet worden. Vier liegen am oberen 
Rande des Paraganglion caroticum, der fünfte (art.) rechts unten 
am Eingang in den Hilus. | 

Die Gesamtheit aller innerhalb des Epithel- 
körpers eingeschlossenen Nerven, chromaffinen 
Zellen, Arterien und Kapillaren stellt eben nichts 
anderes als das eigentliche Paraganglion caroti- 
cum dar. An seiner dem FEpithelkörper zugekehrten Ober- 
tläche wurde es von einer sehr dünnen bindegewebigen Hülle 
(bdg.) umgeben, die sich gerade so wie bei den Krähen der 
Hauptsache nach aus den Fortsetzungen des Epineurium der 
verschiedenen sympathischen Nerven aufbaute. Spärliche binde- 
gewebige Fasern, die teils von der Kapsel, teils aber von den 
Septen des Epithelkörpers herrührten, verstärkten diese 
Umhüllung. Das Paraganglion caroticum bildete aber durchaus 
nicht in allen Schnitten einen so wohl abgegrenäten Körper wie 
in der Fig. 7. Einzelne seiner Zellballen ragten vielmehr stellen- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 123 


weise stark aus seiner Peripherie heraus und drangen oft ziemlich 
tief zwischen die Zellstränge des Epithelkörpers vor. Ganz be- 
sonders war dies bei einem alten Finken ausgeprägt. (Siehe 
diesbezüglich S. 744.) 

Der grosse in den Hilus hineinziehende Nerv (sy.n.) enthielt 
mehrere Gruppen farbloser chromaffiner Zellen. Eine besonders 
grosse (zb.’) lag ganz in seiner Achse. Nach oben von ihr be- 
merkt man noch einen kleinen runden Zellballen (zb.), der dem 
Nerven nur von aussen anliegt. In Fig. 8, Taf. XXV, ist die 
rechte Hälfte des Zellballens (zb.’) und der Ballen (zb.%) ver- 
grössert gezeichnet. Der grosse Nerv zerteilt sich in der 
Peripherie des Paraganglion (zb.’) und umgreift dieses auf allen 
Seiten. Ein grosser Teil seiner Fasern dringt aber in das 
Innere des Zellballens zwischen die chromaffınen Zellen ein. 

Nirgends scheidet eine bindegewebige Hülle 
das Paraganglion vom eigentlichen Nervenge- 
webe. Der kleine Zellballen (zb°) dagegen ist durch eine kern- 
haltige bindegewebige Hülle von dem grossen Nerven getrennt. 
Ein Vergleich der Fig. 8 mit Fig. 3—5, Taf. XXIV, zeigt, dass 
es sich sowohl bei der Krähe als auch hier bei der Wasser- 
amsel um dieselben farblosen chromaffinen Zellen handelt. In 
der Fig. 8, Taf. XXV fallen einem sofort die von der Krähe 
her so gut bekannten scharfen Begrenzungslinien vieler chrom- 
affıner Zellen auf; auch bei der Wasseramsel sind viele der 
von den Linien begrenzten Zellhöfe leer oder nur mit einer sich 
fast nicht färbenden Substanz in spärlichen Resten erfüllt. Die 
Zellkerne haben das genaue Aussehen, wie jene des Paraganglion 
caroticum der Krähe. 

Nach all dem Gesagten kann es keinem Zweifel unterliegen, 
dass es sich bei dem vom Fpithelkörper umschlossenen Organ 
um ein typisches Paraganglion caroticum handelt. Auffallend 
bleibt nur im Gegensatze zu den anderen Vögeln seine Lage 
innerhalb des Epithelkörpers. Die Verbindung beider Organe 
wird dadurch bei der Wasseramsel und allen übrigen hierher 
gehörigen Vögeln (Gimpel, Zeisig, Drossel, Kreuz- 
schnabel etc.) eine organische. Zu Beginn und Schluss 
der Serie, wenn der Eingang zum Hilus des Epithelkörpers noch 
nicht angeschnitten ist, umschliesst der letztere das Paraganglion 
caroticum in Form eines Ringes. Dies Bild erklärt sich dadurch, 


124 - Wilhelm Kose: 


dass das Paraganglion caroticum im Innern des Epithel- 
körpers eine grössere Ausdehnung besitzt, als der Durch- 
messer des Einganges in den Hilus beträgt. Unwillkür- 
lich muss man beim Anblicke des ringsum vom Epithelkörper 
umschlossenen Paraganglion caroticum an das Paraganglion 
suprarenale der Säugetiere denken, das in ähnlicher Weise 
von der Nebenniere (Rinde) umgeben wird. Ich glaube an dieser 
Stelle am passendsten zwei schematische Zeichnungen einfügen 
zu können, die Kohn auf S. 3 seiner Arbeit „Über die Neben- 
niere“ (4) zur Illustrierung der Verbindung des Paraganglion 
suprarenale mit der Nebenniere gibt. 

Diese beiden Figuren könnten ebensogut auch von dem 
Paraganglion caroticum der Vögel herstammen. Vergleichen wir 


R 


Fig. 1 Fig. 2 


mit Fig. 2 die von der Wasseramsel herrührende Fig. 7, 
Taf. XXV, so ergibt sich betrefis der Ineinanderschachtelung 
von Paraganglion und Epithelkörper ohne weiteres eine völlige 
(Gleichheit. Auch beim Vogel sitzt der Epithelkörper „pilzhut- 
förmig‘“ dem Paraganglion caroticum auf, das sich nach aussen 
stielförmig fortsetzen kann. Denken wir uns nun beim Vogel 
den Epithelkörper längs der von mir gezeichneten punktierten 
Linie (Fig. 2) durchschnitten, dann bekommen wir das genaue 
Bild von Fig. 1. In der Mitte des ringförmigen Epithelkörpers 
liegt gewissermassen als „zentrale Marksubstanz“ das 
Paraganglion caroticum. 

Sehen wir nun zu, ob sich der Vergleich zwischen dem 
Paraganglion caroticum der Vögel und dem Para- 
ganglion suprarenale der Säugetiere genauer durch- 
führen lässt. Das Paraganglion caroticum der Vögel 
besteht in ähnlicher Weise wie das Paraganglion suprarenale der 
Säugetiere aus einer mehr minder scharf umgrenzten Anhäufung 
von chromaffinen Zellen, die sich vom Epithelkörper ebenso 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 125 


deutlich abhebt, wie das Paraganglion suprarenale von 
der Nebenniere (Rinde). Bei den Vögeln und Säuge- 
tieren bildet die Trennungslinie zwischen dem chromaffinen 
und epithelialen Gewebe nicht immer eine regelmässige länglich- 
ovale Figur, sondern besitzt an mehreren Stellen verschiedene 
Knickungen. Dies kommt daher, weil sich aus der Hauptmasse 
des Paraganglion caroticum und suprarenale Ballen und Stränge 
chromaffiner Zellen ungleich weit in den Epithelkörper und die 
Nebenniere vorschieben. Wie wir durch die Untersuchungen 
über das Paraganglion suprarenale der Säuger wissen, können 
seine chromaffinen Zellen an mehreren Stellen die ganze 
Nebenniere (Rinde) durchsetzen und sich an der Aussenseite der 
letzteren mit den daselbst befindlichen Anhäufungen von chrom- 
affınen Zellen sog. „Marksubstanz“ verbinden. 

Im Gegensatze dazu findet man bei allen jenen Vögeln, 
bei denen das Paraganglion caroticum im Innern des Epithel- 
körpers liegt, ausnahmslos nur eine einzige Lücke an 
der einen Seite im Epithelkörper, durch welche das Paraganglion 
caroticum teilweise frei herausragt und dadurch mit den ausser- 
halb des Epithelkörpers befindlichen Anhäufungen chromaffinen 
Gewebes in Verbindung stehen kann. Es schieben sich, wie 
schon früher erwähnt, die chromaffinen Zellen des Paraganglion 
caroticum wohl auch an anderen Stellen seiner Peripherie manch- 
mal etwas tiefer in den Epithelkörper vor (Fink), niemals 
aber erreichen sie dabei seine äussere Oberfläche, sondern sind 
von ihr durch eine deutliche Lage von epithelialen Zellsträngen 
geschieden. 

Das Paraganglion caroticum ist nicht bei allen Vögeln gleich 
tief in den Epithelkörper versenkt. Diesbezüglich bestehen ganz 
unberechenbare individuelle Schwankungen. So kommt es, 
dass das Paraganglion caroticum einmal fast ganz im Epithel- 
körper steckt, das anderemal aber nur mit einem kleineren oder 
grösseren Abschnitte. Auch die Weite der Lücke, durch 
welche das Paraganglion caroticum nach aussen ragt, kann grösser 
oder kleiner sein. Besitzt also die Lage des Paraganglion 
caroticum der Vögel innerhalb des Epithelkörpers in mancher 
Beziehung viel Ähnliches mit jener des Paraganglion suprarenale 
der Säugetiere innerhalb der Nebenniere (Rinde), so besteht 
doch zwischen beiden der Unterschied, dass bei den Vögeln der 


726 Wilhelm Kose: 


einseitige und breite Austritt des chromaffinen Gewebes aus 
dem Epithelkörper die ausnahmslose Regel bildet, während 
das Paraganglion suprarenale der Säugetiere von der Nebenniere 
viel fester eingehüllt wird. Diese morphologischen Differenzen 
sind aber meines Erachtens nur graduelle und keine essen- 
tiellen und können infolgedessen gegen die oben angeführte 
Analogie der Lage des Paraganglion caroticum vieler Vögel 
und des Paraganglion suprarenale der Säugetiere nicht ver- 
wertet werden. 

Der Vergleich zwischen diesen beiden Paraganglien lässt 
sich aber infolge weiterer wichtiger histologischer Befunde noch 
vervollständigen. Dieorganische Verschmelzung des Paragang- 
lion caroticum mit dem Epithelkörper kommt, ganz abgesehen 
von ihrer Ineinanderlagerung, dadurch zum Ausdrucke, dass das 
arterielle und venöse Gefässsystem beider teilweise ein ge- 
meinschaftliches ist. Bei den Säugetieren erfolgt wie bekannt 
schon innerhalb der bindegewebigen Kapsel an der Aussenseite 
der Nebenniere (Rinde) eine Teilung der zuführenden Arterien. 
Innerhalb der Nebenniere selbst verlaufen nur Kapillaren, die sich 
direkt in das Paraganglion suprarenale (Mark) begeben und dort 
schliesslich in Venen übergehen. Die Vena suprarenalis leitet 
dann als einzige Sammelvene das Blut aus dem Paraganglion 
suprarenale ab. Die Gefässversorgung bei den genannten Vögeln 
(simpel, Zeisig, Wasseramsel, Drossel, Kreuz- 
schnabel, Fink) ist ebenfalls eine gemeinschaftliche. 
Meiner nun folgenden Beschreibung lege ich die Serie durch das 
Paraganglion caroticum eines alten Zeisigs von der 
linken Halsseite zugrunde. 

Der kraniale Epithelkörper lag in der Nähe der Uarotis 
communis. Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie 
entsprang direkt aus letzterer. Während ihres gegen den Epithel- 
körper gerichteten Verlaufes teilte sich die Arterie wiederholt. 
Die einzelnen kleineren Arterien waren, ehe sie noch den Epithel- 
körper erreichten, von Gruppen farbloser chromaffiner Zellen teil- 
weise oder ganz umhüllt. Das Paraganglion caroticum entstand 
durch eine fortgesetzte Häufung der chromaffinen Zellen in der 
Richtung gegen den Epithelkörper. Die chromaffinen Zellgruppen 
standen überall in der bekannten Weise mit sympathischen Nerven 
in direkter geweblicher Verknüpfung. Gleichzeitig zerfielen die 


| 
[0 
—I 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 


im Innern des Paraganglion caroticum befindlichen Arterien in 
immer kleinere Teiläste und schliesslich in Kapillaren, die das 
Paraganglion caroticum nach allen Richtungen durchzogen. Dieses 
wurde später genau so wie bei der Wasseramsel ganz vom 
Epithelkörper umschlossen. Die Kapillaren des letzteren 
gingen direkt aus den Arterien des Paraganglion 
caroticum hervor. Bei manchem Vogel (Gimpel, Kreuz- 
schnabel, Wasseramsel) bildete die für das Paraganglion 
caroticum bestimmte Arterie im Hilus des Epithelkörpers noch 
vor Auftritt der ehromaffinen Zellballen ein Maschenwerk. Inner- 
halb seiner Lücken lagen dann später die chromaffinen Zellen. 
Ein Teil dieses arteriellen Flechtwerkes kam dabei anfänglich 
ganz an die Innenseite des Epithelkörpers zu liegen. 

Die Arterien zerfielen nun entweder an der Innenseite des 
Epithelkörpers in Kapillaren und diese erst zogen in das Innere 
des letzteren (Wasseramsel, Gimpel, ein zweiter Zeisig), oder 
aber es drangen nebenbei kleinere Arterien direkt in den Epithel- 
körper und zerfielen erst innerhalb dieses in Kapillaren (1 Gimpel, 
1Kreuzschnabel). Letztere umspinnen innerhalb des Epithelkörpers 
die einzelnen Zellstränge in Form länglicher Maschen. Im Gegen- 
satze dazu bilden sie im Paraganglion caroticum ein ganz unregel- 
mässiges Flechtwerk. In der ganzen Peripherie des Para- 
ganglion caroticum hängen seine Kapillaren mit jenen 
des Epithelkörpers zusammen. 

Wie verhält es sich nun mit der Abfuhr des venösen Blutes. 
Dieses verlässt den Epithelkörper teils durch verschiedene 
Venen, die von seiner äusseren Oberfläche entspringen, 
teils durch solche, die aus dem Hilus herausziehen. Diese 
letzteren leiten zugleich auch das Blut aus dem Para- 
ganglion caroticum ab. Sie bilden nämlich die Sammel-. 
venen zahlreicher die ganze Peripherie des Paraganglion caroticum 
umspinnender Venen. Diese liegen somit eigentlich an der 
Grenze zwischen dem Paraganglion caroticum und dem Epithel- 
körper. Sie sind zwischen beide Organe so eingeschaltet, dass 
sie auf der einen Seite vom Paraganglion caroticum, auf der 
anderen vom Fpithelkörper unmittelbar umgeben werden. Die 
Venenwand bestand nur aus einem einfachen Endothel nnd wenigen 
bindegewebigen, mit elastischen Fäserchen vermengten Fasern. 
Man kann ebensogut sagen, dass diese Venen dem Paraganglion 


28 Wilhelm Kose: 


caroticum wie dem Epithelkörper angehören. Sie nehmen nun 
aus beiden Organen die Kapillaren und auch kleinere Venen 
in gleicher Weise auf. Sie vereinten sich dann zu zwei grösseren 
Sammelvenen, die aus dem Hilus des Epithelkörpers heraustraten. 
Möglicherweise wird man nach Ausführung von Injektionspräpa- 
raten noch mehrere solcher Venen entdecken. Ich konnte nur 
zwei grosse Venen am Hilusrande auffinden. Ich muss es un- 
entschieden lassen, ob das Paraganglion caroticum ebenso wie der 
Epithelkörper seine eigenen ableitenden Venen besitzt, oder ob 
alle seine Venen sich mit jenen des Epithelkörpers zu den zwei 
grossen Sammelvenen verbinden. Ich möchte es aber für wahr- 
scheinlich halten, dass auch das Paraganglion caroticum zum 
Teil sein eigenes venöses System hat. 

Ein zusammenfassender Überblick über die Gefässverteilung 
im Paraganglion caroticum und Epithelkörper ergibt für alle 
Vögel, bei welchen diese Organe in der eben ge- 
schilderten Art ineinander geschoben sind, im wesent- 
lichen die gleichen Verhältnisse. Es besteht überall ein inniger 
Zusammenhang zwischen dem arteriellen und venösen Gefäss- 
system des Paraganglion caroticum und des Epithelkörpers. 
Letzterer besitzt aber zum Teil ein deutliches, vom Paraganglion 
caroticum vollständig getrenntes Venensystem. 

Das wichtigste Vergleichsmoment. welches der Homologie 
der Paraganglia carotica aller Vögel zugrunde liegt, bleibt ihre 
organische Verbindung mit dem sympathischen Nerven- 
system. Diese war auch bei allen hierher zu rechnenden 
Vögeln (Gimpel, Zeisig, Fink, Wasseramsel, Drossel, 
Kreuzschnabel) im Wesen die gleiche wie bei der Krähe, nur 
kam dies nicht immer so deutlich wie bei der letzteren zum 
Ausdrucke. Es umgab nämlich manchmal gehäuftes, mit elastischen 
Fasern vermengtes fibrilläres Bindegewebe manche von den Zell- 
gruppen des Paraganglion caroticum. Auf diese Weise wurden 
ähnliche Struktureigentümlichkeiten in der gröberen Zusammen- 
setzung des Paraganglion caroticum geschaffen, wie ich dies ge- 
nauer beim Huhn beschrieben habe. Ich verweise daher hier 
auf dieses Kapitel. Das Paraganglion caroticum eines alten 
Kreuzschnabels besass einen ganz besonders grossen Reich- 
tum an bindegewebigen und elastischen Fasern. Hier war das ge- 
samte Paraganglion caroticum an seiner Oberfläche von ihnen 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 729 


umhüllt. Die bindegewebigen und elastischen Fasern scheiden 
aber dabei keineswegs den Epithelkörper von dem Paraganglion 
caroticum. Sie verflechten sich vielmehr mit den Fasern des 
Stützgerüstes des Epithelkörpers aufs innigste. Das Binde- 
gewebe des Paraganglion caroticum -hängt mit 
jenem des Epithelkörpersin derselben Weise zu- 
sammen, wie das Stützgerüst des Paraganglion 
suprarenale mit dem der Nebenniere. 

Zum Schlusse möchte ich nochmals kurz zusammenfassend 
auf die Ähnlichkeit hinweisen, die betreffs der Lage zwischen 
dem Paraganglion caroticum der Vögel und dem 
Paraganglion suprarenale der Säugetiere besteht. 
Beide Paraganglien stehen mit Epithelkörpern, denn auch die 
Nebenniere (Rinde) ist, wie Kohn zeigte, eine Drüse vom Bau 
eines Epithelkörpers, in einem ähnlichen, innigen Zusammen- 
hange. Beidem Paraganglion suprarenale der Säuge- 
tiere ist er noch viel deutlicher als beim Paraganglion 
caroticum der Vögel ausgeprägt. Das arterielle und venöse 
'Gefässsystem des Paraganglion caroticum und des Epithelkörpers 
der Vögel hängt in ähnlicher Weise zusammen, wie jenes des 
Paraganglion suprarenale und der Nebenniere bei den Säuge- 
tieren. Es bestehen aber zwischen den hierher zu zählenden 
Vögeln und Säugern auch gewisse Differenzen. Während bei den 
letzteren das arterielle Blut auf dem Umwege durch die Neben- 
niere ins Paraganglion suprarenale gelangt, ist bei den Vögeln 
der Weg zum Teil ein umgekehrter. Hier verteilen sich die 
Arterien meist erst im Innern des Paraganglion caroticum, ehe 
sie an den Epithelkörper herantreten, um an seiner inneren 
Oberfläche (im Hilus) in Kapillaren zu zerfallen, oder aber un- 
aufgelöst in den Epithelkörper einzudringen. Ein anderer Teil 
der für den letzteren bestimmten Arterien entspringt bei manchen 
Vögeln aus dem Gefässkranze, welcher die äussere, im Hilus des 
Epithelkörpers befindliche Oberfläche des Paraganglion caroticum 
überzieht. Diese Arterien müssen nicht erst das 
Paraganglion caroticum vor ihrem Eintritt in 
den Epithelkörper passieren. Dieser Umstand kann 
aber nicht in dem Sinne einer Trennung zwischen dem Gefäss- 
system beider miteinander verbundenen Organe gedeutet werden, 


da alle an der Grenze zwischen dem Epithelkörper und dem 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 48 


730 Wilhelm Kose: 


Paraganglion caroticum verlaufenden Arterien in gleich inniger 
Weise mit jenen beider Organe zusammenhängen. Sie stellen 
nur einen Abschnitt des gemeinsamen, im Epithel- 
körper und Paraganglion caroticum gelegenen 
arteriellen Gefässnetzes dar. Betreffs der Verteilung 
der Venen bestehen zwischen den Säugetieren und den Vögeln 
gewisse Unterschiede. Die Vena suprarenalis sammelt bei 
den ersteren sowohl das aus der Nebenniere als auch aus dem 
Paraganglion suprarenale abstammende Blut. Bei den Vögeln 
dagegen sind der Vena suprarenalis der Säuger bloss jene Venen 
gleichzusetzen, die durch den Hilus hervorkommen. Diese ent- 
stehen durch den Zusammenfluss der Venen und venösen Kapil- 
laren sowohl des Epithelkörpers wie des Paraganglion caroticum. 
Der erstere, vielleicht aber auch das letztere besitzen überdies noch 
ihre eigenen Venen. Es besteht also keine Trennung zwischen dem 
arteriellen und venösen (refässnetze des Paraganglion caroticum 
und des Epithelkörpers. Ich glaube aber, dass gelungene In- 
jektionspräparate einen noch viel weitergehenden Zusammenhang 
aufdecken werden. 


IV. Schlussbetrachtungen. 


Nach all dem Gesagten ist demnach die Verbindung des 
Paraganglion caroticum vieler Vögel mit dem Epithelkörper jener 
des Paraganglion suprarenale mit der Nebenniere der Säugetiere 
sehr ähnlich, wenn auch nicht vollständig analog. Die Verbindung 
des chromaffinen Gewebes mit einem Epithelkörper in Gestalt 
zweier räumlich schärfer begrenzter Zellmassen 
zu einem einheitlichen Organ, findet sich in der 
Wirbeltierreihe nicht, wie bisher angenommen werden musste, 
zum erstenmal zwischen dem Paraganglion suprarenale und der 
Nebenniere der Säuger, sondern schon in ähnlicher Weise bei 
manchen Vögeln zwischen dem Paraganglion caroticum uud einem 
Epithelkörper. Diese organische Verknüpfung des Paraganglion 
caroticum mit dem Epithelkörper beschränkt sich aber nur auf 
eine gewisse Anzahl von Vögeln. Bei den anderen besitzt das 
Paraganglion caroticum eine verschieden weitgehende Unabhängig- 
keit vom Epithelkörper. Ich erinnere hier nur an die Befunde 
bei der Krähe und manchem Huhne. Hierher zu rechnen 
wäre auch eine alte Eule, ein Käuzchen, eine Taube und 


—1 
SE) 
en 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 


das alte Würgerweibcehen. Unwillkürlich wird man beim 
Studium der Serien durch das Paraganglion caroticum der Vögel an 
das Anfangs- und Endstadium in der phylogenetischen 
Entwicklung des Paraganglion suprarenale bei den 
Wirbeltiere n erinnert. Wir wissen durch zahlreiche Unter- 
suchungen, dass sich das Paraganglion suprarenale in den einzelnen 
Wirbeltierklassen entweder gar nicht (Fische) oder doch nur 
in sehr verschiedener Art mit der Nebenniere (Rinde) verbindet. 
Ich kann hier unmöglich auf die einschlägige Literatur eingehen, 
erstens weil dies nicht in den Bereich meiner Arbeit gehört, 
und zweitens weil Kohn in seinen diesbezüglichen Publikationen 
eine erschöpfende historische Zusammenstellung der betreffenden 
Arbeiten gegeben hat. Ich verweise daher auf seine verschiedenen 
Untersuchungen. 

Auf Seite 4 und 5 seiner Arbeit „Über die Neben- 
niere“ (4) fasst Kohn in kurzen Sätzen und in übersichtlicher 
Weise die bekannten Tatsachen über die wechselseitige Ver- 
bindung des Paraganglion suprarenale und der Nebenniere bei 
den Wirbeltieren zusammen. Ich will die betreffenden Stellen 
hier wörtlich anführen. Seite 4: „Ausser bei den Säugethieren 
ist eine eigentliche Markschichte in der Nebenniere der Wirbel- 
thiere nicht mehr anzutreffen. Man spricht allerdings auch bei 
diesen häufig von Rinden- und Markzellen. Damit kann 
aber nicht mehr ausgedrückt werden, als dass auch in ihrer 
Nebenniere jene zwei differenten Zellarten sich finden, 
die bei den Säugern — und nur bei diesen — zwei getrennte 
Schichten, Rinde und Mark, aufbauen. Schon für die Nebenniere 
der Vögel ist eine Unterscheidung in eine periphere Rinden- 
und eine centrale Marksubstanz nicht mehr aufrecht zu erhalten. 
Die epitheliale Nebenniere wird hier von Strängen eines anders- 
artigen (Gewebes, das der Marksubstanz der Säugethiere analog 
ist, durchsetzt. Bei den Reptilien tritt der epitheliale 
Charakter des Organs noch deutlicher in den Vordergrund, 
wiewohl demselben immer noch ansehnliche Mengen von „Mark- 
zellen“ eingelagert sind. Kein Zweifel kann mehr obwalten, dass 
die Nebenniere der Amphibien einen Epithelkörper dar- 
stellt, in dem, einzeln oder in kleinen Gruppen, einige anders- 
artige Zellen, sagen wir vorläufig noch immer „Markzellen“, an- 


‚getroffen werden. Die Nebenniere der Fische endlich ist rein 
48* 


132 Wilhelm Kose: 


epithelial, aus verzweigten, durch dünnwandige Blutgefässe ge- 
trennten Zellbalken zusammengesetzt, ohne dass noch eine zweite, 
den „Markzellen“ der Säuger analoge Zellart an ihrem Aufbau 
mitbeteiligt wäre. 

Es besteht also der Satz zu Recht, dass die Nebenniere 
aller Wirbelthiere als ein epitheliales Organ, als 
ein Epithelkörper aufzufassen ist. Dieses Organ enthält, von den 
Amphibien angefangen zu den Säugern aufsteigend, in zunehmender 
Menge andersartige, eigenthümliche Einlagerungen.“ 


„Bei den Säugethieren ist diese secundäre Einlagerung so 
bedeutend, dass sie als eine besondere Schicht des Organs, als 
„Marksubstanz“, beschrieben werden konnte.“ 


Während also innerhalb der einzelnen Wirbeltier- 
klassen eine strenge Gesetzmässigkeit in der Verbindung des 
Paraganglion suprarenale (Mark) mit der Nebenniere (Rinde) be- 
steht, herrschen bei den Vögeln in bezug auf die Vereinigung 
des Paraganglion caroticum mit dem Epithelkörper und zwar 
nicht bloss bei den verschiedenen Arten, sondern auch bei den 
einzelnen Vögeln derselben Spezies, ja endlich sogar öfters bei 
demselben Vogel gewisse Differenzen. Das Paraganglion caroticum 
war bei den Krähen vom Epithelkörper stets räumlich getrennt; 
beim Huhn war dies auch der Fall, oder aber es verband sich 
das Paraganglion caroticum durch einen deutlichen Fortsatz seiner 
mächtigen bindegewebigen Kapsel mit dem Epithelkörper; das 
chromaffine Gewebe des Paraganglion caroticum 
blieb aber dabei ausserhalb des Epithelkörpers 
liegen. Beim Gimpel, Zeisig, Fink, Wasseramsel, 
Drossel und Kreuzschnabel macht die gegenseitige Ver- 
bindung des Paraganglion caroticum und des Epithelkörpers noch 
einen Schritt vorwärts, indem das erstere sich ganz oder teil- 
weise im Innern des Epithelkörpers verbirgt und mit 
diesem organisch verbindet. 


Es kann nun öfters vorkommen, dass bei demselben Vogel 
(Gimpel, Zeisig, Fink) auf einer Halsseite sowohl im 
kranialen als auch kaudalen Epithelkörper je ein 
Paraganglion caroticum liegt. Das kaudale Para- 
ganglion caroticum besitzt manchmal (Wasseramsel, Drossel) 
eine gewisse Unabhängigkeit vom Epithelkörper und liegt ihm 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 133 


dann in ähnlicher Weise wie bei den Krähen, der Taube etc. 
nur von aussen an. 

Die beim Gimpel, Zeisig und Finken innerhalb des 
kranialen und kaudalen Epithelkörpers gelegenen zwei Para- 
ganglien sind in gleicher Weise aus den farblosen chrom- 
affinen Zellen zusammengesetzt und unterscheiden sich gewöhnlich 
nur durch ihre Grösse. Beim kaudalen Paraganglion fällt manch- 
mal eine gewisse Armut an chromaffinen Zellen auf. Diese liegen 
dann nur vereinzelt im Bindegewebe uud den Nerven. Das Para- 
ganglion besteht in diesen Fällen der Hauptsache nach nur aus 
sympathischen Nerven, zahlreichen Gefässen und einem reich ent- 
wickelten bindegewebigen, mit elastischen Fasern vermengten Stütz- 
gerüst. Anfänglich beirren einen diese Bilder, später aber lernt 
man im Vergleiche mit den Befunden bei anderen Vögeln ihre 
richtige Deutung. Wenn auch das kaudale Paraganglion caro- 
ticum viel weiter vom Stamme der Carotis com. als das kraniale 
Paraganglion liegt, so gelang es mir doch zweimal (Gimpel, 
Zeisig), nachzuweisen, dass die für das kaudale Paraganglion 
caroticum bestimmte Arterie entweder direkt aus der Carotis 
com. entsprang (Gimpel), oder aber einen Seitenzweig der zum 
kranialen Paraganglion caroticum hinziehenden Arterie bildete 
(Zeisig). 

Der Aufbau, die Lage im Epithelkörper und die Herkunft 
seiner zuführenden Arterien sind sowohl beim kranialen wie 
beim kaudalen Paraganglion caroticum die gleichen. Ich glaube 
daher das Recht zu haben, beide Paraganglien als analog aufzu- 
fassen und als Paraganglia carotica zu bezeichnen. Einen 
weiteren Beweis für meine Auffassung lieferten die Präparate 
von der linken Halsseite eines alten Zeisigs. Der kaudale 
und kraniale Epithelkörper lagen hier zum Teil unmittelbar neben- 
einander. Der kraniale Pol des kaudalen Epithelkörpers reichte 
ca. bis zur Mitte des kranialen Epithelkörpers. An diesem Punkt 
ragte das Paraganglion caroticum aus dem letzteren heraus. Die 
ausserhalb des Epithelkörpers gelegene Partie des Paraganglion 
caroticum bildete einen lappenförmigen Körper. Dieser senkte 
sich zum Teil in einen seichten, im kranialen Pole des kau- 
dalen Epithelkörpers befindlichen Hilus ein. Es bildeten also 
hier die beiden mit dem kranialen und kaudalen Epithelkörper 
verbundenen, ungleich grossen Paraganglien nur verschiedene 


wo 
= 


Wilhelm Kose: 


Abschnitte eines einzigen grossen Paraganglion 
caroticum. Die für das kaudale Paraganglion bestimmte 
kleinere Arterie bildete einen Seitenast der für daskraniale Para- 
ganglion bestimmten Hauptarterie. Diese selbst entsprang direkt 
aus der Carotis communis. Denkt man sich diese beiden Epithel- 
körper im Verlaufe der individuellen Entwicklung etwas weiter 
voneinander abgerückt, so würden dadurch Verhältnisse geschaffen, 
wie wir sie bei den anderen Gimpeln und Zeisigen gefunden 
haben. 

Das Paraganglion caroticum besteht beim Vogel durchaus 
nicht immer aus einem einzigen nach aussen scharf begrenzten 
Körper. Es finden sich vielmehr öfters kleinere oder grössere 
Ansammlungen farbloser chromaffiner Zellen, die dem eigentlichen 
Paraganglion caroticum von aussen bloss anliegen oder durch 
spärliche bindegewebige oder Nervenfasern mit ihm verknüpft 
sind. In der Zusammensetzung des Paraganglion caroticum der 
einzelnen Vögel können ähnliche, wenn auch nicht so weitgehende 
Verschiedenheiten bestehen, wie Kohn sie für die Säugetiere 
genauer beschreibt. Kohn (7) unterscheidet „nach der gröberen 
Anordnung“ — „vier verschiedene Typen“. (Seite 94 und 95.) 

„Der erste ist dadurch charakterisirt, dass das Organ als 
ein compactes, gegen die Umgebung glatt abgegrenztes Ge- 
bilde auftritt. Das Zwischengewebe durchdringt es in so feiner 
Vertheilung, dass der zellige Charakter überwiegend zum 
Ausdrucke kommt, wodurch es einen mehr gleichartigen, paren- 
chymatösen Habitus gewinnt. Die Carotisdrüse der Katze bietet 
ein gutes Beispiel für das geschilderte Verhalten, für den com- 
pacten Typus des Organes. 

In anderen Fällen gewinnt es ein ganz anderes Aussehen 
dadurch, dass das Zwischengewebe in viel grösserer Menge auf- 
tritt. Nach der Verschiedenheit seiner Anordnung resultiren 
zwei neue Typen. In dem einen Falle hat das Organ eine 
nierenförmige Gestalt. Am Hilus findet sich eine bedeutendere 
Anhäufung von Bindegewebe mit grösseren Gefässen und einzelnen 
Nervenbündeln. Von hier aus treten radienförmig stärkere 
Septa ins Innere, welche das Organ nach Art einer Drüse in 
Läppchen teilen, ohne für gewöhnlich ganz bis an die convexe 
Peripherie durchzugreifen. Die Läppchen selbst werden durch 
feinere Septa in kleinere Häufchen zerteilt. 


— 
6) 
Dt 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 


Die Läppchenbildung finde ich besonders schön an der 
Carotisdrüse des Affen (Macacus rhesus) ausgeprägt. 

Das Zwischengewebe kann aber auch so mächtig ausgebildet 
sein, dass das eigentliche specifische Gewebe der Carotisdrüse 
nur in Form einzelner, durch ansehnliche Mengen interstitiellen 
Gewebes völlig von einander getrennter Inselchen, einzelner 
Körner auftritt. Da diese um ihre Gefässe gruppirt sind, von 
denen mehrere nacheinander von einer grösseren zuführenden 
Arterie abgehen, so gewinnt die Anordnung Ähnlichkeit mit einer 
Traubenbildung, wie sie beim Fettgewebe vorkommt. Von diesem 
Körnertypus kann man an der Carotisdrüse des Menschen 
eine gute Anschauung gewinnen. 

Noch weiter geht die Zerfällung bei einigen von mir unter- 
suchten Nagethieren. Wenn man z. B. die Carotisdrüse des er- 
wachsenen Kaninchens untersucht, so könnte man daran zweifeln, 
dass man es wirklich mit einem einheitlichen Organe, einem zu- 
sammengehörigen Ganzen, zu thun hat. Die typischen Zellen sind 
in kleinen, kugeligen Gruppen oder häufiger in schmalen, kurzen 
Strängen ziemlich unabhängig von einander im Zwischengewebe 
eingelagert. An einer Stelle dichter gehäuft, ragen die einzelnen 
Häufchen von diesem Centrum aus verschieden weit in das Nachbar- 
gewebe vor, ohne durch eine einheitliche Begrenzung zu einem 
besonderen abgeschlossenen Gebilde zusammengefasst zu werden. 
Diese diffuse Anordnung ist für die Carotisdrüse des 
Kaninchens recht charakteristisch.“ 

„Allen diesen verschiedenen Typen gemeinsam ist nur die 
Anordnung in der letzten Einheit, in kleinen Häufchen, Gruppen 
oder Nestern. Diese selbst aber können in verschiedener Weise 
zum Gesamtkörper vereinigt sein.“ 

Wiewohl das Paraganglion caroticum bei den einzelnen 
Vögeln ebenfalls infolge der wechselnden Anordnung des Stütz- 
gerüstes und auch des zelligen Parenchyms ein verschiedenes 
Aussehen besitzen kann, so war es mir dennoch unmöglich, 
den einzelnen Arten eigentümliche Bautypen auf- 
zustellen. Die Art der Zusammensetzung des Paraganglion 
caroticum unterliegt hauptsächlich individuellen Schwankungen. 
Einige Beispiele, die ich hier zum Schlusse anführen möchte und 
die zum Teil schon Bekanntes wiederholen, sollen dies näher 
begründen. Bei einer alten Henne bestand die eine Hälfte des 


736 Wilhelm Kose: 


innerhalb einer dicken bindegewebigen Kapsel gelegenen Para- 
ganglion caroticum aus einzelnen durch breitere Brücken fibrillären 
Bindegewebes geschiedenen meist rundlichen Gruppen. Die zweite 
Hälfte des Paraganglion caroticum bildete eine mehr kompakte 
Zellmasse, die durch feinere Züge fibrillären Bindegewebes teil- 
weise in Untergruppen zerfällt wurde. Wir sehen hier gewisser- 
massen den kompakten und Körnertypus (Kohn) in einem 
einzigen Paraganglion caroticum vereint. Bei einer anderen 
Henne waren es wieder die elastischen Fasern, die in Form von 
mächtigen Balken das Paraganglion caroticum ganz unregelmässig 
zerfällten; das Bindegewebe war durch sie fast vollständig ver- 
drängt. Bei dem Hahne und einer Henne bildete das ganze 
Paraganglion caroticum einen mehr einheitlichen Körper. Bei 
diesen zwei Vögeln kam der „mehr gleichartige paren- 
chymatöse Habitus (Kohn)“ deutlich zum Ausdrucke. 

Das innerhalb des Epithelkörpers gelegene Paraganglion 
caroticum (Gimpel, Zeisig) besass ebenfalls keine auffällige 
Zerklüftung durch stärkere Bindegewebszüge, sein „zelliger 
Charakter (Kohn)“ unterschied es z. B. von dem Paraganglion 
caroticum eines alten Kreuzschnabels, bei welchem das 
bindegewebige und elastische Stützgerüst in einer solchen 
Mächtigkeit entwickelt war, dass die chromaffinen Zellen nur ganz 
vereinzelt, oder selten zu kleinen Gruppen vereint, ganz diffus 
im Zwischengewebe verstreut waren. Bei der Wasseramsel 
dagegen besass das Paraganglion caroticum eine deutliche und 
schöne Zusammensetzung aus einzelnen Zellballen, die in derselben 
Weise wie bei der Krähe durch sympathische Nerven zu einem 
grossen Körper vereint waren. Diese Anordnung würde am 
ehesten dem Körnertypus (Kohn) entsprechen. 

Das innerhalb des kaudalen Epithelkörpers gelegene 
Paraganglion besass nur der Gimpel und Zeisig. Bei der 
Wasseramselund Drossel, deren kranialer Epithelkörper 
ein schön entwickeltes Paraganglion caroticum umschloss, lag bloss 
in der nächsten Nähe des kaudalen Epithelkörpers eine 
grössere (Drossel) oder kleinere (Wasseramsel) Anhäufung 
farbloser chromaffiner Zellen, welche denselben Aufbau wie das 
eigentliche Paraganglion caroticum besass. Fig. 13a, Taf. XXV, 
gibt das in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers befindliche 
Paraganglion wieder. In Fig. 13b, Taf. XXV, ist ein Zellballen 


Die Paraganglien bei den Vögeln. TE 


aus dem kranialen Paraganglion caroticum gezeichnet worden. 
Ein Vergleich beider Figuren miteinander und mit den Fig. 8, 
Taf. XXV und Fig. 3—5, Taf. XXIV, ergibt ohne weiteres die 
völlige Gleichheit aller dieser Zellen. Es ist nun die Entscheidung 
durchaus nicht so leicht, ob man diese ausserhalb des kaudalen 
Epithelkörpers gelegenen Paraganglien dem kaudalen Para- 
ganglion caroticum des Gimpels und Zeisigs gleichzusetzen 
und daher als ein Paraganglion caroticum zu bezeichnen 
hat. An und für sich wäre ja die vollständige Loslösung vom 
Epithelkörper kein Grund dies nicht zu tun, denn es besitzen 
viele Vögel (Krähe, Huhn etc.) ein vom Epithelkörper ge- 
trenntes Paraganglion caroticum. Schwerer fällt nur hier der 
Umstand in die Wagschale, dass solche für sich liegenden Para- 
ganglien noch an anderen Stellen des Halses und an den Vorhöfen 
bei allen Vögeln sich finden. Es geht doch nicht gut an, alle 
als Paraganglia carotica zu bezeichnen. Die auffallende Nahe- 
lagerung des kaudalen Paraganglion an den entsprechenden 
Epithelkörper bestimmt mich hier am meisten, es als ein zweites 
Paraganglion caroticum aufzufassen und es dem kaudalen 
Paraganglion caroticum des Gimpels und Zeisigs an die 
Seite zu stellen. Bei der Wasseramsel war noch insofern ein 
gewisser geweblicher Zusammenhang zwischen dem aussen 
liegenden Paraganglion und dem kaudalen Epithelkörper zu 
bemerken, als von den zahlreichen sympathischen Nerven, die das 
Paraganglion einhüllten, feine Ästchen direkt in den Hilus des 
Epithelkörpers einbogen. Dieser selbst enthielt ausserdem nur 
Bindegewebe und die Hauptarterie, aber keine farblosen chrom- 
affınen Zellen. Ich gebe nun gerne zu, dass meine Auffassung hier 
ganz subjektiv ist; man muss erst noch weitere histologische und 
embryologische Untersuchungen abwarten, ehe man mit Sicher- 
heit erkennen wird, ob bei vielen jener Vögel, die ein im kranialen 
Epithelkörper gelegenes Paraganglion caroticum besitzen, ein 
wenn auch kleineres Paraganglion (caroticum) in gesetzmässiger 
Weise bloss in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers liegt. 

Die Befunde am Halse der Vögel liefern hiermit eine weitere 
Stütze für die unleugbare Affinität zwischen dem chromaffinen 
und epithelialen Gewebe, wie sie in der Phylogenie des 
Paraganglion suprarenale und der Nebenniere bei 
den Wirbeltieren klar hervortritt. Die Vögel ver- 


138 Wilhelm Kose: 


einen in der verschiedenen Art und Weise der Verbindung des 
Paraganglion caroticum mit dem Epithelkörper gewisser- 
massen die Verhältnisse, wie wir sie bezüglich des Paraganglion 
suprarenale und der Nebenniere bei Fischen und Säugetieren, 
also bei den Anfangs- und Endgliedern der Wirbeltierreihe, ge- 
trennt vorfinden. 

Die farblosen chromaffinen Zellen bilden, wie ich dies 
bei Beschreibung des Paraganglion caroticum der Krähe näher 
begründet habe, nur eine Unterart der chromaffinen Zellen 
und finden sich im ganzen sympathischen Nervensystem verbreitet. 
Alle von ihnen gebildeten Paraganglien sind daher einander gleich- 
wertig. Einzelne erhalten nur durch ihre topische oder geweb- 
liche Beziehung zu verschiedenen Nachbarorganen (Epithelkörper, 
Herz) eine gewisse Sonderstellung. 


V. Tabellarische Zusammenstellung. 


Zum Behufe einer vergleichenden Übersicht über die bei 
den einzelnen Vögeln erhobenen Befunde, lasse ich hier ganz 
zum Schlusse dieses Abschnittes die wichtigsten Ergebnisse in 
kurzen Sätzen folgen. Da die Krähen und Hühner bereits 
an anderer Stelle genau besprochen wurden, so enthält diese 
Zusammenstellung nur die anderen von mir untersuchten Vögel. 

Einjähriger Zeisig A. 3 (Fringillus spinus L.). Rechte 
Halsseite. Fixation in Müllerscher Flüssigkeit 9 : Formol 1 
durch 4 Tage. 

1. Drei Epithelkörper. Nur im kranialen ein Paraganglion 

caroticum. Seine Diameter betrugen: 0,12—0,2—0,2 mm. 

2. Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie 

entsprang für sich direkt aus der Carotis communis. 

3. Das grosse sympathische Halsganglion lag in der Nähe 

des am meisten kaudalwärts gerichteten Epithelkörpers. 
Keine Paraganglien in ihm. 
Linke Halsseite. Dieselbe Fixation. 
1. Zwei Epithelkörper, in beiden je ein Paraganglion caroti- 
cum. Ihre Diameter betrugen: 
a) Kraniales Paraganglion carot. 0,2—0,16—0,18 mm. 
b) Kaudales Paraganglion carot. 0,04—0,04—0,07 mm. 
Dieses bestand nur aus einem einzigen kugelrunden 
Zellballen. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 139 


2. Die Arterie entsprang direkt aus der Carotis communis. 

3. Das sympathische Ganglion lag in der Nähe des kaudalen 
Epithelkörpers, enthielt aber keine Paraganglien. 

Einjähriger Zeisig B. 3 (Fringillus spinus L.). Rechte 

Halsseite. Fixation in Müller 9 : Formol 1. — 9 Tage. 

1. Zwei Epithelkörper, in beiden je ein Paraganglion 
caroticum. 
a) Kraniales Paraganglion carot. 0,14—0,16—0,183 mm. 
b) Kaudales Paraganglion carot. 0,1—0,1—0,12 mm. 

2. Die für das kraniale Paraganglion caroticum bestimmte 
Arterie bildete einen Teilast einer grösseren aus der 
Carotis communis abstammenden Arterie. Diese war für 
die Thyreoidea bestimmt. 


Linke Halsseite. Fixation in konzentrierter Sublimat- 
Kochsalzlösung — 24 Stunden. 


1. Zwei Epithelkörper, beide lagen dicht nebeneinander. 
In beiden Epithelkörpern je ein Paraganglion caroticum. 
Beide bilden nur verschiedene Abschnitte eines einzigen 
grossen Paraganglion caroticum. 

Kraniales Paraganglion: 0,25 — 0,24—0.2 mm. 
Kaudales Paraganglion: 0,07 —0,1—0,22 mm. 

2. Die für das kraniale Paraganglion caroticum bestimmte 
Arterie ging direkt von der Carotis communis ab, jene 
für das kaudale Paraganglion bestimmte dagegen bildete 
einen kleineren Seitenast der Hauptarterie des kranialen 
Paraganglion. 

3. Das grosse sympathische Ganglion lag in der Nähe des 
kaudalen Epithelkörpers, keine Paraganglien in ihm. 
Einjähriger Gimpel A.? (Pyrrhula europaea). Rechte 
Halsseite. Fixation in konzentriertem Sublimat-Kochsalz — 

7 Stunden. 

1. Drei Epithelkörper. Im mittleren und kranialen je ein 
Paraganglion caroticum. 

Kraniales Paraganglion: 0,14—0,12—V,1 mm. 

Kaudales Paraganglion: 0,12—0,16— 0,25 mm. 

Der mittlere Epithelkörper lag der Thyreoidea un- 
mittelbar an. Der am meisten kranialwärts reichende 
und der kaudale Epithelkörper waren weit voneinander 


740 Wilhelm Kose: 


entfernt, doch lagen sie zur Hälfte ihrer Länge in gleicher 
Höhe am Halse. 

2. Die für beide Paraganglia carotica bestimmten Arterien 
entsprangen an verschiedenen Stellen direkt aus der 
Carotis communis. 

3. Das grosse sympathische Ganglion lag unmittelbar neben 
dem kranialen Epithelkörper, aus ihm zogen zahlreiche 
Nerven ins kraniale Paraganglion caroticum. Das Ganglion 
und der kraniale Epithelkörper wurden durch den Stamm 
der Vena jugularis von der Carotis communis geschieden. 
Im Ganglion keine Paraganglien. 

Linke Halsseite. Fixation Zenkersche Flüssigkeit 
100 : Eisessig 5 — 3 Tage. 

1. Zwei Epithelkörper, in beiden je ein Paraganglion caro- 

tieum. 
Kraniales Paraganglion: 0.12—0,16—0,18 mm. 
Kaudales Paraganglion: 0,12—0,16—0,1 mm. 

2. Von der Carotis communis ging eine grössere Arterie 
ab, die wohl bis zum kranialen Paraganglion caroticum 
aber nicht in dieses hineingelangte. Sie zog vielmehr 
an seiner Peripherie weiter, um schliesslich mit einem 
Zweige im postbranchialen Körper, mit dem anderen in 
der Thyreoidea zu endigen. Während ihres tangentialen 
Verlaufes längs des Paraganglion caroticum gingen von 
der grossen Arterie zwei kleinere Seitenzweige ab, welche 
in das Innere des Paraganglion caroticum zogen. Die 
für das kaudale Paraganglion caroticum bestimmte Arterie 
konnte nicht bis zu ihrem Ursprunge verfolgt werden. 

3. Das sympathische Ganglion lag in der Nähe des kaudalen 
Epithelkörpers und enthielt keine Paraganglien. 

Altes Gimpelweibehen 2 B. (Pyrıhula europaea). 
Rechte Halsseite. Fixation in konzentrierter Sublimat- 
Kochsalzlösung — 24 Stunden. 

1. Zwei Epithelkörper, in beiden je ein Paraganglion caro- 

ticum. 
Kraniales Paraganglion: 0,12—0,2—0,2 mm. 
Kaudales Paraganglion: 0,18— 0,2—0,2 mm. 

2. Eine ungeteilte grössere Arterie ging von der Carotis 

communis ab. Erstere spaltete sich später in die für das 


Bus 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 741 


kraniale Paraganglion caroticum und die für die Thyreoidea 
bestimmte Arterie. Die zum kaudalen Paraganglion caro- 
ticum hinziehende Arterie entsprang für sich direkt aus 
der Carotis communis. 

3. Das grosse sympathische Ganglion lag in der Nähe des 
kaudalen Epithelkörpers. Zahlreiche Nerven zogen aus 
ihm in beide Paraganglia carotica. Das Ganglion enthielt 
keine Paraganglien. 


Linke Halsseite. Fixation in 3°/o Kaliumbichromat 
100 +8 ccm Eisessig — 4 Tage. 

1. Ein einziger grosser, aus zwei kleineren miteinander 
verschmolzenen Epithelkörpern zusammengesetzter Epi- 
thelkörper. An zwei Stellen des grossen Epithelkörpers 
je ein Paraganglion caroticum. 

Kraniales Paraganglion: 0,12 - 0,15— 0,21 mm. 
Kaudales Paraganglion: 0,16—0,16—0,12 mm. 


2. Die für das kraniale Paraganglion caroticum bestimmte 
Arterie entsprang direkt aus der Carotis communis. Ein 
Stück weit von ihr ging aus der Carotis die für die 
Thyreoidea bestimmte Arterie ab. Die Arterie des kaudalen 
Paraganglion caroticum bildete einen Seitenzweig der 
Arterie des kranialen Paraganglion. 


3. Das grosse sympathische Ganglion lag nur in der Nähe 
des kaudalen Paraganglion caroticum. Es enthielt keine 
Paraganglien. 


Alter Kreuzschnabel ? A. (Loxia eurvirostra). Rechte 
Halsseite. Fixation in 3° Kaliumbichromat — 5 Tage. 


1. Drei Epithelkörper. Nur im kranialen ein Paraganglion 
caroticum. Wegen der starken Schrumpfung der Gewebe 
gebe ich hier keine Maße an. 


2. Die Arterie des Paraganglion caroticum ging direkt aus 
der Carotis communis ab. 


3. Das sympathische Ganglion lag etwas weiter kranialwärts 
als der kaudale Epithelkörper, mehr in der Nähe des 
kranialen Epithelkörpers; es enthielt keine farblosen 
chromaffinen Zellen. 


742 Wilhelm Kose: 


Linke Halsseite. Dieselbe Fixation. 

1. Zwei Epithelkörper. Nur im kranialen ein Paraganglion 
caroticum. Der kraniale Epithelkörper überragt die 
Thyreoidea kopfwärts noch um ein gutes Stück. 

2. Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie 
entsprang direkt aus der Carotis communis. 

3. Das grosse sympathische Ganglion lag in der Nähe des 
kaudalen Epithelkörpers: es enthielt keine Paraganglien. 

Alter Kreuzschnabel < B. (Loxia eurvirostra). Linke 

Halsseite. Fixation in 3%‘ Kaliumbichromat 100 : Eisessig 5 — 

mehrere Tage. 

1. Nur ein Epithelkörper an der Thyreoidea. In ersterem 
ein Paraganglion caroticum. Seine Diameter: 0,22 bis 
0,26—0,26 mm. 

2. Die Arterie des Paraganglion caroticum bildete einen 
schwächeren Seitenast einer grösseren zur Thyreoidea 
gehörigen Arterie. Letztere entsprang direkt aus der 
Carotis communis. 

. Das grosse sympathische Ganglion befand sich in der 

Nähe des Epithelkörpers und enthielt keine chromaffinen 


sv) 


Zellen. 
Alter Kreuzschnabel 3 C. (Loxia eurvirostra). Linke 
Halsseite. Fixation in Müller 9: Formol 1 — einige Tage. 


/wei Epithelkörper. Nur in einem ein Paraganglion 
caroticum. Dieses besass einen ausgesprochen balligen 
Aufbau und einen kolossalen Reichtum an elastischen 
Fasern. Weil die einzelnen Schnitte nach verschiedenen 
Methoden behandelt wurden und mancher dabei verloren 
ging, so gebe ich hier keine weiteren Details an. 

Einjährige Steineule d (Athene noctua). Rechte 

Halsseite. Fixation in Zenker 30: Eisessig 4 — 5 Tage. 

1. Zwei Epithelkörper. Das Paraganglion caroticum lag 
bloss in der Nähe des kranialen Epithelkörpers. Dieser 
besass einen nur schwach angedeuteten Hilus. In diesen 
setzten sich spärliche Bindegewebsfasern der Kapsel des 
Paraganglion caroticum fort. Die Diameter des letzteren 
betrugen 0,52—0,42—0,28 mm. 

2. Die Arterie fürs Paraganglion caroticum entsprang direkt 
aus der Carotis communis. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 743 


3. Das grosse sympathische Ganglion befand sich bloss in 
der Nähe des kaudalen Epithelkörpers und reichte nicht 
bis zum kranialen hinauf. Es enthielt keine chrom- 
affınen Zellen. 


Linke Halsseite. Fixation in Müller 9: Formol 1 — 
6 Tage. 

1. Zwei Epithelkörper. Bloss ein Paraganglion caroticum. 
Dieses lag nur in der Nähe des kranialen Epithelkörpers. 
Paraganglion caroticum: 0,25—0,31—0,4 mm. 

2. Die Arterie des Paraganglion cearoticum entsprang direkt 

aus der Carotis communis. 

3. Das grosse sympathische Ganglion reichte vom kaudalen 
bis zum kranialen Epithelkörper und enthielt keine 
Paraganglien. 


3 Wochen alte Taube ? (Columba ]. domestica). 
Linke Halsseite. Fixation: 3°/o Kaliumbichromat 9:Formoll — 
5 Tage. 

1. Zwei Epithelkörper. Das Paraganglion caroticum lag 

nur an der Aussenseite des kranialen Epithelkörpers. 
Es legte sich der Wand der Carotis communis in breiter 
Ausdehnung an. Seine Diameter betrugen: 0,52—0,52 
bis 0,75 mm. 

2. Die Hauptarterie des Paraganglion caroticum entsprang 
direkt aus der Carotis communis. 

3. Das grosse sympathische Ganglion lag bloss in der Nähe 
des kaudalen Epithelkörpers. Es reichte nicht bis in 
die Höhe des kranialen und enthielt auch keine chrom- 
affınen Zellen. 


3 Wochen alte Wasseramsel (Cinclus aquaticus 
Brehm). Linke Halsseite. Fixationin Müller 9:Formol 1 — 
6 Tage. 

1. Zwei Epithelkörper. Im kranialen ein grosses Paraganglion 
caroticum. In der unmittelbaren Nähe des kaudalen ein 
kleiner kugeliger Ballen farbloser chromaffiner Zellen. 

Kraniales Paraganglion: 0,2—0,3— 0,32 mm. 
Kaudales Paraganglion: 0,06—0,08— 0,1 mm. 

2. Die Arterie des kranialen Paraganglion caroticum ging 

direkt von der Carotis communis ab. 


17144 Wilhelm Kose: 


3. Das grosse sympathische Ganglion reichte vom kaudalen 
Epithelkörper angefangen noch weiter kranialwärts als 
der kraniale Epithelkörper selbst. Es enthielt keine 
chromaffinen Zellen. 


Altes Finkenmännchen 4 (Fringilla coelebs). Rechte 
Halsseite. Fixation in Müller 9:Formol 1 — 7 Tage. 


1. Drei Epithelkörper. Der kaudale ist durch die Vena 
jugularis und die Carotis communis vom kranialen Epithel- 
körper getrennt, doch reicht der erstere bis zur Hälfte 
des kranialen Epithelkörpers kopfwärts hinauf. In der 
Nähe des kaudalen Epithelkörpers lag noch ein kleiner 
dritter Epithelkörper. Sowohl im kaudalen als im 
kranialen Epithelkörper fand sich je ein Paraganglion 
caroticum. 

Kraniales Paraganglion: 0,12—0,2—0,17 mm. Seine 
Arterie kam direkt aus der Carotis communis. 

Das kaudale Paraganglion besass im Gegensatze zu 
allen anderen Paraganglia carotica der übrigen Vögel 
und auch zu dem kranialen Paraganglion caroticum 
desselben Finken einen ganz besonderen Habitus. Es 
bestand nämlich aus mehreren nur ganz lose aneinander 
gereihten Zellgruppen, die in Gestalt von Ballen oder 
aber strangähnlichen Bildungen ganz unregelmässig 
zwischen den Zellsträngen des Epithelkörpers gelagert 
waren. In diesem einzigen Falle bildete das Para- 
ganglion caroticum keinen für sich mehr minder 
scharf begrenzten Körper. Sein Gewebe war in 
ähnlicher Weise wie beim Paraganglion suprarenale nach 
allen Richtungen in den Epithelkörper vorgeschoben. 


2. Das grosse sympathische Ganglion enthielt keine chrom- 
affıinen Zellen. 


Blinde Nestdrossel (Turdus musicus). Rechte Hals- 
seite. Fixation in Zenker 100: Eisessig 5 — 7 Tage. 

1. Zwei Epithelkörper. Im kranialen das Paraganglion caro- 

ticum. Seine Diameter betrugen: 0,29 0,2—0,2 mm. 

Vor dem kaudalen Epithelkörper, mit diesem aber in 

keinem geweblichen Zusammenhange, lag ein kleines mit 
sympathischen Nerven verbundenes Paraganglion. 


2. 


=. 
Ö. 


[| 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 14 


Die für das kraniale Paraganglion caroticum bestimmte 
Arterie konnte nicht mit Sicherheit bis zur Carotis 
communis verfolgt werden. 

Das grosse sympathische Ganglion reichte vom kaudalen 
bis über den kranialen Epithelkörper kopfwärts hinauf, 
es enthielt keine chromaffinen Zellen. 


Linke Halsseite. Fixation in Müller 9: Formol 1 — 


7 Tage. 
1% 


2. 


3. 


Zwei Epithelkörper. Im kranialen das Paraganglion 
caroticum. Deutliche Zusammensetzung aus einzelnen 
Zellballen. Die Diameter des Paraganglion caroticum 
betrugen: 0,25—0,24—0,2 mm. 

‘In der Nähe des kaudalen Epithelkörpers, im Zu- 
sammenhange mit sympathischen Nerven ein kaudales 
Paraganglion caroticum; seine Diameter: 0,08—0,12 
—0,02 mm. 

Die Arterie des kranialen Paraganglion caroticum kam 
direkt aus der Carotis communis. - 

Das sympathische Ganglion lag nur in der Nähe des 
kaudalen Epithelkörpers und enthielt keine chromaffinen 
Zellen. 


Altes Würgerweibchen 2 (Lanius collurio). Rechte 
Ha sseite. Fixation: Sublimat-Kochsalzlösung — 24 Stunden, 


1% 


3 


Zwei Epithelkörper. Das Paraganglion caroticum lag 
diesmal in der Nähe des kaudalen Epithelkörpers, war 
aber mit diesem nicht geweblich verbunden. Seine 
Diameter: 0,18—0,16--0,2 mm. 


. Die Gefässversorgung war nicht mit Sicherheit festzu- 


stellen. 
Das sympathische Ganglion lag in der Nähe deskranialen 
Epithelkörpers und enthielt keine chromaffinen Zellen , 


Linke Halsseite. Fixation in Müller 9:Formol 1 — 


6 Tage. 
1% 


Zwei Epithelkörper. Beide in ziemlich gleicher Höhe 
am Halse. Verbunden werden sie durch den zwischen 
sie eingeschobenen postbranchialen Körper. Dieser 
trat hier ausnahmsweise nicht in Form mehr lose 
aneinander gereihter Gruppen auf, sondern bildete einen 
mehr kompakten schärfer umgrenzten Zellkomplex. Das 


Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 69. 49 


746 


1: 


Wilhelm Kose: 


Paraganglion caroticum war ganzin ihm ver- 
graben und fast an seiner ganzen Peripherie vom 
postbranchialen Körper umgeben. Vom kranialen Epithel- 
körper war das Paraganglion caroticum auf diese Weise 
vollständig geschieden. Seine Diameter betrugen: 0,2 bis 
0,2—0,14 mm. 


. Von der Carotis communis ging eine sehr grosse Arterie 


ab, von dieser eine kleinere und erst von letzterer eine 
dritte Arterie, die sich in einen für den postbranchialen 
Körper und einen für das Paraganglion caroticum be- 
stimmten Ast teilte. 


. Das sympathische Ganglion lag in der Nähe der Epithel- 


körper, enthielt aber keine chromaffinen Zellen. 


VI. Zusammenfassung der wichtigsten Befunde. 


Das Paraganglion caroticum kommt allen Vögeln auf 
beiden Halsseiten ausnahmslos zu. Meist bildet 
es auf jeder. Halsseite nur ein einziges, manchmal aber 
auch zwei voneinander getrennte Organe (Gimpel, Zeisig, 
Wasseramsel, Fink, Drossel). Bei allen Vögeln, welche 
bloss ein einziges Paraganglion caroticum besitzen, lag 
es entweder bloss in der Nähe des kranialen. Epithel- 
körpers oder aber mehr minder tief im Innern des 
letzteren. Es kann aber ausnahmsweise bloss dem 
kaudalen Epithelkörper angeschlossen sein (1 Krähe, 
1 Henne, 1 Würger). 

Bei manchen Vögeln (Gimpel, Zeisig, Fink) ist das Para- 
ganglion caroticum auf einer oder auf beiden Halsseiten 
doppelt, d.h. analog gebaute und fast gleich grosse 
Paraganglien finden sich sowohlim Innern deskranialen 
als auch des kaudalen Epithelkörpers. 

Sind drei Epithelkörper auf einer Seite vorhanden, so 
kommt es vor, dass sowohl der kraniale, als auch der 
ihm zunächst liegende mittlere je ein Paraganglion in 
seinem Innern birgt, der am meisten kaudalwärts vorge- 
schobene dagegen keines enthält. 

Das Paraganglion caroticum verbindet sich bei den 
einzelnen Vögeln in einer sehr verschiedenen Art und 
Weise mit dem Epithelkörper. Häufig liegt es bloss in 


6. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 14T 


seiner Nähe, dann wieder versenkt es sich mehr minder 
tief in den Epithelkörper. Die Verbindung des Para- 
ganglion caroticum mit dem letzteren ist dann eine 
organische, wie zwischen dem Paraganglion supra- 
renale und der Nebenniere. 


. Dem Paraganglion caroticum analoge Anhäufungen der 


farbblosen chromaffinen Zellen durchsetzten einmal 
bei einer jungen Nestkrähe auf beiden Halsseiten 
die Wand der Carotis com. ihrer ganzen Dicke nach. 
Es bestand kein geweblicher Zusammenhang zwischen 
diesen Zellgruppen und dem eigentlichen Paraganglion 
caroticum. 

In der Nähe des kaudalen oder aber des kranialen 
Epithelkörpers liegt stets ein grosses sympathisches 
Ganglion, das zahlreiche Nerven in das Innere des Para- 
ganglion caroticum entsendet. Das Ganglion enthielt 
besonders bei den’Krähen, dann aber auch bei manchem 
Huhn verschieden viele Gruppen farbloser chromaffiner 
Zellen. Bei den andern Vögeln fehlten die letzteren im 
Innern des Ganglion. 


