Se
mM
00857
{8
nr
3
}
en ee Eu KR
Archiv
für
Mikroskopische Anatomie
und
Entwicklungsgeschichte
herausgegeben
von
O. Hertwig und W. Waldeyer
in Berlin.
Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie
Dreiundsiebzigster Band
Mit 39 Tafeln und 44 Textfiguren
Bonn
Verlag von Friedrich Cohen
190%
ni
4
Te:
t
NREE Pa: A
Inhalt.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. Von J. Aug. Hammar, Upsala.
(Aus dem anatomischen Institut in Upsala.) Hierzu Tafel I—IH
und 10 Textfiguren i 20 3
Über die Genese des Chordaknorpels der Urodelen und die Natur des
Chordagewebes. Von Dr. med. Friedrich Krauss in Charlotten-
burg. (Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Universität
Berlin.) Hierzu Tafel IV—VI A:
Untersuchungen über die Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei
Vögeln. Das lockere Bindegewebe des Hühnchens im fetalen
Leben. Von Dr. med. Wera Dantschakoff. (Aus dem histo-
logischen Institut der Kaiserlichen Universität zu Moskau.) Hierzu
Tafel VII und VIII
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. II. Die Medulla oblongata von
Phocaena communis (Cuv.) Less. und Balaenoptera rostrata Fabr.
Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Morphologie der Oblongata
der Säuger. (Erste Hälfte) Von Bernhard Rawitz, Berlin.
(Aus dem pathologischen Museum der Universität Berlin.) Hierzu
Tafel IX und X
Bemerkungen zu dem Aufsatze P. Schmidts: „Über Jugendstadien der
roten Blutkörperchen.“ Von Franz Weidenreich
Zur Morphologie des Muskelglykogens und zur Struktur der quer-
gestreiften Muskelfaser. Von Professor Dr. Julius Arnold in
Heidelberg. Hierzu Tafel XI und XI
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. Von Dr. Otfried
OÖ. Fellner in Wien
Das Zentralnervensystem der Öetaceen. II. Die Medulla oblongata von
Phocaena communis (Cuv.) Less. und Balaenoptera rostrata Fahr.
Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Morphologie der Oblongata
der Säuger. (Zweite Hälfte) Von Bernhard Rawitz, Berlin.
(Aus dem pathologischen Museum der Universität Berlin.) Hierzu
Tafel XII—XV
Studien über die Thymusinvolution. Die akzidentelle Involution bei
Hunger. Von Arvid Jonson. (Aus dem anatomischen Institut
der Universität zu Upsala.) Hierzu Taf. XVI, XVII u.11 Textfiguren
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. I. Die frühesten Ent-
wicklungsstadien der Blut- und Bindegewebszellen beim Säugetier-
embryo, bis zum Anfang der Blutbildung in der Leber. Von
Dr. Alexander Maximow, Professor der Histologie und Em-
bryologie an der Kaiserlichen Medizinischen Militär-Akademie zu
St. Petersburg. Hierzu Tafel XVIII-XX
Seite
69
117
306
390
444
IV
Die Entstehung des Knochengewebes und des Zahnbeins. Ein Beitrag
zur Lehre von der Bildung der Grundsubstanzen. Von J. Disse,
Marburg. Hierzu Tafel XXI und XXI .
Das Nervensystem von Ammocoetes. I. Das Rückenmark. Von
D. Tretjakoff. (Aus dem anatom.-histologischen Laboratorium
d. Universität St. Petersburg. Vorstand: Prof. Dr. A. S. Dogiel.)
Hierzu Tafel XXIII—XXV
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. Von A.N.
Mislawsky, Prosektorgehilfe am histologischen Laboratorium
zu Kasan. Hierzu Tafel XXVI . A
Studien über die Thymusinvolution. Die Altersveränderungen der Thymus-
drüse beim Kaninchen. Von G. Söderlund und A. Backman.
(Aus dem anatomischen Institut der Universität zu Upsala.) Hierzu
Tafel XXVII und 6 Textfiguren . IRRE: 8
Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels nebst Bemerkungen
über dessen Struktur. Von Professor Dr. Julius Arnold in
Heidelberg. Hierzu aa 2... Weser
Erwiderung auf Franz Weidenreichs „Bemerkungen“ zu meiner
Arbeit: „Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen“. Von
Privatdozent Dr. P. Schmidt, Leipzig .
Zur Frage der Epithelmetaplasie im embryonalen Ösophagus. Von
Professor E. Neumann, Königsberg
Zur Kenntnis des Gartnerschen (oder Wolffschen) Ganges besonders in
der Vagina und dem Hymen des Menschen. Von Professor
Dr. Robert Meyer. (Aus dem Laboratorium der Clarite-
Frauenklinik zu Berlin.) Hierzu Tafel XXIX und XXX
Zur Morphologie und morphologischen Stellung der ungranulierten
Leucocyten — Lymphocyten — des Blutes und der Lymphe.
VI. Fortsetzung der „Studien über das Blut und die blutbildenden
und -zerstörenden Organe“. Von Franz Weidenreich. (Aus
dem anatom. Institut in Strassburg.) Hierzu Taf. XXXI—XXXIII
Leuchtende Ophiopsilen. Von Dr. Emanuel Trojan, Assistenten am
zoologischen Institute der k. k. Deutschen Universität in Prag.
(Aus dem zoologischen Institute der K. k. Deutschen Universität
in Prag.) Hierzu Tafel XXXIV
Analyse der Reifungs- und Befruchtungsprozesse des Eies von Cymbulia
Peronii nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung der
Strahlung neben den Kernen und über die Kopulationsbahn der
Vorkerne. Von A. Nekrassoff, Moskau. Hierzu Tafel XXXV
bis XXXIX und 17 Textfiguren .
563
607
681
699
138
44
51
193
883
913
Aus dem anatomischen Institut in Upsala.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus.
Von
J. Aug. Hammar, Upsala.
Hierzu Tafel I—III und 10 Textfiguren.
Inhalt.
. Material und Methoden.
. Bau des ausgebildeten, nicht involvierten Organs.
. Zur Kritik der myoiden Zellen.
. Die Histogenese.
. Die Altersinvolution.
6. Einiges über die accidentelle Involution.
ou mw Hm
1. Material und Methoden.
Da ich die Abschnitte über den Bau, die Histogenese und
die Altersinvolution jede für sich mit einer Literaturübersicht
einleite, kann ich hier sogleich zu einer Darlegung des benutzten
Materials übergehen:
Mit Rücksicht auf die accidentelle Involution wurden in
der Regel nur frisch eingefangene Tiere der Beschreibung des
normalen Baues zugrunde gelegt. Die Fische wurden meistens
sowohl gemessen als gewogen; eine ausführliche Aufzählung der
benutzten Stadien scheint mir allerdings nicht nötig, sondern ich
beschränke mich darauf, eine mehr summarische Übersicht meines
Materials zu geben. Untersucht wurden Reihen von:
Anguilla vulgaris Turt (14 Grössen von 70—670 mm)
Centronotus gunnellus L. (11 Grössen von 30—210 mm)
Uyprinus carassius L. (23 Grössen von 9,4—190 mm)
Esox lucius L. (17 Grössen von 65—660 mm)
Gasterosteus aculeatus L. (4 Grössen von 12,9—34,5 mm)
Gobius niger L. (18 Grössen von 12—142 mm)
Labrus rupestris L. (37 Grössen von 9— 160 mm)
Phoxinus aphya L. (6 Grössen von S—49 mm)
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 11
186)
). Aug. Hammar:
Salmo salar L. Stadien von 49 Tagen bis 105 Tagen mit
48stündigem Intervall, ausserdem einige ältere Individuen
im ersten bis dritten Lebensjahre (Altersbestimmung von
Dr. J. Arwidsson)
Siphonostoma typhle L. (50 Grössen von Larven von 9 mm
Länge bis Individuen von 375 mm)
Zoarces viviparus L. (25 Grössen von 40 mm bis 300 mm).
Ausserdem mehr vereinzelte Exemplare von:
Aspius alburnus L.
Cottus gobio L.
Cottus scorpius L.
Gobio fluviatilis Flem.
Leueisceus rutilus L.
Lota vulgaris Jen.
Osmerus eperlanus L.
Perca fluviatilis L.
Pleuronectes flesus L.
Die allermeisten der Meerfische wurden im Sommer 1906
bei einem Aufenthalt an der zoologischen Station Kristineberg
eingesammelt. Eine komplettierende Sendung konservierter Fische
habe ich später von der Station empfangen. Für das liebens-
würdige Entgegenkommen, das mir hierbei vom Direktor der
Station Herrn Professor Hj. Th&el und vom Vorsteher Herrn
Dr. Hj. Östergren bewiesen worden ist, bin ich den verehrten
Herren zu grossem Dank verpflichtet.
Herr Dr. J. Arwidsson hat mit der grössten Liebens-
würdigkeit sowohl die Beschaffung der Lachseier wie anderen
Materials besorgt, wofür auch ihm mein aufrichtigster Dank
gebührt. Auch einige jüngere Kollegen und Schüler haben mir
bei der Materialbeschaffung eine sehr dankenswerte Hilfe geleistet.
Die Fixierung des Materials geschah vorzugsweise in
Kaliumbichromat-Eisessig (Tellyesniczkyscher Flüssigkeit)
und Flemmingschem Gemisch, die sich betreffs anderen Thymus-
materials am vorteilhaftesten erwiesen hatten und auch hier gut
bewährten. In einzelnen Fällen kam auch Fixierung mit Formol,
bezw. Formolspiritus zur Anwendung. Aus Gründen — Hervor-
rufung von verzerrten Zellenformen und Verklebungen — die
anderorts (Hammar 1907, pag. 85) schon angeführt worden
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 3
sind, habe ich die Verwendung von Sublimatmischungen auch
hier vermieden.
Nach dem Paraffineinbetten wurden von den meisten
"Thymi komplette Schnittreihen von 3—12 u Dicke angefertigt;
von anderen wiederum nur Gruppen von Schnitten an verschiedenen
Stellen des Organs herausgegriften.
Unter den angewandten Färbungen verdienen als besonders
brauchbar hervorgehoben zu werden, neben Hämatoxylin-Eosin-
färbung, Bendas Krystallviolett, die Mallorysche Färbung mit
Säurefuchsin-Orange-Anilinblau, — welche ausser der Bindegewebs-
differenzierung manche schöne Differenzierung auch im Innern
des Parenchyms bewirkt — und, nach Flemming - Fixierung,
Safranin allein oder mit nachfolgender Lichtgrünbehandlung,
endlich Flemmings Dreifarbenverfahren. Beim Einschluss
wurde in der letzten Zeit das von Gilson angegebene Euparal
nicht ohne Vorteil benutzt.
Um eine richtige Vorstellung von der Form und den
relativen Gewichtsverhältnissen des Organs zu gewinnen, wurden
in recht grossem Maßstabe Plattenmodelle des ganzen Organs
angefertigt. Die Zahl der betreffenden Modelle beträgt zwischen
250— 300.
Über Berechnungen, die zwecks der Beantwortung spezieller
Fragen angestellt wurden, wird unten näher berichtet.
2. Bau des erwachsenen, nicht involvierten Organes.
Bekanntlich war es Stannius, welcher zuerst die Aufmerksamkeit
auf das Vorkommen einer Thymus bei den Knochenfischen lenkte. Er
beschrieb sie 1850 beim Dorsch als „ein längliches, bisweilen fast hufeisen-
förmig gekrümmtes, oder wenigstens ein Kreissegment bildendes Organ“ in
der Gegend der häutigen Kommissur, welche den Kiemendeckel mit dem
Schultergürtel verbindet. Die Drüse fand er in einer bindegewebigen Hülle
eingeschlossen, ihr Parenchym von graurötlicher Farbe mit einer durch
oberflächlich vorragende rundliche Acini bedingten höckerigen Oberfläche.
Durch ihre ganze Länge erstreckt sich eine einfache, ziemlich weite Höhle,
die eine zähe, klebrige, durch reichlich eingesprengte Pigmentzellen etwas
bräunlich gefärbte Flüssigkeit enthielt. In dieser „Flüssigkeit“, die sich
wohl als das bei nicht ganz frischem Material leicht zerfliessende Parenchym,
vor allem die Rinde erkennen lässt, fand er kleine, runde Zellenkerne in
ungeheurer Menge, spärlicher zwei- bis sechsmal so grosse runde, blasse
Zellen mit mehrfachen Kernen, ausserdem Pigmentzellen und Fettkugeln.
Konzentrische Hassallsche Körperchen konnte er nicht antreffen.
1*
4 J. Aug. Hammar:
Mit kleinen Variationen in der Lage und dem Aussehen liess siclr
das Organ wiederfinden auch bei Lota vulgaris, Pleuronectes platessa und
flesus und Rhombus maximus, bei Lophius piscatorius, wo es von enormer
Grösse war, und bei Zoarces viviparus, wo er es sehr klein, blass und
weisslick fand; bei anderen, z. B. den Cyprinoiden, suchte er es vergebens.
Leydig (1853) bezeichnet, in Anlehnung an Befunde am Stör
und unter Hinweis auf vorhandene Ähnlichkeiten in der Lage und im
Bau, die bei gewissen Teleostiern (Zeus faber) vor dem Schultergürtel vor-
kommenden Follieuli branchialis als ein Äquivalent der Thymus. Hassallsche
Körperchen schienen ihm bei den Fischen zu fehlen.
Afanassiew (1877) tritt der Leydigschen Auffassung bei. Es scheint
ihm, dass die fraglichen follikulären Gebilde als Thymus in ihrer einfachsten
Form angesehen werden können. Eine zusammenhängende Darstellung des
Baues der Fischthymus gibt der Autor nicht, und wo er mehr vorüber-
gehende Bemerkungen über sie fallen lässt, ist es meistens nicht ersichtlich,
ob sie auf die Teleostier- oder die Selachierthymus zielen; nicht selten
scheint das letztere der Fall zu sein.
Er beschreibt eine Zusammensetzung der Fischthymus aus Follikeln,
die selten zusammenfliessen, da interfollikuläres Bindegewebe in grösserer
Menge vorhanden ist. Die Follikel bestehen aus Retikulum und in dessen
Maschen eingelagerten Lymphelementen.
Maurer (1886) betont anlässlich der Darstellung der 'Thymus-
entwicklung der Teleostier, dass eine Abschnürung des Organs vom Mutter-
boden, d. h. dem Kiemenhöhlenepithel, niemals stattfindet. Da er aber
andererorts von einer die Thymus überkleidenden oder ihr fest anliegenden,
resp. mit ihr verwachsenen Schleimhaut, und von Versuchen, diese Schleimhaut
abzupräparieren, spricht, so bekommt man aus seiner Darstellung keine
einheitliche Vorstellung von den fraglichen Strukturverhältnissen.
Auf jüngeren Stufen fand er das Organ als ein spindeliges Gebilde
dorsal von den Kiemenspalten. Bei älteren Individuen war seine Lage eine
je nach der Spezies etwas wechselnde. Bei Forelle, Hecht und Leueiscus
lag es dicht hinter der Ansatzstelle der Kiemenbogen an die Basis cranii.
Bei Cyprinus carpio und Rhodeus amarus erstreckte sie sich als ein solider,
mächtiger Zapfen nach oben und lagerte dabei nicht mehr hinter dem Gehör-
organ, sondern lateralvonihm. Bei Zoarces viviparus und Gasterosteus aculeatus
hatte die Thymus eine im ganzen kubische Gestalt und lag hinter der
Gehörkapsel. Besonders gross war sie bei Cottus gobio (2,5 em Länge); sie
hatte hier die grösste Höhe hinter dem Gehörbläschen, erstreckte sich aber mit
einer niedrigeren Verlängerung lateralwärts von ihr bis zum ersten Kiemenbogen.
Die Struktur des erwachsenen Organs wird von Maurer unter Zu-
grundelegung der Thymus einer Forelle von 18—20 cm Körperlänge ge-
schildert. Der bindegewebige Überzug der tiefen Thymusfläche besteht aus
Fasern, die durch fünf bis sechs zwischengelagerte Reihen Iymphoider Zellen
auseinander gedrängt sind; er wird als Bildungsherd von Lymphzellen auf-
gefasst. Von dieser „Kapsel“ treten Blutgefässe zur Thymus hinzu; die
Wandung der Gefässe ist ebenfalls von Iymphoiden Zellen dicht durchsetzt.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 5
Die eigentliche Thymus beginnt mit einer Membran, „welche direkt
in die Membrana propria übergeht, die das Kiemenschleimhautepithel gegen
das subkutane Bindegewebe abgrenzt“. Auf die Membran folgt eine breite
Zone von grossen blassen Epithelzellen mit einzelnen zwischenlagernden
Iymphoiden Zellen. Nach dem Innern der Thymus zu werden die Epithelien
durch bindegewebige Teile mehr auseinandergedrängt. Sie liegen dann teils
einzeln, teils in Gruppen zusammen. Die einzelnen sind meist sehr gross,
ihr Kern ist kugelig und kaum gefärbt, ihr Plasmaleib konzentrisch gestreift.
Die in Gruppen zusammenlagernden bilden teils unregelmässige Zellenkomplexe,
teils — aber zum geringsten Teil — formieren sie konzentrische Körper.
Danach folgt eine Zone aus wirklichen Lymphfollikeln von ganz ver-
schiedener Grösse und unregelmässiger, meist rundlicher Gestalt. Die Follikel
grenzen endlich an eine überziehende Schicht Epithelzellen, zwischen denen
Iymphoide Zellen eingestreut liegen, so dass die Epithelien in den tieferen
Lagen vielfach auseinandergedrängt sind.
In einer vorläufigen Mitteilung gibt Schaffer (1893) einige Ergebnisse
seiner Untersuchungen über die Fischthymus, welche, was die Teleostier
angeht, Scomber, Scorpaena und Lophius piscatorius betrafen. Von letzt-
genannter Spezies stand ihm eine geschlossene Thymusserie, Individuen von
8'!/a—112 em Körperlänge entnommen, zur Verfügung. Seine Schilderung
scheint sich nur auf Lophius zu beziehen. Es heisst (p. 340): „Die Thymus
liegt abgerückt von ihrer ursprünglichen Bildungsstätte leicht auffindbar
auf der dorsalen Fläche des Schultergürtels mit ihrem distalen, nach aussen
und vorne gerichteten Ende auf dem Os claviculare in der Spitze eines Drei-
eckes, dessen vorderer Schenkel von einem drehrunden, vom Radiocarpal-
gelenk zum Hinterhauptsende ziehenden Muskel (Hebemuskel des Schulter-
gürtels,) dessen hinterer Schenkel von einem säbelförmig nach hinten
gekrümmten Knochenfortsatz der Clavicula gebildet wird. Der erwähnte
Muskel trennt sie von den Kiemen, während sie medianwärts vom Os scapulare
begrenzt wird“.
Der histologische Bau des Organs zeigte eine innige Verbindung von
epithelialen und Iymphoiden Zellen. Er fand das hellere, an Iymphoiden
Zellen ärmere Gewebe vielfach unter der umhüllenden Bindegewebskapsel
gelegen. „Es fehlt demnach der Gegensatz zwischen Mark und Rinde; das
Iymphoide Gewebe ist vielmehr als unregelmässiges Strangsystem zwischen
den Inseln des epitheloiden Gewebes verteilt. Von der bindegewebigen
Kapsel abzweigend, durchziehen ausserdem noch stärkere trabekelartige
Stützbalken das Innere, in welchem oft wandungslose Räume ein-
gegraben erscheinen.“ Konzentrische Körperchen fehlten, dagegen wurden
teils grosse Becherzellen, die ihren Schleim in „eigentümliche kavernöse
Räume“ ergossen, teils „Sarkolyten* in den verschiedensten Stadien des Zerfalls
angetroffen.
Auch Prymak (1902) betont den unmittelbaren Zusammenhang der
Thymusanlage mit dem Epithel der dorsalen Kiemenhöhlenwand, fügt aber
hinzu: „Die Schleimhaut besteht hier bloss aus einer einzigen Schicht von
abgeplatteten oder kubischen Epithelzellen, die direkt in die lockere Rinden-
substanz der Thymus übergehen‘.
6 J. Aug. Hammar:
Es ist streng genommen nicht recht möglich, die fragliche
Periode der Lebensgeschichte des Organs scharf abzugrenzen.
Gegen die eigentliche Entwicklungsperiode bietet das Hervor-
treten einer deutlichen Markschicht allerdings einen einigermassen
festen Anhaltspunkt, indem erst mit der Ausbildung des Markes
der allgemeine Strukturtypus des Organs zustande gekommen.
thym.
Figur 1.
ihym.
Figur .2.
Oberflächenbilder der Thymus (thym.).
Fig. 1 von Esox lucius; halbe natürliche Grösse.
Fig. 2 von Leueiscus rutilus; natürliche Grösse.
ist. Die Periode bis zum Abschluss dieser Markbildung soll den
Gegenstand des nächstfolgenden Abschnittes dieses Aufsatzes bilden.
Schwieriger ist die Abgrenzung gegen die Periode der Alters-
involution. Dieser Involutionsprozess tritt so allmählich ein,
‚und seine ersten strukturellen Zeichen sind so wenig augenfällig,
dass es oft schwer fällt, auf Grundlage des mikroskopischen
Bildes allein eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Alters-
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. li
involution schon begonnen hat oder nicht. Die Gewichtsverhältnisse
geben diesbezüglich einen wertvollen Aufschluss, wovon unten in
Abschnitt 5 näher gehandelt wird; der Zeitpunkt der beginnenden
Involution gibt sich u. a. durch den Abfall der Gewichtskurve zu
erkennen.
Es ist also der Zeitraum von der Entstehung des Markes
bis zu der durch die Altersinvolution bewirkten Rarefizierung
des Parenchyms, den ich hier zunächst zu besprechen habe.
thym.
thym.
Figur 4.
Oberflächenbilder der Thymus (thym.).
Fig. 3 von Perca fluviatilis; natürliche Grösse.
Fig. 4 von Siphonostoma typhle; doppelte natürliche Grösse.
Die allgemeinen Formverhältnisse.
Die Thymus der Knochenfische erscheint gewöhnlich am frisch
getöteten Tier als ein weisslicher länglicher, meistens ein wenig
prominenter Fleck am hintersten Teil der Innenwand der Kiemen-
höhle dicht an der Übergangsfalte zum Kiemendeckel (Text-
figur 1—4). Bei gewissen Arten, wie z. B. Anguilla vulgaris und
6) J. Aug. Hammar:
Labrus rupestris, ist das Organ ohne weiteres sichtbar, bei anderen,
wie z. B. Zoarces, tritt es erst ganz deutlich hervor, wenn man
Tellyesniczkysche Flüssigkeit mit einer Pipette aufträufelt
und ein paar Minuten einwirken lässt.
Was nun die Teleostierthymus vor allem charakterisiert,
ist der im mikroskopischen Durchschnitte meistens gleich hervor-
tretende Umstand, dass das Organ einen integrieren-
den Teil des Oberflächenepithels der Kiemenhöhle
ausmacht und lediglich eine strukturelle Modifi-
kation dieses Epithels darstellt. Dieses Verhältnis dauert
bei den meisten untersuchten Spezies das ganze Leben hindurch
fort; bei einzelnen Spezies wird es durch eine verhältnismässig
spät einsetzende unvollständige oder vollständige Abtrennung von
der Oberfläche modifiziert.
Da die bisherigen Angaben über die Formen- und Lageruhgs-
verhältnisse des Organs bei den Teleostiern ziemlich dürftig sind,
lasse ich hier zunächst eine an der Hand von Schnittreihen und
Plattenmodellen gemachte Schilderung der untersuchten Arten
folgen. y
Bei Anguilla vulgaris (Taf. I, Fig. 1) tritt die Thymus schon
am frischen Material als ein niedriger länglicher Wulst von weisslicher Farbe
hervor. Sie liegt dem oberen Rande des Kiemendeckels gegenüber an der
inneren Wand der Kiemenhöhle ; vorn schmal, nimmt sie nach hinten allmählich
ein wenig an Breite zu. Ihr vorderes Ende beginnt oberhalb des kaudalen
Randes des ersten echten Kiemenbogens; das hintere Ende erreicht nicht
ganz den verwachsenen hinteren Rand des Kiemendeckels. Die Thymus liegt
ganz und.gar ventro-kaudalwärts vom Gehörorgan ohne mit ihm in Berührung
zu kommen. Im Querschnitt zeigt sie in ihrer grössten Länge eine drei-
seitige Form mit einer freien lateralen Fläche, einer medialen und einer
oberen, die beiden letzteren dem Bindegewebe zugewendet. Die obere Seite
des Organs ist gewölbt und ragt etwas höher hinauf als die das Dach der
Kiemenhöhle bildende Übergangsfalte zum Kiemendeckel. Etwa in seiner
hinteren Hälfte wird das Organ durch eine in die mediale Fläche tief ein-
schneidende gefässführende Bindegewebsleiste unvollständig in zwei längliche
Lappen geteilt. Diese Leiste bildet eine Art Hilus, von wo aus die meisten,
obwohl durchaus nicht alle Gefässe in das Organ eindringen und sich ebenda
verbreiten.
Die Thymus von Aspius alburnus bildet eine vorn schmälere,
hinten breitere plattenförmige Verdickung des Kiemenhöhlenepithels, die sich
von der Gegend oberhalb des ersten echten Kiemenbogens bis zum hinteren
Rand des Kiemendeckels erstreckt. Oberhalb des zweiten Kiemenbogens
erfährt diese Platte etwa an ihrer Mitte eine zapfenförmige Verdickung in
die Tiefe. Dieser Thymuszapfen, der bei grösseren Tieren länger ist als bei
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 5)
kleinen, fügt sich in eine zwischen dem äusseren Bogengang und dem Vesti-
bulum befindliche Nische ein. Durch einen an seiner latero-kaudalen Fläche
schräg vorbeiziehenden Muskel wird seine Basis an der genannten Seite
rinnenförmig ausgehöhlt.
Bei Gentronotus gunnellus (Taf. I, Fig. 2) treten uns in sofern
Ausnahmeverhältnisse entgegen, als die Längsachse des fast spindeligen
Organs hier vertikal steht. Dabei nimmt es auf einer kurzen Strecke
nicht nur einen dorsalen Streifen, sondern die ganze obere Hälfte der medialen
Wand der Kiemenhöhle ein. Seine Lage ist fast ausschliesslich hinter der
Kiemenbogenregion, nur sein vorderster Teil schiebt sich eine kurze Strecke
oberhalb des letzten Bogens nach vorn.
Die Thymus von Cottus gobio bildet hauptsächlich eine leisten-
förmige Verdickung dicht an der Übergangsfalte im Gebiete hinten und oben
vom letzten Kiemenbogen. Die Leiste ist in ihrer vorderen Hälfte, wo sie
von dem Hebemuskel des Kiemendeckels überdeckt wird, niedrig; am hinteren
Rande dieses Muskels erhebt sie sich plötzlich, fast kielförmig in das Binde-
gewebe dringend.
Bei Cottus scorpius (Taf. I, Fig. 3A und 3B) erstreckt sich die
Thymus unter sonst ähnlicher Lage wie bei ©. gobio oberhalb der Basis der
zwei letzten Kiemenbogen. Die Verdickung des Epithels ist hier gleich-
mässiger, so dass sie in der Entstehung eines fast spindeligen Organs, dessen
breiteste Stelle allerdings etwas hinter der Mitte liegt, resultiert.
Bei Cyprinus carassius (Taf. I, Fig. 4, A—C) erstreckt sich die
Thymus oberhalb des ganzen Kiemengebiets von der ersten bis hinter die
vierte Kiemenspalte. Sie besteht aus einer dreiseitigen Platte, die vorn
schmal, hinten breiter ist und von deren Mitte im Niveau des dritten Kiemen-
bogens eine Verdickung in die Tiefe dringt. Diese verdickte Partie zeigt
bei Individuen verschiedener Grösse verschiedene Formenverhältnisse, auch
bietet das ganze Organ bei verschiedenen Altern verschiedene Beziehungen
zu dem Oberflächenepithel dar.
Die Form ist bei ganz kleinen Individuen (bis zu einer Totallänge von
14 mm) (Fig. 4A) am Querdurchschnitte eine rundliche bis eine aufgerichtet
ovale; das Organ liegt mit seiner tiefen oberen Fläche dem Labyrinthen-
knorpel schon dicht an. Von 15 mm Körperlänge an ist die Gestalt noch
mehr verlängert, zapfenförmig. Dieser Zapfen liegt nun in einer Vertiefung
zwischen dem äusseren Bogengang und dem Vorhof. Indem letztere im Laufe
der Entwicklung immer tiefer und geräumiger wird, verändert sich auch die
Form des Thymuszapfens, so dass er schon bei Tieren von 23 mm Körper-
länge (Fig. 4B) eine kurze Kolbenform angenommen hat und etwa von 63 mm
ab eine keulenähnliche Gestalt zeigt. Das Organ besteht somit in diesen
etwas späteren Altersstadien aus einer oberflächlich ausgebreiteten Platte
und der von ihrer Mitte in die Tiefe dringenden zapfen-, kolben- bis keulen-
förmigen Verlängerung; derselbe rundliche Kiemenmuskel wie bei Aspius
zieht an der latero-kaudalen Fläche ihrer Basis vorbei und bedingt hier einen
recht tiefen rinnenförmigen Eindruck.
10 J):: Ang: Hammmarr:
Die Thymusplatte ist relativ lange lediglich eine Verdickung des
Oberflächenepithels. Etwa von der Körperlänge von 20 mm ab (Fig. 4B
und ©) beginnt sich aber eine dünne Bindegewebsschicht parallel der
Oberfläche einzuschieben, wodurch die Randschicht der Thymus als ein
Oberflächenepithel vom übrigen Organ abgetrennt wird. Diese Abtrennung
erfolgt ganz allmählich, geht bald (und, nach meiner Erfahrung zu urteilen,
am gewöhnlichsten) hauptsächlich von der medianen Seite, bald hauptsächlich
von der lateralen Seite aus. Stets wird aber der kraniale Abschnitt der
Thymusplatte früher als der kaudale von der Oberfläche abgetrennt. Ich
habe die Abtrennung des kranialen Teils schon bei einer Körpergrösse von
23 mm vollführt gefunden. Kaudal kann der Zusammenhang weit länger
bestehen bleiben. In der Lösungsperiode scheint die Verbindung mit dem
Oberflächenepithel durch kurze Parenchymstränge oder Parenchymbrücken,
zwischen denen gefässführende Bindegewebszüge verlaufen, vermittelt zu werden.
Die vollständige Lösung erfolgt bei individuell wechselnder Zeit: einerseits
habe ich sie schon bei einem Tier von 23 mm gefunden, andererseits habe
ich eine kaudale Verbindung mit dem Oberflächenepithel noch bei einem von
42 mm erhalten gesehen. f
Jedenfalls muss es betont werden, dass diese Abtrennung des Organs
von der Oberfläche erst zu einem Zeitpunkt vor sich geht, wo die histolo-
gische Differenzierung des Parenchyms in Randschicht, Rinde und Mark schon
lange vollzogen ist. Der Vorgang ist demnach ein sekundärer, welcher mit
der Histogenese des Organs nichts zu schaffen hat. ‘Letztere vollzieht sich
bei Cyprinus wie bei den übrigen untersuchten Teleostiern in einer mit dem
Oberflächenepithel zusammengehörigen Gewebsmasse.
Sehr häufig, wenngleich nicht ganz konstant, habe ich bei kleinen
Individuen eine recht unscheinbare, aber ziemlich zirkumskripte Lymphozyten-
infiltration des Oberflächenepithels am vordersten Ende der Kiemenhöhle ange-
troffen. Sie sitzt an der medialen Wand, hat keinen Zusammenhang mit der
eigentlichen Thymus und zeigt keine Teilung in Rinde und Mark; myoide
Zellen oder dergl. sind auch nicht in ihr wahrzunehmen. Ob hier ein rudimen-
täres Thymussegment vorliegt, dürfte nur durch Verfolgung des Entwicklungs-
verlaufes sicher zu entscheiden sein, scheint aber nicht ganz ausgeschlossen.
Bei Esox lucius (Textfig. I, Taf.1, Fig. 5A und B) hat die Thymus
ebenfalls eine dreiseitige Form von der Oberfläche gesehen. Ihr schmales
Vorderende beginnt oberhalb des ersten Kiemenbogens, wo eine blindschlauch-
ähnliche Ausbuchtung der Kiemenhöhle ihr entlang zieht. Sein Hinterende
deckt der hintere Rand des Kiemendeckels. Der Durchschnitt ist linsen-
förmig, am vorderen Ende allerdings mit der Andeutung einer zapfenförmigen
Verlängerung in die Tiefe.
Die Thymus von Gasterosteus aculeatus (Taf. I, Fig. 6) erstreckt
sich vom Ansatze des zweitletzten Kiemenbogens fast bis zum hinteren Rande
des Kiemendeckels. Sie liegt grösstenteils hinter der Labyrinthenregion in
der Nähe des Vorderendes der Niere. Bei dem jüngsten der untersuchten
Individuen (12,9 mm) stellt das Organ noch eine linsenförmige Verdickung
des Oberflächenepithels dar. In den übrigen der untersuchten Stadien zeigt.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 11
sie die Form eines abgeplatteten Ovoids mit schmälerem vorderen und breiterem
hinteren Ende. In den älteren Stadien ist ihre Gestalt etwas mehr lang-
gezogen und gleichbreit als in den jüngeren. Etwa den mittleren zwei Vierteln
ihrer latero-ventralen Fläche entlang steht sie mit dem Epithel der Über-
gangsfalte zum Kiemendeckel in ziemlich schmaler Verbindung. Dieselbe
hat die Gestalt eines längsverlaufenden Streifens, sieht aber am Querschnitte
wie ein schmaler Stiel aus. Die absolute Ausdehnung des Verbindungs-
streifens ist grösser in den grösseren der untersuchten Individuen als in den
kleineren, und es kann deshalb fraglich erscheinen, ob diese Stielung zur
wirklichen Abschnürung führt. An ihrer medio-dorsalen Fläche erhält die
Thymus zwei ziemlich tiefe rinnenförmige Eindrücke; sie werden durch zwei
dorso-ventral verlaufende Muskeln hervorgerufen, von denen der vordere in
das Vorderende des Organs einschneidende dem nächstletzten Kiemenbogen
angehört, der hintere rückwärts vom letzten Bogen zum Schultergürtel zieht.
Das einzige von mir untersuchte Exemplar von Gobio gobio maß
54 mm in der Länge. Die Thymus zeigt hier eine recht eingehende Ähn-
lichkeit mit den auf den mittleren Altersstufen von Cyprinus carassius ge-
fundenen Verhältnissen. Eine längliche Thymusplatte zieht auch hier ober-
halb des ganzen Thymusgebietes, und von ihr geht im Bereiche der zweiten
Kiemenspalte eine kolbenförmige Verlängerung aus, die auch hier in die
Vertiefung zwischen Vestibulum und äusserem Bogengang eingelagert ist.
Derselbe Muskel zieht an der lateralen und kaudalen Fläche des Organs
vorbei. Nur ist eine Andeutung zu einer stattfindenden Abschnürung von
der Oberfläche nicht anzutreffen, sondern das Organ stellt sich als ein inte-
grierender Teil des Kiemenhöhlenepithels dar.
Die allgemeine Form der Thymus von Gobius niger ist, von der
Oberfläche gesehen, dreiseitig mit vorderer Spitze. Im Querdurchschnitte
ist die Form linsenähnlich ; indem bald nur die äussere Fläche stark gewölbt
ist, bald auch die innere eine konvexe Kontur zeigt, weist das Querschnitts-
bild im einzelnen nicht unerhebliche Variationen von einer plankonvexen
bis zu einer bikonvexen Form auf. Am vorderen Ende greift das Organ nicht
selten auf die Übergangsfalte und sogar auf die Basis des Kiemendeckels
über. Das Vorderende liegt oberhalb der Basis des letzten Kiemenbogens
und steckt bei etwas älteren Individuen nicht selten in einer blindsackartigen
Verlängerung der Kiemenhöhle. Nach hinten erreicht das Organ den hinteren
Rand des Kiemendeckels nicht ganz. Die Niere beginnt hier etwa in der-
selben Querschnittebene, wo die Thymus aufhört.
Bei Labrus rupestris (Taf. I, Fig. 7) hat die Thymus fast dieselbe
dreiseitige allgemeine Gestaltung mit linsenförmigem Querschnitte wie bei
Gobius. Das zugespitzte Vorderende liegt aber oberhalb des dorsalen An-
satzes des zweiten Kiemenbogens. Rückwärts reicht das Organ nicht unbe-
deutend über das Vorderende der Niere hinaus. An der Basis sämtlicher
echter Kiemenbogen kommen nicht selten selbständige Lymphozyteninfiltra-
tionen kleineren Umfangs vor, ohne dass sichere Anhaltspunkte für ihre Be-
urteilung als der Thymus angehörig vorliegen.
Leuciscus rutilus (Textfig. 2) zeigt Thymusverhältnisse, welche
mit denen des Cyprinus carassius grosse Analogien zeigen: eine längliche,
12 J. Aug. Hammar:
vorn sich verschmälernde Thymusplatte, die sich oberhalb des ganzen Kiemen-
bogengebietes erstreckt, und von welcher ein je nach der Grösse des unter-
suchten Tieres kürzerer oder längerer Thymuszapfen in der Gegend des
zweiten Bogens abgeht. Dieser Zapfen hat fast dieselben Lagebeziehungen zu
der Umgebung, vor allem zum Labyrinth, wie bei Öyprinus. Eine Abschnürung
von der Oberfläche scheint allerdings nicht vorzukommen; wenigstens fehlen
noch beim Individuum von 150 mm Anzeichen eines solchen Prozesses ganz
und gar.
Die Thymus von Lota vulgaris zeigt etwa dieselbe dreiseitige Form
wie die von Esox; nur ist sie etwas mehr in die Länge gezogen; der hinterste
Teil ist hier der diekste. Ihr vorderes Ende liegt oberhalb des Ansatzes des
zweiten Kiemenbogens, das hintere in der Gegend des hinteren Kiemendeckel-
randes.
Bei den (relativ grossen) Exemplaren von Osmerus eperlanus,
die ich untersucht habe, habe ich die Thymus nur schwach ausgebildet und
gegen das umgebende Epithel recht unscharf abgegrenzt gefunden. Sie bildet
eine schwach linsenförmige Verdickung des Oberflächenepithels an der medialen
Wand der Kiemenhöhle oberhalb der Kiemenbogen, von wo aus sie auf die
Übergangsfalte zum Kiemendeckel übergreift.
Bei Perca fluviatilis (Textfig. 3) hat die Thymus die Gestalt einer
länglich ovalen, linsenförmigen Platte, die oberhalb des ganzen Kiemengebietes
liegt und gleichwie bei Esox lucius und Gobius niger mit dem Vorderende
längs einer taschenförmigen Verlängerung der Kiemenhöhle einher zieht.
Dieselben Verhältnisse wie bei Leuciscus rutilus findet man auch bei
Phoxinus aphya. Je nach der Grösse des Tieres hat die Verlängerung
in die Tiefe Zapfen- oder Kolbenform. Anzeichen einer stattfindenden Ab-
schnürung sind in der untersuchten Reihe auch hier nicht zu finden.
Von Pleuronectes flesus habe ich die Thymus nicht rekonstruiert,
da die mir zur Verfügung stehenden Exemplare nicht ganz unbeschädigt
waren. Nach den vorhandenen Schnitten zu urteilen, handelt es sich um
ein Organ, das dem unten beschriebenen von Zoarces viviparus recht sehr
ähnelt. Mit der ein wenig eingeschnürten Basis von der Oberfläche aus-
gehend, ragt es als ein plumper Zapfen in die Tiefe. Seine vordere Grenze
liegt oberhalb des zweitletzten Kiemenbogens.
Die plattenförmige Thymus des Salmo salar bietet insofern
eigenartige Verhältnisse dar, als sie allein in meinem ganzen Untersuchungs-
material eine Art Segmentierung zeigt. Das Organ erstreckt sich oberhalb
des ganzen Kiemenbogengebiets vom ersten bis hinter den letzten Bogen.
Es beschränkt sich aber die Thymuswandlung des Epithels nicht auf das
Gebiet oberhalb der Bogen, sondern sie greift an jeder Kiemenspalte weiter
ventralwärts auf die mediale Wand der fast sagittal gestellten Spalte über,
in der Form einer wulstförmigen Verdickung. Es besteht also das Organ
aus fünf schräg verlaufenden Wülsten, von denen der erste vor- und oberhalb
des ersten Bogens, der letzte hinter dem letzten liegt. Diese Wülste nehmen
von vorn nach hinten an Mächtigkeit zu. sodass die grösste Masse des
Organs nach oben und hinten vom letzten Kiemenbogen liegt; sie sind in
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 13
der Regel derart miteinander verschmolzen, dass sie eine einheitliche Platte
bilden, aus welcher sie reliefartig hervortreten. Nur der erste hat eine
grössere Selbständigkeit und tritt bisweilen fast ganz getrennt hervor.
Die hier beschriebene Anordnung scheint während der eigentlichen
Entwicklungsperiode am deutlichsten zu sein, ist aber noch im 2. Lebens-
jahre wiederzufinden.
Bei Siphonostoma typhle (Textfig. 4, Taf. I, Fig. 9) hat die Thymus
die Totalgestalt einer bald ovalen, bald länglichen bikonvexen Linse, deren
etwas schmäleres und dickeres Vorderende sich oberhalb des Ansatzes der
zwei letzten Kiemenbogen erstreckt, während das breitere und dünnere
Hinterende den verwachsenen Hinterrand des Kiemendeckels fast erreicht.
Das Organ liegt bei etwas grösseren Tieren in seiner grössten Ausdehnung
nicht ganz an der Übergangsfalte zum Kiemendeckel, sondern etwas mehr
ventralwärts gleich oberhalb der Mitte der medianen Wand der Kiemenhöhle.
Die Thymus von Zoarces viviparus (Taf. I, Fig. 10) besteht aus
einer oberflächlichen, fast gleichseitig dreieckigen Platte mit einer Spitze nach
vorn. Von dieser Platte ist nur eine schmale Kantpartie dünn, während von
ihrem zentralen grösseren Abschnitt ein rundlicher, ziemlich plumper Zapfen
in die Tiefe zieht. Das Organ findet sich an der medialen Wand der
Kiemenhöhle, dicht an der Umschlagsfalte zu dem Kiemendeckel; mit etwa
der Hälfte seiner Masse liegt es rückwärts vom letzten Kiemenbogen, dessen
vorderen Rand es nach vorn nicht überragt. Kaudoventral vom Gehörorgan
gelegen, kommt die Thymus mit diesem nicht in Berührung. Eine
Abtrennung von dem Oberflächenepithel scheint auch bei älteren Individuen
nicht vorzukommen.
Wenn man diese recht wechselnden Thymusformen über-
blickt, so scheint es mir, dass sie sich alle doch auf eine
gemeinsame Grundform zurückführen lassen, nämlich die bei
Esox, Gobius, Labrus, Lota, Pereca und Siphonostoma mehr oder
weniger ausgeprägt vorkommende Linsenform, deren Umkreis,
offenbar in Anpassung an die vorhandenen Raumverhältnisse
vorn mehr spitz ausläuft, hinten sich verbreitert und also im
Grossen und Ganzen dreiseitig ist. Auf diese dreiseitige Linsen-
form lassen sich offenbar sowohl die in der Länge stark aus-
gedehnten Formen bei Anguilla und Cottus scorpius, wie die in
der Längsrichtung des Tieres wenig ausgedehnte, in vertikaler
Richtung aber stark ausgezogene Form des Centronotus zurück-
führen. Auch die platte ovoide Form des Gasterosteusorgans
ist offenbar durch Abschnüren aus einer solchen vorn schmäleren,
hinten breiteren Plakode hervorgegangen. Sogar die Thymus-
drüsen von Aspius, Cyprinus, Gobio, Leuciscus und Phoxinus, die
durch das Vorkommen einer zapfeft- bis keulenförmigen Ver-
längerung in die Tiefe einen Typus für sich bilden, an den
14 J. Aug. Hammar:
einigermassen auch Pleuronectes und Zoarces sich anfügen lassen,
sind offenbar durch ein sekundäres Einwuchern eines Teils der
Plakode in die Tiefe entstanden.
Die Lage ist insofern eine fixe, als die Thymus an der
medialen Wand der Kiemenhöhle und ihr hinterer Rand unfern
des hinteren Randes des Kiemendeckels sich finden. In der
Regel liegt sie dicht an der Übergangsfalte zum Kiemendeckel,
nicht selten greift sie auf diese Falte und sogar auf den nächst-
gelegenen Bezirk des Kiemendeckelepithels über; dies kommt
bei verschiedenen Arten vor, scheint aber meistens nicht konstant,
sondern durch individuelle Variationen bedingt zu sein. Nur bei
Siphonostoma kann die Lage in der grössten Ausdehnung des
Organs eine mehr ventrale, von der fraglichen Falte abgerücktere
sein: dies ist aber ein sekundäres, durch Wachstumsverschiebungen
bedingtes Verhältnis, während der Entwicklung ist die Lage wie
bei den sonstigen untersuchten Spezies.
Nach vorn reicht das Organ verschieden weit, in der Tat
findet man alle Gradationen von solchen Thymi, die das ganze
epibranchiale Gebiet einnehmen, bis zu solchen, die wie bei
Uentronotus fast ausschliesslich hinter dem letzten Bogen liegen.
Dass dies nicht, wie Maurer zu meinen scheint, auf einer in
der Ontogenese stattgefundenen Reduktion des vorderen Teils
‚des Organs zu beruhen braucht, ergibt sich aus den Verhältnissen
bei der Entwicklung der Siphonostomathymus. Bei diesem Tier
wird das Organ nämlich von Anfang an lediglich im Bereiche
der zwei letzten Kiemenbogen angelegt.
Unter allen untersuchten Arten ist es, wie schon hervor-
gehoben, nur Salmo salar, dessen Thymus eine dem Kiemenbogen
entsprechende Segmentierung aufweist, gleichwie die Lachsthymus
allein auf das Gebiet der Kiemenspalten hinübergreift.
Als eine sekundäre Modifikation ist offenbar die Abtrennung
vom Obertlächenepithel aufzufassen, die ziemlich lange nach er-
folgter Histogenese bei COyprinus carassius eintritt. Sie ist von
nicht unbedeutendem Interesse, da sie zu den bei den Verte-
braten sonst gewöhnlichen Verhältnissen einen Übergang bildet.
Dei den übrigen Vertebraten geschieht ja die Abtrennung des für
die Thymus bestimmten epithelialen Materials schon zu einem weit
früheren Zeitpunkt und zwar in der Regel, ehe die Histogenese noch
begonnen hat. Dass eine solche Abtrennung nicht bei allen Thymi
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 15
derselben Formengruppe, zu der Uyprinus carassius gehört, vor-
kommt, lässt sich aus den Verhältnissen bei Aspius alburnus und
Leuciscus rutilus entnehmen, wo noch nach dem Anfange der
Altersinvolution die Verbindung mit der Oberfläche in der ganzen
Ausdehnung des Organs besteht. Es lässt sich vorläufig nicht
sicher entscheiden, ob die eingehende gewebliche Trennung durch
zwischenwucherndes Bindegewebe, welche bei Gasterosteus aculeatus
zu finden ist, in einer völligen Isolierung ihren Abschluss findet.
Ganz ohne Analogien auch bei den übrigen Spezies ist diese
Abtrennung durch eindringendes Bindegewebe nicht. Auch bei
letzteren lassen sich im gegenseitigen Verhalten von Thymus-
und Bindegewebe Momente nachweisen, die sich als Andeutungen
eines Abtrennungsprozesses deuten lassen.
Subthymisches und intrathymisches Bindegewebe.
Manchmal tritt die Grenze zwischen Epithel und Binde-
gewebe schon am kerngefärbten Präparate deutlich hervor. Wo
eine Infiltration des Bindegewebes durch Lymphocyten in grösserem
Maßstabe stattgefunden hat, was nicht selten der Fall ist, kann
die fragliche Grenze fast verwischt werden. Hebt sich dann die
oberflächliche Schicht der Thymus — die Randschicht — wie das
auch nicht selten vorkommt, mit deutlich epithelialem Aussehen
von der unterliegenden kleinzelligen Rinde scharf ab, so wird
leicht eine subepitheliale Lage des Organs vorgetäuscht. Die Ver-
wendung geeigneter Färbungen — Hansens oder Mallorys
Bindegewebsfärbungen — gibt aber auch unter solchen Verhält-
nissen raschen Aufschluss.
Es zeigt sich dann, dass das Organ auf lange Strecken ohne
jedwede scharfe Grenze unter allmählicher Verdünnung seiner
Randpartien in das umgebende Epithel übergeht. Da letzteres
gewöhnlich auch mehr oder weniger mit Lymphocyten durchsetzt
ist, fehlt es unter solchen Umständen häufig an jeder scharfen
Organgrenze dem umgebenden Epithel gegenüber !).
!), Eine Iymphoide Infiltration des die Thymus umgebenden Epithels ist in
sehr wechselndem Maße zu finden. Bei gewissen Spezies wie bei Cyprinus
carassius ist sie regelmässig und sehr ausgeprägt vorhanden, so dass eine
scharfe Begrenzung des Organs nicht festzustellen ist. Sie greift dann auf das
Kiemengebiet oftmals in seiner ganzen Ausdehnung über. Man könnte an
solchen Objekten versucht sein, an die von Beard (1894) einmal ausgesprochene
16 J. Auge. Hammar:
Auf anderen Strecken aber schiebt sich das Bindegewebe
unter keilförmiger Verjüngung in die Randpartie hinein, wodurch
hier die Trennung in Oberflächenepithel und eigentliches Thymus-
parenchym markiert wird. Die gegebenen Bilder liefern hierfür
Beispiele in Fig. 5A u. B, Taf. I. Es finden sich demnach hier
dieselben Verhältnisse wieder, die bei Cyprinus als erste ein-
leitende Stadien des Abtrennungsprozesses dienen. Ein tieferes
Eindringen der peripheren Bindegewebskeile findet aber nicht
statt, es bleibt zeitlebens bei diesen ersten Vorbereitungen einer
Abtrennung.
Meistens zeigt sich das subthymische Bindegewebe an der
Grenze gegen das Organ deutlich verdichtet zu einer Art Basal-
membran. Nicht selten zeigt diese eine mehr oder weniger deut-
liche Fibrillierung, und auch wo eine solche nicht zu erkennen
ist, kann man Stellen finden, wo die sonst anscheinend homogene
Membran durch durchtretende Zellen, meistens Lymphozyten, in
feine Lamellen zerlegt oder sogar in Fibrillen zersplittert ist und
dadurch ihre nicht homogene Beschaftenheit zur Anschauung bringt.
Dem anliegenden Thymusparenchym gegenüber verhält sich
nun das Bindegewebe und die Basalmembran verschiedentlich.
Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse bei Siphonostoma.
Hier ist die Grenze zwischen den beiden Geweben meistens glatt
und eben (Taf. I, Fig. 9 und 12). Erst bei älteren Tieren, und
zwar auch hier recht spärlich, sieht man regelmässig einzelne
(refässe mit dünnem umgebendem Bindegewebsmantel in das
Organ eindringen. Demgemäss ist die Verbindung zwischen Thymus
und Bindegewebe wenig fest. Bei der Fixierung trennen sie sich
oftmals auf längere Strecken glatt voneinander.
3ei den meisten Spezies wiederum dringen zahlreiche gefäss-
führende Bindegewebszüge in das Parenchym ein (Taf. Ill, Fig.
25—27, 29). Indem sie nicht selten mit regelmässigen Zwischen-
Vermutung zu denken, dass der Thymus die Aufgabe zukomme, einerseits
die Kiemen gegen Bakterien zu schützen, andererseits absterbende Kiemen-
teile phagocytotisch zu entfernen. Anzeichen einer nennenswerten Aus-
wanderung in die Kiemenhöhle hinein sind aber auch dann nicht zu finden.
Bei den untersuchten Meerfischen ist diese Infiltration des umgebenden
Epithels meistens sehr geringfügig. Ob hier wirklich ein durchgehender
Unterschied zwischen verschiedenen Arten, je nach ihrem Aufenthalt in mehr
oder weniger reinem Wasser, vorliegt, lasse ich vorläufig unentschieden.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 17
räumen wiederkehren, bewirken sie bisweilen eine Art unvoll-
ständiger Teilung des basalen Parenchymgebiets in follikelähnliche
halbrunde Bezirke. Im jüngeren Alter zeigen diese Bindegewebs-
züge in der Regel den Charakter hoher Schleimhautpapillen.
Jenseits der Papillenspitze kann man dann allerdings häufig die
Gefässe nach der Oberfläche hin verfolgen. In Mallory-Präparaten
zeigen sie sich hier mit einer feinen blauen Konturlinie an jeder
Seite, aber ohne jede Bindegewebsadventitia. In älteren Tieren
haben auch diese oberflächlichen Strecken der Blutbahn eine
bindegewebige Adventitia erhalten, und es ist damit das Organ
von einem System anastomosierenden, nicht selten gegen die Ober-
fläche arkadenförmig umbiegender gefässführender Bindegewebs-
stränge durchzogen. Normalerweise liegen diese arkadenförmigen
Schlingen an der Grenze zwischen der Thymusrinde und der
Randschicht; nur selten dringen sie in letztere ein. In diesem
Niveau ist es, wo die Lostrennung des Organs bei Uyprinus statt-
findet und diese Trennung wird offenbar teilweise durch eine
Vergrösserung der fraglichen Bindegewebszüge bewirkt. Eine
solche Vergrösserung kommt nun, wie im Abschnitte 5 näher
beschrieben werden soll, auch bei anderen Spezies vor. Ich möchte
auch hierin eine Analogie mit den Verhältnissen bei Cyprinus,
gewissermassen die Einleitung einer niemals zum Abschluss
kommenden Lostrennung des Organs von der Oberfläche erblicken.
Im allgemeinen sind diese „Gefässkanälchen“, wie ich der
Kürze halber diese interparenchymatösen, gefässführenden Binde-
gewebszüge nennen will, reichlicher vorhanden in den diekeren
zentralen Bezirken einer Thymus, als in ihren dünneren Rand-
partien, reichlicher bei grösseren Fischarten mit voluminöserer
Thymus, als bei kleineren Formen. Besonders reichlich habe ich
die Vaskularisierung bei grösseren Individuen von Esox, Lota,
Perca und Salmo gefunden. Hier sind die Gefässkanälchen oftmals
recht reichlich verzweigt und miteinander derart verbunden,
dass ein recht dichter, das Organ durchziehender Gefässplexus
entsteht.
Auch bei Anguilla kommt etwas darartiges vor. Wie schon
oben angedeutet, geschieht aber die Verbreitung eines grossen
Teils der Gefässkanälchen von einem leistenförmig in die Mitte
des Organs einschneidenden Hilusbindegewebe, von dem zahlreiche
(Gefässkanälchen fächerförmig ausgehen. In die vordere Hälfte
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 73. 2
15 J. Aug. Hammar:
des Organs, wo das Hilusbindegewebe fehlt, und in die dünnen
Randpartien dringen die Gefässkanälchen mehr vereinzelt hinein.
In den zapfen- bis keulenförmigen Thymusdrüsen treten
Gefässe von allen Seiten hinzu. Besonders zahlreich angehäuft
finden sie sich aber am tiefsten Ende, von wo aus Züge axialer
Gefässkanälchen das Organ in seiner ganzen Länge durchziehen.
Beim Eindringen in die Gefässkanälchen behält das sub-
thymische Bindegewebe sein charakteristisches Gefüge bei. Es
ist in der Nähe der Gefässe locker und meistens mit zahlreichen
Lymphozyten — auch eosinophile Zellen kommen in der Regel
in beträchtlicher Zahl vor — durchsetzt, verdichtet sich aber an
der Oberfläche zu einer dem Parenchym anliegenden Basalmembran,
welche eine Fortsetzung der entsprechenden, dasOrgan abgrenzenden
Bildung ausmacht. Nicht selten kommen zwei oder mehrere Ge-
fässe in demselben Kanälchen vor. Sie sind meistens dünnwandig
ohne deutlichen Unterschied im Bau.
Im Querschnitte der Kanälchen zeigt sich das Bindegewebe
konzentrisch um die Gefässe angeordnet, und das Kanälchen mit
den zahlreichen in konzentrischen Zügen angeordneten Kernen
gibt dann ein Bild, das dem der Hassallschen Körperchen
bei den Säugern nicht ganz wnähnlich aussieht und mit diesen
auch von Prymak (1902) verwechselt worden ist. Die Ver-
foleung solcher Bilder an Mallory-gefärbten Schnittreihen ent-
hüllt bald ihren wirklichen Charakter.
Das Thymusparenchym.
Das eigentliche Parenchym lässt am ausgebildeten, nicht
involvierten Organe drei deutliche Strukturbezirke erkennen.
Einer folgt genau der freien, der Kiemenhöhle zugewandten Ober-
fläche des Organs; ein anderer liegt an der Bindegewebsgrenze
und erstreckt sich von dort an mehr oder weniger tief in das
Innere des Organs hinein; diese beiden in der Regel proto-
plasmareicheren Schichten werden durch eine zwischenliegende,
kernreichere getrennt. Sowohl in der Struktur, wie in ihrem
Verhalten bei den Involutionsprozessen ähnelt die äusserste Schicht
der Randschicht der übrigen Vertebratenthymus, die inter-
mediäre der Rinde und die tiefste dem Mark. Infolge dieser
unzweifelhaften Analogie verwende ich in angegebener Weise die
betreffenden Benennungen. !
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 19
Den gleichbenannten Schichten z. B. der Säugerthymus
homolog sind die fraglichen Schichten allerdings nicht. In jenen
entwickelt sich ja die Randschicht aus den dem Bindegewebe am
nächsten liegenden Retikulumzellen, das Mark aber differenziert
sich, wo die ursprünglich hohle Thymusanlage ihre Lichtung hatte,
d.h. der freien Oberfläche des Epithels entsprechend; also wie
man sieht, eine Schichtung, die geradezu die entgegengesetzte
der der Teleostierthymus ist.
Die Randschicht hat wie die gleichgenannte Schicht
anderer Thymi eine epitheliale Beschaffenheit, wechselt aber im
Aussehen für verschiedene Spezies, ja sogar, wenn auch innerhalb
engeren Grenzen, für verschiedene Individuen derselben Spezies
nicht unwesentlich.
Nicht selten ist sie mehrschichtig; mehrere Lagen platter
Zellen decken einander, oder auch ist nur das oberflächlichste
Zellenstratum platt, die unterliegenden Zellen sind dicker bis
polygonal. Eine solche geschichtete Beschaffenheit findet man
2. B. bei Esox und Salmo (Taf. II, Fig. 16 u. 17). Bei anderen
Arten, z. B. Siphonostoma, ist die Schicht an dem vertikalen Durch-
schnitte durch eine einzige Reihe platter bis kubischer Zellen
vertreten.
Die Randschicht mag nun ein- oder mehrschichtig sein,
immer findet man Schleimzellen in ihr eingestreut. Ihre Zahl
wechselt ausserordentlich individuell. Bald findet man sie nur
ganz vereinzelt, bald bilden sie der Oberfläche entlang eine fast
ununterbrochene Reihe. Diese Variationen scheinen in nahem
und direktem Verhältnis zu denen zu stehen, die das die Thymus
umgebende Epithel zeigt; wo dies reichliche Schleimzellen besitzt,
ist gewöhnlich das Gleiche auch bei der Randschicht der Fall
und vice versa.
Auch die Formen und die Lage der fraglichen Zellen
stimmen mit denen des umgebenden Epithels nahe überein. Nur
in der Grösse stehen sie denselben gewöhnlich etwas nach. Man
findet also beiderorts dieselben Formen von geschlossenen und
oftenen Zellen mit Schleimkörnchen, mit netzförmigem Schleim-
koagel im Inneren oder mit fast leerer Theca und schmalen bis
zitronenförmigen Zellen mit dickem Protoplasmamantel und Schleim-
körnchen im Innern. Auf die letztgenannte Form, die ich reich-
licher im Mark angetroffen habe, komme ich noch weiter unten
DES
20 J. Aug. Hammar:
zurück. Immer ist der Kern der Schleimzellen in der Rand-
schicht basalwärts verschoben, und wo ein Stoma vorhanden ist,
gehört es dem oberflächlichen Ende der Zelle an.
Bei einigen Spezies (z. B. Labrus und Siphonostoma) kommen
in der Randschicht vereinzelte grosse kubische Zellen vor, die
durch ein dichtes, von Eosin stark färbbares Protoplasma aus-
gezeichnet sind. Da diese Zellen in der Thymus relativ spärlich,
in der Epithelbekleidung der Kiemen ein reichlich und regel-
mässig vorkommender Bestandteil sind, so liegt kein Grund vor,
sie als ein für die Thymus charakteristisches Element zu betrachten.
Bei Esox, aber bei keiner der übrigen untersuchten Arten,
habe ich in der Thymus und zwar vor allem, wenn auch nicht
ausschliesslich, in der Randschicht, homogene Kügelchen an-
getroffen, die in Homogenität, Grösse und Färbbarkeit eine
gewisse Ähnlichkeit mit den kernlosen roten Blutkörperchen der
Säuger darbieten. Sie färben sich mit Hämatoxylin-Eosin rot, mit
Malloryfärbung gelb, mit Bendafärbung violett. Sie kommen
sowohl inter- wie intrazellulär vor. An der freien Oberfläche
der Thymus sieht man sie nicht selten als ballon- oder hantel-
förmige Tropfen zwischen den platten Zellen hervorquellen,
Bilder, die meistens so zahlreich und auffallend sind, dass sie
nicht umhin können, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Über ihre Bildungsart und Bedeutung weiss ich nichts näheres
anzuführen. Für die Thymus sind sie jedenfalls auch nicht
eigentümlich, denn sie kommen auch im umgebenden Epithel,
wenngleich spärlicher, vor.
Endlich habe ich in der Randschicht der Thymus von
Gobius grobkörnige, drüsenartige Zellen in wechselnder Zahl
angetroffen. Bald sind sie geschlossen, bald sind sie nach der
Art der Becherzellen am oberflächlichen Ende offen. Die Körnchen
sind ausgeprägt acidophil, und die Zellen unterscheiden sich
schon dadurch von den Schleimzellen, die auch in dieser Thymus
regelmässige Vorkommnisse sind. Auch sie sind der Thymus
nicht ausschliesslich angehörig, sondern im umgebenden Kiemen-
höhlenepithel gleichfalls anzutreffen.
Bemerkenswert ist die geringe Zahl der in der Randschicht
vorkommenden Lymphozyten. Fast niemals habe ich Bilder
angetroffen, die auf ein Durchwandern solcher Zellen und ein
Austreten in die Kiemenhöhle hindeuten.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 21
Das epitheliale Aussehen der Randschicht, insbesondere wo
sie durch eine kontinuierliche Reihe von Schleimzellen eine
direkte Fortsetzung des gleich gebauten Epithels der Umgebung
bildet, ladet in vielen Fällen beim ersten Anblicke geradezu
dazu ein, jene Schicht als die alleinige Fortsetzung dieses Epithels
und die Rinde und das Mark als ein subepitheliales Gewebe zu
betrachten. Das Studium eines bindegewebsgefärbten Präparates
lässt aber unschwer erkennen, dass die Grenze zwischen Epithel
und Bindegewebe tiefer zu suchen ist. Geht man mit stärkeren
Vergrösserungen den Bildern nach, so gelingt es ferner, an der
Grenze zwischen Randschicht und Rinde geeignete Stellen zu
finden, wo man von Zellen jener Schicht Ausläufer in diese
eindringen sieht, die sich mit den Fortsätzen der Retikulumzellen
der Rinde verbinden, die Einheitlichkeit der beiden Schichten
also dokumentierend.
An der genannten Grenze biegen, wie schon oben gesagt wurde,
die Gefässkanälchen gewöhnlich aus ihrer aufsteigenden Richtung
in eine der Oberfläche parallele ein. Zwar sieht man nicht ganz
selten solche Kanälchen, die ganz in der Randschicht liegen, aber
fast immer scheint es sich dann um Involutionsvorgänge zu
handeln, durch welche die Randschicht eine Verdickung erfahren hat.
Die Rinde nimmt je nach der Form des Organs
ein verschiedenes Gebiet ein (Taf. I, Fig. 1—12). Wo das
Organ linsenförmig ist, fehlt es an seinen Randpartien meistens
gänzlich an Mark; die Rinde erstreckt sich also hier bis an das
Bindegewebe und ist relativ dick. Im Zentrum nimmt das Mark
einen Bezirk wechselnder Dicke ein; nicht selten wölbt es sich
über die Bindegewebsgrenze kuppelförmig hinaus. Die Rinde
wird hierdurch in der Mitte des Organs verhältnismässig dünn.
Wo das Organ etwas voluminöser ist, zeigen die Rinde und
das Mark eine prinzipiell gleichartige Verteilung, indem letzteres
von dem tiefsten Ende des Organs mehr oder weniger weit nach
seiner Mitte hin vordringt, an drei Seiten von der Rinde umgeben
(Taf. I, Fig. 6, 7 und 10).
Nur wo die Thymus stark in die Tiefe gewachsen ist und
eine Kolben- bis Keulenform angenommen hat, gestalten sich
diese Verhältnisse etwas komplizierter. Wie die nach Cyprinus
gezeichneten Bilder Taf. I, Fig. 4B und C an die Hand geben,
ist die Rinde vorzugsweise an den beiden Enden des Organs
22 J. Aug. Hammiar:
angehäuft, und aus ihr besteht auch der plattenförmige TeiF
desselben, während das Mark der mittleren Strecke angehört.
Es nimmt aber diese Strecke nicht in ihrer ganzen Dicke ein,
sondern dringt an der kaudalen und medialen Seite ein, an der
kranialen und lateralen Fläche eine dünne Rindenschicht übrig
lassend, welche also eine Verbindung zwischen den mächtigeren-
endständigen Rindenpartien bildet.
Im Bau stimmt die Rinde mit der der höheren Vertebraten
recht genau überein. Es kommt auch hier ein zelluläres Retikulum
vor, in dessen Maschen Lymphozyten meistens in grosser Menge
eingelagert sind. Manchmal sind die Lymphozyten so zahlreich
und die Retikulumfasern so fein, dass vom ganzen Rindenretikulum
hauptsächlich die ovalen, relativ chromatinarmen Kerne mit
nächstumgebendem Protoplasma zu sehen sind; dies ist .z. B. das
regelmässige Verhältnis bei Siphonostoma. Es ist aber nur nötig,
dass eine accidentelle Involution hinzugekommen ist, wodurch
die Lymphozytenzahl reduziert wurde, um das Rindenretikulum
blosszulegen. Auch an schwierigen Objekten wie das genannte,
pflegt übrigens an den dünneren Rändern des. Organs, wo das
Retikulum nicht so stark distendiert ist, und wo ein Übergang
zum gewöhnlichen, wenn auch manchmal lIymphozyten in-
filtrierten Epithel sich vollzieht, das Wahrnehmen der Retikulum-
zellen in ihrer ganzen Ausdehnung an dünnen Schnitten ohne
Mühe zu gelingen.
Bei anderen Spezies — und hier sind Salmo (Taf. II, Fig. 16.
und 17), Zoarces und vor allem Centronotus zu nennen — ist das
Rindenretikulum mehr grobfaserig, so dass es an dünnen Schnitten
unschwer durch die ganze Rinde zu verfolgen ist, und auch sein
Zusammenhang einerseits mit den Zellen der Randschicht, anderer-
seits mit dem Retikulum des Marks sich ohne weiteres fest-
stellen lässt.
In ganz jungen Stadien haben die Retikulumzellen einen
rein protoplasmatischen Charakter. Wie im Marke, tritt aber
früher oder später eine eigentümliche Faserdifferenzierung in
ihrem Protoplasma auf. Da dieselbe mit der des Markes nahe
übereinstimmt, und da sie im Marke dem Studium meistens viel
zugänglicher ist, so verschiebe ich die Beschreibung, bis von dem.
Mark gehandelt werden wird.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 23
Die Lymphozyten der Teleostierthymus sind sehr klein und
protoplasmaarm. Ihr Kern zeigt bisweilen eine eigentümliche und
charakteristische Anordnung des reichlich vorhandenen Chromatins.
Es findet sich meistens eine zentrale Chromatinanhäufung; von
ihr geht eine Anzahl speichenförmiger Chromatintrabekel bis zur
Kernmembran, wodurch der Kern ein durchlöchertes, radähnliches
Aussehen gewinnt. Von den für die Menschenlymphozyten be-
schriebenen Radkernen unterscheiden sich diese durch die grazi-
lere Gestaltung der Chromatinzüge. Besonders deutlich habe ich
diese Kernstruktur in Lymphozyten von Anguilla gefunden.
Wie ich früher (1905) für die Vogelthymus beschrieben
habe, findet man auch bei den Teleostiern. fast regelmässig eine
wechselnde Zahl „tingibler Körperchen“ um gewisse Retikulum-
kerne der Rinde angehäuft. Sie zeigen dieselben verschiedenen
Stadien herabgesetzter Färbbarkeit und fortschreitender Auflösung,
wie Rudberg (1907, pag. 159—40) für die Röntgeninvolution
der Thymus beschrieben hat. Im Lichte seiner Erfahrungen
dürften diese Bilder mit einer gewissen Sicherheit dahin zu deuten
sein, dass es sich um Trümmer von Lymphozytenkernen handelt,
welche in die Retikulumzellen aufgenommen worden sind und dort
aufgelöst werden.
In diesem Zusammenhange sind auch einige in den nach
jenda gefärbten Präparaten fast regelmässig vorkommende
Bilder erwähnenswert. Es wird in solchen Präparaten eine
grössere oder kleinere Zahl der Lymphozyten dadurch hervor-
gehoben, dass ihr Protoplasma eine ganz feine und dichte Körne-
lung aufweist. Das Protoplasma bildet dann im Bilde einen ganz
schmalen dunklen Ring um den meistens schwächer als normal
gefärbten Kern herum. Auch bei anderen Tinktionen zeichnen
sich die betreffenden Kerne durch schwächere Färbung aus. Die
Menge der also modifizierten Lymphozyten steht in einer direkten
velation zur Zahl verhandener tingibler Körperchen. Es will
mir scheinen, als ob diese Bilder die Einleitungsstadien desselben
Prozesses wären, der später in den Zerfall der Lymphozyten und
die Bildung und Auflösung tingibler Körperchen ausläuft.
Das Mark. Das charakteristische Merkmal des Marks ist
hier wie immer die Hypertrophie der Retikulumzellen. Mit der
Vergrösserung ihres Volums sind die Retikulumzellen des Marks
einander näher gerückt. Meistens liegen sie allerdings so locker,
24 J. Aug. Hammar:
dass ihre ästige Form und ihre gegenseitigen Verbindungen noch
deutlich hervortreten (Taf. II, Fig. 17). Bald legen sie sich
streckenweise dicht aneinander, wodurch Gruppen oder Züge
epithelialen Aussehens entstehen (Taf. I, Fig. 11), bald wiederum
kann fast das ganze Mark solchergestalt einen epithelialen Charakter
erhalten. Die Anordnung mag die eine oder die andere sein,
fast immer lässt sich der Zusammenhang der Markzellen mit den
Retikulumzellen der Rinde unschwer nachweisen.
Unter den sternähnlichen und eckigen Zellenformen, die die
Hauptmasse des Marks ausmachen, finden sich fast immer mehr
rundliche Formen. Die Mehrzahl derselben zeigt in der Regel
bei näherer Besichtigung auch Fortsätze, die sich mit denen der
übrigen Markzellen verbinden. Bisweilen scheinen solche Ver-
bindungen zu fehlen, was am häufigsten bei den grössten Zellen
dieser Art der Fall ist.
Der Leib dieser Zellen zeigt meistens einen ausgeprägt
fibrillären Bau. Häufig zeigen die Fibrillen eine mehr oder weniger
ausgeprägte (uerstreifung, wodurch die Zellen den von den Thymus-
drüsen anderer Vertebraten wohlbekannten Typus der myoiden
Zellen annehmen.
Ein vorzugsweises Vorkommen solcher myoiden Zellen in der
Nähe der Gefässe, wie man es für die Vogelthymus, und wie ich
glaube, auch hier mit Unrecht behauptet hat, lässt sich nicht fest-
stellen. Vielmehr habe ich solche Zellen unter Umständen (speziell
bei Siphonostoma) in Thymusdrüsen angetroffen, wo Gefässe im
Innern des Organs überhaupt nicht vorhanden waren.
Zu der anderorts und für andere Tierklassen gegebenen
Schilderung der myoiden Zellen (Hammar 1905) habe ich hier
recht wenig Neues hinzuzufügen. Die rundlichen Zellen über-
wiegen an Zahl. Hier zeigen die Fibrillen dieselbe knäuelartige
Anordnung konzentrischer, ineinander geflochtener Züge, wie z.B.
beim Frosch; ein Übertreten einzelner Fibrillen bezw. Fibrillen-
bündel in die Zellenfortsätze kommt auch hier vor. Die Menge
des undifferenzierten Protoplasmas ist aber bei den Teleostiern
verhältnismässig viel grösser, als ich sie sonst gefunden habe.
Die in den myoiden Zellen des Frosches fast regelmässig vor-
kommenden, oftmals sehr grossen Vakuolen lassen sich bei den
Teleostiern fast gar nicht wiederfinden. Die auf ihr Vorkommen
begründete Ansicht von ver Eecke (1899), nach der den frag-
N
bt
Zur Kenntnis der Teleostierthymus.
lichen Zellen eine sekretorische Aufgabe zukommen sollte, lässt
sich deshalb hier ebensowenig wie für die Vögel aufrecht erhalten.
Während die rundlichen Formen der myoiden Zellen bei
keiner der von mir untersuchten Spezies fehlen, so scheinen die
bei den Vögeln so gewöhnlichen länglichen, fadenähnlichen Formen
bei den meisten Teleostiern ausserodentlich selten zu sein. Ich
habe solche allerdings in einigen Stadien von Anguilla und
Centronotus angetroffen, und bei Gobius sind solche Bildungen
auffallend häufig. Hier bilden sie im Marke nicht selten ganze
Komplexe eigentümlichen Aussehens und nicht unbedeutenden
Umfanges. Bald flechten sich eine Zahl fadenartiger Gebilde
derart zusammen, dass ein myoider Plexus entsteht, welcher an
die Anordnung der Muskelfasern im Myokard etwas erinnert
(Taf. I, Fig. 15), bald bilden sie mit rundlichen Formen zusammen
wahrhafte Knäuel (Taf. III, Fig. 36). Meistens ist an der einen
oder anderen Seite der Zusammenhang mit dem Retikulum auch
unter solchen Verhältnissen zu sehen.
Zwecks einer Diskussion der histogenetischen Stellung der
myoiden Zellen komme ich im der nächsten Abteilung auf sie
nochmals zurück.
Abgesehen von diesen in vereinzelten Zellen vorkommenden,
meistens reichlich angehäuften Fibrillen kommt bei sämtlichen
darauf untersuchten Arten eine Fibrillendifferenzierung ver-
schiedener Anordnung in den typischen Retikulumzellen vor. Es
handelt sich (Taf. III, Fig. 37 und 35) um feine, ziemlich stark
lichtbrechende Fäserchen, die in mehr geradem Verlauf oder in
weiten Bögen gehend, das Retikulum durchziehen. Sie liegen
deutlich intraprotoplasmatisch und durchziehen das Retikulum
derart, dass sie vom Fortsatz einer Zelle in den damit zusammen-
hängenden Fortsatz der nachbarlichen übergehen. Sie sind in
jeder Zelle nur in spärlicher Zahl vorhanden. Auf längeren
Strecken ihres Verlaufs erscheinen sie als ungeteilte, glatte und
gleich breite Bildungen. In der nächsten Umgebung eines
Retikulumkernes angelangt, weichen die Fibrillen auseinander:
auch scheinbar homogene Fäserchen zersplittern sich in feinere
Fibrillen. Der Kern wird dermassen von ziemlich zahlreichen
Fibrillen umfasst, welche sich jenseits des Kerns wiederum zu
einer kleineren Zahl etwas gröberer Fasern zusammenschliessen
können.
26 J. Aug. Hammar:
Wie schon oben angedeutet, beschränken sie sich nicht auf
die Markzellen, sondern gehen von ihnen kontinuierlich auf die
Retikulumzellen der Rinde über, obgleich die Fibrillen hier
wegen des grösseren Zellenreichtums und der grösseren Dichtigkeit
des Gewebes nicht selten schwieriger zu verfolgen sind.
Da die Richtung der Fortsätze der Retikulumzellen im
Mark recht oft eine mehr oder weniger vertikale ist, so haben
die fraglichen Fibrillen hier nicht selten eine ähnliche auf-
steigende Richtung, sonst gehen sie zum grössten Teil scheinbar
regellos. Nur ist das durch sie gebildete Gitterwerk immer ein
sehr undichtes, und zwischen den also differenzierten Retikulum-
zellen scheinen regelmässig solche ohne deutliche Fibrillendifteren-
zierung in nicht unbeträchtlicher Zahl vorzukommen.
Mit Bindegewebsfärbungen färben sich diese Fibrillen nicht,
und sie unterscheiden sich schon dadurch von den Retikulin-
fasern der echten Iymphoiden Gewebe. Am besten treten sie an
Bendapräparaten nach Flemmingfixierung und zwar mit
schöner, violetter Färbung hervor; sie sind aber nach den ver-
schiedensten Färbungen zu sehen, wenngleich meistens ohne
besondere Farbendifferenzierung.
Es ist nun eine Beobachtung, die für die Frage nach der
Deutung der myoiden Zellen gar nicht ohne Belang ist, dass
die bier beschriebenen Fibrillen der typischen Retikulumzellen
in Ausnahmefällen eine zwar nicht auffallende, aber dem geschulten
Auge deutliche Querstreifung zeigen.') Ich habe solche Bilder
besonders bei älteren Individuen von Anguilla angetroften (Taf. III,
Fig. 38). Hier habe ich sogar Verbindungen zwischen den quer-
gestreiften Fibrillen der Retikulumzellen und denen der myoiden
Zellen an einzelnen Stellen wahrnehmen zu können geglaubt!
Diese Retikulumfibrillen scheinen sich bei gewissen Spezies
relativ früh, bei anderen später und sogar erst bei annahender
Altersinvolution herauszubilden. Obgleich sie meistens bei älteren
Individuen stärker ausgeprägt sind, lassen sie sich deshalb nicht
als eigentliche Altersphänomen deuten.
'), Eine entsprechende Fibrillendifferenzierung in den Retikulumzellen
habe ich bei gewissen Vögeln (z. B. Corvus cornix und Sturnus vulgaris) wahr-
nehmen können. Auch hier sind die Fibrillen bisweilen von quergestreifter
Beschaffenheit.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 27
Regelmässig, obwohl schon individuell an Zahl stark
wechselnd, kommen Schleimzellen im Mark vor. Bisweilen
nehmen sie an der Begrenzung von Markzysten teil; meistens
bieten sie aber dasselbe auffallende Bild von mitten im Gewebe
eingestreuten Schleimzellen, wie ich es anderswo (1905, pag. 59)
für die Froschthymus beschrieben habe. Das Sonderbare des
Bildes wird in der Teleostierthymus dadurch noch erhöht, dass
die fraglichen Zellen alle möglichen Stellungen einnehmen und
oft geradezu verkehrt liegen, d. h. mit dem kernführenden Ende
nach der freien Oberfläche des Organs hin, das Stoma nach dem
Bindegewebe zugekehrt. Öfter als beim Frosch habe ich Ver-
bindungen zwischen den Schleimzellen und den umgebenden
Retikulumzellen gefunden (Taf. III, Fig. 35).
3jemerkenswert ist, dass relativ selten Bilder von offenen
Zellen mit austretendem Sekret angetroffen wurden. Wo sie zu
sehen waren, liessen sich zweifelsohne dieselben Zweifel bezüglich
der präformierten Beschaffenheit des Bildes geltend machen, wie
sie in neuerer Zeit betreffs der Becherzellen laut geworden sind.
Dass ein Austreten des Schleims in die Retikulummaschen — es
mag sich nun auf die eine oder andere Weise vollziehen —
wirklich stattfinden kann, davon habe ich mich dank des Vor-
kommens freier Schleimklumpen überzeugen können. Zahlreich
sind solche Bilder freien Schleims allerdings nicht. Vielleicht
liegt die Erklärung hierfür in der von Rudberg festgestellten
phagozytenähnlichen Wirksamkeit der Retikulumzellen. In der
Tat habe ich solche Zellen angetroffen mit einer diffusen, nicht
körnigen oder fädigen Inhaltsmasse, die die Basophilie des
Schleims zeigen, nur gewöhnlich mit einem weniger hellen,
schmutzigen Ton der Färbung; besonders treten solche Bilder
nach der Malloryfärbung auf. Ich bin geneigt, in ihnen den
Ausdruck eines durch Phagozytose sekundär mit Retikulumzellen
einverleibten Schleims zu sehen.
Es verdient eine spärlich, aber recht regelmässig vor-
kommende Zellenform hier erwähnt zu werden, die ich zur
Formengruppe der Schleimzellen rechnen zu müssen glaube. Es
sind Zellen ovaler, zitronenförmiger oder noch etwas mehr
langgezogener Gestalt, gewöhnlich mit dem kleinen, stark färb-
baren Kern am einen Pole (Taf. III, Fig. 34). Die Oberfläche
der Zelle ist durch eine dicke, stark lichtbrechende und färbbare,
23 J: Aug.’ Hammer:
wohl protoplasmatische Aussenschicht, die fast mit einer Knorpel-
kapsel verglichen werden kann, charakterisiert. Im Innern findet
sich eine Höhle, die von einem protoplasmatischen Retikulum durch-
zogen sein kann. In der Höhle bezw. in den Maschen des Retikulums
liegen gleichförmige, regelmässig verteilte Körnchen, die im Quer-
schnitte rund aussehen, im Längsschnitte aber nicht selten eine
Komma- oder sogar eine Knopfnadelform haben. Diese Körnchen
zeigen meistens eine deutliche Basophilie und färben sich dann dem
Schleim ganz ähnlich. In anderen Fällen habe ich sie freilich
ohne jene mehr spezifische Färbbarkeit — azidophil — gefunden.
Da solehe Zellen, wie oben gesagt, auch in der Randschicht unter
den dort befindlichen Schleimzellen anzutreffen sind, bin ich
geneigt, diese recht sonderbaren Bilder zum Formenzyklus der
Schleimzellen zu rechnen, und zwar denke ich mir ste als Spät-
formen der retrograden Metamorphose solcher Zellen.
Im Marke kommen auch nicht allzu selten grosse, syneytium-
artige, vielkernige Riesenzellen vor. Mitunter schliessen sie
tingible Körperchen oder Schleim ein (Taf. III, Fig. 31), was
ich, auf die Rudbergschen Erfahrungen gestützt, als Zeichen
einer stattgefundenen Phagozytose aufzufassen geneigt bin.
Bilder, die mit echten Hassallschen Körperchen zu
vergleichen sind, finden sich in der Teleostierthymus recht selten.
Bisweilen findet man Stellen, wo sich eine oder einige der
Retikulumzellen einer grösseren rundlichen Zelle mit oder ohne
myoiden Charakter, — bisweilen sogar einer Schleimzelle (Taf. III,
Fig. 33 A — derart angefügt haben, dass eine Art konzentrischen
Zellenkomplexes dadurch entstanden ist. Mehr als eine zufällige
Ähnlichkeit, glaube ich aber, bedeutet dies nicht. Wenigstens
habe ich die für die echten Hassallschen Körperchen so kenn-
zeichnende Degeneration der zentralen Zellen nicht angetroffen.
Da grössere konzentrische Komplexe von Prymak (1902)
für die Teleostierthymus als konzentrische Körperchen beschrieben
worden sind, so glaube ich, wie schon oben angedeutet, dass
eine Verwechslung mit quergeschnittenen Gefässkanälchen vorliegt.
Die Spärlichkeit, bezw. das Nichtvorkommen der Hassallschen
Körperchen ist früher sowohl von Maurer wie von Schaffer
betont worden.
Uystenbildungen gewöhnlich mässigen Umfangs kommen
regelmässig, wenn auch nicht zahlreich, im Parenchym vor. Es
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 29
scheint mir, als entständen sie nicht immer auf dieselbe Weise.
Einmal scheinen sie durch einen solchen Zerfall zirkumskripter
Partien des Parenchyms zu entstehen, wie ich ihn früher (1905) schon
unter dem von Namen Sequesterbildung beschrieben habe. Zweitens
aber scheinen mir gewisse Bilder darauf hinzudeuten, dass Hohlräume
auch ohne einen solchen Zerfall lediglich durch starke Ansammlung
von Lymphozyten in einer Retikulummasche und durch einen
näheren Zusammenschluss der umgebendeu Retikulumzellen um
die Zellenanhäufung herum entstehen können. Ist diese meine
Auffassung richtig, so könnte man Sequestereysten und
Distensionseysten unterscheiden, aber nur in der Bildungs-
zeit. Haben sich die umgebenden Zellen einmal in epithelialen
Verband zusammengeschlossen, so gibt weder die Struktur der
Wand noch die Beschaffenheit des Uysteninhalts in der Regel mehr
einen sicheren Anhalt für die Beurteilung der Entstehungart ab.
Die Wandzellen einer solchen ausgebildeten Cyste haben
meistens kubischen bis zylindrischen Charakter. Flimmerzellen
sind unter ihnen relativ selten: Zellen mit Kutikular- oder Bürsten-
saum und Schleimzellen sind die gewöhnlichsten Vorkommnisse
(Taf. I, Fig. 14). Entsprechend den früher (Hammar 1905) be-
schriebenen Flimmercysten und Flimmerkrateren habe ich in der
Teleostierthymus, wenngleich nicht besonders spärlich, ähnliche mit
mit kurzen Bürsten ausgekleidete Höhlungen — Bürsteneysten
und Bürstenkrateren — angetroffen.
Bei einem 125 mm langen Exemplar von ÜGentronotus
gunnellus habe ich ein eigentümliches Bild an der freien Ober-
fläche der Zellen einer Cyste angetroffen (Taf. I, Fig. 15), dessen
(regenstück ich weder früher noch später gesehen habe. Im
Profilbilde boten die Zellen eine grobe kutikulaähnliche Grenz-
linie dar, über welche sich ganz kurze Härchen erhoben. Im
Oberflächenbild zeigte aber jedes Zellenende eine Serie regel-
mäßig angeordneter Linien, die parallel den Zellenkonturen, die
eine innerhalb der anderen, verliefen und dadurch ein System
konzentrischer eckiger Ringe bildeten. Diese Linien waren stark
lichtbrechend, ob sie den „Bürsten“ entsprachen, oder ob eine
ihnen entlang vorkommende schwache Punktierung eine Ein-
pflanzung von Härchen auf die gerippte Oberfläche der Zelle an-
deutete, war bei der Feinheit des Bildes nicht sicher zu ent-
scheiden.
30 J. Aug! Hemmer:
Im Anschluss an die Besprechung der Cysten des Paren-
chyms ist auch einiger cystartiger Bildungen, die ich spärlich
bei Labrus, zahlreich aber bei Gobius angetroffen habe, Erwäh-
nung zu tun. Beim letzteren kamen sie in der Hälfte sämtlicher
untersuchten Individuen ohne Rücksicht auf die Körpergrösse
vor; bald war eine einzige im ganzen Thymusgebiet vorhanden,
bald wurden sie in mehrfacher Zahl angetroffen. Die grösste
Zahl, die ich im Anschluss an eine und dieselbe Thymus gefunden
habe, ist sieben.
Es handelt sich meistens um kleine, von hohem Zylinder-
epithel begrenzte Bläschen (Taf. III, Fig. 23—-30), die häufig nur
an einem Schnitte, oder ein paar, eine Lichtung zeigen. Seltener
haben sie den Charakter von kurzen, schwachverästelten blinden
Schläuchen. Ihr Inhalt ist bald ein lockeres Kongel, bald sind
sie durch Lymphozyten ausgefüllt. Meistens liegen sie im sub-
thymischen mit Lymphozyten reichlich durchsetzten Bindegewebe.
Die Beschaffenheit der Epithelien — die allerdings einen
Bürstensaum nicht besitzen — konnte an Reste aberranter
Kanälchen der unfern gelegenen Nieren denken lassen. Die
Präparate geben indessen gar keinen Anhaltspunkt zu einer solchen
Deutung. Dagegen kommen Bilder vor, die auf eine Beziehung
zur Thymus hinzudeuten scheinen. Mehrmals habe ich nämlich
bei Gobius epitheliale Hohlgebilde gefunden, die mit ihrem ober-
flächlichen Ende die Basalmembran durchbohren und somit teil-
weise in die Thymus hineinragen. Ein solcher Fall ist in Fig. 30
abgebildet worden. In anderen Fällen kann man solche Cysten
ganz in der Thymus, dicht an der Basalmembran gelegen, finden.
Die in Fig. 28 abgebildete zeigt dabei eine deutliche Verdünnung
der Basalmembran an der Stelle, wo die Oyste ihr anliegt, während
jenseits der Oyste eine mit dem übrigen Bindegewebe nicht zu-
sammenhängende Bindegewebsbildung (in der Serie verfolgt!) in
Entstehung begriffen zu sein scheint. Obwohl ich nirgends deut-
liche Verbindungen zwischen den betreftenden Cystenepithelien
und den Retikulumzellen gefunden habe, scheinen mir die Bilder
auf ein Einwachsen thymischer Cysten in das Bindegewebe hin-
zudeuten — einen Vorgang, der bisher ohne Analogie in meiner
Erfahrung über thymische Oysten ist, und bei welchem man ver-
sucht sein könnte, an einen pathologischen Prozess zu denken,
käme er nicht bei Gobius so allgemein vor.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. >
Ehe ich die Beschreibung des Parenchyms abschliesse, ist
die Frage nach der Zellenvermehrung in der Teleostier-
thymus etwas zu berühren. Wenn man eine Zahl solcher Thymus-
drüsen in der genannten Hinsicht durchmustert, so findet man,
nachdem die erste Entwicklung des Organs abgeschlossen ist, so-
wohl in der Periode, die hier in Rede steht, als auch in der
Involutionsperiode höchst wesentliche Verschiedenheiten. Es finden
sich Thymi, wo es sehr schwer fällt, eine einzige Mitose, sei es
eine grosse oder kleine, ausfindig zu machen. In anderen Indi-
viduen derselben Spezies und Grösse wiederum kann man solche
in beträchtlicher Menge finden.
Will man nicht eine ausserordentliche Empfindlichkeit des
Organs annehmen, derart, das es auf zufällige Änderungen im
Allgemeinbefinden oder auf spezielle Iritamente des Körpers durch
Variationen in der Zellenvermehrung reagiert, so scheint mir
die wahrscheinlichste Erklärung in einer periodischen Vermehrung
der Elemente mit zwischenliegenden Perioden von Stillstand
zu liegen.
3. Zur Kritik der myoiden Zellen.
Es hat die Darstellung, die ich früher (1905) von der Ent-
stehung der myoiden Zellen durch Hypertrophie und Difteren-
zierung von Thymusmarkzellen gegeben habe, von zwei Seiten,
nämlich von Pensa (1905) und von Weissenberg (1907) Wider-
spruch erfahren, und zwar meinen die beiden genannten Forscher
in Übereinstimmung mit der zuerst von Mayer (1888) ausge-
sprochenen Ansicht, die fraglichen Zellen als Einschlüsse des
Parenchyms, also parenchymfremder Herkunft auffassen zu müssen.
Es wendet sich Pensa hierbei gegen meine Wahrnehmungen,
indem er einmal bestreitet, dass die Markzellen ein Retikulum
bilden, zweitens die von mir beschriebenen Verbindungen mancher
myoiden Zellen mit diesen Retikulumzellen nicht wiedergefunden
hat und drittens das Vorkommen von Zwischenformen zwischen
hypertrophischen Markzellen und myoiden Zellen nicht anerkennt.
Die Existenz von Strukturverhältnissen lässt sich nun be-
kanntlich im allgemeinen nicht beweisen, nur demonstrieren: es
ist mir deshalb recht angenehm, dass der andere meiner Herren
ÖOpponenten in allen diesen drei Punkten mich bestätigt hat.
Ich begnüge mich unter solchen Umständen damit, auf das hin-
32 J. Aug. PHammarı
zudeuten, was ich für die Ursache des Misserfolges Pensas halten
zu müssen glaube.
Es ist ohne weiteres zu ersehen, dass wo die Zellen ganz
dicht aneinander liegen, wie Pensa ihre Lage beschreibt,
dort sich die Frage nach dem Vorhandensein, bezw. Nicht-
vorhandensein von Fortsätzen und Verbindungen nicht ent-
scheiden lässt. Der Autor hat nun mit Osmiumgemischen ge-
arbeitet. Bekanntlich rufen diese, so vortrefflich sie in vielen
Hinsichten konservieren, in der Aussenschicht des Materials eine
Anschwellung hervor, die die Formelemente zusammenpresst und
dem Gewebe im allgemeinen ein kompaktes Aussehen verleiht.
Kommen ganz kleine Stückchen zur Fixierung, so werden sie bis
zu ihrer Mitte so verändert. In grösseren Stückchen behalten
die zentraleren Partien einen lockeren Bau bei, und hier lassen
sich in der Tat die von mir beschriebenen Veränderungen nach-
weisen. Da aber die Fixierung dieser zentralen Partien nicht
selten in anderen Hinsichten ungenügend ist, und deshalb die
fraglichen Bilder weniger beweiskräftig erscheinen können, so
empfiehlt es sich, für den fraglichen Zweck mit anderen gleich-
mässiger fixierenden Flüssigkeiten zu arbeiten. Es ist meine
Überzeugung, dass hätte Pensa auch mit der Tellyesniezkyschen
Flüssigkeit gearbeit, er die von mir beschriebenen Bilder ebenso
wie Weissenberg gesehen hätte.
Es sind nicht meine Beobachtungen, sondern die aus ihnen
gezogenen Schlüsse, gegen welche sich Weissenberg wendet.
Er meint sowohl die Beweiskraft der plasmatischen Verbindungen
zwischen myoiden Zellen und Retikulumzellen wie die der zahl-
reichen Zwischenformen zwischen den beiden Zellenkategorien
bestreiten zu müssen, obwohl diese Zwischenformen so vielfältig
sind, dass es auch ihm faktisch unmöglich wird, eine feste Grenze
zwischen ihnen zu ziehen. Da aber seine Beweisführung von
dem Wunsche nicht ganz unbeeinflusst zu sein scheint, die An-
nahme los zu werden, „dass Elemente von der Morphologie der
quergestreiften Muskulatur aus entodermalen Zellen hervorgehen“,
so ist es auffallend, dass er nicht Bedenken trägt. sich auf die
Schubergschen Beobachtungen direkter protoplasmatischer Ver-
bindungen zwischen Zellen genetisch ganz getrennter Gewebe
zu berufen. Es ist ja wohl möglich, dass solche Verbindungen
existieren; bewiesen scheinen sie mir wenigstens beim Erwachsenen
=
Sb]
Zur Kenntnis der Teleostierthymus.
nicht. Aber eins ist gewiss: wird der Beweis für die Sache
wirklich einmal erbracht, dann ist hiermit der Lehre der Keim-
blattspezietät ein weit schwererer Stoss zugefügt, als es jemals
durch den Nachweis der entodermalen Natur der myoiden
Thymuszellen geschehen kann. Aus theoretischen Gründen jenes
anzunehmen, dieses zurückzuweisen, heisst doch aus dem Regen
in die Traufe zu geraten!
Es wäre recht viel in betreff der Weissenbergschen
Ausführungen hinzuzufügen, aber die Frage lässt sich doch eher
durch die Vorführung neuen Tatsachenmaterials als durch Dis-
kutieren lösen; und ein solches Material von nicht unbedeutendem
Werte scheint mir die Teleostierthymus darzubieten. Ehe ich
auf dasselbe eingehe, möchte ich mir jedoch noch ein paar Be-
merkungen kritischer Art erlauben.
Weissenberg glaubt in der Thymusentwicklung der
Selachier eine Stütze für seine Anschauung gefunden zu haben.
Es ist aus seiner kurzen vorläufigen Mitteilung nicht ganz zu
ersehen, wie weit sich der Befund erstreckt. So viel möchte ich
schon jetzt hervorheben, dass hier auch die erwachsene Thymus
in nahem Anschluss an quergestreifte Muskelfasern liegt. Es ist
dann leicht verständlich, dass entsprechende Bilder auch bei den
Föten existieren. Dies bedeutet für die Frage nach der Herkunft
der im Parenchym gelegenen myoiden Zellen nicht mehr als der
von Pensa geführte Nachweis, dass ein Bündel der Muse. depressor
mandibulae beim Frosch dem Organ dicht anliegt. Das tatsächliche
Einwachsen in das Parenchym ist natürlich damit nicht erwiesen.
Und weiter eine andere Sache: Sowohl Pensa wie Weissen-
berg haben sich auf Glas’ (1905) Funde von sarkolytisch ver-
änderten, in der hypertrophischen Tonsille eines 22 jährigen
Mannes eingeschlossenen Muskelfasern berufen, um eine Stütze
für die Einschlusstheörie zu finden. Mir beweisen die Glasschen
Abbildungen und Beschreibungen geradezu das Gegenteil. Die
eckigen, offenbar in Zerfall begriffenen Stückchen quergestreifter
Substanz ähneln keiner der vielen Formen der myoiden Zellen
der Thymus. So könnte man erwarten, dass diese Zellen aussehen
sollten, als wären sie zufällige Einschlüsse des Thymusparenchyms —
aber so sehen sie nicht aus!
Und nun zu den betreffenden Bildern der Teleostierthymus.
Es scheint mir, als hätte die Ansicht der autochthonen Ent-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 3
4 J. Aug. Hamm:
stehung der myoiden Thymuszellen schon dadurch eine nicht un-
bedeutende Stütze gefunden, dass solche Zellen sich mitten in
der plakodenförmigen Teleostierthymus nachweisen lassen. Es
kann sich hier nicht gut um einen Einschluss handeln, man
müsste denn an eine Verschleppung oder an ein aktives Ein-
wachsen bezw. Einwandern der Muskelfasern denken. Und die
Sache wird noch prägnanter, wenn man bedenkt, dass die myoiden
Zellen, z. B. bei Siphonostoma, in Thymusdrüsen anzutreffen sind,
die keine Gefässe enthalten. Will man diesen Tatsachen gegen-
über die Ansicht der exogenen Herkunft noch verfechten, so
scheint mir kaum mehr als die Annahme eines selbständigen
Einwachsens oder einer Einwanderung von muskelbildenden Zellen
in das Epithel und ihrer sekundären Verknüpfung mit den
Epithelien übrigzubleiben.
Die überhaupt nicht grosse Wahrscheinlichkeit einer solchen
Deutung wird gewiss noch geringer, wenn man den Fund von
quergestreiften Fibrillen auch in den typischen epithelialen
Retikulumzellen mit in Rechung zieht. Ganz abgesehen von der
Frage nach den myoiden Zellen scheint mir dieser Befund zu
der Annahme zu nötigen, dass die Retikulumzellen der Thymus
quergestreifte Fibrillen aus ihrem Protoplasma herausdifferenzieren
können. Und damit dürfte wohl auch für die Annahme der
‘endogenen Natur der myoiden Zellen der Weg gebahnt sein.
Es kann ja scheinen, als hätte ich zu viel Mühe darauf
verwendet, einer Ansicht entgegenzutreten, die doch auf die Vor-
stellung hinausläuft, dass in den verschieden gestalteten und ver-
schieden gelegenen Thymusdrüsen sämtlicher Vertebratenklassen
— die Säuger ausgenommen — ein zufälliger Einschluss von
Muskeln oder muskelbildenden Zellen regelmässig stattfinden
sollte. Aber die Sache hat u.a. für die Auffassung der funktionellen
Morphologie der Thymus ihre Wichtigkeit, und die meines Er-
achtens einzige haltbare Lösung der Frage ist mit dem Fehler
behaftet, dass sie gegen die Lehre der Keimblattspezietät verstösst.
Als das Manuskript schon fertig vorlag, wurde mir durch
die Güte des Verfassers Gelegenheit bereitet, von noch einer
diesbezüglichen Arbeit, nämlich der von Dustin (1908) Kenntnis
zu nehmen. Dieser Autor, der die Reptilienthymus untersuchte,
tritt ebenfalls für eine exogene Herkunft der myogenen Zellen
ein. Er meint aber, dass der Einschluss dieser Zellen, wenigstens
(bt
Zur Kenntnis der Teleostierthymus.
bei den Reptilien, nicht embryonal stattfinde, sondern dass sie
sich aus den für jede Aktivitätsperiode des Organs einwuchernden
Blutkapillaren, bezw. aus dem perikapillaren Bindegewebe, und
zwar mit epitheloiden Zellen als Zwischenformen, herausbilden.
Die fraglichen Zellen seien von kurzer Dauer: «ÜÖes elements
persistent un certain temps — relativement court chez les animaux
jeunes, plus long semble-t-il chez les animaux avanc6s en äge —
puis se disloquent, leur noyaux se fragmentent, la striation
s’efface, le protoplasme devient tr&s sombre, puis perd ses contours
et disparait.»
Es genügt, darauf hinzuweisen, dass auch dieser Erklärungs-
versuch auf der Basis einer allzu beschränkten Erfahrung. über
die Thymus und über die myoiden Zellen ruht. Mit den oben
dargelegten Tatsachen betrefis der Teleostierthymus, wo die
myoiden Zellen schon im gefässlosen Zustande des Organs auf-
treten können, lassen sie sich kaum vereinbaren.
Es ist ein Verdienst Dustins. die genetische Zusammen-
gehörigkeit der „epitheloiden“ hypertrophischen Markzellen und
der myoiden Zellen richtig erkannt zu haben; wenn er allerdings
jene aus Bindegewebszellen herleitet, betritt er einen Weg, dessen
Aussichtslosigkeit durch die in der Teleostierthymus obwaltenden
Verhältnisse genugsam dargetan ist. Und wenn er versichert:
«Les cellules myoides ou epitheloides ne deviennent globuleuses
que lorsqu’elles vont degenerer», so wird er gleichfalls durch
die Verhältnisse vieler Teleostier widerlegt, wo solche Zellen von
Anfang an als rundliche Bildungen auftreten.
4. Die Histogenese.
Die erste und bis heute noch eingehendste Untersuchung über die
Entwicklung der Teleostierthymus rührt von Maurer (1886) her. Seine
Ergebnisse wurden vor allem an Forellenembryonen gewonnen. Die Thymus
tritt hier am 48.—50. Tage nach dem Streichen der Eier auf in der Form
solider knospenförmiger Verdickungen des sonst noch einschichtigen Epithels
am dorsalen Ende der 2.—5. Kiemenspalte. Schon am 60. Tage beginnen
diese Knospen miteinander zu verschmelzen, so dass das Organ einen langen
spindelförmigen Wulst bildet. „Die epitheliale Thymuswucherung ist zu dieser
schon recht fortgeschrittenen Entwicklungsperiode noch mit ihrem Mutter-
boden, dem Kiemenhöhlenepithel in festem Zusammenhang, geht überall
kontinuierlich in dasselbe über, und dies Verhalten bleibt auch später be-
stehen“ (pag. 151).
DES
3*
36 J. Aug. Hammar:
Später fällt bei der Forelle, wie beim Hecht und bei Leueiscus, der“
Schwerpunkt des Thymuswachstums ans hintere Ende, unter Rückbildung der
vorderen Teile. Das Organ erhält also seine Lage hinter und lateral von
der Ansatzstelle des ersten Kiemenbogens an die Basis cranii. Bei Cyprinus
carpio und Rhodeus amarus wiederum wuchert die Mitte der Spindel mäch-
tiger, so dass die Thymus weiter vorn und lateral vom Gehörorgan als ein
in die Tiefe dringender Zapfen zu finden ist.
Die histogenetischen Vorgänge werden folgendermassen beschrieben
(pag. 164): „Im Anfange, wenn sich die Knospen bilden, geben die wuchern-
den Epithelzellen ihren Charakter als solche auf, nehmen Iymphoides Aus-
sehen an. Dies behalten sie so lange bei, als sie weiter wuchern und die
Hauptmasse der Thymus bilden. Sehr frühe, etwa acht Tage nach dem
ersten Auftreten der Knospen, wenn diese miteinander zu verschmelzen
beginnen, wuchern von der Umgebung Bindegewebselemente ein, die indessen
nur als Stützgewebe und dann als Träger der Blutgefässe in Verwendung
kommen. Erst sehr spät, nach zwei bis drei Monaten, dringen von der
Kapsel her Iymphoide Elemente längs der Bindegewebszüge und Gefässe ein,
und zwar erfolgt dies dann, wenn die primären epithelialen Elemente all-
mählich in ihrer Proliferation erschöpft, ihr Iymphoides Aussehen verlieren
und auch äusserlich ihren epithelialen Charakter wieder annehmen. Dann
erst brechen die bindegewebig lymphoiden Zellen in das Innere des Organs
herein und etablieren sich in einer intermediären Zone; hier lassen sie Ge-
bilde hervorgehen, die den Schleimhautfollikeln, wie wir sie im ganzen Darm-
kanale höherer Wirbeltiere finden, ähnlich sehen, nur dass sie bei der Thymus
wirklich inmitten des Schleimhautepithels lagern, da die Reste der epithe-
lialen Anlage einerseits in einer tiefen Zone von geschwollenen Zellen, anderer-
seits als epithelialer Überzug erhalten bleiben.“ Das mittlere Keimblatt lässt
also die intermediäre Follikelzone entstehen. Die Elemente dieser Follikel
sind „sehr dicht gelagerte Iymphoide Kerne, die einen protoplasmatischen
Zellenkörper kaum erkennen lassen. Selbst das retikuläre Bindegewebe, in
welches diese Kerne eingelagert sind, ist kaum zu erkennen, so dicht sind
letztere gelagert.“
Nusbaum und Prymak (1901), deren Untersuchungsmaterial aus
Forellenembryonen und jungen Carassius vulgaris bestand, bestätigten die
Angaben Maurers in betreff der Organogenese, wandten sich aber gegen
seine Darstellung der Histogene, soweit sie sich auf die Herleitung der
Thymuslymphozyten bezieht.
Die erste Veränderung der Thymusanlage besteht laut diesen Forschern
in einer Lockerung der Zellen, wobei die Interzellularbrücken sich zu langen
und spärlichen Fäden umwandeln. Unter häufiger mitotischer Teilung nehmen
die Epithelien immer kleinere Kerne und spärlicheres Protoplasma an und
lösen sich dabei allmählich aus ihrem Verband mit ihren Nachbarn ; so werden
sie zu Lymphozyten. Die nicht zahlreichen Reste der Epithelzellen, welche
sich nicht dermaßen umgestaltet haben, werden zu Hassallschen Körperchen
und zu den oberflächlichen Epithelzellen der Thymusanlage.
Es heben die Autoren zwei Umstände als äusserst wichtig für die
Frage über die Ursprungsquelle der Iymphoiden Zellen hervor, nämlich einmal,
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. an
«dass in der kritischen Periode Teilungsbilder in den Iymphoiden Zellen der
Thymus gänzlich fehlten, zweitens dass in derselben Periode kein einziger
Leukozyte in dem lockeren subepithelialen Bindegewebe vorhanden war.
Im folgenden Jahre findet Prymak (1902) diese Ansicht durch die
Untersuchung anderer Formen (Gobio fluviatilis, Carassius aureatus, Corvina
nigra und Stromateus fiatola) bestätigt. Im Anschluss an die von Board
auf der Grundlage von Untersuchungen an Raja ausgesprochene Ansicht
meint er diese Auffassung dahin erweitern zu können, dass er die Thymus
„die Funktion der ersten und ursprünglichsten Erzeugung der Leukozyten“
‚erfüllen lässt.
In seiner letzten Veröffentlichung über den Gegenstand gibt Maurer
(1902) eine von seiner vorigen vielfach abweichende Darstellung von der
Entwicklung der Teleostierthymus. Es entstehen jederseits fünf Thymus-
knospen und zwar aus der 2.—6. Kiemenspalte. „Die histologische Entwick-
lung stellt sich so dar, dass die durch Teilung sich reichlich vermehrenden
Epithelzellen, die den entodermalen Kiementaschen entstammen, ihren epithe-
lialen Charakter verlieren und das Aussehen von indifferenten Rundzellen
annehmen. Sehr frühzeitig dringt Bindegewebe mit Blutgefässen aus der
Umgebung ein. Es wurde mehrfach angegeben, dass damit auch die Iym-
phatischen Zellen von aussen her in die Thymus gelangten. Dem kann ich
nicht beipflichten. Die epitheliale Anlage selbst liefert Iymphatische Zellen.
Später allerdings fallen viele dieser Zellen wieder in ihren epithelialen
Charakter zurück und liegen teils als einzelne grosse epithelioide Elemente
mitten im Thymusgewebe, teils bilden sie zu Gruppen zusammengeballte
konzentrische Körperchen.“
Wie man sieht, spricht Maurer hier eine Auffassung bezüglich der
Herkunft und Umgestaltung der Thymuslymphozyten aus, die der später von
Stöhr ausgesprochenen recht nahe steht. Dass diese Auffassung gegen fest-
gestellte Tatsachen verstösst, glaube ich schon früher (1907) gezeigt zu haben.
Für das Studium der Entwicklung der Teleostierthymus
habe ich in erster Linie Embryonen und Larven von Siphonostoma
typhle benutzt. Für den fraglichen Zweck bietet dies Material
ein in vielen Hinsichten vorzügliches Objekt dar.
Bekanntlich werden die befruchteten Siphonostomaeier
während ihrer ersten Entwicklungszeit vom Männchen getragen,
und zwar finden sie sich bei ihm in einer besonderen Brut-
tasche am Bauche angeklebt. Sämtliche Eier eines und desselben
Tieres befinden sich im großen und ganzen auf identischer Ent-
wicklungsstufe. Man braucht also nur mit bestimmten Zwischen-
zeiten die gewünschte Zahl von Eiern loszumachen und nach
Entfernung der Eischale zu konservieren, um eine kontinuierliche
Entwicklungsreihe zu bekommen. Ich habe mich dieser Art
zweier Tiere bedient, deren Eier einander in der Entwicklung
38 J. Aug. Hammar:
sehr nahe standen. Indem ich täglich jedem eine Anzahl Eier
entnahm, habe ich eine Reihe erhalten, wo die Intervalle nicht
mehr als etwa zwölf Stunden Entwicklung betrugen, und ich
habe dies Verfahren so lange fortsetzen können, bis die Jungen
spontan ausschlüpften und dabei ungefähr dieselbe Grösse zeigten,
wie aus dem Meer gleichzeitig eingefangene, frei herum-
schwimmende Larven. Für die folgenden Stadien wurden aus-
schliesslich solche frisch eingefangene Larven benutzt.
Die Thymusbildung ist bei Siphonostoma auf einen kleineren
Bezirk beschränkt und nimmt eine recht kurze Zeit in Anspruch,
was mit Rücksicht auf die Überschaubarkeit des Prozesses eben-
falls einen Vorteil bedeutet.
Endlich bietet die Siphonostomathymus, wo die (refässe-
spät und dann verhältnismässig sehr spärlich einwachsen, be-
sonders günstige Vorbedingungen für das Studium der Seite des
Entwicklungsvorganges, welche vor allen anderen gegenwärtig
unser Interesse beansprucht, nämlich die Herstammung der
Thymuslymphozyten.
Es leuchtet ja ein, dass, so lange Gefässe noch nicht in:
die Teleostierthymus eingedrungen sind, so lange auch die Grenze:
zwischen Epithel und Bindegewebe, welche die Lymphozyten bei:
einer eventuellen Einwanderung zu überschreiten haben, relativ
kurz und von einer möglichst einfachen Form und deshalb auch
leichter als sonst zu überwachen ist.
Mein Material beginnt mit Stadien von 9 mm Körperlänge
(vergl. Taf. II, Fig. 18). Hier ist der Thymusbezirk noch rein
epithelial. „Thymusknospen“. wie sie als Ausgangspunkt der
Thymusentwicklung der Teleostier in der Literatur beschrieben
worden sind, sind gar nicht zu finden. Das Epithel ist auch nicht
verdickt, sondern hat dieselbe etwa kubische einschichtige Be-
schaffenheit wie in der Umgebung. Hie und da finden sich neben.
den helleren Zellen solche von dunklerer Färbung und kompakterem
Protoplasma, wie sie an den Kiemen zahlreich vorkommen und
für das erwachsene Organ schon auf Seite 16 geschildert worden
sind (vergl. Fig. 19A). Eine Abgrenzung des Thymusgebiets ist
in diesem Stadium lediglich durch sein Verhältnis zur Umgebung
möglich; lateralwärts wird es vom Kiemendeckel, medianwärts
vom letzten Kiemenbogen begrenzt. Kaudalwärts überragt es ein
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 39
wenig den kaudalen Rand des Kiemendeckels, kranialwärts er-
streckt es sich bis zur Muskulatur des dritten Kiemenbogens.
Die Mitosen des Thymusgebiets sind noch ganz spärlich ;
eine diesbezügliche Abweichung von den Verhältnissen des um-
gebenden Epithels ist nicht zu finden.
Das untenliegende lockere Bindegewebe grenzt sich gegen
das Epithel durch eine feine dunkelgefärbte Grenzlinie — eine
dünne Basalmembran — ab. In diesem Bindegewebe finden sich
schon hie und da Wanderzellen, unter denen fast ausschliesslich
mononukleäre Formen und Übergangsformen vertreten sind,
wiederum ein Zeugnis unter vielen gegen die Boardsche Hypo-
these von der Thymus als Urquelle der Leukozyten. Meistens
finden sich diese Zellen im subthymischen Bezirk schon ein wenig
reichlicher als im Bindegewebe im allgemeinen. Andere und ge-
wöhnlich reichlichere Anhäufungen finden sich meistens in der
Umgebung der naheliegenden Jugularvene. Die Niere ist in ihrer
ersten Entwicklung; ihr Zwischengewebe hat noch nicht eine
adenoide Beschaffenheit angenommen.
Im Epithel des 'Thymusgebietes fehlt es bei gewissen In-
dividuen dieses Stadiums ganz an Leukozyten, bei anderen
(Taf. II, Fig. 19 A—C) findet man hier und da ein vereinzeltes
Lymphozytenindividuum.
In der nächsten Zeit nimmt die Zahl der subthymischen
Lymphozyten auffallend zu; recht zahlreiche Mitosen sind unter
ihnen zu sehen. Auch die Zahl der intraepithelialen Lymphozyten
des 'Thymusgebiets mehrt sich rasch. Das betreffende Epithel
behält dabei anfangs seinen einschichtigen Charakter bei; nur
werden die Zellen höher und schmäler, so dass das Gewebe das-
selbe Bild darbietet wie das Hornblatt des Hühnerembryos in
den ersten Bebrütungstagen, d.h. den Typus eines sog. Leiter-
epitheliums annimmt (Taf. II, Fig. 20A und B, Fig. 21). In der
Folge legen sich die Kerne der Epithelzellen in ein verschiedenes
Niveau, das Epithel wird ein mehrzeiliges als Übergang zu einer
wirklich mehrschichtigen Beschaffenheit. Das Thymusgebiet ist
schon beim 11—12 mm langen Embryo als eine schwach linsen-
förmige zellenreiche Epithelverdickung kenntlich (Taf. II, Fig. 22).
Dass schon von jener Zeit an eine wirkliche Durchwanderung
der Basalmembran seitens der Lymphozyten stattfindet, davon
kann man sich relativ leicht mit stärkeren Vergrösserungen über-
40 J. Aug. Hammar:
zeugen. Bald sieht man einen einzigen Lymphozyten die Basal-
membran passieren (Taf. II, Fig. 19B, Fig. 20B bei **); letztere
ist dann gewöhnlich gleichsam durch einen schiefgehenden Kanal
durchbrochen, in welchem die Wanderzelle steckt. Bald wiederum
handelt es sich um eine ganze Gruppe solcher Zellen, die eine
wirkliche Bresche in der Membran gemacht haben (Taf. II,
Rır. 21hei **).
Die Menge der intraepithelialen Lymphozyten mehrt sich
rasch, und gleichzeitig mehren sich die Mitosen der Thymus-
anlage. Obschon sowohl Epithelien wie Lymphozyten offenbar an
dem Vermehrungsprozess beteiligt sind, dürften die kleinen dunklen
Lymphozytenmitosen entschieden überwiegen (Taf. II, Fig. 23).
Auch unter den im subthymischen Bindegewebe zahlreich ange-
sammelten Lymphozyten sind die Anzeichen einer regen mitotischen
Teilung augenfällig (Taf. II, Fig. 22 und 23).
In dem Maße wie die Zellteilungen in der Thymusanlage
sich häufen, wächst diese rasch an Dicke und Ausdehnung (Taf. II,
Fig. 23 und 24). Gleichzeitig werden die Epithelzellen immer
mehr durch die zwischenliegenden freien Zellen auseinandergedrängt
und verdeckt. Immer noch sieht man indessen eine Schicht
platter Zellen an der freien Oberfläche und von ihr in die Tiefe
dringende fadenförmige Zellenfortsätze. Meistens sieht man auch
dicht an der Basalmembran eine Reihe kegelföürmig gestalteter
Epithelien, die sich fadenförmig gegen die freie Oberfläche ver-
längern. Der Zusammenhang zwischen diesen oberflächlichsten
und tiefsten Epithelzellen tritt an den dünneren Kantpartien des
Organs noch mit einiger Deutlichkeit hervor. Um die Mitte, wo
die Lymphozyten am zahlreichsten sind, zeugen nur die hie und
da sichtbaren, von länglichen Protoplasmazügen meistens umgebenen
Epithelkerne davon, dass eine solche Verbindung auch hier existiert.
Solche Bilder treten aber hauptsächlich an reinen Vertikal-
schnitten hervor. Wo der Schnitt schief gegen die Oberfläche
oder sogar mit ihr mehr oder weniger parallel ist, sehen fast
alle Zellen rundlich aus, und es fordert dann eine gewisse Übung,
die nur wenig grösseren Epithelzellenkerne unter den Lymphozyten-
kernen zu identifizieren. Hierin dürfte die Ursache dafür zu
suchen sein, dass die Thymusanlage in diesem Stadium von früheren
Untersuchern als lediglich aus Lymphozyten zusammengesetzt be-
zeichnet worden ist. Dies ist besonders leicht erklärlich, falls
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 41
man nicht hinreichend dicht liegende Stadien zur Verfügung hat
und mit den allerfrühsten nicht Bekanntschaft gemacht hat.
3ei einer Grösse von etwa 35 mm treten die ersten Zeichen
einer Hypertrophie der mehr basal gelegenen Zellen des zentralen
Gebiets auf. Durch den hier sich ziemlich rasch herausbildenden
Protoplasmareichtum der Retikulumzellen wird eine Markschicht
gebildet (Taf. II, Fig. 24m), welche überdies durch die grössere
Spärlichkeit der freien Zellen von dem übrigen Parenchym noch
mehr absticht. Zu derselben Zeit habe ich an einem Individuum
schon ein eindringendes Gefäss konstatieren können, was aller-
dings ein Ausnahmeverhältnis bedeutet, indem sonst noch bei
Individuen von 50— 100 mm Körperlänge und darüber gefässlose
Thymusdrüsen gefunden werden. Bemerkenswert ist auch, dass
schon in diesem Stadium einzelne myoide Zellen, und zwar von
gleich anfangs rundlicher Form, zu sehen sind; sie zeigen sich
unter Verhältnissen, die jeden Gedanken an eine Einschleppung
durch Gefässe ausschliessen.
Während dieser Umgestaltung des Epithels haben sich die
Verhältnisse im Bindegewebe auch geändert. Eine zeitlang (bis
zu etwa 30 mm Körperlänge) sind die dortigen Lymphozyten
recht zahlreich vorhanden, und die Anzeichen ihrer mitotischen
Vermehrung gleichfalls. Später tritt eine ziemlich schnelle und
recht auffallende Erniedrigung ihrer Zahl ein; die Mitosen werden
selten, obgleich die Zellen niemals völlig schwinden.
Aus den hier beschriebenen Bildern lässt sich ohne grössere
Schwierigkeit entnehmen, dass die Epithelien des Thymusgebiets
im Laufe der Entwicklung des Organs auseinander rücken und
zum Retikulum der Thymus umgestaltet werden, also im grossen
und ganzen denselben Prozess durchmachen, wie er sich bei höheren
Vertebraten vollzieht, nur dass er sich hier nicht in einer in die
Tiefe versenkten und von der Oberfläche abgeschnürten epithelialen
Anlage, sondern direkt im Oberflächenepithel vollzieht.
Dass eine Durchwanderung von Lymphozyten durch die
Basalmembran im Laufe der Entwicklung stattfindet, ist auch
aus den Bildern direkt zu entnehmen. Aber in welcher Richtung
geschieht die Durchwanderung? Handelt es sich um eine Los-
trennung zuerst einzelner, dann zahlreicher Zellen aus dem
epithelialen Verbande, Zellen, die teils, wenigstens vorläufig, im
Epithel bleiben, teils es als Lymphozyten verlassen? Oder sind
42 J. Aug. Hammar:
die Bilder so zu deuten, dass Lymphozyten vom Bindegewebe
in das Epithel eindringen und sich hier vermehren ?
Es scheint mir nun, als sprechen die Bilder schon bei
gewöhnlicher Betrachtung einigermaßen zugunsten der letzt-
genannten Auffassung. Aber da es sich hier um eine Sache
handelt, die für die Thymusfrage von grundlegender Bedeutung
ist, so hat es mir wünschenswert erschienen, nicht bei einer
Beurteilung nach Augenmaß zu bleiben. Ich habe deshalb ver-
sucht, objektive Tatsachen an die Stelle subjektiven Urteils zu
setzen.
Ich habe deshalb für jedes der zwölf Stadien, die sich in
meinem Material zwischen 9 und 22 mm finden, Plattenmodelle
nach Born in bestimmter (250 maliger) Vergrösserung gemacht
und zwar für jedes Stadium’ von drei Individuen ‚oder sechs
Modelle. ‚Jedes Modell habe ich gewogen und die Mittelgewichte
der Modelle jedes Stadiums der mit einer kontinuierlichen Linie
angegebenen Kurve Textfig. 5 zugrunde gelegt. Diese Kurve
spiegelt also den Verlauf des Organzuwachses ab.
Ferner habe ich unter Anwendung von ‚Immersion an den
betreffenden 4—6 u dicken Serienschnitten durch das ganze
Organ gewisse Rechnungen ausgeführt. So habe ich die
im Thymusgebiete vorhandenen Mitosen protokolliert, wobei
allerdings zwischen grossen und kleinen (d. h. epithelialen und
Lymphozyten-) Mitosen ein Unterschied nicht gemacht wurde und
auch nicht überall mit Sicherheit zu machen war. Die Durch-
schnittszahlen dieser intrathymischen Mitosen habe ich gleichfalls
für jedes Stadium besonders berechnet. Sie haben die gestrichelte
Kurve in Textfig. 5 ergeben, die also gewissermaßen für die im
Innern der Thymus wirksamen organvergrössernden Kräfte einen
Ausdruck abgibt.
Dann habe ich mir für die Zahl der im subthymischen
Bindegewebe angesammelten Lymphozyten in ähnlicher Weise
Durchschnittszahlen verschafft. Beider Berechnung wurde das zu
berücksichtigende Bindegewebsgebiet notwendigerweise willkürlich,
aber möglichst konsequent abgegrenzt. Die also gefundenen
Mittelwerte habe ich in die punktierte Kurve Textfig. 5 ein-
getragen. Man kann sie einigermaßen als einen Exponenten für
den Umfang der Durchwanderung gelten lassen, diese mag nun
eine Aus- oder eine Einwanderung sein.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 43
Um eine eventuell nötige Korrektur für die lokal ım
Bindegewebe stattfindende Vermehrung hier anbringen zu können,
habe ich mir endlich Mittelwerte der im subthymischen Binde-
gewebe zu findenden Mitosen verschafft. (Textfig. 5, die mit
Punkten und Strichen angegebene Kurve.) Da ein Unterschied
zwischen Mitosen der fixen und der wandernden Elemente des
Bindegewebes nicht immer zu machen war, sind die ersteren
Figur 5.
Entwicklungskurven von Siphonostoma typhle; (ewichts-
kurve der Thymusmodelle ----- Zahl der Thymusmitosen;
Aare Zahl der im subthymischen Bindegewebe liegenden Leuko-
zyten; -»-+-- Zahl der im subthymischen Bindegewebe befind-
lichen Mitosen.
auch mitberechnet, was wohl die absoluten Werte ein wenig
(nicht viel, denn die fixen Zellen sind spärlich) erhöht haben
dürfte, aber in den Relationen der Zahlen der verschiedenen
Alter wahrscheinlich keine merkliche Änderung bewirkt haben kann.
Betrachtet man zuerst die linke Hälfte der also gewonnenen
Kurven, welche dem Zeitraum entspricht, der für die betreffende
Frage die grösste Bedeutung hat, so sieht man, dass in den
44 J. Aug Hammer:
‚ersten Stadien (9—10,6 mm), wo die Lymphozyten in der Thymus
fehlen oder ganz spärlich sind, der Organzuwachs kaum merkbar
ist, von dort ab dagegen bis zur Körperlänge von 15 mm einen
raschen Zuwachs zeigt, während die thymischen Mitosen erst,
nachdem der Zuwachs eine zeitlang gedauert hat, oder nach
der Körperlänge 11,3 mm eine Vermehrung aufweisen. Die sub-
thymischen Lymphozyten aber zeigen schon vom Anfang an eine
Zunahme an Zahl, welche Zunahme zuerst langsam, später sehr
rasch erfolgt; erst nachdem diese Anhäufung von Lymphozyten
im Bindegewebe ziemlich beträchtlich geworden ist, tritt gleich-
falls nach 11,5 mm Larvenlänge eine Steigerung der Zahl der
subthymischen Mitosen, also Anzeichen einer beträchtlicheren
lokalen Vermehrung hervor.
Wendet man nun versuchsweise auf den ersten Abschnitt
dieser Zuwachsperiode die Auswanderungshypothese an, so kommt
man zu dem Ergebnis, dass das Organ schon, ehe die inneren
vermehrenden Kräfte nach 11,3 mm Körperlänge einen Zuwachs
zeigen. nicht nur eine immer grössere Menge von Zellen in der
Form von Lymphozyten an das Bindegewebe abgeben sollte, ohne
dass seine Masse dabei abnähme, sondern dass es in der Zeit
10,2—11.3 mm sogar einen Zuwachs erfahren sollte, was offenbar
absurd ist.