. Das Paraganglion caroticum aller Vögel bestand dem 


Wesen nach aus einer besonders grossen Anhäufung farb- 
loser chromaffiner Zellen und sympathischer Nerven. 
Die Paraganglia carotica vieler Vögel enthielten aber 
nebenbei noch in verschiedener Menge bindegewebige 
und elastische Fasern, die manchmal auffallend zahl- 
reich waren. 

Das histologische Bild des Paraganglion caroticum zeigt 
bei den einzelnen Vögeln insofern gewisse Verschieden- 
heiten, als es entweder eine mehr einheitliche Zellan- 
sammlung bildet, oder aber durch die Nerven, binde- 
gewebigen oder elastischen Fasern mehr in einzelne 
Zellgruppen zerfällt wird. 

Die einzelnen chromaffınen Zellen des Paraganglion caro- 
ticum liegen entweder in separaten bindegewebigen 
Maschen und Körben oder aber vereinigen sich zu 
kleineren und grösseren Gruppen. Die einzelnen Zellen 
liegen dabei entweder epithelartig nebeneinander oder 


aber bilden eine einheitliche Protoplasmamasse, in welche 
49* 


148 


10. 


1. 


12. 


13. 


Wilhelm Kose: 


die einzelnen Kerne eingelagert sind. In allen den 
letzteren Fällen müssen wir von einer syncytialen An- 
ordnung der Zellen oder besser gesagt von einem kern- 
haltigen Syneytinm reden, da es unentschieden bleiben 
muss, ob es sich um eine Verschmelzung schon selb- 
ständig gewesener Zellen oder nur um eine unvollständige 
oder vollkommen unterbliebene Zerfällung einer ursprüng- 
lich einheitlichen Protoplasmamasse in einzelne Zellen 
handelt. Aber auch jene Zellen, die in separaten binde- 
gewebigen Maschen und Körben liegen, vereinigen sich 
stellenweise innerhalb der Lücken der perizellulären 
Gitter. Bei einer einzigen jungen, noch blinden Nest- 
krähe fand ich wiederholt Teilungsfiguren (Mutter- 
und Tochtersterne) in einzelnen chromaffinen Zellen. 
Die für das Paraganglion caroticum bestimmte Arterie 
entsprang entweder direkt aus der Carotis com. oder 
aber bildete nur einen Teilast eines grösseren Arterien- 
stämmchens, das seinerseits aus der Carotis com. herkam 
und sich mit weiteren Fortsetzungen im postbranchialen 
Körper und der Thyreoidea verästelte. Manchmal besitzt 
das Paraganglion caroticum zwei zuführende Arterien. 
Die Adventitia der zum Paraganglion caroticum gehörigen 
Arterie ist öfters vom Abgange der letzteren aus der 
Carotis com. bis zu ihrem Eintritt ins Paraganglion 
caroticum von verschieden grossen Gruppen farbloser 
chromaffiner Zellen durchsetzt. 

Die farblosen chromaffinen Zellen nehmen infolge ihres 
besonderen Verhaltens unter den chromaffinen Zellen 
eine Ausnahmestellung ein und bilden für sich eine eigene 
Unterart. 

Es finden sich an verschiedenen Stellen der Vorhöfe und 
von da angefangen bis zum Paraganglion caroticum hinauf 
und nur ganz ausnahmsweise noch über dieses weiter 
kranialwärts bei allen Vögeln ohne Ausnahme verschieden 
grosse Anhäufungen der farblosen chromaffinen Zellen. 
Besonders an den Vorhöfen können sie öfters an Grösse 
dem Paraganglion caroticum fast gleich kommen. Über- 
all stehen diese Gruppen in einem innigen und geweb- 
lichen Zusammenhange mit sympathischen Nerven. Aus- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 749 


nahmsweise fand ich die farblosen chromaffınen Zellen 
auch in einzelnen Brustgrenzstrangganglien, im Hals- 
grenzstrange einer jungen Nestdrossel, ferner in ver- 
schiedenen abdominalen sympathischen Nerven bei einer 
jungen Nestkrähe und einem alten Kreuzschnabel, 
sowie in gehäufter Menge im Paraganglion suprarenale 
des letzteren. 


7. Sämtliche Fundstätten der übrigen Paraganglien, 
die entweder mit dem sympathischen Nervensystem 
geweblich verknüpft oder aber von ihm losgelöst sind. 
I. Die Grenzstränge und die peripheren Abschnitte des 
sympathischen Nervensystems. 

Sämtliche Paraganglıen aller untersuchten Vögel zeigen in 
bezug auf ihr allgemeines Vorkommen und ihren Auf- 
bau im wesentlichen ganz genau dieselben Verhältnisse. Ich 
kann daher eine übersichtlich gehaltene Beschreibung geben und 
werde nur eventuell vorkommende Differenzen näher erwähnen. 
Solche finden sich in derselben Weise bei Vögeln gleicher als 
auch verschiedener Spezies und ebenso auch bei ein und 
demselben Vogel an verschiedenen Stellen im Körper. 

Die Zahl, Anordnung und das Aussehen der chromaffinen 
Zellen, ferner die Verteilung des Bindegewebes oder aber die 
Lagebeziehung des chromaffinen Gewebes zu den Blutgefässen 
spielen hier eine bestimmende holle. Dennoch lehrt aber ein 
Vergleich aller bei den einzelnen Vögeln vorkommenden Para- 
ganglien, dass eine Anzahl von Grundtypen immer wiederkehrt. 
Vor allem will ich mich nun der Besprechung der Lage und des 
Vorkommens der chromaffinen Zellen in dem Grenzstrang 
und den peripheren sympathischen Ganglien und 
Nerven zuwenden. Es würde nun ermüdend und verwirrend 
sein, wollte ich die Beschreibung aller einzelnen Ganglien wieder- 
geben, wie sie in meinem Arbeitsjournal aufgezeichnet ist. Einige 
Zeichnungen mögen in den folgenden Zeilen zur Bekräftigung 
meiner Befunde dienen. 

Eine verschiedene Anzahl von Ganglien aller Abschnitte des 
Grenzstranges enthält bei den daraufhin untersuchten Vögeln in 
wechselnder Menge und Anordnung gelbe chromaffine Zellen. 
Bei jungen Vögeln sind sie im Vergleiche zu alten absolut viel 


750 Wilhelm Kose: 


zahlreicher. Ganz abgesehen vom Alter zeigt die Verteilung der 
chromaffinen Zellen und ihrer Gruppen in den einzelnen Ab- 
schnitten der Grenzstränge insofern eine gewisse (Gresetzmässig- 
keit, als sich die meisten chromaffinen Zellen im Abdomen, viel 
weniger dagegen im Thorax und am Halse finden. 

Sowohl am Halse, als im Thorax und im Abdomen wird 
man nun öfters bei manchen Vögeln in verschiedener Menge 
Ganglien finden, in welchen man gar keine einzige chrom- 
affıne Zelle zu Gesichte bekommt. Andere Ganglien wieder er- 
weisen sich von einer grossen Menge von chromaffinen Zellen 
durchsetzt. Inbezug auf die Menge und Verteilung des chrom- 
affınen Gewebes innerhalb der Grenzstrangganglien herrschen oft 
ganz individuelle und unberechenbare Schwankungen. Als ein 
Beispiel dafür sei folgendes angeführt. Während z. B. die Gang- 
lien der abdominalen Grenzstränge bei drei von den fünf blinden 
Nestkrähen ausnahmslos gelbe chromaffine Zellen in reicher 
Menge enthielten, fand ich bei der vierten Krähe desselben 
Geleges in mehreren von ihnen nicht eine einzige chromaf- 
fine Zelle. Auch die Grösse der Paraganglien stand bei dieser 
vierten Krähe hinter jener bei den drei ersten Krähen merklich 
zurück. Im Vergleiche zu dieser vierten Krähe war der Gehalt 
der abdominalen Grenzstrangganglien an chromaffinen Zellen bei 
den Vögeln der übrigen Spezies wesentlich grösser. Ähnliche 
individuelle Verschiedenheiten in der Verteilung des chromaffinen 
Gewebes scheinen auch innerhalb der Hals- und Brustgrenzstrang- 
ganglien zu herrschen. 

Zur übersichtlichen Darstellung der Verbreitung des chrom- 
affınen Gewebes in den sympathischen Ganglien wähle ich ein 
grosses Ganglion aus dem Plexus solaris einer jungen Nest- 
krähe (Fig. 21, Taf. XXVI). Ich kann dies mit umso grösserer 
Berechtigung tun, als die Verteilung der chromaffinen Zelien 
sowohl in den Grenzstrang- als Plexusganglien nach demselben 
Typus erfolgt. Ich liess die Hälfte dieses grossen Ganglion 
auch aus folgendem Grunde zeichnen. Die einschlägigen Ver- 
hältnisse lassen sich hier in einem einzigen Schnitte leicht 
demonstrieren. Wenngleich auch die Grenzstrangganglien zahl- 
reiche chromaffine Zellen enthalten, so fand ich, und dies gilt in 
erster Linie für die Ganglien am Halse und im Thorax, niemals 
so viele chromaffine Zellen und von ihnen zusammengesetzte 


Die Paraganglien bei den Vögeln. T51 


Gruppen in einem Schnitte beisammen, wie bei dem gezeichneten 
Ganglion. Man müsste also zur übersichtlichen Darstellung ein 
aus verschiedenen Schnitten zusammengesetztes Bild geben. 
Diesem Umstande wollte ich aus dem Wege gehen, um eventuelle 
Ungenauigkeiten zu vermeiden, die sich bei Kombinierung der 
Zeichnung hätten ergeben können. Aus der Zeichnung lässt sich 
nun mit Leichtigkeit folgendes erkennen. 

Das Ganglion ist nur zur Hälfte aufgenommen. Seine untere 
Spitze und die rechte und linke Seite stellen zugleich die äusseren 
Konturen des Ganglion dar. An diesen Stellen ist auch die 
bindegewebige Kapsel (bdg.) schön entwickelt. Die obere quere, 
punktierte Linie gibt die Halbierungsrichtung durch das Gang- 
lion an. 

Die Anhäufungen des chromaffinen Gewebes durchsetzen 
hier das ganze Innere des Ganglion mehr minder unregelmässig. 
Das Paraganglion (pg') liegt in seiner äussersten Peripherie. 
Es besteht aus einer grossen und kleinen Gruppe, die durch eine 
schmale brückenförmige Lage von chromaffınen Zellen mit ein- 
ander verbunden sind. Die folgenden Serienschnitte zeigen, dass 
durch eine allmähliche Häufung der chromaffinen Zellen in beiden 
(ruppen das Paraganglion mächtig anschwillt und schliesslich 
eine Gesamtausdehnung gewinnt, die durch die zwei Kreuze (XX) 
angegeben ist. Es liegt dabei fortwährend in der äussersten 
Peripherie des Ganglion, dicht unter seiner bindegewebigen Kapsel 
(bde.). Endlich aber wird es an einer Stelle besonders gross, 
durchbricht die bindegewebige Hülle des Ganglion und ragt aus 
diesem zum Teil heraus. Mittlerweile ist sein ganz im Gang- 
lion gelegener Anfang vollständig geschwunden und wir erhalten 
in den letzten Serienschnitten nur das Bild eines dem Ganglion 
ausschliesslich von aussen anliegenden Paraganglion. Tat- 
sächlich sendet dieses aber, wie aus den früheren Schnitten her- 
vorgeht, einen weitaus grösseren Fortsatz in das Innere des 
Ganglion. Es kann aber auch umgekehrt der Fall sein, dass sich 
die Paraganglien nur mit einem kleinen Teil in das Ganglion 
einsenken und mit dem grösseren aus ihm hervorragen. Das 
Paraganglion (pg.') stösst nur mit einer Seite an die bindegewebige 
Kapsel des Ganglion und ist in dem gezeichneten Schnitte ganz 
in dieses vergraben. Kleinere Paraganglien findet man öfters 
ausserhalb des Ganglion zwischen ihm und seiner binde- 


1752 Wilhelm Kose: 


gewebigen Kapsel, die an solchen Stellen eine leichte Abhebung, 
d. h. Vorwölbung zeigen kann. Die Paraganglien pg.” und pg.° 
liegen mehr im Innern des Ganglion, ebenso die anderen Gruppen 
und vereinzelten chromaffinen Zellen (chrz.). 

Es ist nun häufig der Fall, dass entweder sämtliche oder 
wenigstens die weitaus grösste Mehrzahl aller in einem Ganglion 
enthaltenen Paraganglien sich in der Peripherie des ersteren, wie 
pg.' finden und das Innere der Ganglien ganz frei von chrom- 
affınen Zellen bleibt. Im Thorax und am Halse bleiben die Para- 
ganglien in den Grenzstrangganglien fast ausnahmslos ganz 
im Ganglion versenkt, nur selten liegen sie letzteren von aussen 
an. In den Ganglien der abdominalen Grenzstränge dagegen, 
sowie in den verschiedenen Ganglien der peripheren abdo- 
minalen Plexus zeigen die Paraganglien oft das oben be- 
schriebene Bestreben aus dem Ganglion herauszutreten. 

Ähnliche Verhältnisse findet man bei den verschiedensten 
peripheren sympathischen Nerven imAbdomen. Auch 
hier liegen die Gruppen chromaffiner Zellen entweder ganz im 
Innern der Nervenstämmchen, allseitig von den Nervenfasern um- 
sponnen, oder aber mehr in der Peripherie der Nerven. Stellen- 
weise sind die Paraganglien, gerade so wie bei den Ganglien, in 
die äusserste Peripherie der Nerven eingesenkt. 

Ganz abgesehen von diesen mit dem sympathischen Nerven- 
system mehr minder organisch verbundenen Paraganglien, trifft 
man im Abdomen aller Vögel grössere oder kleinere Gruppen 
chromaffiner Zellen an, welche den sympathischen Ganglien und 
Nerven ausschliesslich von aussen anliegen und keinen 
Fortsatz in diese hineinsenden. 

Kehren wir nun zur Beschreibung des Präparates zurück. 
Das Paraganglion (pg.?) hüllt im Verlaufe der Serie mächtig an- 
wachsend eine kleine Arterie (art.) vollständig ein. Der Quer- 
schnitt dieser Arterie liegt rechts unmittelbar unter dem Para- 
ganglion, ihre Fortsetzung (art.') rechts oben. An seiner oberen 
Peripherie ist das Paraganglion von einer Kapillare (kpl.) umkreist. 
Diese Lagebeziehung des Paraganglion pg.” zum Blutgefässsystem 
führt uns zu ihrer genaueren Besprechung. 

Die weitaus überwiegende Mehrzahl aller in den ver- 
schiedensten Ganglien und Nerven befindlichen Anhäufungen 
chromaffinen Gewebes, aber auch ebenso die vereinzelten chrom- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 193 


affınen Zellen liegen entweder unmittelbaran Arterien oder 
Kapillaren, oder doch wenigstens in ihrer Nähe. Als ein Bei- 
spiel dafür diene auch Fig. 18, Taf. XXVI. Sie stellt ein kleineres 
Paraganglion aus einem Brustgrenzstrangganglion einer jungen 
Nestdrossel dar. Eine Kapillare (kpl.), deren Endothelkerne 
(end. kr.) sich scharf abheben, und die auch zwei rote Blut- 
körperchen (erythr.) enthält, zieht in das Innere dieses Paragang- 
lion und teilt sich dort. Die chromaffinen Zellen liegen der 
dünnen Kapillarwand unmittelbar an. Da dieses Präparat nicht 
mit spezifischen Bindegewebsfarbstoffen tingiert wurde, muss ich 
es unentschieden lassen, ob sich nicht doch allerfeinste binde- 
gewebige Fäserchen zwischen die Gefässwand und das chrom- 
affine Gewebe einschoben. Das Studium dieser Serie zeigte nun, 
dass das Paraganglion einen rundlich-ovalen Körper bildete, der 
die Kapillare und ihre Teiläste allseitig umschloss. Das Para- 
ganglion sass an der Kapillare wie eine Beere an ihrem Stiel. 
Nicht immer hüllen die Gruppen chromaffiner Zellen die Kapillaren 
so vollständig wie hier ein, sie liegen oft nur an einer Seite der 
letzteren. Dabei können sie eine dreieckige Gestalt besitzen 
und schmiegen sich dann mit der einen Seite des Dreieckes an 
die Kapillarwand. 

Eine ähnliche oder gleiche, auffällige Lagebeziehung der 
innerhalb des Sympathicus befindlichen chromaffinen Zellen zu 
Venen konnte ich im Gegensatze zu jener in bezug auf 
kleinere Arterien und Kapillaren nur sehr selten nachweisen. 
Anders verhält sich dies bei den vom sympathischen Nerven- 
system isolierten Paraganglien. Bei der Besprechung dieser 
wird dies Verhalten Berücksichtigung erfahren. 

Im Gegensatze zu allen denjenigen Paraganglien, die den 
Arterien und Kapillaren unmittelbar anliegen, stehen die Gesamt- 
heit jener Gruppen chromaffiner Zellen und alle jene einzelnen 
chromaffinen Zellen, die bloss in der Nähe von den Gefässen 
sich finden, ohne mit diesen in irgend einen geweblichen Zu- 
sammenhang zu treten. 

Oftmals finden sich die chromaffinen Zellen ohne erkennbare 
Anordnung im ganzen Ganglion verstreut, wobei sie öfters den 
Ganglienzellen unmittelbar von aussen, ich möchte sagen, kappen- 
förmig aufsitzen. 

Ein häufiger Fundort von Paraganglien ist die Eintritts- 


54 Wilhelm Kose: 


stelle sympathischer Nerven in die verschiedensten Ganglien. 
Die Gruppen chromaffiner Zellen liegen dabei entweder noch im 
Nerven selbst, oder aber schon im Ganglion an seiner Ver- 
bindungsstelle mit dem Nervenstämmchen. Diese topographische 
Lage der Paraganglien findet sich in derselben Weise bei den 
Grenzstrang- und auch Plexusganglien. Die Fig. 17, Taf. XXVI, 
illustriert die betreffenden Verhältnisse, Es wurde hier die linke 
Hälfte eines Ganglion aus dem untersten Teile des Plexus 
rectalis einer Nestkrähe gezeichnet. Von links her ver- 
bindet sich mit dem Ganglion ein grösseres sympathisches Nerven- 
stämmchen (sy. n.). In ihm, knapp vor seinem Eintritt ins Gang- 
lion liegt eine rundliche Gruppe der farblosen chromaffinen 
Zellen (pg). Nur ganz vereinzelte braungelbe chrom- 
affine Zellen (chrz.) finden sich in der Peripherie dieser Gruppe. 
Dieses Präparat wurde hauptsächlich mit zum Beweise dafür ge- 
zeichnet, dass genau dieselben farblosen chromaffinen Zellen, 
welche am Halse das Paraganglion caroticum zusammen- 
setzen, auch in den abdominalen Abschnitten des sympathischen 
Nervensystems vorkommen. Man kann aber an dieser Zeichnung 
die hier in Frage kommende Lagerung der gelben chromaffinen 
Zellen ebenfalls demonstrieren, da sie zu Gruppen gehäuft an 
denselben Stellen in den Nerven sich mit Vorliebe finden. 

Merkwürdig ist die Armut in erster Linie der Hals- und 
Brustgrenzstränge, dann aber auch der abdominalen 
Grenzstränge an chromaffinen Zellen im Vergleiche zu 
den einzelnen Ganglien. Nur an den Verbindungsstellen 
der Grenzstränge mit den Ganglien konnte ich im Innern der 
ersteren manchmal vereinzelte gelbe chromaffıne Zellen nach- 
weisen. Weiter von den Ganglien entfernt fand ich innerhalb 
der Grenzstränge nur ausnahmsweise chromaffıne Zellen und 
das fast ausschliesslich nur im Abdomen. Das Alter oder die 
Spezies der einzelnen Vögel scheinen auf die Menge und Ver- 
teilung der chromaffinen Zellen innerhalb der Grenzstränge 
keinen erkennbaren, mitbestimmenden Einfluss zu haben. 

Etwas anders verhält es sich mit den Grenzsträngen 
während ihres Veriaufes durch manche Ganglien. 
Die ersteren bilden dann manchmal streckenweise wohl abge- 
grenzte Nervenstämmchen, die dann einen reicheren oder 
geringeren Gehalt an chromaffinen Zellen aufweisen können. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 1755 

Die innerhalb der abdominalen Grenzstränge 
aber ausserhalb der Ganglien befindlichen Gruppen chrom- 
affıner Zellen liegen entweder in der Achse oder aber ganz in 
der Peripherie der Grenzstränge. Manchmal lösen sie sich von 
den letzteren ganz ab und schieben sich zwischen sie und ihr 
zugehöriges Epineurium ein. 

Die Paraganglien sind von dem eigentlichen nervösen 
Gewebe der Ganglien und Nerven entweder durch eine dünne 
bindegewebige Hülle getrennt oder aber sie werden von den 
Ganglienzellen und Nervenfasern direkt umsponnen. Die Grösse 
der Paraganglien schwankt in merklichen Grenzen. Entweder 
bestehen die einzelnen Gruppen nur aus 2—3 oder aber aus 
20—30 und mehr Zellen. Die allergrössten Paraganglien 
liegen stets im Abdomen, sei es nun innerhalb der Grenz- 
strangganglien oder aber in den verschiedensten peripheren 
sympathischen Plexus. 

Vergleichen wir nun schliesslich in übersichtlicher Weise 
die Lage, Zahl und Grösse aller zur Beobachtung gelangten 
Paraganglien, so ergibt sich die Tatsache, dass die Grenzstränge 
(Grenzstrang + Ganglien) am Halse und am Thorax viel weniger 
chromaffines Gewebe enthalten, als jene im Abdomen. In den 
zwei ersten Abschnitten des Sympathicus sind mit ganz seltenen 
Ausnahmen die Anhäufungen chromaffiner Zellen vollständig 
in dieselben eingesenkt, während im Abdomen bei den Paragang- 
lien ein auffälliges Bestreben zu Tage tritt, sich vom sym-» 
pathischen Nervensystem loszulösen. Dies findet seinen deutlichen, 
morphologischen Ausdruck darin, dass die Paraganglien zu einem 
kleineren oder grösseren Teil frei aus dem Ganglion oder Grenz- 
strange herausragen, oder ihnen nur von aussen anliegen, ohne 
sich mit dem Sympathicus geweblich zu verbinden. 

Betrachten wir nın das abdominale, periphere sym- 
pathische Nervensystem im Gegensatze zu dem thora- 
kalen und am Halse gelegenen etwas näher, so ergeben sich 
auffällige Unterschiede betrefts des Gehaltes an gelben chrom- 
affinen Zellen. — Das periphere sympathische Nervensystem des 
Halses und der Brust enthielt nur in vereinzelten Ausnahme- 
fällen gelbe chromaffıne Zellen. Bei einer alten Eule bildeten sie 
schöne rundlich-ovale Gruppen in den an den Vorhöfen gelegenen 
Nerven, bei einem einjährigen Hahne setzten sie eine schöne 


756 Wilhelm Kose: 


und grosse Gruppe im äusseren Abschnitte des Halssympathicus 
zusammen, während sie bei einer jungen Drossel nur in Form 
ganz kleiner Gruppen in wenigen sympathischen Nervchen am 
Halse zu finden waren. Bei keinem anderen der unter- 
suchten Vögel waren sonst an diesen Stellen gelbe chromaffine 
Zellen nachzuweisen. Diese werden am Halse und in der Brust 
(Vorhöfe) von den farblosen chromatffinen Zellen vertreten, wie 
ich dies schon bei Besprechung des Paraganglion caroticum 
ausführte. 

Im Gegensatze zu der auffallenden Armut oder dem meist 
totalen Mangel des peripheren sympathischen Nervensystems 
am Halse und in der Brust an gelben chromaffinen Zellen, 
zeigt sich das abdominale in reichster Menge von ihnen durch- 
setzt. Gerade so wie bei den Paraganglien der Grenzstränge, 
so zeigt sich auch bei jenen des peripheren sympathischen 
Nervensystems das Bestreben, sich von diesem abzulösen. Die 
Paraganglien sind häufig so gross wie die Ganglien selbst, denen 
sie anliegen oder übertreffen diese noch an Ausdehnung. Sie 
werden oft samt dem zugehörigen Ganglion von einer gemein- 
samen bindegewebigen Kapsel umhüllt. Wie wir bisher gesehen 
haben, kann die Loslösung des chromaffinen Gewebes vom sym- 
pathischen Nervensystem eine mehr minder weitgehende sein. 
Immer aber lagen die Paraganglien den Nerven und Ganglien 
mindestens von aussen an. Die Trennung zwischen ihnen kann 
aber eine vollständige sein, insofern die chromaffinen Zellen selb- 
ständige Gruppen bilden. Sie treten dann entweder mit den 
verschiedenen Abdominalorganen wie Niere, Hoden, Ovarium, 
Urniere, ferner mit der Aorta und den verschiedensten 
Arterien und Venen in eine gewebliche Verbindung, oder finden 
sich in Form kleinerer oder grösserer Zellgruppen in dem zwischen 
den einzelnen Organen befindlichen Bindegewebe. Ich wende 
mich nun der Besprechung dieser Paraganglien zu. 


II. Urnierenreste. 


Die Urnierenreste liegen stets in der Nähe des Paraganglion 
suprarenale. Sie sind entweder mit diesem oder mit dem Hoden 
und Ovarium durch Bindegewebe lockerer oder fester verknüpft. 
Die Urnierenreste bestehen aus einer Anzahl länglicher Kanälchen 
(Fig. 16, Taf. XXVI, urn. knl.), die in den einzelnen Schnitten in 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 157 


den verschiedensten Richtungen getroffen sind. Sie werden von 
einem einfachen, niedrigen zylindrischen, resp. kubischen Epithel 
ausgekleidet. Zwischen diesen Kanälchen findet man vereinzelte 
grössere, rundliche Zellgruppen oder Zellballen, die von einer 
eigenen dünnen bindegewebigen Hülle umkleidet werden; sie 
stellen die Reste Malpighischer Körper dar. In der beigegebenen 
Figur sind leider keine enthalten gewesen. Alle Urnierenkanälchen 
werden durch ein auffallend kernreiches Bindegewebe (bdg.') zu 
einem einheitlichen Körper zusammengefasst. Dieser besitzt hier 
die Gestalt eines stumpfen, abgestutzten Dreieckes und wird 
allseitig von lockerem Bindegewebe (bdg.”) umgeben. An der 
mit drei Kreuzchen (XXX) bezeichneten Stelle zeigt dieses, oben 
an der Spitze der Urnierenreste, infolge der Präparation eine 
Abhebung von der eigentlichen Urniere. Man findet nun in der 
Nähe der Urnierenkanälchen oder ihnen unmittelbar anliegend 
kleinere oder grössere Anhäufungen chromaffiner Zellen. In den 
allermeisten Fällen sind sie nur in die äussersten Randpartien 
der Urniere eingesenkt, wie es auch in der Zeichnung wieder- 
gegeben ist. Ungleich viel seltener dringen sie in das Urnieren- 
gewebe etwas tiefer ein. Sie können dabei die Reste der 
Malpighischen Körperchen halbmondförmig umgeben. Das grosse 
Paraganglion (pg.!) ist in die obere stumpfe Spitze der Urnieren- 
reste eingegraben. Es setzt sich aus mehreren, durch schmale 
Brücken chromaffınen Gewebes miteinander verbundenen Gruppen 
chromaffiner Zellen zusammen. Diese zeigen in der am meisten 
nach rechts gelegenen Gruppe teilweise eine strangförmige 
Anordnung. An der rechten Seite der Urniere liegt innerhalb 
der letzteren noch eine kleine selbständige, länglich-ovale Gruppe 
chromaffiner Zellen (pg.?). Die allermeisten in den Urnieren- 
resten befindlichen Paraganglien stehen bei allen Vögeln in keinem 
nachweisbaren Zusammenhange mit dem sympathischen Nerven- 
system. Weder Nerven noch Ganglienzellen sind im Innern oder 
der Nähe dieser Paraganglien zu sehen gewesen. Anders verhält 
es sich mit jenen in der Umgebung der Urnierenreste, frei im 
Bindegewebe gelegenen Paraganglien. Zwischen diesen liegen 
manchmal vereinzelte und zu Gruppen gehäufte Ganglienzellen 
(gz. oben in der Figur). Links von der Urniere verläuft eine grosse 
und eine kleine Vene (ven.), sowie eine zweimal im (@uerschnitte 
getroffene Arterie (art ). 


nn 


Wilhelm Kose: 


Qu 


Es kommt nun — wie bekannt — normalerweise ein 
leuchtend- gelbes, schollig-krümmliges Pigment innerhalb der 
Urnierenreste vor. Es erfüllt entweder zum Teil das Plasma 
der die Kanälchen auskleidenden Epithelzellen, oder findet sich 
frei im Lumen jener. Manche Kanälchen waren, besonders bei 
einer jungen Nestdrossel, ganz von diesem Pigment erfüllt. 
Dieses findet man aber auch ausserhalb der Kanälchen in 
Form grösserer oder kleinerer Schollen mitten in dem kernreichen 
Bindegewebe (bdg.'). Die Schollen besitzen öfters eine beträcht- 
liche Grösse und eine merkwürdige Ähnlichkeit mit länglich-ovalen 
Zellen. Man könnte im ersten Momente vielleicht an chromaffine 
Zellen denken. Eine Verwechslung dieser mit den Pigmentschollen 
ist aber bei genauem Zusehen leicht und sicher zu vermeiden. 
Alle Pigmentschollen haben nämlich eine ganz eigentümliche und 
nur ihnen zukommende, schwefelgelbe ins grünliche spielende 
Farbe, wie sie die chromaffinen Zellen niemals aufweisen. Ferner 
werden die Pigmentschollen bei der Färbung der Präparate z.B. 
mit Cochenille niemals auch nur eine Spur mitgefärbt, sondern 
behalten ihre Eigenfarbe bei. Ausnahmsweise kann dies, wie: wir 
gesehen haben, auch bei verschiedenen chromaffinen Zellen 
vorkommen, niemals bildet aber dies Verhalten die Regel, viel- 
mehr nehmen die meisten chromaffinen Zellen mehr minder den 
Farbstoff auf und zeigen die verschiedensten Mischtöne zwischen 
diesem und ihrer eigenen gelben Farbe. Schliesslich sind die 
Pigmentschollen stets, ohne Ausnahme, kernlose und 
niemals granulierte Massen. Anschnitte chromaffiner 
Zellen können ja auch gelbe, kernlose Protoplasmamassen dar- 
stellen, dann findet man aber immer in den folgenden Schnitten 
den zu ihnen gehörigen kernhaltigen Teil der Zelle. Die 
absolute Kernlosigkeit und die ganz spezifische grün-gelbe Farbe 
der freien und nicht granulierten Pigmentschollen sind 
sichere und zuverlässige Unterscheidungsmerkmale zwischen ihnen 
und den vereinzelten im Bindegewebe zwischen den Urnieren- 
kanälchen vorkommenden chromaffinen Zellen. 


III. Ovarium. 


Das Ovarium bildete bei den daraufhin untersuchten ganz 
jungen Nestvögeln (zwei Krähen, eine Drossel) einen läng- 
lichen, stellenweise leicht gelappten Körper, der eine stärkere 


Pr 


Die Paraganglien bei den Vögeln. Ud8 


oder schwächere Längskrümmung besass. Seine konkave Seite 
war dem Paraganglion suprarenale zugewendet. Diese hilusartige 
Vertiefung an der einen Seite des Ovarium war ganz von Binde- 
gewebe erfüllt. Dieses erstreckte sich auch nach aussen und 
vermittelte die gewebliche Verbindung des Ovarium mit dem 
Paraganglion suprarenale. Eine grosse Anzahl von ganz unregel- 
mässig gestalteten Hohlräumen durchsetzte nun dieses kernreiche 
den Hilus ovarii erfüllende Bindegewebe. Diese Hohlräume er- 
streckten sich auch noch nach aussen von dem Hilus in das dort 
befindliche lockere Bindegewebe. Sie sind stellenweise wie von 
einem einschichtigen Endothel ausgekleidet und stehen miteinander 
in einem vielfachen direkten Zusammenhange. Von Waldeyer 
wurden sie als Lymphräume gedeutet. Da es nicht Aufgabe dieser 
Arbeit ist, die gewebliche Natur dieser Hohlräume klarzulegen, 
und überdies das von mir untersuchte Material viel zu gering 
und nicht mit spezifischen Methoden untersucht ist, um mir eine 
eigene sichere Anschauung zu ermöglichen, so gehe ich hier auf 
die neuere Literatur über dieses Thema nicht näher ein. Ich 
musste aber trotzdem diese Hohlräume erwähnen, weil die An- 
häufungen chromaffiner Zellen mit ihnen in nähere Verbindung 
treten. Kleinere oder grössere Paraganglien durchsetzten nämlich 
in wechselnder Menge nach allen Richtungen das zwischen diesen 
Hohlräumen gelegene Bindegewebe. Sie kamen dabei öfters hart 
an die Wandung der Hohlräume zu liegen und wölbten sich 
stellenweise in ihr Lumen vor (fixiertes Präparat!). Die Para- 
ganglien im Hilus ovarii reichten bis unmittelbar an das 
eigentliche Ovarialgewebe heran, in diesem selbst fand 
ich aber niemals auch nur eine chromaffine Zelle, 
Diese erstrecken sich stellenweise in Form von Zellsträngen oder 
reihenförmig angeordneter Gruppen aus dem Hilus ovarii nach aussen 
fort. Bei einer blinden Nestkrähe waren sie in kontinuierlichem 
Zuge bis in das Paraganglion suprarenale zu verfolgen. Im Hilas 
des Ovarium lagen stets zwischen den Gruppen chromaffiner 
Zellen kleinere und grössere sympathische Ganglien und 
Nerven, welche ebenfalls verschieden viele gelbe chromaffine 
Zellen enthielten. In der Nähe des Ovarium fand ich bei zwei 
jungen Krähen das einemal eine, das anderemal zwei sogenannte 
„aeccessorische Nebennieren“. In diesen kleinen, für sich 
im Zwischengewebe liegenden Organen, verband sich das epitheliale 


760 Wilhelm Kose: 


eigentliche Nebennierengewebe mit den chromaffinen Zellen in 
genau derselben Weise, wie in dem gleichgebauten, für gewöhnlich 
„Nebenniere“ genannten Hauptorgane (Nebenniere - 
Paraganglion suprarenale). Diese accessorischen Neben- 
nieren lagen eine Strecke weit vom letzteren entfernt; nirgends 
bestand auch nur der geringste gewebliche Zusammenhang 
zwischen beiden. 
IV. Hoden. 

Bei einer noch blinden Nestkrähe gelang mir der sichere 
Nachweis von kleinen Gruppen chromaffiner Zellen in der Nähe 
des Hodens, in seiner Kapsel und in den äussersten, unmittelbar 
unter dieser gelegenen Schichten des eigentlichen Hoden- 
parenchyms. Ebenso begleiteten kleine. Gruppen ein aus dem 
Hoden in den Nebenhoden ziehendes Hodenkanälchen. Keines 
von allen diesen Paraganglien stand in einem nachweisbaren 
Zusammenhange mit sympathischen Nerven. 


V. Niere. 


Bei einer jungen Nestdrossel, aber auch bei einer jungen 
Krähe, wenn auch bei letzterer nicht so schön, fanden sich bis 
1 mm von der Nierenoberfläche entfernt, kleinere und grössere 
Paraganglien in diese eingesenkt. Stücke der Niere wurden 
immer nur nebenbei und nicht zum Zweck einer speziellen 
Untersuchung bei Präparation des Paraganglion suprarenale mit 
herausgenommen. Ich bin überzeugt, dass bei planmässig darauf- 
hin gerichteten Untersuchungen weit öfters und weit mehr 
chromaffine Zellen, vielleicht auch in grösseren Tiefen in den 
Nieren gefunden werden dürften, als es mir gelang. 

Fig. 19, Taf. XXVI, stellt einen Schnitt durch die Niere 
der jungen Drossel dar. Links befindet sich das eigentliche 
Nierenparenchym, dessen Kanälchen (nr. knl.) in den ver- 
schiedensten Richtungen durchschnitten sind. Am ganzen rechten 
Bildrande verläuft eine grössere Vene (ven.), von der aber nur 
ihre linke Wand gezeichnet wurde, nach rechts von dieser ist 
das Venenlumen (lum.) und weiter nach rechts von der Vene 
.wieder Nierenparenchym zu denken. Die Venenwand setzte sich 
aus einem einschichtigen Endothel und wenigen Lagen von Binde- 
gewebe zusammen. Unten, ganz in sie vergraben, liegt ein 
kleines Paraganglion (pg.'). Dieses reicht bis unmittelbar an 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 761 


das Endothel heran. In den folgenden Schnitten erwies sich die 
Venenwand, noch tiefer in die Niere hinein, von mehreren solchen 
Gruppen durchsetzt, die stellenweise das Endothel ins Venen- 
lumen etwas vorbuchteten. Zu keinem dieser kleinen, voll- 
ständig in der Venenwand gelegenen Paraganglien zog irgend 
ein nachweisbares Nervenstämmchen. Interessant ist der Umstand, 
dass auch die Wand grösserer innerhalb der Niere verlaufender 
Arterien in gleicher Weise wie die Venen verschieden 
grosse Gruppen chromaffiner Zellen enthalten kann. Man findet 
nun abgesehen von diesen in den Gefässwänden befindlichen Para- 
ganglien eine verschieden grosse Menge von ihnen frei zwischen 
den Nierenkanälchen liegen. Ein solches Paraganglion ist mit 
pg.” bezeichnet. Es senkt sich mehr minder tief in das eigent- 
liche Nierenparenchym ein und steht mit den grösseren Gefässen 
in keinem geweblichen Zusammenhange. Pg.? besteht eigentlich 
aus drei voneinander teilweise gesonderten Gruppen chromaffiner 
Zellen. An seiner unteren Peripherie liegt ein kleines Ganglion 
(sy. g7.), das seinerseits mit einem schwachen marklosen Nervchen 
(sy. n.) zusammenhängt. Peg.” ist ebenfalls von sympathischen 
Nerven (sy. n.) umgeben. Die in der Niere befindlichen Para- 
ganglien stehen aber häufig in keinem nachweisbaren Zusammen- 
hange mit dem sympathischen Nervensystem. 


VI. Die Wandungen der verschiedensten abdominalen Arterien 
und Venen. 


Eine fernere Fundstätte schöner Paraganglien sind die Ge- 
fässwandungen der Aorta abdominalis und Vena supra- 
renalis. Fig. 23, Taf. XXVI stellt ein Stück aus der Aorta 
abdominalis einer noch blinden Nestkrähe dar. Von der Tunica 
media (med.) wurde nur das äussere Drittel gezeichnet. Die 
Adventitia (adv.) ist an der mit zwei Kreuzchen bezeichneten 
Stelle (XxX) infolge der Präparation von der Media abgehoben. 
In früheren Schnitten lag ein grosses Paraganglion (pg.) ganz in 
der Adventitia. Hier stellt es nur mehr eine kleinere Gruppe 
chromaffiner Zellen dar. Es setzte sich nur durch einen kleinen 
Schlitz in der Media in diese hinein fort. Der in diesem Schnitte 
ganz dünne stielförmige Fortsatz wurde bloss von einigen Muskel- 
zügen der Media gedeckt und ist hier nicht eingezeichnet worden, 


um die eben beschriebenen Verhältnisse klarer zu demonstrieren. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 69. 50 


762 Wilhelm Kose: 


Innerhalb der Media setzen die chromaffınen Zellen wieder ein 
grösseres Paraganglion zusammen. Das ganze Paraganglion 
hatte demnach Hantelform und lag mit einem Teil in der 
Media, mit dem anderen in der Adventitia. Ersterer wurde 
durch keine eigene bindegewebige Hülie von den Muskelfasern 
geschieden. Später fanden sich an der Stelle des grossen Para- 
ganglion nur vereinzelte, ganz unregelmässig verstreute chrom- 
affıne Zellen. An manchen Stellen der Aorta abdominalis und 
der verschiedensten anderen Arterien schieben sich die Paragang- 
lien bis fast an die Intima heran, ohne jedoch jemals das 
Endothel wie bei den Venen zu berühren. Es wäre nun noch 
hervorzuheben, dass durchaus nicht alle Paraganglien zu gleicher 
Zeit in der Adventitia und Media liegen. Viele durchsetzten 
bloss eine einzige von diesen beiden Wandschichten. Manche der 
in der Adventitia gelegenen Gruppen chromatffiner Zellen stehen 
in einem direkten Zusammenhange mit feinen sympathischen 
Nervchen, bei den ausschliesslich in der Media befind- 
lichen Paraganglien konnte ich dies niemals sehen. 

Von allen zur Beobachtung gelangten venösen Blutgefässen 
besass die Vena suprarenalis den grössten Gehalt an chrom- 
affınen Zellen. Die aus einem Endothel und relativ wenig Binde- 
gewebe und spärlichen Muskelfasern zusammengesetzte Wand war 
häufig in ihrer ganzen Dicke von zahlreichen Gruppen und ein- 
zelnen chromaffinen Zellen durchsetzt. Waren die ersteren etwas 
grösser, so ragten sie entweder nach aussen aus der Venenwand 
heraus, oder wölbten das Venenendothel etwas vor sich ins 
Lumen vor. Einzelne Gruppen ragten, ich betone es immer — 
am fixierten Präparate — knopfartig in das Venenlumen. 

Ganz abgesehen von diesen grossen Blutgefässen besitzen 
die Wandungen der verschiedensten kleineren und grösseren 
Arterien und Venen im Bereiche des ganzen Abdomens 
einen wechselnden Reichtum an chromaffinen Zellen. Die Media 
der kleinsten Arterien ist oft nur zwei bis drei Muskellagen stark und 
trotzdem von kleinen Gruppen chromaffiner Zellen an verschiedenen 
Stellen durchsetzt. Im Gegensatze zu den entsprechend dünnen 
Venen wölbten sich die Paraganglien der kleinen Arterien niemals 
ins Gefässlumen vor. 

Infolge reicher Entwicklung des chromaffinen Gewebes kann 
es auch vorkommen, dass die kleinen Arterien und Venen auf 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 763 


weitere Strecken hin von dem chromaffinen Gewebe vollständig 
eingehüllt werden. 


VII. Frei im Bindegewebe gelegene Paraganglien. 


Alle hier zur Besprechung gelangenden Gruppen chrom- 
affiner Zellen zeigen das eigentümliche Verhalten, dass sie mit 
keinem der früher abgehandelten Abdominalorgane in eine geweb- 
liche Verbindung treten, sondern frei für sich allein im 
Bindegewebe liegen. Ein Teil von ihnen verleugnet seine Zu- 
gehörigkeit zum sympathischen Nervensystem nicht, insofern 
er mit feinen Nerven oder kleinen Ganglien in Verbindung steht, 
ein anderer Teil dagegen hat sich vom Sympathieus vollständig 
losgelöst. Als ein Beispiel für solche Paraganglien diene die 
Fig. 20a, Taf. XXVI. Diese Gruppe chromaffiner Zellen stammt 
aus dem Abdomen einer blinden Nestkrähe und setzte sich 
aus einer Anzahl von rundlichen oder länglich-ovalen Zellgruppen 
oder Zellballen (zb.) zusammen. Diese waren von Kapillaren 
(kpl.) und dünnen Zügen fibrillären Bindegewebes an ihrer Ober- 
fläche umgeben, mit Ausnahme von Zellballen zb.° und zb.’, die 
bier in der Figur teilweise zusammenhängen, und deren gegen- 
seitige Abgrenzung erst in den folgenden Schnitten etwas deut- 
licher wurde. Links und rechts von zb.' verlaufen kollabierte 
Kapillaren (kpl.). Vergl. auch Fig. 20b, Taf. XXVI, welche einen 
Teil des Ballens zb.! bei stärkerer Vergrösserung wiedergibt. Das 
Paraganglion ist nur zum grössten Teil gezeichnet worden. Es 
wird an seiner Oberfläche von einer bindegewebigen Kapsel (bdg.) 
eingehüllt, die am oberen Rande des Paraganglion besonders 
dick ist und nach unten zu, immer schwächer werdend, stellen- 
weise sich ganz zu verlieren scheint. In der bindegewebigen 
Kapsel verlaufen am linken Schnittrande eine kleine quergetroffene 
Arterie (art.) und zwei Venen (ven.). 

Das ganze Paraganglıon lag vollständig von der Nachbar- 
schaft getrennt für sich im lockeren Bindegewebe und selbst die 
genaueste Beobachtung liess keinen Zusammenhang mit dem 
sympathischen Nervensystem erkennen. Auffallend war der grosse 
Reichtum an Kapillaren, welche das Paraganglion nach allen 
Richtungen durchzogen. 

Die allergrösste Mehrzahl der frei im Bindegewebe gelegenen 


Paraganglien zeigt nur sehr selten eine solche Grösse und einen 
50* 


764 Wilhelm Kose: 


so zusammengesetzten Bau. Ich fand sie auch bei keinem der 
untersuchten Vögel so schön ausgebildet wie bei den blinden 
Nestkrähen. In der Mehrzahl der Fälle bilden die selb- 
ständigen Paraganglien kleine, mehr einheitliche Gruppen. 
Nirgends stand dieses Paraganglion in einem Zusammenhange 
mit dem Sympathicus. 

VIII. Cytologie. 

Nach Besprechung des allgemeinen Vorkommens und der 
Grösse der Paraganglien, wende ich mich nun der Beschreibung 
des feineren Aufbaues der sie zusammensetzenden chromaffinen 
Zellen zu. Hierbei kann ich mich ganz kurz fassen, indem ich 
auf alles das verweise, was ich bei Beschreibung des Paragang- 
lion suprarenale gesagt habe. Seine Zellen gleichen in 
jeder Beziehung, was die Farbe, Grösse und Struktur von 
Kern und Plasma betrifft, den chromaffinen Zellen der ver- 
schiedenen im vorhergehenden beschriebenen Paraganglien. 

Es gibt nun sowohl an verschiedenen Stellen des ganzen 
sympathischen Nervensystems, besonders aber im abdo- 
minalen, dann aber auch in den freien und mit den ver- 
schiedenen abdominalen Organen verbundenen Paraganglien 
eine wechselnde Anzahl von chromaffinen Zellen, welche die Farb- 
stoffe gar nicht aufnehmen. Viele von den letzteren erscheinen 
in einem satten goldgelben Tone. Wie ich schon bei Be- 
schreibung des Paraganglion suprarenale erwähnte, erfahren die 
chromaffinen Zellen bei der Fixierung mit Chromgemischen eine 
ausschliessliche Geib-. niemals dagegen eine Braunfärbung. Die 
oben erwähnten Zellen unterscheiden sich von den anderen chrom- 
affınen Zellen, schon in den ungefärbten Präparaten, 
durch ihre goldgelbe Farbe. Aber nicht bloss diese eigentüm- 
liche Färbung, sondern auch feinere Struktureigentümlichkeiten 
des Plasma und der Kerne bilden Differenzierungsmerkmale 
zwischen vielen dieser goldgelben und den anderen typischen 
chromaftinen Zellen. Das Plasma der ersteren ist häufig nur in 
Form eines engmaschigen, aus dünnsten Fädchen zusammen- 
gesetzten Retikulum angeordnet. Die Maschen waren leer und 
von keinen Granula durchsetzt, wie dies bei den anderen 
chromaffinen Zellen stets der Fall ist. (Fig. 20b, Taf. XXVL) 
Unter den goldgelben Zellen gibt es aber auch eine geringe 
Anzahl, die ebenfalls in ähnlicher Weise Granula enthalten. 


2 


\ 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 765 


Zwischen den einzelnen Zellen (Fig. 20b, Taf. XXVI) sind 
Zellgrenzen nur stellenweise in Gestalt schwächerer gelber Linien 
(zg.) angedeutet. Meist stehen die endozellulären Netzwerke be- 
nachbarter Zellen miteinander in einem ununterbrochenen Zu- 
sammenhange. Nur die Lage der Kerne gibt ungefähr die Aus- 
dehnung der einzelnen Zellen an. Man kann daher hier mit 
Recht von einer syncytialen Anordnung der Zellen sprechen. 


Die Kerne dieser goldgelben Zellen sind meist rund oder 
oval, seltener mehr unregelmässig (Fig. 24b, Taf. XXIIL, 11). Sie 
färben sich recht verschieden stark und besitzen häufig keine 
wahrnehmbare oder nur eine ganz verwaschene Struktur. Sie 
erscheinen dann in Form matter, nicht scharf konturierter Kreise 
oder Scheiben; in der beigegebenen Fig. 20b, Taf. XXVI, war 
nur in zwei Kernen ein Kernkörperchen angedeutet. 


Für diese goldgelben chromaffinen Zellen ist schliesslich 
der Umstand charakteristisch, dass sie stets zu kleineren oder 
grösseren Gruppen vereint sind. Entweder setzen sie mit den 
übrigen chromaffinen Zellen die verschiedensten Paraganglien zu- 
sammen, oder bildeten für sich allein Paraganglien (Fig. 20a, 
Taf. XXVD. Die goldgelben chromaffinen Zellen fanden sich an 
allen den bisher beschriebenen Fundorten chromaffinen Gewebes 
und, wie ich nochmals hervorheben will, öfters in gehäufter Menge 
im Paraganglion suprarenale. 


Als dritter Zelltypus wären nun jene Zellen zu nennen, 
die sich wiederum gar nicht gelb, sondern ausschliesslich mit 
Cochenille rot gefärbt haben, die sonst aber in jeder Beziehung 
vollständig den gelben chromaffinen Zeilen gleichen. Die Gesamt- 
heit dieser Zellen müssen wir in zwei Untergruppen teilen. Die 
eine Gruppe dieser roten Zellen glich den braungelb oder braun- 
roten, die andere den goldgelben chromaffinen Zellen. Die ersteren 
fand ich in verschiedener Menge in zahlreichen Paraganglien. Sie 
lagen ganz unregelmässig mitten unter den braunroten oder 
braungelben Zellen. Ihr Plasma hatte den reinen Cochenilleton 
angenommen, als Beweis dafür, dass sich diese Zellen bei der 
Fixierung in Chromverbindungen nicht gelb gefärbt haben. Die 
roten Zellen entsprechen in ungefärbten Schnitten solchen, 
die sich bei derselben Fixierung entweder nur kaum merklich 
oder tatsächlich gar nicht gelb gefärbt hatten. (Vergl. hier den 


766 Wilhelm Kose: 


Befund nicht gelber chromaffıner Zellen im Paraganglion supra- 
renale des einjährigen Hahnes.) 

In der Fig. 18, Taf. XXVI, liegt am unteren Rande des 
Paraganglion eine solche violette chromaffine und grosskernige 
Zelle (chrz.?). Ein Vergleich zwischen ihr und den braunroten 
chromaffinen Zellen zeigt ohne weiteres die Gleichheit beider 
Zellarten. In der Figur lag die violette chromaffine Zelle dem 
Paraganglion nur von aussen an, genau dieselben Zellen finden 
sich aber auch häufig im Innern der Paraganglien. Aus dem 
völlig gleichen Aussehen und aus der weitgehenden Vermengung 
der beiden Zellarten, glaube ich schliessen zu dürfen, dass auch 
die rotvioletten Zellen (d.h. die nicht gelben chromaffinen Zellen) 
zu den chromaffinen zu zählen sind. Die Grösse der Kerne dieser 
Zellen ist genau dieselbe wie bei den gelben chromaffinen Zellen. 
Manche von den ersteren besitzen aber auch kleinere Kerne (Fig. 18, 
Taf. XXVI chrz.!) inanaloger Weise wie diegelben chromaffinen 
Zellen. 

Es gibt nun eine verschieden grosse Anzahl von nicht gelben 
Zellen, die fast durchwegs kleinere Kerne besitzen und sich durch 
die Struktur ihres Plasma deutlich von den bis jetzt beschriebenen 
nicht gelben chromaffinen Zellen unterscheiden. Sie sind viel- 
mehrdengoldgelbenchromaffinen Zellen auffallend 
ähnlich. (Vergl. hier die Fig. 22a mit 20a, Taf. XXVI und 
Fig. 22b mit 20b, Taf. XXVL) Diese kleinkernigen nicht 
gelben Zellen besitzen ebenfalls ein aus feinen Protoplasmafäden 
gebildetes Netz- und Maschenwerk. während die grosskernigen 
nicht gelben Zellen geradeso wie die gelben chromaffinen Zellen 
granuliert sind. Die Lücken des intrazellulären Maschenwerkes 
sind bier wie bei den goldge!ben Zellen leer. Im Gegensatze zu 
den letzteren war der Kern mancher nicht gelben, in der Fig. 22b 
rotvioletten Zellen viel deutlicher vom Plasma umgeben (Zelle a 
und b Fig. 22b). Dieses war dann mehr homogen und nicht 
retikuliert. Die Kernstruktur war in vielen nicht gelben klein- 
kernigen Zellen gerade so wie bei den goldgelben chromaffinen 
Zellen mehr minder verwischt, dennoch aber in einer relativ 
grösseren Zahl von Kernen deutlicher zum Ausdrucke gebracht. 

Die Fig. 22a und b, Taf. XXVI, geben die betreffenden Ver- 
hältnisse wieder. Fig. 22a ist ein Übersichtsbild. Das von einer 
gemeinsamen bindegewebigen Kapsel umschlossene Paraganglion 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 767 


setzt sich nur zur einen Hälfte aus den braunroten (gelben) 
chromaffinen Zellen (chrz.), zur anderen aber aus den klein- 
kernigen violettroten (nicht gelben) Zellen (vlt. chrz.) 
zusammen. Von der gemeinsamen äusseren bindegewebigen Hülle 
zweigt an der unteren Peripherie des Paraganglion ein dünnes 
Faserbündel (bdg.') ab, das zum Teil die braunroten und violett- 
roten Zellen voneinander scheidet. Am oberen Rande des Para- 
ganglion dringen die Fasern dieses Septum zwischen die braun- 
roten Zellen. 

Bevor ich nun die Befunde übersichtlich zusammenfasse, 
will ich die Kernformen der verschiedenen gelben und nicht 
selben chromaffinen Zellen im Zusammenhange noch einmal be- 
sprechen. Im übrigen verweise ich betreffs der feinsten Details 
auf das Kapitel Paraganglion suprarenale. 

1. Die Kerne der gelben, in den Figuren auf Taf. XXVI, 
braunroten Zellen sind gross, rund oder mehr längs- 
oval, deutlich konturiert, oft wie leer, d.h. sie besitzen 
mit Ausnahme des Kernkörperchens fast keinen anderen 
geformten Inhalt. Die färbbaren Substanzen sind in Form 
von ein oder zwei grösseren und mehreren kleineren 
Partikeln unregelmässig im Kerne verteilt. Die Grösse 
der Kerne schwankt zwischen 0,004—0,008 mm. Gerade 
so wie die Grösse, zeigt auch die Intensität der Kern- 
färbung verschiedene Abstufungen. 

2. Die Kerne der goldgelben chromaffinen Zellen, Fig. 20a 
und b, Taf. XXV], sind klein (0,004—0,005 mm) rundlich 
oder oval, selten mehr unregelmässig. Meist zeigen sie 
eine lebhafte Färbung, doch trifft man unter ihnen auch 
weniger tingierte an. Die Kernstruktur ist oft ganz ver- 
waschen oder überhaupt nicht zu erkennen. Die Kerne 
haben keine so scharfen Konturen wie jene der braun- 
roten (gelben) chromaffinen Zellen, sie bilden vielmehr 
matt gefärbte Scheiben. 

3. Im Vergleiche zu den Kernen der goldgelben Zellen 
zeigen die genau so grossen Kerne der rotvioletten klein- 
kernigen Zellen (Fig. 22a und b, Taf. XXVI) das ganz 
gleiche oder ein auffallend ähnliches Aussehen. Sie 
bilden genau solche mehr minder lebhaft violett gefärbte 
matt konturierte Scheiben. Die Innenstruktur ist in 


768 Wilhelm Kose: 


einer grösseren Anzahl von Kernen deutlicher als bei 
den goldgelben chromaffinen Zellen ausgeprägt. 
4. Schliesslich wären hier noch die grossen Kerne der 
violetten (nicht gelben) chromaffinen Zellen zu erwähnen 
(Fig. 18, Taf. XXVI, chrz.?), die in jeder Hinsicht denen 
der braunroten oder braungelben chromaffinen Zellen 
gleichen. 
Nach dieser übersichtlichen Zusammenstellung der ver- 
schiedenen Kernformen wende ich mich nun der vergleichenden 
Schlussbetrachtung zu. 


IX. Schlussbetrachtungen. 


Die chromaffinen Zellen treten unter dem Bilde oft so ver- 
schiedener Typen auf, dass es auf den ersten Blick schwer fällt, 
ihre Zusammengehörigkeit zu erkennen. Wie wir gesehen haben, 
können wir bei Chromfixierung und Oochenillefärbung 
mehrere Unterarten erkennen. Da die meisten der einschlägigen 
Präparate mit Cochenille gefärbt waren, so ist hier haupt- 
sächlich von dieser Methode die Rede. Bezüglich der Wirk- 
samkeit der anderen Farbstoffe gilt aber mit gewissen 
Modifikationen dasselbe, was betreffs des Cochenille beschrieben 
wurde. 

Die Gruppen, in welche wir die Gesamtheit der chromaffinen 
Zellen einteilen können, sind nun folgende: 

I. Die braunroten oder braungelben grosskernigen 

Zellen. (Fig. 16, 18, 19, 21, 22a, 23, Taf. XX VI.) 

2. Die nicht gelben, ausschliesslich violettroten Zellen, die 
den vorhergehenden vollkommen gleich sind. (Fig. 18, 
Taf. XXVI, chrz.?). 

3. Die goldgelben, kleinkernigen chromaffinen Zeilen. (Fig. 
20a u.b, Taf. XXVL) 

4. Die kleinkernigen violettroten Zellen, welche ihrerseits 

den unter 3. subsummierten goldgelben Zellen auffallend 
ähnlich sind. (Fig. 22a u. b, Taf. XXVI) 

Welche Berechtigung habe ich nun, diese unter 2. u. 4. 
zusammengefassten Zellen zu der gemeinsamen Hauptgruppe der 
chromaffinen Zellen zu zählen? Der Mangel jeglicher Gelbfärbung 
ist an und für sich kein Grund dagegen, ich erinnere hier nur 
an die nicht gelben Zellen des Paraganglion suprarenale 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 769 


des einjährigen Hahnes und an die farblosen Zellen 
des Paraganglion caroticum. Es trifft sich mun sehr 
günstig, dass die nicht gelben (hier violettroten), in ihrem Auf- 
bau in jeder Beziehung den gelben chromaffinen Zellen gleichen. 
Ihre gegenseitige Zusammengehörigkeit dokumentiert sich also 
schon zum Teil durch das vollkommen gleiche Aussehen. Ein 
weiterer wichtiger Grund ist die innige wechselseitige Vermengung 
von violetten (nicht gelben) und braungelben chromaffınen Zellen 
in den verschiedensten Paraganglien. Die unter 2. beschriebenen 
Zellen liegen unmittelbar neben den braunroten chromaffinen 
Zellen in ganz unregelmässiger Anordnung, während die Zellen 4 
eine grössere Selbständigkeit besitzen und daher eigene Gruppen 
bilden. Die Zellen 2 und 4 stehen in demselben ge- 
weblichen Zusammenhange mit dem sympathischen 
Nervensystem, wie die typischen chromaffinen 
Zellen. 

Aus ihrer völligen Gleichheit mit den gelben chromaffinen 
Zellen, ferner aus der weitgehenden Vermischung der gelben mit 
den violetten (nicht gelben) Zellen und schliesslich aus der gleichen 
Verbindung beider Zellarten mit dem Sympathicus glaube ich die 
Berechtigung herleiten zu dürfen. auch die nicht gelben, 
hier violettroten, Zellen zu den chromaffinen zu zählen. Wir 
würden also die Gesamtheit der letzteren in die vier oben 
erwähnten Untergruppen teilen müssen. Anhangsweise reihe ich 
hier noch alle jene Zellen an, die auf einer embryonalen Stufe 
der Entwicklung stehen geblieben sind und im Vereine mit 
typischen chromaffinen Zellen die verschiedensten abdominalen 
Paraganglien zusammensetzten. Diese Zellen haben bei der 
Beschreibung des Paraganglion suprarenale eingehend Berück- 
siehtigung erfahren. Ich verweise daher auf dieses Kapitel. 

Eine andere Frage ist nun die, ob das verschiedene Aussehen 
der einzelnen Zellen bloss als Ausdruck einer bei den verschiedenen 
Zellen verschieden weit gegangenen physiologischen Tätigkeit 
aufzufassen ist, oder ob es so viele Unterarten von chromaffinen 
Zellen als verschiedene Zellformen gibt. Ich glaube nicht, dass 
eine sichere Entscheidung heute schon gefällt werden kann, es 
muss denn doch noch das Ergebnis embryologischer Untersuchungen 
abgewartet werden. Infolge meiner Untersuchungen lässt sich 
nur folgendes sagen: 


770 Wilhelm Kose: 


Es geht wohl nicht gut an in den Farbendifferenzen der 
einzelnen chromaffinen Zellen allein schon einen Anhaltspunkt 
für ihre Einteilung in verschiedene Unterarten zu haben. Die 
Affinität der einzelnen chromaffinen Zellen zu den verschiedenen 
Farbstoffen ist sehr verschieden stark ausgeprägt. Neben gelb 
gebliebenen Zellen liegen unmittelbar solche, welche infolge von 
Aufnahme grösserer Farbstoffmengen fast die Eigenfarbe dieser 
besitzen. Zwischen diesen Extremen in der Färbung gibt es aber 
alle nur erdenklichen Übergänge. Fände man unter den chrom- 
affıinen Zellen bloss maximal oder fast gar nicht gefärbte, so könnte 
man aus der Grösse der Farbendifferenz und infolge jeglichen 
Mangels von Übergängen schon eher auf eine wesentliche Ver- 
schiedenheit der betreffenden Zellen schliessen. So bildet aber 
die zwischen den Extremen der Färbung vorhandene Gesamtheit 
der Farbabstufungen eine grosse und mannigfaltige zusammen- 
hängende Reihe, sodass man folgerichtig zur Annahme ebenso 
zahlreicher Arten unter den chromaffinen Zellen gezwungen wäre, 
wollte man die Differenzen in der Färbung der einzelnen 
chromaffinen Zellen einer solchen Einteilung zugrunde legen. 
Das Willkürliche und Unzulässige eines solchen Vorgehens liegt 
auf der Hand. Es fragt sich nun, ob die einzelnen Zellen ausser 
ihrer verschiedenen Farbe sonst noch ein verändertes histolo- 
gisches Bild darbieten, und ob zwischen diesem und den Farb- 
differenzen irgendwelche gesetzmässigen Beziehungen bestehen. 

Ich kann es hier gleich vorweg erwähnen, dass es mir nicht 
gelang, solche mit Sicherheit aufzudecken. Es gibt z. B. Zellen, 
deren Plasma gleich stark gefärbt und in gleicher Weise von 
(Granula durchsetzt ist; ihre Kerne aber zeigen auffallende Ver- 
schiedenheiten in der Grösse, Form und Farbe. Will man hier 
aus den cytologischen Veränderungen auf solche in der physio- 
logischen Tätigkeit der Zellen schliessen, so können nur die 
Differenzen im Aussehender Kerne hierfür herangezogen werden. 

Umgekehrt gibt es Zellen, die in bezug auf den Kern und 
das Plasma völlig gleich gebaut sind und sich bloss durch die 
Farbe des Plasma oder ihrer Kerne unterscheiden. 