Bei der Annahme einer Einwanderung der Lymphozyten
in die epitheliale Thymusanlage hinein stimmt aber alles gut:
Die Zunahme des Organs wird anfangs hauptsächlich durch
Zufuhr bewirkt, später, wo die eingewanderten Zellen an Zahl
schon beträchtlich sind, beginnt der Eigenzuwachs des Organs
durch Mitosen, welche, wie die mikroskopische Untersuchung lehrt,
zum grossen Teil eben in den Thymuslymphozyten sich abspielen.
Einwanderung und intrathymische Zellteilungen scheinen in der
nächsten Zeit zur Organzunahme zusammenzuwirken.
Der starke Abfall, welchen sämtliche Kurven (die Ge-
wichtskurve nach 15 mm Körperlänge) darbieten, ist geeignet,
beim ersten Augenblick zu überraschen. Ich glaube ihn aber
auf eine beim Übergang vom Embryonal- zum freien Larvenleben
wenigstens im Aquarium eintretende Nutritionsstörung und eine
durch sie bedingte accidentelle Involution zurückführen zu
müssen. Ob ein solcher Prozess auch unter den natürlichen
Lebensverhältnissen im Meer eintritt, weiss ich nicht mit Sicher-
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 45-
heit anzugeben. Der grosse Unterschied im Gewicht des Thymus-
modells bei der ältesten meiner aquariengezüchteten Larven
(30 mm Körperlänge, Thymusmodell 9 g) und den jüngsten der
untersuchten unter den eingefangenen (34,5 mm Länge, Thymus-
modell 42 g) scheint mir am ehesten darauf hinzuweisen, dass
diese Verkleinerung der Thymus (mit den übrigen erwähnten
Anzeichen einer accidentellen Involution) ein durch das Aquarien-
leben, möglicherweise auch durch das verfrühte Eröffnen der
Bruttasche bedingtes Kunstprodukt ist. Jedenfalls ist dieser Teil
der Kurven für unsere Zwecke von geringerem Interesse.
Wie ersichtlich, unterscheiden sich die bei Siphonostoma ge-
wonnenen Ergebnisse in einigen Hinsichten beträchtlich von dem,
was bisher in der Literatur in betreff der Entwicklung der Tele-
ostierthymus vorgebracht worden ist. Besondere Thymusknospen
sind nicht auffindbar, sondern die Anlegung des Organs geschieht
direkt auf der Grundlage eines retro- und epibranchialen ober-
tlächlichen Epithelbezirks. Ein Übergang der Epithelien in, sei
es wahre oder scheinbare Lymphozyten, ist nicht nachweisbar.
Die Epithelien bleiben bestehen und die Lymphozyten wandern
vom unterliegenden Bindegewebe hinein. Andere mesodermale
Elemente treten erst mit dem Einwachsen der Gefässe in das
Organ auf.
Die bisherigen Untersuchungen (Maurer, Nusbaum und
Prymak) waren hauptsächlich an Forellen ausgeführt. Angesichts
der nicht unbedeutenden Abweichungen in ihren Angaben er-
schien es mir sehr erwünscht, ein möglichst nahestehendes Material
zu vergleichender Untersuchung zu erhalten. Durch die gütige
Vermittlung des Herrn Dr. J. Arwidsson habe ich zwei Kulturen
von Salmo salar bekommen, die ich im Institut weiter gezüchtet
habe. Es ist eigentlich nur die eine, die Gegenstand meiner
Untersuchungen gewesen ist und zwar habe ich für den Zeitraum
49—105 Tage Stadien von in der Regel 48 Stunden Zwischenzeit
an 6 « dünnen Serienschnitten untersucht.
Die also untersuchte Periode beginnt etwa auf derselben
Entwicklungsstufe wie die Siphonostomareihe, d.h. die Thymus-
anlage hat noch einen rein epithelialen Bau. Am Ende der be-
rücksichtigten Periode vollzieht sich die erste Anlage des Marks.
46 J. Aug. Hammar:
Die Entwicklung geht also auffallend langsamer als bei
Siphonostoma vor sich. Das Thymusgebiet erstreckt sich oberhalb
sämtlicher Kiemenbogen und umfasst dazu eine nicht ganz un-
bedeutende Strecke rückwärts vom letzten Kiemenbogen. Es ist
ferner auch durch die grösseren Maße des Lachsembryos absolut
genommen umfangreicher als bei Siphonostoma. Das Epithel der
Thymusanlage ist schon vor dem intraepithelialen Auftreten der
Lymphozyten zweischichtig. Unter den subepithelialen Lympho-
zyten- und Übergangsformen kommen relativ viele grössere Leuko-
zyten vor, ohne dass Anhaltspunkte dafür zu gewinnen sind, dass
sie mehr als ausnahmsweise in das Epithel eindringen. Die Zahl
der subthymischen Mitosen scheint mir in den etwas späteren
Stadien verhältnismässig etwas geringer zu sein als bei Sipho-
nostoma. Die Gefässe dringen verhältnismässig früh in das Organ
ein (schon um den 95. Tag), jedenfalls aber zu einem Zeitpunkt,
wo die intrathymischen Lymphozyten schon massenweise vor-
handen sind.
Mit diesen Modifikationen in den Einzelheiten erscheint nun
der histogenetische Vorgang beim Lachs unter genau denselben
Bildern wie bei Siphonostoma: eine fortschreitende Iymphozytäre
Infiltration des subthymischen Bindegewebes, eine immer grössere
Menge von Lymphozyten in der Thymus, die die Epithelien aus-
einanderdrängen und eine fortschreitende Verdickuug und Ver-
grösserung des Organs bewirken, eine steigende Menge intra-
thymischer Mitosen, die hierzu beitragen, und endlich auch hier
durch hindurchdringende Lymphozyten bedingte Durchbrüche der
Basalmembran.
Das Auftreten von Lymphozyten im Epithel scheint vor allem
oberhalb jedes Kiemenbogens zu’ geschehen, wodurch von Anfang
an wulstige Verdickungen hier entstehen. Diese Verdickungen
nehmen von vorn nach hinten an Mächtigkeit zu. Oberhalb und
hinter dem letzten Kiemenbogen ist sie am frühesten zu finden
und auch in der Folge am mächtigsten. Dicht an der Basis des
betretfenden Bogens findet sich auch regelmässig eine besonders
ins Auge springende Durchtrittspforte der Lymphozyten durch
die Basalmembran.
Ich habe nun für Salmo salar dieselben Berechnungen gemacht,
wie sie oben für Siphonostoma geschildert wurden, also das Ge-
wicht der Thymusmodelle (hier bei 125 maliger Vergrösserung), die
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 47
Zahl der subthymischen Leukozyten, die Zahl der intrathymischen
und der subthymischen Mitosen bestimmt. Diese Bearbeitung ist
allerdings sowohl durch die grössere Zahl der betreffenden Stadien
als durch den weit beträchtlicheren Umfang des Thymusgebiets
nicht unwesentlich mühsamer als bei Siphonostoma. Nimmt doch
die Bearbeitung einer einzigen Ihymus auf den späteren der
untersuchten Entwicklungsstufen etwa zwei Tage angestrengter
Arbeit in Anspruch! Es konnten deshalb nicht bei Salmo Durch-
1500 m.60 g
25001. 50 g
1000 m.40 g
1500L 30g
500 m 20g
5001. l0g
SL ai
BT IT GT 7T
Figur 6.
Entwicklungskurven von Salmo salar. Bezeichnungen wie in Fig. 5.
schnittszahlen in Frage kommen, sondern nur Einzelangaben für
jedes Stadium.
Bringt man die hierdurch notwendigerweise bedingten Un-
ebenheiten in Abrechnung, so zeigen die also gewonnenen Kurven
(Textfig. 6) eine auffällige Analogie mit der der Siphonostoma-
entwicklung.
Ohne die oben angeführte Beweisführung im einzelnen wieder-
zugeben, will ich hier nur in aller Kürze darauf hinweisen, dass
man betreffs dieser Kurven auf dieselbe Absurdität in der Schluss-
folgerung stösst, wenn man von der Annahme einer Lymphozyten-
elimination aus der Thymus als Erklärung der fraglichen Bilder
4
[0 0)
J. Aug. Hammar:
ausgehen will. Das Organ kann unmöglich in der ersten Zeit
(bis zum 59. Tage), wo die Mitosen in seinem Innern noch nicht
zugenommen haben, eine immer grössere Menge von Lymphozyten
nach dem Bindegewebe eliminieren und dessenungeachtet nicht
nur nicht abnehmen, sondern sogar anwachsen. Vorbedingung
hierfür wäre eine starke kompensierende Vergrösserung der zu-
rückbleibenden Zellen, und hiervon kann auf Grund der Bilder
weder bei Siphonostoma noch hier die Rede sein.
Die eingehenden Analysen der Siphonostoma-
und Salmobilder, während der Periode der Thymus-
histogenese, welche ich angestellt habe, sprechen
also einstimmig und entschieden zugunsten der
Entstehung der Thymuslymphocyten durch Ein-
wandernung, nicht durch autochthone Umwand-
lung von Epithelien. Für die letztgenannte Auffassung
kann wohl die Untersuchung vereinzelter Stadien Anhaltspunkte
zu geben scheinen, die systematische Durchprüfung naheliegender
Stadien liefert für sie aber ebensowenig wie für die in der
Literatur mehrfach auftauchende Auffassung ‘eines völligen Ver-
schwindens des Epithels der Thymusanlage eine Stütze.
Ich habe bei früheren Gelegenheiten (1905, 1907) bemerkt,
dass das damals vorliegende Material die Entscheidung der Frage
nach der Herkunft der 'Thymuslymphozyten nicht zuliess. Seit-
dem nun Rudberg (1907) bei der Regeneration nach Röntgen-
bestrahlung und Jonsson (1908) nach der Hungerinvolution
unabhängig voneinander Bilder angetroffen, die auf Einwanderung
hindeuten, und ich hier, wie mir scheint, recht unzweideutige
Beweise für einen ähnlichen Vorgang bei der Entwicklung der
Teleostierthymus vorgelegt habe, scheint es mir möglich, eine
einigermaßen begründete Ansicht in dieser schwierigen Frage,
und zwar in der Richtung der Einwanderungshypothese, auszu-
sprechen. Weitere Stützen für diese Ansicht finde ich in den
Ergebnissen der genauen vergleichenden Untersuchungen von
Laurell (1908), wonach eine weitgehende morphologische Ähn-
lichkeit zwischen den Lymphozyten des echten Iymphoiden Gewebes
und des Blutes einerseits und den gleichgenannten Zellen der
Thymus andererseits besteht. Endlich ist diesbezüglich daran zu
erinnern, dass Maximow (1907) sich auf Grund von Beobach-
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 49
tungen bei der Entwieklung der Kaninchenthymus entschieden
für eine Einwanderung unlängst ausgesprochen hat.
Gegenüber den hier angeführten Tatsachen können die
Äusserungen nicht schwer wiegen, die in der letzten Zeit Stöhr
(1906) und Cheval (1908) zugunsten eines autochthonen Ent-
stehens der Thymuslymphozyten getan haben, indem sie, wie ich
schon früher (1907) für den erstgenannten Autor nachgewiesen
zu haben glaube, auf einem ofienbaren Übersehen des normalen
Vorkommens des Retikulums als einer epithelialen Komponente
im Thymusparenchym beruhen.
Weit schwieriger zu erklären sind gewisse von den meinigen
stark abweichende Angaben über die Thymusentwicklung bei den
Teleostiern, die sich in der Literatur finden. Versichern doch
Nusbaum und Prymak (1901), dass in der kritischen Periode
Teilungsbilder in den Iymphoiden Zellen der Thymus gänzlich
fehlen, und dass in derselben Periode kein einziger Leukozyt in
dem lockeren subepithelialen Gewebe zu finden war. Dagegen
fanden sie Bilder, die darauf hindeuteten, dass die Lymphozyten
durch eine mit Auflockerung und endlicher Lostrennung verbundene
Vermehrung und Verkleinerung der epithelialen Zellen entständen.
Bei der Prüfung der für den letzteren Vorgang von den
Autoren gegebenen Bilder glaube ich in ihnen die Wirkungen
der verwendeten Sublimatfixierungen feststellen zu können. Es
liegen dieselben partiellen Verklebungen der Lymphozyten mit
den Retikulumzellen und dieselbe Hervorbringung scheinbar ver-
zweigter Lymphozyten vor, wie ich sie bei einer anderen Gelegen-
heit (1907) als irreleitende Artefakte der Sublimatfixierung ge-
schildert habe. Auf die hierdurch entstandene Schwierigkeit zu
entscheiden, was Retikulumzellen, was Lymphozyten sind, lässt sich
vielleicht auch die Angabe des Nichtvorhandenseins von Lympho-
zytenteilungen zurückführen. Der Mangel aller subthymischen
Leukozyten bleibt mir jedenfalls ganz unerklärlich und dies um
so mehr, als durch diese Angabe eben dem subthymischen Binde-
gewebe eine Sonderstellung angewiesen worden ist. Solche Zellen
sind nämlich meiner Erfahrung nach stets im lockeren Binde-
gewebe der Teleostier zu finden, obgleich nicht in derselben grossen
Zahl wie im Thymusgebiet.
Es erübrigt noch, die von Maurer bei der Forelle be-
schriebenen und von Nusbaum und Prymak in ihrem Vor-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 4
50 J. Auge Hammer:
kommen bestätigten Thymusknospen zu besprechen. Es gelingt
auch an Sagittalschnitten vom Lachs unschwer, Bilder zu finden,
die der Fig. 10 Maurers (1886) entsprechen und die das Vor-
handensein solcher dorsalen knospenförmigen Verdickungen des
Kiemenspaltenepithels zu beweisen scheinen. Die von Maurer
beschriebene kleinzelligere Beschaffenheit der Knospen lässt sich
auch wiederfinden, nur ist sowohl die Verdiekung wie die Klein-
zelligkeit bei näherem Zusehen nicht ganz dorsal gelegen, wie die
Fig. 14 und 14a der angeführten Arbeit Maurers ihre Lage
zeigen; die Knospe erweist sich nämlich bei stärkeren Vergrösse-
rungen als aus zwei Epithelblättern bestehend, die eine direkte
dorsale Fortsetzung des Kiemenspaltenepithels darstellen. Es ist
ausschliesslich das kaudale dieser Blätter, welches verdickt ist.
An @Querschnitten sind die fraglichen Bilder nicht mit derselben
Deutlichkeit wiederzufinden, und an Plattenrekonstruktionen nach
Born findet man sie nicht mehr als Knospen wieder. Sie stellen
sich als schwache wulstige Verdickungen der kaudalen Epithel-
bekleidung der Kiemenspalte, dicht an ihrem dorsalen Ende, dar.
Die kleinzellige Beschaffenheit scheint im ersten Stadium, wo
Lymphozyten noch nicht in dem Epithel aufgetreten sind, durch
die Stellung der Epithelien, die bei den Sagittalschnitten nicht
längs-, sondern mehr quergeschnitten werden, bedingt zu sein.
In früheren Stadien liegen die Kiemenbogen einander so dicht
an, dass die Kiemenspalten in ihrem dorsalen Teil eigentlich nur
virtuell — als Epithelduplikaturen — vorhanden sind. Wenn
später die Bogen auseinander weichen und offene Kiemenspalten
entstehen, trennen sich die epithelialen Flächen auch im Bereiche
der „Knospen“, und die Verdickungen treten dann mit noch
grösserer Deutlichkeit als der kaudalen (später der kaudo-medialen)
Wand der Kiemenspalte angehörig auf.
Das ganze Organ gehört jedenfalls niemals — auch in den
frühesten Stadien nicht — zu diesen Knospen. Von ihrer ersten
Anlegung an liegt die grössere Masse des Parenchyms epi- und
retrobranchial, und die aus den „Knospen“ hervorgehenden
Wülste bilden lediglich die schon oben (pag. 10) beschriebenen
Verlängerungen auf das Kiemenspaltenepithel. Von diesem Ver-
hältnis abgesehen sind die sachlichen Divergenzen zwischen
Maurer und mir in diesem Punkte, wie man sieht, nicht allzu
gross. Nichtsdestoweniger scheint es mir zweifelhaft, ob man
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 51
berechtigt ist, von einer Beteiligung wirklicher, knospenförmiger
Thymusanlagen an der Thymusbildung beim Lachs zu sprechen,
eine Auffassung, zu welcher die segmentale Beschaftenheit des
ausgebildeten Organs einigermaßen einladet, oder ob es auch
hier sich lediglich nur um eine direkte Umwandlung des Ober-
flächenepithels zur Thymus handelt; der Prozess sollte sich dann
nur durch sein Übergreifen auf mehr ventrale Gebiete und die
dadurch bedingte mehr zufällige Segmentierung des Organs von
dem bei Siphonostoma unterscheiden. Die Entscheidung zwischen
diesen beiden Auffassungen zu treffen, scheint mir erst bei einer
weit über die wenigen bisher untersuchten Spezies erweiterten
Erfahrung betreffs der Thymusentwicklung der Teleostier möglich
zu sein.
5. Die Altersinvolution.
Das Vorkommen einer Thymusinvolution bei den Fischen ist schon
Stannius (1854) nicht unbekannt gewesen. Es heisst bei ihm u.a. (pag. 256):
„Auch dies Organ scheint seine Evolutions- und Involutionszeiten zu haben.
Bei einem im Winter untersuchten sehr grossen Gadus morrhua (einem
weiter entwickelten Dorsch) fand ich es kleiner als beim Dorsch als
zylindrischen Strang, voll Pigment fast ohne Höhle.“
Eine eingehendere Untersuchung des Involutionsverlaufs scheint indessen
erst von Maurer (1886) ausgeführt worden zu sein. Er hebt hervor, dass
das Organ seine mächtigste Ausbildung bei „halbwüchsigen“ Fischen besitzt,
z. B. bei Forellen von 12—15 cm Körperlänge. Bei grösseren Fischen ver-
misste er das Organ sogar gänzlich. So hatte die grösste Forelle, bei
welcher er die Thymus fand, und zwar als ein oval-linsenförmiges Knötchen
mit leicht höckeriger Oberfläche, eine Körperlänge von 25 cm.
Bei ganz grossen Individuen von Karpfen, Barben und Gadus fehlte
sie auch. Bei Hechten von 35—40 cm Körperlänge war sie verkleinert und
bestand aus einem kleinen, unbedeutenden Knötchen; bei noch grösseren
Exemplaren war das Organ nicht nachweisbar. Bei einem alten Exemplare
von Rhodeus war das Organ zu einem dünnen Zellstrang reduziert und bei
grossen Exemplaren von Gasterosteus konnte er eine eingetretene Stielung
des Organs gegen das Oberflächenepithel als Altersphänomen feststellen.
Histologisch stellte sich der Involutionsprozess als eine Verödung, eine
Nekrobiose der Follikel dar. Die Zellen der Follikel erleiden eine Rück-
bildung, „indem ihre Kerne sich teilen oder in fast punktförmige Gebilde
zerfallen. Letztere sammeln sich im Zentrum der einzelnen Follikel, und
es entsteht hier unter Einschmelzung des retikulären Bindegewebes eine
Erweichungshöhle, die mit dem aus genannten Körnchen hervorgegangenen
molekulären Detritus gefüllt ist. Indem die Kavernen der einzelnen Follikel
grösser werden, verschmelzen sie miteinander, und es entsteht in der
Thymus eine buchtige Höhle, mit körnigen Zellresten gefüllt. Unter
4*
52 I). An 2. Hammer:
Resorption ihres Inhaltes verschwindet diese Höhle und das ganze Orgam
wird zurückgebildet“ (pag. 171). Während des Verlaufes dieses Verödungs-
prozesses finden sich Zerfallsprodukte der Kerne auch zwischen den Zellen
„des die Thymus nach der Kiemenhöhle abschliessenden Epithels“ eingelagert
und an die freie Oberfläche gelangend, werden sie in die Kiemenhöhle
ausgestossen.
Wie schon oben angeführt, fand Schaffer (1895), dass die Thymus-
bei Lophius piscatorius entgegen den von Maurer für andere Knochen-
fische gelieferten Angaben eine mit dem Wachstum des Tieres fortschreitende
Grössenzunahme zeigt. So maß die Thymus bei einem Tiere von 8!/» cm
Körperlänge 3 mm, bei einem von 33 cm Länge 15 mm und bei dem grössten
Exemplare von 112 cm Länge 35 mm. Strukturverschiedenheiten werden für
verschiedene Grössen nicht angegeben.
Im Gegensatz zu seinem früheren Ausspruch äussert sich Maurer
(1899) dahin, dass der Rückbildungsprozess auch bei alten Teleostiern nicht
zum völligen Schwund des Organs führt. In seiner letzten Veröffentlichung
(1902). spricht er ganz unbestimmt von einer allmählichen Rückbildung.
Prymak (1902) fand bei verschiedenen Spezies verschiedene Ver-
hältnisse. „Bei dem Cyprinus carpio von den Süsswasserteleostiern und bei
den Corvinus niger (Triglidae) und Stromateus fiatola (Scomberidae) von den
marinen Knochenfischen haben wir mit der fortschreitenden Grösse und
Alter der betreffenden Stadien ein fortschreitendes Wachstum der Thymus-
gesehen: bei den grösseren, beinahe erwachsenen Individuen war auch die
Thymusdrüse grösser, obzwar die drei erwähnten Arten als Ausnahme in
dieser Beziehung betrachtet werden können: denn sonst bei allen übrigen
von uns untersuchten Fischen liess sich immer ein ungerades Verhältnis der
Grösse der Thymus zu derselben des Individuums konstatieren. Die Involution
der Thymus bei diesen Vertebraten findet auf jeden Fall statt, obwuhl
verhältnismässig viel später, als dies bei den Säugetieren geschieht.“
Welche Grössen der zuerst genannten Arten der Autor als „beinahe-
vollkommen erwachsen“ betrachtet, geht leider aus seiner Darstellung‘
nicht hervor.
Mikroskopisch soll sich die Altersinvolution der Teleostierthymus
kennzeichnen durch die Entstehung von intraparenchymatösen leeren oder
mit feinkörniger Substanz gefüllten Hohlräumen und durch die Bildung von
konzentrischen Körperchen. Die Hohlräume sollen entstehen durch die
Auswanderung der Lymphozyten und durch ihre Umwandlung in rote Blut-
körperchen. Die konzentrischen Körperchen erscheinen als ein spezifischer
Charakterzug der Thymusinvolution, und zwar sollen sie durch obliterierende
Gefässe gebildet werden. Zu Ende der Imvolution sollen diese Gebilde
gänzlich schwinden, wahrscheinlich durch eine körnige Degeneration.
Auch die roten Blutkörperchen sollen eine sehr wichtige Rolle im
Involutionsprozess spielen, indem die Iymphoiden Zellen sich zur Zeit der
Altersinvolution massenhaft in rote Blutkörperchen, und zwar vorzugsweise
in der Rinde, umwandeln sollen. Die also gebildeten roten Blutkörperchen
gehen meistenteils zugrunde. Die Mehrzahl unterliegt einer körnigen
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 53
Degeneration und bildet grosse Massen von Detrituskörnchen, andere
schwellen, fliessen zusammen und bilden Anhäufungen von Pigment.
Wie bei den sonstigen darauf hin untersuchten Vertebraten
kommt die Altersinvolution der Thymus der Teleostier vor allem
in einer Rarefizierung und Verkleinerung sowohl der Rinde als
des ganzen Parenchyms und in einer damit zusammenhängenden
Umgestaltung des allgemeinen Aussehens des Organs zum Aus-
druck. Die folgende diesbezügliche Beschreibung nimmt vorzugs-
weise auf den linsenförmigen Thymustypus Bezug, da es haupt-
sächlich Material dieses Typus war, das mir von älteren Tieren
zur Verfügung stand.
Indem die Rindenschicht verdünnt wird, gewinnt sowohl die
Randschicht wie das Mark an Umfang, und im Zentrum des Organs,
wo die Rinde meistens von Anfang an am dünnsten ist, schwindet
sie bald gänzlich. Hier begegnen sich Randschicht und Mark
direkt. Ein zentraler Vertikalschnitt zeigt, wie die Rinde nur
auf die Randpartien des Organs beschränkt ist. Dieser kortikale
Ring nun wird mit dem Fortschreiten des Involutionsprozesses
immer dünner.
Bei gewissen Formen, wie z.B. bei Labrus, ist die Alters-
involution während einer längeren Zeit durch die angedeutete
Topographie des Thymusdurchschnittes gekennzeichnet. Bei anderen,
z.B. bei Esox, habe ich sie nicht wiedergefunden; es scheint mir
aber nicht unmöglich, dass sie zwar vorkommt, aber von kürzerer
Dauer ist.
Als Charakteristikum der Altersinvolution lässt sich dieser
zentrale Rindenschwund allerdings nicht bezeichnen. Auch in
früheren Stadien der aceidentellen Involution, wo die Rinde nur
erst wenig reduziert ist, ist sie zu sehen, wie unten näher an-
‚gegeben werden soll.
Die Reduktion der Rinde wird zu grossem Teil durch eine
Rarefizierung der Lymphozyten bewirkt; wo das Rindenretikulum
hierdurch in grösserem Maße blossgelegt worden ist, legen sich
seine Zellen dichter aneinander und treten nunmehr nicht als
‚der Rinde, sondern als der Randschicht, bezw. dem Mark angehörig
hervor, mit anderen Worten, die genannten Schichten gewinnen
an Umfang auf Kosten der Rinde. Auch in den übrig gebliebenen
Rindengebieten sind die Lymphozyten meistens spärlicher vor-
handen, das Retikulum tritt deutlicher als früher hervor. Zur
54 J. Aug. Hammer:
Verkleinerung der Rinden tragen aber auch wirkliche degenerative
Prozesse bei, an welchen auch Zellen des Retikulums beteiligt
sind. Ich komme auf sie weiter unten zurück.
Dies alles wirkt nun zusammen, um das Organ sowohl an
Umfang wie an Dicke zu verkleinern. Wo die Verdünnung etwas
weiter fortgeschrittten ist, ist meistens eine typische Rinde nicht
mehr zu sehen. Dagegen nimmt eine diffuse Lymphozyten-
infiltration den tieferen Teil des Parenchyms ein, der nicht nur
dem früheren Mark, sondern auch dem angrenzenden Abschnitt
der Rinde zu entsprechen scheint. Diese mit Lymphozyten durch-
setzte Partie gewinnt ein rindenähnliches Aussehen noch mehr
dadurch, dass die Hypertrophie der Markzellen nicht selten gleich-
zeitig bedeutend zurücktritt. Die myoiden Zellen werden meistens.
ganz spärlich oder schwinden gänzlich (ausnahmslos geschieht dies
aber nicht; auch während der Altersinvolution kann man einzelne
Individuen finden, wo solche Zellen recht zahlreich vorhanden.
sind). Auch die sonstigen Zellen des Markes werden kleiner, und.
weniger augenfällig. Mitunter bilden sie sogar nicht mehr einen:
zusammenhängenden Verband; nur einzelliegende grössere Zellen:
in einer Umgebung kleinerer Formen markieren dann dem auf-
merksamen Auge das Gebiet des ursprünglichen Markes.
Auf den hier beschriebenen Verhältnissen beruht es, dass
man, bei gewissen Spezies schon relativ früh, bei anderen später,.
Stadien antrifft, wo das Parenchym auf den ersten Blick hin
lediglich aus Randschicht und Rinde zu bestehen scheint. Die
rindenähnliche Partie ist dann allerdings bedeutend ärmer an
Lymphozyten als die typische Rinde, und in ihrem tiefsten Teil
lassen sich, wie gesagt, Markreste wiederfinden.
Noch eigentümlicher wird das Bild, wenn, wie ich z. B. bei
Esox gefunden habe, der oberflächliche Teil der Randschicht durch
seinen Reichtum an Schleimzellen von dem tieferen absticht, wo
die Zellen mehr protoplasmatisch aussehen und in epithelialer
Z/usammenfügung liegen. Man bekommt dann fast den Eindruck,
als wäre dies das Mark und die Reihenfolge von Mark und Rinde
also umgekehrt wie früher.
Dies Spätstadium der Altersinvolution der Teleostierthymus
hat auch bei den übrigen Wirbeltieren ihr Gegenstück. So z. B.
beim Menschen, wo im Greisenalter die Rinde ganz verschwunden,
das übrig gebliebene Mark aber ‘mit Lymphozyten recht reichlich
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 55
durchsetzt werden kann. Nur wird das betreffende Stadium bei
den Teleostiern durch verhältnismässig weit längere Dauer und
durch grössere Stärke der Infiltration augenfälliger als bei den
Säugern.
Die hier beschriebenen gröberen Umgestaltungen des Paren-
chyms werden, wie schon gesagt, in nicht unbedeutendem Grade
durch Rarefizierung der Thymuslymphozyten bewirkt.
Diese verlassen das Organ in grösserer Menge als früher, und
gleichzeitig dürfte ihre intraparenchymatöse Vermehrung durch
Teilung herabgesetzt sein, obwohl ein sicheres Urteil hierüber
schwer ist, in Anbetracht der schon früher vorkommenden grossen
Variationen in der Mitosenzahl. Im subthymischen Bindegewebe
findet man häufig eine vermehrte Menge von Lymphozyten, obwohl
es in der Natur der Sache liegt, dass diese sich über längere
Zeit hinziehende Involution nicht dieselben prägnanten Bilder
hervorruft, wie die meistens akut verlaufende accidentelle.
Die in einzelnen Zellen oder Zellengruppen des Parenchyms
vorkommenden degenerativen Veränderungen tragen wesentlich
dazu bei, das Bild der Altersthymus zu einem vielfach wechseln-
den und interessanten zu machen. Sie betreffen in nicht unerheb-
lichem Grade auch die Zellen des Retikulums und sind zum grossen
Teil von derselben Art, wie sie für die höheren Vertebraten von
mir früher geschildert worden ist.
Fast regelmässig kommen Gruppen von grobkörnigen
Zellen vor. Sie liegen am häufigsten in der Nähe der Binde-
gewebsgrenze, sind aber nicht selten oberflächlicher bis dicht an
der freien Oberfläche des Organs anzutreffen. Sie ähneln teil-
weise den für die höheren Vertebraten beschriebenen Degene-
rationsformen der Retikulumzellen recht genau. Die Körnchen
sind ziemlich gleichgross, sphärisch und nehmen durch Osmium-
mischungen eine graue Farbe an. Bei den übrigen Färbungen
bleiben sie entweder ungefärbt (Bendafärbung), oder nehmen sie den
sauren Farbstoff auf (bei Malloryfärbung gelb, bei Hämatoxylin-
Eosinfärbung rot). Die Zellen liegen bald mehr zerstreut und
zeigen dann eine rundliche Form und die Dimensionen grösserer
Leukozyten, bald liegen sie dicht zusammengedrängt und bilden
dann bisweilen ganz umfangreiche Ballen fast synzytialen Aus-
sehens und ohne hervortretende Zellgrenzen.
[|
&
J. Anu’s aHrarmımarı:
Wenn man die rundlichen freiliegenden Zellen untersucht,
zeigen sie eine recht grosse Ähnlichkeit mit Leukozyten. Es ist
aber gewöhnlich nicht schwer, Stellen ausfindig zu machen, wo
diese Zellenformen in Entstehung begriffen ist. Man findet
dann meistens in der Peripherie der Gruppe Zellen mit spär-
licheren Körnchen und von ästiger Form, welche einen deutlichen
Zusammenhang mit dem Retikulum zeigen, Bilder die angeben,
dass diese Körnchenzellen aus Retikulumzellen hervorgehen; in
dem Maße, wie sie sich mit Körnchen erfüllen, nehmen sie eine
sphärische Gestalt an und verlieren ihre Fortsätze.
Man kann nun recht häufig Bilder antreffen, die in betreff
der Form, der Lage und der Beziehungen der Zellen mit den
hier beschriebenen nahe übereinstimmen, sich aber durch eine
etwas abweichende Färbbarkeit der Körnchen von diesen unter-
scheiden (Taf. III, Fig. 32). Die Körnchen sind schwach basophil
und färben sich nachMallory schwach blau mit etwas schmutzigem
Anstrich. Mit Osmium behandelt, scheinen sie ungefärbt zu bleiben.
Ob diese Bilder eine verschiedene Degenerationsform bedeuten,
oder ob sie nur als mehr zufällige Modifikation der früher be-
schriebenen anzusehen sind, muss vorläufig dahingestellt bleiben.
Diese Anhäufungen oder Ballen von Körnchenzellen der einen
oder anderen Art liegen nicht selten ganz frei im Parenchym,
und um sie herum haben dann die intakten Retikulumzellen eine
geschlossene Reihe mehr oder weniger epithelartigen Charakters
gebildet. Der Ballen zeigt häufig Anzeichen eines Zerfalles, und
es ist leicht zu sehen, dass hierbei eine epithelbekleidete Zyste
sich an seiner Stelle herausbilden kann.
Solche Zysten wechselnden Inhalts sind nun recht gewöhn-
liche Vorkommnisse in der altersinvolvierten Teleostier-Thymus.
Am grössten habe ich sie bei einigen grösseren Exemplaren von
Aspius alburnus und Leueiseus rutilus gefunden, wo fast der ganze
Thymuszapfen von ihr eingenommen und das Parenchym zu einer
ganz dünnen oberflächlichen Schicht reduziert war. Offenbar sind
es solche Bilder, die frühere Untersucher bewogen haben, diese
Zystenbildung in den Mittelpunkt des normalen Involutionsprozesses
zu stellen, was für viele Fälle gar nicht zutrifft. Die Reduktion
des Parenchyms kann sich auch ohne jede auffallende Zystenbildung
vollziehen, und eine durch Sequesterbildung bewirkte Verödung
der Rinde, wie sie Maurer beschreibt, kann freilich vorkommen,
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 57
darf aber durchaus nicht als die regelmässige Art ihres Schwindens
angesehen werden.
Nicht immer geschieht die Zystenbildung durch den Zerfall
solcher Anhäufungen von Körnchenzellen. Die Bildung wirklicher
Sequester, wo Retikulumzellen und Lymphozyten gleichzeitig der
Degeneration anheimfallen, kommt hier wie schon vor der eigent-
lichen Involutionsperiode vor; auch Distensionszysten der oben
beschriebenen Art sind zu finden. Das Endprodukt, die Zysten
selbst, ist auch hier ein ähnliches, der Bildungsprozess mag der
eine oder der andere gewesen sein; der Bau der Zystenwand ist
auch derselbe wie vor der Involution; nur durch ihre oftmals
beträchtlichere Grösse weichen sie von den früher vorhandenen
3ildungen ab.
Schon in den oben beschriebenen Anhäufungen von Körnchen-
zellen kommen häufig vereinzelte Pigmentzellen vor. Daneben
sieht man aber spärliche Gebilde, die den Namen von Pigment-
ballen verdienen, d. h. grössere oder kleinere rundliche Klumpen,
die nicht selten mit Pigmentkörnchen so reichlich durchsetzt
sind, dass man nur ausnahmsweise einen Kern oder mehrere
wahrnehmen kann. Schon vor dem Involutionsstadium sieht man
regelmässig spärliche verästelte oder rundliche Pigmentzellen, und
zwar nicht nur im perivaskulären Bindegewebe, sondern auch im
Parenchym selbst. Es scheint mir am nächsten zu liegen, anzu-
nehmen, dass die Pigmentballen aus dem Zerfall dieser Pigment-
zellen hervorgehen, manchmal etwa so, dass die Zerfallsprodukte
von Retikulumzellen sekundär aufgenommen werden und sich in
letzteren Zellen anhäufen. Aus dem Zerfall der Pigmentballen
endlich scheinen die relativ häufig vorkommenden Zysten pigmen-
tierten Inhalts hervorzugehen.
Auch das in den Gefässkanälchen befindliche perivaskuläre
3indegewebe erfährt im Laufe der Altersinvolution mehr oder
weniger durchgreifende Veränderungen. Wie schon oben ange-
geben, entbehren auf jüngeren Altersstufen die Gefässe in ihrem
oberflächlichen intraparenchymatösen Verlaufe häufig solches peri-
vaskuläre Bindegewebe ganz und gar. Dies ändert sich aber
in der Regel, schon ehe die Altersinvolution angefangen hat, so
dass die fraglichen Gefässe mit einer kontinuierlichen Bindegewebs-
hülle versehen, in die Periode der Altersinvolution eintreten.
Während der letztgenannten Periode nimmt nun das Bindegewebe
58 J. Aug. Hammar:
in den oberflächlich gelegenen Kanälchen mancherorts eine ausser-
ordentlich voluminöse Beschaffenheit an. Gleichzeitig wird das
Gewebe zellenärmer, homogener und durchsichtiger. Bisweilen
scheint diese homogene Beschaffenheit auf die peripheren Binde-
gewebsschichten der Kanälchen beschränkt, welche sich dann wie
eine ungemein dicke Basalmembran ausnehmen (Taf. II, Fig.'25
bis 27). In anderen Fällen zeigt das perivaskuläre Bindegewebe
streckenweise durch und durch eine derartige homogene Be-
schaffenheit. und man bekommt dann den Eindruck einer Art
hyaliner Degeneration. An solchen Stellen erscheinen auch die
Gefässe verändert, dünner und mit engerer Lichtung.
Indem sich diese Verdickung und Umwandlung meistens auf
kürzere Strecken der Gefässkanälchen beschränkt, gewinnen diese
Partien den schmäleren Kanälchenstrecken gegenüber eine gewisse
Selbständigkeit, so dass sie in den Schnitten sogar den Eindruck
ganz isolierter Bildungen erwecken können.
Dass eine wirkliche Abschnürung der Gefässkanälchen zu-
stande kommt, davon habe ich mich niemals überzeugen können.
Damit mag es sich jedoch verhalten wie es wolle, soviel ist sicher,
dass die so entstandenen bindegewebigen Gebilde mit den wirk-
lichen aus dem Thymusretikulum herstammenden epithelialen
Körperchen nichts anderes gemein haben, als unter Umständen
die konzentrische Struktur. Der Versuch von Prymak (1902),
die konzentrischen Körperchen der Teleostier aus obliterierenden
Kapillaren und kleinen Blutgefässen herzuleiten, beruht auf einer
Verwechslung bindegewebiger, und epithelialer Elemente, die zu
der Zeit, wo Afanassiew (1877) seine gleichartige Ansicht aus-
sprach, leicht erklärlich war, aber mit Hülfe der Bindegewebs-
färbungen einer neueren Zeit leicht zu vermeiden ist.
Bei ein paar grösseren Exemplaren von Labrus rupestris
(120 resp. 125 mm Länge) habe ich im Bindegewebe eines tief
in das Parenchym eingedrungenen Gefässkanälchens eine sonderbare
Differenzierung angetroffen. Bei dem einen Tier fand sich nämlich
an zwei, beim anderen an einer Stelle ein rundliches bezw. stäbchen-
formiges Stückchen hyalinen Knorpels. Der Knorpel erstreckte
sich nicht ausserhalb des Thymusgebiets, sondern lag ganz insel-
föormig im perivaskulären Bindegewebe eingebettet (Taf. III, Fig. 26);
die Gefässe, die hier ganz dünn waren, gingen exzentrisch an
ihm vorbei.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 59
Obwohl ich diesen bizarren Befund nur in den genannten
zwei Stadien angetroffen habe, und streng genommen zwingende
Gründe für seine Deutung als Involutionsphänomen nicht vorliegen,
bin ich vorläufig doch geneigt, in ihm eine Abart der im Alter
10mm. 20 30 40 50 60 70 80 9 m 10 10 130 10 150 160 mm.
sich vollziehenden sekundären ‚Umwandlung des perivaskulären
Bindegewebes der Thymus zu sehen.
Bei dem allmählichen Beginn und den undeutlichen Kenn-
zeichen der ersten Stadien der Altersinvolution schien es mir für
eine nähere Feststellung des Zeitpunktes der beginnenden Invo-
lution von Interesse, die relativen Gewichtswerte des Organs zu
30 g
ei 1
‚BERFEREBIANTER
10mm.2 30 40 50 80 90 Im 10 120 130 140 mm
=“ igur 8.
prüfen. Ich habe deshalb von Cyprinus, Gobius, Labrus und Sipho-
nostoma je eine Reihe verschiedener Grössenstufen durch Platten-
rekonstruktion in einheitlichem Maßstabe untersucht und die
Modelle gewogen. Die Ergebnisse finden sich in den Text-
figuren 7—10 zusammengestellt. Da es sich ja lediglich um Einzel-
60 I. Aug Hama:
wägungen, nicht um Mittelwerte handelt, habe ich absichtlich es
unterlassen den graphischen Darstellungen die Form der Kurven
zu verleihen. |
Die grösste Massenentfaltung der Thymus des Labrus
rupestris liegt, nach den vorliegenden Wägungen zu urteilen,
Imm.20 3 4 50 % 20 80 mm.
Figur 9.
5nmm. 0 9 10 10 10 10 190 20 230 250mm.
Figur 10.
etwa bei 100 mm Länge (Textfig. 7, die ausgefüllten Säulen).
Durch mikroskopische Untersuchung des Spermas auf bewegungs-
fähige Spermen und unter Berücksichtigung der Grösse der Eier-
stockseier habe ich den Zeitpunkt der Geschlechtsreife zu be-
stimmen gesucht. Die kleinsten Exemplare, für welche ich die
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 68
Reife solchermaßen feststellen konnte, waren 102 und 105 mm
lang. Hier zeigen sich meine Beobachtnngen also in recht guter
Übereinstimmung mit der für höhere Vertebraten festgestellten
Verknüpfung der normalen Rückbildung der Thymus mit der
eintretenden Geschlechtsreife.')
Für Gobius niger verlegt die Textfig. S die höchste Ent-
faltung der Thymus auf 110 mm Körperlänge, während meine
Anzeichnungen schon bei 90 mm Länge eingetretene Greschlechts-
reife angeben. Die Übereinstimmung ist also hier eine weniger
präzise.
Was CGyprinus carassius (Textfig. 9) betrifft, sind die
Angaben über die Zeit der Geschlechtsreife recht unbestimmt:
sie soll allerdings „früh“ auftreten, die betreffende Grösse des
Tieres dürfte wohl nicht unwesentlich vom Fundort abhängig
sein. Mein (in ganz kleinen Teichen eingesammeltes) Material
weist auf einen Eintritt der Thymusinvolution bei einer Grösse von
62—84 mm hin. Ein Ausbleiben der Altersinvolution, wie es
Prymak behauptet, kann entschieden verneint werden.
Für Siphonostoma typhle (Textfig. 10) standen mir
eigene Beobachtungen in betreff der Reife nicht zur Verfügung.
Gewisse Literaturangaben (Liljeborg 1859—91, p.453) scheinen
anzudeuten, dass die Geschlechtsreife etwa bei einer Körpergrösse
von 120— 130 mm eintritt. Die grösste der untersuchten Thymus-
drüsen gehört zu einer Körpergrösse von 180 mm, die nächst-
grösste zu einer von 150 mm, in beiden Fällen also Grössen,
die nicht unbedeutend die für die (Greschlechtsreife angegebene
(Grösse übersteigen?). Die gewonnenen Werte wechseln aber so
stark, dass die Bedeutung der Einzelwägungen für die Entscheidung
der Frage hier recht problematisch erscheint.
Bei Zoarces viviparus habe ich nicht Serien geschnitten
und auch nicht Rekonstruktionen gemacht. Die histologische Struktur
erlaubt aber hier, den Anfang der Altersinvolution mit ziemlicher
Sicherheit auf die Körperlänge 145 mm zu verlegen. Die kleinsten
Individuen, für welche ich beim Einfangen Geschlechtsreife fest-
') Die Erfahrungen von Söderlund und Backman (1908) scheinen aller-
dings darauf hinzuweisen, dass bei Kaninchen schon die Vorbereitungen
der Spermiogenese hierbei von entscheidender Bedeutung seien.
?) Malm (1874, pag. 21) findet allerdings das Marsupium des Männchens
erst bei einer Körpergrösse von 150 mm völlig entwickelt.
52 J. Aug. Hammar:
gestellt habe, sind von resp. 130 und 145 mm Länge, während
andererseits für andere Individuen von 145, 150, 160 und 175 mm
Länge (und zwar sowohl 2 wie 8) vermerkt worden ist, dass sie in
Reifung begriffen waren; nach Smitt (1892—95) soll man die
“eschlechtsreife bei Individuen von 150 mm Länge festgestellt
haben.
Überhaupt liegt es auf der Hand, dass, solange man mit
Einzelfällen und nicht mit hinreichend begründeten Durchschnitts-
zahlen operiert, ganz exakte Angaben über die Zeit der be-
ginnenden Altersinvolution nicht zu erreichen sind. Soviel geht
allerdings aus dem Obigen hervor, dass diese Involution auch
bei den Teleostiern erst in einem relativ späten Stadium, und
zwar um die Zeit der Geschlechtsreife herum, ihren Anfang nimmt.
Die vorliegenden Daten scheinen eher auf einen Zeitpunkt gleich
nach der Geschlechtsreife zu zeigen, als auf einen vor derselben;
die Feststellung der genauen Zeitrelation zwischen den beiden
Prozessen muss allerdings späteren Untersuchungen vorbehalten
bleiben.
6. Einiges über die accidentelle Involution.
Endlich habe ich über einige orientierende Versuche zu
berichten, die ich angestellt habe, um zu prüfen, inwiefern die
Empfindlichkeit gegen Ernährungsstörungen, die der 'Thymus
überall, wo sie geprüft worden, eignet, auch bei den Teleostiern
zu finden ist.
Ich habe für diesen Zweck eine Anzahl von Labrus ver-
schiedener Grösse im Aquarium ohne Fütterung gehalten und sie
nach 25 und 31 Tagen getötet. Die Gewichte der nach diesen
Hungertieren und zwar in derselben Vergrösserung wie für die
neueingefangenen, angefertigten Modelle habe ich als unausgefüllten
Säulen in die Textfig. 7 eingetragen. Ein Blick auf dieselben
lehrt, dass die Thymus der Hungertiere hinter der des normalen
Tieres von derselben Grösse ausnahmslos zurücksteht, und zwar
geht die Verkleinerung bis zu '/s des normalen Wertes.
Die mikroskopische Untersuchung lehrt, in grösster Kürze
gesagt, dass eine bedeutende Reduktion der Rinde stattgefunden
hat. Die Rinde ist vorzugsweise auf die Peripherie des Organs
beschränkt, in der Mitte fehlt sie entweder gänzlich oder ist sie
zu einer Reihe kleiner Flecke reduziert. Gleichzeitig ist das Mark
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 63
manchmal mit Lymphozyten bedeutend stärker durchsetzt als
normalerweise, also, wie ersichtlich, dieselben Hauptzüge, welche
die früheren Stadien der Hungerinvolution z. B. bei Kaninchen
und Frosch auszeichnen.
Die Rarefizierung der Lymphozyten im Parenchym geschieht
ottenbar auch hier durch Herabsetzung der Zahl der Mitosen und
durch vermehrte Auswanderung; letztere kommt in einer grösseren
Lymphozytenmenge im subthymischen Bindegewebe zu auffallen-
dem Ausdruck. Anzeichen dafür, dass die Auswanderung nach
der Kiemenhöhle stattfinden sollte, habe ich auch unter diesen
Verhältnissen nicht gefunden.
Rückblick auf die Hauptergebnisse.
Wie ersichtlich, ist das Studium der Teleostierthymus ge-
eignet, mehrere Kardinalpunkte der allgemeinen Morphologie und
Physiologie des Organs kräftig zu beleuchten:
1. Der Umstand, dass die Teleostierthymus nicht nur als
ein integrierender Bestandteil des Kiemenhöhlenepithels angelegt
wird, sondern bei fast allen untersuchten Formen zeitlebens als
solcher persistiert, ist wohlgeeignet, die epitheliale Herkunft und
Beschaffenheit des Thymusretikulums sowohl im Mark wie in der
Rinde ad oculos zu demonstrieren. Das bei einigen Formen vor-
kommende Einwachsen in die Tiefe und die bei einer Form
(Cyprinus) dargelegte, relativ spät eintretende Abtrennung sind
von Interesse, indem sie zu den bei den übrigen Vertebraten ge-
fundenen Verhältnissen eine Brücke bilden.
2. Die Gefässfreiheit der Thymusanlage und die einfache
Form ihrer Grenze gegen das Bindegewebe lässt ein Durchtreten
zahlreicher Lymphozyten durch diese Grenzfläche während der
Differenzierungsperiode des Organs unschwer feststellen. Ange-
stellte genaue Zählungen und Messungen haben dargetan, dass
dieses Durchtreten nicht im Sinne eines Auswanderns, sondern
im Sinne eines Einwanderns zu deuten ist. Die Lehre des
autochthonen Entstehens der Thymuslymphozyten scheint mit den
in der Teleostierthymus gefundenen Verhältnissen nicht vereinbar
zu sein.
3. Das unter Umständen vorkommende Auftreten myoider
Zellen in der plakodenförmigen Teleostierthymus, ehe Gefässe und
64 J.. Aug, Hbammar:
Bindegewebe in sie eingewachsen sind, erlaubt, die Möglichkeit
einer Einschleppung solcher Zellen mit gleicher Bestimmtheit wie
die eines Einschlusses derselben abzuweisen. Das Vorkommen
quergestreifter Fibrillen auch in typischen Retikulumzellen spricht
gleichfalls zugunsten des autochthonen Entstehens der myoiden
Zellen.
4. Auch für die Teleostier ist das Vorkommen einer Alters-
involution der Thymus und zwar unter prinzipiell denselben Formen,
wie sie bei den höheren Vertebraten vorkommen,. festgestellt
worden. Ebenso ist eine Beziehung zwischen Geschlechtsreife und
Altersinvolution der Thymus auch hier wahrscheinlich gemacht.
5. Bei Nahrungsentziehung stellt sich auch bei den Tele-
ostiern eine accidentelle Thymusinvolution, und zwar unter ähn-
lichen Formen wie bei den höheren Vertebraten, ein.
Literaturverzeichnis.
Afanassiew, B. (1877): Weitere Untersuchungen über den Bau und die
Entwicklung der Thymus und die Winterschlafdrüse der Säugetiere.
Arch. f. mikroskop. Anat., Bd. 14.
Board, J. 1894: The developement and probable function of the Thymus.
Anat. Anz., Bd. 9.
Cheval, M. (1908): Recherches sur les Iymphocytes du thymus. Bibl.
anat., DT. 17.
Dustin, A. P. (1908): L’origine et la signification des cellules „myoides“
et „epitheloides“ du thymus. Bull. soc. r. sc. med. et nat. Bruxelles No. 5.
Ecker, A. (1853): Art. Blutgefässdrüsen in Wagners Handwörterbuch der:
Physiologie. Bd. IV. Braunschweig.
Glas, E. (195): Zur Frage der Sarkolyse. Anat. Anz., Bd. 26.
Hammar,J.A. (1905): Zur Histogenese und Involution der Thymusdrüsen.
Ibid., Bd. 27.
Derselbe (1906): Über Gewicht, Involution und Persistenz der Thymus im
Postfötalleben des Menschen. Arch. f. Anat. u. Entwicklungsgesch.
Derselbe (1907): Über die Natur der kleinen Thymuszellen. Ibidem.
Jonsson, A. (1908): Studien über die Thymusinvolution 3. Die Involution
nach Hunger. Upsala Lökenför. Förk. Bd. 13 (Deutsche Auflage im
Erscheinen).
Laurell, H. (1908): Zum Vergleich der Lymphozyten innerhalb und ausser-
halb der Thymuüsdrüse. (Im Erscheinen.)
Leydig, Fr. (1853): Anatomisch-histologische Untersuchungen über Fische
und Reptilien. Berlin, pag. 26 und ff.
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 65
Liljeborg, W. (1889—91): Sveriges och Norges Fiskar. Upsala.
Malm, A. H. (1874): Om den brednäbbade Kantnalens — Siphonostoma
typhle Yairn — utveckling och fortplantning. Lund. Dissert.
Maurer, Fr. (1885): Schilddrüse und Thymus der Teleostier. Morph.
Jahrb., Bd. 11.
Derselbe (1899): Die Schilddrüse, Thymus und andere Schlundspaltenderivate
bei der Eidechse. Ibid., Bd. 27, pag. 122.
Derselbe (1902): Die Entwicklung des Darmsystems. Hertwigs Handb.
d. vergl. u. exp. Entwicklungsgesch., Bd. II, pag. 133.
Maximow, A. (1907): Über die Entwicklung der Blut- und Bindegewebs-
zellen beim Säugetierembryo. Folia hämatol., Jahrg. 4.
Mayer, S. (1888): Zur Lehre von der Schilddrüse und der Thymus bei den
Amphibien. Anat. Anz., Bd. 3.
Nusbaum, J. und Prymak, Th. (1901): Zur Entwicklungsgeschichte der
Iymphoiden Elemente der Thymus bei den Knochenfischen. Ibid., Bd. 19.
Pensa, A. (1905): Osservazioni sulla struttura del timo. Ibid., Bd. 27.
Prymak, Th. (1902): Beiträge zur Kenntnis des feineren Baues und der
Involution der Thymusdrüse bei den Teleostiern. Ibidem, Bd. 21.
Rudberg, H. (1907): Studien über die Thymusinvolution 1. Die Involution
nach Röntgenbestrahlung. Arch. f. Anat. u. Entwicklungsgesch., Suppl.
Schaffer, J. (1893): Über den feineren Bau der Thymus und deren Beziehung
zur Blutbildung. Sitzungsber. d. Wiener Akad., Bd. 102, Abt. III.
Smitt, F. A. (1892—95): Skandinaviens fiskar. Stockholm.
Söderlund, G. und Backman, A. (1908): Studien über die Thymus-
involution. 2. Die Altersinvolution beim Kaninchen. Upsala Löken-
fören, S., Förk, Bd. 13. (Deutsche Ausgabe im Erscheinen.)
Stannius, H. (1850): Über eine der Thymus entsprechende Drüse bei
Knochenfischen. Müllers Arch.
Derselbe (1854): Handbuch der Zootomie von Siebold und Stannius, 2. Teil,
1. Heft. Zootomie d. Fische, 2. Aufl. Berlin, pag. 256.
Stöhr, Ph. (1906): Über die Natur der Thymuselemente. Anat. Hefte, Bd. 31.
Ver Eecke, A. (1899): Structure et modifications fonctionelles du thymus
de la grenouille. Bull. de l’acad., r. de med. de Belgique.
Weissenberg, R. (1907): Über die quergestreiften Zellen der Thymus.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. 70.
Erklärung der Abbildungen auf Tafeln I-IIN.
Tafel 1.
Fig. 1—10. Querschnitte in der Thymusgegend verschiedener Teleostier.
Namen und Grösse der Fische nebst den Vergrösserungen sind in
der Tafel angegeben. Hämatoxylin-Eosin-Färbung. Thym. — Thymus.
Fig. 11. Carassius vulg. 14,5 mm. Markzellen in trabekulärer Anordnung;
ri. — Rinde. Tell. Flüss., Hämatoxylin, Eosin. Zeiss’ Apochr. 2 mm,
Ap. 150, hom. Imm., Komp.-Ok. 4.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 5)
66
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fie. :
12.
14.
15.
16.
18—
18.
J. Aug. Hammar:
Siphonostoma typhle 175 mm. Gefässfreie Thymus. Querschnitt.
Das Organ hat sich streckenweise von der gut markierten Basal-
membran abgehoben. ra. — Randschicht, ri. = Rinde, m. — Mark.
Tell. Flüss., Hämatox. Eosin. Zeiss’ Apochr. 16 mm. Komp.-Ok. 4.
Centronotus gunnellus 125 mm. Kleine epithelbekleidete Cyste;
das Epithel zeigt im Profilbild einen bürstenähnlichen Saum, im Ober-
flächenbild ein eigentümliches konzentrisches Relief; Verbindungen
mit Retikulumzellen treten an der äusseren Grenze der Cyste
mehrfach hervor. Tell. Flüss., Hämatox. Eosin. Zeiss’ Apochr. 2 mm,
Ap. 1,30, hom. Imm., Komp.-Ok. 8.
Öentronotus gunnellus 72 mm. Kleine Cyste mit Kutikular- und
Becherzellen. Fixierung, Färbung, Vergrösserung etc. wie Fig. 13.
Gobius niger 90 mm. Geflecht myoider Zellen aus dem Marke.
Fixierung etc. wie Fig. 11.
Tafel II.
Salmo salar 130 mm. Der Übergang zwischen der Thymus und
dem geschichteten Plattenepithel der Umgebung. Formol-Spiritus,
Hämatoxylin, Eosin. Vergrösserung wie Fig. 11.
Salmo salar. Aus den zentralen Partien desselben Schnittes wie
Fig. 16. ‚ra. —Randsehicht; ri. = Rinde; m.) Mark. Ver-
grösserung wie Fig. 11
24. Siphonostoma typhle. Entwicklungsbilder. Fixierung, Ver-
orösserung ete. wie Fig. 13. ü. — Übergangsfalte z. Kiemendeckel
Embryo 10 mm. Rein epitheliale Thymusanlage, spärliche sub-
thymische Lymphozyten. Bei X eine artefizielle Diskontinuität im
Schnitte.
19 A—C. Embryo 9 mm; drei aufeinander folgende Schnitte. Einzelne
Fe
ID
IV
Lymphozyten im Epithel, bei xx hat die Basalmembran durch
hindurchtretende Lymphozyten einen Durchbruch erfahren.
‘jo. 20 A—B. Embryo 10,6 mm. Zwischen den zwei abgezeichneten Schnitten
liegt ein ungezeichneter. Sonst wie Fig. 19.
Embryo 11,5 mm. Die intra- und subthymischen Lymphozyten
haben an Menge zugenommen. Rechts Teilung einer der erst-
genannten; X X wie in Fig. 19.
Embryo 12 mm. Fortwährende Vermehrung der intra- und sub-
thymischen Lymphozyten.
Embryo 15 mm. Zahlreiche Lymphozyten in der Thymusanlage.
Häufige Teilungen der Thymuszellen. Die subthymische Infiltration
verringert.
Larve von 37,5 mm Länge. Beginnende Markbildung. Die Ent-
fernung der abgelösten Thymus vom Bindegewebe ist in der Figur
kleiner dargestellt, als sie im Präparat sich darstellte. ra. — Rand-
schicht; ri. = Rinde; m.’”— Maik.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Hiores:
B)
Ir
Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 67
Tafel III.
Zoarces viviparus 300 mm. Gefässkanälchen und Schleimzellen
blau, Thymus im übrigen rotbraun; ra. —= Randschicht; deutlicher
Unterschied zwischen Rinde und Mark tritt bei dieser Färbung
nicht hervor. Tell. Flüss., Mallorysche Färbung. Reicherts Obj. 4,
Ok. 1, eingeschobener Tubus.
Labrus rupestris 120 mm. Teil eines queren Vertikalschnittes,
zahlreiche quergeschnittene, stark erweiterte Gefässkanälchen
zeigend. In der Mitte des Bildes ein grosses Kanälchen mit
hyaliner Knorpelinsel. Fixierung und Färbung wie in Figur 25.
Reicherts Obj. 4, Ok. 4, 150 mm Tubuslänge.
Labrus rupestris 125 mm. Der abgezeichnete Vertikalschnitt zeigt
die starke Erweiterung der an der Grenze gegen die Randschicht
verlaufenden horizontalen Gefässkanälchen. Reicherts Obj. 2, Ok.1,
170 mm Tubuslänge. :
2S—30. Gobius niger (resp. 70, 70 u. 60 mm). Kleine Epitheleysten
>
)
an der Bindegewebsgrenze (resp. oberhalb, auf und unterhalb dieser
Grenze). ba. = Basalmembran ; bi. = Bindegewebsinsel am ober-
flächlichen Rande der Cyste; körn. — körnige Leukozyten, my. —
myoide Zellen. Tell. Flüss., Mallorysche Färbung. Zeiss’ Apochr.
2 mm, Ap. 1,30, hom. Imm., Komp.-Ok. 4.
Zoarces viviparus 85 mm. Eine grössere, riesenzellenähnliche und
eine kleinere Zelle mit schwach basophilen Kügelchen. Ausserdem
eine Schleimzelle. Tell. Flüss., Malloryfärbung. Zeiss’ Apochr. 2 mm,
Ap. 1,50, hom. Imm., Komp.-Ok. 8.
Zoarces viviparus 150 mm. Rundliche Zellen mit schwach baso-
philen Kügelchen, viele auch mit spärlichen Pigmentkörnchen. Die
abgebildete Partie ist ein kleiner Teil eines recht umfangreichen
Sequesters, der an drei Seiten durch eine Spalte vom umgebenden
Parenchym abgegrenzt war und nur an einer Seite (links auf dem
Bild) mit dem Retikulum zusammenhing, hier zahlreiche Übergangs-
formen zu typischen Retikulumzellen zeigend. Fixierung, Färbung
etc. wie in Fig. 31.
A—0. Zoarces viviparus 855 mm. A und B zeigen je eine Schleim-
zelle, an die sich in A mehrere Zellen, in B eine Zelle konzentrisch
angefügt haben, wodurch ein an den echten Hassallschen er-
innernder Zellenkomplex entstanden ist; Ü zeigt eine Zelle mit
schwach basophilen Körnchen. Fixierung, Färbung ete. wie in
Fig. 31.
Zellen aus dem Marke desselben Tieres wie Fig. 33 mit dicker
protoplasmatischer Aussenschicht und spärlichen, regelmässig an-
geordneten basophilen Körnchen von zugespitzter Form (modifizierte
Schleimzellen ?). Fixierung etc. wie in Fig. 31.
or
65
=.
Fig.
ig. 37.
Fig. :
230:
J. Aug. Hammar: Zur Kenntnis der Teleostierthymus.
Öentronotus gunnellus 40 mm. Partie aus dem Marke, drei in
Schleimzellen umgewandelte Retikulumzellen zeigend, welche ihre
Verbindung mit den übrigen Retikulumzellen noch bewahrt haben.
Fixierung und Färbung wie in Fig. 31; Vergrösserung wie Fig. 11.
Gobius niger 60 mm. Komplex myoider Zellen von länglicher und
sphärischer Form aus dem Marke. Fixierung und Färbung wie
Fig. 31; Vergrösserung wie Fig. 11.
Esox lucius 400 mm. Partie aus dem Marke, fädige Differenzierung
im Protoplasma der Retikulumzellen zeigend. ba. — Basalmembran.
Flemmingsche Flüssigk., Bendasches Kıystallviolett. Vergrösserung
wie in Fig. 31. ‘
Anguilla vulgaris 270 mm. Partie aus dem Mark mit zwei myoiden
Zellen (my.) und einem konzentrischen Körperchen (Hass.) In
einigen der Rekulumzellen eine Differenzierung quergestreifter
Fibrillen. Fixierung etc. wie in Fig. 37.
Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Universität Berlin.
Über die Genese des Chordaknorpels der Urodelen
und die Natur des Chordagewebes.
Von
Dr. med. Friedrich Krauss in Charlottenburg.
Hierzu Tafel IV--VI.
Trotz der reichlich vorhandenen Literatur über die Struktur
und Natur der Chorda differieren doch noch die Ansichten der
Autoren über die Genese des Chordaknorpels; auch fehlt es noch
an Arbeiten, welche die feineren, histologischen Details mit Zu-
hilfenahme der heutigen verbesserten Untersuchungsmethoden be-
rücksichtigen. Es hat aber eine nicht geringe Bedeutung, dieses
Thema in erschöpfender Weise zu behandeln und zu einer einheit-
lichen Anschauung in betreff desselben zu gelangen, weil die Frage
nach der Bildung des Chordaknorpels aufs innigste mit
der Naturder Chorda, dieses für uns noch so manches Rätsel-
hafte bietenden Gewebes, zusammenhängt. In der Tat werden
wir finden, wenn wir die Literatur über die Arbeiten durchsehen,
welche sich mit dem Chordaknorpel beschäftigen, dass die
betreffenden Verfasser sich in ihren Anschauungen dabei mehr
oder weniger von ihren Ansichten über die Beschaffenheit und
Entwicklung des Chordagewebes beeinflussen liessen oder um-
gekehrt auch von dem Resultate ihrer Untersuchungen über den
Chordaknorpel ihre Auffassung des Chordagewebes und seine
Stellung in der Reihe der Gewebsformationen abhängig machten.
Weiterhin ist aber das Thema von der Herkunft des Chorda-
knorpels von Bedeutung für die Frage nach dem Wesen und
der Herkunft der Stützgewebe. Hat doch gerade die
Auffassung dieser Frage viel zu der Stellungnahme beigetragen,
welche man in neuerer Zeit der Bedeutung der alten Keim-
blätterlehre für die Entstehung und Abgrenzung der Gewebe
entgegenbringt. Eine nicht minder wichtige Rolle spielt, wie
wir im Verlaufe der Arbeit zeigen werden, bei der Bildung des
Chordaknorpels auch die Metaplasie der Gewebe, eine
Frage, die heute im Vordergrund des Interesses steht.
70 Friedrich Krauss:
Historisches.
In diesem Abschnitt soll nur die speziellere Literatur
des Chordaknorpels besprochen werden: die der Chorda
selbst, welche überaus reichhaltig ist, wird soweit erforderlich,
gelegentlich der allgemeinen Besprechung berücksichtigt werden.
Eine sehr eingehende Aufstellung derselben findet sich übrigens
bei H. Schauinsland: die Entwicklung der Wirbelsäule nebst
Rippen- und Brustbein. (O0. Hertwig, Handbuch der Ent-
wicklungslehre III, Teil 2.) .
Nachdem v. Kölliker 1859 und 1860 bei Knochenganoiden,
bei Polypterus und Lepidosteus, auf das Vorkommen von Knorpel-
gewebe am kaudalen Ende der Chorda hingewiesen hatte, hat
Gegenbaur in seiner klassischen Monographie: Untersuchungen
zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule bei Amphibien und
Reptilien, Leipzig 1862, bei einer grossen Reihe von Tierklassen
‘den Chordaknorpel in eingehender, noch heute mustergültiger-
Weise beschrieben und auch die feineren histologischen Verhältnisse-
in einer im Verhältnis zu der damals noch primitiven Technik
bewundernswerten Weise klargeleet. Gegenbaur fand den
Chordaknorpel in erster Linie bei Urodelen und Gymnophionen,
dann bei einzelnen Reptilien und Vögeln, sowie ihm ähnliche-
(rebilde auch bei Knochenfischen. Nach Gegenbaur entsteht
der Chordaknorpel innerhalb der Chorda aus den peripheren
Chordapartien. Gegenbaur hatte in seiner Arbeit bereits ein
reiches Tatsachenmaterial zur Behandlung der Frage beigebracht.
Die zahlreichen ihm folgenden Bearbeiter des Gegenstandes haben
in morphologischer Hinsicht nicht viel Neues hinzuzufügen vermocht.
Die seit Gegenbaur bis gegen 1900 erschienenen Arbeiten (es
sind dies die letzten) beziehen sich vorwiegend auf die Ent-
stehung des Chordaknorpels.
Während ein Teil der Autoren den Ursprung des Chorda-
knorpels von einer Einwanderung von Knorpelzellem
aus den perichordalen Gewebe, speziell dem Inter-
vertebralknorpel, durch Öffnungen der Elasitca externa herleitet,
hält dagegen ein anderer Teil und zwar die Mehrzahl der heutigen
Forscher, an der Entstehung aus der Chorda selbst und
besonders aus dem Chordaepithel fest. Daneben gibt es
einige Forscher, welche an beide genannte Entstehungsmöglich-
keiten glauben. i
Der Chordaknorpel der Urodelen. 71
Von den Vertretern der ersteren Ansicht, der perichor-
dalen Entstehung, ist in erster Linie Zykoff (1894) zu
nennen, welcher energisch die alte Gegenbaursche Ansicht
bekämpfend annahm, dass ein Teil der Zellen des Intervertebral-
knorpels, sich zwischen die Chordascheide und die Wandung des
Wirbels zum Zentrum des Wirbels drängend, in die Chorda
eindringe. Die Möglichkeit solchen Eindringens erklärt Zykoff
sich dadurch, dass die Elastica externa bei dem Siredon durch-
löchert, stellenweise zerrissen sei. Ich bemerke schon hier, dass
die Präparate Zykoffs in technischer Beziehung von verschiedener
Seite als nicht einwandsfrei angesehen wurden.
Auch nach Lwoff (1887) wird der Knorpel, welcher sich
in der Chorda befindet, nicht aus den Elementen der Chorda
gebildet, sondern wächst aus dem perichordalen Gewebe hinein.
In der Elastica externa sind Öffnungen zu sehen, in welchen man
sehr oft an gefärbten Präparaten gefärbte Körper, offenbar Zellen
des Bindegewebes, sieht. Sowohl Lwoff als Zykoff wurden in
ihren Ansichten über die Entstehungsweise des Chordaknorpels
bestärkt durch ihre Auffassung von der Natur der Chorda als
eines epithelialen Gewebes.
Eine ähnliche Ansicht, wie die der beiden genannten Forscher,
wurde von Gadow (1896) ausgesprochen, welcher, ohne selbst
senauere histologische Untersuchungen ausgeführt zu haben, die
Bildung des Chordaknorpels bei den Urodelen mit der Knorpel-
bildung der Chorda der Selachier in eine Parallele bringt.
Schliesslich führe ich von Vertretern dieser Richtung noch
Studniäka (1897) an, welcher in sehr ausführlicher Weise über
die Chorda und den Chordaknorpel geschrieben hat und dabei
auch die Histogenese des Knorpelgewebes behandelt. Studnicka
ist ein entschiedener Anhänger der perichordalen Entstehungs-
weise des Chordaknorpels und gibt nur für eine geringe Anzahl
von Fällen eine Entstehung aus den Chordaepithelzellen zu. Be-
stimmenden Einfluss hat dabei seine Ansicht von der epithelialen
Natur der Chorda, zu der er sich lediglich durch die Existenz
interzellulärer Verbindungen in der Chorda der Knochenfische
bestimmen lässt, trotzdem er nicht in Abrede stellt, bei ver-
schiedenen Gelegenheiten Bilder der Uhorda angetroffen zu haben,
welche eine grosse Ähnlichkeit mit Knorpelgewebe haben.
u |
[689]
Friedrich Krauss:
Was nun die Entstehung des Chordaknorpels aus
der Chorda selbst betrifit, so kann man sagen, dass die Mehr-
zahl der neueren Autoren sich jetzt diesem Bildungsmodus, dem
endochordalen, mehr oder weniger zuneigt.
Zunächst ist hier V. Schmidt (1893) zu nennen. Er
studierte die Chordastabbildung in der Schwanzspitze des Axolotl
und fand, dass sich hier Knorpel direkt aus Chordazellen bildete
und zwar aus den hier gewöhnlich noch indifferenten protoplas-
matischen Zellen des äusseren Chordaendes. Dabei beobachtete er
gleichzeitiges Auftreten von hyalinen Tropfen in den Chordazellen
als Anfang ihrer hyalinen Umwandlung zu Knorpelgewebe. Für
eine Einwanderung von Zellen aus der skelettogenen Schicht in
den Chordastab fehlt nach ihm jeder Anhalt, da um die Zeit der
Gliederung des Chordastabes eine solche Schicht im Bereich des
Chordaendes noch garnicht vorhanden ist.
Alsdann fand Field (1895) bei Amphiuma, dass die Chorda-
zellen und zwar speziell diejenigen des Chordaepithels, die Elemente
für den Knorpel bilden. Die Chordascheide fand er stets als voll-
ständige Hülle um die Chorda gehend und nirgends die von
Zykoff beschriebenen Unterbrechungen. Auch eine Durch-
wucherung der intakten Chordascheiden durch skelettbildende
Zellen hält Field für durchaus unwahrscheinlich.
Auch v. Ebner (1896) erklärt wie Field eine primäre
Knorpelbildung, d. h. eine Umwandlung der Chordaepithelzellen
in Knorpel in der Schädelchorda der Salamander- und Tritonen-
larven für zweifellos, wenn er auch die Zykoffschen Ansichten
nicht ganz von der Hand weist. Auch gibt v. Ebner an, dass
später oft eine teilweise Zerstörung der Chordascheide und dadurch
ein Zusammenfliessen des Parachordalknorpels mit dem Chorda-
knorpel eintrete. v. Ebner hält die Chorda, besonders die der
Knochenfische, für ein hochdifferenziertes Gebilde, welches oft
die mannigfachsten progressiven Bildungen, wie z. B. binde-
gewebige Scheiden, Knorpel, vakuolisierte Zellen, epidermoidale
Zellen produziert und als ein Beispiel dienen kann, wie vergeblich
das Bemühen sei, einen fundamentalen Gegensatz zwischen Binde-
und Epithelgewebe aufzustellen.
Ferner tritt Klaatsch (1897) sehr entschieden für die
ältere Gegenbaursche Anschauung von der Entstehung des
Chordaknorpels aus der Chorda ein. Klaatsch fand neben
Der Chordaknorpel der Urodelen. 1a
peripheren Knorpelinseln auch zentrale und neigt zu der Ansicht,
dass letztere vielleicht unabhängig von ersteren entstanden seien.
Die Bildung des Chordaknorpels geht nach Klaatsch in erster
Linie von den indifferenten Chordaepithelzellen aus und zwar findet
als erste zur Rnorpelbildung führende Veränderung eine Verdickung
der peripheren Zellpartien des Chordaepithels statt, in welchen eine
durch Hämatoxylin dunkler tingierbare, teils in Form von Streifen,
teils in Form eines Netzwerkes hervortretende Substanz sich
bildet. Für die zentralen Knorpelinseln gibt Klaatsch auch
die Möglichkeit zu, dass sie aus mehr differenten, aber noch
wenig vakuolisierten Ohordazellen entstehen können. Klaatsch
neigt zu der Ansicht, dass Chorda- und Knorpelgewebe aufs
innigste miteinander verwandt seien, vielleicht nur als Zweige
eines und desselben Stammes eines indifferenten Stützgewebes
aufzufassen seien. Klaatsch trug zunächst seine Ansichten in
der Anatomischen Gesellschaft 1597 vor. In der sich daran
knüpfenden Diskussion präzisierte Schaffer entsprechend seinen
in mehreren umfangreichen Arbeiten über die Entstehung des
Knorpelgewebes niedergelegten Ansichten seinen Standpunkt dahin,
dass der Chordaknorpel sich nur aus Chordaepithelzellen, welche
den Wert von indifferenten, embryonalen Zellen haben, nicht aus
schon vakuolisierten entwickeln könne. Daneben glaubt aber
Schaffer auch noch an gelegentliche Entstehung von Knorpel
aus eingewanderten indifferenten Zellen (Chondroblasten) und berief
sich dabei ausser auf seine bei Petromyzon gemachten Beobach-
tungen über Knorpelwucherungen auf die v. Ebnerschen Unter-
suchungen.
Von den jüngeren Autoren, welche über den Chordaknorpel
geschrieben haben, ist Kapelkin (1900) zu nennen. Kapelkin
meint, dass die Schwierigkeit, die Frage der Entstehung des
Chordaknorpels zu lösen, vielfach daran gelegen wäre, dass in
einem gewissen Stadium sich die Chordascheiden etwas auflösen
und deswegen sich wenig von der Grundsubstanz des Knorpels
durch ihren Lichtglanz unterscheiden. Durch zweckmässige Doppel-
fäürbung überwand er diese Schwierigkeit und gelangte zu dem
Resultat, dass der Chordaknorpel sich auf Kosten des Chorda-
epithels ganz unabhängig vom Intervertebralknorpel entwickie.
Schliesslich ist noch Camillo Schneider anzuführen,
welcher in seinem Lehrbuch der Histologie der Tiere, Jena 1902,
74 Friedrich Krauss:
eingehende Details über die Bildung des Chordaknorpels beim
Salamander gibt. Nach ihm nehmen nur die Chordaepithelzellen
an der Knorpelbildung teil und von diesen auch nur ein Teil,
während die anderen degenerieren. Nur die wandständigen Zellen
des Ohordaepithels liefern echten hyalinen Knorpel, während die
durch Teilung entstandenen und ausgewanderten ein eigentüm-
liches Gewebe bilden, welches aus kleineren Zellen und einer
lockerfaserigen, schwach chondromukoiden Grundsubstanz besteht.
Dieses Gewebe soll sich nicht immer zu echtem Knorpel fort-
entwickeln, denn man kann Reste desselben im Zentrum des
Chordaknorpels in der Umgebung der geschrumpften Chorda-
zellen wahrnehmen.
Untersuchungsgebiete, Material und Technik.
Meine Untersuchungen über Chordaknorpel wurden haupt-
sächlich an Urodelen: Siredon pisciformis, Salamandra maculata
und Triton eristatus (Larven sowohl, als auch erwachsenen Tieren)
in verschiedenen Stadien vorgenommen. In erster Linie erwies
sich der Axolotl ais geeignetes Untersuchungsobjekt, besonders
für die feineren histologischen Verhältnisse der Chorda und ihrer
Verknorpelung, weil hier die zelligen Elemente am grössten sind
und auch bei der weiteren Umbildung der Wirbelsäule während
des späteren Wachstums die Verhältnisse sich weniger komplizieren
als beim Salamander und Triton, bei denen die Chordazellen
kleiner sind und die Verknorpelungsprozesse unregelmässigere
Verbreitung zeigen. Immerhin sind aber auch bei den letzt-
genannten Tieren bemerkenswerte Eigentümlichkeiten in den
histologischen Details gefunden worden. Zur Ergänzung und Ver-
vollständigung der Untersuchung wurde dann noch die Chorda des
Hechtes (Esox lucius) untersucht und zwar an einem erwachsenen
Exemplar von 25 cm, da jüngere Tiere nicht zu beschaffen waren.
Ferner wurden bei Axolotl- und Forellenembryonen die Verhältnisse
der Chordaneubildung bei der Regeneration des Schwanzes nach
Amputation desselben in verschiedenen Stadien untersucht. daneben
auch die Folgen der Kontinuitätstrennung der Chorda. Schliess-
lich wurden mehrfache Transplantationen der Chorda von meist
5 cm langen Axolotllarven unter die Rückenhaut erwachsener
Axolotl vorgenommen und das Schicksal der transplantierten
Uhorda nach verschiedenen Zeitabschnitten studiert.
Der Chordaknorpel der Urodelen. 165)
Die Objekte wurden zumeist in Pikrinsublimatessigsäure, zu-
weilen auch in Carnoys oder in Flemmings Gemisch, fixiert.
Letztere Flüssigkeit, welche so ausgezeichnet die feinen Zell-
strukturen konserviert, hat den Nachteil, dass sie keine genügende
Knorpelfärbung zulässt.
Die Einbettung geschah in Paraffın.
Zum Studium des Chordaknorpels wurden Frontal- und Quer-
schnitte, zuweilen auch Sagittalschnitte, angefertigt: meist Serien
kleinerer Abschnitte. Was die Frontalschnitte anbetrifft, so ist eine
vorgängige gehörige Orientierung an dem Paraffinstücke wichtig,
was besonders bei den meist kleinen Objekten nicht immer leicht
ist. Ich habe dazu zuerst von beiden Seiten des Blockes Quer-
schnitte gemacht, dann dieselben mikroskopisch untersucht, sodass
ich die Stelle der Chorda auf der glatten Querschnittfläche genau
wiederfinden und durch eine dieselbe schneidende, horizontale
Linie mit dem Skalpell markieren konnte. Ich habe dann die
Linien der beiden (Querschnitte noch seitlich verbunden und so
stets die richtige Schnittebene erhalten. |
Die auf dem Objektträger aufgeklebten Schnitte wurden mit
verschiedenen Färbungen behandelt. Die besten Dienste leistete
mir das Kresylviolett RR (Farbwerke Mülheim, vormals
A. Leonhard & Co.), welches hervorragende Eigenschaften als
Knorpelfärbemittel besitzt. Das Kresylviolett gehört zu den meta-
chromatisch färbenden Farbstoffen. Es färbt die Knorpelgrund-
substanz, sowie auch das Mucin rosarot, die Kerne hellblau. Ich
fand es äusserst vorteilhaft, eine Färbung mit Hämalaun voraus-
zuschicken, da die Kernfärbung des Hämalauns besser haltbar
ist und ihr blau besser zu dem Rot des Kresylvioletts kontrastiert.
Der Alkohol zieht nämlich das Kresylviolett leicht aus den
Präparaten heraus, deshalb muss auch die Durchführung der-
selben durch die verschiedenen Alkoholstufen eine sehr schnelle
sein; auch muss durch mehrmals gewechseltes Xylol der Alkohol
gründlich entfernt werden, bevor man die Präparate in Kanada-
balsam einlegt. Derart behandelte Präparate haben sich mir
bereits über ein Jahr lang gehalten, ohne dass sie wesentlich
gelitten hätten. Es ist deshalb auch nicht nötig, was empfohlen
wird, die Präparate zur Vermeidung der Alkoholbehandlung in
Lävulose einzulegen. Zu bedauern ist nur, dass der Farbstoft
jetzt aus dem Handel verschwunden ist, wenigstens sind die
76 Friedrich Krauss:
unter anderen Marken jetzt kursierenden Präparate für die
Knorpelfärbung nicht brauchbar.
Als weitere Knorpelfärbemittel habe ich Methylenblau und
Bismarcekbraun angewandt und zwar das Methylenblau in der
von Hansen angegebenen Form mit einem. kleinen Zusatz von
Salzsäure. Ich habe die Methylenblaufärbung mit molybdänsaurem
Ammoniak fixiert und dann zuweilen noch die van Giesonsche,
von Hansen modifizierte Bindegewebsfärbung nachfolgen lassen.
Das Bismarekbraun wird sehr gut mit Lichtgrün kombiniert. Sehr
hübsche Bilder gibt eine dreifache Färbung in der Reihenfolge:
Boraxkarmin, Bismarckbraun (ganz schwach) und Lichtgrün. Man
erhält dann die Kerne rot, die Knorpelgrundsubstanz braun, das
Bindegewebe grün, andere Teile, wie Muskulatur, in einer mehr
grauen Mischfarbe. Zur Kontrolle habe ich vielfach das gleiche
Präparat mit den genannten verschiedenen Knorpelfärbemitteln
behandelt.
Von sonstigen Färbungen wurden noch die van Giesonsche
und die Heidenhainsche mit Eisenalaun-Hämatoxylin, letzteres
besonders für die in Flemmingscher Lösung fixierten Objekte,
angewandt.
Auch wurde von der Doppelfärbung Hämalaun-Eosin
öfters Gebrauch gemacht und zwar letzteres in progressiver
Färbung (einige Tropfen konzentriert wässeriger Eosinlösung auf
ein Farbglas Aqua destillata: 24 Stunden lang färben).
Eigene Befunde.
I. Die Bildung des Chordaknorpels bei den Urodelen.
Wir werden uns bei der Schilderung des chondrogenetischen
Prozesses, wenn nicht besonders hervorgehoben, an die Axolotl-
larve halten, da beim Salamander und Triton die Vorgänge, wenn
auch im wesentlichen dieselben, doch weniger durchsichtig sind,
weil hier die Zellelemente kleiner und die Verknorpelung eine
unregelmässigere ist.
Beim Studium der Bildung des Chordaknorpels hat sich mir
mehr und mehr als wichtig herausgestellt, die Vorgänge
am CUhordaepithel von denjenigen, welche sich an den
vakuolisierten Zellen abspielen, als gesondert zu betrachten.
Von letzteren hatte man bisher angenommen, dass sie sich am
Verknorpelungsprozess wenig oder gar nicht beteiligten und
Der Chordaknorpel der Urodelen. Tr
durch das vom Chordaepithel neugebildete Knorpelgewebe zerstört
würden. Diese Ansicht erschien mir im Verlauf meiner Unter-
suchungen mehr und mehr zweifelhaft und so richtete ich im
Hinblick darauf, dass beim Axolotl sich der Chordaknorpel im
Vertebralteil der Chorda entwickelt, während der Intervertebral-
teil frei von Veränderungen bleibt, mein Augenmerk darauf, ob
nicht schon in einem ganz frühen Stadium morpho-
logische Unterschiede im Verhalten der vakuolisierten
Zellen des Vertebralteils im Vergleich zu denjenigen des
Intervertebralteils der Chorda zu finden seien. Und so zeigten
sich bereits bei Axolotllarven von 3'/s cm Länge Veränderungen
in der Struktur der Chordazellen, welche nur auf den Vertebral-
teil der Chorda beschränkt sind und als erste Phase der Bildung
des Chordaknorpels, als Einleitung des chondrogenetischen
Prozesses, aufgefasst werden müssen (s. Fig. 1, Taf. IV). Diese
auf die genannten Stellen beschränkten Veränderungen bestehen
im Auftreten eines fädigen Netzwerkes im flüssigen
Vakuoleninhalt der Chordazellen (Fig. 2, Taf. V). Die
Fäden des Netzwerkes ziehen vielfach verzweigt vom Proto- oder
Endoplasma der Zellen zur Vakuolenwand oder endigen frei in der
Flüssigkeit. Die Fäden scheinen mir nur zum Teil als protoplas-
matische Ausläufer des Endoplasmas der vakuolisierten Zellen auf-
zufassen zu sein Grösstenteils dürften sie, wie weiter unten noch
besprochen werden wird, eine andere Herkunft haben. Mit Farb-
stoffen, wie Hämatoxylin, Bismarckbraun, Kresylviolett nehmen
die Fäden häufig dieselbe Färbung an wie das Chondromukoid ').
Auch konnte ich öfters beobachten, dass die Fäden anfänglich aus
kleinsten, rosenkranzartig aneinander gereihten Tröpfchen bestehen,
welche später zu linearen Fäden verschmelzen und an welchen
zuweilen noch kleine Verdickungen als Ausdruck ihrer früheren
!, Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass hier sowohl,‘ wie im
weiteren Verlauf der Arbeit, wo von chondromukoider Umwandlung die
Rede ist, ich im Sinne Hansens darunter die Eigenschaft des Gewebes
verstehe, mit den genannten Farbstoffen die charakteristische Knorpelfärbung
anzunehmen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass das Chondromukoid
sich mit dem Mucin färberisch gleich verhält. Ein sicheres färberisches
Reagens, welches beide Substanzen auseinander zu halten ermöglicht, gibt
es nicht. Auch das Hämalaun (Schafferl#1]) ist hierfür nicht zuverlässig.
Viel hängt dabei von dem Alaungehalt und der vorherigen Art der Fixation
des Objektes ab.
Ss Friedrich Krauss:
Entstehungsweise aus Tröpfehen oder Kügelchen zu beobachten
sind. Dieses Stadium der fädigen Struktur der vakuolisierten
Chordazellen findet sich nun zu einer Zeit, zu welcher am Chorda-
epithel keine Spur einer Veränderung zu bemerken ist und ich
halte es für wichtig, dieses Verhalten gleich anfangs zu betonen,
da ich in demselben einen wichtigen Beweis für die hervor-
ragende Anteilnahme der vakuolisierten Chordazellen
am Verknorpelungsprozesse der Chorda erblicke. Soviel
ich ersehen konnte, findet sich in früheren Arbeiten keine der-
artige Angabe verzeichnet. Wohl wurde beobachtet, dass
zuweilen Fäden in den Vakuolen der Chordazellen vorkommen,
aber es ist nicht auf die dabei auftretende chondromukoide
Beschaffenheitundauf dasalternierende Vorkommen
dieser Struktur in den einzelnen Chordaabschnitten
und Zumal zu einer Zeit geachtet worden, in der sich die Bildung
des Chordaknorpels vorbereitet.
Gleichzeitig oder etwas später als die fädigen Strukturen
tretennunauch Verdickungen der Membran der Chorda-
zellen auf (Fig. 2, Taf. IV). Diese verdickten Scheidewände
haben auf dem Durchschnitt ein trübes, wie gequollenes Aussehen.
Es scheint sich dabei ebenso wie bei einem Teil der fädigen
Strukturen um ein Ausscheidungsprodukt des Zellprotoplasmas,
d.h. um eine albuminoide Substanz zu handeln, welche mit dem
Chondromukoid nahe verwandt ist und der chondromukoiden
Metamorphose vorausgeht. Nach meinen Beobachtungen möchte
ich annehmen, dass das Chondromukoid überhaupt entweder direkt
als solches ausgeschieden wird oder zuerst als die vorhin ge-
nannte, nicht färbbare albuminoide Substanz, welche erst später
vielleicht nur durch eine gerinfügige, chemische Umwandlung die
charakteristische Chondromukoidfärbung annimmt. Färberisch
konnte ich keinen wesentlichen Unterschied zwischen diesen ver-
diekten und den nicht verdickten Membranen konstatieren. Die
Verdiekung der Chordazellmembran kann nun bereits in dieser
frühen Zeit eine ziemlich beträchtliche sein, auch kann es früh-
zeitig in den verdickten Membranpartien zu einer Umwandlung
im Chondromukoid oder zu einer Ausscheidung desselben kommen;
letzteres meist in Form von Tröpfehen oder von verschieden-
artigen Figuren, welche durch das Zusammenfliessen von Tröpfchen
entstanden sind.
Der Chordaknorpel der Urodelen. fe)
Erst nachdem so die Chondrogenese an den vakuolisierten
Chordazellen eingeleitet worden ist, treten nun gewöhnlich die
Veränderungen am Chordaepithel auf. Zum Verständnis der
an demselben und ihrer Umgebung sich abspielenden Prozesse ist
es von Wichtigkeit, das Chordaepithel und die an das-
selbe grenzende Faserscheide der Chordaals eine
einheitliche zusammengehörige Gewebsbildung auf-
zufassen. Nach den Untersuchungen von v. Ebner wissen wir,
dass entwicklungsgeschichtlich von den peripheren Chordazellen
zuerst die Elastica externa und hierauf die Faserscheide gebildet
wird. v. Ebner hält die Faserscheide für eine bindegewebige,
dem Grallertgewebe nahestehende (rewebsbildung. Auch anatomisch
ist das Chordaepithel innig mit der Faserscheide verbunden. Die
Substanz des Protoplasmas der Chordaepithelzellen geht häufig
direkt in die Fasern des Scheidengewebes über. Andererseits
liegt die Chordaepithelzelle nach der Chorda hin häufig so, dass
sie in den Zwischenraum zweier aneinanderstossender vakuoli-
sierter Zellen keilförmig sich hineinschiebt und bei Wucherungs-
und Vermehrungsprozessen die Membranen der vakuolisierten
Zellen leicht auseinanderdrängen kann. Der chondrogenetische
Prozess, der nun durch die Chordaepithelzellen, welche äusserst
bildungsfähig sind und an embryonale Zellen erinnern, eingeleitet
wird, kann als ein ähnlicher Prozess, gewissermaßen als eine
weitere Fortsetzung des entwicklungsgeschichtlichen betrachtet
werden. Man kann wohl schon im ersten Beginn des Prozesses
Teilung und Vermehrung der Chordaepithelzellen wahrnehmen:
das wesentliche ist aber die Bildung eines protoplasmatischen
Netzwerkes (Fig. 5, Taf. V; Fig. 3, Taf. IV) zwischen Chorda-
epithelzellen und Faserscheide, wodurch erstere von letzterer ab-
gehoben werden. Es entsteht auf diese Weise ein kleiner, nach
der Mitte der Chorda zu vorspringender Wulst (Fig. 6, Taf. V),
welcher bei weiterem Wachstum eine mehr homogene Beschaffen-
heit annimmt und die ursprüngliche Chordaepithelzelle um-
schliessen und einspinnen kann. Dieser Vorgang findet, wie bereits
Kapelkin hervorgehoben hat, anfangs nur an einigen Stellen der
Peripherie derChordazellen statt. Bemerkenswert ist, dasseineTeilung
und Vermehrung des Chordaepithels nunim Anfang nicht immer
zu konstatieren ist; eskann vielmehr dererste Anfang des
Prozesses ohne Epithelvermehrung vor sich gehen.
s0 Friedrich Krauss:
Sehr frühzeitig kann eine chondromukoide Umwandlung der
wulstförmigen Bildung eintreten und gleichzeitig eine solche
Verschmelzung mit der Faserscheide, dass man keine Grenze
mehr zwischen beiden unterscheiden kann. Man hat dann eine
bis zur Elastica externa sich gleichmässig färbende Masse vor
sich. Häufig kommt es zwischen Wulst und Faserscheide zur
3ildung kleiner Vakuolen; zuweilen bilden dieselben reihenförmig
angeordnet die Grenze zwischen Öhordaknorpel und Faserscheide.
Sie entstehen entweder durch erweiterte Maschen des proto-
plasmatischen Netzwerkes oder durch stärkere Abhebung des-
selben von der Faserscheide.
Während des Wachstums des Wulstes hat sich auch das
Chordaepithel in seiner Nachbarschaft in lebhafter Weise ver-
mehrt und zwar, wie mir scheint, mehr passiv durch den Reiz,
welchen der gewissermaßen als Fremdkörper wirkende kompakte
Wulst auf die Umgebung ausübt. Die jungen Zellen wandern
alsdann wie Vorläufer an die Peripherie des Wulstes (Fig. 6, Taf. V),
wo sie meist frühzeitig in die sich dort bildende Grundsubstanz
eingeschlossen und zu Knorpelzellen werden: Es ist aber auch
möglich, dass sie vorher die in den vakuolisierten Chordazellen
vor sich gehenden metaplastischen Prozesse beeinflussen. Auch
können sie, wie besonders beim Salamander, direkt zur Bildung
‚neuen Knorpelgewebes beitragen. Nach der Vermehrung und
Auswanderung der Chordaepithelzellen können oft grosse Strecken
des inneren Randes der Faserscheide frei von solchen bleiben.
Im weiteren Verlauf des chondrogenetischen Prozesses kann
der Knorpelwulst nun mit anderen ähnlichen peripherischen Wülsten
verschmelzen oder auch mit dem von den vakuolisierten Chorda-
zellen gebildeten fädigen Netzwerk sich verbinden und können
so allmählich umfängliche Partien der Chorda zur Verknorpelung
kommen.
Nachdem nun die Bildung :des Chordaknorpels von seiten
des Chordaepithels in der beschriebenen Weise in die Wege ge-
leitet worden ist, werden unterdessen auch die vakuolisierten
Chordazellen, in welchen es bisher nur zu Membranverdickungen
und fädigen Netzbildungen im Innern der Vakuolen gekommen
war, mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen. Das Endo-
plasma der vakuolisierten Zellen gewinnt im Verhältnis zu dem
Exoplasma, den Vakuolenwänden, welche früher ein integrierender
Der Chordaknorpel der Urodelen. sl
Bestandteil der Gesamtzellen waren, eine grössere Selbständigkeit
und kann nunmehr für sich als Zelle betrachtet werden, während
die verdiekten Vakuolenwände mehr und mehr sich von der eigent-
lichen Zelle absondern und interzelluläre Natur annehmen. Die
anfänglichen Veränderungen an den Vakuolenwänden nehmen nun
zu und aus den verdickten Membranen entstehen dicke, faser-
reiche Balken. Die Fasern der Balken ziehen meist parallel
zueinander. Das Netzwerk im Innern der Vakuolen wird dichter,
auch können innerhalb der zu Balken verdickten Scheidewände
netzförmige Züge auftreten, welche sich teils aus komprimierten
mit Netzwerk erfüllten Vakuolen, grösstenteils aber mehr selb-
ständig zwischen den auseinandergewichenen Faserzügen der
Scheidewände gebildet haben (Fig. 9, Taf. IV; Fig. 4, 6, Taf. V).
Alle diese in und zwischen den vakuolisierten Zellen sich
vorfindenden faserigen, netzförmigen und membranösen Bildungen
zeichnen sich durch ein von echtem Protoplasma verschiedenes
Verhalten aus. Wenn auch durch Färbemittel kein Unterschied
nachzuweisen ist, so spricht, abgesehen von der später zu be-
sprechenden Art ihrer Genese, die trübe, graue Farbe und die
vielfach wie gequollene Beschaffenheit dieser Gewebe dafür, dass
sie vom Protoplasma verschieden sind. Ich gebe aber zu, dass
es bei den feineren Fäden nicht immer möglich ist, zu sagen, wie
weit das Endoplasma der Zellen reicht und wo diese mehr inter-
zellulären Charakter tragenden Bildungen anfangen.
An der Hand der auf Tafel VI abgebildeten schematischen
Figuren wollen wir die Details dieser Bildungen näher erörtern.
Die Vakuolen zeigen die verschiedensten Grössen und Formen,
vielfach sind sie grösser als die gewöhnlichen Chordavakuolen,
oft über das Doppelte; es gibt aber auch kleinere. Wie ich
glaube, sind die grösseren durch Steigerung des Flüssigkeits-
druckes im Innern der Vakuolen bei der Kompression des Gewebes
durch den andrängenden Chordaknorpel und durch Schwund von
benachbarten Wänden entstanden, während die kleineren teils
durch Schrumpfung der Wände mit Flüssigkeitsverlust, teils durch
Faserbildung im Innern der Vakuolen sich gebildet haben. Die
Form der Vakuolen ist ebenfalls sehr verschieden. Die Kerne
liegen häufig nicht am Rande, sondern in der Mitte der Vakuolen
(Fig. 40, Taf. VI), zuweilen auch in den verbreiterten Scheide-
wänden oder in den durch Zusammenstoss derselben gebildeten
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 6
32 Friedrich Krauss:
Zwickeln und sind oft sehr chromatinreich (Fig. 6, Taf.V; Fig. 28,
42, 44, 45, Taf. VI). In seltenen Fällen konnte ich zwei Kerne in
einer Vakuole wahrnehmen (Fig. 31, Taf. VI). Sehr interessant
ist der Inhalt der Vakuolen. Oft geht von einem in der
Mitte der Vakuolen gelegenen Kern, welchen eine geringe Menge
Protoplasmas umgibt, ein meist radiär verlaufendes Faserwerk
aus (Fig. 40, Taf. VI). Häufig trifft man Vakuolen ohne Kern,
welche nur von Faserwerk erfüllt sind oder von quergespannten
Fäden durchzogen werden (Fig.9, Taf. IV; Fig.5, Taf. \‘; Fig. 32,36,
Taf. VI; Fig. 14, Taf. IV); ferner kommen als Vakuoleninhalt
häufig zarte Membranen (Fig. 29, 31, 32, 33, Taf. VI) oder unregel-
mässig umrandete Teile derselben vor, oft schleierartig aus-
gespannt (Fig. 29, 35, 34, Taf. VI) oder mehr zusammengewunden
(Fig. 30, Taf. VI). Alle diese Gebilde können in der mannig-
fachsten Weise durch Fäden und Faserwerk sich mit der Vakuolen-
wand verbinden oder auch mehr frei in der Vakuolenflüssigkeit
suspendiert sein. In letzterem Falle sieht man sie häufig fein
baumförmig verzweigt endigen (Fig. 26—28, Taf. VI). Die Fasern
selbst sind von verschiedener Dicke, meist sehr fein und zart,
können sie sich so verdicken, dass sie breite Septen innerhalb
der Vakuolen bilden (Fig.4, Taf. V). An allen genannten Bildungen
treten früher oder später chondromukoide Umwandlungen auf.
Meist in Form von Tröpfchen, einzeln oder zu Fäden aneinander
gereiht (Fig. 25—28, Taf. VI), oft auch in Form grösserer Tropfen
oder mannigfaltiger eigentümlicher Figuren. Ferner sieht man
kleine zackige Gebilde oder unregelmässige Platten (Fig. 17—28
und 37, Taf. VI), ferner geweihartig verzweigte (Fig. 23, Taf. VI)
oder bandförmige verflochtene Gebilde. Besonders bemerkt man
sie anfangs am Rande der Vakuolen (Fig. 17, Taf. VI), oder an
den im Innern derselben befindlichen Fäden (Fig. 36 u. 37, Taf.V]).
Auch die in den verdickten Zwischenwänden der
vakuolisierten Zellen vorhandenen feineren histologischen Details
sind bemerkenswert. Die Zwischenwände werden auseinander
getrieben, indem zwischen ihren Fasern sich ähnliche Fasernetze
bilden, wie die in den Vakuolen vorhandenen. Die Faserbildung
lässt es nun zu besonders typischen Bildern kommen. So sieht
man häufig in der Mitte zwischen den Faserzügen kleine quere
Verbindungsfäder, wodurch perlschnurartig aneinandergereihte,
kleine, runde oder eckige Vakuolen erzeugt werden (Fig. 25, 35,
Der Chordaknorpel der Urodelen. 83
41,45, 44, 45, Taf. VI). Weiter können in den dreieckigen Zwickeln
Figuren zum Vorschein kommen, wo zwischen quergefaserten
Schenkeln von der Spitze zur Basis Vakuolen von zunehmender
Grösse enthalten sind (Fig. 41 u. 43, Taf. VD. Ferner können
auch Massen von albuminoider Substanz zwischen den Fasern
sich ausbilden, welche auf dem Durchschnitt schmale längliche
(Fig. 42, Taf. VI) oder konzentrisch ineinander laufende Linien
(Fig. 45, Taf. VI) darstellen. Endlich können Fasernetze von ver-
schiedener Dichtigkeit auftreten und sich mit den früher bei den
Vakuolen beschriebenen Bildungen in vielgestaltiger Weise kompli-
zieren. In gleicher Art wie an den Vakuolen tritt auch hier die
chondromukoide Metamorphose auf. Dieselbe nimmt weiterhin
mehr und mehr zu und ergreift schliesslich in mehr allmählichem
oder schnellerem Fortgang den gesamten Inhalt der Vakuolen
und ihrer Scheidewände. Zuletzt kommt es zur Bildung hmer
oder weniger homogener. chondromukoid metamorphosierter
Massen, in welchen man oft noch Züge früherer Zellwände und
Zellmembranen nachweisen kann (Fig. 9, Taf. IV)
Aufrtallrent.ususest.u dass. bein.allem diesen, Ver-
änderungen der vakuolisierten Chordazellen die
nächst benachbarten oft ganz normal erscheinen und
dass die Übergänge von den einen zu den anderen vielfach ganz
unvermittelt sich darstellen, oft ohne, dass eine Ansammlung von
embryonalen Zellen bemerkbar wäre, insbesondere ohne irgend-
welche von diesen ausgehende Gewebsbildung (Fig. 9, Taf. IV;
Fig. 5, Taf. V). Auch scheint das Endoplasma der vakuolisierten
Chordazellen, obwohl lebenskräftig, nur selten sich zu vermehren
(Bie2st TarsyınE
Die Bildung des Chordaknorpels hat im allgemeinen die
Tendenz von der Peripherie gegen das Zentrum vorzuschreiten ;
es unterliegt aber nach meinen Untersuchungen keinem Zweifel,
‚dass sich auch unabhängig von den peripheren Partien mehr
zentral gelegene bilden können, welche von Anfang an ähnlich
wie die vorher geschilderten lediglich durch eine chondromukoide
Metaplasie vakuolisierter Chordazellen entstanden sind (Fig. 9,
Tate IV Eee Pak. VW).
An dieser Stelle möchte ich hervorheben, was auch von der
Mehrzahl der neueren Autoren nachgewiesen wurde, dass ich die
Elastica externa für gewöhnlich intakt zwischen dem
6*
S4 Friedrich Krauss:
Chordaknorpel und dem skelettoblastischen Gewebe verlaufen ge-
funden habe. In seltenen Fällen konnte ich wohl kleine winzige
Unterbrechungen, wie Lwoff sie beschrieben hat, an ihr
konstatieren, aber gerade an diesen Stellen war nichts zu be-
merken, was an eine Einwanderung von Zellen des perichordalen
Gewebes hätte denken lassen können. Ich konnte sogar häufig
eine partielle Wucherung des intervertebralen Knorpels oder des
jenigen des oberen Bogens mit starker Hervorwölbung desselben
gegen die Chorda hin konstatieren (Fig. 6, Taf. IV)’ ohne dass
die Elastica, abgesehen von einer geringen Verdünnung, irgend
eine Läsion ihres Gewebes gezeigt hätte. Ihre Kontinuität war
nirgends unterbrochen.
Was nun den auf die beschriebene Weise gebildeten, den
grössten Teil des vertebralen Chordaquerschnitts einnehmenden
Knorpel betrifft, so lässt er längere Zeit einen Teil komprimierten
Chordagewebes in seiner Mitte frei, den sogenannten Chorda-
strang. Ich habe gefunden, dass die Bildung des Chorda-
stranges nicht allein durch eine Kompression des von der
Peripherie her andrängenden Knorpels entsteht, da die Anfänge
desselben sich schon zu einer früheren Zeit bilden, wo von einer
nennenswerten Kompression des Chordagewebes noch keine Rede
sein kann. Ich möchte vielmehr einen Teil seiner Bildung schon
auf Rechnung der Veränderungen setzen, wie sie bereits anfangs
und besonders im zentralen Teil der Chorda als Früherscheinungen
der Chondrogenese in Form von Verdiekung und Trübung der
Scheidewände der Chordazellen auftreten. Weiter habe ich auch
eefunden, dass der CUhordastrang ein eigentümliches färberisches
Verhalten zeigt, da er sich durch eine ausgesprochene Acidophilie
auszeichnet. Während sonst die Scheidewände und Membranen
des Chordagewebes mit sauren Farben nur eine schwache Färbung
annehmen, färbt sich der Chordastrang und zwar nur im Bereich
des Knorpels oder doch nur wenig darüber hinaus intensiv mit
sauren Farben: so mit Eosin leuchtend rot (Fig. 7, 10, Taf. V),
mit Kresylviolett intensiv blau, mit Lichtgrün smaragdgrün, mit
Pikrinsäure intensiv gelb. Diese färberische Eigenschaft ist um
so auffallender, als sonst solche dem Knorpel dicht anliegenden
Faserzüge, wie Studni@ka beschrieben hat, durch das Chondro-
mukoid des benachbarten Knorpels eine ihm ähnliche basische
Färbung annehmen. Der Grund der stärkeren Acidophilie des
ot
Der Chordaknorpel der Urodelen. of}
Chordastranges ist auch nicht etwa daran gelegen, dass hier der
färberische Effekt mehrerer zusammenliegender Chordafaserzüge
sich zu einer stärkeren Gesamtwirkung summiert, denn auch die
mehr vereinzelt im zentralen Gebiet des Chordakorpels liegenden
Faserzüge färben sich meist in gleich intensiver Weise mit sauren
Farben wie der Chordastrang. Es scheint mir hier ein Verhalten
vorzuliegen wie beim Vorknorpel, bei welchem die Scheidewände
sich auch mit sauren Farben färben, ehe sie später eventuell die
chondromukoide Färbung annehmen.
Der fertige Chordaknorpel zeigt in seinen frühesten
Entwicklungsstadien noch zahlreiche Merkmale, welche an die
Art und Weise seiner Entstehung erinnern (Fig. 10, Taf. V).
Was die Zellen betrifft, welche teils von den Chordaepithel-
zellen, teils von den Endoplasmazellen der vakuolisierten Chorda-
zellen sich herleiten, so kann ihre Zahl, Dichtigkeit der Lagerung,
ihre Grösse, Form und Beschaftenheit, sowie ihre Verbindung mit
der Kapsel und die Ausbildung der letzteren je nach dem Alter
des Knorpels eine sehr mannigfaltige sein. Im Anfang sind die
Zellen häufig noch zahlreich, dichter gelagert, mit chromatin-
reichen Kernen versehen und reich an Protoplasma (besonders
bei Salamandra maculata) und zeigen noch vielfach innigen
Zusammenhang des Protoplasmas mit der Kapsel, sodass bei der
Fixation zahlreiche kurze, feinste” Ausläufer, welche mit Vorliebe
die Knorpelfärbung annehmen, zwischen Protoplasma und Kapsel
zu bemerken sind. Daneben gibt es aber auch noch Zellen,
welche nur wenig perinukleäres Protoplasma haben und lange,
meist breitere Protoplasmaausläufer zur Kapsel, gelegentlich
auch in die feinfaserige Grundsubstanz schicken. In letzterem
Fall ist die Kapsel auch nur wenig ausgebildet. Ferner gibt es
Zellen mit weitmaschigem Protoplasma, welches sich an einzelnen,
auf dem Durchschnitt halbmondförmigen Partien der Peripherie
verdichtet (Fig. 40, Taf. VI). Dieselben färben sich ähnlich den
peripheren zur Kapsel gehenden Protoplasmafortsätzen gern mit
Knorpelfarbstoffen.. Häufig sieht man grössere oder kleinere
Vakuolen entweder leer oder mit dichtem, die Knorpelfärbung
annehmendem Fasernetz (Fig. 39, Taf. VI), ferner auch mehr
oder weniger intensiv basophil gefärbte Flecken von der Grösse
der Knorpelzellen. Sie sind als Knorpelzellen aufzufassen, welche
nur noch undeutlich oder schattenhaft an ihre frühere Existenz
Ss6 Friedrich Krauss:
erinnern und im Begriff stehen, sich in Knorpelgrundsubstanz
umzuwandeln („verdämmernde Zellen“, Schaffer [38]). Auch gibt
es Zellen, deren Kerne arm an Öhromatin oder in Degeneration
sind, welchen das Schicksal der eben geschilderten Zellen bevor-
steht. Gelegentlich kommen Vakuolen vor, welche kernloses Proto-
plasma von der Grösse einer Knorpelzelle einschliessen (Fig. 6,
Taf. V), oder Vakuolen mit ringförmigem Protoplasma mit oder
ohne Kern, ferner Kapseln mit zwei Zellen. Zuweilen sind auch
Knorpelzellen mit unregelmässig geformter Kapsel zu beobachten.
Einmal konnte ieh eine Zelle konstatieren, welche von Knorpel-
srundsubstanz dicht umgeben war, während durch einen schmalen
Saum von ihr getrennt sich eine kleine leere Vakuole vorfand.
Häufig sind auch Chondrintröpfehen sowohl im Faserwerk der
Zellen und am Rande der Vakuolen, als auch in der Grund-
substanz, besonders im Bereiche der verknorpelten Faserscheide,
vorhanden. Dort sind sie gewöhnlich grösser und oft zackig
(ib TaV)
Die Grundsubstanz ist teils homogen, teils fein faserig
und zeigt im jungen Chordaknorpel oft recht unregelmässige
basophile Färbung, wodurch häufig eine verwaschene Zeichnung
mit abwechselnd heller und dunkler gefärbten Stellen entsteht.
Besonders um die Kapseln herum ist die Grundsubstanz meist
stärker gefärbt und feinfaserig, oft daselbst auch konzentrisch
geschichtet mit abwechselnd dunkleren und helleren Schichten
(Fig. 10, Taf. V). Von der Faserscheide ist im vorgeschritteneren
Stadium der Knorpel meist nicht mehr abzugrenzen. Das Knorpel-
gewebe reicht dann bis an die Rlastica externa; man kann dann
typische Knorpelzellen mit Kapseln nahe an der Elastica externa
bemerken. In jedem Falle bleibt aber die Elastica externa dentlich
als Grenze bestehen; von einer Einwucherung von Elementen
des äusseren Knorpels ist nichts zu bemerken.
In einigen Präparaten fand ich eine durch Alkohol hervor-
gerufene netzförmige Beschaffenheit der Grundsubstanz. Wenn
solche Artefakte auch keine weitere Bedeutung haben, so zeigen
sie doch vielleicht, dass, wie auch Flesch dies in ähnlichen
Fällen annimmt, hier dichtere Partien der Knorpelgrundsubstanz
mit weniger dichten abwechseln. Auch Bütschli konnte dureh
geeignete Behandlung des hyalinen Rippenknorpels des Kalbes
(Einlegung in Alkohol und Austrocknung unter der Luftpumpe)
Der Chordaknorpel der Urodelen. 87
ein aus Interzellularsubstanz bestehendes Wabennetz in der
Grundsubstanz sichtbar machen, was für gewöhnlich der
Beobachtung entging.
Nach vollendetem Larvenleben nimmt der Zellenreichtum
des Chordaknorpels ab. Auch färbt sich die Grundsubstanz dann
streckenweise mit basophilen Farben weniger gut (metachondrales
Stadium). Der Chordastrang (Fig. 10, Taf. V) schwindet im Ver-
laufe des Verknorpelungsprozesses auch mehr und mehr; der
Chordaknorpel nimmt dann durchweg in seiner Grundsubstanz
eine mehr homogene Beschaffenheit an.
Bezüglich der Bildung des Chordaknorpels in den einzelnen
Wirbelabschnitten ist bekannt, dass er im Schädelteil der Chorda
beginnt und allmählich nach dem Schwanzende zu fortschreitet
Im Schädelteil sowohl wie in der Schwanzpartie zeigt die Bil-.
dung des Chordaknorpels jedoch häufig Unregelmässigkeiten,
In der Schädelchorda ist die Verknorpelung meist in unregel-
mässiger Weise über grössere Strecken verbreitet und ist dort
oft noch in den Anfängen, während sie in den oberen Rumpf-
partien schon weiter fortgeschritten ist. Ebenso kann auch in
der Chorda des Schwanzes manchmal eine Wirbelpartie in der
Verknorpelung erheblich gegen die benachbarten Partien zurück-
bleiben.
Am Schlusse dieses Kapitels ist über die Bildung des
Chordaknorpels beim Salamander und Triton noch
zu sagen, dass sie im wesentlichen gleich verläuft wie beim
Axolotl, indessen, wie früher schon gesagt, spielt sich hier der
Werdegang des Prozesses weniger deutlich ab, da die zelligen
Elemente kleiner sind und die Verknorpelung in mehr unregel-
mässiger Weise verläuft Bemerkenswert ist, dass von Anfang
an neben den vertebralen auch die intervertebralen Partien der
Chorda Veränderungen zeigen, welche in Form von fädigem,
chondromukoidem Gerüstwerk innerhalb der vakuolisierten Zellen
der Chorda sich darstellen. Es besteht hier nicht, wie beim Axolotl,
ein ausschliesslich auf die vertebralen Teile, beschränktes Frühs-
tadıum der Chondrogenese. Auch ist die Bildung des Chordaknorpels
häufig eine mehr insuläre. Man findet dann isolierte zentrale
Knorpelinseln neben den peripheren und dies nicht nur in
vertebralen, sondern auch in intervertebralen Teilen (Fig. 7,
Taf. V). Von den peripheren Partien sind diese oft durch dicke
58 Friedrich Krauss:
Stränge komprimierten Chordagewebes getrennt. Noch am Ende
des Larvenlebens kommt es zu ausgedehnter Verknorpelung nicht
nur im vertebralen Teil, sondern auch in dem relativ engen,
intervertebralen Teile der Chorda. In letzterem zeigt die Chorda
vor der Verknorpelung chordastrangähnliche Verdickung der Zell-
membranen und Verkleinerung der Vakuolen. Beim Axolotl
kommen intervertebrale Verknorpelungen nur andeutungsweise
bei älteren Tieren vor. Auf die bei erwachsenen Tritonen und
Salamandern weiter vor sich gehenden Veränderungen der Chorda
durch Markraumbildungen und gelenkartige Bildungen in den
Intervertebralteilen gehe ich hier nicht ein.
II. Regenerationsversuche.
Wenn ich auch im allgemeinen die Resultate von Barfurth,
Fraisse und von Nusbaum und Sidoriak bei der Regeneration
des Schwanzendes des Axolotls und der Forelle bestätigen konnte,
so haben doch meine Resultate einige erwähnenswerte Besonder-
heiten aufzuweisen. Wie bereits Barfurth hervorgehoben hat,
macht es in bezug auf die Art und die Schnelligkeit der Regene-
ration des Schwanzendes einen wesentlichen Unterschied, ob man
die Embryonen im Ei amputiert hat, oder erst später, nachdem sie
ausgeschlüpft sind. Ich habe von solchen Embryonen der ersten
Kategorie nur den Axolotl untersuckt (Fig. 13, Taf. VI). Hier
bildet sich der Chordastab, (Barfurth, nach anderer
Bezeichnung Knorpelstab) als welcher sich die regenerierte
Chorda späterhin darstellt, vorzugsweise aus den Chordazellen
des unteren Chordaendes und zwar sowohl der epithelialen Rand-
zellen, alsauch der in ihrer nächsten Nähe befindlichen vakuolisierten
Zellen. Trotz ihrer Differenzierung haben letztere einen noch
jugendlichen Charakter und ist ihr Endoplasma sehr geneigt, sich
durch Teilung zu vermehren, wobei zahlreiche Kernteilungsfiguren
auftreten. Die durch Teilung entstandenen neuen Zellen bei
diesen ganz jungen Axolotlembryonen besitzen ein durch Häma-
toxylin stark färbbares Protoplasma und zeigen in ihrer Umgebung
Züge und Netzwerk von Protoplasmafasern, welche bald die
chondromukoide Umwandlung erfahren. Die von Barfurth
beschriebene, bei der Regeneration ganz junger Embryonen auf-
tretende Umwandlung neugebildeter Chordazellen in grosse hyaline
Zellen, welche später zu Zellen des Chordastabes wurden, ent-
Der Chordaknorpel der Urodelen. sg
spricht vielleicht diesen grossen durch Teilung entstandenen Zellen
am Übergange des Chordaendes in den Chordastab. Neben der
genannten Bildungsweise des Chordastabes konnte ich aber bei
diesen ganz jungen Axolotlembryonen auch einemetaplastische
Umwandlung bereits differenzierter CGhordazellen
beobachten. Diese tritt häufig etwas proximalwärts vom Chorda-
stab an einer kleineren Zahl von Chordazellen auf, in Form kleiner
Netzbildungen oder mehr gröberer, unregelmässig geformter albu-
minoider Massen im Innern der Vakuolen, in ähnlicher Weise,
wie wir solche bei der Bildung des Chordaknorpels beschrieben
haben. Auch die chondromukoide Umwandlung oder Ausscheidung
erfolgt ähnlich wie dort in unregelmässiger Ausdehnung früher
oder später.
Was die Beteiligung von perichordalen Zellen an der Bildung
des Chordastabes betrifft, so konnte ich weder bei ganz jungen
Embryonen, noch auch bei alteren eine solche mit Sicherheit
nachweiseisen.
Jedenfalls ersehen wir aus dem mitgeteilten Befunde, dass
auch bei ganz jungen, im Ei amputierten Embryonen vom Axolotl
schon in früher Zeit die ersten Anfänge der Chordastabbildung
sich bemerkbar machen. Nach Barfurth soll dieselbe hier erst
in späterer Zeit erfolgen, nachdem ein Stadium der Bildung von
grossen, hyalinen Chordazellen aus dem alten Chordagewebe
vorausgegangen war.
Die Regeneration bei älteren Embryonen, von
welchen ich Axolotl und Forellen untersuchte, verläuft wesentlich
langsamer und in einer von der beschriebenen etwas verschiedenen
Weise. Erst einige Tage nach der Amputation des Schwanzes
von Forellen- und Axolotlembryonen findet eine Überhäutung
des stark vorgetriebenen Chordaendes durch das Epithel der
Epidermis statt, dessen Zellen gleichzeitig eine starke Wucherung
und Vermehrung im Bereiche der Chordaendes darbieten. Bei
der Forelle kann man ausserdem eine starke Vermehrung der
Chordaepithelzellen ziemlich weit proximalwärts innerhalb der
Chorda konstatieren. Ich möchte hier hervorheben, dass das
Chordaepithel der Forelle überhaupt zu Wucherungs- und Ver-
mehrungsprozessen sehr geneigt ist und auf Reize jeglicher Art
sowohl auf äussere als auch auf solche, wie sie durch ein regeres
Wachstum besonders am unteren Chordaende bei der Bildung des
90 Friedrich Krauss:
Chordastabes gesetzt werden, stark reagiert. Das alte, stark ab-
geplattete Chordaepithel wird nun bei der Forelle durch das
nachwuchernde neue Epithel oft an manchen Stellen in Form
eines flachen Saumes abgehoben und nach innen gedrängt. Dieser
Saum nimmt mit Pikrinsäure meist eine gelbliche Färbung an und
kann auch später noch zu faserartigen Bildungen atrophieren,
welche oft in einem nach dem Chordaende zu konvexen Bogen
von einer Seite der Chorda zur anderen verlaufen. Hie und da
kommt es zu Wucherungen der Faserscheide, wobei sich nach
innen ziehende Fasern und Falten bilden können. Beim Axolotl
erfolgt die Vermehrung des Chordaepithels nur in mässigem
Grade, aber öfters unter Auftreten schöner Kernteilungsfiguren
und beschränkt sich nur auf die nächste Umgebung des unteren
Chordaendes. Bei der Regeneration des Schwanzes älterer Em-
bryonen war esmirim Anfange der Entwicklung nicht möglich,
metaplastische Prozesse an den vakuolisierten Chordazellen nach-
zuweisen. Es scheint, dass hier, wo der Umbildungsprozess von
Chordagewebe in Knorpelgewebe sich auf eine längere Zeit verteilt,
als bei der Regeneration ganz junger Embryonen, die am meisten
distalwärts gelegenen und zwar sowohl die protoplasmatischen
als die vakuolisierten Chordazellen genügen, um durch Teilung
und Vermehrung das Knorpelgewebe des Chordastabes zu bilden.
Erst in etwas späterer Zeit, wenn der Chordastab an ältere,
vakuolisierte Zellen grenzt, sieht man beim Axolotl sowohl, als auch
bei Forellen neben der Knorpelbildung vom Chordaepithel auch
solche durch metaplastische Prozesse an den vakuolisierten Zellen
in Form von Tröpfchen- und Netzbildung Platz greifen. Auch
konnte ich in einiger Entfernung vom ausgebildeten Chordastabe
junger Axolotl isolierte Knorpelherde in der Chorda finden,
welche mit der Faserscheide in Verbindung standen und als un-
regelmässige Bildungen von Chordaknorpel aufzufassen sind, wie
sie in diesem unteren Chordaabschnitte gewöhnlich angetroffen
werden.
Bezüglich der normalen Entwicklung des Chorda-
stabes möchte ich noch bemerken, dass auch hier eine Ein-
wanderung perichordaler Zellen nicht stattfindet und metaplastische
Prozesse an den vakuolisierten Chordazellen erst im späteren
Stadium des Entwicklungsprozesses vorkommen. Der Zeitpunkt
der Bildung des Chordastabes ist auch nicht an eine bestimmte
Der Chordaknorpel der Urodelen. I
Länge des Tieres gebunden. Wenigstens konnte ich bei Tieren
von gleicher Länge (etwa 2'/» cm bis 3 cm) zuweilen einen wohl
entwickelten Chordastab nachweisen, zuweilen aber auch nichts
von einem solchen, sondern lediglich eine Chorda, deren unteres
Ende aus Chordaepithel und wohlgebildeten vakuolisierten Zellen
bestehend von einer dünnen Fortsetzung der Faserscheide um-
geben war und bis nahe an den Hautsaum des Schwanzes reichte.
Worauf diese Verschiedenheit beruht, vermag ich nicht anzugeben,
vielleicht sind die bei diesen Tieren öfters vorkommenden kleinen
Verletzungen des Schwanzendes von Einfluss hierauf.
Der Chordastab wächst nun aber wie die häufig im Innern
seines (rewebes zu findenden Kernteilungsfiguren und Tochterzellen
beweisen, auch durch Intussusception. Ich möchte diesem Wachs-
tum besonders später, wo der Teilungs- und Vermehrungsprozess
in den Zellen des untersten Chordaendes kein so reger mehr ist,
eine grössere Bedeutung beimessen als dem chordalen Wachstum.
III. Kontinuitätstrennungen der Chorda.
Bei einer jungen Forelle von ca. 3 cm Länge wurde ein
Schnitt unterhalb des Afters angelegt, welcher etwas schräg ver-
laufend, die Chorda vollständig durchtrennte. Das Schwanzende
blieb noch soweit in Verbindung mit dem Rumpf, dass eine An-
heilung des getrennten Stückes erfolgen konnte. Vier Wochen
nach der Operation zeigte sich folgender Befund (Fig. 12. Taf. \V).
Das periphere Chordaende, welches noch durch einen
schmalen, auch makroskopisch sichtbaren Streifen eines zellen-
reichen Narbengewebes von der übrigen Chorda getrennt und
etwas dorsalwärts verschoben ist, wird von einer gutgebildeten
Scheide umgeben und endigt mit spitzer Form nahe der dorsalen
Epidermis. Von einem Chordastab ist noch nichts zu bemerken.
Die Chorda dieses peripheren Stückes besteht grösstenteils aus
embryonalen, dicht aneinander liegenden Zellen, welche im Bereiche
der zentralen Partien weniger gutgefärbte Kerne zeigen, als in
den peripheren Partien. Auch sind dort die Kerne häufig durch
breitere Protoplasmapartien ohne deutliche Zellgrenzen voneinander
getrennt. Einzelne abgeflachte Zellen — alte Chordaepithel-
zellen —, welche sich mit Pikrinsäure gelb färben, sind hie und
da eingestreut. Ausser diesen kleinen Zellen und breiteren
Protoplasmamassen findet man nur in der Mitte grössere und
92 Friedrich Krauss:
kleinere Vakuolen. FErstere sind manchmal von einem Kranz
schmaler, oft etwas länglicher Zellen umgeben. Interessant ist
das Verhalten des zentralen CGhordaendes. Dort, wo die
alte Chordascheide aufhört, wölbt sich ein breiter Chordastumpf
ventralwärts mit etwas zugespitztem Ende bis dicht an die ventrale
Epidermis vor. Die Vakuolen dieser Chordazellen sind stark
erweitert. meist ohne Endoplasma und häufig mit einer fein-
krümeligen Masse angefüllt. Zwischen diesen vakuolenhaltigen
Zellen liegen aber auch noch protoplasmareiche Zellmassen, deren
Grenzen nicht immer scharf sind, und deren Kerne meist
peripherwärts besser gefärbt sind, als in den inneren Partien des
Stumpfes. Einzelne dieser Zellen sind schmal und länglich und
besitzen ein mit Hämatoxylin sich intensiv blau färbendes Proto-
plasma und können mit den von Strasser beschriebenen
dunkeln, prochondralen Elementen verglichen
werden. Es ist mir wahrscheinlich, dass der Druck der sich
ausdehnenden Vakuolen das Zustandekommen derselben veranlasst
hat und dass in einem späteren Stadium des Prozesses es hier
zu einer Bildung von echtem Knorpelgewebe gekommen wäre,
in ähnlicher Weise, wie Nusbaum und Sidoriak dies bei der
Regeneration des Schwanzendes der Forelle beschrieben haben.
Die Chordascheide hat sich an der ventralen Seite des Stumpfes
regeneriert. Dort überzieht sie im Anschluss an die alte Scheide
in Form einer dünnen, homogenen Haut den sich vorwölbenden
Chordastumpf. Auch sieht man dort einen aus schmalen Zellen
gebildeten, nach innen verschobenen Saum alter Chordaepithel-
zellen, welche sich mit Pikrinsäure gelb gefärbt haben. Die
Chorda zeigt vom ursprünglichen, zentralen Schnittrande aus
eine proximalwarts weitreichende Wucherung des Chordaepithels,
welche sich bis in die zentralen Chordapartien erstreckt und hier
die Vakuolen vielfach komprimiert und verdrängt hat.