Ferner findet man eine genügende Anzahl von Zellen, die 
gleich grosse und gebaute Kerne, dagegen ein verschiedenes 
Plasma haben, sei es dass dieses mehr gleichmässig granuliert, 
oder von einer verschieden grossen Menge von Vakuolen durch- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. Tal 


setzt oder different gefärbt ist. Eine Veränderung in der spezifischen 
Tätigkeit würde sich in diesen Fällen im Gegensatze zu den 
zuerst beschriebenen nur durch Verschiedenheiten im Aufbaue 
des Plasma kundgeben. 

Der Wechsel im Aussehen der einzelnen chromaffinen Zellen 
ist ein sehr grosser und man kann nur sagen, dass die einzelnen 
Phasen im individuellen Zelleben entweder nur in Veränderungen 
des Kernes oder des Plasma oder aber in solchen an beiden 
Zellbestandteilen zugleich ihren Ausdruck finden, ohne dass 
es gelingt, aus dem cytologischen Bilde einen 
sicheren Schluss auf den Grad oder die Art der 
Funktion zu ziehen. 

Ich möchte daher die ganz überraschende Mannigfaltigkeit 
im Aussehen aller jener gelben chromaffinenZellen, 
die sich mitden diversen Farbstoffen mehr minder 
lebhaft färben, nur durch eine verschieden weit 
vorseschrittene physiologische. Tätigkeit, der 
Somst, einander-im Wesen gleichen Zellen, er- 
klären. 

Im Gegensatze zu der Gesamtheit dieser Zellen stehen alle 
jene, die sich mit den verschiedenen Farbstoffen gar nicht gefärbt 
hatten und eine ganz spezifische, satte goldgelbe 
Farbe aufweisen. Sie unterscheiden sich aber auch durch ihr 
anderweitiges cytologisches Aussehen von den übrigen chrom- 
affınen Zellen. Ihr Plasma ist meist in Form eines feinen Netz- 
werkes angeordnet, dessen Lücken in der Regel frei von Granula 
sind. Die Kerne sind meist strukturlos und nicht scharf konturiert. 
Ich möchte nun diese goldgelben chromaffinen Zellen in einen 
gewissen Gegensatz zu den übrigen stellen und sie als eine 
besondere Unterart zusammenfassen. 

Die goldgelben Zellen bilden entweder, wie es in Fig. 20a, 
Taf. XXVI, abgebildet ist, ganze Paraganglien für sich oder aber 
setzen im Vereine mit den anderen chromaffinen Zellen. diese 
zusammen. Im letzteren Falle mischen sie sich nicht regel- 
los unter die anderen chromaffinen Zellen, sondern liegen auch 
da in kleineren oder grösseren Gruppen beisammen. 

Man könnte nun auch folgender Anschauung Raum geben, 
dass diese granulafreien goldgelben Zellen mit ihren strukturlosen 
Kernen vielleicht nur ermüdete oder erschöpfte typische chrom- 


112 Wilhelm Kose: 


affıne Zellen sind. Gegen diese Annahme spricht ausser den schon 
oben angeführten Gründen. dass bei einer gewissen Anzahl von 
diesen goldgelben Zellen das Plasma ebenfalls granuliert 
sein kann. 

Wie verhält es sich nun mit den nicht gelben, inden 
Figuren violettroten, Zellen? Ich habe schon früher 
die Ansicht ausgesprochen, dass ich sie infolge ihres Aufbaues 
und ihrer Anordnung, trotz des völligen Mangels einer Gelbfärbung 
zu den chromaffinen Zellen zählen muss. Beiallen vereinzelten, 
zwischen den lebhaft gelb (hier braunrot oder braungelb) gefärbten 
Zellen verstreut liegenden violettroten Zellen könnte man ja 
zweifeln, ob man in dem Mangel der Gelbfärbung bloss den 
morphologischen Ausdruck eines bestimmten Stadiums in der 
Funktion erblicken, oder ihn im Sinne einer von Anfang an ver- 
änderten, spezifischen Zelltätigkeit deuten soll. Im Gegensatze 
zu diesen vereinzelten unter 2., Seite 768, beschriebenen Zellen 
möchte ich die unter 4. zusammengefassten, den goldgeiben, klein- 
kernigen chromaffinen Zellen (3., Seite 768) sehr ähnlichen Zellen 
speziell hier erwähnen. 


Z wei Möglichkeiten können zur Erklärung der gegenseitigen 
Ähnlichkeit zwischen den Zellen (3) und (4) dienen. Entweder 
bilden die Zellen (4) einen Zelltypus für sich, oder sie sind mit 
den goldgelben Zellen (3), denen sie ja bis auf die Farbe 
täuschend ähnlich sehen, aufs nächste verwandt, wenn nicht gar 
mit ihnen identisch. Man könnte ja daran denken, dass die Zellen 
(4) nur ermüdete oder erschöpfte Zellen (3) seien. Für diese 
Anschauung könnte auch ihre ähnliche Anordnung zu mehr 
selbständigen Gruppen herangezogen werden. 


Die Einteilung der chromaffinen Zellen wird sich je nach 
dem Standpunkte, den man nach den vorausgegangenen Aus- 
führungen einnehmen will, verschieden gestalten. Trennt man 
die Zellen (4) von den Zellen (3) und diese wieder von der Ge- 
samtheit der übrigen chromaffinen Zellen ab, so erhalten wir 
folgende Unterarten: 


1. Die weitaus grösste Mehrzahl der chromaffinen Zellen; 
diese färben sich mit den diversen Farbstoffen mehr 
minder lebhaft. (1., Seite 768.) 


2. Die goldgelben chromaffinen Zellen. (3., Seite 768.) 


—I 
u | 
w. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 


3. Die kleinkernigen nicht gelben chromaffinen Zellen. 
(4, Seite 768.) 

4. Die grosskernigen unter (2., Seite 768) subsummierten 
Zellen. Die Selbständigkeit dieser Gruppe ist aber sehr 
fraglich. 

Nimmt man jedoch die Trennung in einer anderen Weise 
vor, so würden die chromaffinen Zellen in zwei Haupt- 
gruppen zerfallen: 1. Die mit den Farbstoffen sich färbenden 
Zellen. (1., Seite 768). 2. Die goldgelben Zellen. (3., Seite 768). 
Die kleinkernigen, nicht gelben Zellen (4., Seite 768) wären dann 
nur als ermüdete oder erschöpfte goldgelbe Zellen (3., Seite 768) 
und die grosskernigen nicht gelben (4., Seite 768) als solche 
gelbe chromaffine Zellen (1., Seite 768) aufzufassen. Die klein- 
kernigen, nicht gelben chromaffinen Zellen könntenaber auch 
nur Entwicklungsstadien der gelben chromaffinen Zellen 
darstellen. Da ich diese- Zellen nur bei jungen Vögeln fand, 
so hat diese Anschauung auch eine gewisse Berechtigung. Erst 
eine grössere Zahl von untersuchten alten Vögeln derselben 
Arten wird vielleicht über den letzten Punkt Aufschluss geben. 
Ich glaube aber nicht, dass man das oft so total 
verschiedene Aussehenallerunterlibis4zusammen- 
gefassten Zellen nur durch eine verschieden weit 
gegangene Zelltätigkeitim übrigen histologisch und 
physiologisch gleichwertiger Zellen, erklären kann. 

Würde man bei den gelben chromaffinen Zellen auch 
zweifeln können, ob es wirklich verschiedene Arten unter ihnen 
gibt, so kann man dies im Hinblicke auf sie und die farblosen 
chromaffinen Zellen des Paraganglion caroticum 
nicht tun. Diese sind von den gelben chromaffinen Zellen denn 
doch zu verschieden, als dass man sie so ohne weiteres mit diesen 
vergleichen darf. Gerade die farblosen chromaffınen Zellen 
geben einem die Berechtigung, die Gesamtheit der chromaffınen 
Zellen in verschiedene Arten einzuteilen. Es hat daher nichts 
Ungerechtfertigtes an sich, wenn man auch die gelben chrom- 
affınen Zellen noch in weitere Unterabteilungen zerfällt. 


8. Nachtrag. 


Kurze Zeit nach Abschluss meiner Arbeit erschien in diesem 
Archiv, 67. Bd., Heft 3, eine Abhandlung von F. Krauss, be- 


1714 Wilhelm Kose: 


titelt: „Der Zusammenhang zwischen Epidermis und 
Cutis bei Sauriern und Krokodilen.“ Krauss be- 
schreibt in ihr unter anderem die interessante Tatsache, dass 
sich ein Teil des in der Cutis befindlichen fibrillären Bindegewebes 
bei den von ihm untersuchten erwachsenen Exemplaren nur 
schwer oder gar nicht mit dem Säurefuchsin färbt. Wie wir 
gesehen haben, zeigt auch das fibrilläre Bindegewebe der Vögel 
an verschiedenen Stellen im Körper ein ähnliches oder ein voll- 
ständig gleiches Verhalten. Krauss gelangte ganz unabhängig 
von mir zu seinen Resultaten. Die wichtigsten Tatsachen, die ich in 
der vorliegenden Arbeit ausführlich besprochen habe, waren mir 
aber schon vor dem Jahre 1904 bekannt. Eine diesbezügliche 
ganz kurz gefasste Stelle meiner damaligen vorläufigen Mitteilung 
(Kose 13) Seite 613 lautet wörtlich: „Zur Entscheidung der 
Frage betrefis der feinsten Verzweigungen des Bindegewebes 
muss ich noch weitere Färbungen unternehmen. Den Grund 
hierfür bildet der Umstand, dass die gewöhnlichen spezifischen 
Bindegewebsfärbungen nach van Gieson, Hansen, Apäthy, 
sich zur sicheren Darstellung des interstitiellen Bindegewebes 
der Nebenniere insofern als unzulänglich erwiesen, als sich 
nur einzelne Partien des Bindegewebes in den einzelnen Schnitten 
regelrecht rot färbten, während im Gegensatze dazu unmittelbar 
neben diesen Stellen liegendes Bindegewebe eine mehr oder 
minder lebhafte deutliche Gelbfärbung zeigte.“ 

Die weitgehende Übereinstimmung, welche zwischen den 
Angaben von Krauss und mir herrscht, veranlasst mich hier 
auf seine Arbeit etwas näher einzugehen. Diejenigen Stellen, welche 
vergleichshalber das grösste Interesse besitzen, lauten wörtlich: 
Seite 349: „Dies ist derjenige Typus, bei welchem zwar ein 
bindewebiger Zusammenhang zwischen Epidermis und Cutis vor- 
handen ist, wo aber die an die basalen Epidermiszellen grenzenden 
Partien der Bindegewebsfasern sich durch eine fehlende oder ver- 
ringerte Färbbarkeit für Collagenfarbstoffe auszeichnen, in der 
Art, dass die Färbbarkeit in umso stärkerem Maße abgeschwächt 
ist, je näher die Bindegewebsfaser sich dem Epithel befindet. 
Siehe Abbildung 11, Tafel XXIV. Hatteria, Rückenhaut. (Em- 
bryonale Achromie.) Man kann Fasern verfolgen, besonders in 
den Schuppen, bei welchen auf weite Strecken hin die Färbbar- 
keit für sämtliche collagenen Farbstoffe, auch für Mallory- 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 718 


Stöhrsche und Un nasche Säurefuchsinfärbung eine sehr schwache, 
fast unmerkbare geworden ist. Auf beistehenden schematischen 
Abbildungen Fig. 3 und 4 sehen wir das Verhalten solcher Fasern 
ebenfalls erläutert. Die Bindegewebsfasern bieten das Aussehen 
von Hyalinfasern dar oder haben eine diffus verwaschene, sehr 
blasse collagene Färbung (präcollagenes Stadium). Dabei fangen 
oft einzelne Fibrillen eines Bindegewebsbündels im Verlauf zu 
den tieferen Partien der Cutis bereits früher an sich zu färben. 
Namentlich färben sich die feineren Randfibrillen eines Binde- 
gewebsbündels oft schon höher oben in der Nähe der Epithelgrenze, 
während die übrigen Fibrillen ungefärbt bleiben. Gerade wie wir 
dickere Bindegewebsbündel vom basalen Epithelsaum entspringen 
sehen, so.sehen wir auch oft kollagenfreie, feinste Bindegewebs- 
fibrillen meist von zipfelförmig gestalteten Ausläufern der basalen 
Epidermiszellen abgehen und sich zu einem feinen Netze verbinden, 
welches wenig oder gar nicht färbbar ist. (Siehe Hatteria, Ab- 
bildung 11, Taf. XXIV. Agama inermis, Abbildung 9, Taf. XXIV.) 
In allen diesen Fällen der Collagenbildung erscheint natürlich die 
collagene Abgrenzung der Cutis von der Epidermis als eine 
fehlende oder unvollkommene. In Bezug auf die des Collagens 
entbehrenden Bindegewebsbündel möchte ich annehmen, dass 
dieselben einer unvollkommenen Differenzierung des Protoplasma 
zu Bindegewebe ihre Entstehung verdanken und chemisch viel- 
leicht mit dem Hyalin verwandt sind.“ 

Auch ich habe gezeigt, dass bei den Vögeln manchmal 
nur einzelne bindegewebige Fasern, die in unmittelbarer 
Nähe lebhaft rot gefärbter lagen, gar nicht oder nur 
sehr wenig das Säurefuchsin aufnahmen. Dann wieder waren 
es im Gegensatze dazu ganze grössere Abschnitte des 
Bindegewebes, ja manchmal das gesamte in den Schnitten 
enthaltene Bindegewebe, welches eine mangelnde oder aber voll- 
kommen fehlende Affinität zu dem Säurefuchsin besass. Diese 
Partien blieben entweder farblos oder aber färbten sich häufig 
durch die Pikrinsäure gelb. 

Darin besteht zwischen Krauss und mir ebenfalls Über- 
einstimmung, dass wir an jenen Stellen, an denen das Säurefuchsin 
versagte, noch mit der Methode von Mallory-Stöhr eine 
positive Färbung erzielen konnten. Ich hebe hier aber nochmals 
ganz besonders hervor, dass die Färbung nach Freeborn bei 


116 Wilhelm Kose: 


Vorbehandlung der Präparate mit reiner Müllerscher Flüssig- 
keit oder einem Gemisch von ihr und Formol im Ver- 
hältnisse 9:1 die allerglänzendsten Resultate ergab. Krauss 
gibt an, dass seine Färbungen am besten nach der Fixierung in 
Zenkerscher Flüssigkeit ausfielen. Möglich ist es, dass hier 
das in ihr enthaltene Kaliumbichromat das Gelingen der 
Färbungen in günstigem Sinne beeinflusste. Ich muss nach meinen 
Erfahrungen, da ich die Zenkersche Flüssigkeit nur relativ 
selten anwendete, der Mischung Müllersche Flüssigkeit 9: 
Formol 1 entschieden den Vorzug geben. Es wäre nun 
im höchsten Grade interessant, zu erfahren, wie sich das fibrilläre 
Bindegewebe der von Krauss untersuchten erwachsenen Exem- 
plare bei Fixierung der Haut in der Müller-Formollösung 
den verschiedenen Farbstoffen, insbesondere aber jenem von Free- 
born gegenüber verhalten würde. 

Krauss gelangt infolge seiner embryologischen Unter- 
suchungen zu dem Schlusse, dass alle jene bindegewebigen Fasern 
und Faserbündel, welche beim erwachsenen Tiere eine geringe 
oder fehlende Affinität zu dem Säurefuchsin besitzen, zeitlebens 
einen embryonalen Charakter bewahren. Den Begriff des 
Kollagens fasst Krauss etwas anders, als dies Unna zufolge 
der Fall wäre Er sagt auf Seite 346: „Ich werde im 
weiteren Verlaufe der Arbeit der Einfachheit halber 
stets unter collagener Beschaffenheit des Gewebes 
die Eigenschaft desselben verstehen, die Fuchsin- 
färbung anzunehmen, wenn auch, wie ich wohl 
weiss, beide Ausdrücke sich nicht immer genau ent- 
sprechen.“ 

Es ist nun sehr verlockend, die Auffassung von Krauss 
auch dem färberischen Verhalten des fibrillären Bindegewebes der 
Vögel zugrunde zu legen. Dennoch bestimmen mich mehrere 
Gründe, vorläufig von einer Erklärung ganz abzustehen 
und einfach die beobachteten Tatsachen aufzuzählen. Vor allem 
fehlen mir diesbezügliche embryologische Untersuchungen, die 
mich zu einem Schlusse im Sinne von Krauss berechtigen würden. 
Dann wäre es doch höchst merkwürdig, wenn so ausgedehnte 
Abschnitte des fibrillären Bindegewebes, wie dies so oft beim 
Vogel vorkommt, zeitlebens auf einer embryonalen Stufe der 
Entwicklung verharren sollten. Diese mit dem Säurefuchsin 


NE 


| 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 


schlecht oder gar nicht gefärbten Partien färbten sich überdies 
nach Mallory-Stöhr oder Freeborn grösstenteils tadellos 
und zeigten dabei meist eine normale Struktur. Dies ist der 
beste Beweis, dass es sich dabei nicht ausschliesslich um 
embryonale Verhältnisse handeln kann. 

Ich bleibe daher vorläufig bei meiner im vorhergehenden 
abgegebenen ganz allgemein gehaltenen Annahme, dass bei den 
Vögeln uns noch unbekannte Ursachen die chemische Zu- 
sammensetzung des fibrillären Bindegewebes in einer ganz eigenen 
Art verändern. Seine besondere Farbreaktion bildet dann dafür 
einen deutlichen morphologischen Ausdruck. 

Die von Krauss angewendeten Färbungsmethoden werde 
ich bei Gelegenheit auch bei den Vögeln anwenden und nicht 
verfehlen über die damit erzielten Resultate zu berichten, falls 
es mir gelingen sollte, mit ihnen noch bessere Frfolge als mit 
der Freebornschen Methode zu erreichen. 


Literaturverzeichnis. 


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Bd. XII, 1902. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 51 


ale Wilhelm Kose: 


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Sauriern und Krokodilen. Arch. f. mikrosk. Anatomie und Entwicklungs- 
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buch der Lehre von den Geweben, Bd. 2, 1871. 

16. Derselbe: Beobachtungen und Reflexionen über den Bau und die Ver- 
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17. Derselbe: Die peripherische Nervenzelle und das sympathische Nerven- 
system. Arch. f. Psych. und Nervenkrankheiten, Bd. VI, 1876. 

15. Derselbe: Demonstration und Bemerkungen über die Wirkungen der 
Farbstoffe Violett B und Neutralrot. Sitzungsberichte d. Deutsch. natur- 
wissensch.-med. Vereines f. Böhmen „Lotos“. 1896. 

19. Minervini, R.: Des Capsules surrenales de&veloppement - structure- 
fonctions. Journal de l’Anatomie et de la Physiologie. Paris 1904. 
Quaranti&me annee. 

20. Rabl, H.: Die Entwicklung und Structur der Nebennieren bei den 
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1891. 

21. Schaper, A.: Beiträge zur Histologie der Glandula carotica. Arch. f. 
mikrosk. Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. XL, 1892. 

22. Soulie: Recherches sur le developpement des capsules surr&nales chez 
les Vertebres sup6rieurs. 1l®re These. Paris 1903. 

23. Verdun, P.: Derives branchiaux chez les Vertebres superieurs. 
Toulouse 1898. 

24. Vincent, Swale: The Comparative Histology of the Suprarenal 
Capsules. Internation. Monatsschr. f. Anatomie und Physiologie. Bd. XV. 
1898. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIV—XXV1l. 
Folgende Figuren wurden von Herrn Richard Scholz, Kunstmaler in 
Dresden ausgeführt: Sämtliche Figuren auf Taf. XXIV und XXVI und 
die Fig. 7, 8, 13a u. 13b auf Taf. XXV; die übrigen Fig. 9, 10, 11, 12, 

14, 15 auf Taf. XXV habe ich selbst angefertigt. 
Tafel XXIV. 


Fig. 1. Ein Zellballen farbloser chromaffiner Zellen aus dem 
Paraganglion suprarenale eines alten Kreuzschnabels 
(Loxia ceurvirostra). Müllersche Flüssigkeit 9: Formoll. 5 a. 


r 
Fig. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 779 


Mallory-Stöhr. Zeiss, hom. Irmmersion 2. num. Ap. 1,30. 
Kompens.-Ok. 12. Tub. 160. Vergr. 1500. 

Das gesamte Paraganglion, dem dieser Zellballen entstammt, 

setzte sich aus 6—8 solcher Zellbalien zusammen. Das ganze 
Paraganglion lag mit der einen Seite einem aus gelben chrom- 
affinen Zellen bestehenden Zellstrange des Paraganglion suprarenale, 
mit der zweiten einer grossen Vene, und mit der dritten der 
äusseren bindegewebigen Kapsel der sogen. „Nebenniere* (Para- 
ganglion suprarenale — Nebenniere) von innen an. Die einzelnen 
Zellballen wurden von stärkeren oder schwächeren Fortsetzungen 
des Bindegewebes der Kapsel umhüllt. Die Kerne des ge- 
zeichneten Zellballens liegen in einem vollkommen einheit- 
lichen leicht granulierten Protoplasma; nirgendsistein Zerfall 
in einzelne Zellen wahrzunehmen. Für solche Paraganglien 
würde am besten der von Sig. Mayer für Amphibien und 
Reptilien vorgeschlagene Terminus „Kernnest“ passen. Ver- 
gleichshalber ist hier eine Ganglienzelle aus einem benachbarten 
sympathischen Ganglion miteingezeichnet worden. In einigen 
anderen Zellballen waren die chromaffinen Zellen durch Binde- 
gewebsfasern voneinander geschieden. Solche aus farblosen 
chromaffinen Zellen zusammengesetzte Paraganglien oder Zellballen 
lagen in innigster Verbindung mit den gelben chromaffinen Zellen 
in der ganzen Peripherie des Paraganglion suprarenale. 
Ferner durchsetzten sie die in der Nähe des letzteren befindlichen 
sympathischen Nerven und Ganglien, in analoger Weise, 
wie am Halse der Krähen. 
Ein kleines aus sieben farblosen chromaffinen Zellen 
aufgebautes Paraganglion aus dem grossen in der Nähe 
des Paraganglion caroticum befindlichen, sympatischen 
Ganglion einer alten Krähe (Corvus frugilegus). Müller- 
sche Flüssigkeit 9: Formol 1. 5 „. Mallory-Stöhr. Zeiss, 
hom. Immersion 2. num. Ap. 1,30. Kompens.-Ok. 12. Tub. 160. 
Vergr. 1500. 

Das Paraganglion besass keine eigene bindegewebige Hülle, 
sondern wurde von den Nervenfasern des Ganglion allseitig 
und unmittelbar umgeben. Die Nervenfasern sind der Einfach- 
heit wegen nicht erst gezeichnet worden. Die dunkler blauen 
Kerne (endonr. kr.) in der Peripherie gehören dem endoneuralen 
Bindegewebe an. Am linken Rande stiess eine Ganglienzelle (gz.) 
unmittelbar an das Paraganglion. Anordnung der Kerne wie in 
Fig. 1, Taf. XXIV. In der unteren Peripherie der Zellgruppe liegt ein 
mehr dreieckiger, dunkler blau gefärbter Kern (endonr. kr!.), der 
aber, wie ein Vergleich der nächsten Serienschnitte zeigt, eigent- 
lich länglich ist. Dieser Kern gehört zu einem schwächeren 
Faserzuge des endoneuralen Bindegewebes, der nach links oben 
zieht, und das Paraganglion in zwei ungleiche Hälften teilt. 

51* 


Fig. 


4, 


Wilhelm Kose: 


Ein aus farblosen chromaffinen Zellen zusammenge- 
setztes Paraganglion vom rechten Vorhofe einer alten 
Saatkrähe (Corvus frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 
100 : Eisessig 5. 10 „. Hämalaun 2: Agq.dest.1. Zeiss, Ap. 4. 
Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372. 

Das aus mehreren Zellballen (zb.'°) bestehende Paraganglion 
verbindet sich mit dem rechts befindlichen grossen sympathischen 
Nerven (sy.n.) in der Weise, dass das Epineurium (epnr.) des 
letzteren auch das ganze Paraganglion in Gestalt einer binde- 
gewebigen Kapsel überzieht. Unten zweigt an der Grenze zwischen 
Nerv und Paraganglion ein nach oben rechts verlaufendes Septum 
vom Epineurium ab, das in diesem Schnitte das Paraganglion 
zum grössten Teil vom Nerven scheidet. Ganz oben aber ziehen 
Nervenfasern direkt in das Innere des Paraganglion. Das Septum 
besass in den anderen Schnitten noch mehrere Lücken, durch 
welche die Nervenfasern direkt in das Paraganglion zogen. Das 
Grundgewebe des letzteren, in welchem die einzelnen Zellballen 
ohne eine eigene bindegewebige Hülle liegen, besteht aus- 
schliesslich aus sympathischen Nervenfasern, die nur die 
Fortsetzung des grossen Nerven (sy. n.) bilden. Der Zellballen 
(zb.') und (zb.*) sind mehr kugelrund, die anderen (zb.?,?,°) sind 
bloss angeschnitten. Zahlreiche Kapillaren (kpl.) im Innern und 
in der Peripherie der einzelnen Zellballen. Man beachte die 
scharfen Konturen um manche chromaffıne Zellen. 


Ein kleiner Abschnitt aus den Randpartien des Para- 
ganglion caroticum einer alten Saatkrähe (Corvus 
frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 „. Häma- 
toxylin (Delafield). Zeiss. Ap. 4. Kompens.-Ok.6. Tub. 160. 
Vergr. 372. 

Auch hier wird genau so wie in der Fig. 3, das Stroma, in 
welchem die ebenfalls vollständig hüllenlosen Zellballen 
(zb.'®) liegen, ausschliesslich von zahlreichen sympathischen 
Nerven (sy. n.) zusammengesetzt, die von rechts, links und oben 
herbeiziehen. Diese Nerven verflechten sich gegenseitig aufs 
innigste. Ihr Epineurium (epnr.) bildet an der Oberfläche des 
ganzen Paraganglion eine gemeinsame bindegewebige Kapsel. 
An der mit einer Klammer und einem Kreuzchen (_ + __) bezeich- 
neten Stelle setzte sich das eigentliche zellige Parenchym des 
Paraganglion caroticum weiter fort. Gehalt der zwischen 
den Zellballen verlaufenden Nerven an vereinzelten farblosen 
chromaffinen Zellen (chrz.'*) und kleinen von ihnen zusammen- 
gesetzten Gruppen (chrz. kr.). Gestalt der einzelnen Zellballen 
mehr länglich. Der Zellballen (zb.?) ist nur angeschnitten. Zahl- 
reiche Kapillaren. Vollständige Übereinstimmung im Aufbaue mit 
Fig. 1. Man beachte besonders in Zellballen (zb.?) die scharfen Kon- 
turen um die einzelnen farblosen, oft wie leeren, chromaffinen Zellen. 


Fig. 


Fig. 


1 


Die Paraganglien bei den Vögeln. sl 


Ein Abschnitt aus dem grossen dem Paraganglion caro- 
ticum benachbarten sympathischen Ganglion einer alten 
Saatkrähe (Corvus frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 9: 
Eisessig 5. 10 „. Hämalaun 2: Ag. dest. 1. Zeiss, Ap. 4. Kom- 
pens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372. 

Der Zellballen (zb.) liegt mitten im nervösen Grundgewebe des 
Ganglion und ist durch keine bindegewebige Hülle von ihm 
geschieden. Die Nervenfasern umspinnen den Zellballen nicht bloss 
unmittelbar von aussen, sondern dringen überall auch in sein 
Inneres. Das Ganglion enthielt noch zahlreiche andere solche Zell- 
ballen. Man beobachte auch hier die scharfen Konturen um die 
einzelnen farblosen chromaffinen Zellen. Vergl. diesbezüglich Fig. 3 
und 4. 

Querschnitt durch die mit dem Epithelkörper (ep. kp.) 
verbundene bindegewebige Kapsel (bdg.) des Paragang- 


lion caroticum einer erwachsenen Henne (Gallus 


domesticus)2. Müller 9: Formol 1. van Gieson. 10 u. Zeiss, 
Ap. 16. Kompens.-Ok. 4. Vergr. 62 (nur äussere Konturen), der 
feinere Faserverlauf eingezeichnet mit Zeiss, Ap.8. Kompens.- 
Ok. 4. Vergr. 125. 

Die bindegewebige Kapsel (bdg.) des Paraganglion caroticum 
bildet eine aus längs- und quer verlaufenden (qu.) bindegewebigen 
Bündeln und einzelnen Fasern zusammengesetzte rund - ovale 
Scheibe, die rechts neben dem Epithelkörper (ep. kp.) liegt. Die 
Faserbündel dieser Kapsel (bdg.) setzen sich in kontinuierlichem 
Zuge stielartig in einen im Epithelkörper befindlichen Hilus (hil.) 
fort. Zweigbündel von der bindegewebigen Kapsel (kps.) des 
Epithelkörpers biegen ebenfalls an den Rändern des Hilus (hil.) 
in diesen und verflechten sich dort mit den Fortsetzungen der 
bindegewebigen Kapsel (bdg.) des Paraganglion caroticum 
Die punktierte Linie innerhalb der Kapsel (bdg.) gibt die eigentliche- 
Lage des später auftretenden Paraganglion caroticum an. 
Dieses ist durch seine Kapsel beerenartig an den 
Epithelkörper (ep. kp.) angeheftet. 

Tafel XXV. 

Übersichtsbild über dieLage desParaganglion caroticum 
einer jungen, dem Neste entnommenen, gerade ausge- 
fiederten Wasseramsel (Cinclus aquaticus) im Innern 
des Epithelkörpers (ep.kp.). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1, 
10 «. Cochenille-Alaun. Zeiss, Ap. 8. Kompens.-Ok. 4. Tub. 160. 
Vergr. 125. Einige Details wurden eingezeichnet mit Ap. 8. 
Kompens.-Ok. 8. Tub. 160. Vergr. 250. 

Der Hilus des Epithelkörpers (ep. kp.) wird vollständig von 
einem ausschliesslich aus sympathischen Nerven gebildeten Geflechte 
ausgefüllt, das verschieden viele zu Ballen vereinte farblose chrom- 
affıne Zellen enthält (zb.!"*). Das Nervengeflecht entsteht haupt- 


Fig. 


8. 


Wilhelm Kose: 


sächlich durch Auflösung des grösseren von rechts her in den 
Hilus (hil.) ziehenden sympathischen Nerven (sy.n.). Dieser ver- 
flieht sich mit zahlreichen anderen, kleineren sympathischen 
Nerven, die schon vor ihm in den Hilus einbogen. Die Nerven 
sind teils im Längs- teils im Querschnitte getroffen (n. qu.). Die 
Figur enthält fünf grössere und drei kleinere solcher Nervenquer- 
schnitte. Oben rechts ist einer von ihnen mit (n. qu.) näher be- 
zeichnet. Mitten in dem aus Nerven zusammengesetzten 
Grundgeflechte liegen in vollkommen analoger Weise wie 
bei den Krähen erst wenige, dann gehäufte Ballen (zb.) der farb- 
losen chromaffinen Zellen. Diese besitzen keine eigene binde- 
gewebige Hülle, sondern werden von den sympathischen Nervenfasern 
(sy.n.) unmittelbar eingeschlossen und dann auch durchzogen. 
Das epineurale Bindegewebe des grossen sympathischen Nerven 
(sy. n.) bildet im Innern des Hilus an der Grenze zwischen 
dem Epithelkörper und Paraganglion caroticum eine 
ganz dünne Kapsel um das letztere. Der grosse sympathische 
Nerv (sy. n.) enthält vor seinem Eintritt in den Epithelkörper 
in seinem Innern ein grösseres Paraganglion (zb.’). Dieses 
setzte sich aus mehreren Untergruppen zusammen. Ein kleiner 
Zellballen (zb.°) liegt an dieser Stelle dem Nerven nur von aussen an. 
Hälfte des Zellballens (zb.’) und Zellballen (zb.*) dieser 
Wasseramsel. Zeiss, Ap. 4 Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. 
Vergr. 372. 

Der Zellballen (zb.’) erfüllt den Nerven an dieser Stelle fast 
vollständig. Er besitzt keine eigene bindegewebige Hülle. Die 
Nervenfasern umgeben den Zellballen allseitig und dringen auch 
überall in sein Inneres. Die dunkeln kleinen und länglichen Kerne, 
die im Zellballen zwischen den chromaffinen Zellen liegen, sind 
ausschliesslich Kerne de endoneuralen Bindegewebes. 
Kerne der farblosen chromaffinen Zellen, gross, rund, meist mit 
einem grossen Kernkörperchen. Man beachte auch hier die 
scharfen Konturen um einzelne chromaffine Zellen und die 
oft leeren Zellhöfe. Die scharfen Konturen werden gerade so wie 
bei dn Krähen und allen anderen Vögeln durch Fasern des 
endoneuralen Bindegewebes erzeugt. 


Fig. 9-12 stammen von derselben alten Saatkrähe (Corvus 


frugilegus). Alle Schnitte waren nach Mallory-Stöhr gefärbt 
worden. Sämtliche Figuren sind mit der hom. Immersion (Zeiss) 
2. num. Ap. 1,30, Kompens.-Ok. 12, Tub. 160, Vergr. 1500, gezeichnet. 
Müller sche Flüssigkeit 9: Formol 1. 5 «. (Der Einfachheit wegen 
wurden diese Figuren bloss schwarz ausgeführt.) 

Querschnitt durch ein kleines sympathisches Nervchen 
Die eine Hälfte wird von marklosen Nervenfasern, die andere von. 
drei farblosen chromaffinen Zellen (chrz.'”?) eingenommen. 
Die Zelle 1 und 2 werden durch eine vom Epineurum ab- 


Fig. 10. 


8 


Die Paraganglien bei den Vögeln. [£>) 


zweigende Bindegewebsfaser voneinander geschieden. Diese ist ob 
ihres welligen Verlaufes nur bruchstückweise zu schen. Die Zellen 
2 und 3 sind syneytial verschmolzen. 

Partie aus dem Zentrum eines Zellballens des Para- 
ganglion caroticum. Direkte Fortsetzungen des endoneuralen 
Bindegewebes der in der Peripherie des Zellballens gelegenen sym- 
pathischen Nerven, umgeben in Gestalt dunkelblauer, wellig 
verlaufender Linien die einzelnen chromaffinen Zellen 
(chrz.'”). Die starken schwarzen Linien sind meist keine einzelnen 
Bindegewebsfasern, sondern dichtestens zusammengedrängte aller- 
feinste Faserbündel. In der Figur ist nur ein Teil des binde- 
gewebigen Netzes wiedergegeben. Das Plasma fast aller 
chromaffinen Zellen ist schlecht fixiert, besonders in den Zellen 
(chrz.3,*,5). Eine vakuolenartige vollkommen leere Stelle (vak.) in 
der Zelle (chrz.?). Vergl. damit die Zelle (chrz.?) in Fig. 11 der- 
selben Tafel. Die Kerne der chromaffinen Zellen enthalten ein 
grosses Kernkörperchen. Dieses zerfällt in den Zellen (chrz.3,# 6) 
in mehrere kleine Partikelchen. Diese liegen entweder in einer 
heller gefärbten, mehr hom ogenen Grundmasse, lose neben- 
einander, oder sind durch allerfeinste fädige Brücken miteinander 
verbunden. Vergl. hier den Kern der chromaffinen Zelle (chrz.) 
(Fig. 2, Taf. XXIV), welche diese Struktureigentümlichkeit noch deut- 
licher zeigt. Eine analoge Zusammensetzung besitzen oft die 
Kernkörperchen der sympathischen Ganglienzellen. (Vergl. den 
Kern [kr.| der Ganglienzelle in Fig. 2, Taf. XXIV.) 


Randpartie aus einem Zellballen des Paraganglion 
caroticum derselben alten Krähe (Corvus frugilegus). 

Ein hüllenloser sympathischer Nerv (sy. n.) umgibt un- 
mittelbar den ebenfalls hüllenlosen Zellballen: direkt e 
Fortsetzungen des endoneuralen Nervenbindegewebes 
dringen zwischen die einzelnen chromaffinen Zellen (chrz.! und 
chrz.“). Am oberen Rande dieser Zellen liegt ein vom endoneuralen 
Bindegewebe gebildetes Maschenwerk. Es handelt sich um den 
Querschnitt markloser Nervenfaserbündel (n. qu.). Am unteren 
Rande der chromaffinen Zellen (chrz.! und chrz.*), sowie links von 
der chromaffinen Zelle (chrz.?) wiederum Querschnitte markloser 
Nervenfaserbündel (n. qu.'3). Die Querschnitte der mark- 
losen Nervenfaserbündel selbst erscheinen dabei als mattgraue, 
im Innern der bindegewebigen Maschen gelegene, verwaschene 
Fleckchen (siehe n. qu.'). Die schwarzen, ganz im endoneuralen 
Bindegewebe vergrabenen Pünktchen sind Querschnitte von 
Bindegewebsfasern. Sämtliche zwischen den farblosen chrom- 
affinen Zellen gelegene Kerne gehören dem endoneuralen 
Bindegewebe an. Nur der Kern (a) ist fast in seiner ganzen 
Ausdehnung zu sehen, bei den anderen handelt es sich um ver- 
schiedene, teils wirkliche, teils optische Durchschnitte durch ähn- 


784 


Fig. 13a. 


Fig. 13b. 


Wilhelm Kose: 


liche, längliche Kerne. Die farblosen chromaffinen Zellen zeigen 
denselben Bau wie in Fig. 9, 10, 12, 15. 
Randpartie aus einem anderen Zellballen des Para- 
ganglion caroticum derselben Krähe. Auch hier dringen 
direkte Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes 
zwischen die einzelnen farblosen chromaffınen Zellen 
(chrz.?,*,5), und umgeben jede für sich in Gestalt weiter 
Maschen. Die chromaffıne Zelle (chrz.?) wird in gleicher Weise 
von diesen Fortsetzungen des endoneuralen Bindegewebes 
eingehüllt. In der chromaffinen Zelle (chrz.”) und in der zwischen 
ihr und der Zelle (chrz.t) gelegenen Zelle (die keine nähere Be- 
zeichnung trägt) fehlen die Kerne. Diese lagen erst im nächsten 
Schnitte. Diese kernlosen Zellen bilden daher vom endo- 
neuralen Bindegewebe begrenzte, nur mit spärlichem Plasma 
erfüllte Felder. Mitten unter den marklosen Nervenfasern des 
sympathischen Nerven (sy. n.) liegt eine ganz vereinzelte chrom- 
affıne Zelle (chrz.'), deren Plasma fast ganz geschwunden ist. 
Neben der Zelle (chrz.”) ein Querschnitt markloser Nervenfasern 
(n. qu.). Sämtliche zwischen den chromaffinen Zellen befind- 
lichen Kerne gehören dem endoneuralen Bindegewebe an. Die 
unbezeichnete kernlose chromatfine Zelle wird von ihnen 
kapselartig zum grossen Teile eingehüllt. Die mit einem Stern (*) 
bezeichneten zwei Kerne sind in ihrer ganzen Ausdehnung 
zu sehen. die anderen stellen auch in dieser Figur nur optische 
vder wirkliche Durchschnitte durch ähnliche, lJängliche Kerne 
dar. Die Kerne des endoneuralen Bindegewebes im Nerven 
erscheinen je nachdem sie mehr von der Fläche oder der Kante 
aus gesehen werden in verschiedener Gestalt und Grösse. (Vergl. 
hier auch die Fig. 10, 11.) Ganz abgesehen von solchen Kernen 
gibt es eine Anzahl, die tatsächlich verschieden gross und ge- 
staltet sind. (Text Seite 686—688.) 
Paraganglion caroticum caudale einer jungen Drossel 
(Turdus musicus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 u. 
Cochen.-Alaun. Zeiss, Ap. 4. Komp.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372. 
Das länglich-ovale Paraganglion lag bloss in der Nähe des 
kaudalen Epithelkörperss. Das Paraganglion war von sym- 
pathischen Nerven (sy. n.) vollständig eingehüllt, die auch in sein 
Inneres eindrangen. Eine Zerfällung des Paraganglion durch das 
endoneurale Bindegewebe oder die Nerven in einzelne Untergruppen 
ist hier nur angedeutet. Das eigentliche, grosse Paraganglion 
caroticum lag in analoger Weise wie bei der Wasseramsel ganz 
im Innern des kranialen Epithelkörpers. 
Ein Zellballen aus dem kranialen Paraganglion caro- 
ticum derselben Drossel. Dieselbe Fixation und Vergrösserung. 
Ein Vergleich mit Fig. 13a, ferner Fig. 8 derselben Tafel und 
auch Fig. 3—5, Taf. XXIV, zeigt, dass alle diese Paraganglien 


Fig. 14. 


Fig. 15. 


Fig. 16. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 185 


oder Zellballen (zb.) aus denselben farblosen chromaftinen Zellen 
aufgebaut sind. Man beachte auch hier die scharfen Konturen um 
die einzelnen Zellen. 

Sympathischer Nerv von derselben alten Krähe (Corvus 
frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 „u. Häma- 
toxylin (Delafield). Zeiss, hom. Immersion 2. num. Ap. 1,30. 
Tub. 160. Vergr. 1500. 

Vier von der Fläche aus gesehene grosse Kerne des endo- 

neuralen Bindegewebes (A. B.C.D.). E ist ein von der Kante 
aus gesehener Kern, F ein Durchschnitt durch einen solchen. 
(Text Seite 686—688.) 
Sympathischer Nerv mittleren Kalibers einer anderen 
alten Krähe (Corvus frugilegus). Müllersche Flüssig- 
keit 9: Formol 1. Hämatoxylin (Delafield). van Gieson. 5 u. 
Zeiss, Ap. 2. num. Ap. 1,50. Tub. 152. Vergr. etwas geringer 
als 1500. 

Ein aus acht Kernen (oder Zellen) bestehender Ballen liegt 
mitten im Innern des Nerven. Der Ballen besitzt keine 
eigene bindegewebige Hülle, sondern wird von den marklosen 
Nervenfasern direkt eingehüllt. Nur am oberen Rande des 
Zellballens dringt ein ganz dünner Nervenfaserzug in sein Inneres 
und trennt eine chromaffine Zelle vom übrigen Ballen ab. Die 
anderen sieben Kerne liegen dichtgedrängt in einer vollkommen 
einheitlichen protoplasmatischen Grundmasse. Diese syneytiale 
Anordnung ist genau dieselbe, die Sig. Mayer schon vor langer 
Zeit bei Beschreibung seiner „Kern- oder Zellennester“ hervorhebt. 
Links oben liegt den Kernen des Zellballens ein lichter, länglicher 
Kern an (endonr. kr.'), der dem endoneuralen Bindegewebe ange- 
hört und nicht mit den Kernen der chromaffinen Zellen zu ver- 
wechseln ist. Vergl. mit diesem Kern (endonr. kr.') den Kern 
(endonr. kr.?). 

Tafel XXV1. 
Ein Teil der Urnierenreste einer jungen noch blinden 
Nestkrähe (Corvus frugilegus). Müller 9: Formol 1. 10 .. 
Cochenille-Alaun. Zeiss, Ap. 8 Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. 
Vergr. 187. 

Gibt eine Übersicht über die Lage der gelben chromaffinen 
Zellen im Innern der Urnierenreste. Diese bilden einen stumpf- 
dreieckigen Körper, der aus einem sehr kernreichen Bindegewebe 
(bdg.!) und einer Anzahl von Urnierenkanälchen (urn. knl.) zu- 
sammengesetzt ist. Zahlreiche Kapillaren (kpl.) liegen um diese 
herum. Oben links und rechts wird die Urniere von lockerem 
Bindegewebe (bdg.?) umgeben, das an der mit drei Kreuzchen (+++) 
bezeichneten Stelle eine Abhebung von der Urniere, infolge der 
Präparation zeigt. In der stumpfen Spitze der letzteren liegt ein 
grösseres aus mehreren Untergruppen zusammengesetztes Para- 


756 


Fig. 18. 


Wilhelm Kose: 


ganglion (pg.').. Die chromaffinen Zellen seiner rechten Hälfte 
sind strangförmig angeordnet. Ein kleines Paraganglion (pg.”) 
findet sich noch in der äussersten Peripherie des rechten Ur- 
nierenrandes. Die Paraganglien liegen bei manchen Vögeln noch 
tiefer in der Urniere, als es hier gezeichnet ist, auch sind sie 
stellenweise noch zahlreicher. Mehrere kleinere Paraganglien in 


dem lockeren peripheren Bindegewebe (bde.”), sowie vereinzelte 
sympathische Ganglienzellen (gz.), Venen (ven.) und Arterien 
(art.. Die in der Urniere befindlichen Paraganglien 


standen in keinem Zusammenhange mit sympathischen 
Nerven. 


Ein Teil eines sympathischen Ganglion mit zuge- 
hörigem Nerv aus dem untersten Teil des Plexus 
rectalis einer noch blinden Nestkrähe (Corvus frugi- 
legus). 3°,o reines Kaliumbichromat 9: Formol 1. 10 «. Cochenille- 
Alaun. Zeiss, Ap.4. Kompens.-Ok. 6. Vergr. 372. 

Diese Figur soll hauptsächlich nur zeigen, dass die farblosen 
chromaffinen Zellen auch im sympathischen Nervensystem des 
Abdomen vorkommen. An der Verbindungsstelle eines grösseren 
Nerven (sy.n.) mit dem Ganglion (gz.) liegt noch ganz im ersteren 
vergraben ein kleines aus farblosen chromaffınen Zellen be- 
stehendes Paraganglion (pg.) in Gestalt eines Zellballens. Nur 
ganz vereinzelte braungelbe chromaffine Zellen (chrz.) sind den 
farblosen beigemengt. In dem lockeren Bindegewebe an der unteren 
Seite des sympathischen Nerven (sy. n.) eine Arterie (art.) und zwei 
Venenquerschnitte (ven.). An der linken Seite des Paraganglion 
(pg.) eine Fortsetzung einer dieser Venen, an der rechten Seite eine 
Kapillare (kpl.). 


Kleines Paraganglion aus dem Innern eines Brust- 
grenzstrangganglion einer jungen, noch unbefiederten 
Nestdrossel (Turdus musicus). Müllersche Flüssigkeit 9: 
Formol 1. 10 «. Cochenille- Alaun. Zeiss, Ap. 3. Kompens.- 
Ok. 8. Tub. 160. Vergr. 667. 


Zeigt die für die chromaffinen Zellen so charakteristische Lage 
an einer Kapillare (kpl.). Diese zieht von rechts her in das Innere 
des Paraganglion und teilt sich dort gabelförmig. Das Lumen der 
Kapillare ist von den chromaffinen Zellen durch das zarte Gefäss- 
endothel (vielleicht noch wenige allerdünnste Bindegewebsfäserchen) 
getrennt. Die Endothelkerne (end. kr.) der Kapillare sind deutlich 
zu sehen. Das ganze Paraganglion lag mitten in dem nervösen 
Grundgewebe des Ganglion. Die Zeichnung gibt nach Möglichkeit 
die verschiedenen Nüancen in der Färbung des Plasmas und der 
Kerne der chromaffinen Zellen wieder. Am unteren Rande des 
Paraganglion liegen zwei violette Zellen (chrz.! und chrz.”) von 
denen eine einen grossen Kern hat. Dieser gleicht in jeder Be- 


Fig. 19. 


Fig. 20a. 


Fig. 20b. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 187 


ziehung den Kernen der braunroten chromaffinen Zellen. (Näheres 
im Text Seite 766.) 

Partie aus der Niere einer ganz jungen Nestdrossel 
(Turdus musicus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 «. 
Cochen.-Alaun. Zeiss, Ap. 4. Komp.-Ok. 4. Tub. 160. Vergr. 250. 


Am rechten Rande der Zeichnung verläuft eine grosse Vene 

(ven.), die sich in das Innere der Niere begibt und allseitig 
vom Nierenparenchym eingehüllt war. Von dieser Vene ist nur 
die linke Wand gezeichnet, nach rechts von dieser ist das Venen- 
lumen (lum.) zu denken. In der Venenwand selbst liegt ein 
kleines Paraganglion (pg.t, welches bis an das Endothel un- 
mittelbar heranreicht. Etwas weiter nach links, in dem lockeren 
Bindegewebe, ein zweites, kleines, mit sympathischen Nerven 
(sy. n.) in Verbindung stehendes Paraganglion (pg.’). Noch weiter 
nach links und oben liegt im Anschlusse an ein kleines sym- 
pathisches Ganglion (sy. gz.) ein aus mehreren Untergruppen zu- 
sammengesetztes, grösseres Paraganglion (pg.?). Es erstreckt sich 
teilweise zwischen die Nierenkanälchen (nr. knl.) hinein. Das grosse 
Paraganglion (pg.’) war 1 mm von der Oberfläche der Niere ent- 
fernt gewesen, aber auch die anderen Paraganglien waren ganz 
im Nierenparenchym vergraben. 
Ein peripheres Paraganglion aus dem Bindegewebe von 
der Vorderfläche der Bauchwirbelsäule einer noch 
blinden Nestkrähe (Öorvus frugilegus). Müllersche Flüssig- 
keit 9: Formol 1. 10 „. Cochenille-Alaun. Zeiss, Ap. 4. Kompens.- 
0k.6. Tub. 160. Vergr. 372. 

Dieses Paraganglion setzte sich ausschliesslich aus gold- 
selben, chromaffinen Zellen zusammen, die durch Bindegewebe 
(bdg.) und Kapillaren (kpl.) in eine Anzahl verschieden gestalteter 
Zellballen (zb.!' 7) eingeteilt waren. Das Paraganglion wurde 
durch Bindegewebe an seiner Oberfläche zum grössten Teil ein- 
gehüllt (bde.). Es stand in gar keinem Zusammenhange mit 
dem sympathischen Nervensystem. Die chromaffinen Zellen färbten 
sich nicht im mindesten durch das Cochenille. 


Ein Teil des Zellballens (zb.!) aus der Fig. 20a. Zeiss, 
Ap. 3. Kompens.-Ok.8. Tub. 160. Vergr. 667. 

Das Plasma bildet ein fast überall zusammenhängendes, klein- 
maschiges Netzwerk, das keine Granula enthält. Die chromaffinen 
Zellen bilden hier ein kernhaltiges Syncytium. Nur um 
wenige Kerne herum sieht man in Form etwas stärkerer plas- 
matischer Fädchen eine Andeutung einer Zellabgrenzung. Die 
Kerne sind meist kugelrund und heller oder dunkler violett. Nur 
wenige zeigen eine verwaschene Innenstruktur, die anderen bilden 
strukturlose Kreise resp. Scheiben. Vergl. damit die violetten 
chromaffinen Zellen in den Fig. 22a und b derselben Tafel, die mit 


Fig. 21. 


Wilhelm Kose: 


Ausnahme ihrer Farbe, den goldgelben chromaffinen Zellen sehr 
ähnlich sind. (Alles Nähere Text Seite 769—773.) 


Hälfte eines grossen, dem Paraganglion suprarenale 
und der Nebenniere benachbarten, sympathischen Gang- 
lion einer noch blinden Nestkrähe (Corvus frugilegus). 
Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 „. Cochenille - Alaun. 
Zeiss, Ap.8. Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 187. 


Die punktierte Linie am oberen Rande der Zeichnung gibt die 
Durchschnittsrichtung durch das Ganglion an. Die zahlreichen 
Paraganglien sowie einzelnen chromaffinen Zellen sind durch das 
ganze Ganglion verstreut. Das Paraganglion (pg.!) liegt in der 
äußersten Ganglionperipherie und ragt später aus dem letzteren 
weit hinaus. Besonders das Paraganglion (pg.”), aber auch das 
Paraganglion (pg.”) zeigen deutlich die unmittelbare Lage des 
chromaffinen Gewebes an Kapillaren und einer kleinen Arterie, die 
in so hohem Maße für die chromaftinen Zellen charakteristisch ist. 


2a. Ein kleines, frei im Bindegewebe des Abdomen, in der 


Fig. 22». 


Nähe einer kleinen Arterie gelegenes Paraganglion 
einer noch blinden Nestkrähe (Corvus frugilegus). 
Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 «. Cochenille- Alaun. 
Zeiss, Ap.4. Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372. 

Das Paraganglion besteht nur zur Hälfte aus braunrot ge- 

färbten typischen chromaffinen Zellen. Die braunrote Farbe ist 
mit möglichster Genauigkeit wiedergegeben. Die zweite Hälfte 
des Paraganglion wird von violetten Zellen gebildet, die kleine 
Kerne haben. Die Scheidung zwischen diesen beiden Zellgruppen 
besorgt ein dünnes, bindegewebiges Septum (bdg.') das von der 
äusseren, gemeinsamen bindegewebigen Kapsel (bdg.) nach oben 
zieht. Am oberen Rande des Paraganglion vermischen sich die 
violetten und braunroten Zellen direkt miteinander, weil das Septum 
(bdg.!) nicht. bis ganz hinauf reicht. Ich fasse diese violetten 
Zellen (vlt. chrz.) ebenfalls als chromaffine auf. Die nähere Be- 
sründung ist im Texte, Seite 764—773, nachzulesen. 
Diese Figur gibt einen Teil der aus den violetten chrom- 
affinen Zellen (vlt. chrz.) bestehenden Partie des Para- 
ganglion der Fig. 22a wieder. Zeiss, Ap.3. Kompens.-Ok. 8. 
Tub. 160. Vergr. 667. 

Fast alle Kerne sind kugelrund und mehr minder lebhaft violett- 
rot. Ihre Innenstruktur ist nur bei einigen von ihnen angedeutet 
und fehlt einer grossen Anzahl von ihnen. Diese Kerne bilden 
vollständig leere mattere Scheiben. Sämtliche Kerne waren nicht 
scharf konturiert. Das Plasma ist nur um einzelne Kerne herum 
in Gestalt abgegrenzter, mehr homogener Partien angeordnet. 
Sonst setzt es ein fast überall zusammenhängendes feines 
Netzwerk zusammen, dessen Lücken meist leer sind. Die ein- 


wu‘ 


Fig. 23. 


Die Paraganglien bei den Vögeln. 789 


zelnen Kerne sind in dem plasmatischen Netzwerke ganz unregel- 
mässig verstreut. 
Ein Stück aus der Tunica media und adventitia der 
Aorta abdominalis einer noch blinden Nestkrähe (Corvus 
frugilegus). Müllersche Flüssigkeit 9: Formol 1. 10 ». Cochenille- 
Alaun. Zeiss, Ap.4. Kompens.-Ok. 6. Tub. 160. Vergr. 372. 
Von der Media sind nur ca. die äusseren zwei Drittel gezeichnet. 
Die Adventitia ist an der mit zwei Kreuzchen (+ —+-) bezeichneten 
Stelle infolge der Präparation abgehoben. In der Media liegt 
ein grösseres Paraganglion, das sich durch eine feine Spalte in der 
ersteren in die Adventitia fortsetzt und dort ebenfalls zu einer 
kleineren Zellgruppe anschwillt. Das ganze Paraganglion besass 
demnach Hantelform. Der dünne Verbindungsstiel der in der 
Media und Adventitia gelegenen grösseren Partien ist in der 
Zeichnung nicht zu sehen. Dafür bemerkt man ganz gut die spär- 
lichen Lagen der Media (med.*), unter welchen der Stiel liegt. 
Das Paraganglion stand in keinem Zusammenhange mit 
sympathischen Nerven. Es machte auch hier den Eindruck, 
als ob die chromaffinen Zellen wenigstens teilweise syncytial an- 
geordnet gewesen wären. Zahlreiche Vakuolen (vak.) im Zellplasma. 


790 Wilhelm Kose: Die Paraganglien bei den Vögeln. 


Inhaltsübersicht. 
1. Einleitung 
2. Material 
3. Methoden . 4 
4. Besprechung der en Diterdtr 


5. Das Paraganglion suprarenale und die Nebenniere 
A. Histologie des Paraganglion suprarenale . 
B. Grundzüge im Aufbaue der Nebenniere 
C. Cytologie des Paraganglion suprarenale . 
6. Das Paraganglion caroticum 
I. Das Paraganglion in ee Krähen i 
A. Histologie . 
S Cytologie 
an and Zusammen 
11. # ae caroticum der Hühner . 
III. Das Paraganglion caroticum der Wasseramsel 
IV. Schlussbetrachtungen 3 
V. Tabellarische Zusammenstellung . } 
VI. Zusammenfassung der wichtigsten Befunde A 
7. Sämtliche Fundstätten der übrigen Paraganglien, die entweder - 
dem sympathischen Nervensystem geweblich verknüpft, oder aber 
von ihm losgelöst sind i € 
I. Die Grenzstränge und Mi a Abeche ER, sym- 
pathischen Nervensystems 
II. Urnierenreste 
III. Ovarium 
IV. Hoden 
V. Niere 
VI. Die Nenner Der a liellensten ahrlomsinalen en 
und Venen \ 
VII. Frei im Bindegew ae ia uns: ; 
VII. Cytologie . 
IX. Schlusshetraehbungenn 
S. Nachtrag . 
Literaturverzeichnis . - i 
Erklärung der Abbildungen u "Tafel XXI XXI (Ba. 9, Heft 3) 1 
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIV—XXVI (Bd. 69, Heft 4). 


JS J =] 
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791 


Über den Zusammenhang der Epithelzellen 


des Darmes. 
Von 
Dr. Theodor Schaeppi, Zürich. 


Hierzu Tafel XXVII. 


Nachdem Ogneff (Biolog. Zentralbl. 1892), Th. Cohn 
(Anat. Hefte, Bd.6) und E. W.Carlier (La cellule, T. 11) über- 
einstimmend behauptet hatten, dass die Zylinderzellen des Magens 
ebenso durch Interzellularbrücken, welche eine flüssige Zwischen- 
substanz durchsetzen, zusammenhängen wie die Pflasterepithelzellen 
und nachdem Kolossow (Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 52) auch 
zwischen den Epithel- und Drüsenzellen des Darmes Interzellular- 
brücken beschrieben hatte, erhoben sich neuerdings gewichtige 
Stimmen gegenüber diesen Angaben: V. v. Ebner schreibt in 
Köllikers Handbuch der Gewebelehre S. 155: „Ich habe mich 
von der Existenz der Interzellularbrücken (des Magenepithels, Ref.) 
bisher nicht überzeugen können und glaube, dass Schrumpfungen 
(es handelt sich um dünnste Paraffinschnitte) und andere Täuschungen 
hier ins Spiel kommen‘ und auf S. 184: „Die Verbindung der 
Epithelzellen (des Darmes, Ref.) untereinander soll nach neueren 
Angaben (Kolossow, Ref.) gerade so wie im Magen durch Inter- 
zellularbrücken hergestellt sein; eine Behauptung, von deren 
Richtigkeit ich mich ebensowenig überzeugen konnte, wie beim 
. Magenepithel.““ 

Oppel (Ergebnisse der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, 
Bd. IX), schliesst sich der Frage v. Ebners an, ob die Inter- 
zellularbrücken nicht durch die bei der Methode Kolossows 
eintretende Schrumpfung vorgetäuscht werden, indem er bemerkt: 
„Diese Frage erscheint mir um so berechtigter, als Kolossow 
nicht nur zwischen den Drüsenzellen, sondern auch zwischen den 
Leberzellen und den Blutkapillaren Interzellularbrücken findet. 
Letztere Angabe Kolossows wird wohl noch bei manchem 
Forscher Anstoss erregen.‘ 

Zwar haben in neuerer Zeit De Kluyzen und Fermaat 
(Ergänzungshefte des anat. Anzeigers, Bd. XXIII), an der Basis 
der Magenepithelzellen Interzellularbrücken beobachtet, aber die 


1792 Theodor Schaeppi: 


beiden Autoren sprechen sich über deren vitale Existenz sehr 
skeptisch aus und denken selbst daran „es könnten immerhin 
entweder postmortale Schrumpfungen oder aber agonale Kon- 
traktionen oder Kombinationen von beiden sein“ (Ref. nach Oppel: 
Ergebnisse der Anat. und Entwicklungsgesch Bd. XIV). 

Wenn nun einerseits schon bezüglich des Vorkommens von 
Interzellularbrücken im Darmepithel überhaupt entgegengesetzte 
Ansichten herrschen, so gehen andererseits bei denjenigen Autoren, 
die solche Brücken beschrieben haben, die Meinungen erst recht 
auseinander bezüglich der Gestalt und des Charakters dieser 
Verbindungen: Während Ogneff, Carlier und Cohn in Wort 
und Bild die Brücken als einfache protoplasmatische Fäden dar- 
stellen, sieht Kolossow in denselben nnr die optischen Quer- 
schnitte von zwischen den Zellen ausgespannten Protoplasma- 
lamellen. Lassen wir hier die diesbezüglichen Angaben dieses 
Autors folgen (Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 52): „Was die Natur 
der Interzellularbrücken der Epithelgewebe anbetriftt, so erscheinen 
sie bei meiner Behandlungsmethode fast überall mit Ausnahme 
des geschichteten Pflasterepithels als ein System anastomosierender 
Scheidewände, welche sich zwischen den zugewandten Seiten- 
flächen der Zellen befinden und eine Art unmittelbarer Fortsetzung 
der peripherischen verdichteten Schicht der Protoplasmafilarmasse 
derselben darstellen, sodass man es hier streng genommen nicht 
mit eigentlichen Brücken zwischen den in der Nachbarschaft neben- 
einander gelegenen Zellen, sondern mit einer Schiehte dünnwandiger, 
wohl miteinander stellenweise kommunizierender Alveolen zu 
tun hat, deren Scheidewände auf dem Querschnitte als faden- 
oder strangförmige Brücken, auf der Flächenansicht aber als zartes 
Maschwerk erscheinen, wie es neuerdings Fr. E. Schulze für 
das Hautepithel der lebenden jungen Amphibienlarven beschrieben 
hat.“ Da wo die Zellkörper mässig geschrumpft sind, treten 
nach Kolossow die lamellösen Brücken deutlich hervor, an den 
Stellen dagegen, wo die Zellen stark geschrumpft und daher 
weit auseinander getreten sind, sieht man an Stelle der lamellösen 
Brücken unregelmässige fäden- oder strangförmige Verbindungs- 
brücken, die augenscheinlich als Kunstprodukte aus den lamellösen 
Brücken entstanden sind durch partielles Zerreissen. 

Wiederum in ganz anderer Darstellung erscheinen die 
Interzellularbrücken bei C.Camillo Schneider (Lehrb. d. vergl. 


Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 793 


Histologie). Schneider unterscheidet primäre und sekundäre 
Brücken. Erstere spannen sich aus zwischen den parallelen peripheren 
Fasern (oder „Linen‘) zweier aneinander stossender Zellen und 
sind als Bildungsprodukte der den „Linen“ eingelagerten Plasma- 
körner, den sogenannten „Desmochondren‘ zu deuten; sie finden 
sich an allen einschichtigen Epithelien, also auch den Darm- 
epithelien, vor. Die letzteren, die sog. sekundären Brücken da- 
gegen setzen sich in die „Linen-"“ oder Sarkfäden der Zellen fort, 
zeichnen sich meistens durch eine mittlere Anschwellung, das 
„Brückenkorn‘ aus und sind durch unvollständige Sonderung bei 
der Teilung der Zellen entstanden; sie finden sich in den mehr- 
schichtigen Epithelien, also z. B. in der Haut der Vertebraten 
vor. Die primären Brücken, die uns hier allein interessieren, lässt 
nun Schneider in Wort undBild dadurch aus den Desmochondren 
entstehen, dass die den peripheren Linen zweier benachbarter 
Zellen angehörenden Plasmakörner miteinander verkleben; je 
schmäler daher die Interzellularlücken, umso dicker die Brücken, 


je weiter die ersteren, um so dünner die letzteren. „Die Bedeutung 


der Körner (Desmochondren)“ sagt Schneider bezüglich der 
Froschdarmepithelzellen (S. 795) „als zur Verklebung der Fäden 
(Linen, Ref.) dienend erhellt vor allem an der Peripherie der 
Zellen. Eine Membran fehlt durchaus; sehr schmale Interzellular- 
lücken und -Brücken sind vorbanden. Es lässt sich mit Sicherheit 
der Nachweis führen, dass die Brücken von den Körnchen der 
peripher verlaufenden Fäden gebildet werden. Nirgends ist ein 
Ausstrahlen der Fäden selbst in die Brücken festzustellen; je 
schmäler die Interzellularlücken, desto schärfer treten die -Brücken 
hervor; fehlen die Lücken ganz, so wird die Zellkontur durch 
dunkle Punkte bezeichnet, die leicht zu schwarzen Linien zer- 
fliessen, ganz besonders, wenn die zugehörigen Fäden in direkte 
Berührung getreten sind.“ 

Angesichts aller dieser sich widersprechenden Angaben war 
eine erneute Untersuchung über den Zusammenhang der Darm- 
epithelzellen ein gegebenes Thema. Es schien mir nun angezeigt, 
im Gegensatz zu den früheren Autoren, die ausnahmslos nur an 
feinen Paraffinschnitten untersucht hatten, diese Frage einmal an 
Macerationspräparaten zu prüfen und zwar aus folgendem Grund. 
Es war mir von gelegentlichen Untersuchungen an den Darm- 


epithelien des Frosches und des Wassersalamanders her bekannt, 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 52 


794 Theodor Schaeppi: 


dass das von CGarlier (l.c.) am Magenepithel der Katze be- 
obachtete Verhalten der Epithelzellen auch für manche Stellen 
des Froschdarmes zutrifft, jenes Verhalten nämlich, dass die 
Epithelzellen nach unten zu gegen ihre Anheftungsstelle sich 
mehr oder weniger rasch zuspitzen und einen nach unten immer 
breiter werdenden Lymphraum zwischen sich frei lassen. Wenn 
nun die Angabe Carliers richtig ist, dass diese Lymphräume 
von zahlreichen nach unten hin immer länger werdenden Inter- 
zellularbrücken durchsetzt werden (vgl. die Fig. Su. 14 in Carliers 
Arbeit) so mussten offenbar diese Verhältnisse weit besser als 
an Querschnitten an Macerationspräparaten zutage treten. 

Meine Untersuchungen betreffen die Darmepithelien des 
Frosches und der Maus. Zur Maceration benützte ich teils 
5— 10° /oige Kochsalzlösung, teils Drittelalkohol, teils 1°/oige Osmium- 
säure, alle drei mit und ohne Essigsäurezusatz. Die vollkommensten 
Isolationen erhält man mit Ranviers Drittelalkohol, freilich 
auf Kosten der Brauchbarkeit der Präparate, indem hierbei ziemlich 
störende Schrumpfungen und Formveränderungen der Zellen auf- 
treten. Am besten erwiess sich mir eine 1°/oige Osmiumsäure- 
lösung mit Zusatz von O,1°/oiger Essigsäure nach folgendem Ver- 
fahren: kleinere Darmstückchen wurden aufgeschnitten mit der 
Serosaseite auf dünne Korkscheibchen aufgelegt, sorgfältig aus- 
gebreitet und mit physiologischer Kochsalzlösung abgespült. Hierauf 
wurden die Korkstückchen mit der Präparatenseite nach unten 
in die Osmiumessigsäure gebracht und in derselben bei Licht- 
abschluss 12—16 Stunden belassen. Die Isolation war zwar bei 
dieser Methode keine so vollkommene wie bei Anwendung des 
Drittelalkohols oder der Kochsalzlösung, allein für die vorliegende 
Frage war es besser, wenn bei der Maceration die Zellen teil- 
weise miteinander im Zusammenhang blieben und zudem traten 
bei dieser Methode weder Schrumpfung noch Quellung auf. Zur 
Färbung benutzte ich ausschliesslich eine stark verdünnte (burgunder- 
rote) l,ösung von Hämatoxylin Ehrlich, in welcher die Präparate 
S— 10 Stunden verblieben. 

Sowohlan Macerationspräparaten als auch an dünnen Schnitten 
ergiebt sich der Befund, dass die Darmepithelzellen des Frosches 
von sehr wechselnder Form sind (vgl. Fig. 1): da sehen wir erstens 
Zellen von ungefähr prismatischer Gestalt. .deren Seitenwände 
also parallel verlaufen, daneben solche, dievon abgestutzt pyramidaler 


Uber den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 233 


Form entweder von oben nach unten allmählich breiter werden 
oder aber umgekehrt gleich den von Carlier (l.c.) beschriebenen 
Magenepithelzellen der Katze nach der Basis hin sich stielartig 
verschmälern, wobei sie, wo ihrer zwei oder mehrere nebenein- 
ander liegen, einen nach unten immer breiter werdenden inter- 
zellularen Lymphraum zwischen sich lassen und die in der Nähe 
ihrer basalen Anheftungsstelle regelmässig wieder eine Verbreiterung 
erleiden. Ihrer Zahl nach sind die Zellen dieser Form weitaus 
die häufigsten. In dritter Linie stösst man hin und wieder auf 
Zelltypen, die nach unten in einen gespaltenen Basalfortsatz 
auslaufen (vgl. Fig. 1 und 2) sodass von der Seite gesehen, diese 
Elemente eine Art Gewölbe bilden und auf Querschnitten lässt 
sich unschwer erkennen, dass die Lichtung dieser Gewölbe von 
einer vierten Form von Zellen eingenommen werden, die in Ge- 
stalt und Lage völlig den Basalzellen des Flimmerepithels der 
menschlichen Luftröhre gleichen und die ich deshalb „‚Basalzellen“ 
nennen will.") 

Nicht selten wird übrigens die Form der Epithelzellen von der 
Lage des Kerns beeinflusst, indem die Gegend der Nuclei eine 
mehr oder weniger deutlich ausgesprochene seitliche Ausbuchtung 
der Zellen aufweist (vgl. Fig. 5); da indessen diese Ausbuchtung 
an isolierten Zellen stärker ausgeprägt erscheint als an solchen. 
die mit ihren benachbarten Elementen in Zusammenhang geblieben, 
so müssen wir annehmen, dass ein Teil dieser Erscheinung durch 
Schrumpfung zustande komme. 

Da wo nun diese verschiedenen Zellformen im Epithel neben- 
einander vorkommen (vgl. Fig. 1) bemerkt man, dass die Zellkerne 
in ungleicher Höhe liegen, sodass bei oberflächlicher Betrachtung 
der Anschein erweckt wird, als ob das Epithel mehrschichtig sei. 
Es finden sich aber auch Stellen im Epithel, wo über kürzere 
oder längere Strecken hin nur prismatische Zellen oder nur solche 
mitbasaler Verschmälerung vorkommen; aufSchnittpräparaten heben 
sich diese Orte dadurch deutlich von der Umgebung ab, dass hier die 


!) Anmerkung. Bekanntlich hat O. Brasch (Sitzungsb. d. kaiseri. 
Akademie in Wien, Bd. 80, 83 und 92) die Vorstellung begründet, dass die 
Flimmerepithelzellen durch das Heranwachsen der Basalzellen, die sich als 
nach oben spitze Keile zwischen die Flimmerzellen einfügen, ersetzt werden. 
Oh die Basalzellen im Froschdarm eine ähnliche Bedeutung haben, konnte 


ich an meinen Präparaten nicht entscheiden. 
52* 


796 Theodor Schaeppi: 


Kerne alle auf gleicher Höhe stehen. Es ist nun ohne weiteres ein- 
leuchtend, dass die verschiedene Gestalt der Epithelzellen hier 
wie anderswo bedingt ist durch den auf ihnen lastenden Seiten- 
druck. Bekanntlich finden wir schon beim Froschdarm die ersten 
Andeutungen von Falten- und Zottenbildungen und es ist daher 
klar, dass auch hier, wie überall, die Höhe der Falten von 
prismatischen Zellen mit basaler Verschmälerung und distal ge- 
lagertem Kern, die Einsenkung zwischen den Falten dagegen von 
prismatischen Zellen mit verbreiteter Basis und basal gelagertem 
Kern eingenommen werden. Allein auch an denjenigen Stellen, 
wo die Faltenbildung gänzlich zurücktritt, sehen wir nicht selten 
die verschiedenen Zellformen nebeneinander auftreten. Es folgt 
daraus, dass die Form der Epithelzellen nicht allein abhängig 
ist von ihrem Seitendruck, sondern dass dieselbe noch durch 
andere Momente bedingt sein kann; ein solches Moment liegt 
nun meines Erachtens darin, dass die zwischen den Zellen be- 
findlichen interzellularen Lymphräume oder Lymphspalten einer 
wechselnden Füllung fähig sind. Denken wir uns zum Beispiel, 
dass in einem gleichförmig prismatischen Epithel eine stärkere 
Ansammlung interzellulärer Lyınphe und demgemäss eine stärkere 
Füllung der interzellularen Lymphräume eintritt, so wird, da die 
Oberfläche der Zellen durch das Kittleistennetz, die Basis durch 
die Anheftung an der Basalmembran fixiert ist und die Gegend 
des Kernes dem Drucke von Seiten der Lymphe stärkeren Wider- 
stand entgegensetzt, eine Formveränderung mehr die basalen 
Teile treften: die Zellen werden sich also etwas strecken und in 
ihren basalen Teilen verschmälern, mithin jene Gestalt annehmen, 
wie wir sie oben für die grosse Mehrzahl der Epithelzellen be- 
schrieben haben. Es lässt sich endlich noch die Frage aufwerfen, ob 
vielleicht die Zellen nicht nur passiver, sondern auch aktiver 
Formveränderung fähig sind. Aktive Formveränderungen an Darm- 
epitheliensindzwarbeiniederen Tieren (Cölenteraten, Anneliden u.a.) 
bekannt, beim Frosche indessen bisher nicht beobachtet worden; 
die diesbezüglichen Angaben von Thanhoffer über Bewegungen 
am Stäbchensaume der Darmepithelzelle (Pflügers Arch., Bd. VIII) 
sind von späteren Autoren nicht bestätigt worden. Dennoch möchte 
ich in Anbetracht der Schwierigkeit solcher Untersuchungen diese 
Frage einstweilen offen lassen. 

Die basale Fläche der Epithelzellen verdient ihrer wechselnden 


Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. LT 


Konfiguration wegen unsere besondere Aufmerksamkeit. Im all- 
gemeinen erscheint diese Wand, die wir als „Fussplatte“ bezeichnen 
wollen, in Uebereinstimmung mit der ihr gegenüberliegenden 
den Stäbehensaum tragenden Wand von der Fläche, d.i. also von 
unten her gesehen, als polygonale, meist 5—6 seitige Platte. 
Es gilt diese Regel nicht nur für die prismatischen und die sich 
nach unten verbreiternden Zellen, sondern auch für diejenigen 
Formen, die sich nach der Basis zu mehr oder weniger stielartig 
verschmälern, denn auch bei ihnen gelangt eine Fussplatte zur 
Ausbildung, indem, wie bereits oben erwähnt ihr basales Ende 
stets kegelföürmig, von der Seite betrachtet also fächerförmig 
erweitert wird. Die Bezeichnung Fussplatte ist freilich manchmal 
cum grano salis zu verstehen. Denn infolge der schon am Frosch- 
darm angedeuteten Falten- und Zottenbildung ist die Basis der 
Epithelzellen oft keine plane, sondern mehr oder weniger ge- 
wölbte Fläche; auch steht die Fussplatte nicht immer senkrecht, 
sondern häufig in kleinerem oder grösserem Winkel zur Zellachse. 
Eine Folge der Falten- und Zottenbildung ist ferner der Umstand, 
dass die dem Darmlumen zugewandte Fläche des Epithels in ihrer 
(sesamtheit grösser ist als die Basalfläche und demgemäss sehen 
wir dann auch, dass — von den prismatischen und den an Zahl 
sehr zurücktretenden, nach unten breiter werdenden Zellformen 
(vgl. Fig. I!) abgesehen — die Fussplatte der Epithelzellen meist 
kleiner ist, als die den Stäbchensaum tragende gegenüberliegende 
Wand. Wie Paraffinschnitte zeigen, berühren sich im allgemeinen 
die Epithelzellen nicht nur mit ihren distalen Enden, sondern 
auch mit ihren Fussplatten: ich betone dies deshalb, weil Carlier 
(l.e.) für die Magenepithelzellen der Katze angibt, dass ihre basalen 
Enden nur mit kleinen Verdickungen enden und das demnach 
die interzellularen Lymphspalten nach unten frei und offen sind. 
Aber der Zusammenhang der Fussplatten ist offenbar nur ein 
äusserst lockerer, denn bei der Maceration gelingt es fast nie, 
dieselben im Zusammenhange darzustellen; mit wenigen Aus- 
nahmen (s. unten) erscheinen die Fussplatten von einander getrennt, 
auch da, wo die zugehörigen Zelleiber miteinander in Verbindung 
geblieben sind. 

Wir haben oben als Norm angegeben, dass die Fussplatten 
von polygonaler Form sind: nicht selten erscheinen nun aber 
ein oder mehrere Ecken des Polygons mehr oder weniger stark 


198 Theodor Schaeppi: 


ausgezogen, so dass sie als kürzere oder längere bald spitze bald 
stumpfe Fortsätze imponieren (vgl. Fig 5, 6, 7) und dement- 
sprechend die Platte sowohl von der Fläche als auch von der 
Seite gesehen, zerschlitzt erscheint. Schon M. Heidenhain 
hat in seiner Arbeit: „Über die Struktur der Darmepithelzellen“ 
(Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 54, pag. 185) auf diese Fortsätze, 
die er „würzelchenartige Ausläufer“ nennt, aufmerksam gemacht 
und dabei die Ansicht ausgesprochen, dass dieselben für die 
iestere Haftung der Zellen an der Unterlage bestimmt sind. Auf 
den ersten Blick erscheint nun aber oft eine Fussplatte mit 
langen Fortsätzen behaftet, die bei genauerem Zusehen derselben 
völlig entbehrt: diese Täuschung kommt nämlich dadurch zustande, 
dass nach den Ecken der Fussplatte hin Züge oder Streifen 
körnigen, stark tingierbaren Protoplasmas hinziehen, zwischen 
denen sich wenig färbbares hyalines Plasma ausbreitet. Wo da- 
gegen die Ecken der Fussplatte wirklich zu Fortsätzen ausgezogen 
sind, erscheint das Hyaloplasma oft nach Art einer Schwimmhaut 
zwischen denselben ausgebreitet (vgl. Fig. 5). 

Selbstverständlich lässt sich auch hier wiederum die Frage 
ventilieren, ob die Fortsätze der Fussplatte fixe unveränderliche 
Bildungen sind oder ob nicht vielmehr der Mangel oder das 
Vorhandensein derselben nur verschiedenen Zuständen der Zellen 
entsprechen. Wenn die Angaben Bizzozeros richtig sind, 
dass die regenerativen Mitosen im Darmepithel auf die Lieber- 
kühnschen Krypten beschränkt sind, so ist man gezwungen, eine 
Wanderung der Epithelzellen anzunehmen. Da wäre es denn 
wohl denkbar, dass diese Wanderung durch das Ausstrecken und 
Einziehen von basalen Fortsätzen bewerkstelligt würde, die dem- 
gemäss nicht nur als Haftorgane (Heidenhain s. 0.), sondern 
auch als Lokomotionsorgane funktionieren würden. 

Die Seitenkonturen der Epithelzellen sind im allgemeinen 
glatt, nur in einzelnen Fällen erscheinen sie unregelmässig ge- 
zackt. Es unterliegt keinem Zweifel, dass diese Zackung ein 
Kunstprodukt ist und durch Schrumpfung oder Stauchung der 
Zellen in der Längsachse zustande kommen An Osmiumsäure- 
präparaten kommt übrigens diese Schrumpfung sehr selten zur 
Beobachtung, häufiger dagegen an Präparaten, die mit Drittel- 
alkohol erhalten wurden. Da wo bei der Maceration zwei oder 
mehrere Zellen miteinander in Zusammenhang geblieben sind, 


Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 199 


können durch diese gezackten Seitenkonturen auf den ersten Blick 
Interzellularbrücken vorgetäuscht werden, indem es vorkommt, 
dass die Zacken benachbarter Zellen einander direkt gegenüber- 
liegen und sich mit ihren Spitzen berühren. Stärkere Vergrösserung, 
leichtes Beklopfen des Deckgläschens und dergleichen Hülfsmittel 
erweisen indessen rasch den wahren Sachverhalt 

Damit sind wir bei der Frage angelangt, ob denn überhaupt 
Interzellularbrücken zwischen den Darmepithelzellen des Frosches 
vorkommen. Man erhält nun an ÖOsmiumsäurepräparaten eine 
zahlreiche Menge Bilder, wo vollständig glatt konturierte absolut 
nicht geschrumpfte Zellen zu zwei oder mehreren in ursprünglicher 
Lage miteinander zusammenhängen und es finden sich hierbei 
eine Menge Stellen, wo die interzellularen Lymphräume als schmale, 
sich nach unten erweiternde Spalten in ihrer ganzen Ausdehnung 
deutlich zutage treten, sodass eventuelle diese Spalten traversierende 
Interzellularbrücken unmöglich übersehen werden können. Bei 
aufmerksamer Durchmusterungder Präparate stösst 
man nun in der Tat hin und wieder auf Bilder, wie 
siein den Figuren 3—5 wiedergegeben sind, die uns 
einen Zusammenhang der Epithelzellen durch proto- 
plasmatische, die interzellulären Lymphräume durch- 
setzende Fasern erkennen lassen. 

Wie aus den Figuren ersichtlich ist, bestehen diese Ver- 
bindungen aus kürzeren oder längeren bald mehr schief, bald 
quer verlaufenden, bald dünnen, bald ziemlich derben Plasma- 
fasern. die stets mit einer kleinen, kegelförmigen Anschwellung 
von den Zellen entspringen. Die zartesten Verbindungen weisen 
häufig kleine knöpfehenförmige Anschwellungen in ihrem Verlaufe 
auf, ganz ähnlich wie dies bei den Nervenfibrillen der Cölenteraten 
der Fall ist. Hin und wieder beobachtet man auch eine Ver- 
zweigung der Fasern, wie dies in Fig. 6 dargestellt ist. In der 
grossen Mehrzahl der Fälle trifft man nur wenige (1—2) seltener 
mehrere (ich habe deren bis zu vier gezählt) Verbindungsfasern 
zwischen zwei Zellen. Fast stets sind die Verbindungen zwischen 
den basalen Abschnitten der Zellen ausgespannt und zwar am 
häufigsten zwischen Kern und Fussplatte; hin und wieder be- 
gegnet man ihnen auch zwischen den distalen Teilen der Zellen. 
also in der Höhe oder etwas oberhalb des Kernes, wo sie natürlich 
stets kürzer sind und andererseits gibt es auch Fälle, wo die 


800 Theodor Schaeppi: 


Fussplatten selbst durch kurze, oft ziemlich derbe Anastomosen 
miteinander verbunden sind (vgl. Fig.7). Dass es sich letztern 
Falls nicht etwa um eine einfache Verklebung zweier gegenüber- 
liegender Fortsätze der Fussplatten handelt, zeigt sich beim Be- 
klopfen oder leichtem Verschieben des Deckgläschens. 

Besondere Beachtung verdient ferner die Tatsache, dass 
diese Anastomosen nicht immer nur zwei unmittelbar benachbarte 
Zellen miteinander verbinden, sondern dass sie, wie aus Figur 8 
ersichtlich ist, hin und wieder auch weiter von einander entfernte 
Elemente miteinander in Zusammenhang bringen. 

Ich will nicht unterlassen zu bemerken, dass manchmal bei 
oberflächiicher Betrachtung durch jene die Basalzellen über- 
brückenden Basalfortsätze der Epithelzellen Anastomosen vorge- 
täuscht werden können (vgl. Fig. 2 und 3); gerade in diesem 
Falle zeigt sich die Ueberlegenheit der Macerationspräparate 
gegenüber den Schnittpräparaten, denn während bei letzteren 
eine sichere Entscheidung über das Verhalten des die Basalzelle 
überbrückenden Basalfortsatzes nicht möglich ist, lässt sich bei 
jenen durch Klopfen auf das Deckgläschen mit aller Deutlichkeit 
nachweisen, dass jene Basalfortsätze keinen Zusammenhang mit 
den benachbarten Epithelzellen haben. 

Wenden wir uns nunmehr zu dem diesbezüglichen Verhalten 
am Darm der Maus. Die Darmepithelzellen der Maus sind über 
den Darmzotten von abgestumpft pyramidaler Gestalt. Die Basis 
der Pyramide wird gebildet durch den Stäbchensaum, die abge- 
stumpfte Spitze durch die basale Anheftungsstelle, d. i. die Fuss- 
platte der Zelle. Zwischen den Zotten finden sich teils Zellen 
von prismatischer Form, teils solche, die nach der Basis zu ver- 
breitert sind. Die Zellen der Zotten zeigen nun sehr häufig nahe 
der Fussplatte eine stielartige Verschmälerung, ganz wie wir dies 
oben bei den Elementen des Froschdarmes beschrieben haben, 
sodass hierdurch die interzellularen Lymphräume gegen die Basis 
hin eine deutliche Verbreiterung erfahren, während sie im übrigen 
Bereiche der Zellen nur als kapilläre Spalten erscheinen. Bei 
der Maceration bleiben nicht selten die Zellen zu Reihen geordnet 
miteinander im Zusammenhang und es fällt hierbei auf, dass die 
Elemente in der @Querrichtung der Zotte inniger aneinander 
haften, als in der Längsrichtung, sodass sie häufig in halbring- 
förmiger Anordnung angetroffen werden. Es zeigt sich auch. 


Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. sol 


dass die Zellen in der Querrichtung zur Zotte breiter sind als 
in der Längsrichtung und dass ihre Basis meist etwas nach dem 
Grunde der Zotten hin gekrümmt erscheint, wie das bereits schon 
von Ebner erwähnt hat, welche beiden Umstände, wie leicht 
ersichtlich, auf die Verkürzung oder Stauchung der Zotte infolge 
der Einwirkung der Reagentien zurückzuführen sind. Die Zell- 
kerne stehen hier alle auf gleicher Höhe, Basalzellen sind gleich- 
falls vorhanden, aber sie sind viel seltener als beim Frosch. Die 
Fussplatten sind wie beim Frosch von polygonaler Form, doch 
sind ihre Ecken niemals so stark ausgezogen, dass es zur Bildung 
von Fortsätzen kommt; höchstens erscheinen ihre Seiten. wohl 
eine Folge der Schrumpfung, leicht ausgeschnitten. Dagegen 
tiel mir hier ein anderer Umstand auf, den ich beim Frosch 
nicht beobachtet hatte: an Hämatoxylinpräparaten erscheint nämlich 
die Fusspiatte fast immer von einem schmalen bändchen- oder 
leistenartigen Saume, der sich durch seine intensivere Färbung 
vom Protoplasma der Fussplatte abhebt, eingefasst, wodurch die 
Konturen der letzteren viel stärker hervortreten, als beispiels- 
weise diejenigen der Seitenwände der Epithelzellen. Manchmal 
ist nur ein Teil der Peripherie der Fussplatte von diesem Saume 
bekleidet, manchmal fehlt er auch ganz. Wie aber aus den 
Figuren 12 und 13 deutlich hervorgeht, ist das vollkommene 
oder teilweise Fehlen dieses Saumes offenbar dadurch bedingt, 
dass derselbe bei der Maceration bald ganz, bald teilweise abge- 
streift worden ist. Beide Figuren zeigen uns, wie dieser leisten- 
artige Saum zum Teil mit der Fussplatte zusammenhängt, zum 
Teil sich von derselben losgelöst hat und frei über die Fussplatte 
hinausragt. Fragen wir uns nun, was dieser Saum für eine Be- 
deutung hat, so kann ich meine Befunde einstweilen nicht anders 
deuten, als dass es sich hierbei um eine Art basaler Kittleisten 
handelt, welche die Fussplatten der Epithelzellen in analoger 
Weise miteinander verbinden, wie die bekannten Kittleisten der 
distalen Enden der Zellen. Ich betone aber, dass dies nur eine 
vorläufige Deutung ist, denn es ist mir nicht gelungen, an Schnitt- 
präparaten mit den bekannten Methoden ein basales Kittleisten- 
netz zur Darstellung zu bringen. 

Der oben erwähnte Umstand nun, dass die Epithelzellen 
der Maus gleich denen des Frosches sehr häufig nach unten zu 
schmäler werden und dadurch einen nach unten hin immer breiter 


502 Theodor Schaeppi: 


werdenden Lymphraum zwischen sich lassen, gestattet nun auch 
hier, an Macerationspräparaten sicheren Aufschluss über die 
Verbindungsweise der Epithelzellen zu erhalten. Ganz wie wir 
dies oben beim Frosch beschrieben, sehen wir auch hier nicht 
selten die Lymphspalten traversierende Protoplasmafäden von 
einer Zelle zur benachbarten hinüberziehen. Hier wie dort haben 
diese protoplasmatischen Verbindungen bald einen mehr schrägen. 
bald mehr queren Verlauf und finden sich stets in ganz geringer 
Anzahl vor: meistens ist nur eine einzige Verbindung vorhanden, 
seltener sind deren zwei und mehr als drei konnte ich nirgends 
konstatieren (vgl. Fig. 10—13). Hier wie dort sind diese Anastomosen 
so gut wie stets zwischen den basalen Teilen der Epithelzellen, 
(also unterhalb des Kerns) ausgespannt. Sie erscheinen ziemlich 
derbe und zeigen gleichfalls die charakteristische Erscheinung, 
dass sie mit kegelförmiger Basis wie von einer Art Hügelchen 
aus den Seitenwänden der Zellen entspringen. Da die basale 
Verschmälerung der Epithelzellen hier weniger stark ausgebildet 
ist als beim Frosch und infolgedessen die interzellulären Lymph- 
spalten weniger breit erscheinen als dort, sind die Anastomosen 
hier im grossen und ganzen kürzer und weniger leicht in die 
Augen springend, als beim Froschdarm. Im Gegensatz zu den 
Befunden am Froschdarm verbinden hier die Anastomosen ohne 
Ausnahme nur unmittelbar benachbarte Zellen, einen Zusammen- 
hang von weiter auseinanderliegenden Elementen konnte ich hier 
nirgends Konstatieren. 

Es erübrigt uns nunmehr auf die Natur und die physio- 
logische Bedeutung unserer protoplasmatischen Zellverbindungen 
einzugehen. Nach all dem mitgeteilten muss sich uns vorerst 
die Frage aufdrängen, wie sich die von uns beschriebenen Anas- 
tomosen zu den von den übrigen Autoren (Cohn, Carlier, 
Kolossow, Schneider, De Kluyzen und Fermaat) ge- 
sehenen und beschriebenen Interzellularbrücken verhalten. Da 
müssen wir vor allem hervorheben, dass unsere Zellverbindungen 
in Uebereinstimmung mit den von Carlier, Cohn, De Kluyzen 
und Fermaat dargestellten Interzellularbrücken durch stets 
deutlich ausgebildete protoplasmatische Fasern repräsentiert werden. 
Es handelt sich also hierbei nicht etwa um einfache Verklebung 
zweier benachbarter Desmochondren. wie dies C. Camillo 
‚Schneider für seine primären Brücken behauptet, denn dass 


Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 803 


so lange und derbe Fasern wie ich sie hier in Wort und Bild 
dargestellt habe, durch Verklebung und nachheriges Auseinander- 
rücken von Protoplasmakörnern zustande kommen könnten, ist 
ein Ding der Unmöglichkeit. Es könnte sich also höchstens um 
sekundäre Brücken im Sinne von ©. Schneider handeln, wenn man 
überhaupt diese, wie mir scheint, willkürliche und unbegründete 
Unterscheidung machen will; indessen passen sie auch nicht in 
das von Schneider bezülich der sekundären Brücken gegebene 
Schema hinein, denn von einem zentralen Brückenkorn ist hier 
nicht die Rede. Vielmehr zeigen unsere Verbindungsfasern bald 
eine, bald mehrere bald aber auch gar keine körnigen Anschwellungen 
und überdies sind sie nicht selten verzweigt (s. Fig. 6). 

Ebensowenig ist es denkbar, dass unsere Anastomosen im 
Sinne von Kolossow aus interzellularen Protoplasmalamellen als 
Kunstprodukte durch partielles Zerreissen der Alveolarwände 
entstanden sind (s. oben), denn fürs erste ist es, wie das Studium 
mikroskopischer Schäume lehrt, überhaupt eine irrtümliche Vor- 
stellung, dass durch Platzen von Protoplasmalamellen protoplas- 
matische Fäden entstehen können und zweitens müssten wir wohl, 
diese Möglichkeit zugegeben, auch an Macerationspräparaten da 
wo die interzellularen Lymphspalten nach oben hin enger werden, 
hin und wieder erhaltenen Lamellenbrücken begegnen; zum 
mindesten müssten wir erwarten, dass an diesen Stellen die 
Anastomosen häufiger erhalten blieben. Dies ist indessen keines- 
wegs der Fall. 

Nach alledem bin ich der Ueberzeugung, dass unsere Anas- 
tomosen ihrem Wesen nach identisch sind mit den von Carlier 
und Cohn (l. ec.) beschriebenen Interzellularbrücken. Der Umstand, 
dass an unseren Präparaten die Zellverbindungen nur zwischen 
den basalen unterhalb der Zellkerne gelegenen Partien der Epithel- 
zellen zu beobachten sind, während sie weiter oben fehlen oder 
zu fehlen scheinen, spricht nicht gegen ihre Natur als Interzellular- 
brücken, denn erstens hat schon Cohn in seiner Arbeit (l. ec.) 
betont, dass die Interzellularbrücken der Magenepithelzellen des 
Frosches vorwiegend unterhalb des Kerns der letzteren ausge- 
spannt sind und auch De Kluyzen und Fermaat finden die 
Interzellularbrücken auf die Basalteile der Magenepithelzellen 
beschränkt und zweitens ist es klar, dass eventuell weiter oben, 
distal, die Zellen verbindende Brücken an Macerationspräparaten 


504 Theodor Schaeppi: 


infolge ihrer Zartheit nicht gesehen werden können. Auch die 
Tatsache, dass sich die beschriebenen Anastomosen nur an einem 
kleinen Teile der Epithelzellen und jeweilen nur in sehr be- 
schränkter Anzahl, ja häufig nur in der Einzahl vorhanden auffand, 
widerspricht keineswegs unserer Annahme, denn wenn man bedenkt, 
dass die Maceration und Isolation auch bei schonendster Vornahme 
doch immerhin eine relativ rohe histologische Methode ist, so lässt 
sich leicht begreifen, dass die grosse Mehrzahl dieser feinen Zell- 
verbindungen bei diesem Verfahren zerreissen oder abbrechen und 
daherunserer Beobachtung entzogen werden muss. Dass unsere Anas- 
tomosen ferner häufig nicht einfache, sondern verzweigte Brücken 
darstellen, steht in Einklang mit der Darstellung Kolossows: 
auch dieser Autor beschreibt verzweigte, ja selbst miteinander 
anastomosierende Brücken. Neu ist bei unsern Interzellularbrücken 
dagegen, soweit mir die Literatur bekannt ist, dass dieselben — 
allerdings nur in vereinzelten Fällen und nur beim Frosch — nicht 
nur unmittelbar benachbarte, sondern auch voneinander durch 
eine Zelle getrennte Epithelzellen verbinden. 

Es erübrigt uns nun noch mit einigen Worten auf die mut- 
massliche physiologische Bedeutung dieser Interzellularbrücken 
einzutreten. Garten ist meines Wissens der einzige Autor, der 
die physiologische Bedeutung der Interzellularbrücken experimentell 
verfolgt hat (Arch. f. Anat. und Physiolog. 95. 96) und dabei be- 
züglich der Interzellularbrücken der Riffelzellen der Haut zu dem 
tesultat gekommen ist, dass dieselben die Fähigkeit besitzen, 
sich zu kontrahieren, wodurch die Zellen einander genähert 
werden, ein Umstand, der für die Wundheilung von grösster 
Bedeutung ist. Vorausgesetzt, dass diese Kontraktilität auch für 
die Interzellularbrücken der Darmepithelzellen Geltung hat und 
vorausgesetzt, dass — wie dies ja gewiss anzunehmen ist — 
intra vitam eine weit grössere Anzahl von Interzeilularbrücken 
existieren, als dies aus unseren Macerationspräparaten ersichtlich 
ist, so könnte man sich vorstellen, dass durch die Kontraktion 
der Brücken die Wanderung der Epithelzellen von den Regenerations- 
herden nach den Orten des Verbrauchs hin bewerkstelligt oder 
wenigstens unterstützt würde (s. oben). Man müsste dann freilich 
annehmen, dass die Brücken je nach Bedarf gebildet und abge- 
brochen werden könnten, dass sie mit andern Worten keine be- 
ständigen sondern wechselnde Gebilde darstellten. Es ist dies 


Über den Zusammenhang der Epithelzellen des Darmes. 805 


übrigens eine Annahme, die schon Flemming gemacht hat, 
indem er der Ansicht Raum gibt, dass durch die Wanderzellen 
die Brücken zerrissen und nach ihrem Durchtritte wiederum neu 
gebildet würden. Für die Kontraktilität der Brücken spräche in 
unserem Falle ihre wechselnde Dicke und der Umstand, dass sie 
häufig ganz wie die Fortsätze der Rhizopoden dünnere und dickere 
Stellen inihrem Verlaufe aufweisen. Auch die Verbindung zwischen 
weiter auseinanderliegenden Zellen durch Plasmabrücken, wie ich 
dies beim Frosch beobachten konnte, würde uns von diesem Ge- 
sichtspunkte aus verständlich erscheinen. 

Ich glaube indessen, dass wir nicht fehlgehen mit der An- 
nahme, dass die Interzellularbrücken noch eine andere Bedeutung 
haben, nämlich diejenige, einen nervösen Rapport zwischen den 
Epithelzellen zu vermitteln. Bekanntlich ist die Endigung der 
Nerven im Darmepithel derart, dass die letzten Endästchen zwischen 
den Epithelzellen frei endigen, wobei aber nicht jede FEpithelzelle, 
sondern jeweilen nur die 10. bis 12. Zelle mit einem Endästchen 
in Kontakt steht. Nun scheint es mir aber ein physiologisches 
Postulat zu sein, dass alle Epithelzellen ohne Ausnahme, direkt 
oder indirekt, mit den sekretorischen Nerven in Verbindung stehen 
und zwar aus folgendem Grunde: Wie wir durch die bahnbrechenden 
Arbeiten Pawlows wissen, ist die Qualität der verdauenden 
Säfte (des Magen- und Bauchspeichelsaftes sowohl als auch des 
Darmsaftes) abhängig von der zugeführten Nahrung und zwar 
ist ihre Zusammensetzung jeweilen stets derart, dass die be- 
treffende Nahrung am leichtesten verdaut wird. „Im einzelnen 
hat sich dieser Mechanismus nun als ungemein kompliziert aber 
auch als ungemein zweckmässig erwiesen. So werden die Säfte 
nicht nur dann abgesondert, wenn die Speise den betreffenden 
Abschnitt des Verdauungskanals passiert — trotzdem diese direkte 
Reizbarkeit der Drüsen durch spezifische chemische Reizmittel 
z. B. für den Magen durchaus nicht unwesentlich ist — sondern 
die Absonderung erfolgt durch Reflexvermittlung schon vorher. 
Im allgemeinen kann man nämlich sagen, dass die Tätigkeit eines 
Abschnittes immer auf reflektorischem Wege den nächstfolgenden 
Abschnitt zur Tätigkeit anregt, sodass der Speise beim passieren 
des Verdauungskanals immer Nervenimpulse — gleichsam als 
Quartiermacher — vorauseilen, die dafür sorgen, dass die Nahrung 
überall schon alles für ihren Empfang und ihre Bearbeitung vor-- 


506 Theodor Schaeppi: Über den Zusammenhang etc. 


bereitet findet“ („Zu Pawlows 60. Geburtstag“ G. F. Nicolai, 
Med. Klinik, I. Jahrg., No. 11). Dieser ausserordentlich zweck- 
mässige Mechanismus kann aber, wie leicht ersichtlich, nur dann 
von Wert sein, wenn jeweilen sämtliche Darmzellen einen 
qualitativ gleichartigen Saft zur Absonderung bringen. Es folgt 
daraus, dass die betreffenden reflektorischen Sekretionsimpulse 
ohne Ausnahme allen Darmzellen zukommen müssen und da nun, 
wie wir gesehen, nur ein Teil der Darmzellen mit den Nerven- 
endigungen in direktem Zusammenhang steht, so liegt doch wohl 
der Gedanke auf der Hand, dass die spezifischen Sekretionsimpulse 
den übrigen Epithelzellen durch die Interzellularbrücken über- 
mittelt werden. 


Figurenerklärung. 


Fig. 1. Querschnitt durch ein Stück Froschdarm. B. — Basalzelle. 

Fig. 2—8. Darmepithelzellen vom Frosch. E. B. — Epithelzellen, welche die 
Basalzellen überbrücken. 

Fig. 9—13. Darmepithelzellen der Maus. E.B. — Epithelzelle, welche eine 
Basalzelle überbrückt. 


a 


307 


Aus der Anatomischen Anstalt der Königlichen Universität Berlin. 


Über die Lymphgefässe des Zahnfleisches und der 
Zähne beim Menschen und bei Säugetieren. 
I. Die Lymphgefässe des Zahnfleisches beim Menschen. 
II. Lymphgefässe der Zähne. 
Von 


Georg Schweitzer, 
pr. Zahnarzt in Berlin. 


Hierzu Tafel XXVIII. 


Inhalt. 
A. Einleitung. Untersuchungsplan. — Einteilung des Stoffes. 


B. Die Lymphgefässe des Zahnfleisches beim Menschen. 


Literatur. — Technisches. — Bezeichnungen. — Beschreibung der 

Fälle. — Zusammenstellung der Ergebnisse. 

a) Aussen- und Innen-Abflussbahnen. — Regionäre Drüsen: Submaxillar- 
drüsen (Beziehungen der einzelnen Submaxillardrüsen zu bestimmten 
Zahnfleischregionen) ; Tiefe Cervicaldrüsen. — Submentaldrüsen, Schalt- 
drüsen, Wangenlymphdrüsen. 

b) Tiefe Injektion. Lymphgefässe aus dem Foramen infraorbitale. 

©. Lymphgefässe der Zahnpulpa. 

a) Literatur. — Technisches. 

b) Beschreibung der Präparate: «) Lymphgefässe im Canalis mandi- 

bulae. — Verbindungen mit den Zahnfleischgefässen. — Rami dentales. 

?) Lymphgefässe in der Zahnpulpa. 

y) Kommunikationen zwischen den Lymphgefässen der Zähne (Perio- 
dontium), der Nasenschleimhaut und des Sinus maxillaris beim Neu- 
geborenen. 

c) Zusammenfassung und Schlussbemerkungen. 

D. Hauptresultate der Untersuchung. 


Einleitung. | 
Die Frage, ob in der Zahnpulpa der Säugetiere und 
somit auch des Menschen Lymphbahnen existieren, oder nicht, ist 
bisher eine weder im positiven noch im negativen Sinne entschiedene 
geblieben trotz häufiger Versuche, eine Entscheidung auf diesem oder 
jenem Wege herbeizuführen. Während wir imstande waren, bei 
vielen anderen Organen und Regionen unseres Körpers die gerade 


508 Georg Schweitzer: 


auf dem Gebiet des Lymphgefässsystems überraschend tiefen und 
umfassenden, jedoch leider zum Teil mehr oder weniger in Ver- 
gessenheit geratenen Kenntnisse der alten Anatomen, dank der 
Einführung der Gerotaschen (20) Injektionsmethode wieder in 
Erinnerung zu bringen, zu bestätigen und häufig auch zu er- 
weitern, ist eine Darstellung von Pulpa-Lymphgefässen auch mit 
dieser relativ leicht zu erlernenden, einfachen Methode bisher 
nicht geglückt. Aus dem Misslingen des Nachweises derartiger 
Gefässe resultiert naturgemäss eine Verschiedenheit der Ansichten 
auch in der Beurteilung der Möglichkeit oder Wahrscheinlich- 
keit des Vorhandenseins derselben. Eingehendere Erörterungen 
oder Abwägungen der dafür und dagegen sprechenden Momente 
finden sich in der Literatur nur wenige. Die Mehrzahl der 
Autoren beschränkt sich auf die Registrierung der einfachen 
Tatsache der Unauffindbarkeit der Gefässe, andere verneinen 
direkt ihre Existenz ohne Begründung. Wieder andere leiten 
angesichts der bisherigen Unmöglichkeit, eine Lösung der Frage 
auf anatomischem Wege herbeizuführen, aus gewissen. später 
noch zu besprechenden pathologischen Erfahrungen ihr mehr 
oder minder entschieden gehaltenes, negatives Urteil ab. Dahin- 
gegen geht die Auffassung einiger weniger Autoren dahin, dass 
das Fehlen von Lymphgefässen in der Pulpa unwahrschein- 
lich sei. 

Zu diesen letzteren gehört der Pariser Anatom Sappey 
(56, 57), ein Gelehrter, der ein Menschenalter dem Studium des 
Lymphgefässapparates beim Menschen und bei Säugetieren ge- 
widmet hat und dessen berühmter Atlas (56) ein Fundament 
der Lymphgefäss-Literatur bildet. Weil dieser hervorragende 
Kenner des in Rede stehenden anatomischen Forschungsgebietes 
nicht nur der Überzeugung ist, dass Lymphgefässe in der Zahn- 
pulpa existieren müssen, sondern an dieser Überzeugung auch 
trotz völligen Fehlschlagens häufiger eigener auf den Nachweis 
der Gefässe gerichteten Versuche festhält, — eine Ansicht, die 
von wesentlichem Einfluss gewesen ist auf meinen Entschluss, der 
Lösung der anatomisch interessanten, pathologisch wichtigen Frage 
näher zu treten —, deshalb möchte ich schon hier, bei der 
Entwicklung meines Untersuchungsplanes, seine eigenen Worte 
heranziehen, während ich mir ein Eingehen auf die Angaben der 
übrigen Forscher im Einzelnen für den die Frage der Pulpa- 


EN 


FEUER 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. S09 


Iymphgefässe speziell behandelnden zweiten Teil dieser Arbeit 
versparen MUSS. 

Sappey schreibt im Text zu seinem bereits erwähnten 
Atlas (56) [pag. 70). 

„A la muqueuse des gencives se rattache toute la serie des bulbes 
dentaires. ÜCes bulbes ne sont, en definitive, que des papilles; et il y avait 
lieu de penser, qu’ils possedent, comme toutes les autres papilles des mem- 
branes tegumentaires, des vaisseaux Iymphatiques. J’ai entrepris des recher- 
ches pour de&couvrir ces vaisseaux, et j’ai m@me souvent renouvel& mes ten- 
tatives dans ce but convaincu qu’ils devaient exister. Aujourd’hui encore 
je suis dispos€ & croire ä leur existence. Mais je dois avouer cepen- 
dant, que toutes mes investigations sont demeurdes infructueuses. Il ne 
m’a pas et@ donne, d’en distinguer les moindres traces, ni chez l'adulte, ni 
chez l’enfant, ni chez le foetus.“ 


Wenn ich mich nun zu dem Versuch entschloss, die Frage 
der Pulpa-Lymphgefässe durch eine rein anatomische Untersuchung 
einer Lösung im positiven oder negativen Sinne, wenn möglich. 
einen Schritt näher zu bringen, so musste ich mir darüber im 
Klaren sein, dass ich nur dann einen Erfolg meiner Bestrebungen 
erhoffen konnte, wenn es mir gelang, einen andern Weg aus- 
tindig zu machen als den, der bei den bisherigen, in der Haupt- 
sache resultatlos verlaufenen anatomischen Untersuchungen ein- 
geschlagen wurde. Derartige Untersuchungen, unter Anlehnung 
an Gerotas Methode, sind in neuerer Zeit angestellt worden 
von Ollendorff (42) und Koerner (31). Diesen anreihen 
möchte ich die Versuche von Carreras (11), wenn des letzteren 
Vorgehen auch mehr in das (sebiet des physiologischen Experimentes 
gehört. Ollendorff und Koerner gingen darauf aus, die Pulpa 
am lebenden oder toten Objekt frei zu legen, entweder im Kiefer 
oder nach Extraction des betreftenden Zahnes, und durch Ein- 
stich in das Pulpagewebe nach Gerotas Prinzip etwa 
vorhandene Lymphbahnen in der Pulpa oder solche in dem die 
abführenden Gefässe einschliessenden Knochengewebe mit Farb- 
tlüssigkeit zu füllen bezw. den Transport von Farbstoffpartikeln 
in die regionären Lymphdrüsen in einer für einen Beweis aus- 
reichenden Menge präparatorisch festzustellen. Dass diese Ver- 
suche fehlgeschlagen sind, erscheint erklärlich. wenn man an den 
ausserordentlichen Reichtum der Pulpa an dicht nebeneinander 
gelagerten, in der Längsrichtung der Wurzeln verlaufenden Blut- 


gefässen und die relativ geringe Entwicklung von interstitiellem 
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd, 69. 53 


s10 Georg Schweitzer: 


Bindegewebe denkt. Ein Einstich in ein solches Gewebe, das 
noch dazu, von starren Wänden umschlossen, nach keiner Richtung 
hin dem Druck ausweichen kann, muss meiner Ansicht nach eine 
Zerreissung von Blutkapillaren und kleinen Venen und damit die 
bekannte blitzartige Füllung des gesamten zugehörigen Venen- 
systems mit Injektionsflüssigkeit notwendig zur Folge haben. 

(Ganz anders angelegt waren die Versuche von Carreras. 
Dieser suchte die Resorptionsfähigkeit der Pulpa zu ergründen, 
indem er sie freilegte und dann leicht resorbierbare, zum Teil 
stark toxisch wirkende Stoffe auf sie heraufbrachte. Die grössten- 
teils negativen Resultate hinsichtlich der Aufnahme der Stoffe 
in die Blutbahn erklärt Carreras mit dem Fehlen von wahren 
und eigenen Lymphgefässen in der Pulpa und der geringen Ent- 
wicklung von Venenkapillaren. Erörterungen über die sonst 
möglichen Ursachen des negativen Ausfalls der Carrerasschen 
Versuche anzustellen, dürfte den Rahmen dieser rein anatomischen 
Arbeit überschreiten. Es können die verschiedensten Umstände 
hierbei mitgespielt haben, die eine-Resorption der ganzen auf 
die Pulpa applizierten Dosen von Giftstoften illusorisch machen 
mussten, von denen schon Koerner (31) einen anführt. 

Nach den Erfahrungen Koerners und Ollendorffs 
schien mir ein Vorgehen auf dem von ihnen eingeschlagenen 
Wege naturgemäss ebenso wenig Aussicht auf irgend welchen 
Erfolg zu bieten, wie er diesen beiden Untersuchern beschieden 
war. Ich ging vielmehr von der Forderung aus, dass man ein 
für Injektionsversuche so diffiziles Organ, wie die Pulpa, selbst 
völlig intakt, d. h. ohne Einstichläsionen, erhalten und 
eventuell auf Umwegen eine Füllung seiner Lymphbahnen, falls solche 
überhaupt vorhanden, erstreben müsse. Es handelte sich also 
darum, einen solchen gangbaren Umweg ausfindig zu machen. 
Für die diesbezüglichen Überlegungen und Erörterungen fand ich 
eine äusserst schätzenswerte Unterstützung bei Herrn Dr. Bartels. 
Volontär-Assistenten der Anatomischen Anstalt, der mich auch 
veranlasst hat, der vorliegenden Untersuchung mich zu widmen. 
Bei der Erlernung der Injektions- Methode mit ihren vielen 
kleinen Kunstgriffen, der Beschaffung des zahlreichen von mir 
benötigten menschlichen und tierischen Materials, sowie für die 
kritische Beurteilung meiner einzelnen Befunde hatte ich in ihm 
eine stets bereite erfahrene Hilfe, so dass ich ihn schon an dieser 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. sıl 


Stelle meiner aufrichtigen Dankbarkeit für seine weitgehende 
Unterstützung versichern möchte. Ausgehend von der Erfahrung, 
dass den Bahnen der Blutgefässe sich auch in der Regel Lymph- 
gefässe anschliessen, dass man daher in blutgefässhaltigen Ge- 
weben, z. B. der Pulpa, auch auf das Vorhandensein von Lymph- 
gefässen rechnen dürfe, und ebenso auf das Vorhandensein von 
Iymphatischen Anastomosen zwischen Zahnfleisch und Pulpa ent- 
sprechend solchen der Blutgefässe, wies mich Bartels auf die 
Möglichkeit hin, dass man unter Anwendung dieser Erfahrungen 
vielleicht zum Ziele, d. h. zur Auffindung von Pulpalymphgefässen 
gelangen könne, indem man eine Füllung der postulierten Pulpa- 
Iymphgefässe durch eine Einstichinjektion der Zahntleischlymph- 
gefässe zu erhalten versuchte. Dies gab mir die Anregung zur 
Erwägung eines entsprechend aufgebauten Untersuchungsplanes. 

Über den Zusammenhang der Blutgefässe des Zahn- 


-fleisches mit denen des Periodontium und durch letzteres 


mit denen der Zahnpulpa fand ich eingehende Beschreibungen 
besonders bei Wedl (68, S. 57) und v. Ebner (17, S. 271). Den 
Zusammenhang der Lymphogefässe des Periodontium mit denen 
des Zalhnfleisches hat Dorendorf (16, S. 22) bei seinen Injektionen 
festgestellt: ein gleiches war analog dem Zusammenhang der Blut- 
gefässe anzunehmen für die Lymphbahnen des Periodontium 
und der Pulpa. Theoretisch lagen also, soweit es sich um 
das Vorhandensein von Iymphatischen Verbindungen zwischen 
Zahnfleisch und Zahnpulpa handelte, keinerlei Bedenken gegen 
den Versuch, vom Zahnfleisch aus die Pulpalymphgefässe mit zu 
injizieren, vor. Praktisch war dagegen jedoch zunächst eine 
wesentliche Einwendung zu machen. Bei dem skizzierten Wege 
muss die Injektionsflüssigkeit zum grossen Teil gegen die 
normale Richtung des Lymphstromes, also gegen die Lymph- 
gefäss-Klappen, wo solche vorhanden, vordringen, was besonders 
schwer ins Gewicht fällt in anbetracht des Umweges, den der 
Injektionsstrom zu machen hat. und der schon hierdurch stark 
geschwächten Kraft des Stromes. Nun ist aber einmal der 
Klappenschluss bei Lymphgefässen nicht überall ein in dem Grade 
absoluter, wie bei den Venen: dann aber fand ich schon bei 
unserm Altmeister Hyrtl (28) die Ermutigung dazu, ein Injizieren 
gegen die Klappen wenigstens zu versuchen. 


Hyrtlis originelle Äusserung in dieser Hinsicht möchte ich 
dr 


s1l2 Georg Schweitzer: 


im Auszuge wörtlich zitieren; er schreibt in seinem „Handbuch 
der praktischen Zergliederungskunst“ (28,8.756 u. 757): 

„So wahr es ist, dass in allen Lymphgefässen, den grössten wie den 
kleinsten, paarig gestellte Klappen vorkommen, ebenso wahr ist es auch, dass 
diese Klappen nicht an allen Stellen vollkommen schliessen und eine retro- 
grade Injektion nicht absolut verhindern. Ich möchte es fast als einen all- 
gemein gültigen Grundsatz aufstellen, dass nur jene Lymphgefässe suffiziente 
Klappen besitzen, welche sich einmal von den Organen. in welchen sie ent- 
springen, frei gemacht haben und auf dem Wege sind, sieh mit anderen zu 
verbinden. Jene Lymphgefässe dagegen, welche an der Oberfläche des be- 
treffenden Organs sitzen bleiben, und die Verlängerungen oder Zuzüge ihrer 
Netze aus der Tiefe des Organes herauf, sind entweder gänzlich klappenfrei. 
oder wenn sie deren besitzen, doch in zentrifugaler Richtung injizierbar . . 
Man erlaube sich nur, an dem Dogma der allerwärts suffi- 
zienten Klappen zu zweifeln und keck die retrograde In- 
jektion zu versuchen, und man wirdüberdieErfolgestaunen, 
welche die orthodoxe Anatomie der Lymphgefässe sich nimmer 
träumen lässt.“ 

Nach den vorstehenden Erwägungen erschien es mir mög- 
lich, unter günstigen Umständen vom Zahnfleisch aus eine Füllung 
von Pulpalymphgefässen zu erzielen, und da dieser Weg als der 
einzige mir vorschwebte, der meiner eingangs gestellten Forderung 
völliger Intakterhaltung des Pulpagewebes entspricht, so entschloss 
ich mich, ihn zu beschreiten, d. h. also durch Injektion der 
Lymphbahnen des Zahnfleisches nach der Gerota- 
schen Methode eine Füllung und so den Nachweis 
von Pulpalymphgefässen zu versuchen. Der Weg hat 
sich als der richtige erwiesen, wenn auch die Verbindung zwischen 
Zahnfleisch und Pulpa sich im Unterkiefer ein wenig anders 
gestaltete, als ich es erwartet und oben angedeutet habe. 


Unter der von mir gestellten Voraussetzung, dass eine 
Kommunikation zwischen Zahnfleisch- und Pulpa-Lymphgefässen 
bestehe, lag für mich die Annahme nahe, dass diejenigen Lymph- 
drüsen-Gruppen, in welche die abführenden Lymphgefässe 
des Zahnfleisches einmünden, auch für die Zähne als die 
vegionären zu betrachten sein würden. Aus diesem Grunde und 
weil eingehende Untersuchungen speziell der Zahntleischlymph- 
bahnen bisher, soweit mir bekannt geworden, nicht bezw. nicht 
mit ausreichendem Erfolge stattgefunden haben, erschien es mir 
notwendig und von Wert, zunächst an möglichst reichlichem 
Material eine Untersuchung dieser Lymphbahnen, sowohl makro- 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 815 


skopisch wie mikroskopisch, vorzunehmen, und zwar nicht nur 
beim Menschen, sondern zu Vergleichszwecken auch bei ver- 
schiedenen Vertretern der Säugetierklasse. Tierisches Material 
ist meist leichter zu beschaffen als menschliches und bietet speziell 
für meine Untersuchung den Vorteil eines ausgebildeten Gebisses 
gegenüber den Kieferverhältnissen der für mich fast einzig als 
menschliches Material in Betracht kommenden Neugeborenen bezw. 
Feten. Die Ergebnisse der Untersuchung bei Tieren liessen mich 
nach analogen Verhältnissen beim Menschen forschen. Schliess- 
lich dürfte die Feststellung wesentlicher Übereinstimmung oder 
wichtiger Verschiedenheiten sowohl im Verlauf der Zahnfleisch- 
Iymphgefässe, in deren Hauptabflussbahnen auf der Wange ja 
auch die Lymphe aus anderen Teilen des Gesichts, der Nase und 


der Mundhöhle, soweit bekannt, einmünden, als auch in der Lage, 


Anordnung und dem Ausbildungsgrad der regionären Drüsen- 
gruppen von Interesse für die vergleichende Beurteilung des 
Lymphgefässsystems und von gewissem Wert für tierärztliche 
Zwecke sein, zumal ich in der Literatur hierüber wenig spezialisierte 
Angaben gefunden habe. 
Meine Arbeit gliedert sich daher in die Beantwortung 
folgender Fragen: 
1.In welcher Weise und zu welchen Drüsen- 
sruppen bezw. einzelnen Unterabteilungen 
von Haupt-Gruppen verlaufen die Lymph- 
gefässe aus den verschiedenen Teilen des 
Zahnfleisches 
a) beim Menschen? 
b) bei Säugetieren? 


2. Wie gestaltet sich der feinere Verlauf der 
Lymphgefässe im Zahnfleisch? 
3. Wie ist die Frage nach der Existenz von 


Pulpalymphbahnen zu entscheiden? 

Die vorliegende Arbeit enhält die Beantwortung der Frage 
la sowie die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung 
zu Frage 3. 

Die Beantwortung der Fragen 1b und 2 werde ich folgen 
lassen, sobald ich die diesbezüglichen, fast vollendeten Unter- 
suchungen durch einige, zurzeit nicht ausführbare Versuche zum 
Abschluss gebracht haben werde. 


s14 Georg Schweitzer: 


Die bisherigen Untersuchungen wurden ausgeführt in der 
Zeit vom Juli 1905 ab bis jetzt im Anatomischen Institut der 
hiesigen Universität. Tierisches wie menschliches Material wurden 
mir hier in dankenswertester Weise zur Verfügung gestellt. Affen 
und Hunde liess mir bereitwilligst in grosser Zahl Herr (Geheim- 
yat Munk zukommen. Ich darf hierfür auch an dieser Stelle 
meinen verbindlichsten Dank abstatten. 


Die Lymphgefässe des Zahnfieisches beim Menschen. 


Dass die nach den übereinstimmenden Forschungsresultaten 
der älteren Anatomen die Lymphe von den meisten Teilen des. 
unteren Gesichts, der Lippen-, Wangengegend, der äusseren Nase, den 
Medianpartien des unteren Augenlids hauptsächlich empfangenden 
Submaxillar-Lymphdrüsen auch als regionäre Drüsen 
für die Schleimhaut der Mundhöhle und somit für das Zahntleisch 
zu betrachten sind, ist bereits von denjenigen Forschern, welche 
gelegentlich ihrer Untersuchungen über die Lymphbahnen des 
Gesichts auch Teile des Zahnfleisches als Injektionsgebiet benutzten, 
festgestellt worden. Was die Frage der Zahl und Lage der 
submaxillaren Lymphdrüsen angeht, so darf diese nach den neueren 
Untersuchungen als abgeschlossen betrachtet werden. Während 
die älteren anatomischen Lehrbücher, wie z. B. die v. Langer- 
Toldt (33), Gegenbaur (18), Henle (25), Rauber (53), 
Merkel (38), z. T. keine bestimmte Zahl angeben, z. T., auf den, 
wie Stahr (59, S. 452) hervorhebt, gerade in den speziellen 
Fragen nicht immer zutreffenden Angaben von Sappey (56, 57) 
fussend, eine viel zu hohe Zahl von Submaxillardrüsen, S—10. 
12—15, ja bis zu 20 annehmen, haben die neueren Untersuchungen 
stets unter normalen Umständen eine weit geringere Drüsenzahl 
ergeben. Schon Gussenbauer (21), dann Partsch (44—46), 
Most (40), Dorendorf (40), Ollendorff (42) und insbesondere 
Stahr (59) in seiner speziell die Zahl und Lage der submaxillaren 
Drüsen behandelnden Abhandlung haben an zahlreichem Material 
festgestellt, dass Zahl und Lage gerade dieser Drüsen eine 
ausserordentliche Konstanz zeigt. 


Es finden sich jederseits fast durchgehends sowohl beim Neugeborenen, 
bei dem normale Verhältnisse noch am ehesten vorauszusetzen sind, als auch, 
wie Stahr nach den Untersuchungeu von Bruhns anzunehmen geneigt ist, 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 815 


im wesentlichen bei gesunden, älteren Individuen drei submaxillare 
Drüsen bezw. Drüsengruppen. Auch Cecil Leaf (34) gibt diese Zahl an. 


Die submaxillaren Lymphdrüsen liegen in dem von der Basis des Unter- 
kiefers und den beiden Biventerbäuchen gebildeten Submaxillardreieck (Regio 
s. Fossa submaxillaris). 


Nach Stahr und Most (S. 74) liegt die erste Drüse von der Median- 
linie aus gerechnet, meist relativ klein, in dem vorderen Winkel des Sub- 
maxillardreiecks an der Vena submentalis, unfern dem vorderen Biventerbauch 
und dem Kieferrand, auf dem M. mylohyoideus. 


Die zweite Drüse, die grösste und wichtigste aller dieser Drüsen, 
liegt in der Regel am Kieferrand, z. T. von ihm gedeckt, medial an der Art. 
maxillaris externa. 


Die dritte Drüse, etwas kleiner als die zweite, liegt lateral von der 
letzteren entweder zwischen A. maxill. ext. und Vena facialis anterior, oder — 
wie meist — lateral von dieser Vene, mitunter auch, bei besonders hoher 
Lage des Zusammenflusses der Vv. faciales ant. und post. in dem hierdurch 
gebildeten Winkel. 

Auch ich kann nach meinen Untersuchungsergebnissen die 
vorstehenden Angaben im allgemeinen bestätigen. Hinsichtlich 
der ausserordentlichen Konstanz in Zahl und Lage der Submaxillar- 
Drüsen möchte ich übrigens an dieser Stelle darauf hinweisen, 
dass eine solche Konstanz in höchstem Maße auch bei den von 
mir in grosser Zahl untersuchten Affen, Hunden, Wieder- 
käuern und Nagern sich vorfand. Im Einzelnen zeigte sich 
bei diesen Tieren eine fast noch grössere Regelmässigkeit als 
beim Menschen, indem z. B. Bildungen von Gruppen kleinerer 
Drüschen an Stelle einer einzigen grösseren Drüse weit seltener 
vorkamen. Fine scheinbare Ausnahme hiervon, eine Vermehrung 
der Zahl der Drüsenindividuen, die ich hin und wieder bei Affen 
vorfand, erhielt ihre Erklärung bei der Sektion, die Tuber- 
kulose als Todesursache ergab. Die atypischen Drüsen zeichneten 
sich meist dadurch aus, dass sie keine eigenen Vasa afferentia vom 
injizierten Zahnfleisch her erhielten, vielmehr entweder gar nicht 
oder nur sekundär von den typischen Drüsen her mit Farbstoff 
gefüllt waren. Sollte nicht in der Häufigkeit des 
Vorkommens von Krankheiten, mit denen eine 
Veränderung des Lymphdrüsenapparates einher- 
geht, wie Tuberkulose, Syphilis und Skrophulose, 
beiden Präpariersaal-Leichen ein Grund für die 
yıelezu. hoch gegrififene Drüsenzahl. in einem 
Teilder oben angeführten älteren anatomischen 


516 Georg Schweitzer: 


Lehrbücher liegen? (wenn man von dem Einfluss der 
Sappevschen Angaben absieht). 

Ausser den submaxillaren Lymphknoten kommen für meine 
Untersuchung noch diesubmentalen Lymphdrüsen in Betracht. 

Diese liegen nach Most (40, S.20) in dem Raum, welcher begrenzt 
wird seitlich von dem medialen Rande des vorderen Biventerbauches, nach 
oben vom Unterkiefer, nach unten vom Zungenbein. Most unterscheidet 
zwei Untergruppen, eine obere (eine oder zwei Drüsen nahe der Mittellinie 
und unfern dem unteren Kieferrand), eine untere (eine oder zwei Lymph- 
knoten weiter abwärts nahe dem Zungenbein). 

Hinsichtlich der Zahl und Lage dieser Drüsen kann 
ich die vorstehenden Befunde ebenfalls bestätigen. Ob und in- 
wieweit dieselben für Teile des Zahnfleisches als regionäre Drüsen 
in Betracht kommen und ob ihr Vorkommen ein konstantes ist. 
werde ich an meinen Befunden erörtern. 

Soviel über die Lymphdrüsen. Was die die Lymphe vom 
Zahntleisch zu den regionären Drüsen abführenden Gefässe 
anlangt. so haben Untersuchungen über ihren Verlauf bisher nur 
in beschränktem Maße stattgefunden, und zwar meist in neuerer 
Zeit bei Gelegenheit von Forschungen in weiterem Rahmen zwecks 
Feststellung der Wege, auf welchen bei den an verschiedenen 
Stellen der Gesichtsweichteile lokalisierten malignen Tumoren 
eine Verschleppung der pathogenen Gewebselemente stattfinden 
könnte. Ich will mich in der Aufzählung der Angaben an die 
chronologische Reihenfolge halten und nur diejenigen Autoren 
anführen, bei denen ausführlichere Angaben speziell über das Zahn- 
fleisch zu finden sind. 