IV. Transplantationen.
Es wurden mehrfach Versuche in der in einem früheren
Kapitel näher erörterten Weise vorgenommen und zwar zum
Zwecke, den Effekt der durch die Transplantation herbeigeführten
Entspannung des Chordagewebes zu studieren, insbesondere um
zu erforschen, ob das Chordagewebe sich dabei etwa in Knorpel-
gewebe verwandeln würde. In letzterer Hinsicht ergab sich
Der Chordaknorpel der Urodelen.
zwar ein negatives Resultat; immerhin war es aber interessant,
zu ersehen, dass die ausgebildete Chorda dabei sich wieder dem
embryonalen Typus näherte, d.h. die alte Chorda wieder jung
wurde, und zwischen den Membranen breite Protoplasmaschichten
gebildet wurden, wobei es zu einer allmählichen Verkleinerung
und schliesslich zum Schwunde der Chordavakuolen kam. In den
ersten Wochen nach der Transplantation finden sich keine Ver-
änderungen vor. Erst nach Ablauf von drei bis vier Wochen
können sich bemerkenswerte Veränderungen ergeben, falls die
Einheilung glatt ohne stärkere Reaktion in der Nachbarschaft
erfolgt. Es kommt aber auch vor, dass selbst nach dieser Zeit
das Transplantat noch wenig verändert ist. Es hängt dies
oftenbar von anderen Bedingungen noch ab, wie Grösse und
Form des Transplantats, Ernährungsbedingungen desselben,
Zirkulationsverhältnisse, Beschaffenheit des Nährbodens etc.
Einige der wichtigeren Befunde lasse ich hier unter Ver-
weisung auf die Abbildungen folgen. Fig. 13, Taf. VI und Fig. 14,
Taf. IV stellen einen Fall vor, wo das vier Wochen alte Trans-
plantat eines 3 cm langen Axolotls an einer schmalen Stelle mit
dem intermuskulären Gewebe zur Verheilung gelangt war,
während ringsherum sich ein ziemlich weiter Lymphraum gebildet
hatte, in dessen Flüssigkeit einige Lymph- und Endothelzellen
suspendiert waren. Das Gewebe der Chorda zeigte teilweise
noch die vakuolisierten Chordazellen mit dazwischenliegenden
breiten Protoplasmazügen, teilsweise fand sich aber ein aus
grossen Riesenzellen bestehendes (rewebe, welches nach der
Peripherie hin in ein feinfaseriges, an Spindelzellen reiches
3indegewebe überging. Die durch das zwischengelagerte Proto-
plasma stark verkleinerten Vakuolen waren meist kernlos: in
das Protoplasma waren bereits einige Granulationszellen ein-
gedrungen. Ein anderes Präparat (Fig. 15, Taf. IV), ebenfalls
vier Wochen alt, 3 cm lang, war in seiner ganzen Umgebung
zur Einheilung gelangt. Hier war eine deutliche, wenn auch in
ihrer Struktur veränderte Elastika vorhanden. Von der Faser-
scheide war nichts mehr zu sehen. Im Chordagewebe fanden
sich noch einzelne grosse und kleine Vakuolen, welche mit einem
protoplasmatischen, feinwabenartigen Netzwerk erfüllt waren,
Die Vakuolen zeigten keine Kerne im Innern. Ihre Wand war
an den grösseren noch deutlich vorhanden und gut von der
94 Friedrich Krauss:
Umgebung abgegrenzt, an den kleineren begann sie stellenweise
sich zu verdünnen. Die Vakuolen waren weit voneinander
getrennt durch breite Züge eines aus protoplasmareichen Zellen
mit grossen hellen Kernen bestehenden Gewebes. Einige Kerne
zeigten schöne Kernteilungsfiguren. An der äusseren Umrandung
der Vakuolen lagen einige schmale chromatinreiche Kerne. Ein
drittes Präparat (Fig. 16, Taf. IV) möchte ich der Voilständigkeit
wegen noch erwähnen, welches, wenn auch für die vorliegenden
Untersuchungen von keinem Belang, dennoch nicht ohne Interesse
sein dürfte. Das Transplantat stammte von einem etwas grösseren,
etwa 4 cm langen Axolotl. Die Transplantation hatte hier zu
einer stärkeren Haemorrhagie und entzündlichen Reaktion in
der Umgebung geführt. Das Transplantat lag innerhalb eines
über die Oberfläche der Haut hervorragenden Granulations-
knopfes. Man sieht hier auf dem Querschnitt die von zahlreichen
(Wuerspalten zerklüftete, junge Faserknochenschicht des Wirbels,
in der Umgebung zahlreiche rote und einzelne weisse Blut-.
körperchen. Im Innern findet sich eine breite, stark eingefaltete
Membran, welche wohl als die gequollene, ursprüngliche Faser-
scheide der Chorda zu betrachten ist. Im Innern sieht man
ferner noch Riesenzellen, grössere spindel- und sternförmige
Zellen mit grossen hellen Kernen, sowie auch einzelne grosse
‘Zellen mit wahrscheinlich durch Blutfarbstoff bräunlich gefärbtem
Protoplasma. weiter noch mehrfache rote Blutkörperchen und
einen (refässquerschnitt.
Bei einer längeren Dauer des Prozesses würde es wohl in
allen diesen Fällen zu einer allmählichen Resorption der Chorda
und zur Bildung von Bindegewebe an ihrer Stelle gekommen sein.
Besprechung der eigenen und der fremden Befunde.
Um die geschilderten zur Verknorpelung der Chorda führenden
Prozesse zu erklären, ist es erforderlich, die anatomischen
Befunde in Einklang zu bringen mit den entsprechenden
jeweiligen funktionellen Ansprüchen, welche an die Chorda
in den einzelnen Stadien des Larvenlebens gestellt werden.
Von wesentlicher Bedeutung ist hierbei, wie auch Gegenbaur
schon hervorhob, das Auftreten der Verknöcherung im peri-
chondralen Gewebe des Wirbelkörpers, welche zur Bildung einer
knöchernen Wandung um die Chorda führt. Solange eine solche
Der Chordaknorpel der Urodelen. vg
fehlt, stellt die Chorda ein Rohr dar, dessen Wandung wir uns
im wesentlichen durch die elastische Scheide, dessen Inhalt durch
die blasigen, mit Flüssigkeit gefüllten Chordazellen gebildet,
vorstellen können. In letzterem herrscht nun nach O. Hertwig,
dessen in seinem Lehrbuch „Die Zelle und die Gewebe“ enthaltenen
Anschauungen wir hier wiedergeben, infolge osmotisch wirksamer
Substanzen der Zellflüssigkeit ein beträchtlicher Druck, durch
welchen die festen Membranen der Zellen prall gespannt werden.
Die Druckkräfte dieser zahlreichen kleinen turgeszenten Chorda-
zellen summieren sich nun zu einem beträchtlichen Gesamtdruck,
durch welchen die gemeinsame Scheide, besonders die Elastica
externa, in Spannung erhalten wird. Wie Ussow berichtet,
hat diese Druckspannung eine solche Grösse, dass bei Befreiung
aus dem Tierkörper die Chorda viermal länger wird und auch
an Volumen bedeutend zunimmt. Auch ist es eine bekannte
Tatsache, dass bei Amputation des Schwanzes infolge des Innen-
druckes ein beträchtliches Stück Chorda wurstförmig hervor-
getrieben wird. (Siehe auch Fig. 12, Taf. V, wo das zentrale
Stumpfende der Chorda nach der Kontinuitätstrennung stark
hervorgetrieben wurde.) Wie nun bei einem Gummischlauch
durch pralle Füllung mit Wasser die Druckfestigkeit bedeutend
zunimmt, so besitzt auch die, wie vorhin erörtert, in ihrer
Elastica prall gespannte Chorda eine ansehnliche mit Elastizität
gepaarte Festigkeit und kann so erst ihre Funktion, dem Tier-
körper gleich einem biegsamen Stabe als Stütze zu dienen,
ausüben. Es ist nun ein allgemeines Gesetz, dass alle Momente,
welche die Funktion eines Organes ändern, mehr oder weniger
auch eine Änderung im histologischen Bau desselben herbei-
führen. Als ein solches Moment ist nun das Auftreten der
knöchernen Umhüllung der Chorda anzusehen. Hierdurch
wird die Funktion der Chorda im Sinne einer Entlastung geändert.
Die Druckspannung im Innern der Chorda ist jetzt unnötig
geworden und wird nach und nach eine Abnahme erfahren,
indem mehr und mehr die knöcherne Hülle die Stützfunktion
übernimmt. Die Veränderungen des Chordagewebes infolge der
Entlastung werden nun an denjenigen Stellen der Chorda sich
am meisten ausprägen, wo zuerst und am ausgiebigsten die
umgebende Knochenschicht angelegt wird. Dies ist die Mitte
des Wirbelkörpers. Hier sehen wir den Chordaknorpel zuerst
)6 Friedrich Krauss:
und in ausgezeichneter Weite gebildet werden, während der
Intervertebralteil meist frei bleibt oder erst später zur Ver-
knorpelung gelangt. Es könnte aber bei der Anlage des Chorda-
knorpels in der Mitte des Wirbels auch der Umstand eine Rolle
spielen, dass hier meist der Querschnitt des Wirbelkörpers ein
kleinerer ist und deshalb hier der Knochen noch einer besonderen
Festigkeit in seinem Innern bedarf.
Schwierig ist nun die Frage zu beantworten: welche
feineren Verhältnisse werden durch die Funktionsänderung
der Chorda am meisten getroffen und in welcher Weise führen
sie zur Knorpelbildung? In erster Linie kommt nun die Ab-
nahme der Druckspannung im Innern der Chorda in Betracht,
welche, wie wir gesehen haben, nunmehr entbehrlich geworden
ist. Es ist begreiflich, dass mit dem Nachlassen des Flüssigkeits-
druckes in den einzelnen Zellvakuolen auch das Exoplasma oder
die Zellmembranen, vielleicht auch die zwischen den Membranen
sich befindende Kitt- oder Interzellularsubstanz, wie wir solche
wohl annehmen müssen, die Möglichkeit haben, ein stärkeres
Wachstum zu betätigen und hierdurch dem Charakter des Knorpel-
gewebes sich nähern. In dieser Beziehung haben auch die von
mir in der Absicht vorgenommenen Transplantationsversuche, die
Wirkung der Entlastung und Entspannung der Chorda zu unter-
suchen, das bemerkenswerte Resultat ergeben, dass nach drei bis
vier Wochen sich an Stelle der durch die Membranen der vakuo-
lisierten Chordazellen gebildeten Scheidewände breite protoplas-
matische Züge bilden, während die Vakuolen sich mehr und
mehr verkleinerten, bis schliesslich ein Gewebe entstand. welches
allerdings kein Knorpelgewebe war, aber in Übereinstimmung mit
den von Ribbert an den verschiedensten transplantierten Ge-
weben gemachten Erfahrungen dem embryonalen Chordagewebe
sehr ähnlich war. Aus diesen Transplantationsergebnissen ist
aber auch die wichtige Tatsache zu entnehmen, dass die
vakuolisierten Zellen trotz ihrer weitgehenden
Differenzierung dennoch imstande sind, ander-
weitige Umwandlungen zu erfahren. Aus den
membranösen Exoplasmen sind breite protoplas-
matische Züge entstanden. Hierdurch ist nun auch die
Ansicht derjenigen Autoren widerlegt, welche, wie Goette, die
ausgebildete, vakuolisierte Chorda für ein seniles, keiner
Der Chordaknorpel der Urodelen. gn
weiteren Entwicklung mehr fähiges Gewebe halten. Nach Goette
soll die Vitalität der vakuolisierten Chorda besonders auch dadurch
herabgesetzt sein, dass entwicklungsgeschichtlich die Vakuolen
nicht je einer Zelle, sondern Teilen einer Zelle entsprechen,
indem ursprünglich nicht eine, sondern mehrere Vakuolen in
einer Zelle sich ausbilden und somit nur eine kleinere Anzahl
der späteren Vakuolen kernhaltiges Protoplasma enthielten.
Letzteres widerspricht auch den Untersuchungsergebnissen
Fields, welcher — bei Urodelen wenigstens — nur eine
Vakuole in jeder embryonalen COhordazelle nachweisen konnte,
Zuzugeben ist allerdings, dass bei älteren Tieren atrophische
Zustände am Protoplasma und den Kernen der vakuolisierten
Chordazellen auftreten können, bei jüngeren Urodelen ist dies
jedoch nicht der Fall.
Die Knorpelbildung in der Chorda würde nun also mit
einer Herabsetzung des Gewebedruckes einhergehen,
im Gegensatz zu dem von Strasser an der Extremitätenanlage
von Tritonenlarven beobachteten Modus. Hier spielte eine durch
den Wachtumsdruck des jungen Gewebes hervorgerufene Kom-
pression und Einklemmung von Protoplasmamassen eine Rolle
und gab zur Entstehung der sogenannten dunklen, sich später
in Knorpelelemente umwandelnden Körper Veranlassung. Der-
artige dunkle Gebilde sind bei der Verknorpelung der Chorda
nicht oder nur selten zu beobachten. Ich fand sie am zentralen
Stumpfende einer künstlich getrennten Chorda (Fig. 12, Taf. V),
wo die stark ausgedehnten Vakuolen der Chorda die in ihrer
Umgebung befindlichen Zellen zu solchen platten dunklen
Elementen umgewandelt hatten. Nusbaum und Sidoriak
sahen ebensolche bei der Regeneration des Schwanzendes des
Forellenembryos, V. Schmidt, J. Barfurth und Fraisse
im Endteil des Chordastabes.
Ob nun stets der hydrostatische Druck in der Chorda im
Verhältnis zur Ausbildung der äusseren Knochenschicht abnimnit,
ist schwer zu sagen. Manche Verhältnisse, wie die Entstehung
der grossen Vakuolen im Innern der Hechtchorda in der Um-
gebung des Chordastranges, sprechen dafür, dass im frühen
Stadium der Knochenbildung, solange es sich noch um jungen
Faserknochen handelt, welcher trotz seiner Rigidität noch eine
bedeutende Elastizität besitzt, vielleicht sogar eine Steigerung
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 7
95 BETT e dir oihWak@Tzarutsıs:
des Druckes der Abnahme desselben vorausgeht. Die Bildung
der Vakuolen könnte aber auch auf andere Weise erfolgen und
müsste noch an jungen Hechten untersucht werden, wozu mir
leider das betreffende Material fehlte.
Ausser der Abnahme der Druckspannung sind nun aber
auch noch vielleicht andere Momente bei der Funktionsänderung
der Chorda für die Knorpelbildung in Betracht zu ziehen. Einmal
die Änderung der Zirkulationsververhältnisse und die hierdurch
bedingte Änderung der Ernährung des Gewebes, sowie ferner
eine Verkleinerung des (@uerschnittes der Chorda. Letzteres
kann. wie mir scheint, zuweilen durch die äussere Knochen-
anlagerung herbeigeführt werden, dann aber auch in der Natur
der Entwicklung liegen, wie z. B. beim Salamander und Triton,
bei denen die Intervertebralpartien der Chorda schon frühzeitig
sich beträchtlich verengern und deshalb auch zur Bildung von
Knorpel neigen.
Dass die Änderung der Zirkulationsverhältnisse von Be-
deutung für die Knorpelbildung ist und in der Richtung erfolgt,
dass die Intervertebralabschnitte eine bessere Ernährung er-
fahren. als die Vertebralteile, ist wahrscheinlich; ich möchte
aber nicht so weit gehen wie Ussow, welcher die bei Knochen-
fischen in der Chorda sich ausbildenden grossen Vakuolen als
entstanden durch einen Degenerationsprozess infolge mangelhafter
Ernährung durch die veränderte Zirkulation auffasst. im Gegensatz
zu den durch bessere Ernährung entstehenden mächtigen Inter-
vertebralsepten.
Welches nun auch die feineren, zur Bildung des Chorda-
knorpels führenden ursächlichen Verhältnisse sein mögen, so ist
doch die Tatsache nicht von der Hand zu weisen, dass zeitlich
die erste Entwicklung des Chordaknorpels, wie sie sich in der
Ausbildung des chondromukoiden Fasergerüstes und in der Ver-
diekung der Scheidewände der blasigen Zellen des Vertebralteils
der .Axolotlchorda darstellt, mit der ersten Anlage des peri-
chordalen Knochens zusammenfällt und beide deshalb wohl in
ursächlicher Beziehung zueinander stehen müssen.
Wie nun die anatomischen Befunde ergeben haben, ist die
Knorpelbildung in der Chorda als ein im wesentlichen meta-
plastischer Prozess zu betrachten, welcher abgesehen von
den peripheren Partien ohne Beteiligung von embryonalen oder
Der Chordaknorpel der Urodelen. 39
chondroblastischen Zellen (Schaffer) verläuft. Bekanntlich haben
diejenigen Autoren, welche eine Entstehung von Knorpel aus der
Chorda, einem seiner Herkunft aus dem Entoderm nach epithelialen
Gebilde, für ausgeschlossen hielten, ihre Zuflucht zu solchen
indifierenten Zellen genommen. Man hat alsdann angenommen,
dass entweder von aussen, vom perichondralen Gewebe, her-
kommende Zellen durch die Elastica in die Chorda einwanderten
(Zykoff und Studnicka) oder man hat, wie jetzt die Mehrzahl
der Autoren, die Zellen des Chordaepithels als embryonale, in-
ditterente Bildungszellen angesehen. welche einmal imstande
sind, die spezifischen Chordazellen zu liefern, zweitens aber auch
dem Stützgewebe angehörige Zellen, wie Knorpelzellen, zu bilden.
In jedem Falle aber hat man es für unmöglich gehalten, dass
die bereits mehr differenzierten vakuolisierten Chordazellen sich
in Knorpelzellen umwandeln könnten. Klaatsch war der einzige,
welcher die Ansicht vertrat, dass möglicherweise neben den Chorda-
epithelzellen auch die noch wenig vakuolisierten Chordazellen
an der Knorpelbildung teilnehmen könnten. Wie unsere Unter-
suchungen ergeben haben, ist eine Einwanderung von chondro-
blastischen Zellen durch die Elastica externa in die Chorda nirgends
nachzuweisen. Die früheren derartigen Beobachtungen, besonders
von Zykoff, sind teils auf mangelhafte Technik, teils auch auf
Täuschungen durch die Schnittriehtung oder wie bei der Schädel-
chorda auf eine nachträgliche, durch Verdünnung und Einschmelzung
der Elastica externa infolge des Wachstumsdruckes hervorgerufene
Verbindung des Chordaknorpels mit dem Oceipitalknorpel zurück-
zuführen.
Es bleibt deshalb übrig, die lediglich auf die Chordazellen
zu beziehende Knorpelbildung zu besprechen und wollen wir
zunächst die Vorgänge an den Chordaepithelzellen be-
trachten. Auch nach unseren Untersuchungen unterliegt es keinem
Zweifel. dass dem Chordaepithel ein hervorragender Anteil an der
Bildung des Chordaknorpels zukommt und verdanken besonders
die peripheren Partien desselben seine Entstehung dem Chorda-
epithel. Es kann als Einleitung des peripheren Verknorpelungs-
prozesses eine Teilung und Vermehrung der Chordaepithelzellen
stattfinden: immerhin möchte ich aber dem Chordaepithel nicht
die aktive Rolle zuschreiben, wie es diejenigen Autoren tun,
welche die Bildung des Chordaknorpels lediglich auf die Tätigkeit
7&>
100 Friedrich Krauss:
des Chordaepithels zurückführen. Die Teilung und Vermehrung
des Chordaepithels ist besonders im Anfange des Prozesses sehr
oft noch gar nicht vorhanden, zu einer Zeit, wo, wie oben be-
schrieben, gerade Veränderungen an den vakuolisierten Chorda-
zellen und besonders an den zentralen in Form von Verdickungen
der Zellenmembran und Bildung faserig netzförmigen Gerüstes-
innerhalb der Vakuolen sich bemerkbar machen. Das Chorda-
epithel reagiert vermöge seiner innigen Beziehung zur Faser-
scheide, mit welcher es gewissermaßen einen einheitlichen Apparat
darstellt, zunächst nur durch eine stärkere Wucherung einzelner
Zellen, welche sich in der Weise kundgibt, dass das Protoplasma
in der Umgebung des Kernes und zwar besonders dort, wo es
mit der Faserscheide zusammenhängt, in Form netzförmiger
Bildungen zunimmt, wodurch die Kerne mehr nach innen rücken
und die Faserscheide anscheinend verbreitert wird. In der Regel
erst später, wenn auf diese Weise kleine umschriebene Wülste
oder Halbinseln sich gebildet haben, kommt es zur Vermehrung
und Auswanderung von Ühordaepithelzellen in der Umgebung,
wie ich glaube durch den Reiz, welchen die mehr kompakte
Masse der Wülste auf die benachbarten Zellen ausübt. Es ist
bekannt, dass die mehr jüngeren Zellen des Chordaepithels zu
Teilungs- und Vermehrungsprozessen mehr geneigt sind, als die
mehrdifferenzierten vakuolisierten Zellen. Meistens werden wohl
diese neugebildeten Zellen in die neu sich bildende Knorpel-
erundsubstanz eingeschlossen, indessen will ich nicht bestreiten,
dass sie in manchen Fällen, wie besonders bei Triton und
Salamander, auch wohl imstande sind, weiteres Knorpelgewebe
aus sich herauszubilden. Beim Axolotl konnte ich solches nicht
konstatieren, dagegen habe ich inmitten der Schädelchorda eines
4 cm langen Forellenembryos eine Anhäufung von embryonalen
Zellen gefunden, zwischen welchen sich eine chondromukoide
Zwischensubstanz ausgeschieden hatte. Jedenfalls geht die vom
Chordaepithel gebildete Knorpelsubstanz nicht über die peripheren
Partien der Chorda, d. h. über das Bereich der noch wenig
vakuolisierten Chordazellen hinaus. Ich bemerke noch, dass wenn
lediglich das Chordaepithel als Knorpelbildner anzusehen wäre,
sich wohl durch Kompression der zahlreichen vakuolisierten Zellen
und Membranen ein weit mächtigerer Chordastrang bilden müsste,
als er für gewöhnlich erscheint.
Der Chordaknorpel der Urodelen. 101
Was nun die vakuolisiertenChordazellen betrifft,
‘so konnten wir hier, wie schon früher gesagt, keine oder doch
höchst selten Teilungs- und Vermehrungsprozesse konstatieren.
Es ist auch, wie früher schon hervorgehoben, sehr auffällig, wie
häufig man in der Umgebung der in Verknorpelung begriffenen
eigentlichen Chordazellen eine Ansammlung von embryonalen
Zellen oder auch sonstige Übergänge zu Knorpelgewebe vermisst.
Oft geht das nicht veränderte Chordagewebe ganz plötzlich in
die schon erheblich umgewandelten Chordapartien über. Dies
ist eben nur dadurch erklärlich, dass die Verknorpelung der
vakuolisierten Zellen, soweit dieselben nicht durch Schrumpfung
oder Kompression im Chordastrang untergehen, durch einen
metaplastischen Vorgang erfolet, und damit kommen
wir auf de chondromukoide Metamorphose zu sprechen.
‚Es wirft sich uns besonders die Frage auf, wenn wir die mannig-
faltigen anatomischen Bilder, welche die im Verknorpelungs-
prozesse begriftenen, blasigen Chordazellen zeigen. betrachten:
Wie kommt es zu der Bildung der Tröpfehen, welche oft zu
solchen bizarren Figuren konfluieren und zur Bildung der Netze ?
Hierauf geben uns nun meines Erachtens die physikalisch-
experimentellen Ergebnisse von Bütschli und Hardy eine
gute Erklärung. Die kolloiden Stoffe, zu denen auch das Plasma
gehört, treten bekanntlich in zwei physikalischen Zuständen: als
leichttlüssige Lösungen (Solen) und als gelatinierte Substanzen
(Gelen) auf. Erstere stellen mehr oder weniger feine Suspensionen
dar, während die gelatinierten Substanzen oder Gele nach
Bütschli eine besondere heterogene Struktur besitzen und aus
ersteren durch einen eigentümlichen Entmischungsvorgang ohne
Wasserverlust dureh innere Umgestaltung hervorgehen. Diese
Gelatinierung, welche in der sogenannten Phasenbildung, der
Wasserphase und der Gelatinphase zum Ausdruck kommt, wird
nach Bütschli hervorgerufen durch den Einfluss, welchen eine
dritte Substanz auf eine Lösung ausübt. Hardy fand, dass je
nach der Konzentration, je nach der Temperatur und dem
Lösungsmedium des Colloids die Gelatinierung unter Bildung
von Waben oder feinster Tröpfehen vor sich geht und dass diese
Tröpfehen, welche aus der (Gelatinphase bestehen, allmählich
erstarren und wenn sie sich berühren, zusammenkleben und Netze
bilden. Dieses experimentelle Ergebnis erklärt sehr gut die von
102 Friedrich Krauss:
uns an den vakuolisierten Zellen gefundenen histologischen
Details, insbesondere die in den Vakuolen der Chordazellen zur
Ausscheidung kommenden Tröpfehen und Netze. Wir können
den Vakuoleninhalt der blasigen Chordazellen als eine leicht
flüssige kolloide Lösung betrachten. Unter dem Einflusse der
Tätigkeit des eigentlichen Zellprotoplasmas (Endoplasma) kommt
es zur Ausscheidung der chondromukoiden Substanz, einer mehr
konzentrierten kolloiden Substanz in die Umgebung des Endo-
plasmas und besonders in die Vakuolenflüssigkeit. Durch das
Zusammentreffen dieser Substanzen erfolgt nun eine Entmischung
des flüssigen Vakuoleninhalts, eine sogenannte Gelatinierung oder
Gerinnung, welehe mit einer inneren Umgestaltung des Vakuolen-
inhalts verbunden ist, wobei es zunächst zur Bildung von
Tröpfehen kommt. Dieselben sitzen zunächst an den festeren
’artien des Endoplasmas oder der Vakuolenwände und verbreiten
sich von dort, Fäden und Netze bildend. durch den Hohlraum
der Vakuolen. Es muss angenommen werden, dass die Tröpfchen
in vielen Fällen wohl zuerst in Form einer nicht färbbaren
albuminoiden Substanz ausgeschieden werden und erst später
durch weitere chemische Differenzierung sich in Chondromukoid
umwandeln. denn die aus den Tröpfchen hervorgehenden Fäden
und Netze nehmen oft längere Zeit die Färbung für Chondromukoid
nicht an. Statt der Tröpfehen und Netze können in anderen
Fällen sich auch Waben und Membranen bilden. In gleicher
Weise wie in den Vakuolen der Chordazellen bilden sich die
Tröpfehen und Netze auch in den Spalträumen der verdickten
membranösen Scheidewände der Chordazellen, sowie in und an
den Maschen der protoplasmatischen Netze der Chordaepithelzellen
und der Faserscheide. Die Tröpfehen können nicht nur zu
Fäden sich aneinanderreihen, sondern auch zu grösseren Tropfen
oder auch zu verschiedenen zackigen oder tropfsteinartigen
(rebilden konfluieren. Vielleicht können sich auch von Anfang
an etwas grössere Tropfen bilden. In jedem Falle möchte ich
die grundlegenden, histologischen Formen der
ehondromukoiden Metamorphose in der Bildung der
Tröpfehen und Netze erblicken, durch deren Konfluenz und
Verdichtung grössere (rewebspartien der Verknorpelung verfallen
oder, ähnlich wie die kollagenen Fasern, derart von diesen
Bildungen umgeben oder eingehüllt werden, dass ihre ursprüng-
Der Chordaknorpel der Urodelen. 103
liche Struktur unsichtbar wird (Chondromukoide Maskierung.
Hansen).
Die in dieser Weise durch die chondromukoide Metamorphose
des Inhalts der Vakuolen und der Spalträume der Scheidewände
entstandenen Gebilde sind nun nicht als Protoplasma, sondern
als den Interzellularsubstanzen, d. h. etwa dem Fibrin
oder Muein gleichwertige Gebilde zu betrachten.
Nachdem wir der Ansicht Ausdruck gegeben haben, dass
an der Bildung des Chordaknorpels beide Arten von Chorda-
zellen, sowohl die epithelioformen, als auch die vakuolisierten
in gleichem Maße beteiligt sind, sodass der ganze Prozess der
Knorpelbildung im wesentlichen nur als eine strukturelle und
chemische Umwandlung des Chordagewebes aufzufassen ist, so
drängt sich jetzt die Frage auf: Welches ist die Natur
des Chordagewebes und wie ist seine Verwandtschaft
zum Knorpelgewebe?
Klaatsch ist von den neueren Autoren derjenige, welcher,
wie wir in einem früheren Kapitel bei Besprechung der Literatur
bereits angeführt haben, in konsequenter Durchführung seiner
Ansichten über die Bildung des Chordaknorpels am meisten
dazu neigt, eine innige Verwandtschaft zwischen Knorpel und
Chordagewebe anzunehmen. Er meint, beide Gewebe könnten
aus dem gleichen Stamme eines indifferenten Stützgewebes
hervorgegangen sein. Auch Ussow und Ebner haben ähnlich
sich ausgesprochen, wenn sie auch die Verwandtschaft beider
(sewebe nicht so betont haben. Ich möchte nun auf Grund
meiner Befunde bei der Chondrogenese im Chordagewebe der
verschiedenen Tierspezies die Klaatschsche Ansicht erweitern
und das Chordagewebe als einen Larvalknorpel bezeichnen,
d.h. als ein Knorpelgewebe, welches sowohl in der philogenetischen
als auch in der ontogenetischen Entwicklungsreihe ein verschieden-
artiges Aussehen darbieten kann, je nach den an dasselbe
gestellten Ansprüchen. Wie man, um mich dieses etwas trivialen
Vergleiches zu bedienen, es einer Kaulquappe auch nicht ansieht,
dass sie sich zu einer gewissen Zeit unter Mitwirkung äusserer
Verhältnisse zu einem Frosche umwandelt, so verhält es sich
auch mit dem Chordagewebe, allerdings mit der Einschränkung,
dass die Kaulquappe ein Frosch werden muss, wenn sie nicht
vorher zugrunde geht, die Chorda aber nicht Knorpel werden
104 Friedrich Krauss:
muss, sondern auf ihrer früheren Entwicklungsstufe stehen
bleiben kann.
Auf der niedersten Stufe sehen wir, wenn wir von den
Wirbellosen (Tunikaten) absehen, beim Amphioxus und den
Petromyzonten das Chordagewebe aus zelligen Elementen
bestehen. welche selbst in ihrer am weitesten vorgeschrittenen
Differenzierung. wie in den Zellen des Chordastranges der
Petromyzonten, den Knorpelzellen wenig ähnlich sind. Bei den
Knochenfischen wird im Auftreten der epidermoiden Zellen
die Ähnlichkeit schon grösser und in gewissen Fällen, wie beim
Aal und Hecht, schon sehr prägnant. Bei den Urodelen vollends
sehen wir dann das Uhordagewebe im Chordaknorpel die höchste
Ausbildung erreichen. Es wird hier ein echtes hyalines Knorpel-
gewebe gebildet, welches nicht nur wie bei den höheren Wirbel-
tieren eine provisorische, sondern eine bleibende Einrichtung
darstellt und zur Stützfunktion mit beitragen hilft, indem es
den Wirbel in seiner Mitte, wo er den kleinsten Querschnitt
hat, verstärkt.
Was nun den Chordaknorpel speziell betrifft, so hat bereits
Klaatsch die phylogenetische Bedeutung des Chordastranges
bei Petromyzonten hervorgehoben und die Zellen desselben mit
den mittleren Zellen der Amphioxuschorda verglichen. Ich möchte
in Erweiterung dieser Anschauung .meine Ansicht dahin aus-
sprechen, dass die mittleren Zellen des Amphioxus, der Chorda-
strang der Petromyzonten und der Knochenfische, sowie der
Uhordaknorpel der Urodelen gleichwertige Bildungen darstellen.
Auch konnte ich in den verschiedenen Entwicklungsstadien
der Chorda der Axolotllarve Befunde konstatieren, welche ich
als eine ontogenetische Rekapitulation phylogenetischer Ent-
wicklungsstufen deuten möchte. Zunächst fiel mir bei Axolotl-
larven von 1!/e em Länge eine eigentümliche Anordnung der
Chordazellen auf in der Art, dass die Mehrzahl der Zell-
endoplasmen mit ihrem Kern in der Mitte — in der zentralen
Längsachse — der Chorda lag. Ich möchte in diesem Verhalten
ein Stadium sehen, wie es beim Amphioxus erst zu späterer Zeit
der ontogenetischen Entwicklung in den mittleren Zellen der
Chorda zum Ausdruck kommt. Weiter konnte ich konstatieren,
dass einzelne dieser Zellen eine eigentümliche Beschaffenheit
ihres Protoplasmas darboten, welche sich dadurch auszeichnete,
Der Chordaknorpel der Urodelen. 105
dass es sich mit Farbstoffen färbte, welche Schleim und Chondro-
mukoid färben. So färbte es sich z. B. mit Kresylviolett rot,
während das Protoplasma der übrigen Zellen ungefärbt blieb.
jei etwas grösseren Larven von 2!/s cm kommt es nun schon
zu einer Bildung. wie wir sie als Einleitung zur Knorpelbildung
beschrieben haben und durch Verdickung der Zellmembran und
Ausbildung eines Fadennetzes in den Vakuolen charakterisiert
ist. Ich möchte in dieser Bildung ein Stadium erblicken. wie
es im Chordastrang der Petromvzonten und Knochenfische in
Erscheinung tritt.
Dem Gesagten zufolge würde die alte Köllikersche Ansicht,
welche die Chorda für einen Zellenknorpel erklärte, in gewissem
Sinne zu Recht bestehen bleiben. Kölliker bezeichnete dabei
den Zellenknorpel als einen Knorpel ohne Zwischensubstanz. Die
Zwischensubstanz wird nach ihm nur durch die verschmolzenen
Membranen der Knorpelzellen dargestellt, letztere sind aber
Produkte der Zellen (Protoblasten).
Ich habe nun den Ausdruck Larvalknorpel gewählt,
weil ein Zellknorpel im Köllikerschen Sinne noch nicht als
echter Knorpel zu bezeichnen ist, denn zum Begriff des Knorpel-
gewebes gehört doch die Eigenschaft des Gewebes, in seiner
Grundsubstanz vorübergehend oder dauernd Chondromukoid aus-
zuscheiden. Auch möchte ich annehmen, dass bei einem solchen
(sewebe. wie die Chorda, zwischen den verschmolzenen Membranen
(Exoplasmen) doch noch eine, wenn auch minimale und nicht
notwendigerweise nachweisbare Menge von verbindender Kitt-
substanz vorhanden ist. Sonst würde sich der innige Zusammen-
hang der Membranen nicht erklären lassen.
Der Begriff des Köllikerschen Zellknorpels dürfte auch
gleichbedeutend sein mit dem, was man unter Vorknorpel
versteht. Diese Benennung würde nun wohl auch vielen Eigen-
schaften des Chordagewebes gerecht werden und hat auch
Studni@ka schon früher den Ausspruch getan, dass das em-
bryonale Chordagewebe einem Vorknorpel fast identisch ist.
Immerhin aber habe ich auch von dieser Bezeichnung Abstand
genommen, weil man unter Vorknorpel sehr verschiedene Dinge
begreift; einmal ein bestimmtes Stadium der Chondrogenese: das
Chondroblastem und ferner den bleibenden Vorknorpel. das so-
genannte blasige Stützgewebe (Schaffer) und seine Modifikationen.
106 Friedrich Krauss:
Auch wird für den Vorknorpel als charakteristisch die homogene
hyaline Beschaffenheit des Zellprotoplasmas und die Acidophilität
der Interzellularsubstanz angesehen, was für die Chorda doch
nur unter gewissen Verhältnissen zutreffen würde. Ich halte es
für zweckmässig, den Namen „Vorknorpel“ nur für das Chondro-
blastem zu reservieren.
Ich komme nunmehr auf die Anschauungen derjenigen
Forscher zu sprechen, welche die Chorda für ein Epithel-
gewebe halten und in der Art der Verbindung der Chordazellen
untereinander durch Interzellularbrücken das wichtigste
Argument hierfür erblicken. Besonders ist es Studnitka,
welcher diesen Standpunkt einnimmt. Er selbst hat diese Ver-
bindung hauptsächlich bei Teleostiern gesehen und gibt zu, dass
bei Amphibien ihr Nachweis nur in ganz seltenen Fällen ihm
gelungen sei. Obwohl ich nun meine Aufmerksamkeit auf diesen
Punkt häufig gerichtet habe, konnte ich mich niemals von der
Anwesenheit solcher Verbindungen bei Amphibien überzeugen,
selbst nicht bei ganz jungen Tieren. Was ihr Vorkommen bei
Knochentischen betrifft, z. B beim Hecht, so sehen allerdings, wie
auch Ebner dies zuerst schon hervorgehoben hat, die Ver-
bindungen der Chordazellen den Protoplasmafasern von Epithel-
zellen der Epidermis ausserordentlich ähnlich, weshalb die Chorda-
zellen auch als epidermoide Zellen von Ebner bezeichnet wurden.
Ich sehe indes in der Beschaftenheit dieser Zellen keinen Grund,
sie als Epithelzellen aufzufassen. Die Mächtigkeit und der unregel-
mässige Verlauf der Fasern spricht eher gegen ihre epitheliale
Beschaffenheit. Ausserdem konnte ich im Intervertebralknorpel
von jungen Axolotl- und Tritonenlarven Knorpelzellen finden,
welche in ihrem Aussehen und ihrer Verbindungsweise eine grosse
Ähnlichkeit mit den epidermoiden Zellen der Hechtchorda hatten.
Wie schon vor vielen Jahren von Flesch, Frommann,
O0. Hertwig u.a. beschrieben worden ist, komme neben solche
protoplasmatische Fasern, welche von den Zellen aus an die
Kapsel und noch weiter in die Grundsubstanz verlaufen können,
gerade auch beim Knorpelgewebe vor. Auch E. Retterer hat
bereits früher und ganz neuerdings ein im wesentlichen radıär
verlaufendes Faserwerk zwischen Kern und den von den peripheren
Zellpartien gebildeten Kapseln als charakteristisch für das Knorpel-
gewebe nachgewiesen. Schliesslich möchte ich auch au den
Der Chordaknorpel der Urodelen. 107
Schädelknorpel der Cephalopoden erinnern, wo solche die Grund-
substanz durchziehenden Protoplasmafaserzüge schon seit langem
bekannt sind.
Die von Studniöka im Anfang der Ghordaentwicklung
beobachtete Bildung von interzellulären Lücken im Synzytium der
noch nicht getrennten Zellen habe ich auch bei der Bildung des
Chordaknorpels im Protoplasma, welches aus sich teilenden
Chordaepithelzellen hervorgegangen war, gesehen (Fig. 5, Taf. IV).
Bei meiner Beobachtung handelte es sich also um Zellen, welche
zu Knorpelzellen wurden. Ich möchte die Bildung der Inter-
zellularlücken, welche nach Studnicka der Bildung der Proto-
plasmafasern vorausgeht, in eine Linie mit der Vakuolenbildung
der differenzierten Chordazellen stellen. Das Protoplasma der
embryonalen Chordazellen hat eben die Tendenz, mit Flüssigkeit
erfüllte Hohlräume zu bilden und kann, wie wir dies besonders
bei der Chorda der Teleostier sehen, die Bildung der Vakuolen
bezgl. des Ortes, der Zahl, der Grösse eine sehr verschiedene
sein. Ich sehe deshalb die Bildung von Interzellularräumen und
Interzellularbrücken nur als eine zufällige an, weshalb sıe auch
nicht als charakteristisch für die epitheliale Natur des Chordagewebes
anzusehen ist. Für gewöhnlich und bei den Urodelen in der
regel grenzen die Membranen der Chordazellen glatt aneinander
und werden, wie man annehmen muss. durch eine geringe, wenn
auch nicht nachweisbare Menge von Kittsubstanz oder nach
Waldeyerscher Auffassung von Interzellularsubstanz zusammen-
gehalten. Die miteinander verschmolzenen Membranen oder
Exoplasmen der Chordazellen kann man als der Grund- resp.
Kapselsubstanz des Knorpelgewebes gleichwertig erachten.
Auch der von den Anhängern der epithelialen Beschattenheit
der Chorda erhobene Einwand, dass die Chorda entsprechend
den Untersuchungen von Retzıus kein Chondrin enthalte und
deshalb dem Knorpelgewebe nicht zugerechnet werden dürfe,
bedarf nach der von mir gegebenen Bezeichnung der Chorda
als eines Larvalknorpels eigentlich keiner Widerlegung. Das
Chondrin erscheint eben nur zu einer bestimmten Zeit, sobald
die Chorda die Stufe ihrer höchstmöglichen Entwicklungsfähigkeit,
wie sie sich in der Bildung des Chordaknorpels ausdrückt. er-
reicht hat.
108 Friedrich Krauss:
Ich glaube, dass nach den von mir gegebenen Darlegungen
die Definition der Chorda als eines Larvalknorpels die so sehr
wechselnde Beschaftenheit derselben bei den verschiedenen Tier-
klassen und deren verschiedenen Entwicklungsstufen am besten
präzisiert.
Die aus der vorstehenden Arbeit sich ergebenden Resultate
möchte ich in folgenden Sätzen zusammenfassen:
1. Der Chordaknorpel der Urodelen entsteht sowohl
aus den Chordaepithelzellen als aus den vakuolisierten Chorda-
zellen. Der erste Beginn der Bildung des Chordaknorpels gibt
sich beim Axolotl durch eine Verdickung der Zellmembranen und
durch Bildung eines Netzwerkes im Innern der vakuolisierten
Zellen des Vertebralteils der Chorda zu erkennen. Erst später
beginnt das Chordaepithel sich an der Chondrogenese zu beteiligen.
Die Chordaepithelzellen liefern nur die peripheren
Partien desChordaknorpels, indem sie ein protoplasmatisch faseriges
Netz. in ihrer Umgebung gleichsam eine Verbreiterung der Faser-
scheide. ausarbeiten und sich durch Teilung vermehren.
Das Endoplasma der vakuolisierten Zellen der
Chorda zeigt dagegen keine oder nur selten Vermehrungs-
vorgänge. Unter seinem Einfluss und dem der ausgewanderten
vom Chordaepithel abstammenden Zellen kommt es durch Aus-
scheidung einer kolloiden Substanz in die Vakuolenflüssigkeit und
die Flüssigkeit der. übrigen Spalträume der Chorda zu einer
Gelatinierung derselben, wobei sich Tropfen und Netze bilden,
welche die Grundlage für die chondromukoide Metamorphose
abgeben.
>. Die Ohorda,. obwohl sie ein entodermales Gebilde und
aus dem Epithel entstanden ist. ist dennoch nicht dem Epithel-
gewebe zuzurechnen, wie dies heute vielfach geschieht. Sie hat
mit demselben nichts gemein. Ihre zuweilen vorhandene Ähnlich-
keit mit dem Epithelgewebe ist nur eine rein äusserliche und
zufällige. Die Chorda zeigt vielmehr durch ihr Verhalten bei
der Bildung des Chordaknorpels, dass sie in inniger Beziehung
zu dem aus dem Mesoderm hervorgegangenen Knorpelgewebe
steht. Ich möchte die Chorda zur Gruppe der chondroiden
(sewebe zählen, in welche auch das vesikuläre Stützgewebe
(Schaffer) in der Achillessehne des Frosches und in ver”
schiedenen Knorpeln von Myxine und Petromyzon einzureihen
Der Chordaknorpel der Urodelen. 109
ist. Innerhalb dieser Gewebsgruppe nimmt die Chorda jedoch
eine besondere Stellung als ein Gewebe sui generis ein. Wenn
auch das Aussehen der CUhorda auf den verschiedenen onto- und
phylogenetischen Entwicklungsstufen ein sehr verschiedenes ist, so
kann doch ihre Umwandlung in echtes Knorpelgewebe oder dem-
selben nahestehendes Gewebe durch eine einfache chemisch-
strukturelle Metaplasie erfolgen, sobald durch die an das
(sewebe gestellten funktionellen Ansprüche eine solche Umwandlung
zweckmässig und notwendig ist. Aus diesem Grunde ist die
Bezeichnung der Chorda als Larvalknorpel wohl eine berechtigte.
Am Schlusse dieser Arbeit erlaube ich mir, Herrn Geheim-
rat Hertwig, welcher mir die Anregung zu derselben gab,
sowie seinen Assistenten, Herrn Prof. Krause und Prof. Poll für
das der Arbeit entgegengebrachte freundliche Interesse und die
Unterstützung durch Material meinen aufrichtigen Dank aus-
zusprechen.
Charlottenburg, im Juni 1908.
Literaturverzeichnis.
1. Barfurth, J.: Die Erscheinungen der Regeneration. Handbuch der
vergleichenden und experimentellen Entwicklungslehre der Wirbeltiere.
Herausgegeben von OÖ. Hertwig, 7. Lief., Jena 1905, 8. 95.
2. Derselbe: Zur Regeneration der Gewebe. Arch. f. mikrosk. Anatomie,
Bd. 37.
Bütschli, ©.: Untersuchungen der mikroskopischen Schäume und
Protoplasma. Leipzig 1892.
4. Derselbe: Strukturen künstlicher uud natürlicher quellbarer Körper, Verh.
med.-nat. Ges., Heidelberg 1895.
5. Derselbe: Die quellbaren Körper, Abh. Gött. Ges., 1896.
6. v. Ebner, V.: Wirbel der Knochenfische. Sitzungsbericht der Wiener
Akademie der Wissenschaft, Bd. CV, Abt. III, 1896.
Field, H.H.: Bemerkungen über die Entwicklung der Wirbelsäule
bei den Amphibien. Morph. Jahrb., 22. Bd., Leipzig 189.
8. Flesch, M.: Untersuchungen über die Grundsubstanz des hyalinen
Knorpels. Würzburg 1880.
9. Fraisse, P.: Die Regeneration von Geweben und Organen bei den
Wirbeltieren bes. Amphibien und Reptilien. Kassel und Berlin 1885.
10. Frommann, €.: Über die Struktur der Knorpelzellen von Salamandra
maculata. Sitz.-Ber. d. Jenasch. Ges., 24. Jan. 1879, S. 17.
wi
1
110
Friedrich Krauss:
Gadow: On the evulution of the vertebral column of Amphibia and
Amniota. Philos. Transact. of the Royal Soc. of London. Vol. CLXXXVII.
1896.
Gegenbaur, Ü.: Über Bau und Entwicklung der Wirbelsäule bei
Amphibien. Abhandl. der Naturforsch. Ges. zu Halle, Bd. VI, 1861.
Derselbe: Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere
bei Amphibien und Reptilien. Leipzig 1862.
Derselbe: Vergl. Anatomie der Wirbeltiere, Bd. I, Leipzig 1898, S. 241.
Götte, A.: Entwicklungsgeschichte der Unke, Leipzig 1875. S. 361,
367—371, 377 usw. s
Gurwitsch, A.: Morphologie und Biologie der Zelle. Jena 1904,
SS
Hansen, F. ©. C.: Untersuchungen über die Gruppe der Bindesub-
stanzen und Hyalinknorpel. Anatom. Hefte v. Merkel u. Bonnet, Bd. 27,
Heft 81.
. Derselbe: Uber die Genese einiger Bindegewebsgrundsubstanzen. Anat.
Anz., Bd. 16, 1899. Nr. 17 und 18.
Hardy: On the Structure of Cell-Protoplasm. Journ. Physiolog, 1899.
Hasse, C©.: Die Entwicklung der Wirbelsäule von Triton taeniat.
Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. LIII, Suppl. 1892.
Derselbe: Das natürl. System der Elasmobranchier. Jena, Fischer.
Hertwig, O©.: Über die Entwicklung und den Bau des elastischen
Gewebes im Netzknorpel. M. Sultzes Arch., Bd. IX.
Derselbe: Die Zelle und die Gewebe. Bd.I, 1893, S. 127.
Derselbe: Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte. 5. Aufl., 1896, S. 550.
Kapelkin, W.: Zur Frage über die Entwicklung des axialen Skeletts
der Amphibien. Bull. Soc. des Naturalistes, Moscou, Tom. XIV, 1900.
Klaatsch, H.: Beitr. zur vel. Anatom. d. Wirbelsäule. I. Über den
Urzustand der Fischwirbelsäule. Morphol. Jahrb., Bd. 19, 1893.
Derselbe: Beitr. zur vgl. Anatom. d. Wirbelsäule. III. Morphol. Jahrb.,
Bd. XXI.
Derselbe: Über die Chorda und die Chordascheiden der Amphibien.
Verhandl. d. Anatom. Ges., 11. Versamml., 1897.
v. Kölliker, A.: Über das Ende der Wirbelsäule der Ganoiden und
einiger Teleostier. Leipzig 1860.
Derselbe: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere.
Leipzig, II. Aufl., 1879, S. 401, S. 408.
Derselbe: Handbuch der Gewebelehre des Menschen, I. Bd., Leipzig, 1889.
Lwoff, B.: Vergl. Anatom. Studien über die Chorda und die Chorda-
scheide. Bull. de la Soci6ete Imperial-Naturalistes de Moscou, Nr. 2, 1887.
Müller, W.: Über den Bau der Chorda dorsalis. Beobachtungen des
Pathol. Instituts in Jena. I. Jenasche Zeitschr. f. Mediz. u. Naturwissen-
schaften, Bd. VI, 1871.
Nusbaum, J. und Sidoriak, $.: Beiträge zur Kenntnis der Regene-
rationsvorgänge etc. Arch. f. Entwickl. mechan. von Roux, Bd. X, 1900.
Ne)
40.
41.
Der Chordaknorpel der Urodelen. Kg!
tauber, A.: Lehrbuch der Anatomie des Menschen, 5. Aufl., 1897. Bd. I,
8.19, 97, 386.
Retterer, E.: Evolution du cartilage transitoire. Journ. de l’Anatomie
et de la Physiologie, I, 36, 1900, p. 467.
Derselbe: De la Structure reticulöe de la cellule cartilageneuse. Comptes
rendus de la Societe de Biolog., Tom. 63, 1907, 2. Teil, 8. 782.
Retzius: Einige Beiträge zur Histologie und Histochemie der Chorda
dorsalis. Arch. f. Anat. u. Physiol., 1881, S. 89, 108.
tibbert, H.: Über Veränderungen transplantierter Gewebe. Arch. f.
Entwicklungsmechan. v. Roux, Bd. VI, 1898.
Schaffer, J.: Zur Kenntnis des histologischen und anatomischen Baues
von Ammocoetes. Anat. Anz., Bd. X, 1895, S. 708.
Derselbe: Über das knorpelige Skelett von Ammoecoetes branchialis nebst
Bemerkungen über das Knorpelgewebe im Allgem. Zeitschr. f. wissensch.
Zool., Bd. 61, 1896, S. 639, Anm.
Derselbe: Bemerkungen über die Histologie und Histogenese des Knorpels
der Cyklostome. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 50, 1897.
Derselbe: Grundsubstanz, Interzellularsubstanz und Kittsubstanz. Anat.
Anz, Bd XIReSII023 92:
Derselbe: Über den feineren Bau und die Entwicklung des Knorpelge-
webes usw. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 70, 1901, S. 147.
Derselbe: Über den feineren Bau und die Entwicklung des Knorpel-
gewebes usw. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 80, 1905, S. 190 u. ff.
Schauinsland, H.: Die Entwicklung der Wirbelsäule nebst Rippen-
und Brustbein. Handb. d. Entwicklungslehre, herausgegeb. v. OÖ. Hertwig,
Ba EIN 22 Teil.
Schmidt, V.: Das Schwanzende der Chorda dorsalis bei den Wirbel-
tieren. "Anat. Hefte, Bd. TI, T. Abt., 1893.
Schneider, A.: Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwicklungslehre der Wirbel-
tiere. Berlin 1879.
Schneider, Camillo: Histologie der Tiere. Jena, G. Fischer, 1902,
S. 793.
Strasser, H.: Zur Entwicklung des Extremitätenknorpels bei Salamander
und Triton. Morphol. Jahrb., Bd. V, 1879, pag. 240 ft.
Studniöka, F. K.: Über das Gewebe der Chorda dorsalis und den so-
genannten Chordaknorpel. Sitzungsber. der Kel. Böhm. Gesellsch. der
Wissenschaften, mathemat.-naturwissenschaftl. Klasse, 1897.
Derselbe: Histologische und histogenetische Untersuchungen über das
Knorpel-, Vorknorpel- und Chordagewebe. Anat. Hefte von Merkel und
Bonnet, Bd. XXI (Heft LXVI u. LXVI).
Ussow, S.: Zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Teleostier.
Bull. de la Soeiete Imp. des Naturalistes de Moscou. Annde 1900, Nouv.
Serie, Tom. XIV, Moscou 1900.
Waldeyer, W.: Kitt- und Grundsubstanz, Epithel und Endothel. Arch.
f. mikr. Anat., Bd. 57, 1901.
Fig.
Fig.
FriedriehKrauss:
Wolters, Max: Zur Kenntnis der Grundsubstanz und der Saftbahnen
des Knorpels. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 37 u. 38, 1891.
Zykoff, W.: Über das Verhältnis des Knorpels zur Chorda bei Siredon
pisciformis. Bull. de la Societe Imperial de Moscou. Anne 1893, Nouv.
Serie, Tom. VII, Moscou 1894.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel IV—V1.
1. Axolotl von 3,6 em Länge. Frontalschnitt durch die mittlere
Rumpfpartie. I. Stadium der Bildung des Chordaknorpels.
Auf den Vertebralteil der Chorda beschränkte Veränderung der
vakuolisierten Zellen: Verdieckung der Membranen und Netzbildung
innerhalb der Vakuolen. Bleistiftzeichnung. Hartnack Okular I,
Obj. 3, Tubus zur Hälfte ausgezogen mit Verschiebung des Prä-
parates gezeichnet. 1'/s Gesichtsfeld. Fixierung: Pikrin-Sublimat-
Essigsäure. Färbung: Boraxkarmin, Bismarckbraun, Lichtgrün.
2. Ein Teil desselben Präparates wie Fig. 1 bei stärkerer Ver-
grösserung: Leitz ÖI-Imm. '/ı2, Okul. 1, Tub. 160 mm. Man sieht,
wie einige Fasern aus aneinander gereihten Tröpfchen bestehen
und mit Knorpelfarbstoffen sich färben.
3. Axolotl von 4 cm Länge. Teil eines Querschnittes der oberen
Rumpfgegend. Erste Bildung des Chordaknorpels im Be-
reich des Chordaepithels. Vermehrung der Chordaepithelzellen,
welche gleichzeitig von der Faserscheide abrücken. Bildung von
protoplasmatischen Netzen und kleinen Vakuolen. In der Peripherie
einer Zelle sieht man reihenförmig angeordnete kleinste Vakuolen,
welche interzellulären Verbindungen, wie sie zwischen Epithelzellen
vorkommen, ähnlich sehen. Leitz Öl-Imm. !/ı2, Ok. 3, Tubus 160 mm
Färbung: Hämalaun, Kresylviolett.
4. Axolotl von 4 cm Länge. Teil eines Querschnittes durch die Chorda
der oberen Rumpfpartie. Beginn der Knorpelbildung in der
Peripherie der Chorda. Das Epithel ist in der Faserscheide
durch Netz- und Vakuolenbildung abgerückt und zeigt geringe
Beteiligung. Bildung zahlreicher, meist in Gruppen angeordneter
kleiner Vakuolen. Oft folgen sich die Vakuolen reihenförmig in
zunehmender Grösse. In einigen Vakuolen chondromukoide Netze
und Tröpfchen. Einzelne sehr grosse Vakuolen mit fein- oder weit-
maschigem Netzwerk. Dazwischen breite Septa, welche zum Teil
ebenfalls faserige, netzförmige Beschaffenheit und hie und da auch,
chondromukoide Fasern zeigen. Leitz Öl-Imm. !/ı, Ok. 1, Tub.
160 mm. Fixierung: Pikrin-Sublimat-Essigsäure. Färbung: Häma-
laun, Kresylviolett.
5. Gleiches Objekt wie in Fig.4. Frontalschnitt durch die Schädel-
chorda (Occipitalgegend). Frühes Stadium der Knorpel-
Fig.
Fig.
Fig.
6.
9.
Der Chordaknorpel der Urodelen. 115
bildung in der Chorda. Das Epithel hat sich hier stärker
beteiligt. Man sieht zahlreiche in der bereits verknorpelten Faser-
scheide eingeschlossene Knorpelzellen: Abkömmlinge der Epithel-
zellen der Chorda. Hie und da hat sich schon eine Kapsel gebildet.
Daneben auch in die Grundsubstanz eingeschlossene Protoplasma-
massen. Metaplastische chondromukoide Prozesse an den vakuoli-
sierten Zellen in Form von Netzen und Tröpfchen, letztere besonders
am Rande der Vakuolen. Interessante albuminoide Netzbildung und
Bildung sekundärer Vakuolen. Leitz Ö€I-Imm. !/ıe, Ok. 3, Tub.
160 mm. Fixierung und Färbung wie bei Fig. 5.
Axolotl von 3,6 em Länge. Frontalschnitt durch die Chorda der
oberen Rumpfpartie. Chordaknorpel teils vom Chordaepithel
gebildet, teils durch Metaplasie vakuolisierter Zellen entstanden.
In der Umgebung des Chordaknorpels haben sich ausgewanderte,
durch Teilung aus Chordaepithelzellen hervorgegangene Zellen
angehäuft, welche zum Teil in die Grundsubstanz des Chorda-
knorpels eingeschlossen werden. Starkes Vordrängen von seiten
des Knorpels des oberen Bogens gegen die Rlastica ext. Letztere
trotzdem überall intakt. Faserscheide an manchen Stellen schon
beträchtlich in die Chordaknorpelbildung einbezogen. Leitz
ÖI-Imm. !/e, Ok. 3, Tub. 160 mm mit Verschiebung gezeichnet.
Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Hämalaun, Kresylviolett.
Triton cristatus von 5,5 mm Länge. Frontalschnitt durch die
Chorda der unteren Rumpfpartie. Chordaknorpel mit Chorda-
strang, letzterer mit Eosin leuchtend rot gefärbt. Auch in
den Intervertebralteilen der Chorda sieht man an zwei Stellen
insuläre Knorpelbildungen. Auch haben sich hier einige
strangartig verdickte Chordafaserzüge mit Eosin rot gefärbt.
Leitz Obj. 3, Ok. 3, Tub. ausgezogen. Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs.
Färbung: Hämalaun, Eosin.
Axolotl von zirka 8Scm Länge. Frontalschnitt von der mittleren
Schwanzpartie nahe dem Uhordastab. Chordaknorpel von noch
jüngerer Entstehung. Die Grundsubstanz von zahlreichen Chorda-
resten durchzogen in Form von feineren und gröberen Faserzügen.
Die Knorpelzellen haben oft weite, unregelmässig geformte Kapsel-
höhlen und enthalten zuweilen Protoplasmamassen ohne Kern.
Öfters ist die Kapsel noch nicht gebildet oder nur angedeutet.
Mit dem Chordaknorpel ist noch ein proximalwärts gelegener
Chordastrang in Verbindung, in welchem es teilweise schon zu
einer chondromukoiden Metamorphose gekommen ist. Derselben
geht eine albuminoide, acidophile Beschaffenheit der Strangpartien
voraus. Leitz Obj. 6, Ok.3 mit Verschiebung gezeichnet (1!/ı Ge-
sichtsfeld). Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Bismarckbraun,
Lichtgrün.
Axolotl von zirka 8cm Länge. Frontalschnitt. Eine in der Nähe der
vorigen Figur, aber mehr proximalwärts gelegene Stelle. Knorpelige
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 8
114
ie, 11.
Fig. 12.
Friedrich Krauss:
Metaplasie der vakuolisierten Chordazellen, chondromu-
koide Umwandlung des feinen netzförmigen Vakuoleninhalts, welcher
vielfach noch albuminoide, acidophil gefärbte Partien zeigt. Mit-
unter sieht man auch stark gewundene Fasern, herrührend von
den Wänden früherer ausgedehnter Vakuolen, ferner breitere
membranöse Bildungen. In vielen Vakuolen sieht man noch das
früheste Stadium der Chondrogenese: Feines fädiges Netzwerk,
welches zum Teil chondromukoide Färbung angenommen hat. Vom
Epithel ist wenig zu sehen. Auch die Faserscheide ist hier, wie
gewöhnlich in der Schwanzpartie älterer Larven nicht ausgebildet.
Leitz Öl-Imm. !/ıs, Ok. 1, Tub. 160 mm. Fixierung: Pikrin-Subl.-
Essigs. Färbung: Bismarckbraun, Lichtgrün.
Chordaknorpel eines 12 cm langen Axolotls. Querschnitt durch
die mittlere Rumpfgegend. Der Chordaknorpel reicht bis an die
noch gut erhaltene, zum Teil etwas verdünnte Elastica ext. Von der
Faserscheide ist kaum noch etwas zu bemerken. Die Knorpelzellen
liegen in einer teils homogenen, teils feinfaserigen Grundsubstanz.
Einige Knorpelzellen sind gut ausgebildet. Viele Knorpelkapseln
zeigen einen nur faserigen oder faserig-protoplasmatischen, mit
Tröpfchen besetzten Inhalt. Die Kapselwände sind vielfach kon-
zentrisch geschichtet und von besonders stark ausgeprägter Knorpel-
färbung. Man sieht auch einige nur wenig sichtbare, schattenartige
Zellen, welche sich in Grundsubstanz umwandeln („verdämmernde
Zellen“, Schaffer). Etwas seitlich von der Mitte die mit Eosin
intensiv rot gefärbten Reste des Chordastranges. Nach aussen von
der Elastica ext. die noch in Össifikation begriffene Faserknochen-
schicht. Leitz Obj.6, Ok.3 mit Verschiebung gezeichnet. Fixierung
Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Hämatoxylin, Eosin.
Regeneriertes Schwanzende eines Axolotlembryos.
Schwanz im Ei amputiert, getötet 9 Tage später. Das Regenerat,
welches die ersten Anfänge der Chordastabbildung zeigt, besteht
aus Chordazellen, welche embryonalen Charakter tragen und leb-
hafte Kernteilung zeigen. Auch sieht man im synzytialen Gewebe
Neigung zur Vakuolenbildung. Mehrere kleinere und eine grössere
Vakuole. In den angrenzenden Zellen der alten Chorda
sind metaplastische Prozesse zu bemerken. Netz- und
Wabenbildung sowie geringe Kernvermehrung. Beginnende chondro-
mukoide Färbung einzelner Chordapartien. Auch die neugebildete
Chordascheide, welche schmal und aus schleimhaltigem Bindegewebe
besteht, hat ebensolche Färbung angenommen. Man sieht am Ende der
Chorda einen zweimaligen Abschluss durch eine solche Faserbildung.
Distalwärts von derselben geht der Chordastab allmählich in ein
mehr lockeres, zellig retikuläres Gewebe über und reicht dort dicht
an die Epidermis. Leitz Öl-Imm. !/ı, Ok. 3, Tub. 160 mm.
Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Hämalaun, Kresylviolett.
Forellenembryo von 3 cm Länge. Vier Wochen alte Kontinui-
tätstrennung der Chorda. Starke Hervordrängung und Aus-
Fig. 13.
Fig. 14.
Fig. 15.
Fig. 16.
Der Chordaknorpel der Urodelen. 115
dehnung des zentralen Chordastumpfes. Weitere Beschreibung
im Text (Seite 91 und 92). Leitz Obj. 3, Ok. 3, Tub. ausgezogen.
Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Hämatoxylin, van Gieson.
Vier Wochen altes Transplantat der Chorda vom Axolotl.
Das Transplantat hängt an einer kleinen Stelle mit dem intermusku-
lären Bindegewebe zusammen. Im übrigen ist es von einem Lymph-
raum umgeben, in welchem einige Endothel- und Lymphzellen suspen-
diert sind. Das Chordagewebe im Transplantat ist noch an den zahl-
reichen kleinen Vakuolen zu erkennen, welche teils durch schmälere,
teils etwas breitere Protoplasmazüge getrennt sind, in welchen hie
und da kleine runde, chromatinreiche Kerne liegen. In der Um-
gebung dieses vakuolenhaltigen Gewebes sieht man zahlreiche
Riesenzellen und als äusserste Schicht ein junges zellenreiches
Bindegewebe. Leitz Obj. 3, Ok.3, Tub. ausgezogen. Fixierung:
Carnoy. Färbung: Hämatoxylin, van Gieson.
Eine Stelle desselben Präparates bei stärkerer Vergrösserung.
Kleine Vakuolen der transplantierten Chorda von proto-
plasmareichen Zügen umgeben. In letzteren grosse epitheloide,
sowie kleine chromatinreiche Kerne. Leitz Öl.-Imm. 2» Okeple
Tub. 160 mm.
Vier Wochen altes Transplantat der Axolotlchorda. Man sieht
grössere und kleine Vakuolen mit fein wabenartigem Inhalt. Da-
zwischen breite kernhaltige Protoplasmazüge und protoplasmareiche
Zellen mit grossen Kernen. Häufige Kernteilungsfiguren. Elastica
ext. erhalten, leicht gequollen. Von der Faserscheide ist nichts
mehr wahrzunehmen. Das Transplantat ist von intermuskulärem
Bindegewebe umgeben. Leitz ÖI-Imm. */ı2, Okul. 1, Tub. 160 mm.
Fixierung: Carnoy. Färbung: Hämatoxylin, van Gieson.
Drei Wochen altes Transplantat der Axolotlchorda in einem
nahe der Haut befindlichen Granulationsknopf. Beträchtliche Hämor-
rhagien in der Umgebung und im Innern des Transplantats.
Schollig zerklüftete Faserknochenschicht. Im Innern des Wirbel-
querschnittes die stark gefaltete und gequollene Faserscheide.
Riesenzellen. Sternförmige Zellen und Spindelzellen. Ein Gefäss-
durchschnitt zwischen Faserscheide und Knochen. Leitz Obj. 6,
Okul. 3, Tub. eingeschoben. Fixierung: Pikrin-Sublim.-Essigsäure.
Färbung: Haematoxylin, van Gieson.
Schematische Figuren, welche häufiger vorkommende oder be-
sonders eigenartige Details des Vakuoleninhalts, sowie der Scheide-
wände bei der Chondrogenese der Chorda veranschaulichen und in den
früheren Abbildungen nicht oder nicht genügend typisch enthalten waren.
Die Abbildungen sind von Präparaten einer Schnittserie entnommen, von
welcher auch Fig. 5 herrührt. Zeiss Apochromat 2 mm, n. Ap. 1,30, Ok. 2.
Fig. 17—28 inkl. 37. Verschiedene durch Konfluenz von Tröpfchen
entstandene Bildungen, welche meist mit Kresylviolett rote
Färbung angenommen haben. Fig. 25 zeigt ausserdem nochVakuolen-
8%
©
116
Friedrich Krauss: Der Chordaknorpel der Urodelen.
wände mit typischer Bildung von Netzwerk und perlschnurartig
aneinandergereihten, kleinsten Vakuolen.
Fig. 29—35. Membranbildungen in den Vakuolen. (Die Membran in
der Vakuole von Fig. 34 ist im Druck etwas zu hart und scharf-
linig herausgekommen). Fig. 32 und 35 kombiniert mit Bildungen,
wie sie in Fig. 21 und 23 dargestellt sind. Fig. 31 zeigt in einer
Vakuole zwei Endoplasmazellen umgeben von einer membranartigen
Bildung. Fig. 33. Ringförmige von der Vakuolenwand umgebene
Membran, deren eine Hälfte sekundäre Vakuolenbildung zeigt und
chondromukoide Färbung angenommen hat. Das freie Innere des
membranösen Ringes wird von radienartig ausgespannten Fäden
durchzogen, welche ebenfalls teilweise sich rot gefärbt haben.
Gerinnselartige Massen in einer Vakuole, teilweise kleinste
Hohlräume enthaltend.
‚39, 40. Verschiedene Faserbildung in der Vakuole, in Fig. 40
in Verbindung mit einem von wenig Protoplasma umgebenen Kern.
5, 28, 33, 41—45. Verschiedene Scheidewand- und Zwickel-
bildungen.
117
Aus dem histologischen Institut der Kaiserlichen Universität zu Moskau.
Untersuchungen über die Entwicklung von Blut
und Bindegewebe bei Vögeln.
Das lockere Bindegewebe des Hühnchens im fetalen Leben.
Von
Dr. med. Wera Dantschakoii.
Hierzu Tafel VII und VII.
Unter dem Namen „Bindesubstanzen“ versteht man schon
von alters her eine mannigfaltige Gruppe von Geweben, eine
(rewebsfamilie, die einerseits die Blut- und Gefässendothelzellen,
andererseits die verschiedenen zelligen Elemente des Bindegewebes
im engeren Sinne des Wortes umfasst. Wenn die Frage über
die Entstehung des Blutes bisher verhältnismässig oft untersucht
worden ist, so lenkte die Frage der Histogenese der Zellen des
Bindegewebes, im Gegenteil, nur selten die Aufmerksamkeit der
Forscher auf sich. Unter pathologischen Bedingungen und im
normalen erwachsenen Organismus ist das Bindegewebe noch
ziemlich viel studiert worden; seine Ditferenzierungsprozesse im
Embryo aber, die Spaltung seiner Zellen in mehrere verschiedene
Arten mit mehr oder weniger selbständiger Entwicklung in den
verschiedenen Perioden des embryonalen Lebens, die gegenseitigen
Wechselbeziehungen dieser Zellarten, das sind alles Fragen, die
in der Wissenschaft noch fast gar nicht berührt worden sind.
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Verfolgung
der allmählichen Entwicklung der Bindegewebselemente im Em-
bryonalleben des Hühnchens, das Studium des Bindegewebes in
seinem ersten, frühesten Zustand und während der weiteren,
immer vorwärts gehenden Komplikation seiner zelligen Zusammen-
setzung und die Bestimmung des Charakters und der Entstehungs-
zeit der neuen Differenzierungsformen, mit denen sich das Mesen-
chymgewebe des Organismus dabei bereichert.
Ich konnte dabei natürlich die im embryonalen Bindegewebe
sehr verbreiteten, extravaskulären Blutbildungsprozesse nicht bei-
seite lassen, da ja die Entwicklungsprozesse des Bindegewebes
118 Wera Dantschakoff:
und wenigstens eines Teils der Blutelemente unzertrennbar mit-
einander verbunden sind. So geben z. B. die Elemente des
embryonalen Bindegewebes oder des Mesenchyms einerseits
unmittelbar das Material zur Bildung der Blutzellen ab, anderer-
seits bleiben einige von den Produkten der Blutbildungsprozesse,
die sich auf Kosten der Blutelemente des embryonalen Binde-
gewebes entwickelt haben, als dauernde Bestandteile im Binde-
gewebe des erwachsenen Organismus liegen.
In der Literatur ist die Frage über die Beziehungen der Bindegewebs-
elemente zu den Blutelementen schon oft erörtert worden, allerdings mehr
mit Bezug auf den erwachsenen Organismus unter normalen und pathologischen
Verhältnissen. Viele Autoren haben bereits die Aufmersamkeit auf die mög-
lichen Beziehungen der Bindegewebszellen sowohl zu den weissen, als auch
zu den roten Blutkörperchen gelenkt.
Über die Wechselbeziehungen der Elemente des Bindegewebes und der
Blutzellen herrschen aber noch ziemlich geteilte Meinungen. Einige Forscher
erblicken im Bindegewebe und im Blut zwei fixierte Formen der endgültigen,.
in zwei verschiedenen Richtungen verlaufenden Gewebsdifferenzierung und
trennen sie dementsprechend scharf voneinander. Eine ähnliche Anschauung
vertritt z. B. Rabl, welcher glaubt, dass das Studium der Histogenese dieser
beiden Gewebe zum Schlusse führen muss, dass die Entwicklungsgeschichte
des Blutes und der Bindesubstanzen miteinander nichts zu tun haben.
Andere Autoren ziehen zwischen den beiden genannten Geweben keine
unüberbrückbare Grenze und glauben, dass sie in gewissen ständigen und.
regelmässigen Wechselbeziehungen zueinander stehen im Sinne des Übergangs
der Elemente des einen Gewebes in die Bestandteile des anderen. Auf diesem
Standpunkte stehen meistens die neueren Hämatologen der sog. unitaristischen
oder monophyletischen Richtung (z.B. Weidenreich, Maximow u.a.). Von
den letzteren Autoren spricht sich besonders deutlich Dominici speziell über-
die weissen Blutkörperchen aus: „C’est ainsi que j’ai vu des mononucleaires
de type banal devenir des fibroblastes en s’allongeant et en se ramifiant, des-
cellules endotheliales, en grandissant et en s’aplatissant, des cellules adipeuses,
en se chargeant de graisse, des cellules adventitielles, en se disposant le
long des capillaires sanguins ou Iymphatiques.“ Dieselben Differenzierungs-
prozesse können nach ihm auch die „celulles interstitielles libres“ durchmachen.
Die Anschauungen der an zweiter Stelle zitierten Autoren, ausser der
Anerkennung gewisser verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden
(seweben — dem Bindegewebe und dem Blute — sind auch noch in der Beziehung
ähnlich, dass sie alle in-den freien Wanderzellen eine junge Zellform erblicken,
die zu weiteren Metamorphosen mehr befähigt ist, als z. B. die Fibroblasten,
die nach ihrer Vorstellung selbst zum Teil ein weiteres Differenzierungsprodukt
der Wanderzellen sind.
Vereinzelt steht die originelle Anschauung Retterers über die Be-
ziehungen zwischen den Bindegewebselementen und den weissen Blutkörperchen.
Er untersuchte die Entwicklung der Lymphdrüsen bei Vogelembryonen und
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 1:19
gelangt zu einer ganz bestimmten Vorstellung über die nahe genetische Ver-
wandtschaft der freien Zellen oder der Lymphozyten und des embryonalen
Bindegewebes. Retterer erblickt jedoch in den Lymphozyten nicht eine
junge, einer weiteren Differenzierung fähige Zelle, sondern die letzte Etappe
in der Entwicklung der Bindegewebselemente. „Les el&ments libres connus
sous le nom de cellules Iymphatiques ou leucocytes de par leur origine ne
sont ni des cellules jeunes, ni des cellules enti6res; ce sont des restes cellu-
laires.“ Diese Zellreste entstehen nach der Meinung Retterers infolge von
Verflüssigung eines Teils des Protoplasmas der Bindegewebszellen und infolge
seiner Verwandlung in Lymph- oder Blutplasma. Dabei werden einige von
etwas Protoplasma umgebene Kerne frei und das sind eben die Leukozyten, die
eines weiteren Wachstums und einer weiteren Differenzierung nicht fähig sind.
Kollmann ist einer von den wenigen Autoren, die sich unter anderem
auch über den Ursprung der Stützsubstanz im Hühnerembryo geäussert haben.
Wie bekannt, anerkennt dieser Autor in seiner Arbeit die Entstehung der
Blutelemente aus einem speziellen Keimblatt, welches von den anderen Keim-
blättern des Blastoderms mehr oder weniger unabhängig ist. Kollmann
erblickt in besonderen indifferenten mobilen Zellen — den Poreuten — die
Urform aller Blut- und Bindegewebselemente; unter den Nachkommen der
Poreuten zählt er sowohl rote kernhaltige Blutkörperchen, Zellen der Kapillaren
und der Innenwand der Gefässe auf, als auch verschiedene Formen der Stütz-
substanzzellen und weisse Blutkörperchen. Obwohl nach der Meinung dieses
Autors die Arbeitsteilung diesen Zellen sehr verschiedene Eigenschaften verleiht,
scheint es doch, dass die frühere Verwandtschaft oft auch noch später deutlich
hervortreten kann.
Bezüglich der spezielleren Prozesse bei der Entwicklung des Binde-
gewebes gibt es in der Literatur auch nur vereinzelte Angaben und Notizen
verschiedener Autoren. So beschäftigte sich Coca Artur mit der Frage
über die Entwicklung und Bedeutung der verschiedenen von Mallory ent-
deckten Fasern des Bindegewebes, wobei er zu der Meinung gelangt ist,
dass die Fasern der Fibroglia früher erscheinen, als die Kollagenfasern und in
gewissem Grade eine vorläufige embryonale Stützsubstanz vorstellen, die, ausser
in frühen Stadien des embryonalen Lebens, auch in Tumoren von embryonalem
Charakter erscheinen kann.
Ausser den Wechselbeziehungen, die zwischen den Elementen des Binde-
sewebes und den weissen Blutkörperchen einerseits und den verschiedenen
Elementen des Bindegewebes andrerseits existieren, gibt es in der Literatur
auch Angaben über eine besondere Entwicklungsrichtung, die die Elemente
des embryonalen Bindegewebes einschlagen können, — ich meine die Möglichkeit
ihrer Differenzierung zu hämoglobinhaltigen Blutzellen. Ähnliche Angaben
finden wir bei Ranvier, Howell, van der Stricht, Retterer; bei den
Säugetieren hat diese Frage besonders Sofer und in der letzten Zeit auch
Maximow bearbeitet.
Howell hat als Erster Erythrozytenbildung zwischen den Muskeln
der hinteren Extremität beschrieben; er vermutet, dass ähnliche Blutbildungs-
prozesse überall im Mesenchym entstehen, wo sich neue Kapillaren unmittelbar
120 Wera Dantschakoff:
vor und nach der Geburt entwickeln. Dieser Prozess der Bildung von roten
Blutkörperchen ist übrigens schon vor ihm bei Säugetieren von Schäfer und.
Ranvier bemerkt worden; diese Forscher waren aber der Meinung, dass
die im Bindegewebe entstehenden Erythrozyten auf eine ganz besondere endogene
Art entstehen, wobei sie sich von den anderen roten Blutkörperchen dadurch
unterscheiden, dass sie ad hoc kernlos sind. Van der Stricht gibt zwar keine
ausführlichere Beschreibung der Blutbildung im Bindegewebe, er zählt aber
viele Stellen im Körper des Embryo auf, wo sich diese Prozesse lokalisieren.
Er erwähnt dabei die Kapillaren der hinteren Extremitäten, der inneren Organe,
das Unterhautzellengewebe und die Kapillaren in der Umgebung des Zentral-
nervensystems. Er äussert sich aber nicht genauer über die Art und Weise,
wie diese Blutbildung hier verläuft, und aus welchen Elementen dabei die
Erythrozyten entstehen. In seiner Arbeit über die Entstehung der Lymph-
drüsen bei den Vögeln anerkennt Retterer kategorisch die Möglichkeit der
Differenzierung der Bindegewebselemente auch zu roten Blutkörperchen auf
dem Wege der „degenerescence h&moglobique“. Nach diesem Autor sind
also nicht nur die weissen, sondern auch die roten Blutkörperchen nicht echte
lebensfähige Elemente, sondern passive Produkte der Lebenstätigkeit der
Bindegewebselemente.
Wir sehen also, dass obwohl die Frage der Entwicklung
und der Wechselbeziehungen der Elemente des Bindegewebes und
des Blutes in der Literatur mehrmals behandelt worden ist, fast
alle diesbezüglichen Untersuchungen sich doch nur meistens auf
den erwachsenen Organismus beziehen, in welchem diese Frage,
beim gleichzeitigen Vorhandensein von so mannigfaltigen Zell-
formen naturgemäss eine besondere Kompliziertheit erhalten musste.
Was jedoch die Untersuchungen über dieselbe Frage im embryonalen
Organismus betrifft, so gibt es hier, wie wir gesehen haben, nur
sehr spärliche einzelne Angaben.
Material und Methodik.
Als Untersuchungsmaterial dienten mir Hühnerembryonen
vom ersten Bebrütungstag an bis zum Ausschlüpfen. Von den
Fixierungsmethoden gebrauchte ich ZF, Z') und Alkohol, von den
Färbungen E-Az, D, EH und die Färbung nach Mallory für
Fibroglia und Kollagen- nach ZF und Z und die Färbung mit F
und Cr nach Alkohol. Von Embryonen bis zum neunten Tage
') Der Kürze halber bezeichne ich im folgenden die verschiedenen
Fixierungs- und Färbungsmethoden mit Buchstaben: Zenker = Z, Zenker-
Formol = ZF, Eosin-Azur — E-Az, Dominiii—=D, Eisen-Hämatoxylin — EH,
Thionin = T, Cresyl-echt-violett = Cr.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 121
inklusive fertigte ich ganze Zelloidinserien an, von älteren Em-
bryonen, die meistens stückweise fixiert wurden, fertigte ich Schnitte
von den verschiedensten Körperteilen an.
I. Ursprünglicher indifferenter Zustand
des Mesenchyms.
In der Entwicklung der Elemente des embryonalen Binde-
gewebes gibt es eine ziemlich lange Periode, während welcher
sie ein sehr einförmiges Aussehen besitzen; in welchem Teil des
Embryo wir sie auch untersuchen, überall finden wir dieselben
zelligen Elemente mit denselben gegenseitigen Beziehungen. Der
einzige Unterschied, den man in dieser Zeit notieren kann, ist
der Grad der Dichtigkeit in der Lagerung der zelligen Elemente.
Dieser indifferente Zustand des embryonalen Bindegewebes dauert
ungefähr bis zum 4.--5. Tage, bis zu einer Zeit, wo in ihm freie
wandernde Elemente auftauchen.
Im Laufe der ersten vier Tage besteht das Mesenchym,
welches die Räume zwischen den verschiedenen sich entwickelnden
Organen des Embryo ausfüllt, aus Zellen nur einer Art. Sie
haben den Charakter und die Bedeutung von jungen, indifferenten
Elementen und entsprechen in ihrem Bau und in ihren Beziehungen
zu den Nachbarzellen vollständig den Elementen des peripherischen
Mesoblasts, welches sich in Form von Flügeln vom Bereich des
Primitivstreifens aus zwischen Ektoderm und Entoderm hindurch-
schiebt und ausbreitet. Sowohl dort als auch hier sind es Zellen,
die miteinander eng verbunden sind. Sie sind klein, eckig und
sternförmig und erscheinen immer mit zahlreichen Ausläufern
versehen, die sich mit den Ausläufern der Nachbarzellen ver-
binden. Je nach der Dichtigkeit der Anordnung der Zellen sind
ihre Ausläufer entweder kurz und breit, oder lang und sogar
verzweigt. An einigen Stellen, wo die Zellen besonders nahe
aneinander gelagert erscheinen, wie z. B. in den wachsenden
Extremitäten, bieten sie das Bild eines Synzytiums dar, in welchem
die Grenzen der einzelnen Elemente nur mit Mühe oder gar
nicht mehr unterschieden werden können.
Der Zellleib hat in den frühesten Stadien ein ziemlich
dichtes, fein retikuläres Protoplasma, welches sich intensiv mit
basischen Farben tingiert; besonders dicht ist es in der unmittel-
baren Umgebung des Kernes, während es sich an der Peripherie
122 Wera Dantschakoff:
des Zellleibs und in den Ausläufern auflockert und hier oft helle
Vakuolen enthält. Der Kern ist im optischen Schnitt regelmässig
rund oder etwas oval, liegt gewöhnlich im Zentrum der Zelle
und ist immer mit einem sehr typischen grossen Nukleolus ver-
sehen. Dieser letztere nimmt bei Mallory-Färbung immer
einen orange-gelben Ton an und präsentiert sich als ein regel-
mässiger Kreis. In seiner unmittelbaren Nähe liegen unregel-
mässige blau gefärbte Uhromatinschollen, die bei anderen Fär-
bungen mit der Nukleolensubstanz verschmelzend, dem Kern-
körperchen dann eine unregelmässige Form und sogar manchmal
ein ästiges Aussehen verleihen. In frühen Entwicklungsstadien
des embryonalen Bindegewebes tritt das Kernchromatin überhaupt
nur sehr undeutlich hervor, in Form von feinen hellen Schollen,
die sich nur sehr schwach vom Kernsaft abheben. Bis zum
4.—5. Tage konnte ich nach Mallory-Färbung weder im Zell-
protoplasma, noch in den Ausläufern, auch nicht zwischen ihnen,
deutlich ausgeprägte kollagene Fibrillen bemerken, obwohl sich
die netzartig miteinander verbundenen Zellausläufer an einigen
Stellen stark verdünnen und auf den ersten Blick wie mehr
oder weniger selbständige kollagene Fasern erscheinen; bei
genauem Studium erweisen sie sich aber immer als zwar sehr
feine, aber doch unzweifelhafte direkte Fortsetzungen des Zell-
leibes selbst.
Das Mesenchym entwickelt sich sehr rasch in quantitativer
Beziehung und füllt alle Zwischenräume zwischen den embryonalen
Organen aus. Schon in diesem frühen Stadium bemerken wir,
dass dieses Gewebe in den verschiedenen Körperteilen des Embryo
doch etwas verschieden aussieht. Obwohl es überall aus den-
selben Elementen besteht, erscheinen die Zellen in verschiedenen
Körperteilen sehr verschieden dicht gelagert. In den Bezirken,
die besonders intensiv wachsen, so z. B. in den Extremitäten,
liegen die Zellen eng beieinander; sie berühren einander so
innig, dass man an solchen Stellen keine Ausläufer sieht. Infolge
von gegenseitigem Druck erhalten die Zellen manchmal hier
polygonale Formen und das Gewebe epithelialen Charakter. An
manchen Stellen sind die Zellgrenzen überhaupt schwer zu defi-
nieren, und das Gewebe macht den Eindruck eines Synzytiums-
An solchen Stellen mit sehr raschem Wachstum kann man
oft an den Zellleibern eigentümliche Erscheinungen beobachten.
ja
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 12:
Es kommen nicht selten ganze Gruppen von Zellen vor, die
besonders eng aneinander gelagert sind und deutliche regressive
Erscheinungen darbieten, wobei sich der Kern gewöhnlich zuerst
verändert. Er bewahrt meistens seine Form, sein Inhalt zerfällt
aber in einzelne pyknotische basophile Teilchen, während das für
die embryonalen Bindegewebszellen so charakteristische Kern-
körperchen verschwindet; schliesslich zerfällt der Kern endgültig.
Solche regressive Erscheinungen an den Zellen eines intensiv
wachsenden Gewebes dürften vielleicht zum Teil von der Tat-
sache abhängen, dass an solchen Stellen gewöhnlich zuerst nur
sehr spärliche Kapillaren vorkommen, die sich erst nachher weiter
entwickeln.
Im Gegensatz zu dem beschriebenen Aussehen kann sich
das Mesenchym an anderen Körperstellen schon in den frühesten
Entwicklungsstadien auch bedeutend auflockern, wobei die die
Zellen verbindenden Ausläufer besonders deutlich hervortreten.
Solche Bezirke von lockerem interstitiellen Gewebe erscheinen z. B.
schon sehr früh im Kopf des Embryo, besonders an den Stellen,
wo die äussere epitheliale Deckschicht über die tiefen Ein-
stülpungen der Gehirnblasen hinwegzieht. An diesen Stellen,
ebenso wie überall in der unmittelbaren Umgebung der Gehirn-
blasen, fällt stets die besonders grosse Anzahl von kleinen Ge-
fässen auf. Diese letzteren wachsen sehr stark und man bemerkt
eine grosse Anzahl von karyokinetischen Figuren in ihren Wand-
zellen; sehr charakteristisch ist die Gefässwand auch in der
Beziehung, dass die Gefässwandzellen grosse längliche Elemente
vorstellen, die ein sehr reichliches basophiles Protoplasma besitzen.
So ist das primäre, junge, noch nicht differenzierte mesen-
chymatische Gewebe im Embryokörper beschaffen. Es füllt alle
Räume zwischen den Organen des Embryo aus und spielt die
Rolle eines wirklichen interstitiellen Gewebes; seiner zelligen Be-
schaffenheit und seiner Bedeutung nach unterscheidet es sich
jedoch bedeutend von dem differenzierten Gewebe der späteren
Entwicklungsstadien. Es besitzt nämlich die Potenz zu sehr
verschiedenseitiger Entwicklung; ebenso wie das Mesoderm im
Dottersack und sogar in noch höherem Grade zeichnet es sich
durch die Fähigkeit aus, verschiedene Zellarten abzuspalten, die
sich im folgenden selbständig weiter entwickeln und wuchern.
Vor allem bewahrt dieses Gewebe vorläufig noch während einer
124 Wera Dantschakoff:
ziemlich langen Zeit im fetalen Leben seine ursprüngliche Fähig-
keit, wandernde Elemente des Blutes zu bilden, eine Fähigkeit,
‚die im Dottersack, im Stadium der Blutinselbildung, so klar her-
vortritt, worüber ich mich in meiner früheren Arbeit schon
geäussert habe.
II. Hämatopoetische Prozesse im Mesenchym und
in den Gefässen in den frühesten Stadien der Ent-
wicklung des Hühnerembryo.
Die verschiedenseitige Entwicklungspotenz des Mesenchyms
in den frühesten Stadien der Entwicklung führt im embryonalen
Körper zur Bildung von im Mesenchym zerstreuten Blutbildungs-
herden, die von einigen Autoren bereits bemerkt worden sind.
Diese Prozesse der Blutbildung im mesenchymatischen Gewebe
haben bei den Vögeln eine grössere Verbreitung. Sie erscheinen
in ziemlich regelmässiger Weise in bestimmten Perioden des
embryonalen Lebens an bestimmten Stellen des Embryokörpers
und verlaufen prinzipiell in analoger Weise, wie in den anderen
speziellen blutbildenden Organen. Man findet sie zuerst immer
im Kopfmesenchym, zwischen den Gehirnblasen, wo das Mesen-
chym einen ziemlich lockeren Charakter besitzt. Hier kann man,
wie gesagt, schon in den frühesten Entwicklungsstadien besonders
viele junge, neu entstehende Kapillaren bemerken. Die Elemente,
aus denen die Wand der letzteren besteht, wuchern nun sehr
rasch und bilden infolgedessen oft Gruppen von eng zusammen-
gedrängten Zellen, die nach ihrer Struktur an die Zellgruppen
erinnern, welche uns im dunklen Fruchthofe unter dem Namen
Blutinseln bekannt sind. Hier, ebenso wie dort, sind die Zell-
grenzen in den besonders dichten Gruppen nur mit Mühe zu
unterscheiden ; die Zellleiber verschmelzen miteinander und bilden
synzytiale Massen.
Auch können solche dichte Zellansammlungen unabhängig
von den Kapillaren mitten im lockeren Mesenchym auftreten:
sie entstehen, wie die ersten Blutinseln im dunklen Fruchthofe
der area vasculosa, durch rasche Vermehrung und durch innigstes
Aneinanderlegen junger, indifferenter Mesenchymzellen. Hier, im
Körper des Embryo bleiben aber diese Zellansammlungen, die
eigentlich den Namen Blutinseln durchaus verdienen, nicht lange
(
DL |
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 12:
miteinander verbunden. Wenn schon in der area opaca der
Prozess der Auflösung der Blutinseln sehr rasch verläuft, so
geschieht dies hier noch schneller. Die Zellen isolieren sich
wieder sehr bald voneinander und ihre qualitative Differenzierung
schreitet weiter fort.
In den frühesten Entwicklungsstadien — etwa bis zum vierten
Tag — beschränken sich die Prozesse der Blutbildung, wie gesagt,
ausschliesslich auf die Kopfregion, auf das Bindegewebe zwischen
den Hirnblasen. Am 4.—5. Tage sehen wir sie auch in der Um-
sebung der Aorta auftreten, besonders im Mesenchym an der
ventralen Seite desselben. Der Ausgangspunkt des Blutbildungs-
prozesses ist auch hier, ebenso wie im Kopf, gewöhnlich eine
sehr intensive Endothelwucherung der Gefässe. Die Erscheinung
beschränkt sich aber hier nicht nur auf die unmittelbare Um-
gebung der Aorta, auf die neugebildeten kleineren Grefässe,
sondern sie breitet sich — sogar in besonders hohem Grade — auch
auf das Endothel aus, welches die Innenwand der Aorta selbst
bildet. Hier, ebenso wie in den kleineren, die Aorta umgebenden
Gefässen, proliferiert das Endothel ausserordentlich stark, und die
Produkte dieser Zellvermehrung gelangen einerseits frei in das
Gefässlumen, andererseits rücken sie von der Gefässwand ab und
wandern in das umgebende Mesenchym.
Die Gefässendothelien sowie die Mesenchymzellen selbst
stellen also, wie wir sehen, in den frühen Embryonalstadien junge
indifferente Elemente vor, die die Bedeutung von Blutinselzellen
bekommen können. Ihre unmittelbare Wucherung und Differen-
zierung liefert als Resultat alle Blutelemente, — sowohl die roten,
als auch die weissen Blutkörperchen. Ausser der Kopfregion und
der ventralen Aortenwand, wo diese Blutbildungsprozesse lange
Zeit fortdauern, — man findet sie in wechselnder Intensität noch
am 9.—12 Tage, — breiten sie sich sehr rasch auch auf die
anderen Körperteile aus. Einzelne Blutbildungsherde kann man
sehr oft im Unterhautzellgewebe treffen; man findet ferner ganze
Streifen von Zellen, die sich vornehmlich zu Erythroblasten
differenzieren, zwischen den Muskeln; endlich begegnet man im
lockeren Bindegewebe der Extremitäten sowohl innerhalb, als auch
in der Umgebung der Gefässe grossen Zellansammlungen, die
sich sowohl zu roten, als auch zu weissen Blutkörperchen ent-
wickeln.
126 Wera Dantschakoff:
Wir sehen also, dass der Ausgangspunkt der Entwicklung
der im Mesenchym zerstreuten Blutbildungsherde die Mesenchym-
zelle oder eine Gefässwandzelle ist, — ein Element, welches seinem
Ursprunge nach den Blutinselzellen so nahe steht. Die Endothel-
zellen bilden die innerste Schicht der Gefässwand, sie behalten
aber auch während eines bedeutenden Teiles des embryonalen
Lebens die Fähigkeit zur Verwandlung in Lymphozyten und andere
Blutzellen.
a) Erythropoese.
Jetzt will ich die Differenzierungsprozesse genauer be-
schreiben, die die farblosen, indifferenten Zellen bei ihrer erwähnten
Verwandlung in rote Blutelemente durchmachen und den Charakter
und die weiteren Schicksale der letzteren schildern.
blutbildungsherde im Mesenchym sind bereits in ver-
schiedenen Körperteilen des Embryo beobachtet worden. Ausser
den Angaben von Schäfer und Ranvier (15), die eine ganz
besondere Art von Erythrozytenbildung innerhalb von grossen
vasoformativen Zellen beschrieben haben, gehören hierher die
3eobachtungen von van der Stricht (18) und Howelt (5); die
letzteren Autoren geben aber keine genauere Schilderung über
den Charakter der Elemente, aus denen die Blutzellen dabei
entstehen und über die Art und Weise dieser Entwicklung;
van der Stricht (18) glaubt überhaupt, dass die Erythropoese
immer intravaskulär verläuft und zählt eine ganze Reihe von
Körperteilen auf, in deren Kapillaren infolge einer bedeutenden
Verlangsamung der Blutzirkulation innerhalb des Lumens Blut-
bildung erfolgt.
Bei den Säugetieren hat bekanntlich Saxer (15) im embryo-
nalen Leben an sehr zahlreichen Körperteilen extravaskuläre
Blutbildungsherde im Mesenchym gefunden und sehr genau be-
schrieben. Er fand dabei, dass das erste Element, welches auftritt,
eine indifferente mobile „primäre Wanderzelle“ ist, und aus ihr
entwickeln sich dann sowohl die roten, als auch die weissen
Blutkörperchen.
Diese Erscheinungen beim Säugetierembryo sind vor kurzem
von Maximow (8) neu untersucht worden.
Beim Hühnchen kommen gewiss solche Kapillargefässe mit
intravaskulärer Blutbildung vor, wie sie von van der Stricht (18)
beschrieben worden sind. Ausser dieser intravaskulären Ver-
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 127
mehrung und qualitativen Ditierenzierung der Blutzellen be-
obachtet man hier aber an ziemlich bestimmten Stellen auch
zahlreiche grössere und kleinere extravaskuläre, im Mesenchym
selbst gelegene Blutbildungsherde, ganz ebenso wie beim Säugetier.
Diese Herde oftenbaren allerdings zuerst, wie ich schon
kurz skizzierte, sehr oft die engsten Beziehungen zu den Gefässen.
Das Endothel der letzteren schwillt rasch an, wuchert und füllt
das Gefässlumen an einigen Stellen ganz aus, so dass mehr oder
weniger lange Stränge aus eng aneinander gelagerten Zellen
entstehen. Ähnliche Zellansammlungen können übrigens in den
frühesten Stadien auch im Körpermesenchym selbst auf Kosten
seiner Zellen ohne Teilnahme von (Gefässendothelien entstehen
und verdienen durchaus den Namen von Blutinseln.
Die erwähnten Zellstränge dienen als Ausgangspunkt für
die Entwicklung der Blutbildungsherde. Sie bestehen aus grossen
Zellen mit hellen nukleolenhaltigen Kernen und feinretikulärem
basophilen Protoplasma, — aus denselben Zellen, die auch in
dem ersten blutbildenden Organ des Embryo, in dem Gefässnetz
des Dottersackes die Rolle von Mutterzellen spielten und die
unter dem Namen von grossen Lymphozyten bekannt sind.
Sehr interessant ist nun die Tatsache, dass sich diese Zell-
ansammlungen in den frühesten Entwicklungsstadien bis zum
4. Tage, stets nur in einer bestimmten Richtung entwickeln, — sie
differenzieren sich zu roten Blutkörperchen. Noch merkwürdiger
ist dabei der Umstand, dass diese extravaskuläre Erythropoese
im Mesenchym eigentlich dem Prinzip widerspricht, welches sich
bei den Vögeln sonst, wie ein roter Faden, durch alle Phasen
der Blutbildung hindurchzieht, dass sich nämlich die Erythropoese
ausschliesslich auf das Innere der Gefässe konzentriert, die Leuko-
poese auf das extravaskuläre Gewebe. Im Mesenchym des Kopfes
in den frühen, im Mesenchym der anderen Körperteile in den
späteren Stadien, sehen wir, ausser der fortwährenden Neubildung
von Erythrozyten innerhalb der Gefässe, auch extravaskulär die-
selbe Erscheinung parallel verlaufen.
Der Differenzierungsprozess der Mutterzelle selbst wird aber
dadurch nicht verändert. Die Hämatogonie verliert unter fort-
dauernder differenzierender Wucherung den Nukleolus im Kern,
wobei dieser letztere chromatinreicher wird. Das Plasma arbeitet
Hämoglobin aus, und Hand in Hand damit geht auch die Form-
128 Wera Dantschakoff:
veränderung der Zelle, — sie plattet sich ab und an ihrem Rand
entsteht, in Form einer lokalen Substanzverdichtung, der Rand-
reifen (Taf. VIII, Fig. 10).
So entstehen Elemente, die den intravaskulären Erythrozyten
völlig gleichen, jedoch frei zwischen den Mesenchymzellen liegen.
Wie es zu sehen ist, unterscheidet sich der beschriebene
Prozess prinzipiell nicht von der gewöhnlichen Erythropoese bei
den Vögeln. Bei genauem Studium der extravaskulären Blut-
bildungsherde bemerkt man aber doch gewisse Besonderheiten, — es
fällt z. B. die ungleichmässige Grösse der extravaskulären Erythro-
zyten auf; neben solchen, die den intravaskulären an Grösse
gleichkommen, sieht man auch viel kleinere; diese Unterschiede
beziehen sich auch auf die Erythroblasten (Fig. 10).
Ein Teil eines ähnlichen extravaskulären Blutbildungsherdes
ist auf der Fig. 10 (Taf. VIII) aut der Höhe seiner Entwicklung
dargestellt. Je ein solcher Herd befand sich beiderseits in un-
mittelbarer Nähe des Ösophagus und konnte an zahlreichen Quer-
schnitten verfolgt werden. Zwischen den ästigen Mesenchym-
zellen (X) sieht man hier viele typische Erythroblasten (Ebl) und
ihre weiteren Differenzierungsprodukte. Auch grosse Iymphozyten-
ähnliche Mutterzellen sind noch vorhanden (G Lmz). Man sieht,
dass sie mit ihrem hellen, runden nukleolenhaltigen Kern und
dem amöboiden basophilen Protoplasma durchaus den sogenannten
Lymphozyten entsprechen.
Die erste weitere Entwicklungsstufe dieser Lymphozyten sind,
wie gesagt, Erythroblasten, die bereits Hämoglobin enthalten,
deren Kern aber noch ein Kernkörperchen besitzt (Fbl‘”). Dann
verschwinden die letzteren, dafür wächst aber die Chromatinmenge.
Der Zellleib erhält die Gestalt einer bikonvexen Linse mit Rand-
streifen. In den jungen Erythrozyten (Ebl'') wächst der Hämo-
globingehalt noch weiter und schliesslich sehen wir schon typische
fertige rote Blutzellen (Erz).
Die beschriebene Differenzierung der Zellen verläuft in diesen
Herden ohne jede Beziehung zu den Gefässen. Auf der Fig. 10
sehen wir eine Kapillare (K) und unmittelbar an ihrer Wand
liegen die Erythroblasten und Erythrozyten in den verschiedenen
Entwicklungsstadien. In der Kapillare erblickt man Erythrozyten,
die den extravaskulär entstandenen völlig gleichen.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 129
Es fragt sich nun, was ist das Schicksal der extravaskulär
entstandenen Erythrozyten? Es ist klar, dass es hier von vorn-
herein zwei Möglichkeiten geben kann. Entweder gelangen sie
in den Blutstrom, oder sie bleiben am Ort der Entstehung
und müssen dann hier zu Grunde gehen. Schon eine flüchtige
Durchmusterung der betreffenden Stellen im Präparat überzeugt
uns von der Richtigkeit der zweiten Vermutung. Die extravaskulär
entstandenen Erythrozyten gelangen nicht in die Zirkulation,
sondern sie bleiben an Ort und Stelle liegen und verfallen der
regressiven Metamorphose. Einige von ihnen schrumpfen all-
mählich, der Kern blasst allmählich ab, so dass schliesslich kleine
hämoglobinhaltige Schollen übrigbleiben. Die meisten werden aber
noch vorher von anderen Zellen verschlungen und verdaut (Phz).
In den frühesten Stadien wirken die Mesenchymzellen selbst, in
späteren Stadien aber die schon difterenzierten Wanderzellen,
als energische Phagocyten und werden vor allem gerade von den
zwischen ihnen liegenden Erythrozyten angelockt, die hier augen-
scheinlich als fremde und nutzlose, vielleicht sogar schädliche
Gebilde erscheinen. Die betreffenden Mesenchymzellen bewahren
ihre sonstigen Strukturbesonderheiten, ihr retikuläres, oft vakuo-
läres, ziemlich blasses Protoplasma, ihren ovalen, hellen Kern
mit den kleinen Nukleolen und den feinen Chromatinteilchen,
sie runden sich aber ab und isolieren sich von den Nachbarzellen.
Ihre Grösse hängt von der Zahl der verschlungenen Erythrozyten
ab; sie können mitunter riesenhafte Dimensionen erreichen, wie
wir es auf Fig. 11 (Phz.) sehen, wobei die Zahl der verschlungenen
Erythrozyten bis auf zwölf und mehr steigen kann.
Die phagozytierten Erythrozyten machen eine Reihe von
ziemlich bestimmten Veränderungen durch, meistens verändert
sich — besonders wenn sie in den Phagozyten nicht sehr zalıl-
reich sind — zuerst ihr Protoplasma. Die Konture der Zellleiber
werden unbestimmt, die hämoglobinhaltige Substanz schmilzt ge-
wissermaßen unter dem Einfluss der intrazellulären Verdauung.
Der Kern verkleinert sich etwas, die Chromatinteilchen isolieren
sich voneinander; nach D- und E-A-Färbung nimmt der Kern
eine orangegelbe Färbung an (Fig. 10). In anderen Fällen, be-
sonders in den späteren Stadien, wo die Phagozyten mit den
verschlungenen Erythrozyten dicht angefüllt sind (Fig. 11), wird
der hämoglobinhaltige Zellleib nicht so rasch verdaut, vielmehr
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 73. 9
150 Wera Dantschakoff:
verändert sich zuerst der Kern, so dass man im verschlungenen
Erythrozyten oft einen bräunlichen stark lichtbrechenden Körper
sieht — den ehemaligen Kern. Endlich trifft man Zellen, die
mit ähnlichen homogenen, formlosen Schollen dicht erfüllt sind:
diese letzteren scheinen der Verdauung ziemlich lange zu widerstehen.
Nach Ablauf der extravaskulären Blutbildung können meistens
die Stellen der früheren Blutherde im Mesenchym noch während
langer Zeit an der Anwesenheit der beschriebenen Phagozyten
erkannt werden. Sogar in späteren Stadien am 15.—17. Brüt-
tage sieht man zwischen den Muskeln der hinteren und besonders
der vorderen Extremitäten, auch im Unterhautzellgewebe, lange
Reihen und grössere Gruppen von grossen, phagozytierenden
Elementen. Zu dieser Zeit wird das Bindegewebe von den letzten
Resten der extravaskulären Erythropoese gesäubert.
Wir sehen also, dass beim Hühnchen die extrvaskuläre
Erythropoese einen hohen Entwicklungsgrad erreicht. Die Erythro-
zyten entstehen dabei frei zwischen den Zellen des Mesenchyms.
Dieser Unterschied von der eigentlichen und typischen intra-
vaskulären Erythropoese, wie sie in den echten blutbildenden
Organen vorkommt — im Dottersack in den frühen, im Knochen-
mark in den späteren Stadien — bedingt auch den Unterschied
der weiteren Schicksale der einen nnd der anderen Erythrozyten.
Die extravaskulär entstandenen Erythrozyten gelangen nicht in
die Gefässe, sie bleiben zwischen den Elementen des Mesenchyms,
verfallen hier der Degeneration und werden von den Mesenchym-
zellen, später auch von den Wanderzellen, gefressen und zerstört.
b) Entwieklung von Lymphozyten aus den Gefäss-
endothelien (Aorta).
Die Endothelwucherung der Kapillaren führt, wie wir ge-
sehen haben, in den frühen Entwicklungsstadien zur Bildung von
Blutbildungsherden, wo zuerst ausschliesslich nur hämoglobin-
haltige Zellen erzeugt werden. In diesen frühen Stadien bemerkt
man aber eine sehr intensive Endothelentwicklung nicht nur in
den Kapillaren, sondern auch in anderen grösseren Gefässen.
3esonders typisch sind die Erscheinungen in der Aorta.
Von der Zeit an, wo sie einheitlich wird, bemerken wir,
dass in ihrer Wand das Endothel sich an gewissen Stellen in
besonders charakteristischer Weise verändert. Dies geschieht im
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 1351
Bereich eines bandförmigen Bezirkes an der ventralen Seite der
Aortenwand, fast in der ganzen kraniokaudalen Ausdehnung des
Asefässes. An Querschnitten von etwa drei Tage alten Embryonen
sieht man sehr gut, dass dieser Bezirk gerade den ventralen Teil
der Aortenwand einnimmt und, von dem übrigen Teil der Wand
ziemlich scharf abgegrenzt erscheint. In seinem Bereich sind die
Endothelzellen besonders dick, meist mehrschichtig angeordnet
und wuchern sehr intensiv. Die Fig. 1 stellt einen Teil des
Sagittalschnitts der Aortenwand von einem 72 stündigen Embryo
an der erwähnten Stelle dar. Das Endothel besteht aus grossen,
rundlichen, nur lose zusammenhängenden Elementen; viele sitzen
an einer breiten, platten Basis (Ed’), die anderen an ziemlich
langen und dünnen Protoplasmastielen (Ed‘‘). Die morphologische
Struktur der Zellen lässt sie auch hier als dieselben, uns schon
‚bekannten blutbildenden Mutterzellen, als Hämatogonien (Lympho-
zyten) erkennen. Auch hier erscheinen sie zum Teil gruppen-
weise verschmolzen, so dass blutinselähnliche Gebilde entstehen.
‚Sehr typisch sind die rundlichen Pseudopodien an der Oberfläche
der Zellleiber (Ed‘), die meistens ins Lumen des Gefässes gerichtet
sind. «Durch diese amöboiden Bewegungen machen sich diese Zellen
eben allmählich von den benachbarten Elementen frei, und durch
sie wird die Ähnlichkeit der beschriebenen wuchernden Endothel-
massen mit den Blutinseln noch markanter, sowohl hier wie dort
geschieht die Auflösung der Zellgruppen in einzelne Zellen zum
Teil wenigstens infolge der amöboiden Bewegungen der letzteren.
Die beschriebene Endothelwucherung in der Aorta tritt nicht
immer mit gleicher Intensität hervor; einige Embryonen, z. B.
derjenige, von welchem die Fig. 1 stammt, weisen sie auf der
ganzen Länge der Aorta in höchster Entwicklung auf, an
Sagittalschnitten, die die Aorta median getroffen haben, sieht
man ihre ganze ventrale Wand von einem ununterbrochenen
Bande grosser, runder, in zwei bis drei, sogar vier Schichten an-
geordneten Zellen gebildet, während das Endothel an der dorsalen
Wand einschichtig ist; bei anderen Embryonen kann die Endothel-
wucherung schwächer sein.
Die frei gewordenen Endothelzellen erhalten den morpho-
logischen Charakter von Lymphozyten, gelangen ins zirkulierende
Blut und können von den weissen Blutkörperchen dann nicht
mehr unterschieden werden.
9*
132 Wera Dantschakoff:
Die beschriebene Endothelwucherung beobachtet man in der
Aorta von der Zeit an, wo das Gefäss einheitlich wird. Sie ist
besonders intensiv im Laufe des 3.—4. Tages; hier ist an der
ventralen Seite des Gefässes ein ununterbrochenes Band von
wucherndem Endothel zu konstatieren. Etwas später, am 4.—5.
Tage, dauert die Wucherung fort, sie geschieht aber mehr herd-
weise: an der ventralen Aortenwand sieht man an vielen.
begrenzten Stellen Gruppen von grossen Iymphozytenähnlichen
Zellen in das Gefässlumen hineinragen und in einzelne Zellen
zerfallen. Mit der Zeit nimmt die Erscheinung allmählich ab
und verschwindet schon nach 6—7 Tagen vollständig.
Die blutbildende Tätigkeit des Endothels tritt in der Aorta
am deutlichsten hervor. Aber auch in anderen Teilen des Gefäss-
systems beobachtet man dieselbe Erscheinung in mehr oder
weniger deutlicher Weise. So geschieht es in frühen Stadien im
venösen Gefässnetz der area vasculosa selbst.
lch glaube überhaupt, dass man dem Gefässendothel,
wenigstens in den frühen Entwicklungsstadien, eine bedeutende
hämatopoetische Potenz zuschreiben muss, welche sich in den
verschiedenen Abschnitten des Gefässsystems mit verschiedener
Deutlichkeit offenbart. Auch im Herzendothel, im Endothel der
Kiemenbogengefässe usw. beobachtet man z. B. oft begrenzte,
vereinzelte, meistens viel schwächer entwickelte Wucherungsherde,
die ebenfalls zur Bildung freier Blutzellen führen.
III. Das erste Auftreten des Wanderzellenstammes,
der Iymphozytoiden und der histiotopen Wander-
zellen im Mesenchym.
Bis zum 4. Tag bietet das Mesenchym -ein ziemlich ein-
förmiges histologisches Bild; es besteht überall aus unregelmässig
sternförmigen, miteinander durch ihre Ausläufer verbundenen
Zellen (Fig. 2 u. 3); der einzige Unterschied, welchen man in ver-
schiedenen Körperteilen bemerken kann, besteht darin, dass das
Gewebe eine verschiedene Dichtigkeit besitzt, was natürlich in
erster Linie von der Wachstumsintensität an der betreffenden
Stelle abhängt.
Obwohl nun die Entwicklungsprozesse des lockeren Binde-
gewebes gerade besonders - starken individuellen Schwankungen
zu unterliegen scheinen, ist es doch möglich, zu sagen, dass
ww
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 13:
b: > >
erade am Ende des 4. und am Anfange des 5. Tages der Be-
g g
brütung im Mesenchym eine neue Zellart auftritt, — freie wan-
dernde Zellen. Zuerst sind sie noch sehr spärlich und man
begegnet ihnen nur an ganz bestimmten Stellen, — in der un-
mittelbaren Nähe von Blutkapillaren im Kopfmesenchym, im
Mesenterium ventral von der Aorta, im lockeren Mesenchym
zwischen den Ursegmenten und dem Epithel der seitlichen Körper-
oberfläche.
Schon bei ihrem ersten Erscheinen bemerkt man, dass die
einzelnen freien Wanderzellen ziemlich bestimmte Unterschiede
in ihrer Struktur bieten.
Einerseits finden wir grosse, runde, amöboide Zellen mit
hellem, runden oder ovalen, chromatinarmen Kern; der letztere
enthält 1—2 grosse echte Kernkörperchen und verändert ver-
hältnismässig wenig seine Form nur bei den Bewegungen der
Zelle. Das dichte retikuläre Plasma bildet an der Oberfläche
zahlreiche rundliche Pseudopodien, enthält oft kleine, helle Va-
kuolen und eine ziemlich deutliche Sphäre. Die Vakuolen sind
mitunter sehr zahlreich und verleihen dann der Zellsubstanz ein
wabiges Aussehen. Osmische Präparate zeigen, dass ein Teil
dieser Vakuolen von Fetttröpfehen herrührt, während ein anderer
Teil von ihnen, wie die entsprechend bearbeiteten Präparate
beweisen, durch Glykogenschollen bedingt erscheinen, die in ZF-
Präparaten durch die wässerigen Lösungen extrahiert wurden.
Diese grossen Wanderzellen haben durchaus den morpho-
logischen Charakter echter grosser Lymphozyten. Sie sind
besonders in den früheren Stadien und besonders in der Nähe
von Blutgefässen häufig und könnten Iymphozytoide Wander-
zellen genannt werden.
Die andere Art der freien Wanderzellen erscheint zu
gleicher Zeit mit den oben beschriebenen, unterscheidet sich
aber ziemlich bedeutend von ihnen. Sie sind erstens gewöhnlich
etwas kleiner, ferner haben sie stets einen dunkieren chromatin-
reicheren Kern; seine Form ist in den früheren Stadien gewöhn-
lich rund oder oval. Die Nukleolen treten in diesen Zellen
weniger deutlich hervor — sie erscheinen in mehrere Teilchen
zerteilt und von den Chromatinpartikelchen oft verdeckt. Sehr
typisch ist das Protoplasma dieser Zellen, es bildet an der
Peripherie des Zellleibes eine sehr grosse Menge von feinen
134 Wera Dantschakoff:
Auswüchsen; seine Basophilie ist viel schwächer als in dem
vorher beschriebenen Zellen; es enthält sehr oft mehr oder
weniger zahlreiche Vakuolen.
Diese blasseren Zellen treten zuerst im Megerclipe zwischen
den Ursegmenten und der lateralen Körperoberfläche des Embryos
auf. Zuerst sind sie ziemlich selten, später wuchern sie aber
sehr stark. Solche Zellen sind für das Mesenchym typisch und
könnten sehr bequem als im Bindegewebe liegende histiotope
Wanderzellen bezeichnet werden.
Es fragt sich nun, wie und woher entstehen die beschriebenen
Wanderzellformen, wodurch ist der Unterschied zwischen denselben
bedingt, stehen sie miteinander in einem genetischen Zusammen-
hang oder nicht, und wie verläuft ihre weitere Entwicklung?
Die Fig. 2 und 3 illustrieren den Prozess der Entstehung
der Wanderzellen; auf der Fig. 3 sieht man die Bildung der
Iymphozytenähnlichen Wanderzellen, auf der Fig. 2 die Bildung
der histiotopen Wanderzellen.
Die Iymphozytenähnlichen Wanderzellen zeichnen sich in
den frühesten Entwicklungsstadien durch ihre grossen Dimensionen
aus. Sie gehen entweder aus den gewöhnlichen Mesenchymzellen
oder aus den Gefässendothelien hervor. Im ersten Fall (Fig. 3)
sehen wir, wie eine Mesenchymzelle ihre ästigen Ausläufer
allmählich einzieht (Lmz WZ), wie sie sich von den Nachbar-
zellen isoliert, wobei die ziemlich weitmaschige retikuläre Struktur
des Protoplasmas bedeutend dichter wird. Der Zellleib rundet
sich ab und bildet kurze abgerundete Pseudopodien. Die frei
gewordenen Zellen fallen unter den viel helleren Mesenchym-
zellen sofort durch ihre dunkelblaue Färbung auf. Auf der Fig. 3
erscheinen einige von ihnen mit den Nachbarzellen noch teilweise
durch Ausläufer verbunden. An der Zelle Lmz WZ” bemerkt
man, wie sich gerade eben ein Ausläufer isoliert und abgerundet
hat. Daneben liegt eine andere Zelle, die schon zahlreiche, in
verschiedene Ebenen verlaufende rundliche Auswüchse besitzt
und mit den Mesenchymzellen nur noch durch einen einzigen, noch
nicht eingerissenen Ausläufer verbunden erscheint (Lmz WZ').
Die Fig. 3 stellt eine Stelle aus dem Kopfmesenchym vor. Ähn-
liche Bildung von Iymphozytoiden Wanderzellen aus einfachen
Mesenchymzellen kommt auch in anderen Körperteilen vor,
während sie sonst meist von den Gefässendothelien stammen.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 135
Diese letztere Erscheinung ist auf der Fig. 6 dargestellt;
man sieht hier sehr deutlich eine Iymphozytenähnliche Wander-
zelle aus den Endothelzellen eines Kapillargefässes entstehen.
Auf der Fig. 1 sieht man auch ein ganz entsprechendes Bild —
eine von den zahlreichen wuchernden Endothelzellen an dem
Aortawandschnitt ist frei geworden, hat sich den Weg durch die
die Gefässwand zusammensetzenden Elemente gebahnt und ist in
das nukleäre Gewebe, in das Mesenchym des Mesenteriums hinein-
gelangt (Lmz). Ähnliche Wanderzellen sind hier im Mesenterium
ziemlich häufig, — sie bilden meist kleine oder auch grössere
Gruppen und besonders regelmässig trifft man diese Iymphozyten-
ähnlichen Wanderzellen im Bereich des kaudalen Endes der
Trachea an der Abzweigungstelle der Bronchien.
Wir sehen aus der angeführten Schilderung, dass Wander-
zellen vom Charakter echter grosser Lymphozyten in den frühesten
Entwicklungsstadien sowohl aus den gewöhnlichen ästigen Mesen-
chymzellen entstehen, als auch aus Gefässendothelien. Der erste
Entwicklungsmodus ist mehr beschränkt und tritt bald ganz
zurück, sodass die lymphozytenähnlichen Wanderzellen im folgenden
ausschliesslich aus Endothelzellen und aus Gefässen emigrierten
weissen Blutkörperchen hervorgehen.
Ungefähr zur selben Zeit beobachtet man an einigen Stellen
im Embryokörper, vor allem, wie gesagt, im lockeren Mesenchym
zwischen den Segmenten und der lateralen Oberfläche des Körpers,
die Entstehung der anders gearteten Wanderzellen, der Wander-
zellen, die, wie oben beschrieben, sich durch helleres Protoplasma
auszeichnen (Fig. 2). Sehr typisch sind ausserdem für diese
Zellen (HtWz) die zahlreichen kurzen, dünnen und spitzen,
wie Igelstacheln oder Tannennadeln angeordneten Pseudopodien.
Diese Wanderzellen entstehen fast ausschliesslich aus den gewöhn-
lichen ästigen Mesenchymzellen; man findet stets alle möglichen
Übergangsformen.
Die Bildung der histiotopen blassen Wanderzellen beginnt
gewöhnlich am Ende des vierten oder am Anfang des fünften
Tages und breitet sich ziemlich rasch über das ganze Körper-
mesenchym aus. Nach acht bis neun Tagen finden wir sie schon
überall im Unterhautzellgewebe, in dem interstitiellen Binde-
gewebe zwischen den Muskeln, im Bindegewebe zwischen den
verschiedenen inneren Organen, oft sogar im interstitiellen Gewebe
136 Wera Dantschakoff:
der letzteren selbst, — überall sieht man die beschriebenen
Wanderzellen entstehen. An den einen Stellen sind sie zahlreich,
an den anderen trifft man sie nur einzeln. -Ihre Struktur ist
auch nicht überall genau dieselbe, — in einigen Zellen ist das
Plasma verhältnismässig dicht, in den anderen stark vakuolisiert;
meistens ist es aber leicht, diese Elemente von den Iymphozytoiden
Wanderzellen zu unterscheiden.
Der beschriebene Prozess der Weanderzellbildung aus
mesenchymatösen Zellen verläuft also zuerst in zwei Richtungen
und liefert zwei Zellarten. Sehr bald bleibt aber nur die
eine Richtung bestehen und im Gewebe selbst werden aus
den ästigen Zellen weiter nur histiotope Wanderzellen gebildet.
Die Bildung der Iymphozytoiden Wanderzellen bleibt dann nur
auf die Gefässendothelien beschränkt.
In den ersten Entwicklungsstadien befinden sich also die
Elemente des Mesenchyms augenscheinlich in einem indifferenteren
Zustande und besitzen eine besonders mannigfaltige und viel-
seitige Entwicklungspotenz, — sie bilden sowohl Iymphozytoide,
als histiotope Wanderzellen, ausserdem gehören ja auch die
Endothelzellen selbst auch zu ihnen. Mit der Zeit wird die
Mannigfaltiekeit der Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt
und die Spezialisierung schreitet vorwärts. Die ästigen Mesen-
chymzellen verlieren die Fähigkeit zur Bildung von grossen
Iymphozytenähnlichen Wanderzellen. Diese Fähigkeit bleibt fürs
ganze Leben in vollem Maße nur den Gefässendothelien erhalten.
Die Iymphozytenähnlichen Wanderzellen des Mesenchyms
entsprechen morphologisch vollkommen den grossen Lymphozyten,
die wir in der Dottersackwand ausserhalb der (Gefässe als Mutter-
zellen der granulierten Leukozyten funktionieren sehen, wie ich
es in meiner Arbeit festgestellt habe. Auch in dieser letzteren
Beziehung ist die Identität vollkommen — die Lymphozyten des
Bindegewebes im Körper entfalten, wie wir weiter sehen werden,
ebenfalls dieselbe Tätigkeit.
Wenn man die genetischen Wechselbeziehungen der beiden
beschriebenen Wanderzelltypen genau studiert, kommt man zum
Schluss, dass zwischen den beiden in ihren extremen Formen so
grundverschiedenen Typen auch Zwischenstufen existieren. Es
fragt sich überhaupt, dürfen die beiden Wanderzellarten voneinander
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 157
getrennt werden, und ob es nicht wahrscheinlicher anzunehmen
wäre, dass die eine Zellart in die andere direkt übergehen könnte.
Der Zeitpunkt des ersten Auftretens der Wanderzellen im
Mesenchym bekommt dadurch eine besondere Bedeutung, weil
dabei von dem mesenchymatischen Gewebsgrundstock zuerst eine
Zellart abgespalten wird, die während des ganzen künftigen, auch
postfetalen Lebens, als ständiger Bestandteil des ubiquitären
lockeren Bindegewebes erhalten bleibt und bei verschiedenen
pathologischen Prozessen, die sich im Bindegewebe abspielen, eine
sehr wichtige Rolle spielen soll (Maximow [8]).
a) Histiotope Wanderzellen.
Die Zahl der histiotopen Wanderzellen im Mesenchym des
Körpers wächst immerfort, erstens infolge selbständiger Wucherung,
zweitens infolge fortdauernder Abrundung neuer Mesenchymzellen,
und drittens zum Teil auch infolge direkter von Mitose gefoleter
Umwandlung der Iymphozytoiden Wanderzellen. Sie häufen sich
manchmal besonders im lockeren Bindegewebe zwischen den
Muskeln, auch im Unterhautzellgewebe in sehr grossen Mengen
an. In den späteren Stadien verändern sich diese Wanderzellen
weiter, wie wir sehen werden auch in qualitativer Beziehung.
Eine von ihren Hauptfunktionen ist die Phagozytose. Bei
der Beschreibung der extravaskulären Erythropoese im Mesenchym,
in den frühen Entwicklungsstadien, hatte ich bereits Gelegenheit,
auf die grosse Verbreitung der Phagozytose dabei hinzuweisen.
Die extravaskulär entstandenen Erythrozyten wurden von Mesen-
chymzellen gefressen, die sich dabei selbst abrundeten. Wenn
ım Mesenchym frei wandernde Zellen auftauchen, übernehmen sie
allein die Funktion der Phagozytose. Sie verschlingen und ver-
dauen besonders energisch die extravaskulären Erythrozyten, auch
andere degenerierende Zellreste werden von ihnen vernichtet.
Die Fig. 11, die dem verhältnismässig späten Stadium von 15 Tagen
entstammt, zeigt eine Zelle (Phz“), die einen noch gut kennt-
lichen eosinophilen Leukozyten verschlungen hat; in einer anderen
sehen wir einen eosinophilen Leukozyten, der, unter dem Einfluss
der intrazellulären Verdauung, schon fast ganz seine Körnung
und sein Protoplasma verloren hat; auch der Kern ist schon
ganz blass geworden.
138 Wera Dantschakoff:
Schon im fetalen Leben tritt also diese Rolle der Wander-
zellen des Bindegewebes ziemlich deutlich hervor, die natürlich
nicht als ihre einzige Rolle angesehen zu werden braucht — sie
säubern das Gewebe von toten Zellresten. Die Untersuchungen
von Maximow (8) über die Histiogenese der Entzündung haben
für die sogenannten „ruhenden Wanderzellen“ oder die Ranvier-
schen „Klasmatozyten“, die sich, wie wir sehen werden, direkt
von den embryonalen Wanderzellen herleiten lassen, im erwachsenen
Organismus dasselbe bewiesen. Diese Zellen des Bindegewebes
behalten auch im erwachsenen Organismus die ausgesprochene
Fähigkeit, auf jeden Reiz mit Abrundung und Neumobilisierung
zu reagieren und dabei als energische Phagozyten zu funktionieren.
b) Lymphozytoide Wanderzellen.
Was die Iymphoiden Wanderzellen anbelangt, so machen sie,
wenigstens in den früheren embryonalen Entwicklungsstadien des
Mesenchyms, einen ziemlich bestimmten Entwicklungszyklus durch.
Sie entsprechen in histologischer Beziehung vollkommen
denjenigen Lymphozyten, die in dem Gefässnetz der Dottersack-
wand die Rolle von Hämatogonien — der gemeinsamen Stammzelle
für alle Blutzellenarten — spielen. Bis zum 45. Bebrütungstag
haben wir schon die Entwicklung solcher im embryonalen Mesen-
chymblut inselweise auftretenden Zellen verfolgt; wir haben
gesehen, dass sie zuerst, ob sie aus den gewöhnlichen ästigen
Mesenchymzellen oder aus Gefässendothelien entstanden sind, in
gleicher Weise ausschliesslich nur Erythroblasten erzeugen, die
dann ihrerseits, unter energischer Wucherung, grösseren oder
kleineren Herden von typischen Erythrozyten den Ursprung geben.