Die älteren Werke enthalten keine eingehenderen 
Angaben mit Ausnahme von Uruikshank (12), welcher die 
Lymphgefässe „des Zahnfleisches, des Alveolarrandes und der 
Tonsillen“ der Art. maxillaris externa folgen und nach Über- 
schreiten des unteren Unterkieferrandes sich der Vena jugularis 
externa anschliessen lässt. Über die Einmündung in die sub- 
maxillaren Drüsen erwähnt dieser Autor nichts. 

Ausführlicher spricht sich dann Sappey in seinem bereits 
erwähnten Atlas (56, pg. 69) und seinem Traite d’anatomie 
deseriptive (87, pg. 838) aus. Ich fasse seine Angaben kurz in 
folgendem zusammen: 

Das Zahnfleisch ist mit einem ausserordentlich feinen Netz unaufhörlich 
anastomosierender Lymphgefässe bedeckt, wodurch ein äusserst zartes Maschen- 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. S17 


werk gebildet wird. Zwischen je zwei benachbarten Zähnen verlaufen von 
innen nach aussen feine Stämmchen, im Oberkiefer 14—17 an der Zahl. 
Auf der Aussenseite des Oberkiefer-Alveolarfortsatzes angelangt, ergiessen 
sich alle diese Stämmehen in einen dicken, im Halbkreis verlaufenden Stamm. 
Dieser beginnt in der Mittellinie mit vielen Würzelchen in Höhe des Lippen- 
bändchens, vorzugsweise aus dem zwischen den beiden mittleren Ineisivi hindurch 
verlaufenden Stämmehen und zieht sich dann jederseits um den Bogen des 
Alveolarfortsatzes herum, fortgesetzt an Volumen zunehmend, um dann in 
Höhe des ersten Molaren in das Wangenfleisch einzudringen und schräg 
nach lateral abwärts zum äussersten submaxillaren Lymphknoten — 
Sappey nimmt deren, wie erwähnt, 10—15 an — zu verlaufen. 

Auf der inneren Seite des Oberkiefer-Alveolar-Fortsatzes setzt sich 
das Netz desselben fort in das der Schleimhaut des harten Gaumens, dem- 
nächst des weichen Gaumens, dessen abführende Gefässe sich mit denen des 
Velum palatinum vereinigen. 

Die von der Zahnfleisch-Mucosa des Unterkiefers ausgehenden 
Stämmchen steigen an der äusseren und inneren Seite des Unterkiefers herab 
und ergiessen sich in die submaxillaren Drüsen. 

Sappey erläutert seine Befunde durch ein Bild von den 
Lymphgefässen des Gaumens und zwei vom Verlauf derselben im 
Zahnfleisch des Oberkiefers. Den wichtigen Verlauf der Gefässe 
auf der Wange und ihre Verteilung auf die Drüsen zeigt er 
uns nicht. 

Ferner hatDorendorf, gelegentlich seiner Untersuchung 
über die Lymphbahnen und Lymphdrüsen der Lippen (16), in 
sieben Fällen Zahnfleisch und Periost des Unterkiefers 
injiziert, jedoch, wie er angibt. vollkommene Präparate nicht erzielt. 

Nach Dorendorf gelangt die Lymphe des Unterkiefer-Zahnfleisches 
und -Periostes in die submaxillaren und submentalen Lymphdrüsen, hinsichtlich 
deren Zahl, Lage und Grössenverhältnisse er mit Stahrs Angaben über- 
einstimmt. Hauptdrüse ist Drüse II (vergl. S. 815), nur in einem Falle wurde 
die Drüse IH durch zwei Gefässe aus der (regend des Lippenwinkels gefüllt. 
Die Drüse I ist nur in einem Falle gefüllt durch zwei Gefässe, welche 
vom Zahnfleisch an der inneren Kieferfläche, den M. mylohyoideus durch- 
bohrend, heruntersteigen. Ebenso wurde in einem Falle eine Submental- 
drüse durch Stämmchen von der Unterkiefer-Mitte aus gefüllt. Einige Einzel- 
beobachtungen sollen an entsprechender Stelle später Erwähnung finden. 

Poirier und Cunco (47, pg. 1272 und 1286) schliessen 
sich in ihrer Schilderung der Zahnfleisch-Lymphgefässe und der 
regionären Drüsen eng an Sappey an. Nur in der Zahl der 
submaxillaren Drüsen berücksichtigen sie die neueren Fest - 
stellungen, indem sie deren Anzahl auf 3—6 angeben; letzterer 
7/ahl dürfte wohl die häufige Teilung einer Drüse in eine Gruppe 


815 Georg Schweitzer: 


von mehreren kleineren Knoten, die dann einzeln gezählt sind. 
zu Grunde liegen. Die Lymphgefässe fast des ganzen Zalın- 
tteisches verlaufen, diesen Autoren zufolge, zu den submaxillaren 
Drüsen, nur von der Schleimhaut des den submentalen Drüsen 
entsprechenden Teiles des Unterkiefer-Alveolarfortsatzes gehen 
(Grefässe zu diesen letzteren Drüsen. 

Eingehender bearbeitet wurden die Lymphgefässe des Zahn- 
tteisches von Pölya und v. Navratil (48), bei ihren Unter- 
suchungen über die Lymphgefässe der Wangenschleimhaut und 
der angrenzenden Schleimhautbezirke. Diese beiden Autoren 
haben in 11 Fällen das Zahnfleisch einer Unterkieferhälfte, in 
sieben Fällen das einer Oberkieferhälfte injiziert. 

Ihre Befunde im Unterkiefer decken sich im wesentlichen mit denen 
Dorendorfs. Kurze kleine Zweige ziehen zumeist an der äusseren Ober- 
fläche des Unterkieferperiostes, aber auch an der lingualen Kieferfläche, zu 
den Submaxillardrüsen: in einem Falle wurde auch ein von der Kiefermitte 
zu den Submentaldrüsen ziehendes Gefäss gefunden. 

| Im Oberkiefer fanden sie, wie schon Sappey, Abflüsse in der Regel 
nach aussen über die Wange zu den Submaxillardrüsen, aber, wenn auch 
seltener, nach innen über den Gaumen zu den tiefen Uervicaldrüsen. Die 
Zahl der von ihnen auf der Wange im Bett der Gesichtsvene festgestellten 
Gefässe ist sehr gering: es handelte sich meist nur um zwei in die äusserste 
Submaxillardrüse in einem gemeinsamen Stamm einmündende Gefässe. 

Auch Pölya und v. Nayratil haben, sowohl nach ihren 
Beschreibungen wie nach einer Abbildung. die uns besonders 
über die Verhältnisse in der Nähe des (@uellgebietes, des Zahn- 
tleisches, im Unklaren lässt, vollkommene Präparate nicht erzielt. 

Erst nach Abschluss meiner Untersuchungen wurde mir das 
neue, kürzlich erschienene Werk von Most (40) über die Topo- 
graphie des Lymphgefäss-Apparates von Kopf und Hals bekannt, 
welches eingehendere Mitteilungen über die Zahntleischlymphbaknen 
enthält. Meine selbständigen Untersuchungen laufen also zeitlich 
neben denen Mosts einher. 

Die Angaben Mosts decken sich im wesentlichen mit denen der bis- 
her angeführten Autoren. Aus dem dichten Lymphkapillarnetz des Zahnfleisches 
bilden sich, wie bei Sappey, meist nur ein, zwei oder drei den Kiefer 
entlang laufende abführende Stämme, die im Oberkiefer, im allgemeinen 
dem Strombett der Vena facialis anterior angegliedert und mehr oder weniger 
dem vorderen Masseter-Rand folgend, zum Submaxillar-Gebiet ziehen und 
zwar ganz besonders zur dritten, aber auch zur zweiten Drüse. 
Hiernach ist die Hauptdrüse für die Lymphe des Oberkiefers nicht die 
zweite, sondern die dritte Submaxillardrüse, ein Befund, den wir schon bei 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. s1H 


Sappey (56) und dann bei Pölya und v. Navratil (18) antreffen. Nach 
meinen Befunden macht die zweite Drüse, wie ich zeigen werde, beim 
Zahnfleisch keine Ausnahme von ihrer Rolle als Hauptdrüse für die Lymphe 
der gesamten Gesichtsweichteile. Über die Abflusswege der Lymphe- des 
Öberkiefer-Zahnfleisches nach dem Gaumen zu bringt Most eine Bestätigung 
der früheren Angaben. 

Vom Unterkiefer-Zahnfleisch strömt die Lymphe nach Most ebenfalls 
an beiden Flächen des Unterkieferkörpers herab zur zweiten und dritten. 
seltener zur ersten Submaxillardrüse, aus den Medianpartien wieder in 
wenigen Gefässen zu den Submentaldrüsen. 


Dies sind die Angaben, die wir aus der Literatur über 
Zahnfleisch-Lymphgefässe und -Lymphdrüsen besitzen und die ich 
nunmehr durch Beschreibung meiner eigenen Befunde nicht nur 
bestätigen, sondern auch präzisieren und erweitern zu können hofte. 


Vorher seien mir einige kurze Bemerkungen gestattet über 
meine Erfahrungen hinsichtlich der 


Technik der Injektion und Auswahl bezw. 
Behandlung des Materials. 


Ich habe bisher Zahnfleisch-Injektionen ausgeführt 
an etwa 28 Oberkieferhälften beim Menschen 


2 67 ki N bei Säugetieren 
e a 25 Unterkieferhälften beim Menschen 
u; 5 78 P 5 bei Säugetieren. 


Im Ganzen lagen also meinen Untersuchungen 
etwa 201 Zahnfleisch-Injektionspräparate zu- 
grunde, zu denen noch einige mit Lymphdrüsen- 
injektion. treten. 

Was die von mir geübte, schon in früherer Zeit bekannte 
und von Gerota (20) wieder zu Ansehen gebrachte Injektions- 
methode im allgemeinen angeht, über deren Wesen sich 
Ranvier (52) ausführlich ausspricht, so halte ich es für an- 
gemessen, nur auf die diesbezüglichen Veröffentlichungen von 
Gerota (20) selbst, Stahr (59), Most (40), Dalla Rosa (14) 
und Bartels zu verweisen. Meine Kenntnis der Methode ver- 
danke ich ganz Herrn Dr. Bartels, dessen Angaben (1—3) ich 
nichts hinzuzufügen habe. Nur über meine speziellen Erfahrungen 
am Zahnfleisch möchte ich mich kurz äussern. 

Ich befolgte mit Vorteil sofort nach Erlernung der ersten 
allgemeinen Handgrifte Bartels’ Rat, mich baldmöglichst speziell 


320 Georg Schweitzer: 


nur auf die Injektion des Zahnfleisches einzuüben. Auch nach 
meiner Ansicht bedarf es bei der Verschiedenheit der Konsistenz 
der zu injizierenden (rewebe und vor allem der mehr oder minder 
schwierigen Zugänglichkeit des Operationsfeldes stets einer gewissen 
Einübung auf das zu injizierende Gebiet. Im Übrigen erscheint 
mir die Erlernung der Methode leicht. Die Hauptschwierigkeit 
liegt, wie Stahr (59, S. 448) schon gebührend hervorhebt, speziell 
bei kleinen Verhältnissen in der Präparation der ausser- 
ordentlich zarten und leicht zerreissbaren Gefässe, bei der 
Stahrs Mahnung zur Geduld, zum scharfen Sehen und Schneiden, 
eventuell mit bewaffnetem Auge, vollste Beachtung verdient. 


Für das Zahnfleisch, das speziell beim menschlichen Neugeborenen 
ein sehr straffes, mit einem zum Festhalten der Brustwarze geeigneten, 
fast knorpelharten Schleimhautwulst versehenes Gewebe darstellt, — Fr.Meckel 
vergleicht diesen Schleimhautwulst mit den Hornschnäbeln der Reptilien und 
Vögel — darf die Spitze der Glaskanüle nicht allzu fein ausgezogen 
sein, da sie sonst infolge des Widerstandes des (rewebes, statt in dasselbe 
einzudringen, zerbricht. Aus dem gleichen Grunde darf der Einstich nicht 
langsam, sondern muss ziemlich ruckartig erfolgen; bei langsamem 
Einstich biegt sich die Kanülenspitze und bricht dann leicht ab. War die 
Kanülenspitze mit dem ruckartigen Einstich in das Zahnfleisch hineingelangt, 
so machte sich meist ein stärkerer Widerstand gegen das Eindringen der 
Injektionsflüssigkeit geltend, hervorgerufen durch Spannung des Ge- 
webes vor der Kanülenspitze. Ich pflegte dann stets die Spritze 
kaum merklich zurückzuziehen, wodurch eine Entspannung des Gewebes 
vor der Kanülenspitze eintrat und die Farbflüssigkeit „einschoss“. In der- 
selben Weise verfuhr ich, wenn ich bei sichtbar gutem Vordringen des 
Farbstoffes in den Lymphgefässen, wie es sich bei diesen sehr häufig beob- 
achten liess, die Kanüle möglichst lange in der Einstichöffnung beliess. Bei 
dem starken anzuwendenden Druck senkte man allmählich unwillkürlich und 
unbewusst die Spitze etwas tiefer in das Zahnfleisch ein, so dass diese in 
Gefahr geriet, auf den häufig dicht unter der dünnen Schleimhaut liegenden 
knöchernen Alveolarrand aufzutreffen und zu zersplittern. Ein geringes 
Zurückziehen der Spritze von Zeit zu Zeit liess dieses Vorkommnis vermeiden. 

Besondere Schwierigkeiten machte die Injektion des Zahnfleisches in 
der Tiefe der Mundhöhle an der Wangenseite. Bei Neugeborenen 
liessen sich dieselben noch verhältnismässig leicht überwinden durch zweck- 
mässige Lagerung des Kopfes, Seitwärtsziehen der Wangen und Herabziehen 
des Unterkiefers durch Muskelhaken usw. Beim erwachsenen Menschen so- 
wohl wie in noch höherem Maße bei den Tieren bedurfte es ganz besonderer 
Übung, um einen erfolgreichen Einstich in das schmale, teilweise dünne 
Zahnfleisch auf der Wangenseite der oberen Molaren, bei geringer Beleuchtungs- 
möglichkeit der eng umgrenzten Einstichstelle, mit völlig ruhiger Hand zu 
erreichen. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 821 


Bei einzelnen Säugetierordnungen bedurfte es präparatorischer Vor- 
bereitungs-Mafnahmen, wie Exarticulation des Kiefergelenks auf einer Seite, 
um bei der überaus engen Maulspalte in das Gebiet der Backenzähne injizieren 
zu können. 

Besonders in solchen Fällen, in denen völlige Ruhe. der 
Hand bei nicht immer ermöglichtem Aufstützen derselben uner- 
lässlich war, machte ich mit Vorteil Gebrauch von der von 
Bartels für Lymphgefäss-Injektion modifizierten Rekord- 
Spritze, die dieser in seiner letzten Veröffentlichung über die 
Lymphbalınen des Pankreas (3) (Archiv f. Anatom. u. Physiologie. 
anatom. Abtlg. 1906. S. 254, 255) beschrieben hat. Die Ringgrifte 
dieser Spritze für den zweiten und dritten Finger sowie ihr leichter 
(Gang erleichterten mir manche schwierige Injektion. 

Als Injektionsfarbe verwandte ich ausser der be- 
kannten Berlinerblau-Terpentin-Äther-Mischung in einigen Fällen 
die von Dr. Severeanu-Bukarest Ende des Winters 1905/06 
im hiesigen anatomischen Institut zusammengestellten earmin- 
roten und grünen Farben. 

Herstellung dieser Farben und Erfolge mit denselben sind von Dr. 
Severeanu auf dem Anatomen-Kongress 1906 in Rostock demon- 
striert worden, auch wird eine Beschreibung demnächst im „Archiv für Anat. 
u. Phys.“ erscheinen. Zweifellos brauchbar scheint mir nach meinen bisherigen 
geringen Erfahrungen die grüne Farbe, während die rote nicht genügende 
Farbendifferenzen von etwa durch Hyperz@mie mit Blut gefüllten feinen 
benachbarten Venen aufwies. 

Als menschliches Material verwandte ich ausge- 
tragene Neugeborene, Frühgeburten und Feten bis etwa zum 
sechsten Monat herunter. Die besten Resultate lieferten die 
Frühgeburten, siebenter bis achter Monat. Der Lymphgefäss- 
apparat, voll entwickelt, besitzt relativ sehr weite (sefässlumina., 
sodass der Injektionsstrom fast stets bis in die zweite, eventuell 
sogar dritte Etappe hinein die Drüsen füllte. Die intensive Farbe 
der gefüllten weiten Gefässe sowie die noch im kückstande 
befindliche Fettentwicklung erleichterten wesentlich die Präparation. 
Am Erwachsenen habe ich nur eine Kontroll-Injektion ausführen 
können. Am geeignetsten erwies sich stets mög- 
lichst frisches Material. 

Nach der Injektion wurden die Leichen noch einen Tag 
aufbewahrt, meist auch noch die Gesichtshaut zwecks Vorwärts- 
treibens der Injektionsflüssigkeit in den (refässen in entsprechender 


522 Georg Schweitzer: 


Richtung massiert; alsdann gelangten die Präparate in 10°. Formol- 
lösung, in der sie sich dauernd gut gehalten haben. 

Die Präparation erfolgte je nach der vorhandenen Zeit 
bereits nach wenigen Tagen oder nach Wochen und Monaten. 
Hierbei wurde zunächst äussere Haut, subceutanes Fettgewebe, 
Platysma, oberflächliche Halsfascie bezw. oberflächlichere Gesichts- 
muskulatur abpräpariert und an der Unterkieferbasis die injizierten 
Lymphdrüsen, an der Wange die tiefe Muskulatur, Muse. masseter 
und buceinator bezw. an den Lippen der Musc. orbieularis oris, 
ferner die Submucosa der nicht von genannten Muskeln bedeckten 
Teile der Wangenschleimhaut bezw. die oberflächlichste Lage des 
Kieferperiostes freigelegt. Auch das Corpus adiposum buccae (Bichät) 
wurde mit Vorsicht von den dicht an bezw. unter ilım verlaufenden 
(refässen abgelöst. Nach erfolgter Präparation der Lymphgefässe 
und -drüsen wurde von jedem Präparat ein Protokoll aufgenommen, 
während die auf Art, Geschlecht, Alter des Objektes, Ausdehnung 
der Injektion usw. bezüglichen Notizen bereits nach Ausführung 
der letzteren gemacht waren. Ausserdem wurde von jedem 
Präparat, meist unter Benutzung einer angefeuchteten Mattglas- 
platte sowie von Paus- und Blaupapier, eine möglichst genaue 
Skizze zur Vervollständigung des Protokolls angefertigt. 

Die auf Taf. XXVII gegebenen Abbildungen sind 
sämtlich möglichst naturgetreu nach Original-Präparaten 
gezeichnet, ohne Ergänzungen hinsichtlich solcher Gefässe, welche 
etwa gerade in dem der Abbildung zu Grunde liegenden Falle 
unvollständig oder gar nicht gefüllt sind, sonst aber typisch 
vorkommen. Sie geben also nur wirklich vorhandene Einzel- 
präparate wieder. Kombinationsbilder herzustellen durch Zu- 
sammenstellung von gut injizierten Regionen verschiedener 
Präparate, hielt ich nicht für zweckmässig, da hierdurch leicht 
ein zu reichhaltiges und daher, was Anzahl der Gefässe anlangt, 
der Wirklichkeit nicht entspreehendes Bild erzielt wird. Die 
Abbildungen können somit naturgemäss nicht alle vorkommenden 
Möglichkeiten, bei der grossen Variabilität des Lymphapparates, 
enthalten: sie geben nur möglichst typische Bilder, diese aber — 
und darin liegt ein Vorzug gegenüber den Kombinationsbildern 
— nach einem einzigen wirklich existierenden Präparate. Die 
gegebene Abbildung im einzelnen zu vervollständigen und die 
verschiedenen Modifikationen darzustellen, ist der Zweck der 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 823 


ausführlichen Beschreibungen, die ich von jedem einzelnen Fall 
tolgen lasse. 


Bezeichnungen. 


Als „regionäre Drüsen“ bezeichne ich nach den 
Stahrschen (60) Definitionen diejenigen Drüsen, „welche durch- 
aus passiert werden müssen und grössere, unbedingte Stationen 
bilden“. Ausser diesen kommen noch vor Schaltdrüsen, 
d.h. „kleinere, welche im Verlaufe der Stämmchen bis zu den 
eigentlichen regionären Knoten da und dort auf dem Wege ein- 
geschaltet sein können. Sie sind unregelmässiger in ihrem Vor- 
kommen überhaupt. unbestimmter in ihrer Lage.“ Unter den 
regionären Drüsen betrachte ich als Hauptdrüse diejenige, 
welche die meisten Zuflüsse aus dem Quellgebiet erhält. Meistens 
ist dies auch die grösste Drüse bezw. ansehnlichste Drüsengruppe. 
wenn eine solehe an Stelle einer Einzeldrüse vorkommt. Die 
einzelnen Submaxillardrüsen bezw. -Drüsengruppen 
bezeichne auch ich von der Medianlinie beginnend mit I, II und 
III entsprechend der Stahrschen Einteilung (s. oben S. 515). 


Eine Rolle bei der Schilderung des Verlaufs der Zahntleisch- 
Ivmphgefässe spielen die obere und die äussere bezw. innere 
untere „Umschlagfalte“, oder auch „Übergangsfalte*. 
Es sind dies die rings um den Ober- bezw. Unterkiefer herum- 
laufenden Linien, in denen die Schleimhautbedeckung der 
Alveolarfortsätze, also das Zahnfleisch, in die Lippen- bezw. 
Wangenschleimhaut und an der inneren Fläche des Unterkiefers 
in die Schleimhaut des Mundbodens „sich umschlägt“ oder „über- 
geht‘. Die beiden ersteren Übergänge markieren sich auch 
aussen, auf der facialen, submucösen Seite der Lippen-Wangen- 
schleimhaut, indem diese lose liegende Haut in einer der 
„Umschlagfalte“ im Vestibulum oris entsprechenden, unwesentlich 
höher oder tiefer als die letztere gelegenen Demarkationslinie in 
die fest anliegende periostale Bedeckung der Kiefer übergeht. 


Die Einteilung des Zahnfleisches erfolgt von der 
Medianlinie aus nach der beim Neugeborenen nur ungefähr zu 
tixierenden Lage der Zahnalveolen in ein Schneidezahn-, Eckzahn-, 
zusammen Frontzahn-Gebiet, ein Milchmolar- oder, nach 
den entsprechenden Zähnen beim bleibenden Gebiss, Prämolar- 
(Gebiet und ein die Gegend der Alveole des ersten bleibenden 


324 Georg Schweitzer: 


Molaren,. der einzigen beim Neugeborenen bereits ausgebildeten 
Molaralveole, und des lateral von ihm liegenden Endes des 
Alveolarfortsatzes umfassendes und daher noch relativ kleines 
Molargebiet. 


Beschreibung der Fälle. 


Bei der nunmehr an Hand der Protokolle und Skizzen 
vorzunehmenden Beschreibung der fürden Abfluss der 
Lymphe aus dem Zahnfleisch in Betracht kommenden 
Verhältnisse werde ich die chronologische Reihenfolge insofern 
ändern, als ich zuerst die typischen Fälle in einer für 
die Orientierung zweckmässig erscheinenden Reihenfolge bringen 
und dann eine kurze Reihe von Fällen anschliessen werde, in 
denen ausser den in der ersten, der Hauptserie, geschilderten 
(sefäss- und Drüsenbeziehungen noch eine besondere Lymphgefäss- 
gruppe beschrieben werden soll, die für den die Pulpalymphgefässe 
betreffenden zweiten Teil dieser Arbeit bedeutungsvoll erscheint. 
Es ist naturgemäss unvermeidlich, dass sich bei der, wie wir sehen 
werden, verhältnismässig grossen Konstanz nicht nur der Drüsen-Zahl und 
-Lage, sondern auch des Gefässverlaufes in den einzelnen Fällen vielfache 
Wiederholungen finden werden. 
Der Typus des Gefässverlaufes in den beiden Reihen ist am besten 
gegeben: 
tür die erste Reihe in dem der Fig. 1 zu Grunde liegenden Fall (Prot. 
Nr. 12), dessen Beschreibung ich daher richtiger Weise an die erste Stelle 
in dieser Reihe (Fall I) setzen werde, 

tür die besonderen, in der zweiten Reihe beschriebenen Ergebnisse in 
den Präparaten zu Fall XIII und XIV, von denen das letztere noch ein 
Bild der „Gaumen“-Abflüsse (vergl. Fig. 3) gibt. 


Fall .l.. (Fig. 1, Taf. XXVI.) 


Die linke Hälfte dieses Präparates wurde, wie bereits er- 
wähnt, für die Darstellung der Lymphabflusswege des Zahntfleisches. 
soweit sie von aussen sichtbar gemacht werden können, ausge- 
wählt, da sich hier eine gut gelungene Injektion mit möglichst 
typischem Gefässverlauf und typischer Drüsenanordnung vereinte. 

Unvollständigkeiten, wie z. B. das Fehlen injizierter Sub- 
mentaldrüsen sowie geringe Entwicklung der Submaxillardrüse 1, 
waren nicht unwillkommen, da ersteres, wie ich zeigen werde. 
für das Zahnfleisch typisch ist, letzteres nicht selten vorkommt. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 325 


Bemerkenswert ist, dass dieses besonders gut gelungene Präparat, 
ebenso wie in anderen Fällen reichlicher Injektionsresultate, von einer Früh- 
geburt stammt: ich wies bereits oben auf die besondere Eignung der 
Frühgeburten, aus dem achten Monat etwa, hin. 


Prot. Nr. 12. 14. März 1906. Männliche Frühgeburt 
von ca. 35 cm Länge, wenige Tage post partum zur Injektion ge- 
langt. Injektion des gesamten Zahnfleisches beider Gesichtshälften. 

Nach Präparation der Wangen behufs Feststellung der äusseren 
Abflussbahnen wurde der ganze Kopf sagittal halbiert, um so 
eine Präparation der Innen-Abtlüsse zu ermöglichen. 

Das Präparat ergibt folgenden Befund: 


Linke Gesichtsseite., 


OÖberkiefer. Abflüsse nach aussen. 

l. In der ganzen Ausdehnung der linken Oberkieferhälfte 
treten aus dem von aussen nicht sichtbaren Zahnfleisch 
zahlreiche Lymphgefäss-Stämmchen etwa in Höhe der 
oberen Umschlagfalte der Wangenschleimhaut, in das 
Zahnfleisch auf die frei präparierte Submucosa, also faciale 
Fläche der Wangenschleimhaut, heraus. Aus ihnen bildet 
sich eine Anzahl von in ihrer allgemeinen Richtung 
parallel zur Umschlagfalte verlaufenden, durch zahlreiche 
Anastomosen dem Ganzen einen geflechtartigen 
Charakter verleihenden Lymphgefässen. Man sieht 
von der Medianlinie aus an der Umschlagfalte bezw. dicht 
unterhalb derselben etwa fünf solcher Gefässchen, geflecht- 
artig verschlungen, ohne sichtbare Unterbrechungen um den 
Alveolarfortsatz herumziehen. Nach lateralwärts zu nehmen 
die Stämmchen an Zahl allmählich ab, dafür an Stärke 
zu. Das Geflecht verschwindet in seinem Verlauf bis 
zum lateralen Ende des Alveolarfortsatzes schliesslich in 
der von der Wangenschleimhaut und inneren Masseter- 
Fläche gebildeten Tasche. Einzelne von den geflecht- 
bildenden Stämmehen schweifen nach oben über die 
Umschlagfalte hinaus auf das Periost des Kieferkörpers, 
kehren jedoch in der Nähe der Vena facial. ant. zum 
Geflecht zurück, um dann alsbald in abführende Stämmchen 
überzugehen. 

Wichtig ist das Verhalten dieses geflechtartigen Ge- 


fässbündels in der Nähe der Medianlinie. Oberhalb 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 54 


& 


[or] 


Georg Schweitzer: 


des Frenulum lab. sup. sieht man spärliche anastomosierende 
Zweige die Medianlinie überschreiten und in einzelne der 
auf der Gegenseite injizierten (refässe, welche dort eben- 
falls ein kranzartiges Geflecht an der Umschlagfalte bilden, 
übergehen. 

Es besteht also nach diesem und andern entsprechenden 
Befunden eine Kommunikation zwischen beiden Oberkiefer- 
hälften auch hinsichtlich der Lymphwege des Zahn- 
fleisches, wie Dorendorf (16, S.26 unten) dies schon für die 
benachbarten Gefässe der Lippen nachgewiesen hat. 


Bei weniger gut gelungenen Injektionen schien mir zunächst 
keinerlei Kommunikation zu bestehen, wie ich dies nach Sappeys 
Angaben — Sappey hat eben mit dem unendlich grössere Schwierig- 
keiten bereitenden Quecksilber injiziert — vermuten konnte. Die 
Ergebnisse der zahlreichen gut gelungenen Injektionen berichtigten 
jedoch meine Annahme dahin, dass allerdings die Verlaufsrichtung 
der das Geflecht an der Umschlagfalte bildenden beiderseitigen 
Gefässe vom Frenulum aus im grossen und ganzen divergent er- 
scheint. Das Frenulum selbst bildet anscheinend eine Grenz- 
scheide zwischen beiden Kieferseiten, jedoch besteht oberhalb 
des Ansatzes dieses Bändehens — ebenso auch im Unterkiefer unter- 
halb des Unterlippenbändchens — auf dem Kieferperiost eine un- 
gehinderte Kommunikation von allerdings wohl be- 
schränkter Bedeutung. 


‚Abführende Gefässe: a) Von dem Geflecht an der 


Umschlagfalte geht schon frühzeitig, nahe der Median- 
linie, ein Gefäss schräg nach abwärts zunächst am oberen 
Rande des undeutlich abgegrenzten M. orbicularis oris. 
dann am Mundwinkel vorbei und mit der Art. max. ext., 
dieser meist aufliegend, zu Lgl. submax. DI. 


b) Weiter nach lateral zu folgt die Hauptgruppe 
der abführenden Gefässe, welche in diesem Falle 
zwar der Richtung der Vena fac. ant. im allgemeinen 
folgen, aber nicht so eng, als in der Mehrzahl der Fälle, 
sich ihr anschliessen. Letzteres ist nur bei zwei Gefässen 
mehr oder weniger der Fall. Allerdings mussten die 
frei präparierten Gefässe aus zeichnerischen Rücksichten 
ein wenig auseinandergelegt werden. Die Gruppe besteht 
aus etwa fünf miteinander anastomosierenden Gefässen, 
welche ihr Quellgebiet im ganzen Zahnfleisch mit Aus- 
nahme der lateralen Endregion zu haben scheinen und 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 827 


mit Ausnahme eines einzigen zu Drüse .III ziehenden 
(Gefässes sämtlich sich in Drüse II einsenken. 

ec) Eine weitere Gruppe von etwa vier Gefässen ent- 
springt mehr vom lateralen Ende des Alveolar- 
fortsatzes. Die Stämmchen ‚kommen, nach medial- 
abwärts ziehend, aus der erwähnten Tasche zwischen 
Wangenschleimhaut und Masseter hervor und begeben 
sich in der Buceinatorfascie, zwischen Vena fac. ant. 
und medialem Masseterrand sowie schliesslich die Vene 
überkreuzend, sämtlich zu Drüse II. 

Oberkiefer. Abflüsse nachinnen. 

1. Vom lateralen Ende des Alveolarfortsatzes 
zieht ein dichtes Bündel von Gefässchen in der Submucosa 
der Schleimhaut des weichen Gaumens dorsalwärts. Dieses 
Bündel schmilzt zu einem einzigen starken Gefäss zu- 
sammen, welches zum vorderen Graumenbogen und nach 
abwärts bis in Höhe des unteren Endes der Tonsille 
verläuft. Es durchbricht dann die Pharynxmuskulatur 
und nimmt seinen Lauf zwischen den Mm. pterygoideus 
int. und stylohyoideus einerseits sowie dem Constrietor 
pharyng. medius und dem Hyoglossus andererseits ab- 
wärts zu den grossen Halsgefässen. Auf seinem Wege 
nimmt es noch ein zu den Innenabflüssen des Unter- 
kiefers gehöriges Stämmchen auf. Es mündet dann 
ein in eine tiefe Cervicaldrüse, und zwar eine 
zu derjenigen Gruppe dieser Drüsen gehörige, welche 
äusserst konstant und typisch an dem Zu- 
sammenfluss der Vena jugularis interna 
und facialis communis liegt, häufig in der durch 
den Zusammenfluss gebildeten Gabel, ganz oder teilweise 
bedeckt vom unteren Rande des hinteren Biventer- 
bauches. Es ist dies die wichtigste und ihrer 
Bedeutung entsprechend stärkste Hals- 
drüsenstation, entweder ein Einzelknoten 
oder eineG&ruppe,zudenvonMost (40, 8.38 ff.) 
genau klassifizierten Lgll. cervicales pro- 
fundae (sensu strictiori) mediales gehörig, 
und zwar die am meisten kranialwärts gelegene Drüsen- 


gruppe der unmittelbar an der Vena jug. int. gelegenen 
54* 


328 Georg Schweitzer: 


Kette, während lateral von der Vene unter dem Kopf- 
nickeransatz die Drüsenanhäufungen bis an die Schädel- 
basis heranreichen. Ich werde diesen Lymphknoten, der 
als regionäreDrüse für die gesamtenInnen- 
abtlüsse aus Ober- und Unterkiefer, wenigstens für den 
grösseren Teil derselben, besonderes Interesse beansprucht, 
in der Regel kurz als „Hauptknoten der tiefen 
Gervicaldrüsen“ (sc. sensu strietiori) oder „obersten 
Knoten der Jugularis-Kette“ (im engsten Sinne) 
bezeichnen. 

2. Von dem starken, oben erwähnten abführenden Innen- 
gefäss zweigt dicht an seiner Entstehungsstelle ein zweites 
Stämmchen ab, welches zunächst ähnlich dem vorigen 
über weichen Gaumen und seitliche Pharynxwand ver- 
läuft, dann aber schon hoch oben sich der Art. carot. 
ext. anschliesst und, in deren Begleitung abwärts ziehend, 
ebenfalls in die oberste Gruppe der Jugularis-Kette ein- 
mündet. 


Unterkiefer. Abflüsse nach aussen. 


1. Ein Bündel von ca. vier geflechtartig verschlungenen 
Gefässen, das in der Medianlinie mit dem Geflecht der 
andern Seite durch einige dicht unter dem Ansatz des 
Frenulum lab. inf. hinziehende Gefässchen kommuniziert, 
begleitet die äussere untere Umschlag- 
falte. Die Gefässe verlaufen teils in, teils unterhalb: 
der Umschlagfalte. 

2. Abführende Stämme: Von dem Geflecht an der Um- 
schlagfalte ziehen abführende Gefässe im Kieferperiost 
schräg und je mehr lateral, desto steiler abwärts zu 
Submaxillardrüse Il. Es sind im ganzen sechs 
bis sieben Stämmchen, deren Abzweigungen von 
dem Geflecht an der Umschlagfalte sich über den Kiefer- 
rand verteilen. Nur die sonst typisch aus der Molargegend 
nach medial-abwärts zu Drüse II verlaufenden Stämmchen 
sind in diesem Präparat nicht injiziert. Da, wo Öber- 
und Unterkiefergefässe auf der äusseren Kieferfläche 
zusammentreffen, liegen die Unterkiefergefässe unter 
denen des Oberkiefers. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 829 


Unterkiefer. Abflüssenachinnen. 

1. Aus der Gegend des lateralen Incisivus ziehen 
zwei typische Gefässe an der lingualen Kieferfläche 
durch den M. mylohyoideus hindurch auf 
dessen Unterseite zuSubmaxillardrüse I. 

VomlateralenEndedesAlveolarfortsatzes 
begeben sich drei Stämmchen an der medialen Seite des 
M. pterygoid. internus hinab. Eines derselben vereint 
sich mit einem aus dem Oberkiefer entspringenden Stamm 
(s. oben). Von den beiden andern gabelt sich das eine, 
sodass man unter dem hinteren Biventerbauch hindurch 
drei Unterkiefer - Abflussstämmchen in die oberste 
Gruppe der tiefen Cervicaldrüsen (Jugularis- 
Kette) einmünden sieht. 

Drüsen. 


1. Submentaldrüsen wurden weder injiziert noch bei 
der Präparation gefunden (vel. S. 824). 

2. Im Trigonum submaxillare sinistr. ist Haupt- 
drüse die Drüse II, von der Grösse etwa einer Erbse. 
Sie liegt dicht am inneren unteren Kieferrand zwischen 
diesem und dem M. mylohyoideus'!) oberhalb der Unter- 
kiefer-Speicheldrüse, auf und dicht medial von der Art. 
max. ext. Ihre Vasa afferentia umfassen die meisten 
Aussen-Abflüsse vom Oberkiefer sowie sämtliche Aussen- 
gefässe des Unterkiefers, somit also weitaus die 
Mehrzahl sämtlicher Abflüsse aus dem In- 
jektionsgebiet. 

Etwas tiefer unter dem Kieferrand und nach innen zu liegt 
die Drüsengruppe III. Sie besteht aus drei Knoten, welche 
einzeln etwas kleiner als Drüse II sind. Zwei von ihnen liegen 
unter dem unteren Masseter-Ansatz, lateral von der Vena fac. 
ant., am oberen lateralen Pol der Speicheldrüse, die dritte weiter 
halsabwärts am Zusammenfluss der V. fac. ant. und post. 

Direkte Zuflüsse aus dem Injektionsgebiet erhalten nur die 
beiden höher und nebeneinander gelegenen Drüsen der Gruppe 


') Durch Ausstopfen der Wange und des Mundbodens wurden die 
Submaxillardrüsen II und III, wie in der Zeichnung ersichtlich, ein wenig 
aus ihrer ursprünglichen Lage nach aussen auf den Unterkieferrand heraus- 
gedrückt. 


s30 Georg Schweitzer: - 


und zwar jede einen Ast eines aus der Caninus-Gegend 
des Oberkiefers mit der Vena fac. ant. herabkommenden starken 
(sefässes. 

Drüse I ausnehmend klein, etwa von der Grösse eines 
Hanfkornes. liegt typisch an der Vena submentalis, da, wo die 
Anastomose mit der V. sublingualis in sie einmündet, also auf 
der Unterfläche des M. mylohyoideus lateral vom vorderen Biventer- 
bauch. Sıe ist gefüllt durch die typischen beiden Zuflüsse, welche 
an der lingualen Unterkieferfläche aus der Frontzahngegend 
durch den M. mylohyoideus hindurch herabkommen. 


Wie aus der Zeichnung ersichtlich, sind die submaxillaren 
oO 
Drüsen durch meist stärkere Kommunikationsgefässe 
miteinander verbunden. 


3. In dem durch den Zusammenfluss der Vena facialis com- 
munis und der V. jugularis interna gebildeten Winkel liegt die 
typische Hauptgruppe der tiefen Cervicaldrüsen, 
bestehend aus drei Lymphknoten von ziemlicher Stärke, die unter 
sich durch kurze Stämmcehen verbunden sind. Die Gruppe erhält 
direkte Zuflüsse vom Zahnfleisch des Ober- und Unterkiefers 
auf dem inneren Wege sowie ein Kommunikationsgefäss unter 
der Speicheldrüse und dem M. biventer her von der Lel. sub- 
maxillaris II (vgl. Fig. 1, Taf. XXVI). 

4. Weitere Drüsenstationen der Jugularis-Kette 
sind, wie die Abbildung zeigt, teils von der zuletzt beschriebenen 
Hauptgruppe der tiefen Cervicaldrüsen, teils unter Über- 
gehung derselben von einer der zur Submaxillar-Gruppe Ill 
gehörigen Drüsen aus gefüllt. 

Rechte Kopfhälfte. 
Oberkiefer. EssindnurAbflüsse nach aussen gefüllt. 


1. An der oberen Umschlagfalte ein von vier Gefässen etwa 
gebildetes Kranzgeflecht, aus welchem zu den Submaxillar- 
drüsen abführen: 

2. a) Zwei Gefässe am Mundwinkel vorbei mit der Art. max. ext. 

abwärts: eines zu Drüse II. das andere unter Überschreitung 
des Venenbettes nach lateral zu mit zwei Ästen zu Drüse IM. 


b) Zwei weitere Gefässe mit der Vena fac. ant. zu Drüse II. 


c) Zwei Gefässe aus der Molargegend zunächst schräg nach 
medial-abwärts, dann im Bett der Vena fac. ant. zu einem Stamm 
vereinigt zu Drüse II. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. s3l 


Im Verlaufe dieses letzteren Stammes findet sich etwa in 
Höhe des oberen Unterkieferrandes lateral von der Vena factalis - 
auf dem M. buceinator eine etwa hirsekorngrosse Schaltdrüse 
injiziert. Ihrer Lage nach gehört diese Drüse der posterioren 
Buceinatorgruppeder Wangenlymphdrüsen an (vergl. 
hierzu Buchbinder [10], Most [40, S. 78]. Ich werde im 
Zusammenhang noch auf diese Drüsen zurückkommen. 
Unterkiefer: 

Aussen-Abflüsse. 

1. An der äusseren Umschlagfalte ein aus zwei Gefässen gebildetes 

(seflecht. 

2. Abführende Gefässe: 

a). Zwei Gefässe aus der Gegend des Öaninus bezw. Praemol, I 
mit den Aa. lab. inf. und max. ext. zu Lell.submax. II und IH. 

b) Zwei von den lateralen Kieferpartieen ausgehende Gefässe 
nach medial-abwärts zur Submaxillardrüse I. 


Innenabflüsse. Zwei Gefässe ziehen von der Medianlinie aus an 
der inneren Umschlagfalte entlang bis zum lateralen Ende dieser Falte, 
senken sich an der Innenseite des M. pterygoid. int. abwärts in die Tiefe 
und münden, unter der Art. carot. ext. hindurch an der Innenfläche des 
hinteren Biventerbauches entlang laufend, mit einem sehr starken und einem 
dünneren Zweig in den obersten Knoten der tiefen Üervicaldrüsen 
(Jugularis-Kette). 


Drüsen. 
1. Submentaldrüsen sind nicht injiziert. 
2. Im Submaxillar-Dreieck ist die Drüsenanordnung atypisch. 
Es finden sich vier ganz gleich grosse Drüsen, etwa von Erbsen- 
grösse, zwischen Unterkiefer und oberem Rand der Speicheldrüse 
in einer Reihe liegend, drei medial, eine lateral von der Vena 
fac. ant. 

Von diesen liegen die beiden am meisten medialen ein wenig für sich 
und näher zusammen, etwa in der Mitte zwischen den typischen Stellen der 
Drüsen I und II. Ich möchte daher diese Gruppe als eine Vereinigung 
der Drüsen I und II betrachten, womit auch die Herkunft ihrer Vasa 
afferentia übereinstimmen würde. Diese letzteren nehmen ihren Ursprung vom 
gesamten Unterkiefer (aussen) und aus der Medianpartie des Oberkiefers. 

Die Gruppe Ill wird gebildet aus den beiden anderen Drüsen, von 
denen eine dieht medial von der Vena facialis ant. liest und zum Teil noch 
die Art. max. ext. berührt, die andere lateral von der Vene in dem dicht 
unter dem Kieferrand gelegenen Vereinigungswinkel der beiden Gesichtsvenen. 
Die Vasa afferentia dieser Gruppe entstammen dem gesamten Oberkiefer und 
den mittleren Partieen des Unterkiefers. 

Die. hiernach überwiegende Bedeutung der Gruppe III findet ihre Er- 
klärung in der Verschiebung der Drüsen-Lageverhältnisse, infolge deren die 


332 Georg Schweitzer: 


Gruppen-Einteilung nur eine ungefähre sein konnte. Die beiden Knoten der 
Gruppe III sind durch einen starken Verbindungszweig verknüpft, die 
Gruppen I/II und III dagegen nicht. 

Eine typische tiefe Cervicaldrüse, an Grösse fast den vier sub- 
max. Drüsen zusammen gleichkommend, in der Gabel zwischen der V. 
facial. comm. und jugul. int. gelegen, erhält zwei Zuflüsse vom Unterkiefer 
über die innere Kieferfläche und an den tiefen Halsgefässen herab. 


Die beiden Fälle, deren Beschreibung ich nunmehr anschliessen 
will, umfassen einen Versuch, mittelst verschiedenfarbiger 
Injektionen in die durch die Art der in ihnen stehenden 
Zähne unterschiedenen Zahnfleischregionen einen näheren Auf- 
schluss darüber zu erhalten, ob aus einer dieser Regionen die 
(Grefässe vorwiegend zu einer bestimmten Submaxillardrüse hin 
die Lymphe abführen, mithin sich also, wenigstens in gewissem 
Grade. eine Sonderung der einzelnen Drüsen nach 
ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Quellgebieten 
im Zahnfleisch vornehmen lässt. 

Die sonstigen Befunde, sowohl bei dem beschriebenen Fall I, wie bei 
den übrigen noch zu beschreibenden Fällen, sprechen dagegen. Wir haben 
bereits erkannt bezw. werden noch ersehen, dass das Quellgebiet der Drüse II 
den Ober- und Unterkiefer-Alveolarrand in ihrer ganzen Ausdehnung zu um- 
fassen scheint, dass Drüse III, welche ebenfalls Gefässe aus verschiedenen 
Regionen, aber in relativ geringer Anzahl erhält, eine mehr unterstützende 
Rolle für die Drüse II hinsichtlich der Aufnahme eines Teiles der Öberkiefer- 
gefässe spielt, dass schliesslich der Drüse I allein, eventuell neben den oberen 
Submentaldrüsen, eine wenn auch beschränkte Zugehörigkeit zum Zahnfleisch 
der Unterkiefermedianpartieen zuzuerkennen sein wird. Die Sammlung der 
Abflüsse in ein zusammenhängendes, die Kieferhälften in ihrer ganzen 
Ausdehnung etwa in Höhe der Umschlagfalten überspannendes Lymphgefäss- 
geflecht dürfte ebenfalls einer strengen Isolierung im Wege stehen. Nur 
die Annahme, dass die Lymphe eines bestimmten Zahnfleischgebietes normaler 
Weise die nächsten ihr zur Verfügung stehenden Abflusswege einschlagen 
wird, ermöglicht es, eine Trennung der einzelnen Drüsen in dem angedeuteten 
Sinne unter Einschränkungen zu versuchen. 


Ea:Ek Tl, 

Prot. Nr. 15. 20. April 1906. Weibliche Frühgeburt von 
ca. 40 em Länge. Polychrome Injektion des Zahnfleisches der 
linken Kopfhälfte mittelst der Severeanuschen Farben (vergl. 
S. 821). Es wurde zunächst die Molargegend mit grüner, 
darauf die Praemolargegend mit roter, schliesslich die 


Sb] 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. Ö 


Frontzahngegend mit blauer Farbe injiziert. Die rechte 
Kopfhälfte wurde nur blau injiziert. 

Linke Seite. 
VOberkiefer. 

1. An der oberen Umschlagfalte zeigt sich, um den 
Alveolarfortsatz herumziehend, ein (reflecht von etwa drei 
(Gefässen, deren Farbe nahe der Medianlinie ziemlich rein 
blau ist, aber nach lateral fortschreitend allmählich 
mehr und mehr in grün übergeht. 


[&6) 


. Von diesem Geflecht führen im ganzen etwa neun 
Stämmcehen aus allen Teilen des Alveolarrandes über die 
Wange abwärts, sowohl in Begleitung der Art. max. 
ext. wie besonders der Vena fac. ant. Sämtliche Ge- 
fässe, auch die aus der rot injizierten Praemolargegend, 
zeigen eine blaugrüne Injektionsfarbe, die sich nur im 
Oberlauf der aus der Frontzahngegend ahführenden 
Stämmehen mehr dem Blau nähert. 


Sechs von den neun abführenden Stämmchen, zu drei dickeren 
Gefässen zusammenfliessend, münden in die Submaxillaris II, 
drei in die Submax. III. Die erstere zeigt blaugrüne, die letztere 
mehr ausgesprochen grüne Färbung. 

Auch in den abführenden Stämmchen ist, wie bemerkt, die 
rote Farbe der Injektion in die Praemolargegend völlig unsichtbar. 
Es hat also augenscheinlich durch die mit beträchtlichem Druck 
zuerst erfolgte Injektion der lateralen Endregion des Alveolar- 
randes eine „Grün*-Füllung des Geflechts an der Umschlagfalte 
nach medialwärts zu bis in die Regionen der anderen Zahn- 
gruppen hinein stattgefunden, welche nur in der Frontzahngegend 
durch die hier erfolgte Injektion mit dem intensiven blauen Farb- 
stoff verdrängt bezw. verdeckt werden konnte. Auf die Färbung 
der abführenden Gefässe im wesentlichen mit einer blaugrünen 
Mischfarbe habe ich bereits hingewiesen. 


Im Unterkiefer ist das Bild ein vollkommen entsprechendes. 


1. Ein Geflecht von ca. vier um den Kieferrand an der 
äusseren Umschlagfalte herumziehenden Gefässen zeigt 
in der Gegend der Frontzähne eine fast blaue Färbung, 
die nach lateralwärts zu allmählich in ein tiefes Grün 
übergeht. Entsprechende Färbung zeigen die abführenden 


534 Georg Schweitzer: 


Stämmchen, welche sämtlich in die blaugrüne Sub- 
maxillaris II einmünden. 

2. Über die linguale Unterkieferfläche hinweg ziehen aus 
der Gegend der Ineisivi die bereits bei Fall I be- 
schriebenen zwei Gefässe durch den M. mylohyoideus 
hindurch zur Submaxillaris I. Farbe der Gefässe 
und der Drüse ist blaugrün mit vorherrschendem Blau. 

In den Lauf dieser beiden dicht nebeneinander liegenden 

Stämmchen ist eine blaugrüne, etwa hirsekorngrosse Schaltdrüse 
eingefügt, welche dem M. mylohyoideus, ebenso wie die (refässe, 
an seiner Unterfläche aufliegt. — Was die 

Drüsen 


anlangt, so sind zunächst Submentaldrüsen nicht injiziert. 
Im Submaxillardreieck liegt 

Drüse I, etwa erbsengross, typisch am lateralen Rand des 
vorderen Biventerbauches. 

Drüse II besteht aus drei einzelnen Knoten, einem grösseren, 
zwei kleineren dicht medial von der Art. max. ext. am unteren 
Kieferrand. | 

Drüse III besteht aus zwei Knoten, einem grösseren dicht lateral, 
einem kleineren dicht medial von der V. facialis ant. in 
typischer Lage. 

Zwischen den einzelnen Drüsengruppen verlaufen starke blau- 
grüne Kommunikationszweige. Die Vasa afferentia der einzelnen 
Drüsen sind bereits erörtert worden. 

Von Drüse III aus zieht ein Gefäss mit der V. fac. comm. 
zu der Hauptgruppe der tiefen Cervicaldrüsen, be- 
stehend aus einem Knoten in der Gabel der V. fac. comm. mit 
der Jugularis int. und zwei lateral davon gelegenen Knötchen. Die 
Färbung auch dieser Drüsen ist naturgemäss blaugrün. 

Das Ergebnis dieses Versuches geht also dahin, 
dass die Submaxillardrüse II die Lymphe aus allen, 
speziellden medianen und vorderenlateralen Teilen 
des Oberkiefers sowie vom gesamten Unterkiefer, 
Drüse III anscheinend vorwiegend aus der Molar- 
gegend des Oberkiefers aufnimmt, während zu 
Drüsel nur Gefässe aus der Mittelpartie des Unter- 
kiefers an dessen Lingualtläche herab verlaufen. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 835 


Es wird noch gezeigt werden, dass dieser Versuch das aus allen 
Fällen zu ziehende Gesamtresultat in seinem Ergebnis bestätigt. 

Auf der rechten Gesichtsseite, auf der die gewöhnliche 
Berlinerblau-Injektion stattfand, ergibt die Präparation nur eine 
Bestätigung der an früher bearbeiteten Präparaten gewonnenen 
3efunde. 
Oberkiefer. Aussen-Abflüsse: 

1. Ander oberen Umschlagfalte ein kranzartig um den Alveolar- 

rand herumlaufendes Geflecht von Lymphgefässen. 
2. Abführende Gefässe: Fünf aus der Frontzahn- und Praemolar- 


gegend zu Submaxillaris II, eines aus der Molargegend mit einem 
Ast zu Drüse II, mit dem andern zu Drüse II. 
Unterkiefer. 
1. An der unteren äusseren Umschlagfalte ein Geflecht m 
typischer Form. 
2. Abführende Gefässe: Vier Stämmchen aus der Frontzahn- und 
Praemolargegend ziehen, zu zwei Stämmen zusammenfliessend, 
schräg lateral- und abwärts über das Kieferperiost zu Drüse II. 
Aus der Molargegend verläuft ein Gefäss zu Drüse III. 
Aus der Frontzahngegend zieht ein starkes Gefäss an der 
Lingualfläche des Kiefers, wie sonst, zu Drüse 1. 
Drüsen. Lage der Submaxillardrüsen I und II normal. 


Drüse II besteht aus einem grossen und einem kleinen (Anhangs-) 
Knoten. Drüse III wird gebildet durch zwei kleine Knoten, die ziemlich tief 
im Winkel zwischen Vv. facial. ant. und post. liegen. 

Die Hauptgruppe der tiefen Gervicaldrüsen ist in typischer Lage 
vorhanden, aber nicht injiziert. 


Submentaldrüsen nicht gefüllt. 


Earl, Il. 


Eine weitere polychrome Injektion wurde in Anwendung 
gebracht bei der Leiche eines Erwachsenen, dessen ausge- 
bildetes, gesundes Gebiss eine Nachprüfung der früheren Befunde 
zu gestatten geeignet schien. Da die Leiche durch Formol-Alkohol- 
injektion konserviert und das Gewebe dadurch gehärtet war, so 
gestaltete sich sowohl Injektion wie Präparation äusserst schwierig, 
sodass ein vollkommenes Resultat nicht erzielt wurde. Immerhin 
wurde der Zweck des Versuches mehr oder weniger erreicht. 

Prot. Nr. 14. 11. April 1906. Mann von etwa 40—50 Jahren. 
Injektion des Zahnfleisches der rechten Kopfhälfte, hauptsächlich 
auf der labial-buccalen Seite und zwar an den Frontzähnen 
blau, an den Praemolaren rot, an den Molaren grün. 


836 Georg Schweitzer: 


Allgemein bemerkt erscheinen die injizierten Lymphgefässe 
sehr dünn, nicht stärker als beim Neugeborenen. 
Oberkiefer. 

1. Entlang der Umschlagfalte sind nur in dem Raum zwischen 

Frenulum und Vena fac. ant. zwei blaue (Grefässchen sichtbar. 

2. Abführende Stämme: 

a) Drei blaue Gefässe aus der Gegend der Incisivi bezw. des 
Caninus im Zwischenraum zwischen Art. max. ext. und V. 
facialis ant. nach lateral-abwärts ziehend, vereinigen sich zu 
einem Stamm, der sich aber auf dem Unterkieferperiost wieder 
in drei Arme teilt; von diesen mündet einer in Submaxillar- 
drüse I, zwei in Submaxillardrüse I. 

b) Aus dem Praemolargebiet entspringt ein feines rotes 
Stämmchen, welches am oberen Rand des Unterkiefers in den 
am meisten lateralen Arm des der Frontzahngegend entstammenden 
(refässes einmündet. Dieses zieht, wie erwähnt, zu Drüse I. 

c) Aus der Molargegend ziehen zwei grüne Stämmchen im 


Bett der Vena fac. ant., meist von dieser gedeckt, zum lateralen 
Pole der Drüse I. 

Unterkiefer. Drei zunächst ein Stück an der äusseren Umschlag- 
falte entlang laufende blaue (Grefässe, also aus der Frontzahngegend, begeben 
sich lateral-abwärts zu Drüse I (zwei Gefässe) und Drüse II (ein Gefäss). 

Es folgen dann nach lateralwärts zu zwei rote Stämmchen, in deren 
Oberlauf an der Umschlagfalte aber keine Injektionsfarbe mehr zu erkennen 
ist. Ihre Farbe und Richtung weisen auf ihre Herkunft aus der Praemolar- . 
gegend hin. Sie ergiessen sich in die Mittelpartie der Drüse II. 

Aus der unteren Molargegend ziehen zwei Stämmchen nach 
medial-abwärts unter der Vena fac. ant. hindurch zum lateralen Pole der 
Drüse I. 

Weitere Stämmchen wurden nicht aufgefunden. 

Drüsen. Es sind drei Submaxillardrüsen in typischer Lage 
vorhanden. Drüse II, die grösste, ist reichlich bohnengross, Drüse III etwas 
kleiner, Drüse I etwa erbsengross. 

Die letztere ist blau, Drüse II blaugrün, Drüse III. überhaupt nicht 
gefärbt. 

Submentaldrüsen nicht gefüllt. 

Aus dem Resultat dieses Injektionsversuches Schlüsse auf 
das Verhältnis der Submaxillardrüsen zu den Zahntfleischregionen 
im einzelnen zu ziehen, möchte ich angesichts der unvollkommenen 
Injektion unterlassen. Nur so viel geht auch aus diesem Präparat 
hervor, dass Drüse Il als Hauptdrüse die Lymphe von 
allen Teilen desOber- wie des Unterkiefers bezieht. 
Für die Frontzahngegend des Ober- wie des Unterkiefers würde 
nach diesem vereinzelt dastehenden Fall die Drüse I eine erhöhte 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 837 


Bedeutung gegenüber den Befunden bei Neugeborenen besitzen. 
Das Ausbleiben einer Füllung bei Drüse III ist auf die unvoll- 
kommene Injektion, die in der schlecht zu erreichenden Molargegend 
besonders schwierig war, zurückzuführen. 


Nachdem die bisherigen Beschreibungen, insbesondere die 
ausführliche Schilderung des Falles I, den Typus des Verlaufes 
der Zahnfleischlymphgefässe sowie der allgemeinen Anordnung 
der zugehörigen Drüsengruppen festgelegt haben, darf ich mich 
in der Beschreibung der noch folgenden Fälle, soweit sie sich im 
wesentlichen mit den bisherigen Befunden decken und nur bereits 
Bekanntes bestätigen, kürzer fassen, um dafür nur die neuen und 
abweichenderen Beobachtungen einer ausführlichen Beleuchtung 
zu unterziehen. Ich hoffe so die unvermeidlichen, ermüdenden 
Wiederholungen auf das für die notwendige Vollständigkeit der 
Arbeit erforderliche Mindestmaß herabsetzen zu können. Die 
wichtigeren, besonderen Befunde werden durch den Druck hervor- 
gehoben werden. 

Kall IV. 

Prot. Nr. 1. 27. Oktober 1905. Neugeborener Knabe, in- 
jiziert ca. 24 Stunden nach der Geburt. Injektion des gesamten 
labial-buecalen Zahnfleisches im Ober- und Unterkliefer beider 
Gesichtshälften. 

Linke Gesichtshälfte. 
OÖberkiefer (nur Aussen - Abflüsse). 

1. Entlang der oberen Umschlagfalte zieht von der Medianlinie 
bis zur Vena fac. ant. zusammenhängend ein Geflecht von zuerst 
vier, dann drei, schliesslich zwei Stämmchen von allmählich zu- 
nehmender Stärke. 

Nahe der Medianlinie dehnt sich dieses Geflecht in die Lippen- 


schleimhaut hinein aus, ohne dass aber aus diesem Nachbargebiet 
selbständig abführende Stämmchen entspringen. 
2. Abführende Gefässe: 

a) Zwei (refässe, Fortsetzung des unter 1 erwähnten Geflechtes, 
also Abflüsse etwa aus der Frontzahngegend, ziehen mit der 
V.fac. ant., dicht medial von dieser, über die Wange herab und 
fliessen in Höhe des oberen Unterkieferrandes zu einem stärkeren 
Stamm zusammen, welcher in Lgl. submaxillaris II ein- 
mündet. 


838 Georg Schweitzer: 


b) Drei bis vier in der Praemolargegend, ohne sichtbaren 
Zusammenhang mit dem medial gelegenen Geflecht, auftauchende 
Stämmcehen streben konvergierend dem Bett der V. fac. ant. zu 
und vereinigen sich zu zwei Gefässen, welche im engen An- 
schluss an die Vene zu Lgl. submax. II und III ziehen. 

c) Ein Gefäss aus der lateralen Endregion des Alveolarfortsatzes, 
also der Molargegend, verläuft in der Buccinatorfascie am 
vorderen Masseter-Rand zu Lgl. submax. III. 


Unterkiefer. Aussen-Abflüsse: 


1. Geflecht an der äusseren unteren Umschlagfalte. 

2. Abführende Gefässe: Drei Gefässe anscheinend aus der 
Frontzahn- und Praemolargegend ziehen auf dem Kiefer- 
periost erst lateral-, dann abwärts, zum Teil unter den Oberkiefer- 
gefässen, zu Lgl. submax. II. 


Innen-Abflüsse: 

1. Ausder Gegend des seitlichen Incisivus bezw. Caninus 
zieht ein Gefäss an der Lingualfläche des Unterkiefers herab, 
den M. mylohyoideus durchbohrend, zu Lgl. submax. I. 

2. Ein sehr zartes, kurzes Stämmchen, vom Lingual- 
rand des Alveolarfortsatzes etwa in der Medianlinie 
entspringend, erreicht in vertikalem Verlauf eine 
Legl. submentalis. 

Drüsen. 

1. Regio submentalis: Ein etwa hirsekorngrosses Knötchen 
an bezw. unter der Basis mandibulae zwischen den beiden vorderen 
Biventerbäuchen, injiziert. 

2. Trigonum submax. sinistrum. 
Drüse I, lateral vom vorderen Biventerbauch zwischen unterem 
Rand des Kiefers und M. mylohyoideus. 
Drüse II, reichlich erbsengross, dicht am Unterkieferrand auf der 
Art. max. externa. 
Drüse III: Drei Knoten, davon zwei in Grösse einer mittleren 
Erbse an der Einmündungsstelle der V. submentalis in die Vena 
fac. ant., der dritte etwas tiefer, an einer Kommunikation zwischen 
Vv. fac. ant. und jug. ext., am hinteren Pol der Speicheldrüse, 
also etwas versprengt. 

Zwischen Drüse II und Gruppe III sowie zwischen den einzelnen 
Drüsen der Gruppe III ziehen starke Kommunikationsgefässe. 

3. Vasa efferentia der Submaxillarstation: Zwei starke, mit der 
V. facial. comm. verlaufende Stämme injizieren die typische oberste 
Gruppe der Jugularis-Kette an der Einmündung der V. facialis 
in die Jugul.int., bestehend aus drei sehr grossen, einer kleineren Drüse. 

4. Von dieser Gruppe aus, deren einzelne Knoten durch Gefässe ver- 
bunden sind, ziehen drei Stämme zu einer halsabwärts der V. jugul. 
int. lateral anliegenden Drüse, aus der ein starker Einzelstamm 
neben der Vene bis zur Abtrennungsstelle des Kopfes führt. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 839 


Rechte Gesichtsseite. 
Oberkiefer (nur Aussen-Abflüsse). 

1. Geflecht an der oberen Umschlagfalte in der Medianpartie, 

aus welchem zwei Gefässe nach lateralwärts bis zur V. fac. ant. ziehen. 

2, Abführende Gefässe: 

a) Aus den unter 1 aufgeführten Gefässen, ferner aus mehreren in 
der Gegend des zweiten Praemolaren und aus einem in der 
Molargegend entspringenden Stämmchen bildet sich ein stärkeres 
Gefäss, welches mit der V. face. ant., sich gabelnd, zu Lgll. 
submax. II und III verläuft. 

b) Ferner zieht ein selbständiges Gefäss aus der Molargegend 
am vorderen Masseterrand herab zu Lgl. submax. I. 