Später, nach dem vierten Tage, erscheinen diese Gewebs-
Iymphozyten in noch grösseren Mengen, einzeln und gruppenweise
zwischen den Elementen des Mesenchyms, meistens in unmittel-
barer Nähe von Gefässen und vor allem in der Umgebung der
Aorta. Nach fünf, sechs und sieben Tagen bilden sie hier, an
der ventralen Aortenwand, im lockeren Gewebe dichte Infiltrate.
An derselben Stelle findet man ausserdem auch im Lumen der
kleinen Gefässe und Kapillaren ganz ähnliche grosse amöboide
Lymphozyten, die sich hier in grossen Mengen anhäufen und fast
ausschliesslich den Inhalt der betreffenden Gefässe bilden.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 139
Im Gegensatz zu den histiotopen Wanderzellen verteilen
sich die Iymphozytoiden Wanderzellen nicht gleichmässig im
Mesenchym des ganzen Körpers. Man kann sie erstens einzeln
im Gewebe liegend vorfinden: meistens bilden sie aber grössere
Gruppen in verschiedenen Stellen, wie zur Zeit, wo aus ihnen
Erythroblastenherde entstehen. Die Ansammlungen der Iympho-
zytoiden Wanderzellen, die ich jetzt für die etwas späteren
Stadien beschreibe,‘ sind ja auch eigentlich die unmittelbare Fort-
setzung der früheren erythropoetischen Herde, mit dem Unter-
schied, dass sie jetzt nicht nur rote Blutkörperchen, sondern
auch granulierte Leukozyten entstehen lassen. Sie können aus
diesem Grunde als echtes hämatopoetisches Gewebe, als myeloides
Gewebe bezeichnet werden. Dieses Gewebe häuft sich erstens in
der Umgebung der Aorta an, ferner bildet es unter anderem auch
am Halse in dessen kaudalen Partien zwei grosse symmetrische
Ansammlungen. Ausserdem habe ich bemerken können, dass die
(ewebsiymphozyten sich mit besonderer Vorliebe in der nächsten
Umgebung der grossen Nervenstämme und Ganglien ansammeln,
so findet man sie in dicker Schicht an einigen Ganglien der
Gehirnnerven, auch im Raum zwischen Wirbelsäule und Ösophagus
und in der Umgebung der Spinalganglien. Im lockeren Binde-
gewebe zwischen den Muskeln findet man oft kleine Gefässe, die
sowohl im Lumen, als auch aussen an der Wand im Gewebe
zahlreiche Lymphozyten aufweisen. Das hämatopoetische Gewebe
trifft man auch im Unterhautzellgewebe, an den Haarbälgen und
später auch zwischen den Inseln des jungen Fettgewebes. Dorsal
vom Herz, in der Umgebung der grossen Gefässe, in dem Dia-
phragma, in dem sehr lockeren Bindegewebe dorsal am Schlund —
überall finden wir auch diffus zerstreute, mehr oder weniger
bedeutende Ansammlungen davon.
Die Lymphozyten bewahren überall ihre typischen morpho-
logischen Eigenschaften — sie sind also in gewisser Hinsicht
eine Zellart mit sehr konstanten Eigenschaften. Ihre bedeutende
Grösse (bis 10 «) lässt sie im kleinzelligen embryonalen Gewebe
des Hühnchens immer leicht erkennen; ebenfalls sehr typisch ist
das dichte basophile, an D- und E-Az-Präparaten sehr dunkel-
blau gefärbte Protoplasma mit den rundlichen amöboiden Fort-
sätzen. Der grosse, helle, runde Kern erhält manchmai von der
einen Seite eine durch die daneben liegende Sphäre verursachte
140 | Wera Dantschakoff:
Delle. Im Kern ist stets ein grosses Kernkörperchen vorhanden,
welches nach E-Az eine dunkle violettrote Färbung annimmt.
Die Nukleolen stellen dabei gewöhnlich sehr unregelmässig kon-
turierte Schollen augenscheinlich sehr dichter Substanz vor, welche
auch nach anderen Färbungen stets einen anderen Ton annehmen
als das Chromatin. Sie werden meistens von den feinen Chromatin-
teilchen dicht umringt, so dass die Grenzen der beiden Substanzen
bei gewöhnlichen Färbungen schwer zu definieren sind. Zwischen
den verschiedenen Blutelementen konnte ich immer sehr genau
die Form des Kernkörperchens nur an Erythroblastenkernen, so-
wohl in den blutbildenden Gefässen des Dottersacks, als im
zirkulierenden Blut unterscheiden; dort war auch an D- und
E-A-Präparaten die Grenze zwischen Nukleolensubstanz und
Ohromatin immer genau zu definieren, und die Uhromatinteilchen
bildeten gewöhnlich einen ganz regelmässigen, blauen Kranz an
der Peripherie des rubinroten Nukleolus, wie ich es in meiner
letzten Arbeit beschrieben habe.
Sehr deutlich treten diese Beziehungen der Nukleolarsubstanz
und des Chromatins zueinander sowohl in den Lymphozyten, als
auch in den Erythroblasten, kurz in allen Blut- und Bindegewebs-
zellen an nach Mallory für Darstellung der Kollagenfasern
gefärbten Präparaten hervor. Das Kernkörperchen hat einen
intensiven bernsteinfarbigen Ton, erscheint nach dieser Methode
immer kugelrund und ist von dem blauen Kranz der Chromatin-
mikrosomen sehr scharf abgegrenzt. Die eckige und unregel-
mässige Form, welche das Kernkörperchen nach E-Az- oder
D-Färbung erhält (Fig. 1--3) hängt augenscheinlich davon ab,
dass dabei die Nukleolensubstanz und das Chromatin nicht voll-
kommen. differenziert werden und beide Substanzen teilweise zu
verschmelzen scheinen.
Die beschriebenen zelligen Elemente der extravaskulären
Blutbildungsherde im Mesenchym stellen also dieselben Zellen vor,
welche in den blutbildenden Gefässen des Dottersackes bei ihrer
Entwicklung die Blutelemente lieferten. Auch im embryonalen
Bindegewebe entwickeln sie sich in derselben Richtung. Wie sie
sich in hämoglobinhaltige Zellen verwandeln, darüber habe ich
bereits gesprochen, als ich die Blutbildungsherde in den frühesten
Stadien behandelte. Ungefähr vom 5. Tage an schlägt aber ein
Teil der extravaskulären Lymphozyten eine neue Entwicklungs-
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 141
richtung ein, sie differenzieren sich zu typischen Myelozyten.
Dabei erleidet zugleich sowohl der Kern, als auch das Protoplasma
bestimmte Veränderungen.
Im Zellleib, in welchem schon früher eine Sphäre zu be-
merken war, tritt dieselbe jetzt besonders deutlich hervor; sie
drückt die Kernmembran seitlich ein. Im Protoplasma aber
tauchen zuerst unmittelbar an der Peripherie der Sphäre feinste
runde azidophile Körnchen auf. Dabei wird die Basophilie des
Protoplasmas schwächer. Die Körnchen erscheinen nach D- oder
E-Az-Färbung nicht immer von gleicher Grösse und sind nicht
immer gleichmässig verteilt. Sie bilden meistens kleine Gruppen,
die von hellen Höfen umgeben werden. Die Grösse und die Zahl
der Granula stehen in keiner sichtbaren Beziehung zueinander;
manchmal findet man Zellen mit spärlichen grossen Körnern, andere
haben wieder zahlreiche und sehr feine. Der Kern der jungen
Myelozyten bietet auch gewisse Besonderheiten. Die Chromatin-
menge wächst an, während die Nukleolen kleiner werden. Vor
dem endgültigen Verschwinden zerteilen sich die letzteren oft in
2—3 kleinere, nach Mallory-Färbung stets runde Körperchen.
Das Chromatin erscheint gewöhnlich in Form von kleinen Schollen,
die oft der Kernmembran eng anliegen und mittels feiner Fäden
mit anderen Chromatinpartikelchen verbunden sind.
Es ist schwierig, zu einem bestimmten Schlusse über die
Natur der ersten Körnchen zu gelangen. In letzter Zeit lehrt
Weidenreich, dass die azidophile Körnung in den Lymphozyten
aus verschlungenen zerfallenen Erythrozyten entsteht. Hierzu
möchte ich bemerken, dass das Studium der Bildung der ersten
Granulozyten sowohl im Dottersack (Dantschakoff |2]), als
auch im Körpermesenchym des Hühnchens uns keine Anhalts-
punkte zu einer solchen Annahme gibt. Im Dottersack, wo die
Erythro- und Granulopoese lokal völlig getrennt verlaufen, ist es
in der Tat sehr leicht, das Fehlen jedweder Beziehungen zwischen
der Phagozytose degenerierender Erythrozyten und der Bildung
azidophiler Granulozyten zu beweisen. Die letzteren entstehen
hier ja ausschliesslich extravaskulär, wo man sowohl normale, als
auch zerfallene Erythrozyten vermisst. Man könnte hier höchstens
daran denken, dass das Hämoglobin der intravaskulär zugrunde
gehenden Erythrozyten durch die (Gefässwand hinausdiffundiert
und von den extravaskulären Wanderzellen aktiv aufgenommen
142 Wera Dantschakoff:
und zu azidophilen Körnern verarbeitet wird, — eine sehr un-
wahrscheinliche Voraussetzung. Bei der Bildung der Myelozyten
im Körpermesenchym findet man nun, wie wir gesehen haben,
sowohl Erythro- als auch Granulopoese ; die extravaskulär ent-
standenen Hämoglobinzellen gehen in der Tat zugrunde und
werden von freien, phagozytierenden Elementen verschlungen.
Auch hier ist es aber unmöglich, irgendwelche Beziehungen zwischen
dieser Phagozytese zerfallender Hämoglobinzellen und der Myelo-
zytenbildung zu konstatieren. Die Ausarbeitung der azidophilen
Körnchen beginnt stets mit dem Auftreten sehr spärlicher, äusserst
feiner Granula. die sich um die Sphäre herum anordnen, in nicht
phagozytierenden Zellen. Die Phagozyten hingegen verschlingen
und häufen in ihrem Körper sehr zahlreiche und grosse Erythro-
zyten an, die im Protoplasma dann allmählich die oben be-
schriebenen Zerfallserscheinungen durchmachen, sich aber niemals
in die runde azidophile Körnung der Mvelozyten oder stäbchen-
förmige der Leukozyten verwandeln. Endlich gibt uns auch die
Anwendung verschiedener anderer Methoden zum Studium der-
selben Körnung sehr deutliche Beweise dafür, dass die letztere
mit dem hämoglobinhaltigen Protoplasma der Erythrozyten nichts
gemeinsames hat. Wenn man den Embryo mit Alkohol fixiert,
so wird das Hämoglobin gewöhnlich aus den Erythrozyten aus-
gelaugt. Die üblichen Hämoglobinfärbungen gelingen deswegen
nicht. Die Myelozytenkörnung bleibt hingegen wenigstens beim
Embryo ziemlich gut erhalten und nimmt bei Thioninfärbung
einen intensiven, etwas metachromatischen, braunrötlichen Ton an.
Besonders gut lässt sich an Alkoholpräparaten die Körnung gerade
in den jüngsten Myelozyten darstellen, also dort, wo sie, Ihrem
chemischen Charakter nach, dem Hämoglobin doch gerade noch
am nächsten stehen sollte. Durch ihre mikroskopischen Farben-
reaktionen unterscheidet sich also die azidophile Körnung auch
sehr scharf vom hämoglobinhaltigen Protoplasma der Erythrozyten.
Die Fähigkeit der jungen azidophilen Körnung, sich mit
Thionin metachromatisch zu färben, ist sehr beachtenswert. Auch
mit Cresylechtviolett lässt sich eine mehr oder weniger deutliche
metachromatische Tinktion der meisten jungen Körner erzielen.
Diese Tatsachen geben uns, wie wir sehen werden, einen gewissen
(rund, die erste azidophile Körnung der Myelozyten des Hühnchens
mit der später entstehenden Mastzellenkörnung zu vergleichen.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 143
Die Verwandlung der Iymphozytoiden Wanderzellen in
gekörnte Myelozyten ist im Körpermesenchym sehr verbreitet;
sie geschieht überall in derselben Weise und führt überall zur
Bildung gekörnter Leukozyten. Wie wir aber die Erythropoese
im Mesenchymgewebe in vielen Fällen etwas typische Wege gehen
sahen, — ausser der regelmässigen, intravaskulären, gibt es auch
eine abortive, extravaskuläre, — so kann man dasselbe auch von
der Granulopoese sagen, auch sie weist öfters eine ungewöhnliche
atypische Lokalisation auf.
Ich habe bereits erwähnt, dass in der Umgebung der Aorta
und an manchen anderen Stellen sich grössere und kleinere
Gefässe finden lassen, deren Inhalt fast ausschliesslich aus grossen
Lymphozyten besteht. Ein ähnliches Gefäss ist auf der Fig. 5
dargestellt; auch auf Fig. 7 sieht man einen Teil eines solchen
Gefässes mit dem anliegenden Mesenchym.
Das Gefäss auf der Fig. S ist vollkommen ausgefüllt mit
grossen runden basophilen, etwas amöboiden Zellen, die einer-
seits der inneren Oberfläche der Gefässwand aufs Innigste anliegen,
andererseits durch gegenseitigen Druck fast polygonal geworden
sind. Es sind die typischen, uns schon bekannten Lymphozyten.
Das betreffende Gefäss lag lateral vom kranialen Teil der Aorta.
Von der Wand derselben löst sich ferner eine sich in einen
amöboiden Lymphozyt verwandelnde Endothelzelle (Ed’) ab und
kriecht ins Gewebe; in unmittelbarer Nähe des Gefässes, sowie
in einiger Entfernung von ihm liegen ebenfalls ganz ähnliche
Lymphozyten im Mesenchym zerstreut (@ Lmz). In einem Teil
dieser extravaskulären Lymphozyten sieht man nun Anhäufung
azidophiler Granula (Mlz); die jungen Myelozyten sind ebenso
amöboid, wie die Lymphozyten und unterscheiden sich von ihnen
eben nur durch die Anwesenheit der spezifischen Körnung.
Das Gefäss auf Fig. 7 ist ebenfalls mit Lymphozyten an-
gefüllt; unter ihnen bemerkt man aber auch eine Hämoglobinzelle
(Erz). Die grossen basophilen Lymphozyten wuchern energisch,
man sieht in ihnen viele Mitosen (G Lmz). Man erkennt ferner
sehr deutlich, dass die Lymphozyten in innigen Beziehungen zu
der Endothelwand stehen, — von den letzteren lösen sich amö-
boide Lymphozyten ab oder sie kriechen durch dieselbe hin-
‚durch (Ed‘).
144 Wera Dantschakoff:
Auf dieser Zeichnung ist aber deutlich zu sehen, dass der
Inhalt des Gefässes aus zwei Arten von Zellen besteht. Die eine
Art, die sich im gegebenen Fall sogar in der Minderzahl befindet,
stellt gewöhnliche Lymphozyten vor (G Lmz). Die übrigen Zellen
entsprechen in allen Beziehungen Lymphozyten, mit einer einzigen
Ausnahme, — sie enthalten azidophile Körnchen. Es sind also
junge azidophile Myelozyten (Mlz). Wir haben also in diesem
Fall eine intravaskuläre Entstehung von Myelozyten aus Lympho-
zyten vor Augen. Auf der Fig. 7 ist klar zu sehen, dass dieser
Prozess im Gefässlumen in ganz derselben Weise verläuft, wie
ausserhalb der Gefässe, im Gewebe.
Für die Tatsache, dass in einigen Körperstellen die Myelozyten
sowohl extra- als auch intravaskulös entstehen, kann man, wie
mir scheint, eine Erklärung in den Existenzbedingungen der
Zellen finden. Einen Unterschied in den Existenzbedingungen
einer gegebenen Zelle, je nachdem sie innerhalb oder ausserhalb
eines (sefässes liegt, finden wir schon in dem Umstande, dass im
ersten Fall ein konstanter Blutstrom vorhanden ist, im zweiten
aber nicht. Als eine für die Entstehung eines granulierten Mye-
lozyten aus einem Lymphozyten notwendige Bedingung könnte man
nun gerade das Fehlen der passiven Bewegung der Zellen betrachten.
Der Lymphozyt verwandelt sich in einen Myelozyten überall dort,
wo er ruhig und selbständig zwischen anderen Gewebselementen
liegt. So geschieht es in der Dottersackwand, deren Gefässe
aussen von grossen Massen von Myelozyten und Leukozyten um-
hüllt erscheinen. So geschieht es im Körpermesenchym, wo die
frei zwischen den übrigen, fixen Zellen extravaskulär liegenden
Ivmphozytoiden Wanderzellen sich ebenfalls in Myelozyten ver-
wandeln. Wenn wir endlich unser Augenmerk auf die Gefässe
mit innerhalb des Lumens aus Lymphozyten entstehenden Myelozyten
richten, so können wir, meiner Meinung nach, schliessen, dass die
Lymphozyten sich hier wahrscheinlich unter denselben Existenz-
bedingungen befinden, wie im Gewebe, ausserhalb der Gefässe,
denn eine ähnliche Entwicklungsrichtung im Lebenszyklus der
intravaskulären Lymphozyten wird eben nur in solchen Gefässen
gefunden, die von grossen Zellen ganz verstopft sind. Es ist in
der Tat kaum anzunehmen, dass in Gefässen, wo die im Lumen
befindlichen Zellen so eng beisammen liegen, dass sie sich gegen-
seitig abplatten, eine passive Bewegung derselben durch den Blut-
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 145
strom stattfindet; es ist wahrscheinlicher, dass in einem solchen
Fall im Lumen dieselben Bedingungen herrschen, wie ausserhalb
der Gefässbahn im Gewebe und dadurch ist es eben zu erklären.
dass die Lymphozyten sich hier zu Granulozyten entwickeln. Gewiss,
auch im Gefässnetz des Dottersacks fanden sich mit Lymphozyten
dieht ausgefüllte Gefässstrecken, ohne dass man darin Myelozyten
konstatieren konnte. Aber in diesem Fall war es doch immer
möglich, im Zentrum des Gefässlumens auch hämoglobinreiche
Erythrozyten zu konstatieren, und aus der Zirkulation sind also
diese Gefässabschnitte sicher nicht völlig ausgeschaltet gewesen, —
wir haben also auch keinen Grund, zu erwarten, dass dort Granulo-
zyten entstehen. Anders in den oben beschriebenen von Lympho-
zytenmassen vollkommen verstopften Gefässen im Körpermesenchym,
— hier stockt jede Zirkulation vollkommen, — und aus den
Lymphozyten entstehen Myelozyten.
Wenn wir uns also auf den Standpunkt stellen, dass zur
Entwicklung eines Lymphozyten in der Richtung der Granulo-
poese Ausschluss der,passiven Bewegung mit dem Blutstrom nötig
ist, dann werden uns auch die scheinbaren Ausnahmen aus der
allgemeinen Regel verständlich, — intravaskuläre Granulopoese
an einigen bestimmten Stellen im Embryokörper.
Schwieriger ist es, die extravaskuläre Erythropoese im
embryonalen Mesenchym zu erklären. Hier könnte man bloss
die Vermutung äussern, dass diese extravaskuläre Erythropoese
entweder einer ähnlichen Erscheinung bei den niederen Wirbel-
tieren entspricht oder den ersten Anlauf zur extravaskulären
Erythropoese vorstellt, wie man sie beim Säugerembryo konstatiert.
Obwohl die Entwicklungsprozesse der grossen Lymphozyten
in den Blutbildungsherden im Mesenchym durchaus in derselben
Weise verlaufen, wie wir es schon im Dottersack gesehen haben,
sind die Endschicksale ihrer verschiedenen Differenzierungsprodukte
doch ganz andere. Wir haben gesehen, dass die extravaskulären
neugebildeten, zwischen den Mesenchymelementen frei liegenden
Erythrozyten keine grosse Lebensfähigkeit besitzen. Sie verfallen
entweder einer sehr raschen selbständigen Degeneration oder werden
von Phagozyten zerstört. Von den extravaskulären Myelozyten
kann man ähnliches nicht behaupten; sie bieten niemals Anzeichen
degenerativer Veränderung dar. Im Gegenteil, sie vermehren
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 10
146 Wera Dantschakoff:
sich erstens selbst sehr energisch; ferner entwickeln sie sich
weiter in regelrechter Weise. Es ist eine Leichtigkeit, besonders
in den späteren Stadien in dem Gewebe zwischen den Fettläppchen
ihre weitere Verwandlung in typische reife granulierte Leukozyten
zu verfolgen.
Bisher habe ich bei der Beschreibung der Entwicklung des
Mesenchyms das Hauptaugenmerk auf das Auftreten neuer Zell-
arten gerichtet. Wir haben gesehen, dass die in dieser Beziehung
wichtigste Erscheinung die Entstehung freier isolierter Zellen im
netzartigen Mesenchymgewebe war. Die allgemeine morphologische
Grundeigenschaft aller dieser verschiedenen freien Zellen (histiotope
und Iymphozytoide Wanderzellen, Erythrozyten, Myelozyten, Leuko-
zyten) ist ihre Isoliertheit von den fixen, netzartig verbundenen
Gewebselementen.
Unter diesen verschiedenen Zellformen haben die einen eine
nur kurze Existenzdauer und ‚verschwinden bald, während die
anderen zu integrierenden Bestandteilen des lockeren Bindegewebes
werden. Zu der ersten gehören vor allem die Hämoglobinzellen, —
die Erythrozyten, die im Mesenchym in grossen Mengen bis zum
Schluss des fetalen Lebens vorkommen, zum Moment des Aus-
schlüpfens des Hühnchens aber infolge von Phagozytose seitens
anderer Zellen fast vollständig verschwinden. Zu den zweiten
gehören die verschiedenen indifferenten Wanderzellarten, — die
Iymphozytoiden und die histiotopen Wanderzellen; sie verschwinden
nicht, sondern bleiben für immer auch im lockeren Bindegewebe
des erwachsenen Organismus. Sie erleiden dabei nur gewisse
Veränderungen in ihrer Struktur, worüber später die Rede
sein wird.
Schon in sehr frühen Entwicklungsstadien bereichert sich
also das Mesenchym durch eine neue konstante und überaus
wichtige Zellart. Schon nach fünf bis sechs Tagen besteht dieses
Gewebe aus zwei wohlcharakterisierten Zellarten, — einerseits
den typischen, durch Ausläufer netzartig miteinander verbundenen
fixen Bindegewebszellen, andererseits den freien wandernden
Elementen in ihren verschiedenen Formen, — den Lymphozyten,
den histiotopen Wanderzellen, den Myelozyten und den reifen
eosinophilen Leukozyten.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 147
IV. Das erste Auftreten von Fibroblasten
im Mesenchym.
Parallel mit der Abspaltung gewisser besonderer Zellarten
vom Grundstock des indifferenten netzartigen Mesenchymgewebes
treten allmählich auch in den Zellen des letzteren selbst qualitative
Veränderungen auf, die mit der Ausarbeitung der faserigen
kollagenen Zwischensubstanz zusammenhängen.
Die Frage über die Art und Weise der Entstehung der
kollagenen Zwischensubstanz ist bekanntlich schon von alters her
von den verschiedenen Forschern in verschiedenem Sinne beant-
wortet worden. Es werden zwei hauptsächliche Standpunkte auf-
gestellt; nach dem einen sollten die Kollagenfasern selbständig,
unabhängig von den Zellen in der Interzellularsubstanz entstehen ;
nach dem anderen stellten sie das Differenzierungsprodukt des
Zellprotoplasmas selbst vor.
In meinem Objekt, dem embryonalen Mesenchym des
Hühnchens, wird das Gewebe in den frühesten Stadien, wie schon
gesagt, von sehr polymorphen, miteinander durch protoplasmatische
Ausläufer verbundenen Zellen gebildet. Sie bringen dadurch ein
gemeinsames Netz zustande, in dessen Knotenpunkten die Kerne
mit den sie umgebenden polygonalen Protoplasmamassen die Zell-
leiber repräsentieren. In den Räumen zwischen den Zellen konnte
ich in den frühesten Stadien bis zum vierten bis fünften Tage
mit keiner von den von mir gebrauchten Methoden irgendwelche
Struktur nachweisen. Die an den Präparaten ganz hellen durch-
sichtigen Interzellularräume müssen intra vitam mit einer Substanz
ausgefüllt sein, die bei der Bearbeitung des Objektes extrahiert
oder gelöst wurde. Nur an einigen Stellen konnte man die An-
wesenheit einer feinkörnigen Masse konstatieren, die ich für
Fällungen halte, welche durch Wirkung von Reagentien in einer
Eiweisslösung erzeugt worden sind.
Die erste Bildung von Kollagenfasern geschieht nicht überall
im Mesenchym ganz gleichmässig; sie tritt am frühesten und
deutlichsten in denjenigen Körperteilen des Embryo hervor, wo
das Gewebe ein lockeres Gefüge besitzt und wo seine Zellen
nicht mehr intensiv wuchern. Die letzteren sind untereinander
durch lange protoplasmatische Ausläufer verbunden, die sich an
vielen Stellen verzweigen und dermaßen verdünnen, dass sie als
10*
148 Wera Dantschakoff:
feine wellenförmige Fibrillen erscheinen. Die Bildung der Kollagen-
fasern lokalisiert sich, soweit man es mit Hilfe der Mallory-
schen (7) Methode verfolgen kann, am Anfang hauptsächlich
gerade im Bereich der Ausläufer der Zellen, verläuft aber im
übrigen nicht immer in ganz gleicher Weise. Dort, wo die Zellen
besonders weit voneinander liegen, werden ihre Ausläufer so dünn,
dass sie ein feines Netz bilden, welches sich von den Zellleibern
allmählich scheinbar ganz loslöst. Dort, wo die Zellen näher
aneinander gelagert erscheinen, gelingt es, die Bildung der ersten
Kollagenfasern im Protoplasma der Zellausläufer selbst zu ver-
folgen. Am schärfsten treten sie in den von den Zellleibern
entfernteren Teilen der Ausläufer hervor. In der Richtung nach
dem Zellleibe der Zelle werden sie weniger deutlich, sie ver-
schwimmen hier und verlieren sich allmählich im Zellprotoplasma.
An einigen Zellausläufern sieht man die Kollagenfasern hart am
Rande derselben auftreten, sodass hier das Protoplasma von feinen
scharfen Konturlinien umsäumt erscheint. In der Folge isolieren
sich solche Fibrillen vom Protoplasma, sie spalten sich von ihm
gewissermaßen ab. In manchen Fällen zerfällt die ganze Masse
eines Zellausläufers in einen Strang parallel verlaufender und
wellenförmig gebogener Fibrillen. Nach der Abspaltung vom
Protoplasma der Zellausläufer werden die einzelnen Fibrillen und
die von mehreren Fibrillen gebildeten Stränge selbständig; durch
den Druck der Nachbarorgane werden sie zusammengeschoben
und zu dickeren und dünneren bandförmigen Bündeln vereinigt,
in denen die Fibrillen mehr oder weniger parallel angeordnet sind.
Die Zeichnung 4 stellt eine kleine Zellgruppe aus dem
Mesenchym eines siebentägigen Embryo vor, in welcher der Prozess
der Fibrillenbildung sehr intensiv verläuft. Im Präparat, welches
nach Mallory gefärbt ist, sehen wir Zellen mit zahlreichen Aus-
läufern. Die grossen ovalen, mit Kernkörperchen !) versehenen
Kerne enthalten spärliche blasse Chromatinteilchen und sind von
einer ziemlich dieken Schicht basophilen dichten Protoplasmas
umhüllt, welches an den meisten Stellen feinretikulär oder leicht
!) Auf der Zeichnung 4 sind die Nukleolen mit der für E-Az- oder
D-Präparate charakteristischen violetten Farbe dargestellt, statt der bern-
steingelben, in welcher sie sich in Wirklichkeit in Mall.-Präparaten präsen-
tieren. Dies ist getan worden, um die Zahl der Farbentöne in den Tafeln
nicht zu erhöhen.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 149
körnig erscheint. Von dieser zentralen Protoplasmamasse, in der
man, abgesehen von ihrer äussersten Oberfläche, keine fibrilläre
Struktur bemerkt, entspringen die Ausläufer, an denen man den
eben beschriebenen Prozess der Fibrillenbildung leicht verfolgen
kann. Der grösste Teil derjenigen Fibrillen oder vielmehr der
Fibrillenbänder ist hier noch nicht selbständig, sondern mit dem
Zellprotoplasma innig verbunden, was der beste Beweis dafür ist,
dass die Kollagenfasern selbst in besonderer Weise differenziertes
Protoplasma vorstellen. Das nächste Moment in der Entwicklung
der Fibrillen ist ihre Isolierung vom Zellprotoplasma.
In der den Kern unmittelbar umgebenden Protoplasmamasse
werden Fibrillen nicht produziert. Es ist derjenige Teil der Zelle,
der die an der Peripherie zur Fibrillenbildung aufgebrauchten
Protoplasmaschichte fortwährend ersetzt. Er bleibt für das ganze
Leben der betrefienden Zelle unverändert erhalten, vom embryo-
nalen Zustande an bis in den erwachsenen Organismus.
Die erste Fibrillenbildung beobachtet man, wie gesagt, im
Laufe des 6.—7. Tages der Bebrütung. Etwas früher, am 4. bis
5. Tage, spaltet sich, wie wir gesehen haben, vom Mesenchym
der Stamm der freien wandernden Zellen ab, der mit der Zeit
eine selbständige Entwicklungsrichtung und Bedeutung erhält.
Es fragt sich nun, in welcher Beziehung zueinander stehen
die beiden beschriebenen Prozesse? Verlaufen sie im folgenden
parallel und unabhängig voneinander, spaltet sich also das
Mesenchym zu dieser Zeit in zwei verschiedene Zellstämme mit
selbständiger Entwicklung oder behalten die Mesenchymzellen
auch weiterhin für eine bestimmte Zeit die Fähigkeit, sich in den
zwei angegebenen Richtungen zu differenzieren? Es wäre auch
zu entscheiden, ob die Mesenchymzellen, die schon angefangen
haben, kollagen auszuarbeiten, noch fähig sind, sich in freie,
selbständige, wandernde Elemente zu verwandeln und, wenn
dies der Fall ist, ob dieser Prozess der Wanderzellenbildung
dann in derselben Weise verläuft, wie bei dem ersten Auftreten
der Wanderzellen ?
Ich habe bereits geschildert, wie sich die Mesenchymzellen
in den frühen Entwicklungsstadien in Wanderzellen zweierlei Art
verwandeln, in die histiotopen und in die Iymphozytoiden. Die
Produktion der letzteren geht bald auf das Gefässendothel über
und bleibt im folgenden nur auf dasselbe lokalisiert, während
150 Wera Dantschakoff:
die gewöhnlichen fixen Zellen des netzigen Mesenchyms histiotope
Wanderzellen zu produzieren fortfahren. Die Zahl der letzteren
wächst immerfort, einerseits infolge ihrer selbständigen inten-
siven Wucherung, andererseits infolge fortdauernder Abrundung
immer neuer und neuer gewöhnlicher Mesenchymzellen. Diese
Abrundung beobachtet man an vielen Körperstellen, obwohl zu
gleicher Zeit, ungefähr vom 6. Tage an, in verschiedenen Bezirken
des Mesenchyms auch kollagene Fasern ausgearbeitet werden.
Diese beiden Prozesse verlaufen also im Gewebe parallel und
gleichzeitig. Es ist natürlich schwer zu sagen, ob eine Zelle,
welche kollagen schon ausgearbeitet hat, auch wieder selbst frei
und mobil werden kann. Wir haben gesehen, dass in den Zellen,
die Kollagenfasern erzeugen, um den Kern herum doch stets eine
mehr oder weniger dicke Schicht feingranulierten undifferenzierten
Protoplasmas erhalten bleibt, die sich fortwährend regeneriert,
und als Quelle der formativen Zelltätigkeit dient. Ob nun diese
Mesenchymzellen, diese primitiven Fibroblasten, dank der An-
wesenheit der erwähnten Protoplasmaschicht die Fähigkeit be-
wahren, sich in Wanderzellen zu verwandeln, oder ob im Mesen-
chym besondere indifferente Elemente verbleiben, die allein dessen
fähig sind, diese Frage ist für mich offen geblieben. Jedenfalls
habe ich die Tatsache feststellen können, dass der Prozess der
Neuentstehung von Wanderzellen aus fixen Elementen beim
Hühnchen in vielen Stellen des Bindegewebes bis in die spätesten
Stadien der Bebrütung konstatiert werden kann; dass also im
lockeren Bindegewebe solche Elemente persistieren, die die Fähig-
keit zu dieser Verwandlung in vollem Maße besitzen.
V. Weitere Differenzierungsprozesse der Wander-
zellen; das Auftreten von kleinen Lymphozyten.
Wenn wir das lockere Bindegewehe des Hühnchens in den
späteren Stadien der Bebrütung genau untersuchen, so können
wir weitere Entwicklungsprozesse an den Wanderzellen verfolgen.
Die speziell für das lockere Bindegewebe so charakteristischen
ubiquitären histiotopen Wanderzellen behalten ihren charakte-
ristischen Polymorphismus. Bloss am Kern dieser Wanderzellen
bemerkt man gewisse, für die späteren Stadien charakteristische,
beständige Veränderungen, die sich aber nicht nur auf die Kerne
der Wanderzellen allein beziehen und für diese letzteren also
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 151
nicht spezifisch sind. Sie bestehen in der Vergrösserung der
Chromatinmenge auf Kosten der Nukleolarsubstanz. Dieser Pro-
zess scheint überhaupt für ältere, weiter differenzierte Zellen
typisch zu sein. So verliert der grosse Lymphozyt den Nukleolus
und sein Kern wird chromatinreicher, wenn er. sich zu einer
Hämoglobinzelle differenziert; dasselbe beobachtet man bei der
Granulozytenentwicklung; dasselbe ist nun auch für die Wander-
zellen des lockeren Bindegewebes bei deren weiterer Entwicklung
charakteristisch. Das Kernkörperchen zerfällt und zerschmilzt,
während das Chromatin im Gegenteil immer grössere und dichtere
Schollen bildet, die sich im Kerninnern ziemlich. gleichmässig
verteilen. Der Kern selbst büsst dabei sehr oft seine mehr oder
weniger regelmässige Form ein, bekommt tiefe Einkerbungen
und Einsenkungen.
Die Fig. 5 stellt eine Gruppe von Zellen aus dem lockeren
Bindegewebe zwischen den verschiedenen Muskelschichten der
hinteren Extremität eines 17 tägigen Embryo vor und illustriert
das Gesagte. Die Zelle Fbl ist ein typischer Fibroblast mit
vielen Ausläufern, in welchem ziemlich deutlich die Kollagen-
fibrillen hervortreten. Der ovale Kern mit den feinen Chromatin-
teilchen ist auch sehr charakteristisch. Die daneben liegende
Zelle (x) stellt ein Übergangsstadium von einer ästigen, fixen
Zelle zu einer freien Wanderzelle vor; einerseits besitzt sie
mehrere Ausläufer, andererseits hat ein grosser Teil ihres Proto-
plasmas seine gewöhnliche retikuläre Struktur verloren und
erscheint von zahlreichen Vakuolen durchsetzt, die ganz ebenso
aussehen, wie die Vakuolen in den daneben liegenden echten
freien Wanderzellen. Ausserdem besitzt die Zelle einige kleine
amöboide Fortsätze, die in anderen Fällen auch länger sein
können und durchaus den Eindruck von Ausläufern machen, die
sich von den anderen isolieren und kontrahieren. Der längliche
Kern dieser Zelle ist auch noch vollständig einem Fibroblasten-
kern ähnlich. Endlich befindet sich neben der beschriebenen
Zelle noch eine Gruppe von anderen, die uns sehr deutlich den
‘weiteren Verwandlungsprozess der oben beschriebenen Zellen zu
echten freien Wanderzellen demonstrieren.
Ich habe schon früher erwähnt, dass die histologische
Struktur der histiotopen Wanderzellen des Mesenchyms nicht
immer gleich ist. In den einen Fällen ist ihr Protoplasma
152 Wera Dantschakoff:
dichter, in den anderen lockerer, sie können eine sehr ver-
schiedene Anzahl von Vakuolen enthalten, auch ihre Pseudopodien
können im Aussehen und Anzahl variieren, manchmal sind sie
spitz und erinnern an Igelstacheln, manchmal sind sie abgerundet
oder sogar tropfenförmig, sodass das Protoplasma an der Zell-
peripherie wie zerspritzt erscheint; endlich können die Pseudo-
podien auch ganz fehlen, wobei die Zellperipherie nur geringe
Unebenheiten aufweist.
In dem eben beschriebenen Präparat (Figur 5) waren die
Wanderzellen zwischen den Muskeln der hinteren Extremität in
grosser Anzahl vorhanden und sämtlich stark vakuolisiert. In
solchen vakuolisierten Wanderzellen kann man mitunter im Zell-
leib oft deutlich zwei Zonen unterscheiden, die voneinander durch
eine ziemlich scharfe Linie abgegrenzt sind. Die innere, den
Kern umgebende Plasmazone ist meistens dichter, und wenn der
ganze Zellleib von Vakuolen durchsetzt ist, so sind die letzteren
hier feiner und von dickeren, aus dichter Zellsubstanz bestehenden
Scheidewänden begrenzt. Die äussere Zone enthält grössere
Vakuolen, erscheint infolgedessen wabig und entsendet an ihrer
äusseren Oberfläche meistens ziemlich lange fadenförmige Aus-
wüchse, die an ihren Enden oft auch kleine Vakuolen tragen.
Wie aus dieser Schilderung hervorgeht, gelingt es an vielen
‚Stellen des lockeren Bindegewebes den Übergang der fixen Zellen
in Wanderzellen bis in die spätesten Stadien der Bebrütung zu
verfolgen.
Zu gleicher Zeit bemerkt man tiefgreifende Veränderungen
an der anderen Art der Wanderzellen, — an den grossen Lym-
phozyten. In den vorgerückten Entwicklungsstadien, nach zehn bis
zwölf Tagen, sind sie im Bindegewebe viel seltener geworden.
Das hängt nun davon ab, dass sie sich erstens auf die oben
beschriebene Weise in Myelozyten und weiter in azidophile Leuko-
zyten verwandelt haben, zweitens aber sich allmählich zu einer
neueren Zellform differenzieren, die im Embryokörper fast gleich-
zeitig und überall dort auftaucht, wo sich in späteren Stadien
das Iymphoide Gewebe ansammelt. Solche Stellen sind beim’
Hühnchen die Thymus, das Knochenmark und das ubiquitäre
lockere Bindegewebe selbst.
Die ausführliche Beschreibung der Differenzierungsprozesse
der verschiedenen Zellformen in den beiden genannten blut-
A
W)
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 15
bildenden Organen behalte ich mir für eine andere Arbeit vor;
hier will ich bloss erwähnen, dass an den angegebenen Stellen
beim Hühnchen eine neue typische Zellform produziert wird, —
die kleinen Lymphozyten. Den ersten Platz in dieser Beziehung
nimmt die Thymus ein, dann folgt das lockere Bindegewebe, das
Knochenmark und vielleicht auch die Milz, — überall entstehen
kleine Lymphozyten aus grossen.
Bei diesem mit fortdauernder Wucherung einhergehenden
Differenzierungsprozess erleidet sowohl der Zellleib, als auch der
Kern bestimmte Veränderungen. Das basophile Protoplasma,
welches im grossen Lymphozyt um den Kern herum doch einen
ziemlich breiten Saum bildete, nimmt stark an Masse ab und
wird auf einen ganz schmalen, aber ungleichmässigen Saum re-
duziert, der in vielen Zellen deutliche Pseudopodien entsendet.
Besonders tiefgreifende Veränderungen erleidet der Kern, — er
bleibt rund, oder erhält leichte Einkerbungen und verkleinert
sich immer sehr bedeutend, wovon auch naturgemäss die Ver-
kleinerung der ganzen Zelle abhängt. In sehr typischer Weise
erscheint dabei das Chromatin angeordnet: es bildet grosse, im
optischen Schnitt dreieckige Schollen, die mit der einen Seite
meistens der Kernmembran anliegen, während ein Kernkörperchen
fehlt. Die Chromatinstückchen sind miteinander gewöhnlich
durch dünne Fortsätze verbunden. Dieser Chromatinreichtum
des Kerns und die geschilderte Verteilung des Chromatins sind
für die kleinen Lymphozyten typisch.
Im Stadium von elf bis zwölf Tagen erscheinen die kleinen
Lymphozyten beim Hühnerembryo im lockeren Bindegewebe zuerst
in einzelnen Exemplaren. Im lockeren Bindegewebe des jungen
und erwachsenen Huhnes sind sie aber stets in sehr grossen
Mengen als konstante Bestandteile vorhanden.
Die differenzierende Entwicklung der grossen Lymphozyten
zu den kleinen wird durch Fig. 12 illustriert. Hier ist ein
Gewebsabschnitt aus der Thymus dargestellt, wobei auch die
erste Entstehung von Mastzellen zu sehen ist. Neben einem
typischen grossen Lymphozyten, dessen Kern zwei miteinander
verbundene Nukleolen enthält (G Lmz), liegen Zellen, welche die
verschiedenen Übergangsformen vom grossen Lymphozyt zum
kleinen vorstellen. Die Zelle Lmz‘ besitzt noch ziemlich viel
Protoplasma, der Kern enthält noch Nukleolen, seine Chromatin-
154 Wera Dantschakoff:
teilchen sind aber schon grösser geworden. .Die Zelle Lmz’’ ist
selbst noch ziemlich umfangreich, die Protoplasmamasse hat aber
schon bedeutend abgenommen, während man im Kern schon eine
ganz typische Verteilung der Chromatinschollen bemerkt; dem
Typus des grossen Lymphozyten nähert sich diese Zelle in der
Beziehung, dass der Kern noch ziemlich umfangreich ist und
noch ein Kernkörperchen enthält.
Auf ganz analoge Weise, wie in der Thymus, geschieht die
Differenzierung der kleinen Lymphozyten aus den grossen auch
im diffusen lockeren Bindegewebe. Hier fängt ihre Bildung
ziemlich spät an, nach zehn bis zwölf Tagen; dem histologischen
Charakter nach entsprechen sie aber vollkommen den kleinen
Lymphozyten in der Thymus. Ihre Entwicklung ist hier bloss
schwieriger zu verfolgen, als in der Thymus, wo man bei der
sehr grossen Zahl der Lymphozyten auf einem begrenzten Raum
alle möglichen Übergangsformen viel leichter finden kann.
Die kleinen Lymphozyten im lockeren Bindegewebe sind
auch sehr kleine Zellen von 3—4—5 u im Durchmesser und
besitzen ebenfalls einen sehr chromatinreichen Kern und einen
sehr schmalen Protoplasmasaum. Sie sind am 11. bis 13. Tage
der Bebrütung noch verhältnismässig selten; zum Schluss der
Bebrütungsperiode erlangen sie aber eine sehr weite Verbreitung.
Man findet sie zu dieser Zeit in grossen Mengen überall im
Unterhautzellgewebe in der Umgebung der grossen Gefässe, in
der Umgebung der Haarbälge, in der Haut und in den Schichten
des lockeren Bindegewebes zwischen den Muskeln. Sie sind
sowohl einzeln, als auch in grösseren Gruppen verteilt. Hin und
wieder begegnet man auch Stellen, wo eine unzweifelhafte
Emigration der kleinen Lymphozyten aus den Gefässen statt-
findet (Fig. 16, Emg.).
Es muss speziell an dieser Stelle hervorgehoben werden,
dass zum Schluss der Brutperiode im lockeren Unterhaut-
zellgewebe ziemlich grosse herdartige Ansammlungen von kleinen
Lymphozyten gefunden werden, welche sich im weiteren Leben
des jungen Küchleins und des erwachsenen Huhnes noch bedeutend
stärker entwickeln. Diese vornehmlich aus kleinen Lymphozyten
bestehenden Herde Iymphozytoiden Gewebes sind dann mitunter
schon mit blossem Auge sichtbar als kleine, weissliche Pünktchen.
Sie haben sicherlich eine grosse physiologische Bedeutung als
(ss |
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 15
Bildungsstätten von granulierten Zellen. Darüber werde ich in
einer anderen speziellen Arbeit ausführlich berichten.
Wie gesagt, sind die im lockeren Bindegewebe einzeln
zerstreuten und in Herden angesammelten und die in der Thymus
in der Rindensubstanz angehäuften kleinen Lymphozyten sämtlich
in histologischer Beziehung ganz identisch. Es fragt sich nun,
in welcher genetischen Beziehung zueinander stehen die kleinen
Lymphozyten des Blutes und des Bindegewebes einer- und die
Lymphozyten der Thymus andererseits?
Ausführliche Untersuchungen über die Histogenese der
Thymus behalte ich mir für die Zukunft vor. An dieser Stelle
möchte ich bloss einer interessanten Erscheinung Erwähnung
tun, die die angeregte Frage zum Teil beleuchten könnte.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Blutgefässe der
Thymus richten, bemerken wir sowohl in den früheren, als in
den späteren, vor dem Ende der Brutperiode stehenden Stadien,
dass der Inhalt vieler von ihnen sich vom gewöhnlichen
zirkulierenden Blut bedeutend unterscheidet. Ausser einer
gewissen Zahl von Erythrozyten sehen wir in diesen Gefässen
stets eine sehr bedeutende Anzahl von kleinen basophilen Zellen.
Ihr Protoplasma bildet um den Kern herum einen ganz schmalen
Saum und ist an der Peripherie oft mit feinen Pseudopodien
versehen. Ihr Kern ist meistens rund, entbehrt eines Kern-
körperchens und enthält reichlich Chromatin in Form von
grossen, dichten, scharf umgrenzten Schollen, die vornehmlich
an der Kernmembran liegen. Es sind also typische kleine
Lymphozyten.
An den Thymusgefässen, die eine bedeutende Anzahl von
kleinen Lymphozyten enthalten, konstatiert man oft auch
Permigration der letzteren durch die Gefässwand. Es ist wohl
sicher, dass hier Immigration in die Gefässe vorliegt. Die aus
dem Thymusgewebe in das Gefässlumen hineingelangenden kleinen
Lymphozyten werden vom Blutstrom weggeschwemmt und kommen
in die allgemeine Zirkulation. Sie können dabei ihrerseits wieder
in kleineren Blutgefässen stocken bleiben, z. B. im Unterhaut-
zellgewebe und in das Gewebe emigrieren. Ich habe ja oben
erwähnt, dass man im lockeren Bindegewebe nicht selten
Permigration von kleinen Lymphozyten an den Gefässwänden
konstatieren kann.
156 Wera Dantschakoff:
Es steht also der Annahme nichts im Wege, dass die
kleinen Lymphozyten histologisch entsprechenden Wanderzellen
des lockeren Bindegewebes wenigstens zum Teil aus der Thymus
stammen, die zu dieser Zeit das einzige richtig funktionierende
Iymphoide Organ im Körper darstellt.
Die Frage über die morphologische Bedeutung der kleinen
Lymphozyten im lockeren Bindegewebe des Hühnchens bietet ein
grosses allgemeines Interesse dar. Sind sie einer weiteren
progressiven Entwicklung fähige Elemente, sind es junge, in-
differente Zellen, oder am Ende ihrer Entwicklung angelangte
reife Formen? In welcher Beziehung stehen sie in ihrem
weiteren Leben zu den grossen Lymphozyten ?
Die heutzutage in der Literatur existierenden Vorstellungen
über die morphologische Bedeutung der kleinen Lymphozyten sind
ziemlich unbestimmt.
Die einen Autoren (Pappenheim [9] u. a.) sehen sie als
reife, einer weiteren progressiven Entwicklung nur in sehr be-
schränktem Maße fähige Elemente an; so wie die polynukleären
granulierten Leukozyten aus den entsprechenden jungen Myelo-
zyten hervorgehen und selbst nach einem mehr oder weniger |
langen Leben und nach vollbrachter physiologischer Funktion
ohne sich weiter zu vermehren schliesslich zugrunde gehen, so
sollen auch die kleinen Lymphozyten in den Keimzentren des
Iymphoiden Gewebes zwar aus grossen Lymphozyten durch
differenzierende Wucherung hervorgehen, sich aber weiter nicht
wieder in grosse Lymphozyten zurückverwandeln können. Sie
zirkulieren im Blute als eine reife Zellform von unbekannter
physiologischer Bedeutung, als ein selbständiger Ast des Stamm-
baumes der Blutzellen. Früher haben Pappenheim (9) und
andere Vertreter ähnlicher Anschauungen sogar die amöboide
Beweglichkeit der kleinen Lymphozyten bestritten. Jetzt ist diese
letztere Fähigkeit allerdings allgemein anerkannt. Was die
weitere Entwicklung der kleinen Lymphozyten anbelangt, so wird
sie von Pappenheim neuerdings (Atlas) auch zugegeben, aber nur
in sehr beschränkter Weise, — die kleinen Lymphozyten sollen
sich nach ihm in kleine leukozytoide Lymphozyten, zum Teil auch
in kleine Granulozyten, aber keinesfalls wieder in die ursprüng-
liche embryonale Form, in die grossen Lymphozyten verwandeln
können.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 157
Dem gegenüber weisen andere Autoren (Dominiei [3]),
Maximow [S]), Weidenreich [19]), neuerdings Ferrata [4])
darauf hin, dass es ganz unmöglich sei, die grosse Gruppe „der
Uninukleären“ (Ferrata |#]), „der Wanderzellen oder der Lympho-
zyten im weitesten Sinne des Wortes“ (Maximow [S]) in einzelne,
scharf getrennte Gruppen oder Entwicklungsäste zu trennen.
Speziell ist der kleine Lymphozyt im erwachsenen Organismus
nicht eine reife Zellform, sondern, im Gegenteil, es ist eine ganz
differente junge Zelle mit sehr mannigfaltiger, prospektiver Ent-
wicklungspotenz. Gewiss entstehen die kleinen Lymphozyten in den
Keimzentren durch Wucherung der grossen, aber sie können sich
dann später, vielleicht nach einer längeren oder kürzeren Ruhe-
periode wieder durch Hypertrophie in typische grosse Lymphozyten
zurückverwandeln und zum Ausgangspunkte der Hämatopoese
werden.
Es ist selbstverständlich, dass die entscheidende Lösung dieser
wichtigen Frage nur durch embryologische histozytogenetische
Arbeiten herbeigeführt werden kann.
Es stellt sich nun für das Hühnchen heraus, dass die kleinen
Lymphozyten des lockeren Bindegewebes einer weiteren progressiven
Entwicklung tatsächlich fähig sind und zwar einer Entwicklung
in mehreren verschiedenen Richtungen.
Erstens kann man Schritt für Schritt ihre Verwandlung in
die gewöhnlichen oben beschriebenen polymorphen blassen, histio-
topen Wanderzellen des Bindegewebes verfolgen. Dies tritt schon
auf der Fig. 11 deutlich hervor, die mit der speziellen Absicht
hergestellt wurde, die intensive phagozytische Tätigkeit dieser
Wanderzellen in verhältnismässig späten Stadien (15 Tage) zu
zeigen. Wir erblicken (K Lmz) hier kleine basophile Zellen mit
für kleine Lymphozyten typischem Kern und etwas amöboidem
Protoplasma, in welchem die rosa gefärbte Sphäre deutlich hervor-
tritt. Im folgenden schreitet die Hypertrophie des Protoplasmas
vorwärts, das letztere wird locker, bekommt Vakuolen und bildet
an seiner Oberfläche zahllose feinste Pseudopodien. Der Kern
wird unterdessen heller, die Chromatinteilchen feiner (Ht Wz).
Schliesslich bekommt man eine typische Wanderzelle des Binde-
gewebes.
Für den kleinen Lymphozyt gibt es aber auch eine andere
Differenzierungsmöglichkeit. Auch sie können ebenso wie die
158 Wera Dantschakoff:
grossen Lymphozyten zum Ausgangspunkte der Granulopoese
werden.
In verhältnismässig frühen Entwicklungsstadien, am 12. bis
13. Tage, bemerkt man in einem Teil der im Bindegewebe zer-
streuten kleinen Lymphozyten das Auftreten von Körnchen, die
aber anders reagieren, als die oben für die aus den grossen
Lymphozyten entstehenden azidophilen Myelozyten beschriebenen.
Es sind basophile und metachromatisch sich färbende Granula.
Aus den kleinen Lymphozyten entstehen jetzt also Mastzellen.
Über diese Mastzellen werde ich weiter unten ausführlicher
sprechen.
In späteren Stadien, in den letzten Tagen vor dem Aus-
schlüpfen, noch mehr in den ersten Tagen nach dem letzteren,
fangen viele kleine Lymphozyten im Bindegewebe an, eine neue,
wieder verschiedene Granulation zu produzieren, es ist eine
besondere Art von azidophilen Körnchen.
Solche Zellen mit beginnender Ausarbeitung von azidophilen
Granula werden allmählich im Bindegewebe zahlreich. Diese
Zellen behalten den für die kleinen Lymphozyten typischen
chromatinreichen Kern und arbeiten in ihrem Protoplasma eine
azidophile, sehr feinkörnige runde Granulation aus, die regelmässig
im ganzen Zellleib verbreitet ist (Fig. 16, y). Diese Granula
reagieren ebenso wie die echte, azidophile, stäbchenförmige
Granulation der reifen Leukozyten.
Im lockeren Bindegewebe des erwachsenen Tieres bilden
solche Lymphozyten mit kleinen runden azidophilen Körnchen
grosse Ansammlungen in Form von dichten Infiltraten.
Bei jungen Küchlein kann man endlich noch eine Entwicklungs-
richtung der kleinen Lymphozyten im Bindegewebe konstatieren —
sie verwandeln sich in zahlreiche typische grosse Plasmazellen.
Darüber werde ich jedoch in einer anderen Arbeit ausführlicher
berichten.
Wir sehen aus der angeführten Schilderung, dass die neue
Zellform, die im lockeren Bindegewebe des Hühnerembryo in
verhältnismässig späten Stadien auftritt — die kleinen Lympho-
zyten — eine ausgesprochene Fähigkeit zur weiteren qualitativ
differenzierenden und progressiven Entwicklung besitzen. Diese
letztere verläuft in sehr verschiedenen Richtungen und ergibt
als Resultat eine Reihe von’ neuen, bestimmten und mehr oder
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 159
weniger scharf getrennten Zellstämmen; wir können die gewöhn-
lichen „histiotopen“ Wanderzellen des Bindegewebes, beim
erwachsenen Tier von Maximow (8) als „ruhende Wander-
zellen“ bezeichneten, die Mastzellen, die Granulozyten mit den
runden kleinen Körnern und die echten Plasmazellen unterscheiden.
Entsprechend dieser ausserordentlich mannigfaltigen Differenzierung
müssen wir den kleinen Lymphozyt für eine junge indifferente
Zellform erklären, die mit einer sehr reichhaltigen progressiven
Entwicklungspotenz, einer sehr weiten Differenzierungsamplitüde
ausgestattet ist.
Wenn wir jetzt die kleinen Lymphozyten mit den grossen
Lymphozyten vergleichen, die, wie wir gesehen haben, zuerst
auftreten, und dann allmählich im Bindegewebe durch die kleinen
ersetzt werden, so können wir schliessen, dass diese beiden Zell-
formen, ihrer Bedeutung und ihrer zytogenetischen Rolle nach,
sich eigentlich voneinander fast gar nicht unterscheiden, trotz
ihrer grossen histologischen Verschiedenheit. Es sind beides
junge indifferente Zellarten, die einer sehr mannigfaltigen Ent-
wicklung fähig sind. Die Differenzierungsrichtung und deren
Produkte sind allerdings gewöhnlich für den kleinen und den
grossen Lymphozyt verschieden. Darüber brauchen wir uns aber
natürlich nicht zu wundern, da die beiden zwei verschiedene
Entwicklungszustände einer einzigen Zellart sind.
Der grosse Lymphozyt besitzt, wie wir gesehen haben, die
Fähigkeit, sich einerseits zu hämoglobinhaltigen Zellen, anderer-
seits zu Leukozyten verschiedener Art zu differenzieren, abgesehen
natürlich von den anderen möglichen Entwicklungsrichtungen
(Mikroblasten und Mikrozyten). Unter den Leukozytenarten, die
aus dem grossen Lymphozyt entstehen, finden wir erstens die
azidophilen Granulozyten — Myelozyten und Leukozyten — die in
den frühen Stadien im lockeren Bindegewebe herdweise verbreitet
sind, zweitens die kleinen Lymphozyten, die erst später erscheinen.
Die kleinen Lymphozyten stellen also in der Tat ein Differen-
zierungsprodukt der grossen vor, ihre weiteren Generationen, in
welchen, entsprechend den veränderten äusseren Bedingungen,
auch andere histologische und zytoblastische Eigenschaften hervor-
treten.
Wenn wir den weiteren Lebenslauf der kleinen Lymphozyten
verfolgen, so sehen wir, dass sie, so lange sie eben im Zustande
160 Wera Dantschakoff:
der kleinen Lymphozyten verharren, keine hämoglobinhaltigen
Elemente produzieren. Dafür behalten sie aber und entwickeln
sogar in besonderem hohen Grade die Fähigkeit zur Ausarbeitung
von Granulationen im Protoplasma. Aus ihnen gehen die Mast-
zellen hervor, ein anderer Teil von ihnen arbeitet die oben
beschriebenen runden kleinen Körnchen aus und gibt den zahl-
losen gekörnten Zellen Ursprung, die das lockere Bindegewebe
beim jungen und erwachsenen Huhn in grossen Massen infiltrieren.
Unter den Entwicklungsrichtungen, die die kleinen Lympho-
zyten einschlagen können, ist ferner noch eine sehr wichtige zu
verzeichnen — ich meine — ihre oben geschilderte Verwandlung
in die polymorphen histiotopen Wanderzellen.
Bei der Beschreibung der Entwicklung der letzteren habe
ich gezeigt, dass sie vornehmlich aus den gewöhnlichen fixen,
nietzartig verbundenen Mesenchymzellen hervorgehen. Es werden
allerdings hin und wieder auch Übergangsformen zwischen den
grossen Lymphozyten und den polymorphen Wanderzellen beob-
achtet, sie sind aber doch selten, und können keine grosse
Bedeutung haben; sie sind nur in der Beziehung wichtig, dass
sie eben die Möglichkeit dieser Entwicklungsrichtung auch für
die grossen Lymphozyten beweisen.
Das Mesenchym erzeugt also die im lockeren Bindegewebe
für immer verbleibenden histiotopen ruhenden Wander-
zellen zuerst aus seinen eigenen gewöhnlichen fixen Elementen.
In den späteren Entwicklungsstadien tritt nun dieser Entwicklungs-
modus der Wanderzellen immer schwächer und schwächer hervor;
die Zellen des Mesenchyms verwandeln sich eben in spezielle
Elemente, in Fibroblasten. Die grossen Lymphozyten sind zu
dieser Zeit sehr selten geworden. Jetzt geht die Neubildung der
Wanderzellen im wachsenden Organismus auf Kosten der sich
immer mehr und mehr vermelhrenden kieinen Lymphozyten vor
sich, die wir also als eine junge und indifferente Zellform an-
sehen müssen.
Auf die wichtige Frage, ob sich die kleinen Lymphozyten
durch Hypertrophie wieder in grosse Lymphozyten verwandeln
können, geben die embryologischen Entwicklungsvorgänge im
Bindegewebe, welche der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen,
leider keine direkte Antwort. Dass dies aber auch bei den
Vögeln ebenso wie bei den Säugetieren (Maximow |8]) möglich
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 161
wäre, und unter bestimmten Umständen auch tatsächlich vor-
kommt, das scheinen die Untersuchungen von Solucha (12) zu
beweisen. Er fand, dass bei aseptischer Entzündung beim Huhn
und bei der Taube die Polyblasten, die den histiotopen Wander-
zellen entsprechen, in gleicher Weise sowohl aus den kleinen,
als auch aus den grossen Lymphozyten entstehen. Die kleinen
Lymphozyten vergrössern sich dabei bedeutend, und manche von
ihnen erlangen dabei alle Merkmale der grossen Lymphozyten.
Wir sehen aus der angeführten Schilderung, dass alle die
histologisch verschiedenen ungranulierten Wanderzellenarten im
Organismus des Hühnerembryo gleichwertig, dass sie alle aufs
innigste miteinander verbunden sind und dass sie alle ineinander
übergehen können. Die histologischen Verschiedenheiten hängen
in jedem gegebenen Falle nicht von einem besonderen, für die
betreffende Zellart spezifischen präformierten Idioplasma ab,
sondern sie werden epigenetisch in einem einzigen, mit hoher
und mannigfaltiger Entwicklungspotenz ausgestatteten Zellstamm
durch verschiedene äussere, mit Ursachen wie Ort oder Zeit der
Entstehung usw., hervorgerufen.
Schon in den frühesten Perioden, gleich bei ihrem ersten
Auftreten, präsentieren sich die wandernden mesenchymartigen
Elemente in zwei verschiedenen Hauptformen, — als die grossen
Lymphozyten und als die eigentlichen Wanderzellen des Binde-
gewebes, die polymorphen Elemente mit blassem amöboiden Pro-
toplasma, die histiotopen Wanderzellen. Diese beiden Zellarten
sind aber bloss zwei verschiedene funktionelle Abarten einer ein-
zigen Zellart, — der indifferenten mesenchymatösen Wanderzelle.
Mit der Zeit wird die Fähigkeit gewöhnlicher fixer Mesen-
chymzellen, sich in Wanderzellen zu verwandeln, immer mehr und
mehr eingeschränkt, was Hand in Hand geht mit der sich immer
mehr und mehr ausbreitenden Ausarbeitung von faseriger Zwischen-
substanz. Die grösste Mehrzahl der Mesenchymzellen wird zu
spezifisch entwickelten Fibroblasten. Auch zu dieser Zeit ent-
stehen natürlich neue Mengen von Wanderzellen, — die Fähig-
keit sie zu bilden geht aber jetzt speziell auf die kleinen Lym-
phozyten über, die selbst die Nachkommen der grossen
Lymphozyten sind.
Dass die grossen Lymphozyten auch unmittelbar in die
bindegewebigen Wanderzellen übergehen können, wird durch die,
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 11
162 Wera Dantschakoff:
wenn auch ziemlich seltenen, oben erwähnten Übergangsformen
bewiesen. Dass es nicht überall und nicht sehr oft geschieht,
hängt einfach davon ab, dass in den frühesten Stadien das
indifferente Mesenchym selbst sehr intensiv solche Zellen ab-
spaltet. Später geschieht dies einfach deswegen nicht, weil die
grossen Lymphozyten in dem Bindegewebe selten werden. Aus
den fixen Mesenchymzellen entstehen die Wanderzellen in späteren
Stadien aber deswegen nicht mehr, weil die ersteren sich in die
Fibroblasten verwandelt haben. Überall im lockeren Bindegewebe
gibt es aber massenhaft kleine Lymphozyten, —- aus diesen Nach-
kommen der grossen Lymphozyten gehen jetzt auch die Wander-
zellen hervor.
VI. Entstehung der Mastzellen.
Unter dem Begriff „Mastzellen“ versteht man eine besondere
Zellart, die sich durch die Anwesenheit einer spezifischen baso-
philen, sich metachromatisch färbenden Körnung im Protoplasma
auszeichnet. Durch eine lange Reihe von Untersuchungen ist
das Vorhandensein dieser Zellen sowohl im Bindegewebe, als auch
im Blut bei allen Wirbeltieren nachgewiesen worden; im ersten
heissen sie histiogene Mastzellen, im zweiten werden sie als
Mastleukozyten bezeichnet. Über die genetischen Beziehungen
' dieser beiden Arten von Mastzellen zueinander sind die Autoren
aber noch keineswegs einig; das erklärt sich übrigens haupt-
söchlich nur dadurch, dass spezielle darauf gerichtete embryo-
logische Untersuchungen noch fast vollständig ausstehen.
Die einen halten die beiden Zellformen auch im erwachsenen
Organismus für eine einzige Zellart. Die anderen (Maximow,
Weidenreich) glauben, dass im erwachsenen Organismus die
histiogenen Mastzellen und die Mastleukozyten zwei selbständige
Zellarten bilden. Eine Frage für sich ist es wieder, ob dasselbe
auch für das embryonale Leben zutrifft.
Wollen wir jetzt sehen, wie und wo die ersten Mastzellen
beim Hühnerembryo auftreten.
Wenn wir jede basophile und metachromatische Granulation
im Zellprotoplasma als charakteristisch und spezifisch für echte
Mastzellen betrachten, so müssten wir eigentlich schliessen, dass
die Mastzellen beim Hühnerembryo schon sehr früh auftauchen.
Ich habe bereits hervorgehoben, dass ein Teil der Körnchen in
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 163
den azidophilen Myelozyten, die jüngsten, in den frühesten Ent-
wicklungsstadien gerade in der entsprechenden Weise reagieren
— sie sind basophil und färben sich metachromatisch.
Ich glaube aber, dass man den Begriff „Mastzellen“ im Fall
des Hühnerembryo etwas einschränken und ihn nur für eine ge-
wisse Zellgruppe gebrauchen muss, die sich durch bestimmte
charakteristische morphologische Eigenschaften, den allgemeinen
Habitus sowohl des Protoplasmas als auch des Kernes auszeichnet.
Solche echte Mastzellen erscheinen verhältnismässig spät, nach
dem neunten Tage der Bebrütung. Sehr deutlich tritt ihre Ent-
wicklung am zwölften bis dreizehnten Tage hervor.
Diese Zellen, in denen spezifische Körnung zuerst auftaucht,
sind meistens ziemlich klein, besonders in der ersten Zeit ihrer
Entwicklung. Sie besitzen immer spärliches Protoplasma und einen
kleinen runden oder etwas ovalen Kern, der eines Körperchens
entbehrt, dafür aber viel Chromatin in Form von grossen eckigen
Schollen besitzt, welche entweder gleichmässig im Kerninnern
oder vornehmlich an der Kernmembhran gelagert sind. Das ganze
Aussehen dieser Zellen entspricht durchaus den oben beschriebenen
kleinen Lymphozyten.
Wenn wir ausserdem bedenken, dass die ersten Mastzellen
ziemlich spät auftreten, zur Zeit, wo die grossen Lymphozyten
im lockeren Bindegewebe auf die oben beschriebene Weise bereits
durch die kleinen ersetzt werden, dass sie mit Vorliebe gerade
an den Stellen entstehen, wo wir grössere Mengen von kleinen
Lymphozyten angesammelt finden, so wird es einleuchten, dass
zwischen den beiden Zellarten die engsten Beziehungen bestehen
müssen. Die ersten Mastzellen entwickeln sich, wie ich es schon
oben angedeutet habe, aus den kleinen Lymphozyten.
Es ist bekannt, dass bei den meisten erwachsenen Säuge-
tieren die Mastgranula im Wasser sehr leicht löslich sind. Dasselbe
gilt nach meinen Beobachtungen auch für die frühesten Stadien
der Mastzellenbildung beim Hühnerembryo. In der letzten Zeit
der Bebrütung werden sie jedoch in dieser Beziehung resistenter,
sodass die wässerige Z-F-Fixierung sie schon ziemlich gut erhielt.
Meine Präparate, die für Mastzellenstudien bestimmt waren, habe
ich jedenfalls stets mit Alk abs. fixiert und mit alkoholischen
Lösungen gefärbt. Trotz dieser Bedingungen, die die Möglichkeit
einer artifiziellen Lösung der Granula vollständig ausschlossen,
108:
1654 Wera Dantschakoff:
habe ich bis zum elften Tage höchstens nur sehr seltene, ganz
vereinzelte junge Mastzellen im Körper des Hühnerembryo finden
können Erst am zwölften bis dreizehnten Tage werden sie zahl-
reicher und in diesem Stadium lässt sich ihre Histiogenese, wie
gesagt, sehr bequem und deutlich verfolgen.
Beim Hühnchen erscheinen die ersten Mastzellen fast zugleich
an mehreren Stellen. Vor allem ist hier die Thymus zu nennen,
besonders ihre Rindenschicht, ferner das Knochenmark. Hier ist
die Mastzellenentwicklung sehr leicht zu beobachten. Ausserdem
kommen einzelne Mastzellen überall im lockeren Bindegewebe
vor. Am Ende der Brutperiode entwickeln sie sich in besonders
grossen Mengen in der Darmmucosa, wo sie beim erwachsenen
Tier in ungeheueren Massen vorkommen.
Die Figuren 12, 13, 14 und 15 illustrieren die ersten Mast-
zellen in der Thymus, im Knochenmark, im Blut und im Unter-
hautzellgewebe. Wir sehen, dass, je nach dem Fundort, diese
Zellen gewisse Besonderheiten bieten, die sich vornehmlich auf
die äussere Form und die Grösse der Zelle, auch auf die Zahl
der Körnchen beziehen. Der Kern ist hingegen immer gleich.
Ob es sich um eine ziemlich umfangreiche, oft mit Auswüchsen
versehene Zelle im lockeren Bindegewebe, oder um eine kleine
Mastzelle der Thymus, oder um eine runde mit Körnchen voll-
gepfropfte Zelle des Blutes handelt, — stets ist der Kern kugel-
förmig, ohne Kernkörperchen und enthält viel dunkel gefärbtes
CUhromatin. Dieser chromatinreiche runde Kern ist für die Mast-
zellen, besonders die reiferen, so typisch, dass man diese Elemente
selbst an nicht spezifisch gefärbten Präparaten an den Kernen
erkennen kann.
Die Fig. 12 zeigt uns die Mastzellenbildung in der Thymus.
Neben einer Gruppe von kleinen Lymphozyten sehen wir zwei
kleine Mastzellen, von denen die eine weniger, die andere mehr
Granula enthält. Diese Mastzellen unterscheiden sich eigentlich
von den daneben liegenden kleinen Lymphozyten nur durch die
Anwesenheit der spezifischen, metachromatischen Körnung in ihrem
Prötoplasma. In der Thymus, besonders in deren Rindensubstanz,
zeichnen sich die Mastzellen stets durch ihre kleinen Dimensionen
aus; sie behalten hier fast immer ihre runde Form, wobei die
Zahl der Granula in der ersten Zeit noch nicht gross genug ist,
um den Kern oder doch das Protoplasma selbst zu verdecken.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 165
Zwischen den einzelnen Körnchen kann man das helle, aber
immerhin deutlich basophile Protoplasma gut untersuchen. Die
Granula selbst erhalten nach Cresyl-Färbung einen grellen rot-
violetten Farbenton, nach Thionin werden sie dunkel, fast schwarz-
purpurn gefärbt. Um die Mastzellen im Alkohol-Präparat besonders
schön hervortreten zu lassen, ist es zweckmässig, mit Cresyl-
echtviolett gefärbte Schnitte nachträglich für kurze Zeit in die
Thioninlösung einzutauchen; die sonstigen Gewebsbestandteile
nehmen dabei eine reine blaue Farbe an, während die Mastzellen-
granula besonders scharf hervortreten.
Die Zahl der Granula in den ersten Mastzellen ist nicht
sehr gross und man kann in den frühen Stadien immer Zellen
finden, in denen gerade der Beginn der Granulabildung fixiert
erscheint. Die Körnchen tauchen zuerst an der Peripherie des
Zellleibes auf, um sich dann in seiner ganzen Masse zu verteilen.
Ziemlich typisch ist die peripherische Lagerung der Granula auch
während der Teilung der Mastzellen.
Die Körner der Mastzellen sind im allgemeinen ziemlich
gross; nach zweckmässiger Fixation erscheinen sie stets regel-
mässig kugelrund und scharf konturiert: nach Wirkung von
Wasser oder von schwachem Alkohol verklumpen sie hingegen
sehr leicht, wobei ein Teil der spezifischen Substanz ins inter-
eranuläre Protoplasma diffundiert und dasselbe auch einen röt-
lichen Ton annehmen lässt.
In der Thymus kann man ausser den beschriebenen runden
Mastzellen in etwas späteren Stadien auch das Erscheinen etwas
abweichender Mastzellenformen beobachten, die sich vornehmlich
in der Marksubstanz lokalisieren. Es sind Zellen mit Ausläufern,
die sich der Form der interzellulären Räume anpassen und des-
wegen sehr unregelmässig werden können. Auch in dem sehr
lockeren Bindegewebe, welches die Thymus umhüllt, findet man
ziemlich viele Mastzellen; hier sind es meist runde Formen, die
denjenigen in der Rindensubstanz vollkommen entsprechen.
Ein ganz analoger Prozess der Mastzellenbildung wird auch
im Knochenmark zwischen den Gefässen beobachtet. Das Mark
entwickelt sich in grösserer Menge erst am 13.—14. Tage und
beginnt sofort seine blutbildende Tätigkeit. Innerhalb der Ge-
fässe werden dabei Erythrozyten gebildet, zwischen den Gefässen,
im Gewebe, entwickeln sich Granulozyten. Zur selben Zeit er-
166 Wera Dantschakoff:
scheinen nun im Mark, ebenfalls extravaskulär, auch kleine Lym-
phozyten und im folgenden sehen wir aus ihnen auch hier wieder
Mastzellen entstehen.
Die Fig. 13.stellt eine Anzahl von Mastzellen aus dem
Knochenmark vor, daneben erblickt man einen grossen Lymphozyt;
der Grössenunterschied der beiden Zellarten springt in die Augen.
Die Zellen entsprechen, wie wir sehen, vollkommen den oben
beschriebenen Mastzellen in der Thymus. Bei Mtz‘ sehen wir
Karyokinese dieser Mastzellen; die Granula gruppieren sich da-
bei an der Peripherie des Zellleibes. Die ziemlich umfangreiche
Zelle Mtzb stellt, wenn ich so sagen darf, zugleich eine Über-
gangsform vom grossen Lymphozyt zum kleinen und den Anfang
der Mastkörnerbildung vor. Sehr typisch sind endlich die Mast-
zellen, die sich an Schnittpräparaten in den Blutgefässen sowohl
des Knochenmarks als auch der anderen Gewebe finden lassen
(Mtza). Sie kommen auch dort schon in der frühesten Zeit der
Mastzellenbildung vor.
Wir sehen auf Fig. 13, Mtza, welche eine Zelle aus einem
Schnitt durch eine Kapillare des Knochenmarks am 13. Be-
brütungstage vorstellt, und auf Fig. 14, welche einem Ausstrich-
präparat des Blutes nach l5tägiger Bebrütung entstammt, dass
diese Blutmastzellen regelmässig runde, kugelförmige Elemente
vorstellen, welche, ihrem Umfang nach, die beschriebenen Mast-
zellen des Knochenmarks und der Thymus übertreffen. Sie sind
immer dicht angefüllt mit dunklen, groben Körnern, die den
Kern nur undeutlich durchschimmern lassen. Dieser letztere ist
ebenso, wie in den oben beschriebenen Mastzellen, immer rund
und sehr chromatinreich. Dank diesem Umstande unterscheiden
sich also beim Hühnerembryo die Mastzellen des Blutes nicht
so scharf von den sogenannten histiogenen Mastzellen, wie beim
Säugetier und sie können also hier nicht in eine ganz besondere
Gruppe ausgeschieden werden, wie es bei den Säugern getan
wird, wo sie eine ziemlich isolierte Zellart zu bilden scheinen,
die sich von den histiogenen Mastzellen vor allem durch die
abweichende Beschaffenheit des Kerns unterscheidet.
Sowohl an Schnittpräparaten, als auch an Ausstrichpräparaten
habe ich beim Hühnchen im zirkulierenden Blute immer nur
granulareiche Mastzellen gesehen, grössere Elemente, die den
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 167
Eindruck von reifen machten. Ich glaube aus diesem Grunde
annehmen zu können, dass in das zirkulierende Blut aus dem
Bindegewebe nur solche Mastzellen übertreten, die bereits mehr
oder weniger gereifte granulareiche Formen vorstellen.
Grösseres Interesse bieten die Mastzellen, die im lockeren
Bindegewebe zwischen den verschiedenen Organen zerstreut sind.
Ihrer Struktur nach unterscheiden sie sich prinzipiell nicht von
den oben beschriebenen Mastzellenarten. Sie besitzen aber
gewöhnlich eine besondere äussere Gestalt. Während ihr Kern
die für die anderen Mastzellen charakteristischen Merkmale
behält, erleidet ihr Protoplasma eine bedeutende Hypertrophie.
Der Zellleib erlangt bedeutende Dimensionen und muss sich der
Form der benachbarten Gewebsbestandteile anpassen. Ausser
gewöhnlichen runden Zellen begegnen wir deswegen im Unter-
hautzellengewebe und zwischen den Muskeln Mastzellen von sehr
verschiedener Form. Manchmal bilden sie lange Reihen von flach
gedrückten Zellen zwischen den quergestreiften Muskelfasern.
Manchmal bilden sie kleine Gruppen von 3, 5—7 eng beisammen
liegenden Zellen an den kleinen Gefässen oder an der Peripherie
der im Unterhautzellgewebe zerstreuten Herde Iymphoiden Ge-
webes; sehr oft sammeln sie sich in kleinen Gruppen an den
Federbälgen an; in einzelnen Exemplaren sind sie auch zwischen
den Fettläppchen zerstreut.
Ich habe bereits bemerkt, dass die Mastzellengranula des
Hühnchens überhaupt und die Granula der Mastzellen im Unter-
hautzel'!gewebe im speziellen sich nicht durch besonders leichte
Löslichkeit in wässerigen Flüssigkeiten auszeichnen. Im späteren
Alter, beim Ausschlüpfen des Hühnchens, wird die Mastzellen-
körnung noch resistenter, besonders in den Mastzellen des Unter-
hautzellgewebes. In diesem letzteren erscheint sie dann selbst an
mit ZF fixierten und mit D gefärbten Präparaten in befriedigender
Weise erhalten. Die Mastzellen der Thymus weisen jedoch an
denselben Präparaten deutliche Lösungserscheinungen an den
Körnchen auf. Natürlich kann dieser verschiedene Grad der
Löslichkeit der Körnchen noch nicht den Grund zur Einteilung
der Mastzellen in verschiedene Arten abgeben, da dieselbe viel-
leicht vom Differenzierungszustand der Zellen abhängen kann;
sonst haben aber alle Mastzellen des Hühnchens prinzipiell die
gleiche Struktur.
168 Wera Dantschakoff:
Eine isolierte Stellung nehmen allerdings die Mastzellen des
Darmes ein, die sich erst am Ende der Bebrütung zu entwickeln
anfangen und erst beim erwachsenen Tier die höchste Ausbildung
erreichen. Sie stellen sehr grosse Elemente vor, die aber nur
einen kleinen, für die Mastzellen überhaupt typischen Kern be-
sitzen. Der Zellleib bildet zahlreiche Ausläufer, die sich ver-
zweigen und mit den Ausläufern der benachbarten Mastzellen
anastomosieren, so dass eine zusammenhängende Schicht entsteht,
die der Darmmucosa ein sehr charakteristisches Aussehen verleiht.
Es ist unzweifelhaft, dass die besonderen Lebens- und
Funktionsbedingungen den Mastzellen, je nach ihrem Fundort,
ein besonderes histologisches Aussehen verleihen können. Diese
Unterschiede sind aber nicht von solcher Art, dass man auf
Grund derselben die Mastzellen beim Hühnchen in einzelne
scharf geschiedene Gruppen einteilen könnte. Einerseits be-
schränken sich eigentlich doch alle Unterschiede fast ausschliess-
lich nur auf die äussere Gestalt und die Grösse der Zellen, was
natürlich einerseits nur von der Menge der ausgearbeiteten
Körnung und von der Form der benachbarten Gewebselemente
abhängt. Andererseits beobachtet man selbst an den Stellen,
wo solche abweichende Formen vorhanden sind, immer auch
fliessende Übergangsformen von den letzteren zu der typischen
Urform der kleinen runden Mastzelle.
Ich komme also zum Schluss, dass die Mastzellen des
Hühnchens, so bedeutende Unterschiede in Form, Grösse und
Struktur je nach ihrem Fundort sie auch bieten mögen, doch eine
einzige gemeinsame Gruppe von in besonderer Weise modifizierten
freien mesenchymatösen Elementen vorstellen. Sie entstehen zu-
erst in der Thymus, im Knochenmark im lockeren Bindegewebe
durch Vermittlung der kleinen Iymphozytoiden Übergangsform, in
letzter Instanz aus den gewöhnlichen fixen sternföürmigen Mesen-
chymzellen durch Ausarbeitung der spezifischen Körnchen; später
isolieren sie sich allmählich zu einem bestimmten und gut in>
dividualisierten stets körnchenreichen Zellstamm, der sich durch
selbständige karyokinetische Teilung regeneriert.
Die Entstehung aller Mastzellen ist beim Hühnchen mit
dem Auftreten der kleinen Lymphozyten eng verbunden. Das
ist ein weiterer Beweis für..ihre Zusammengehörigkeit. Sie
intwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 169
stellen eine Zellart vor, die sich vom jungen undifferenzierten
Zellstamm der kleinen Lymphozyten abspaltet.
VII. Entstehung der Fettzellen.
Die Fettzellen sind ein fast konstanter Bestandteil des lockeren
Bindegewebes im erwachsenen Organismus und stellen im ent-
wickelten Zustande ein ziemlich selbständiges Gewebe vor, welches
im Bindegewebe mehr oder weniger scharf abgegrenzte Komplexe
bildet.
Beim Hühnerembryo bemerkt man schon in sehr frühen
Entwicklungsstadien in verschiedenen Zellen Ausarbeitung von
geringen Quantitäten einer fettähnlichen Substanz, die sich an
osmierten Präparaten in Form von feinen Tröpfchen im Proto-
plasma präsentiert. Solche Fetttröpfchen erscheinen sehr häufig
in den oben beschriebenen vakuolisierten Wanderzellen im Mesen-
chym, in den ästigen Zellen des letzteren selbst und auch in
anderen Gewebsarten, z. B. in den Zellen des ektodermalen Epithels.
Diese Fettbildung bedeutet natürlich noch nicht Bildung von Fett-
gewebe. Dieses letztere tritt erst verhältnismässig spät auf, etwa
am 12.—13. Tage der Bebrütung. Seine Entwicklung beginnt im
Unterhautzellgewebe an mehreren Stellen zugleich, in Form von
kleinen begrenzten Herden.
In den Zellen des lockeren Bindegewebes bemerkt man dabei
zwei Erscheinungen, die parallel oder nacheinander verlaufen und
zur Bildung von Fettzellen führen. Die eine besteht in der Aus-
arbeitung von kleineren oder grösseren Fetttröpfehen im Proto-
plasma, die andere in der Isolierung und Abrundung der be-
treffenden Bindegewebszellen.
Die Fig. 9 stellt einen kleinen Herd der Fettzellenbildung
aus dem Unterhautzellgewebe am Femur eines l4tägigen Embryo
vor und illustriert diesen Prozess sehr deutlich. Wir sehen, dass
die Fetttröpfehen, die sich in unserem Präparat als helle Vakuolen
präsentieren, in Zellen auftreten, die durchaus noch den Charakter
von gewöhnlichen Bindegewebszellen bewahren — es sind meist
längliche Zellkörper mit zahlreichen, mit den Ausläufern der be-
nachbarten Elemente anastomosierenden Ausläufern. Der ovale
grosse Kern enthält ein oder zwei echte Kernkörperchen, das
Chromatin bildet feine, regelmässig im Kerninnern verteilte blasse
Teilchen. Die Fettvakuolen im Protoplasma sind sehr zahlreich
170 Wera Dantschakoff:
und von verschiedener Grösse; ausser kleinen sehen wir auch viel
grössere, die wahrscheinlich durch Konfluenz mehrerer kleiner
entstanden sind. Die einen Zellen sind mit den benachbarten
durch breite Protoplasmastreifen verbunden: zwischen anderen
sieht man lange feine Stränge von vakuolisierter Zellsubstanz,
ausserdem haben aber viele Zellen jede Verbindung mit ihren
Nachbaren verloren und sind frei geworden. In diesen frühen
Entwicklungsstadien bemerkt man oft kleine Ansammlungen von
Fettzellen, die miteinander eng zusammengeflossen sind (Ftz‘‘).
Bei allmählicher genauen Verfolgung der Fettgewebsbildung
kann man leicht feststellen, dass solche Gruppen von eng mit-
einander verbundenen Zellen meistens durch Vereinigung einzelner
freien Fettzellen gewöhnlich in der nächsten Umgebung der
Kapillaren entstehen. In der ersten Zeit ihrer Existenz sind
die Fettzellen zweifellos auch einer selbständigen karyokinetischen
Teilung fähig. Die Entwicklung des Fettgewebes en masse hängt
aber in erster Linie von dem Zusammentreten immer neuer und
neuer einzelner junger Fettzellen ab, die aus den gewöhnlichen
Bindegewebszellen durch Fettansammlungim Protoplasma entstehen.
Beim Zusammentreten der Fettzellen in grossen Gruppen
und besonders bei der fortschreitenden Ausarbeitung von Fett
in jeder einzelnen Zelle erleidet der Kern der Fettzellen eine
tiefgreifende Veränderung seiner Gestalt. In den jungen Fett-
zellen ist er immer oval oder rund, wenn aber die Fettmasse im
Protoplasma zunimmt, was besonders in den schon Gruppen bilden-
den Zellen geschieht, wird er allmählich von den zahlreichen
grossen Tropfen zusammengedrückt; seine Membran wird oft von
verschiedenen Seiten eingestülpt, und er enthält mitunter sehr
unregelmässige Form, die aber für die Fettzelle ziemlich charak-
teristisch ist. Um den Kern herum bleibt während langer Zeit
eine gewisse Masse dichten, fein retikulären basophilen Proto-
plasmas erhalten.
Die Masse des Fettgewebes nimmt rasch zu bis zum Aus-
schlüpfen des Hühnchens. Auch in den späteren Stadien kann
man den beschriebenen Prozess der Vereinigung von einzelnen
Fettzellen zu grossen Fettinseln leicht beobachten. An der Peri-
pherie der letzteren findet man immer freie runde Elemente, inderen
Protoplasma Fetttröpfchen in grösserer oder geringerer Menge aus-
gearbeitet sind, die sich an die Fettinsel anlagern und sich dadurch
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 178
in richtige Fettzellen verwandeln. Infolge dieser Entstehungs-
weise erscheinen die zentralen Fettzellen einer Fettgewebsinsel
als die ältesten Elemente immer von grossen Tropfen eingenommen,
während man in der Richtung nach aussen, nach dem lockeren
Bindegewebe hin immer jüngere und jüngere Fettzellen mit immer
feineren Fetttröpfehen vorfindet.
Die noch frei liegenden Fettzellen sind manchmal von den
stark vakuolisierten Wanderzellen des Bindegewebes schwer zu
unterscheiden, besonders wenn die letzteren auch rund sind. Der
Kern der Wanderzellen ist allerdings meistens viel chromatin-
reicher, als in den freien, jungen Fettzellen, oft erscheint es aber
doch sehr schwierig, die Entscheidung zu treffen, ob die betreffende
Zelle eine junge Fettzelle ist, die im Begriffe steht, mit einer
Fettinsel sich zu vereinigen oder ob sie dem lockeren Bindegewebe
als eine gewöhnliche Wanderzelle angehört.
Da die grossen Fettgewebsinseln, wie gesagt, durch Zu-
sammentreten einzelner junger Fettzellen entstehen, so braucht
es uns nicht zu verwundern, wenn wir in ihrem Innern selbst
gelegentlich typisches myeloides Gewebe vorfinden. Es bildet hier
um Gefässe herum angeordnet und zwischen den Fettzellen ver-
laufende oft strangförmige Herde.
Auf Fig. 9 sehen wir zwischen noch nicht miteinander ver-
einigten Fettlappen typische grosse Lymphozyten zerstreut (G Lmz).
Wenn im folgenden die Fettzellen zusammentreten, bleiben diese
Lymphozyten zwischen ihnen in Form von kleineren und grösseren
Herden liegen, die sich vornehmlich in der Umgebung von Kapillar-
gefässen anordnen und ihre typische weitere Differenzierung zu
granulierten Zellen, zu echten eosinophilen Myelozyten durch-
machen.
Während sonst im gewöhnlichen lockeren Bindegewebe zur
Zeit des Ausschlüpfens des Hühnchens die grossen Lymphozyten,
die nur für die frühen Entwicklungsstadien charakteristisch sind,
durch ihre anders gearteten Nachkommen, durch die kleinen
Lymphozyten, ersetzt erscheinen, finden wir zwischen den Fett-
zellen bis in die spätesten Stadien hinein ziemlich bedeutende
Mengen von grossen Lymphozyten und azidophilen Myelozyten.
Sie liegen meistens in der Umgebung der Kapillaren. Man findet
hier immer typische grosse Lymphozyten, die sich in Myelozyten
weiter verwandeln und ferner auch die weiteren Differenzierungs-
2 Wera Dantschakoff:
produkte der letzteren, — die reifen granulierten Leukozyten
mit den stäbcehenförmigen azidophilen Körnchen. Ob die An-
wesenheit des myeloiden Gewebes eine konstante und typische
Eigenschaft des Fettgewebes auch fürs weitere Leben des Hühn-
chens vorstellt, bliebe natürlich durch weitere speziell darauf
gerichtete Untersuchungen des betreffenden Gewebes im jungen
und erwachsenen Organismus klarzustellen.
VII. Das lockere Bindegewebe des Hühnerembryo
zum Schluss der Bebrütung.
Nachdem ich die Entwicklung der verschiedenen Zellarten
des lockeren Bindegewebes beim Hühnerembryo besonders ge-
schildert habe, will ich jetzt in kurzen Worten die Zellformen
aufzählen und beschreiben, die sich als regelmässige Bestand-
teile im lockeren Bindegewebe eines auschlüpfenden Hühnchens
befinden.
Die erste Stelle nach ihrer Zahl nehmen die sogenannten
Fibroblasten ein. Diese Elemente stellen die gewöhnlichen fixen
Bindegewebszellen vor und leiten sich direkt von jenen gewöhn-
lichen polymorphen, ästigen, netzartig miteinander verbundenen
Mesenchymzellen ab, die in den frühesten Stadien die einzigen
zelligen Bestandteile des primitiven Mesenchyms bildeten und die
Urform, die gemeinsame Stammzelle für alle anderen fixen und
wandernden freien Elemente des Blutes und des Bindegewebes
vorstellten. Sie beginnen ihre Tätigkeit als Erzeuger der faserigen
kollagenen Zwischensubstanz schon sehr früh, am fünften bis
sechsten Tage der Bebrütung, und ein Teil von ihnen kann sicher
von diesem Moment an schon als Fibroblasten bezeichnet werden.
Zu dieser Zeit unterscheiden sie sich immerhin noch sehr be-
deutend in ihrer Struktur und in ihrer Bedeutung von den zelligen
Elementen, die wir im Bindegewebe des erwachsenen Organismus
als Fibroblasten zu bezeichnen gewöhnt sind.
Ausser den Elementen, die faserige Zwischensubstanz pro-
duzieren, besteht das Mesenchym während der Bebrütungszeit
noch grösstenteils aus zelligen Elementen, die einer sehr mannig-
faltigen Differenzierung fähig erscheinen.
Etwas früher, am vierten bis fünften Tage der Bebrütung,
spalten sie die ersten freien. wandernden Elemente ab; sie be-
o
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 1
wahren aber wenigstens für einen Teil ihrer Elemente auch für
den grössten weiteren Teil des embryonalen Lebens die Fähig-
keit, sich in freie Wanderzellen des Bindegewebes zu verwandeln.
Es ist natürlich sehr schwer zu entscheiden, welche Zellen
des lockeren Bindegewebes im speziellen sich dabei abrunden
und in Wanderzellen verwandeln. Ich will nicht behaupten, dass
dies gerade mit den Fibroblasten geschieht, die schon faserige
Zwischensubstanz ausgearbeitet haben. Ich behaupte bloss, dass
im embryonalen Bindegewebe bis zu den spätesten Stadien der
Bebrütung sicherlich solche Elemente erhalten bleiben, die einer
weiteren Verwandlung in freie, indifferente, wandernde Zellen
fähig sind. Mit der Zeit wird natürlich diese Wanderzellbildung
aus fixen Elementen immer mehr und mehr eingeschränkt.
Zum Schluss des embryonalen Lebens erlangen die Fibro-
blasten ihre typischen morphologischen Eigenschaften. Ihre
runden oder ovalen, glatt konturierten Kerne enthalten feinste
blasse regelmässig verteilte Chromatinteilchen und zwei bis drei
Nukleolen. Ihr Protoplasma, welches sich früher durch starke
Basophilie auszeichnete, wird gewöhnlich hell und schwach basophil
und enthält oft zahlreiche feine Vakuolen, die zum Teil von kleinen
Fetttröpfehen herrühren. Die äussere Gestalt des Zellleibes tritt
besonders gut an Zupfpräparaten hervor, die schon vom 15. Tage
an leicht hergestellt werden können. Die Fibroblasten liegen
hier en face und präsentieren sich als breite platte Körper mit
mehreren breiten Ausläufern. Die Zellgrenzen treten schwach
hervor und sind schwer zu definieren. An D.-Präparaten erblickt
man im Protoplasma eine deutlich rosa-farbene Sphäre, während
an E-H-Präparaten an ihrer Stelle ein Zentriolenpaar hervortritt.
Die Fibroblasten liegen zwischen den Kollagenfasern einzeln oder
in Gruppen zerstreut. Sie erlangen also, wie aus der angeführten
Beschreibung erhellt, zum Schluss der Bebrütungszeit das für
den erwachsenen Zustand charakteristische Aussehen.
Die zweite fixe Zellart im lockeren Bindegewebe sind die
Fettzellen, die sich, wie wir gesehen haben, aus den Binde-
gewebszellen ziemlich spät entwickeln. Am Ende der Bebrütungs-
zeit bilden sie stets sehr umfangreiche kompakte Ansammlungen,
Fettgewebsinseln. Zwischen den Fettläppchen findet man in
wechselnder Menge ungleichmässig verteilte Massen von myeloidem
‚Gewebe. Auch zu dieser Zeit konstatiert man an der Peripherie
174 Wera Dantschakoff:
der Fettinseln durch Anlagerung immer neue und neue runde
junge Fettzeilen, die durch Ansammlung von Fett im Protoplasma
und durch Isolierung von Bindegewebszellen entstehen.
Ausser den beschriebenen fixen Elementen findet man
im lockeren Bindegewebe des ausschlüpfenden Hühnchens eine
ganze Reihe von verschiedenen freien, wandernden Zellen.
Wir unterscheiden histiotope, blasse Wanderzellen oder speziell
für das Bindegewebe charakteristische Wanderzellen, im Binde-
gewebe liegende, sodann kleine Lymphozyten, Mastzellen, einzelne
Exemplare von grossen Lymphozyten, Myelozyten, reife Leukozyten
mit azidophiler Stäbehenkörnung, und kleine runde, azidophile und
fein granulierte, wie es scheint, für Vögel spezifische Zellen.
Die histiotopen Wanderzellen sind im lockeren
Bindegewebe gelegen und präsentieren sich in ziemlich wechseln-
den Formen. Es sind Zellen, die in ihrer Grösse variieren, mit
mehr oder weniger vakuolisiertem Protoplasma, deren Oberfläche
mit zahllosen feinen Auswüchsen oder mit einzelnen breiten
Pseudopodien besetzt oder auch nahezu glatt sein kann. Das
verschiedene Aussehen des Protoplasmas hängt natürlich nur von
dem verschiedenen Funktionszustande der betreffenden Zelle ab.
Der Kern dieser Zellen ist manchmal rund; er hat aber eine
ausgesprochene Neigung zur Polymorphie und besitzt sehr oft
eine oder zwei tiefe Einstülpungen der Membran, die ihm eine
sehr unregelmässige Form verleihen.
Diese Wanderzellen sind ubiquitär im lockeren Bindegewebe
und man beobachtet an ihnen auch in den spätesten Stadien der
embryonalen Entwicklung die deutlichsten Erscheinungen der
Phagozytose. Wir haben bereits gesehen, dass sie die extra-
vaskulär entstandenen Erythrozyten verschlingen und verdauen.
Zum Moment des Ausschlüpfens des Hühnchens ist diese Ver-
nichtung der extravaskulären Hämoglobinzellen im Bindegewebe
nahezu vollendet. Was die weiteren Schicksale der histiotopen
Wanderzellen im postfetalen Leben anbelangt, so sind darüber
weitere Untersuchungen vonnöten. Es ist kein Zweifel, dass sie
der im erwachsenen Organismus vieler Tierarten unter dem
Namen von „ruhenden Wanderzellen“ bekannten Zellart durchaus
entsprechen.
Die zweite Art von freien Zellen im lockeren Bindegewebe
am Ende der Bebrütung sind die kleinen Lymphozyten
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 1
Sie erscheinen, wie wir gesehen haben, verhältnismässig spät und
stellen das unmittelbare Differenzierungsprodukt der grossen
Lymphozyten vor, die durch sie ersetzt werden. Die kleinen
Lymphozyten sind am Ende des Embryonallebens erstens zwischen
den anderen Elementen des lockeren Bindegewebes diffus zerstreut,
zweitens bilden sie schon an vielen Stellen kleine herdartige An-
sammlungen, die eine besonders starke Entwicklung im postfetalen
Leben erlangen. Sie stellen eine junge, indifferente Zeilform vor,
die für das ganze weitere Leben im lockeren Bindegewebe die
Fähigkeit zu ausserordentlich mannigfaltiger differenzierender
Entwicklung in den verschiedensten Richtungen bewahrt.
Im lockeren Bindegewebe des ausschlüpfenden Hühnchens
präsentieren sie sich überall in ihrer typischen Form, — als
kleine runde Zellen mit chromatinreichem Kern und ganz schmalem
basophilem Protoplasmasaum. Manche von ihnen verwandeln sich
aber schon in der oben beschriebenen Weise in fein- und rund
granulierte azidophile Zellen; vorläufig sind diese letzteren
noch ziemlich spärlich. Beim erwachsenen Huhn sind sie hingegen
massenhaft vorhanden.
Ein anderer Teil der kleinen Lymphozyten arbeitet im
Protoplasma eine spezifisch basophil und metachromatisch
reagierende Körnung aus und verwandelt sich auf diese Weise
in Mastzellen. Am Ende der Bebrütungszeit sind die letzteren
im lockeren Bindegewebe des Hühnchens ziemlich zahlreich. Sie
erscheinen entweder einzeln zerstreut oder sie bilden kleine
Gruppen an den kleinen Gefässen, zwischen den Muskelfasern,
an den Federbälgen, an der Peripherie der Ansammlungen
Iymphoiden Gewebes. Sie werden in ihrer äusseren Form von
den benachbarten Gewebselementen beeinflusst; manchmal machen
sie durchaus den Eindruck amöboid zu sein; deswegen erscheinen
sie auch entweder rund, oder platt, oder in die Länge gezogen,
oder endlich mit Ausläufern versehen. Im zirkulierenden Blut
sind dieselben Zellen auch vorhanden und hier immer kugelrund.
Der Kern ist bis zum Schluss des embryonalen Lebens in
allen Mastzellen, im Gewebe, sowie im Blut stets rund oder oval
und sehr chromatinreich. Die Körnchen der Mastzellen sind
ziemlich grob, meist reichlich angehäuft und zeichnen sich am
Schluss des embryonalen Lebens durch geringe Wasserlöslichkeit
176 Wera Dantschakoff:
aus, sodass sie sogar an Z-F-Präparaten ziemlich gut konserviert
erscheinen.
Als seltenere Bestandteile des lockeren Bindegewebes er-
scheinen die oben beschriebenen grossen Lymphozyten,
Myelozyten und Leukozyten mit stäbchenförmiger Körnung.
IX. Schluss.
Die Untersuchung der Entwicklung des lockeren Binde-
gewebes heim Hühnchen führt mich zu folgenden Schlusssätzen:
1. In den frühesten. Entwicklungsstadien — etwa bis zum
vierten bis fünften Tage — ist das embryonale Bindegewebe noch
vollkommen indifferent und seine Elemente alle gleichwertig und
histologisch einander vollkommen ähnlich.
2. Dieindifferente Mesenchymzelle ist die Urquelle,
aus welcher durch in verschiedene Richtungen verlaufende, diffe-
renzierende Entwicklung das komplizierte und aus mannigfaltigen
Elementen aufgebaute fertige lockere Bindegewebe hervorgeht.
Im Laufe des fetalen Lebens offenbart sie ausserdem die Fähig-
keit, sich sowohl zu hämoglobinhaltigen Zellen, als auch zu granu-
lierten zu entwickeln, sie kann also auch als Urstammzelle für
die verschiedenen Blutelemente gelten.
2
3. Die Blutbildung im Mesenchym erfolgt in Form
von ziemlich bestimmt lokalisierten Herden und beginnt entweder
auf Kosten von in loco entstehenden blutinselartigen Gebilden,
oder auf Kosten von wuchernden Gefässendothelien. Die Endo-
thelzelle, welche schliesslich eine modifizierte indifferente
Mesenchymzelle vorstellt, kann in frühen Entwicklungsstadien,
ebenso wie die letztere, zum Ausgangspunkte der Blutbildung
werden. Diese Eigenschaft des Endothels tritt sowohl an den
Kapillaren als auch an den grösseren Gefässen, speziell an der
Aorta, hervor. Die Differenzierungsprozesse der ursprünglichen
indifferenten Elemente (der Mesenchym- oder Endothelzellen)
im Mesenchym verlaufen prinzipiell auf dieselbe Weise, wie es im
Dottersack geschieht, auf Kosten der grossen Lymphozyten, die
als Mutterzellen funktionieren. Ein Unterschied existiert nur in
der Beziehung, dass im Körpermesenchym die Erythrozytenbildung
ausserhalb der Gefässe erfolgt. Die Granulozyten entstehen, wie
gewöhnlich, meistens ausserhalb der Gefässe, doch kann in einigen
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 177
Gefässen, wo das Lumen mit farblosen Elementen dicht angefüllt
ist, die Verwandlung der grossen Lymphozyten in Myelozyten auch
intravaskulär erfolgen.
4. Die Komplikation des Mesenchymgewebes beginnt mit
der Abspaltung der freien Wanderzellen von den gewöhn-
lichen ästigen fixen Elementen. Die Wanderzellen treten gleich
am Anfang (am vierten bis fünften Tage der Bebrütung) in Form
von zwei Zellarten mit ziemlich bestimmter Struktur auf, — als
histiotope und als Ilymphozytoide Wanderzellen.
Die histiotopen Wanderzellen gehen vornehmlich
aus den gewöhnlichen Mesenchymzellen hervor und entfernen sich
in ihrem histiologischen Habitus mehr oder weniger weit vom
Lymphozytentypus. Sie sind eine ziemlich polymorphe Zellart,
die ihr histologisches Aussehen, je nach dem Ort und der ver-
schiedenen Zeit der Entstehung im Organismus, bedeutend ändern
kann. Durch eine Reihe von Veränderungen verwandeln sie sich
im erwachsenen Organismus in die sogenannten ruhenden
Wanderzellen.
Die Ilymphozytoiden Wanderzellen gehen ebenfalls
aus den gewöhnlichen Mesenchymzellen oder aus den Gefäss-
endothelien hervor und sind in den frühen Entwicklungsstadien
ziemlich verbreitet; als Resultat ihrer Differenzierung erscheinen
die im embryonalen Mesenchym in ziemlich grosser Menge zer-
streuten Myelozyten. In der zweiten Hälfte der Bebrütungszeit
werden die grossen Lymphozyten allmählich durch eine neue Art
von freien Zellen ersetzt, — durch die kleinen Lymphozyten;
diese gehen an verschiedenen Körperstellen aus den grossen
Lymphozyten hervor und stellen schliesslich eine im lockeren
Bindegewebe sehr verbreitete Zellart vor.
Die kleinen Lymphozyten sind ebenso wie die grossen, eine
junge, indifferente, ihre zytoblastische Entwicklungsfähigkeit be-
wahrende Zellart. Diese Fähigkeit bleibt ihnen für immer er-
halten und tritt sowohl im fetalen, als auch im postfetalen Leben
im weiten Maßstabe hervor.
Die Differenzierungsprodukte der grossen und kleinen Lym-
phozyten sind doch etwas verschieden. Die grossen Lymphozyten
erzeugen im fetalen und postfetalen Leben vornehmlich hämo-
globinhaltige Elemente und Granulozyten. Die kleinen Lympho-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 12
178 Wera Dantschakoff:
zyten erzeugen Mastzellen, Plasmazellen und besondere, für das
lockere Bindegewebe der Vögel überaus charakteristische Zellen
mit feinen, runden azidophilen Körnern.
5. Die Mastzellen treten beim Hühnchen am zehnten
bis zwölften Tage der Bebrütung auf und gehen unmittelbar aus
den kleinen Lymphozyten hervor, die in ihrem Protoplasma die
spezifische metachromatische Körnung ausarbeiten. Das geschieht
sowohl im lockeren Bindegewebe, als auch besonders an den
Stellen, wo die kleinen Lymphozyten in grossen Mengen ange-
häuft liegen. Alle Mastzellen des Hühnerembryos haben gleiche
Struktureigentümlichkeit und müssen in eine gemeinsame Gruppe
vereint werden.
5. Die fixen Zellen des lockeren Bindegewebes bilden
die Fibroblasten und die Fettzellen. Die Fibroblasten
erscheinen als selbständige Zellart, die aus ihrem Protoplasma
die faserige Kollagensubstanz ausarbeitet, schon in sehr frühen
Stadien (fünf bis sechs Tage). Die Fettzellen erscheinen ziem-
lich spät (zwölften bis dreizehnten Tage); sie gehen hervor aus
fixen Zellen des lockeren Bindegewebes, indem dieselben im
Protoplasma Fett ausarbeiten und aufspeichern; die Zellkörper
runden sich dabei ab und vereinigen sich mit anderen ähnlichen
Zellen, sodass mehr oder weniger umfangreiche Fettgewebsinseln
entstehen.
Literaturverzeichnis.
1. Arthur Coca: Die Bedeutung der Fibroglia-Fibrillen. Eine embr. Studie.
Virch. Archiv, Bd. 186, H.2.
2. Dantschakoff: Über das ‚erste Auftreten der Blutelemente beim
Hühnerembryo. Vorl. Mitt. Folia haemat., IV. Jahrg., 1907.
Derselbe: Untersuchungen über die Entwicklung des Blutes und Binde-
gewebes bei den Vögeln. ‘I. Die erste Entstehung der Blutzellen. Anat.
Hefte, 1908.
3. Dominici: Sur un proc&d& de techn. histologique, applique & l’etude
des cellules conjonctives. Folia haemat., 1905, 4.
4. Ferrata: Über die Klassifizierung der Leukozyten des Blutes. Folia
haemat., Bd. 5, H. 7, 1908.
Howell: The Life history of the formed-elements of the blood, especially
the red blood corpuscules. Journ. of Morph., Vol. VI, 1, 1890.
[St
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 179
6. Kollmann: Der Randwulst und der Ursprung der Stützsubstanz. Arch.
f. Anat. u. Phys., Anat. Abt., 1884.
Mallory:
8. Maximow: Über die Entwicklung des Blutes und Bindegewebes beim
Säugetierembryo. Vorl. Mitt. Folia haemat., 1907.
Derselbe: Über die Zellformen des lockeren Bindegewebes. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 67, 1906.
Derselbe: Über entzündliche Bindegewebsneubildung beim Axolotl. Beitr.
z. path. Anat., Bd. 39, 1906.
9. Pappenheim: Zur Frage der Entstehung der eosinophilen Leukozyten.
Folia haemat., II. Jahrg., 3, 1905.
Derselbe: Verschiedene Abhandlungen in den Folia haemat., Bd. I—V.
10. Pensa: Della struttura e dello sviluppo dei ganglii linfatiei degli uccelli.
11. Rabl: Theorie des Mesoderms. Morph. Jahrb., Bd. XV, 2 fasc., 1889.
12. Rauber: Über den Ursprung des Blutes und der Bindesubstanzen.
Sitzungsber. der naturf. Ges. zu Leipzig, 1877.
-]
13. Ranvier: Traite technique d’histologie.
14. Retterer: Parallele des ganglions Iymphatiques des mammiferes et des
oiseaux. Ü.R. Assoc. Anat., IV Session, Nancy 1902.
15. Saxer: Über die Entwicklung und den Bau normaler Lymphdrüsen etc.
Anat. Hefte, Bd. 6, 1896.
16. Schaffer: Proceedings of the Royal Society 1874, eit. nach v. d. Stricht.
17. Solucha: Über die Zellformen des Bindegewebes und Blutes der Vögel
im normalen Zustand und bei Entzündung. Inaug.-Dissert., St. Peters-
burg 1908 (russisch).
18. van der Stricht: Nouvelles recherches sur la gen&se des globules
du sang. Arch. de biologie, 12, 1892.
19. Weidenreich: Zur Frage nach der Entstehung der eosinophilen Leuko-
zyten. Folia haemat., II. Jahrg., 3, 1905.
Derselbe: Die roten Blutkörperchen I u. II. Ergebnisse der Anatomie
u. Entwicklungsgeschichte (Merkel u. Bonnet), Bd. XIII u. XIV, 1903
u. 1904.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel VII u. VII.
Alle Figuren sind mit dem Zeichenapparat von Abbe gemacht worden
unter Benutzung der apochromat. Ölimmersion 2 mm und Kompens.-Ok. 12.
Ausführliche Erklärung der Figur im Text.
Für alle Figuren gültige Bezeichnungen: Ed — Endothel; Ebl —
Erythroblast; Erz — Erythrozyt; Fbl — Fibroblast; K — Kapillare; Kg —
Kollagenfasern ; L— Lumen; G Lmz — Grosser Lymphozyt; K Lmz — Kleiner
Lymphozyt; E Lkz = Eosinophiler Leukozyt; Mhz — Indifferente Mesenchym-
12*
150 Wera Dantschakoff:
zelle; Milz — Myelozyt; Mtz — Mastzelle; Phz — Phagozyt; HtWz =
Histiotope Wanderzelle; LmzWz — Lymphozytoide Wanderzelle; y —
Granulozyten mit eosinophiler, fein- und rundkörniger Granulation.
Tafel VII.
Alle Figuren stellen Schnittpräparate vor; alle wurden mit ZF fixiert
und D oder E-A gefärbt, ausser Fig. 4, welches nach Mallory behandelt
wurde.
Fig. 1. Sagittaler Schnitt der Aortenwand eines 72 stündigen Hühner-
embryo; die Endothelien verwandeln sich unter Wucherung in
Lymphozyten, die sich teilweise durch amöboide Bewegungen ab-
lösen und ins Innere des Gefässes gelangen; G Lmz’ — Karyokinese
eines Lymphozyten; Ed‘ = hyperthrophische Endothelzellen mit
amöboidem Protoplasma ; Ed'' — zweikernige Endothelzelle durch
einen langen Stiel an der Gefässwand festgehalten.
Fig. 2. Die ersten histiotopen Wanderzellen im Mesenchym des Kopfes
(4 Tage).
Fig. 3. Differenzierung der ersten Iymphozytoiden Wanderzellen aus den
indifferenten Mesenchymzellen in der Kopfregion (4 Tage). Lmz
Wz'' — Mesenchymzelle, sich in eine Iymphozytoide Wanderzelle
verwandelnd; Lmz Wz‘' — ]ymphozytoide Wanderzelle, nur noch
durch eine Protoplasmafortsetzung mit der daneben liegenden
Mesenchymzelle verbunden.
Fig. 4. Entwicklung der kollagenen Substanz im lockeren Bindegewebe
(7 Tage).
Histiotope Wanderzellen im lockeren Bindegewebe der hinteren
Extremität am 17. Tage der Bebrütung; x — allmähliche Differen-
zierung einer fixen ästigen Zelle in eine histiotope Wanderzelle;
Ht Wz'’ — stark vakuolisierte und mit dünnen Protoplasma-
ausläufern versehene histiotope Wanderzellen.
es
Eu
0
[Sr
Fig. 6. Differenzierung einer lymphozytoiden Wanderzelle aus dem Endothel
einer Kapillare (6 Tage).
Fig. 7 u. 8. Entwicklung von Myelozyten innerhalb und ausserhalb von
kleinen Gefässen im lockeren Bindegewebe (6 u. 7 Tage). Ed" —
hyperthrophisch und amöboid gewordene Endothelzellen, von der
Gefässwand der Kapillaren ins lockere Bindegewebe kriechend.
Tafel VIII.
Die Fig. 9, 10, 11 u. 16 stellen Präparate vor, die mit ZF. fixiert
und D oder E-A gefärbt wurden; die Fig. 12, 13, 14 u. 15 stellen mit
Alkohol fixierte und mit Chr oder T gefärbte Präparate vor; alle sind
Schnittpräparate, ausser Fig. 14, welches ein Blutausstrichpräparat vorstellt.
Fig. 9. Entwicklung der Fettzellen aus den Mesenchymzellen am 13. Be-
brütungstage: Ftz‘‘ — runde freie Fettzelle; Ftz‘''‘' —= Gruppe von
zusammengeflossenen Fettzellen.
AO:
e. 11.
Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 181
Erythropoetischer Herd im Mesenchym am 9. Tage der Bebrütung.
Ebl", Ebl"' — verschiedene Stadien der Differenzierung der Erythro-
blasten; x = Mesenchymzellen, die schon vielleicht kollagen aus-
gearbeitet haben.
Phagozytose der Erythrozyten im Unterhautzellgewebe (15 Tage).
Ht Wz' —= Karyokinese einer histiotopen Wanderzelle; Phz —
Phagozyt, der einen eosinophilen Leukozyt verschlungen hat.
Entwicklung der Mastzellen in der Thymus (13 Tage); Lmz'.
Lmz‘' — Verwandlung eines grossen Lymphozyten in einen kleinen.
Mastzellen des Knochenmarks; Mtz’ — Karyokinese einer Mastzelle,
Mastzellen des Blutes (15 Tage); feucht fixiertes Ausstrichpräparat.
Mastzellen im lockeren Bindegewebe.
Lockeres Bindegewebe eines Hühnchens am Ende der Bebrütung ;
Emg — Emigration eines kleinen Lymphozyten.
182
Aus dem pathologischen Museum der Universität Berlin.
Das Zentralnervensystem der Cetaceen.
II. Die Medulla oblongata von Phocaena communis (Cuv.) Less.
und Balaenoptera rostrata Fabr.
Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Morphologie der Oblongata
der Säuger.
Von
Bernhard Rawitz, Berlin.
Erste Hälfte.
Hierzu Tafel IX und X.
Inhalt.
Vorbemerkung.
A. Die Tatsachen.
1. Cetacea.
a) Phocaena communis (Cuv.) Less.
b) Balaenoptera rostrata Fabr.
c) Über einige der bisherigen Arbeiten über Cetaceen.
2. Marsupialia.
a) Didelphys marsupialis Shaw.
b) Die Ziehensche Arbeit über Pseudochirus.
3. Pachydermata.
Sus scrofa L.
Vorbemerkung.
Meiner im 62. Bande dieses Archivs abgedruckten Abhandlung
über das Rückenmark von Phocaena communis Cuv. und das Hals-
mark von PBalaenoptera rostrata Fabr.'!) sollte sehr bald die
Untersuchung der Medulla oblongata beider Spezies folgen. Ich
hätte mich dann auf die Cetaceen beschränken müssen. Allein
das Resultat wäre nur eine quantitative Vermehrung der Literatur
gewesen. Eine neue, rein deskriptive Darstellung, die sich auf
ein allerdings überaus selten untersuchtes Objekt bezog, wäre
!) Rawitz: Das zentrale Nervensystem der Oetaceen I. Arch. f. mikr.
Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 62.
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 183
zu den vorhandenen Darstellungen hinzugekommen, ohne dass
dabei meines Erachtens ein Gewinn für die Erkenntnis der ver-
gleichenden Morphologie dieses wichtigen Organs gewonnen
worden wäre. Dies aber erschien mir als das erstrebenswerte
Ziel. Der Bienenfleiss der Neurologen, welche in höchst dankens-
werter Weise die in der Oblongata vorhandenen Nervenbahnen
und deren Beziehungen zueinander erforschten, hat uns wohl
einen tiefen Einblick in den feineren Bau des Organs verschafft.
Welche mechanischen und funktionellen Momente aber seinen
verwickelten Bau herbeiführen, das war ein Thema, welches
von den Autoren nicht behandelt wurde. Und auch nicht be-
handelt werden konnte, weil die mehr praktischen Zwecken
dienende Bahnenerforschung die Ausdehnung auf zahlreiche Säuge-
tierspezies nicht verlangte und nicht vertrug. Darum schien es
mir angemessen, mit der Verarbeitung meines selbst gesammelten
Cetaceenmaterials eine vergleichende Untersuchung der Oblongata
der Säugetierklasse zu verbinden und von den Marsupialiern an
(Monotremen standen mir nicht zur Verfügung) bis zum Menschen
möglichst viele Spezies heranzuziehen.
Die in Folgendem mitzuteilenden Untersuchungen stützen
sich auf 17 Spezies, deren Oblongatae ich in lückenlose Serien
zerlegt und nach der Weigertschen Hämatoxylinmethode gefärbt
habe. Es waren beinahe 12000 Schnitte zu studieren; die Massen-
haftigkeit dieses Materials lässt es erklärlich erscheinen, dass
fünf Jahre seit der Veröffentlichung meiner ersten Mitteilung
über das zentrale Nervensystem der Cetaceen verflossen sind,
ehe ich an die Ausarbeitung der zweiten Mitteilung gehen konnte.
Die untersuchten Spezies sind die folgenden: Phocaena communis
(Cuv.) Less. (3 Oblongatae), Balaenoptera rostrata Fabr. (1 Obl.),
Didelphys marsupialis Shaw. (1 Obl.), Sus scrofa L. (2 Obl.), Ovis
aries L. (2 Obl.), Bos taurus L. (2 Obl.), Equus caballus L. (2 Obl.),
Canis familiaris L. (3 Obl.), Felis domestica L. (1 Obl.), Lepus
euniculus L. (2 Obl.), Erinaceus europaeus L. (2 Obl.), Talpa
europaea L. (2 Obl.), Vespertilio murinus Schreb. (2 Obl.), Lemur
varius L. (1 Obl.), Lemur mongoz L. (1 Obl.), Macacus rhesus
Wagn. (2 Obl.) und Homo sapiens L. (2 Obl.). In dankenswerter
Weise wurde ich in meiner Arbeit durch Überlassung von Material
unterstützt von den Herren: Geheimrat Prof. H. Munk, Geheimrat
Prof. Orth, Geheimrat Prof. Schütz, Prof. Heck und Dr. Hein-
184 Bernhard Rawitz:
roth, Direktoren des hiesigen zoologischen Gartens, und Dr.
Röthig. Literarische, mich ebenfalls zu Dank verpflichtende
Beihilfe gewährten mir die Herren Geheimrat Prof. Ziehen,
Privatdozent Dr. Rothmann und Dr. Katzenstein.
Die Arbeit wurde im physiologischen Institut der hiesigen
tierärztlichen Hochschule begonnen. Mit der Amtsniederlegung
meines verehrten ehemaligen Lehrers, des Herrn Geheimrat
Munk, musste ich einen Arbeitsplatz räumen, den ich 20 Jahre
lang inne gehabt. Denn in dem nunmehr der Verdauungs-
physiologie gewidmeten Institute war für einen Biologen kein
Aufenthalt mehr. Ich muss es daher als ein grosses Glück be-
trachten, dass mir Herr Geheimrat Prof. Orth, mein verehrter
früherer Lehrer, dem ich die erste gründliche Einführung in
die Histologie verdanke, in dem seiner Leitung unterstellten
pathologischen Museum einen Arbeitsraum zur Verfügung gestellt
hat. Den Gefühlen meines Dankes — ohne diese Hilfe hätte
ich aufhören müssen zu arbeiten — vollen Ausdruck zu geben,
bin ich nicht imstande; ich kann nur sagen: gratias habeo.
A. Die Tatsachen.
1. Cetacea.
a) Phocaena communis (Cuv.) Less.
Bei Betrachtung von Schnitten, welche das Grenzgebiet
zwischen Halsmark und Oblongata getroffen haben, fällt eine
Tatsache sofort in die Augen, die eine beim Rückenmark der
Cetaceen von mir gemachte Angabe bestätigt. Denkt man sich
eine Linie in transversaler Richtung so gezogen, dass sie tangential
auf dem inneren Ende der ventralen Stränge liegt '), — der Mangel
des Zentralkanals, der noch in den kaudalsten Partien der Ob-
longata zu konstatieren ist, macht eine andere Wahl unmöglich —
dann ergibt sich (Fig. 1), dass die motorische Sphäre der
Oblongata fast zwei Drittel des Querschnittes für sich beansprucht,
während der Rest auf die sensible Sphäre entfällt. Würde ein
Zentralkanal vorhanden sein, so müsste sich das Verhältnis noch
!) Ich werde in der folgenden Darstellung ausschliesslich die morpho-
logisch allein zulässigen Bezeichnungen ventral, dorsal, kapital, kaudal ge-
brauchen. Die Ausdrücke vorn, hinten, oben. unten haben nur Sinn für die
Oblongata des Menschen, sind aber sinnlos bei ihrer Anwendung auf die
anderen Säugetiere. :
Das Zentralnervensystem der Oetaceen. 155
mehr zu ungunsten der Sensibilität ändern. Also auch in den
Anfangsteilen der Oblongata ist, wie im ganzen Rückenmark, ein
sehr bedeutendes Überwiegen des motorischen Markes vorhanden.
In derselben Gegend sieht man ferner, — und auch damit
wiederholen sich die Erscheinungen, die ich vom Rückenmark
der Cetaceen beschrieben — dass von der dorsalen Kommissur
ein keilförmiger Fortsatz grauer Substanz in der Medianlinie in
dorsaler Richtung abgeht (Fig. 1). Anfänglich klein wird er, je
weiter man in die Oblongata kapitalwärts eindringt, schnell grösser
und reicht sehr bald bis an den Rand des Markes. Er entspringt
mit breiter Basis, endet spitz und stellt eine direkte Fortsetzung
der grauen Substanz dar, in welcher zahlreiche kleine Ganglien-
zellen enthalten sind. Ihm gesellen sich, wiederum etwas weiter
kapitalwärts, zwei kleinere, anfänglich rein gliöse, dann aber
Ganglienzellenhaltige Fortsätze hinzu, jederseits der Medianlinie
einer. Diese lateralen Zapfen grauer Substanz sind bald umfang-
reich, bald weniger umfangreich, verschmelzen an einer Stelle
mit dem medianen Zapfen, während sie an anderer Stelle zu
schwinden scheinen. Kurz, sie zeigen ein sehr unregelmässiges
Verhalten. Allmählich wird der mediane graue Zapfen immer
breiter, teils durch Anlagerung von Teilen der lateralen Zapfen,
teils auch, weil die ganze graue Kommissur in der Mittellinie
sich immer weiter dorsalwärts vorschiebt, dies offenbar unter
Zunahme ihrer Substanz (Fig. 2). So bildet der mediane Zapfen
schliesslich einen unregelmässigen vielzackigen Keil, der sich
zwischen die beiden dorsalen Stränge eindrängt. Diese Erscheinung
prägt sich auch in der äusseren Form des Markes aus. Während
der dorsoventrale Durchmesser des Organs unverändert bleibt,
nimmt der transversale nicht unbeträchtlich zu und die Zunahme
ist bedingt, wie aus dem Gesagten hervorgeht, durch eine Ver-
mehrung der grauen Substanz. Der genannte graue Keil bietet
auch noch aus einem anderen Grunde ein grosses Interesse dar.
Aus ihm wird mit der Eröffnung des IV. Ventrikels das zentrale
Höhlengrau. Das ist aber eine Tatsache, durch welche sich, wie
wir noch sehen werden, die Cetaceen nicht unerheblich von den
anderen Säugern unterscheiden. Ob es berechtigt oder gar not-
wendig ist, diese graue Substanz als „Schwanzkern“ oder als
„Nucleus accessorius medianus“ zu benennen, bleibe dahingestellt.
Ich habe die Bezeichnung darum nicht angenommen, weil das
186 Bernhard Rawitz:
zentrale Höhlengrau unter wiederholtem Formen- und Funktions-
wechsel verschiedenen Nerven zum Ursprung dient, die Bezeich-
nung Kern aber auf eine physiologische Einheit gehen soll, von
diesem sogenannten Schwanzkern das letztere jedoch nicht aus-
gesagt werden kann.
Es wurde schon erwähnt, dass die keilförmige graue Masse,
die gewissermaßen die dorsale Fissur vertritt, sich zwischen die
dorsalen, genauer zwischen die Gollschen Stränge eindrängt.
Dadurch werden diese und die Burdachschen Stränge verlagert.
Während ihre Richtung ursprünglich genau dorsoventral ist, liegen
sie nach voller Ausbildung des grauen Keils in der transversalen
Achse (Fig. 3). Und es liegt dabei der Gollsche Strang auf
dem Burdachschen auf, welch letzterer also lateral und ventral
verdrängt ist. Die Gollschen Stränge haben Keilform, die
Spitze ist nach lateral, die konvexe Basis nach medial gekehrt.
Die Burdachschen Stränge haben im Schnitt die Form eines
Rechtecks angenommen, dessen laterale und mediale Seiten schmal
und abgerundet sind. Die Gollschen Stränge zeigen bereits
eine Aushöhlung oder Rarefizierung ihrer Masse durch den in ihnen
sich ausbreitenden kleinzelligen Kern (Fig. 3), die Burdachschen
Stränge werden vom Mark aus rarefiziert, indem an ihrer medi-
alen Fläche allmählich graue Masse in sie eindringt.
Mit dieser Verlagerung der beiden Stränge geht natürlich
pari passu die Verlagerung der dorsalen Säulen (Fig. 3). Ur-
sprünglich, d.h. an der Grenze von Medulla spinalis und oblongata,
rein dorsal gelegen, sind sie mit dem sie aussen umgebenden Rest
des dorsalen Stranges jetzt so weit nach ventral verlagert, dass
sie die Mitte des lateralen Umfanges des Markes einnehmen. Durch
die allmählich vom Seitenstrang ausgehende Bildung des Retikulum
werden sie ausserdem fast hermetisch gegen jenen grauen Keil, das
zentrale Grau, und gegen die ventralen Säulen abgeschlossen.
Die letzteren sind verkleinert. Das rührt daher, dass ein Teil von
ihnen, und zwar der mehr nach der Mitte des Organs hin gelegene,
welcher zahlreiche grosse Ganglienzellen enthält, durch die Ent-
wicklung des eben erwähnten Retikulum zum zentralen Grau hin-
gedrängt wurde, mit dem er sich aber nicht vereinigt. Dieser
Teil der ventralen Säulen, welcher ganz isoliert liegt, ist der
Kern des Hypoglossus. Der ventralste Abschnitt der Säulen hat
kreisrunde Form, er verschwindet nach und nach, weil an der
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 157
Retikulumbildung sich nunmehr auch die ventralen Stränge be-
teiligen und dadurch den Säulenrest völlig verdrängen. Die la-
teralen Säulen sind als distinkte Bildungen nicht mehr erkennbar,
weil ihr Platz vom Retikulum eingenommen wird.