Unterkiefer. Aussen-Abflüsse: 

1. Geflecht an der Umschlagfalte wie auf der linken Seite, 

zahlreichere Anastomosen. 

2. Drei aus vielen Wurzeln zusammenfliessende abführende Ge- 
fässe verlaufen im Zuge der Art. lab. inf. bezw. max. ext. zu 
Lgl. submax. 1. 

Innen-Abflüsse: Zwei Gefässe aus der Gegend des lateralen 
Ineisivus ziehen an der Lingualfläche des Kiefers herab zu 
Drüse I. 

Drüsen. 

1. Submentaldrüsen sind nicht gefüllt. 

2. Trigonum submax. dextrum: 

Drüse I, Gruppe von zwei Knoten, davon einer ziemlich stark, 
typisch am lateralen Rand des vorderen Biventerbauches. 
Drüse II, stärkste Drüse, von der Grösse einer kleinen Bohne, 
typisch auf der Art. max. ext. gelegen. 
Drüse III, fast ebenso stark wie II, in typischer Lage dicht lateral 
von der V. fac. ant. 

Zwischen Drüse Il und III ziehen drei starke Kommunikations- 
zweige unter der V. fac. ant. hindurch. 

3. Vasa efferentia der Submaxillarstation: Drei starke Stämme 
entlang der V. fac. comm. zum typisch gelegenen Hauptknoten 
der tiefen Cervicalgruppe, einer Einzeldrüse, doppelt so gross 
als Submaxillardrüse II. 

4. Von ihr aus verläuft ein starker Stamm mit der V. jug. int. hals- 
abwärts zu einer dienächstgelegene Etappe bildenden kleineren 
Drüse der tiefen Cervicalgruppe. 

Fall V. 

Prot. Nr. 5. 8. Dezember 1905. Neugeborener Knabe, sehr 
starker Kopf, reichliche Fettentwicklung. Mehrere Tage nach der 
Geburt Injektion des gesamten Zahnfleisches labial-buccal in beiden 
Kiefern. Präparation des in Formol konservierten Objektes erst 


nach mehreren Wochen. 


540 


Georg Schweitzer: 


Linke Gesichtsseite. 


OÖberkiefer (nur Aussen-Abflüsse). 


IE 


An der Umschlagfalte nahe der Medianlinie dichtes, in die Lippe 
herabreichendes Netz, aus dem nach lateralwärts zu zwei stärkere, 
verschlungene Gefässe sich entwickeln. 


Abführende Gefässe: 


a) Von den beiden erwähnten Gefässen biegt das eine schon in 
Höhe des Mundwinkels abwärts und verläuft mit der Lippen- 
arterie bezw. der Art. max. ext., lateral von letzterer, abwärts 
zu Lgl. submax. II. Aus dem Lippengeflecht erhält dieses Gefäss 
in seinem Oberlauf drei selbständige Zuflüsse. 


b) Das andere Gefäss zieht an der V. fac. ant., in zwei Zweige 
sich gabelnd, mit einem derselben zu Drüse II, mit dem andern 
unter nochmaliger Teilung zu Drüse II und, über die vordere 
untere Masseter-Ecke hinweg, zu Drüse III. 


Unterkiefer. Aussen-Abflüsse: 


11 
> 


Gefässgeflecht in der Medianpartie an der Umschlagfalte. 
Abführende Gefässe: Drei Stämmchen, davon zwei mit den 
Arterien, eins etwas tiefer, ziehen zu Lgl. submax. II, das letztere 
in eine etwas unterhalb der Hauptdrüse gelegene Anhangsdrüse 
einmündend. 


Innen-Abflüsse: Zwei Gefässe vom Zahnfleisch, etwa aus der Gegend 


Drüsen. 
1. 


der Frontzähne, ziehen an der lingualen Kieferfläche herab durch 
den M. mylohyoideus hindurch zu Lgl. submax. 1. 


Ein etwa an der Grenze zwischen mittlerem und unterem 
Drittel des Raumes zwischen Kinnbasis und Zungenbein 
am medialen Rande des vorderen Biventer-Bauches gelegenes Knötchen 
ist von Lgl. submax. I aus sekundär gefüllt. Dasselbe gehört 
zur unteren Gruppe der Submentaldrüsen (vergl.Most [40, 8.20]). 


Trigonum submax. sinistrum: 


a) Bedeutendste Gruppe ist wiederum Drüse II, drei durch starke 
Kommunikationszweige verbundene Knoten, Hauptknoten bohnen- 
gross in typischer Lage, zwei kleinere unterhalb desselben. 


b) Fast ebenso gross als der Hauptknoten der vorigen Gruppe ist 
die der V. fac. ant. in typischer Höhe dicht lateral anliegende 
Lgl. submax. II. 


c) Drüse I, höchstens halb-so gross als III, liegt ebenfalls typisch 
am lateralen Rand des vorderen Biventer-Bauches und berührt 
die V. submentalis. Injektion nur vom Lingualrand der Median- 
partie des Unterkiefers aus. 

Durch besondere Grösse fiel eine nicht injizierte, am unteren Parotis- 

Zipfel oberflächlich gelegene Lgl. cervical. superficialis auf. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. S4l 


Rechte Gesichtsseite (spärliche Gefässfüllung). 
Oberkiefer. 

1. In der Frontzahngegend ein Geflecht an der oberen Umschlag- 

falte, aus welchem 

2. ein einziges starkes abführendes Gefäss an der V. facialis ant. 

entlang abwärts zieht. Dasselbe spaltet sich etwa in der Mitte 

der Wange, wie ein ein Delta bildender Fluss, in sechs Arme, von 
denen vier in Lgl. submax. II, zwei in Lgl. submax. III ein- 
münden. 

Unterkiefer. 

Aus mehreren Würzelchen an der unteren äusseren Umschlagfalte 
in der Frontzahngegend entwickelt sich ein einziges lateral-abwärts 
zu Lgl. submax. II ziehendes Gefäss. 

Drüsen. 

1. Submentaldrüsen nicht gefüllt. 

2. Im Submaxillardreieck: Die typischen drei Submaxillar-Lymph- 
knoten, II und III fast bohnengross, I etwas kleiner. Lage der 
Drüsen typisch, Drüse III ein wenig weiter als sonst, nach lateral 
zu von der V. fac. ant. abgerückt. 

DrüseI erhält keinerlei Zuflüsse aus dem Quellgebiet und 
ist nicht gefüllt. 
Auch auf der rechten Seite findet sich eine durch ihre Grösse auf- 
fallende, nicht injizierte Lgl. cerv. superficialis am unteren 
Parotispol. 


© 


Fall VI. 

Prot. Nr. 10. 27. Februar 1906. Neugeborener, kräftig 
entwickelter Knabe. ca. 48 Stunden post partum injiziert. Die 
Injektion zu versuchen, lohnte sich nur auf der rechten Kopf- 
seite, da linkerseits starke Zerreissungen in der Parotis- und 
Submaxillargegend von der Geburt her vorhanden waren. 


Rechte Gesichtsseite. 


OÖberkiefer. Abflüsse nach aussen. 

1. An der oberen Umschlagfalte von der Medianlinie aus ohne 
Unterbrechung bis zum lateralen Ende des Alveolarfortsatzes ein 
Geflecht von zwei, häufig drei und auch vier sich überkreuzenden 
Lymphgefässstämmchen, welches in der Medianlinie in schon 
beschriebener Weise mit dem Geflecht der linken Seite — ich hatte 
dort auch, soweit möglich, einzelne Injektionen in das Zahnfleisch 
vorgenommen — kommuniziert. 

Abführende Gefässe: 
a) Von dem Geflecht zweigen in dem Raume vom Caninus etwa 
bis einschliesslich zweitem Praemolar vier Stämme ab, 


welche medial, auf und lateral von der Vena fac. ant., mit- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 55 


I) 


842 Georg Schweitzer: 


einander anastomosierend, abwärts verlaufen und zwar je zwei 
zu Lell. submax. II und III. 

b) Ein vom äussersten lateralen Ende des Alveolarfort- 
satzes entspringendes Gefäss zieht facialwärts auf der Fascia 
buceo-pharyngea zunächst vom Masseter verdeckt, dann unter 
letzterem hervortretend unter Einsenkung in das Gesichts- 
Venenbett zu Lgl. submax. I. 

Das ziemlich konstante Vorkommen eines ähnlich verlaufenden 
(Gefässes ist auch von Pölya und v. Navratil (48, 8. 129ff.) beschrieben 
worden. 

Innen-Abflüsse (nach sagittaler Halbierung des Kopfes präpariert). 

Vom lateralen Ende des Alveolarfortsatzes entspringen mehrere 
sich alsbald zu einem starken Gefäss vereinigende Stämmchen. Dieses Gefäss 
zieht dorsal in der Schleimhaut des weichen Gaumens bezw. der Gaumen- 
bögen abwärts, durchbohrt die Pharynxmuskulatur und ist in der Bucco- 
pharyngeal-Fascie zu verfolgen bis dicht oberhalb des Zungenbeins. Die Ein- 
mündung würde wahrscheinlich in den in nächster Nähe gelegenen obersten 
Knoten der Jugularis-Kette (Lgll. cervic. prof.) erfolgt sein, wenn die In- 
jektionsflüssigkeit nicht vorher Halt gemacht hätte. 

Unterkiefer. Aussen-Abflüsse: 

1. Ein in der Medianlinie mit dem Geflecht der Gegenseite kom- 
munizierender Kranz von drei bis vier Gefässen zieht um 
den Alveolarfortsatz an der äusseren unteren Umschlagfalte herum. 

2. Abführende Gefässe: 

a) Zwei Gefässe, aus der Gegend etwa des zweiten Praeme- 
laren abzweigend, ziehen auf dem Periost zu L’gl. submax. II. 

bh) Drei Gefässe, jedes mit mehreren Würzelchen aus der Molar- 
gegend entspringend, münden in mehr senkrechtem Verlauf 
ebenfalls in Lgl. submax. 11. 


Innen-Abflüsse: 

1. Von einer Injektionsstelle am inneren Zahnfleischrand etwa der 
seitlichen Ineisivusgegend entwickelt sich ein an der Lingual- 
fläche abwärts bis zur Übergangsstelle des Zahnfleisches in die 
Mundbodenschleimhaut ausgebreitetes, dichtes Lymphgefässnetz. 

An dieser Übergangsstelle bilden sich aus dem Netz zwei 
(Gefässe, welche wiederum kranzartig an der inneren unteren Um- 
schlagfalte entlang bis zum lateralen Ende dieser Falte verlaufen. 

2. Von hier aus biegt ein sich aus den Parallelgefässen entwickelndes 
stärkeres Gefäss schräg nach unten um und zieht zunächst zwischen 
den Mm. pterygoid. int. und hyoglossus, dann in der Bahn der grossen 
Halsgefässe abwärts bis oberhalb des Zungenbeins, wo der In- 
jektionsfarbstoff verschwindet, und zwar ebenfalls in der Nähe der 
oben erwähnten tiefen Cervicaldrüsengruppe. 

Noch während des Verlaufes dieser Abflussbahnen an der inneren 

Umschlagfalte zweigen von ihnen am lingualen Kieferrande zwei Gefässe ab, 
welche den M. mylohyoideus durchbohren und bis dicht vor die Lgl. submax. I, 


j 
- 
Pi 


Die Lymphgefässe des Zahntleisches. 843 


vor der sie bei der Präparation der Aussen-Abflüsse versehentlich abgeschnitten 
wurden, zu verfolgen sind. 

‘Was schliesslich die 

Drüsen 
anlangt, so besteht im Trigonum submaxillare dextrum die Drüse I 
aus zwei an typischer Stelle gelegenen Knoten. Die Drüsengruppe ist 
sekundär von Drüse II und, wie erwähnt, wahrscheinlich durch Innen-Abtlüsse 
des Unterkiefers gefüllt. i 

Drüse II besonders stark entwickelt. Zwei starke Lymphknoten 
typisch der Art. max. ext. medial und lateral angelagert. ; 

Drüse Ill ist eine Gruppe von drei Lymphknoten: der Haupt- 
knoten, in der Grösse der die Gruppe II bildenden Knoten, liegt tiefer als 
sonst, in der hochgelegenen (tabel, welche durch den Zusammenfluss der Vv. fac. 
ant. und post. gebildet wird. Die beiden andern Drüsen dieser Gruppe liegen 
an der Vena facialis communis, am lateralen Rand der Speicheldrüse, die obere 
dieht unterhalb der Hauptdrüse III. Da diese beiden Drüsen, welche keine 
selbständigen Vasa afferentia haben, nur von den beiden Drüsen der Gruppe Il 
mit drei Stämmcehen sekundär gefüllt werden und keinerlei Kommunikation 
mit der Hauptdrüse III aufweisen, so müsste hieraus, obwohl ihre Lage 
sie zu Drüse III hinweist, ihre Zugehörigkeit zu Drüse II eventuell ange- 
nommen werden. Es ist dies einer der wenigen Fälle, in denen die 
Anwendung des Stahrschen Dreiteilungsvorschlages für die 
Drüsen der Submaxillar-Region auf Schwierigkeiten stösst. In 
der Submaxillar-Region haben wir in diesem Falle also sieben einzelne 
Lymphknoten. 

Erwähnt sei noch, dass von der lateralen Drüse der Gruppe II ein 
besonders starker Stamm nach abwärts an der V. facial. communis entlang 
und schliesslich unter dieser hinweg in die, in diesem Falle ziemlich kleine, 
oberste der tiefen Öervicaldrüsen (Jugularis-Kette) in der Gabel zwischen 
Vv. facial. comm. uud Jugularis int. sich einsenkt. Ausserdem führen von 
sruppe II drei starke Kommunikationsgefässe zum Hauptknoten der Gruppe Ill. 

Submentaldrüsen sind vorhanden, jedoch nicht injiziert. 

KallkayIl: 

Prot. Nr. 13. 4. April 1906. Neugeborenes Mädchen. 
Zeitlicher Zwischenraum zwischen Geburt und Injektion war nicht 
mehr festzustellen wegen fehlender Angaben. Injektion des ge- 
samten Zahnfleisches beiderseitig. 

Die Präparation ergibt. dass nur Aussenabflüsse, diese 
aber reichhaltig, gefülltsind.. Kommunikation der Gefässe beider 
Seiten inder Medianlinie sowohl im Ober- wie im Unterkiefer. 

Rechte Gesichtsseite. 
Oberkietfer. 
1. Kranzgeflecht um den ganzen Alveolarfortsatz herum, bestehend 


aus etwa drei verschlungenen Gefässen, teils oberhalb, meist unter- 
halb der oberen Umschlagfalte. 


S44 


Georg Schweitzer: 


Abführende Gefässe: 

a) Ein Gefäss, in Höhe des Mundwinkels abzweigend, folgt dem 
Lauf der Art. max. ext. und mündet, nachdem es einen Ast in 
das Bett der V. facialis anterior zu dort verlaufenden Gefässen 
abgegeben hat, mit zwei Armen in die Lgl. submax. 1. 

Von besonderem Interesse erscheint der Verlauf des lateralen 

der beiden letztgenannten Arme. Dieser schweift nämlich 
stark nach lateralwärts aus und gelangt so schliess- 
lich auf die dem M. mylohyoideus anliegende innere 
Seite der Drüse IH. Obwohl er also diese Drüse 
berührt, sendeter kein Ästchenin sie hinein, sondern 
kehrt, an ihr vorbei, zu Drüse II zurück. Dieses charak- 
teristische Vorbeiziehen eines Gefässes an einer unmittelbar 
benachbart gelegenen Drüse, auf das Stahr (59) verschiedent- 
lich aufmerksam macht, fand ich beim Menschen selten, 
häufiger dagegen und sehr eklatant bei Tieren. 

b) Zwei Gefässe aus den lateralen Oberkiefer-Zahnfleischpartieen 
ziehen zu Lgll. submax. II und Il. 


Unterkiefer. 


1. 


IV 


Drüsen. 
l: 


An der äusseren Umschlagfalte entlang ziehen zwei miteinander 
verflochtene Gefässe um den ganzen Alveolarfortsatz kranzartig 
herum. 


Abführende Gefässe: 

Von diesen Gefässen aus zweigen, über den Umkreis des Alveolar- 
randes verteilt, sechs Stämmchen ab, die sämtlich zu Drüse II 
verlaufen. Je nach der Verschiebung ihrer Abgangsstelle gegen 
die Lage der Drüse II ist ihre Richtung, von der Medianlinie aus 
angefangen, zunächst schräg lateral-abwärts, dann mehr 
senkrecht und beim letzten Gefäss schräg nach medial- 
abwärts. Alle streben dem Bett der Art. max. ext. zu, die sie 
bis zur Drüse auf eine kurze Strecke begleiten. Soweit sie mit 
den Oberkiefergefässen zusammentreffen, liegen die Unterkiefer- 
gefässe tiefer als die Oberkiefergefässe dem Periost unmittelbar auf. 


Besonders reichliche Entwicklung von nicht injizierten Submen- 
taldrüsen, fünf Lymphknoten, zwei zur oberen, drei zur unteren 
Gruppe (Most [40, S. 20]) gehörig. 
Im Submaxillardreieck ist: 
Drüse II, wie fast stets, die Hauptdrüse sowohl nach Grösse 
wie nach Zalıl der Zuflüsse. Sie liegt typisch auf der Art. max. ext. 
Drüse III, der vorigen an Grösse wenig nachgebend, liegt nicht 
lateral, sondern ausnahmsweise medial von der V. fac. ant. in dem 
Winkel mit der V. submentalis. Die (Gesichtsarterie und -Vene 
liegen weiter auseinander, als in den meisten andern Präparaten. 
Drüse I ist in der Entwicklung zu Gunsten der beiden andern 
Drüsen zurückgeblieben; sie ist trotz sonst reichlicher Gefässfüllung, 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 845 
allerdings bei nicht injizierten Innen-Abflüssen aus dem Unterkiefer, 
ihren häufigsten Vasa afferentia, weder direkt noch sekundär 
gefüllt. Ihre Lage ist etwas tiefer als normal, am Biventer 
herabgerückt. 
Linke Gesichtsseite. 
Oberkiefer. 

1. Geflecht aus drei Gefässen an der Umschlagsfalte entlang 
um den ganzen Alveolarfortsatz. 

2. Abführende Gefässe: 

a) Ein Gefäss aus der Mittelpartie am Mundwinkel herab mit 
der Art. max. ext. zu Lgl. submax. II. 
b) Zwei starke Stämme aus der Praemolargegend mit der 
V. fac. ant., in je zwei Äste sich gabelnd, abwärts. Von den 
vier Ästen mündet einer in Lgl. submax. I, drei in L gl. 
submax. III. 
Unterkiefer. 

1. Gefässkranz aus feinen Stämmchen an der äusseren Umschlag- 
falte. 

2. Fünf bis sechs abführende Stämme, ziemlich stark, aus 
allen Teilen des Alveolarfortsatzes abzweigend, ziehen sämtlich zu 
Lgl.subm. I. 

Drüsen. 

Regio submentalis: siehe oben rechte Seite. 

Trigonum subm. sinistrum: 

Drüse I ausserordentlich klein, tiefer als normal gelegen und nicht 

injiziert. Befund analog dem der rechten Seite. 

Drüse II typisch gelegen in normaler Grösse. Ihre Rolle als Haupt- 

drüse auch für die Oberkiefer-Abflüsse hat sie in diesem Falle abgetreten an 

Drüse III, die dementsprechend auch besonders stark entwickelt ist. 

Sie besteht aus zwei Knoten, jeder von der Grösse einer kleinen Bohne. Die 
Gruppe hat wieder die tiefe Lage an der Gabel zwischen Vv. fac. ant. und 
post., eine Drüse in der Gabel, die andere medial von derselben. 

Von den Knoten ist nur der laterale gefüllt. 


Der Vollständigkeit halber schliesse ich nunmehr noch eine 
kurze Aufzählung der übrigen zur ersten Reihe gehörigen Fälle 
an, bei denen es sich zum Teil um ältere und eine weniger voll- 
kommene Gefässfüllung aufweisende Präparate handelt, unter 
kurzer Hervorhebung der, abgesehen von Einzelheiten, nichts 
wesentlich Neues bietenden Befunde. 


Bat -VIMR 


Prot. Nr. 3. 17. November 1905. Neugeborenes Mädchen, 
ca. acht Tage nach der Geburt injiziert. Injektion des gesamten 
Zahnfleisches an der Labial-Buccal-Seite. 


Georg Schweitzer 


(ee 
{er} 


Kechtesnerte: 
Oberkiefer. 
1. Geflecht aus drei Gefässen an der Umschlagfalte. 
Abführende Gefässe: 
a) Aus der Frontz ahn- und Praemolargegend drei Stämmchen 
zur Submax. I. 
b) Aus der Molargegend ein in drei Äste sich spaltendes Ge- 
fäss zu Drüse II. 
Unterkiefer. 
1. Geflecht aus drei Gefässen an der äusseren Umschlagfalte. 
2. Drei abführende Gefässe zu Drüse I. 
Drüsen 

Trigonum submax. dextrum: 

1. Drei einzelne Drüsen in typischer Lage. Drüse I ist nur sekundär 
von II aus gefüllt. Die direkten Zuflüsse, die sonst meist an 
der Lingualfläche des Unterkiefers herablaufen, fehlen. 

2, Von Drüse I aus zieht ein Gefäss quer über den 
vorderen Biventer-Bauch zu einer am medialen Rande 
desselben dicht oberhalb des Zungenbeins gelegenen, 
injizierten Submentaldrüse (untere Gruppe, vgl. Fall V, S. 840). 

3. Ein vom Submax. II ausgehendes Gefäss mündet in den obersten 
Knoten der tiefen Cervicaldrüsen (Jugularis-Kette). 


-. 


Linke Seite. 
Unvollkommene Injektion. 
OÖberkiefer. . 
Drei Stämme zu Drüse Il. 
Unterkieteir. 
Keine Gefässe gefüllt. Submaxillardrüsen liegen typisch. 
Drüse I ist nursekundär von Il aus, Drüselll gar nicht gefüllt. 
Subm’entaldrüsen nicht gefüllt. 


Fall IX. 


Prot. Nr. 4. 6. Dezember 1905. Neugeborener Knabe. Drei 
Tage nach der Geburt injiziert. 


Rechte Seite. 
Oberkiefer. 
1. An der Umschlagfalte entlang ziehen zwei Gefässe nach 
lateralwärts bis zum Bett der V. fac. ant. 
2. Abführende Gefässe: 

a) Aus der Gegend der Frontzähne und Praemolaren drei 
Stämme im Bett der V. fac. ant. zu Drüse Il. 

b) Aus der Molargegend zwei Gefässe am vorderen Masseter- 
Rand entlang, von denen eins zu Drüse II, eins zu Drüse III 
zieht. 

Zwischen allen Gefässen Anastomosen. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 347 


Unterkiefer. 

Es sind nur abführende Stämmcehen im Periost der äusseren Kiefer- 
fläche festzustellen. 

Aus der Gegend der Frontzähne ziehen zwei Gefässe nach lateral- 
abwärts. je eines zu Drüse II und Ill. 

Ein drittes Gefäss, dessen Oberlauf bis nahe der Medianlinie in die 
Frontzahngegend zu verfolgen ist, begibt sich über die äussere Kiefer- 
fläche hinweg, unter den Oberkiefergefässen hindurch, zu Drüse III. 
Drüsen im Submaxillar-Dreieck: 

Drüse I besteht aus einer Gruppe von fünf kleinen Knötchen 
in typischer Lage. 

Drüse III liegt in der Gabel zwischen Vv. fac. ant. und post., also 
tiefer als normal. 

Drüse II ist die grösste Drüse; ihre Lage ist die typische. 

Zwischen den Drüsen Kommunikations gefässe. 

Submentaldrüsen nicht gefüllt. 

Linke Seite. 
Oberkiefer. 

Es ist nur ein zu Drüse II ziehendes Gefäss im Bett der Vena facialis 
ant. festzustellen. 
Unterkiefer. 

Zwei Gefässe ziehen aus der Medianpartie des Unterkiefer-Zahn- 
fleisches mit der Art. lab. inf. bezw. maxill. ext. zu Drüse II und mit einem 
Ast zu Drüse II. 

Drüsen. 

Die drei Submaxillardrüsen liegen typisch, Drüse II ist von besonders 
auffallender Grösse. Drüse I ist nur sekundär von II aus gefüllt nnd 
sehr klein. Submentaldrüsen nicht gefüllt. 


Ball X 


Prot. Nr. 6. 18. Januar 1906. Neugeborener Knabe, drei 
bis vier Tage post partum injiziert. Injektion des gesamten 
Zahntleisches. 

Nur die linke Seite war für die Zwecke dieser Arbeit verwendbar, da 
auf der rechten Seite versehentlich eine Injektion von andern Gesichtsweich- 
teilen ausser dem Zahnfleisch nachträglich stattgefunden hatte. Eine Präparation 
der Zahnfleischgefässe allein liess sich mit Rücksicht auf die teilweise ober- 
flächlicher verlaufenden Gefässe aus den andern Injektionsgebieten nicht vor- 
nehmen. 

Linke Seite. 
Öberkiefer. 

1. An der oberen Umschlagfalte entlang ein Geflecht, gebildet 

aus mehreren, ca. drei Gefässen. 

2, Abführende Gefässe: 

a) Aus der vom Zahnfleisch ausindirektmitinjizierten Oberlippe ein 
Gefäss zu Drüse II, mit einem starken Zweig zu Drüse II. 


845 Georg Schweitzer: 


b) Aus dem Zahnfleisch der Incisivus- bis Praemolargegend 
drei Gefässe zu Drüse II. 
c) Aus der Molargegend ein Gefäss zu Drüse III. 


Unterkiefer. 
1. Anderäusseren unteren Umschlagfalte ein Kranzgeflecht 
aus zwei (refässen. 
2. Nur aus der Praemolar-Gegend zweigen zwei Stämmchen ab 
zu Drüse II. 
Drüsen. 
1. Submentaldrüsen nicht gefüllt. 
2. Im Submaxillar-Dreieck liegen: 
Drüse II typisch medial von der Art. max. ext. am Unter- 
kieferrand. 
Drüse III hat die tiefe Lage im Winkel zwischen Vena fac. 
ant. und post. 
Drüse I dagegen ist unauffindbar. 
3. Von Drüse II führt ein dicker Zweig an der Vena fac. comm. 
entlang zu dem bekannten typisch gelegenen Anfangsknoten 
der Jugularis-Kette. (Lgl. cerv. prof.) 


Fall XI. 
Prot. Nr. 7. 19. Januar 1906. Weiblicher Fetus von ca. 
35 cm Länge, vor drei Tagen geboren. Zahnfleisch-Injektion. 


Linke Seite. 
Oberkiefer. 
1. An der Umschlagfalte entlang um den Alveolarfortsatz herum 
ein Kranzgeflecht von zwei bis vier Gefässen. 
2. Abführende Gefässe: 
Vier Stämmchen, auf die ganze Kieferhälfte verteilt, ziehen an 
der Wange abwärts unter teilweiser Gabelung. 
Drei Zuflüsse, davon zwei aus der Molargegend, münden in 
Drüse II, die übrigen in Drüse II. 
Unterkiefer. 
1. An der äusseren unteren Umschlagfalte zwei Kranz-Gefässe. 


2. Abführende Stämmchen: 
Eins aus der Incisivus-Gegend, drei dicht nebeneinander 


aus der Praemolar-Gegend zu Drüse II. 

Drüsen. 

Im Submaxillardreieck ist 

Drüse I nicht auffindbar. (Bei der ausserordentlich geringen Grösse 
des Objekts vielleicht — da nicht injiziert — mit fortpräpariert.) 

Drüse II und III sind Einzeldrüsen in typischer Lage, durch ein 
starkes-Kommunikations-Gefäss verbunden. 

Keine gefüllten Submentaldrüsen. 


PETE 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 549 


Rechte Seite. 
Oberkiefer. 
1. Nur ein Gefäss zieht an der Umschlagfalte um den Alveolar- 
wulst herum. 
2. Abführende Stämmchen: 
Im Ganzen zweigen drei Gefässchen von der Umschlagfalte in 
den drei Kieferregionen ab. Das am meisten mediale zieht 
zu Drüse II, die beiden andern zu Drüse III. 
Unterkiefer. 
Es ist nur ein Stämmchen, aus der Öaninusgegend über die äussere 
Kieferfläche zu Drüse II verlaufend, zu erkennen. 
Drüsen im Submaxillar-Dreieck: 
Drüse I ist in typischer Lage vorhanden, jedoch nicht gefüllt. 
Drüse II ist wieder die grösste Drüse. 
Drüse III besteht aus vier kleinen Knötchen, welche, zwei medial, 


zwei lateral der Vena facialis anterior oberhalb und unterhalb der Ein- 


mündungsstelle der V. submentalis anliegen. Nur die beiden oberen dieser 
Knötchen sind gefüllt. 
Keine gefüllten Submentaldrüsen. 


Tiefe Injektion des Zahnfleisches und der Alveolen 
beim Neugeborenen bezw. Fetus. 


In diesem Abschnitt möchte ich die Beschreibung von drei 
Fällen bringen, in denen die Injektion hinsichtlich der Tiefe 


des Einstiches ein wenig modifiziert wurde. Es ergaben sich 


hierdurch unerwartet neue Lymphbahnen, deren Verlauf einen 
wertvollen Beitrag zu bieten imstande ist für die Entscheidung 


der Frage, ob die bisher für das Zahnfleisch als regionäre 


Drüsen in Anspruch genommenen Submaxillardrüsen auch für 
die Zähne selbst als zugehörig zu betrachten sind, wenn diese 
letzteren, d.h. ihre Pulpa, wie noch nachzuweisen sein wird, eben- 
falls Lymphbahnen besitzen. 

Zur Injektion wurden zunächst benutzt zwei Feten von ca. 
31 und 35 cm Länge, also etwa im sechsten bis siebenten Fetal- 
monat. Bei beiden wurde die Glaskanüle der Injektionsspritze 
nicht oberflächlich, wie sonst, in das Zahnfleisch eingestochen, 
sondern in die Tiefe in Richtung auf die Alveolen hin, 
über deren genaue Lage ich mich an andern Kinderleichen vorher 
informiert hatte. Der Einstich wurde so tief geführt, dass ich 
hoffen konnte, das Zahnfleisch in der Tiefe in unmittelbarer 
Nachbarschaft der bekanntlich nach dem Alveolarrand zu offenen 


s50 Georg Schweitzer: 


Alveolen, bezw. den Inhalt der Alveolen selbst. die ziemlich starke 
Bindegewebslage zwischen Zahnsäckchen und der periostalen Aus- 
kleidung der Alveole oder aber sogar Zahnsäckchen und Zahnpapille, 
d. h. die embryonale Zahnpulpa, zu injizieren. 

Bei dem kleineren Fetus lag mir ausserdem daran, festzu- 
stellen, wie weit bereits in diesem Frühstadium die Entwicklung 
des von mir bearbeiteten Zahnfleisch-Lymphgefässsystems vor- 
geschritten ist. 

Was diese letztere Frage anlangt, so ergab sich, wie ich 
gleich vorwegnehmen möchte, dass Lymphgefässe sowohl 
wie Drüsen, wenn auch dünn und klein, so doch vollkommen 
typisch in Verlauf bezw. Lage bereits ausgebildet waren. 
Die Beschreibung der Fälle, die ich nunmehr folgen lasse, wird 
dies erläutern. 

Fall XHO. 

Prot. Nr. 9. 23. Februar 1906. Männlicher Fetus von 
ca. 31 em Länge. 

Nach Injektion der Incisivus-Gegend wurde der Kopf behufs 
Erleichterung der weiteren Injektion sagittal halbiert. Tiefe 
Injektion. wie oben beschrieben. Rechterseits keine Gefäss- 
füllung. Die linke Schädelhälfte wurde zunächst mit der Lupe, 
soweit möglich, auspräpariert und in Formalin eingelegt. Nach 
mehreren Tagen wurde dieselbe durch Entfernung der hinteren 
Schädelpartieen und des Schädeldaches tunlichst verkleinert und 
nach Entwässerung in steigendem Alkohol behufs Erreichung einer 
gewissen Durchsichtigkeit mit Xylol durchtränkt. Zur darauf- 
folgenden Betrachtung des Objektes in Xylol verwandte ich eine 
Leitzsche Stativlupe. Das durchfallende Licht des Lupenspiegels 
liess die tiefblau injizierten Gefässe deutlich aus dem mehr oder 
weniger durchsichtigen Gewebe hervortreten. 

Ich habe dieses leider etwas kostspielige Aufhellungsverfahren 
mit Vorteil bei kleineren Präparaten häufig angewandt. 

Die Lupenbetrachtung ergibt nun folgendes Resultat: 

Rechte Gesichtsseite. 
Oberkiefer. 


Aus einem dichten Gefässgeflecht in Höhe der Umschlagfalte führen 
drei Stämmchen, die sich später, am oberen Rand des Unterkiefers, zu einem 
stärkeren Gefäss vereinen, zwischen Art. max. ext. und V. fac. ant. abwärts 
zur Submaxillardrüse II. 


er 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. s5l 


Unterkiefer. 
Aus einem Geflecht ander Umschlagfalte ziehen 3 Stämmchen, 
ziemlich parallel, lateral abwärts zur Submaxillardrüse I hin. 


Drüsen. 

Die Submaxillardrüsen I und II sind typisch gelegene Einzel- 
knoten, Drüse III besteht aus drei Drüschen, von denen aber nur eines 
injiziert ist. 

Submentaldrüsen nicht gefunden. 


Besondere Ergebnisse: 


Im Oberkiefer sieht man ausser den beschriebenen, dem Zahn- 
fleisch entstammenden Lymphgefässen 5—6 Stämmehen zum Teil in Be- 
gleitung der Vena facialis anterior im Öberkieferperiost oberhalb der 
Umschlagfalteherabkommen aus der Gegend des Foramen infraorbitale 
bezw. des unteren Orbitalrandes. In dichtem Anschluss an die Vene ziehen 
nur zwei dieser Stämmchen, sie vereinigen sich etwa in Höhe des Mund- 
winkels mit den Oberkieferzahnfleisch- Gefässen zu dem einen bereits oben 
erwähnten, in die Submaxillaris Il einmündenden Stamme. Die anderen be- 
geben sich aus der Gegend des Foramen infraorbitale zunächst lateralwärts bis 
etwa in Höhe des lateralen Augenwinkels und ziehen dann, sich stets lateral 
von der Gesichtsvene haltend, abwärts, um ebenfalls zum Schluss in einen 
stärkeren Stamm zusammenfliessend, in die Drüse III einzumünden. 


Um nun genaueren Aufschluss über den Ursprung dieser 
aus dem Foramen infraorbitale bezw. auch aus kleinen Neben- 
Foramina heraustretenden Gefässe im Kiefer selbst zu erhalten, 
wurden die Alveolen und ihre Umgebung durch Fortnahme des 
Orbital-Bodens und des Gaumens von palatinalwärts her frei- 
gelegt. 

Es zeigten sich sämtliche fünf Alveolen stark mit Injektionsfarbe 


gefüllt und über ihnen, in dem schmalen, mit schwammigem Knochengewebe 
teilweise angefüllten Raum!) bis zum Boden der Orbita, ein dichtes Netz 


!‘, Bekanntlich zeigt gerade dieser Teil des Schädels beim Embryo 
bezw. Neugeborenen noch wesentliche Bau-Unterschiede gegenüber den Kiefer- 
verhältnissen des ausgebildeten Schädels. Es sei hierüber folgendes bemerkt: 
Ein Kieferkörper ist kaum vorhanden. Der Alveolarfortsatz steigt bis an 
den Nasenboden bezw..mehr lateralwärts an den Boden der Orbita empor, sodass 
die untere Wand der Augenhöhle mit der vierten und fünften Alveole, der 
Canalis infraorbitalis mit der vierten Alveole im Kontakt steht, die Schneidezahn- 
Alveolen wölben den Nasenboden leicht gegen die Nasenhöhle vor. Die 
Kieferhöhle bildet beim Neugeborenen eine kleine Vertiefung an der äusseren 
Nasenwand von sehr geringer Höhe, deren vorderes Ende knapp hinter dem 
Suleus lacrimalis sich befindet. Die Höhle stösst lateralwärts an den Canalis 
infraorbitalis. Dieser letztere liegt nicht frei, wie im ausgebildeten Zustande, 


852 Georg Schweitzer: 


von Gefässen, aus dem heraus dann die von aussen präparierten Lymph- 
gefässstämmchen auf die faciale Kieferfläche treten. 


Es führen hiernach also Lymphgefässe aus 
den tiefsten Schichten des Zahnfleisches bezw. 
aus den Alveolen nicht nur durch das Zahnfleisch selbst, 
sondern auf einem Umwege, wahrscheinlich den Zahn-Blut- 
bahnen auf einem Teil ihres Weges folgend, durch die Knochen- 
spongiosa über den Alveolen hindurch, aus dem Foramen 
infraorbitale und dessen Umgebung und schliess- 
lich auf der Wange abwärts zu den submaxillaren 
Drüsen. 

Eine Bestätigung findet dieser Befund durch die weiteren 
Präparate, bei denen eine noch reichere Injektion der in Betracht 
kommenden Bahnen erzielt worden ist. 


Fall XI. 


Prot. Nr. 8. 31. Januar 1906. Männlicher Fetus, ca. 35 cm 
lang. Im Unterkiefer wurden die Alveolen der Ineisivi und 
Canini durch Abtragen des deckenden Zahnfleisches freigelegt 
und ein Einstich in die Zahnkeime, mit scharfem Ruck bei 
möglichst spitzer Kanüle, vollführt. Der übrige Unterkiefer sowie 
der gesamte Oberkiefer wurden in der bei Fall XII beschriebenen 
Weise durch tiefen Einstich in das Zahnfleisch in Richtung auf 
die Alveolen, ohne Freilegung derselben, injiziert. Der Kopf 
wurde durch Sagittalschnitt halbiert, beide Hälften in Formol 
konserviert. Die nach einigen Tagen vorgenommene Präparation 
ergab das folgende von den bisherigen Befunden ın Einzelheiten 
abweichende Resultat: 


Rechte Gesichtsseite. 


Aus dem Foramen infraorbitale, und zwar in diesem Falle an- 
scheinend nur aus diesem, nicht aus der Nachbarschaft, soweit dies durch 
Präparation sich feststellen liess, treten vier starke Lymphgefässe auf | 
die faciale Fläche der Maxilla. 


sondern ist in schwammiges Knochengewebe, besonders nach dem Jochfortsatz 
zu, eingehüllt. 

Hinsichtlich der inneren Bauverhältnisse der Alveolarfortsätze, der 
Zahnfächer, der Nischen für die bleibenden Zähne, der Struktur der Zahn- 
keime verweise ich auf die sehr eingehende Beschreibung aller dieser 
anatomischen Verhältnisse in dem von Zuckerkandl bearbeiteten Teil 
..Makroskopische Anatomie“ des Handbuches der Zahnheilkunde, heraus- 
gegeben von Dr. J. Scheff. Bd.I. 1902. S. 129—216. 


22 122 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 553 


Von diesen zieht eines, nachdem es sich bald in zwei weiterhin parallel 
laufende Stämmchen geteilt hat, direkt lateralwärts nach dem Ohr zu. Die 
beiden Stämmchen füllen eine starke etwa in Höhe des Tragus in der 
Tiefe der Parotis-Substanz gelegene Lymphdrüse. 


Von dieser Lymphdrüse aus ziehen durch die Substanz der Speichel- 
drüse hindurch nach abwärts in Begleitung der dort verlaufenden Art. 
temp. superficialis bezw. Vena fac. post. fünf Gefässe, welche noch zwei weiter 
abwärts der Art. temporal. superf. aufliegende kleinere Drüsenstationen füllen. 
Von der unteren dieser Stationen zieht ein starker Stamm in ziemlich ge- 
wundenem Verlauf unter dem hinteren Bauch des M. biventer hindurch zu 
der sich wieder typisch in der von V.fac. comm. und V. jugul. interna ge- 
bildeten Gabel präsentierenden Hauptstation der tiefen Üervical- 
drüsen, zwei starken Drüsen, welche ausserdem noch Innen-Zuflüsse 
vom Zahnfleisch des Ober- und Unterkiefers, also auf dem Gaumenwege 
bezw. an der lingualen Fläche des Unterkiefers entlang, erhalten. 


Von hier aus ist der Injektionsstrom aber noch weiter gedrungen. 
Zunächst ist eine lateral von der V. jugularis unter dem M. sternocleido- 
mastoideus etwas tiefer als die vorerwähnte Anfangsstation gelegene Gruppe 
von insgesamt 10 kleineren Drüsen-Individuen, die sämtlich durch kleine 
Stämmchen miteinander in Verbindung stehen, gefüllt. Von der tiefst ge- 
legenen Drüse dieser Gruppe führt ein ausnehmend starkes Gefäss an der 
V. jugularis abwärts zu einer an der Kreuzung dieser Vene mit dem 
M. omohyoideus befindlichen Drüse und durch diese reichlich gefüllte 
Drüse hindurch noch weiter abwärts bis zur Abtrennungsstelle des 
Kopfes vom übrigen Körper. (Die Abtrennung erfolgte vor der Präparation). 

Die andern drei aus dem Foramen infraorbitale heraus- 
tretenden Gefässe folgen im allgemeinen dem Lauf der Vena facialis ant. 
Nur eines, das am meisten laterale, biegt etwa in Höhe des oberen Unter- 
kieferrandes scharf nach lateralwärts ab und zieht quer über den unteren Teil 
des Masseter zu einer starken, am unteren Parotispol gelegenen 
oberflächlichen Vervicaldrüse. 

Die beiden im Bett der V.fac. ant. verbleibenden (Gefässe ziehen je 
eines zu den typisch gelegenen Submaxillar-Drüsen II und III. 

Diese beiden Drüsen erhalten ausserdem, wie sonst, noch äussere 
Zuflüsse aus dem Zahnfleisch des ÖOber- und Unterkiefers. Von der 
Umschlagfalte beider Kiefer sieht man je zwei Gefässe in ‚gewöhnlicher 
Weise zum Submaxillardreieck ziehen, die beiden Oberkiefergefässe auf einer 
kurzen Strecke zu einem Gefäss vereint. Diese letzteren Gefässe verlaufen 
zu Drüse II und III, während die beiden Unterkiefergefässe, in ihrem 
ganzen Lauf getrennt, in Drüse II einmünden. 

Die Submaxillardrüse I ist, wie häufig, nicht gefüllt. 

Keine gefüllten Submentaldrüsen. 


Dieses Präparat bringt ferner wiederum eine Injektion der 
vom Zahnfleisch aus nach palatinal- bezw. lingualwärts ab- 
führenden „inneren“ Abflusswege. 


’ 


s54 Georg Schweitzer: 


Im Oberkiefer verlassen zwei starke Gefässe das laterale Ende des 
Alveolarfortsatzes, ziehen auf dem bereits beschriebenen (S. 827) Wege über 
weichen Gaumen, Pharynxwand abwärts und gelangen schliesslich, in einem 
Teil ihres Laufes um die Art. lingualis sich herumschlängelnd, zum medialen 
Knoten der bekannten Anfangsgruppe der Jugularis-Kette der 
Lgll.cervicales profundae. 


Im Unterkiefer zieht etwa von der Kiefermitte aus ein Stamm 
an der Lingualfläche des Kiefers, die innere untere Umschlagfalte entlang 
bis zum lateralen Ende derselben, alsdann in mehrere Ästehen zergliedert an 
der Innenfläche des M. pterygoideus int. abwärts, bis er schliesslich, in der 
Nähe der Abzweigung der Art. lingualis von der Carotis ext. angelangt, über 
diese letztere hinweg sich in den lateralen Knoten der Hauptstation 
der tiefen Cervicaldrüsen einsenkt. 

Verbindungen zwischen den Submaxillardrüsen und den zahlreich ge- 
füllten tiefen Cervicaldrüsen sind auf dieser Halsseite nicht injiziert worden. 


Linke Seite, 


Auch hier treten etwa vier Stämmehen in der Gegend des 
Foramen infraorbitale auf die faciale Wand des Oberkiefers heraus. Sie 
begeben sich, ein starker, drei zartere Stämme in das Bett der Vena fac. 
ant., nehmen in Höhe des Mundwinkels noch zwei Zuflüsse aus dem Ober- 
kiefer-Zahnfleisch auf und münden, schliesslich zu zwei stärkeren Gefässen 
vereint, in de Submaxillardrüsen II und II. 

Die Submaxillaris Il erhält auch zwei Unterkiefergefässe, die 
auf der äusseren Kieferfläche herabkommen. 

Die Lgl. submax.I ist auch auf dieser Seite vorhanden, aber nicht 
mit Farbstoff gefüllt. 

Lgl. submax. II liegt typisch der Art. max. ext. auf. 

Lgl. submax. 1II besteht aus einer starken Drüse dicht lateral von 
der V. fac. ant. und einem etwas tiefer gelegenen Anhangsknoten. Dieser 
Anhangsknoten ist gefüllt sowohl von Drüse II wie III aus. 

Ferner ist wiederum injiziert der Hauptknoten der tiefen 
Uervicaldrüsen, eine starke Einzeldrüse in der bekannten Venengabel, 
durch mehrere von Submaxillaris II aus unter dem hinteren Biventerbauch 
hindurchlaufende starke Stämme. 

Schliesslich ist von dieser Station aus noch eine weitere Etappe, 
eine dicht medial von der V. jugul. interna ein wenig oberhalb der Kreuzung 
mit dem M.omohyoideus gelegene starke Drüse, gefüllt. 

Submentaldrüsen: wie rechts. 


Aus den vorbeschriebenen makroskopischen Ergebnissen des 
Falles XIII sei nochmals als wichtig hervorgehoben: 
l. das Hervorkommen von Gefässen aus dem 


Foramen infraorbitale an beiden Kopfhälften, 
jederseits vier Gefässe. 


u 227 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 555 


2. die Füllung von tiefen Parotisdrüsen auf der 
rechten Seite durch eine der sub 1 erwähnten Lymphbahnen, 
3. das Fehlen einer Füllung bei Lgl. submax. I 
auf beiden Seiten, 
4. die reichliche Füllung auch der tiefen (Cervical-) 
Drüsengruppen. 
Auf der rechten Seite sind trotz Fehlens einer Injektion 
der Submaxillar-Drüse I gefüllt: 
2 Submanxillar-Drüsen 
3 tiefe Parotis-Drüsen 
1 oberflächliche Cervical-Drüse 
13 tiefe h 


—= 19 Drüsen. 


Von beiden Seiten wurde nunmehr ein Kieferstück. um- 
fassend laterale Nasenwand, Alveolarfortsatz und Boden der Orbita 
exeidiert. Beide Stücke wurden entkalkt, das der linken Seite 
in Xylol nach Möglichkeit aufgehellt, das der rechten in 
Celloidin gebracht und in eine Schnittserie zerlegt. 

Die Aufhellung in Xylol gelang bei der Dicke des Präpa- 
rates leider nicht so weit, dass der Zweck, die weitere Verfolgung 
der aus dem Infraorbitalkanal hervortretenden Gefässe bis zu 
ihrem Ursprung, völlig erreicht wurde. 

Man sieht unter der Stativlupe bei stark durchfallendem 
Licht von der Orbitalseite aus. wenn man das auspräparierte 
(sefäss-Nervenbündel des nach der Augenhöhle zu offenen Infra- 
orbitalkanals in die Höhe hebt, ein dichtes (Gefässnetz in der 
Alveolenwand des ersten Milchmolaren, das sich nach den Seiten 
zu fortsetzt. durch den Boden der Orbita hindurchschimmern, 
aus dem dann nahe der facialen Kieferwand Lymphgefässe nach 
dem For. infraorbitale zu verlaufen. Bei Betrachtung von der 
Facialseite her kann man einige Stämmchen ein kurzes Stückchen 
weit in das Foramen infraorbitale hinein verfolgen. Unter Berück- 
sichtigung der anatomischen Verhältnisse des Kiefers in den letzten 
Fetalmonaten lässt sich aus diesen Befunden schliessen, dass die 
aus dem For. infraorb. hervortretenden Gefässe 
ziemlich bestimmt in den Zahnalveolen ihren 
Ursprung nehmen. Ob sie nun im Zahnsäckchen und der 
dieses umhüllenden Bindegewebsschicht oder aus der Zahnpapille 


56 Georg Schweitzer: 


selbst, der embryonalen Pulpa, entspringen. wird festzustellen 
sein. Die in dieser Hinsicht wichtige Aufschlüsse gebende Schnitt- 
serie des Kieferabschnitts der rechten Seite wird in dem zweiten, 
mikroskopischen Teil dieser Arbeit des Zusammenhangs wegen 
besprochen werden (vgl. S. 893 ff. ). 

Dass die bei den beiden soeben beschriebenen Präparaten 
erzielten besonderen Resultate sich auch beim ausgetragenen 
Neugeborenen entsprechend ergeben, zeigt uns das nun zur 
Beschreibung gelangende Präparat. 

Fall XIV. 

Prot. Nr. 11. 7. März 1906. Ausgetragenes weibliches 
Neugeborenes, ca. 24 Stunden alt. 

Bei dem relativ sehr frischen Präparat wurde eine Blutgefäss- 
injektion mit Carminleim von der Carotis communis aus vorgenommen, aller- 
dings, was die beabsichtigte Füllung der feinen Verzweigungen und Kapil- 
laren im Zahnfleisch anlangt, mit unzureichendem Erfolg. Ein längeres 
Durchhalten der Injektion, auf dessen Notwendigkeit gerade zur Füllung des 
Zahnfleisches v. Metnitz (39, S. 59) laut meiner nachträglichen Feststellung 
hinweist, würde bessere Resultate in dieser Hinsicht gezeitigt haben. 

Ausser der Blutgefäss-Injektion fand die gewöhnliche Lymph- 
gefäss-Injektion des gesamten Zahnfleisches statt. 

Die Präparation zeigte ein durchaus günstiges Resultat, 
wieder ein Beweis für die ausserordentliche Eignung möglichst 
frischer Objekte zu Lymphgefäss-Injektionen. 


Rechte Gesichtsseite. 


Obwohl bei der Injektion absichtlich nicht in die Alveolen hinein, 
sondern nur in die Tiefe bis dicht an sie heran, soweit sich dies abmessen 
liess, eingestochen wurde, gelang es doch, wiederum zwei starke Gefässe in 
ihrem Lauf auf dem Öberkiefer-Periost rückwärts bis zu ihrer Austritts- 
stelle im bezw. neben dem Foramen infraorbitale zu verfolgen. Die 
Gefässe ziehen mit der V. fac. anterior, teilweise von ihr gedeckt, abwärts 
zur Submaxillardrüsengruppe Il und zwar zum lateralen der beiden 
sich in dieser Gruppe vereinigenden Lymphknoten. Im übrigen sind auch 
die typischen Lymphbahnen vom Zahnfleisch aus, sowohl Aussen- wie 
Innen-Wege, gut gefüllt. 

OÖberkiefer. Aussen-Abflüsse: 

1. Kranzgeflecht an der Umschlagfalte entlang. 

2. Abführende Gefässe: 

a) Zwei Stämmchen aus der Frontzahngegend zu Suh- 
maxillardrüse II und Ill. 

b) Ein Stämmchen etwa aus der Praemolargegend zu Suh- 
maxillaris III. 


EDEIDWEREBPLEEERER € 


orr 
d 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 


( 


c) Ein Stämmchen aus der lateralen Endregion des Alveolar- 
fortsatzes, teilweise zunächst vom M. masseter gedeckt, später 
wie die andern Gefässe der Vena fac. ant. sich anschliessend, 

, zur medialen Drüse der Submaxillaris Il. 

Unterkiefer. -Aussen-Abflüsse: 

Aus den verschiedenen Zahnfleischregionen gehen von der Umschlag- 
falte aus vier bis fünf Stämmcehen zu den submaxillaren Drüsen und zwar 
zwei zuSubmaxillaris I, die übrigen zuSubmaxillaris I. 
Drüsen im Trigonum submaxillare dextrum. 

Die Submaxillardrüsen sind nicht nur der Grösse der einzelnen Drüsen- 
knoten, sondern auch der Zahl nach besonders stark entwickelt. 

Jede der drei Gruppen besteht aus zwei stärkeren Drüsen, mithin sind 
also sechs vollwertige Submaxillardrüsen vorhanden; die Lage der 
Drüsengruppen entspricht dem Typus. Die grössten Drüsen enthält, ihrer 
Bedeutung entsprechend, Gruppe II, es folgt dann Gruppe III und schliess- 
lich Gruppe I. 

Submentaldrüsen wurden nicht injiziert gefunden. 
Unterkiefer. Innen-Abflüsse. 

Als wiehtigstes Moment sei hier zunächst hervorgehoben, dass 
in diesem Fall entgegen den sonstigen Befunden dieSubmaxillar- 
drüsen, wenigstens überwiegend, als Empfänger der Innen-Ab- 


= 


tlüsse vom Unterkiefer-Zahnfleisch in die Erscheinung treten. 


a) Aus der Frontzahngegend zieht, wie es auch sonst die Regel 
ist, ein Gefäss an der lingualen Kieferfläche durch den M. mylo- 
hyoideus hindurch zur Gruppe I. 

b) Aus der Mittelpartie der Kieferhälfte ziehen zwei weitere 
Stämmcehen ebenfalls zur Gruppe I, laterale Drüse. 

e) Aus der seitlichen Endregion des Unterkiefers, also etwa der 
Molargegend, sieht man vom inneren Rande des Zahnfleisches drei 
Stämmchen entspringen. Zwei von ihnen ziehen zunächst ein 
Stückchen auf der oralen Fläche des M. mylohyoideus bis zu 
dessen dorsalem Rand, laufen dann an der inneren Seite des M. 
pterygoid. internus abwärts, um die Unterkieferbasis herum 
zur Submaxillardrüse III. Das dritte Gefäss folgt dem Laufe 
der beiden vorbeschriebenen bis auf die mediale Seite des M. ptery- 
solid. int. In dem diesem Muskel aufliegenden Teil sind in das 
Gefäss zwei Schaltdrüsen von Hirsekorngrösse eingeschaltet. 
Das Gefäss zieht dann auf dem aus früheren Befunden bekannten 
Wege zwischen den Halsmuskeln zur Hauptstation der tiefen 
Uervicaldrüsen, einer Gruppe von drei Drüsen, von denen eine 
sich entsprechend den Verhältnissen der Submaxillardrüsen durch 
besondere Grösse auszeichnet. Sie liegt an den grossen Hals- 
gefässen, zum Teil bedeckt vom hinteren Biventerbauch. 

Von dieser Gruppe aus führt ein dicker Stamm halsabwärts 
zu einer ca.2 em tiefer der V. jugul.int. lateral anliegenden 


stärkeren Driüse. 
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 69. 56 


Georg Schweitzer: 


Öberkiefer, Innen-Abflüsse. 
(Hierzu Fig. 2, Taf. XX VII.) 

Das vorliegende Präparat zeigte die beste Injektion der 
Innen-Abflüsse vom Oberkiefer; ich werde daher diese Abtlüsse, 
besonders soweit sie bisher noch nicht beschrieben wurden, aus- 
führlich behandeln. 

Nachdem makroskopisch durch Präparation der Verlauf der 
abführenden Gefässe bis zu ihrer Einmündung in die zugehörigen 
Drüsen festgestellt, gezeichnet und protokolliert war, wurde der 
gesamte harte Gaumen durch horizontal geführten Meisselschlag 
oberhalb des Alveolarfortsatzes vom Kiefer abgesprengt und der 
weiche Gaumen dicht über der Uvula abgetrennt. 

Alsdann wurde versucht, die Schleimhaut des Gaumendaches 
und des Alveolarfortsatzes gänzlich abzupräparieren, doch gelang 
dies nur beim Alveolarfortsatz der rechten Seite, in der Wölbung 
des Gaumendaches sowie zum Teil am weichen Gaumen. Die 
forcierte Abschälung der Schleimhaut an den andern Stellen 
würde bei der ausserordentlich festen Anheftung derselben an 
den darunter liegenden Knochen eine Zerreissung der in der 
Submucosa liegenden Lymphgefässnetze zur Folge gehabt haben, 
weshalb ich von einer völligen Ablösung der Schleimhaut Abstand 
nehmen musste. Das Gaumenpräparat wurde darauf entwässert 
und in Xylol aufgehellt. Der Erfolg war, wie die Abbildung 
Fig. 2, Taf. XXVII zeigt, ein günstiger. Nur an den nicht von 
dem dicken Epithel der Schleimhaut befreiten Stellen blieben die 
in der Tiefe gelegenen Lymphgefässe unsichtbar. Das Präparat 
wurde mit der Lupe bei auffallendem Licht gezeichnet; zur 
schärferen Durchleuchtung des Objektes zwecks genauerer Fest- 
stellung von Einzelheiten benutzte ich wiederum mit Vorteil das 
durchfallende Licht der Leitzschen Stativlupe (Vergr. 3:1.) 

1. Die Schleimhaut des Alveolar-Fortsatzes ist von einem 

ausserordentlich feinen Maschenwerk von Lymph- 
gefässen netzartig über- und durchzogen; schon 
Sappey (56) weist auf die ausserordentliche Zartheit 
und Dichte dieses Netzes hin. Die Reste des, auch 
in der abpräparierten Tunica propria der Gaumen- 
schleimhaut vorhandenen, oberflächlicheren und eng- 
maschigen Netzes sind an den Schleimhautwülsten (Plieae 
palatinae transversae) gleichzeitig mit dem darunter in 


(8) 


Die Lymphgefüsse des Zahnfleisches. 859 


der Submucosa liegenden weitmaschigeren Netz der 
stärkeren Gefässe noch sichtbar. 


. Aus dem Lymphgefäss-Netz des Zahnfleisches führen 


zweierlei Abflusswege die Lymphe nach dem 

(raumen zu ab. 

a) In der Medianlinie laufen dicht neben der das 
Oberlippenbändehen bildenden scharf markierten Ein- 
ziehung einzelne stärkere Gefässchen etwas seitlich 
divergierend in zwei in den beiden Hälften des 
Gaumendaches gelegene Netze aus. Der Ur- 
sprung dieser Gefässe lässt sich am Frenulum entlang 
bis auf die äussere Seite des Alveolarfortsatzes ver- 
folgen, wodurch eine Verbindung zwischen den Abfluss- 
wegen der Aussen- und Innenseite, wie Sappey sie 
schon abbildet, hergestellt wird. 

Bemerkenswert ist das Verhalten dieser verbindenden 
(refässe bei ihrem Vorbeiziehen an der palatinalen 
Mündung des Canalis ineisivus. Während sie um die 
Kanalöffnung beiderseits herumbiegen, senden sie einige 
deutlich zu verfolgende Ästehen in den Trichter des 
Kanales hinein. Analog den Blutbahnen dürfte 
hierv vielhleieht, eine Verbindung auch 
zwischen den Lymphgefässnetzen der Mund- 
und Nasenschleimhaut vorliegen. 

Die Lymphgefässnetze in der Gaumenwölbung er- 
halten nun von den feinen Netzen der Alveolarfortsätze 
auch aus deren mehr lateralen Partieen netzartig 
verknüpfte zuführende Gefässe. 

Bei der Betrachtung der Gaumennetze fällt die 
wohl durch die Entwicklung des Gaumendaches be- 
gründete Rolle der medianen Raphe als einer 
ziemlich ausgeprägten Scheidewand zwischen 
‚den beiden Netzen, speziell in dem mehr nach der 
Rachenenge zu gelegenen Teile des harten Gaumens, 
auf. Nur gahz feinen Anastomosen gelingt es, diesen 
Grenzwall zu überschreiten. Das Netz der linken 
Kieferseite, also der rechten Seite der Abbildung, zeigt 
in feinen an der Raphe entlang laufenden Grenz- 


stämmchen besonders deutlich diese Eigenschaft der 
56* # 


Ss60 


Georg Schweitzer: 


Raphe, eine Verbindung der beiden Gaumennetze durch 
stärkere Gefässe zu verhindern. 

Aus den Gaumennetzen bilden sich sehr dicke, ab- 
führende Stämme, welche von Sappev (56, S. 70) und 
neuerdings von Most (40, S. 150) als typisch nach- 
gewiesen worden sind, und zwar von der linken Seite 
(in der Abbildung rechts) etwa zwei. von der rechten 
Seite ein Stamm. 

Beachtung verdient nunmehr die Tatsache, dass 
die Stämme der linken Gaumenseite, deren 
stärkere Gefässe bisher ein Überschreiten der Raphe 
durchaus vermieden hatten, an der Übergangs- 
stelle vom harten zum weichen Gaumen 
plötzlich auf die rechte Seite sich wenden 
und mit den abführenden Gefässen dieser Seite über 
den weichen Gaumen und die Pharvnxwand zu den 
regionären Drüsen, den tiefen Cervicaldrüsen, ver- 
laufen. Ein derartiger Seitenwechsel, „Entrecroise- 
ment“. wie Sappey (56) es nennt, scheint nach den 
Angaben des letzteren und Mosts (40) keineswegs 
selten, ja sogar häufiger beiderseitig vorzukommen, 
in welch letzterem Falle man dann von einer wirklichen 
„Kreuzung“ sprechen kann, die Sappev nur an dieser 
Stelle des Körpers beobachtet zu haben angibt (S. 70). 
Sappey veröffentlicht in seinem Atlas (Planche XXIII, 
Fig. 3) auch eine Abbildung dieser Kreuzung der 
Gaumengefässe. Die in der Fig. 2 abgebildete par- 
tielle Kreuzung scheint nach Sappey seltener 
als die doppelte, eigentliche Kreuzung vorzukommen. 
Mein Präparat bot mir noch einen weiteren, tiefer 
liegenden interessanten Seitenwechsel. Auf der linken 
Bildseite der Fig. 2 sehen wir hauptsächlich aus 
den Gefässnetzen dieser Seite einen Abflussstamm 
sich bilden, der auf dem weichen (saumen mehr in 
dorsaler Richtung, im Bilde senkrecht nach unten. 
verläuft. Sein allmähliches Verschwinden in den tieferen 
Schichten der Submucosa ist durch schwächere Färbung 
zum Ansdruck gebracht. Dieses hauptsächlich von 
der rechten Kieferhälfte stammende Gefäss zieht 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. Ss61 


nicht zu den Drüsen der rechten Seite, sondern wendet 
sich, nachdem es etwa zwischen den Gaumenbögen 
abwärts bis in Höhe der unteren Tonsillenspitze ge- 
langt ist, über die hintere Pharynxwand auf 
die Gegenseite, um dort in die Anfangsstation der 
tiefen Cervicaldrüsen (Jugularis-Kette) dieser Seite, 
drei Lymphknoten an der typischen Stelle gelegen, 
einzumünden. 


b) Der zweite und anscheinend. noch  reichlicher 
mit abführenden Gefässen ausgestattete, schon in 
früheren Fällen häufig injizierte Abflussweg der 
Zahnfleischlymphe über den Gaumen hinweg 
nimmt seinen Ursprung aus dem feinen Zahntleisch- 
netz hauptsächlich am lateralen Ende der Alveolar- 
fortsätze Man sieht dort ein starkes Bündel von 
(sefässen konvergierend nach den Graumenbögen zu 
verlaufen. Die Gefässe entstammen, wie die Abbildung 
zeigt, nicht nur der palatinalen Seite des 
Alveolarfortsatzes, sondern kommen zum Teil auch von 
der buccalen Seite her. Bei durchfallendem Licht 
zählte ich mit der Lupe in dem Bündel ca. 15—20 
Gefässchen, die dann nach dorsal-abwärts sich zu 
2—3 stärkeren, die charakteristische „Perlen- 
sehnur“-Form besonders deutlich zeigenden Stämmen 
vereinen. Der weitere Verlauf dieser Stämme geschieht, 
abgesehen von der oben beschriebenen Abweichung 
nach der Gegenseite, auf beiden Halsseiten abwärts 
in bekannter Weise zu den nach Lage und Zahl bereits 
erwähnten tiefen Uervicaldrüsen. 