Während an der Grenze zwischen Oblongata und Rückenmark,
welche durch das Auftreten des oben ausführlich beschriebenen
medianen grauen Keils charakterisiert ist, noch nichts von einer
Pyramidenkreuzung zu sehen war, tritt diese nunmehr deutlicher
hervor (Fig. 3). Und zwar beginnt sie ein wenig später, als der
Kern in den Gollschen Strängen erscheint. Sie stellt sich als ein
genau median zwischen den inneren Abschnitten der ventralen
Stränge gelegenes, sehr schmales Band dar, welches seine Fasern
wesentlich von den Gollschen und Burdachschen Strängen
erhält. Die Fasern des Seitenstranges sind zunächst nur in ge-
ringem Maße, die des ventralen garnicht an der Kreuzung be-
teiligt. Die gekreuzten Fasern schlagen sich am Markkontur auf
den ventralen Strang über, auf welchem sie als eine zarte Kalotte
schräg geschnittener Fasern zu erkennen sind. In dieser ganzen
Anfangspartie der Oblongata und auch weiter kapitalwärts bis zu
der Stelle, wo die erste Andeutung des Ventrikels erscheint, sieht
man nacheinander drei Nervenwurzeln austreten. Sie haben ihren
Ursprung im zentralen Grau und gehen in einem dorsal konvexen
Bogen in transversaler Richtung schräg durch das Mark. Ihre
Austrittsstelle bezeichnet die Grenze zwischen lateralem Strange
und dem Reste des dorsalen Stranges, welcher die ventrolateral
verlagerte dorsale Säule umgibt. Es handelt sich hier um die
ÖOblongatawurzeln des Nervus accessorius.
Die weiteren Veränderungen in der Konfiguration des Markes
werden durch die allmählich erfolgende Bildung des IV. Ventrikels
herbeigeführt. Dieser Vorgang beansprucht darum ein grosses Inte-
resse, weil bekanntlich im Rückenmark kein Zentralkanal vorhanden
ist und weil, wie oben hervorgehoben, auch in den kaudalsten Partien
der Oblongata jede Spur eines solchen Kanals fehlt. Die erste
Andeutung der Ventrikelbildung wird durch das schnelle und
starke Auseinanderweichen der Goll-Burdachschen Stränge
gegeben. Verfolgt man dieses in einer lückenlosen Schnittserie,
indem man die einzelnen Schnitte sehr schnell unter dem Mikroskop
aufeinander folgen lässt, so gewinnt man den Eindruck, als ob die
genannten Strangpaare mit Gewalt auseinander gespresst würden.
155 Bernhard Rawitz:
Es ist die sich rasch vermehrende Substanz des zentralen Grau,
welche sich energisch in der Medianlinie nach beiden Seiten aus-
dehnt, sich Raum verschafft und daher alles ihr hinderlich im Wege
Stehende zur Seite drängt. Goll-Burdach weichen ganz an den
lateraldorsalen Rand der Oblongata. Gleichzeitig mit dieser be-
trächtlichen Volumszunahme erscheint im zentralen Grau in der
Nähe des inneren Endes der ventralen Stränge eine unregelmässig
konturierte Öffnung, die, weil sie in meinem Material wenigstens
keine Epithelauskleidung besitzt, wie ein genau median gelegenes
artifizielles Loch aussieht. Die Öffnung wird rasch grösser, wird
oval und stellt sich mit ihrem grossen Durchmesser in die trans-
versale Achse ein. Sie teilt das zentrale Grau in zwei Teile, einen
kleinen dunklen, welcher ventral liegt, und einen grösseren hellen,
dorsal von ihr gelegenen. Wir treffen später, mit einigen Modi-
fikationen allerdings, diese Zweiteilung des zentralen Höhlengrau
bei allen Säugetieren wieder.
Wenn das erwähnte Loch, das als Zentralkanal zu betrachten
ist, seine transversalovale Figur erhalten hat, dann tritt am
dorsalen Kontur des zentralen Grau, da wo dieses also gewisser-
massen ins Freie stösst, eine rinnenartige Finsenkung auf, die
schnell tiefer wird und sehr bald sich mit dem sich erhebenden
dorsalen Kontur des Zentralkanals begegnet. Dann reisst die
graue Substanz ein und der IV. Ventrikel ist gebildet (Fig. 4).
Letzterer entsteht also, morphologisch betrachtet, aus zwei Teilen,
dem Zentralkanal und einer dorsalen Markspalte. Und es ist
bezeichnend für Phocaena, dass diese ursprüngliche Bildungsweise
des Ventrikels sich weit kapitalwärts verfolgen lässt. Denn der
Anteil des Zentralkanals ist durch zwei tiefe laterale Buchten
bezeichnet (Fig. 4.)
Eine Veränderung, die mit der Ventrikelbildung verbunden
ist, kann man an den Gollschen und Burdachschen Strängen
beobachten. Sie sind noch mehr als früher zur Seite gedrängt
(Fig. 4), denn der transversale Durchmesser des Markes ist be-
sonders in seinem dorsalen Abschnitt sehr beträchtlich grösser
geworden. Und ferner findet mit dem Auftreten des Ventrikels
eine Volumsverringerung der beiden Strangpaare statt. Die
Gollschen Stränge werden erstens durch ihren kleinzelligen Kern
immer mehr rarefiziert (Fig. 4) und die Burdachschen Stränge
werden immer tiefer vom Mark her ausgehöhlt (Fig.4). Und
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 189
zweitens geben beide Strangpaare in grosser Masse Nerven zur
Pyramidenkreuzung ab, zu der sie in welligem Verlaufe ziehen.
Mit der Eröffnung des IV. Ventrikels ist ferner die Pyramiden-
kreuzung breiter geworden, ohne allerdings im mikroskopischen
Bilde irgendwie aufzufallen. Sie erhält ihre Fasern ausser von
den genannten Strangpaaren jetzt auch in grösserer Menge aus
dem Retikulum und ferner auch vom Rest der dorsalen Stränge,
welcher halbringartig die dorsalen Säulen umgibt. Und ausserdem
kommen, wenngleich spärlich und nur bei grösserer Aufmerksamkeit
erkennbar, gelegentlich vom ventralen Strange Fasern zur Kreuzung;
diese hat es noch nicht zur Bildung von Pyramiden gebracht.
Noch andere Veränderungen machen sich mit der Eröffnung
des Ventrikels bemerkbar. Jederseits der Medianlinie treten
marginal in den ventralen Strängen zwei unregelmässig gestaltete
helle, kernartige Flecken auf, die ersten Andeutungen der Oliven
(Fig. 4). Sie werden von spärlichen Nervenfasern in transversaler
Richtung durchzogen, welche vom Retikulum kommen und zur
Pyramidenkreuzung ziehen. Ferner tritt marginal im Seitenstrang
ein unregelmässiger, ziemlich grosszelliger Kern auf, der Seiten-
strangskern (Fig. 4). Zwar sieht man medial von ihm und lateral
von der Olivenandeutung noch einen zweiten sehr kleinen Kern-
fleck, sodass jener als Nucleus lateralis dorsalis, dieser als N. |.
ventralis bezeichnet werden könnte. Doch lässt das Studium der
lückenlosen Schnittserie keinen Zweifel darüber, dass beide Kerne
sich miteinander vereinen, sodass also nur ein einheitlicher Nucleus
lateralis vorhanden ist.
Die wichtigste Veränderung geht aber mit der, wie wieder-
holt hervorgehoben, sehr stark ventrolateral gerückten dorsalen
Säule vor sich. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die
ursprünglich rein dorsal gelegene Säule jetzt so verlagert ist,
dass sie die Seite der Oblongata einnimmt und dabei zum grössten
Teil deren ventraler Hälfte angehört. Das ist eben das charak-
teristische in den kaudalen Abschnitten der Oblongata, dass mit
der morphologisch und physiologisch zunehmenden Komplikation
des Organs eine völlige Verlagerung der ursprünglichen Rücken-
marksteile statt hat. Was früher dorsal lag, rückt lateral und
ventral, und was früher ventral sich fand, wird dorsal verlagert.
Die weitere Schilderung wird dies bestätigen. Die ehemaligen
190 Bernhard Rawitz:
dorsalen Säulen nun, bei denen übrigens, nebenbei bemerkt, die
Rolandosche Substanz kaum angedeutet vorhanden war, unter-
liegen allmählich einem vollkommenen Funktionswechsel. Nach
innen von ihrem Nervenbelag treten jetzt mit Eröffnung des
Ventrikels disseminierte Querschnittsbündel auf (Fig. 4), die sehr
bald weiter kapitalwärts sich verdichten und die aufsteigende
Wurzel des Trigeminus darstellen. Hier haben wir deren Anfang.
Nun gehört zur Wurzel ein Kern. Und da der aufsteigenden
Wurzel die ursprünglich dorsale Säule anliegt, oder vielmehr, da
die Trigeminuswurzel in der Säule entsteht und in ihr liegt, so
muss letztere ihren Kern darstellen oder richtiger, muss sich
allmählich zu ihrem Kern umwandeln.
Von hier ab gehen die Veränderungen in der Medulla
oblongata langsamer vor sich. Das wesentlichste Moment, welches
auf die Gestalt des Organs Einfluss hat, ist die Erweiterung des
IV. Ventrikels. Er dehnt sich lateral aus, indem sich seine Wände
voneinander immer mehr entfernen und indem sich gleichzeitig
die Grenze zu dem ursprünglichen Zentralkanal verwischt. Die
den letzteren auszeichnenden lateralen Taschen verschwinden, weil
die Wand des Ventrikels sich gewissermassen in die Länge zieht
und dazu der Taschen bedarf. Der Boden und die Wände des
Ventrikels werden vom zentralen Höhlengrau eingenommen (Fig. 5).
Es zeigt, wie schon vorher erwähnt wurde, eine Zweiteilung, in-
dem man einen dunklen und einen hellen Abschnitt unterscheiden
kann. Jener erscheint dunkel, weil in ihm ausser grossen
Ganglienzellen viele wirr durcheinander geworfene Nervenfasern
sich finden. Dieser ist hell, weil er der Nervenfasern entbehrt;
er enthält, wie der vorige Abschnitt, grosse Ganglienzellen in
beträchtlicher Anzahl. Der dunkle Teil des Höhlengrau ist klein,
nimmt den Boden des Ventrikels ein und gibt Fasern zum Hypo-
elossus ab, bildet also einen Teil des Kernes dieses Nerven
(Fig. 5). Bei den meisten der übrigen Säuger ist das dunkle
Grau der ganze Hypoglossuskern. Das helle Grau, welches die
Seitenwand des Ventrikels bildet, ist mehr als doppelt. so gross
wie das dunkle Grau und stösst lateral an die @ollschen Stränge
und die von ihnen und den Burdachschen Strängen zur Raphe
ziehenden Fibrae arcuatae an (Fig. 5). An der Grenze zum
Gollschen Strange setzt sich an das helle Grau jederseits ein
Piafortsatz an, welcher dem Seitenrande des Grau mit mächtigen
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 191
Gefässschlingen aufliegt, transversal zieht und so das Dach des
Ventrikels herstellt.
Durch das Auseinanderweichen der Ventrikelwände hat sich
allmählich eine der interessantesten Verlagerungen eingestellt.
Die medialen Partien der ventralen Stränge sind bis dicht an
den Boden des Ventrikels gerückt. finden sich jetzt also dorsal.
Sie sind von einer sehr dünnen Schicht des dunklen Grau bedeckt
(Fig. 5). Lateral von ihnen, vom zentralen Grau durch die am
meisten dorsal ziehenden sehr mächtigen Arcuatae getrennt, liegt
jederseits ein kreisrundes Nest mächtiger Ganglienzellen: der
aus den Resten der ventralen Säulen enstandene Hypoglossuskern.
Von dem Kern sieht man Faserbündel abgehen, ebenso wie vom
dunklen Grau; sie sind der Hypoglossus. Anfänglich finden sich
nur diese Bündel, während vom intramedullaren Verlaufe des
Nerven nichts zu sehen ist.
Während die Verkleinerung der Gollschen und Burdach-
schen Stränge sowohl durch die Rarefizierung seitens ihrer Kerne
(Fig. 5) — im Innern des Burdachschen Stranges hat sich ein
kleiner Kern gezeigt — wie durch starke Abgabe von Arcuatae
weitere Fortschritte gemacht hat, ist die aufsteigende Wurzel
des Trigeminus sehr viel massiver geworden. In dem ihr zu-
gehörigen Grau, der umgewandelten dorsalen Säule, treten vier
bis fünf durch zirkulär verlaufende Fasern kreisrund begrenzte
kernartige Flecken auf. Das sind die einzelnen Abteilungen des
Kerns der aufsteigenden Trigeminuswurzel, die kreisrund ange-
ordneten Fasern entspringen von den zahlreichen mittelgrossen
Zellen dieses Kernes und begeben sich zur Wurzel, in der sie
in die kapitokaudale Richtung einbiegen.
Die Pyramidenkreuzung ist beendet und an ihrer Stelle ist
es zur Bildung einer ziemlich schmalen Raphe gekommen. In
dieser kreuzen sich die von den Goll-Burdachschen Strängen
und aus dem Retikulum stammenden Arcuatae. Die ersten von
ihnen, welche dicht an dem zentralen Höhlengrau gelegen sind,
durchqueren den Hypoglossuskern. An ihrem ventralen Ende
verbreitert sich die Raphe und die in ihr gekreuzten Fasern
biegen sich lateral um: dies ist die einzige Andeutung einer
Pyramidenbildung. Nach aussen von der Umbiegungsstelle, in
der Medianlinie, findet sich aber ein schmales, fast vierseitiges
Gebilde, das aus feinsten Nervenfasern besteht, welche in kapito-
192 Bernhard Rawitz:
kaudaler Richtung verlaufen. Es erhält sich sehr weit kapitalwärts
und könnte als eine unpaare Pyramide gedeutet werden (Fig. 5).
Lateral von der Raphe und ihr eng angepresst, am ven-
tralsten Abschnitte des Markes, finden sich die inzwischen grösser
gewordenen Oliven. Es sind eiförmige Gebilde, welche ihren
runden Pol medianwärts kehren. Sie werden von Nervenfasern
durchquert, die vom Retikulum kommen und zur Raphe ziehen.
Lateral von den Oliven liegt der stark verkleinerte Seiten-
strangskern.
Noch ein Gebilde beansprucht in dieser Region der Oblongata
unsere Aufmerksamkeit. In der äussersten ventrolateralen Ecke
des hellen zentralen Höhlengrau, welche durch den Kern des
Burdachschen Stranges und das Retikulum hergestellt wird,
findet sich ein eircumskriptes Nervenbündel, das vom übrigen
hellen Grau durch die vom Gollschen Strange kommenden
innersten Arcuatae getrennt wird. Bei der für meine Unter-
suchungen gewählten Schnittrichtung (dorsoventral) besteht dies
Bündel aus quergeschnittenen feinen Nervenfasern. Der flüchtigen
Betrachtung könnte es als ein etwas weit dorsalwärts geschobenes
Stück des Retikulum erscheinen, dies um so mehr, als es seinen
Charakter und seine Lage bis weit kapitalwärts beibehält. Es
ist, wie die Serie ergibt, dies die aufsteigende Wurzel des Glosso-
pharyngeus (Fig. 5), der sogenannte Fasciculus solitaris der
Autoren. Der Kern der Wurzel ist die laterale Ecke des hellen Grau.
Das Hauptinteresse nehmen von jetzt ab die Oliven in
Anspruch, welche allmählich das mikroskopische Bild beherrschen.
Die ursprüngliche Eiform wird weiter kapitalwärts bohnenförmig
(Fig. 5) und es zeigt sich, dass die konkave Fläche der Bohne,
d.h. hier der Hilus der Olive, lateral gekehrt ist. Vom Retikulum,
von den Gollschen und Burdachschen Strängen strömen die
Fasern von lateral her in die Olive ein und durch sie hindurch,
Bald erscheinen dorsal von ihnen im Reste der ventralen Stränge
jederseits der Medianlinie zwei kleine kreisrunde, kernartige
Flecken, von welchen der der Medianlinie benachbarte wie eine
kleine Kappe der Olive aufsitzt, während der lateral davon
gelegene von dem Hauptgebilde getrennt ist. Die bohnenförmige
Einsenkung wird tiefer, die Bohnengestalt also deutlicher (Fig. 7),
die Nervenfasern, welche in den Hilus einstrahlen, gehen bis
zum medialen Rande der Olive und scheinen sich teils nach
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 195
dorsal, teils nach ventral so umzuschlagen, dass sie die Olive in
zwei Teile zerlegen (Fig. 6), einen dorsalen und einen ventralen.
Dabei senkt sich am Hilus der dorsale Teil etwas auf den ven-
tralen herab und so gewinnt es den Anschein, als ob das früher
einheitliche Gebilde nunmehr aus zwei, durch weisse Substanz
gesonderten Abschnitten bestünde. Und rechnet man den vorhin
erwähnten lateralen hellen Fleck hinzu, so hätte man drei Oliven
vor sich. Der mediale helle Fleck hat sich inzwischen deutlich
mit dem dorsalen Olivenabschnitt vereinigt, auf dem er wie eine
schwanzartige Kappe aufsitzt.
Wer nur diese Gegend untersucht und die Entstehung des
mikroskopischen Bildes nicht in der lückenlosen Serie verfolgt
hat und auch weiterhin keine lückenlose Serie benutzt, der kann
sehr leicht zu der Meinung kommen, dass tatsächlich drei Oliven
vorhanden seien. Und die besondere Bezeichnung eines jeden
dieser Gebilde liegt dann nahe, namentlich wenn man die in der
ÖOblongata des Menschen beschriebenen Partien in der Phocaena-
Oblongata glaubt wiederfinden zu müssen. Das Studium der Serie
aber lehrt, dass eine solche Unterscheidung unzulässig ist, denn
die Dreiteilung ist nicht der Ausdruck für das Vorhandensein
dreier distinkter Organe, sondern sie ist der Ausdruck einer bei
Phocaena vorhandenen inneren Spezialisierung eines einheitlichen
Organs. Und noch dazu einer vorübergehenden Spezialisierung.
Denn im weiteren Verfolg der Serie schwindet sie wieder voll-
ständig. Wir haben wiederum ein einheitliches bohnenförmiges
Organ, das seinen Hilus nach aussen kehrt und dem dorsal eine
spitze, ziemlich langgezogene Kappe aufsitzt. Streng genommen
ist auch die Bezeichnung „Kappe“ unzulässig, denn sie würde
darauf hindeuten, dass der so bezeichnete Abschnitt mindestens
morphologische, wenn auch keine physiologische Selbständigkeit
besitzt. Und das ist falsch. Denn die dorsale Kappe der Olive
steht in direktem Zusammenhang mit dem Hauptorgan, ist seine
unmittelbare Forsetzung. Und auch dadurch wird das Aussehen
der Trennung erweckt, dass die von lateral her kommenden Fasern
nicht bloss am Hilus in die Olive eintreten, sondern vom Hilus
aus dorsal biegen und die Kappe in grosser Menge durchquerend
zum medialen Rande der Olive sich begeben. Hier gehen sie
teils in die Raphe ein, teils bilden sie eine Art weissen Mantels
der Olive, aus dem sie vom Rande her in sie eindringen. Und
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 13
194 Bernhard Rawitz:
auch der laterale helle Fleck, der vorhin erwähnt wurde und
welcher mit der Nebenolive des Menschen als identisch betrachtet
wird, ist kein gesonderter Oliventeil. Ursprünglich klein und
kreisrund hat er sich allmählich in dorsoventraler Richtung ge-
streckt, sodass er jetzt parallel zum grössten Olivendurchmesser
liegt (Fig. 7). Dieser Teil ist nur scheinbar selbständig. Sehr
viel weiter kapitalwärts, wenn der Facialiskern als kleiner heller
Fleck eben erschienen ist (Fig. 10), noch besser, wenn dieser
inzwischen sehr gewaltig vergrösserte Kern (Fig. 12) seinen
Nervenstrom in dorsaler Richtung entsendet und die Bildung des
Faecialisknie beginnt, — denn die Oliven reichen ausserordentlich
weit kapitalwärts — dann sieht man. wie diese sogenannte dor-
sale Nebenolive allmählich derart mit der Hauptolive verschmilzt,
dass sie gemeinsame Nervenfasern haben. Selbständigkeit in
morphologischer Beziehung setzt aber vollkommene Trennung
voraus.
Kehren wir zu dem vorhin geschilderten Bilde zurück. Im
weiteren Verlaufe wird die sogenannte Kappe nervenfrei und zeigt
dadurch ihre Zugehörigkeit zur Hauptolive. Und die sogenannte
Nebenolive wird keulenförmig, der dorsal gekehrte Keulenstiel
verkürzt sich, während der Keulenkopf mehr ventral bis beinahe
an den Rand der Oblongata rückt. Die Olive stellt jetzt ein
‚ mächtiges Organ dar. Die Bohnenform ist noch immer erhalten
und der Hilus nach wie vor lateral gekehrt. Nur insofern weicht
der Querschnitt vom Bohnenschema ab, als das ventrale Ende
des Organs etwas aufgetrieben, das dorsale Ende leicht abgeplattet
ist. Die weisse Masse, welche zur Olive gehört, ist besonders
mächtig am Hilus (Fig. 7) und am dorsalen Ende, an welch
letzterem sie an die ventralen Strangreste anstösst. Die lateralen
Nervenmassen, welche die seitliche Partie, die angebliche dorsale
Nebenolive, an den Hauptteil des Organs ankitten, statt sie von
ihm zu trennen, rekrutieren sich aus Fasern, welche vom Reti-
kulum, den Gollschen und Burdachschen Strängen kommen,
und aus solchen, welche aus der Olive austreten. Auffallend dünn
ist der mediale und ventrale Markmantel und ebenfalls auffällig
spärlich und zart sind die Fasern, welche die Olive in trans-
versaler Richtung durchsetzen. Dadurch imponiert das Organ bei
jeder Art der Betrachtung als ein gewaltiges, scharf von seiner
Umgebung sich abhebendes Gebilde. Und die Oliven beider Seiten
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 195
Stellen sich als ein grosser dreieckiger Keil dar, welcher sich in
die Oblongata einzuzwängen sucht. Auf diesem Stadium der Aus-
bildung erhält sich die Olive bis sehr weit kapitalwärts. Sie ist
erst, das scheint mir notwendig hinzuzufügen, als voll ausgebildet
zu betrachten, wenn sie dieses Aussehen erreicht hat; und sie hat
es erst erreicht, nachdem sie alle ursprünglich gesondert auf-
tretenden Abschnitte in sich aufgenommen hat. Es ist daher
direkt falsch, wenn von anderer Seite von einer „bereits ent-
wickelten“ Olive gesprochen wird, noch ehe sich der IV. Ventrikel
gebildet hat; vor dessen Auftreten ist die Olive nur angedeutet.
Und es ist, wie ich wiederholen muss, unzulässig, von Haupt-
olive, dorsaler und ventraler Nebenolive zu reden. Die kaudalen
Oliven von Phocaena sind einheitliche und jederseits der Median-
linie in der Einzahl vorkommende Organe. Und dieser Grad der
Ausbildung ist erreicht, wenn der Boden des IV. Ventrikels eine
fast gerade Linie geworden, wenn das zentrale Höhlengrau, in
dem es sich ventralwärts an seinen Rändern ausdehnt, die
Gollschen und Burdachschen ventrolateral, die aufsteigende
Wurzel des Trigeminus ganz ventral gedrängt hat.
Für die morphologische Betrachtungsweise, die ich in dieser
Arbeit festhalte und für welche die reine Bahnenbeschreibung
erst an zweiter Stelle kommt, bieten die Oliven ein ganz be-
sonderes Interesse. So mächtig sie entwickelt sind, einen so
breiten Raum sie einnehmen: einen mechanischen, d. h. gestalten-
den Einfluss auf die Oblongata üben sie nicht aus. Sie ragen
bedeutend über den ventralen Markkontur heraus, aber sie dringen
nicht tief nach dorsal vor. Sie drängen daher nur einen kleinen
Teil der ventralen Markpartien auseinander, sind aber sonst für
die Umformung und Umlagerung der Teile belanglos. Ganz im
Gegensatz zu den Oliven z. B. des Menschen, welche, ganz abge-
sehen von ihrer höheren Entwicklung, ein sehr wichtiges mecha-
nisches Moment in der Oblongatabildung bedeuten.
Wenden wir uns nunmehr wieder zu den übrigen Teilen
der Oblongata zurück.
Es war schon erwähnt worden, dass das wesentliche Motiv
für die Umgestaltung des verlängerten Markes die Erweiterung
des IV. Ventrikels ist. Seine ursprünglich sehr steil abfallenden
Ränder werden flach und zeigen eine leicht wellige Beschaffenheit.
Das zentrale Höhlengrau ist in der Mitte des Ventrikelbodens ein
13*
196 Bernhard Rawitz:
schmaler, fast rein gliöser Streifen, von welchem direkt bedeckt
sind die total verlagerten ventralen Stränge. Seitlich von der
Grenze der letzteren wird der gliöse Boden zu dem etwas stärkeren
dunklen Grau, das den dorsalen Abschnitt des Hypoglossuskerns
darstellt (Fig. 5). Und seitlich vom dunklen haben wir das sehr
stark entwickelte helle Grau, aus welchem der Nervus vagus
seiner Hauptmasse nach entspringt (Fig. 5).
Der Hauptkern des Hypoglossus, der, wie man sich erinnern
wird, aus einem abgeschnürten Teile der ventralen Säulen ent-
standen ist, ist seit langem als Kern differenziert und hat seine
früher beschriebene Lage behalten (Fig. 5). Jetzt erst, nachdem,
ich wiederhole es, der Kern längst als solcher vorhanden war,
treten die Faserzüge des Hypoglossus intramedullar auf. Sie
ziehen fast gerade ventralwärts, winden sich lateral an den Oliven
vorbei, erreichen aber den Rand der Oblongata noch nicht, d.h.
mit anderen Worten: Der Nervenkern ist vorhanden, bevor der
Nerv intramedullar sichtbar wird, der intramedullare Verlauf des
Nerven ist zu erkennen, bevor sein Austritt aus der Oblongata
erfolgt.
Nicht viel später als der Hypoglossus erscheint intramedullar
der Vagus (Fig. 5). Auch dessen Kern ist frühzeitiger zu sehen,
denn er entspringt in seiner Hauptmasse von dem helleren Teil
des zentralen Höhlengrau. Nur wenige Vagusfasern kommen
auch von demjenigen dunklen Grau, das direkt an das helle
anstösst. Während der Hypoglossus am Rande der ventralen
Strangreste dahinzieht, strebt der Vagus am Rande des Retikulum
seinem Austritte zu. Auch hier aber ist dieser noch nicht zu sehen,
sondern findet sich wie der des Hypoglossus erst weiter kapital-
wärts. Der Hypoglossus erscheint fast sofort in zwei Strängen,
beim Vagus ist zunächst wenigstens nur ein intramedullarer
Strang vorhanden; erst später finden sich mehrere Wurzelfaser-
bündel. Beiden Nerven gemeinsam ist, dass sie nicht als ein-
heitliche Gebilde das Mark durchsetzen, sondern dass sie in
ihrem ganzen intramedullaren Verlaufe bald grössere, bald kleinere
Unterbrechungen zeigen. Ich will damit sagen, dass z. B. der
Hypoglossus aus seinem Kern als Strang herauskommt. Nach
einem längeren oder kürzeren Verlaufe bricht der Nerv plötzlich
ab, es folgt eine nervenfreie Strecke, dann folgt wieder ein
Stück Nerv usw. Daraus geht hervor, dass sowohl beim Hypo-
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 197
glossus als auch beim Vagus und, wie ich gleich hier bemerken
will, beim Glossopharyngeus und Abducens der intramedullare
Verlauf stark wellig gebogen ist. Darum kann in einer Schnitt-
ebene nicht der ganze Nervenverlauf zu sehen sein.
Mehr lateral als der Hypoglossus entspringt der Vagus.
Darum ist auch sein Austritt nicht wie bei diesem am ventralen,
sondern am lateralen Markkontur (Fig. 5). Er zieht ziemlich an
der seitlichen Grenze des Retikulum so entlang, dass er in der
Nähe der aufsteigenden Trigeminuswurzel nach aussen tritt.
Während die Gollschen Stränge durch ihren Kern, der
aus zahlreichen kleinen und grossen dicht gedrängten Zellen
besteht, fast völlig rarefiziert sind, ist die Auflösung der
Burdachschen Stränge weit weniger vorgeschritten (Fig. 5).
Denn der vom Markinnern vordringende grosszellige Kern sowie
die im Stranginnern gelegenen kleinen Kerne — ihre Zahl
wechselt zwischen einem und vier Kernen — haben noch eine
ziemlich kompakte Nervenmasse übrig gelassen. Zwischen dem
Burdachschen Strange und der aufsteigenden Trigeminus-
wurzel ist ein neuer Kern aufgetreten. Er besteht aus mittel-
grossen und kleinen Zellen und ist entsprechend seiner intra-
medullaren Lage in transversaler Richtung gestreckt. Es ist
dies der Monakowsche Kern. Er zieht sich lateral ein wenig
über die aufsteigende Trigeminuswurzel und liegt dadurch ganz
dicht am Rande des Markes, nur von einer sehr dünnen Nerven-
faserschicht aussen bedeckt. Gollscher und Burdachscher
Strang geben in Massen Fibrae arcuatae ab und das gleiche ist
der Fall vom Monakowschen Kerne aus.
Der Seitenstrangskern hat ein verwaschenes Aussehen
erlangt. Er imponiert nicht mehr als Kern, sondern erscheint
nur noch als eine sehr dünne Stelle im Rande seines Stranges.
Dafür ist an seinem medialen Ende ein kleiner kernartiger Fleck
erschienen, und ebenso ist in der Mitte des Retikulums ein
Kernflecken aufgetreten. Solche Kernflecken erscheinen wieder-
holt und verschwinden sehr schnell; sie sind nicht bloss im
Retikulum, sondern auch in den transversalen Partien der
ventralen Strangreste zu beobachten. Ich bin nicht der Meinung,
dass es sich hier um Kerne sensu strieto handelt, also um
Gebilde, welche bestimmten Nerven oder Nervenzügen zum
Ursprung dienen. Ich glaube vielmehr, dass alle diese so häufig
195 Bernhard Rawitz:
auftretenden, so schnell verschwindenden und zugleich so in-
konstanten Bildungen lediglich lokale Anhäufungen von Ganglien-
zellen des Retikulum darstellen, denen ein Kernwert nicht
zukommt. Im Retikulum nämlich — das sei ein für allemal
bemerkt — kommen bekanntlich zahlreiche disseminierte Ganglien-
zellen verschiedenen Umfanges vor. Es ist durchaus nicht ver-
wunderlich, wenn gelegentlich solche Zellen in grösserer Zahl
beisammen liegen; ihnen dann gleich einen Kernnamen zu geben
ist aber eben ihrer Inkonstanz und geringen Grösse wegen
unzulässig.
Es sei noch erwähnt, dass das bereits beschriebene vier-
eckige Nervenbündel, welches genau in der Medianlinie liegt und
als unpaare Pyramide gedeutet werden könnte, an Umfang
beträchtlich zugenommen hat.
Immer breiter legt sich der IV. Ventrikel aus, immer
mehr strebt sein Boden zur geraden Linie und immer umfang-
reicher werden dadurch die Verlagerungen der Markteile. In
der Mittellinie ist der Ventrikelboden am tiefsten eingebuchtet
und ist hier zugleich am dünnsten. Er besteht aber nun nicht
mehr ausschliesslich aus gliöser Substanz, sondern es finden sich
in ihm ab und zu mittlere und kleine Ganglienzellen, aus welchen
Nervenfasern entspringen, die nach kurzem, transversalem Ver-
laufe zum Hypoglossus gehen. Lateral hiervon kommt die leicht
vorgewölbte dunkle Partie des zentralen Höhlengrau, d. i. der
dorsale Abschnitt des Hypoglossus-Kernes. Und lateral von
diesem das helle Grau (Fig. 6), das sich bis zum äussersten Rande
der Oblongata ausgedehnt hat. In ihm finden sich, namentlich
an der Grenze zum dunklen Grau, sehr zahlreiche und sehr
dicht stehende grosse Ganglienzellen, von welchen der Vagus
entspringt. Ventral vom dunklen Grau liegt der Hypoglossus-
Kern. Bisher war er von seinem dorsalen, dem Ventrikelboden
angehörigen Abschnitt durch die ersten, sehr zahlreichen Arcuatae
abgeschnitten. Durch die gleich zu schildernde Verlagerung der
Gollschen und Burdachschen Stränge, den Ursprungsstätten
der genannten Fasern, fallen diese allmählich fort und es leitet
sich dadurch die Verschmelzung der beiden Teile des Hypoglossus-
Kernes ein.
Die grosse Ausdehnung, welche das helle Höhlengrau
gewonnen hat (Fig. 6), kann nur auf eine Zunahme seiner
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 199
Substanz zurückgeführt werden. Diese Zunahme bedingt eine
weitere Verlagerung der Goll-Burdachschen Stränge. Bisher
nahmen diese den dorsalen Rand der Oblongata ein, wohin sie
aus ihrer ursprünglich rein medianen Lage verdrängt waren.
Nunmehr sind sie auch von hier weggedrängt und ganz ventro-
lateral gelagert (Fig. 6). Das heisst: der Boden des IV. Ventrikels
besteht in seiner ganzen Ausdehnung aus dem zentralen Höhlen-
grau, welches an der Umschlagsstelle des dorsalen zum lateralen
Markkontur nicht nur auf den letzteren übergreift, sondern sogar
leicht nach aussen vorspringt (Fig. 6). Fast völlig ventral ist
die aufsteigende Trigeminuswurzel mit ihrem Kern gedrückt,
während der Rest des ursprünglichen Seitenstranges den ventralen
Kontur der Oblongata bilden hilft. Bei der eben beschriebenen
Verlagerung der Goll-Burdachschen Stränge sind sie auch
aneinander verschoben worden (Fig. 6). Denn während bisher
der Gollsche dem Burdachschen Strange dorsal auflag (Fig. 5),
findet ersterer sich jetzt an des letzteren lateraler Fläche (Fig. 6).
Also ursprünglich medial oder nach innen vom Burdachschen
Strange vorkommend, liegt er jetzt lateral oder aussen von ihm:
wahrlich eine bedeutende Wanderung, welche der Strang von der
medianen Fissur bis zum Aussenrand der Oblongata zurück-
gelegt hat.
Die Rarefizierung beider Strangpaare macht jetzt, nament-
lich was den Burdachschen Strang anlangt, schnelle Fortschritte.
Dazu tragen verschiedene Momente bei. Einmal werden die Kerne
im Burdachschen Strange zahlreicher und grösser und höhlen
den Strang von innen aus. Dann ist nach wie vor die Abgabe
von Arcuatae, die zur Raphe und zur Olive gehen, eine sehr
beträchtliche. Vor allem aber übernimmt der Monakow sche
Kern dieses Amt. Dieser Kern, welcher sich ventralwärts auf
die Fasern der aufsteigenden Trigeminuswurzel gelegt hat, dringt
nach dorsal vor, vereinigt sich schliesslich mit dem Kern des
Gollschen Stranges und beginnt dann die Reste des Burdach-
schen Stranges von dessen lateraler Fläche her auszuhöhlen.
Fibrae arcuatae gibt er von nun an nicht mehr ab.
Mit der Ausweitung des IV. Ventrikels, d. h. mit dem
Augenblicke, wo dieser seine definitive Form erreicht hat, wo
sein Boden eine leicht gewellte, transversal sich erstreckende
Fläche darstellt, sind die Umänderungen und Umlagerungen
200 jernhard Rawitz:
beendet. Und als Resultat können wir verzeichnen: was ventral
lag, ist ganz dorsal gerückt, nämlich die medianen Partien der
ventralen Stränge. Was dorsal lag, wie die dorsalen Säulen, die
einen tiefgreifenden Funktionswechsel erfahren haben und zu den
Kernen der aufsteigenden Trigeminuswurzel geworden sind, ist
ventral gewandert. Was mediodorsal sich fand, die Gollschen
Stränge, ist ventrolateral gelagert; und was lateral von diesen
gelegen war (Burdachsche Stränge), hat medial von ihnen
Platz gefunden.
Die Veränderungen, die jetzt im verlängerten Mark auf-
treten, sind viel einfacherer Natur. Sie bestehen teils im Auf-
treten neuer grauer Substanz mit den davon entspringenden
Nerven, teils im Aufbrauchen der vorhandenen, noch aus gem
Rückenmark überkommenen Teile, teils endlich in den sich nun-
mehr einstellenden Beziehungen zum Kleinhirn. Was die letzteren
anlangt, so sei hier nur hervorgehoben, dass bisher von einer
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn nicht das geringste zu sehen war.
Der Hypoglossus zeigt sein bereits geschildertes Verhalten.
Nachzutragen ist, dass seine aus dem Mark austretenden Wurzel-
fasern, nachdem bereits der intramedullare Verlauf des Nerven
voll entwickelt war, sich endlich ebenfalls im mikroskopischen
Bilde zeigten. Und es ist hervorzuheben, dass diese austretenden
Fasern schon geschwunden sind, wenn immer noch intramedullare
Bündel und der Kern vorhanden sind. Die Zahl der intra-
medullaren Bündel wechselt; bald ist nur eines, bald sind vier
und mehr vorhanden.
Die Vagusfasern sind ebenfalls intramedullar längst zu er-
kennen, ehe der Austritt des Nerven aus dem Marke erfolgt.
Und auch hier ist zu konstatieren, dass die austretenden Wurzel-
fasern längst geschwunden sind, wenn noch immer der Kern und
die intramedullaren Faserbündel sich finden. Freilich ist auf
diesem Stadium der Oblongataausbildung, welches durch das Auf-
treten eines neuen Kernes charakterisiert wird, von dem Schwinden
der extramedullaren Wurzeln der genannten beiden Nerven noch
nichts zu beobachten.
Was in dieser Gegend der Öblongata, d. h. nach völliger
Geradlegung des Ventrikelbodens (Fig. 8), als charakteristisches
Novum hinzukommt, ist ein kleiner Nervenkern. Nicht einer
jener schnell verschwindenden. Kernflecken, denen ich weiter oben
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 201
die Kernnatur abgesprochen, sondern ein wirklicher Kern. Klein,
kreisrund begrenzt, aus sehr grossen Nervenzellen bestehend,
bleibt dieser Kern von jetzt an konstant und behält auf lange
hinaus seinen geringen Umfang. Erst in viel weiter kapitalwärts
gelegenen Regionen wird er grösser und es zeigt sich dann,
dass es der Kern der Facialis ist, welcher also überaus weit
kaudalwärts reicht. Und da der Kern später sehr bedeutenden
Umfang erlangt, so folgt daraus, dass er in seinem kaudalsten
Abschnitte stark zugespitzt ist. Er liegt im Retikulum ziemlich
in der Mitte zwischen dem Kerne der aufsteigenden Trigeminus-
wurzel und den Oliven (Fig. 8), etwa in gleicher Höhe mit der
letzteren dorsalem Ende. Ich deute, wie gesagt, diesen sehr
kleinen Kern als den kaudalen Anfang des Facialiskerns una
stütze mich dabei auf das Studium lückenloser Schnittserien.
Wenn ich die von anderer Seite gemachten Angaben richtig ver-
stehe, so wurde dieser Kern als „Nucleus ambiguus“ bezeichnet,
was ich nicht als zutreffend anerkennen kann.
Der Seitenstrangskern, auf welchem nur durch wenige
Nervenfasern getrennt die aufsteigende Trigeminuswurzel aufruht,
hat wieder sehr viel beträchtlicheren Umfang erlangt, als er in
den vorhin beschriebenen Regionen besass.. Er ist grosszellig
und zeigt einen eigentümlich gewundenen Verlauf, welcher kon-
zentrisch zum Markkontur ist. In der Nachbarschaft der Tri-
seminuswurzel ist er breit, wie keulenförmig angeschwollen; in
der Nachbarschaft der Oliven, bis wohin er sich ausdehnt, ist er
stark zugespitzt (Fig. 3).
Was die Autbrauchung der vom Rückenmark überkommenen
Teile anlangt, so ist zu bemerken, dass die Gollschen Stränge
als solche nicht mehr vorhanden sind; nur ihr Kern ist noch da.
Die Burdachschen Stränge sind auf ein allerdings noch immer
ziemlich kompaktes Nervenbündel reduziert. Und damit sind
auch ihr Kern und der Monakowsche Kern, der jetzt mit dem
Burdachkern verschmolzen ist, an Umfang sehr viel geringer
geworden. Die restierenden Nervenmassen werden allmählich
alle zu Arcuatae.
Es wurde früher die Andeutung einer unpaaren Pyramide
erwähnt. Diese ist allmählich verschwunden und ihre Stelle wird
von den in der schmalen Raphe gekreuzten Fasern eingenommen.
Letztere weichen in der Medianlinie auseinander, umhüllen in
202 Bernhard Rawitz:
konzentrischem Verlaufe — d.h. die Fasern sind im Querschnitt
durch das Organ längs getroffen — den ventralen Rand der
Oliven und enden in der Nähe des Seitenstrangskernes. Nach
aussen von diesem Faserzug liegt marginal etwas gliöse, mit
Nervenfasern durchsetzte Substanz.
Nunmehr beginnt, indem zunächst wenigstens die anderen
Partien des Markes wesentlich auf der gleichen Stufe der Aus-
bildung und Gruppierung verharren, eine Veränderung im zen-
tralen Höhlengrau sich einzustellen. Sein medianer Abschnitt,
der Hypoglossuskern und auch dessen intramedullare Wurzeln,
schwinden sehr allmählich, wodurch, nebenbei bemerkt, die ven-
tralen Strangreste noch mehr dorsal rücken. Das zentrale Höhlen-
grau ist in seinen mediansten Partien daher sehr schmal. Das
helle Grau ändert seinen Charakter; es wird durch Einlagerung
feinster Fasern, die zum Vagus gehören, dunkler. Nur die
lateralste Partie von ihm und derjenige Abschnitt, welcher der
aufsteigenden Glossopharyngeuswurzel direkt anliegt — er wird
von den innersten Arcuatae durchkreuzt — behalten ihre helle
Beschaffenheit. Während, wie bemerkt, der Hypoglossus und der
Vagus intramedullar im Schwinden begriffen sind, tritt der Glosso-
pharyngeus jetzt auf und auch einzelne Bündel seiner aufsteigenden
Wurzel fangen an, aus der kapitokaudalen in die dorsoventrale
Richtung einzubiegen.
Noch sind Vagus und Hypoglossus nicht völlig intramedullar
verschwunden und bereits stellt sich die Verbindung der Ob-
longata mit dem Kleinhirn her. Hierüber ist folgendes zu
bemerken: Dorsal von der IV. Gehirnkammer hatte sich schon
längst ein unpaarer medianer Teil des Gerebellum gezeigt. An-
fänglich hielt er sich vom Ventrikel entfernt, sodass er dessen
Raum nicht einengte. Allmählich ist dieser Cerebellarteil volu-
minöser geworden, hat sich ventralwärts vergrössert und so in
der Medianebene schliesslich den Ventrikelraum auf einen kapil-
lären Spalt eingeengt. (Ich habe diese Verhältnisse in den hier-
her gehörigen Figuren 9 und 10 nicht abgebildet.) Nun beginnt
das Kleinhirn sich lateral mit der Oblongata zu vereinigen, die
Bindearme zum Cerebellum stellen sich her und damit entstehen
seitliche Ausbuchtungen des Ventrikels, welche im Schnitt drei-
eckige Gestalt besitzen und sehr voluminös sind. Mit der
beginnenden Ausbildung der. Bindearme (Corpora restiformia) hat
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 203
eine eigenartige und sehr interessante Verlagerung stattgefunden.
Es war oben erwähnt worden, dass die seitliche Grenze des
IV. Ventrikels durch einen Piafortsatz hergestellt wird, welcher
mit dem zentralen Grau verwachsen ist. Durch das Nahen der
Bindearme, so kann man sagen, ist der Piafortsatz ventrolateral
verlagert (Fig. 9). Er findet sich an der Aussenwand der Ob-
longata und hängt später zwischen Hemisphäre des Cerebellum
und Oblongata herab, wobei er seine mächtigen Gefässschlingen
der ersteren zukehrt.
Da, wo früher die Gollschen Stränge lagen, ist ein
mächtiges Bündel in kapitokaudaler Richtung ziehender Nerven
aufgetreten (Fig. 9). Es ist dies die sogenannte spinale, richtiger
die kapitokaudale Wurzel des Acusticus. Denn als „spinale“
kann sie nicht gut bezeichnet werden, weil sie nicht aus der
Medulla spinalis stammt. Der Kern dieser Wurzel dürfte in dem
nach Auflösung des Gollschen Stranges zurückbleibenden Kern
zu finden sein, welch letzterer also, da in dieser Gegend keine
kernlose Stelle je vorhanden ist, einen tiefgreifenden Funktions-
wechsel erfährt. Ich spreche hier von Funktionswechsel. Damit
will ich sagen, dass die graue Masse, welche als Kern des Goll-
schen Stranges bezeichnet wird, und die graue Masse, die als
Ursprungsstätte der kapitokaudalen Acusticuswurzel zu betrachten
ist, in direktem, nirgends unterbrochenem Zusammenhange mit-
einander stehen. Rein morphologisch betrachtet, ohne Rücksicht
auf die Art der zu der betreffenden grauen Masse gehörenden
Nerven, können wir sagen, dass wir es hier mit einer einheit-
lichen grauen Säule zu tun haben. Nur weil die von ihr ent-
springenden Nerven an der einen Stelle ihrer Ausdehnung haupt-
sächlich zu Fibrae arcuatae, an der anderen zu Acusticusfasern
werden, nur in diesem Sinne kann man von einem Funktions-
wechsel reden.
Mit dem Nahen der Bindearme sind, wie bemerkt, keine
besonderen Veränderungen in der inneren Konfiguration der
Oblongata verbunden. Nur darauf wäre hinzuweisen, dass die
angebliche Nebenolive sich jetzt mit dem ventralen Ende der
Olive durch die weisse Substanz innig vereinigt. Ein Novum
aber ist zu verzeichnen. Die Seitenstränge zeigen an dieser Stelle
lateral von der aufsteigenden Trigeminuswurzel und der Gegend
des ehemaligen Burdachschen Stranges eine leichte Auftreibung
204 Bernhard Rawitz:
(Fig. 9). Das ist die erste Andeutung der Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn. die bei Phocaena demnach sehr viel später auftritt als bei
anderen Säugern. Sie ist marginal von etwas grauer Substanz
bedeckt, welche später, d. h. weiter kapitalwärts, sich in die
graue Substanz der Bindearme fortsetzt.
Die Verbindung von Cerebellum und Oblongata stellt sich
her. Die Bindearme nehmen dann allmählich an Umfang be-
trächtlich zu und engen dadurch die Seitenbuchten des IV. Ventrikels
etwas ein. Mit der Volumszunahme einher geht die Zunahme
der weissen Substanz der Bindearme und in deren Mitte erscheint
dann auf einmal ein sehr grosszelliger Kern. Es ist dies ein
Teil des Kerns der kapitalen Acusticuswurzel, dessen anderer Teil
bekanntlich der umgewandeite Gollkern ist. Am ventralen Rande
der Bindearme, der Oblongata dicht anliegend oder eigentlich zu
ihr gehörig, ist eine graue Masse aufgetreten, in welcher zahl-
reiche zarte Nervenfasern sich finden. Diese Masse ist der aus
kleinen und mittelgrossen Zellen bestehende Kern der kaudalen
Acustieuswurzel. Hierdurch ist ein Verhalten bei Cetaceen gegeben,
das sich von dem der übrigen Säuger ganz beträchtlich unter-
scheidet. Die später zu gebende Schilderung der anderen unter-
suchten Spezies wird dies beweisen. Bemerkenswert ist, dass
hier noch keine Wurzelfasern von beiden Kernen abgehen. Der
kapitale Acusticuskern ist von Faserzügen durchsetzt und von
mächtigen Bündeln an seinen beiden Seitenrändern umgeben.
Nach innen von ihm findet sich das nunmehr sehr dunkle, ganz
einheitliche Höhlengrau, dessen Zellen eine beträchtliche Grösse
besitzen. Es erstreckt sich dies Grau in schmalem Streifen weit
ventralwärts und liegt dabei median von der aufsteigenden
Trigeminuswurzel (Fig. 10). An die Umhüllung des kapitalen
Acusticuskernes stösst die kapitokaudale Acusticuswurzel an,
deren Kern sich in einzelne, zwischen den Wurzelbündeln liegende
Zellen aufgelöst hat. Gleichzeitig mit dem Auftreten des Kernes
in den Bindearmen ist die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn sehr viel
stärker geworden, ihr Umfang ist mindestens doppelt so gross
wie früher. Der zu ihr gehörige Seitenstrangskern hat sich
etwas verschmächtigt, namentlich ist seine keulenförmige An-
schwellung geschwunden. Auf der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
ruht zum Teil die aufsteigende Trigeminuswurzel auf. Sie sowie
der ihr zugehörige Kern werden vom Glossopharyngeus gegen
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 205
das Retikulum abgegrenzt (Fig. 10). Dieser eben genannte Nerv
findet sich da, wo früher der Vagus lag, und durchsetzt in unter-
brochenen Zügen das Mark. Man kann daher direkt sagen, dass
der neunte Gehirnnerv durch einfaches Remplacement den zehnten
verdrängt hat. Der Glossopharyngeus, der vom Höhlengrau kommt,
läuft also genau auf demselben Wege intramedullar und tritt
genau an derselben Stelle aus dem Marke aus, wie der Vagus. Der
Facialiskern ist noch unverändert klein. Bezüglich der Olive ist zu
bemerken, dass die sogenannte Nebenolive durch einen Haken,
welcher sich dorsalwärts biegt und, wenn man will, eine Art von
medialem Hilus darstellt, sich dicht an die übrige Olivenmasse
anlegt (Fig. 10), wodurch die Einheitlichkeit des Organs, wie
schon früher hervorgehoben, offenkundig wird. Denn die dichte
Nervenmasse, welche zwischen der sogenannten Nebenolive und
der Hauptolive sich findet, gehört beiden Teilen gemeinsam und
die Fasern, welche von lateral her eintreten, sind ebenfalls ge-
meinschaftliches Gut. Diese Fasern kommen in dichten Bündeln
aus der Gegend der kapitokaudalen Acusticuswurzel, aus der
Gegend der aufsteigenden Trigeminuswurzel und der Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn. Wo sie eigentlich herstammen, vermochte ich
nicht zu eruieren. Sie treten, indem sie sich in zarte Stränge
auflösen, in die Olive ein, enden hier oder gehen durch sie in
transversaler Richtung hindurch bis zum äusseren Markmantel
des Gebildes. Bei dieser Durchquerung bewirken sie eine zarte
Linierung der Olive. Dorsal ruht der Olive eine Masse überaus
dicht stehender Nervenfasern auf, der sogenannte Lemniscus
medialis. Auch er wird von transversal ziehenden Fasern durch-
quert. Diese aber gehen zu der sehr schmalen Raphe und er-
weisen sich somit als Fibrae arcuatae. Letztere werden von jetzt
ab sehr schwach und sehr spärlich.
Nur geringfügig aber nicht unwichtig sind die Veränderungen,
welche weiter kapitalwärts mit dem immer stärker werdenden
Umfange der Bindearme sich einstellen. Sie betreffen auch fast
ausschliesslich diese Gegend. Die zentrale weisse Substanz der
Bindearme lockert sich allmählich, sodass der vorhin erwähnte
Teil des Kerns der kapitalen Acustieuswurzel sich ausdehnen
kann. Nur an der Grenze zum zentralen Höhlengrau und am
ventralen Rande der Bindearme findet sich noch je ein kompaktes
Bündel. Dort besteht es aus kapitokaudal ziehenden Nerven,
206 Bernhard Rawitz:
welche später zum Kleinhirn gehen, hier aus solchen, welche in
die dorsoventrale Richtung einzubiegen sich anschicken. Der ventral
von diesem Nervenbündel gelegene kaudale Acusticuskern ist nur
wenig umfangreicher geworden, die feinen in ihm vorhandenen
Fasern schicken sich ebenfalls zum Austritt an. An seinem
ventralen Ende findet sich nach aussen von der Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn ein rundliches Nervenbündel, welches ganz isoliert
liegt. Wie die Serie lehrt, vereinigt es sich später mit dem
vorhin erwähnten Bündel und beide zusammen bilden die kaudale
Acustieuswurzel. Diese hat also einen eigentümlich geknickten
Verlauf. Die Fasern der eben erwähnten Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn, welche marginal nach wie vor von grauer Substanz bedeckt
sind, fangen an, zum Kleinhirnstiel sich zu begeben, dem sie sich
im Vergleich zu früher beträchtlich genähert haben. Zwischen
den Fasern der Bahn hindurch ziehen konzentrisch zum Mark-
kontur dicke Bündel, welche zunächst ein Polster für die auf-
steigende Trigeminuswurzel bilden, dann medial von ihr pinsel-
förmig auseinanderfahren und zum Teil in den, wie stets bisher,
lateral gewendeten Hilus der Olive eintreten. Dieser Teil der
Fasern stammt aus dem Kleinhirn. Der andere Teil stammt vom
kaudalen Acusticus; er stellt also das Corpus trapezoides dar.
Die Vereinigung von Hauptolive und sogenannter Nebenolive ist
gerade hier besonders deutlich (Fig. 11).
Der Glossopharyngeus ist in voller Entwicklung; er zeigt
noch schöner als der Vagus und Hypoglossus den stückweisen
intramedullaren Verlauf. Das heisst: nicht ein einheitlicher
Nervenstrang zieht vom Kern durch die Oblongata bis zur Aus-
trittsstelle, sondern, wie schon früher auseinandergesetzt wurde, in
Bruchstücken geht der Nerv durch das Mark. Die Fasern seiner
aufsteigenden Wurzel biegen aus der kapitokaudalen in die dorso-
ventrale Verlaufsrichtung ein und gesellen sich denen der anderen
Wurzel zu.
Eine auffällige Veränderung hat sich an der aufsteigenden
Trigeminuswurzel bemerkbar gemacht. Sie öffnet sich nämlich
gewissermaßen, indem ventral ihre Bündel auseinanderweichen
und so ihren Kern an den Markkontur treten lassen. Von
letzterem ist er nur durch eine dünne Schicht der Fasern des
Trapezoides getrennt. Diese Veränderung hält allerdings nicht
lange an, da sich die Wurzel sehr bald wieder schliesst.
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 207
Indem allmählich die Verbindung der Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn mit dem Bindearm völlig hergestellt wird, entsteht am
Rande der Oblongata ein Bild von solcher Kompliziertheit, dass
es sehr schwer ist, sich in dem Wirrwarr von Fasern verschie-
denster Verlaufsrichtung zurecht zu finden.
Breit legt sich die weisse Masse der Bindearme aus. Sie
stösst innen an das zentrale Grau an, das allmählich auf weniger
als ein Drittel seines früheren Umfanges reduziert wurde. Das
darf nicht wundernehmen. Sein medianer Teil, der Kern des
Glossopharyngeus, schwindet und von da ab und auch noch sehr
weithin kapitalwärts, bis zum Auftreten des Abducens, entspringt
kein Nerv mehr vom Höhlengrau. Aussen stösst die Masse der
Bindearme an den kaudalen Kern des Acusticus. Im Bindearm
ist der mächtige kapitale Kern des Acusticus noch vorhanden,
Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist fast völlig in den Bindearm
übergegangen. Die kaudalen und die kapitokaudalen Acusticus-
wurzeln treten aus; die Fasern der letzteren sind in die trans-
versale Richtung eingebogen. Das ist, wie gesagt, ein sinn-
verwirrendes Kreuz und Quer von Fasern. Bemerkenswert ist,
dass die Teile des Acusticus am ventralen Markkontur nach
aussen treten, was wiederum eine Eigentümlichkeit der Oetaceen ist.
Die Fasern der Bindearme und der mit ihnen vereinigten
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn bilden jetzt ein mächtiges, Konzen-
trisches Nervenbündel, das von einem Teil der austretenden
Acusticusfasern durchsetzt wird. Ihm ruht die aufsteigende
Trigeminuswurzel auf, so dass also hier das Corpus trapezoides
eine ziemlich beträchtliche Stärke besitzt. Mit seiner Entwick-
lung hält das Schwinden des Seitenstrangskerns gleichen Schritt.
Von anderen Autoren ist aus dieser Gegend eine Pyramide
beschrieben worden. Ich muss bekennen, dass ich in meinen
drei Serien nichts davon gesehen habe.
Während der Glossopharyngeus intramedullar bald völlig
schwindet und sein Kern nur noch als ein kleiner Rest im
medialen Teil des Höhlengrau eine zeitlang persistiert, um dann
ebenfalls zu schwinden, tritt jetzt der Facialis auf. Der wieder-
holt erwähnte Kern wird grösser und entsendet in dorsaler
Richtung einen Strom von überaus zahlreichen einzelnen Fasern,
welche sich lateral vom dorsalen Ende der ventralen Stränge
etwas verdichten. Während die Oliven kleiner werden, — es
208 Bernhard Rawitz:
nimmt dabei diejenige Partie an Grösse ab, welche über den
Markrand prominierte, wogegen der intramedullare Abschnitt
zunächst fast unverändert bleibt — vergrössert sich der Facialis-
kern ganz ausserordentlich und verbreitert sich ebenso der von
ihm ausgehende, dorsal gerichtete Nervenstrom. Seine dichtere,
straffere Zusammenfassung an seinem dorsalen Ende führt sehr
bald zur Bildung des sogenannten Knies. Wenn dieses zuerst
auftritt (Fig. 12), hat das verlängerte Mark ein wesentlich anderes,
man kann sagen, vereinfachteres Aussehen gewonnen.
Was zunächst den Ventrikel anlangt (Fig. 12), so sind dessen
früher erwähnten Seitenbuchten durch die Ausdehnung der
medianen unpaaren Partie des Cerebellum immer enger geworden.
Das zentrale Höhlengrau ist in der Medianlinie und seitlich da-
von bis zur Grenze des Facialisknies fast völlig reduziert. Nur
ein sehr schmaler, rein gliöser Streifen bildet den Boden des
Ventrikels, sodass dorsales Ende der ventralen Strangreste und
Knie der Facialis dem Ventrikelboden fast direkt anliegen. Seit-
lich vom Knie ist noch dunkles, mässig zellreiches Grau vor-
handen, das grenzlos in den grauen, medialen Rand der Binde-
arme übergeht. Die ventralen Strangreste sind wie bisher so
auch an dieser Stelle an ihrem dorsalen Ende leicht kolbig auf-
getrieben und zeigen dicht unter dem gliösen Ventrikelboden
eine Verbindung durch ein transversal von Strang zu Strang
ziehendes Bündel. Intramedullar verschmächtigen sie sich, um
dann in eine starke Verbreiterung, den sogenannten Lemniscus
medialis, überzugehen, welcher dem dorsalen Ende der Oliven
aufsitzt. Ihren Charakter als Strangreste dokumentieren diese
Gebilde durch die ganze Öblongata dadurch, dass ihre Nerven-
bündel grösser sind und dichter stehen, als die Nervenbündel,
welche das Retikulum zusammensetzen. Im mikroskopischen Bilde
ist die Unterscheidung beider nur eine optische, da zwischen
Strangresten und Retikulum eine Grenze im strengen Wortsinne
nicht vorhanden ist. Die Oliven sind an Umfang ganz beträcht-
lich reduziert (Fig. 12), namentlich ist dies hinsichtlich ihrer
ventralen Ausdehnung der Fall. Es war vorhin schon gesagt
worden, dass diejenige Partie der Oliven, die stark über den
Markkontur prominierte, zuerst schwindet. Tatsächlich ist die
Reduktion dieses Organs, welches bisher das mikroskopische
Bild beherrschte, ventral so stark geworden, dass es nur noch
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 209
ganz wenig über den Kontur der Oblongata hinausragt. Der
lateral gewendete Hilus ist womöglich noch deutlicher. Denn
dem Aussenrand der angeblichen Nebenolive liegt eine dicke,
weisse Masse auf, welche die Fasern enthält, die zur Olive
treten und von ihr abgehen. Das allmähliche Schwinden des
Organs macht sich auch dadurch bemerkbar, dass die zarten
Faserzüge, die, wie aus der früheren Beschreibung ersichtlich,
die Linierung des Organs bewirkten, hier schon fast ganz
geschwunden sind, um weiterhin völlig zu fehlen.
Das Hauptinteresse beansprucht bei der mikroskopischen
Betrachtung der Facialiskern (Fig. 12). Er hat einen ganz ge-
waltigen Umfang angenommen, ist mindestens viermal so gross
wie früher. Dabei ist es wichtig festzustellen, dass die Aus-
dehnung des Kernes fast ausschliesslich in der ventralen Richtung
und viel weniger in der transversalen erfolgt ist. Denn er liegt
jetzt dem Rande des Markes fast dicht an, von ihm nur durch
eine dünne Schicht Trapezoidesfasern getrennt. Von dem Kerne
gehen in breitem Strome zahllose Fasern in gerader Richtung
dorsalwärts. Diese liegen am zentralen Höhlengrau dicht zu-
sammengedrängt und gehen in das Facialisknie über, das zwischen
ihnen und den ventralen Strangresten gelegen ist. Durch den
Facialisstrom wird das Retikulum sehr eingeengt.
Lateral vom Facialiskern und dem Anfange des Stromes
liegt die aufsteigende Trigeminuswurzel. Ihre Fasern beginnen
hier bereits, also noch ehe der Facialis fertig gebildet ist, zu
einem allerdings sehr kleinen Teile in die dorsoventrale Richtung
einzubiegen. Zwischen Facialiskern und Trigeminuswurzel sieht
man einen Teil des Acusticusaustrittes; es ist die kapitokaudale
Wurzel (vordere Wurzel der Autoren), welche an dieser Stelle
das Mark verlässt. Der Kern dieser Wurzel ist kleiner geworden,
der Kern des kaudalen Acusticus liegt an seiner alten Stelle; diese
ist lateral von dem sehr mächtigen, aber auch sehr bald schwindenden
Trapezoides. Der kaudale Acusticuskern, das sogenannte Tuber-
culum acusticum, ist ungemein weit ventral verlagert, wenn man
andere Säuger damit vergleicht. Das mechanische Moment dafür
dürfte in dem so überaus frühzeitigen Auftreten der Bindearme, die
sich also mit anderen Worten sehr weit kaudalwärts erstrecken, zu
suchen sein. Sie sind übrigens in dieser Gegend so vollständig mit
der Kleinhirnseitenstrangsbahn vereint (Fig. 12), dass eine Grenze
Archiv f mikrosk. Anat. Bd. 73. 14
210 Bernhard Rawitz:
zwischen ihnen nicht mehr existiert. Das Tubereulum acusticum,
um darauf noch einmal zurückzukommen, stellt sich im mikro-
skopischen Bilde als ein dreieckiges Konglomerat von kleinen
Ganglienzellen und Nervenfasern sehr verschiedener Verlaufsrichtung
dar. Es ist sowohl mit der Oblongata als auch mit der Hemi-
sphäre des Cerebellum verwachsen. Striae acusticae fehlen.
Immer enger werden die Seitenbuchten des IV. Ventrikels
und immer mehr verkleinern sich die Oliven. Wenn erstere auf -
ein äusserst geringes Volumen reduziert und unmittelbar nachdem
letztere auch intramedullar völlig geschwunden sind, tritt ein neues
Gebilde in der Oblongata auf. Dies ist die kapitale Olive (obere
Olive der Autoren) (Fig. 13). Betrachten wir das Bild etwas
genauer, welches die Oblongata aus dieser und der benachbarten
(regend darbietet.
Das zentrale Grau hat sich wieder etwas vermehrt, denn
nur auf den Resten der ventralen Stränge ist es eine dünne Platte
geblieben. Seitlich davon und auf dem Facialisknie ist es dicker
geworden ünd erstreckt sich etwas ventralwärts, wodurch es die
hier noch sich findenden Fasern des Facialisstromes leicht nach
innen gepresst hat. Die Stelle des Grau, welche medial vom
Facialisknie gelegen ist und in welcher einige kleine Ganglien-
zellen vorkommen, wird später zum Kern des Abducens.
Die ventralen Strangreste sind in der Nachbarschaft des
Ventrikels unverändert geblieben; ein wesentlich anderes 'Aus-
sehen haben ihre ventralen Enden erlangt. Da, wo die kaudalen
Oliven lagen, sind sie sehr breit geworden und es macht den
Eindruck, als wenn diese Verbreiterung dadurch herbei geführt
worden wäre, dass die sogenannten Lemnisci sich dorsoventral
gestreckt und lateral von den Strangresten gelagert hätten (Fig. 13).
In der Mitte dieser Verbreiterung hat sich auch die Raphe aus-
gsedehnt. Schmal im dorsalen Markabschnitte ist sie breit im
ventralen. Dort ausschliesslich von sich kreuzenden Fasern, den
Fibrae arcuatae, gebildet, enthält sie hier nur wenige, sich noch
dazu nicht kreuzende Fasern, dafür aber sehr ausgedehnte graue
Substanz. In dieser liegen zahlreiche grosse und oft dorsoventral
gedehnte Ganglienzellen. Seitlich von diesem grauen Raphekeil
findet sich jederseits der Medianlinie ein undeutliches, vierseitiges,
aus kapitokaudal gerichteten Fasern bestehendes Gebilde. Das
dürften vielleicht die von anderer Seite erwähnten Pyramiden
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 211
N,
sein. Die Grenze zwischen ihnen und den ventralen Strangresten
wird von transversal ziehenden sehr zarten Fasern gebildet,
über deren Herkunft nachher das Nötige gesagt werden soll.
Hier will ich nur bemerken, dass es sich dabei offenbar um die
allerersten, d.h. am weitesten kaudal liegenden Faserzüge des
Pons handelt.
Lateral von dem verbreiterten Ende der ventralen Stränge
findet sich die kapitale Olive (Fig. 13). Sie erscheint als ein
durch zirkulär verlaufende Faserzüge scharf abgegrenztes Gebilde
von mandelförmigem Aussehen. Die sie aussen umhüllenden Nerven-
fasern sind sehr dicht, die im Inneren gelegenen sind lockerer
und bilden verschieden grosse Maschen, in denen die Zellen der
kleinen Olive lagern. Wenn man hier von einem Hilus sprechen
darf, so findet er sich ganz wie bei der kaudalen, grossen Olive
lateral. Es geht dies ganz unzweideutig daraus hervor, dass
im ventralen Drittel die Nervenfasern in ziemlich starkem Zuge
von lateral her in das Gebilde eintreten, bis an den medialen
Rand gehen und hier sich teils in ventraler, teils in dorsaler
Richtung umwenden. So entsteht auch hier, wie bei der grossen
Olive, der Anschein einer Zweiteilung des Organs. Aber die
Serie lehrt, dass auch hier der Schein trügt; die kleine Olive
ist ein einheitliches Gebilde. Ob in sie Nervenfasern aus der
Umgebung eintreten, ob sie solche abgibt, lässt sich hier bei
ihrem ersten Auftreten nicht erkennen.
Lateral von der kleinen Olive findet sich der noch immer
sehr voluminöse Facialiskern. Der von ihm ausgehende Nerven-
strom hat sich sehr verkürzt, er endet wie abgebrochen in geringer
Entfernung vom Kern. Dafür ist nunmehr intramedullar der
Facialis aufgetreten (Fig. 15). Vom Knie nämlich geht schräg
nach aussen und ventral ein breiter Strang ab, welcher nach
kurzem Verlaufe abbrichtt. Das ist eine sehr interessante
Tatsache, denn sie bedeutet wiederum eine Eigentümlichkeit von
Phocaena. Bei anderen Säugern nämlich ist die Umbiegungsstelle
des Knies in die eigentliche Facialiswurzel viel weiter kapital-
wärts gelagert; man hat bei diesen längst den intramedullaren
Verlauf des Facialis verfolgen können, ehe die Umbiegungsstelle
des Knies auftritt.
Die aufsteigende Trigeminuswurzel zeigt einige in die dorso-
wentrale Richtung einbiegende Fasern, bietet sonst aber nichts
14*
212 Bernhard Rawitz:
besonderes dar. Der kapitale Acustieus (d.h. die Wurzel) ist
geschwunden, während noch ein Rest des Kerns in der Nähe der
Trigeminuswurzel zwischen dieser und den Bindearmen vorhanden
ist. Lateral von letzteren findet sich der kaudale Acusticus
(Fig. 13), in welchen direkt, ohne Vermittlung der Bindearme,
Fasern aus dem Cerebellum eintreten. Dieser Kern (graue Substanz
und Nerven) nimmt sogar in mehr kapitalwärts gelegenen Regionen
an Umfang noch zu und reicht, nachdem der Facialis längst ge-
schwunden ist (Fig. 14), weit in den Pons hinein. Das ist ein
ganz exzeptionelles Verhalten, welches bei den Cetaceen zu konsta-
tieren ist. Der kaudale Acustieus (hintere Wurzel der Autoren)
sendet noch Fasern ab, nachdem der kapitale Nerv (vordere
Wurzel der Autoren) längst sich erschöpft hat (Fig. 14) und
der kaudale Acusticus überdauert den Facialis. Letzteres entspricht
dem makroskopischen Verhalten, wo ja bekanntlich der Facialis
intrakranial in einer Furche des Acusticus gelegen ist und von
diesem Nerven umhüllt wird.
Medial von dem inneren Ende des Acusticus, nach aussen
vom Facialiskern, liegt, zwischen beide eingekeilt, ein im Schnitt
dreieckig erscheinender Kern. Er besteht nur aus grauer Masse
und ist dicht mit kleinen Ganglienzellen erfüllt. Welche Be-
deutung ihm beikommt, weiss ich nicht (Fig. 15). Dieser keil-
förmige Kern erhält sich, allerdings unter allmählicher Abnahme
seiner Grösse, sehr weit kapitalwärts, um dann schnell spurlos.
zu verschwinden.
Die Bindearme beginnen ihre Beziehungen zum Kleinhirn
zu lockern. Die von ihnen kommenden Fasern — zur Vereinfachung
der Darstellung wähle ich diese Ausdrucksweise — nehmen einen
doppelten Verlauf. Die aus ihrer lateralsten Partie stammenden
gehen in dünnen Zügen ventral, bedecken aussen den Facialis-
kern, biegen an der kleinen Olive leicht dorsalwärts und ziehen
dann direkt transversal. Sie sind es, die vorhin erwähnt wurden;
sie grenzen die sogenannte Pyramidenandeutung gegen die ven-
tralen Strangreste ab und linieren den ventralsten Abschnitt der
letzteren. Es handelt sich wie gesagt um die kaudalsten Pons-
fasern. Die aus der mehr medialen Partie der Bindearme sich
abzweigenden Fasern gehen in ziemlich dichten, wellig gebogenen
Zügen direkt transversal, durchqueren dabei die aufsteigende
Trigeminuswurzel und den Facialiskern und gehen über das dorsale
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 213
Ende der kleinen Olive hinweg. Hier brechen sie, wenigstens
in dieser Gegend, plötzlich ab, sodass über ihr endliches Schicksal
noch nichts auszusagen ist.
Nur langsam bilden sich weitere Veränderungen in der Oblon-
gata aus, denn weithin kapitalwärts erhält sich der eben aus-
führlich geschilderte Bau. Auch mit der kleinen Olive ereignet
sich nichts, was über ihre Beziehungen Aufschluss geben könnte.
Wohl sieht man, dass Nervenfasern in direktem Zuge von dorsal
her zu ihr kommen; aber woher diese Nerven stammen, ist nicht
zu konstatieren. Nur ihre Form und dadurch scheinbar auch
ihre Lage ändern sich. Sie wird bedeutend voluminöser und
wächst dabei vorwiegend in ventraler Richtung, sodass sie den
sich allmählich verstärkenden Ponsfasern aufruht. Der intra-
medullare Verlauf des Facialis, dessen Kern noch lange in ziem-
lich unverminderter Grösse erhalten bleibt, reicht weiter ventral,
ohne jedoch zum Austritt zu kommen. Es sei wiederholt hervor-
gehoben, dass hier ein Verhalten ist, welches Phocaena von anderen
Säugern unterscheidet. Langsam auch lockert sich die Verbindung
der Bindearme mit dem Kleinhirn und nur allmählich geht die
aufsteigende Trigeminuswurzel völlig in die dorsoventrale Verlaufs-
richtung über. Als erhebliche Veränderung ist nur zu erwähnen,
dass der Kern der Trigeminuswurzel mit der Umänderung von
deren Verlaufsrichtung allmählich schwindet. Wenn die direkten
Beziehungen zwischen Oblongata und Kleinhirn unterbrochen sind,
d. h. also, wenn die Bindearme sich vom Cerebellum gelöst haben,
erst dann haben sich die sehr allmählich vorschreitenden Ver-
änderungen soweit bemerklich gemacht, dass ein völlig anderes
Aussehen des Organs zu konstatieren ist.
Zunächst will ich hervorheben, dass der ventrale Mark-
kontur eine gerade Linie geworden ist (Fig. 14). Denn trotz der
zunehmenden Ponsbildung hat sich keine Wölbung an ihm erhalten
oder herausgebildet, weil der Pons der Cetaceen an und für sich
ein sehr flaches Gebilde ist. Im Gegensatz dazu stellt der Boden
des Ventrikels wieder eine stark wellig gebogene Linie dar, welche
in der Medianebene nicht unbeträchtlich vertieft ist. Hier findet
sich ein sehr dünner Streifen von Glia; seitlich davon ist das
inzwischen von neuem voluminös gewordene zentrale Höhlengrau
vorhanden. Dieses bildet jetzt den Kern .des Abducens. Die
Seitenbuchten des Ventrikels sind nur noch gering entwickelt und
214 Bernhard Rawitz:
es macht den Eindruck, als seien sie infolge des Druckes vor
seiten des Kleinhirns lateral verlagert. Auffällig ist im zentralen
Grau ein grosses Blutgefäss. Das zentrale Höhlengrau der Cetaceen
ist in seiner ganzen bisher geschilderten Ausdehnung überaus
gefässreich, wodurch es sich von dem gleichen Gebilde der übrigen
Säuger bedeutend unterscheidet. Aber ein so grosses Gefäss wie
dieses habe ich bisher nicht angetroffen. Da dessen Blutinhalt
durch das schneidende Messer zum grössten Teile herausgehoben
wurde, so stellt es sich fast wie ein sehr beträchtliches artifizielles-
Loch dar. Und dabei ist anzumerken, dass dieses grosse Blut-
gefäss nur einseitig sich findet, wie denn überhaupt die hier nicht
weiter behandelte (und auch nicht abgebildete) Vaskularisation des-
zentralen Höhlengrau allenthalben eine Asymmetrie in der Ver-
teilung der Gefässe zeigt, die selbst für Cetaceen auffallend ist.
Jederseits der Medianlinie folgen ventral vom Höhlengrau
die Reste der ventralen Stränge, über die nichts Neues zu be-
richten ist. Sie sind von einander durch die schmale Raphe
getrennt, deren verbreitertes Ende durch die später zu schildern-
den Massen des Pons ausgefüllt ist. Das lateral von den ge-
nannten Strängen dicht am Höhlengrau gelegene Facialisknie ist
geschwunden und ebenso derjenige Teil des intramedullaren
Facialis, welcher mit dem Knie in unmittelbarer Verbindung ist.
Man sieht von diesem Nerven nur zwei kurze Bruchstücke (Fig. 14)
intramedullar, welche in der Nähe des Seitenrandes der eigent-
lichen Oblongata, d. h. unter Abrechnung der Bindearmreste, sich
finden. Der Facialiskern ist noch nicht geschwunden, sondern
sehr stark lateral gedrängt (Fig. 14).
An der Stelle, wo das Facialisknie gelegen, bis zum Binde-
armreste hin trifft man auf breite, schnell abbrechende Nerven-
faserzüge, welche schräg dorsoventral ziehen. Ihre Richtung ist
dabei eine derartige, dass sie, wenn man sie sich bis zum Rande
verlängert denkt, lateral vom Facialis liegen würden. Darum
kann es sich hier nicht um Facialisfasern handeln, sondern ich
glaube, wofür auch die Serie spricht, dass wir es hier bereits mit
Trigeminusfasern zu tun haben. Da ich diesen letzteren Nerv
nicht mehr in den Bereich meiner Untersuchungen gezogen, So
bin ich auch nicht imstande, meine Vermutung in eine positive
Behauptung umzuwandeln. Ventral von den eben erwähnten
Faserzügen trifft man einen mässig grossen, aus sehr grossem
0
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 215
Zellen bestehenden Kern (in Fig. 14 nicht abgebildet). Da auch
er keine Beziehungen zum Facialis unterhalten kann, so ist er
vielleicht ein Trigeminuskern.
Zwischen dem Jateral gedrängten Facialiskern und dem
sogenannten Lemniscus liegt die kapitale (kleine) Olive (Fig. 14).
Sie hat sich inzwischen ganz beträchtlich vergrössert und zeigt
dank dem merkwürdigen Verlauf der in ihr eingeschlossenen
Fasern eine innere Zweiteilung. Dass das Organ dennoch ein-
heitlich ist, wird durch den gemeinsamen Nervenmantel bewiesen.
Die Differenzen zwischen kaudaler und kapitaler Olive sind zwar
bekannt, sie sollen jedoch, der Vollständigkeit halber, hier noch-
mals hervorgehoben werden. Das helle Grau der kaudalen wird
bei der kapitalen Olive durch ein sehr dunkles Grau ersetzt.
An Stelle der grossen Ganglienzellen bei jener finden sich hier
bei dieser sehr kleine Zellen. Und während bei der kaudalen
Olive die Beziehungen zur Nachbarschaft unschwer zu erkennen
sind, ist dies bei der kapitalen Olive in dieser Oblongataregion
kaum möglich. Bald macht es den Eindruck, als ob die Fasern
zur Olive von dorsal her, bald als ob sie von lateral her, bald
als ob sie von dem sich bildenden Pons von ventral her in das
Organ einströmten. Oft auch sind gleichzeitig Faserzüge von
allen drei Seiten vorhanden, und dies wird sich wohl in Wirk-
lichkeit so verhalten. Nur darin gleichen sich beide Oliven, dass
ihr Hilus niemals medial gekehrt ist. Medial von der kleinen
Olive, zwischen ihr und den ventralen Strangresten, treten die
ersten schwachen und natürlich unterbrochenen intramedullaren
Züge des Abducens auf.
Die wichtigsten Umbildungen werden durch die immer
deutlicher werdende Ponsbildung und durch die Trennung der
Bindearme vom Cerebellum, d. h. durch deren Schwinden, bewirkt.
Was die letzteren anlangt, so sind in ihnen Gebilde aufgetreten,
die weiter kapitalwärts, also jenseits der Oblongata, ihre volle
Entwicklung erlangen. Die aufsteigende Trigeminuswurzel bildet
jetzt den ventralen Rand der Bindearme, sie ist also mehr dorso-
lateral gewandert. Und das mechanische Moment dafür scheint
in der zunehmenden Ponsentwicklung zu suchen zu sein. Indem
ihre Fasern nun sämtlich in die dorsoventrale Richtung einge-
bogen sind und damit sich zum Austritt aus der Oblongata an-
schicken, ist gleichzeitig ihr Kern geschwunden (Fig. 14). Zu
216 Bernhard Rawitz:
den Fasern der genannten Wurzel kommt vom dorsalen Rande
des Bindearmrestes ein fast drehrunder Strang, welcher sich aus
einem dicht am Rande gelegenen Faserkomplex loslöst, der eine
mächtige, im Schnitt quer getroffene Nervenmasse ist (Fig. 14).
Es wurde früher hervorgehoben, dass dorsal von der kleinen
Olive, dieser aufruhend, transversal ziehende Nervenfasern vor-
handen sind, deren endliches Schicksal nicht festgestellt werden
konnte. Von diesen Faserzügen sieht man nur noch kümmerliche
Reste, deren Beziehungen nach medianwärts jetzt erst recht sich
nicht feststellen lassen.
Ganz ausserordentlich vermehrt sind die kaudalen Faser-
züge des Pons; ihnen ruhen Facialiskern und kleine Olive auf.
Sie weichen in der Nähe der Medianlinie, etwa von der Mitte
der Olive ab, auseinander. So bilden sie ein lockeres Geflecht,
das sich mit dem der Gegenseite in dem verbreiterten Abschnitte
der Raphe trifft. Hier ist eine keilfürmige Nervenmasse vor-
handen, welche aus wirr durcheinander geworfenen, sich kreuzenden
Fasern besteht. Zwischen den auseinander weichenden und eben-
falls zwischen den sich kreuzenden Fasern sind zahlreiche grosse
Ganglienzellen aufgetreten. Ventral von diesen Ponsanfängen
trifft man die weiter oben erwähnten pyramidenähnlichen Bildungen.
Weiter kapitalwärts schwinden Facialiskern und Facialis sehr
bald, der Abducens tritt mit seinem längst vorhandenen Kern in
‘Verbindung. Die aufsteigende Trigeminuswurzel ist geschwunden,
die kleine Olive ist noch sichtbar, obwohl sie an Umfang etwas
abgenommen hat. Mächtig entwickelt sind die Ponsfasern und
in breiten Zügen legt sich der Trigeminus aus. Obwohl also
der Abducens noch voll ausgebildet zu sehen ist, so haben wir
doch hiermit eine Gegend erreicht, welche nicht mehr zur Medulla
oblongata zu rechnen ist; daher sei hier die Darstellung der
Untersuchungsergebnisse beendet.
b) Balaenoptera rostrata Fabr.
Hinsichtlich dieser Spezies kann ich mich sehr kurz fassen,
denn es hat sich ergeben, dass bei den Mysticeten der Bau der
Oblongata keine wesentlichen Differenzen zeigt gegenüber den
Odontoceten. Durch Hervorheben der nebensächlichen Unter-
schiede würde ich aber diese Arbeit unnötig mit Quisquilien
belasten. Eine Auffälligkeit bot allerdings der Bartenwal dar.
—I
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 21
Natürlich sind alle Verhältnisse, soweit die Nervenfasern in
Betracht kommen, massiger als bei Phocaena, was mit der
sehr viel bedeutenderen Grösse des Tieres zusammenhängt.
Aber — und das ist eine sehr interessante Tatsache — die Zahl
der Ganglienzellen und deren Grösse steht in gar keinem Ver-
hältnis zur Mächtigkeit der Nerven. Man kann direkt sagen:
berücksichtigt man die Masse der Nervensubstanz, die Mächtigkeit
der Nervenbahnen, dann ist die Zahl und die Grösse der Ganglien-
zellen, von welchen die Bahnen ausgehen bezw. von denen sie ihre
Impulse empfangen, bei Mysticeten absolut klein, unverhältnis-
mässig viel kleiner als bei einem an Grösse bedeutend nach-
stehenden anderen Säugetiere.
Nur zwei, wenn auch nicht prinzipielle so doch interessante
Unterschiede walten zwischen Balaenoptera rostrata und Phocaena
communis ob. War bei der letzteren Spezies der Facialis, was
hier nachzutragen ist, relativ schwach, viel schwächer als bei
anderen kleineren Säugern, so ist er hier bei Balaenoptera rostrata
relativ noch schwächer als bei Phocaena. Und ferner: die Bildung
des Pons setzt viel stürmischer ein als beim Zahnwal. D. h., gleich
nach dem Auftreten seiner kaudalsten, noch intramedullar gelegenen
Fasern nimmt der Pons eine so schnelle Entwicklung, dass er
auf dem Stadium, welches zuletzt von Phocaena geschildert wurde,
bereits das mikroskopische Bild völlig beherrscht. Damit geht
sekundär einher eine schnelle Grössenabnahme der kapitalen Olive.
c) Über einige der bisherigen Arbeiten über Cetaceen.
Von den in der Literatur vorhandenen Arbeiten, welche
auf die Medulla oblongata eingehen, muss an erster Stelle die
Arbeit der Herren Hatschek und Schlesinger') erwähnt
werden. Denn diese Forscher haben eine Spezies untersucht,
Delphinus delphis L., welche der Phocaena communis sehr
nahe steht.
Vergleicht man unsere beiderseitigen Schilderungen, so kann
es nicht entgehen, dass wir in vielen Punkten voneinander ab-
weichen. Auf einige von ihnen habe ich bereits in der Schilderung
', Hatschek und Schlesinger: Der Hirnstamm des Delphins
(Delphinus delphis L.). In: Arbeiten aus dem neurologischen Institute
(Institut für Anatomie und Physiologie des Zentralnervensystems) an der
Wiener Universität. IX. Heft, Wien 1902.
218 Bernhard Rawitz:
meiner Ergebnisse hingewiesen. Auf alle differenten Beobachtungen
aber einzugehen, halte ich aus denselben Gründen für unnötig,
die mich auch veranlassten, von einer ausführlichen Schilderung
der Bartenwal-Oblongata Abstand zu nehmen. Zudem ist es
nicht allzu verwunderlich, dass nahe verwandte Cetaceenspezies
im feineren Bau einzelner Organe abweichen, wissen wir doch,
hauptsächlich durch die Arbeiten des trefflichen norwegischen
Zoologen Sars, dass sogar die Teile des Skeletts in breiter
Amplitude variieren. Nur auf zwei Ditferenzpunkte glaube ich
ausdrücklich hinweisen zu müssen.
Die genannten Autoren bilden auf Seite 38 in Fig. 11 1.c. eine
Gegend der Oblongata ab, in welcher sie eine tief im Innern
gelegene Stelle als Deitersschen Kern bezeichnen. Max
Schultze hat in der Vorrede, mit welcher er die von ihm veran-
staltete Herausgabe der Untersuchungen des leider so früh ver-
storbenen Deiters begleitete, den Vorschlag gemacht, den von
letzterem im Seitenstrang entdeckten Kern als „Deitersschen
Kern“ zu bezeichnen. Das von den Herren Hatschek und
Schlesinger in jener Gegend mit diesem Namen belegte
Gebilde entspricht aber der Schultzeschen Terminologie nicht.
Denn weder liegt es im Seitenstrange, noch verlagert sich dessen
Kern so weit nach innen.
Der zweite wesentliche Differenzpunkt betrifft die Deutung
der Oliven. Die Unterscheidungen, welche die Herren Hatschek
und Schlesinger in Anlehnung an die Befunde beim Menschen
vorgenommen haben, kann ich nicht anerkennen. Wohl gemerkt:
es handelt sich hierbei nur um eine Differenz in der Deutung,
da ich nicht im geringsten die wesentliche Richtigkeit der Be-
obachtungen anzweifle. Was mich veranlasst, die Deutung der
genannten Herren abzulehnen, ist, wie ich dies schon bei Schil-
derung meiner Untersuchungsresultate bemerkt habe, das Ergebnis.
des Studiums lückenloser Schnittserien. Ich kann es nicht für
richtig halten, besondere Namen da einzuführen oder anzu-
wenden, wo keine besonderen Teile vorliegen. Und dass letzteres
nicht der Fall, lehrt meine Schilderung. Ich habe die kaudale
Olive der Cetaceen nicht durch plastische Rekonstruktion ver-
grössert dargestellt, weil bei dem beträchtlichen Umfange des
Organs ein derartiges Verfahren mir unnütz erschien. Versucht
man, sich die Olive nach den Schnittbildern stereometrisch vor-
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 219
zustellen, so muss man zu der Überzeugung kommen, dass wir
es mit einem einheitlichen Organ zu tun haben. Seine stark
gewölbte ventrale Fläche ist glatt, hat keinerlei Einkerbungen.
Seine dorsale, dem ÖOblongatainnern zugekehrte Fläche dagegen
ist mannigfach zerklüftet. Und diese Zerklüftung ist am lateralen
Rande eine so tiefgehende, reicht von ventral (aussen), so weit
nach dorsal (innen), dass, wenn man von ersterer Fläche her das
Organ in einzelne Ebenen zerlegt, die laterale Partie eine
gesonderte Existenz zu führen scheint. Aber eben nur scheint,
nicht wirklich führt; denn zu guterletzt erkennt man den Zu-
sammenhang des lateralen Teiles mit dem übrigen Organ dennoch.
Dass und warum ich auch ablehne, die innere Spezialisierung der
Olive als eine Sonderung in mehrere Gebilde anzuerkennen, ist
bereits oben ausführlich dargelegt worden.
Die nächste zu erwähnende Arbeit ist die von auldberg'),
welche zugleich die erste sorgfältige Beschreibung des Gehirns
der Balaenopteriden bietet. Allerdings geht Guldberg nicht
auf die feinere Anatomie ein, sondern beschreibt nur die äussere
Oberfläche. Doch muss ich trotzdem auf eine kleine Differenz
hinweisen. Er sagt vom Faeialis (l. ec. pag. 142): „Ähnlich wie
bei Phocaena, zeigt sich dieser Nerv auch hier stark entwickelt“.
Das ist nicht einmal ganz richtig, wie meine Darstellung lehrt,
wenn man das Nervensystem der Üetaceen für sich allein betrachtet,
ohne es mit dem der übrigen Säuger zu vergleichen. Bei einer
nach mikroskopischer Untersuchung vorgenommenen Vergleichung
kommt man aber zu einem anderen Schlusse. Esist dann vielmehr
ganz auffällige, wie klein der Facialis der Cetaceen relativ zu dem
der anderen Mammalia ist. Er nimmt im Innern der Oblongata
durchaus nicht den Raum ein, wie dies zZ. B. bei Rhesus der Fall
ist: er erscheint intramedullar vielmehr als ein Nerv, den man
fast als in gewissem Grade rückgebildet bezeichnen kann.
Zu meiner Freude stimmen hinsichtlich dieses eben berührten
Punktes mit den meinigen die Angaben von Kückenthal
und Ziehen überein?). Diese Autoren, welche an Hyperoodon
1) G. A. Guldberg: Über das Zentralnervensystem der Bartenwale.
In: Christiania Videnskabs-Selskabs Forhandlinger. 1885, No. 4.
2) Kükenthal und Ziehen: Über das Zentralnervensystem der
Üetaceen nebst Untersuchungen über die vergleichende Anatomie des Gehirns
bei Placentaliern. In: Denkschriften der medizinisch-naturwissenschaftlichen
Gesellschaft zu Jena. Bd. 3, Jena 1893.
2320 Bernhard Rawitz:
rostratus und Beluga leucas ihre Untersuchungen anstellen konnten,
sagen, dass der Facialis relativ schwach entwickelt sei. Es ist
hier nicht der Ort, referendo auf die höchst wertvolle Arbeit der
genannten Forscher einzugehen. Ihre Angaben decken sich in
allen wesentlichen Punkten mit den meinigen; und wo wir von-
einander abweichen, dann wird dies durch die Differenz der
untersuchten Formen bedingt. Erwähnen will ich noch, dass
auch Kückenthal und Ziehen von einer Nebenolive sprechen.
Da ich leider Material, wie es ihnen zu Gebote stand, nicht
studieren konnte, so kann ich auch zu ihrer Oliveneinteilung
nicht Stellung nehmen. Aber wiederholen muss ich, dass meines
Erachtens bei den Balaenopteriden und den Odontoceten nur eine
einheitliche kaudale Olive vorhanden ist. In der Ausdrucksweise
unterscheide ich mich von den beiden Autoren. Sie sind vom
kapitalen Ende des Hirnstammes in ihrer Schilderung kaudalwärts
gegangen, ich habe in meiner Darstellung den umgekehrten Weg
verfolgt. Letzteres darum, weil ich die Umwandlungen erkennen
wollte, welche der Rückenmarksbau in der Oblongata erfährt.
Diese Differenz in der Methodik gibt Aufschluss über die Differenz
in der Bezeichnung.
2. Marsupialia.
a) Didelphys marsupialis Shaw.
In den kapitalsten Teilen des Halsmarkes fällt zunächst das
Fehlen des Zentralkanals auf. Ob dies eine zufällige Erscheinung
bei dem einzigen mir zur Verfügung stehenden Exemplar war,
oder ob den Marsupialiern ebenso wie den Cetaceen ein Zentral-
kanal im ganzen Rückenmark fehlt, kann ich natürlich nicht sagen.
Die dorsalen Säulen, welche der Rolandoschen Substanz entbehren,
sind sehr breit und ein Gleiches ist bei den ventralen Säulen der
Fall. Die lateralen Säulen dagegen sind so schwach ausgebildet,
dass sie kaum als leichte Vorsprünge gegen die Seitenstränge sich
bemerkbar machen. Auffällig ist die gerade Lage der beiden
Säulenpaare. Sie sind nicht mit ihrem längsten Durchmesser
nach den Seiten gespreizt, sondern sie sind parallel zur Median-
linie orientiert. Während der Sulcus ventralis sehr breit ist, kann
man eine dorsale Fissur nicht unterscheiden. Eine Differenzierung
von Gollschen und Burdachschen Strängen ist im mikro-
skopischen Bilde nicht vorzunehmen, so eng liegen erstere den
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 227
letzteren an, so einheitlich erscheint die weisse Masse der dor-
salen Stränge. Vom Seitenstrang geht die Bildung des Retikulum
vor sich. Dies geschieht in der Art, dass sich Nervenbündel von
den Seitensträngen loslösen, in transversaler Richtung gegen das
innere Ende der vereinigten Goll-Burdachschen Stränge sich
vorschieben und so die dorsale Säule von dem übrigen Grau abzu-
schliessen beginnen.
Der Übergang des Halsmarkes zur Oblongata macht sich
dadurch kenntlich, dass nunmehr an normaler Stelle ein sehr
schmaler, dorsoventral gestreckter Zentralkanal erscheint (Fig. 15).
Und ferner beginnt die Pyramidenkreuzung, indem einige wenige
Fasern aus den dorsalen Strängen seitlich vom Burdachschen
Strange direkt nach ventral ziehen. An manchen Stellen gewinnt
man den Eindruck, als ob eine dorsale weisse Kommissur vor-
handen sei. Man sieht nämlich Fasern vom dorsalen Strang der
einen zu dem der anderen Seite ziehen, wobei sie auf dem inneren
Ende von Goll-Burdach gewissermaßen reiten. An einigen
Stellen, sage ich; das soll heissen, dass diese weisse dorsale Kom-
missur hier wenigstens noch kein konstantes Gebilde ist. Weiter
kapitalwärts wird die genannte Kommissur insofern konstanter,
als sie sich auf zahlreichen Schnitten erhält.
Während die Pyramidenkreuzung noch auf lange hinaus
nur in der vorhin erwähnten Andeutung vorhanden ist, macht
die Bildung des Retikulum weitere Fortschritte und dokumentiert
sich die Trennung der Gollschen von den Burdachschen
Strängen. Letzteres in der Weise, dass erstens zwischen beiden
Strängen jederseits ein feiner Spalt auftritt. Und zweitens dadurch,
dass im Gollschen Strange sein in dorsoventraler Richtung etwas
gestreckter Kern erscheint. Die Ausdehnung des Retikulum führt
einerseits zu einer fast völligen Abtrennung der dorsalen Säulen
vom übrigen Grau, andererseits engt es allmählich die ventralen
Säulen ein.
Sehr bald aber ändert sich dies indifferente Bild. Am auf-
fälligsten ist die ganz ausserordentliche Vergrösserung der dor-
salen Säulen (Fig. 15). Sie dehnen sich in ventrolateraler Richtung
derartig, dass sie jetzt mehr als den doppelten Umfang wie vorhin
haben und an Grösse den ventralen Säulen mindestens gleich-
kommen. Ihre Gestalt ist flügelförmig geworden und sie haben,
wenn auch nur in schwacher Andeutung, Rolandosche Substanz
222 Bernhard Rawitz:
erhalten. Aus ihrem weissen Mantel ziehen zarte Faserstränge
nach innen zur Pyramidenkreuzung. Diese, welche die Haupt-
masse ihrer Fasern aus den Gollschen und Burdachschen
Strängen — sie ziehen von beiden Seiten spitzwinklig konver-
gierend ventral -— und nur wenige Fasern von den Seitensträngen
erhält, ist deutlicher geworden. Sie erscheint als ein schmaler
Keil sich kreuzender Nerven in der inneren medialen Portion der
ventralen Stränge (Fig. 15).
Die andere auffällige Veränderung macht sich an den Goll-
schen Strängen bemerkbar. Sie sind jederseits von dem benach-
barten Burdachschen Strange durch einen tiefen und breiten
Spalt getrennt (Fig. 15). Dadurch, dass die Gollschen Stränge
beider Seiten so eng aneinander liegen, dass sie einheitlich er-
scheinen, bilden sie einen starken Keil, der zwischen die Burdach-
schen Stränge einzudringen sich bemüht. Wie weit sie dabei
gegen die graue Substanz reichen, lässt sich nicht erkennen, da
ihre Enden noch immer mit der Masse der Burdachschen
Stränge vereint sind. Der sehr kleinzellige Kern der Gollschen
Stränge ist grösser geworden und dadurch hat ihre Rarefizierung
ganz bedeutende Fortschritte gemacht. Das zentrale Grau, das
spätere Höhlengrau, hat sich abgesondert bezw. ist abgetrennt
worden. Und dies wurde dadurch bewirkt, dass die von dorsal her
kommenden Pyramidenfasern, wie bemerkt, ventral zu einem sehr
spitzen Winkel konvergieren. Was in diesem Faserwinkel liegt,
dorsal begrenzt von Goll-Burdach, ventral von der Pyramiden-
kreuzung, das ist das spätere zentrale Höhlengrau. Wie wesent-
lich dessen Entstehungsweise von der bei Phocaena abweicht,
braucht im einzelnen nicht hervorgehoben zu werden. In dem
Grau findet sich der noch immer sehr enge Zentralkanal. Wenn
ich dann noch hinzufüge, dass das Retikulum die ventralen Säulen,
indem es sich medioventral ausdehnt, immer mehr einengt und
dass die dorsale weisse Kommissur wiederholt auftritt und ver-
schwindet, so ist die Charakteristik dieser Gegend der Oblongata
gegeben.
Die Vergrösserung der dorsalen Säulen ist weiter kapital-
wärts noch beträchtlicher geworden als vorhin (Fig. 16); sie
übertreffen jetzt an Umfang die vom Retikulum fast völlig einge-
nommenen ventralen Säulen um ein vielfaches. Diese Zunahme
der dorsalen grauen Substanz ist bisher das einzige mechanische
DD
DD
0.
Das Zentralnervensystem der Cetaceen.
Moment, welches die Ausbildung der Oblongata bei dieser Spezies
beherrscht. Der transversale Durchmesser des Organs hat sich
gegen die ersten Stadien verdoppelt und auch der dorsoventrale
hat etwas zugenommen. Dafür aber kann nur die genannte Ver-
grösserung die Ursache gewesen sein. Indem die dorsalen Säulen
wuchsen, nahmen sie in der Breite zu, und indem sie dabei sich
ventral ausdehnten, drängten sie Seiten- und ventrale Stränge
vor sich her. Da nun diese sich nur wenig zusammenpressen
liessen, so mussten sie ventral ausweichen und führten so die
Vergrösserung des dorsoventralen Durchmessers der Oblongata
herbei. Nur sekundär sind die zwischen Gollschen und Burdach-
schen Strängen aufgetretenen Spalten hierbei beteiligt. Denn so
weit diese auch sind, so sind sie doch nicht weit genug, um einen
nennenswerten Einfluss auf die Veränderung der Durchmesser
auszuüben. Und ebensowenig ist bei diesen Veränderungen die
Pyramidenkreuzung beteiligt. So scharf sie auch gerade in dieser
Gegend der Oblongata ausgeprägt ist (Fig. 16), so ist sie doch
viel zu schwach, viel zu wenig massiv, um mechanisch wirken zu
können.
Noch eine andere interessante Tatsache ist an den dorsalen
Säulen und dem sie aussen umhüllenden Nervenmantel zu be-
obachten: das ist ihre scharfe Abgrenzung gegen die Seitenstränge.
Zwischen den letzteren und den Säulen ist eine von einem Pia-
fortsatz erfüllte Spalte aufgetreten, welche tief in das Markinnere
hineinreicht und, das ist die Hauptsache, welche konstant ist,
also sich weithin kapitalwärts erstreckt. Der weisse Nerven-
mantel der dorsalen Säulen schlägt sich an dieser Spalte haken-
förmig nach innen (Fig. 16) und reicht bis zu dem sehr entwickeiten
Retikulum. In diesem Nervenmantel tritt marginal ein konzentrisch
gestreckter Kern auf — in einer Ebene, die mehr kapitalwärts
liegt, als die Fig. 16, — den ich als den Monakowschen Kern
betrachte. DieRolandosche Substanz ist besser zu unterscheiden
als früher.
Die Pyramidenkreuzung ist schmal, aber sehr deutlich; die
gekreuzten Fasern stossen im Sulcus ventralis ins Freie (Fig. 16).
Durch die schärfere Ausprägung der Decussatio ist zugleich die
dreieckige Form — also körperlich die Keilform — des zentralen
Grau überaus deutlich geworden. Scharf getrennt sind jetzt auch
(Gollscher und Burdachscher Strang (Fig. 16). Ersterer, durch
224 Bernhard Rawitz:
seinen in ihm gelegenen Kern stark ausgehöhlt, reicht jetzt bis
an das zentrale Grau. Auf seinem inneren Ende reitet häufig die
dorsale weisse Kommissur, vielfach aber auch liegt sie in einiger
Entfernung von ihm. Der Burdachsche Strang ist ein massiges,
unregelmässiges Gebilde; von seinem inneren Ende her beginnt
die Substanz des zentralen Grau ihn auszuhöhlen. Die ventralen
Säulen sind vom Retikulum erfüllt.
Von nun ab nehmen die Veränderungen ein schnelleres Tempo
an und sie werden hervorgerufen durch eine ausserordentliche
Zunahme des transversalen Durchmessers. Diese wird im wesent-
lichen herbeigeführt durch die Verbreiterung der Pyramiden-
kreuzung, durch das Auftreten der kaudalen Oliven und des
Seitenstrangkernes (Fig. 17). Das ganze Organ macht den Ein-
druck, als sei es stark in die Breite gezogen und dabei doch
etwas dicker geworden. Betrachten wir die Veränderungen im
einzelnen.
Die bisher keilförmigen und einheitlichen G ollschen Stränge
(Fig. 17) sind in der Mitte auseinander gewichen, sodass von dor-
sal her eine ziemlich breite wenn auch nicht gerade tiefe Furche
sich zwischen sie einsenkt. Sie sind in der dorsoventralen Achse
erheblich verkürzt, in der transversalen breiter geworden, sodass
sie nicht mehr wie früher keilförmig, sondern rundlich aussehen.
Auch die Burdachschen Stränge sind stark transversal gedehnt
und erscheinen darum an Masse sehr reduziert. Ihr Kern ist
von ventral her sehr tief in ihre mediale Partie eingedrungen.
Gegen das zentrale Grau werden beide Strangpaare durch zarte
weisse Fasern abgegrenzt, deren Verlaufsrichtung genau trans-
versal ist. Dadurch erscheint die wiederholt erwähnte dorsale
weisse Kommissur sehr ausgeprägt. Die Fasern der letzteren
stammen von den lateralsten Partien der Burdachschen Stränge,
sodass hier also eine Kreuzung ausserhalb der Decussatio vor-
handen ist (Fig. 17). Diese Kommissur ruht auf dem zentralen
Grau auf. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Masse
des Grau die gleiche geblieben ist wie früher. Nur weil es der
allgemeinen Dehnung gefoigt ist, erscheint es breiter. In ihm
hat sich die Differenzierung in helles und dunkles Grau einge-
stellt. Dieses, an Umfang das Geringere, liegt in dem von der
Pyramidenkreuzung gebildeten Winkel, jenes nimmt die übrige
Region des zentralen Grau- für sich in Anspruch. In beiden
D
IND
(Bit
16)
Das Zentralnervensystem der Cetaceen.
Partien kommen grosse Ganglienzellen vor; das dunkle Grau ist
der Hypoglossuskern, das helle der Vaguskern. Erinnert man sich
der von Phocaena gegebenen Schilderung, so wird die Differenz
in der Bildungsweise des Hypoglossuskernes klar.
Die Pyramidenkreuzung ist breiter geworden (Fig. 17); die
in sie eingehenden Fasern kommen vom Gollschen und Burdach-
schen, vom Rest des dorsalen Stranges und zum kleinsten Teil
aus dem Retikulum. Die Fasern kreuzen sich so tief ventral,
dass ein Teil der ventralen Stränge im Kreuzungswinkel gelegen
ist (in Fig. 17 nicht abgebildet). Nach der Kreuzung schlagen
sich die Fasern ein wenig auf den Rand der ventralen Stränge
über, sodass es zur Andeutung einer Pyramide kommt. Innerhalb
der ventralen Stränge, marginal gelegen, finden sich zwei helle
Flecken (Fig. 17): die ersten Andeutungen der kaudalen Oliven.
Lateral von diesen ist im Seitenstrang, aber nicht ganz marginal,
der sehr grosszellige Seitenstrangskern (Fig. 17) als ein unregel-
mässig konturiertes umfangreiches Gebilde erschienen. Die Grenze,
d.h. der Spalt zwischen Seitenstrang und weissem Mantel der dor-
salen Säulen ist nicht mehr ganz so tief wie früher, aber doch
immer noch deutlich. Der Monakowsche Kern hat sich dorsal-
wärts in die Länge gestreckt. Die Andeutung der aufsteigenden
Trigeminuswurzel fehlt noch, auch habe ich bisher keine Acces-
soriusbündel sehen können.
Jetzt erst beginnt der Zentralkanal deutlicher zu werden
und sich schnell auszuweiten. Er kehrt dann seine Spitze ventral-
wärts (Fig. 18), zeigt lateral kurze, spitze Buchten und ist dorsal
gewölbt. Die grösste Veränderung hat inzwischen der dorsale
Kontur des Markes erfahren. Die beiden Gollschen Stränge
sind weit auseinander gewichen (Fig. 18), d. h. sind nach lateral
gewandert und lassen einen so breiten Zwischenraum zwischen
sich, dass hier das zentrale Grau ins Freie stösst. Es hat sich
dadurch wiederum nach lateral hin sehr weit ausgedehnt, während
es in der Medianlinie bedeutend verdünnt ist. Noch eine stärkere
Dehnung und es muss zur Bildung des IV. Ventrikels einreissen;
seine Zweiteilung ist geblieben. Das dunkle Grau, dessen dorsale
Grenze die Seitenbucht des Zentralkanals markiert, ist dorsal
etwas abgerundet, man sieht aus ihm Faserzüge des Hypoglossus
austreten (Fig. 15). Das dorsal von ihm gelegene helle Grau
entsendet noch keine Nervenwurzeln. Interessant aber ist es, dass
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 15
226 Bernhard Rawitz:
die dorsale weisse Kommissur, die bekanntlich anfangs inkonstant
war, um allmählich konstant zu werden, hier in womöglich ver-
stärkter Ausbildung vorhanden ist. Man sieht sie in breitem
Zuge von rechts nach links ziehen und zwar im dorsalsten Teil
des zentralen Grau, so dass sie fast an dessen freien Rand
heranreicht. Sie besteht aus sehr zarten Fasern, die zu einem
lockeren Bündel gruppiert sind. In der lateralen Ecke des hellen
Grau ist die sehr kleine aufsteigende Wurzel des Glossopharyngeus
erschienen (Fig. 13).
Die Pyramidenkreuzung ist beendet und die Fasern, welche
jetzt vom Gollschen und Burdachschen Strang, vom dorsalen
Strangrest und aus dem Retikulum kommen, werden zu Arcuatae.
Diese kreuzen sich in der schmalen Raphe. Aus der Pyramiden-
kreuzung haben sieh zwei sehr kleine Pyramiden gebildet, welche
als schmale Kappen an der Umbiegungsstelle des medialen zum
ventralen Rande gelegen sind. Sie sind nicht scharf konturiert
und ragen nicht über die Oberfläche der Oblongata hervor, sodass
sie nur schwer unterschieden werden können. Die Oliven sind
grösser geworden (Fig. 19); sie erscheinen aber nach wie vor
nur als helle Flecken, da ihnen jede scharfe Konturierung mangelt.
Das ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, welche für die Phy-
logenie dieser merkwürdigen Organe von grösster Wichtigkeit ist.
Sie werden durchquert von Fibrae arcuatae, welche zur Raphe
ziehen. Ein Hilus ist an keiner Stelle ihres Umfanges wahr-
nehmbar. Der Seitenstrangskern hat sich etwas marginal verlagert,
ist aber zugleich weniger deutlich geworden. Der Monakowsche
Kern hat nunmehr einen Teil jener weissen Fasern, welche die
dorsale Säule aussen umgeben, abgedrängt und damit ist die auf-
steigende Trigeminuswurzel entstanden (Fig. 18). Während der
(rollsche Strang als solcher nicht mehr existiert, — denn man
sieht nur noch wirr durcheinander geworfene Fasern in seinem
Kern, welche zur Arcuatae werden — ist die Rarefikation des
;urdachschen Stranges nur wenig vorgeschritten. Der Nervus
hypoglossus ist intramedullar in kurzen, abgebrochenen Zügen er-
schienen. Er findet sich in der Nähe seines Kernes und reicht
bis an den Seitenrand der Oliven.
Der dorsale ins Freie stossende Rand des zentralen Grau
wird immer dünner, reisst durch und damit ist der IV. Ventrikel
gebildet. Noch auf lange hinaus kann man, wie bei Phocaena,
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 22%
den Anteil erkennen, welchen der Zentralkanal am Ventrikel hat:
es sind dessen Seitenbuchten, welche die Grenze bezeichnen. Sehr
interessant ist die Verlagerung, welche das helle Grau mit der
Öffnung des Ventrikels erfahren hat (Fig. 19). Jetzt wird der
Boden, soweit er vom Zentralkanal abstammt, ausschliesslich vom
dunklen Grau (Hypoglossuskern) gebildet. Er ist median nur
wenig vertieft und auch seitlich nur wenig gewellt. Zungenartig
springt das helle Grau (Vaguskern) über das Dunkle vor, biegt
sich dann dorsal um und reicht bis etwa zum ersten Drittel des
Ventrikelrandes. Es ist also dorsal wenig ausgedehnt, reicht
aber dafür lateral sehr weit in das Mark hinein. In seiner äussersten
Ecke, in der Nähe des Retikulum, liegt wie üblich die aufsteigende
Glossopharyngeuswurzel. Mit der Eröffnung des IV. Ventrikels
verschwindet die dorsale weisse Kommissur spurlos.
Noch auf dem dorsalen Kontur der Oblongata liegen in
dieser Gegend Gollscher und Burdachscher Strang (Fig. 19).
Ersterer ist, wie schon vorhin bemerkt, ganz geschwunden und
auch sein Kern hat sich verkleinert. Letzterer ist ebenfalls bis
auf einen dorsalen, wenig massiven Rest aufgelöst. Und zwar
ist diese Auflösung erfolgt teils durch Aushöhlung vom Mark her,
teils dadurch, dass im Innern des Stranges ein Kern aufgetreten
ist, welcher sehr schnell alle Fasern bis auf ein kleines Nerven-
massiv aufgesogen hat. Es ist also zu sagen, dass die Fasern
des Burdachschen Stranges in die Zellen des Kernes übergehen,
hier eine Umlagerung erfahren und nun als Arcuatae den Kern
wieder verlassen. Und ebenso ist es mit den Fasern des Goll-
schen Stranges. Der Monakowsche Kern, welcher nach wie
vor konzentrisch gerichtet ist, hat sich etwas nach dorsal hin
verlagert und reicht bis an den Burdachschen Kern heran.
Erst etwas weiter kapitalwärts kommuniziert er mit ıhm (Fig. 19).
Nach aussen wird der Monakowsche Kern von einer Fasermasse
überlagert, die sich unter starker Zuspitzung bis zum Burdach-
schen Strange hinzieht. Diese Fasermasse ist eine direkte Fort-
setzung des Seitenstranges und stellt somit die Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn dar. Durch ihr Auftreten ist einerseits der wiederholt
erwähnte Grenzspalt zwischen Seitenstrang und dorsaler Säule
geschwunden und andererseits ist die jetzt beträchtlich gewachsene
aufsteigende Trigeminuswurzel (Fig. 19) nach innen verlagert. Es
ist interessant festzustellen, dass mit der Grössenzunahme der
192
228 Bernhard Rawitz:
letzteren der ihr zugehörige Kern sich verkleinert hat. Der Seiten-
strangskern ist ganz undeutlich, er erscheint fast geschwunden.
Die Oliven sind unverändert geblieben (Fig. 19); sie stellen
also helle ganglienzellenhaltige Flecken am ventromedialen Kontur
des Organs dar, welche keinerlei scharfe Umrandung besitzen.
Mit dieser überaus geringen Ausbildung dieses Oblongatateiles
geht einher der absolute Mangel von sogenannten Nebenoliven.
Die Pyramiden sind nach wie vor kleine, kaum wahrnehmbare
(rebilde, welche an der Umbiegungsstelle des medialen zum ventralen
Markkontur gelegen sind. Sie unterscheiden sich so wenig von
den ventralen Strängen, dass sie nur dann erkannt werden können,
wenn man in der Serie vorher die leichte Umbiegung der ge-
kreuzten Fasern der Decussatio gesehen hat.
Der Hypoglossus (Fig. 19), dessen Ursprung aus seinem Kern
sehr deutlich zu sehen ist, hat sich intramedullar bis beinahe zu
seinem Austritt verlängert. Er durchsetzt mit zwei bis drei
Wurzeln einen Teil der lateralsten Partie der Oliven. Das ist
eine interessante Differenz gegen Phocaena. Denn bei dieser
Spezies, welche eine gut abgekapselte Olive besitzt, geht der
Hypoglossus ich möchte sagen sorgfältig an der Olive vorbei
und tritt lateral von ihr aus dem Mark heraus.
Wie bei Phocaena so finden sich auch bei Didelphys im
vetikulum ab und zu inkonstante Flecken, welche Ganglienzellen-
anhäufungen sind und als Kerne betrachtet werden könnten. Aus
denselben Gründen, die ich bei Schilderung der Phocaena-Oblongata.
entwickelt, halte ich diese Flecken nicht für wirkliche, echte
Kerne. Und ich möchte gleich hier im Voraus sagen, dass auch
bei allen anderen noch zu :schildernden Spezies diesen Flecken
keinerlei Kerncharakter zukommt.
Allmählich streckt sich der Ventrikel in transversaler Richtung
so sehr, dass es zum Verschwinden der Grenze des Anteils kommt,
welchen an seiner Bildung der Zentralkanal hat. Aber nicht bloss
der Ventrikel, sondern das ganze Organ streckt und dehnt sich
so unverhältnismässig in der transversalen Achse, dass es ein
von der Oblongata anderer Säuger sehr abweichendes Aussehen
erhält. Bei Phocaena und, wie längst bekannt, ‚bei anderen
Säugern ist der Querschnitt des verlängerten Markes ein runder.
Bei Didelphys dagegen ist er das nicht, die Oblongata gleicht
vielmehr einem flachen Viereck. Diese Dehnung bewirkt nicht.
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 229
bloss, dass der transversale Durchmesser ein vielfacher vom dorso-
ventralen wird, sondern sie hat auch zu Folge, dass der letztere
ein geringeres Maß besitzt als am Anfang des Organs vor Er-
öffnung des IV. Ventrikels. Darum sind alle Teile bei dieser
Spezies gedehnt und gezerrt, die Verlagerung tritt primär (direkt)
nur in der transversalen, in der dorsoventralen Richtung dagegen
sekundär (indirekt) auf.
Den Boden der Gehirnkammer nimmt das dunkle Grau des
Hypoglossuskernes ein, an welches seitlich das helle Grau sich
anschliesst. Letzteres steigt leicht gegen das Üerebellum an.
3ei Phocaena konnte gezeigt werden, dass am Rande des hellen
Grau ein Piafortsatz sich erhebt, der mit dem Grau innig ver-
wachsen als die laterale Begrenzung des Ventrikels betrachtet
wurde. Ist diese Auffassung von der Bedeutung des betreffenden
Piafortsatzes richtig, dann ist bei Didelphys der Ventrikel viel
enger. Denn hier sitzt der Piafortsatz (ich habe ihn nicht ab-
gebildet) fast in unmittelbarer Nachbarschaft des dunklen Gran,
sodass der weitaus grössere Teil des hellen Grau ausserhalb der
pialen Ventrikelgrenze sich findet.
(Gollscher und Burdachscher Strangkern — denn von
den Strängen selber kann nicht mehr gesprochen werden, da auch
der letzte Rest von Burdach mit der Ventrikelstreckung ver-
schwunden ist — verkleinern sich, indem sie nach wie vor die
Hauptquelle für die Fibrae arcuatae bilden. Mit dem Burdach-
schen Kern kommuniziert jetzt in grosser Breite der Monakow-
sche Kern. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn hat sich verlängert,
indem sie nunmehr auf den dorsalen Rand der Oblongata sich
leicht überschlägt. Der Seitenstrangskern ist wieder erschienen,
aber klein geblieben, die Pyramiden sind nicht mehr zu sondern
und die Oliven nehmen an Umfang ab. Zwischen den beiden
Pyramidenregionen ist die Raphe stark verbreitert.
Von den aus der Oblongata austretenden Nerven ist der
Hypoglossus in voller Ausbildung vom Kern bis zu seinem Aus-
tritte, der wie vorhin durch die Olive hindurch statt hat, zu ver-
folgen. Der Vollständigkeit wegen sei hinzugefügt, dass der intra-
medullare Verlauf des Nerven die schon bei Phocaena erwähnte
Zusammensetzung aus Bruchstücken erkennen lässt. An manchen
Stellen findet man zwei, an anderen drei Nervenwurzeln. Hinzu-
gekommen ist der Vagus (Fig. 19). Seine Wurzelfasern entspringen
230 Bernhard Rawitz:
zum Teil vom hellen Grau, zum Teil von den lateralen Partiem
des dunklen Grau. Die bedeutende Dehnung des ganzen Organs
hat einen unverkennbaren Einfluss auf seine Verlaufsweise aus-
geübt. Denn die Fasern, gleichgiltig von welchem Abschnitt des-
Grau sie kommen, ziehen zunächst in fast rein transversaler
Richtung. Dabei liegen sie so dicht auf dem Reticulum, dass sie
die Grenze zwischen diesem und dem zentralen Höhlengrau dar-
stellen. Erst an der lateralen Ecke des hellen Grau biegen sie
nach dorsoventral um und streben nun zunächst auf die Mitte
des Kerns der aufsteigenden Trigeminuswurzel zu. Es sei hervor-
gehoben, dass bis hierher, also bis in die Region des Vagus,
keine Wurzeln des Nervus accessorius zu sehen waren. Daraus-
würde hervorgehen, wenn der einmalige Befund eine Verall-
gemeinerung zulässt, dass bei Didelphys der Accessorius keine
Oblongatawurzeln besitzt, also ausschliesslicher Rückenmarks-
nerv ist.
Es war soeben bemerkt worden, dass die Oliven an Umfang
abnehmen. Noch innerhalb der Vagusregion schwinden diese
Gebilde, sie besitzen also eine sehr geringe Ausdehnung. In-
zwischen hat sich der Boden des IV. Ventrikels noch mehr ab-
geflacht und hat dadurch einen Teil des Burdachkernes auf
den lateralen Markkontur gedrängt. Mit dieser Abflachung hat
sich eine eigenartige Veränderung in der Beschaffenheit des-
zentralen Grau eingestellt. Der Durchmesser des dunklen Grau,
von welchem jetzt ausser den Fasern des Hypoglossus auch in
grosser Menge solche des Vagus kommen, — man kann beinahe
von einem gemeinsamen Kerne beider Nerven sprechen — ist in
dorsoventraler Richtung verkleinert, in transversaler vergrössert.
Das Gleiche ist aber mit dem hellen Grau nicht der Fall. Dieses,
von welchem ebenfalls Vagusfasern kommen, zeigt unveränderte
Maßverhältnisse, sodass es relativ zum dunklen Grau verkleinert
erscheint.
Der Gollsche Kern ist aufgebraucht. An seiner Stelle
sind einige Nervenbündel mit kapitokaudaler Verlaufsrichtung
aufgetreten, welche offenbar die erste Andeutung der kapito-
kaudalen (spinalen) Acusticuswurzel darstellen. Der Burdach-
sche Kern, grosszellig und zum Teil nach lateral hin verlagert,
ist mit dem Reste des sehr verkürzten Monakowschen Kernes
nach wie vor verschmolzen. Und auch in ersterem sind marginal
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 251
Faserbündel neu aufgetreten, welche mit solchen an der Stelle des
Gollschen Stranges aufgetretenen zusammenzuhängen scheinen.
Die aufsteigende Trigeminuswurzel ist unverändert. Eine sehr be-
deutende Volumsvermehrung hat die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
erfahren. Sie stellt jetzt einen breiten Nervenmantel dar, der
an der Mitte des ventralen Konturs beginnt, sich dorsalwärts
begibt und erst an der Umbiegungsstelle des lateralen Randes
sich etwas verjüngt. Der Seitenstrangskern ist geschwunden.
Zwischen der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn und der aufsteigenden
Trigeminuswurzel ist ein dünnes Bündel konzentrischer Fasern
zu sehen, welches sich nach innen vom Trigeminus in einzelne
Nerven auflöst. Es ist dies die erste Andeutung des Corpus
trapezoides. Letzteres geht aus weiter kapitalwärts gelegenen
tegionen deutlich hervor. Denn ein Teil dieser Fasern bildet
die marginale Begrenzung des Markes und kommt, wie sich ergibt,
aus der Gegend des Acustiecus, während ein anderer Teil als
Fibrae arcuatae zur Raphe zieht. Mit ihrem Eintritt in deren
verbreiterten ventralen Abschnitt sind in letzterem zahlreiche
grosse Ganglienzellen erschienen.
Der Monakowsche Kern verkleinert sich allmählich,
während der Burdachsche Kern mit den in ihm enthaltenen
disseminierten Nervenbündeln mehr medial rückt und dabei die
an der Stelle des Gollschen Kernes aufgetretenen Nerven mit
sich zieht. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn verdickt sich in ihrem
dorsaleun Teil, während ihr lateraler und namentlich ihr ventraler
Abschnitt sich verkürzen.
Der Hypoglossus ist im Schwinden. Der Vagus ist durch
den vom hellen Grau kommenden Glossopharyngeus ersetzt und
die Fasern der aufsteigenden Wurzel des letzteren sind in die
dorsoventrale Richtung eingebogen, treten also aus der Oblongata
aus. Die erste sehr wenig umfangreiche Andeutung des Facialis-
kerns ist zu sehen. Es ist dies ein kleiner heller Fleck, welcher
im Retieulum in der Nähe des medialen Endes der Trigeminus-
wurzel sich findet. Er besteht aus sehr grossen Zellen, von denen
man aber noch keine Nervenfasern abgehen sieht.
Eine Umwandlung des zentralen Höhlengrau fängt hier an,
welche nur wenig mehr kapitalwärts beendet ist. Es dehnt sich
nämlich das dunkle Grau zunächst dicht am Boden des IV. Ven-
trikels in lateraler Richtung immer mehr aus. Dadurch engt
22 Bernhard Rawitz:
es das helle Grau stark ein und drängt es zugleich in das Mark-
innere. Ist dies beendet, dann ist also das Höhlengrau einheit-
lich, nämlich dunkel, und das helle Grau ist als ein kleiner Rest
in jene Ecke gedrängt, wo vorher die aufsteigende Wurzel des
Glossopharyngeus gelegen war. Hier schwindet es dann nach
kurzer Zeit völlig, insofern sein Platz vom Retikulum einge-
nommen wird.
Mit der Veränderung im Höhlengrau, dessen laterale Partie
zum Kern des Abducens wird, sind Hypoglossus und Glosso-
pharyngeus geschwunden. Am längsten persistierten die Reste
der betreffenden Kerne, während die austretenden Nerven zuerst,
dann die intramedullaren Züge aufhörten. Der Fascialiskern
ist bedeutend grösser geworden und man sieht bereits hier und
da dünne Fasern von ihm aus direkt in dorsaler Richtung
abgehen.
Eine fernere Veränderung tritt nun im Aussehen der Klein-
hirn-Seitenstrangsbahn ein. Sie hat sich ventral und dorsal sehr
verkürzt, d. h. sie ist vom dorsalen Markkontur wieder zurück-
gewichen und hat sich vom ventralen soweit zurückgezogen, dass
sie nur noch in ganz dünner Schicht die aufsteigende Trigeminus-
wurzel bedeckt. Der Fascialiskern reicht dadurch fast ganz ins
Freie, denn er ist ventral nur von einer geringen Menge weisser
Fasern umhüllt. Dafür aber ist die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
an ihrem lateralen Umfange so bedeutend verdickt, denn ihre
Fasermassen sind auf einen engeren Raum zusammengeschoben,
dass sie gleich einem mächtigen Keil nach aussen ragt.
Diese Gegend der Oblongata möchte ich als eine Gegend
der Ruhe bezeichnen. Hypoglossus, Vagus, Glossopharyngeus sind
verschwunden, die aufsteigende Trigeminuswurzel verharrt seit
langem in unverändertem Zustande, der Facialiskern macht
schüchterne Versuche, seine Nerven dorsalwärts zu senden. An
Stelle von Goll-Burdach ist ein Komplex disseminierter Nerven-
bündel getreten, welche in kapitokaudaler Richtung verlaufen
und zahlreiche grosse Ganglienzellen zwischen sich einschliessen.
Das dunkle Höhlengrau hat sich am ganzen Boden des IV. Ven-
trikels ausgebreitet und das Corpus trapezoides ist in seiner
ersten Anlage eben sichtbar geworden. Nirgends also etwas
Ausgebildetes, Anlagen hier und dort, welche aber in einer
gewissen Stabilität zu verharren scheinen. Es ist die einzige
Das Zentralnervensystem der ÜOetaceen. 233
Stelle im verlängerten Mark, welche als ein wirklicher Übergang,
als eine Vorbereitung zu neuen Umformungen betrachtet werden
kann. Sie hat naturgemäss nur geringe Ausdehnung, denn bald
treten wieder Umformungen ein und sie werden hervorgerufen
durch das Erscheinen des Acusticus.
Seitlich von der Umbiegungsstelle des dorsalen zum lateralen
Markkontur tritt zuerst ohne jeden Zusammenhang mit der
Oblongata, dann bald durch einen dünnen Streifen mit dem
Höhlengrau vereinigt eine graue Masse von eigentümlichem Aus-
sehen auf. Sie legt sich sehr bald auf die Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn und drückt diese dadurch etwas ventralwärts. Das Eigen-
tümliche dieser grauen Masse besteht darin, dass sie in ihrem
Aussehen so ganz und gar nicht den Kernen der Oblongata
gleicht, sondern dass sie vielmehr wie ein aberrantes Stück Gross-
hirnsubstanz erschsint. Sie beherbergt zahlreiche kleine Ganglien-
zellen und einige wenige Nervenfasern (Fig. 20). Dies ist der
Kern der kaudalen Acustieuswurzel. Mit seinem Auftreten ändert
sich in etwas das Verhalten jener inzwischen vermehrten disse-
minierten Nervenbündel, welche Gollkern und Burdachkern
insofern aufgebraucht haben, als sie deren Platz einnehmen und
deren grosse Ganglienzellen zwischen sich einschliessen. Diese
Fasern, die kapitokaudale (spinale) Acustieuswurzel, fangen näm-
lich an, in der der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn benachbarten
Gegend zu einem kleinen Teile in die dorsoventrale Verlaufs-
richtung einzubiegen, schicken sich also zum Austritt an. Dabei
geht ihr Bestreben offenkundig dahin, sich zwischen Seitenstrangs-
bahn und Trigeminuswurzel einzudrängen.
Es ist dies zunächst die einzige Veränderung, welche das
Auftreten des kaudalen Acusticus herbeiführt. Die ventralen Teile
der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn werden in die Hauptmasse ein-
gezogen, sodass diese einen fast drehrunden Querschnitt erlangt.
An ihrer Stelle erscheinen in dünnem Zuge die Fasern des
sehr schwachen Corpus trapezoides (Fig. 20), deren Zusammen-
hang mit dem kaudalen Acustieus in weiter kapitalwärts gelegenen
Ebenen sich findet. Der inzwischen sehr gross gewordene Fa-
cialiskern entsendet jetzt in etwas grösserer Zahl seine Fasern
dorsalwärts; alles übrige aber ist unverändert. Von Interesse
sind nur noch die allerersten, dem Höhlengrau benachbarten
Arcuatae. Sie kommen von den innersten, d. h. medialsten Partien
234 Bernhard Rawitz:
der kapitokaudalen Acusticuswurzel, stellen also eine Verbindung
des Hörnerven mit der Peripherie her. Ihr Verlauf ist zunächst
rein transversal und dadurch bilden sie eine scharfe Grenze
zwischen Reticulum und zentralem Grau. In der Nähe der ven-
tralen Stränge, die jetzt so verlagert sind, dass sie direkt unter
dem gliösen Belag des IV. Ventrikels liegen, — auch eine Wirkung
der transversalen Dehnung des Markes — biegen die eben ge-
nannten Fasern ventralwärts. Dadurch liegt ein Teil der ven-
tralen Stränge dorsal von ihnen.
Der IV. Ventrikel verändert sich zunächst nicht, das Corpus
trapezoides bleibt wie bisher sehr schwach ausgeprägt. Der vom
Facialis ausgehende Nervenstrom wird stärker. Nur der Acusticus
zeigt beträchtlichere Umbildungen. Der Kern der kaudalen Acus-
ticuswurzel, das sogenannte Tuberculum acusticum, schlägt sich
aussen über die nunmehr im Schnitt keulenförmig aussehende
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn über (Fig. 21). Er füllt sich in seinem
breitesten Abschnitte immer mehr mit Nerven, welche seine
kleinen Ganglienzellen zwischen sich fassen. Diese Nerven durch-
setzen zu einem Teil als der Anfang des Corpus trapezoides die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, gehen aber zum grösseren Teil in
den Raum zwischen dieser und der aufsteigenden Trigeminus-
wurzel (Fig. 21). Dadurch wird dieser Raum sehr verbreitert,
zumal sich den vom kaudalen Kern kommenden Fasern noch die
von der kapitokaudalen Wurzel stammenden als kapitale (vordere
der Autoren) Acusticuswurzel zugesellen. Die vom kaudalen
Kern stammenden und in dem genannten Zwischenraum aus-
tretenden Fasern sind sehr locker gefügt, während die von der
kapitokaudalen Wurzel sich abzweigenden zu dicken Bündeln
vereinigt sind.
Von nun an beansprucht auch das Cerebellum unsere Auf-
merksamkeit und sein Verhalten soll zunächst geschildert werden.
Bisher waren nur einige Kleinhirnwindungen zu sehen, welche
dorsal von der Mitte des Ventrikels gelegen waren und sich
ganz indifferent verhielten. Allmählich hat sich diese unpaare
Masse immer mehr nach der Seite ausgedehnt und die geringe
Nervensubstanz, welche zwischen den einzelnen Cerebellarwindungen
sich fand und auch jetzt noch sich findet, hat an der dem
Seitenrande der Oblongata gegenüber liegenden Stelle eine
bedeutende Vergrösserung erfahren. Eine dicke weisse Masse ist
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 235
hier vorhanden, welche gegen die Oblongata nicht abgeschlossen
ist, also nicht von grauer Cerebellarsubstanz bedeckt wird, sondern
welche direkt ins Freie stösst. Sie ist mit der gleichen Masse
der Gegenseite durch einen keilförmigen, gegen die Mitte sich
verjüngenden Fortsatz verbunden. An ihrem äusseren Rande
haben die Nervenfasern einen schrägen Verlauf. In dieser ganzen
Masse, bis zur Medianlinie, sind zahlreiche grosse Ganglienzellen
vorhanden. Diese gleichen nicht etwa den bekannten Hirsch-
geweihzellen, sondern sind gewöhnliche multipolare Ganglien-
zellen. Die genannte weisse Masse ist das cerebellare Ende der
Bindearme zur Oblongata und es ist beachtenswert, dass sie auf
dem Schnitt früher erscheinen, ehe der zugehörige Bindearm an
der Oblongata sich bemerkbar macht. Das beweist, dass die
Verbindung von Oblongata und Cerebellum sich in letzterem viel
weiter kaudalwärts erstreckt, als z. B. bei Phocaena. Und von
grösstem Interesse ist es auch, dass die Bindearme hier einen
eigenen, rein cerebellaren Kern besitzen, welcher vis-a-vis dem
Tuberceulum acusticum seine grösste Zellanhäufung hat.
Sieht man sich in dieser Gegend das Tuberculum acusticum,
also den kaudalen Acusticuskern, und die aus ihm entspringende
Wurzel an, so kann man sich dem Eindrucke nicht entziehen,
der übrigens bei anderen Spezies noch grösser ist, dass das
genannte Gebilde nicht zum verlängerten Mark gehört. Es er-
scheint dem lateralen Markkontur wie aufgeklebt, welche
Anschauung noch dadurch verstärkt wird, dass die Grenze zum
zentralen Höhlengrau leicht eingebuchtet ist und dass die Substanz
des letzteren wie ein scharfer Kontur im Bogen gegen den
Acustieuskern sich leicht ventral einsenkt. Es trennt auf diese
Weise den kaudalen Acusticuskern von der kapitokaudalen
Acusticuswurzel.
Der Acusticus selber bietet in dieser Gegend ein sehr
interessantes Bild. Der Kern, d.h. die graue, an Grosshirnrinde
erinnernde Masse ist an Umfang sehr reduziert. Sie stellt
nämlich nur noch einen schmalen Saum dar, welcher die
Wurzelfasern aussen umhüllt, — dies ist eine besondere Eigen-
tümlichkeit des kaudalen Acustieusteiles und unterscheidet ihn
von allen anderen Oblongatanerven — sich dann lateral über
die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn legt, wo sie einige allerfeinste
Nervenfasern enthält, und am Austritt der Wurzelfasern des
236 Bernhard Rawitz:
Nerven endet. In dieser Ausdehnung ist sie ziemlich schmal
und nur an ihrer Ansatzstelle an der eigentlichen Oblongata
gegen das zentrale Höhlengrau hin verbreitert sie sich. Es
umschliesst diese graue Masse die Acusticusfasern des kaudalen
Nerven. Diese ursprünglich, d. h. dicht an ihrem grauen Kern,
wirr durcheinander geworfen, gehen bald in breitem Strome
zwischen der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn und der kapitokaudalen
Wurzel nach aussen. Dabei mischen sich beide Faserarten,
denn auch von der letzteren Wurzel treten Nerven aus, so
durcheinander, dass intramedullar die beiden Teile des Acusticus
in dieser Gegend nicht zu sondern sind. Die kapitokaudale
Wurzel zeigt im allgemeinen das bisher beschriebene Verhalten,
also disseminierte Bündel, von denen ein Teil in die dorso-
ventrale Richtung einbiegt. Die Zellen zwischen den Bündeln
sind etwas spärlicher geworden, dafür ist aber zwischen der
Wurzel und dem kaudalen Acustieus ein Streifen kleinzelliger
grauer Substanz erschienen, von der Fasern ausgehen, welche
sich den austretenden der kapitokaudalen Wurzel zugesellen. Man
kann hier also von einem dritten, Kapitalen Acusticuskern sprechen.
Überaus merkwürdig sind Faserzüge, welche aus dem
Retikulum zum Acusticus gehen, bezw. von diesem zu jenem.
Ein Teil von ihnen liegt ventral dem zentralen Höhlengrau dicht
an und kommt von einer grosszelligen, sehr dunkel aussehenden
(in Weigert-Präparaten) grauen Masse, welche keilförmig
zwischen kapitokaudale Acusticuswurzel und Retikulum hinein-
ragt. Diese Fasern gehen durch die genannte Wurzel, zum Teil
auch dorsal von ihr und biegen in den oben genannten kapitalen
Kern ein. Ein anderer Teil zieht ventral von der kapitokaudalen
Wurzel, ruht dem Trigeminus auf und biegt direkt in die dorso-
ventrale Richtung ein. Eine nur geringe Menge von Acusticus-
fasern, welche aus der kaudalen Wurzel stammt, biegt zonal um
und begibt sich zu dem schon früher erwähnten schwachen
Corpus trapezoides. Hervorzuheben ist, dass Striae acusticae
nicht vorhanden sind. Es war vorhin gesagt worden, dass die
graue Substanz des Tuberceulum acusticum sich über die Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn legt. Letztere ist ein vollkommen drehrunder
Strang, der von ausserordentlich dichtstehenden Fasern gebildet
wird, welche bei der gewählten Schnittrichtung sämtlich quer-
getroffen sind.
Das Zentralnervensystem der Cataceen. 2.
Gering sind die Veränderungen, welche die übrige Substanz
der Oblongata in dieser Gegend zeigt. Das zentrale Höhlengrau
ist in der Medianlinie, wo es den ventralen Strängen aufliegt,
so schmal, dass es beinahe den Anschein hat, als ob die ventralen
Stränge den Boden des IV. Ventrikels bildeten. Nach den Seiten
nimmt das Höhlengrau an Ausdehnung allmählich zu und grenzt
sich dann in der beschriebenen Weise gegen das Tuberculum
acusticum ab.
Der Facialiskern hat sich ein wenig verkleinert, der von
ihm ausgehende, dorsal gerichtete Nervenstrom dagegen ist
entschieden stärker geworden. Auch ist die erste, ich möchte
sagen schüchterne Andeutung des Facialisknie aufgetreten. Denn
man erkennt dorsal von jenen aus dem Reticulum zum Acusticus
(bezw. umgekehrt) ziehenden Fasern einige wenige isolierte
Nervenbündel, welche genau an der Stelle liegen, wo weiter
kapitalwärts das Facialisknie sich befindet.
Die weiteren Veränderungen, die sich mehr kapitalwärts
zeigen, führen zur Vereinigung von Cerebellum und Oblongata.
Sie erfolgt nur allmählich und dabei ist zu konstatieren, dass
der erwähnte Kern multipolarer Ganglienzellen im Cerebellum
immer mehr an Ausdehnung gewinnt. Der Kern hat jetzt die
Mittellinie erreicht und zugleich sind die Nervenfasern, welche
hier lagern, in die transversale Richtung eingebogen. Des ferneren
ist am lateralen Ende der genannten weissen Uerebellarmasse ein
Stück Kleinhirnrinde erschienen, welches fortsatzartig ventral
herabhängt. Dabei liegt es so fest der Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn an, deren bedeckende Acustieussubstanz geschwunden ist,
dass es mit dieser wie verwachsen erscheint. Der Facialiskern
ist während dessen fast völlig geschwunden, das Facialisknie
etwas deutlicher geworden.
Endlich ist die Verbindung von Cerebellum und Oblongata
hergestellt und damit sind Veränderungen neuer Art eingeleitet,
die unser Interesse in höchstem Maße in Anspruch nehmen.
Fangen wir mit dem IV. Ventrikel an (Fig. 22). Er ist in der
Medianlinie durch einen hineinhängenden unpaaren Teil des Klein-
hirns stark verengt, erweitert sich lateral von diesem Teile in
beträchtlichem Grade und zieht dann als schmaler Spalt bis zur
Ansatzstelle der Bindearme an der Oblongata. Er ist also ganz
ungemein ausgedehnt, was mit der hervorgehobenen transversalen
233 Bernhard Rawitz:
Dehnung des ganzen Organs zusammenhängt. In der Median-
linie, darauf wurde schon aufmerksam gemacht, ist der. gliöse
Boden des Ventrikels so überaus dünn, dass die ventralen Stränge
in ihn hineinzuragen scheinen. Nach den Seiten zu schwillt das
zentrale Höhlengrau, das ein sehr dunkles Aussehen hat, nicht
unbeträchtlich an, erreicht seine stärkste Ausbildung in der Gegend
des Acusticusgrau (Fig. 22), bleibt aber doch an Ausdehnung weit
zurück gegen alle früher erwähnten Regionen. Sein umfang-
reichster Teil dient später dem Abducens zum Ursprung.
Nach aussen folgt dann der Rest des Acusticusgrau, d.h. des
Kerns der kaudalen Acusticuswurzel. Der Rest, den das Grau
bildet, ist nur noch eine schmale, dorsal-marginale Schicht auf
der Acustieuswurzel und ist auch noch als ganz minimaler Belag,
der bald schwindet, am lateralen Rande der Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn zu erkennen. Vom kaudalen Acusticus ist ebenfalls nur
noch ein Rest vorhanden, der allerdings noch immer ziemlich
beträchtlich ist. Man sieht noch Ganglienzellen und Nervenfasern,
aber der Austritt der Wurzel ist vorbei und allmählich schwindet
auch diese Partie. Die kapitokaudale Acustieuswurzel tritt noch
nicht aus, wogegen ihr intramedullarer Verlauf ein recht breiter
ist. Noch sind nicht alle ihre Fasern in die dorsoventrale Richtung
eingebogen, sodass dieser Teil des Nerven einen recht unberührten
Eindruck macht. Der früher erwähnte kapitale Kern ist jetzt ganz
in die Wurzel eingezogen. Interessant ist hier dreierlei. Einmai
sieht man dünne Faserzüge im Rest des kaudalen Acusticus von
dorsal innen nach ventral aussen ziehen. Sie bleiben in dem
Kernrest, sind aber nach Herkunft und Schicksal dunkel. Vielleicht
stammen sie von jenen vorhin erwähnten transversalen Zügen,
welche aus dem Retikulum zum Acustieus gehen; über ihr Ende
aber geben die Schnitte keine Auskunft. Zweitens kommen aus
dem Kleinhirn, das sich gegen die noch nicht aufgebrauchte
Seitenstrangsbahn durch einen kappenförmigen, von aussen nach
innen gerichteten Faserzug abgrenzt (Fig. 22), Faserbündel, welche
gleich nach Eintritt in den lateralen Teil des Acusticusgebietes
ventral umbiegen und nach kurzem Verlaufe wie abgebrochen
enden. Sie stellen offenbar eine direkte Verbindung des Üere-
bellum mit dem Acusticus her, doch ist nicht genau zu sagen,
in welcher Weise sie sich den Fasern dieses Nerven beimischen.
Vielleicht gehen sie zu den Ganglienzellen, um hier eine Um-
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 259
lagerung zu erleiden und dann als Acusticusfasern in einer viel
weiter kaudal gelegenen Ebene auszutreten. Oder aber sie gehen
vielleicht direkt, ohne Zellvermittelung, als Kleinhirnfasern im
Acusticus nach aussen, wobei sie natürlich ebenfalls in eine kaudal
gelegene Ebene einbiegen müssten. An dritter Stelle sind Faser-
massen zu nennen, welche im dorsalen Teile der Acustieusregion
sich finden (Fig. 22). Sie erscheinen in dieser Gegend als eine
breite aber kurze Nervenmasse, die schräg medioventral gerichtet
ist. Auch diese Fasern stammen, wie die Serie lehrt, aus dem
Kleinhirn, durchqueren aber den Acustieus, ohne sich mit ihm
zu vermischen. Jenseits dieses Nerven, im Reticulum, biegen sie
in die dorsoventrale Richtung ein und ziehen dann an der medialen
Grenze der aufsteigenden Trigeminuswurzel direkt nach ventral.
Im Mark erscheinen sie als kurz unterbrochene, dicke Bündel,
welche sich mehr kapitalwärts mit den Ponsfasern mischen. Ihr
Verlauf ist also ein sehr stark wellig gebogener. Sie entspringen
sehr weit kapitalwärts im Kleinhirn, gehen durch die Bindearme
zur Oblongata soweit kaudalwärts, dass sie im Acusticusrest
wieder auftreten, ziehen in Wellenlinien durch die Oblongata
und biegen dann wieder kapitalwärts, um im Pons zu enden.
Dies sind also die ersten Fasern der Crura cerebelli ad pontem.
Der Facialiskern ist geschwunden und ebenso der von ihm
ausgehende Nervenstrom. Dafür ist das Facialisknie jetzt deutlich
geworden. Es findet sich an der üblichen Stelle (Fig. 22), lateral
vom Ende der ventralen Stränge, ist aber noch nicht sehr scharf
konturiert.
Der viel erwähnte Kleinhirnkern ist noch breiter geworden,
als früher. Aber während er bis jetzt ausser seinen Ganglien-
zellen nur wirr durcheinander geworfene Nervenfasern ohne be-
stimmte Verlaufsrichtung barg, sind in ihm nun kurze, unter-
brochene Nervenzüge aufgetreten (Fig. 22). In der Medianebene
laufen diese transversal und kreuzen sich in ausgiebigster Weise
mit den gleichen Fasern der Gegenseite. In den Seitenteilen, wo
der Kleinhirnkern seine grösste Ausdehnung besitzt, ist ihre Ver-
laufsrichtung direkt dorsoventral, oft erst nach einem starken
lateralen Bogen. Es hat den Anschein, als ob sie bestrebt wären,
geraden Weges in die Oblongata einzutreten. Die Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn liegt dem erwähnten Kerne dicht an, ihre Fasern
aber sind noch nicht zum Cerebellum umgebogen. Ja sie sind
240 Bernhard Rawitz:
sogar von diesem getrennt, und zwar durch den erwähnten Faser-
zug, der ihnen wie eine dünne Lamelle aufliegt und von aussen
nach innen gerichtet ist. Aus dieser Faserlamelle gehen die er-
wähnten Züge zum lateralen Teil des Acusticusrestes. Die Klein-
hirn-Seitenstrangsbahn verlängert sich schwanzartig am Rande der
Oblongata und stösst dabei an eine breite, konzentrisch sich er-
streckende Fasermasse an. Dies sind die am weitesten kaudal
gelegenen Ponsfasern, denn sie streben marginal zur Raphe,
weichen dabei etwas auseinander und schliessen dadurch einzelne
Teile der ventralen Stränge zwischen sich ein (Fig. 22). Sie
haben also das ungemein schwache Corpus trapezoides verdrängt.
Füge ich noch hinzu, dass die aufsteigende Trigeminuswurzel jetzt
ganz ventral verlagert, in ihrem Aussehen aber völlig unverändert
ist, dann ist die Charakteristik dieser Oblongataregion erschöpft.
Allmählich wird der kaudale Acusticusrest kleiner, während
die kapitokaudale Wurzel sich immer mehr zur vorderen Wurzel der
Autoren umwandelt, d. h. ihre Fasern treten allmählich aus dem
Mark aus, wobei sie die beschriebene konzentrische Fasermasse
durchbohren. Später schwindet auch sie, während ihr Kern sich
noch eine Zeit lang erhält. Die zum lateralen Teil des Acusticus-
restes, wie geschildert, gehenden Fasern hören bald auf. Breiter
und massiger werden dagegen die aus dem Kleinhirn zum sich
bildenden Pons ziehenden intramedullaren Fasern. Freilich ist
ihr Zusammenhang mit dem Bindearme noch immer nicht herge-
stellt, während der bekannte Kleinhirnkern bereits sich zu ver-
schmälern beginnt. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist noch lange
als scharf umschriebenes Gebilde erkennbar. Das Facialisknie
wird jetzt deutlich konturiert.
Wenn der kaudale Acustieus völlig geschwunden, der kapitale
in voller Breite aus der Oblongata austritt (Fig. 23), erst dann
hat die Verbindung mit dem Kleinhirn ihre volle Ausbildung er-
langt. Mancherlei Veränderungen haben sich dabei eingestellt.
Der Ventrikel ist nicht mehr ganz so ausgedehnt wie früher;
denn es sind die lateralen Spalten dank dem grösseren Volumen
der Bindearme geschwunden und er geht seitlich in ziemlich breite,
unregelmässige Buchten über. Das zentrale Höhlengrau ist auf
einen sehr geringen Umfang und eine sehr geringe Dicke reduziert.
Auf den nur wenig differenzierten ventralen Strangresten und
über dem Facialisknie ist es eine überaus dünne Lamelle. Seit-
Das Zentralnervensystem der Cetaceen, 241
lich von letzterem ist es etwas voluminöser und bildet hier den
Kern des Abducens.
Das Facialisknie ist scharf ausgeprägt, liegt aber unge-
wöhnlich weit lateral von der Mittellinie (Fig. 23). Es ist mit
dem inzwischen erschienen Facialis noch nicht verbunden. Der
Nerv stellt sich fast sofort in seiner ganzen Ausbildung dar.
Er ist relativ zum Umfang des Markes sehr breit, zieht schräg
nach aussen und ventral, sodass er an der Übergangsstelle des
lateralen zum ventralen Markkontur ins Freie tritt. Er liegt
dabei tangential dem Seitenrande der Trigeminuswurzel auf. Die
Fasern der letzteren fangen an, in die dorsoventrale Ver-
laufsrichtung einzubiegen. Damit geht einher eine schnell zu-
nehmende Verkleinerung des Kerns, die bald zu dessen völliger
Aufzehrung führt.
In dem ausserordentlich dichten Retikulum ist der Abducens
aufgetreten (Fig. 23). Er läuft mit etwa drei mehrfach unter-
brochenen Wurzeln direkt dorsoventral und zwar in einer Gegend,
als wollte er in das Facialisknie sich einsenken. An diesem biegt
er aber, wie weiter kapitalwärts zu erkennen, nach aussen und
geht in seinen Kern. (Richtiger müsste die Darstellung den
umgekehrten Weg verfolgen und beim Kern anfangen). Der Aus-
tritt des Nerven aus dem Mark erfolgt an des letzteren ventralen
Kontur in derselben Achse, in welcher auch der Hypoglossus austritt.
Merkwürdig haben sich die Verhältnisse in den Bindearmen
gestaltet. Der Kleinhirnkern ist an Umfang noch mehr reduziert
als vorher, aber massenhafter als früher strömen die Nervenfasern
aus ihm zur Oblongata. Sie sind hier nicht weit zu verfolgen,
sondern brechen nach kurzem Verlaufe ab: es ist weiter oben
gesagt worden, warum dies der Fall. Schwächer sind auch die
vom Bindearm zum Pons ziehenden intramedullaren Fasern (Fig. 23)
geworden, in kaum nennenswerten Zügen gehen sie durch den
Facialis hindurch. Dafür aber ist im Bindearm ein sehr gross-
zelliger Kern neu aufgetreten. Eigentlich ist diese Bezeichnung
nicht ganz zutreffend. Denn dieser Bindearmkern ist durch das
so häufig in der Oblongata zu beobachtende Remplacement an
genau derselben Stelle erschienen, wo vorher der Rest des kau-
dalen Acusticus sich befunden hatte. Er wird von grossen Ganglien-
zellen gebildet, welehe in einem ziemlich dunklen Grau liegen,
und reicht mit einem kleineren Teile in den Seitenrand der
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73. 16
242 Bernhard Rawitz:
Oblongata, während sein grösserer Abschnitt dem Bindearm ange-
hört. Über sein endliches Schicksal, d. h. über seine eventuelle
Zugehörigkeit zu einem Nerven vermag ich keine Auskunft zu
geben, da mit dem sehr bald eintretenden Verschwinden des
Abducens meine Darstellung bezw. Untersuchung beendet ist.
Eigenartig hat sich das Schicksal der Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn gestaltet.:;Sie, die ursprünglich ein integrierender Teil der
Oblongata war, ist unter voller Wahrung ihrer morphologischen
Selbständigkeit, wenn auch unter beträchtlicher Streckung ganz
in den cerebellaren Teil der Bindearme heraufgerückt. Sie liegt
also nicht mehr in der Oblongata, unterscheidet sich aber im
Weigert-Präparat durch ihre Färbung auf das schärfste von
der weissen Substanz des Kleinhirns. Ihre Fasern sind in die
dorsale Richtung eingebogen. (In Fig. 23 ist die Trennung der
Bahn vom Bindearm zeichnerisch nicht zum Ausdruck gebracht).
Am lateralen und ventralen Rande sieht man den schon
früher erwähnten Zug konzentrischer Fasern, der zweifelsohne
vom Bindearm stammt. Er löst sich medial vom Trigeminus
in einzelne ungleich dicke Nervenbündel auf, welche sich etwas
dorsalwärts erstrecken. Dadurch wird die für diese Region
charakteristische Liniierung des Reticulum herbeigeführt. An
den ventralen Strängen weichen die Nervenbündel noch mehr
auseinander, zeigen dabei einen etwas unregelmässigen Verlauf
und trennen dadurch, worauf schon früher hingewiesen wurde,
Gruppen von Strangfasern ab, welche sie zwischen sich ein-
schliessen. Das kennzeichnet den Pons. In der Medianlinie
kreuzen sich diese Fasern mit denen der Gegenseite auf das
ausgiebigste. Die kapitale Olive ist sehr undeutlich und schwer
unterscheidbar. Bald hört der sehr schmächtige Abducens völlig
auf. Der intramedullare Teil der Facialis vereinigt sich mit dem
Knie, während gleichzeitig der austretende Nerv schwindet.
Dabei ist es sehr interessant festzustellen, dass Facialisfasern
von dem Knie der Gegenseite in direkt transversalem Zuge durch
die Medianlinie zu dem intramedullaren Rest des gegenüber-
liegenden Nerven treten. Es findet also ein Faseraustausch im
Facialis statt, indem Fasern der rechten Seite auf die linke über-
gehen und umgekehrt. Auch der am meisten dorsal gelegene
Rest des intramedullaren Facialis hört auf, das Knie verschwindet
und damit ist die Medulla oblongata zu Ende.
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 243
b) Die Ziehensche Arbeit über Pseudochirus.
In den folgenden Zeilen will ich zur Vervollständigung meiner
an Didelphys gewonnenen Untersuchungsresultate nur die Arbeit
von Ziehen!) über Pseudochirus peregrinus erwähnen. Mit Ge-
nugtuung kann ich hierbei konstatieren, dass sich unsere beider-
seitigen Ergebnisse in allen wesentlichen Punkten decken. Wo
sich Differenzen finden, sind sie wohl auf die Verschiedenheit
der Untersuchungsobjekte zurückzuführen. Diese Differenzpunkte
seien in aller Kürze hervorgehoben. Die Pyramiden sind bei
Pseudochirus sehr viel mehr entwickelt als bei Didelphys, denn
auf den Ziehenschen Abbildungen treten sie scharf hervor.
Der ventrale Kontur der Oblongata bei Pseudochirus zeigt nicht
die völlige, man könnte fast sagen absolute Abflachung, wodurch
sich Didelphys auszeichnet. Daher ist bei jener australischen
Spezies das verlängerte Mark nicht dermaßen in transversaler
Richtung gedehnt, wie bei meiner südamerikanischen Art.
Ziehen erwähnt (pag. 691 1. c.) einen zerstreuten Kern
der Formatio reticularis. Ich habe bei Didelphys nichts dem
ähnliches gesehen; hier liegt also wiederum eine Speziesdifferenz
vor. Bei dieser Gelegenheit will ich bemerken, dass ich den
Ausdruck „Formatio reticularis“ absichtlich weggelassen; er war
mir zu umständlich. Ich sage „Retikulum“ und meine damit
die Summe der in der Formatio vorhandenen Nervenbündel.
Auf Taf. 23 in Fig. 12 bildet Ziehen einen Nervenkern am
ventralen Rande der Pseudochirus-Oblongata ab, den er in der
Figurenerklärung als Nucleus ambiguus bezeichnet. Freilich setzt
er gleich hinter die Bezeichnung ein Fragezeichen und hat
meines Erachtens damit sehr Recht getan. Denn ich glaube,
dass dieser Kern das kaudalste Ende oder der kaudale Anfang
des Facialiskerns auch bei Pseudochirus ist.
Interessant war mir die Differenz, dass offenbar bei Pseu-
dochirus nicht eine derartige Volumsvergrösserung der dorsalen
Säule statt hat, wie bei Didelphys. Denn Ziehen hebt diesen
Umstand wenigstens nicht besonders hervor.
!) Ziehen. Das Zentralnervensystem der Monotremen und Marsu-
pialier ete. II. (Semon: Zoologische Forschungsreisen in Australien ete.)
1901. In: Denkschriften der mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesell-
schaft in Jena Bd.6. Vergl. auch die vorläufige Mitteilung in: Anat. An-
zeiger 1897. Bd. 13.
16*
244 Bernhard Rawitz:
3. Pachydermata.
Sus scrofa L.
Während noch in den kapitalsten Teilen des Halsmarkes
die Figur der grauen Substanz das gewöhnliche, allgemein be-
kannte Aussehen zeigt, nämlich schmale dorsale, spitz zulaufende
ventrale Säulen, die beide fast genau dorsoventral gestreckt sind,
ändert sich dies Bild mit dem Übergange zur Oblongata ganz
plötzlich. Die ventralen Säulen legen sich breit keulenförmig
nach aussen und die dorsalen Säulen vergrössern sich ganz be-
trächtlich. Sie verbreitern sich zugleich sehr stark, rücken ein
wenig mehr nach lateral und erhalten eine sehr umfangreiche
Rolandosche Substanz, welche im Halsmark nicht in dieser
Stärke vorhanden war. Auch die lateralen Säulen schwinden ganz
plötzlich. Denn sehr schnell entwickelt sich das Retikulum, das
diese Säulen völlig aufzehrt, die dorsalen Säulen, indem es sich
gegen die entsprechenden Stränge ausdehnt, vom übrigen Mark
bald hermetisch abschliesst und die ventralen Säulen stark ein-
zuengen beginnt. Weniger ausgeprägt sind die Charakteristika
der Oblongata durch die Pyramidenkreuzung; denn diese ist
am Anfang noch sehr schwach, eben nur angedeutet. Schwach
sind die Züge, welche zu ihr von den Burdachschen Strängen
kommen, schwach auch die aus den lateralen und ventralen
Strängen zu ihr ziehenden Fasern. Aber dass aus den letzteren
Fasern zur Pyramidenkreuzung gehen, kann trotz deren geringen
Entwicklungsstadiums nicht übersehen werden. Allerdings ist
dies auch die einzige Stelle, wo notorische ventrale Fasern zur
Decussatio sich begeben, denn von hier ab kapitalwärts ist dies
nicht mehr der Fall.
Interessant ist, dass :mit dem Augenblicke, wo man die
Grenze zwischen Halsmark und verlängertem Mark zu diesem
hin überschreitet, die Untscheidung zwischen Gollschem und
Burdachschen Strange eine sehr leichte wird. Noch in den kapi-
talsten Teilen des Halsmarkes konnte sie im Schnitt wenigstens nicht
durchgeführt werden, so eng aneinander lagen dort die Stränge.
Hier nun sieht man, dass die sehr schmalen Gollschen Stränge
an der medialen Wand der Burdachschen so weit markwärts
sich finden, dass sie garnicht an den dorsalsten Markrand heran-
reichen. Die sehr breit gewordene dorsale Fissur gewährt ein
leichtes Erkennen; man findet die Gollschen Stränge: erst von
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 245
der Mitte der medianen Wand der Burdachschen, wo sie zu
beiden Seiten der Mittellinie liegen und von wo ab sie bis an
die graue dorsale Kommissur reichen. Und mit dem Sichtbar-
werden dieser Stränge hat auch ihre Rarefizierung durch den
ihnen zugehörigen Kern sofort begonnen. Abweichend von den
bisher geschilderten Spezies findet diese Rarefizierung statt. Denn
der «ollsche Kern höhlt nicht von innen her den Strang aus,
sondern er liegt langgestreckt an dessen medialer Wand, erschöpft
ihn von hier aus und lässt nur lateral und dorsal etwas Nerven-
masse übrig. Der Burdachsche Strang ist ein mächtiges Massiv
von unregelmässigen Formen, das durch zahlreiche Piafortsätze
in zwar nebensächliche, aber doch konstante, ungleich grosse
Abschnitte zerlegt wird. Er setzt sich kontinuierlich, d. h. ohne
scharfe Grenze in den dorsalen Strang fort, welch letzterer als
ein breiter Halbring die dorsale Säule umgibt. Während lateraler
und ventraler Strang eine einheitliche Masse bilden, ist die Grenze
zwischen lateralem und dorsalem Strange eine sehr scharfe. Und
sie wird dadurch bewirkt, dass die Faserbündel des dorsalen
Stranges an der Grenze zum lateralen sich markwärts einschlagen
und so die dorsale Säule auch noch im Markinnern eine Strecke
weit umhüllen.
Der Zentralkanal ist schmal, dorsoventral gestreckt und
bald nach rechts bald nach links etwas verbogen. Um ihn herum
ist eine auffällig bleiche gliöse Substanz aufgetreten, seine Sub-
stantia gelatinosa. Dadurch dass das Retikulum sich gegen die
ventralen Säulen vordrängt, wird die räumliche Absonderung des
zentralen Grau, des späteren Höhlengrau, eingeleitet. Man erkennt
daraus, dass es aus einem Teile der ventralen und einem Teile
der dorsalen Säulen zusammengesetzt wird, von welch letzteren
wiederum eine kleine Partie zum Kern des Burdachschen
Stranges wird. In der dorsalen grauen Kommissur, der gelati-
nösen Substanz des Zentralkanals anliegend, sieht man zarte
weisse Fasern transversal ziehen, welche, ebenso wie bei Didelphys,
eine Art dorsaler weisser Kommissur herstellen. An einer sehr
wenig ausgedehnten Stelle erkennt man, dass aus dem späteren
zentralen Grau ein zartes Faserbündel in transversaler Richtung
austritt, es ist dies eine Accessoriuswurzel.
Die weiteren Veränderungen finden in den nächsten Regionen
nur im Retikulum und in der Pyramidenkreuzung statt. Das
246 Bernhard Rawitz:
erstere wird immer ausgebildeter und engt immer mehr die ven-
tralen Säulen ein. Dies geschieht auch dadurch, dass Teile von
den ventralen Strängen sich aus ihrem Verbande lösen und zu
Retikulumbündeln werden. Des ferneren ist als interessant zu
notieren, dass auch einige Bündel des Burdachschen Stranges
abgesprengt werden und sich dem Retikulum zugesellen. Die
Rolandosche Substanz der dorsalen Säulen ist durch zarte Faser-
züge, die sie in transversaler Richung durchsetzen, wie liniiert.
Diese aus dem dorsalen Strange stammenden Gebilde sind nur
eine kurze Strecke weit zu verfolgen, sodass ihr Schicksal nicht
zu erkennen ist. Die Pyramidenkreuzung wird breiter und
deutlicher, aber ihre Ausbildung hält sich doch noch in sehr engen
Grenzen. Daher gewinnt sie auf die Umgestaltung der
Oblongata keinerlei mechanischen Einfluss und darum hat in
dieser Gegend noch keine Zunahme des Durchmessers der Oblon-
gata stattgefunden. Die Hauptmasse ihrer Fasern erhält sie aus
den Burdachschen Strängen, während der Zufluss aus den
Seitensträngen ein sehr schwacher ist. Von einer auch nur mini-
malen Beteiligung der ventralen Stränge ist, worauf schon vorhin
hingewiesen wurde, hier nichts mehr zu erkennen. Die gekreuzten
Fasern schlagen sich auf dem medialen Rand der ventralen Stränge
über, an dem sie in schmaler Schicht entlang ziehen. Durch
den spitzwinkligen Verlauf der zur Kreuzung ziehenden Faser-
bündel wird das zentrale Grau deutlich abgesondert, dessen dor-
sale Grenze die zarte dorsale weisse Kommissur herstellt.
Etwas weiter kommt es zur Bildung von Pyramiden und
erst mit diesen tritt ein mechanisches Moment auf, welches die
ventralen Teile der Oblongata bei Seite drängt. Damit ist eine
geringe Zunahme des ventralen Abschnittes des transversalen
Durchmessers verbunden. Viel beträchtlicher ist dessen dorsale
Zunahme. Sie ist darauf zurückzuführen, dass die dorsalen Säulen
grösser werden und sich breiter auslegen. Die Pyramidenkreuzung,
um darauf zurückzukommen, ist in der Nähe der ventralen grauen
Kommissur ziemlich schmal, wird bald breiter und nun legen sich
in breitem Zuge die gekreuzten Fasern den ventralen Strängen an.
Dieser Zug wird zum Markkontur hin immer breiter und an der
Umbiegungsstelle des Sulcus ventralis liegt schliesslich den Strängen
eine breite Kappe auf, die erste Differenzierung der Pyramide.
Gleichzeitig damit drängt das zentrale Grau gegen den Kern
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 247
der Burdachschen Stränge vor und beginnt, diese auszuhöhlen.
Nun macht eine ziemlich schnelle Zunahme des transversalen
Durchmessers sich bemerklich und mit ihr sind wichtige Ver-
änderungen in der inneren Konfiguration des Markes zu ver-
zeichnen.
Am dorsalen Kontur hatte sich schon früher eine sattel-
förmige Einbuchtung in der Medianlinie eingestellt. Sie wird
jetzt sehr tief und drängt dadurch die «ollschen Stränge stark
nach ventral. Diese verkürzen sich dabei in sehr beträchtlichem
Grade und runden sich zugleich ab (Fig. 24). Sie sind ausserdem
durch ihren Kern derartig rarefiziert, dass nur noch wenige
kompaktere Nervenbündel an ihrem Aussenrande vorhanden sind.
Die Burdachschen Stränge, in deren mediale Partie der Kern
vom zentralen Grau her tief eingedrungen ist (Fig. 24), haben
sich gedehnt, sind daher im Ganzen dünner geworden und springen
gegen das Markinnere mit einer abgerundeten Zacke vor. Sie
gehen grenzlos in den Rest der dorsalen Stränge über, welche
halbringartig die dorsalen Säulen umgeben. Dass dieser Halbring
an der Grenze zum Seitenstrang gegen das Markinnere haken-
artig sich umbiegt, ist schon vorhin gesagt worden. Die dor-
salen Säulen sind auf einmal erheblich weniger voluminös als
zuletzt. Es rührt dies daher, dass ihre Rolandosche Substanz
bis auf minimale Reste geschwunden ist. Damit leitet sich der
bekannte Funktionswechsel dieser Partie ein, der sich zunächst
dadurch kundgibt, dass nach innen von dem weissen Halbring
einige zerstreute Nervenbündel auftreten, welche später”in ein-
facher Reihe angeordnet sind. Diese Bündel sind die ersten
Anfänge der aufsteigenden Trigeminuswurzel (Fig. 24).
Im Seitenstrang ist als ein grosser heller und runder Fleck
der aus grossen Zellen bestehende Seitenstrangskern erschienen
(Fig. 24). Er sucht das Retikulum ganz nach innen zu drängen,
was ihm aber nicht vollständig gelingt. Denn es finden sich in
ihm noch einige spärliche disseminierte Bündel des Retikulum.
Gleichzeitig mit dem genannten Kern hat sich die Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn eingestellt (Fig. 24). Sie ist eine schmale Nerven-
masse, welche sich aussen auf den dorsalen Strangrest geschoben
hat und hier eine kurze Strecke weit dorsalwärts reicht. Medial
vom Seitenstrangskern, zwischen ihm und den gleich zu erwähnen-
den Pyramiden ist die kaudale Olive zu sehen (Fig. 24). An-
248 Bernhard Rawitz:
fänglich ein rundlicher, fast marginal gelegener heller Fleck hat
sie sich sehr bald in einen schmalen Stiel verlängert, der schräg
nach medial und dorsal gerichtet ist und bis fast zur Raphe
reicht. Das Organ entbehrt eines scharfen Konturs; es ist ventro-
lateral eingebogen, sodass, wenn man will, hier sein Hilus zu
suchen wäre. In der Olive kommen, reichlicher als im Seiten-
strangskern, disseminierte Bündel des Retikulum vor.
Die Pyramidenkreuzung ist beendet und die Pyramiden sind
gebildet, während eine Schleifenkreuzung kaum angedeutet ist.
Die Pyramiden (Fig. 24) sind im Schnitt rechtwinklige Dreiecke,
die Hypotenuse ist gegen die Olive, die Spitze gegen die Um-
schlagsstelle des medioventralen Randes gekehrt. Wenn auch
deutlich ausgebildet, so sind doch die Pyramiden keineswegs
voluminös. Sie überragen daher weder den Rand der Oblongata,
noch können sie nach innen zu einen sehr erheblichen umge-
staltenden Einfluss auf das verlängerte Mark ausüben. Die
Volumszunahme dieses Organs ist daher in erster Linie zurück-
zuführen auf das beginnende Auseinanderweichen der dorsal
gelegenen Partien, welches zugleich die vollkommene Verlagerung
der vom Rückenmark überkommenen Teile einleitet. Und ferner
sind als mechanische Momente zu beanspruchen die neu auf-
tretenden grauen Massen und die sich differenzierende Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn.
Die an Stelle der Pyramidenkreuzung aufgetretene Raphe
ist noch breit, sie erhält, wie die Decussatio, die Hauptmasse
ihrer Fasern vom Burdachschen Strange. Ausserdem gehen
aber auch zu ihr aus dem Retikulum die nunmehr zum ersten
Mal erscheinenden Fibrae arcuatae, welche sehr zart sind. Die
von den Burdachschen Strängen kommenden ersten Arcuatae
laufen zunächst in schöner Wellenlinie schräg ventralwärts, biegen
dann in der Höhe des inneren Endes der ventralen Stränge nach
medial um und erreichen so die Raphe. Auf diese Weise bilden
sie die laterale Grenze des zentralen Grau, welches mit dem
Reste der dorsalen Säulen die einzigen grauen Partien darstellt,
welche noch ziemlich unverändert aus dem Rückenmark bis hierher
sich fortgesetzt haben. Denn die ventralen Säulen, das sei hinzu-
gefügt, sind vollkommen vom Retikulum eingenommen. In dem
zentralen Grau, das sich gegen Goll-Burdach durch die zarte
dorsale weisse Kommissur absetzt, ist eine Zweiteilung der
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 249
Substanz zu erkennen, nämlich ein dunkles und helles. Grau.
Letzteres ist eine einheitliche transversal gedehnte Masse, welche
nur spärliche Ganglienzellen beherbergt. Dieses ist dagegen
deutlich zweigeteilt und die Teilung wird dadurch hervorgerufen,
dass die gelatinöse Substanz, welche den noch immer sehr schmalen
und kurzen Zentralkanal umgibt, sich zwischengedrängt hat.
Das dunkle Grau — dunkel und hell nach dem Aussehen in
Weigert-Präparaten — enthält grosse Ganglienzellen und
zahlreiche feinste Nervenfasern. Es stellt den Kern des Hypo-
glossus dar (Fig. 24). Die im dunklen Grau vorhandenen Fasern
sind zwar im allgemeinen wirr durcheinander geworfen, doch
zeigen sie an der Grenze zur Substantia gelatinosa deutlich eine
kreisförmige Anordnung. Dadurch erinnert das Aussehen des
Hypoglossuskernes an eine menschliche Mamma. Kurz nach der
scharfen Differenzierung seines Kernes ist der Hypoglossus in
einem Bündel intramedullar erschienen und auch sein Austritt,
der durch den Seitenteil der kaudalen Olive hindurch erfolgt, ist
sehr bald vorhanden (Fig. 24).
Die Gollschen Kerne rücken unter Erhaltung der sie
trennenden Bucht weiter auseinander und ziehen dabei die dorsale
weisse Kommissur mit sich (Fig. 25). Denn es macht geradezu den
Eindruck, als ob die Kommissur und mit ihr das helle Grau in den
zwischen den Strängen entstehenden Zwischenraum hineingezerrt
werden; ein aktives Verhalten der grauen Teile scheint im Gegensatz
zu Phocaena nicht vorzuliegen. Die Stränge selber sind, wie auch
schon vorhin bemerkt wurde, aufgebraucht und auch die Rarefizierung
von Burdach macht schnelle Fortschritte. Deutlich differenziert
wird die aufsteigende Trigeminuswurzel; die sonst unverändert
bleibende Kleinhirn-Seitenstrangsbahn schiebt sich etwas weiter
nach dorsal vor. Der Seitenstrangskern vergrössert sich, indem
ventral von ihm ein Adnex erscheint, der seine Gestalt sehr un-
regelmässig erscheinen lässt (Fig. 25). Während die Pyramide
sichtlich an Volumen verliert, wird die Olive grösser, indem,
zunächst gesondert von der bisherigen Masse, an ihrem dorsalen
Ende ein heller Teil erscheint (Fig. 25), der sich aber bald mit
der früher vorhandenen Substanz vereinigt.
Schärfer auch wird die Mamma ähnliche Figur des Hypo-
glossuskernes, der zugleich an Umfang sehr zunimmt. Letzteres
kommt oftenbar dadurch zustande, dass Reste der ventralen
250 Bernhard Rawitz:
Säulen, die nicht im Retikulum aufgebraucht sind, in den Kern
aufgenommen werden. Die intramedullaren Züge des Hypoglossus
sind stärker, d. h. zahlreicher geworden und zeigen die üblichen
streckenweisen Unterbrechungen. Ein gewisses pikantes Interesse
bietet der Hypoglossus ferner dar, denn er zeigt eine Eigen-
tümlichkeit, die ich bei keiner anderen Spezies angetroffen (Fig. 25).
Man sieht nämlich ganz deutlich von Kern zu Kern durch die
trennende gelatinöse Substanz hindurch Fasern in einem ventral
leicht konvexen Bogen treten. Diese sehr zarten Fasern erstrecken
sich vom ventralen Ende des noch unveränderten Zentralkanals
bis an die dorsalen Kuppen der ventralen Stränge und stellen
somit eine, ich will sie nennen, internucleäre Kreuzung der aller-
ersten Fasern beider Hypoglossi vor. Es ist dies, wie gesagt,
ein ganz einzig in seiner Art dastehendes Vorkommnis; die
Kreuzung erhält sich sehr weit kapitalwärts. Erwähnt sei noch
das allererste, fast schüchterne Auftreten des Vagus.
Allmählich sind die Burdachschen Stränge und die Goll-
schen Kerne weit lateralwärts gewandert, was wiederum zu einer
Zunahme des transversalen Durchmessers geführt hat. Wichtiger
als dies ist, dass nunmehr das zentrale Grau gleich einem
abgerundeten Keil in den entstandenen Zwischenraum, ein-
eingedrungen ist und dadurch direkt ins Freie stösst. Gleich-
zeitig beginnt die dorsale weisse Kommissur zu schwinden. Erst
jetzt fängt der Zentralkanal an, sich in transversaler Richtung
etwas zu dehnen, die Ausdehnung nimmt zu, der Kanal verlängert
sich schnell in dorsaler Richtung und verdünnt das ihm entgegen-
stehende helle Grau, bis es endlich sich nach aussen öffnet. Der
IV. Ventrikel ist damit entstanden, der abweichend von den bisher
beschriebenen Spezies keine Zweiteilung besitzt.
Betrachten wir die Oblongata in dieser Gegend genauer
(Fig. 26). Die Form des IV. Ventrikels ist die einer tiefen Bucht
mit konkavem Boden und schräg steil abfallenden Rändern. In
etwa °/ı Höhe springt der Rand in fast rechtem Winkel zurück,
um dann sanft aufsteigend sich nach aussen zu ziehen und in
den dorsalen Kontur des Markes überzugehen. Von den beiden
Teilen des zentralen Höhlengrau ist direkt an der Ventrikel-
bildung nur das helle Grau beteiligt. In dieses ist die gelatinöse
Substanz des Zentralkanals aufgegangen. Seine Grenze zum
Gollkern wird durch einen zarten Piafortsatz bewirkt (in Fig. 26
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 251
nicht abgebildet). Das helle Grau beherbergt namentlich in den
Seitenpartien sehr zahlreiche grosse Zellen, — sie haben sich also
gegen früher beträchtlich vermehrt — welche den Vaguskern
darstellen, aber keine besondere Gruppierung besitzen. Man sieht
aus dieser Gegend deutlich — in Fig. 25 war dies Verhältnis
nur angedeutet — einen zarten Nervenstrang in transversaler
Richtung mit leichter Neigung nach ventral abgehen, der eben
der Vagus ist. In der Ecke des hellen Grau, dem Retikulum be-
nachbart, liegt der sogenannte Fasciculus solitaris, d h. die auf-
steigende Glossopharyngeuswurzel, welche gegen ihr erstes Auf-
treten, das noch vor der Öffnung des Ventrikels stattfand, an
Umfang zugenommen hat. Auch ihr Kern ist im blassen Höhlen-
grau zu suchen. Das dunkle Höhlengrau, d.h. der sehr gross-
zellige Hypoglossuskern, hat nach wie vor ausgeprägt Mamma
ähnliche Gestalt. Nur wird der Raum zwischen den beiden
Mammae nicht mehr durch die Substantia gelatinosa des Zentral-
kanals hergestellt, denn diese ist ja in den Ventrikel einbezogen,
sondern es ist eine feine nervöse Raphe vorhanden, welche beide
Mammae trennt. Die Fasern dieser Raphe stammen aus den
Hypoglossuskernen beider Seiten, die intranucleäre Kreuzung
dieser Nerven hat also eine wesentliche Gestaltsveränderung er-
fahren. Die von den Kernen entspringenden Wurzelfasern der
Nerven gehen direkt in unterbrochenen Zügen ventral und
treten durch die seitliche Partie der Oliven nach aussen.
Die Hypoglossuskerne grenzen seitlich an das Retikulum,
ventral an die infolge der Dehnung der Oblongata bereits weit
dorsal gerückten ventralen Stränge. Von beiden sind sie durch
die ersten, wiederholt erwähnten Fibrae arcuatae getrennt. Die
ventralen Stränge, soweit sie hier in Betracht kommen, und das
ist ja nur ihre zu beiden Seiten der Raphe gelegene Partie,
unterscheiden sich von den Faserbündeln des Retikulum auf das
schärfste (in Fig. 26 nicht wiedergegeben). Daran ist nicht bloss
das dichtere Gefüge ihrer Bündel schuld, sondern auch — und
dies gilt für alle Spezies — ihre von der der Retikulummassen
abweichende Färbung in Weigert-Präparaten. Sie erscheinen
darin immer tiefblau, auch wenn die Bündel des Retikulum blass-
blau oder grau aussehen. In den ventralen Strängen treten un-
regelmässig konturierte, ungleich grosse und sehr inkonstante
Kernflecken auf, in welchen in wechselnder Zahl grosse Ganglien-
252 Bernhard Rawitz:
zellen gelegen sind. Diese Flecken wiederholen sich in allen
weiter kapitalwärts gelegenen Regionen.
Die ventralen Stränge sind, so wurde oben gesagt, bereits
sehr stark nach dorsal verlagert. Das veranlassende Moment
hierfür ist ausser der Dehnung des Markes auch die kaudale
Olive. Dies (Gebilde unterscheidet sich nicht unwesentlich von
dem bei Phocaena und Didelphys (Fig. 26). Dort, bei Phocaena,
war sie zum Teil extramedullar, zum Teil intramedullar gelegen,
besass nur eine geringe innere Gliederung und war von einem
Nervenmantel umhüllt. Bei Didelphys lag sie ganz und gar in-
tramedullar, war völlig ungegliedert und entbehrte eines kon-
turierenden Mantels. Hier ist letzterer vorhanden, denn um
das Organ herum (Fig. 26) zeigt die Nervenmasse ein dichteres
Gefüge und umhüllt, wenn auch nur als zarter Streifen, das
Organ. Und ferner ist eine innere Spezialisierung vorhanden.
Man erkennt deutlich in dieser Gegend drei Teile, von denen
zwei blattartig sind, während der dritte median gelegene einem
Kernfleck gleicht. Ich lehne es aber ab, diese innere Spezialisierung
durch besondere Namen, wie Nebenolive ete., zum Ausdruck zu
bringen, eben weil sie nur eine innere, niemals eine äussere ist.
Unzweifelhaft lehrt nämlich die lückenlose Serie den innigen
Zusanmenhang aller drei Teile. Zu konstatieren ist, dass die
der Olive aufliegenden Fasern keinen sogenannten Lemniscus
bilden. Von einem Hilus der Olive kann streng genommen nicht
gesprochen werden, denn die Fasermassen treten in sie da ein
oder gehen aus ihr dort heraus, wo sie Platz haben, also bald
an der lateralen, bald an der medialen, bald an der dorsalen
Seite. Dass sie vom austretenden Hypoglossus durchsetzt wird,
ist schon gesagt. Zwischen den Oliven ist die Raphe sehr breit;
die kleinen Pyramiden liegen den Oliven kappenartig auf.
Der Seitenstrangskern (Fig. 26), der lateral von den Oliven
gelegen ist, hat eine sehr unregelmässige Gestalt. Er reicht
etwas dorsal, aber auch sehr stark lateral und erstreckt sich
bis zur aufsteigenden Trigeminuswurzel. Zuweilen ist das der
letzteren benachbarte Kernende von der Hauptmasse abgetrennt
und der Kern scheint dann aus zwei kleinen Portionen zu
bestehen. Überhaupt ist sein Umfang sehr starken Schwankungen
unterworfen. Die aufsteigende Trigeminuswurzel ist sehr massiv
geworden, während ihr Kern noch etwas mehr gegen früher ver-
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 253
kleinert ist. Sie ist dorsoventral gelagert, d. h. sie findet sich
am Seitenrande der Oblongata, doch gehört ihre Region zur
dorsalen Hälfte des Organs. Gegen die Burdachschen Stränge
hin, deren Nervenmassiv fast völlig verbraucht ist, — Gollkern
und Burdachkern sind jetzt vereinigt — grenzt sich die
Wurzel durch einen gegen das Markinnere vorspringenden Haken
ab (Fig. 26). Während also der früher beschriebene ventrale
Vorsprung gegen den Seitenstrang geschwunden ist, findet sich jetzt
ein solcher dorsal. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist unverändert.
Nur geringfügig sind die Veränderungen in den nächsten
kapitalwärts gelegenen Ebenen. Es rührt dies daher, dass der
Ventrikel nur sehr allmählich weiter wird. Die Veränderungen
sind die folgenden: Der Vagus erreicht allmählich seinen Austritt
und er durchsetzt zu dem Behufe den ventralen Rand der auf-
steigenden Trigeminuswurzel mit dem zugehörigen Kern. Die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn verlängert sich weiter dorsalwärts und
liegt jetzt dem Burdachschen Kerne aussen auf. Zwischen dieser
Bahn und der Trigeminuswurzel tritt ein bald wieder verschwinden-
der Kernfleck auf. Die Olive endlich spezialisiert sich mehr, sie
zeigt nämlich eine Zusammensetzung aus vier Blättern. Damit
aber wird die morphologische Einheitlichkeit des Organs nur noch
offenkundiger als vorher. Ein deutlich differenzierter Hilus ist
an ihr nicht zu erkennen.
Allmählich legt sich der IV. Ventrikel breiter aus und dadurch
weichen die einzelnen Teile etwas weiter auseinander. Goll-
Burdachkern, die ja schon längst einheitlich geworden waren,
können jetzt bereits als Kern der kapitokaudalen Acustieuswurzel
betrachtet werden. Freilich lässt sich nicht mit Bestimmtheit
sagen, wo und wann der schon bei den früheren Spezies erwähnte
Funktionswechsel stattgefunden hat. Approximativ wird sich an-
nehmen lassen, dass dies statthat, wenn die Strangmassen von
Burdach geschwunden sind und die vom Kern ausgehenden
Arcuatae dünner zu werden anfangen. Dieser Kern nun ist ganz
an den Seitenrand der Oblongata gedrängt, während er noch vor
kurzem auf deren dorsalem Kontur gelegen war. Am dorsalen
Ende der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist ein unregelmässiger Kern
aufgetreten, welcher mit dem Goll-Burdachkerne zu kommuni-
zieren scheint. Es ist dies offenbar der hier sehr stark verlagerte
Monakowsche Kern.
254 Bernhard Rawitz:
Es ist ganz auffällig, wie lange es dauert, ehe sich die Wände
des IV. Ventrikels soweit auseinander gelegt haben, dass der Ven-
trikelboden eine gerade Linie bildet. Bei keiner der bisher ge-
schilderten Spezies ist dies in solchem Maße der Fall. Noch bevor
die völlige Ausweitung beendet ist, fangen diejenigen Teile an
sich zu verkleinern oder sogar zu schwinden, welche bis jetzt der
inneren Konfiguration des verlängerten Markes das charakteristische
Aussehen verliehen. Zunächst Pyramiden und Oliven. Jene stellen
fast ganz runde, nicht zu grosse Nervenkomplexe dar, welche
genau an der Umbiegungsstelle des medialen zum ventralen Mark-
kontur gelegen sind. Sie ragen, wie schon früher hervorgehoben,
wenig oder gar nicht über den Markkontur heraus, unterscheiden
sich hier zwar noch von den Seitenteilen des Markes, üben aber
naturgemäss keinen gestaltenden Einfluss mehr auf die Oblongata
aus. Die Oliven schwinden sehr schnell, besitzen also nur eine
sehr geringe Ausdehnung. Der Seitenstrangskern ist bis auf einen
Rest geschwunden, der intramedullare Verlauf des Hypoglossus,
dessen Austritt längst nicht mehr vorhanden, hört auf und das
Remplacement des Vagus durch den Glossopharyngeus hat statt-
gefunden. Des letzteren Nerven aufsteigende Wurzel biegt all-
mählich in die dorsoventrale Verlaufsrichtung ein, wobei sie derart
zieht, dass sie sowie die vom hellen Grau, das jetzt Glosso-
pharyngeuskern geworden ist, entspringenden Fasern pedantisch
den Weg innehalten, den vorher der Vagus gegangen. Der Kern
in dem dorsalsten Abschnitte der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
(Monakowscher Kern) ist etwas grösser geworden, während seine
Kommunikation mit dem Burdachkern beseitigt ist. Es rührt
dies daher, dass Faserbündel der genannten Bahn sich zwischen
beide Kerne gedrängt haben. Im früheren Gollschen Kern sind
die ersten Bündel der kapitokaudalen Acusticuswurzel erschienen.
Nur das zentrale Höhlengrau ist bis jetzt fast unverändert ge-
blieben. Allerdings nimmt der Hypoglossuskern jetzt die Mitte
des Bodens des Ventrikels ein, aber seine Form und Grösse sind
die gleichen wie früher. Die internucleäre Kreuzung der Hypo-
glossusfasern existiert längst nicht mehr. Und auch das helle
Grau, das lateral vom dunklen gerückt ist, zeigt unveränderte
Verhältnisse. Nur nebenher will ich erwähnen, dass einige
Bündel der aufsteigenden Trigeminuswurzel nach innen abge-
sprengt sind.
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 255
Langsam, wie gesagt, erweitert sich der IV. Ventrikel und
allmählich stellt sich jetzt eine Veränderung des zentralen Höhlen-
grau ein. Während der Hypoglossuskern, der seinen Nerven
lange überdauert hatte, kleiner wird, verändert sich allmählich
der Charakter des hellen Grau. Von seinem Rande her, also von
der Nachbarschaft des Kerns der kapitokaudalen Acusticuswurzel
füllt sich das helle Grau allmählich mit zartesten, wirr durch-
einander gelegenen Nervenfasern und wird dadurch dunkel. Ein
Rest von ihm, der hell bleibt, wird in die Ecke zum Reti-
kulum hineingedrängt, um nach Aufbrauchung der aufsteigenden
(rlossopharyngeuswurzel zu schwinden. Allmählich hört die Zwei-
teilung des Höhlengrau auf und wir haben ein einheitliches Grau
vor uns, das an Umfang sehr reduziert ist. Mit dem Schwinden
der Oliven tritt der fast marginal gelegene Facialiskern auf.
Er ist noch dann recht klein, wenn der Rest der Oliven im Schnitt
nur noch als ein verschwommener heller Fleck zu sehen ist.
Die stärkste Veränderung zeigt sich an der Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn. Sie buchtet sich da, wo sie der Trigeminuswurzel
anliegt, seitlich stark aus. Die Ursache dafür ist ein zwischen
Bahn und Wurzel auftretender konzentrisch gestreckter Kern,
der mit dem vorher beschriebenen sich bald vereinigt. So hat
bei dieser Spezies der Monakowsche Kern eine sehr beträcht-
liche Ausdehnung und eine ganz eigenartige Gestalt. Ausserdem
verkürzt sich auch die Bahn, d. h. sie nimmt an Ausdehnung ab,
indem sie sich aus der Gegend des früheren Burdachschen
Stranges zurückzieht. Sie wird dadurch in der Höhe der noch
immer dorsolateral gelegenen Trigeminuswurzel dicker und springt
daher als ein ziemlich voluminöser Knollen nach aussen vor.
Ich glaube, dieser Vorgang rührt daher, weil die Bahn dem
bald erscheinenden kaudalen Acusticuskern Platz machen muss.
Zwischen der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn und der Trigeminus-
wurzel verläuft ein dünner Zug konzentrischer Fasern, welcher
medial von der Wurzel sich in einzelne Bündel aufspaltet. Es ist
dies die kaudalste Partie des Corpus trapezoides, dessen Ursprung
natürlich viel weiter kapitalwärts gelegen ist.
Wenn die vorhin geschilderte Vereinheitlichung des zentralen
Höhlengrau beendet ist, dann ist der Glossopharyngeus noch
immer in seinem Verlaufe voll erhalten. Die kapitokaudale
Acusticuswurzel hat an Ausdehnung immer mehr zugenommen
256 Bernhard Rawitz:
und zahlreicher auch und grösser sind die zwischen ihren
Bündeln gelagerten Ganglienzellen. Der Monakowsche Kern
schwindet von da ab schnell, die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
verkürzt sich zu gleicher Zeit und wird noch dicker als vorher.
Ungewöhnlich schnell nimmt jetzt der Facialiskern an Grösse zu,
von dem in der Weise, wie auch bei den vorher behandelten
Spezies erwähnt wurde, ein starker Nervenstrom dorsalwärts
geht.
Erst wenn die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel völlig
aufgebraucht und der letzte intramedullare Rest dieses Nerven
geschwunden ist, — der Nervenkern persistiert noch einige
Zeit — erst dann erscheint der kaudale Acustieus. Die Umbildungen
und Umlagerungen im Mark haben jetzt ihr Ende erreicht; die
letztere Umlagerung betraf die aufsteigende Trigeminuswurzel,
welche durch den Acusticus ventral gedrängt worden ist. Der
kaudale Acusticus tritt in der Schnittserie zunächst, ganz wie
bei Didelphys, als ein isoliertes Stück grauer Substanz auf, das
fast wie Grosshirnrinde aussieht. Dann verschmilzt das Stück
allmählich mit der Oblongata, der es sich kappenartig auflegt
(Fig. 27), es erscheinen in ihm zwischen zahlreichen kleinen
(Ganglienzellen Nervenfasern, die dann bald am Seitenrande der
Oblongata in breiter Wurzel austreten. Die graue Substanz stellt
dabei den äusseren Belag der Wurzel dar. Nach innen geht die
graue Substanz, d.h. der Kern der kaudalen Acustieuswurzel
(hintere Wurzel der Autoren) in einen feinen gliösen Streifen
über, der sich mit dem gliösen Belag des Ventrikelbodens vereinigt.
Mächtig entwickelt ist auch die kapitokaudale Wurzel des Acusticeus
(Fig. 27), welche vom Ventrikelrande bis zur Trigeminuswurzel
reicht. Zwischen diesen beiden Teilen des Hörnerven liegt ein-
gekeilt die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn. Sie gleicht einer senk-
recht zum Oblongatarande gebogenen Keule, die sich ventral-
wärts ein klein wenig verschmächtigt. Hier steckt sie in den
vom kaudalen Acusticus sich abzweigenden Massen des Corpus
trapezoides (Fig. 27; der Zusammenhang zwischen Trapezoides
und Acusticus war in dem abgebildeten Schnitt noch nicht zu
sehen). Letzteres verjüngt sich ventral von der Trigeminus-
wurzel und spaltet sich dann. in einzelne Faserbündel auf (in
Fig. 27 nicht gezeichnet), welehe zwischen der hier leicht
prominierenden Pyramide und dem Reste des ventralen Stranges
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 294
zur Raphe ziehen. Der sehr mächtige Facialiskern (Fig. 27)
sendet einen breiten Nervenstrom dorsalwärts.
Das Höhlengrau ist in der Medianebene des Ventrikels
nicht vorhanden; hier wird der Boden der Rautengrube nur
durch einen schmalen Streifen gliöser Substanz gebildet, welcher
den nunmehr ganz dorsal gerückten ventralen Strängen aufruht.
Seitlich davon ist das Grau wieder sehr stark entwickelt und
ragt als ein mächtiger Keil mit seiner Basis nach aussen (Fig. 27).
Es kommuniziert hierbei mit dem etwas verkleinerten Kern der
aufsteigenden Trigeminuswurzel.
Der kaudale Acusticus vergrössert sich und es kann keinem
Zweifel unterworfen sein, dass er ausser den Fasern, welche von
seinem beschriebenen Kern stammen, auch solche enthält, welche
im lateralen Teil des zentralen Höhlengrau entspringen. Doch
kommt es nicht zur Bildung der sogenannten Striae acusticae.
Allmählich gehen auch die Bündel der kapitokaudalen Acusticus-
wurzel in die dorsoventrale Verlaufsrichtung über und bilden
dadurch den kapitalen Acusticus (vordere Wurzel der Autoren).
Es gehen diese Fasern zu denen des kaudalen Acusticus und
trennen dadurch die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn vom Corpus
trapezoides. Letzteres löst sich am ventralen: Rande in dicht
liegende einzelne Faserstränge auf, welche die vorhin beschriebene
Richtung zur Raphe nehmen. Gleichzeitig mit dem Auftreten
der kapitalen Acusticuswurzel ist der Facialiskern rapid kleiner
geworden und ist die Kkapitale, kleine Olive erschienen. Der nur
noch, wie gesagt, sehr wenig umfangreiche Facialiskern entsendet
auch einen nur schwachen Nervenstrom, welcher sich mit dem
aus früheren Ebenen stammenden zur Bildung des Fascialisknie
zusammenlegt. Ist letzteres zunächst auch noch nicht scharf
umschrieben, so ist es doch angedeutet und liegt lateral von den
ventralen Strangresten. Die kapitalen Oliven erscheinen zunächst
als zwei kleine kreisrunde, durch konzentrische Nervenfasern
von ihrer Umgebung abgesonderte Gebilde, welche nebeneinander
liegen. Beide sind durch eine breite Nervenbrücke miteinander
verbunden.
Nunmehr fängt der kaudale Acustieuskern zu schwinden an
und zwar geht zunächst derjenige Teil weg (Fig. 28), welcher
auf dem dorsalen Kontur des Markes lag und das sogenannte
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 167
258 Bernhard Rawitz:
Tubereulum acusticum bildete. Der lateral von der entsprechenden
Wurzel liegende Teil des Kernes bleibt noch dann erhalten, wenn
die Wurzel selber bereits geschwunden ist. Mit diesem Moment,
also erst wenn der kaudale Acusticuskern nahezu aufgebraucht
ist, treten die Bindearme zum Kleinhirn auf, während die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn noch lange sich ziemlich unverändert
erhält. Sie ist wohl teils durch den Druck von seiten der Binde-
arme, teils durch den Widerstand beider Teile des Acusticus auf
einen engeren Raum zusammengepresst, sodass sie jetzt ein dreh-
rundes Gebilde darstellt (Fig. 28); aber sie wird noch lange
nicht vom Kleinhirn aufgebraucht. Von den Bindearmen, denen
übrigens im Gegensatz zu Didelphys kein Kern im Cerebellum
zukommt, strömt in der Nachbarschaft des IV. Ventrikels ein
Faserbündel direkt dorsoventral mit leichter Neigung median-
wärts zur Raphe. Noch ist die Verbindung zwischen Kleinhirn
und Oblongata keine sehr ausgiebige, denn ausser dem immer
noch vorhandenen recht beträchtlichen kaudalen Acustieus hindert
daran auch die kapitokaudale Acusticuswurzel mit ihrem Kern,
die noch lange nicht ganz und gar in die austretende Richtung
eingebogen ist.
Mächtig ist jetzt der Facialis ausgebildet (Fig. 28). Der
Kern und mit ihm der Nervenstrom sind, wie vorhin schon
bemerkt wurde, geschwunden: dafür aber hat das Knie einen
sehr grossen Umfang erreicht. Es hat die Reste der ventralen
Stränge fast ganz vom Ventrikelboden verdrängt, ist seinerseits
bis an ihn gelangt und hat ferner das zentrale Höhlengrau ein-
geengt. Letzteres ist unstreitig an Umfang geringer geworden,
uud zwar aus Gründen, die gleich erörtert werden sollen, denn
seine eigentliche Reduktion findet erst weiter kapitalwärts statt.
Ausser dem Knie ist auch der austretende Facialis vorhanden.
Man sieht seine Wurzel über den Kontur des Markes heraus-
ragen und sieht, dass er als breiter Strang noch ein gutes
Stück medullarwärts reicht (Fig. 28). Seine Verbindung mit dem
Knie ist noch nicht erfolgt.
Ferner ist der Abducens intramedullar zu sehen (Fig. 28).
Sein Kern, ein kreisrundes, kleines Gebilde, liegt ventral vom
Facialisknie, diesem dicht an. Aus dieser Tatsache folgt, dass
ein Teil des zentralen Höhlengrau dadurch nach ventral abgesprengt
wurde, dass das Facialisknie sehr weit medial- und dorsalwärts
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 259
gerückt ist. Denn es findet sich nicht, wie bei manchen anderen
Arten, lateral von den ventralen Strangresten, sondern liegt
ihnen auf. Das Auftreten des Abducens vollzog sich übrigens
in der üblichen Weise. Erst war der Kern vorhanden, der
allmählich verlagert wurde. Dann traten intramedullare unter-
brochene Faserzüge auf, die sich zuerst mit dem Kern ver-
banden und nur nach und nach bis zur Austrittsstelle fort-
schritten. Und das Verschwinden geht den umgekehrten Weg:
erst die Austrittsstelle, dann der intramedullare Verlauf, dann
der Kern. Der Abducens zieht direkt dorsoventralwärts, durch-
kreuzt den sich bildenden Pons und tritt hart am lateralen
Kontur des Pyramidenrestes nach aussen. Die kapitale oder
kleine Olive (Fig. 25) hat sich gegen ihr erstes Erscheinen nur
wenig geändert. Wohl sind ihre beiden Abschnitte grösser
geworden, sodass sie einander sich genähert haben, aber ihr
Aussehen ist unverändert geblieben. Im ganzen ist das Gebilde
sehr wenig umfänglich.
Auf diesem Stadium der inneren Konfiguration des Markes
hat die Ponsbildung bereits nicht unbeträchtliche Fortschritte
gemacht. Und wiederum muss ich konstatieren, wie bei Didelphys,
dass hier ein Remplacement stattgefunden hat. Denn in der-
selben Gegend, in welcher die Fasern des Trapezoides zu finden
waren, liegt jetzt marginal das breite Nervenbündel, das gegen
die Medianlinie, nach innen von der kapitalen Olive, in einzelne
Faserzüge sich spaltet, welche die ventralen Stränge dorsal vom
Pyramidenrest liniieren. Die Kreuzung der gegenseitigen Fasern
in der Medianlinie ist sehr breit, Ganglienzellen aber fehlen hier.
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass einzelne Fasern
der jetzt ganz ventral liegenden aufsteigenden Trigeminuswurzel
in die dorsoventrale Richtung einbiegen.
Die Oblongata nähert sich nunmehr schnell ihrem Ende.
Der Acusticus schwindet nach und nach, der intramedullar ge-
legene Teil der Facialis trennt sich von seinem Austritt, sodass
der letztere bald vorüber ist, während der erstere allmählich seine
Verbindung mit dem Knie erlangt. Auch die kapitale Olive wird
zusehends kleiner; sie verschwindet jedoch erst vollständig, wenn
der Trigeminus in voller Ausbildung ist. Am schnellsten schwindet
der Abducens, was bei der geringen Ausdehnung des intra-
medullaren Gebietes dieses Nerven nicht Wunder nehmen kann.
07.E
260 Bernhard Rawitz: Das Zentralnervensystem der Cetaceen.
Erst wenn der Acusticeus völlig erschöpft ist, biegt die Klein-
hirn-Seitenstrangsbahn aus der kapitokaudalen in die dorsoventrale
Richtung ein und sie ist dann aus der Oblongata heraus ganz in
die Substanz der Bindearme gewandert. Dann aber ist längst
die morphologische Grenze der Oblongata überschritten.
Figurenerklärung auf Tafel IX und X.
Es war meine Absicht, nach dem Vorgange von Hans Virchow die
nötigen Figuren durch Photo-Zeichnungen herzustellen; äussere Umstände
zwangen mich, davon Abstand zu nehmen. Die Figuren sind in ihren Um-
rissen und in den wesentlichen Einzelheiten mit dem Abbeschen Zeichen-
apparat hergestellt und nachher bei der gleichen Vergrösserung ausgeführt.
Ich habe, um unnötige Komplikationen bei der Wiedergabe zu vermeiden und
um die Bilder nicht mit Nebensächlichkeiten zu überlasten, nur das Wesent-
liche bezw. das, was mir wesentlich erschien, abgebildet. Ich hoffe, dadurch
das Verständnis der Figuren erleichtert zu haben.
Folgende Bezeichnungen sind allen Figuren gemeinsam: d — dorsal;
v = ventral; D = dorsale Säule; V = ventrale Säule; Vs = ventraler Strang;
R = Retikulum; ce — Zentralkanal; CG —= zentrales Grau; GK = Kern des
Gollschen Stranges; GS = Gollscher Strang; BK —= Kern des Burdach-
schen Stranges; BS —= Burdachscher Strang; GBK —= Goll-Burdach-
Kern; De = Decussatio; P— Pyramide; KS — Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ;
Ve — Ventrikel; SK — Seitenstrangskern; MK = Monakowscher Kern;
0 = kaudale Olive; KO = kapitale Olive; Ctr = Corpus trapezoides; Po —
Pons; Ce — Üerebellum; bi — Bindearme; pi — Piafortsatz. XII — Hypo-
glossus; XIIK = H.-Kern; X = Vagus; XK = V.-Kern; IX = Glosso-
pharyngeus; IXa — aufsteigende Glossopharyngeuswurzel; VIII = Acusticus;
VII: = kaudaler; VIIIz — kapitokaudaler A.; VII = Facialis; VIK=F.-
Kern; VI = Abducens; VIK — A.-Kern; V = aufsteigende Trigeminuswurzel.
Fig. 1--14. Phocaena communis.
Die Figuren sind bei 9—12facher Vergrösserung gezeichnet, nur
Fig. 7, welche die Olive allein zeigt, ist 20fach vergrössert. Reduktion
bei der Wiedergabe auf ®/s. In Fig. 7 bedeutet m — mediale Seite; in
Fig. 13 KK = Keilkern.
Fig. 15—23 Didelphys marsupialis.
Fig. 15 = 35:1 verer. ; Fir 2081 :2Pig. 17 — 20:0, ie
25:1; Fig. 19 —= 25:1; bis hierher auf ?/s bei der Reproduktion verkleinert;
Fig. 20, = 19:1; Fig, 21=419:1; Fig)22 19:1; Fig. 23 =20 1 diese
Figur auf ?/s verkleinert.
Fig. 24—28. Sus scrofa.
Die Fig. 24—27 sind 7fach, die Fig. 28 ist 8fach vergrössert. Fig. 25
und 26 auf ?‘,, Fig. 27 und 28 auf ?/s verkleinert.
261
Bemerkungen zu dem Aufsatze P. Schmidts:
„Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen.“
Von
Franz Weidenreich.
Im dritten Heft des 72. Bandes (S. 497) dieser Zeitschrift
beschäftigt sich P. Schmidt mit der Polychromatie und der
basophilen Körnelung der roten Blutkörperchen; seine Aus-
führungen bringen in der Frage selbst nichts Neues und sind
lediglich polemisch gegen mich gerichtet. Mich eingehender
mit der Schmidtschen Arbeit zu beschäftigen, kann ich mir
schon deswegen versagen, weil die Frage selbst nach den neueren
Arbeiten anderer Autoren, die Schmidt nicht zu kennen
scheint — wenigstens erwähnt er sie nicht —, in dem von mir
vertretenen Sinne entschieden sein dürfte, besonders aber auch
aus dem Grunde, weil Schmidt mich kritisiert, ohne dass er
sich mit meinen Arbeiten ') über die Degeneration des Erythro-
blastenkernes und die Struktur der Erythrozyten überhaupt
bekannt gemacht oder meine Angaben gar nachgeprüft hätte.
Dass die Polychromatie an und für sich sowohl ein Zeichen
jugendlicher als auch degenerierender Erythroblasten oder Ery-
throzyten sein kann, wird jetzt fast ganz allgemein angenommen,
so dass ich es ablehne über diese Frage weiter zu diskutieren.
Merkwürdig ist nur, dass Schmidt gegen mich aber besonders
auch da polemisiert, wo wir einer Meinung sind; die innige
Beziehung zwischen der Polychromatie kernloser Erythrozyten
und der basophilen Körnelung erkenne ich durchaus an, nur hat
der Kern mit der ganzen Frage nichts zu tun. Die Erythro-
blasten sind ursprünglich bei noch intakten oder wenig ver-
änderten Kernen polychromatisch und gerade die Tatsache, dass
sie während der Mitose polychromatisch sind, spricht doch mit
absoluter Bestimmtheit dafür, dass jene färberische Eigentüm-
lichkeit nicht auf degenerativem Austritt von Kern-
bestandteilen in das Plasma beruhen kann. Schmidt redet
!) Weidenreich, F.: Die roten Blutkörperchen I. Ergebn. d. Anat. u.
Entwickl. XIII. Bd.: 1903, 1904.
Derselbe: Die roten Blutkörperchen II. Ebenda XVI. Bd.: 1904, 1909.
262 Franz Weidenreich:
hier von Nukleolen und anderen Kernsubstanzen, die austreten
können, ohne dabei aber zu bedenken, dass doch die Basophilie
des Plasmas als Effekt einer Beimischung basophiler chromatischer
Kernsubstanzen bei gleichzeitiger Kerndegeneration gedeutet
wurde. Was soll da der Hinweis auf den physiologischen Aus-
tausch nicht chromatischer Substanzen zwischen Kern und Plasma ?
Ferner sei daran erinnert, dass gerade die Erythroblasten, die
die Kerndegeneration in der ausgeprägtesten Form zeigen, nicht
mehr poly-, sondern orthochromatisch sind. |
Was nun die basophile Körnelung angeht, so hat auch sie
nicht das geringste mit der Kerndegeneration zu tun. Im Blute
des normalen Meerschweinchens kann man basophil gekörnte
Erythrozyten in Mengen finden, ohne auch nur ein einziges
kernhaltiges rotes Blutkörperchen oder gar Übergangsformen zu
sehen, und im Knochenmark, wo man sie doch, wenn sie auf
Kerndegeneration zurückzuführen wären, in Unmasse treffen
müsste, findet man keine oder nur die Stadien und die Mengen,
die man auch im zirkulierenden Blute findet. Ich brauche aut
all diese Dinge deswegen nicht weiter einzugehen, weil meine
Angaben über Kerndegeneration und basophile Körnelung bis
ins einzelne von J. Jolly!) in einer grossen mit zahlreichen
Abbildungen versehenen Abhandlung bestätigt wurden, speziell
noch in der Frage der Körnelung haben sich J. Jolly und
A. Vall&e?) ganz auf meine Seite gestellt. Ausserdem haben
Pappenheim°®) und Löwit‘) das normale Vorkommen beim
Meerschweinchen durchaus bestätigt und stimmen in den Haupt-
punkten mit mir überein. Endlich hat in neuerer Zeit 8. As-
kanazy°), der die fragliche Granulierung zuerst genauer be-
schrieb und deutete, seine ursprüngliche Ansicht von der Kern-
ı) Jolly, J.: Recherches sur la formation des globules rouges des
mammiferes. Arch. d’Anat. mierosc. T.IX. 1907. Mit 5 Tafeln.
®) Jolly,J.et Vall&e, A.: Sur les granulations basophiles des h&maties.
C.T.,Soc. Biel. ‚Parse T. LXIE Ne 190%
®) Pappenheim, A.: Einige Bemerkungen über Methoden und Er-
gebnisse der sogenannten Vitalfärbung an den Erythrozyten. Folia häma-
tolog. IV. Jahrg. Suppl. 1907.
*) Löwit, M.: Über die Membran und die Innenkörper der Säugetier-
erythrozyten. Beitr. z. patholog. Anat. u. zur allg. Pathol. 42. Bd. 1907.
>) Askanazy, $.: Über die Körnung der roten Blutkörperchen bei
anämischen Zuständen. Zeitschr. f. klin. Mediz. 64. Bd. 1907.
Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen. 263
natur geändert und sieht in ihr in Übereinstimmung mit mir
den Ausdruck einer Protoplasmaveränderung. Auffallend ist nur,
dass alle diese schon längst auch referierten Arbeiten von
P. Schmidt in seinem Artikel nicht erwähnt, also wohl über-
sehen worden sind; es ist das um so bedauerlicher, weil sie
Schmidt gewiss Veranlassung gegeben hätten, sich eingehender
mit der Sache zu befassen und sich von der Unhaltbarkeit seiner
Ansichten zu überzeugen, was mir allein anscheinend nicht gelang.
Zum Schlusse möchte ich noch auf einen Passus in den
Schmidtschen Ausführungen hinweisen, der mir bezeichnend
zu sein scheint. Auf der zweiten Seite erwähnt er, dass er sich
mit Hilfe meiner Osmiummethode der Fixation von der Richtig-
keit der Ausstossungstheorie des Kernes überzeugt hätte; er
sagt da: „Es ist nicht wahrscheinlich, dass bei dem schonenden
Ausstreichen in dicker Schicht und der Fixierung nach Weiden-
reich die Kerne in grösserer Zahl artifiziell ausschlüpfen sollten.“
Aber auf der letzten Seite bezeichnet er die gleiche Fixierungs-
methode als „unsicher und ungeeignet.“ Was er sonst noch
über die Giemsa-Färbung sagt, ist durchaus belanglos; denn
ob diese Färbung nach Osmiumfixation „typisch“ ist oder nicht,
ist völlig gleichgültig, die Hauptsache ist, dass sie die morpho-
logischen Besonderheiten der Zellen in einer Weise darzustellen
vermag wie keine andere Methode. Sie gegen Schmidt noch
besonders zu verteidigen, halte ich für unnötig, weil sie — zahıl-
reiche Zuschriften beweisen mir das — für sich selbst spricht
und Schmidt selbst seiner eigenen Angabe nach erfolgreich
mit ihr arbeitete.
2
Zur Morphologie des Muskelglykogens
und zur Struktur der quergestreiften Muskelfaser.
Von
Professor Dr. Julius Arnold in Heidelberg.
Hierzu Tafel XI und XI.
Durch die Untersuchungen über die Morphologie des
Leber- und Knorpelglykogens') hat die Plasmosomengranulalehre
wichtige Förderung erfahren. Der Einblick in das morphologische
Wesen und die biologische Bedeutung dieser Gebilde ist erweitert
und vertieft worden; ausserdem haben sich aber bemerkenswerte
Tatsachen bezüglich der Struktur der genannten Zellformen er-
geben. Es konnte der Nachweis geführt werden, dass die Plasmo-
somen bezw. Granula an dem Glykogenumsatz in hervorragender
Weise beteiligt sind. In wechselnder Zahl, Anordnung und Ver-
breitung fanden sich im Plasma teils diskrete Glykogengranula,
teils waren sie zu Ketten mit bald gefärbten, bald ungefärbten
/wischengliedern aneinandergereiht; oder aber sie erschienen in
Fäden eingebettet, welche Netze von verschiedener Ausbreitung
bildeten. Besonders bemerkenswert war der Befund von mito-
chondrienartigen Granula, welche Glykogen enthielten, während
solches im übrigen Plasma sich nicht wahrnehmen liess. Es waren
Bilder, welche an Nebenkerne, Phormien, Netzapparate, Tropho-
spongien etc. ihrer Gestalt nach erinnerten. Durch den Nachweis
von Glykogen in diesen Formen wurde dargetan. dass Plasmo-
somen und Granula einen wesentlichen Strukturbestandteil dieser
Zellen abgeben und dass in ihnen bedeutungsvolle Stoffwechsel-
vorgänge sich abspielen.
Diese Ergebnisse berechtigten zu der Erwartung, dass
durch morphologische Untersuchung des Muskelglykogens Auf-
schlüsse über die Anordnung und Bedeutung des Sarcoplasmas,
namentlich der Sarcosomen, vielleicht aber auch über die Struktur
der kontraktilen Substanz — des Myoplasmas — sich gewinnen
) Virchows Archiv, Bd. 193 u. 194. 1908.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 18
266 Julius Arnold:
liessen. In den nachfolgenden Zeilen soll Rechenschaft darüber
abgelegt werden, inwieweit meine dahin abzielenden Bestrebungen
Erfolg hatten.
Material und Methoden.
Auf eine vergleichende Untersuchung der quergestreiften
Muskeln verschiedener Tiergattungen, so lehrreich sie voraus-
sichtlich für die Fragen der Morphologie des Glykogens und
der Struktur der Muskelfasern sich erweisen wird, musste ich
verzichten. Die Bearbeitung menschlicher Muskeln versprach
wegen der schwierigen Beschaffung ganz frischen Materials,
namentlich aber wegen des sehr schwankenden Glykogengehalts
keine Erfolge. Aus diesen Gründen beschränkte ich mich auf
die Untersuchung von Froschmuskeln (Extremitäten- und Bauch-
musknlatur). Auch bei ihnen ist bekanntlich der Glykogengehalt
einem sehr grossen Wechsel unterworfen. Man muss eine grössere
Zahl von Fröschen untersuchen, bis man einige Exemplare mit
glykogenreichen Muskeln gefunden hat.
Methoden.
1. Darstellung der Granula mittelst vitaler
Färbung. In dieser Hinsicht darf ich zunächst Bezug nehmen
auf die Methode der Einführung von indigschwefelsaurem Natron
in das Blut und die Lymphe lebender Tiere. Wie ich vor
längerer Zeit (Nr. 3 u. 4)!) nachgewiesen habe, treten bei solchen
Versuchen gefärbte Granula im Sarcoplasma der Muskelfasern in
wechselnder Zahl und Anordnung auf. Ganz ähnliche Resultate
erhält man bei der vitalen Zufuhr von Methylenblau und Neu-
tralrot (Nr. 6).
2. Darstellung der Granula mittelst der supra-
vitalen Färbung. Da bei dem Einlegen kleiner Muskel-
stückchen in Farbstofflösungen nur vereinzelte Granula sich
tingierten, schlug ich einen anderen Weg ein. Der sehr dünne
Brusthautmuskel des Frosches wurde vorsichtig abgetragen, ohne
irgend welchen Zusatz auf ein nach Rosin und Bibergeil?)
mit Farbstoff (Neutralrot und Methylenblau) beschicktes Deck-
!) Die Nummern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis.
?) Man lässt Farbstofflösungen in dünnen Schichten auf den Deck-
gläsern eintrocknen.
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 267
glas aufgelegt und in eine Glaskammer luftdicht eingeschlossen.
Nach kurzer Zeit traten zahlreiche gefärbte Sarcosomen auf.
3. Mazeration in Jodkali. Kleine Muskelstückchen
werden in 10°/o gelbe Jodkalilösung, welcher Eosin oder Säure-
fuchsin zugesetzt ist, bei 36° C. im Brütoten zweimal 24 Stunden
und länger digeriert. Man kann mittelst dieses Verfahrens das
Sarcoplasma bezw. die Sarcosomen mit ihren fädigen Verbindungen
sowie die Muskelfibrillen isolieren. Bezüglich der Einzelheiten
darf ich auf meine früheren Mitteilungen (Nr. 5) verweisen.
4. Konservierung in 96 °Jo Spiritus.. Die Tiere
wurden lebend in ein mit Spiritus gefülltes Glas geworfen, in
welchem sie mindestens vier Tage verblieben. Nach erfolgter
Härtung löste ich die Muskeln vorsichtig ab und bettete sie in
Celloidin oder Paraffın ein. — Tinktion nach den gewöhnlichen
Methoden.
5. Konservierung in Sublimat-Chlornatrium
(ohne Eisessig). Präparation, Einbettung und Tinktion wie bei 4:
ausserdem hauptsächlich Färbung nach der Eisenhämatoxylin-
methode.
6. Konservierung in Bendascher Chromosmium-
lösung (15 Vol. 1°/o Chromsäure, 4 Vol. 2°/o Osmiumsäure:;
Zusatz von drei Tropfen Eisessig unmittelbar vor Gebrauch). —
In dieser Lösung verbleiben die Präparate S—10 Tage, nach
kurzem Abspülen werden die Stücke 24 Stunden in Acetum
pyrolignosum recteficatum und 1°/o Chromsäure, dann 24 Stunden
in Lösung von Kali bichromicum 2:100, nach kurzem Wässern
in Alkohol von steigender Konzentration eingelegt. Feine Paraffin-
schnitte in solcher Weise vorbereiteter Präparate habe ich nach
verschiedenen Methoden tingiert:
a) Bendasche Mitochondrienfärbung: 24 Stunden im Brut-
schrank in 4°/o Eisenalaunlösung, 24 Stunden im Brut-
schrank in einer bernsteingelben, wässerigen Lösung von
sulfalizarinsaurem Natron; Färbung mit Krystallviolett-
anilinöl und Differenzieren mit 30°/o Essigsäure, Abspülen
mit Aceton etc.!)
!) Bezüglich der genauen Vorschrift vergleiche man Benda, die
Mitochondrien, Ergebnisse der Anatomie, Bd. XII., 1902.
18*
268 Julius Arnold:
b) Tinktion nach der Eisenhämatoxylinmethode.
c) Behufs Darstellung der Myosome Nachfärbung der ziem-
lich stark differenzierten Fisenhämatoxylinpräparate mit
Krystallviolettanilinöl (Benda) und Abspülen mit Alkohol
bis die Felderung an den Fibrillenkomplexen bezw.
Fibrillen deutlich hervortritt.
Glykogennachweis. Als das leistungsfähigste Verfahren
erwies sich auch bei diesen Untersuchungen das neuestens von
Best angegebene '). Die Glykogengranula treten deutlicher her-
vor und scheinen mir zahlreicher, diffuse Färbungen seltener
zu sein als an Jodpräparaten, abgesehen von der viel grösseren
Dauerhaftigkeit der Karminpräparate. An Üelloidinpräparaten
erhält man nach beiden Methoden entsprechende Befunde; doch
zeigten auch sie bei der Jodfärbung Spuren von erfolgter Lösung
des Glykogens. Welche Rolle derartige Vorgänge bei der Jod-
methode spielen, lehrt folgender Versuch: behandelt man den
Brusthautmuskel nach dem oben angegebenen Deckglasverfahren
vital mit Jod ohne jeglichen Zusatz oder mittelst der vitalen Jod-
räucherung, so bleiben die Lösungserscheinungen aus und die
eranuläre Beschaffenheit des Glykogens tritt viel deutlicher hervor.
Morphologie des Muskelglykogens.
In der Literatur finden sich nur sehr unbestimmte Angaben
über die Form, in welcher das Glykogen in den Muskelfasern
enthalten ist. Die meisten Forscher scheinen sich vorzustellen,
dass es diffus im Mvoplasma oder Sarcoplasma verteilt sei. Meines
Wissens erwähnt nur Gierke unter Betonung der Schwierig-
keit, Muskelglykogen zu färben, des Vorkommens von Körnern,
welche von Anderen als Fällungsprodukte angesehen werden.
Ehrlich hebt hervor, dass das Glykogen in der interfibrillären
Kittsubstanz, aber nicht in der Muskelfibrille enthalten sei und
betrachtet es als ein allgemeines Gesetz, dass in allen einer
Bewegung fähigen Elementen das Glykogen, wie analoge Reserve-
stoffe, nicht in, sondern um das spezifische Kontraktile gelagert
!, Best. über Karminfärbung des Glykogens, Zeitschr. f. wissensch.
Mikroskopie. Bd. 23, 1906. Man kann auch Paraffinschnitte nach der
Bestschen Methode färben, wenn man sie nach Extraktion des Paraffins
in Äther-Alkohol, dann in eine dünne Celloidinlösung eintaucht und sie auf
diese Weise mit einer dünnen Celloidinschichte überzieht.
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 269
ist. Barfurth bestätigt dies im allgemeinen, will aber doch
in einzelnen Fibrillen namentlich auf dem Querschnitt Glykogen
wahrgenommen haben.
Wie in anderen Geweben, so erfolgt auch in den Muskel-
fasern sehr häufig eine Verlagerung des Glykogens; diese ist wohl,
mindestens zum Teil, auf eine postvitale Lösung des Glykogens
und auf Diffusionsströme, welche infolge der Konservierung ent-
stehen, zu beziehen. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die
Ausführungen Ficheras, Gierkes und Anderer.
Enthalten die Muskelfasern wenig Glykogen, so finden sich
über diese zerstreut bald vereinzelte, bald zahlreichere Granula,
welche im wesentlichen in der Längsrichtung aufgestellt zu sein
und den longitudinalen Intercolumnärräumen zu entsprechen
scheinen (Tafel XI, Fig. 1); doch ist die Entscheidung in dieser
Hinsicht manchmal schwieriger, als man erwarten sollte. Auf
Querschnitten erhält man den Eindruck, als ob die Granula
hauptsächlich, wenn nicht ausschliesslich, in den zwischen den
Cohnheimschen Feldern angeordneten intercolumnären Räumen
enthalten wären (Fig. 10—12). Die Kerne fand ich stets glykogen-
frei, dagegen in ihrer Umgebung, namentlich in der Richtung
ihrer Pole, Glykogengranula in wechselnder Zahl (Fig. 1). Solche
Bilder bieten eine weitgehende Übereinstimmung mit den Granula-
färbungen bei vitaler Zufuhr von Indigkarmin, Methylenblau und
Neutralrot dar.
Ist der Glykogengehalt der Muskelfasern grösser, dann
enthalten die intercolumnären Räume Reihen von Glykogen-
granula. welche teils durch ungefärbte, teils durch gefärbte
Fäden verbunden werden (Fig. 4—6). Auf Querschnitten erscheinen
die Spalten zwischen den Muskelfeldern mit solchen Granula
erfüllt, welche sehr oft durch Ausläufer miteinander in Beziehung
stehen und netzförmig angeordnet sind (Fig. 11 u. 12). Wird
die Zahl dieser intercolumnären Granula grösser, dann geht die
regelmässige Anordnung in der Form von Reihen auf dem Längs-
schnitt und in der Art von zierlichen Netzen auf dem (Juer-
schnitt verloren.
Ein zweites System von Glykogengranula ist in transversaler
Richtung entsprechend der isotropen Substanz (J) angeordnet
(Fig. 3, 4 und 5). Sie liegen meistens näher der Zwischen-
scheibe (Z). zuweilen rücken sie aber mehr gegen die anisotrope
270 Juliws Arnold:
Scheibe (Q) vor. Sind diese Granula, wie so oft, in regelmässigen
Abständen aufgestellt (Fig. 4 u. 5), so zeigt die meistens hell-
rosa gefärbte Zone J einen zierlichen Besatz dunkelroter
Granula, welche an den Ecken der ungefärbten Segmente von Q
zu liegen scheinen. Nimmt die Zahl der Granula zu, dann
stellen sich die Scheiben J als transversale rote Streifen dar,
zwischen welchen im Anfang noch die ungefärbte Scheibe Z zu
erkennen ist, während sie namentlich bei verändertem Con-
tractionszustand sich der Wahrnehmung entzieht (Fig. 3).
Die geschilderten longitudinalen und transversalen Granula-
systeme können sich kombinieren. Dann erhält man viereckige
rotgefärbte maschenartige Figuren (Fig. 7 u. 8), welche hellen
Abschnitten der Querscheiben entsprechende Felder umsäumen:
eine Zeichnung, deren Regelmässigkeit nur zuweilen dadurch
gestört wird, dass an der einen oder anderen Längsseite oder
Querseite gefärbte Granula fehlen. — Eine Färbung der Quer-
scheiben (Q) habe ich nie beobachtet; dagegen kann eine solche
dadurch vorgetäuscht werden, dass die die hellen Felder um-
säumende gefärbte Substanz sich verschiebt und die ersteren (Q)
verdeckt. Auch an @Querschnitten konnte ich mich von der
Färbung der Fibrillen nicht überzeugen; ist die Zahl der
gefärbten Granula eine sehr grosse, so kann man sehr leicht
irregeleitet werden.
Auf das Vorkommen zweier Arten von Körnern — longi-
tudinalen und transversalen — ebenso auf dasjenige von Netz-
figuren habe ich schon in meiner ersten Mitteilung (Nr. 3 u. 4)
auf Grund der Befunde an Indigkarminpräparaten aufmerksam
gemacht. —
Unter dem Sarcolemma trifft man gleichfalls aus Glykogen-
granula bestehende viereckige und rhomboide, manchmal sehr
unregelmässige Figuren, welche helle Felder umsäumen. Diese
Bilder entsprechen den peripheren Lagen kontraktiler Substanz,
die roten Umsäumungen den sarcoplastischen Glykogen ent-
haltenden Netzen, deren Unregelmässigkeit auf artefizielle Ver-
schiebungen zurückzuführen ist. Die grösseren Tropfen, welche
sich nicht selten an solchen Stellen gebildet haben, sind gleich-
falls postvitale Erscheinungen.
In der Umgebung der Muskelfasern kommen vereinzelte
verästigte oder in Form von weiten Maschen angeordnete Figuren
|
er
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 2
vor, welche wohl als mit Glykogen gefüllte Saftbahnen, Lymph-
sefässwurzeln oder Lymphgefässe anzusehen sind.. Die Unter-
scheidung dieses das Sarcolemma von aussen umspinnenden Netzes
von dem unter demselben gelegenen ist trotz der weitmaschigeren
Anlage des ersteren namentlich bei Verzerrung des letzteren
nicht immer leicht. Manchmal hatte es den Anschein, als ob
zwischen beiden ein Zusammenhang bestünde. An Querschnitten
überzeugte ich mich aber davon, dass ein solcher vorgetäuscht
wird; wenn die Netzbalken dem Sarcolemma von aussen sich
dicht anlegen, entsteht sehr leicht das Trugbild, als ob sie
durch das Sarcolemma durchtreten, namentlich wenn dieses an
der entsprechenden Stelle mit Farbstoff sich imbibiert hat.
Sonst wird das Sarcolemma durch das Bestsche Karmin nicht
gefärbt.
Kontroliertt man die an Karminpräparaten erhaltenen
Befunde an Jodpräparaten (vitale Färbungen und gefärbte
Celloidinschnitte), so erhält man im wesentlichen die gleichen
Bilder: an Längsschnitten longitudinale und transversale Granula,
sowie Andeutungen der geschilderten Netze, doch meistens nicht
in der Vollständigkeit wie an Karminpräparaten, zuweilen mehr
diffuse Färbungen. Das gleiche gilt für die Querschnitte.
Zur Struktur der quergestreiften Muskelfaser.
An Alkohol- und Sublimatpräparaten, welche nach den
gewöhnlichen Methoden tingiert wurden, erkennt man an der
Muskelfaser des Frosches die Querscheibe (Q), die isotropen
Scheiben (J) und die Zwischenscheibe (Z) in ihrer nach dem
Kontraktionszustand wechselnden Anordnung, sowie die Muskel-
kerne. — Werden Sublimatpräparate nach der Eisenhämatoxylin-
methode behandelt. dann kommen je nach dem Grad der
Differenzierung verschiedene Bilder zum Vorschein. Hat man
schwach differenziert, so stellen sich die isotropen Scheiben als
dunkle Streifen dar, die Zwischenscheibe, wenn überhaupt
kenntlich, als heller Streifen; die Scheiben Q bleiben ungefärbt
(Fig. 13 u. 14). Longitudinale Körner sind bald nur vereinzelt,
bald in grösserer Zahl wahrnehmbar. Bei etwas stärkerer
Differenzierung hellen sich die Scheiben J etwas auf und man
kann an diesen Stellen dunkele Granula in wechselnder Zahl
erkennen ; diese zeigen öfters die gleiche Regelmässigkeit der
DD Julius Arnold:
Anordnung, wie sie oben für die an dieser Stelle vorkommenden
Glykogengranula geschildert wurde (Fig. 13). Die longitudinalen
Granula bieten ein sehr wechselndes Verhalten dar: bald sind
sie spärlich, bald zahlreich; in dem letzteren Fall bilden sie im
Verein mit den transversalen Granula netzförmige Figuren,
welche den oben geschilderten Netzen der Glykogengranula
gleichen. Je nach dem Gehalt an Sarcoplasma und dem Aus-
fall der Färbung bezw. Differenzierung ist ihre Ausbreitung eine
sehr verschiedene. An sehr dünnen Eisenhämatoxylinpräparaten,
welche nachträglich mit 10°%o Essigsäure behandelt wurden,
erhält man diese Netze oft isoliert. sei es, dass die an der
Stelle der hellen Felder gelegene Substanz (Q) herausgefallen
oder aufgelöst worden ist (Fig. 15). Die die Netze bildenden
Fäden und Balken sind verschieden intensiv gefärbt und ent-
halten dunklere Granula in wechselnder Menge: manche der
Granula mögen entfärbt, herausgefallen oder durch die Prozedur
zerstört worden sein.
Ganz andere Befunde ergeben sich an den Objekten, welche
in Bendascher Flüssigkeit konserviert wurden (s. 0... Hat man
sie nach der Vorschrift von Benda tingiert (Eisenalaun, alizarin-
saures Natron, Krystallviolett etc.), so sind die Scheiben Q braun
gefärbt und die Scheiben J ohne deutliche Färbung, während Z
eine Färbung, aber eine etwas andere wie ( aufweist.
Die Färbung der Scheiben Q ist bald eine gleichmässige,
bald in der Mitte heller, an den Rändern dunkler, vielleicht die
Andeutung einer Mittelscheibe. Es mag dieser Wechsel im Ver-
halten mit dem Kontraktionszustand und dem Grad der
Differenzierung zusammenhängen. Ein Teil der longitudinalen
Granula ist durch Osmium gebräunt oder geschwärzt, trans-
versale Granula sind an der Stelle der Scheiben J an isolierten
Fasern nicht nachzuweisen.
Wurden die in Bendascher Flüssigkeit konservierten
Präparate mit Eisenhämatoxylin gefärbt und mit Eisenalaun in
verschiedenem Grade differenziert, so zeigten die Scheiben Q
einen graublauen Ton, desgleichen die Zwischenscheiben ; auch
in diesem Falle bot die Scheibe Q in der Mitte manchmal einen
helleren Streifen dar.
Sehr interessante Befunde ergaben sich an Präparaten,
welche nach Benda gehärtet, mit Eisenhämatoxylin gefärbt,
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 2
Eisenalaun differenziert und nachträglich mit Krystallviolett und
Alkohol behandelt worden waren. Auch bei ihnen ist je nach
der Differenzierung mit Eisenalaun und später mit Alkohol die
Färbung der Scheiben Q eine wechselnde (Fig. 17 und 18). Wurde
schwächer differenziert, dann sind diese Scheiben gleichmässig
dunkelblau gefärbt; bei stärkerer Differenzierung wird deren
Mitte heller, während die Ränder dunkler erscheinen: somit
gleichfalls die Andeutung einer Mittelscheibe. Schliesslich erkennt
man in den aufgehellten blaugrau gefärbten Querscheiben dunkel-
blau gefärbte kleinste Granula, zwischen welchen eine hellere
Zwischenschichte gelegen ist.
An feinen Schnitten solcher Objekte kommt es sehr oft zur
Isolierung von Fibrillenkomplexen und Primitivfibrillen, sowie zur
Trennung in querer Richtung (Fig. 13—20), sodass würfelförmige
Figuren entstehen. — Die Abspaltung in der Längsrichtung er-
folgt mit besonderer Vorliebe an der Stelle der intercolumnären
Räume, seltener zwischen den einzelnen Primitivfibrillen. Ob
die Zahl dieser, welche ein Muskelsäulchen bilden. immer die
gleiche oder eine verschiedene ist, darüber konnte ich mir keine
(Gewissheit verschaffen. Eine sichere Entscheidung wäre nur an
(uerschnitten möglich: an diesen ist es aber sehr schwierig, die
einzelnen Primitivfibrillen zu erkennen. Am häufigsten schien
mir die Zahl vier vertreten zu sein: von der Fläche betrachtet
sieht man gewöhnlich zwei Primitivfibrillen durch eine minimale
Menge lichter Substanz vereinigt. An solchen isolierten Muskel-
säulchen stellt sich Q als ein stäbchenförmiges Gebilde dar, das
entweder gleichmässig blaugrau oder in der Mitte heller gefärbt
ist, an diese Stäbchen schliessen sich nach beiden Seiten die un-
gefärbten Scheiben J an: dann folgt die graugefärbte Zwischen-
scheibe (Fig. 15 und 19). Andere Stäbchen erscheinen mehr
hellgrau und enthalten in den Enden dunkelblaue Granula. Ob-
gleich die Primitivfibrillen sehr schmal sind, kann man an ihnen
doch diese einzelnen Abschnitte unterscheiden. Das Q ent-
sprechende Stäbchen enthält dann an jedem Ende ein Granulum.
Die Zwischenscheibe stellt sich als kleines Körnchen dar, von
welchem zuweilen kurze Fortsätze abtreten. Vollzieht sich an
den Muskelsäulchen eine Trennung in querer Richtung, so tritt
diese fast immer an der Stelle der Zwischenscheibe ein, sodass
sich die viereckigen Gebilde aus der blaugrau gefärbten Substanz Q,
274 Julius Arnold:
welche nach beiden Seiten von der ungefärbten Substanz J um-
säumt wird, zusammensetzen (Fig. 20). Bei stärkerer Difieren-
zierung sind auch an diesen Würfeln an der Stelle von Q dunkel-
blaue Granula wahrzunehmen. An der Zugehörigkeit dieser zu Q
kann nach ihrem ganzen Verhalten kein Zweifel aufkommen.
Von den früher beschriebenen transversalen, an der Stelle von J
gelegenen Granula unterscheiden sie sich durch ihre geringere
(srösse, ihre Lage in den Stäbchen und ihre Verbindung durch
die Substanz dieser; dazu kommt, dass ich, wie erwähnt, an
Präparaten, welche in der Bendaschen Flüssigkeit konserviert
waren, Granula an der Stelle der Scheiben J bei vollständig
isolierten Fasern nicht wahrnehmen konnte.
Sarcoplasma und Sarcosomen.
Seit Kölliker auf das Vorkommen der „interstitiellen“
Körner in den quergestreiften Muskelfasern aufmerksam gemacht
hat, ist das Sarcoplasma der Gegenstand sehr eingehender Unter-
suchungen seitens zahlreicher Forscher gewesen. Ich bin der
Zustimmung sicher, wenn ich aufeine historische Darlegung verzichte.
Es sei deshalb nur hervorgehoben, dass die granulären Gebilde
des Sarcoplasmas — die Sarcosomen — nicht nur an Präparaten,
welche nach verschiedenen Methoden konserviert und tingiert
wurden, sondern auch am frischen — lebenden und überlebenden —
Objekt nachgewiesen werden können. Besonders bemerkenswert
dünken mir die Befunde bei der vitalen und supravitalen Färbung
nach der Zufuhr von Indigkarmin t), Methylenblau und Neutral-
rot. Unerlässlich für das Studium der Sarcosomen ist die An-
wendung der Mazerationsmethode; die Form dieser Gebilde,
ihre gegenseitige Verbindung durch Fäden, die säulchenartige
und netzförmige Anordnung dieser, sowie ihre Beziehung zum
übrigen Sarcoplasma lassen sich besonders deutlich an solchen
Präparaten darlegen. Dass die Sarcosomen je nach ihrem Funktions-
zustande eine verschiedene chemische Konstitution besitzen,
geht aus ihrem wechselnden tinktoriellen Verhalten hervor.
‘) Wenn ich nicht irre, ist bei diesen Versuchen (Nr. 4) zum ersten
Mal das Vorkommen gefärbter Sarcosomen wahrgenommen worden. Später
haben Schultze, Arnstein, Mitrophanow und ich (Nr. 6) über
solche Bilder nach der vitalen Zufuhr von Methylenblau und Neutralrot
berichtet.
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 275
Die Mehrzahl der Mitteilungen bezieht sich auf das in
der Längsrichtung entsprechend den intercolumnären Räumen
angeordnete Sarkoplasma. Nachdem ich schon vor längerer
Zeit (1875) an Indigkarminpräparaten das Vorkommen trans-
versaler Körner und netzförmiger Verbindungen beobachtet hatte,
beschrieb Retzius in seinen grundlegenden Arbeiten eingehend
das Verhalten dieser transversalen Granula. Retzius (Nr. 39)
konnte an vergoldeten Muskelfasern Querfadennetze und Körner-
reihen wahrnehmen; er unterscheidet solche erster Ordnung in
der Höhe von Z, solche zweiter Ordnung auf der Höhe von M
und eine sehr feine Querkörnerreihe dritter Ordnung zwischen
Z und M. Die feinen, die Körner verbindenden Längslinien
sollen intercolumnären Häutchen entsprechen. Rollett, Schäfer
und Ramon y Cajal haben den Nachweis geführt, dass die
Querfadennetze erster Ordnung doppelt sind und zu beiden Seiten
der Grundmembran liegen; eine Anschauung, welcher Retzius
in seiner späteren Arbeit (Nr. 40) beipflichtet. Durch Heiden-
hain erfuhren diese Verhältnisse eine sehr eingehende Dar-
stellung (Nr. 24). Derselbe hat später am Herzen die Sarcoplasma-
netze eingehend beschrieben (Nr. 23). Veratti gelang es, mittelst
der Golgischen Methode ein feines „intrazelluläres“ Netz zu
färben, welches transversal gegen die Säulchen orientiert ist.
Er fand drei verschiedene Anordnungen: entweder in Form
eines einzigen queren Netzes, entsprechend der Krauseschen
Membran oder als zwei zwischen den einfach- und doppelt-
brechenden Querstreifen gelegene, den Grenzlinien dieser ent-
sprechende Netze oder endlich als ein dreifaches Netz, von
welchen das eine der Krauseschen Membran, die beiden anderen
den oben genannten entsprächen. Die Ansicht Cajals, dass diese
binnenzelligen Horizontalnetze aus den Tracheen herstammen,
weist Veratti, wie schon vor ihm Fusari, zurück. Auf die
Streitfrage, welche namentlich zwischen Prenant und Renaut
neuestens erörtert wurde, ob der Z-Streifen ein sarcoplastisches
Gebilde ist oder nicht, soll hier nicht eingegangen werden. Sehr
eingehend berichtet Holmgren über Sarcoplasma und Sarco-
somen. Ich will hier nur die Mitteilungen über die Anordnung
dieser bei den Säugetieren (Mus decumans) berücksichtigen, um
so mehr, als diese weitgehende Übereinstimmung mit den
Befunden an den gewöhnlichen thoracalen Muskelfasern der
276 Julius Arnold:
Insekten darbieten sollen. Er unterscheidet je nach der Lage
der Körner zu den Scheiben Q- und J-Körner. Die ersteren
seien zwischen den Q-Segmenten gelegen und stehen zu diesen
in innigerer Beziehung, indem ein Austausch von Material
zwischen beiden bei gewissen Kontraktionszuständen angenommen
wird. Die ‚J-Körner entsprechen den von Retzius beschriebenen
und liegen jederseits der Grundmembran. Bei den roten
Muskelfasern hat Holmgren diese Körner vermisst. An
Chromsilberpräparaten erhalte man binnenzellige Fadennetze,
welche den trachealen Endnetzen der gewöhnilchen Thorax-
muskeln in so hohem Grade ähneln sollen, dass man sie mit den
letztgenannten als morphologisch identisch ansehen müsse. Dies
gelte nur für die weissen, nicht für die roten Muskelfasern, deren
binnenzelligen Fadennetze mehr denjenigen der „fibrillären“
Flügelmuskeln gleichkämen. Durch fädige Gebilde soll eine
strukturelle Kontinuität zwischen den die Muskelfasern um-
spinnenden Gefässen, dem Sarcolemma und den binnenzelligen
Netzen (Trophospongien) hergestellt werden. Ferner erörtert
Holmgren unter Hinweis auf die Injektionsresultate von
Nystroem noch die Frage, inwieweit diese Gebilde als solid
oder hohl anzusehen seien. In der auf diesen Gegenstand sich
beziehenden Anmerkung äussert er sich wörtlich: „Meine Tropho-
spongienlehre lautet so, dass grössere und kleinere Teile eines
ursprünglich durchaus protoplasmatischen Fadennetzes vertlüssigt
werden und dadurch in kanälchenartige Gebilde umgestaltet
werden können.“ In einer späteren Arbeit schildert Holmgren
das Verhalten der Q-Körner und J-Körner bei der Kontraktion
und die Beziehung der letzteren zu den Trophospongien.
Was die funktionelle Rolle des Sarcoplasma anbelangt, so
haben Carnoy, wehuchten, Melland, Marshall, Ramon
y Cajal die retikulierte Substanz als das Kontraktile, die Fibrillen
als Kunstprodukte angesehen. Die Mehrzahl der Forscher ver-
lest dagegen in das Sarcoplasma die Stoffwechselvorgänge. In
meiner ersten Mitteilung (Nr. 4) habe ich schon auf Grund der
Befunde bei der vitalen Indigkarminfärbung die letztere Anschauung
vertreten. — Die über die Morphologie des Glykogens oben
mitgeteilten Tatsachen sind meines Erachtens geeignet, die Be-
ziehung des Sarcoplasmas und der Sarcosomen zu den Stofi-
wechselvorgängen darzutun. Sowohl die in longitudinaler Richtung
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. aT7T
angeordneten, zwischen Q gelegenen, sowie die zu beiden Seiten
von Z gelegenen J-Granula enthalten Glykogen, ebenso die aus
(Granula sich zusammensetzenden Fadennetze. Die Bilder boten
insofern Verschiedenheiten dar, als die intercolumnären Glykogen-
ansammlungen je nach dem Ernährungs- und Kontraktions-
zustand der Fasern bald spärlich, bald sehr ausgiebig vorhanden
waren. Auch die in transversaler Richtung entsprechend -J an-
geordneten Glykogenablagerungen erschienen bald als diskrete,
auf beiden Seiten von Z in gleichen Abständen von diesen auf-
gestellte Granula, bald als dichtere Granulaanhäufungen, welche
7, dasselbe manchmal verdeckend, näher rückten oder in der
ganzen breite von J sich ausdehnten. Eine Färbung von Z
habe ich an Glykogenpräparaten nicht wahrgenommen; wenn die
gefärbten Granula Z erreichen, kann eine solche vorgetäuscht
werden; auch an der Stelle der Segmente Q habe ich eine
Glykogenfärbung niemals beobachtet. Es kann demnach über
die sarcoplastische Natur der longitudinalen Körner (W) und der
transversalen Körner (J) ein Zweifel nicht bestehen; sie dienen
beide den gleichen Stofiwechselvorgängen. Bei gewissen
Kontraktionszuständen ist es schwierig zu sagen, ob es sich um
()-Körner oder J-Körner handelt, weil die letzteren. welche an
den Ecken der Vierecke () liegen, diesen sich anlegen und so
in die Intercolumnärräume hineinreichen. Überhaupt lehren die
(lykogenpräparate, dass die Anordnung der Glykogengranula und
Netze bei den Muskelfasern der gleichen Tiergattung und des
gleichen Tieres je nach Funktions- und Kontraktionszustand eine
sehr wechselnde ist. Weitere Untersuchungen müssen lehren,
ob in dieser Hinsicht für einzelne Tiergattungen charakteristische
morphologische Verschiedenheiten sich ergeben. Ich muss noch
hervorheben, dass die Granula J dieser Scheibe wahrscheinlich nur
aufgelagert sind, wie übrigensschon Retzius, Heidenhain u.a.
erwähnt haben; darauf weist schon ihre je nach Glykogengehalt
wechselnde Lagerung hin.
Wie die Befunde an Glykogenpräparaten lehren, ist das
sarcoplastische Netz mit seinen Granula homolog den an den
Leberzellen und Knorpelzellen beschriebenen Netzfiguren. Von
einem durch das Sarcolemma kontinuierlich sich erstreckenden
Zusammenhang zwischen diesen sarcoplastischen binnenzelligen
Netzfiguren mit ausserhalb gelegenen. sowie von solchen durch
278 Julius Arnold:
Fäden vermittelten Beziehungen (Holmgren) zu Blut- und Lymph-
gefässen konnte ich mich ebensowenig wie an den Leberzellen
überzeugen und deshalb diesem wesentlichen Teil der Tropho-
spongienlehre nicht beipflichten. Es wurde oben nachgewiesen, in
welcher Weise solche Bilder vorgetäuscht werden können.
Myofibrillen, Myokonten und Myosomen.
Auf die Geschichte der heute noch nicht endgültig ent-
schiedenen Frage, ob die Fibrillen oder Fleischteilchen bezw.
Muskelkästchen als die eigentlichen Elemente der quergestreiften
Muskelfasern anzusehen sind, will ich nicht eingehen, vielmehr
mich damit begnügen, auf die gründlichen, diesen Gegenstand
betreffenden Darstellungen der Autoren, insbesondere M. Heiden-
hains, hinzuweisen. Dagegen soll der Versuch gemacht werden,
den Wert der oben geschilderten Befunde für unsere Anschauungen
über die Struktur der kontraktilen Substanz zu prüfen.
Es wurde hervorgehoben, dass wir an feinen Schnitten von
Objekten, welche in Bendascher Flüssigkeit konserviert und mit
Eisenhämatoxylin, nachträglich mit Krystallviolett tingiert worden
waren, zwei Erscheinungen begegnen: isolierten Fibrillenkomplexen
und Primitivfibrillen einerseits, isolierten viereckigen Muskel-
segmenten (Muskelkästchen) andererseits (Fig. 18—20). — Die
Muskelprimitivfibrillen (Apathy) stellen sich als feinste Fäserchen
dar. welche aus regelmässig wiederkehrenden, durch Z begrenzten
Abschnitten sich aufbauen. Diese bestehen aus einem mittleren
stabförmigen Gebilde anisotroper Substanz (Q), an dessen Enden
isotrope Schichten (J) sich anschliessen. Während diese nicht
gefärbt sind, zeigen die Stäbchen, je nach dem Grad der Differen-
zierung, bald eine gleichmässige graublaue, bald in der Mitte
eine hellere Färbung; die Enden erscheinen dunkel tingiert. In
diesen gelingt es durch starke Differenzierung dunkle Granula
nachzuweisen. — Ich möchte die aus anisotroper Substanz be-
stehenden stäbchenförmigen Gebilde als Myokonten, die an ihren
Enden gelegenen Granula als Myosomen, den ganzen durch
7, begrenzten Abschnitt als Fibrillensegment bezeichnen. Durch An-
einanderreihung dieser in der Längsrichtung entstehen die Primitiv-
fibrillen, durch solche in der queren Richtung viereckige Figuren:
Muskelsegmente (Muskelkästchen). — Es ist sehr schwierig, sich
Zur Morphologie des Muskelglykogens ete. 279
ein Urteil darüber zu bilden, wie viele Fibrillensegmente in einem
Muskelkästchen, wie viele Primitivfibrillen zu einem Fibrillenkomplex
— Muskelsäulchen — vereinigt sind und ob in dieser Hinsicht,
wie manche (Schlater u.a.) annehmen, eine Gesetzmässigkeit oder
ein Wechsel besteht. Die sich gleichbleibende Breite der Muskel-
kästchen weist allerdings darauf hin, dass wenigstens der Fläche
nach die Zahl der Muskelfibrillen einem Wechsel möglicherweise
nicht unterworfen ist. Ein Aufschluss wäre ja nur an Quer-
schnitten zu erwarten; an diesen sind aber die Primitivfibrillen
nicht zu erkennen. — Diese Anschauungen über die Struktur
der Muskelprimitivfibrille und die Architektur der Muskelfaser
stimmen in wesentlichen Punkten mit denjenigen von M.Heiden-
hain, Kornilowitsch, Godlewsky, Schlater u.a. überein.
Der letztere äusserst sich dahin, dass die Muskelfibrille ihrer
Länge nach in gleichen Abständen voneinander histologisch
differenziert ist; sie stelle eine gleichmässig kettenartige Anord-
nung von kontraktilen Strukturelementen dar. Die Differenzierung
besteht darin, dass das Fädchen an den betreffenden Stellen zu
einem ellipsoiden Gebilde verdickt sei. welches aus zwei granula-
artigen, in gleichen Abständen voneinander metamer aneinander
gereihten Gebilden bestehen soll. Schlater kommt somit be-
trefis der Zusammensetzung der Primitivfibrille zu einer etwas
anderen Vorstellung wie Heidenhain und Kornilowitsch,
welche eine metamere Aneinanderreihung einfacher Granula an-
nehmen. Schlater sah immer, sogar wenn es auf den ersten
Blick den Anschein hatte, als wäre eine Kette von wirklichen
drehrunden Granula vorhanden, nur eine metamere Anordnung
von zu zwei vereinigten granulaartigen Gebilden. Es ist nicht
zu verkennen, dass diese Darstellung den von mir beschriebenen
stäbchenartigen als Myokonten bezeichneten Bestandteilen der
Muskelprimitivfibrille entspricht. Bezüglich der Deutung kann
ich mich Schlater nicht ganz anschliessen. Weil er diskrete
Granula auch bei der stärksten Differenzierung nicht zur Dar-
stellung bringen konnte, fasst er die Stäbchen als einheitliche
Gebilde — eine Art von Doppelgranula — auf. Bei den von mir
angewandten Methoden kann man in beiden Enden der Myo-
konten intensiv gefärbte diskrete Granula erkennen, welche in
eine viel heller gefärbte Grundsubstanz eingebettet sind. Es scheint
mir deshalb sachgemässer, die in den beiden Enden der Myo-
380 Julius Arnold:
konten gelegenen Granula als selbständige Gebilde — Myosomen') —
anzusehen; es ist mir sogar sehr wahrscheinlich, dass sie genetisch
das Primäre, die übrige Substanz der Myokonten das Secundäre
sind. Es hat mit diesen eine ähnliche Bewandtnis wie mit stab-
förmigen Gebilden in anderen Zellen, z. B. den Nierenepithelien,
welche je nach den angewandten Methoden und dem Funktions-
zustand bald als homogene Stäbchen sich darstellen. bald einen
granulären Aufbau erkennen lassen. Dass wir es in den Myo-
konten mit diskreten Granula zutun haben, lehren auch Mazerations-
präparate. In gewissen Stadien der Mazeration kommen an der
Stelle der Querscheiben deutliche Granula zum Vorschein. Mit
Rücksicht darauf hatte ich schon damals Myosomen und Sarco-
somen unterschieden. In späteren Phasen der Jodkalimazeration
ist allerdings eine Unterscheidung beider nicht mehr möglich.?)
Die Zugehörigkeit der Myosomen zu Q, wie sie namentlich an
nach Benda konservierten Präparaten sich feststellen lässt. ist
entscheidend und dadurch die Verwechslung mit Sarcosomen aus-
zuschliessen (s. 0.).
Es wurde oben berichtet, dass bei gewissen Graden der
Differenzierung in der Mitte der Scheibe () eine hellere Linie
wahrzunehmen sei, welche möglicherweise M entspräche (Fig. 18
und 20). Schlater hat eine solche Zeichnung nicht wahr-
nehmen können. Da der Kontraktionszustand und der Grad der
Differenzierung bei dem Zustandekommen solcher Bilder eine
grosse Rolle spielen, darf man in der Divergenz solcher Angaben
sachliche Widersprüche nicht erkennen.
Z stellt sich an Längsschnitten als eine ununterbrochene
Linie dar. Bei der Trennung in viereckige Muskelsegmente er-
folgt diese meistens nächst Z in der Art, dass Z nur auf der einen
Seite als Abgrenzung nachweisbar ist (Fig. 20); dass Muskel-
segmente nach zwei Seiten von Z begrenzt würden, habe ich nicht
gesehen, ebensowenig eine membranöse Begrenzung an den beiden
!) Ich vermeide absichtlich die Bezeichnung Q-Granula. Manche be-
legen mit diesem Namen die Myosomen, Holmgren eine Art von Sarco-
somen, welche zu den Muskelsäulchen in besonderer Beziehung stehen sollen.
”) Nachdem schon Altmann auf die Zusammensetzung der Fibrillen
aus Granula aufmerksam gemacht hatte, unterschied ich nach Befunden an
Mazerationspräparaten Sarcosomen und Myosomen. Als charakteristisch für
die letzteren betrachtete ich auch damals die Zugehörigkeit zu Q.
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 281
Längsseiten. An isolierten Muskelfibrillen und Muskelsegmenten
zeigt Z zuweilen entsprecherid der Trennungslinie kurze quere
Fortsätze (Fig. 19 und 20). Dass Z eine vom Sarcoplasma
abweichende Zusammensetzung besitzt, geht daraus hervor, dass
es an Glykogenpräparaten, auch wenn die benachbarten trans-
versalen Granula J intensiv tingiert sind, ungefärbt erscheint.
An der Stelle von Z trifft man manchmal vereinzelte Granula;
dagegen konnte ich mich von einer granulären Zusammensetzung,
wie manche Autoren angeben, nicht überzeugen; selbstverständ-
lich ohne eine solche Möglichkeit in Abrede stellen zu wollen.
Erwähnen muss ich noch, dass Z an Präparaten, welche nach
Benda konserviert, sowie mit Eisenhämatoxylin und Krystall-
violett gefärbt wurden, einen ähnlichen Farbenton besitzt. wie
(); meines Erachtens ist man aber nicht berechtigt, daraus auf
eine ähnliche Zusammensetzung zu schliessen. Wenn es richtig
ist, dass Z zum Sarcolemma in Beziehung steht, so möchte
man viel eher vermuten, dass Z die Bedeutung eines elastisch
membranösen Gebildes zukommt.