Nur ein Zweig macht eine Ausnahme, indem er weit nach dorsalwärts 
an der lateralen Pharynxwand abschweift und zu einer kleineren, durch 
Abpräparation des Pharynx sichtbar gemachten Drüse zieht, die etwa am 
Ubergang der seitlichen in die hintere Pharynxwand in Höhe des 
Anfangsknotens der Jugularis-Kette der tiefsten Halsmuskulatur aufliegt. 
Ich betrachte diese Drüse als ein versprengtes Glied der lateralen 
Gruppe der tiefen Cervicaldrüsen, nach Most (40, S. 41), während wir bisher 
stets nur die mediale Gruppe, die der V. jugularis lateral und medial 
angelagerte Kette injiziert fanden. 

Von (dieser versprengten Drüse aus kehrt ein sich in zwei Stränge 
spaltendes (Grefäss zur Jugularis-Kette zurück und mündet dort in die schon 


862 


Georg Schweitzer: 


beschriebene und von der Anfangs-Station der tiefen Cervicaldrüsen injizierte. 
der Vene tiefer am Halse anliegende Drüse. 


Die Beschreibung des hauptsächlich durch Präparation ma- 
kroskopisch gewonnenen Teiles meiner Befunde, soweit sie den 
Menschen betreffen, möchte ich nunmehr abschliessen durch eine 


Zusammenfassung der bisherigen Untersuchungsergebnisse 
über die Lymphabflussbahnen des menschlichen Zahn- 


r. 


fleisches. 
Das gesamte Zahnfleisch der beiden Kiefer ist von einem 
äusserst zarten und engmaschigen, für das Auge nur 
mit Lupenvergrösserung deutlich erkennbaren Lymph- 
gefässnetz durchzogen, aus welchem die Lymphe 
hauptsächlich nach aussen, also nach der Wange zu, 
aber auch nach innen, nach dem Gaumen zu bezw. an 
der lingualen Fläche des Unterkieferkörpers herab und 
entlang fast ausschliesslich zu den submaxillaren 
und tiefen Cervical-Lymphdrüsen hin abtliesst. 


. Aussen-Abflüsse nebst regionären Drüsen. 


a) Oberkiefer. Im Oberkiefer sammelt sich der nach 
der Wange zu fliessende Lymphstrom in eine Anzahl 
von dicht über und dicht unter der Umschlagfalte 
des Zahntleisches in die Wangenschleimhaut (= der 
Anheftungslinie der letzteren an das Periost der Maxilla) 
verlaufenden Gefässen, welche meist kranzförmig bis 
zum lateralen Ende des Alveolarfortsatzes, hin und 
wieder aber auch nur bis zur Kreuzung der Falte 
mit der Vena facialis anterior ziehen und deren Ver- 
bindung durch vielfache Anastomosen dem ganzen 
einen geflechtartigen Charakter verleiht. 

Es sind meist drei bis vier, selten mehr, oft 
weniger solcher Kranzgefässe injiziert. 

Sappey (56) beschreibt nur ein solches Gefäss, Most (40) 
injizierte deren eins, zwei, höchstens drei. 

Nahe der Medianlinie findet sich vereinzelt durch 
die Injektion des Zahnfleisches auch ein Netz in der 
Submucosa der Lippen schleimhaut injiziert. 

In der Medianlinie besteht keine Trennung 
der beiderseitigen Geflechte, sie stehen vielmehr in 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 863 


direkter Kommunikation, wie in vielen Fällen bei gut 
gelungener Injektion deutlich sichtbar war. Die 
Kommunikationsgefässe, in geringer Anzahl, verlaufen 
oberhalb der Anheftung des Lippenbändchens. 
Das letztere selbst scheint allerdings einer Kommuni- 
kation in gewissem Grade ein Hindernis zu bieten. 

Von dem „Kranz“geflecht an der Umschlagfalte 
ziehen abführende Stämmchen aus allen Re- 
gionen des Alveolarfortsatzes in der Tiefe der Wange, 
also in der facialwärts gelegenen Submucosa der Wangen- 
schleimhaut bezw. in der Buceinatorfascie und schliesslich 
den oberflächlichsten Periostlagen des Unterkiefers mehr 
. oder weniger schräg nach lateral-abwärts zur sub- 
maxillaren Drüsenanhäufung. Es ist mir gelungen, 
bis zu acht oder neun solcher abführenden 
Stämmchen, die vielfach in ihrem Verlauf auf der 
Wange anastomosieren, zu injizieren. Die Gefässe 
erschienen beim Erwachsenen nicht stärker als beim 
Neugeborenen (vide Fig. 1, Taf. XXVII). 

In der Hauptsache schliessen sich die Gefässe dem 
Lauf der Vena facialis anterioran, zu welchem 
Zweck die lateral von der Vene aus der lateralen 
Endregion des Zahnfleisches entspringenden bezw. ab- 
führenden Gefässe sich zunächst häufig eine kurze 
Strecke nach medial-abwärts begeben, um so das 
Strombett der Vene zu erreichen. Die Gefässe ver- 
laufen teilweise die Vene direkt umschlingend, auf 
oder unter ihr, aber auch am medialen oder lateralen 
Rande ihres Strombettes. Wenige Gefässe aus der 
Medianpartie des Zahntleisches begeben sich schon 
früher, noch medial vom Venenbett, nach abwärts. Sie 
ziehen mit der Art. lab. sup. bezw. der Art. maxill. 
ext. dicht am Mundwinkel vorbei zum Submaxillar- 
gebiet. Ferner führen aus der Gegend deslateralen 
Endes des Alveolarfortsatzes, also der Molarpartie, 
ziemlich konstant ein oder mehrere Gefässe, aus der 
von der Wangenschleimhaut und dem bedeckenden M. 
masseter gebildeten Tasche herauskommend, zum Sub- 
maxillardreieck. Sie laufen, häufig auch ein längeres 


b 


Georg Schweitzer: 


Stück unter dem Masseter verborgen, abgesehen vom 
Unterlauf lateral vom Venenbett. Vereinzelt konnte der 
Ursprung dieser Gefässe bis auf die palatinale 
Seite des Alveolarfortsatzes um das laterale 
Ende desselben herum verfolgt werden, ebenso wie 
umgekehrt auch vom entsprechenden buccalen Zahn- 
tleischrande Gefässe um das Ende des Alveolarfortsatzes 
herum nach dem weichen Gaumen zu verlaufen. um 
dort mit den palatinalen „inneren“ Abflüssen, von 
denen noch die Rede sein wird, sich zu vereinigen 
(vergl. Fig. 2, Taf. XXVII). 

Unterkiefer. Aussen-Abflüsse. 

Sehr ähnlich liegen die Verhältnisse bei dem Abfluss- 
system der Lymphe des Unterkieferzahntlisches 
über die lJabial-buccale Fläche des Kiefers hinweg. 

Auch hier bildet ein zunächst an bezw. dicht unter- 
halb der unteren äusseren Umschlagfalte 
des Zahntleisches in die Wangenschleimhaut (= der 
Anheftungslinie der letzteren an das Periost des Unter- 
kiefers) entlang von der Medianlinie aus bis zum 
lateralen Ende des Alveolarfortsatzes laufendes faden- 
förmiges Geflecht, bestehend aus wenigen 
geschlängelten Gefässen mit vielfachen Anastomosen, 
das Sammelbecken der aus dem Zahntleischnetz abge- 
führten Lymphe. Die Zahl der zu diesem Geflecht sich 
vereinigenden Kranzgefässe scheint in der Regel etwas 
geringer zu sein, als im Oberkiefer; es sind meist 
zweibisdrei. selten vier nebeneinander liegende 
(refässstränge,. letztere Zahl auch nur stellenweise, 
injiziert. 

Auch im Unterkiefer liess sich in mehreren Präpa- 
raten eine Kommunikation der beiderseitigen 
Geflechte in der Medianlinie unterhalb der 
Anheftung des Unterlippenbändchens in derselben 
Weise, wie im Oberkiefer, unzweifelhaft feststellen. 

Aus dem Geflecht an der Umschlagfalte zweigt in 
den oberflächlichen Periostlagen der äusseren Kiefer- 
fläche eine AnzahlabführenderStämmchen 
zur Submaxillar-Drüsenstation ab. 


ne 


R 
—m 
[eB} 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. ö 


Die Verlaufsrichtung der abführenden Ge- 
fässe ist dadurch festgelegt, dass sie, wenige Fälle 
ausgenommen, sämtlich einem Punkt zustreben, 
nämlich der an der Art. max. ext. dicht unter dem 
Kieferrand konstant belegenen Submaxillardrüse I. 
Infolgedessen laufen die nahe der Medianlinie abzwei- 
genden Stämmchen schräg lateral-abwärts; je weiter 
lateralwärts die Abzweigungsstelle liegt, desto mehr 
nähert sich die Richtung des Laufes einer senkrechten, 
bis die vom Ende, aus der Molargegend entspringen- 
den (refässe einen medial-abwärts gerichteten Verlauf 
nehmen. 

Die festgestellte Gesamtzahl der auf diese Weise 
zum Submaxillardreieck führenden Unterkiefer- 
Aussenabflüsse beträgt bei gut gelungener Injektion 
etwa 6-7. Da. wo die Gefässbahnen des Oberkiefers 
die des Unterkiefers kreuzen bezw. erreichen, liegen 
die Unterkiefergefässe unter den Oberkiefergefässen. 

c) Regionäre Drüsen. 

Sämtliche vorbeschriebenen Aussenabflüsse oder 
facialen Lymphbahnen des Zahnfleisches beider 
Kiefer münden ein in die im Submaxillar- 
dreieck. d.h. dem Raume, welcher auf jeder Halsseite 
begrenzt wird von dem unteren Rand des Unterkiefers 
und den beiden Bäuchen des M. biventer, belegenen 
submaxillaren Lymphdrüsen. 

Nachdem, wie schon in der Literaturübersicht (S. S14) er- 
wähnt, durch die Untersuchungen von Partsch (44—46), Ollen- 
dorfft (42), Most (40) und insbesondere Stahr (59) das 
konstante Vorkommen dieser Drüsen in der Drei- 
zahl, seien es nun drei Kinzeldrüsen, oder drei deutlich von 
einander geschiedene Gruppen, sowie in einer konstanten 
Lage festgelegt worden ist, habe ich nur nötig, kurz meine 
Befunde als Ergänzung und Bestätigung der vorerwähnten Fest- 
stellungen anzuführen. 

Auch ich fand ziemlich konstant drei Drüsen bezw. deutlich 
unterschiedene Gruppen. (Ausnahmen vergl. Fälle I rechte Seite 
und VI rechte Seite). Die nächst der Medianlinie gelegene 
Drüse I lag stets im vorderen Winkel des Submaxillardreiecks, 


66 Georg Schweitzer: 


auf bezw. an der Vena submentalis, meist unweit des lateralen 
Randes des vorderen Biventer-Bauches etwas unterhalb des Unter- 
kieferrandes dem M. mylohyoideus auf seiner aboralen Fläche 
auf. Ihre Grösse und Gestalt schwankte beim Neugeborenen, 
wenn es eine Einzeldrüse war, von der einer sehr kleinen Erbse 
bis zu der einer kleinen Bohne. Beim Erwachsenen fand ich die 
Drüse reichlich erbsengross. 

Meistens handelte es sich um einen einzelnen Knoten, 
in etwa !/s der Fälle waren es zwei Knoten, gewöhnlich von 
verschiedener Grösse, selten gleich gross: als Varietät fand ich 
in einem Falle eine Gruppe von fünf kleinen Drüschen vor. 
Andererseits war die Drüse I in zwei Fällen (Fall X links und 
XI links) nicht aufzufinden. 

Ich lasse es dahingestellt sein, ob in dem einen oder andern dieser 
Fälle die nicht mit Farbstoff gefüllte — was, wie ich zeigen werde, häufiger 
vorkam, — und relativ kleine Drüse übersehen und bei Entfernung des 
Fettes mit exstirpiert worden ist. 

Die Submaxillardrüse II ist. wie bekannt und wie auch 
meine Untersuchungen es ergeben haben, die grösste und 
wichtigste Drüse des Submaxillargebietes. Sie liegt 
an der Innenfläche des Unterkiefers nahe dem unteren Rande, 
dicht an der Stelle, an welcher die Art. max. ext. um diesen 
Rand herumbiegt. Meist liegt sie hier der Arterie medial an 
bezw. mit ihrer lateralen Häfte auf. Sie erreicht sehr häufig 
auch beim Neugeborenen die Grösse einer mittleren Bohne, 
beim Erwachsenen fand ich sie noch grösser. In !/s der Fälle 
fand ich ausser einer Hauptdrüse noch eine kleinere Nebendrüse, 
in zwei Fällen wurde die Gruppe aus drei Drüsen gebildet. 

Diese Drüsengruppe fehlte niemals und war 
stetsiinjiziert. 

DieSubmaxillardrüse Ill liegt lateralwärtsund wiederum 
etwas tiefer am Halse als die Drüse II, unterhalb des Unterkiefer- 
randes zwischen diesem und dem oberen Rand der Unterkiefer- 
Speicheldrüse. Sie ist in der Regel der Vena facialis anterior lateral 
angelagert, und zwar meist gegenüber der Einmündungsstelle der 
von medial her kommenden Vena submentalis in die Gesichts- 
vene. Nicht selten aber war diese Drüsengruppe etwas tiefer 
gerückt in den durch den Zusammenfluss der Vv. faciales 
ant. und post. gebildeten Winkel, wenn nämlich dieser Zu- 


Die Lymphgefässe des Zahntleisches. S67 


sammenfluss höher am Halse, als normal, stattfand. Aber auch 
bei normaler, also tieferer Lage dieses Zusammenflusses fand 
sich hin und wieder eine kleine Drüse als versprengtes Glied der 
III. Submaxillardrüsengruppe in den Venenwinkel verlegt. 

Was die Grösse der Drüse III, wenn es eine Einzel- 
drüse war, anlangt, so war sie meist etwas kleiner, selten von 
gleicher Grösse wie Drüse II. In !/; der Fälle fand sich eine 
(sruppe von zwei Lymphknoten, in '/s der Fälle bestand dieselbe 
aus drei Drüsen, von denen mitunter eine, wie erwähnt, etwas 
versprengt war (vergl. Fig. 1, Taf. XXVIM). 

Auch hier fand sich eine Varietät, in einem Falle eine Gruppe 
von vier Drüsen, deren Lage bei der Beschreibung des bezüglichen Falles 
(XI rechte Seite) näher erläutert ist. 

Verbindungen zwischen den einzelnen Drüsen 
finden sich in der Regel vor und zwar durch meist in grösserer 
Anzahl vorhandene, sehr starke (Gefässe, welche somit eine 
Füllung von Drüsen mit Farbstoff auch in den Fällen, in welchen 
dieselben keine direkten Zuflüsse aus dem Injektionsgebiet erhalten, 
bewirken. Diese sekundäre oder indirekte Füllung kam nur 
vor bei Drüse I, und zwar in drei Fällen, während die beiden 
andern Drüsen stets durch selbständige Zuflüsse 
injiziert waren. 


3eziehungen der einzelnen Submaxillardrüsen 
zu den verschiedenen Zahnfleischregionen. 


Was den Verlauf der aus den verschiedenen Injektions- 
bezirken des Zahnfleisches abführenden Gefässe zu den einzelnen 
Drüsen, mithin also die regionäre Zugehörigkeit der 
letzteren zu bestimmt abgegrenzten Teilen des 
Zahnfleisches betrifft, — Einteilung desselben siehe S. 323 
— so muss im Voraus bemerkt werden, dass eine Sonderung der 
abführenden Gefässe nach dem möglichst genau bestimmten Ort 
ihrer Abzweigung von dem Geflecht an der Umschlagfalte, über- 
tragen auf die darunter gelegenen entsprechenden Zahntleisch- 
regionen, nur mit Vorbehalt angängig ist. Denn nach meinen 
Befunden, speziell den Ergebnissen der Injektion mit verschiedenen 
Farben (Fall II und III), stehen die einzelnen Zahnfleischgebiete 
vermittelst des kranzartigen (refässgeflechtes an den Umschlag- 
falten in Verbindung. (Die Injektion z. B. der Molargegend mit 


SbS Georg Schweitzer: 


grüner Farbe hatte auch eine teilweise Grünfärbung der aus der 
Ineisivusgegend abzweigenden Stämmchen zur Folge.) Immerhin 
herrschte aber in den aus einem bestimmten Injektionsgebiet ab- 
führenden Gefässen die für die Injektion dieses Grebietes benutzte 
Farbe vor. Es darf hierausfüglich geschlossen werden, 
dass der Lymphstrom eines bestimmten Zahnfleisch- 
sebietes, wenn ihm vermittelst des Geflechtes 
an der Umschlagfalte auch die Abflussbahnen 
aus den benachbarten Zahnfleischgebieten zur 
Verfügung stehen, doch normalerweise sich in 
erster Linie der nächstgelegenen Gefässe bedienen 
wird. In diesem Sinne also darf man wohl die abführenden 
(sefässe dem dem Ort ihrer Abzweigung entsprechenden Zahn- 
fleischgebiet zuordnen. 

Bei der Betrachtung des Verlaufs der Gefässe zu den 
einzelnen Drüsen muss nun zunächst der überwiegenden 
Bedeutung der Drüse II als Empfängerin der Lymphe 
nicht nur aus allen Teilen des Unterkieferzahnfleisches, sondern 
auch aus allen Teilen des Oberkieferzahntleisches gedacht werden. 

In letzterem Punkte kann ich nach meinen Befunden Mo st (40, S. 99) 
nicht beistimmen, der der Drüse III inbezug auf die Zahl der Ober- 
kieferzuflüsse den ersten Platz anweist. 

Ich habe aus meinen Befunden folgende Aufstellung über die Be- 
ziehungen der Drüsen zu den einzelnen Zahntleischregionen gemacht. 

Es ziehen, soweit die Aussenabflüsse in Frage kommen, 
von allen Gefässen: 


des Oberkiefers des Unterkiefers 
Aus der Ei Pe 
zu Drüse zu Drüse 
Gegend der 
I 1l III I 1l Ill 
an aus- ; - vereinzelt 
= . R S- etwa ast etwa | etwa 5 
Kronteanet on ein 
weise ein 5/, 1/5 1 2/a Garde 
refäss efäss 
; kein | etwa etwa selten fast kein 
Praemolaren | 2 2 S ; E 
Gefäss 2/3 lg ein Gefäss' sämtliche Gefäss 
} i etwas Ivereinzelt' , : vereinzelt 
Molaren . En mehr als ein 2 EM ein 
Gefäss | 2 1, Gefäss sämtliche Gefäss 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 869 


Wenn diese Aufstellung in Anbetracht der Kieferverhältnisse 
des Neugeborenen auch nur annähernd zutreffen kann, so dürfte 
doch Folgendes daraus hervorgehen: 

Der bei weitem grösste Teil sämtlicher Lymphgefässe 
des Oberkieferzahnfleisches begibt sich zu Submaxillar- 
drüse 1. 

Drüse I kommt für den Oberkiefer fast gar nicht in 
Betracht. 

Drüse III hat eine gegenüber der Drüse II erhöhte 
Bedeutung für die Molargegend des Oberkiefers, wenn 
auch nicht viel weniger als die Hälfte der Gefässe auch aus 
dieser Gegend zu Drüse II verläuft. Ferner zieht auch ein be- 
merkenswerter Prozentsatz aus den andern Zahnfleischregionen 
zu Drüse III hin. 

Noch mehr als für den Oberkiefer springt die Bedeutung 
der Drüse II für den Unterkiefer ins Auge. Zu ihr ziehen 
fast alle Gefässe aus der Praemolar- und Molargegend, 
2/3 der Gefässe aus der Incisivus-(Gegend. 

Nur für die letztere Gegend gewinnt die dieser nächst- 
gelegene Drüse l eine gewisse Bedeutung, während die Drüse Ill 
überhaupt nur in Ausnahmefällen Zuflüsse vom Unterkiefer- 
zahnfleisch erhält. 

Auffallend ist, dass Gefässe aus der Molargegend des Unterkiefers 
nicht zu der nächstgelegenen Drüse III, sondern zu Drüse II ziehen 
Sehr wahrscheinlich verschieben sich bei weiterer Ausbildung des Kiefers 
speziell der Alveolen für die zweiten und dritten Mahlzähne, die beim Neu- 


geborenen ermittelten Zuflussverhältnisse zu Gunsten einer etwas erhöhten 
Bedeutung der Drüse III. — 


Interessant dürfte es sein, an dieser Stelle einen vergleichenden 
Blick von den vorerwähnten, auf rein anatomischem Wege ge- 
wonnenen Ergebnissen auf die hauptsächlich von Partsch (45, 46) 
ermittelten und von ihm und Ollendorff (42) veröffentlichten 
klinischen Resultate hinsichtlich der Zugehörigkeit der einzelnen 
Drüsen zu den Regionen bestimmter Zahngruppen zu werfen. 


Erlaubt wird ein solcher Vergleich aus dem Grunde sein. weil nach 
Partsch Lymphdrüsenschwellungen nur bei Erkrankungen des 
Periodontium, abgesehen natürlich von andern ausserhalb des Alveolar- 
fortsatzes lokalisierten Aftektionen, aufzutreten pflegen und weil die Lymph- 
bahnen des Periodontium, wieDorendorf (16) beobachtet hat und wie 
auch ich es in mikroskopischen Schnitten festgestellt habe, mit denen des 
umgebenden Zahnfleisches in engster Verbindung stehen. Wir 


s70 Georg Schweitzer: 


dürften also berechtigt sein, die durch Injektion einer bestimmt begrenzten 
Zahnfleischpartiegewonnenen anatomischen Ergebnissemitdem klinischen 
Bilde entsprechend lokalisierter, den Lymphapparat in erhöhte Tätigkeit 
setzender Erkrankungen, von denen die Periodontitis die bei weitem häufigste 
ist, in Parallele zu stellen. 

Indem ich zunächst von den klinischen Befunden hinsichtlich 
der Submental- und tiefen Cervicaldrüsen, die ich bei der 
Abhandlung dieser beiden Drüsengruppen heranziehen werde, ab- 
sehe, ergiebt der Vergleich hinsichtlich der anatomisch und klinisch 
in erster Linie in Betracht kommenden Submaxillardrüsen 
folgendes: 

„Die drei Submaxillardrüsen haben kein scharf 
abgegrenztes QWuellgebiet“ so lautet der klinische Befund 
von Partsch (45, S. 7). Der Grund hierfür geht aus meinen 
anatomischen Untersuchungen (zusammenhängendes Geflecht an 
der Umschlagfalte) hervor. 

„Die Drüse I ist in %5 aller Fälle geschwollen“ 
(Ollendorff |42, S. S]), was ebenfalls mit meinen Befunden 
(vergl. Tabelle S. S68) sich ungefähr deckt. Ollendorff führt 
diese Häufigkeit der Schwellung einmal darauf zurück, dass die 
Drüse II die meisten direkten Lymphstämme vom Unterkiefer 
erhält. wie auch ich dies fand, sowie dass sie bei Schwellungen 
der Drüsen I und III sehr oft mitbeteiligt ist. Wenn diese 
letztere Erklärung bei den starken und mehrfachen Kommuni- 
kationen der einzelnen Drüsen untereinander auch entschieden 
zutrifft, so dürfte doch der Hauptgrund für die Häufigkeit 
der Schwellung der Drüse II wohl darin liegen, dass 
eben diese Drüse nicht nur vom Unterkiefer, 
sondern auch vom OÖberkiefer, im Ganzen genommen, 
bei weitem die meisten Zuflüsse erhält. Meiner Ansicht 
nach wird die Schwellung der Drüse II in den meisten Fällen 
eine in erster Linie „primäre“ sein, d.h. vermittelt auf dem 
Wege der direkten Bahnen von allen Teilen ‚des Zahnfleisches 
beider Kiefer her. 

„Die Drüse I war nach Ollendorff (42, S.8) relativ 
häufig bei Erkrankungen der Zähne 1—6 beider Kiefer 
geschwollen.“ Für den Unterkiefer stimmt dies mit den ana- 
tomischen Befunden überein, für den Oberkiefer jedoch nicht. 
Hier dürften aber die fast stets vorhandenen Kommunikationen 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 871 


zwischen Drüse II und I zur Erklärung des klinischen Befundes 
herangezogen werden können. 

„Bei der Schwellung der Drüse III handelte es sich 
in 62 von 37 Fällen um Erkrankung der oberen, in 25 um 
Erkrankung der unteren Molaren.“ (Ollendorff 42, S. 8). 
Diesem Resultat nähern sich meine anatomischen Befunde hin- 
sichtlich der Oberkiefer-Zähne. Der abweichende Befund für 
den Unterkiefer, abgesehen von der immer möglichen sekun- 
dären Affektion der Drüse Ill von Drüse Il aus, erklärt 
sich ebenso wie die Differenz der klinischen und anatomischen 
Verhältniszahlen für den Oberkiefer wohl zur Genüge 
allein schon aus dem verschiedenen Alter der anatomischen und 
klinischen Untersuchungs - Objekte und der damit zusammen- 
hängenden Verschiedenheit der Kieferentwicklung, 
insbesondere der Ausbildung der Molarregion. 

Alles in Allem glaube ich aber eine ausreichende Über 
einstimmung der anatomischen Ergebnisse mit dem 
klinischen Bilde unter den in der Verschiedenheit der 
Verhältnisse begründeten Einschränkungen gefunden zu haben. — 

Kehren wir nach dieser Abschweifung nunmehr zu den 
anatomischen Befunden zurück. 

Der weitere Weg des Lymphstroms von den Submaxillar- 
.drüsen aus ist ein konstanter, er geht stets zu der an der 
Vena jugularis interna gelegenen Kette der Lgll. cervicales 
profundae mediales. Es ist mir in vielen Fällen gelungen, 
Teile dieser Kette, in einem Falle sogar bis zur dritten 
Station innerhalb derselben, zu injizieren. Die Verbindung von 
den Submaxillar- zu den tiefen Cervical-Drüsen ging etwa in 
gleicher Häufigkeit aus von Drüse II wie von Drüse I. 
Von Drüse I aus habe ich in keinem Falle zur tiefen Cervical- 
drüsenkette führende Gefässe ermittelt. Bei den Verbindungen 
handelte es sich meist um zwei oder auch mehrere, meist recht 
starke Gefässe, welche von Drüse II aus zunächst unter oder 
an der Submaxillarspeicheldrüse entlang, von Drüse III an der 
Vena facialis anterior, und in beiden Fällen dann weiter an der 
Vena facialis communis bis zu ihrer Einmündung in die Vena 
Jugularis interna verlaufen. An dieser Einmündungsstelle, 
meist in dem von den Venen gebildeten Winkel, fand ich mit 
grosser Konstanz die typische oberste Untergruppe 


u | 
1089) 


Georg Schweitzer: 


der Jugularis-Kette oder Hauptstation der tiefen Cervical- 
drüsen. Sie wurde gebildet von einer, nicht selten aber auch 
zwei oder drei im Allgemeinen sehr starken Drüsen, welche in 
der Regel grösser als die grösste Submaxillardrüse waren. 

In einigen Fällen waren auch die lateral von der Vena 
jugularis interna unter dem M. sternocleidomastoideus etwa 
in Höhe der eben genannten konstanten Gruppe belegenen 
zahlreichen Drüsen zum geringeren oder grösseren Teil injiziert. 
Ich verweise auf die Beschreibung des Falles XIII, in welchem 
sich von dieser lateralen Gruppe etwa 10 meist kleinere Lymph- 
knoten injiziert fanden. 

In der Kette der Drüsen an der \. jugularis interna drang 
die Injektion bis zu einer dicht oberhalb der Kreuzung 
des M. omohyoideus mit der genannten Vene belegenen 
Station, welche nach Most (40, S. 35) dieuntere@Grenzstation 
der tiefen Cervicaldrüsen (im engeren Sinne) bildet: es 
folgen nach abwärts noch die Supraclavieulardrüsen, ich 
habe meine Untersuchungen jedoch nicht über die bezeichnete 
untere Grenzstation ausgedehnt. 

Ein direktes Einmünden von Gefässen des äusseren, 
facialen Abflusssystems der Zahnfleischlymphe in die tiefen 
Cervicaldrüsen, unter Übergehung. der Submaxillarstation, habe 
ich nicht beobachtet. 


3. Die Bedeutung der tiefen Cervicaldrüsen für das Lymph- 
gebiet des Zahntleisches erschöpft sich aber nicht in ihrer Eigen- 
schaft als zweite Etappe, d.h. Empfangsstation für den 
Lymphstrom aus den Submaxillardrüsen, sondern 
sie stehen in direkter Beziehung zum Zahnfleisch, als erste 
Etappe, gleichgeordnet also den Submaxillardrüsen. vermöge ihrer 
Beziehungen zu den „Innen*-Abflüssen, den aus dem Ober- 
kiefer über Gaumen und Pharynxwand, aus dem Unterkiefer an 
dessen Lingualfläche entlang zwischen den Halsmuskeln herab- 
ziehenden, anscheinend zwar weniger zahlreichen, jedoch häufig 
starken und konstant vorkommenden Gefässen. 


a) Die Art und Weise des Verlaufs der aus dem OÖberkiefer- 
zahntleisch über den Gaumen abführenden Bahnen ergibt sich 
aus der Betrachtung der Fig. 2 Taf. NXVIll und aus der eingehenden 


ENTE 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 873 


ergänzenden Beschreibung auf S.S5S ff. Ich beschränke mich darauf, 

hieraus folgendes hervorzuheben: 

ea) Die Zweiteilung dieser Abflussbahnen in 
ihren Anfängen. Der Abfluss findet sowohl durch 
die Gefässnetze des harten Gaumens hindurch, 
als auch direkt vom lateralen Ende des Alveolar- 
fortsatzes aus nach der Tiefe statt. 

B) Den Übergang der Gefässe einer Kieferseite 
zu den Drüsenstationen der andern Seite, 
entweder in einer partiellen Kreuzung (Fig. 2) oder 
wie Sappey (56) es fand, in voller, d. h. beiderseitiger 
Kreuzung). 

Die Innengefässe des Oberkiefers gingen in allen Fällen, in 

denen mir eine Darstellung derselben gelang, ausnahmslos 

zu der Anfangs- und Hauptstation der tiefen Cervicaldrüsenkette 
am Zusammenfluss der \v. fac. comm. und jugularis interna. 
Was die Abflüsse auf der inneren, lingualen Fläche des 


 Unterkiefers anlangt, so sollte man glauben, dass diese die 


nächstgelegenen Submaxillardrüsen für die Aufnahme 
ihres Lymphstroms in Anspruch nehmen würden, wie dies bisher 
auch (vergl. Most |40, S. 99 |) angenommen wurde. Bei der Mehr- 
zahl meiner Objekte trifft dies aber nur in beschränktem Maße, 
für einen Teil der Gefässe, nämlich die etwa aus der 
Frontzahngegend entspringenden, zu. Diese verlaufen schräg 
lateral-abwärts zunächst in der Submucosa der Kieferschleim- 
haut, dann über die Unterzungen-Speicheldrüse, durchbohren den 
M. mylohyoideus und ziehen auf dessen aboraler Fläche zur 
Submaxillardrüse I. Es handelte sich meist um ein oder zwei 
solcher Gefässe, die aber mit relativ grosser Regelmässigkeit inji- 
ziert waren und stets denselben Verlauf zeigten. 

Ausser diesem Abfluss aber finden wir ein bis zwei Gefässe 
an derinneren Umschlagfalte (oder hier richtiger Über- 
gangsfalte der Kieferschleimhaut in die Schleimhaut des Mund- 
bodens) entlang verlaufend, analog den Verhältnissen an der 


!) Derartige Übergänge bezw. Kreuzungen von Bahnen der beiden 
Körperseiten sind auch an anderen Stellen beobachtet worden, so von Henle (25) 
bei den Lymphgefässen der dorsalen Hals- und Rumpfhaut, von Bruhns (9) 
bei den Gefässen der äusseren weiblichen Scham, Dorendorf (16) bei den 
subkutanen Gefässen der Lippen, Bartels (1) bei der Schilddrüse. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 57 


574 Georg Schweitzer: 


Aussenseite. Der mediale Anfang dieser Bahnen war bis in 
die Caninus-Gegend zu verfolgen. Diese Bahnen ‚werden durch 
Zuflüsse aus den mehr lateralen Teilen des Alveolarfort- 
satzes gespeist. Sie verlaufen dicht an der Übergangsfalte 
bis zum lateralen Ende derselben und ziehen dann in der Mehr- 
zahl der Fälle abwärts auf der medialen Fläche des M. pterygoideus 
internus, zwischen M. stylohyoideus bezw. biventer und hyoglossus, 
häufig ein Stück die Art. lingualis begleitend, zu dem bekannten 
Anfangs- und Hauptknoten der tiefen (ervical- 
drüsenkette an der V. jugularis. 

Nur in einem Falle (Fall XIV) fand ich eine Ausnahme von diesem 
Verlauf. Hier zogen zwei Gefässe aus der Prämolargegend zur 
Submaxillardrüse I und von den drei aus der Molargegend ab- 
zweigenden Stämmchen zogen zwei um den unteren Rand des Kiefers am 
lateralen Ende des M. mylohyoideus herumbiegend zur Submaxillaris III, 
während nur eines den sonst beobachteten Weg zu den tiefen Cervicaldrüsen 
einschlug. 

In die Aufnahme der von der Innenseite der Unterkiefer- 
schleimhaut herabgeführten Lymphe scheinen sich also in der 
vegel die Submanxillar- und tiefen Cervicaldrüsen in der Weise 
zu teilen, dass aus der Medianpartie die Lymphe zur Sub- 
maxillaris I abfliesst, die ja auch häufig einen Teil der Lymph- 
bahnen aus demselben (@mellgebiet an der Aussenseite des 
Kiefers herab empfängt, und dass aus den mehr lateralen 
Teilen des inneren Unterkiefers der Lymphstrom vor- 
wiegend zu den tiefen VGervicaldrüsen sich begibt. Aus- 
nahmsweise und dann auch nur zum Teil zieht dieser letztere 
Strom zu der äussersten Submaxillardrüse. (Betr. Submental- 
drüsen vgl. unten S. 875). 

In der durch die geschilderten Befunde festgelegten Tatsache, dass 
für die „Innen“-Abflüsse sowohl aus dem Ober- wie zum 
grösseren Teil auch aus dem Unterkiefer der Hauptknoten 
der tiefen Cervicaldrüsen als erste Etappe zu gelten hat, scheint 
mir die Erklärung zu liegen für die auf klinische Befunde gestützte Annahme 
von Partsch (45, S.4), dass dieser tiefe Cervicalknoten manchmal 
auch ohne Vermittlung der Submaxillardrüsen seine Lymphe aus dem 
Quellgebiet direkt zu beziehen scheine. Es ist bei entsprechender Lokalisation 
eines Entzündungsprozesses der Kieferschleimhaut oder wenn der Aussenweg 
auf irgend eine Weise ganz oder zum grössten Teil verlegt ist, eine vor- 
wiegende Benutzung der „Innen“-Bahnen seitens des abtrans- 
portierenden Lymphstroms und damit eine bedeutende Schwellung des be- 
treffenden Cerviealknotens ohne wahrnehmbare Vergrösserung der Submaxillar- 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. (6) 


drüsen möglich. Ich wenigstens muss zu dieser Erklärung greifen, da ich, 
wie schon erwähnt, nicht beobachtet habe, dass Lymphgefässe aus dem Zahn- 
fleisch auf dem Hauptwege, also aussen, an den Submaxillardrüsen 
vorbei zu den tiefen Cerviealdrüsen gezogen sind. 

Durch die hiermit abzuschliessenden Beobachtungen hin- 
sichtlich des Verlaufes der Innenabflüsse aus dem Zahn- 
fieisch ‚werden meine nur auf die Aussen - Abflüsse basierten 
statistischen Angaben über die Verteilung der Zahnfleischgebiete 
auf die submaxillaren Drüsen (S. 569) nur insoweit zu ergänzen 
sein, als der Drüse I, welche auch vom inneren Rande der Unter- 
kiefer-Frontzahngegend her häufig Zuflüsse erhält, eine etwas er- 
höhte Bedeutung für dieses (rebiet zuzuerkennen sein wird. Im 
(Ganzen genommen also gelten die aus der erwähnten Aufstellung 
gezogenen Schlussfolgerungen bezüglich der Submaxillar- 
drüsen ohne Einschränkung, auch wenn man die Innenab- 
flüsse in Betracht zieht. 

4. In Ergänzung des Vorstehenden muss ich noch einer 
Drüsengruppe gedenken, die hin und wieder, wenn auch selten, 
Beziehungen zum Zahnfleisch der Medianpartie des Unter- 
kiefers zu haben scheint. Es sind dies die submentalen 
Lymphdrüsen bezw. insbesondere deren obere Gruppe, 1—2 kleinere 
Drüsen nahe der Medianlinie am Unterkieferrand zwischen den 
beiden vorderen Biventerbäuchen. Dorendorf (16) sowie Pölya 
und v. Navratil (48) haben in je einem Falle einige wenige 
(refässe aus den medianen Teilen des Unterkieferzahnfleisches zu 
diesen Drüsen ziehen sehen, während Partsch (45) klinisch 
eine Schwellung derselben anscheinend häufig festgestellt hat: 
wenigstens spricht er (S. 7) ohne Einschränkung von den bBe- 
ziehungen der vier unteren Ineisivi zu den Submentaldrüsen. 
Mirıst es auch nur in einem. Kalle gelungen, 
dureh einige vom Zahnfleisch der "Ineisivus- 
Gegend stammende Gefässchen eine Submental- 
drüse direkt zu füllen. 

In zwei Fällen (V, linke Seite und VIII, rechte Seite) wurde eine der 
tieferen Gruppe dicht über dem Zungenbein angehörende Submental- 
drüse von Submaxillaris I aus sekundär gefüllt. Wir haben es hier mit einem 
andern, bisher von mir nicht erwähnten und weniger wichtigen Abfluss aus 
der Submaxillarstation zu tun. Der weitere Weg des Lymphstroms von dieser 


unteren Gruppe der Submentaldrüsen würde, nach Most (40, 5. 21) 


entweder mit der V. jugul. ant. abwärts zu den tiefen Cervicaldrüsen derselben 


57* 


s76 r Georg Schweitzer: 


Seite oder, in Anbetracht der medianen Lage der ersteren, zu den tiefen 
Cervicaldrüsen der Gegenseite erfolgen. Also eine neue Kreuzung der 
Lymphbahnen beider Seiten (vergl. hierzu S$. 873)! Eine direkte Kreuzung, 
also ein Hinüberziehen von Gefässen aus dem Zahnfleisch einer Seite unmittelbar 
zu den Drüsen der andern Seite, ist von mir nicht beobachtet. 


Es entsteht an dieser Stelle nun die Frage, ob die Sub- 
mentaldrüsen bezw. deren obere Gruppe zu den regionären Drüsen 
des Zahnfleisch-Lymphgefässsystems zu rechnen sind: 

Nach Most (40), Poirier und Cun&o (47) sowie Partsch (45, 46) 
müsste die Frage bejaht werden: diese Autoren sehen das Zahnfleisch der 
Unterkiefermitte als das Quellgebiet der unter dem Kinn gelegenen Sub- 
ınental-Drüsen an. Abgesehen aber von den oben erwähnten, dagegen 
sprechenden Resultaten von Dorendorf sowie von Pölya undv. Navratil, 
die schliesslich auf im allgemeinen unvollständige Injektionen (vergl. S 817) 
zurückgeführt werden könnten. ist es auch mir, wie ich hervorhob, bei 
sonst gut gelungener Injektion, allen Bemühungen zum Trotz nur 
einmal gelungen, Submentaldrüsen vom Zahnfleisch aus zu füllen. Dieser 
Umstand veranlasste mich zunächst zur Prüfung der Frage, ob die Submental- 
drüsen überhaupt als konstant vorkommende Lymphdrüsen unseres Körpers 
zu betrachten sind. Ich präparierte zu diesem Zweck an einer besonderen 
Untersuchungsreihe (9 Neugeborene, 5 Erwachsene) mit grösster Sorgfalt die 
Regio submentalis. Das Ergebnis dieser Untersuchung, dem ich die Befunde 
von Dorendorf (16) und Stahr (59), soweit verwendbar, hinzufüge, 
war folgendes: 

Bei 43 Neugeborenen fehlten die Submentaldrüsen der oberen Gruppe in 
20 Fällen, die der unteren in zwei Fällen. Gänzliches Fehlen jeglicher Submental- 
drüsen kam nicht vor. Bei 25 Erwachsenen fehlten die Drüsen der oberen 
Gruppe in elf Fällen, die der unteren in fünf Fällen: in drei von diesen 
Fällen waren überhaupt keine Lgll. submentales zu finden, 

Hiernach müssen die Drüsen der oberen Gruppe als ent- 
schieden inkonstant in ihrem Vorkommen, die der unteren als 
ziemlich konstant betrachtet werden, wenn auch Zahl und Lage dieser 
letzteren Drüsen stark schwankt. Drüsen von derart unregelmässigem Vor- 
kommen, wie die oberen Submentaldrüsen, dürften allgemein schon kaum als 
regionäre Drüsen im eigentlichen Sinne (vergl. S. 823) angesehen werden 
können. Bei keinem meiner tierischen Objekte (vergl. S. 819) wurden Sub- 
mentaldrüsen angetroffen: ein interessantes Vergleichsergebnis! 

Woher aber stammten in den Fällen, in welchen über 
Füllungen von Submentaldrüsen durch direkte Zuflüsse aus einem Injektions- 
gebiet berichtet wird, die zuführenden Gefässe? Für meinen 
Beweiszweck ist hier die Arbeit von Dorendorf (16) heranzuziehen. In 
den sehr zahlreichen Fällen, in denen dem genannten Autor eine Füllung 
sowohl von oberen wie unteren Submentaldrüsen gelang, waren die Vasa 
afferentia stets subcutane Gefässe der Unterlippe, während die sub- 
mucösen, also von der Lippenschleimhaut stammenden Gefässe fast aus- 
schliesslich zu den Submaxillardrüsen führten. Ebenso hat Stahr Füllungen 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 877 


von Submentaldrüsen, einen Fall ausgenommen, stets durch Injektionen der 
äusseren Haut erzielt. 

Hieraus, in Verbindung mit der Seltenheit einer Füllung von Submental- 
drüsen vom Zahnfleisch aus, muss der Schluss gezogen werden, dass die 
Submentaldrüsen in der Regel nur in der äusseren Haut der Kinngegend 
und der Unterlippe, also den oberflächlichen Gesichtspartien, nicht aber 
in den tieferen Regionen, der Schleimhaut der Lippe bezw. des Alveolar- 
fortsatzes, ihr Quellgebiet haben. Auch die Angabe Poiriers (47), dass die 
Submentaldrüsen von einem andern tiefer gelegenen Mundgebilde. der Zungen- 
spitzen-Mitte, Lymphgefässe erhalten, ist durch neuere Untersuchungen 
(Most) nicht bestätigt worden. 

Die submentalen Lymphdrüsen können hiernach, 
abgesehen von der Unregelmässigkeit des Vorkommens speziell 
der oberen Gruppe, als regionäre Drüsen für das mediane 
Unterkiefer-Zahnfleisch nicht betrachtet werden. 
Anatomisch gehört auch dieses Gebiet in der Regel zum Bereich 
der Submaxillardrüsen. Dies schliesst natürlich eine gelegentliche 
Schwellung von Kinndrüsen bei Zahn- oder Mundaftektionen 
keineswegs aus; doch würde eine solche wohl vorwiegend „sekundär“ 
auftreten, d. h. durch Mitbeteiligung bei Schwellungen der 
Submaxillardrüsen vermöge der bestehenden Kommunikationen. 


5. Im Anschluss hieran möchte ich noch das gelegentliche 
Vorkommen von injizierten Schaltdrüsen, d.h. kleinen, mehr 
oder weniger inkonstanten Drüschen, die in die Bahn der Lymph- 
gefässe eingeschaltet sind, erwähnen. Hier sind in erster Linie 
dieWangenlymphdrüsen zu nennen, die inihrem Vorkommen 
eine ziemliche Konstanz zeigen und, abgesehen von einer Reihe 
älterer Autoren, wie Mascagni (37), Vigier (66), Princeteau 
(50), Testut(63) u. a. neuerdings von Buchbinder (10) 
und Küttner (32) eingehend beschrieben worden sind. Ich habe 
in einem Falle (I, rechte Seite) eine solche Drüse injiziert gefunden, 
welche im Verlauf eines aus der Oberkiefer-Molargegend über 
den M. buceinator zur Submaxillardrüse III ziehenden Gefässes 
in Höhe des oberen Unterkieferrandes lateral von der Vena 
facjalis ant., unterhalb der Durchbruchstelle des Duetus parotideus 
durch den M. buceinator, lag und etwa Hirsekorngrösse hatte. 
Sie gehörte demnach derposteriorenGruppederBbuccinator- 
drüsen an. (Most 40, S. 18.) 

Von sonstigen Schaltdrüsen fand ich einmal eine solche in 
der Bahn eines von der Ineisivusgegend an der lingualen Fläche 


375 Georg Schweitzer: 


des Unterkiefers herab auf dem M. mylohyoideus zu Lgl. submax. I 
verlaufenden Gefässes (II, linke Seite), in einem andern Falle 
(XIV) zwei solcher Drüsen im Verlauf eines von der Unterkiefer- 
Molargegend zu den tiefen Cervicaldrüsen verlaufenden Stammes. 

Diese Schaltdrüsen scheinen sämtlich nur gelegentlich 
in den Zahnfleischbahnen vorzukommen. 

Wenn ich nun noch erwähne, dass auch ich, wie Ollen- 
dorff (42, S.6) und andere bemerken, häufig ein Hindurch- 
gehen eines Gefässes durch eine Drüse bei nur sehr 
geringer Füllung derselben, schliesslich in einem Falle ein 
Hinwegziehen eines Grefässes über eine Submaxillardrüse, ohne 
sie zu füllen, unter Einmündung in eine Nachbardrüse, gefunden 
habe, — übrigens ein speziell auch bei Wiederkäuern häufiger 
von mir beobachtetes Bild — so dürfte hiermit die makroskopische 
Beschreibung meiner Befunde, soweit sie Lymphgefässe und 
Lymphdrüsen desZahnfleisches betreffen, abgeschlossen 
werden können. — 

Auch an dem Beispiel des Zahnfleisches sehen wir, in wie 
ausserordentlich reichlicher Weise im menschlichen Körper für den 
Lymphabftluss aus einem bestimmten (Gebiet gesorgt ist. Wir 
haben zwei grosse Abflusssysteme, die Aussen- und 
die Innen bahnen, welche Krankheitsstofte zuzwei mächtigen 
Drüsengruppen, den submaxillaren und tiefen Üer- 
vicaldrüsen, abführen können. Innerhalb jedes dieser 
beiden Abflusssysteme finden wir Anastomosen nicht nur in 
weiterem Verlauf der verschiedenen Gefässe einer Körperseite, 
sondern vermittelst der die Kieferhälften umkränzenden Ge- 
flechte an der Umschlagfalte schon in unmittelbarer Nähe des 
(uellgebietes selbst, sodass hierdurch eine Verteilung des Abtrans- 
ports zu verarbeitender Stoffe auf sämtliche abführenden Gefässe 
einer Kieferseite selbst bei enger Umgrenzung einer Aftektion 
stattfinden kann. Ja, es können sogar die Bahnen der andern 
Kieferseite, vermittelst der Kommunikationen in der Medianlinie 
bezw. der Kreuzungen am Gaumen, sowie evtl. vermittelst der 
Submentaldrüsen (S. 875). und dadurch die Drüsenderandern 
Seite zur Hilfe herangezogen werden, letzteres eine Feststellung, 
die besonders, wie schon von anderer Seite hervorgehoben, für 
den Chirurgen von Interesse sein könnte. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 879 


Als Überleitung zu der Beschreibung der Untersuchungs- 
ergebnisse hinsichtlich des Vorhandenseins von Lymphgefässen 
in der Zahnpulpa, welche den Inhalt des zweiten Teiles 
meiner Arbeit bilden soll, weise ich nunmehr kurz auf die 
Resultate der „tiefen“ Injektion des Oberkieferzahn- 
fleisches hin, wie sie in der Beschreibung der Fälle XIT— XIV 
ausführlich erörtert ist. Die bisherigen Feststellungen in dieser 
Hinsicht, makroskopisch bezw. mit Lupe, waren folgende: 

Durch tiefen Einstich in Richtung auf die Alveolen bezw. 
in die Alveolen war die Füllung eines Lymphgefässnetzes in dem 
Dach derselben bezw. in der darüber gelegenen Spongiosa erzielt 
worden. Aus diesem Netz entsprangen Lymphgefässe, welche 
durch das Foramen infraorbitale, bezw. kleine be- 
sondere Nebenforamina in.gleicher Höhe, auf die faciale Kiefer- 
fläche heraustraten, sich schon oberhalb der oberen Umschlag- 
falte der Vena facialis ant. anschlossen und mit den aus dem 
Zahnfleisch entspringenden Gefässen, häufig mit diesen anasto- 
mosierend oder zusammenfliessend, zu den submaxillaren 
Drüsen, und zwar zu Drüse II und III, vorwiegend zu ersterer, 
zogen. Es wurden bis zu vier aus dem Foramen infraorbitale 
bezw. dessen Umgebung heraustretende Stämmchen beobachtet. 

In einem Falle (XIII) wurde durch zwei vom Foramen 
infraorbitale nach lateralwärts unter dem Jochbogen laufende Gefässe 
die Kette der tiefen Parotisdrüsen und durch diese 
hindurch zuerst eine Station der oberflächlichen, dann die 
tiefen Cervicaldrüsen gefüllt. Hiermit dürfte vielleicht 
die Beobachtung von Odenthal(41), die gelegentliche Schwellung 
von Parotisdrüsen bei Zahnaffektionen betreffend, in Zusammenhang 
zu bringen sein. In demselben Falle (XIII) verlief ein anderes aus 
dem Foramen infraorbitale kommendes Gefäss direkt zu einer am 
unteren Parotispol gelegenen, oberflächlichen 
Vervicaldrüse. Von welchen der in die Alveolen eingeschlossenen 
oder sie umschliessenden Gewebe diese aus dem Foramen infra- 
ortibale heraustretenden Gefässe ihren Ursprung nehmen, kann 
erst durch das Mikroskop festgestellt werden. Ich komme daher 
nunmehr zu diesem Teil meiner Untersuchungen, der sich in 
erster Linie die Lösung der Frage, ob es Lymphbahnen in der 
Pulpa gibt, oder nicht, zur Aufgabe gemacht hat. 


550 Georg Schweitzer: 


I. Teil. 
Lymphgefässe der Zahnpulpa. 


Literatur. 

Wie ich schon eingangs dieser Arbeit ausführte, finden sich 
bei Durchsicht der Lehrbücher und Einzelarbeiten über die 
Histologie der Zahnpulpa nur spärliche Erörterungen über 
die Frage der Existenz von Lymphgefässen. Auch erwähnte ich 
bereits, dass die meisten Autoren sich damit begnügen, die Frage 
offen zu lassen und nur auf ihre Ungelöstheit hinzuweisen, oder 
sie in verneinendem Sinne zu entscheiden. Derartige bezw. ähn- 
liche Äusserungen fand ich bei Kölliker (30), Salter (55). 
Holländer (26), Wedl (68), Parreidt (43), v. Metnitz (39). 
v. Ebner (17), Zuckerkandl (70). Von Waldeyer bis 
Couillaud ist, wie Partsch (46, S. 255) angibt, keinem Autor 
der mikroskopische Nachweis von Lymphbahnen im Zahnmark ge- 
lungen. Über Versuche der vorgenannten oder anderer Autoren, die 
Anwesenheit von Lymphgefässen in der Pulpa experimentell oder 
anatomisch festzustellen, wird nichts berichtet. Erst in neuerer 
Zeit haben, wie ich ebenfalis bereits kurz angab, einige Unter- 
sucher dies nachgeholt. 

Uarreras (11) trepanierte Zähne bei Hunden, Katzen und Kaninchen 
und führte in die Pulpahöhle leicht resorbierbare, zum Teil stark 
giftige Substanzen, wie Jodkalium, Jodoform, Quecksilber- 
chlorid, Natriumsalyeilat und Strychninnitrat ein, unter sorg- 
fältiger Vermeidung einer Berührung dieser Substanzen mit der umgebenden 
Schleimhaut. Die betreffenden Zähne wurden dann sorgfältig verschlossen. 
Von den genannten Stoffen, deren halbe Dosis, subcutan injiziert, zum Teil 
einen ziemlich schnellen Exitus herbeiführte, wurden ausser Jodkalium 
keinerlei Spuren im Harn wiedergefunden, vielmehr fänd sich die einge- 
führte, häufig letale Dosis nach mehreren Tagen, unter Aus- 
bleiben jeglicher Vergiftungserscheinungen, in der ver- 
schlossen gewesenen Cavität wieder. 

Koerner (31) injizierte die Pulpa frisch extrahierter Menschen- 
und Kalbszähne nach der Gerotaschen Methode, erhielt aber stets Venen- 
füllungen. 

Zu demselben negativen Resultat gelangte Ollendorff (42), der 
den Koernerschen Versuch an nicht extrahierten Zähnen der Leiche 
anstellte. 

Zu diesen verschiedenen Versuchen habe ich bereits in der 
Einleitung zu dieser Arbeit Stellung genommen, soweit es mir 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. sl 


möglich ist, und darzulegen versucht, aus welchen Gründen ich 
speziell die in dieser Weise unternommenen Injektionsversuche 
für nicht zweckmässig und aussichtslos halten möchte. 

Koerner hat aber noch einenandern Versuch ange- 
stellt, der, wenn sein Ergebnis auch von dem allerdings nur an 
einer Tierleiche ihn nachprüfenden Ollendorff nicht bestätigt 
werden konnte, doch beachtenswert scheint. 

Er brachte auf die freigeleete Zahnpulpa narkotisierter Hunde fein 
verteilten Farbstoff, verschloss die Cavität und tötete die Hunde nach zwei- 
bis dreimal 24 Stunden. Er konnte dann später einzelne Farbstoffpartikelchen 
bis zur Wurzelspitze verfolgen, ohne dass sich eine Beziehung des Weges 
nachweisen liess, ferner liess sich der Farbstoff, wenn auch nur in 
sehr geringer Menge, in der Corticalschicht der zugehörigen Lymph- 
drüsen nachweisen. Koerner zieht aus diesen Befunden den Schluss. 
dass die Pulpa, wenn er ihr auch nach den oben geschilderten Injektions- 
versuchen den Besitz von Lymphgefässen absprechen zu müssen glaubt, doch 
resorbieren kann. Ollendorff möchte diesen Befund Koerners, das 
Auffinden von Farbstoffpartikelchen an der Wurzelspitze und in den regionären 
Lymphdrüsen, durch Verunreinigung der betreffenden Serienschnitte und viel- 
leicht auch durch Aufsaugen von auf das Zahnfleisch gelangten Farb- 
stoffteilchen durch die Lymphbahnen des letzteren, falls Koerner die 
Zähne nicht genügend isoliert habe, erklären. Ich möchte doch nicht an- 
nehmen, dass Koerner nicht de Grundbedingung für die Beweis- 
kraft seines Ergebnisses — strenge Isolierung des Versuchszahnes von seiner 
Umgebung und Ausschluss von Verunreinigungen bei Behandlung der Schnitte 
— in minutiöser Weise erfüllt haben sollte. Dies aber vorausgesetzt, müsste 
die natürliche Schlussfolgerung aus dem Ergebnis der Koernerschen 
Versuche, soweit es sich um das Auffinden von Farbstoffteilen in den zu- 
gehörigen Lymphdrüsen handelt, die sein, dass diese Teile aus 
der Pulpa des völlig isolierten Zahnes nur auf dem Wege 
der ERymphbahnen zu den Lymphdrüsen gelangt sein können. 
Eine Resorptionsfähigkeit der Zahnpulpa, wenn sie keine Lymphbahnen besitzt, 
gibt es auch nach meiner Auffassung nicht (vergl. Ollendorff 42, S. 10.) 

Diesem letzten Koernerschen Versuchsergebnis, das für 
die Existenz von Lymphbahnen in der Pulpa sprechen würde, 
schliessen sich noch die Befunde von Boedecker (8) an. 

Dieser sagt in C. Heitzmanns (24) „Mikroskopischer Morphologie 
des Tierkörpers“, (Wien 1883): „Lymphgefässe lassen sich in der Pulpa... 
in kleiner Zahl nachweisen,“ und in seiner „Anatomie und Pathologie der 
Zähne“ (Wien 1899): 

„In betreff der Lymphgefässe der Zahnpulpa kann ich aussagen, dass 
ich in manchen Präparaten verzweigte Gefässe vom Durchmesser der Venen, 
ohne Adventitiahülle, gesehen habe, von grossen flachen und etwas vor- 
springenden Endothelien zusammengesetzt. Diese Gefässe halte ich für 


582 Georg Schweitzer: 


Lymphgefässe, da sie fein granuliertes, coaguliertes Eiweiss enthalten, 
spärliche granulierte Körperchen und eine beschränkte Anzahl von Blut- 
körperchen. Was die Verteilung der Lymphgefässe anlangt, so enthalte ich 
mich bestimmter Angaben.“ 

Auch gibt Boedecker (8) eine Abbildung eines mikroskopischen 
Längsschnittes, in der er bestimmte Gefässe als Lymphgefässe bezeichnet. 
Es ist natürlich unmöglich, über diese Befunde irgend ein Urteil abzugeben 
ohne Prüfung der mikroskopischen Präparate. Die unsicheren Ergebnisse 
Boedeckers haben bisher auch keinerlei ändernden Einfluss auf die 
herrschende Ansicht, dass Lymphgefässe in der Pulpa wahrscheinlich 
nicht existieren, gehabt. Meine im folgenden zu erörternden Feststellungen sind 
geeignet, die vonBoedecker gegebenenDeutungenzustützen. 


Wenn ich nun noch erwähne, dass Klein (29) Endothel- 
Membranen um die Blutgefässe der Pulpa für Wände von 
Lymphscheiden erklärt und auf die im Eingang der Arbeit 
zitierte Überzeugung einer Autorität wie Sappey (56, S. 70) 
von der Existenz von Lymphbahnen in der Pulpa hinweise, so 
dürfte damit die Literatur der Frage, soweit sie anatomische 
Befunde enthält, erschöpft sein. 

Man hat nun bei der Ergebnislosigkeit der anatomischen 
Untersuchungen der Frage auf klinischem Wege beizukommen 
versucht, und zwar von vornherein mit besserer Aussicht auf 
Erfolg, obwohl ja bei dem ausgedehnten Quellgebiet der haupt- 
sächlich in Betracht kommenden submaxillaren Drüsen auch hier 
die exakte Forschung sehr erschwert ist. 

Über den Zusammenhang von Zahnaffektionen, 
darunter speziell von kariösen Zähnen mit Lymphdrüsen- 
schwellungen, besitzen wir ausser allgemeinen Hinweisen, wie 
von Birch-Hirschfeld (7), v. Bergmann (5), Pullmann (51), 
Wohlgemuth (69) und Ponfick (49) eine ganze Reihe von 
zum Teil recht umfassenden Statistiken. Ich nenne hier die 
Veröffentlichungen von Odenthal (41), Wangemann (67), 
Berten (6), Hoppe (27), Starck (61), Koernerzer, 
Ollendorff (42), Berger (4), Ullmann (65) und vor allem 
Partsch (45, 46). 

Die Ergebnisse dieser einzelnen Untersuchungen zeitigen 
wiederum, gerade wie die anatomischen, eine Divergenz der 
Ansichten über die Existenz von Pulpalymphbahnen, doch 
scheint hier noch mehr als in den anatomischen Befunden die 
Beweiskraft der negativen Ergebnisse einÜbergewicht 
zu haben. Während eine Anzahl der oben angeführten Unter- 


Die Lymphgefässe des Zahntleisches. 535 


sucher aus ihren Beobachtungen einen deutlichen Zusammenhang 
zwischen Karies der Zähne und Drüsenschwellungen folgern 
zu müssen glaubt, der, wie Odenthal und Starck auch offen 
erklären, nur auf dem Wege von Lymphbahnen in der Zahn- 
pulpa zustande kommen kann, ergeben die Feststellungen von 
Partsch und seiner Schule ein anderes Bild. 

Partsch hat bei entzündlichen Veränderungen allein der Pulpa 
Lymphdrüsenschwellungen nur sehr selten beobachtet, während die- 
selben bei allen Entzündungen des Periodontium fast ausnahmslos 
mit grösster Promptheit eintraten. Er zieht daraus den berechtigten 
Schluss, dass dieser klinische Befund im Zusammenhang mit 
dem bisherigen Misslingen anatomischer auf den Nachweis 
von Pulpalymphbahnen gerichteten Versuche auf das tat- 


sächliche Fehlen solcher Bahnen hinweisen müsse. 

Gerade den klinischen Feststellungen von Partsch muss nun aber 
schon aus dem Grunde ein besonderer Wert beigelegt werden, weil dieser, 
im Gegensatz zu den meisten übrigen, oben genannten Autoren, stets eine 
scharfe Differential-Diagnose zwischen entzündlichen Prozessen in den 
weichen Zahngeweben nur innerhalb oder auch ausserhalb der Wurzeln, also 
zwischen reiner Pulpitis und Periodontitis, zu stellen bedacht 
gewesen ist. 


Alles in allem genommen, dürften die bisherigen sowohl 
anatomischen wie klinischen Befunde weit eher gegen als für 
die Existenz von Lymphbahnen in der Zahnpulpa sprechen. Unter 
diesem Eindruck unternahm ich es, der Frage auf einem bisher 
nicht begangenen, rein anatomischen Wege noch einmal näher 
zu treten. 

Ich habe bereits im Eingang der Arbeit (S. S11) auseinander- 
gesetzt, von welchen Überlegungen ich mich bei Fixierung meines 
Untersuchungsplanes leiten liess und wie insbesondere die 
Wedlschen (65) und v. Ebnerschen (17) Feststellungen über 
den Zusammenhang der Blutgefässe der Zahnpulpa einerseits 
mit denen des Periodontium und des Zahnfleisches andererseits 
im Verein mit der Erfahrung, dass die Lymphgefässe, wo solche 
vorhanden sind, sich besonders gern den Blutgefässen anschliessen, 
bestimmend auf mein Vorgehen eingewirkt haben. 

Als Material zu meinen Untersuchungen, die gleichzeitig auf 
die Ermittelung der feineren Verteilung der Lymphbahnen im 
Zahnfleisch und Periodontium hinzielten, benutzte ich Ober- und 


Unterkiefer von Affen, Hunden und Kaninchen. Unter diesen waren sowohl 
ältere wie jüngere Tiere, d. h. solche mit Milch- und bleibendem Gebiss, wo- 


884 Georg Schweitzer: 


bei ich besonderen Wert auf die jüngeren Tiere legte, da das erfahrungs- 
gemäss bei Milchzähnen noch weite Foramen apicale mir die meisten Chancen 
zu bieten schien, die Injektionsflüssigkeit unter Überwindung der mancherlei 
Widerstände in die Pulpalymphbahnen hineinzubringen. Diese Kalkulation 
scheint richtig zu sein, denn ich habe bislang nur bei Milchzähnen, 
abgesehen von einem embryonalen menschlichen Zahnkeim, Erfolg mit der 
Injektion gehabt. Menschliche Leichen im Milchgebiss-Alter zu erhalten, war 
mir leider bisher unmöglich, da solche ja nur äusserst selten und dann nur 
in wenig frischem Zustande zur anatomischen Bearbeitung eingeliefert werden. 
Gerade möglichste Frische ist aber zum Gelingen insbesondere der not- 
wendigen Blutgefäss-Gegeninjektion ein erstes Erfordernis. 


Die hiernach sich aufdrängende Frage, ob man berechtigt 
ist, die bei den genannten Tieren gewonnenen Befunde auf 
menschliche Zähne ohne weiteres zu übertragen, dürfte zu be- 
jahen sein. da die Blutgefässverteilung in der Pulpa von 
Säugetieren und Menschen nach den äusserst exakten und zahl- 
reichen Untersuchungen von Lepkowski (35, 36) in ihren 
Grundzügen vom Beginn der Anlage an bis zur völligen Aus- 
bildung der Zähne eine analoge ist und ein Gleiches wohl von 
den Lymphgefässen angenommen werden kann. Abgesehen 
hiervon verfüge ich noch über ein Zwischenglied in der Kette, 
einen durch injizierte Lymphgefässe ausgezeichneten Keim eines 
Ersatzzahnes bei einem ca. im achten bis neunten Monat befind- 


lichen menschlichen Fetus. 

Die auf Lymphgefässe der Zahnpulpa untersuchten Tiere wurden so 
frisch als möglich, z.T. lebenswarm injiziert, um das Gelingen 
der Gegeninjektion der Blutgefässe mit Karminleim (Grübler oder Leitz). 
wie sie z. B. in der Abbildung Fig.3 sich zeigt, möglichst zu gewährleisten. 
Wenn auch für ein geübtes Auge vielerlei Merkmale, wie die ausserordent- 
lich starken Kaliberschwankungen, die vielleicht durch die Klappen ver- 
ursachten eigenartigen Halbkugelformen der kompakten Farbstoffanhäufungen 
an den Einschnürungsstellen der sonst durch die Injektion fein tingierten 
Gefässe, ferner der von der dendritischen Verästelung der Blut- 
gefässe sehr unterschiedene Verzweigungstypus der blauinjizierten Gefässe 
einen ziemlich sicheren Schluss auf die Iymphatische Natur derselben zulassen, 
so dürften der dringend gebotenen, weitestgehenden Skepsis des Untersuchers 
und der andern Beurteiler gegenüber diejenigen Präparate allein einen jeden 
Zweifel ausschliessenden Anspruch auf Beweiskraft haben, bei denen neben 
den oben angeführten Lymphgefässmerkmalen eine gut 
selungene Blutgefäss-Injektion mit einer Kontrast- 
farbe stattgefunden hat. Somit dürfte ich, erst nachdem ich bei 
Erfüllung dieser letzten Vorbedingung zweifellose Lymphgefässbilder in der 
Zahnpulpa erzielt hatte, mich berechtigt fühlen, auch andere Präparate, welche 
zwar typische Lymphgefässbilder, jedoch keine oder nicht vollständig bis in 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. Ss5 


die feinsten Kapillaren durchgedrungene Blutgefäss-Injektion aufzuweisen 
hatten, in den Kreis meines Beweismaterials einzubeziehen, in Anbetracht 
der Schwierigkeiten, die überhaupt zunächst zu überwinden sind, ehe man 
— vereinzelt — ein Lymphgefäss in der Pulpa auf dem von mir benutzten 
Wege zu injizieren das Glück hat. 

Was die Auswahl der zur Untersuchung auf Lymphgefässe der Zahn- 
pulpa herangezogenen Präparate anlangt, so wurde bei diesen zunächst 
selbstverständlich eine gute Füllung der regionärenLymphdrüsen 
und der zuführenden Gefässe sowie vor allem das Fehlen jeglicher 
Injektion auch der kleinsten Venen nach Möglichkeit festgestellt. Die 
injizierten Köpfe wurden in 10°, ,iges Formol oder in Alkohol zunächst 
eine Reihe von Tagen eingelegt, dann die Kiefer von der Muskulatur ete. be- 
freit und in 10°/oiger Salzsäure entkaikt, was ca. 3-5 Wochen, je nach Dicke 
und Grösse der Objekte, in Anspruch nahm. Eine von mir versuchte schnellere 
Entkalkungsmethode mit 30%iger Salpetersäure-Phlorogluein nach 
Haug (23) lieferte keine guten Resultate; wenigstens litten bei mir die 
Gewebe sehr unter der sehr starken Säurewirkung trotz der Deckung durch 
Phloroglucin. Nach genügender Entkalkung, die beim Knochen verhältnis- 
mässig schnell, bei den in den Kiefern steckenden Zahnwurzeln sehr 
langsam vor sich ging, wurde ein oder mehrere Tage in fliessendem 
Wasser ausgewaschen. Dann wurden die Kiefer in Stücke zerteilt und ent- 
weder einfache Rasiermesserschnitte durch Zahn und Kiefer gemacht, 
meist von ziemlicher Dicke, teils wurden die Kieferteile möglichst langsam 
in Celloidin gebracht und in Mikrotom-Schnittserien, Schnittdicke 100—200 «, 
zerlegt. Dünnere Schnitte anzufertigen ist nicht ratsam, um die Lymph- 
gefässbilder nicht allzusehr durch Zerreissungen zu beeinträchtigen. Einzelne 
besondere Zurichtungen von Präparaten werde ich an Ort und Stelle erwähnen. 

Ich gehe nun dazu über, an Hand der Präparate die er- 
zielten Resultate, soweit sie sich auf die Zahnpulpa beziehen, 
zu beschreiben, während die in den gleichen Präparaten enthaltenen 
Aufschlüsse über die feinere Verteilung der Lymphgefässe im 
Zahnfleisch und Periodontium erst in einer weiteren Arbeit ver- 
öffentlicht werden sollen, da sie noch einer Vervollständigung 


hinsichtlich bestimmter Punkte bedürfen. 
Präparat 1. (Fig. 3, Taf: XXVIIL) 

Es handelte sich in diesem Falle um die Bearbeitung des 
Unterkiefers von einem mittelst Chloroform getöteten, ca. 7 
Wochen alten Hunde mit gut ausgebildetem Milchgebiss, bei 
welchem ausser der Lymphgefässinjektion auch eine Blutgefäss- 
injektion von der Carotis communis aus vorgenommen wurde. 
(Hund 13, männlich, injiziert am 1. Dezember 1905.) 

Ehe ich an die mikroskopische Bearbeitung des Objektes 
ging, überlegte ich den Weg, den die Pulpalymphe, falls Lymph- 


Q 


nn 


N Georg Schweitzer: 


gefässe vorhanden waren, voraussichtlich weiterhin. ausserhalb des 
Zahnes, nehmen würde. Es lag die Annahme nahe, dass die 
Lymphe aus den Pulpagefässen, durch Rami dentales in 
stärkere im Canalis mandibulae verlaufende Bahnen, analog 
den Blutbahnen, einmünden würde. Ich richtete mein Augenmerk 
daher bei diesem Präparat auch in erster Linie auf die Feststellung 
solcher Bahnen in diesem Kanal. 


Zu diesem Behuf wurde an einzelnen Kieferteilstücken der 
Kanal durch Abtragen der äusseren Knochenplatte freigelegt und 
der Inhalt desselben, das von einer straffen, bindegewebigen Hülle 
umgebene Gefäss-Nervenbündel, vorsichtig ausgelöst, was leicht 
und ohne wesentliche Zerreissungen vonstatten ging. Dann 
wurden diese ausgelösten Teile in Xylol aufgehellt und in Kanada- 
Balsam eingebettet. 


Nach Aufhellung in Xylol war schon makroskopisch ein blau 
injiziertes Lyrmphgefäss neben den rot injizierten Blutgefässen 
sichtbar. Dieses Gefäss war nicht, wie ich bei vergleichender 
Betrachtung sämtlicher Kieferstücke feststellte, in der ganzen 
Länge des Unterkieferkanals, vom Foramen mentale bis zum 
Foramen mandibulare, injiziert, sondern die Injektionsfärbung 
des (refässes begann erst in geraumer Entfernung von ersterer 
Öffnung und hörte auch ein Stück vor dem Foramen mandibulare 
wieder auf. Hieraus geht hervor, dass nicht etwaige 
Kommunikationen vom äusseren Zahnfleisch durch 
dasForamen mentale hindurch die Füllung vermittelt haben, 
sondern dass dieselbe auf kürzerem Wege, nämlich, wie die Be- 
trachtung der verschiedenen Schnittserien ergibt, durch Gefässe, 
welche vom Zahnfleisch bezw. Kieferperiost aus 
durch die Knochenspongiosa zwischen den einzelnen 
Zähnen zum Kieferkanal ziehen, erfolgt ist. Die auf diese 
Weise in die im Kanal verlaufenden, anscheinend ein relativ sehr 
weites Lumen besitzenden Lymphgefässe hineingelangte Injek- 
tionsmasse hat dann, noch vermindert und in der Kraft ihrer 
Vorwärtsbewegung geschwächt durch die Abgaben in die vom 
Kanalgefäss abzweigenden Rami dentales, nur eine beschränkte 
Strecke weit die Kanalbahn durch Blaufärbung sichtbar machen 
können, sodass also schon vor dem Foramen mandibulare die 
Färbung aufhörte. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 887 


Angesichts der Feststellung, dass tatsächlich im Unterkieferkanal 
Lymphbahnen verlaufen, darf hingewiesen werden auf eine Beobachtung 
Dorendorfs (16), der in zwei Fällen ein Hineinziehen feiner Lymphgefässchen 
vom äusseren Unterkieferzahnfleisch durch das Foramen mentale in den Canalis 
mandibulae gesehen hat. 

Dieser anatomische Befund wird in gewissem Maße gestützt durch 
eine interessante klinische Beobachtung von Partsch (44), die auch von 
Dorendorf selbst schon herangezogen wird. „Das UÜbergreifen des Lippen- 
krebses auf den Unterkiefer“, schreibt Partsch, „erfolgt nicht allein durch 
Arrosion seiner Flächen. In zwei Fällen kroch er, dem N. mentalis und 
alveolaris folgend, in den Alveolarkanal hinein und wucherte hier, den Kiefer 
auftreibend, als Tumor im Knochen weiter.“ 

Pölya und v. Navratil (48) sind der Ansicht, dass die von Doren- 
dorf gesehenen Gefässe jedenfalls kleine Venen gewesen seien. Nach den von 
mir erhobenen Befunden dürfte diese Annahme mindestens wesentlich er- 
schüttert sein. Wenn ich allerdings auch bei meinen zahlreichen Injektionen 
die Beobachtung Dorendorfs von einem Hineinziehen von (refässen in 
das Foramen mentale durch keine derartige Feststellung bestätigen konnte, 
so habe ich doch ermittelt, dass Lymphgefässe im Kieferkanal verlaufen, 
und da ohne weiteres angenommen werden darf, dass diese Bahnen den 
ganzen Kanal, und nicht einen Teil desselben, durchziehen, so darf wohl 
als erwiesen betrachtet werden, dass die von Dorendorf beobachteten Gefässe 
auch tatsächlich Lymphgefässe gewesen sind. 

Das Resultat der mikroskopischen Betrachtung oben erwähnter, 
aufgehellter Kanalinhaltstücke kann ich beschreiben zusammen 
mit den Beobachtungen, welche ich hinsichtlich der Lymphgefässe 
im Unterkieferkanalan den Schnittserien machte. Es kommen 
hier hauptsächlich zwei Serien in Betracht, je eine Längs- und 
eine (uerschnitt-Serie durch einen Teil des Kiefers von Hund 
Nr. 13, enthaltend den rechten bezw. linken unteren zweiten 
Milchpraemolaren '). Wichtig ist besonders die erstere Serie. bei 
der die Schnittrichtung parallel den Unterkiefer-Seitenflächen liegt. 
Wir sehen also in diesen Schnitten den Milchpraemolaren mit 
seinen beiden Wurzeln und Zahntleisch-Umgebung, zwischen den 
Wurzeln den Keim des bleibenden Praemolaren, unter dem Ganzen 
den Canalis mandibulae mit Inhalt. 


Im Canal. mand. sieht man den Nervenstrang und 
die mit rotem Leim prall injizierte Art. alveol. inf. Die 
Injektionsmasse ist bis in die die Arterie umspinnenden und be- 


'), Der Hund hat im Milchgebiss drei Milchpraemolaren (= Milchmolaren 
des Menschen), deren Nummern von lateral nach medial bezeichnet werden. 
(Ellenberger-Baum, Anatomie (des Hundes, 1891, Seite 72.) 


telofe) Georg Schweitzer: 


gleitenden Venen vorgedrungen. sodass man auch diese als rot 
injizierte Gefässe erkennen kann. 

Bekanntlich löst sich die V.alveolaris inf. im Canalis mandibulae in 
einen dichten Plexus auf, welcher die Arterie nach allen Seiten umspinnt. 
Nur die stärkeren Zweige, in meinen Präparaten in der Regel ein bis zwei, 
verlaufen parallel der Arterie. Eine Abbildung dieses Gefässverlaufes gibt 
Zuckerkandl (70) in Scheffs (58) Handbuch, I. Teil, S. 108, Fig. 60. 


Was nun die injizierten Lymphgefässe anlangt, so 


befolgen dieselben auch hier wiederum das Prinzip, sich den 
Haupt-Venenstämmen dicht anzuschliessen. Man sieht dem 
einen oder auch zum Teil beiden starken Zweigen des Venen- 
getlechts Lymphgefässstämme dicht an- oder aufliegen, welche im 
allgemeinen den geringen Windungen dieser Venenstämme folgen. 
Sie bilden ausgesprochene Einzelstämmchen und machen 
die Verzweigung bezw. Geflechtbildung der kleineren Venen im 
allgemeinen nicht mit. Was die Weiteihres Lumens anlangt, 
so erscheint dieselbe vielfach ungefähr gleich der der stärksten 
Venen, häufig finden sich aber entsprechend den Kaliberschwan- 
kungen sowohl weiter als auch enger erscheinende Stellen. 

In diese Hauptstämme im Canal. mand. sieht man in grösseren 
/wischenräumen teils in Begleitung von Blutgefässen, teils auch 
anscheinend selbständig, wie z. B. in dem in Fig. 3 abgebildeten 
Schnitt, Zweige einmünden, welche entweder durch die Spongiosa 
hindurch die direkte Verbindung mit den Zahntleisch- bezw. 
Kieferperiost-Lymphgefässnetzen darstellen oder aber von den 
Zähnen selbst, einschliesslich natürlich des Periodontium, her- 
kommen. 

Die Verbindungslymphbahnen zwischen Zahn- 
fleisch und Kieferkanal sind im allgemeinen von relativ 
sehr weitem Lumen, es verlaufen in der Regel nur je ein oder 
zwei Gefässe in den Zwischenräumen zwischen je zwei benachbarten 
Zahnalveolen. Von diesen (refässen zweigen aber, gerade wie bei 
den Blutgefässen, nur im allgemeinen seltener, Verbindungsästchen 
von ebenfalls relativ weitem Lumen zu den Lymphgefässen des 


Periodontium wie zu den abführenden Rami dentales ab. 
Eigentümlich sind nun einmal das verschiedene Lageverhältnis 
der Lymphbahnen zu den mit ihnen verlaufenden, rot injizierten Blutbahnen, 
ferner die durch die verschiedenen Füllungszustände der Lymphbahnen 
erzielten Bilder. 
Was das Lageverhältnis der Lymphgefässe zu den Blutgefässen 
anlangt, so drängte sich mir bei der mikroskopischen Betrachtung im 


u 


> A Ze an 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 339 


manchen Fällen die Frage auf, ob es sich um eigene Lymphgefässe, 
oder um Lymphscheiden, die die Blutgefässe umschliessen, handelt. Ab- 
bildungen dieser Scheiden fand ich bei Gegenbaur (19, Fig. 340) und bei 
Rauber-Kopsch (54, Lehrb. d. Anat., II. Aufl., 1906, Teil I, Fig. 226). 

Es scheint, als ob man hierbei drei nebeneinander vorkommende 
Formen unterscheiden kann: 

a) In vielen Fällen verlaufen die Lymphgefässe gewissermassen selb- 
ständig, ohne dass sie sich den neben ihnen ziehenden Blut- 
sefässen in bezug auf Einzelheiten des Laufes, Richtungsver- 
änderungen oder Verzweigungen, angliedern. Es kamen sogar, 
allerdings seltener, Kreuzungen der beiden Bahnen in einzelnen 
Schnitten vor. 

b) In anderen Fällen lagen die Lymphgefässe den Blutgefässen 
dicht an oder auf, wobei der Querdurchmesser des Lymph- 
sefässes hin und wieder grösser oder kleiner als der des Blut- 
eefässes sein konnte. Dieses Lageverhältnis liess sich durch die 
verschiedenen Einstellungen des Mikroskopes, sowie an Quer- oder 
Schrägschnitten feststellen. 

c) Schliesslich sah man die scharf rot abgegrenzten Wände der Blut- 
bahnen vielfach von einem schmalen blauen Saum umgeben oder in 
paralleler Richtung begleitet. Möglicherweise handelt es sich 
hier um einen perivasculären Lymphraum oder eine 
Lymphscheide. 


In den beiden letzten Fällen scheinen sich die Lymphbahnen jedoch 
in der Regel nur den Hauptstämmen der Blutgefässe und allen- 
falls diesem oder jenem stärkeren Zweige anzuschliessen. An den kleineren 
3lutgefässen sind blaue Lymphbahnen, anliegend oder als Scheiden, mit ver- 
schwindenden Ausnahmen nicht zur Beobachtung gelangt. 

Der Grad der Füllung bei den injizierten Lymphgefässen ist ein 
verschiedener sowohl unter den einzelnen Gefässen wie auch inner- 
halb jedes Gefässes auf den verschiedenen Strecken seines Laufes. 
Neben Stellen, in denen tiefe, satte Blaufärbung vorhanden ist, die 
natürlich die charakteristische Form der Gefässe besonders stark hervortreten 
lässt, und neben andern Stellen, an denen Farbstoffmassen in Eiform, von 
verschiedener Grösse, zu einer längeren Kette wie eine „Perlenschnur“ 
aneinandergereiht sind, sehe ich, und zwar überwiegend, die Wände des 
Lymphgefässes dargestellt durch eine feine Injektion in Gestalt eines 
zarten, ziemlich regelmässigen blauen Netzwerkes, dessen Stränge im 

‚allgemeinen mehr längs als quer zur Verlaufsrichtung des Gefässes gestellt 
sind. An den Kreuzungsstellen der Netzfäden finden sich punktförmige 
Verdiekungen. Das ganze Gebilde ähnelt einem Schlauch, dessen Wandung 
aus einem Netzwerk besteht. 

An bestimmten Stellen der auf diese Weise in durchsichtiger Feinheit, 
jedoch durchaus plastisch sich präsentierenden Gefässe liegt dann plötzlich 
eine dicke, undurchsichtige Farbstoffmasse, dem Lumen des Gefässes 


angepasst, jedoch an einer der in das Gefässinnere hineinragenden Flächen 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69. 58 


s90 Georg Schweitzer: 


halbkugelförmig abgerundet, gleichsam als ob an dieser Stelle eine diese Kontur 
veranlassende Klappe gelegen wäre. Jenseits dieser Anhäufung beeinnt dann 
wieder das feine „Schlauchnetz*. 

Die hierdurch geschaffenen Gefässbilder sind teilweise sehr schön; 
über ihr Zustandekommen kann ich aber trotz vielfachen Nachdenkens und 
Durchmusterns sämtlicher, sehr zahlreichen Stellen in den Schnitten, auch 
mit starker Vergrösserung (Zeiss, Ok. 4, Obj. DD), bei der Schwierigkeit 
der ganzen Frage nur vermutungsweise meine Ansicht äussern, und zwar 
möchte ich am ehesten annehmen, dass die mit einer gewissen Kraft 
durch das Gefäss hindurchgetriebene, relativ geringe Menge Injektions- 
tlüssigkeit zunächst vorspringende Teile der endothelialen Gefässwand, 
von denen auch Boedecker (8, vergl. S. 881) spricht, mit einem tüpfelartigen 
Überzug versehen hat und dass sie ferner in feinen an der Wand verlaufenden 
(Grewebssträngen retiniert worden ist. Oder sollten die feinen blaugefärbten 
Netzfäden Balken vorstellen, die innerhalb einer Lymphscheide sich be- 
finden, ähnlich wie sie Gegenbaur (19) bei der Beschreibung der Lymphräume 
von Reptilien erwähnt und abbildet (Fig. 340) und durch deren (der Balken) 
stärkere Ausbildung, wie dieser Autor sagt, der Lymphraum in einzelne 
untereinander anastomosierende Kanäle zerlegt wird? Es hat bei starker 
Vergrösserung oft den Anschein, als ob die Netzbildung so zu erklären 
wäre, doch bin ich darüber nicht zu einer definitiven Entscheidung gelangt. 

Die vorstehenden Beobachtungen durch spezielle histologische 
Untersuchungen genauer zu präzisieren, dürfte eine dankbare 
Spezialaufgabe sein. 

Ich komme nunmehr zur wichtigsten meiner Feststellungen, 
dem tatsächlichen Vorhandensein von Lymphgefässen in der 
Zahnpulpa. Ich verweise hierbei auf die Fig. 3, Taf. XXVII, 
in der ich eine genaue Abbildung des in Frage kommenden Teiles 
aus demjenigen Serienschnitt (Objektträger A«, Schnitt 4) gegeben 
habe, der nicht nur den Hauptteil des in einer Reihe von sieben 
aufeinanderfolgenden Schnitten (Objektträger A4, Schnitt 2—S) in 
einzelnen Segmenten getroffenen Lymphgefässes in der 
Pulpa enthält, sondern gleichzeitig auch einige Teile des Durch- 
trittes dieses Gefässes durchdas Foramen apicale sowie 
den grösseren Teil des starken zu dem Canalis mandibulae ab- 
führenden Ramus dentalis. Injizierte Teile der im Canal. 
mand. verlaufenden Lymphbahn sind ebenfalls in diesem Schnitt 
getroffen, jedoch an einer andern, aus Gründen der Raumersparnis 
nicht mit in die Abbildung einbezogenen Stelle desselben. Das 
injizierte Pulpa-Lymphgefäss liegt in der medialen Wurzel 
des zweiten unteren Milchpraemolaren. Wir sehen im Schnitt in 
der Pulpa zwei relativ dicke Gefässzweige von schwankendem 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 891 


Kaliber, welche aus einem einzigen Stämmchen durch Teilung 
entstehen. Weiter nach der Zahnkrone zu finden sich in diesem 
und den übrigen oben aufgeführten Serienschnitten einzelne Schnitt- 
segmente des Gefässes, aus denen aber weitere Aufschlüsse, wie 
betreffs etwaiger Verzweigung, nicht hervorgehen. In der Kronen- 
pulpa ist nichts zu entdecken. Die Weite des Lymphgefässes kommt 
der der stärksten in der Pulpa verlaufenden Blutgefässe ungefähr 
gleich, beim Durchtritt durch das Foramen apicale scheint es 
weniger weit, wahrscheinlich infolge der dort bestehenden Unmög- 


lichkeit, sich bei der Injektion auszudehnen. 

Lymphgefässstämme in gleicher Stärke wie der in der Zeichnung ah- 
gebildete Ramus dentalis, führen in andern Schnitten die Lymphe aus dem 
Periodontium zum Canal. mand. ab. Auch an der distalen Wurzel des das 
injizierte Pulpalymphgefäss aufweisenden Zahnes in dem Serienschnitt finden 
wir solche stärkeren Lymphgefässe im Periodontium nahe der Wurzelspitze. 


Die Lympbe des Periodontium hat also nach zwei Seiten 
Abflüsse. Einmal in das eng verbundene Zahnfleischnetz, ferner 
in die Lymphbahnen des Canalis mandibulae. Der feinere Verlauf 
und die Verteilung der Lymphgefässe im Periodontium wird, wie 
bereits erwähnt, Gegenstand einer noch folgenden Arbeit sein. 


Braparat 2. 


Ein weiteres Präparat. in welchem ich ein als Lymph- 
gefäss anzusprechendes injiziertes Gefäss in der Pulpa auffand, 
bildet der linke seitliche Milchschneidezahn im Ober- 
kiefer eines ganz jungen Affen. (Makakus rhesus Nr. 8, 
männlich, am S. Januar 1906, wenige Stunden nach dem Tode, 
injiziert. Füllung der typischen Zahnfleischlymphbahnen und der 
Submaxillardrüsen.) In diesem Falle hatte jedoch keine Blut- 
gefäss-Injektion stattgefunden, was selbstverständlich dem Prä- 
parat zunächst nur im Zusammenhang mit dem vorgeschilderten 
eine beschränkte Beweiskraft zuzugestehen gebieten würde, wenn 
nicht wesentliche Momente eine Erweiterung dieser Befugnis ge- 
statteten. Da bei dem injizierten Pulpagefäss die charakteristischen 
Merkmale eines Lymphgefässes und in die Augen fallende Unter- 
schiede von dem Typus der Blutgefässe vorliegen, so glaube 
ich bei der Seltenheit, mit der die Injektion eines Pulpa- 
Iymphgefässes gelingt, schon hieraufhin berechtigt zu sein, 
auch dieses Präparat zur Erläuterung meines unter 1. geschilderten 


einwandfreien Befundes heranzuziehen. Ferner aber bot sich mir 
58* 


892 (Georg Schweitzer: 


ein günstiges Vergleichsobjektindementsprechenden 
Zahn der rechten Seite, in welchem zwar kein Lymph- 
sefäss gefüllt war, dafür aber eine sehr schöne Selbst- 
injektion der hyperaemischen Blutgefässe infolge 
der Formol-Konservierung sich erhalten hatte. Da beide Zähne 
von gleicher Grösse und Form sind, so lässt ein Vergleich der 
injizierten Blutgefässe in dem einen mit den in dem andern 
gefüllten Pulpalymphbahnen die charakteristischen Unterschiede, 
was Weite, Verästelung, Kaliberschwankungen und Endausbreitung 
(richtiger Wurzelbildung) in der Kronenpulpa anlangt, deutlich 
erkennen. 

Der Schneidezahn, nebenbei im ganzen Oberkiefer der 
einzige Zahn, der ein gefülltes Lymphgefäss aufwies, wurde mit 
dem Rasiermesser sagittal in eine Anzahl dieker Schnitte zer- 
legt, von denen drei die gesamte Pulpa im Längsschnitt enthalten. 
Nach Aufhellung sehen wir wiederum ein teilweise schwach 
gefülltes, jedoch stets gerade die Konturen deutlich zeigendes, 
relativ sehr weites Gefäss, welches nach der Krone zu ungefähr 
in der Mitte der Wurzellänge eine einmalige dichotomische Ver- 
zweigung bildet. In einem der Zweige sieht man an der Form 
der Farbstoffanhäufung den schon beschriebenen halbkugeligen 
Ausguss (vielleicht) einer Klappe. 

Weiter nach der Krone zu erblickt man bei verschiedener 
Einstellung etwa drei Gefässzweige, welche in der Kronen- 
pulpa sich noch weiter teilend, aber immer ziemlich weit bleibend, 
in eine Anzahl von fingerförmigen Fortsätzen, m 
mehrere Büschel geordnet, auslaufen. Der zentrale Teil der 
Kronenpulpa weist keine solchen Büschel auf. Dieselben scheinen 
mehr an den Seitenwänden, insbesondere nach dem langen vorderen 
und dem breiteren hinteren Horn dieser Kronenpulpa zu in die 
Höhe zu streben. Die Fingerfortsätze zeigen charakteristische 
Kaliberschwankungen, erscheinen geknittert und laufen in 
der Pulpenoberfläche in röhrenförmige, an den Enden teilweise 
umgebogene Blindsäcke (vielleicht Ranviersche (52) „euls-de- 
sac“) von relativ immer noch weitem Lumen aus. Oberhalb der 
Wurzelspitze sehen wir in den beiden Hauptschnitten dieses 
Zahnpräparates grössere Teile eines starken, blau injizierten 
Lymphgefässes von äusserst charakteristischer Form, 
das als das abführende Gefäss des Zahnes anzusehen sein wird. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 535 


Im Vergleich hierzu bietet der Verlauf und die Verästelung 
der Blutgefässe in dem entsprechenden Zahn der andern Kieter- 
hälfte ein wesentlich hiervon abweichendes Bild. Hier finden 
wir zunächst eine grosse Anzahl, jedoch engerer, (refässe, 
ohne Kaliberschwankungen, mit allmählicher Verjüngung nach 
der Kronenpulpa zu. Die zahlreichen, feinen Zweige lösen sich 
dieht unter der Pulpenoberfläche in ein ausgebreitetes Netz- 
werk auf. 

Wenn somit ein Vergleich der beiden Zähne unter dem 
Mikroskop die Verschiedenheiten zwischen den Blut- und 
Lymphgefässen sowie die charakteristischen Merkmale 
der letzteren klar hervortreten lässt, so möchte ich doch, 
wie schon. betont. mit einer gewissen Reserve dieses Präparat 
als Beweisstück herangezogen haben, und zwar einzig und allein 
deshalb, weil nur eine gleichzeitige Blutgefässinjektion bei 
einer solchen Untersuchnng jedem Einspruch wirksam begegnen 
kann. Ich hoffe bald den vorliegenden Befund bei gelingender 
Blutgefäss-Injektion nachprüfen zu können und werde seinerzeit 
darüber berichten. 

Braparatı3. 

Bei der nunmehr noch vorzunehmenden Besprechung des 
letzten für die Frage der Existenz von Pulpa-Lymphgefässen zur- 
zeit vorhandenen Präparates knüpfe ich an den Fall XIII (neu- 
seborener Knabe) im ersten Teil dieser Arbeit an, bei welchem 
ich zum Schluss die später vorzunehmende Beschreibung einer 
Schnittserie von einem Oberkiefersegment der rechten Seite, 
enthaltend die rechte Hälfte des Alveolarfortsatzes, rechte laterale 


Nasenwand und Boden der Orbita, in Aussicht stellte. 

Der Kieferausschnitt wurde entkalkt, in Gelloidin gebracht und 
in eine Serie von Sagittalschnitten zerlegt. Die Schnitte fielen leider nicht 
gleichmässig dick aus, da trotz völliger Entkalkung der Aussenteile sich im 
Innern eine noch nicht genügend entkalkte Stelle befand, die eine Fortsetzung 
des Schneidens mit dem Mikrotom durch das ganze Objekt hindurch un- 
möglich machte. So mussten notgedrungen mit dem Rasiermesser dicke 
Schnitte gemacht werden, was natürlich nicht ohne Zerreissungen und Zer- 
quetschungen bei dem Widerstand des noch harten Knochens abging. Abgesehen 
hiervon ergibt sich aber besonders bei den mit dem Mikrotom in 300 „ Dicke 
angefertigten ersten Schnitten ein in mancher Hinsicht interessantes Resultat. 
Auch hier muss ich hinsichtlich der Beweiskraft die für das unter 2. ge- 
schilderte Präparat webotene Einschränkung machen, da eine Blutgefäss- 
Injektion hier nicht mehr hatte vorgenommen werden können. 


s94 Georg Schweitzer: 


In den ersten Schnitten der Serie, welche im Alveolarfortsatz 
durch zentralen Milch- und bleibenden Schneidezahn-Keim, und 
ferner durch die laterale Nasenwand mit ihren Muscheln führen, 
sieht man, dass, nach der Verteilung des Farbstoffes zu schliessen, 
der Einstich der Glaskanüle bis in das Säckchen des Milch- 
Ineisivus I hineingegangen ist. Das ganze Zahnsäckchen ist von 
zirkulär verlaufenden, bröckelige Farbstoffmassen enthaltenden 
(sefässen erfüllt, nicht dagegen injiziert ist die durch das bei 
der Injektion noch nicht entkalkte Zahnscherbchen gegen den Ein- 
stich geschützt gewesene Milchzahnpapille. Auffallenderweise aber 
ist die bekanntlich relativ stark entwickelte Papille des blei- 
benden Ineisivus von einem diehten Netz im allgemeinen 
in der Längsrichtung verlaufender, blau injizierter Gefässe 
erfüllt, die in überraschender Klarheit die charakteristischen. 
ganz bedeutenden Kaliberschwankungen der Lymphegefässe 
zeigen, sodass ein Zweifel an der Lymphgefässnatur dieser (refässe 
kaum zu erheben sein wird. Injiziert sind die Gefässe augen- 
scheinlich durch die Verbindungen von dem Zahnsäckchen des 
Milchzahnes aus, der bekanntlich mit dem bleibenden Zahnkeime 
um diese Zeit noch in einer gewissermassen gemeinsamen 
Alveole liegt. Auch die Zahnsäckchen-Anlage des bleibenden 
Ineisivus zeigt die zirkulär verlaufenden, mit Farbstoff erfüllten 
(refässe. 

In der Papille des bleibenden Ineisivus sieht man bei einer 
Einstellung des Mikroskops ca. zwölf der in vertikaler Richtung 
parallel verlaufenden Stämmchen, die durch Anastomosen mit- 
einander in Verbindung stehen. Die Anastomosen gehen meist 
fast rechtwinklig von den Stämmchen ab, im (Gegensatz zur 
Verzweigung der Blutgefässe, welche auch in embryonalen Zahn- 
anlagen meist spitzwinklig erfolgt. An vielen Stellen zweigen 
von den verticalen Hauptstämmchen ganz kurze starke Seiten- 
ästchen ab, wohl Teile von bis zur ersten Klappe gefüllten 
Zweiggefässen, wie man dies makroskopisch sehr häufig bei den 
grösseren Lymphbahnen sieht. Bei letzteren bedeutet dies ein 
nicht unwesentliches Charaktermerkmal, im Gegensatz zu der 
bäumchenartigen Verästelung auch der Seitenzweige 
bei Blutgefässen. Von den Gefässen der Zahnsäckchen aus 
ziehen starke Stämme nach facial aufwärts. 

Wichtig ist ferner die Füllung eines besonders reichhaltigen 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 895 


Lymphgefässnetzes in der Schleimhaut der lateralen 
Nasenwand. 

Allerdings hat hier, in der Nasenwand, anscheinend auch eine Vene 
etwas Farbstoff mit erhalten, denn es findet sich an einzelnen Stellen der 
Schnitte auch ein, wie es nach der mikroskopischen Beobachtung scheint, 
etwas oberflächlicher als das Lymphgefässnetz liegendes Venennetz injiziert. 
Beide sind deutlich voneinander unterschieden. Das Lymphgefässnetz besteht 
aus weiten, ihr Kaliber wechselnden Gefässen, die Maschen des Netzes haben 
abgerundete Ecken, wo hingegen das Venennetz aus vielen engeren, bäumchen- 
artig verästelten Gefässen gebildet wird. Seine Netzmaschen weisen mehr 
spitzwinklige Ecken auf. Diese Unterschiede berechtigen dazu, das erst- 
beschriebene Netz als Lymphgefässnetz anzusprechen. 

Auch aus diesem Netz ziehen starke Stämme entweder 
nach der Nasenöffnung zu oder im Knochen noch weiter nach 
lateralwärts in Richtung auf die faciale Kieferfläche unterhalb 
der Orbita. 

In den ferneren Schnitten der Serie, welche zum Teil durch 
die schmale Anlage des Sinus maxillaris gehen, sehen wir 
den lateralen Teil des Alveolarfortsatzes mit den im Sagittal- 
schnitt nebeneinander gelegenen Anlagen der beiden Milch- und 
des ersten bleibenden Molaren, über diesen an der Stelle des 
Sinus maxill. eine blaue Farbstoffanhäufung, in der aber bei der 
Dicke dieser (Rasiermesser-) Schnitte Einzelheiten des (Gefäss- 
verlaufes unter dem Mikroskop nicht zu erkennen waren. Man 
sieht aber von hier aus Gefässe zur facialen Kieferwand ziehen, 
die dann wohl, wie makroskopisch festgestellt, in der Nähe des 
Foramen infraorbitale auf die Facialfläche treten und 
zu den Submaxillardrüsen verlaufen. Hiernach, sowie unter 
Berücksichtigung des Umstandes, dass die Schleimhaut der als 
eine Ausbuchtung der Nasenwand angelegten Kieferhöhle mit der 
Nasenschleimhaut in engem Zusammenhange steht, dürfte die 
Annahme gerechtfertigt sein, dass ebenso wie die Schleim- 
haut der lateralen Nasenwand mit dem späteren Peri- 
odontium (Zahnsäckchen) der mehr medial stehenden Zähne, die 
Sinusschleimhaut mit dem Periodontium der 
unter dem Sinus stehenden, mehr lateralen Zähne, 
Praemolaren und ersten bleibenden Molaren, in 
Iymphatischer Verbindung steht. Für die Blut gefässe 
ist dieser Zusammenhang schon früher festgestellt worden, was 
auch mir geeignet scheint. die obige Annahme zu unterstützen. 


S96 Georg Schweitzer: 


Ich verweise bezüglich dieser Fragen auf die Arbeiten von 
Strubell (62) und Hajek (22). 

Der erstere schliesst seine anatomischen Erörterungen mit folgender 
Erklärung (S. 261): „Diese drei Gefässsysteme, das langgestreckte der tieferen 
Schleimhaut bezw. periostalen Schicht der Kieferhöhle, das grobmaschige des 
spongiösen Knochens und das feinmaschige der Alveole und der Wurzelhaut 
mit ihren Endgefässen sind zwar wohl charakterisiert, stehen aber mit- 
einander in so innigem Connex, dass man sie wiederum schwer voneinander 
trennen kann.“ 

Hajek (S. 22ff.): „Für mich ist es überdies sehr naheliegend, daran 
zu denken, dass Infektionskeime von den Zahn-Alveolen auch den Knochen 
durchwandern können, wie dies für die hintere Stirnhöhlentafel und das Dach 
der Keilbeinhöhle bereits erwiesen wurde. Es braucht in derartigen Fällen 
keinerlei sichtbare makroskopische Veränderung vorhanden zu sein und nur 
die mikroskopische Untersuchung könnte über den Infektionsweg Auf- 
schluss geben.“ 


Strubell hält nun, da, wie er sagt, „Lymphbahnen 
hier nicht in Frage kommen können,“ eine Ver- 
schleppung von Bakterien durch die verbindenden Zweige der 
Blutbahn für wahrscheinlich. 


Nachdem durch makroskopische und mikroskopische Unter- 
suchung festgestellt ist, dass durch Injektion der tiefen Schichten 
des Zahnfleisches und des Periodontium sich ein dichtes Lymph- 
gefässnetz sowohl in der Nasenschleimhaut wie in der gesamten 
Spongiosa unter der facialen Kieferknochenplatte injizieren lässt, 
dass ferner der Sinus maxillaris im mikroskopischen Bilde von 
Injektionsmasse erfüllt ist. die wahrscheinlich aus zerquetschten 
Gefässen stammt und durch wiederum deutlich erkennbare 
Lymphgefässe nach facialwärts abgeführt wird, möchte ich 
einen Zusammenhang zwischen diesen Lymphgefäss-Plexus als 
unzweifelhaft bestehend erachten, sodass von den Zähnen aus 
Infektionskeime auf dem Lymphwege in die Antrum- 
schleimhaut gelangen können. 


Die nach aussen abführenden Gefässe aus diesen 
Bezirken treten, wie wir gesehen haben, durch das Foramen 
infraorbitale bezw. Nebenkanälchen im Knochen auf die Facial- 
fläche hinaus und ziehen hauptsächlich zur II. und III. Submaxillar- 
drüse, eventuell ausnahmsweise auch zu den tiefen Parotis- 
drüsen. Man wird also bei einem Empyem der Highmorshöhle 
auf eine Schwellung der genannten Drüsengruppen zu achten haben. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 597 


Hiermit möchte ich die Beschreibung meiner Untersuchungs- 
resultate über das Vorhandensein von Pulpalymph- 
gefässen und der bei dieser (relegenheit gemachten sonstigen 
Feststellungen abschliessen. 

Verallgemeinernde Schlüsse aus den vorgebrachten 
Einzelerfahrungen zu ziehen, dürfte in Bezug auf manche 
Punkte verfrüht sein. Unter Berücksichtigung dieser Ein- 
schränkung können wir in Zusammenfassung der im eben ab- 
geschlossenen zweiten Teil meiner Arbeit gesammelten Erfahrungen 
folgendes aussagen: 

1. Lymphgefässe sind in der Zahnpulpa vor- 
handen. Es scheint, (Präp. 2). als ob im der Wurzelpulpa nur 
wenige: weite (Gefässe verlaufen, welche aus einem in der 
Kronenpulpa gelegenen Saugröhrenbüschel durch Zusammen- 
fluss entstehen. In der embryonalen Pulpa scheint die Zahl der 
Lymphgefässe entsprechend der noch nicht erfolgten Differenzierung 
in Kronen- und Wurzelpulpa und der relativen Grösse der Pulpa, 
d. h. der Papille, eine bedeutend grössere als im ausgebildeten 
Zahn zu sein (Präp. 3). Die Verringerung auch der Lymphgefäss- 
zahl wird durch Obliteration bei der durch die Entwicklung der 
harten Zahnsubstanzen bedingten Verkleinerung der weichen Pulpen- 
masse zustande kommen. 

2. Wasden WegdesLymphstromsnach Verlassen 
der Pulpa anlangt, so führen im Unterkiefer starke 
Rami dentales denselben sowohl aus der Pulpa wie aus dem 
Periodontium in starke, den Blutgefässen des Unterkiefer- 
kanals angegliederte Lymphgefässe ab, welch letztere ausser- 
dem in direkter Verbindung durch den Knochen hindurch mit 
dem Zahnfleisch stehen. Den weiteren Verlauf dieser Bahnen 
bis zu den regionären Drüsen durch Injektion festzustellen. ist 
infolge Weite der Gefässe und geringer Menge der hineingelangten 
Injektionsflüssigkeit bisher nicht gelungen. Als regionäre 
Drüsen für diese Bahnen aber können nach Analogie der in 
der Nähe ihrer Austrittsstelle, dem Foramen mandibulare, vorbei- 
ziehenden Innenabflüsse des Unterkiefers, denen sie sich voraus- 
sichtlich anschliessen, wahrscheinlich nur der Hauptknoten 
der tiefen Gervicaldrüsen am Zusammenflusse der V. facial. 
commun. mit der V. jugul. int. bezw. eventuell die Submaxillar- 
drüse III in Betracht kommen. 


S98 Georg Schweitzer: 


In bezug auf den ferneren Verlauf der Pulpalymphgefässe 
des Oberkiefers wissen wir, dass von den Zähnen bezw. deren 
Periodontium Lymphbahnen der Gegend des Foramen infra- 
orbitale durch die Knochenspongiosa der facialen Kieferwand, 
wenigstens beim neugeborenen Menschen, zustreben, welche durch 
die erwähnte Öffnung oder kleine Nebenöffnungen auf das äussere 
Periost des Kiefers heraustreten und im Anschluss an die Vena 
facialis anterior, teilweise vereint mit den Aussen-Abflüssen 
aus dem Zahnfleisch, zu den Submaxillardrüsen II und III 
ziehen. 

3. Zwischen den Lymphbahnen des Zahnfleisches, 
des Periodontium, der Zähne sowie im Oberkiefer der 
Schleimhaut der lateralen Nasenwand und des Sinus 
maxillaris besteht, hinsichtlich der letzten beiden wenigstens 
nach Feststellung beim menschlichen Neugeborenen, ein Zu- 
sammenhang. An einer anderen Stelle (S. 859) ist darauf hin- 
gewiesen, dass zwischen Zahnfleisch und Schleimhaut der Nasen- 
scheidewand wahrscheinlich ebenfalls eine Kommunikation, durch 
den Canalis incisivus hindurch, besteht. — 

Wenn die erreichten Injektionsresultate bei Pulpalymphgefässen 
im Verhältnis zu der auch bis jetzt schon nicht unbedeutenden 
Zahl der hieraufhin von mir untersuchten Zähne auch spär- 
liche sind, so mag zum Schluss noch einmal auf die Schwierig- 
keiten hingewiesen werden, die sich der Erzielung einwandfreier 
Resultate in den Weg stellen und zu deren Überwindung es des 
Zusammentreffens einer ganzen Reihe von glücklichen Umständen 
bedarf. 

Was zunächst die Lymphbahnen anlangt, so ist als Vor- 
bedingung ein gutes Gelingen der Zahntleischinjektion als solcher, 
reichliche Füllung der abführenden Gefässe und der regionären 
Drüsen, Vermeiden jeglicher Veneninjektion selbstverständlich. 
Die Injektionsmasse muss alsdann den überaus verschlungenen Weg 
z. B. im Unterkiefer durch die Knochenspongiosa hindurch in die 
im Canalis mandibulae verlaufenden Grefässe zurücklegen, deren 
Weite dem Strom eine weitere bedeutende Abschwächung zuteil 
werden lässt. Von hier aus muss er in den Rami dentales zu 
den Zahnwurzeln hinaufsteigen und durch das enge Foramen api- 
cale in die Pulpa eindringen. Wenn man bedenkt, dass auf dem 
ganzen Wege, nach den Injektionsbildern zu schliessen, stark ver- 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 399 


engte Stellen, vielleicht sogar Klappen, und zwar wahrschein- 
lich in der Mehrzahl entgegengerichtete, zu überwinden sind, so 
wird es als ein Glückszufall zu betrachten sein, falls es unter 
vielen Fällen einmal gelingt, ein Pulpalymphgefäss wenigstens so- 
weit zu füllen, dass seine Konturen deutlich gezeichnet sind. 
Eine Füllung der weiteren Verästelungen eines solchen Gefässes, 
wie im Präparat 2, bis in die Kronenpulpa hinein, wird stets als 
ein besonders günstiger Zufall betrachtet werden müssen. Immer- 
hin aber ist der von mir eingeschlagene Weg wenigstens ge- 
eignet, eine Existenz von Pulpalymphbahnen überhaupt nach- 
zuweisen. 

Wenn nun eine Füllung eines Pulpalymphgefässes 
wirklich gelungen ist, so muss, um jedem Zweifel zu begegnen, 
bereits gleichzeitig mit der Lymphgefässinjektion, also vor jeg- 
licher Prüfung des Objektes, eine Blutgefäss-Gegeninjektion 
vor sich gegangen und gut gelungen sein. Dass hierzu unter 
anderem völlige Frische, richtiges Anwärmen des Objektes, falls 
nicht lebenswarm injiziert werden konnte, und besondere Geübt- 
heit in der Technik, abgesehen von richtigem Verhalten der Leim- 
Injektionsmasse — selbst bei den besten Massen kommt an- 
scheinend ein Transsudieren des Farbstoffes vor — gehört, darf 
als bekannt vorausgesetzt werden. Es ist hiernach verständlich, 
dass ich vorläufig mit den erreichten Resultaten zufrieden sein 
musste und dass man wesentlich bessere Resultate nur unter 
besonders glücklichen Umständen erwarten kann. 

Es bleibt nun noch ein kurzer Ausblick übrig auf die aus 
dem Vorhandensein von Pulpalymphgefässen in klinischer Hinsicht 
zu ziehenden Folgerungen. Fin genaueres Eingehen auf diese 
Frage muss ich mir in dieser Arbeit versagen. Es handelt sich in 
erster Linie um die Notwendigkeit, die Tatsache des Vorhandenseins 
von Pulpalymphgefässen in Einklang zu bringen mit der Fest- 
stellung von Partsch (45, 46), dass Lymphdrüsenschwellungen, 
also eine Beteiligung des Lymphdrüsenapparates, nur dann ein- 
treten, wenn eine entzündliche Affektion des Periodontium 
vorliegt, nicht aber bei Beschränkung einer solchen auf die 
Pulpa, also bei einfacher Pulpitis, obwohl, wie schon erwähnt, 
auch bei dieser eine Anzahl Autoren Lymphdrüsenschwellungen 
beobachtet haben will. 

Wenn ich letztere Feststellung aber beiseite lasse, so sind 


900 Georg Schweitzer: 


für die Erklärung der Partschschen Beobachtung doch vielleicht 
manche Gesichtspunkte heranzuziehen. Die Pulpa ist ein relativ 
so kleines Organ, dass eine leichte bakterielle Infektion, die völlig 
auf dieses Organ beschränkt bleibt, also bei einfacher Pul= 
pitis, vielleicht gar keine oder aber wenigstensnureine 
sehr geringe Schwellung der regionären Lymph- 
drüsen hervorrufen wird. Diese geringe Schwellung aber durch 
Palpation mit Bestimmtheit bei den schon im gesunden Zustand 
vorhandenen Grössen-Unterschieden der Drüsen und der wahr- 
scheinlich geringen Schmerzhaftigkeit festzustellen, dürfte grosse 
Schwierigkeiten bieten. Hierher dürften vielleicht solche leichten 
Fälle zu rechnen sein. in denen nach Miller (72) „eine Ent- 
zündung der Pulpa rückgängig gemacht und Heilung herbeigeführt 
werden kann“, dadurch, dass die Lymphbahnen funktionsfähig 
bleiben. (Solche Fälle sind selten.) 

(rewöhnlich tritt wohl im Verlauf des Prozesses schnell eine 
Schwellung des Pulpa-Gewebes ein, durch welche dann, in An- 
betracht der starren, die Pulpa umgebenden Zahnwände, in erster 
Linie die mit den schwächsten Wandungen ausgestatteten Lymph- 
bahnen zusammengedrückt und funktionsunfähig gemacht werden. 
Weiterhin kommt dann zunächst, bei chronischen Prozessen, in 
Betracht eine Abkapselung des Zahnes gegen das umgebende 
(rewebe (Öllendorf), bewirkt durch die „als Reaktion auf den 
Verlust des Deckepithels einsetzende Granulationsbildung an der 
Wurzelspitze“* (Partsch |[71]). Erst wenn, in chronischen Fällen 
unter Durchbruch der eben erwähnten Schutzwand, eine Eruption 
des Prozesses in die Wurzelhaut und damit eine Ausdehnung 
der Erkrankung auf stets in vollster Funktion stehende und 
demgemäss mit Gefässen ausgestattete (rebiete erfolgt, wären die 
Bedingungen für eine deutlich wahrnehmbare Schwellungsreaktion 
der Lymphdrüsen im Partschschen Sinne gegeben. Es ist dies 
eine nur mit Vorbehalt geäusserte Ansicht, deren Nachprüfung, 
Ausbau und eventuelle Richtigstellung ich berufeneren Beurteilern 
der pathologischen Vorgänge und Erscheinungen vorerst über- 
lassen muss. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 901 


Haupt-Resultate der Untersuchung. 


Die Hauptresultate der Untersuchuug, d. h. soweit sie sich 
auf die eigentlichen Untersuchungsobjekte, Zahnfleisch und Zahn- 
pulpa, beziehen, lassen sich in folgendem zusammenfassen: 


ih; 


A. Lymphbahnen des Zahnfleisches, 

Das Zahnfleisch ist von äusserst feinmaschigen, 
zarten Netzen von Lymphgefässen, von deren 
genauer Struktur in einer besonderen Veröffentlichung 
noch die Rede sein wird, in seiner ganzen Ausdehnung 
durchzogen. 


. Aus diesen Netzen führen Aussen- und Innen - Abflüsse 


die Lymphe ab. 

a) Die nach aussen abfliessende Lymphe sowohl des 
Ober- wie des Unterkiefers sammelt sich zunächst in 
(reflechten, welche längs der oberen und unteren Um- 
schlagfalte der Wangenschleimhaut in die Schleimhaut 
der Alveolarfortsätze (das Zahnfleisch) kranzartig die 
beiden Kieferhälften umsäumen und in der Median- 
linie miteinander kommunizieren. Die Geflechte liegen 
in der Submucosa der Schleimhaut. 

Von den Geflechten ziehen zahlreiche Stämmchen 
aus allen Teilen der Alveolarfortsätze, in der Haupt- 
sache der Vena facialis anterior angegliedert, 
zu den regionären Drüsen. 

Als solehe sind anzusehen für die Aussenabflüsse: 
die Submaxillardrüsen, und zwar empfängt 
der Hauptknoten derselben, die an der Art. max. 
ext. unter dem unteren Rand der Mandibula gelegene 
Drüse II, die weitaus grösste Zahl sämtlicher Ge- 
fässe aus Ober- und Unterkiefer und zwar aus allen 
Teilen des Alveolarfortsatzes. 

Die Drüse III kommt für die Molargegend 
des Oberkiefers, Drüsel für die Frontzahn- 
gegend des Unterkiefers daneben in Betracht. 

In seltenen Fällen ziehen auch einige wenige 
Stämmchen aus der Gegend der vier unteren 
Incisivi, aus welcher die Lymphe meist ebenfalls zu 


902 


b 


Georg Schweitzer: 


den Submaxillardrüsen abfliesst, zur oberen Gruppe 
der Submentaldrüsen, unter dem Kinn zwischen 
den beiden vorderen Bäuchen des M. biventer gelegen. 
Diese Drüsen sind jedoch inkonstant in ihrem Vor- 
kommen. Zu den regionären Drüsen des Zahnfleisches 
sind sie nicht zu rechnen. 


Die Submaxillardrüsen stehen untereinander und 
mit der nächsten Etappe, der an der V. jugularis 
interna von der Einmündungsstelle der V. facialis 
communis an nach abwärts sich erstreckenden Jugu- 
laris-Kette der tiefen Gervicaldrüsen (Lell. cervi- 
cales profundae [sensu striet.| mediales) durch zahl- 
reiche starke Gefässe in Verbindung. Kommunikationen 
führen auch zu den Submentaldrüsen. 


2. Die, Innenabflüsse 


a) 


= 


aus dem Oberkieferzahnfleisch ziehen sowohl 
durch die Schleimhaut des harten Gaumens, in der 
ausgebreitete Netze gebildet werden, als auch von 
den lateralen Enden der Alveolarfortsätze 
über weichen Gaumen und Pharynxwand abwärts stets 
direkt zu dem am Zusammenfluss der V. facial. comm. 
mit der V. jugularis int. gelegenen Hauptknoten 
der tiefen Gervicaldrüsen. 

Der Abfluss erfolgt meistens zu den Drüsen 
derselben Körperseite, doch ist eine einseitige 
oder doppelseitige Kreuzung am Gaumen 
und ein Einmünden von Abflussbahnen in die ent- 
sprechenden Drüsen der andern Körperseite nicht 
selten. 
aus dem Unterkieferzahnfleisch ziehen die 
Gefässe «) aus der Frontzahngegend an der 
lingualen Kieferfläche herab, den M. mylohyoideus 
durchbohrend, zur Submaxillardrüse I; 


ß) aus allen Gegenden längs der Übergangs- 
falte des Zahnfleisches in die Mundbodenschleimhaut 
zum Hauptknoten der tiefen Gervicaldrüsen, 
anscheinend ausnahmsweiseauch zum Teil 
zu Submaxillardrüse Il. 


3 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 903 


Regionäre Lymphdrüsen für das Zahnfleisch 
sind: 
Die Submaxillardrüsen sowie (vergl. 2a) der 
Hauptknoten (meist eine Gruppe) der tiefen 
Cerviealdrüsen (Jugularis-Kette). 


B. Lymphgefässe der Zähne. 


. In der Zahnpulpa sowohl des ausgebildeten Zahnes wie 


des embryonalen Zahnkeimes ist zum ersten Mal durch 
Injektion das Vorhandensein von Lymphgefässen 
festgestellt, über deren Zahl, Verlauf und Verzweigung jedoch 
erst wenige Einzelbeobachtungen vorliegen. Nach 
diesen bilden sich aus Büscheln von Saugröhren 
in der Kronenpulpa ein oder wenige Lymph- 
gefässe von sehr weitem Lumen, welche durch 
die Länge der Wurzelpulpa hindurchführen. 


. Als Abflusswege der Lymphe 


a) vondenZähnen desOÖberkiefers sind, wenigstens 
für einen Teil derselben, mit hoher Wahrscheinlichkeit 
Lymphgefässe zu betrachten, welche aus dem Foramen 
infraorbitale bezw. kleineren Nebenöff- 
nungen auf die äussere Kieferfläche 
heraustreten und zu den Submaxillardrüsen 
I und III ziehen. 

Im Unterkiefer fliesst die Lymphe durch Rami 
dentales m Lymphbahnen ab, welche im 
Unterkieferkanal verlaufen. Obwohl es bisher 
nicht gelungen ist, diese letzteren Bahnen bis zu ihrer 
Einmündung in eine Lymphdrüse zu füllen, dürften 
dieselben nach Analogie der inneren Zahnfleischabflüsse 
zu den tiefen Cervicaldrüsen bezw. zum Teil 
zu den Submaxillardrüsen ziehen. 


b 


Nr 


. Sowohl die Submaxillardrüsen wie der Haupt- 


knoten der tiefen Cervicaldrüsen am Zu- 
sammenfluss der Vv. facialis communis und jugularis 
interna sind somit auch als „dentale Lymphdrüsen“ 
(Waldeyer) zu bezeichnen. 


904 Georg Schweitzer: 


Es sei mir zum Schluss gestattet, auch an dieser Stelle 
meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Geheimrat Waldeyer, für 
die Erlaubnis zur Ausführung der Untersuchungen in der ihm 
unterstellten Anstalt, für die Überlassung von tierischem und 
menschlichem Material. sowie ihm und dem Vorstand des Labora- 
torıums. Herrn Geheimrat W. Krause, für das meiner Arbeit 
entgegengebrachte Interesse meinen aufrichtigen Dank zu sagen. 
Ich darf ferner auch nochmals meiner Dankbarkeit gegen Herrn 
Dr. Bartels, Volontär-Assistenten der Anatom. Anstalt, für die 
von ihm ausgegangene Anregung zu dieser Untersuchung und 
seine stets bereite Hilfe, insbesondere in allen Fragen der In- 
jektionstechnik, der Behandlung der Präparate sowie in der 
kritischen Beurteilung meiner Befunde, hiermit Ausdruck geben. 


Berlin, im August 1906. 


Literaturverzeichnis. 


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Heft 51, 8. 335 ff. 

Derselbe: Bemerkungen über die Behandlung und Aufbewahrung nach 

Gerotas Methode hergestellter Lymphgefäss - Injektions - Präparate. 

Anatom. Anzeiger, Bd. XXV, 1904. S. 282 ff. 

3. Derselbe:-Über die Lymphgefässe des Pankreas, II. Archiv f. Anat. u. 
Physiologie, Anatom. Abtlg., Jahrg. 1906, 5. 230—287. 

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5. v. Bergmann, E.: Erkrankungen der Lymphdrüsen. Gerhards Handb. 
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einigen Bemerkungen über die Topographie der Leistendrüsen. Archiv 
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10. Buchbinder: Über die Lage und die Erkrankungen der Wangenlymph- 
drüsen. Beiträge z. klin. Chir., Bd. XXV, 1899. 


189) 


=] 


11. 


17; 


32. 


Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 905 


Carreras: Über die Absorptionsfähigkeit der Zahnpulpa. Österr.-Ungar. 
Viertelj.-Schr. f. Zahnh., Juli 1894. 

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Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 69, 59 


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Georg Schweitzer: 


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Mascagni, P.: Vasorum Iymphaticorum corporis humani historia et 
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Most, A.: Die Topographie des Lymphgefäss-Apparates des Kopfes und 
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Parreidt: Compendium d. Zahnheilk., 3. Aufl., Leipzig 1900. 


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tationsschrift. Breslau 1884. 
Derselbe: Erkrankungen der Zähne und der Lymphdrüsen. Odontolog. 
Blätter 1899, Nr. 3. 


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schrift f. Stomatologie 1903. Heft 9, p. 285. 


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9. Ponfick: Über die Beziehungen der Skrophulose zur Tuberkulose. 


Jahrb. f. Kinderheilk., 1900. 
Princeteau: Les ganglions Iymphatiques de la joue. Journ. med. de 
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zum Allgemein-Befinden. Zeitschr. f. prakt. Ärzte, 1896. 

Ranvier, M. L.: Etude morphologique des capillaires Iymphatiques des 
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7.321; 92896. 1: 

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Sappey: Description et iconographie des vaisseaux Iymphatiques con- 
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Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 907 


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61. Starck: Der Zusammenhang von einfachen, chronischen und tuber- 
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62. Strubell, A.: Über die Beziehungen der Gefässe der Kieferhöhle zu 
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63. Testut: Trait& d’anatomie humaine, 1894. 

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69. Wohlgemuth: Zur Pathologie und Therapie der skrophulösen Lymph- 
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“0. Zuckerkandl, E.: Makroskop. Anatomie in „Scheffs Handbuch der 
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71. Partsch, J.: Die Zähne als Eingangspforte der Tuberkulose. Deutsche 
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12. Miller, W. D.: Lehrbuch d. konserv. Zahnheilkunde. Leipzig 1903, S. 344. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVIIL 


Fig. 1. Linke Gesichts- und Halsseite einer männlichen Frühgeburt 
von ca. 38 cm Länge (Fall V). Aussen-Abflüsse der Lymphe 
des Zahnfleisches. 

Äussere Haut, Platysma, oberflächliche Halsfascie, Wangenfett- 
polster, oberflächliche Gesichtsmuskulatur, ferner M. stylohyoideus 
sind entfernt, die in der Tiefe des Halses verlaufenden Arterien nicht 
eingezeichnet. Die Drüsen des Submaxillardreiecks sind durch Aus- 
polsterung der Mundhöhle aus ihrer Lage nach aussen an den 
Unterkieferrand herausgedrückt. Ausser den Submaxillardrüsen ist 
ein Teil der tiefen Cervicaldrüsen gefüllt. Die punktiert gezeich- 
neten Lymphbahnen geben, soweit sie nicht in der Tiefe führende 
Verbindungen zwischen den Drüsengruppen darstellen, den durch 
Muskulatur, Speicheldrüsen oder Knochen verdeckten Verlauf der 
Innenabflüsse an. Vergrösserung 10:9. 

Fig. 2. Gaumendach eines ausgetragenen weiblichen Kindes (Fall XIV) 
nach Auslösung aus dem Kiefer. Abtragung der Schleimhaut in der 
Gaumenwölbung und auf dem Alveolarfortsatz der rechten Kiefer- 


seite. Aufhellung in Xylol. 
59* 


. 
908 Georg Schweitzer: Die Lymphgefässe des Zahnfleisches. 


Innenabflüsse aus dem Zahnfleisch durch die Lymphgefäss- 
netze des harten Gaumens bezw. von den lateralen Enden der 
Alveolarfortsätze. Übergang von Gefässen der linken Seite auf 
die rechte Seite. Der Abfluss erfolgt zu den tiefen Cervicaldrüsen. 
Näheres hierüber S. 858 ff. Die Zeichnung erfolgte bei auffallendem 
Licht, dreifache Lupenvergrösserung. Da die mit Carminleim in- 
jizierten, grösseren Blutgefässe, die typisch verlaufenden Stämme 
der Aa. und Vv. palatinae wegen der Dicke des Objekts nur bei 
durchfallendem Lichte (Leitzsche Stativlupe) sichtbar waren, 
wurde auf ihre Wiedergabe aus diesem und aus zeichnerischen 
Gründen verzichtet. 

Fig. 3. Teil eines Serienschnittes von einem sagittal geschnittenen 
Unterkieferstück, enthaltend den zweiten Milchpraemolaren mit 
Umgebung, von einem ca. sieben Wochen alten Hunde. Celloidin- 
Einbettung. Injektion der Blutgefässe von der A. carot. comm. aus 
mit Carminleim. Dicke des Schnittes 200 «. Der abgebildete Teil 
des Schnittes enthält die mediale Wurzel des zweiten Milchprae- 
molaren, einen Teil des Keimes des bleibenden Praemolaren, 
umgebende Knochenspongiosa und den Canalis mandibulae 
Lymphgefäss in der Pulpa und abführender Ramus 
dentalis. Lymphgefässe im Canalis mandib. sind in diesem Teil 
des Schnittes nicht mitgetroffen, jedoch in einem benachbarten Teil 
desselben Schnittes. Zeiss, Ok. 1, Obj. As». 

Die Figuren 1 und 3 sind von Herrn Ew. H. Rübsaamen, die 

Figur 2 von Fräulein M. Ranisch möglichst naturgetreu gezeichnet. Ich 


sage beiden Künstlern auch an dieser Stelle meinen 
wärmsten Dank. 


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