Über die morphologischen und biologischen Eigenschaften
der isotropen Substanz J erhielt ich keine Aufschlüsse. Aus ihrem
Verhalten bei der Glykogenreaktion — wie erwähnt wurde, färbt
sie sich gleichmässig hellrot — darf wohl auf eine Zugehörigkeit
zum Sarcoplasma kaum geschlossen werden.
Welche Vorstellung soll man sich über die Struktur der
kontraktilen Substanz — des Myoplasmas — machen, sind die
Muskelfibrillen oder die Muskelsegmente (Muskelkästchen) das
eigentliche Element und ist eine solche Fragestellung überhaupt
sachlich berechtigt ?
Wie längst bekannt ist und wie auch oben berichtet wurde,
erfolgt unter verschiedenen Bedingungen eine Isolierung den
intercolumnären Räumen entlang in Fibrillenkomplexe (Muskel-
säulchen) und den interfibrillären Räumen entsprechend in
Primitivfibrillen. Wie schon Heidenhain betont, können die
Fibrillen in gewissen Phasen der Färbung und Differenzierung
gleichmässig gefärbt sein, in späteren Stadien dieser zeigt sich
jede Fibrille aus regelmässig aneinander gereihten Segmenten,
welche aus J-Q-J bestehen und durch Z begrenzt werden, zusammen-
gesetzt. ( stelltsichan den Primitivfibrillen als ein stabförmiges
(Gebilde — Myokont — dar. welches in seinem Ende je ein Plas-
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 73. 19
282 Julius Arnold:
mosoma — die Myosomen — enthält. Die an der Stelle von J
nachweisbaren Granula sind diesem nur aufgelagert und als Sarco-
somen anzusehen. — Eine Trennung kann aber auch in querer
Richtung eintreten; es entstehen dann viereckige Figuren : Muskel-
kästchen oder Muskelsegmente; sie erfolgt in der Nähe von Z,
welches das Segment gewöhnlich nur nach der einen Seite ab-
grenzt. Man muss zugestehen, dass gegen die Muskelkästchen
als selbständige Gebilde die Unregelmässigkeit des Trennungs-
vorganges, welcher vielmehr den Eindruck eines Bruches macht,
spricht. Gegen die Auffassung der Fibrille als einheitliches
(ebilde hat man den komplizierten Bau und die Unterbrechung
durch Z geltend gemacht. In der letzteren Hinsicht ist zu
berücksichtigen, dass von den Enden der Myokonten feine Fäden
abtreten, welche sich durch J bis Z verfolgen lassen. Ob die
Fäden Z durchsetzen oder ob die Verbindung durch ein an der
Stelle von Z gelegenes Granulum hergestellt wird, dafür konnte
ich Anhaltspunkte an meinen Objekten nicht gewinnen. — Ein
sehr wesentlicher Bestandteil der Fibrillen sind jedenfalls die
Myokonten mit den zugehörigen Myosomen. Als morphologisch
einheitlich kann man die Muskelfibrille somit nicht wohl bezeichnen ;
setzt sie sich doch aus regelmässig aneinander gereihten Segmenten
von welchen jedes einen komplizierten Bau aufweist, zu-
sammen. Das gleiche würde auch für die Muskelkästchen gelten,-
selbst wenn man ihnen eine gewisse Selbständigkeit zuerkennen
wollte. Das sind die Gründe, weshalb ich die oben angeführte
Fragestellung als sachentsprechend nicht anerkennen kann.
Die erörterten Strukturverhältnisse bieten noch ein
allgemeineres Interesse dar. Seit vielen Jahren mit der Unter-
suchung lebender, überlebender, nach verschiedenen Methoden
konservierter und tingierter, sowie in den verschiedensten
Funktionszuständen befindlicher Gewebe beschäftigt, ist es mir
gelungen, ein Tatsachenmaterial zu sammeln, das als beweisend
dafür erachtet werden darf, dass die Plasmosomen und Granula
als mit wichtigen Funktionen betraute Strukturbestandteile der
Zellen aufzufassen sind und dass sie an dem Aufbau der Fäden,
Mitome, Fibrillen und Stäbchen !), welche vielfach als die eigent-
!) Aus dem homogenen Aussehen dieser Gebilde bei der Anwendung
dieser oder jener Methode darf noch nicht geschlosssen werden, dass Plasmo-
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 285
lichen Strukturelemente angesehen wurden, wesentlichen Anteil
haben. Die Struktur nicht nur des Sarcoplasmas, sondern
auch des Myoplasmas liefert für die Richtigkeit dieser An-
schauung weitere Belege. Die Vorgänge der Assimilation von
Fett, Myelin, Eisen, Kalk, Pigment etc., wie sie in Plasmo-
somen und Granula sich abspielen, tun unzweideutig dar, dass
diese Gebilde nicht für einfache Produkte der Sekretion aus-
gegeben werden dürfen. Der Glykogengehalt der Sarcosomen
ist dafür ein weiterer Beleg. Die Myosome als Sekretions-
produkte anzusprechen, wird wohl keinerseits Neigung vorhanden
sein. —
Leitsätze.
1. Das Glykogen ist in der quergestreiften Skelettmuskulatur
des Frosches an die Sarcosomen gebunden, welche sowohl
in longitudinaler Richtung entsprechend den inter-
columnären Räumen angeordnet, als in transversaler
Richtung J aufgelagert sind.
2. Je nach dem Gehalt an Glykogen erscheinen die Sarco-
somen als diskrete Granula oder aber es entstehen netz-
förmige Figuren, welche helle ungefärbte Felder Q ein-
schliessen. Die Breite der Netzbalken wechselt je nach
dem Glykogengehalt, ebenso die Form der Maschen, je
nachdem es in longitudinaler bezw. transversaler Richtung
zur Glykogenablagerung gekommen ist oder nicht.
3. Unter dem Sarcolemma findet sich ein Netz, welches dem
Sarcoplasma der peripheren Lagen entspricht. Ein
kontinuierlicher Zusammenhang dieses peripheren Netzes
mit dem aussen das Sarcolemma umspinnenden besteht
nicht. Auch eine kontinuierliche Beziehung zu Blut-
und Lymphgefässen, welch letztere manchmal Glykogen
enthalten, liess sich nicht nachweisen (Trophospongien-
lehre).
4. Die Muskelfibrillen enthalten kein Glykogen.
somen und Granula an ihrer Zusammensetzung nicht beteiligt seien. So
selbstverständlich dies scheint, die bisherigen Erfahrungen nötigen zur
Betonung dieses Sachverhalts.
198
284
RG)
-]
10.
ImalmUSH AsEn ode
5. Wesentliche Bestandteile der Muskelprimitivfibrillen
sind stäbehenförmige Gebilde — Myokonten — und die
anihren Enden gelegenen diskreten Granula — Myosomen.
6. Von den Enden der Myokonten treten Fäden ab, welche
J durchsetzen. Ob sie durch Z sich fortsetzen, ob an
dieser Stelle ein Granulum eingeschaltet ist oder der
Verlauf der Fäden unterbrochen wird, hat sich nicht
feststellen lassen.
. Die Myokonten bilden mit JJ ein Fibrillensegment,
welches durch Z begrenzt wird.
S. Durch Aneinanderreihen solcher Segmente in der Längs-
richtung entstehen Primitivfibrillen, in der queren
Richtung Muskelkästchen (Krause).
9. Durch Isolierung des Myoplasmas in der Richtung der
intercolumnären Räume erhält man Fibrillenkomplexe
(Muskelsäulchen). durch solche entsprechend den inter-
fibrillären Linien Primitvfibrillen (Apathy).
_
Literaturverzeichnis.
Altmann: Elementarorganismen. 1. Aufl., Leipzig 1894.
Arnstein: Die Methylenblaufärbung als histologische Methode. Anat.
Anz., Bd. II, 1887.
Arnold, Julius: Über das Verhalten des Indigkarmins in lebenden
Geweben. Zentralbl. f. d. medizin. Wissensch., Nr. 51, 1875.
Derselbe: Über die Abscheidung des indigschwefelsauren Natrons im
Muskelgewebe. Virchows Arch., Bd. 71, 1878.
Derselbe: Über feinere Struktur und Architektur der Zellen (dritte
Mitteilung, Muskelgewebe). Arch. f. mikr. Anat., Bd. 52, 1898.
Derselbe: Über vitale Granulafärbung in den Knorpelzellen, Muskel-
fasern und Ganglienzellen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 55, 1901.
Apathy: Kontraktile leitende Primitivfibrille. Mitteilung. a. d. zoolog.
Stat. z. Neapel, Bd. 10, 1892.
Derselbe: Über die Muskelfasern von Ascaris ete. Zeitschr. f. wissen-
schaftl. Mikroskop., Bd. 10, 1893.
Ballowitz: Über den feineren Bau der Muskelsubstanzen. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 39, 1892.
Barfurth: Vergleich. histochem. Unters. über d. Glykogen. Arch. f.
mikr. Anat., Bd. 25, 1885.
. Cajal, Ramon y: Observat. sur la texture des fibres muscul. des
pattes etc. Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. 5, 1888.
12:
Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 285
Derselbe: Coloration par la methode d. Golgi ete. Zeitschr. f. wissen-
schaftl. Mikroskop., Bd. 7, 1890.
Derselbe: Coloration de la fibra muscul. ete. Trav. Labor. Invest. Biol.
Univ., Madrid 1905.
Carnoy: La biologie cellulaire. 1881.
Ehrlich: Frerichs über den plötzlichen Tod. Zeitschr. f. klin. Mediz.,
Bd. 6, 1883.
Fichera: Über die Verteilung des Glykogens. Zieglers Beitr., Bd. 36,
1904.
Fusari: Etude sur la structure fihres musculaires striees. Arch. ital.
d. biolog., Bd. 25, 1894.
Van Gehuchten: Etude sur la structure intime de la cellule muscu-
laire striee. La Cellul., Bd. 2, 1886.
Gierke: Physiologische u. pathologische Glykogenablagerung. Lubarsch.
Ergebn., Jahrg. 11, Abt. II, 1907.
Derselbe: Das Glykogen in der Morphologie des Zellstoffwechsels.
Zieglers Beitr., Bd. 37, 1905.
Godlewski: Die Entwicklung der Skelett- und Herzmuskelgewebe der
Säugetiere. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 60, 1902.
2. Heidenhain, M.: Beiträge zur Aufklärung des wahren Wesens der
faserförmigen Differenzierung. Anat. Anz., Bd. 16, 1899.
Derselbe: Struktur des menschlichen Herzmuskels. Anat. Anz., Bd. 20,
1901.
Derselbe: Struktur der kontraktilen Materie. Ergebn. f. Affat. u. Ent-
wicklungsgesch., Bd. VIII, 1898 u. Bd. X, 1901.
Holmgren, E.: Über Trophospongien der quergestreiften Muskelfasern
etc. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 71, 1907.
Derselbe: Über die Sarcoplasmakörner quergestreifter Muskelfasern.
Anat. Anz... Bd. 31, 1907.
30. Kölliker: Zur Kenntnis der quergestreiften Muskelfasern. Zeitschr.
f. wissenschaftl. Zool., Bd. 47, 1888.
Derselbe: Handbuch der Gewebelehre, 1888.
Kornilowitsch: Über den feineren Bau der centralen Substanz der
quergestreiften Muskulatur. Diss. Dorpat 1903, Schwalb. Jahresb.
5. Marshall: Observ. on the struct. and distribut. of striped and un-
striped musel. Quart. journ. of microscop. scienc., Vol. 28, 1888.
Melland: A simplified view of the striped musecle-fibre. Quart. journ.
of microscop. scienc., Vol. 25, 1885.
. Mitrophanow: Über Zellgranulationen. Biol. Zentralbl., Bd. 4, 1889.
Prenant: Quest. relativ. aux cellul. muscul. Arch. zoolog. experiment.,
1904.
. Derselbe: Apropos des disques N de la substanc. muscul. striee. Compt.
rend. d. 1. soc. biolog., T. 58 u. 59, 1904,05.
Renaut: Sur les disques accessoires de la zone des disques minces etc.
Compt. rend. d. 1. soc. biolog., T. 58 u. 59, 1904/05.
286 Julius Arnold:
40.
46.
47.
Retzius: Zur Kenntnis der quergestreiften Muskelfasern. Biolog. Unters.,
1881.
Derselbe: Muskelfibrillen, Sarcoplasma. Biolog. Unters., N.F. I, 1890.
. Rollett: Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskel-
fasern. I. Teil, Wiener Denkschrift, math.-naturw. Kl., Bd. 49, 1885;
II. Teil daselbst, Bd. 51, 1883.
. Derselbe: Über den Streifen N, das Sarcoplasma etc. Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. 37, 1891.
Sanches: L’appareil retieulaire de Cajal-Fusari des musc. striees.
Trav. d. Labor. d. recherch. histol. de l’Univers., T. V, Madrid 1907.
Schäfer: On the minute structure of the leg. musel. ete. Internat.
Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. VIII, 1891.
Schlater: Histologische Untersuchungen über das Muskelgewebe. Arch.
f. mikr. Anat., Bd. 66, 1905 u. Bd. 69, 1907.
Schultze, O.: Die vitale Methylenblaureaktion der Zellgranula. Anat.
Anz., Bd. II, 1887.
Veratti: Sur la fine struct. des fibr. muscul. striees. Arch. ital. biolog.,
T..37,,1902.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI und XI.
Fig.
Fig.
Fig.
1. Konservierung in 96°o Alkohol; Bestsche Glykogenfärbung,
Glykogengranula an den Polen des Kerns und auf den isotropen
Scheiben J, die Scheiben anisotroper Substanz (Q) frei von Glykogen.
2, Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1. Die isotropen Scheiben Ä
hellrosa gefärbt, auf ihnen liegen dunkelrote Glykogengranula in
regelmässigen Abständen. Q und die Zwischenscheibe (Z) sind
nicht gefärbt.
3. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; fan der Stelle der
Scheiben J zahlreiche Granula, Q ungefärbt, Z nicht zu erkennen.
4. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; in dem oberen Teil
des Bildes die gleiche Anordnung der Glykogengranula wie bei
Fig. 2, im mittleren und unteren Abschnitt Glykogengranula in den
intercolumnären Räumen.
5. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; ausser transversalen
sehr zahlreiche Glykogengranula in den intercolumnären Räumen.
-6. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; in transversaler und
longitudinaler Richtung angeordnete Glykogengranula; Anfänge
von Netzbildung.
.? und 8. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; transversale
und longitudinale Granula, Netze bildend, die hellen Felder ent-
sprechen Q.
9. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; Glykogengranula und
Anfänge von Netzbildung unter dem Sarcolemma.
Fig.
ig. 19.
Fig. 20.
20.
18.
Zur Morphologie des Muskelglykogens ete. 287
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; Querschnitt; Glykogen-
granula in den intercolumnären Räumen.
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; Querschnitt; Glykogen-
granula in den intercolumnären Räumen.
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; Querschnitt; ausgiebige
Füllung der intercolumnären Räume mit Glykogen.
Konservierung in Sublimat-Chlornatrium; Tinktion mit Eisen-
hämatoxylin. In den hellblau-grau gefärbten isotropen Scheiben (J)
dunklere Granula; Zwischenscheibe (Z) ungefärbt, ebenso Q.
Konservierung und Tinktion wie in Fig. 13; in den isotropen
Scheiben zahlreichere Granula; Zwischenscheibe nicht zu erkennen.
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 13; nachträgliche Be-
handlung mit Essigsäure; netzförmig angeordnetes Sarcoplasma.
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 13; nachträgliche Be-
handlung mit Essigsäure; unter dem Sarcolemma gelegenes Sarco-
plasmanetz: die Maschen sind etwas verzogen.
Konservierung in Bendas Flüssigkeit, Eisenhämatoxylin, Nach-
färbung mit Krystallviolett. Die Scheiben anisotroper Substanz (Q
sind graublau gefärbt, ebenso die Zwischenscheiben (Z); geschwärzte
Granula in den intercolumnären Räumen.
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 17; isolierte Muskel-
säulchen; die anisotropen Scheiben (Q) bei a gleichmässig grau-
blau gefärbt, ebenso Z; bei b in der Mitte der Scheiben Q Auf-
hellung; bei ce stärkere Aufhellung der Scheiben Q, feine Granula
— Myosomen — zu erkennen.
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 17; a ein Muskelsäulchen
mit stäbchenförmigen Myokonten; bei b werden in den Myokonten
Granula — Myosomen — kenntlich; e entspricht einer Primitiv-
fibrille und Myokonten; Z erscheint als feines Korn, von welchem
stellenweise feine Fädchen in querer Richtung abtreten: bei d
werden die in den Stäbchen gelegenen Granula wahrnehmbar,
auch hier gehen feine Fortsätze von Z ab; bei e erscheint die
Primitivfibrille von Granulareihen durchsetzt, deren Zugehörigkeit
zu den Stäbchen sehr schwierig festzustellen ist.
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 17; isolierte Muskel-
segmente (Q), bei a wird die dunkle Scheibe anisotroper Substanz (Q)
nach beiden Seiten von Scheiben isotroper Substanz (J) begrenzt;
am unteren Ende Reste von Z; bei b Aufhellung von Q in der
Mitte; bei c vier Granula in Q kenntlich, Rest von Z unten.
DD
Rn
[0 6)
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft.
Von
Dr. Otfried O. Fellner in Wien.
In fast allen Lehrbüchern und auch sonst in der Literatur
findet man die an und für sich selbstverständlich erscheinende
Bemerkung, dass die Tätigkeit des Ovariums in der Schwanger-
schaft, sowohl die eireifende als auch die sekretorische, still stehe.
Obwohl einzelne neuere Autoren dagegen Stellung nehmen, kann
sich die gegenteilige Anschauung nicht durchringen. An anderer
Stelle!) versuchte ich es, vom klinischen Standpunkt aus, den
Nachweis zu liefern, dass die sekretorische Tätigkeit nicht auf-
hört: da sich aber auch viele Autoren auf die histologischen
Befunde beziehen, das fehlende Reifen von Follikeln ins Treffen
führen, andere wieder das Gegenteil zu erweisen suchten, so habe
ich 13 Paar Ovarien Schwangerer, teils Leichen- teils Operations-
material in Serien zerlegt und durchstudiert. Es ergaben sich
folgende Befunde:
Das erste Präparat stammt von einer 2Sjährigen Frau, welche
am 16. Mai, 24 Stunden nach der normalen Entbindung, infolge einer starken
Blutung gestorben war. Die Ovarien sind gross und platt, eines (das linke)
enthält ein grösseres Corpus luteum, nebstdem wie das andere einige glasige,
andere von Blut erfüllte Cystehen Im rechten Ovar findet sich ferner ein
Corpus luteum von der Grösse 12x10 mm, das keinen Hohlraum mehr in
sich birgt. Von Blutresten ist nichts zu sehen. Das Corpus luteum der
linken Seite ist 8x10 mm gross, enthält gleichfalls keinen Hohlraum und
keine Blutungsreste. Das linke Ovarium hatte die Grösse von 18x30 mm,
das rechte ist etwas kleiner. Mikroskopisch sieht man im linken Ovar ein
sehr grosses gut erhaltenes Corpus luteum, eine Reihe von ÜÖystchen und
Corpora fibrosa. An einer scharf umschriebenen, dem Corpus luteum an-
liegenden Stelle bemerkt man grosse runde Zellen von der Grösse der Lutein-
zellen und darüber, welche Körnchen eines gelben Farbstoffes enthalten.
Das Corpus luteum selbst besteht aus grossen, gut erhaltenen wenig vakuoli-
sierten Luteinzellen, zwischen welchen sich Bindegewebe in mässiger Menge
findet. In der Mitte liegt ein verhältnismässig kleiner fibröser Kern. Sehr
geringe Blutreste.
Gut erhaltene Graffsche Follikel und Ureier in allen Grössen. An
einem Follikel mit anscheinend normalem Ei zeigen die Zellen der Tunica
3) Über die Tätigkeit des Ovariums in der Schwangerschaft. Arch.
f. Gynäk.
u
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 289
interna folgenden Befund: Sie sind grösser, mit reichlichem Protoplasma
ausgestattet, das den Farbstoff gut aufnimmt, haben rundliche Form und
scharf begrenzten Kontur. Zwischen den Zellen, die stellenweise sehr locker
nebeneinander liegen, finden sich reichlich Kapillaren. Ähnliche Befunde
sind ‚an zahlreichen anderen Follikeln aller Grössen in beiden Ovarien zu
erheben. Die Follikel enthalten hin und wieder Eier oder Eireste. Sie sind
nicht immer gleichmässig rund, sondern auch abgeplattet. Ihre Grösse über-
ragt die Grösse reifer Follikel oft um ein Beträchtliches. An den grösseren
Hohlräumen fehlt grösstenteils das Epithel. Ihre Wand wird gleichfalls
von protoplasmareichen Zellen gebildet, die mitunter eine dicke Lage bildend,
keilförmig in das übrige Gewebe hineinragen. Die Gefässe rings um das
Corpus luteum sind strotzend mit Blut gefüllt, doch ist das Blut in manchen
(refässen geronnen, in Fibrin umgewandelt. An einem Follikel ist das Ei
wohl erhalten in dem Granulosaepithel zu sehen, und scharf von diesem
Epithel getrennt liegen die mehrfach erwähnten protoplasmareichen Zellen
in dicker Lage von zahlreichen Kapillaren durchsetzt. Auf der Oberfläche
(des Peritoneums sind viele Reihen von Zellen von der Grösse und der Gestalt
der Deeiduazellen aufgelagert, teils als mehrreihiger Überzug, teils als Zotten
gelagert. Mitunter füllen sie gleichsam eine Rinne im Ovarium aus, so dass
sie mitten ins Ovarium hineinreichen und den Anschein erwecken, als ob sie
keinen Zusammenhang mit der Oberfläche hätten. Sie enthalten nicht selten
Pigment oder sind von Vakuolen durchsetzt. In einem Corpus fibrosum
ragen sternförmig Züge von Bindegewebe ins Innere, zwischen denen wieder
reichlich protoplasmahaltige Zellen zu sehen sind. Im Kern des Corpus
liegen diese zu Haufen. Die Bildung der protoplasmareichen Zellen findet
sich auch an den Corpora fibrosa jüngeren Datums. Das rechte Ovarium
enthält ein Corpus luteum, dessen Zellen weniger gut erhalten sind und das
viel Bindegewebe führt. Von einer Blutung ist nichts mehr nachweisbar.
Das zweite Präparat stammt von einer Frau, welche am 25. Mai
infolge einer frischen Endocarditis unmittelbar nach einem Abort im dritten
Monat gestorben war. Övarien platt 22 x 25 mm gross. Das linke Ovarium
enthält ein Corpus luteum von etwa Linsengrösse und dann eine grössere
kirschkerngrosse Cyste sowie einige kleinere. Im Corpus luteum fehlt ein
Hohlraum ; von Blutresten nichts zu sehen; nur in der Mitte sieht man eine
rötliche verfärbte Stelle. Das rechte Ovarium enthält gleichfalls einige
Cystchen, aber kein Corpus luteum. Mikroskopisch sieht man eine Reihe
von cystösen Gebilden, deren Wand zum grössten Teil von Tunica-Interna-
zellen, zum kleineren Teil von protoplasmahältigen Zellen gebildet ist. Die
Bildung der protoplasmahältigen Zellen ist in diesem Präparate nicht sehr
vorgeschritten. Ureier, ebenso Follikel in allen Stadien, in sehr grosser
Zahl vorhanden. Doch ist in den grösseren Follikeln das Epithel grössten-
teils abgefallen; die Tunica-Internazellen sind etwas grösser und protoplasma-
reicher als de norma. Wieder sieht man eine Reihe von Gefässen, die
thrombosiert erscheinen, die übrigen sind strotzend mit Blut gefüllt und
führen Leukozyten, die reichlich Pigment enthalten. Im linken Ovarium
sieht man ein Corpus luteum; die Zellen sind als kleiner zu bezeichnen, es
findet sich viel Bindegewebe und in der Mitte ein grosser Fibrinpfropfen.
290 Otfried O. Fellner:
Zahlreiche Blutgefässe. Im rechten Ovarium konnte ein Corpus luteum nicht
aufgefunden werden.
Das dritte Präparat stammt von einer 28jährigen Frau, welche
drei Tage nach einem Abortus im vierten Monate mit lebender Frucht an
Sepsis gestorben war. Die Ovarien sind 14 x 23 mm gross. Rechts findet
sich eine etwa linsengrosse gelblich verfärbte Stelle und eine grössere Cyste.
Die Ovarien enthalten ziemlich viele Ureier und Follikel, das rechte eine
einzige grössere Üyste, sonst nur Üorpora fibrosa. Auch hier sind die Gefässe
mitunter thrombosiert und führen reichlich mit Pigment beladene Leuko-
zyten. Einzelne Follikel sind von etwas vergrösserten protoplasmareicheren
Zellen begrenzt. Das Corpus luteum wird von Zellen gebildet, die auffallend
kleiner sind, als sonst die Luteinzellen zu sein pflegen; es ist von Binde-
gewebe stark durchsetzt. In der Mitte ein bindegewebiger Kern.
Das vierte Präparat (signiert sieben ') stammt von einer 43 jährigen
Frau, welche am 29. Mai, 10 Uhr post partum infolge eines Herzfehlers an
allen drei Klappen gestorben war. Das rechte Ovarium ist 5x 15 mm
gross. Es enthält ein grosses Corpus luteum, ohne Höhlung oder Blutkern;
es fühlt sich ziemlich hart an. Das linke Ovarium ist wesentlich kleiner und
enthält wie das rechte zahlreiche kleine Cystehen. Mikroskopisch erweisen
sich die Luteinzellen als degeneriert, zwischen ihnen reichlich Bindegewebe.
Zahlreiche kleinere und grössere Kalkkörnchen. Kein Rest der Blutung.
Ureier und Graffsche Follikel sind nicht allzu häufig zu sehen. Mitten im
Ovarium sieht man einen Haufen von Zellen, deren Kerne rundlich und
vergrössert erscheinen, die eine reichlichere Protoplasmaschicht, bei Fett-
färbung aber recht wenig Fett führen. Ausserdem sieht man ringsum
cystisch vergrösserte Follikel in beiden Ovarien, sehr grosse mehr längliche
Zellen mit reichlicherem Protoplasma, welche durch Osmium schwarz gefärbte
Fetttropfen in grösserer Zahl hauptsächlich im Protoplasma, weniger im
Kern enthalten. Bei Färbung nach Altmann findet man in den Zellen um
die erweiterten Follikel mit zugrunde gegangenen Eiern herum das Proto-
plasma, erfüllt mit schwarz gefärbten Fetttropfen von verschiedener Grösse,
und diese Fetttropfen liegen auch zwischen den Zellen. Die Kerne enthalten
teils rote, teils schwarze Granula in grosser Zahl. Das Fett lässt sich nicht
allenthalben in den Zellen, welche die Follikeleyste begrenzen, nachweisen,
sondern es findet sich stellenweise in grosser Zahl, stellenweise fehlt es voll-
ständig. Oberflächlich ist das Epithel streckenweise von sehr grossen Decidua-
zellen ersetzt, welche in vielfachen Lagen Zöttchen bilden.
Das fünfte Präparat (Ovarium VIII) stammt von einer Frau, welche
im 30. Lebensjahr im vierten Monate der Schwangerschaft an einer Polyneuritis
und Psychose gestorben war. Das rechte Ovarium war 20x22 mm gross. Das
linke 32x27 mm. Beide Ovarien enthalten zahlreiche Cystchen, das linke
ein Corpus luteum von der Grösse 15X 17 mm. Mikroskopisch besteht dasselbe
aus mässig gut erhaltenen Luteinzellen; in der Mitte findet sich altes Blut
') Einige Präparate mussten, da sie im Brutofen gelitten hatten, aus-
geschaltet werden.
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft sn!
und Fibrin. Reichliches Bindegewebe, teils in dieken Strängen, durchzieht
das Gebilde. Im rechten Ovarium sieht man ein älteres Corpus, das noch
die Entstehung aus Luteinzellen deutlich erkennen lässt, doch sind diese als
solche nicht mehr wahrnehmbar. Oberflächlich sieht man an beiden Ovarien
wieder Zotten und dicke Schichten von grossen epitheloiden Zellen, zwischen
welchen reichlich Blutgefässe verlaufen. Die Zellen füllen Rinnen in der
Oberfläche aus und reichen stellenweise tief in das Gewebe hinein (Decidua-
zellen). Ureier und Follikel sind in grosser Zahl im allen Stadien in wohl
erhaltenem Zustande anzutreffen. Ferner fallen eine grössere Anzahl von
Hohlräumen auf, die teils von mehrschichtigem Epithel bedeckt sind, teils
kein Epithel tragen, andererseits hin und wieder ein Ei oder den Rest eines
solchen enthalten. Die Hohlräume sind mitunter kugelig, mitunter aber von
unregelmässiger Form anscheinend plattgedrückt. Alle diese Hohlräume
tragen aussen eine mehrreihige Schicht von Zellen mit vergrössertem runden
Kern, welcher ein oder mehrere Kernkörperchen und zahlreiche Granula
enthält und in mit Eosin stark färbbaren Protoplasma eingebettet ist, ohne
dass scharfe Zellgrenzen mit Deutlichkeit wahrnehmbar wären. Zwischen den
Zellen finden sich reichliche stark gefüllte Kapillaren. Teils liegen die Zellen
dicht gedrängt, teils auseinander geworfen, so dass breite Spalten übrig
bleiben, die keinen Farbstoff annehmen. Dieselben Zellen findet man in
grösserer Zahl mitten im Ovarium. Auch um die Corpora fibrosa lässt sich
die Bildung der gleichen Zellen hin und wieder nachweisen. Färbung nach
van Gieson zeigt dieselbe bräunliche Färbung an den Kernen der Lutein-
zellen, wie an den Follikelzellen. Das Protoplasma färbt sich da wie dort
gelb mit einem schwachen Stich ins Rötliche. Auffallend ist in dem Ovarium
eine grössere Anzahl von thrombosierten Gefässen mit hyalin entarteter
Wandung.
Das sechste Präparat (signiert zehn) stammt von einer Frau,
welche sieben Stunden nach der normalen Entbindung an Sepsis verstorben
ist. Äusserlich war ein Corpus luteum nicht zu sehen, hingegen eine Reihe
kleinster Cystchen. Die Ovarien haben einen Durchmesser von 27x30 mm
und 20x25 mm. Sie sind durchsetzt von zahlreichen Cysten, deren Epithel
zum Teil fehlt, an deren Begrenzung einige protoplasmareichere Zellen zu
sehen sind. In manchen Schnitten ist das Bindegewebe auf ein Minimum
reduziert und sieht man nichts als zahlreiche cystische Hohlräume, von diesen
mitunter bis 20 in einem Schnitt. Ein oder die andere Cyste wird von den
protoplasmareicheren Zellen in grösserer Zahl begrenzt, Ureier und Follikel
sind in relativ grösserer Zahl nachzuweisen.
Das siebente Präparat (signiert 15) stammt von einer 19jährigen
Frau, welche seit sechs Monaten keine Periode gehabt und sich für gravid
gehalten hatte. Sie starb an feinem Herzfehler. Die Gravidität entsprach
nicht der Anamnese. Das eine Ovarium 15x32 mm enthält anscheinend kein
Corpus luteum, eine Cyste von grösseren Dimensionen, etliche kleinere, ein
grosses Corpus albicans, das andere Ovarium von gleicher Grösse, ein linsen-
grosses durchblutetes Corpus luteum und etliche ältere. Mikroskopisch findet
man in den Ovarien zahlreiche Cysten, teils mit, teils ohne Granulosaepithel
mit zugrunde gegangenem Ei. Hin und wieder sieht man etwas protoplasma-
292 Otfried O. Fellner:
reichere Zellen. Einige der Öysten sind stark durchblutet. Zumeist beobachtet
man die starke und ziemlich frische Blutung an Stelle der Granulosa und
der Theca interna. Ebenso findet sich mitten im Ovarium eine ausgebreitete
Hämorrhagie mit teils frischem Blute: die angrenzenden Zellen sind mit
dunklem Pigment beladen. Ureier finden sich in grosser Zahl, aber auch
hier sieht man häufig rote Blutkörperchen in der Eizelle. Mitten im Gewebe
bemerkt man gleichfalls Stellen, an welchen protoplasmareichere Zellen in
Haufen beisammen liegen.
Das achte Präparat (signiert 16) stammt von einer Frau, welche
Ende des vierten Schwangerschaftsmonates an Lungentuberkulose und eitriger
Mittelohrentzündung verstorben war. Linkes Ovarium 25 x 32 mm, rechtes
30x20 mm. Im linken Ovarium (II) sieht man ein sehr grosses Corpus
luteum (14x 16 mm), in dem zweiten einige offenbar ältere Corpora. Mikro-
skopisch besteht das Corpus luteum aus sehr wohl erhaltenen gut färbbaren,
scharf abgegrenzten Luteinzellen, die in der Mitte einen Rest alten Blutes
einschliessen, im anderen Ovarium ein kleines Corpus luteum mit mässig gut
erhaltenen Luteinzellen, vielem Bindegewebe und sehr geringen Blutresten.
Daneben sielit man einen plattgedrückten Hohlraum mit teils frischem, teils
altem Blute und zahlreichen luteinzellenähnlichen Zellen, die in Degeneration
begriffen zu sein scheinen. Ausserdem sieht man zahlreiche Corpora fibrosa,
hin und wieder protoplasmareichere Zellen, doch ist die Protoplasmamasse an
den einzelnen Zellen nicht so gross, als wir sie sonst zu sehen pflegen.
Cysten sind in sehr geringer Zahl vorhanden, Ureier sehr selten zu sehen.
Das neunte Präparat (signiert 17) stammt von einer Frau, welche
Ende des neunten Monats an Phosphorvergiftung verstorben ist. Das linke
Ovarium ist 25x40 mm gross, das rechte 35x 20 mm. Beide enthalten
zahlreiche Cystchen, das linke ein 15x 10 mm grosses Corpus luteum mit
Fibrinkern. Mikroskopisch besteht dasselbe aus etwas kleineren Luteinzellen,
ziemlich viel Bindegewebe. Man sieht recht viele Ureier, sehr vereinzelte
grössere Follikel, aber zahlreiche grössere Cysten mit oder ohne Granulosa-
zellen, im linken Ovarium vielfach plattgedrückt. Rings um dieselben reich-
liche Bildung von protoplasmareicheren Zellen, welche weit ins Gewebe hinaus
zumeist keilföürmig ausstrahlen. Ein nahe der Oberfläche liegender sehr
grosser Follikel ist plattgedrückt, enthält abgestossene, sehr reichliche
Granulosazellen, und ist rings von grossen protoplasmareichen Zellen umgeben.
Der gleiche Befund liegt im rechten Ovarium vor; vielleicht ist hier die
Follikelluteinzellenbildung noch stärker ausgebildet, mitunter fehlt der Hohl-
raum vollständig, so dass man einen geschlossenen Körper aus Follikellutein-
zellen vor sich hat, der grosse Ähnlichkeit mit einem kleinen Corpus luteum
besitzt. Man sieht auch Follikel mit wohlerhaltener Membrana granulosa
und Ei, ringsum beginnende Luteinzellenbildung. Bei den auf Fett gefärbten
Präparaten sieht man sowohl in den Luteinzellen als in den protoplasma-
reichen Zellen sehr viel Fetttröpfchen, nicht allein im Kern, da in kleinen
Granulis, sondern auch reichlich im Protoplasma, da mitunter in so grosser
Menge, dass das Protoplasma ganz von Fett erfüllt ist, aber auch in vielen
und grossen Tropfen zwischen den Zellen. (Die Präparate sind nach
Altmann fixiert und mit Safranin gefärbt.) Auch die zugrunde gegangenen
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 293
Ureier, vielleicht auch solche, welche ganz wohl erhalten aussehen, enthalten
Fett. Färbt man nach Altmann, so sind die Bindegewebszellen grün
gefärbt, sowohl im Protoplasma als auch im Kerne; in reichlicher Menge
sieht man zwischen den Bindegewebszellen Kerne von runder Form und der
Grösse der Leukozyten, deren Rand grün gefärbt ist, deren Kernsubstanz
den Farbstoff nicht aufnimmt und zahlreiche rot gefärbte Granula enthält.
Reichlicher vorhanden und grösser sind die Granula im Protoplasma der
protoplasmareicheren Zellen. Schliesslich sieht man Zellen, deren Kern diffus
braunrot gefärbt ist, deren Protoplasma zahlreiche rote "Tropfen von ver-
schiedener Grösse enthält, sowie zahlreiche blau gefärbte Granula. Das
gleiche Bild, nur in zarterer Form, findet sich in den Kernen. Auch zwischen
den Zellen findet man rot gefärbte Tropfen von wechselnder Grösse, noch
mehr aber zwischen den protoplasmareicheren Zellen. Bei dieser Färbung
erkennt man mit aller Deutlichkeit, dass auch mitten im anscheinend nor-
malen Bindegewebe ganz vereinzelte protoplasmareichere Zellen liegen. Bei
der Färbung nach van Gieson färben sich die protoplasmareicheren Zellen
im Protoplasma rötlich, der Kern ist bläschenförmig und enthält feine
Chromatinkörnchen. Die degenerierten Ureier färben sich rot, die Lutein-
zellen haben die gleiche Färbung wie die protoplasmareicheren Zellen,
Das zehnte Präparat (signiert 18) stammt von einer Frau,
welche im dritten Monate der Schwangorschaft an Tuberkulose gestorben
ist. Ovarien haben die Grösse von 25x40 und 30x35 mm. Es findet sich
im linken Ovarium ein grosses Corpus luteum (12x15 mm) aus gut erhaltenen
mässig grossen Luteinzellen bestehend, mit mässig reichlichem Fibrin und
einem relativ kleinen Fibrinkern, zahlreiche grosse Corpora fibrosa. Ureier und
Graffsche Follikel in grösserer Zahl. Ferner sieht man einige Cysten mit
reichlicher Bildung von protoplasmareicheren Zellen. Darunter zwei grosse
Graffsche Follikel mit noch sichtbarem Cumulus. Das andere Ovarium
enthält viele alte Corpora fibrosa und albicantia, darunter ein recht grosses
aus mehreren Stücken bestehend, in welchen sich noch Luteinzellen deutlich
nachweisen lassen. Graffsche Follikel sind in grösserer Zahl vorhanden,
unter diesen einer mit noch gut erhaltenem Cumulus und Ei und beginnender
Luteinzellenumwandlung der Theca. Auffallend ist ein grösserer langge-
streckter Körper, der zum Teil aus wohlerhaltenen, zum Teil aus zugrunde
gegangenen und in Fibrin umgewandelten Luteinzellen besteht. Ein zweiter
Körper ist aus Elementen zusammengesetzt, welche die Grösse, Form und
Anordnung von Luteinzellen haben, aus vakuolisiertem Protoplasma bestehen
und zumeist eine grössere Vakuole führen von der Grösse und der Form
eines Luteinzellenkernes. Cysten sind in mässiger Zahl vorhanden. Auch
ist die Umwandlung in Follikelluteinzellen nicht so reichlich wie sonst, hin-
gegen finden sich im Stroma zahlreiche Komplexe, in welchen die Zellen
reiches Protoplasma besitzen. Bei der Färbung nach Mallory färben sich
Luteinzellen sowohl wie die protoplasmareicheren Zellen rotviolett.
Das elfte Präparat (signiert 19) stammt von einer Frau, welche
im sechsten Monate der Schwangerschaft an Nephritis verstorben ist.
Die Ovarien sind 39x30, bezw. 30x25 mm gross; das rechte enthält ein
15x15 mm grosses Corpus luteum mit einem kleinen Fibrinkern in der
294 Otfried OÖ. Fellner:
Mitte; mikroskopisch besteht dasselbe aus in Degeneration befindlichen
Luteinzellen, sehr wenig Fibrin. Die Ovarien enthalten zahlreiche cystische
Räume, welche von protoplasmareicheren Zellen begrenzt sind. Vielfach sieht
es aus, als ob die Zellen in die Cysten hineinwuchern würden. Ureier,
Graffsche Follikeln sind in allen Stadien vorhande..
Das zwölfte Präparat (signiert 20) stammt von einer Total-
exstirpation im fünften Monate der Gravidität bei Vorhandensein von Myomen.
Das Ovarium ist 29x28 mm gross, enthält ein älteres Corpus luteum mit
kleinem Fibrinkern. Das Corpus hat die Grösse von 1x8 mm. Das Ovarium
ist von zahllosen Hohlräumen durchsetzt. Mikroskopisch erscheinen dieselben
von dicken Lagen von protoplasmareichen Zellen begrenzt. Ureier und
Follikel in allen Stadien der Entwicklung, darunter ein grösserer Follikel
mit wohlerhaltenem Ei ohne Veränderung der Luteinzellen. In den proto-
plasmareichen Luteinzellen sieht man bei der Färbung nach Altmann rote
Granula sowohl im Kern als auch im Frotoplasma; dieselben sind zumeist
klein, doch kommen im Protoplasma nicht zu selten relativ grosse
Tröpfchen vor. Im Kern sind sie mitunter so zahlreich, dass der Kern diffus
rot erscheint. Bei der Färbung auf Fett (Safranin) sieht man zahlreiche
rote, teils schwarze, teils dunkelbraune Tropfen, in grösserer Zahl und ver-
schiedener Grösse im Kern, seltener im Protoplasma.
Das dreizehnte Präparat (signiert 21) stammt von einer Frau,
welche im fünften Monate der Gravidität an Tuberkulose gestorben ist. Die
Grösse des Ovariums beträgt 27x18 mm; schon makroskopisch fällt ein grosser
verkalkter Körper auf. Mikroskopisch sieht man ein grosses Corpus luteum,
das in Verkalkung begriffen ist. Ausserdem sind einige Cysten mit geringerer
Entwicklung protoplasmareicherer Zellen zu sehen, ferner zahlreiche gut
erhaltene Ureier und Graffsche Follikel.
Das vierzehnte Präparat (signiert 22) stammt von einer Total-
exstirpation wegen Myom im vierten Monat der Gravidität. Das Ovarium
ist 26x30 mm gross, enthält ein 12x15 mm grosses Corpus luteum mit
kleinem Fibrinkern und einigen Öysten. Mikroskopisch besteht das Corpus
luteum aus wohl erhaltenen Luteinzellen, starken Bindegewebszügen, kleinen
Blutresten. Die Cysten sind von einer starken Lage wohl entwickelter
Follikelluteinzellen umgeben. Ureier, Graffsche Follikel in grösserer Zahl.
Die Befunde an den 13 Ovarien Schwangerer kurz zu-
sammenfassend, komme ich zu folgenden Ergebnissen: Nur ein-
mal, bei einer Frau, welche sieben Stunden post partum ver-
storben war, konnte ein Corpus luteum nicht aufgefunden werden.
Es stimmt dies mit den Beobachtungen von Ravano!) auch
dem Prozentsatze nach überein, da dieser in drei von 60 Fällen
keine Spur eines Corpus luteum antraf. Zwei Corpora lutea
fand ich dreimal vor, und zwar stets in jedem Ovarium eines
von verschiedenem Alter. Die beiden Corpora lutea waren zwei-
!) Archiv f. Gynäkologie. Bd. 83, Heft 3.
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 295
mal im vierten Monate und einmal am Ende der Schwangerschaft
vorhanden. Auch Ravano machte ähnliche Beobachtungen. Sonst
waren die Corpora lutea zumeist wohl erhalten, hin und wieder waren
Blutreste nachweisbar, zumeist nur Fibrin; sie machten grössten-
teils den Eindruck nicht zu alter Corpora lutea, wenn man sich
auf die von Ravano beschriebenen Bilder verlässt. Will man
aus diesen Befunden schon einen Rückschluss auf die eireifende
Tätigkeit des Ovariums ziehen, so muss man sich wohl sagen,
dass der Befund mehrerer Corpora lutea auf weitere Follikel-
reifung in der Schwangerschaft hinweist, dass ferner auch die
vorhandenen Corpora lutea durchaus den Eindruck machen, als
ob sie frisch gesprungenen Follikeln entstammten. Vielleicht ist
der Einwand möglich, dass entsprechend früherer Anschauungen
das Corpus luteum in der Gravidität sich länger erhalte. Nach
Kreis hält die Entwicklung des Corpus luteum während der
_ Gravidität bis zum dritten Monat an, im neunten Monat soll es
erst das Stadium erlangen, das sonst der dritten Woche eigen-
tümlich ist. Dies war noch zutreffend, als man mit His an-
nahm, dass das Ovarium in der Schwangerschaft hyperämisch sei,
nach Fränkel und Schulin ist dies aber nicht der Fall. Nach
meinen Befunden und nach denen anderer Autoren müsste man
dann annehmen, dass sich das Corpus luteum unter Umständen
bis zum Ende der Schwangerschaft erhalte, und zwar nahezu in
demselben Zustand, in dem es sich vor der Schwangerschaft be-
funden hat. Diese Anschauung scheint nun nicht ganz glaublich
insbesondere mit Rücksicht auf das nicht zu alte Blut und den
Fibrinpfropf; denn wenn man schon annimmt, dass die Lutein-
zellen sich so lange erhalten, so scheint es doch anatomisch
schwer verständlich, dass sich in einem Körper, welcher so
reichlich mit Blutgefässen versorgt ist, Blut und Fibrin so lange
erhält, ohne resorbiert, bezw. organisiert zu werden. Man kann
daher derlei Corpora lutea am Ende der Schwangerschaft und im
letzten Drittel, schwer auf vor längerer Zeit gesprungene Follikel
zurückführen. Und man muss wohl annehmen, dass es sich um
in der Schwangerschaft gesprungene Follikel handelt. Ja, auch
die Ansicht, dass die Corpora lutea Follikeln entstammen, die
am Anfange der Gravidität geplatzt sind, ist hinfällig. Man
müsste sonst eine gewisse Gesetzmässigkeit entsprechend dem
Alter der Gravidität beobachten; derart, dass um die Mitte der
296 Otfried ©. Fellner:
Gravidität das Corpus luteum frischer aussieht, als am Ende:
und das ist gerade nicht der Fall.
Aber man kann aus diesen Befunden auch nicht schliessen,
dass die Eireifung regelmässig stattfindet. Dagegen spricht das
Fehlen eines Corpus Juteum am Ende der Gravidität, ferner der
Umstand. dass zwischen dem Corpus luteum und den Resten
anderer, die wir vorfinden, oft ein viel grösserer Zwischenraum
liegt, als wir sonst an dem Ovarium antreffen. Ich meine, man
müsste stets neben einem frischen Corpus luteum auch ein älteres
antreffen und das trifft nicht zu. Es ergiebt sich demnach aus
diesen Befunden, ähnlich wie aus denen Ravanos, dass
Follikelreifung und Corpusluteumbildung in der
Schwangerschaft zwar öfters stattfindet, aber
jedenfalls nieht so oH' und nich a some
mässiger Weise wie ausserhalb der Schwanger-
schaft.
Lässt sich nun die Follikelreifung tatsächlich nachweisen ?
Ich konnte ebenso wie Seitz!) nicht ein einziges Mal einen ge-
borstenen oder völlig reifen Follikel beobachten. Der Reife nahe
Follikel sah ich wohl, aber auch sie waren grösstenteils nicht
normal. F. Cohn freilich fand in mehreren Ovarien während
der Gravidität sprungreife, über die Ovarienoberfläche stark hervor-
ragende, sehr grosse Follikel. neben mittleren und kleineren.
An Tierovarien wurden reifende Follikeln während der Schwanger-
schaft wiederholt gesehen. So beschreibt auch Fränkel°’) in
den Ovarien trächtiger Tiere, beispielsweise der Spitzmaus reife
Follikel.e. Kelly und Me Ilroy?) fanden bei einer Ovarial-
schwangerschaft Corpora lutea in den verschiedensten Stadien.
Meigs. Scanzoni, Depaul und Gueniot, Slaviansky,
Guzzi und Berte. Baiardi. Üosentino?) beobachteten
Follikelreifung während der Schwangerschaft. Cristalli?) giebt
an, dass bei der Hündin der Ovulationsprozess nicht stillsteht.
Aus dem negativen Befunde einer verhältnismässig kleinen Zahl
von Untersuchungen gegenüber einigen positiven Befunden darf
') Archiv f. Gynäkologie, Band 67, Heft 2.
?) Archiv f. Gynäkologie, Band 75, Heft 3.
*, Journ. of Obstetries. Mai 1906.
#) Citiert nach Ravano.
°) Atti della Soc. ital. Diss. October 1900.
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 297
man nun nicht den Schluss ziehen, dass nicht auch normale Follikel-
reifung während der Schwangerschaft hin und wieder statt hat.
Denn es liegt in der Natur der Sache, dass man solche Befunde
nur selten zu machen Gelegenheit haben kann. Was man an den
Follikeln regelmässig beobachtet, ist die zuerst von Koelliker
beschriebene Luteinzellen ähnliche Bildung in der Theca interna.
Dass diese Zellen aus den Thecazellen herstammen, wurde bereits
von Wallart, der als erster in ausführlicher Weise über diese
Zellen!) schrieb, erkannt. Seitz sah sie in 36 Fällen; sie
zeigen sich bereits im zweiten Monat der Schwangerschaft; ihre
Bildung dauert bis zum Ende des zehnten Monats oder den ersten
Tagen des Wochenbetts an. Doch möchte ich sie, um allen Miss-
verständnissen auszuweichen, als von den als Körnerzellen
bekannten Zellen ableiten. Die Umwandlung der Theca in diese
Zellen scheint schon sehr frühzeitig stattzufinden, man sielit sie
bereits im dritten Monate rings um alle Follikel; eine gesetz-
mässige Zunahme mit dem Alter der Gravidität ist nicht ein-
wandsfrei zu erkennen. Es scheint vielmehr die Bildung der
Zellen von anderen Momenten abhängig zu sein, und verweise
ich insbesondere darauf, dass die Bildung der Luteinzellen be-
sonders stark in den beiden Fällen von Myom aus dem vierten
und fünften Monate und von Nephritis aus dem sechsten Monate
war. In diesen Fällen bestand die Schicht aus fünf bis sechs
Reihen, mitunter auch aus mehr Reihen von Zellen, sie war um
alle Follikel entwickelt und reichte an den Polen weit in das
(rewebe hinein.
Ich möchte, um hinsichtlich der Abstammung der Zellen
nichts zu präjudizieren, die Zellen nicht als 'T'heca-Luteinzellen
bezeichnen, wie es die meisten Autoren tun, schon deshalb nicht,
weil ja eine Reihe von Autoren die echten Luteinzellen auch als
Thecaluteinzellen auftassen und schlage daher den Namen Follikel-
luteinzellen vor. Ob diese Zellen sekretorische Funktion
haben oder nicht, darüber wogt noch der Streit. Fränkel vor
allen, der in einer überaus fleissigen und sorgfältigen Arbeit dem
Wesen der Zellen nachgespürt hat, spricht sich, trotzdem die
Bedeutung dieser Zellen schon aus dem steten Befunde an vielen
Tierspezies hervorgehen würde, mit aller Entschiedenheit gegen
die sekretorische Funktion aus. Das Vorkommen von Tröpfchen,
!) Archiv f. Gynäkologie, Band 81, Heft 2.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 20
298 Otfried O. Fellner:
Fettkörnchen und anderer Vakuolen ist sicher, doch scheinen
diese Einflüsse auch bei zweckmässiger Behandlung des Objektes
häufig zu fehlen, meint Fränkel. Beim Menschen und beim
Kaninchen wenigstens sah ich diese Protoplasma- und Kern-
eigentümlichkeiten nie fehlen. Und wenn Fränkel dies mitunter
beobachtete, so mag dies vielleicht mit dem Sekretionszustande
zusammenhängen, und möchte ich daraus eher ein Pro als ein
Contra hinsichtlich der Sekretionsmöglichkeit entnehmen. Aus
meinen obigen Beschreibungen ersieht man, dass sich nebst den
reichlichen Fetttröpfchen, die sich in grösseren Formen am Rande
des Protoplasmas und im Zwischengewebe finden, auch noch
reichlich nach Altmann sich färbende Granula von verschiedener
(Grösse nachweisen lassen, und dass man mit aller Deutlichkeit
die allmähliche Grössenzunahme derselben gegen die Peripherie
zu beobachten kann. Es ist richtig, dass sich das osmierte Fett
bei Berührung mit Xylol auflöst, dass es sich also um ein
lecithinähnliches Produkt handelt, doch sah ich nebstdem auch
Fetttröpfehen, die dem Xylol standhielten. Kurzum, die Ähnlich-
keit mit den Sekretionsprodukten der echten Luteinzellen ist
eine sehr grosse. Auch die Anordnung, die reichliche Versorgung
mit Blutgefässen ist die gleiche, und wenn der histologische
Befund an den Luteinzellen genügte, um an eine innere Sekretion
zu glauben, so muss das gleiche auch für die Follikelluteinzellen
gelten. Regaud und Policard') betonten die Sekretions-
erscheinungen (nach W eigert sich färbende Sekrettropfen) an den
Internazellen, nachdem bereits Born und später Tourneux')
gelbe Körnchen in den interstitiellen Zellen nachgewiesen hatten.
Auch die reichliche Versorgung mit Kapillaren, welche gleichfalls
von vielen Autoren hervorgehoben wurde, und die ich bestätigen
kann, spricht für eine innersekretorische Funktion. Auffallend ist
auch, dass die in Müllerscher Flüssigkeit fixierten und mit
Cochenillealaun gefärbten Präparate das Protoplasma der Zellen
schmutziggelb bis dunkelbraun erscheinen lassen. Zellgrenzen
sind hier nicht nachweisbar. Fränkel führt dagegen zunächst
an, dass ein Unterschied zwischen dem graviden und nicht
graviden Tiere nicht bestehe. In Bezug auf das Kaninchen
kann ich das nicht bestätigen. Hier sind die Zellen in der
!) Comptes rend. de l’Association des Anatomistes, 1901.
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 2)
Schwangerschaft entschieden grösser, die Kerne viel runder und
auch grösser als im normalen Zustand. Auch macht es den
Eindruck — doch lässt sich das nicht mit Sicherheit erweisen, —
als ob die Zahl der Zellen eine grössere wäre, doch muss man
zum Vergleich ein Ovar von einem Kaninchen nehmen, das noch
nicht trächtig war; denn die Kaninchen mit ihren rasch aufeinander-
folgenden Trächtigkeiten geben bei einem zufälligen Intervall
kein geeignetes Vergleichsobjekt. Auch müsste man der Brunst-
zeit aus dem Wege gehen. Fränkel meint ferner, dass nicht
die Spur einer Ähnlichkeit zwischen den Luteinzellen und diesen
Zellen besteht. Demgegenüber weisen viele Autoren auf die
häufigen Verwechselungen hin, und ich möchte meinen, dass
zwischen den beiden Zellen zumeist nur der Unterschied besteht,
dass die Follikelluteinzellen kleiner sind, doch sah ich eben so
häufig sichere Follikelluteinzellen von der Grösse von Lutein-
zellen, wie Luteinzellen in der Grösse von Follikelluteinzellen.
/um Schlusse meint Fränkel, dass diesem Gewebe unmöglich
eine grössere Rolle und wichtige Funktion zukomme. Dem-
gegenüber möchte ich auf meine gemeinsam mit F. Neumann!)
durchgeführten Versuche hinweisen, die ergaben, dass durch die
isolierte Bestrahlung der Eierstöcke eine starke Degeneration der
Follikelluteumzellen beim Kaninchen eintritt, und dass diese regel-
mässig mit dem Rückgange der Trächtigkeit verbunden ist. Ganz
abgesehen davon, dass die Veränderungen am Corpus luteum
keine allzu ausgesprochenen waren, dass von einer vollkommenen
Degeneration des Corpus luteum nicht die Rede war, spricht
für die Annahme, dass der Rückgang der Trächtigkeit mit der
Degeneration der Follikelluteinzellen im Zusammenhange zu
bringen ist, gerade die Erfahrung Fränkels, dass der Einfluss
des Corpus luteum auf die Eieinbettung nach acht Tagen auf-
hört, während wir für gewöhnlich erst am achten Tage zum
ersten Mal röntgenisierten. Es kann daher von einer Bedeutungs-
losigkeit dieser Zellen nicht die Rede sein, und es sprechen
gerade diese Versuche mit einiger Wahrscheinlichkeit dafür, dass
die Follikelluteinzellen tatsächlich sezernieren, und dass diese
Sekretion für den Fortbestand der Gravidität von grösster
1) 0. 0. Fellner und F. Neumann. Der Einfluss der Röntgen-
strahlen auf die Eierstöcke trächtiger Kaninchen und auf die Trächtigkeit.
Zeitschr. f. Heilkunde, Bd. 28, Heft 7.
20*
300 Otfried O. Fellner:
Bedeutung ist. Im Zusammenhang aber mit all den Ergebnissen,
welche an anderer Stelle ausgeführt werden, wird diese Wahr-
scheinlichkeit zur Gewissheit. Seitz und andere weisen auch
die innersekretorische Tätigkeit dieser Zellen zurück und betonen
die Unterschiede gegenüber den Luteinzellen. Die ersteren ent-
halten, wie auch Simon angibt, Einschlüsse, die sich mit Osmium
färben, aber bei Berührung mit Xylol sich wieder lösen. Dadurch
und durch den Mangel an Lutein unterscheiden sie sich von den
Zellen des gelben Körpers. Erstere finden sich auch in den
echten Luteinzellen, und was das Lutein betrifft, so ist dies
reichlich auch in den epitheloiden Zellen vorhanden, wie Seitz
an anderer Stelle zugibt. Da wir es mit Sekretionsprodukten zu
tun haben, wobei jedoch von einer Stelle zur anderen sicherlich
eine chemische Umwandlung. erfolgt und andererseits das Produkt
je nach der Sekretionsepoche chemische Verschiedenheit zeigen
muss, so darf auf solche Verschiedenheiten nicht das Schwer-
gewicht gelegt werden. Ich meine, dass das histologische Bild
der Sekretion, der Befund von Lutein und luteinähnlichen
Produkten in den und um die Zellen, die morphologische Ähnlich-
keit, mit grösster Wahrscheinlichkeit für eine qualitativ
gleichartige Sekretion der Follikelluteinzellen spricht.
Noch ein Moment wird merkwürdigerweise gegen die Sekretions-
möglichkeit und die morphologische Ähnlichkeit ins Treffen
geführt, und das ist die Abstammung der Zellen. Dass die
Follikelluteinzellen nicht aus den Granulosazellen entstehen, ist
auf den ersten Blick klar. Sieht man doch alle Zwischen-
stufen zwischen den Körnerzellen und den Follikelluteinzellen
und ferner strenge Abscheidung zwischen diesen Zellen und den
degenerierenden, abfallenden Granulosazellen. Ich sah ferner
Follikel, wo das Ei und die Granulosazellen ganz normal aus-
sahen, und in der Theca interna nur hin und wieder eine proto-
plasmareichere Körnerzelle vorkam. Nun sollte man meinen,
dass nicht die sichere Abstammung einer Zellart im Zusammen-
hang mit der nicht sicheren Abstammung einer gleichen Zellart
aus anderen Zellen den Anlass gibt, eine Verschiedenheit beider
Zellarten anzunehmen, sondern dass vielmehr der Schluss gezogen
wird, dass auch die andere Zellart, also die echten Luteinzellen,
nicht aus Granulosazellen (Bischoff, Pflüger, Sobotta,
Pfannenstiel, Waldeyer, Polano), sondern aus Theca-
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 301
körnerzellen entstehen. Dies um so mehr, als es trotz des
bewundernswerten Fleisses Sobottas diesem nicht gelungen
ist, einen grossen Teil der Untersucher zu überzeugen.
Es scheint also die sekretorische Tätigkeit des Ovariums
zum Teil an die Tätigkeit dieser Körnerzellen gebunden zu sein,
ähnlich, wie man neuerer Zeit auch den interstitiellen Zellen des
Hodens eine solche Funktion zuschreibt. Leydig') hat als erster
auf die Anwesenheit von Fett im Hoden hingewiesen; seitdem
hat eine Reihe von Autoren diesen Befund in den interstitiellen
Zellen bestätigt, und von Thaler”) wurden in sehr sorgfältiger
Weise die Einzelheiten über das Vorkommen von Fett im Hoden
erhoben. Schäfer hat die volle Analogie der interstitiellen
Zellen des Hodens und der hier in Betracht kommenden Zellen
erwiesen. Nach den Untersuchungen von Bouin und Ancel’)
kommt auch den interstitiellen Zellen des Hodens eine sekretorische
jedeutung zu.
Dass die Bildung der Zellen nicht allein auf Neigung aller
möglichen Zellen luteinartige Beschaffenheit anzunehmen beruht,
und dem vermehrten Blutzufluss ihre Entstehung verdankt, wie
Fränkel meint, dafür spricht auch das Auftreten von Mitosen,
dieRabl, Wallart®), Seitz, Simon, F. Cohn u. A. beobachtet
haben, die natürlich auch ich vorfand, Fränkel fand sie nur
vereinzelt. Es handelt sich demnach um ein selbständiges. sich
stetig vermehrendes Gewebe.
Dasselbe kommt nun, wie ich bereits oben bemerkt habe,
und ebenso andere Beobachter schon angeführt haben, auch an
anscheinend ganz normalen Follikeln vor; es scheint also die
Bildung der Zellen das Primäre, das Zugrundegehen der
Follikel das Sekundäre zu sein: Zugrundegehen des Eies, Er-
weiterungen der Follikelhöhle, Chromatolyse der Granulosazellen
(Flemming), Abfallen, Auflösen derselben; mitunter hält sich
der degenerierte Eirest noch längere Zeit, mitunter bleiben noch
eine oder zwei Lagen Granulosazellen bestehen. Das Ende ist
die Bildung einer grösseren oder kleineren Cyste, die schliesslich
von der Umgebung abgeplattet wird. Nicht zu selten wird der
!) Zeitschr. f. Zoologie, Bd. 2, 850.
”) Beiträge zur pathologischen Anatomie. Bd. 36, 1904.
3, Comptes rendues de l’Acad. des Sciences de Paris. Januar 07.
*#) Zeitschr. f. Geb., Bd. 53.
302 Otfried ©. Fellner:
Follikelinhalt doch resorbiert, und man sieht ein mandelförmiges
(sebilde mit schmalem Spalt, starker Luteinzellenwucherung;
diese Bildung kann schliesslich den Eindruck eines kleineren
Corpus luteum machen. Aus alledem geht hervor, dass die
Bildung und Vermehrung dieser Follikelluteinzellen zur Degene-
ration der Bier führt. Dies könnte darauf beruhen, dass die
zu Follikelluteinzellen hypertrophierenden Körnerzellen den
(sranulosazellen den Nährstoff entziehen, was entsprechend der
sehr berechtigten Annahme einzelner Autoren, dass die Granulosa-
zellen das Ei ernähren, einigermaßen einleuchtend erscheint. Das
Zugrundegehen der Follikel geht aber mit einer Vermehrung der
Follikeltlüssigkeit einher. Diese kann in normalem Zustande nur
von den Granulosazellen geliefert werden. Wir hätten also eine
Vermehrung der Flüssigkeit bei Zugrundegehen der Granulosa-
zellen, was nicht recht glaublich erscheint. Wir kommen also
auf diesem Wege zu der Annahme, dass die vermehrte Flüssigkeits-
menge von den Körnerzellen auf dem Wege der Sekretion ge-
liefert wird, und müssen ferner annehmen, dass diese schädigend
auf das Ei oder das Follikelepithel wirkt. Der Vorgang würde sich
also vielleicht so abspielen, dass es infolge derSchwanger-
schaft zu einer Hypertrophie — Arbeitshypertrophie —
verstärkten Sekretion der Körnerzellen, ins-
besondere in der Theca interna kommt, welche
Sekretion zunächst Hydrops der Follikel und Zu-
grundegehen des Eies und der Granulosazellen
zur Folge hat.
Diese Hypertrophie befällt allmählich fast alle wachsenden
Follikel und ist wohl die Ursache, warum es selten zur Bildung
eines sprungreifen Follikels und eines alten Corpus luteum kommt.
Da aber andererseits nicht alle grösseren Follikel von der Lutein-
zellbildung betroffen werden und wir, wie ich im Einzelnen näher
ausgeführt habe, ganz normale grössere Follikel beobachten, so
ist es klar, dass mitunter ein Follikel reifen und platzen kann,
und dass sich ein normales Corpus luteum bildet. Sahen wir
doch in allen Ovarien Ureier und Follikel in normaler Zahl und
in allen Stadien. Seitz sucht diese supposierte Weiterentwicklung
der Follikel zu beweisen, indem er sagt: „Bereits in dem achten
Monate verfällt eine Anzahl der Follikel der Atresie. Der Vorrat
an grösseren Follikeln würde nun alsbald aufgebraucht sein, wenn
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 303
nicht neue heranwachsen würden“. Dem ist unbedingt zuzustimmen.
Wir sahen in den späteren Monaten ganz normale grössere Follikel ;
wären diese schon früher vorhanden gewesen, so wären sie längst
der Atresie anheimgefallen; sie müssen also eben erst heran-
gewachsen sein.
Auffallend ist, dass die alten Corpora fibrosa und albicantia
nicht von Follikelluteinzellen umgeben sind. Worauf mag dies
beruhen? Hängt dies von der Blutversorgung ab? Ich glaube
kaum. Auch diese Corpora sind von einem Kranz von Gefässen
umgeben, und aus den Untersuchungen von Sohma!) wissen wir,
wie sich in dem alten stark gedehnten Gefässrohr ein kleineres
neues bildet. Aber das Material zur Bildung der Follikellutein-
zellen fehlt; denn es wurde zur Bildung der Luteinzellen ver-
braucht. So kommen wir auf einem anderen Wege auch zu der
Ansicht, dass die Luteinzellen aus den Körnerzellen hervorgehen.
Was aber nicht Corpus albicans oder fibrosum ist, was
also noch eine Theca interna besitzt, entartet
zum grössten Teile cystisch; und so sehen wir in den
graviden Ovarien zahlreiche Uysten, die sich wohl nach der
Schwangerschaft rückbilden, da wir sie de norma an Ovarlien
nicht finden. Im übrigen hat dieses Zurückgehen der Üysten-
bildung nichts besonderes mehr an sich, da die Tatsache von den
Blasenmolen her bekannt ist (Gouillard)?).
Erwähnen möchte ich noch die starke Deeiduabildung auf
der Oberfläche des Ovariums im Falle 1 und 4, also in zwei
Fällen von ausgetragener Gravidität. Ebenso wie Hörmann’),
sah ich tiefes Eindringen in das Ovarium, die Bildung von ober-
tlächlichen Knötchen, zwei- und dreikernige Zellen, sowie Riesen-
zellen und Syneytien. Zwischen den Zellen häufig Bindegewebe.
Von grösserem Interesse ist Fall 7. Die 19jährige Frau
erlag einem Herzfehler, und hielt sich für schwanger, da sie seit
sechs Monaten keine Periode gehabt hatte. Trotzdem fand ich
ein nicht altes Corpus luteum, Ureier und Follikel in grösserer
Zahl. Die Frau hatte also ovuliert, aber doch nicht menstruiert
d. h. nach aussen geblutet; wohl aber fanden sich starke Blutungen
!) Arch. f. Gynäkol. Bd. 84, Heft 2.
*), Rev. de gynec. 1907.
®) Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Morphologie. 1906.
304 Otfried ©. Fellner:
im ÖOvarium, und im Gewebe protoplasmareichere Zellen. Wir
können also annehmen, dass neben der Ovulation auch eine interne
Sekretion stattgefunden hat. Die Blutung erfolgt nicht aus dem
Uterus, sondern ins Ovarium. Vielleicht ist der Herzfehler daran
schuld und verhinderte die Blutung ins Ovarium, die Blutung
nach aussen. Fine einwandsfreie Deutung dieses interessanten
Falles ist schwer zu geben.
Betonen möchte ich noch die Einlagerung von Fett in den
Bindegewebszellen, wie sie auch Plato, His und Pflüger be-
schrieben haben. Auch sei der Befund von Granula (Altmann)
in den Zellen, freilich in geringer Menge, hervorgehoben.
Kurz zusammengefasst ergiebt sich also aus diesen Befunden,
dass in der Schwangerschaft zwar eine Reifung der
Follikel statt hat, dass aber nur wenige bis zur
vollen Reife gelangen, dass vielmehr infolge der Hyper-
trophie der Körnerzellen in der Theca interna und deren stärkerer
Sekretion, sei es infolge des Umstandes, dass dem Ei der Nähr-
stoff entzogen wird, sei es, was wichtiger zu sein scheint, dass
die Sekretion dieser Zellen das Ei schädigt, die Eier, wenn
sie eine gewisse Grösse erlangt haben, zumeist
zugrunde gehen, die Follikelepithelien abfallen und es
schliesslich entweder zur cystischen Erweiterung
der Follikelhöhle oder zur Resorption und zur Verödung
der Follikelhöhlle kommt. Den Follikelluteinzellen,
welche sich auf diese Art bilden, ist ebenso, wie den mitunter
im Innern des Ovariums auftretenden hyperplastischen Körner-
zellen eine innersekretorische Funktion zuzuschreiben,
und zwar scheint dieselbe eine grosse Ähnlichkeit mit jener der
echten Luteinzellen zu haben. Über die Bedeutung dieser Sekretion
soll an anderer Stelle abgehandelt werden.
Es kann demnach vom histologischen Stand-
punkte aus von einem Stillstand der Tätigkeit
des Ovariumsin der Schwangerschaft keine Rede
sein, die Follikelreifung ist zwar behindert, aber die inner-
sekretorische Funktion dauert nicht allein an, sondern
ist sogar verstärkt.
Dass diese starke Ausbildung der Luteinzellen einer ver-
stärkten Sekretion des Övariums entspricht, und dass die Schwanger-
Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 305
schaft tatsächlich erhöhte Aufgaben an das Ovarium stellt, das
suche ich in einer anderen Arbeit!) nachzuweisen. Es sei hier
nur kurz darauf hingewiesen.
Herrn Hofrat Professor Weichselbaum sei für die freund-
liche Überlassung eines Teiles des verwendeten Materials der
wärmste Dank ausgesprochen.
') Über die Tätigkeit des Ovariums in der Schwangerschaft. Arch.
f. Gynäkol.
Aus dem pathologischen Museum der Universität Berlin.
Das Zentralnervensystem der Cetaceen.
ll. Die Medulla oblongata von Phocaena communis (Cuv.) Less.
und Balaenoptera rostrata Fabr.
Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Morphologie der Oblongata
der Säuger.
Von
Bernhard Rawitz, Berlin.
Zweite Hälfte.
Hierzu Tafel XIII, XIV u. XV.
Inhalt.
4. Ruminantia.
a) Ovis aries L.
b) Bos taurus L.
5. Perissodactyla.
Equus caballus L.
6. Carnivora.
a) Canis familiaris L.
b) Felis domestica L.
7. Rodentia.
Lepus cuniculus L.
8. Insectivora.
a) Erinaceus europaeus L.
b) Talpa europaea L.
9. Chiroptera.
Vespertilio murinus Schreb.
10. Prosimii.
a) Lemur varius L.
b) Lemur mongoz L.
11. Pitheci.
Macacus rhesus Wagn.
12. Homo sapiens L.
B. Allgemeine Betrachtungen.
1. Das Oblongata-Problem.
2. Die Nerven der Oblongata.
Figurenerklärung.
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 307
4. Ruminantia.
a) Ovis aries L.
Mein Material beginnt bei dieser Spezies mit der bereits
vorhandenen Pyramidenkreuzung. Diese stellt sich hier als ein
schmaler Streifen dar, welcher in der Medianebene an den einander
zugekehrten Flächen der ventralen Stränge gelegen ist. Sie ver-
breitert sich rasch, ohne jedoch jemals keilförmige Gestalt zu
erlangen, und schlägt sich über die Peripherie der ventralen
Stränge über. Unstreitig muss dadurch, dass die Pyramiden-
kreuzung sich dem medialen Rand der ventralen Stränge auflegt,
auf letztere ein Einfluss ausgeübt werden. Indessen kann dies
wegen der Zartheit der Kreuzung nur ein geringer sein. Er kann
meines Dafürhaltens nicht darin bestehen, dass die Stränge und
mit ihnen die übrigen Markpartien auseinander gedrängt werden,
sondern er kann sich nur darin äussern, dass die Nervenbündel
der Stränge sich etwas enger aneinander legen müssen. Die
Pyramidenkreuzung fällt daher als umbildendes Moment fort. Sie
ist rein sensibel, denn nur von den Burdachschen und dem
Reste der dorsalen Stränge strömen ihr Fasern zu. Die ersten
von ihnen kommen von aussen dorsal und ziehen leicht wellig
gebogen so zur Decussatio, dass sie bei ihrem Eintritt in letztere
den innersten Teil der ventralen Stränge als ein kleines Quer-
schnittsbündel abtrennen : ein nicht gerade gewöhnliches Verhalten,
das sich sehr weit kapitalwärts erstreckt.
Von den Strängen zeigt der (rollsche, welcher sich durch
einen feinen, aber konstanten Spalt von seiner lateralen Nachbar-
schaft abgrenzt, bereits eine sehr starke Rarefikation durch seinen
Kern. Dieser liegt zentral im Strange und hat dessen weisse
Masse hauptsächlich an der lateralen Seite aufgebraucht. Die
Burdachschen Stränge gehen grenzlos in die dorsalen Strangreste
über. Zwischen letzteren und den Seitensträngen existiert keine
(Grenze, und ebensowenig zwischen diesen und den ventralen
Strängen. Das bereits sehr stark entwickelte Retikulum hat die
lateralen Säulen völlig aufgesogen und die ventralen auf einen
kleinen Teil reduziert, welcher in dem Dreieck liegt, das vom
Retikulum, dem ventralen Strange und jenen vom Burdach-
strange zur Decussatio ziehenden Fasern gebildet wird. Ein Teil
der ventralen Säule ist in die (Gegend des Zentralkanals gedrängt
worden und bildet dort mit einem Teil der dorsalen Säule das
30
un
Bernhard Rawitz:
zentrale Grau. Das Retikulum hat ferner die dorsalen Säulen
hermetisch gegen das übrige Mark abgeschlossen, denn es reicht
bis zum inneren Ende des Burdachschen Stranges. Die dorsalen
Säulen sind schmal, keulenförmig und von einem ziemlich breiten
Rande Rolandoscher Substanz umgeben. Auch um den sehr
engen, dorsoventral leicht gestreckten Zentralkanal hat sich etwas
Substantia gelatinosa eingestellt.
Der Durchmesser der Oblongata nimmt nun schnell sowohl
in der dorsoventralen als in der transversalen Achse zu. Und
zwar dürfte hierfür in erster Linie die Ausbildung der Pyramiden
verantwortlich zu machen sein. Denn so wenig bedeutend die
Decussatio ist, so sehr beträchtlich an Umfang stellen sich die
neugebildeten Pyramiden dar. Sie bilden sehr lang gestreckte,
rechtwinklige Dreiecke (im Durchschnitt), die, wie üblich, ihre
Hypotenuse gegen die ventralen Stränge kehren. Dadurch, dass
sie nicht über den Rand des verlängerten Markes hervorragen,
üben sie den eben erwähnten Einfluss aus. Denn sie müssen,
weil sie gross sind, alles ihnen sich Entgegenstellende bei Seite
drängen. Freilich wirken sie nicht lange in dem gedachten Sinne,
denn ihr Volumen verringert sich bald in sehr beträchtlichem
Grade. Die Pyramidenkreuzung erhält in dieser Gegend auch
Fasern von den Seitensträngen. Mit der Ausbildung der Pyramiden
beginnt die Aushöhlung des Burdachschen Stranges. Vom Mark
her schiebt sich in der Nachbarschaft des Gollschen Stranges
ein rundlicher Zapfen grauer Substanz allmählich gegen die ge-
nannten Stränge vor. Sehr bald tritt lateral von den Pyramiden
ein heller Fleck auf, die erste Andeutung der kaudalen Olive.
Im Seitenstrang erscheint marginal gelegen der Seitenstrangs-
kern, welcher sich zunächst als ein kleiner, unregelmässiger Fleck
bemerkbar macht. Ganz ungewöhnlich früh, im Vergleich zu den
bisher geschilderten Spezies, differenziert sich die Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn. An der Grenze zum dorsalen Strangrest, welcher
die dorsale Säule umhüllt, springt kuppenförmig ein verdickter
Teil des Seitenstranges nach aussen vor, der, wie sich später
zeigt, eben diese Bahn ist. Dieser Vorsprung ist es, welcher im
Verein mit Oliven und Seitenstrangskern ebenfalls zur Vergrösse-
rung des transversalen Durchmessers des Markes beiträgt.
Die rapide Vergrösserung der Oblongata hält an, sodass sie
nur wenig weiter kapitalwärts von der eben geschilderten Gegend
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 309
gut '/amal so gross ist wie anfänglich. Die Pyramiden sind aber
hierfür als mechanisches Moment auszuschalten, denn sie sind von
jetzt ab klein und sitzen als halbmondförmige Kappen, die sich
nach aussen in die ventralen Stränge verlieren, den Oliven auf.
Und mit den Pyramiden verkleinert sich auch die Pyramiden-
kreuzung.
Den Hauptfaktor bei der Vergrösserung des Markes bilden
jetzt die Oliven, zumal dorsal, bei den @ollschen und Burdach-
schen Strängen, noch alles in Ruhe verharrt; d. h. die genannten
Partien weichen noch nicht lateral auseinander, wenn auch ihre
in der bekannten Weise vor sich gehende Rarefizierung sehr be-
trächtliche Fortschritte macht. Die Oliven also sind sehr viel
grösser geworden und stellen unregelmässig bohnenförmige Ge-
bilde dar, welche auf ihrer lateralen Seite leicht eingebogen sind,
hier also ihren Hilus haben, wenn man überhaupt von einem
solchen sprechen darf. Sie erscheinen im Weigert-Präparat
ganz ungewöhnlich blass und zeigen auf diesem Stadium ihrer
Ausbildung keinen Nervenmantel, sind also noch nicht scharf kon-
turierte Gebilde, sondern gleichen mehr einem sehr grossen,
diffusen Nervenkern. Und es kann gleich hier gesagt werden,
dass sie auch in weiter kapitalwärts gelegenen Ebenen, wo sie
ihre volle Ausbildung enthüllen, ohne Nervenmantel bleiben, also
stets ein nicht scharf abgegrenztes Gebilde darstellen. Sie werden
hier durch Faserzüge in transversaler Richtung liniiert, welche
nur durch sie hindurchgehen, aber mit ihnen direkt nichts zu
tun haben. Diese Faserzüge stammen vom Retikulum, gehen,
wie gesagt, durch die kaudalen Oliven hindurch und kreuzen sich
in der Medianlinie mit den Fasern der Gegenseite.
Einen mächtigen Umfang hat inzwischen der Seitenstrangs-
kern erlangt. Durch ihn ist der Seitenstrang fast völlig rare-
fiziert, so dass nur noch wenige disseminierte Bündel von ihm
im Kern liegen und seine marginale Portion auf einen schmalen
Streifen reduziert ist. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist nicht
mehr so prominent wie vorher, denn sie hat sich ein wenig dorsal-
wärts ausgedehnt, indem sie sich über den dorsalen Strangrest
eine Strecke weit geschoben hat. Die dorsale Säule ist weniger
umfänglich geworden, denn ihre Rolandosche Substanz besitzt
bei weitem nicht mehr die gleiche Ausdehnung wie früher. Aus
dem sie umhüllenden Strangreste strömen in dichten, aber feinen
510 Bernhard Rawitz:
Zügen Nervenfasern in transversaler Richtung. Sie werden zu
Fibrae arcuatae und gehen nach der Medianlinie zur Kreuzung
in der Raphe. welche unterdessen die Pyramidenkreuzung und die
kaum angedeutete Schleifenkreuzung abgelöst hat. Das Reti-
kulum hat alles bis auf einen kleinen Rest der ventralen Säulen,
welcher in der Nähe der vom Burdachschen Strange kommenden
Kreuzungsfasern liegt, eingenommen. Dieser Rest geht dann in
das zentrale Grau über, das zwischen den genannten Fasern und
den Goll-Burdachschen Strängen gelegen ist. Allmählich
beginnt auch das zentrale Grau zwischen die @ollschen Stränge
sich einzudrängen, doch geschieht dies zunächst in, ich möchte
sagen, so schüchterner Weise, dass ein mechanischer Effekt dadurch
noch nicht erzielt wird. Noch ist im zentralen Grau der Hypo-
glossuskern nicht sehr deutlich abgesondert, wenn auch die grossen
Ganglienzellen massenhaft vorhanden sind: trotzdem ist bereits
der Hypoglossus intramedullar vorhanden. Und zwar findet man
seine kurz unterbrochenen Fasern in der Nähe des Seitenrandes
der Oliven, also dicht an der Austrittsstelle des Nerven.
Noch eines mechanischen Resultates, das die zunehmende
Grösse der Oliven herbeiführt, sei kurz gedacht. Der Zentral-
kanal nämlich, der zwar dorsoventral gestreckt ist, aber sein
Lumen gegen früher nicht vergrössert hat, ist offenbar etwas
nach dorsal verlagert. Und da ein Auseinanderweichen der
Goll-Burdachschen Strangpaare noch nicht eingesetzt hat,
wodurch der Kanal mitgezogen worden wäre, so kann seine Ver-
lagerung nur auf die Grössenzunahme der Oliven zurückgeführt
werden. Diese haben ein eigentümliches Aussehen erhalten. Von
lateral her dringen nicht bloss durchgehende Fasern in sie ein,
sondern man findet jetzt auch Nervenbündel, die in der Olive
bleiben. Daher ist das Durchschnittsbild des Organs an dieser
Stelle von einer eigentümlichen Skulptur, die sich schwer be-
schreiben lässt, die aber durch die Abbildung (Fig. 29) deutlich
wird. An ihrem dorsalen Rande haben sie sich durch einen
kleinen Fortsatz gegen das Markinnere verlängert.
Deutlich differenziert ist jetzt der Hypoglossuskern und
damit ist die von früher beschriebenen Spezies her bekannte
Zweiteilung des zentralen Grau aufgetreten. Mit dieser Differen-
zierung ist die Aufsaugung des letzten Restes der ventralen
Säulen verbunden. Die dorsale weisse Kommissur, welche bei
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. Sat
Sus scrofa ziemlich beträchtlich entwickelt war, ist hier nur sehr
schwach angedeutet. Der Seitenstrangskern erscheint nicht mehr
ganz so umfänglich wie ehedem, weil er in grösserer Zahl
disseminierte Bündel des Seitenstranges enthält. Zwischen letzterem
und dem ventralen Ende des dorsalen Strangrestes zeigt sich der
Monakowsche Kern, welcher in dieser Gegend als ein kleiner
unregelmässiger Fleck sich präsentiert. Es beginnt der Funktions-
wechsel der dorsalen Säulen, die noch immer ihre ursprüngliche
Lage beibehalten haben. Er offenbart sich dadurch, dass die
Rolandosche Substanz sehr schnell an Umfang abnimmt und
bald ganz schwindet.
Endlich beginnt nun auch der dorsale Kontur der Oblongata
sich zu rühren. Die dorsale Fissur, welche die @ollschen Stränge
beider Seiten schied, erweitert sich jetzt zu einer breiten. aber
nicht allzu tiefen sattelartigen Bucht. Dadurch weichen die Goll-
schen Stränge und mit ihnen alle übrigen dorsalen Partien des
_ Markes auseinander. Das wiederum hat zur Folge, dass die Gestalt
der Strangpaare eine andere wird. Der Gollsche Strang, bisher
ein schmales, dorsoventral gestrecktes Gebilde, wird rundlich und
der sonst sehr massive Burdachsche Strang dehnt sich und wird
dadurch dünn. Von einem Gollschen Strange kann streng ge-
nommen nicht mehr gesprochen werden, denn die Rarefizierung
seiner Masse ist beendet. Man sieht nur noch disseminierte,
manchmal dicht, manchmal weniger dicht stehende kleine Nerven-
bündel in einem wenig umfangreichen, kleinzelligen Kern. Einzig
an der Grenze zum hellen Grau ist noch ein etwas soliderer Streifen
Strangsubstanz vorhanden. Auch der Burdachsche Strang ist
sehr beträchtlich reduziert. Die Aushöhlung vom Marke her
hat fast seine ganze mediane Partie aufgebraucht und ausserdem
erscheint jetzt in seiner lateralen Ecke, welche zugleich die Um-
biegungsstelle vom dorsalen zum lateralen Markkontur ist, ein
Kern, welcher die Aushöhlung des Stranges von innen her besorgt.
Ganz ausserordentlich klein geworden ist die jetzt lateral gerückte
dorsale Säule; und da der letzte Rest Rolandoscher Substanz
in ihr beseitigt ist, so ist ihre Umwandlung zum Kern der auf-
steigenden Trigeminuswurzel beendet, während diese selber aus
dem dorsalen Strangreste sich gebildet hat. Der Monakow sche
Kern ist etwas undeutlicher geworden, hat sich aber ein wenig
ins Retikulum hinein verlängert. Der Seitenstrangskern ist sehr
312 Bernhard Rawitz:
klein, die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn hat sich bis zum Burdach-
schen Strange verlängert.
Die Gestalt der Olive ist dadurch verändert, dass die vorhin
erwähnte dorsale Fortsetzung sich inzwischen in ventrolateraler
Richtung ausgedehnt hat, während die ursprüngliche Partie des
Gebildes kleiner geworden ist. Aber damit ist nicht gesagt, dass
hier zwei gesonderte Bildungen vorhanden wären, sondern nur,
dass die innere Spezialisierung des im allgemeinen sehr primitiven
Organs in der Schnittserie sehr verschiedene Bilder liefert. Die
Einheitlichkeit des Organs wird durch die zugehörenden, d.h. in
ihm entstandenen und aus ihm abgehenden Nervenmassen herge-
stellt. Lateral von dieser Olive ist ein schmaler, dorsoventral
gestreckter und nach lateral leicht hakenförmig gebogener Fleck
aufgetreten, welcher von ihr zunächst ganz getrennt ist. Man
könnte ihn, da er im Innern Olivenzellen beherbergt, als Neben-
olive bezeichnen; doch wäre das falsch. Denn wie die Serie, be-
sonders nach Eröffnung des IV. Ventrikels, lehrt, hängt dieser
Fleck mit der sogenannten Hauptolive zusammen, da beide
ineinanderfliessen. Er ist also nur ein Lappen der Olive, welcher
weit kaudal reicht, und hat daher keinen Anspruch auf eine be-
sondere Benennung. Und nicht bloss der Zusammenfluss der
grauen ÖOliventeile, sondern, wie vorhin als beweisend hervorge-
hoben wurde, auch die weisse Nervenmasse zeigt, dass dieser
Fleck ein integrierender Bestandteil der Olive ist. Denn die
Nervenmassen, die mit ihm in Verbindung sind, hat er gemeinsam
mit der sogenannten Hauptolive. Ich kann daher bei Ovis aries
eine Nebenolive nicht anerkennen.
Schön differenziert sind dunkles und helles Grau. Aus
ersterem, dem Hypoglossuskern, sieht man die Nervenzüge des
Hypoglossus austreten, welche in bekannter Weise nach ventral
gehen und dabei die laterale Partie der Olive durchsetzen, obgleich
letztere dicht an der Medianlinie gelegen ist. Das helle Grau
mit seinen zahlreichen grossen Ganglienzellen, dem Vaguskern,
welche aber im Gegensatz zu später zu schildernden Arten keine
besondere Gruppierung erkennen lassen, nimmt den dorsalen Ab-
schnitt des zentralen Grau ein. Aus ihm entspringen bereits die
Bündel des Vagus — der Kern war schon früher differenziert —,
welche zunächst direkt transversal gehen, um am Kern der
Trigeminuswurzel sich ventral zu senken und an dieser vorbei
SM)
—
Das Zentralnervensystem der Cetaceen.
zum Austritt zu streben. Letzterer ist noch nicht erschienen.
In der Ecke des hellen Grau ist die aufsteigende Wurzel des
Glossopharyngeus aufgetreten.
Bis zu dieser Gegend war noch kein Faserzug zu sehen,
welcher als dem Accessorius zugehörig betrachtet werden konnte.
Es tritt auch weiterhin kapitalwärts kein solcher auf; somit ist zu
sagen, dass, wenigstens in meinem Material, der Accessorius bei
Ovis aries keine Oblongatawurzeln hat.
Im weiteren Verlaufe der Untersuchung ist als hauptsäch-
lichste Veränderung die starke Ausweitung und dorsalwärts
Wanderung des Zentralkanals anzumerken. Und da auch die
Burdachschen Strangreste weiter auseinander rücken — die
Gollreste verkleinern sich rapide —, sodass sie zum Teil jetzt
auf dem dorsalen Markkontur sich finden, so erweitert sich die
vorhin genannte dorsale Bucht sehr beträchtlich, wobei sie zu-
gleich flach wird. Damit einher geht eine ausserordentliche Ver-
dünnung des dorsal vom Zentralkanal gelegenen Grau, sodass es
bald zur Eröffnung des IV. Ventrikels kommen muss. Noch ehe
dies erreicht ist, ist der Seitenstrangskern geschwunden, während
der sehr kleine Monakowsche Kern sich lateral an den Rand
der Oblongata verlagert hat. In den ventralen Strangresten
treten unregelmässige, inkonstante Kernflecken auf.
Endlich öffnet sich, indem die dorsale Lamelle des hellen
Grau immer dünner wird und schliesslich einreisst, der IV. Ventrikel
und wir treffen nunmehr folgende Konfiguration des Markes an.
Der IV. Ventrikel ist eine tiefe Bucht mit senkrecht ab-
fallenden Rändern (Fig. 30), welche in der Höhe des dunklen
Höhlengrau leicht nach innen biegen, um im spitzen Winkel
ventral zu konvergieren. Seine unmittelbare Auskleidung bildet
die Substantia gelatinosa des Zentralkanals, sodass das Höhlen-
grau nur mittelbar an ihm beteiligt ist. Wenn man von diesem
mehr nebensächlichen Umstande absieht, so zeigt sich in der Art
der Verteilung des Höhlengrau am Ventrikel eine nicht un-
interessante Differenz gegen Sus scrofa. Bei dieser Spezies
bildete nur der helle Abschnitt des Höhlengrau die Ventrikelwand,
während der Hypoglossuskern von ihr abgedrängt war. Hier,
bei Ovis aries, ist es anders (Fig. 30). Das helle Grau bildet
des Ventrikels Seitenwand, das dunkle seinen Boden. Dorsal
schlägt sich das helle Grau ein wenig über, um ohne scharfe
Archiv f mikrosk. Anat. Bd. 73. 21
314 Bernhard Rawitz:
Grenze, d. h. ohne dass ein Piafortsatz sich fände, in den Goll-
kern sich fortzusetzen. Von letzterem, der mit dem Burdach-
kern vereinigt ist, ist das helle Grau durch den weiter oben
erwähnten streifenförmigen Strangrest geschieden. Das helle
Höhlengrau beherbergt zahlreiche grosse Ganglienzellen, den
Vaguskern, aber keine Nervenfasern, nur in seiner Ecke liegt
die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel. Der Hypoglossuskern,
das dunkle Grau, hat ausser den sehr grossen Zellen noch zahl-
reiche, wirr durcheinander geworfene Nervenfasern in seinem
Innern. Der Vagus zieht in ziemlich breiten, mehrfach kurz
abgebrochenen Zügen transversal, ohne jetzt noch die vorher
beschriebene ventrale Biegung in diesem Verlaufe zu besitzen.
In mehreren Wurzeln tritt er nach aussen, welche hier noch den
Kern und die aufsteigende Trigeminuswurzel vermeiden (Fig. 30),
während sie weiter kapitalwärts dies nicht mehr tun (Fig. 31).
Der Hypoglossus kommt aus seinem rundlichen Kern mit zahl-
reichen Fasern, die jenseits des Kerns, also ventral, zu zwei bis
drei Strängen sich zusammenlegen. Wenn die umgekehrte Dar-
stellung zulässig wäre, so könnte man sagen (und dadurch würde
die Ursprungsweise klarer), die intramedullar zu drehrunden
Bündeln zusammengefassten Nerven fahren beim Eintritt in den
Kern pinselartig auseinander. Er verläuft in abgebrochenen
Zügen schräg dorsoventral und stellt dabei ziemlich genau die
Grenze zwischen dem Rest der medialen Partie der ventralen
Stränge und dem Retikulum her. Er durchsetzt, wie schon her-
vorgehoben, die laterale Ecke der Oliven und tritt mit ebenso
viel Wurzeln nach aussen, wie intramedullare Nervenzüge vor-
handen sind.
Die ventralen Stränge, deren innere Enden naturgemäss
weit dorsal gerückt sind und vom dunklen Grau durch die ersten
Arcuatae abgegrenzt werden, zeigen eine sehr wechselnde Zahl
von Kernflecken. An der dorsalen Grenze der Oliven erscheinen
die ventralen Stränge etwas dichter gefügt. Doch kann man
darum nicht gut von einem Lemniscus medialis sprechen, weil
dieses dichtere Gefüge keine Konstanz besitzt. Ungewöhnlich
zahlreich und auch ungewöhnlich stark sind in dieser Gegend
die Fibrae arcuatae. Hier erweitert sich auch die sonst schmale
Raphe und bleibt weit bis zum ventralen Ende, das sich zwischen
den noch zu erwähnenden Pyramidenresten findet. Die Kreuzung
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 315
yı
der Fasern in diesem erweiterten Rapheabschnitte ist eine voll-
kommene und an ihr sind nicht bloss die erwähnten Arcuatae
beteiligt, sondern auch jene, welche aus dem Retikulum stammen
und durch die Oliven glatt hindurchgehen. Die am meisten
ventral gelegenen von ihnen, die zugleich die dicksten sind,
bilden die ventrale Grenze der Oliven. Aber es wäre ein grosser
Irrtum, anzunehmen, dass diese Fasern wenigstens eine Art
Nervenmantel der Oliven darstellten. Davon kann darum keine
Rede sein, weil auch die ventralsten Arcuatae in die Raphe ein-
gehen. Sie umgeben daher nicht die Olive und stellen also auch
keinen Mantel um sie dar.
Eigenartig ist das Aussehen dieser letzteren (Fig. 30). Man
kann zwei Blätter unterscheiden, die beide hakenartig gekrümmt
sind, dabei aber sich so gelagert finden, dass sie fest ineinander
stecken und gemeinsame Nervenmassen haben. Infolge der
ziemlich unregelmässigen Windungen der Olivensubstanz sieht
man in die Buchten der Windungen hier die Nerven von medial
her, dort von lateral her, manchmal sogar von ventral her ein-
treten: ein Beweis erstens dafür, dass das Organ keine scharfe
Abgrenzung besitzt, und zweitens, dass von einem Hilus der
Olive im strengen Wortsinne nicht gesprochen werden kann.
Das laterale Blatt erstreckt sich ziemlich weit hin und sein
äusserstes Ende ist jenes Gebilde, dessen weiter oben gedacht
wurde und das leicht irrtümlich als Nebenolive bezeichnet werden
könnte. Auffällig ist mir die verschiedene Färbung, welche die
Abschnitte der Olive in Weigert-Präparaten zeigen. Sie sind
nämlich teils dunkel, teils hell gefärbt. Daraus darf aber wiederum
nicht, wie ich ausdrücklich bemerke, ein Schluss in der Richtung
der Nebenoliven gezogen werden. Denn diese Differenz der
Färbung zeigt sich derart, dass bald die lateralen Teile dunkel
und die medialen hell sind und bald das umgekehrte Verhältnis
statthat.
Der sehr kleine Monakowsche Kern (Fig. 30) liegt an
der Grenze von Seitenstrang und Retikulum. Der Ort seines
Vorkommens ist so zu bestimmen, dass man ihn in der Mitte
zwischen Olive und aufsteigender Trigeminuswurzel findet. Die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, welche gegen das Markinnere eine
nicht unbeträchtliche Verdickung zeigt, hat sich sehr weit dorsal-
wärts ausgedehnt. Sie überlagert die aufsteigende Trigeminus-
21*
316 Bernhard Rawitz:
wurzel und reicht über den Burdachschen Strangrest bis an
die dorsale Umbiegungsstelle des Markkonturs. Aus der Ver-
dieckung der genannten Bahn ziehen in spärlicher Menge kon-
zentrische Bündel so nach innen, dass ihnen der Monakowsche
Kern ventral aufruht. Sie verlieren sich im Retikulum.
Zu erwähnen sind noch die Pyramidenreste. Die Nerven-
massen, welche in ziemlich dünner Schicht den Rand des Markes
herstellen, gehen nach ventral hin in einen etwas breiteren
Strang über, dem die Oliven auflagern. Dieser Strang, wenig
oder gar nicht von seiner Nachbarschaft als besonderes (Gebilde
unterscheidbar, reicht bis zum verbreiterten Ende der Raphe
und ist das spärliche Überbleibsel der anfänglich grossen Pyramide.
Schneller als bei Sus scrofa erweitert sich bei dieser Spezies
der IV. Ventrikel; seine Ränder steigen daher jetzt vom Boden
schräg nach aussen auf. Ein interessanter Befund ist zu er-
wähnen, weil er mit einem früher mitgeteilten Ähnlichkeit hat.
Auf der Höhe des hellen Grau, da wo dieses zum dorsalen Mark-
kontur umbiegt, findet sich eine mächtige Vene (Fig. 31), welche
gegen das Ventrikellumen vorspringt. Im Schnitt zwar erscheint
sie eingefallen, doch ist dies ein Artefakt, dadurch hervorgerufen,
dass die Blutkörperchen durch das schneidende Messer heraus-
gehoben sind und sekundär dann das Gefäss eingeknickt wurde.
Sehr deutlich sieht man hier, deutlicher als bei vielen anderen
Spezies, den Ursprung des Vagus von den lateralen Partien des
dunklen Grau (Fig. 31).
Der Ventrikel weitet sich immer mehr aus. Damit geht
einher das allmähliche Verschwinden des Hypoglossus und der
Oliven, das Remplacement des Vagus durch den Glossopharyngeus
und das Verschwinden des Monakowschen Kerns. Neu treten
auf die ersten Bündel der kapitokaudalen Acusticuswurzel; er-
halten bleibt noch auf längere Zeit der Hypoglossuskern. Auf-
fällig langsam machen sich die mit der Ausweitung verbundenen
Verlagerungen bemerkbar. Denn wenn die Oliven auf mehr als
die Hälfte des früheren Umfanges reduziert sind, also in einer
ziemlich weit kapitalwärts vom Oblongata-Anfang gelegenen Region,
dann bilden die Burdachschen Reste, welche jetzt übrigens ihren
Funktionswechsel durchmachen, noch immer die Ecke des dorsalen
Markkonturs. Nur die aufsteigende Trigeminuswurzel ist mehr
ventral gerückt als früher. Es ist dies darauf zurückzuführen,
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 317%
dass die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn sich von ihrer dorsalen
Lagerung wieder zurückzuziehen beginnt. Sie verlässt den
Burdachrest, welcher von der immer stärker anwachsenden
kapitokaudalen Acusticuswurzel allmählich erfüllt wird, rückt
wieder mehr lateral und wird dadurch dicker. Infolge des letzteren
Umstandes drückt sie auf die Trigeminuswurzel und schiebt diese
ventral. Der Kern der letzteren Wurzel hat sich übrigens be-
trächtlich an Volumen verringert. Zwischen Trigeminuswurzel
und Seitenstrangsbahn sieht man ein konzentrisches Bündel von
Nervenfasern, das sich ventral von der Wurzel in Nervenzüge
auflöst, welche in transversaler Richtung zur Raphe ziehen: die
erste Andeutung des Corpus trapezoides. Noch bevor die Oliven
ganz geschwunden sind, tritt als kleiner runder Fleck im Retikulum,
und zwar in der Nähe der ersten Trapezoides-Fasern, der Facialis-
kern auf.
Mit dem Kleinerwerden der Oliven setzt eine Veränderung
im Aussehen des zentralen Höhlengrau ein, die nach dem Ver-
schwinden der Oliven beendet ist. Der Hypoglossuskern wird
kleiner — der Hvpoglossus selber ist ja längst weg — und die
Zahl der in ihm enthaltenen Zellen verringert sich, die Zellen
aber schwinden niemals völlig. Vom Rande des hellen Grau, aus
der Nachbarschaft der kapitokaudalen Acustieuswurzel, beginnt die
Umwandlung des bisher hellen in ein dunkles Grau. Vom hellen
wird nur ein Teil erhalten, der allmählich lateral gegen das Reti-
kulum gedrückt wird. Dies ist der Rest des Glossopharyngeus-
kernes, welcher auch die aufsteigende Wurzel dieses Nerven enthält.
Sind die Oliven geschwunden, dann ist das zentrale Höhlengrau
einheitlich dunkel. Mit der Verkleinerung des Hypoglossuskernes
hat die Verlagerung der ventralen Strangreste gleichen Schritt
gehalten. Sie sind immer mehr dorsal gerückt und bilden, wenn
das Höhlengrau einheitlich geworden ist, den Boden des IV. Ven-
trikels in der Medianebene. Hier werden sie nur von einem
schmalen Saum gliöser Substanz bedeckt. Der Glossopharyngeus
zieht als ein einziger Strang transversal und tritt durch Kern
und aufsteigende Wurzel des Trigeminus nach aussen. Nicht bloss
vom Rest des hellen Grau bezieht er seine Fasern, sondern auch,
wenn freilich nur in geringem Maße, vom dunklen Grau. Mit
dem Verschwinden der Oliven schicken sich ferner die Fasern der
aufsteigenden Glossopharyngeuswurzel zum Austritt an, biegen
318 Bernhard Rawitz:
also in die transversale Richtung ein. Aus dieser Gegend des
Markes ist dann nur noch vom Grösserwerden des Facialiskerns
und von der zunehmenden Verdickung der Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn zu berichten. An ersterem machen sich die ersten An-
deutungen seines dorsalen Nervenstromes bemerkbar, in letzterer
treten wiederholt an verschiedenen Stellen inkonstante Kern-
lecken auf. Die Raphe ist an ihrem ventralen Ende verbreitert
und enthält wenig Nervenfasern. Dank dem Hinzukommen der
austretenden Fasern der aufsteigenden Glossopharyngeuswurzel
besteht der Nerv intramedullar bald aus mehreren Bündeln. Zu
erwähnen ist noch, dass, wie in der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn,
so auch in der aufsteigenden Trigeminuswurzel gelegentlich kleine
inkonstante Kernflecken sich zeigen.
Auf diesem ziemlich indifferenten Stadium erhält sich die
Oblongata relativ weit kapitalwärts. Nur der Facialiskern wird
immer grösser und immer deutlicher der von ihm ausgehende,
dorsal gerichtete Nervenstrom. Dicker, keulenartiger wird die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, die nunmehr wieder ganz an den
Seitenrand des Markes gerückt ist. Und auch die kapitokaudale
Acusticuswurzel. zwischen deren Bündeln übrigens von Anfang an
zahlreiche grosse Ganglienzellen in Fortsetzung der gleichen Ge-
bilde des Burdachschen Strangkerns vorhanden waren, ist an
Umfang ganz gewaltig geworden. Endlich tritt der Kern der
kaudalen Acustieuswurzel auf. Er erscheint im Schnitt zunächst
als eine lateral von der Oblongata freiliegende graue Masse von
grosshirnartigem Charakter, die bald mit deren dorsaler Seiten-
kante verschmilzt und wirr durcheinander geworfene Nervenfasern
in ihrem Innern enthält. Dann tritt die kaudale Acusticuswurzel
aus, während der Kern ihr als eine graue Kappe dorsal und seitlich
aufliegt (Fig. 32). Die Fasern der kaudalen Acusticuswurzel
stammen aber nur zum Teil aus dem zugehörigen Kern. Ein
anderer Teil entspringt in dichten aber schmalen Zügen aus den
dorsalen Partien des zentralen Höhlengrau, wobei es jedoch nicht
zur Bildung äusserlich sichtbarer Striae acusticae kommt. Merk-
würdig ist das Verhalten der kapitokaudalen Wurzel (Fig. 32).
Sie ist der Grösse wie der Form nach unverändert, aber sie ver-
harrt nicht in Ruhe, bis sie zum Austritt sich anschickt. Sondern
aus ihr, d. h. also aus den zwischen ihren Bündeln liegenden
(ranglienzellen gehen zahlreiche allerfeinste Nervenfasern mit
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 319
leichter ventraler Neigung quer durch die laterale Ecke des zen-
tralen Höhlengrau zur Raphe oder, wie es vielleicht in besserer
Ausdrucksweise heissen müsste, von der Raphe gehen Fasern zum
Kern der kapitokaudalen Acusticuswurzel, die somit eine Ver-
bindung vielleicht motorischer peripherer Partien mit dem Nervus
vestibularis herstellen. Das Corpus trapezoides ist sehr schwach.
Seine Fasern kommen vom kaudalen Acusticuskern, spalten sich
nach innen vom Facialiskern auf und gehen in sehr zarten Zügen
zur Raphe. Also eine Verbindung des Nervus cochleae mit der
Peripherie. Der Facialiskern ist unverändert geblieben (Fig. 32),
sein Nervenstrom fängt an, lateral von den ventralen Strängen
aber noch innerhalb des Retikulum sich durch engere Aneinander-
lagerung der einzelnen Fasern zu verdichten.
Je weiter man kapitalwärts kommt, um so mehr bilden sich
die als eben entstehend geschilderten Verhältnisse aus. D.h. der
kaudale Acustieus erreicht seine volle Entwicklung und die kapito-
kaudale Acustieuswurzel fängt an, aus dem Marke auszutreten.
Ihre Fasern dringen dabei durch das Corpus trapezoides hindurch.
Auch das Knie des Facialis wird deutlicher und lagert sich zu-
nächst lateral von dem inneren Ende der ventralen Stränge. Mit
dem Augenblicke, wo das Knie sich als distinktes Gebilde bemerk-
bar macht, schwindet rapide der Facialiskern und mit ihm, aber
viel langsamer, sein Nervenstrom. Und gleichzeitig erscheint mar-
ginal gelagert die kapitale Olive als ein noch kleines rundliches
Gebilde und medial von dieser die ersten Stränge des Abducens.
Der Kern des Abducens ist längst vorhanden, denn niemals tritt
in der Oblongata ein Nerv früher auf als der entsprechende
Kern. Der hier noch dorsal vom Facialisknie gelegene Teil des
zentralen Höhlengrau ist dieser Kern. Deutlicher wird auch die
vom Corpus trapezoides ausgehende transversale Liniierung der
ventralen Stränge, durch welche einige Randpartien abgesprengt
werden, die als Pyramidenreste aufgefasst werden können. Doch
naht sich bald die Gegend, wo das Remplacement der Trapezoides-
fasern durch die am weitesten kaudal gelegenen Ponsfasern eintritt.
Allmählich macht sich das Nahen der Bindearme zum Klein-
hirn bemerkbar. Teils ist dies daraus zu erschliessen, dass der
kaudale Acusticuskern zu schwinden anfängt, nachdem die Wurzel
schon vorher zu Ende war. Teils auch sieht man im Schnitt die Gegend
des sogenannten Tuberceulum acusticum sich gegen das Cerebellum
320 Bernhard Rawitz:
vorwölben. Am interessantesten ist eine Erscheinung, die leicht
zu Irrtümern Veranlassung geben könnte. Erwähnt wurden vorhin
die Verbindungen beider Acusticusteile mit der Raphe. An der
kapitokaudalen Acusticuswurzel, und zwar an ihrer dem zentralen
Höhlengrau benachbarten Fläche, ist ein starkes Bündel von
Nervenfasern vorhanden. Es zersplittert sich, sowie es ins Reti-
kulum gelangt, und seine einzelnen Nerven streben in ver-
schiedenen Höhen des Markes zur Raphe. Es macht den Eindruck,
als ob dies Bündel aus dem kaudalen Acusticuskern stammt, tat-
sächlich aber entspringt es, wie die Serie lehrt, aus der medialen
Partie der Bindearme.
Mit dem Schwinden des kaudalen Acustieus hört auch die
Verbindung des Trapezoides mit seinem Kern auf. Dennoch
bleiben Fasermassen ähnlichen Verlaufes in der betreffenden Gegend
sichtbar, nur sind es jetzt solche, welche ihren Ursprung in den Binde-
armen, d. h. im Öerebellum haben. Und diese cerebellaren Fasern,
welche durch Remplacement die des Trapezoides ersetzen, werden
zu Ponsfasern. Als wichtig ist endlich noch zu bemerken, dass
die Wanderung des Facialisknies beginnt. Es rückt allmählich
auf die dorsalen Enden der ventralen Strangreste und drängt
dadurch den Abducenskern aus seiner bisherigen Lage.
Endlich erreichen wir die Gegend, wo die Bindearme voll
entwickelt sind, und damit ist eine innere Konfiguration der
Oblongata erreicht, welche einer genaueren Schilderung wert
ist (Fig. 33).
Der IV. Ventrikel ist jetzt geschlossen und stellt einen trapez-
ähnlichen Raum dar. Sein Dach wird durch das Cerebellum ge-
bildet, das mit den Bindearmen zusammenhängt und sich, wie
wir noch sehen werden, von den übrigen Kleinhirnpartien nicht
unwesentlich unterscheidet. In seinem Innern beherbergt er zwei
Kleinhirnwindungen. Der Boden des Ventrikels und ein Teil
der Seitenwand ist das dunkle Grau. Auf dem Boden ist es an
Masse gegen früher sehr reduziert, denn hier findet sich sowohl
in der Medianlinie als auch seitlich davon auf dem Facialisknie
nur eine dünne Schicht gliöser Substanz. Erst lateral von der
Region des Facialisknies tritt das eigentliche Höhlengrau auf, er-
streckt sich hier als Abducenskern etwas in die Tiefe (Fig. 33)
und biegt dann in rechtem Winkel dorsalwärts, wodurch es sich
an der Bildung der inneren Wand der Bindearme beteiligt. Gegen
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 321
die eigentliche Substanz der letzteren ist es durch jene Faser-
züge getrennt, welche aus den Bindearmen in die Oblongata ein-
treten, um zur Raphe zu gehen.
Betrachten wir zunächst weiter die Oblongata. Jederseits
der Medianline findet sich das Knie des Facialis (Fig. 33). Es
liegt, wie bereits bemerkt wurde, dem inneren Ende der ventralen
Strangreste auf, welche es ein wenig eingedrückt hat. Seitlich
vom Knie ist das Bodengrau und ventral von diesem der Abducens-
kern zu finden (Fig. 35). Die Zellen des letzteren sind von
mittlerer Grösse und reichen infolge der Verlagerung des Kernes
auch etwas in das Retikulum hinein. Denn man sieht von
diesem abgesprengte Bündel im Abducenskern disseminiert liegen.
Die Fasern des Nerven entspringen von ihrem Kern in derselben
Weise, die beim Hypoglossus eingehend beschrieben wurde. Der
Abducens zieht in drei, vielfach unterbrochenen Wurzeln direkt
ventral und tritt nach innen von der kapitalen Olive durch die
erste Ponsandeutung nach aussen. Es ist ganz unzweifelhaft,
dass der Abducens genau in derselben Gegend intramedullar ver-
läuft, wie weiter kaudalwärts der Hypoglossus, wie sich denn
beide Nerven morphologisch ungemein gleichen.
Nach aussen vom Abducens, den ersten Ponsfasern auf-
ruhend, findet sich die kapitale oder kleine Olive. Sie ist ein
anscheinend zweigeteiltes Organ (Fig. 33), denn man sieht zwei
bohnenartig gestaltete Flecke grauer Substanz nebeneinander,
welche sich ihre Hilus zukehren. Jeder Teil wird von einem zarten
Mantel zirkulär verlaufender Nervenfasern eingescheidet, welcher nur
am entsprechenden Hilus unterbrochen ist. Die in letzteren ein-
bezw. aus ihm austretenden Fasern beider Gebilde vereinigen sich
nicht direkt, sondern gehen in eine zwischen ihnen liegende
Nervenmasse über, welche den Bündeln des Retikulum gleicht.
Ihr Ende findet die Olive erst dann, wenn der Pons bereits aus-
gebildet ist. Lateral von der kleinen Olive liegt ein unregel-
mässig gestalteter Kernfleck, der später in Beziehung zum Trige-
minus tritt, und nach aussen von diesem stossen wir auf den
Facialis. : Dieser Nerv (Fig. 33), der einheitlich austritt, erscheint
intramedullar in drei verschieden breiten und verschieden tief
in der Oblongata steckenden Wurzeln. Die Vereinigung der
letzteren untereinander findet bald, die mit dem Knie erst sehr
viel weiter kapitalwärts statt, wenn wir die eigentliche Oblongata
(Sb)
[8s)
Bernhard Rawitz:
längst verlassen haben und in jene Gegenden gelangt sind, wo
die Entstehung des Trigeminus das Hauptinteresse in Anspruch
nimmt und der Pons das mikroskopische Bild beherrscht. Der
Facialisaustritt durchbricht die marginalen Fasermassen, welche
den Pons bilden helfen, und grenzt so lateral an die aufsteigende
Trigeminuswurzel. Von dieser ist nur zu notieren, dass einzelne
ihrer Fasern in die dorsoventrale Richtung einbiegen und dass
ihr Kern sehr verkleinert ist.
Weiter folgt lateral und zugleich dorsalwärts der Acusticus.
Die Fasern der kapitokaudalen Wurzel treten in breiten Zügen
aus und bilden so die vordere Wurzel der Autoren (Fig. 33).
Den austretenden Massen ruht der Rest des Kerns der kaudalen
Wurzel auf, der nach innen an die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
grenzt.
Um das Geschick der letzteren verfolgen zu können, müssen
wir zum Dach des IV. Ventrikels zurückkehren. Dieses wird von
erauer Üerebellarsubstanz gebildet, welche sich von der gewöhn-
lichen Kleinhirnsubstanz auf das schärfste unterscheidet. Und
zwar beruht die Differenz darin, dass hier in ungewöhnlich
reichlicher Menge grosse multipolare Ganglienzellen, keine Hirsch-
geweihzellen, vorhanden sind. Sie erfüllen den direkt am
Ventrikeldach beteiligten medianen Teil des betreffenden Kleinhirn-
abschnittes und stellen die graue Substanz der Bindearme dar.
Vom Kleinhirn kommen Fasermassen in senkrecht dorsoventraler
Richtung in die Bindearme und lösen sich hier auf, indem sie wahr-
scheinlich zu den Zellen des Bindearmkernes in Beziehung treten.
Aus letzterem entstehen dann Nervenfaserzüge, welche in einzelnen
lockenartig geordneten Strähnen erscheinen, die durch die Binde-
arme zum verlängerten Mark gehen. Der mediale Teil von ihnen
wendet sich zur Raphe, der laterale Teil geht aussen am Massiv
der Kleinhirn - Seitenstrangsbahn vorbei und wird zu jenem
marginalen Faserbündel, welches dann medial vom Facialis sich
in die Ponsfasern auflöst. Freilich ist dieses Verhältnis erst
völlig klar, wenn auch der letzte Rest des kaudalen Acusticeus-
kernes geschwunden ist. Aber dass hier der erste Anfang der
Beziehungen von Pons und Bindearmen sich findet, ist, wie die
Schnittserie lehrt, zweifellos. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
hat hier drehrunde Form (Fig. 33), ihre Bündel erscheinen im
Schnitt noch immer quergetroffen, verlaufen also in kapito-
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 328
kaudaler Richtung. Aber ihre Lage ist nicht mehr die gleiche
wie früher. Sie ist durch die austretenden Fasern der kapito-
kaudalen Acusticuswurzel aus der Oblongata heraus in die Binde-
arme hineingedrängt worden, deren lateralem Rande sie angehört.
Verfolgen wir ihr Schicksal weiter, so sehen wir sie in dieser
Gegend selbst dann noch, wenn der intramedullare Teil des
Facialis sich mit dem Knie vereinigt hat. Mit der zunehmenden
Ausbildung der Trigeminusregion rückt sie unter Wahrung ihrer
Form weiter dorsal, bleibt aber noch immer innerhalb der Binde-
arme. Erst wenn wir tief in den Pons gelangt sind, also weit
jenseits der Oblongata, biegen ihre Fasern in die dorsoventrale
Richtung ein und mischen sich mit der weissen Substanz des
Kleinhirns. Dann aber ist auch die Bahn längst ein Teil des
Gerebellum geworden.
Es war vorhin die beginnende Ponsbildung erwähnt worden,
über die noch einige Worte hinzuzufügen sind. Der ventrale
Teil des Markes nach innen vom Facialisaustritt zeigt eine
transversale Liniierung, die medial von der kleinen Olive sehr
weit dorsalwärts sich erstreckt und nur die äussersten Rand-
partien nicht ergriffen hat. Dass es sich hier um Ponsfasern
handelt, zeigt nicht nur die Serie, sondern auch die Tatsache,
dass sehr bald abgesprengte Fasermassen des Retikulum zu
rundlichen Gruppen geordnet zwischen diesen Nervenlinien vor-
kommen.
Die weiteren Veränderungen sind vorauszusehen. Der Rest
des kaudalen Acustieuskernes schwindet bald, ebenso die kapitale
Acustieuswurzel, während deren Kern noch lange persistiert, ehe
auch er schwindet. Der Facialis strebt intramedullar zur Vereinigung
mit dem Knie, die erst sehr weit kapitalwärts erfolgt. Von der
kleinen Olive verliert sich mit der Zunahme des Pons der laterale
Teil, während der mediale erst dann verschwindet, wenn das
Facialisknie nicht mehr vorhanden ist. Er ruht dabei stets den
transversal ziehenden Ponsfasern auf.
Wenn der letzte Rest des Acusticus aus dem mikroskopischen
Bild verschwunden, dann ist auch der Abducens erledigt, dessen
Kern noch einige Zeit sichtbar bleibt. Endlich sehr weit kapital-
wärts in der Ponsregion ist, wie dies schon hervorgehoben wurde,
das Ende des Facialis zu sehen.
324 Bernhard Rawitz:
b) Bos taurus L.
Wie von vornherein zu erwarten war, hat die Untersuchung
der Oblongata des Rindes keinerlei Differenz von der des Schafes
ergeben. Was daher die vorstehende Schilderung von Ovis aries
gelehrt, das findet buchstäbliche Geltung auf Bos taurus. Eine
gesonderte Beschreibung erübrigt also.
5. Perissodactyla.
Equus caballus L.
Es sind nur minutiöse Einzelheiten, durch welche sich die
Pferdeoblongata von der der Ruminantien unterscheidet. Indem
ich daher auf eine genauere Schilderung der morphologischen
Verhältnisse Verzicht leisten kann, will ich nur diese Einzelheiten
erwähnen. Es sind die folgenden:
Die (ollschen Stränge erscheinen frühzeitig von den
Burdachschen dadurch gelöst, dass sich zwischen beiden eine
feine aber konstante Spalte befindet, welche von einem Piafortsatz
ausgefüllt wird. Die Gollschen Stränge sind gleichzeitig so
tief in das Markinnere gerückt, welchem sie mit breiter Basis
aufruhen, dass sie nur mit ihrer kurzen dorsalen Spitze zwischen
den Burdachschen Strängen stecken. Eine zweite Besonderheit
ist die riesige Entwicklung der Rolandoschen Substanz der
dorsalen Säulen. Sie ist namentlich in der Gegend, wo die
Oliven sich eben bemerkbar gemacht haben (Fig. 34), so stark,
dass sie einen schon äusserlich mit blossem Auge wahrnehm-
baren Vorsprung am Markkontur hervorruft.
Ferner ist hervorzuheben, dass der Facialis einen geradezu
schematischen Verlauf hat. Denn man kann ihn von seiner
Austrittsstelle intramedullar in kontinuierlichem Zuge bis zum
Knie verfolgen. Die kleine Olive ist viel umfänglicher als bei
Ovis aries. Und endlich ist zu bemerken, dass der Pons bei
dieser Spezies mit einem medianen Fortsatz sehr weit kaudal reicht.
Wo also sonst, d. h. bei den bisher behandelten Spezies, nur jene
vom Kleinhirn stammenden Fasern zu sehen waren, die als
Ponsanfänge gedeutet wurden, da ist hier ausser ihnen im Schnitt
noch ein von der Oblongata getrenntes Stück des eigentlichen
Pons vorhanden. Man kann daher hier in der Serie viel leichter
als bei den früheren Arten die Zugehörigkeit jener genannten
Fasern zum Pons feststellen.
>|
Das Zentralnervensystem der Uetaceen. 32:
6. Carnivora.
a) Canis familiaris L.
Hund und Katze bildeten ausser dem Kaninchen von jeher
die Lieblingsobjekte für die experimentellen Studien der Neurologen.
Es war daher ohne weiteres vorauszusehen, dass eine rein anatomische
Untersuchung wie die vorliegende keine neuen Ergebnisse über
den Bau der Oblongata im allgemeinen und den Verlauf ihrer
Nerven im speziellen zu Tage fördern würde. Darum sollen hier
auch nur die mechanischen Momente für die Umbildung des
verlängerten Markes hervorgehoben werden, weil diese, wie der
II. Teil der Arbeit zeigen wird, für das Oblongata-Problem
mindestens die gleiche Wichtigkeit besitzen, wie die Erkennung
der Nervenbahnen. Hinsichtlich der letzteren oder vielmehr
hinsichtlich der Nerven und ihrer Kerne bei Canis sei nur soviel
bemerkt — ausführlicher wird das Gesamtergebnis der II. Teil
behandeln —, dass zwischen ihnen genau dieselben Verhältnisse
herrschen, wie sie bei den bisher beschriebenen und bei den
später noch zu beschreibenden Arten obwalten.
Als erstes umbildendes Moment kommt die Pyramidenkreu-
zung in Betracht. Sie ist sehr breit; nicht bloss relativ breiter
als bei allen bisher behandelten Formen, die Cetaceen inklusive,
sondern absolut breiter. Ich will damit sagen, dass die Decussatio
nicht bloss relativ zum geringen Umfange der Oblongata (Fig. 35)
breiter ist, als z. B. bei Bos und Equus, sondern vielmehr, dass
sie breiter ist als die Pyramidenkreuzung bei diesen Spezies.
Und diese starke Ausbildung wird offenbar dadurch erreicht, dass
dorsale, laterale und ventrale Fasern in beträchtlicher Menge in
sie eingehen. Der mechanische Effekt ist ein unverkennbarer.
Es wird der transversale Durchmesser vergrössert und es werden
die medialen Partien der ventralen Stränge durch sie zusammen-
gepresst. Ja man kann sagen, dass deren inneres Ende durch
die Pyramidenkreuzung geradezu gequetscht aussieht (Fig. 35).
Auch die gekreuzten Fasern, die sich medial den ventralen Strängen
anlegen, ehe sie die Pyramide bilden, sind von enormer Breite
und darum entfalten auch sie einen mechanischen Einfluss in dem
genannten Sinne.
Ein zweites Motiv, welches zunächst auf die Vergrösserung
des Durchmessers des Markes von grossem Einfluss ist, besteht
in der Volumszunahme der dorsalen Säulen und in der, ich
326 Bernhard Rawitz:
möchte sagen, bedeutenden Aufblähung der Goll-Burdach-
schen Strangpaare (Fig. 35). Die erstere kommt dadurch zustande,
dass sich die Säulen breiter auslegen, dabei gleichzeitig sich
nach lateral hin ausdehnen und dass sich die Rolandosche
Substanz vermehrt. Wichtiger aber ist die zu zweit erwähnte.
Aufblähung. Der Gollsche Strang ist anfänglich, d.h. am Über-
gang vom Halsmark zum verlängerten Mark ein schmales, dorso-
ventral gestrecktes Gebilde, das einerseits bis an den freien Rand,
andererseits bis an die dorsale Kommissur reicht, welche hier
rein grau bleibt. Mit der zunehmenden Ausbildung der Decussatio
wird der Strang von seinem Kern ausgehöhlt. Aber während er
sonst seinen Umfang dabei vollständig wahrt, wird er hier allmählich
in der transversalen Achse breiter, ohne seine dorsoventrale Aus-
dehnung auch nur im mindesten zu ändern. Daher ist er, wenn
die Decussatio beinahe beendet ist, mehr als doppelt so gross wie
anfänglich: eine ganz ungewöhnliche Erscheinung. Auch beim
Burdachschen Strange ist etwas Ähnliches zu konstatieren,
wenn auch die Aufblähung hier nicht solche Dimensionen annimmt
wie beim Gollschen Strange. Die Aushöhlung nämlich, welche
der Strang in sehr beträchtlichem Grade vom Markinnern her
erfährt, ist sehr bedeutend; dazu aber steht die Rarefikation seiner
übrigen Nervenmasse in gar keinem Verhältnis. Bei der Ent-
wicklung, welche der Burdachkern in dieser Gegend zeigt
(Fig. 35). müsste vom Strang so gut wie nichts mehr vorhanden sein.
Dass zur Vergrösserung des Markdurchmessers der sehr
grosse Seitenstrangskern (Fig. 35), welcher hier auftritt, und
ebenso die nach aussen etwas prominierende Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn ebenfalls beitragen, ist selbstverständlich. Zipfelartig
ragt ein Rest der ventralen Säulen, der nicht vom Retikulum
aufgezehrt und noch nicht in das zentrale Grau einbezogen ist,
zwischen mediale Partie des ventralen Stranges und Retikulum
hinein. Hier entspringen die ersten Bündel des Hypoglossus
(Fig. 35).
Wenn die Decussatio beendet und die grossen, am ventralen
Markkontur leicht vorspringenden Pyramiden gebildet sind, dann
treten seitlich von letzteren als zunächst dorsoventral gestreckte
Gebilde die kaudalen Oliven auf. Gleichzeitig verlängert sich der
sehr weite Zentralkanal dorsalwärts und das Auseinanderweichen
der dorsalen Strangpaare beginnt. Als Folge des letzteren Vor-
SO
18)
—
Das Zentralnervensystem der Üetaceen.
ganges macht sich zunächst eine Verkürzung der Gollschen
Stränge bemerkbar, die, soweit sie überhaupt noch difterenziert
sind, Kugelgestalt erlangen. Sie gehen sehr bald in die Bur-
dachschen Stränge über. In den infolge dieses Auseinander-
weichens entstehenden Zwischenraum drängt sich das zentrale
Grau ein und drückt nun noch seinerseits die Stränge auseinander.
Dieses zentrale Grau hat sich inzwischen in seine beiden Abschnitte,
nämlich dorsal gelegenes helles Grau oder Vaguskern und ventral
gelegenes dunkles Grau oder Hypoglossuskern, differenziert. Es
ist wichtig, dabei festzustellen, dass der vorhin erwähnte Zipfel
der ventralen Säulen nunmehr ganz in den Hypoglossuskern ein-
bezogen ist. Und es ist ferner wichtig, darauf hinzuweisen, dass
die Zellen des Vaguskernes im hellen Grau den dunklen benach-
bart liegen und so angeordnet sind, dass sie eine transversal
gestreckte Gruppe bilden.
Nun senkt sich das inzwischen an den Markkontur gelangte
zentrale Grau sattelförmig ein und es kommt zur Bildung des
IV. Ventrikels. Ist diese vollendet, so treffen wir folgende Situation
an. Beide Teile des zentralen Höhlengrau bilden die Seitenwand
des Ventrikels, während dem Boden die nach dorsal gedrängten
ventralen Stränge schon beinahe anliegen. Der Hypoglossuskern,
aus dem der Nerv heraustritt, um nach bekanntem intramedullarem
Verlaufe durch die Seitenpartie der Olive hindurch das Mark zu
verlassen, stellt den ventralen Teil des Ventrikels her. Der
dorsale Teil ist der Vaguskern bezw. das helle Grau, in dessen
lateralster Ecke die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel erschienen
ist und in dem die ersten Vagusfasern auftreten. Der vereinigte
Goll-Burdachsche Strang, der fast nur noch aus grauer
Substanz besteht und beinahe keine kompakteren Faserbündel
mehr enthält, ist lateral gerückt und bildet den Seitenteil des
dorsalen Markkonturs. Ventral von ihm liegt die aufsteigende
Trigeminuswurzel, welche nach Schwinden der Rolandoschen
Substanz mit ihrem zugehörigen Kern aus der dorsalen Säule und
deren Strangrest entstanden ist. Nach aussen von dieser Wurzel,
an den Burdachschen Strang anstossend, liegt die Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn, welche ventral grenzlos in den Seitenstrang
übergeht. Der Seitenstrangskern ist geschwunden, dafür ist an
der dorsalen und an der ventralen Kante der Trigeminuswurzel
je ein rundlicher Kernfleck als erste Andeutung des Monakow-
328 Bernhard Rawitz:
schen Kernes erschienen. Die Pyramiden sind mächtige Gebilde,
aber sie kommen für die Umbildung des Markes nicht mehr in
Betracht. Die Oliven endlich sind blattartig, einmal gefaltet und
kehren die offene Stelle der Falte, also den Hilus, ventrolateral.
Als maßgebende Faktoren der ferneren Veränderungen im
Marke sind zunächst nur die Erweiterung des Ventrikels und die
Vergrösserung der Oliven in Betracht zu ziehen. Erst später
tritt auch die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn nach dieser Richtung
mehr in den Vordergrund. Die Ausweitung des Ventrikels führt
nicht zu einer völligen Geradlegung seines Bodens, sondern er
behält immer, bis zu den Bindearmen, sanft abfallende Ränder.
Darum wird auch nicht alles, was ursprünglich, d. h. vom Rücken-
mark her, auf dem dorsalen Kontur des Markes gelegen war,
nach lateral und ventral gedrängt, sondern es bleiben die Goll-
schen und Burdachschen Stränge und, wenn diese aufgebraucht
sind — die Fasern von Burdach finden zuerst Verwendung bei
der Decussatio, dann bei den Fibrae arcuatae —, ihre Kerne auf
dem dorsalen Kontur liegen und rücken nur an dessen äusserste
Ecke. Und wenn die Umwandlung dieser Gebilde in die kapito-
kaudale Acusticuswurzel und deren Ganglienmassen stattgefunden
hat, dann finden sich auch diese noch an der Seitenecke des
dorsalen Markkonturs. Nur der zur aufsteigenden Trigeminus-
wurzel gewordene Rest des dorsalen Stranges bezw. die weissen
Massen, welche durch Remplacement letzteren ersetzt haben, und
natürlich der zugehörige Kern werden am meisten verlagert.
Zunächst rücken sie soweit lateral, dass sie nicht mehr auf dem
dorsalen Kontur zu finden sind. Die sich allmählich immer stärker
ausbildende Kleinhirn-Seitenstrangsbahn schiebt sich dorsalwärts
vor, erreicht die Seitenecke des Markes, drückt die kapitokaudale
Acustieuswurzel etwas medialwärts und verlagert die aufsteigende
Trigeminuswurzel stark ventral: Letztere ist daher in der Gegend
des Vago-Glossopharyngeus-Austrittes soweit verlagert, dass sie,
wenn man durch eine transversale Achse die ÖOblongata sich
halbiert denkt, der ventralen Hälfte angehört, ohne allerdings
ganz ventral, d.h. am ventralen Kontur sich zu finden. Erst wenn
der kaudale Acusticus in voller Ausbildung zu sehen ist, dann
gehört die aufsteigende Trigeminuswurzel dem ventralen Kontur
des Markes wenigstens teilweise an. Hier wird die Verlagerung
nicht durch die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn allein bewirkt, sondern
4 Fa Sl
Das Zentralnervensystem der Getaceen. 329
auch durch den Acusticus. Dieser drängt die genannte Bahn aus
ihrer Lage in der Seitenecke des Markes und die Bahn wiederum
drückt die Trigeminuswurzel ventralwärts. Nur dem Umstande,
dass in dieser Gegend das Organ nicht mehr vorhanden ist, welches
in der Medianebene dem Seitendruck Widerstand leisten würde,
nämlich die kaudale Olive, ist es zuzuschreiben, dass die Trige-
minuswurzel nicht aus dem Marke heransgedrängt wird.
Die Olive ist ebenfalls ein Gebilde, welches durch seine Aus-
bildung einen mechanischen Einfluss ausübt. Verfolgt man sie in
der Schnittserie, so sieht man sie als schmalen Streifen auftreten,
ein mehrblättriges Organ werden und dann schneller verschwinden
als sie gekommen. Ich habe mich, das sei der Vollständigkeit
halber hinzugefügt, nicht von der Existenz einer selbständigen
Nebenolive überzeugen können. Die Gründe dafür sind die gleichen,
wie ich sie bei den bisher geschilderten Spezies angegeben, ich
brauche sie also nicht zu wiederholen. Die Olive bei Canis ist
ein wenig umfängliches und nicht scharf gesondertes Gebilde.
Denn kein wohl unterscheidbarer Nervenmantel umhüllt sie und
erenzt sie gegen die Nachbarschaft ab. Darauf ist es auch zurück-
zuführen, dass von einem Hilus der Olive im eigentlichen Wort-
sinne nicht gesprochen werden kann. Denn da von den Falten,
in welche die graue Olivensubstanz gelegt ist, sich die einen nach
lateral, die anderen nach medial öffnen, so findet ein Nervenzutritt
bezw. Nervenaustritt ebenfalls in beiden Richtungen statt. Die
geringe Umfänglichkeit dieses Oblongatateiles — damit sind sowohl
der kleine kapitokaudale als auch der dorsoventrale und der trans-
versale Durchmesser gemeint — bedingt es, dass die Olive, auch
wenn sie voll ausgebildet ist, das mikroskopische Bild nicht be-
herrscht. Dennoch aber ist ihr mechanischer Einfluss nicht zu
verkennen. Denn sie drängt die ihr sich entgegenstellenden Teile
nach lateral und auf sie ist es auch zurückzuführen, dass die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, solange sie rein lateral gelegen ist,
über den Markkontur herausragt. Die Massenzunahme der letzteren
könnte nämlich ganz gut zu einer gegen das Markinnere gerichteten
Verdickung führen, denn das leicht kompressible Retikulum würde
keinen Widerstand leisten. Ein solcher geht nur von der Olive
aus und darum ist sie die Ursache für die Prominenz der ge-
nannten Bahn.
Die ın der Oblongata auftretenden Kerne haben natürlich
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 22
330 Bernhard Rawitz:
nur wenig formumbildenden Einfluss. Nur dem Seitenstrangskern
kommt eine solche Wirkung zu, denn er erreicht kurz nach seinem
Auftreten ganz bedeutende Dimensionen. Freilich dauert seine
Einwirkung nicht lange, denn er schwindet sehr bald. Der
Monakowsche Kern, der bei voller Entwicklung ventral von
der aufsteigenden Trigeminuswurzel liegt, während der Teil von
ihm, der anfänglich auch dorsal von dieser zu sehen war, nur
minimalen Umfang besitzt, hat daher gar keine gestaltende Be-
deutung. Und ebensowenig ist dies beim Facialiskern der Fall,
der selbst in seiner grössten Ausdehnung nur die Retikulumbündel
etwas zusammendrängt, aber die Form des Markes nicht ändert.
Dass der Vagus und Glossopharyngeus in diesem Sinne belanglos
sind, bedarf keiner Erörterung. Wichtig ist, daran zu erinnern,
dass hier bei Canis beide Nerven intramedullar kaum zu unter-
scheiden sind. Denn noch sind die letzten Reste des Vagus vor-
handen, wenn das zentrale Höhlengrau schon einheitlich geworden
ist und wenn die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel bereits
durch ihren Austritt aus dem Mark fast völlig aufgebraucht ist.
Die Schwierigkeit der Unterscheidung wird noch dadurch ver-
mehrt, dass auch die austretenden beiden Nerven dicht aneinander
liegen.
Gestaltenden Einfluss übt dagegen der kaudale Acusticus aus.
Sein Kern stellt sich zunächst etwas anders dar wie bei den bisher
geschilderten und den noch später zu schildernden Spezies. Er
erscheint nämlich im Schnitt als ein schmales Band, welches, ohne
Verbindung mit dem verlängerten Mark, dessen dorsoventralem
Kontur parallel liegt. Bald legt sich dieses Band dem Kontur
in der Nähe der kapitokaudalen Acusticuswurzel fest an, ver-
schmilzt mit dem Mark und ragt an dessen Seitenwand ins Freie.
Es gleicht dieses Band einem Stück der grauen Rinde des Gross-
hirns. Bald treten Nervenfasern in ihm auf und aus ihm heraus
und mit diesem Augenblicke beginnt der mechanische Einfluss
des kaudalen Acusticus. Dazu gesellen sich etwas später die
austretenden Fasern der kapitokaudalen Acusticuswurzel und da-
durch wird noch der mechanische Einfluss des Nerven erhöht.
Sein Effekt ist oben erwähnt worden. Bei Ovis aries wurde der
Beziehungen der beiden Acusticusteile zur Raphe, d. h. zur
Peripherie gedacht. Das Corpus trapezoides ist bei Canis sehr
breit und auch die anderen dort erwähnten Bahnen sind hier
ww
er
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 33
deutlich. Striae acusticae, ich meine markhaltige vom Acusticus
ausgehende Streifen am dorsalen Markkontur, sind vorhanden.
Breit ist hier der Nervenstrom, welcher von dem sehr
grossen Facialiskern ausgeht. Dass dieser weit kaudalwärts als
kleiner Kern zuerst erscheint, um mit der Ausbildung des Knies
allmählich zu schwinden, sei der Vollständigkeit halber hinzu-
gefügt.
Nunmehr treten die Bindearme zum Kleinhirn auf, noch
ehe der kaudale Acusticus erschöpft ist. Letzteres ist allerdings
bald der Fall; der Kern aber, welcher allmählich auf die Seite
der austretenden kapitalen Acusticuswurzel rückt, erhält sich noch
weithin, wenn längst keine kaudalen Fasern mehr vorhanden sind.
Mit der Ausbildung der Bindearme ist das Facialisknie scharf
differenziert. Es hat hier eine Lagerung, welche von der bei
Ovis und Sus stark abweicht, denn es findet sich lateral vom
inneren Ende der ventralen Stränge, welche ihrerseits nunmehr
den medianen Abschnitt des Ventrikelbodens bilden. Aber auch
bei dieser Lagerung hat das Facialisknie den Kern des Abducens
zum Teil ventral verdrängt. Die inzwischen erschienene kapitale
Olive ist ein sehr grosses Organ, viel grösser als bei allen bisher
behandelten Spezies, und sie ist auch grösser als die kaudale Olive.
Der Verlauf des Facialis und Abducens ist bekannt, sodass
ich auf deren Beschreibung verzichten kann. Interessant ist das
Schicksal der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn darum, weil es in
einem wichtigen Punkte von dem bei Ovis und Sus konstatierten
abweicht. Wenn der kaudale Acusticuskern auf der kapitalen
Wurzel dieses Nerven noch aufliegend angetroffen wird und wenn
die kapitokaudalen Bündel noch längst nicht aufgebraucht sind,
dann ist die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn bereits in den cerebellaren
Teil der Bindearme hineingewandert. Und noch ist der Facialis
intramedullar nicht aufgetreten, wenn die Fasern dieser Bahn
schon sämtlich in die dorsoventrale Richtung eingebogen sind.
Die Bindearme haben übrigens einen ebenso grossen Kern wie
bei den vorigen Spezies.
b) Felis domestica L.
Nur in drei Punkten weicht die Oblongata dieser Spezies
von der des Hundes ab und nur diese drei sollen hervorgehoben
werden.
29%
SQ
os
86)
Bernhard Rawitz:
Die kaudale Olive (Fig. 36) ist, was ihre graue Substanz
anbelangt, stärker, was ihre Nervenmassen betrifft, schwächer
ausgebildet, als bei Canis. Ein sie scharf abgrenzender Nerven-
mantel existiert nicht. wohl aber ist ein Hilus zu erkennen.
Während bei Canis der Ein- und Austritt der Fasern sowohl
lateral als auch medial erfolgte, kann hier von einem dorsalen
Hilus gesprochen werden, der etwas medial geneigt ist.
Die kapitale Olive ist sehr viel kleiner als bei Canis. Und
der dritte Differenzpunkt ist die Lagerung des Abducens-
kernes. Er ist nämlich vom Facialisknie nicht ventral gedrückt,
sondern liegt lateral von ihm. Die Abducensfasern winden sich
also nach dem Austritt aus dem Kern am Knie vorbei, um in ihre
intramedullare Richtung einzulenken, welche derjenigen des
Hypoglossus parallel ist.
7. Rodentia.
Lepus cuniculus L.
Auch bei dieser Spezies kann ich mich kurz fassen. Denn
durch die grosse Zahl wertvoller Arbeiten — nomen illis est
legio —, welche die Oblongata des Kaninchens zum Gegenstande
haben, ist deren innerer Aufbau zur Genüge bekannt. Neues
oder zum mindesten nicht Beschriebenes war nicht zu erwarten.
Und auch die Berücksichtigung der mechanischen Momente,
welehe für die Bildung der Oblongata bestimmend sind, lieferte
nichts, was nicht eben bei Canis familiaris gesagt worden wäre.
So will ich denn nur folgendes der Vollständigkeit halber hervor-
heben :
Die Pyramidenkreuzung, die fast rein sensibel ist, denn nur
anfänglich kommen einige motorische Fasern hinzu, ist sehr
schmal. Die Pyramiden sind sehr klein. Beiden kommt keine
mechanische Bedeutung zu. Die Oliven sind ein einheitliches,
mehrfach gefaltetes Band grauer Substanz (Fig. 37), das sich
nur durch seine Färbung von der Umgebung abhebt, aber keinen
ausgeprägten Nervenmantel besitzt. Daher kann auch von einem
Hilus nicht gesprochen werden und der Fasereintritt erfolgt
demnach teils von lateral, teils von ventral her. Immerhin ist
aber nicht zu verkennen, dass das Gebilde einen entschieden
höher differenzierten Eindruck macht, als bei allen bisherigen
Spezies. Das Verwaschene und Verschwommene, das selbst noch
PL Zu;
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 39:
wis
die Olive der Katze darbot, das Ungefüge, im grossen und ganzen
Undifferenzierte, welches an der Üetaceenolive zu sehen war, ist
hier nicht mehr vorhanden. Der laterale Teil des Organs, welcher
vom Hypoglossus durchsetzt wird (Fig. 37), reicht so weit an
den Rand der Oblongata, dass er nur von einer ganz dünnen
Nervenschicht bedeckt ist. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn tritt
frühzeitig als differenziertes Bündel auf, der Seitenstrangskern
bleibt klein, ebenso der zuerst ganz marginal auftretende Mona-
kowsche Kern.
Interessant ist, dass helles und dunkles Höhlengrau
einander an Masse gleichen und dass in ersterem die Zellen des
Vaguskernes in der Nähe des dunklen Grau zu einer transversal
gedehnten Gruppe angeordnet sind. Der sehr klein auftretende
Facialiskern erlangt bald relativ riesige Dimensionen. Der kaudale
Acustieuskern tritt nicht wie bei den Carnivoren als schmales
Band, sondern wie bei den Ruminantien etc. als eine breite, seitlich
von der dorsalen Ecke der Oblongata gelegene, grosshirnrinden-
ähnliche Masse auf. Deutlich sind seine und der kapitokaudalen
Acusticuswurzel Beziehungen zur Raphe. Striae acusticae sind
schwach ausgeprägt. Gross ist auch das Corpus trapezoides, an
dessen medialem Ende, ganz in der Nähe der Pyramiden, wo
es sich in einzelne Fasern aufspaltet, ein Kern sich findet. Er
erhält sich weithin kapitalwärts und geht schliesslich in die graue
Masse des Pons über.
Das Facialisknie liegt lateral vom Ventrikelende der ven-
tralen Strangreste, hat aber trotzdem den Abducenskern verlagert.
Jedoch findet sich dieser nicht, wie bei Sus und Ovis, ventral
vom Knie, sondern ist lateral von ihm gegen das Retikulum
gedrückt. Allenthalben ist bei Lepus wie bei Canis, Felis ete.
zu konstatieren, dass im Schnitt zuerst der Kern, dann der intra-
medullare Verlauf und zuletzt der Nervenaustritt erscheint. Und
ebenso ist festzustellen, dass das Verschwinden in umgekehrter
Reihenfolge statthat. Die kapitale Olive ist klein. Die Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn geht erst in der Trigiminusgegend in die dorso-
ventrale Verlaufsrichtung über.
8. Insectivora.
a) Erinaceus europaeus L.
Was bei dieser Spezies zunächst auffällt, das ist die
kolossale Ausdehnung, welche die dorsalen Säulen beim Über-
334 Bernhard Rawitz:
gang vom Halsmark zum verlängerten Mark erlangen (Fig. 38).
Es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich angebe, dass ihr Umfang
in der Gegend des beendeten Retikulum und der ersten intra-
medullaren Hypoglossuszüge mindestens das Vierfache von dem
beträgt, was er anfänglich gemessen hat. Die dorsalen Säulen
sind hier so gross und haben sich soweit am lateralen Mark-
kontur entlang gestreckt, dass sie die Seitenstränge ganz ventral
gedrängt haben (Fig. 38). Gleichzeitig ist natürlich der sie um-
hüllende Nervenmantel überaus verdünnt. Sie bilden hier über-
haupt das einzige Motiv, welches zu einer Zunahme des Gesamt-
durchmessers der ÖOblongata führt. Denn die rein sensible
Pyramidenkreuzung ist so schmal, dass sie gar nicht in Betracht
kommt; sie gleicht einer feinen Raphe. Dennoch möchte ich
nicht wie Kotzenberg') an ihrer Existenz zweifeln. Davon,
dass motorische Fasern in die Decussatio eingehen, wie der
genannte Forscher angibt, habe ich mich nicht überzeugen können.
Pyramiden werden nicht gebildet. Das Retikulum, so wurde
eben gesagt, ist vollendet; und dies ist so zu verstehen, dass
auch die ventralen Säulen und nicht nur die übrigens sehr
schwachen lateralen vom Retikulum aufgezehrt sind. Das zentrale
Grau hat daher, ehe es vom übrigen Mark in der bekannten
Weise abgegrenzt wurde, rechtzeitig alle Teile des Hypoglossus-
kerns in sich aufgenommen. Im zentralen Grau liegt der sehr
weite, dorsoventral gestreckte Zentralkanal, der ganz dem dunklen
Teil angehört. Dorsal von letztgenanntem liegt das helle Grau,
das an die Gollschen und Burdachschen Stränge angrenzt.
Allerdings ist dessen helle Farbe hier noch nicht zu sehen, denn
es wird vollständig von zarten, aber ziemlich dicht liegenden
Fasern eingenommen, welche transversal ziehen und am Zentral-
kanal ein stärkeres Bündel formieren. Hier ist also eine weisse
dorsale Kommissur von ungewöhnlicher Ausdehnung vorhanden
(Fig. 38). Es kann keine Rede davon sein, dass es sich hier
etwa um Wurzelfasern des Accessorius handeln könnte. Denn
wie die Serie lehrt, bleiben diese von dorsaler zu dorsaler Säule
ziehenden Fasern im Mark und ausserdem kommen Oblongata-
wurzeln vom Accessorius bei dieser Spezies nicht vor.
') Kotzenberg: Untersuchungen über das Rückenmark des Igels.
Wiesbaden 1899. (Zitiert nach Draeseke.)
- 97
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 335
Sehr bald treten die kaudalen Oliven auf und es beginnt
das Auseinanderweichen der dorsalen Markpartien. Die ersteren
machen einen sehr primitiven Eindruck, denn sie kommen in
ihrer ganzen kapitokaudalen Ausdehnung nirgends über das Stadium
des einfachen Nervenkernes heraus (Fig. 39). Das heisst, sie sind
keine scharf umgrenzten Gebilde, haben keine ausgesprochene
Form und daher auch keine als Hilus zu betrachtende Stelle.
Sie liegen so sehr marginal, dass ihr ventraler Rand fast allent-
halben nur von einer dünnen Schicht von Nervenfasern aussen
umhüllt ist. Einzig dicht neben der Medianlinie ist am ventralen
Markkontur ein etwas dichteres Nervenbündel vorhanden, das
vielleicht als Pyramide bezeichnet werden könnte. Interessant
ist an dieser sonst wenig interessanten Olive der schöne bogige
Verlauf der sie durchsetzenden und zur Raphe ziehenden Fasern.
Ihre Grösse ist eine sehr geringe und daher übt sie gar keinen
mechanischen Einfluss auf das Markinnere aus.
Sehr bedeutend ist dagegen der Einfluss, welchen das Aus-
einanderweichen der dorsalen Partien des Markes auf dessen
Konfiguration besitzt. Am auffälligsten ist hierbei die Volums-
zunahme des hellen Grau (Fig. 39), das bald nach dem ersten
Auftreten des Spaltes zwischen den Gollschen Strängen mindestens
doppelt so stark ist wie früher. Die Gollschen Stränge werden
sehr schnell aufgebraucht, ihr persistierender Kern mischt sich
vollkommen mit dem Burdachschen Kerne, der seinen Strang
bis auf wenige disseminierte Nervenbündel rarefiziert hat (Fig. 39).
Nur schwach sind daher die hier auftretenden Arcuatae. Die
vereinigten Goll-Burdachschen Kerne unterliegen sehr bald
ihrem Funktionswechsel zum Kern der kapitokaudalen Acusticus-
wurzel. Das mächtige helle Grau, in dessen lateralster Ecke die
aufsteigende Glossopharyngeuswurzel sich gebildet hat (Fig. 39),
ragt in der Mitte wie ein Knorren ins Freie. Das dunkle Grau,
die Hypoglossuskerne, obwohl minder voluminös als das helle,
hat doch immerhin eine recht erhebliche Grösse. Und es ist
nicht zu verkennen, dass das zentrale Grau bei dieser Spezies
im Vergleich zur Kleinheit der Oblongata eine ganz unverhältnis-
mässige Grösse besitzt. Das aber deutet auf eine höhere Organi-
sation hin, als man sie nach der Beschaffenheit der Oliven ver-
muten sollte. Aus dem dunklen Grau zieht in mehreren unter-
brochenen Strängen der Hypoglossus ventral und tritt lateral
336 Bernhard Rawitz:
von der Olive nach aussen (Fig. 39). Der Zentralkanal hat sich
dank der Ausdehnung des zentralen Grau in transversaler
Richtung gedehnt (Fig. 39) und erscheint daher kürzer aber sehr
viel breiter als früher. Noch ein anderer mit der Dehnung und
der Volumszunahme des zentralen Grau verbundener Effekt ist
zu erwähnen: die dorsale weisse Kommissur nämlich ist spurlos
verschwunden.
Die dorsalen Säulen, welche den ganzen Seitenrand der
Oblongata für sich in Anspruch nehmen, sind nicht unerheblich
kleiner geworden. Ich glaube das, in Analogie mit anderen
Spezies, auf die Reduktion der Rolandoschen Substanz zurück-
führen zu müssen. Freilich ist letztere nie sehr deutlich gewesen,
d. h. hat sich nirgend scharf von der eigentlichen dorsalen Säule
abgehoben. Doch kann an ihrer Existenz nicht gezweifelt werden.
An ihrem äusseren Rande sind zahlreiche dicht stehende Nerven-
bündel erschienen, welche sich scharf von dem dünnen Reste der
dorsalen Stränge unterscheiden, der die Säulen aussen umhüllt
(Fig. 39). Und auch im Innern der letzteren sind zerstreut
etwas kompaktere Nervenmassen aufgetreten. Das sind die
ersten Andeutungen der aufsteigenden Trigeminuswurzel. Sie
grenzt sich dorsal gegen den Goll-Burdachkern durch eine
leichte Einziehung des Markkonturs ab. Von einer Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn ist hier nichts zu sehen; der Seitenstrangskern
ist nur angedeutet, ja er ist so unbedeutend, dass man ihn leicht
übersehen kann und dann zu der Annahme gelangt, dass er dieser
Spezies fehle. Und dann, wenn die Bahn sich deutlich differenziert
hat, fehlt er wirklich.
Der IV. Ventrikel öffnet sich und legt sich sehr bald weit
aus. Damit einher geht eine rapide Grössenabnahme des hellen
Teiles des zentralen Höhlengrau, die schnell gefolgt ist von der
Vereinheitlichung des Grau zu einer in Weigert-Präparaten
dunkel erscheinenden Substanz. Der Rest des hellen Grau wird
in eine Ecke gegen das Retikulum gedrängt und verschwindet
mit der Aufbrauchung der aufsteigenden Glossopharyngeuswurzel.
Überhaupt folgen sich die Veränderungen im Mark von jetzt ab
ungemein schnell. An und für sich ist es ja nicht verwunderlich,
dass in einem so kleinen Gebilde, wie es die Oblongata des Igels
ist, die Umformungen nur wenig Raum beanspruchen. Dennoch
ist die geringe Ausdehnung der einzelnen Teile erstaunlich. Denn
=>
=>
Das Zentralnervensystem der Cetaceen.
in der Gegend, die hier in Fig. 40 abgebildet ist und die nur
wenig kapitalwärts von der Ventrikelöffnung sich findet, ist der
Hypoglossus bereits geschwunden. Das ist ein gerade für diesen
Nerven ungewöhnliches Verhalten, weil er sonst sich intramedullar
viel weiter kapitalwärts erhält. Auch der Vagus ist fast erledigt,
denn nur noch spärliche Bruchstücke seines intramedullaren Ver-
laufes sind zu erkennen. Und das gleiche ist mit dem Glosso-
pharyngeus der Fall, dessen aufsteigende Wurzel in grossen
Zügen austritt (Fig. 40). Interessant und abweichend von den
früheren Spezies ist das Verhalten von Vagus und Glossopharyn-
geus zueinander. Von einem Remplacement des ersteren durch
den letzteren kann nämlich hier nicht gesprochen werden, weil
beide Nerven fast gleichzeitig erscheinen und getrennte Wege
gehen. Der Vagus geht schräg nach ventrolateral so, dass er
am ventralen Ende der Trigeminuswurzel austritt, also am ventralen
Markkontur. Der Glossopharyngeus dagegen zieht lateral, durch-
setzt die Trigeminuswurzel und tritt am lateralen Markkontur
nach aussen.
Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, die inzwischen erschienen
ist, hat sich rapide dorsalwärts vorgeschoben und sich zu einer
äusseren Decke des nunmehr ganz lateral gerückten Goll-
Burdach-Kernes ausgebildet. An ihrem Ende, da wo sie dem
genannten Kerne aufliegt, erscheint ein runder. bald gross-
werdender Kern, der sich mit jenem mischt. Und zwischen ihr
und der Trigeminuswurzel tritt der konzentrisch zum Markkontur
gestreckte Monakowsche Kern auf, welcher sich mit dem eben
erwähnten Endkern der Bahn vereinigt. Die aufsteigende Trige-
minuswurzel ist massiger, ihr Kern, aus dem jede Spur von
Rolandoscher Substanz geschwunden, ist kleiner geworden
(Fig. 40). Die erste Andeutung des Facialiskerns ist vorhanden
(Fig. 40); nur wenig weiter kapitalwärts hat der Kern sehr
grosse Dimensionen.
Der Funktionswechsel des Goll-Burdachschen Kernes ist
bald beendet, denn die kapitokaudale Acusticuswurzel ist gebildet.
Und fast gleichzeitig mit ihr erscheint der Kern der kaudalen
Acustieuswurzel, wie es der Norm entspricht, als eine kappenartige
Masse vom Aussehen der Rinde des Grosshirns. Anormal ist es
dagegen, dass sich der Kern im Schnitt nicht zuerst als ein abge-
sprengtes Stück grauer Substanz präsentiert, sondern dass er sofort
338 Bernhard Rawitz:
der dorsalen Ecke des Markes fest anliegt. Das Tubereulum
acusticum hat hier nur eine ganz geringe Ausdehnung. Durch den
kaudalen Acusticus wird die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn zusammen-
gepresst und ventrolateral gedrückt. Ganz ausserordentlich ent-
wickelt sind die Nervenzüge, welche aus dem zentralen Höhlen-
grau zur kaudalen und kapitokaudalen Acusticuswurzel gehen.
Und ebensolche Ausbildung zeigen diejenigen Fasern, welche
beide Teile des Acusticus mit der Raphe verbinden. Das Corpus
trapezoides, das vom kaudalen Acusticus ausgeht, ist relativ
sehr breit.
Der sehr beträchtliche Nervenstrom, welcher vom Facialis-
kern nach dorsal geht, verdichtet sich bald zum Knie, das lateral
vom inneren Ende der ventralen Strangreste gelegen ist. Mit
der Ausbildung des letzteren sind mehrfache Veränderungen ver-
bunden. Der kaudale Acusticus beginnt sich zu erschöpfen,
während die kapitokaudalen Wurzelfasern des Nerven in die
dorsoventrale Richtung einbiegen. Dadurch bekommt die Klein-
hirn-Seitenstrangsbahn Luft und rückt den auftretenden Binde-
armen entgegen. Die kapitale Olive erscheint als ein grosses
rundliches Organ, welches auf dem Trapezoides aufruht. Letzteres
löst sich medial von ersterem in Fasern auf, welche die ventralen
Markpartien liniieren und sich mit denen der Gegenseite in der
Raphe kreuzen. Und endlich tritt der Abducens auf. Sein
intramedullarer Verlauf ist der gewöhnliche, also vom Facialis-
knie direkt dorsoventral gerichtet. Sein Kern wurde durch das
Knie zweigeteilt; der eine, kleinere Teil liegt ventral, der andere,
grössere, lateral von diesem.
Bald erscheint intramedullar der Facialis und es stellt sich
die Verbindung von Oblongata und Kleinhirn her. Letztere wird
durch die Bindearme bewirkt, welche aus einem von gewöhnlichen
multipolaren Ganglienzellen gebildeten Kleinhirnkern kommen.
Sie strömen in ihrem medianen Teil zur Raphe und zur kapitalen
Olive; in ihrem lateralen ersetzen sie die Fasern des Trapezoides
und gehen am ventralen Kontur zur Raphe. Hier bilden sie die
kaudalsten Anfänge des Pons. Nun tritt der intramedullare Ab-
schnittt des Facialis mit dem Knie in Verbindung, der Austritt
schwindet und gleichzeitig mit ihm auch der Abducens. Der
Acusticus war schon vorher erledigt. Erst wenn weit im Pons
auch der letzte Rest des Facialisknies geschwunden ist, dann löst
er
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 339
sich die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn in der Masse des Cerebellum
auf. Diese Gegend gehört aber nicht mehr der Oblongata.
b) Talpa europaea L.
Dräseke!) hat im Rückenmark des Maulwurfs ein mark-
loses Feld an der medianen Seite der ventralen Stränge beschrieben.
Die von Dräseke angegebene ovale Form des Feldes kommt
dadurch zustande, dass die einander gegenüberliegenden beiden
marklosen Flecken sich in der Medianlinie berühren und dass der
Piafortsatz im Suleus ventralis so dünn ist. dass er, namentlich
bei Anwendung schwächerer Linsen, nicht zu sehen ist. Dieses
marklose Feld findet sich auch in der Oblongata (Fig. 41). Es
hat anfänglich so ziemlich die gleiche Gestalt wie im Rückenmark,
schlägt sich dann weiter kapitalwärts etwas auf den ventralen
Markkontur über und verschwindet mit dem Auftreten der Oliven.
Die Existenz dieses Feldes bietet den einzigen Unterschied
in der Oblongata beider Insektivoren-Spezies. Denn alle sonstigen
Differenzen betreffen Quisquilien, die keiner Beschreibung wert
sind. Nur das sei hervorgehoben, dass bei Talpa keine dorsale
weisse Kommissur vorkommt wie bei Erinaceus.
9. Chiroptera.
Vespertilio murinus Schrek.
Die Oblongata dieser Spezies bietet, soweit es sich um die
Umformungsregion handelt, ungewöhnliche Schwierigkeiten, weil
die einzelnen Teile von exzessiver Kleinheit sind.
Gleich beim Übergang von der Medulla spinalis zur Medulla
oblongata zeigt sich eine schnell zunehmende ganz exzessiv
werdende Vergrösserung der dorsalen Säulen (Fig. 42). In der
Medulla spinalis überwog, wie überhaupt bei den Säugetieren, die
motorische Portion sehr bedeutend die sensible. In der Oblongata
tritt insofern nach kurzer Zeit das umgekehrte Verhältnis auf,
weil die dorsalen Säulen so ausserordentlich sich vergrössern.
Dies aber kann hier nicht auf die Rolandosche Substanz
allein geschoben werden, zumal diese nicht sehr scharf gegen die
im engeren Sinne so zu nennenden grauen Säulen sich absetzt,
sondern letztere müssen ihrerseits beim Übergang zum verlängerten
!) Dräseke: Zur Kenntnis des Rückenmarks und der Pyramiden-
bahnen von Talpa europaea. In: Monatsschrift für Psychiatrie und Neu-
rologie. Bd. 15, 1904.
340 Bernhard Rawitz:
Mark wachsen. Dabei stellt sich mit der Grössenzunahme nicht,
wie bei den Insektivoren, eine teilweise ventrale Verlagerung der
Säulen ein, sondern sie bleiben im wesentlichen dorsal, ragen
aber seitlich so stark hervor, dass sie einen fast spitzen Vorsprung
am lateralen Markkontur hervorrufen (Fig. 42).
Sehr schneli entwickelt sich das Retikulum. Aber es zehrt
doch nicht die ganzen ventralen Säulen auf, sondern lässt einen
Teil von ihnen intakt. Von diesem entspringt dann der Hypo-
glossus (Fig. 42) und erst sehr viel später, wenn das zentrale
Grau differenziert ist, bildet dieses den Hypoglossuskern. Die
Pyramidenkreuzung ist sehr schwach. rein sensibel und führt nicht
zur Bildung von Pyramiden. Frühzeitig erscheint der Seiten-
strangskern.
Die weitere Ausbildung der Oblongata geht die allgemeinen
Bahnen. Aber es ist nicht uninteressant und unwichtig, hervor-
zuheben, dass die Chiropteren-Oblongata, wenigstens bei der von
mir untersuchten Spezies, sehr viel mehr Ähnlichkeit mit der der
Insektivoren als mit der einer anderen, höheren Form hat. Nicht
unwichtig und nicht uninteressant ist diese Tatsache deswegen,
weil man, und wohl mit Recht, die Insektivoren als phyletisch
niedrig stehende, die Chiropteren als phyletisch hochstehende
Säuger betrachtet. Nur der Unterschied wäre anzumerken, dass
die Insektivoren-Oblongata transversal gedehnt ist, die Chiropteren-
Oblongata dagegen einen rundlichen Querschnitt hat. Das aber
ist eine Differenz so untergeordneter Art, dass ihr eine Bedeutung
nicht zukommt. Dagegen die Art, wie die dorsalen Teile auseinander
weichen, wie in den Zwischenraum das helle Grau eindringt, die
schnelle Aufzehrung der @ollschen und Burdachschen Stränge
und die morphologische Bedeutungslosigkeit der kaudalen Olive
sind ebenso wie die starke dorsale weisse Kommissur und die
Trennung des intramedullaren Verlaufes von Vagus und Glosso-
pharyngeus beiden Gruppen gemeinsam. Dies ist namentlich hin-
sichtlich der kaudalen Olive der Fall. Gerade bei diesem Organ
hätte man eine höhere Differenzierung erwarten können, weil
dadurch der Kontrast zwischen der Olive der Rodentia, welche
doch immerhin noch eine untergeordnete Textur zeigt, und der
der Lemuriden, welche, wie sich noch zeigen wird, eine höhere
Differenzierungsstufe besitzt, beseitigt worden wäre. Das ist aber
nicht der Fall, denn die kaudale Olive der Chiropteren ist ein
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 341
sehr primitives Organ. Ohne Konturen, ohne innere Spezialisierung
stellt sie lediglich einen wenig umfänglichen marginal gelegenen
und ziemlich verwaschenen Kern dar.
Erst mit dem Auftreten des kaudalen Acusticus zeigt sich
die höhere Ausbildung der Chiropteren-Oblongata. Das ist aber
eine Gegend, in der, worauf schon des öfteren hingewiesen wurde,
die Umformungen beendet sind. Der kaudale Acusticus tritt
hier nicht als Tuberculum an der dorsalen Ecke des Markes auf,
sondern stellt sich lateral ein. Er liegt daher, wenn beide
Acusticusteile ausgebildet sind, fast an der ventralen Ecke des
Markes. Das von ihm ausgehende Corpus trapezoides ist relativ
sehr stark, wird aber bald von den sehr früh auftretenden Pons-
fasern durchsetzt. Interessant ist, dass mit dem Erscheinen des
Trapezkörpers eine Abtrennung der medialsten Partien der ven-
tralen Stränge statthat, sodass es hier zu einer Art sekundärer
Pyramide kommt. Für die nunmehr höhere Stellung der Chiropteren-
Oblongata spricht es auch, dass der Abducens den Pons durch-
setzt, welch letzterer also sehr weit kaudalwärts reicht.
Betrachten wir einen Schnitt durch die Oblongata in dieser
(regend, also da, wo der Abducens zu sehen ist (Fig. 43). Eine
ausführliche Beschreibung der vorangegangenen Kaudalen Regionen
wird dadurch unnötig und ebenso eine der kapitalwärts folgenden.
Das Kleinhirn hat, obwohl noch keine Andeutung von der
Nähe der Bindearme sich findet, den Raum des IV. Ventrikels
so sehr eingeengt, dass es nur noch als ein ganz schmaler, fast
kapillärer Spalt erscheint. Einzig in der Medianebene ist er
etwas erweitert, weil sich hier sein Boden ventralwärts leicht
vertieft. Diese Erweiterung wird von einem Venengeflecht voll-
ständig ausgefüllt. Das zentrale Höhlengrau ist allenthalben gut
ausgebildet und zeigt auch noch auf dem Ventrikelboden eine
beträchtliche Dicke, ist also hier nicht auf einen dünnen gliösen
Belag reduziert (Fig. 43). Nach den Seiten und ventral gegen
das Retikulum wird es breit und geht in Form eines schmalen
Streifens über die kapitokaudale Acustiecuswurzel hinweg, um
sich an der dorsalen Kante des Markes mit dem Rest des kaudalen
Acustieuskernes zu vereinigen.
Ventral vom Höhlengrau liegen jederseits der Medianlinie
die Reste der ventralen Stränge und lateral von diesen das
Facialisknie. Diesem strebt der Facialis zu (Fig. 43), der von
342 Bernhard Rawitz:
seiner Austrittsstelle, welche sich am ventralen Markkontur findet,
schräg mediodorsalwärts tief in das Markinnere reicht. Er besteht
aus drei verschieden dicken Strängen und hat sich noch nicht
mit seinem Knie vereinigt. Dem Facialisaustritt liegt der Acusticus
eng an und zwar, wie selbstverständlich, die aus der kapito-
kaudalen durch Umwandlung der Verlaufsrichtung entstehenden
Fasern der kapitalen Wurzel. Die kaudale Wurzel ist nur noch
im Querschnitt zu sehen, welchem dorsolateral der betreffende
Kern aufruht. Aus dem zentralen Höhlengrau gehen in sehr
geringer Zahl Fasern in die noch nicht aufgebrauchte kapito-
kaudale Wurzel, in grösserer Menge dagegen zum kaudalen
Acustieus. Ferner ist zu konstatieren, dass zahlreiche, manchmal
zu Bündeln vereinigte Faserzüge von beiden Acusticusteilen durch
das Retikulum zur Raphe und zur kapitalen Olive sich begeben.
In dem spitzen Winkel, welcher vom austretenden Facialis und
dem Acusticus gebildet wird, liegt die aufsteigende Trigeminus-
wurzel mit ihrem sehr klein gewordenen Kern (Fig. 43). Zwischen
kapitokaudaler Acusticuswurzel und dem Rest des kaudalen Kernes
liegt an der lateralen Markecke die drehrunde Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn (Fig. 435). Der Abducens entspringt vom zentralen
Höhlengrau; von seinem Kern ist hier nur ein ganz kleiner Teil
ventral vom Facialisknie gelegen. Auf seinem geraden, dorso-
ventralen Verlaufe durchsetzt er den Pons.
Der ventrale Markkontur ist stark prominent. Dies wird
hervorgerufen durch den in dieser Gegend bereits sehr stark
entwickelten Pons (Fig. 43), in welchem sich auch die letzten,
d.h. am meisten kapitalwärts gelegenen Fasern des Trapezoides
verlieren. Im Pons finden sich in der Nähe der Medianlinie
kernartig gehäufte, massenhafte grosse Ganglienzellen. An der
lateralen Umbiegungsstelle des Markkonturs liegt die kapitale
Olive (Fig. 43). Sie ist hier relativ gross, zeigt aber keine scharfe
Konturierung und unterscheidet sich dadurch von den bisher be-
schriebenen Spezies. Ihre Beziehungen zum Acusticus wurden
schon erwähnt. Merkwürdig ist ihre Einbettung zwischen die
Faserzüge des Pons, die schliesslich zu ihrer Aufsaugung durch
dieses Gebilde führt.
Mit dem Auftreten der Bindearme, denen ein sehr aus-
gedehnter Kern im Cerebellum entspricht, schwinden gleichzeitig
Acusticus und Facialis. Das ist bezüglich des letzteren Nerven
rn
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 545
eine höchst interessante Tatsache, denn bisher konnte immer
gemeldet werden, dass das Facialisknie sehr weit kapitalwärts
reicht. Auch die kapitale Olive schwindet sehr bald nach dem
Auftreten der Bindearme. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn wandert
cerebellarwärts und wird erst in der Trigeminusregion aufgebraucht.
So stellt die Oblongata von Vespertilio murinus, und, wenn
die Verallgemeinerung zulässig ist, der Öhiropteren ein merk-
würdiges Mixtum compositum dar. Solange die Umwandlung der
Rückenmarksteile dauert, von sehr primitiver Organisation, zeigt
sie nach beendeter Umwandlung eine innere Konfiguration, welche
eine höhere Ausbildung bedeutet.
107 Brosimn.
a) Lemur varius L.
Von den Lemuriden ab gewinnt ein Gebilde einen wichtigen
Einfluss, das bisher, wenn wir von den Carnivoren absehen, nur
sekundär für die Umwandlung der Medulla spinalis in die Medulla
oblongata in Betracht kam. Dies ist die Pyramidenkreuzung.
Man kann geradezu sagen: von den Lemuriden ab finden wir Ver-
hältnisse, die bereits an menschliche erinnern und von den bisher
beschriebenen rein tierischen einen schnellen Übergang bewerk-
stelligen. Betrachten wir die Einzelheiten näher.
Beim Übergang vom Rückenmark zur Oblongata ist die
Pyramidenkreuzung sofort in beträchtlicher Breite da (Fig. 44)
und es beteiligen sich an ihr Fasern von allen drei Strangpaaren.
Sie drängt sich in so breitem Keil zwischen die medianen Partien
der ventralen Stränge ein, dass sie diese zusammenquetscht.
Und sie erhält in so breitem Zuge die Fasern von dorsal her,
dass dadurch die lateralen Säulen verdeckt, die ventralen vom
übrigen Grau abgedrängt werden und dass die Verbindung der
dorsalen Säulen mit dem zentralen Grau auf eine schmale Brücke
reduziert wird. Die dorsalen Säulen, deren Rolandosche
Substanz gut entwickelt ist, liegen übrigens nicht mehr dorsal,
sondern ganz lateral. Die dorsale Fläche des Markes wird von
den bereits etwas rarefizierten, medial gelegenen Gollschen und
den seitlich an diese anstossenden Burdachschen Strängen ein-
genommen. Letztere reichen bis etwas ventral von der Um-
biegungsstelle des Markkonturs. Der Vollständigkeit halber sei
hervorgehoben, dass in diesen Anfangsregionen der Oblongata
zwei Accessoriuswurzeln vorkommen.
344 Bernhard Rawitz:
Bald entwickelt sich die Decussatio zu einem so mächtigen
unpaaren Keil, dass sie eine starke Vergrösserung des transversalen
Markdurchmessers herbeiführt. Und nur auf sie kann diese Ver-
grösserung zurückgeführt werden, denn die dorsalen Säulen be-
halten ihren ursprünglichen Umfang bei. Mit der Zunahme der
Decussatio geht einher die Reduktion der ihr zuströmenden Faser-
massen. Zuerst schwinden die Beiträge der ventralen Stränge,
dann werden die der lateralen geringfügig. Nur die von dorsal her
aus den Burdachschen und von lateral her aus dem Nerven-
mantel der dorsalen Säulen kommenden Fasermassen bleiben
ziemlich stark, wenn auch ihre Quantität gegen früher sich ver-
ringert hat. Die ersteren sind es, welche durch ihren schön
geschwungenen Verlauf das zentrale Grau abgrenzen, in welchem
sich bereits der grosszellige Hypoglossuskern differenziert hat.
Da wo anfänglich die zur Kreuzung ziehenden Fasermassen lagen,
findet sich jetzt das Retikulum, das nur noch einen Rest der
ventralen Säulen übrig gelassen hat, der mit der Ausbildung der
Pyramiden in das dunkle Grau einbezogen wird.
Die Rarefikation der Gollschen Stränge ist fast beendet.
Nur marginal steht noch ein dünner Nervenbelag, während nach
innen zu der Kern sich mit dem zentralen Grau vereinigt hat.
Die Aushöhlung des Burdachschen Stranges vom Markinnern
her beginnt und macht sehr schnelle Fortschritte. Beide Stränge
sind kurz vor dem Auftreten der Pyramiden in ihrem dorso-
ventralen Durchmesser verkürzt. Sie haben sich nämlich, ohne
medial auseinander zu weichen, nach lateral hin ausgedehnt. Als
veranlassendes Moment hierfür glaube ich die Zunahme des zen-
tralen Grau betrachten zu müssen, dessen Masse durch Ein-
beziehung der ventralen Säulen grösser geworden ist. Eine
Wirkung dieser Dehnung ist eine stärkere ventrale Verlagerung
der dorsalen Säulen. Der Seitenstrangskern tritt als ein ver-
waschenes, d. h. nicht scharf konturiertes Gebilde auf und dehnt
seinerseits den Durchmesser des Markes.
Es ist sehr interessant in der Serie zu verfolgen, wie mit
der Ausbildung der Pyramiden sich deren Kreuzung verkürzt,
sodass sie, wenn jene als grosse Keile in das Oblongatainnere
hineinragen, von ihnen stellenweise geradezu getrennt ist. Mit
Beendigung der Pyramidenkreuzung tritt die Schleifenkreuzung
auf, deren Fasern sich aus den Zellen des Gollschen und des
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 345
Burdachschen Strangkernes und aus den Resten des letzteren
Stranges sowie aus dem Nervenmantel der dorsalen Säulen in
geschwungenen Zügen nach der Medianlinie begeben.
Mit der Beendigung der Pyramidenkreuzung und dem Auf-
treten der Pyramiden sind aber noch zahlreiche andere Ver-
änderungen teils beendet, teils eingeleitet. Beendet ist die Bildung
des zentralen Grau. Der sehr enge ovale Zentralkanal, von etwas
gelatinöser Substanz umgeben, liegt im dunklen Abschnitt, also
zwischen den Hypoglossuskernen. Der helle Abschnitt, in welchem
bereits die Zellen des Vaguskernes erschienen sind, wird gegen
Goll-Burdach durch eine zarte dorsale weisse Kommissur ab-
gegrenzt. Letztere ist gewissermaßen noch eine Reminiscenz an
primitive Zustände. Beendet ist ferner die Umwandlung des
(Gollschen Stranges in einen kleinzelligen Kern, aus welchem
zahlreiche Fibrae arcuatae entspringen. Beendet ist endlich die
Bildung des Retikulum, das nur marginal durch den mächtigen
Seitenstrangskern etwas diskontinuierlich ist. Die von den
Pyramiden zusammengequetschten ventralen Stränge werden noch
weiter komprimiert durch die nunmehr auftretenden Oliven Die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn hat sich differenziert und schiebt sich
dorsalwärts über den Nervenbelag der dorsalen Säule, welche
ihrerseits ihren Funktionswechsel einleitet. Zwar gehen noch
aus dem Rest der dorsalen Stränge zarte Faserzüge quer durch
die Säule als Arcuatae ab, doch verkleinert sich letztere zusehends
unter Verlust ihrer Rolandoschen Substanz. Der Hypoglossus
ist in mehreren Strängen intramedullar erschienen und durchsetzt
die laterale Partie der beginnenden kaudalen Olive.
Nunmehr weichen in der Medianlinie die Gollschen Stränge
auseinander und es erscheint zwischen ihnen eine seichte, aber
von Anfang an ziemlich breite sattelförmige Bucht, die allmählich
immer breiter wird. Die Burdachschen Strangreste rücken
dabei auf die dorsale Ecke des Markes und mitten in ihnen wird
ein grosszelliger Kern sichtbar, der sie binnen kurzem von innen
ganz aushöhlt. Er verlängert sich nach ventral hin und gelangt
in die Nähe eines kleinen Kernes, der zwischen der Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn und der inzwischen durch Funktionswechsel
entstandenen aufsteigenden Trigeminuswurzel sich eingefunden
hat. Die Pyramiden haben sich unterdessen mehr abgeflacht.,
sind aus grossen, dorsal spitz endenden Keilen rechtwinklige
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 23
346 Bernhard Rawitz:
Dreiecke (im Schnitt) geworden und die Oliven haben sich
vergrössert. Der Zentralkanal hat sich dorsoventral verlängert
und transversal ausgedehnt; er gehört jetzt dem hellen Grau
an, nur seine ventrale Spitze reicht bis an den Hypoglossuskern.
Letztere Tatsache beweist, dass er nicht bloss gedehnt, sondern
auch dorsoventral verlagert ist. Im hellen Grau liegen die
Zellen des Vaguskernes in der Nähe vom Hypoglossuskern und
haben sich zu einer transversal gestreckten Gruppe geordnet.
In der Ecke des hellen Grau ist die aufsteigende Glossopharyngeus-
wurzel erschienen, die vom Vaguskern und dem dorsal von ihm
gelegenen Abschnitt des Grau durch die ersten Arcuatae getrennt
wird. Das zentrale Grau stösst dorsal ins Freie.
Nunmehr öffnet sich, indem sich der Zentralkanal immer
mehr dorsalwärts dehnt, aber ohne dass sich die erwähnte
sattelförmige Bucht ihm entgegenschiebt, der IV. Ventrikel. Seine
ursprünglich steil abfallenden Seitenwände biegen sich sehr bald
nach aussen um und werden dadurch weniger steil, der Vagus
erscheint intramedullar und wir erhalten dann folgendes Bild
der inneren Konfiguration des Markes (Fig. 45):
Der IV. Ventrikel senkt sich in der Medianlinie tief ein.
Seine Ränder gehen erst schräg nach aussen, wölben sich dann
unter langsamem Aufsteigen wieder etwas nach innen vor und
schlagen sich schliesslich dorsal um. Da, wo das nun zum
Höhlengrau gewordene zentrale Grau zu Ende ist und die ver-
einigten Goll-Burdachschen Kerne beginnen (Fig. 45), ragt
ein mit dem Grau innig verwachsener Piafortsatz vor, der durch
eine zarte Lamelle sich mit einem gleichen Fortsatz der Gegen-
seite verbindet. Was zwischen diesen beiden Fortsätzen liegt,
ist der Ventrikel, sein Dach bildet die Pialamelle. Das zentrale
Höhlengrau besteht aus den beiden bekannten Abschnitten, dem
dunklen Grau (Hypoglossuskern) und dem hellen Grau (Vagus-
kern, später Glossopharyngeuskern). In der lateralen Ecke des
letzteren, gegen die Hauptmasse des Grau durch Arcuatae ab-
gegrenzt, liegt die aufsteigende Wurzel des Glossopharyngeus
(Fig. 45). Das dunkle Grau, weniger umfangreich als das helle,
bildet den Boden, das helle die Seitenwand des Ventrikels.
Aus ersterem entspringt in bekannter Weise der Hypoglossus
(Fig. 45). In letzterem ist die vorhin erwähnte Gruppierung
der übrigens sehr grossen Zellen des Vaguskernes einer mehr
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 347
diffusen Anordnung gewichen, wobei zu beachten bleibt, dass die
dorsale Partie des hellen Grau fast völlig ganglienzellfrei ist.
Der Nervus hypoglossus nimmt seinen bekannten Weg direkt
dorsoventral mit leichter konkaver Biegung nach aussen und
geht durch die Olive durch am Seitenrand der Pyramide aus
dem Mark heraus (Fig. 45). Der Vagus, welcher am lateralen
Rande die Oblongata verlässt, geht durch den Kern und die auf-
steigende Wurzel des Trigeminus in zwei weit voneinander ab-
stehenden Zügen. Der laterale entspringt vom Kern im hellen
Grau (Fig. 45), der mehr mediale (in Fig. 45 nicht gezeichnet)
vom Rande des dunklen Grau, das also nicht mehr ausschliesslich
Hypoglossuskern ist. Dieser letztere Ursprung wird von den
ersten Arcuatae durchquert und es bedarf der Anwendung stärkerer
Linsen, um sich davon zu überzeugen, dass es nicht die Vagus-
fasern sind, welche in die Arcuatae-Richtung einbiegen.
Die vereinigten Kerne der Goll-Burdachschen Stränge
bilden jetzt eine graue Masse, deren starker marginaler Nerven-
belag fast ausschliesslich von der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
hergestellt wird. Sie nehmen die dorsale Ecke des Markes ein
und reichen von hier ziemlich weit lateral herab (Fig. 45).
Massenhaft strömen von ihnen Arcuatae aus, welche in oft dichten
Zügen das Retikulum durchsetzen, um teils durch die ventralen
Strangreste zur Raphe zu ziehen, teils in die kaudale Olive ein-
zutreten und hier entweder zu bleiben oder durch sie hindurch
ebenfalls zu der ziemlich breiten Raphe sich zu begeben. Scharf
gegen den Goll-Burdachschen Kern — sein Funktionswechsel
tritt erst weiter kapitalwärts ein — ist die aufsteigende Trige-
minuswurzel abgesetzt. Sie springt mit einem mächtigen,
dorsal etwas verbogenen Hakenfortsatz in das Markinnere hinein
(Fig. 45), so dass jener Kern ihr dorsal aufruht. Ventral endet
sie leicht zugespitzt an dem minimalen Rest des Monakow schen
Kernes. Der Seitenstrangskern ist verschwunden, während die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn sich, wie bereits erwähnt, auf den
Aussenrand des Burdachkernes fortgesetzt hat.
Ein besonderes Interesse bieten die kaudalen Oliven, weil
hier zum ersten Male bei ihnen eine höhere Differenzierung an-
zutreffen ist, diezu menschlichen Verhältnissen überleitet. Zunächst
sei hervorgehoben, dass ich hier nirgends auch nur eine Andeutung
einer Nebenolive gefunden habe. Denn wenn in einem Schnitte
23*
348 Bernhard Rawitz:
ein Oliventeil gesondert zu beobachten war, so zeigte sich nur
wenige Schnitte weiter dessen integrierende Zugehörigkeit zum
(sesamtorgan. Was diesem sein eigentümliches Gepräge gibt, und
wodurch es sich von der Olive der meisten bisher behandelten
Spezies auf das schärfste unterscheidet, ist seine deutliche Ab-
grenzung gegen die Nachbarschaft und das Auftreten eines
mediodorsal gerichteten Hilus (Fig. 45). Ersteres wird dadurch
bewirkt, dass die Nervenmassen, welche der Olive unmittelbar
anliegen, hierbei ein so dichtes Gefüge zeigen, dass sie einem
Nervenmantel gleichen. Dies ist besonders am medialen Kontur
des Organs der Fall. Hier findet sich in direkter. ununter-
brochener Fortsetzung der rechtwinkligen Pyramide eine überaus
dicke und dichte Nervenmasse, welche sich auf das schärfste
gegen die ventralen Strangreste absetzt und eben dadurch, zumal
sie sich noch etwas auf die dorsale Fläche der Olive erstreckt,
eine Umhüllung der letzteren darstellt. Und ebenso ist am
lateralen Ende die anstossende Nervenmasse dichter gefügt als
das Retikulum. Dadurch wird auch die Olive vom Rande der
Oblongata abgedrängt, dem sie bei anderen Spezies fast immer
dicht anlag. Etwas weniger dicht als an den genannten Stellen
ist das Retikulum am lateralen, gegen das Markinnere gerichteten
Ölivenrande. Doch sind auch hier die Fasern noch ziemlich
eng aneinander gepresst, so dass sie als ein besonderer Mantel
imponieren.
Als zweites Charakteristikum wurde die mediodorsale
Richtung des Hilus hervorgehoben. Bei den bisher beschriebenen
Spezies war entweder gar kein Hilus ausgeprägt, oder er war
unbestimmt, insofern die Fasermassen teils von lateral, teils von
medial her eintraten, oder endlich er war, wie z. B. bei Phocaena,
direkt lateral gewendet. Hier nun bei Lemur varius ist der
Hilus mediodorsal gerichtet, d. h. die Fasern treten alle an der
dorsalen Seite in das Organ ein und diese Stelle des Hilus ist
zugleich etwas medianwärts geneigt. Das hängt mit der gegen
früher veränderten Beschaffenheit der grauen ÖOlivensubstanz zu-
sammen. Bei Phocaena war diese eine ungefüge Masse, bei
anderen Arten ein unbestimmter, verwaschener Kern, bei den
Leporiden bestand sie aus getrennten Blättern. Hier nun, und
darin besteht der Fortschritt, ist sie ein einheitliches Blatt, das
in zwei bis drei Falten gelegt ist. Die Zwischenräume zwischen
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 349
den letzteren sind eng, die intraolivaren Nervenmassen sind daher
nur spärlich ausgebildet. Aber die Fältelung ist doch so vor
sich gegangen, dass die Zwischenräume zwischen den Falten sich
mediodorsal öffnen und dass, wo dies nicht der Fall, die ventro-
lateral gekehrte Öffnung nicht ganz bis zum Rande des Organs
reicht. Nur insofern ist noch ein primitiver Zustand vorhanden,
als der längste Durchmesser des Organs von innen dorsal schräg
nach aussen lateral gerichtet ist und daher die Olive auf dem
Seitenrande der Pyramide aufruht. In den Hilus treten Fasern
ein und aus ihm heraus; ausserdem aber gehen in transversaler
Richtung noch Fasern quer durch die Olive hindurch. Diese
sind Arcuatae, welche durch den medialen Mantel der Olive zur
Raphe sich begeben. Letztere ist schmal, soweit sie aus Nerven-
fasern besteht. Ausserdem aber zieht ein ungleich dicker Streifen
grauer Substanz die Raphe entlang, sodass hier eine Art grauer
Raphe vorhanden ist. In den Resten der ventralen Stränge
treten unregelmässige Kernflecken auf (Fig. 45).
Der Ventrikel erweitert sich nur noch wenig, er behält
vielmehr bis weithin kapitalwärts die beschriebene Form bei.
Erst in der Gegend des kaudalen Acusticus vertieft er sich wieder
etwas, sodass man den Eindruck erhält, als ob er in letzterer
Gegend durch den neu auftretenden Nerven etwas komprimiert
würde. Bis dahin sind natürlich noch mannigfache Änderungen
in der Oblongata zu notieren. Die zunächst wichtigste, zum
mindesten auffälligste besteht in der Grössenzunahme der Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn, welche zu einer beträchtlichen Verbreiterung
des transversalen Durchmessers der Oblongata führt. Die Zu-
nahme der genannten Bahn zeigt sich darin, dass sie an der
dorsalen Ecke der Oblongata einen grossen Vorsprung nach aussen
bildet, und sie ist offenbar auf folgende zwei Momente zurück-
zuführen. Erstens zieht sie sich aus dem Seitenstrange, soweit
dieser noch differenziert ist, also richtiger aus dem Seitenrande,
immer mehr nach dorsalwärts hin, engt sich also auf einen
kleineren Raum ein. Aber zweitens empfängt sie frische Fasern
aus dem Seitenstrangskern, welcher mit ihrer Volumszunahme
schnell kleiner wird, um schliesslich ganz zu schwinden. Der
Rückzug der Bahn aus der Seitenregion der Oblongata führt zum
Auftreten der Fibrae arcuatae externae: eine bisher in solcher
Deutlichkeit nicht ausgeprägte Erscheinung. Man sieht nämlich
350 Bernhard Rawitz:
vom ventralen Ende der aufsteigenden Trigeminuswurzel bis in
die Nähe der Oliven Fasern aus den Seitenteilen der Oblongata
in die transversale Richtung einlenken und in mehrfach gebogenem
Verlaufe durch das Retikulum hindurch zur Raphe gehen, wobei
ein Teil von ihnen die kaudalen Oliven durchquert.
Die zweite wichtige Veränderung, welche sich nach der
vorhin ausführlich geschilderten Konfiguration des Markes ein-
stellt, ist das Auftreten der kapitokaudalen Acusticuswurzel. Sie
erscheint zuerst in Form zartester Nervenbündel im Innern des
ehemaligen Gollkernes, der also seinen Funktionswechsel beendet
hat. Sehr bald nimmt sie an Umfang zu, erfüllt dann auch den
ehemaligen Burdachkern und schliesst zwischen ihren Bündeln
zahlreiche grosse (Ganglienzellen ein.
Und die dritte Veränderung besteht in der allmählichen
Vereinheitlichung des zentralen Höhlengrau. Wenn die kapito-
kaudale Acusticuswurzel gebildet ist, Hypoglossus und Vagus ge-
schwunden sind und der Glossopharyngeus durch Remplacement
den letzteren Nerven ersetzt hat, dann beginnt das dunkle Grau,
d. h. der noch persistierende Kern des Hypoglossus sich an seiner
dem Ventrikelboden zugekehrten Fläche seitlich auszudehnen.
Und gleichzeitig wird von der Gegend der kapitokaudalen Acusticus-
wurzel das helle Grau durch Einlagerung feinster Nervenfasern
dunkel (in Weigert-Präparaten). Bald begegnen sich die beiden
dunklen Partien und engen das helle Grau immer: mehr ein,
sodass es schliesslich nur noch in der Nähe der aufsteigenden
(lossopharyngeuswurzel sich eine Zeitlang erhält. Wenn die
letztere durch ihren Austritt aus dem Marke längst erschöpft ist,
dann schwindet allmählich auch der Rest des hellen Grau. Der
Kern hat also den Nerven überdauert, denn der Glossopharyngeus
entspringt vom hellen Abschnitt des zentralen Höhlengrau.
Nach dem Schwinden des Glossopharyngeus ist jenes Stadium
in der Oblongata eingetreten, das ich bei einer anderen Spezies
als Ruhestadium bezeichnet habe und das bisher nur den In-
sektivoren fehlte. Denn auch die Oliven sind mittlerweile ver-
schwunden und neue Anlagen sind nicht vorhanden. An Stelle
der Oliven ist ein etwas dichteres Gefüge des Retikulum getreten,
die von den Oliven lateral etwas gedrückten und darum auf dem
Schnitt dreieckig aussehenden Pyramiden haben sich abgerundet
und die Reste der ventralen Stränge sind dorsal gerückt und
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 351
lagern zu beiden Seiten der Medianlinie am Boden des IV. Ven-
trikels dicht unter einer gliösen Schicht. Freilich hält diese
Ruhe nicht lange an und sie wird unterbrochen durch das Er-
scheinen des Kerns der kaudalen Acustieuswurzel. In der üblichen
Weise stellt sich der genannte Kern zunächst im Schnitt dar,
nämlich als ein Stück grauer Substanz, das an Grosshirnrinde
erinnert und weit ab von der dorsalen Kante der Oblongata
gelegen ist. Sehr bald kommt es zur Verbindung, indem der
Kern durch einen schmalen Streifen in der Gegend des lateralen
Endes der kapitokaudalen Wurzel des Acusticus mit dem Mark
verschmilzt. Aber die Verbindung bleibt zunächst nur eine
schmale. und das ist sehr beachtenswert. Denn obgleich in dem
Kern die Nervenfasern sich schnell eingestellt haben, welche in
breitem Zuge ihn verlassen. so macht doch der kaudale Acusticus
trotz seiner vollen Entwicklung im Schnitt den Eindruck, als
hinge er frei in der Luft. Erst sehr viel weiter kapitalwärts
wird die Verbindung breit, sitzend, dann aber ist die Hauptmasse
der kaudalen Acusticuswurzel bereits erschöpft und die kapito-
kaudale ist es, welche durch ihren Austritt das mikroskopische
Bild in dieser Gegend heherrscht.
Mancherlei Abänderungen sind mit der Ausbildung des
kaudalen Acustieus verknüpft. Zuerst ist zu notieren, dass an
einer einzigen Stelle des Ventrikels Striae acusticae zu sehen
sind. Aus dem Höhlengrau ziehen feinste Fasern zur kapito-
kaudalen und kaudalen Acusticuswurzel. Und ebenso sieht man
Fasern aus beiden Acusticusteilen durch das Retikulum zu der
hier breiten. übrigens wieder rein weissen Raphe ziehen. Aus
dem kaudalen Acusticus zweigt sich das Corpus trapezoides ab,
das in marginalem Zuge medianwärts sich erstreckt und an Stelle
der Arcuatae externae die Liniierung des Retikulum bewirkt. Die
Pyramiden werden davon nicht in Mitleidenschaft gezogen. Die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist komprimiert, denn sie hat das
Aussehen eines linsenförmigen Gebildes, dessen längster Durch-
messer dorsoventral orientiert ist. Sie ist aber auch zugleich
ventral gedrückt, denn sie findet sich nicht mehr an der dorsalen
Ecke der OÖblongata, sondern liegt an deren Seitenrande und drückt
dadurch die aufsteigende Trigeminuswurzel etwas nach innen.
Das Corpus trapezoides, das eben erwähnt wurde, spaltet
sich am Facialiskern in seine einzelnen Bündel, die um ihn herum-
©
|
[80]
Bernhard Rawitz:
gehen. Dieser Kern, der anfänglich ganz klein war, hat bald
gewaltige Dimensionen angenommen und entsendet seinen dorsal
gerichteten Nervenstrom. Hinsichtlich des letzteren sei darauf
hingewiesen, dass er natürlich nicht von Anfang an bis in die
Gegend des späteren Knie reicht, sondern die Nervenfasern sind
zunächst nur eine kurze Strecke weit vom Kern zu verfolgen,
dann biegen sie in kapitalwärts gelegene Ebenen ein, wobei sie
sehr erheblich untereinander konvergieren. Daher kommt es,
dass man einen sehr dichten Nervenstrom in der Nähe des
zentralen Grau findet, während der Kern fast ganz oder ganz
geschwunden ist.
Die ferneren Veränderungen bewegen sich in der wiederholt
von den früheren Spezies beschriebenen Richtung. Doch müssen
sie der Vollständigkeit halber angeführt werden, zumal manches
Interessante hierbei zu notieren ist. Ungewöhnlich früh treten
die Bindearme zum Kleinhirn auf und ebenfalls ungewöhnlich
früh, d. h. also weit kaudalwärts, zeigen sich die kapitalen Oliven.
Die letzteren erscheinen als kleine kernähnliche Flecken ventral
vom Faeialiskern zwischen den Fasern des Trapezoides. Erstere
wölben sich kuppelartig gegen die Oblongata und stossen dabei
an den Kern des kaudalen Acusticus. Dieser schwindet an der
Berührungsstelle sehr schnell und bleibt noch eine Zeitlang
lateral von der in grossen Zügen austretenden kaudalen Wurzel
erhalten. Sind die Bindearme hergestellt, der Ventrikel also
geschlossen, dann ist auch der kapitale Acusticus (kapitokaudale
Wurzel) fast beendet. Und die Fasern der aufsteigenden Trige-
minuswurzel biegen allmählich in die dorsoventrale Richtung ein.
Die vom Kleinhirn durch die Bindearme zur Oblongata strömenden
Nervenmassen, welche aus einem sehr grossen und sehr aus-
gedehnten Kern kommen — er gleicht dem früher bei anderen
Spezies beschriebenen —, fassen zwischen sich die Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn. Der mediale Teil von ihnen geht direkt in
die Oblongata und endet hier entweder in der inzwischen sehr
gross gewordenen kapitalen Olive oder begibt sich zur Raphe.
Der kleinere laterale Teil geht am Aussenrand der Oblongata
entlang, ersetzt hier die Fasern des Trapezoides und begibt sich
ebenfalls zur Raphe, ohne die Pyramide zu durchqueren. Dieser
Teil wird von dem schnell an Grösse abnehmenden kapitalen
Acusticus und dem eben erscheinenden Austritt des Facialis
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 353
durchbrochen. Die kapitale Olive nimmt jetzt den Platz ein,
welchen der mittlerweile verschwundene Facialiskern inne hatte.
Sie ist ein ziemlich grosses, durch zirkuläre Fasern abgegrenztes
Gebilde, das einen dorsal gerichteten Hilus hat.
Diejenigen Bindearmfasern, welche marginal verlaufen, um
dorsal von den Pyramiden zur Raphe zu gehen, stellen die ersten,
d.h. am meisten kaudal und innen gelegenen Fasern des Pons
dar. Denn letzteres Organ tritt nur wenig kapitalwärts von der
Herstellung der Verbindung zwischen Cerebellum und Oblongata
auf. Als erste Andeutung davon macht sich eine Rarefizierung
der Pyramiden geltend, welehe durch graue Substanz, die in ihnen
erscheint, herbeigeführt wird. \ls zweite Andeutung des Pons
treten breite, konzentrisch zum Markkontur ziehende Fasermassen
auf, welche ventral den Pyramiden anliegen. Sie scheinen zu-
nächst in der Luft zu stehen, bis wenige Ebenen weiter kapital-
wärts ihre Verbindung mit den Bindearmen hergestellt ist.
Unterdessen hat sich der Acusticus erschöpft und ist der Facialis
intramedullar seinem Knie entgegengerückt. Letzteres liegt an-
fänglich seitlich vom inneren Ende der ventralen Stränge, rückt
dann aber auf diese so auf, dass es sie vom Boden des Ventrikels
abdrückt und selber ihre Stellung einnimmt. Einen Teil des
Abducenskernes hat es dabei gleichzeitig etwas ventral ver-
lagert.
Der Abducens ist inzwischen erschienen und geht in mehreren
dicken, wiederholt unterbrochenen Zügen direkt dorsoventral.
Er tritt durch den Pons hindurch nach aussen. Sehr bald, nach-
dem der Pons als solcher deutlich geworden, aber noch ehe seine
Verbindung mit dem Cerebellum im Schnitt erschienen, hat sich
die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn in die cerebellaren weissen Massen
aufgelöst. Die Oblongata haben wir also längst verlassen, ehe
die ihr angehörigen Teile verschwinden. Erst tief in der Pons-
region hört die kapitale Olive auf, dann der Abducens. Der
Facialisaustritt ist längst vorbei, ehe die intramedullare Ver-
einigung des Nerven mit dem Knie dadurch statthat, dass er aus
der dorsoventralen in die transversale Richtung einbiegt. Und
es dauert noch lange, nachdem auch diese Vereinigung ge-
schwunden, bis das Knie nicht mehr im Schnitt zu sehen ist.
So sehr weit kapitalwärts reicht der Facialis in die Pons-
region hinein.
354 Bernhard Rawitz:
b) Lemur mongoz L.
Die Oblongata dieser Spezies zeigt vollkommene Überein-
stimmung mit L. varius.
14H Pithreci:
Macacus rhesus Wasn.
Schärfer noch als bei den Lemuriden tritt bei Rhesus die
mechanische Wirkung der Pyramidenkreuzung hervor. Denn in-
tensiver als bei jener Spezies ist hier die Beteiligung der ventralen
und lateralen Fasern. Es wird daher der transversale Durch-
messer des Markes durch die Decussatio in seinem ventralen
Abschnitte nicht unbeträchtlich gedehnt. Aber auch dessen dor-
saler Abschnitt muss eine Deiinung erfahren, denn das Quer-
schnittsbild der Oblongata bleibt ein gleichmässig ovales Dass
eine solche Dehnung stattfindet, ist aus der Lage der Gollschen
Stränge zu schliessen. Im Anfang, d. h. dicht am Übergange
von der Medulla spinalis zur Medulla oblongata trifft man das
(ollsche Strangpaar so zwischen den Burdachschen Strängen,
dass es wohl den freien dorsalen Kontur erreicht, nach innen
aber nicht bis zur grauen Kommissur gelangt, weil sich ihm hier
die inneren Enden der Burdachschen Stränge vorschieben.
Wenn aber die Decussatio voll eingesetzt hat und mechanisch
den ventralen Teil des Markes dehnt, dann folgt dieser Dehnung,
wie gesagt, auch die dorsale Partie, denn nunmehr reichen die
Gollschen Stränge bis zur dorsalen grauen Kommissur. Dabei
sind sie an ihrem freien Rande nicht eingesunken und haben
demnach auch eine innere Dehnung erfahren. Diese wird durch
den mit der Decussatio in ihnen auftretenden Kern herbeigeführt.
Die Burdachschen Stränge erscheinen etwas kleiner als an-
fänglich, was auf ihre starke Beteiligung an der Pyramiden-
kreuzung zurückzuführen ist Sie werden vom Mark her in der
üblichen Weise ausgehöhlt, indem die graue Substanz keilartig
in sie eindringt. Die gleichzeitig in ihnen auftretenden unregel-
mässigen, kleinen und disseminiert stehenden Kernflecken ver-
schwinden bald und werden erst später durch einen grossen Kern
ersetzt. Der Volumsabnahme dieser Stränge ist es zu danken,
dass die dorsalen Säulen auch bei voll entwickelter Pyramiden-
kreuzung ihre ursprüngliche, d. h. dorsale Lage beibehalten haben,
zumal ihre Rolandosche Substanz sich nicht vermehrt, eine
Grössenzunahme bei ihnen daher nicht statthat. Der sie aussen
oo
ot
ot
Das Zentralnervensystem der Cataceen.
begrenzende Rest des dorsalen Stranges erscheint als ein sehr
dünner Nervenbelag.
Während die Pyramidenkreuzung immer stärker wird und
sich dabei gleichzeitig auf die medialen Flächen der ventralen
Stränge auflegt, wodurch diese stark komprimiert werden, geht
die Bildung des Retikulum nur sehr langsam vor sich. Denn
man kann noch sehr weit kapitalwärts die ventralen und lateralen
Säulen erkennen. Frühzeitig tritt dagegen die Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn als deutlich sichtbares Gebilde auf. Sie erscheint
als ein unregelmässig konturiertes Nervenkonvolut am ventro-
lateralen Ende der dorsalen Säule,,,myd ist von dem eigentlichen
Seitenstrang durch einen konstant . „einen Spalt getrennt, welcher
von einem Piafortsatz ausgefüllt wird.
Bald kommt es zur ersten Andeutung der Pyramiden, welche
im Verein mit der noch immer sehr mächtigen Decussatio die
medianen Partien der ventralen Stränge auf einen sehr schmalen
Raum komprimieren. Letztere können nämlich nicht seitlich
ausweichen, weil ihnen hier die noch nicht vom Retikulum und
vom zentralen Grau aufgesogenen ventralen Säulen ein unüber-
windliches Hindernis entgegenstellen. Das zentrale Grau, in
welchem der sehr kleine kreisrunde Zentralkanal gelegen ist, hat
sich differenziert. Es wird lateral durch die massenhaft aus den
Gollschen und Burdachschen Strängen in schön geschwungenem
Bogen zur Decussatio ziehenden Fasern abgegrenzt, ventral stösst
es an die Kreuzung, dorsal an die Gollschen Stränge an. Bei
letzteren kann eigentlich nicht mehr von Strängen gesprochen
werden. denn sie bestehen nicht mehr aus irgendwie kompakten
Nervenmassen, sondern stellen grosse, dorsoventral gestreckte
Kerne dar, in welchen wirr durcheinander geworfene Nerven-
fasern der verschiedensten Verlaufsrichtung sich finden. Sie sind
sehr beträchtlich grösser geworden; im Vergleich zu ihrem an-
fänglichen Maß kann man eine Volumszunahme um mehr als das
Doppelte konstatieren. Dadurch haben sie die Burdachschen
Stränge, deren Rarefizierung vom Mark aus schnelle Fortschritte
macht, lateral gedrängt und diese ihrerseits haben eine ventro-
laterale Verlagerung der dorsalen Säulen herbeigeführt. Letztere
finden sich daher nicht mehr am dorsalen Markkontur, sondern
gehören jetzt dem lateralen an. Ihr äusserer Nervenbelag ist
etwas stärker geworden, während ihre innere Konfiguration un-
356 Bernhard Rawitz:
verändert geblieben ist. Der Seitenstrangskern ist in fast margi-
naler Lage als ein ziemlich kleines unscharfes Gebilde erschienen.
Bald aber vergrössert er sich in ganz erheblichem Maße und mit
dieser Zunahme seines Umfanges geht einher eine Zunahme der
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn. Sie dehnt sich nämlich nach dorsal
hin stark aus und legt sich aussen auf die Burdachschen Stränge
auf. Letztere werden nun nicht mehr ausschliesslich vom Mark
her rarefiziert, sondern auch von einem in ihrem Innern gelegenen
Kern. Dieser, aus grossen Ganglienzellen bestehend, tritt am
lateralen Rande des Stranges innerhalb seiner Fasermassen zu-
nächst als ein kleiner Flec'iv4uf. Er vergrössert sich rapide, so
dass nach kurzer Zeit ein mächtiger Kern im Stranginnern vor-
handen ist, welcher in Gemeinschaft mit der vom Mark her
vordringenden grauen Substanz den Rest des Strangmassivs
zwischen sich fasst und dieses sehr bald aufbraucht.
Gleichzeitig mit diesen Vorgängen im Burdachschen
Strange hat sich der Funktionswechsel in den dorsalen Säulen
und ihrem Nervenbelag vollzogen, d. h. es ist jetzt die auf-
steigende Trigeminuswurzel entstanden. Die Rolandosche
Substanz der Säulen ist verschwunden, es existiert nur noch
kleinzelliges Grau. Die Nervenmasse der Wurzel ist erheblich
vermehrt und bildet einen mondsichelartigen Belag des zugehörigen
Kernes. Die aussen von der Wurzel gelegene Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn hat sie nach innen und die durch den Kern bewirkte
Ausdehnung des Burdachschen Stranges hat sie nach ventral
gedrängt. Sie grenzt jetzt an den Seitenstrangskern. Ebenfalls
gleichzeitig mit den geschilderten Vorgängen haben sich die
Gollschen Kerne wiederum bedeutend vergrössert. Sie liegen
einander in der Medianlinie dicht an, da der sie trennende
Piafortsatz sehr zart ist. Nach den Seiten und besonders an
ihrer dorsalen Partie haben sie sich derartig gedehnt, dass sie
jetzt so gross sind wie am Beginn der Oblongata Gollscher
und Burdachscher Strang zusammen. Sie gleichen grossen
rechtwinkligen Keilen, die ihre Hypotenuse gegen den Markkern
des Burdachschen Stranges wenden. Vergleicht man sie mit
den inzwischen erschienenen Pyramiden, so können sie als deren
dorsales Gegenstück bezeichnet werden: genau dieselbe Gestalt
bei beiden, genau dieselbe Orientierung, nämlich die Hypotenuse
nach lateral gekehrt, und beide von entschiedenem Einfluss auf
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 997
die Gestaltung des Markes. Nur der Unterschied besteht, dass
die umgewandelten Gollschen Stränge jetzt fast ausschliesslich
aus grauer, die Pyramiden dagegen nur aus weisser Substanz
bestehen.
Inzwischen hat das Retikulum seine normale Ausdehnung
erlangt und nur noch einen Rest der ventralen Säulen in der
Nähe des zentralen Grau freigelassen. Und ferner treten jetzt,
wo die Pyramidenkreuzung zu Ende geht, die Fasern der
Schleifenkreuzung auf.
Wenn die geschilderte innere Konfiguration der Oblongata
erreicht ist, dann zeigt sich im Schnitt die erste Andeutung der
kaudalen Olive. Sie entwickelt sich allmählich und erreicht ihre
volle Ausbildung erst sehr viel später kapitalwärts, als dies bei
den vorher geschilderten Spezies der Fall war. Ich will ihr
Aussehen aus jener Gegend schildern, wo sie in ihrer ganzen
Ausdehnung zu sehen ist. Denn dadurch wird der Unterschied
zu den übrigen Tieren und zum Menschen am leichtesten
erkennbar. Diesen Unterschied schärfer zu betonen, als dies
meines Erachtens bisher geschehen, wird im II. Teil dieser
Abhandlung erfolgen. Dass dies mit Nutzen geschehe, dazu ist
es notwendig. dass der Bau des Gebildes verstanden ist. Ihre
volle Ausbildung also zeigt die Olive (Fig. 46) in einer Gegend,
wo die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel in breitem Zuge
das Mark verlässt, andere Nervenbahnen dagegen fehlen und das
zentrale Höhlengrau seine Vereinheitlichung erfahren hat. Sie
erstreckt sich von medial und dorsal in schräger Richtung nach
ventral und lateral und reicht hier so nahe an den Markkontur,
dass sie von diesem ausser durch ihren eigenen Nervenmantel
nur durch eine dünne Schicht der Seitenstrangsfasern geschieden
wird. Was für die kaudale Olive gegenüber dem gleichen Gebilde
anderer Spezies, auch der Prosimii, charakteristisch ist und
wodurch sie sich in ihrem Aussehen der Olive des Menschen
nähert, das ist die Beschaffenheit. oder, wenn man will, die
Anordnung ihrer grauen Substanz. Der Eindruck ist nicht von
der Hand zu weisen: die Fältelungen der grauen Substanz der
Olive gleichen typisch den inneren Windungen der Grosshirn-
rinde (Fig. 46). Es sind Gyri vorhanden, welche eine Art Corona
radiata umschliessen. Und die aus den einzelnen Windungen
hervorgehenden Teile dieser Corona gehen in eine allerdings
358 Bernhard Rawitz:
sehr schmale weisse Substanz über, welche sich in leichter
dorsaler Aufrichtung gegen die dorsal von den Pyramiden gelegenen
Massen der ventralen Strangreste hinzieht. Der Hilus ist deutlich
und ist median gekehrt. Und nur weil das Organ eine Neigung
nach ventrolateral zeigt, steht der Hilus nicht in der trans-
versalen Achse. Es kann meines Erachtens keinem Zweifel unter-
liegen, dass die Fasern dieser Corona radiata — ich gebrauche hier
absichtlich nicht die bisher übliche Terminologie, weil sie mir
nicht richtig erscheint — ausschliesslich aus den Gyri der Olive
stammen. Aussen wird das Organ von einem zarten Mantel
zirkulär. d. h. konzentrisch um das Organ herum verlaufender
Nervenfasern umhüllt. Dieser Mantel wird etwas undeutlich da,
wo die Olive den Pyramiden aufliegt, und auch da, wo sie an
das Retikulum und die ventralen Strangreste anstösst, also an
ihrem medialen und dorsalen Ende. Doch bin ich der Meinung,
dass hierin nur eine sekundäre Erscheinung zu erkennen ist.
Die kaudale Olive nämlich — und dadurch unterscheidet sie sich
auf das schärfste von der kapitalen — übt bei Rhesus einen
bedeutenden mechanischen Einfluss aus. Was sich ihr in den
Weg stellt, wird entweder bei Seite gedrängt, und dies ist im
grössten Abschnitt ihres Umfanges der Fall, oder es wird
zusammengepresst. Letzteres tritt an den genannten Stellen ein.
Und infolge dieser Zusammenpressung, durch welche die Nerven-
massen der Pyramiden und ventralen Strangreste in der Nähe
der Oliven ganz besonders dicht erscheinen, verwischt sich auch
die Grenze zwischen ihrem Mantel und den erwähnten Teilen,
d. h. jener wird undeutlich. In die Zwischenräume, welche
aussen zwischen der Olivengyri vorhanden sind, treten aus dem
Mantel Fasern und diese begeben sich zum Olivengrau, um hier
zu enden. Im Hilus treten nur Fasermassen aus, aber keine
ein. Die Mantelfasern stammen aus der Umgebung, doch ist es
nicht ganz leicht, ihre Herkunft einwandfrei festzustellen; die
folgenden Angaben beanspruchen daher auch nur approximative
Geltung. Einen Teil der Fasern liefern die Arcuatae internae;
ein anderer Teil kommt aus der Gegend der Kleinhirn-Seiten-
strangsbahn. Letztere strömen in welligem Verlaufe zur Olive hin.
Noch ein Wort über die Nebenolive. Wie bei den bisher
geschilderten Spezies so habe ich auch bei Macacus rhesus mich
nicht von der gesonderten Existenz eines solchen Gebildes über-
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 359
zeugen können. Wo immer ich Bildungen antraf, welche im
Schnitt nicht direkt mit der Hauptmasse der Olive zusammen-
hingen, immer belehrte mich die Serie, dass es dennoch
integrierende Teile der Olive waren. Und auch der abgebildete
Schnitt (Fig. 46) beweist, dass nur eine Olive, aber keinerlei
Nebenolive existiert. Ja manche Autoren haben sogar die in der
Schnittserie zuerst sich zeigenden Olivenpartien, die sich als
rundliche Flecken darstellen, wie das bei einem Tangentialschnitt
selbstverständlich, als besondere Kerne (Nucleus olivarius
accessorius etc.) bezeichnet und diese Bezeichnungen sind leider
in die Lehrbücher übergegangen. Es gibt keine derartigen
Kerne, wie das Studium lückenloser Schnittserien lehrt; wo sie
sich zeigen, handelt es sich um die am weitesten kaudal oder
kapital gelegenen Organpartien, die tangential getroffen wurden.
Kehren wir nunmehr zur Öblongata zurück, wo wir sie
vorhin behufs Erledigung der Oliven verlassen. Mit dem ge-
schilderten ersten Auftreten der Oliven, der Ansbildung der keil-
förmigen Pyramiden und dem Schwächerwerden der Decussatio
treten in starken Zügen die Arcuatae auf. Sie kommen aus-
schliesslich aus den Goll-Burdachschen Kernen. Ferner findet
sich der Hypoglossus ein. Er entspringt vom zentralen Grau,
das noch nicht seine Zweiteilung erlangt hat, geht in mehreren
unterbrochenen Strängen direkt dorsoventral und durchsetzt dabei
die ersten Andeutungen der Oliven. Die Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn rückt weiter dorsalwärts über den Burdachkern vor,
während der Seitenstrangskern sich verkleinert. Die Nerven-
masse des Burdachschen Stranges ist in dieser Gegend auf ein
Minimum reduziert.
Nunmehr beginnt ein rapides Anwachsen des zentralen Grau,
in welchem sich jetzt die beiden Teile differenzieren. Das
dunkle Grau, der Hypoglossuskern, ist klein und hat durch die
eigentümliche Gruppierung der in ihm vorhandenen Nerven-
fasern rundliche Konturen. Mächtig wächst nach vollendeter
Differenzierung das helle Grau an, in welchem die grossen
Ganglienzellen, der Vaguskern, eine bestimmte Anordnung, wie
sie bei manchen früheren Spezies zu beobachten war, nicht dar-
bieten. Dieses Wachstum des hellen Grau übt einen bedeutenden
mechanischen Effekt nach dorsalwärts aus. Zunächst werden
die Gollkerne, welche noch immer die ersten, d. h. innersten
360 Bernhard Rawitz:
Kreuzungsfasern absondern, etwas komprimiert und schliesslich
auseinandergedrängt Dadurch gelangt das helle Grau an den
Markrand und reisst, wenn es diesen erreicht hat, ein. Der
Spalt erweitert sich, dringt dem leicht gedehnten Zentralkanal
entgegen und so kommt es zur Bildung des IV. Ventrikels.
Gleichzeitig leitet sich die Vereinigung von Gollkern und
jenem Teil des Burdachkerns ein, der von dem zentralen Grau
des Markes entstanden ist. Bald vereinigt sich dieser mit jenem
vorhin erwähnten grosszelligen Kern, der im Innern des Burdach-
schen Stranges aufgetreten war und ihn daher von innen her
ausgehöhlt hatte. Denn der letzte Rest des Strangmassivs ver-
schwindet und wird zu Fibrae arcuatae. Der Seitenstrangskern
vergrössert sich wieder einmal. Erst wenn der Ventrikel sich
geöffnet hat, dessen Ränder dann sehr steil abfallen, erst dann
erscheint in der lateralen Ecke des hellen Grau die aufsteigende
(lossopharyngeuswurzel.
Nur allmählich legen sich die Wände des Ventrikels aus-
einander, die noch lange ziemlich steil zu dem spitzwinklig ein-
geschnittenen Boden abfallen. Infolge der Erweiterung rückt
der vereinigte Goll-Burdach-Kern bis an die dorsale Markecke,
wo er an die inzwischen sehr voluminös gewordene Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn angrenzt. In mächtigem Strome ziehen von
diesem Kern die Arcuatae erst ventral dann transversal, um sich
zu der breiten Raphe zu begeben. Gleichen Schritt hat mit
diesen Veränderungen die Ausbildung der Oliven gehalten. Ihre
(srössenzunahme hat namentlich in der Nachbarschaft der Median-
linie zu jener Zusammenpressung der Fasern der ventralen Stränge
geführt, die vorhin bei der ausführlichen Schilderung der Oliven
erwähnt wurde. Ob es notwendig und nützlich ist, diese mechanisch
gepressten Partien durch eine besondere Benennung hervor-
zubeben, erscheint mir sehr fraglich.
Erwähnt wurde, dass der Hypoglossus, wo die Oliven im
Schnitt eben auftreten, durch deren lateralen Teil hindurch das
verlängerte Mark verlässt. Hierin hat sich die Situation in-
zwischen verändert. Die Oliven nämlich haben sich nach ventro-
lateral ausgedehnt und daher wird jetzt ihr medialer Abschnitt
vom Hypoglossus durchquert. Die ersten intramedullaren Vagus-
züge sind erschienen; sie gehen von ihrem bekannten Kern in
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 361
transversaler Richtung auf die Mitte der aufsteigenden Trigeminus-
wurzel zu.
Der Seitenstrangskern verkleinert sich allmählich und
schwindet schliesslich ganz. Die Kleinhirn -Seitenstrangsbahn
nimmt an Umfang zu und erhält in der Nähe der Trigeminus-
wurzel, also an ihrem ventralen Ende, einen kleinen Kern, den
ich für den Monakowschen Kern halte. Er erreicht keinen
bedeutenden Umfang, höhlt doch aber die Bahn da, wo er liegt,
ein wenig aus. Auch in der Trigeminuswurzel treten unregel-
mässige und inkonstante Kernflecken auf. Sehr interessant ist
das Verhaiten, welches der Goll-Burdachkern allmählich an-
genommen hat. Er hat sich zunächst nach lateral, dank der
fortschreitenden Ausweitung des Ventrikels, so ausgedehnt,
bezw. so sehr verlagert, dass er die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
von der dorsalen Ecke des Markes weg und auf dem Seitenrande
nach ventral gedrängt hat. Der ganze dorsale Kontur der
Oblongata wird daher jetzt von grauer Substanz eingenommen;
am Boden des Ventrikels liegt der Hypoglossuskern, der helle
Teil des zentralen Höhlengrau nimmt die Seitenwand ein und
reicht daher über zwei Drittel des dorsalen Markkonturs nach
lateral. Dann folgt der Goll-Burdachkern. In seinem
innersten, an das Höhlengrau angrenzenden Abschnitte sind
die ersten, disseminiert stehenden Bündel der kapitokaudalen
Acusticuswurzel aufgetreten, zwischen denen zahlreiche grosse
(ranglienzellen liegen. Nach aussen davon gehen in grossen
Massen die Arcuatae ab, welche sich also nach innen von der
Trigeminuswurzel finden und deren Kern durchqueren. Von
jenem Teil des Goll-Burdachkernes, welcher der Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn anliegt, gehen ebenfalls Faserbündel in zonaler
Richtung ab. Man hat Mühe, diese Bündel von jener kompakten
Bahn zu trennen. Sie verlaufen zwischen Seitenstrang und
Trigeminuswurzel, sind daher kompakt, weil sie auf einen sehr
engen Raum zusammengepresst sind, fasern sich aber dann an
der letzteren ventralem Ende auseinander und sind nun bis in
die Olive zu verfolgen.
Die weiteren Veränderungen dokumentieren sich wesentlich
an der Kleinhirn-Seitenstrangsbalın, und zwar dadurch, dass diese
immer mehr am Seitenrande der Oblongata nach ventral rutscht.
Der Ventrikel legt sich weiter aus, dadurch wird die kapito-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 24
362 Bernhard Rawitz:
kaudale Acusticuswurzel immer mehr in die laterale Ecke und
der Rest des Goll-Burdachkernes ventral gedrängt. Die von
letzterem ausgehenden Arcuatae werden dünner und weniger
zahlreich, je mehr Teile des Kerns sich dem Funktionswechsel
zum Kern der kapitokaudalen Acusticuswurzel unterziehen. Es
fällt mir hier zum ersten Male auf, dass mit letzterem eine
Volumsabnahme des Kerns verbunden ist. Das Analogon dazu
ist die Volumsverringerung der zum Kern der aufsteigenden
Trigeminuswurzel sich umwandelnden dorsalen Säule.
Der Hypoglossus, dessen ventrale Austrittsstellen bald
schwinden, fängt nunmehr an undeutlicher zu werden. das heisst,
die Zahl seiner intramedullaren Züge nimmt ab, und was von
solchen noch übrig bleibt, ist dünn, erscheint reduziert. Wenn
die kaudale Olive ihre früher beschriebene volle Ausbildung im
Schnitte zeigt, wenn dieser also die Mitte des betreffenden Organs
getroffen hat, dann ist intramedullar der Hypoglossus erledigt
und nur sein Kern persistiert noch einige Zeit. Auch der Vagus
wird mit dem Hypoglossus schwächer, während zugleich der
Glossopharyngeus erscheint. Hier findet also kein einfaches
Remplacement des einen Nerven durch den anderen statt, da
man beide gleichzeitig antrifft. Der Glossopharyngeus, welcher
nur vom blassen Höhlengrau entspringt, zieht dorsal vom Vagus,
aber parallel zu diesem nach aussen. Mit dem intramedullaren
Erscheinen des Glossopharyngeus beginnt die Vereinheitlichung
des zentralen Höhlengrau, welche in der gleichen Weise vor sich
geht, wie sie vorhin bei Lemur varius geschildert wurde. Ist der
Rest des hellen Grau in die laterale Ecke an das Retikulum
herangedrängt, dann tritt in breiten Zügen die aufsteigende
Glossopharyngeuswurzel nach aussen. um am lateralen Kontur
durch die sehr massig gewordene Trigeminuswurzel hindurch das
Mark zu verlassen (Fig. 46). Es ist dies jene Gegend, in welcher
die Olive in voller Ausbildung zu sehen ist. Die Kleinhirn-
Seitenstrangsbahn ist ein dem Markkontur entsprechend gedehntes
Gebilde geworden und hat im Schnitt wurstförmiges Aussehen
erlangt. Die von demjenigen Rest des Burdachschen Kernes,
der bisher für die kapitokaudale Acusticuswurzel keine Verwendung
fand, ausgehenden Arcuatae schliessen nach ihrer Ausfaserung
die erste Andeutung des Facialiskerns ein. Interessant ist, dass
aus der Gegend der hier bereits sehr gut ausgebildeten, eben
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 363
genannten Acusticuswurzel überaus feine Fasern als Arcuatae zur
Raphe ziehen, also eine Verbindung des Nerven mit der Peripherie
herstellen. Diese Verbindungszüge werden sehr bald stärker und
dadurch auch deutlicher. Die ersterwähnten Fasern, welche als
kompaktes Bündel zwischen Kleinhirn - Seitenstrangsbahn und
Trigeminuswurzel — der Kern der letzteren ist sehr klein ge-
worden — sich finden, stammen bekanntlich auch aus dem Goll-
Burdachkern. Sie können aber von der Stelle ab, wo der
Facialiskern etwas deutlicher geworden, nicht mehr als einfache,
gewissermaßen indifferente Arcuatae angesehen werden, sondern
sind ebenfalls als Acustieusfasern zu betrachten; es hat also ein
Remplacement stattgefunden.
Die Oblongata von Macacus rhesus zeigt im Gegensatz zu
der niederer Säugetierspezies, mit Ausnahme der Insektivoren,
nicht das oft erwähnte Ruhestadium. Denn während die auf-
steigende Glossopharyngeuswurzel noch in breitem Zuge durch
das Mark geht, ist bereits seitlich von diesem der Kern der
kaudalen Acusticuswurzel erschienen. Er bietet keinerlei Be-
sonderheiten, stellt also wie gewöhnlich ein Stück vom Mark
zunächst getrennter grauer Substanz von Hirnrinden-Charakter
dar, in welchem zwischen den kleinen Ganelienzellen sehr bald
Nervenfasern sich einstellen. Nur das sei als beachtenswert
hervorgehoben, dass schon die kaudale Wurzel des Acusticus in
breitem Zuge ihren Kern verlässt, ehe noch im Schnitt die Ver-
einigung des letzteren mit der Oblongata erfolgt ist. Das heisst
also: das Tuberculum acusticum von Rhesus ist eine sehr stark
vorragende Partie des verlängerten Markes. Mit dem Auftreten
des kaudalen Acusticuskernes ist ein anderer Kern gross geworden,
der schon weiter kaudalwärts wie eine kleine rundliche Rare-
fikation des Retikulum sichtbar war. Es ist dies der Facialiskern.
Mit der weiteren Entwicklung des kaudalen Acusticus geht
einher erstens die Ausbildung des Corpus trapezoides, zweitens
eine so rapide Grössenabnahme der Olive, dass sie geschwunden ist,
noch ehe die kapitokaudale Acusticuswurzel sich zum Austritt
anschickt. Auch die Verschmelzung der Bindearme mit der
Oblongata ist noch nicht perfekt. Von Interesse ist es festzu-
stellen, dass diejenige Verdichtung der ventralen Strangmassen,
die ich bei Beschreibung der Oliven erwähnt und deren Ent-
stehung ich auf eine mechanische Kompression zurückführte, auch
24*
364 Bernhard Rawitz:
noch kapitalwärts von den Oliven sich erhält. Aber auch hier
glaube ich ein mechanisches Moment dafür in Anspruch nehmen
zu können, und zwar erblicke ich es in den Bindearmen. Wie
mit deren Auftreten zunächst eine Zusammendrängung des Massivs
der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn verbunden ist, so dass dieses
Gebilde jetzt drehrunde Form erlangt, so drücken die Bindearme
auch unstreitig auf den Rand der Oblongata. Denn letzterer zeigt
ein viel dichteres Gefüge als das Retikulum, und die Kompression
der Nervenbündel muss da am stärksten ausfallen, wo der grösste
Widerstand vorhanden ist. Dieser aber findet sich dorsal von
den Pyramiden in der Raphe, welche nicht mehr gepresst werden
kann als es geschieht: d.h. sie kann nicht zum Verschwinden
gebracht werden. Ferner spricht für die mechanische Ursache
der erwähnten Erscheinungen, dass mit dem Fortfall der Oliven
die Pyramiden, welche ebenfalls gepresst waren, drehrunde Stränge
geworden sind. Bei diesen Gebilden, welche dem Mark nur an-
liegen, fällt jener Widerstand fort, den die Raphe darbietet. |
Das Auftreten der Bindearme hat die gewöhnlichen Folgen,
also: Verdrängung des kaudalen Acusticuskernes, so dass dieser
nur noch einen lateralen Belag der betreffenden Wurzel darstellt.
Ferner: Übergang der kapitokaudalen Wurzelbündel in die dor-
sale Richtung, wodurch die kapitale Wurzel (vordere Wurzel der
Autoren) entsteht. Ferner strömen Fasermassen aus dem grossen
Kern des Cerebellum in die Bindearme und begeben sich in der
bekannten Weise medianwärts. Ausserordentlich intensiv aus-
gebildet sind die Verbindungsfasern beider Teile des Acusticus
mit der Peripherie in der vorhin geschilderten Weise. Und sie
erhalten sich, wenn das Corpus trapezoides, das eine ebensolche
Verbindung darstellt, allmählich durch die vom Bindearm stam-
menden und denselben Weg ziehenden Fasern ersetzt wird. Dass
letztere zu Ponsfasern werden, ist hier genau wie bei anderen
Arten der Fall. Endlich stellen noch die gut ausgebildeten und
am dorsalen Markrande sichtbaren Striae acusticae eineVerbindung
des Hörnerven mit der Raphe dar.
Der Facialiskern hat sich ganz bedeutend vergrössert und
entsendet dorsalwärts seinen mächtigen Nervenstrom. Die auf-
steigende Trigeminuswurzel, zwischen Kleinhirn-Seitenstrangsbahn
und Faeialiskern eingeklemmt, ist ganz ventral gedrängt und
liegt jetzt der ventralen Oblongataecke an. Auffällig früh wird jene
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 365
eben erwähnte Bahn aufgebraucht. Bereits da, wo die kapitale
oder kleine Olive zuerst sichtbar wird, ist das gesamte Massiv
der Bahn in die dorsoventrale Verlaufsrichtung eingelenkt und in
der weissen Substanz des Kleinhirns untergegangen. Und es ist
im Vergleich zu den früher behandelten Spezies beachtenswert,
dass diese Umwandlung oder besser Aufsaugung noch in den
Bindearmen selber statthat, dass also eine Wanderung der Bahn
in die Üerebellarsubstanz unterbleibt.
Während die kapitale oder kleine Olive rasch an Umfang
zunimmt, wobei sie aber im Gegensatz zu den früheren Gruppen
merkwürdig verwaschene Konturen zeigt, verkleinert sich der
Facialiskern und kommt es zur Ausbildung des Facialisknies.
Dieses liegt dorsal dem inneren Ende der ventralen Strangreste
auf und hat dabei den Abducenskern, welcher aus dem medialen
Teil des zentralen Höhlengrau entstanden ist, ventral gedrängt.
Mit der definitiven Ausbildung des Facialisknies ist der Facialis
selber erschienen und reicht von seinem Austritt sehr weit
intramedullar hinein. Und auch der Abducens ist aufgetreten,
welcher in mehrfachen, unterbrochenen Zügen das Mark durch-
setzt, um lateral von den rundlichen Pyramiden auszutreten.
Massig sind die von den Bindearmen ausgehenden und in das
Mark sich begebenden Fasern geworden. Als kompaktes Bündel
ziehen sie am Rande der Oblongata nach innen, um medial von
der kleinen Olive und dorsal von der Pyramide die bekannte
Liniierung des Retikulum und der ventralen Strangreste vorzu-
nehmen. Es sind dies natürlich die am weitesten kaudal gelegenen
Ponsfasern. Dass wir in dieser Gegend das Ende der Oblongata
erreicht haben, zeigt sich daran, dass sowohl die Fasern der
aufsteigenden Trigeminuswurzel in die dorsoventrale Richtung
einbiegen, als auch daran, dass bereits andere Trigeminusteile
sich in grosser Breite entwickeln.
Die weiteren Veränderungen sind die bekannten. Der
Abducens, welcher übrigens auch Fasern vom Höhlengrau bezieht,
das dorsal von seinem rundlichen Kern belegen den Ventrikel-
boden bildet, durchsetzt in sehr zahlreichen dicken Strängen
das Mark, während der Facialis am Abducenskern intramedullar
zunächst still hält. Und der Pons fängt an das mikroskopische
Bild zu beherrschen. Erst wenn die Abducensfasern geschwunden
sind, welche vom eigentlichen Höhlengrau stammen, findet die
366 Bernhard Rawitz:
Vereinigung des Facialis mit seinem Knie dadurch statt, dass
der Stamm in die transversale Richtung einbiegt und am
Höhlengrau entlang zieht.‘
Zuerst schwindet nun der Facialis völlig, dessen Knie bei
Rhesus also nicht so weit kapitalwärts reicht wie bei niederen
Tieren. Dann erst wird der Abducens, welcher den inzwischen
voll ausgebildeten Pons durchsetzt, intramedullar schwächer,
während sein Austritt längst geschwunden ist. Der Kern
dagegen persistiert noch. Dann ist auch der intramedullare
Abducensrest fort, es verschwindet der entsprechende Nerven-
kern und somit sind alle diejenigen Gebilde beseitigt, welche
zur Oblongata gehören. Das findet in einer Gegend statt, welche
weit kapitalwärts von der morphologisch so zu nennenden
Medulla oblongata gelegen ist.
12. Homo sapiens L.
Wenig bleibt mir zu berichten über die ÖOblongata des
Menschen. Ist dieser doch diejenige Spezies, welche natur-
gemäss von allen Säugetierarten am meisten und intensivsten
untersucht und beschrieben worden ist. Dass hier neues bezüglich
der Bahnen und des inneren Aufbaues nicht zu finden sein würde,
musste von vornherein erwartet werden. So will ich mich denn
auf die Punkte beschränken, welche für die Mechanik der
Oblongatabildung in Betracht kommen.
Zuerst ist hier die Pyramidenkreuzung zu nennen, weil sie
den Übergang von der Medulla spinalis zur Medulla oblongata
darstellt. Bekannt ist die geradezu riesige Ausdehnung, welche
die Decussatio beim Menschen erreicht. Wie ein ungefüger
Keil, dem von allen Seiten die Fasern in gewaltigen Massen
zuströmen, dringt sie in den Suleus ventralis ein und quetscht
zur Seite, was sich ihr entgegenstellt. Dabei verdienen aber
die folgenden beiden Tatsachen volle Würdigung. Erstens erreicht
die Decussatio nie direkt das Freie, weil es ihr nicht gelingt,
die ventralen Stränge ganz beiseite zu schieben. Letztere viel-
mehr legen sich an ihrem freien Rande medial aneinander und
schliessen so die Decussatio von der Oberfläche ab. Und zweitens
bewirkt sie keine oder wenigstens keine erhebliche Zunahme
des transversalen Durchmessers des Markes. Wohl aber wächst
des letzteren dorsoventraler Durchmesser. Dies ist jedoch nur
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 367
zu einem Teile Schuld der Decussatio, zu einem anderen Teile
sind dafür die Gollschen und Burdachschen Stränge ver-
antwortlich zu machen. Denn dank den in ihnen sich aus-
breitenden Kernen — Burdach wird nur vom zentralen Grau
her rarefiziert, in seinem Innern tritt im Gegensatz zu Rhesus
kein Kern auf — blähen sich die Stränge derartig auf, dass
sie sich in dorsoventraler Richtung strecken. Sie drängen dabei
zu gleicher Zeit die dorsalen Säulen ventrolateral, welch letztere
übrigens keine Vermehrung ihrer Substanz zeigen. Auch die
Pyramiden vermehren nur den dorsoventralen Durchmesser des
Organs in einer Weise, welche sich kaum von der der übrigen
Säuger unterscheidet. Denn es ist merkwürdig, dass die
Pyramiden des Menschen relativ zum Umfang der Oblongata
und zur Riesenhaftigkeit der Decussatio nicht grösser sind als
bei kleineren Tieren mit schwacher Kreuzung.
Das zweite Organ, welches auf die Oblongatabildung von
Einfluss ist, ist die kaudale Olive. Diese, welche beim Menschen
die höchste Differenzierung erfahren hat, besitzt eine derartige
(srösse, dass sie den Durchmesser in transversaler Richtung
bedeutend vermehrt. Noch mehr aber wächst mit den Oliven
der dorsoventrale Durchmesser. Denn diese Gebilde zeigen zwar
ihre grösste Ausdehnung in transversaler Richtung, stossen aber
alle anderen Teile nach dorsal und ventral fort. Auf einem
Schnitte, welcher durch ihre Mitte gegangen ist, zeigt sich ihre
Textur am besten (Fig. 47). Ihre Lage ist zunächst eine rein
transversale, wenn man den Hilus berücksichtigt; denn dieser
zeigt keine Neigung mehr nach dorsal. Die Olive reicht lateral
bis fast an den Markkontur, von dem sie durch eine nicht allzu
dicke Lage der Seitenstrangsfasern getrennt ist. Auch ventral
geht sie bis in die Nähe des Öblongatarandes. Die graue
Substanz, für welche der meines Erachtens ganz sinnlose Name
„Nucleus dentatus“ eingeführt ist, besitzt in viel höherem
Grade als bei Rhesus den Charakter der Windungen der grauen
Grosshirnrinde Und wie bei letzterer die von ihr abgehenden
Nervenfasern eine Corona radiata bilden, so auch bei der Olive.
Auch hier gehen aus den Windungen Nervenfasern hervor, die
sich im Zentrum des Organs zu einer breiten, weissen Masse
ansammeln, welche direkt transversal zieht. Dadurch wird der
Hilus der Olive hergestellt. Die Fasern gehen dorsal von den
368 Bernhard Rawitz:
durch die Olive gequetschten Pyramiden zur Raphe. Die Substanz
der ventralen Stränge, welche sie dabei durchsetzen, ist ver-
dichtet; die mechanischen Gründe dieser Erscheinung wurden
bei der vorigen Spezies auseinander gesetzt. Die Fasern, welche
die zentrale weisse Masse des Organs zusammensetzen, entstehen
ausschliesslich in seiner grauen Substanz. Es gibt Faserzüge,
doch sind sie spärlich, welche vom Retikulum aus durch die
Olive hindurchgehen. Diese trifft man nur da, wo der Hilus
sich an die komprimierten ventralen Stränge anlegt. Umgeben
wird die kaudale Olive von einem Nervenmantel, der an den
marginalen Partien des Organs und in der Nachbarschaft der
Pyramiden sehr gut ausgeprägt ist, dagegen weniger deutlich
an jenen Stellen erscheint, welche an das Retikulum angrenzen.
Dieser Mantel wird von Nerven gebildet, welche aus der näheren
und entfernteren Umgebung der Oliven stammen — es sind
wesentlich Fibrae arcuatae — und an der Olive sich zu einem
kompakten konturierenden Bündel zusammenlegen. Seine Fasern
treten in die graue Olivensubstanz ein und enden hier, denn
niemals gehen sie glatt durch die Olive hindurch. Der Eintritt
der Mantelfasern findet sich in den Zwischenräumen zwischen
den Aussenrändern der Windungen, da wo bei der Grosshirn-
rinde die Piafortsätze angetroffen werden.
Beim Menschen sind zuerst die Nebenoliven beschrieben
und hier kann man deren Existenz allenfalls zugeben. Denn
man erkennt tatsächlich zwei Teile grauer Substanz, welche nie-
mals in die Windungen der Hauptolive eingehen. Es wäre dem-
nach eine dorsale und eine mediale Nebenolive zu nennen.
Freilich will ich nicht verhehlen, dass ich hierbei mich nur der
herrschenden Terminologie anbequeme. Denn ich betrachte auch
bei Homo diese sogenannten Nebenoliven als integrierende Be-
standteile der Hauptolive. Sucht man sich aus den Schnitten
einer lückenlosen Serie das stereometrische Bild des Organs zu
rekonstruieren, dann stellen die Nebenoliven Teile dar, welche
durch ihre Nervenmasse direkt dem Hauptorgan angeklebt sind.
Lediglich dem Umstande, dass diese Nervenmasse da, wo die
Nebenoliven sich finden, ganz besonders breit ist, dass ferner in
der Nähe der medianen Nebenolive eine tiefe Bucht des Haupt-
organs sich findet, welche von weisser Substanz erfüllt ist, die
zu den Windungen strebt: lediglich diesem Umstande ist die
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 369
scheinbare Abtrennung der Nebenoliven zuzuschreiben. Aber sie
gehören ebenso zur Olive, wie, um ein Beispiel anzuführen, der
Lobus Spigelii zur Leber.
Dass die Bildung des IV. Ventrikels, der sich lange nicht
soweit auslegt wie bei niederen Säugern, ein mechanisches Moment
abgibt, ist selbstverständlich. Die Öffnung des Zentralkanals der
Medulla spinalis in den Ventrikel ist ja das Hauptmotiv für alle
Umlagerungen, die in der Oblongata zu konstatieren sind.
Der Vollständigkeit halber sei auf den Gegensatz hin-
gewiesen, der zwischen Mensch und Tier bezüglich des kaudalen
Acusticus herrscht. Denn der Kern dieses Nerven erscheint im
Schnitt nicht als ein abgetrenntes Stück grauer Substanz, sondern
ist von Anfang an mit der dorsalen Ecke des Markes verwachsen.
Er hat auch beim Menschen Grosshirncharakter.
Für die Umbildungen und Verlagerungen, welche bei der
Erforschung der menschlichen Oblongata so sehr viel Hindernisse
darbieten, ist ferner das ausserordentlich frühe Auftreten des
Pons von Bedeutung. Was bei keiner einzigen der vorher be-
handelten Spezies zu sehen war, ist hier zu konstatieren: nämlich,
dass die kaudale Olive noch in ihren letzten Ausläufern im
Schnitt deutlich vorhanden ist, während die Ponsbildung bereits
so weit vorgeschritten ist, dass sie das mikroskopische Bild be-
herrscht. Durch diese frühzeitige mächtige Ausbildung des Pons
wird unter anderem der Facialiskern stark dorsal gedrängt, so
dass der von ihm ausgehende Nervenstrom sehr kurz ist. Und
ferner, was ebenfalls unter allen von mir untersuchten Spezies
bei Homo allein zu finden ist, muss der Facialis, um zu seinem
Austritt zu gelangen, durch den kaudalsten Abschnitt des Pons
gehen.
Auf diese Notizen will ich mich beschränken. Wollte ich
weiter auf die Einzelheiten mich einlassen, dann müsste ich die
vorhandenen Lehrbücher abschreiben, wozu ich keine Neigung
verspüre.
B. Allgemeine Betrachtungen.
1. Das Oblongata-Problem.
Bevor ich dazu übergehe, diejenigen Betrachtungen über
das Oblongata-Problem anzustellen, zu welchen die im ersten
Abschnitt mitgeteilten Tatsachen berechtigen, muss ich nach zwei
370 Bernhard Rawitz:
Richtungen eine Captatio benevolentiae aussprechen. Ich habe
in dieser Arbeit so gut wie gar keine Literatur zitiert, sondern
nur die wenigen Arbeiten kurz erwähnt, welche die so überaus
selten untersuchten Marsupialier und Cetaceen zum Gegenstand
haben. Und ich gedenke auch in den folgenden Zeilen fast keine
literarischen Notizen zu bringen. Ich bitte nun, in dieser Nicht-
beachtung keine Nichtachtung und keine Unkenntnis zu sehen.
Von ersterer kann darum bei mir gar keine Rede sein, weil ich
gerade durch das Studium der Autoren zu einer von der üblichen
stark abweichenden Form der Darstellung meiner Untersuchungs-
ergebnisse gelangt bin. Die Fülle positiven Wissens, welche ich
aus den Autoren geschöpft, lässt mich deren Arbeitsleistung
ungemein hochschätzen. Kenntnisse und darauf basierende Achtung
schliessen aber eo ipso den zweiten Vorwurf aus, der mir even-
tuell gemacht werden könnte, nämlich den der Unkenntnis der
Literatur. Ich habe viele hundert Arbeiten „durchaus studiert
mit heissem Bemühn“ und ich glaube nicht, dass mir viel ent-
gangen ist. Höchstens könnte ich übersehen haben, dass irgendwo
in einer mir unbekannten Zeitschrift für Psychiatrie eine Ab-
handlung über das Zentralnervensystem des Schweines oder des
Rindes enthalten war. Andere Motive sind es, welche mich ver-
anlassen, in dieser Arbeit aus dem herkömmlichen Geleise aus-
zubiegen und eine wörtliche Berücksichtigung der Literatur zu
unterlassen. Erstens ist die Summe unseres Wissens über die
Oblongata und dessen Werdegang in den vorzüglichen Lehrbüchern
enthalten, an welchen gerade unsere deutsche Literatur so reich
ist. Das klassische Lehrbuch der Neurologie von Schwalbe,
der treffliche zweite Band des Handbuchs der Gewebelehre von
Kölliker, das inhaltreiche Lehrbuch von Ziehen, das den
vierten Band des Bardelebenschen Handbuchs der Anatomie
bildet, Obersteiners umfassendes Werk „Anleitung beim
Studium des Baues der nervösen Zentralorgane* und die vor-
züglichen „Vorlesungen über den Bau der nervösen Zentralorgane
des Menschen und der Tiere“ von Edinger, welch letzteres
Werk höchst dankenswert in ausgedehntem Maße auch die
niederen Vertebraten berücksichtigt: alle diese ausgezeichneten
zusammenfassenden Bücher lassen wirklich die Zitierung der
Spezialarbeiten unnötig erscheinen. Zweitens möchte ich in den
folgenden Betrachtungen an Deiters anknüpfen, weil ich hoffe,
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. ypi
auf dem von diesem Gelehrten begangenen Wege zu einem Ver-
ständnis der Mechanik der Oblongatabildung zu gelangen. Ob
mein in folgendem unternommener Versuch den erhofften Erfolg
hat, das allerdings muss ich der Beurteilung anderer überlassen.
Aber da es mir, eben weil ich die Literatur kenne, gut
und nützlich erschien, einen Weg der Betrachtung zu gehen, der
vom allgemein inne gehaltenen Wege abweicht, darum glaubte
ich, darauf verzichten zu dürfen, ja verzichten zu müssen, meine
Abhandlung mit dem gewaltigen Ballast der Zitate zu be-
schweren.
Die zweite Captatio benevolentiae, welche ich auszusprechen
habe, betrifft die Terminologie. Ich habe ziemlich radikal mit
der bisher allenthalben angewandten Bezeichnung gebrochen
und ich bin der Überzeugung, gut daran getan zu haben, will
aber doch mein Indemnitätsbegehren des näheren begründen.
Wir besitzen in der Anatomie der nervösen Zentralorgane eine
solche Unsumme unnötiger und oft falscher Bezeichnungen, wie
auf keinem anderen Gebiete morphologischer Forschung. Die
weitaus grösste Zahl von ihnen stammt aus, man kann fast sagen,
antediluvianischen Epochen. Sie sind meist der Ausdruck davon,
dass der frühere Beobachter etwas gesehen hat, mit dem Ge-
sehenen aber nichts anzufangen wusste, weil die innere Konfi-
guration der Oblongata ihm ein Buch mit sieben Siegeln war
und blieb. Jetzt, wo uns das Mikroskop und die experimentelle
Forschung die innere Zusammensetzung der Oblongata und die
relativen Beziehungen ihrer Teile enthüllt haben, wäre es längst
an der Zeit gewesen, den Wust von alten Namen über Bord zu
werfen. Dass dies noch nicht geschehen, beweist, dass nicht
bloss „Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit“ sich fort-
erben, sondern auch wissenschaftliche Bezeichnungen. Und letztere
gehorchen um so intensiver dem Prinzip des Beharrungsvermögens,
je überflüssiger und zugleich je falscher sie sind. Nur ein Bei-
spiel statt vieler. Die Bezeichnung „Ala cinerea* ist höchst
überflüssig, denn sie führt eine Sonderbenennung eines Teiles
ein, der später zum zentralen Höhlengrau wird. So wird meine
Emanzipation vom Herkömmlichen nicht ganz unberechtigt er-
scheinen.
Im folgenden will ich zunächst das Problem der Oblongata
erörtern und dann die Nerven des Organs besprechen.
372 Bernhard Rawitz:
In seinen klassischen, nach Inhalt und Form gleich hervor-
ragenden „Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark des
Menschen und der Säugetiere“ spricht Deiters (auf pag. 151)
den Gedanken aus, dass man an das Studium der Oblongata
mit einer vorgefassten Meinung herantreten müsse, wolle man
Erfolg haben. Und die vorgefasste Meinung, von der er ausging,
war die, „dass die Medulla oblongata und ihre nächste Fort-
setzung als ein modifiziertes Stück Rückenmark aufzufassen sei,
wo sich die Verhältnisse zwar sehr ändern, wo aber immerhin
das bestimmte Schema noch wiederzuerkennen sein muss“. Ich
möchte nun von folgender vorgefassten Idee bei meinen Be-
trachtungen ausgehen: Die Medulla oblongata des
Menschen und der Säugetiere ist ein dorsal auf-
geschlitztes und dann zur Seite geklapptes Rücken-
mark. Dadurch treten Verlagerungen seiner Teile ein, die im
einzelnen aufzusuchen sind und die am kaudalen Ende des
Schlitzes am geringsten sein müssen. Es kommen aberin
der Medulla-oblongata neue Teile hinzu — gewisser-
maßen Neuerwerbungen —, welche sich zwischen die
alten Teile einschieben und so die ungemeine
innere Kompliziertheit des Organs bedingen. Es sind
graue Massen, welche neu auftreten und neue weisse Massen
entstehen lassen.
Der Übergang von der Medulla spinalis zur Medulla
oblongata, noch ehe sich die dorsale Eröffnung des Organs ein-
leitet, wird durch die Pyramidenkreuzung gebildet. Bei den
niederen Mammalia beteiligen sich daran fast überall nur dorsale,
also sensible Fasern, welche direkt oder in gewundenem Ver-
laufe dorsoventral ziehen. Sie drängen sich zwischen den am
Sulecus ventralis einander zugekehrten Teilen der ventralen,
also motorischen Stränge durch und gelangen so an den ihrer
ursprünglichen Lage gerade entgegengesetzten Rand des Organs,
wo es zur Bildung von Pyramiden kommen kann, aber nicht zu
kommen braucht. Und wo die Pyramiden- von einer Schleifen-
kreuzung abgelöst wird, bei höheren Tieren, da sind es eben-
falls nur die sensiblen Fasern, welche daran beteiligt sind. Es
ist ein weiter phylogenetischer Weg von den Marsupialiern zu den
Prosimiern, aber erst von diesen ab treten in grossen Mengen
laterale und ventrale Fasern zur Decussatio. Und erst von hier
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 313
ab — die Caniden ausgenommen — wird die Decussatio massig,
erscheinen die Pyramiden gross. Von den Lemuriden ab tritt
die Kreuzung als mechanisches, d. h. aktives Moment in die
Umbildungsvorgänge ein, welche am Übergang vom Rücken-
mark zum verlängerten Mark statthaben. Sie presst sich hier
zwischen die ventralen Strangmassen ein und quetscht diese
zusammen, da Kompressionserscheinungen an der grauen Substanz
nicht wahrzunehmen sind. Bis dahin war die Kreuzung gewisser-
maßen nur passiv an der Umformung beteiligt. Sie entleerte
die dorsalen weissen Stränge und es hätte sich hier gleichsam
ein Vacuum bilden müssen, wenn nicht graue Substanz (Kern
des Gollschen und Burdachschen Stranges) die weisse ab-
gelöst hätte.
Hierhaben wir die erste gründliche Umlagerung
und das erste Remplacement. Eine Umlagerung: denn
da, wo die Kreuzung rein sensibel ist, wandern die sensiblen
Fasern auf die motorische Seite des Markes. Und darin
besteht der mechanisch-physiologische Wert der
Pyramidenkreuzung, dass sie die Rückenmarks-
situation in der Oblongata umkehren hilft. Es
verschlägt gar nichts, dass bei Halbaffen, Affen und beim
Menschen nun auch andere Fasermassen in die Pyramide ein-
treten. Die Bedeutung der Decussatio als eines Momentes für
die Umlagerung der sensiblen Bahnen wird dadurch nicht im
geringsten alteriert, bleiben doch beim Menschen die motorischen
Bahnen zunächst auf ihrer ihnen zukommenden Fläche, während
die sensiblen ganz wie bei den niederen Säugern auf die
entgegengesetzte Seite gelangen und hier bis ins Mittelhirn
verharren. Ein Remplacement: denn graue Substanz nimmt
genau den Platz der weissen ein. Und wenn später, d. h. weiter
kapitalwärts, diese graue Substanz keine Arcuatae mehr abgibt,
sondern zum Kern der kapitokaudalen Acusticuswurzel wird, so
zeigen uns die Kerne der Gollschen und Burdachschen
Stränge eben hierdurch noch eine andere Eigentümlichkeit
mancher Oblongatateile, nämlich einen gründlichen Funktions-
wechsel. So finden wir in den Gollschen und Burdach-
schen Strängen die drei Hauptmomente vereinigt, welche das
Wesen der Oblongata ausmachen: Verlagerung, Rem-
placement und Funktionswechsel.
374 Bernhard Rawitz:
Die Kerne der genannten Strangpaare sind in der Oblongata
entstanden. Bezüglich des Gollkernes kann daran kein Zweifel
sein. Vom Burdachkern wurde bei allen Spezies im ersten
Teil dieser Abhandlung gesagt, dass vordringende Substanz des
zentralen Grau die Aushöhlung des Stranges vom Markinnern
her bewirke. Nicht bei allen, namentlich nicht bei den höheren
Spezies war noch ausserdem ein im Innern des Stranges auf-
tretender Kern zu konstatieren. Aber der Burdachkern, wie
er sich überall zeigt, stellt doch insofern ein Novum dar, als er
ursprünglich klein ist und nur allmählich an Grösse zunimmt.
Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, dass diese Volums-
vergrösserung des genannten Kerns durch neu auftretende graue
Substanz zustande kommt. Denn wäre das nicht der Fall,
bestünde er nur aus dem vom Rückenmark überkommenen
zentralen Grau, dann müsste letzteres mit der Zunahme des
Kernes abnehmen; das aber ist nicht der Fall. Neu ist also
der Gollkern und zum grössten Teile neu ist der Burdach-
kern und an beiden offenbart sich eine fernere Eigentümlichkeit
der Oblongata. Denn diejenigen Teile, welche aus der
Medulla spinalis stammen, gehen zwar mehr oder
minder verändert und verlagert, aberimmer deutlich
nach ihrer Provenienz erkennbar in die kapitalwärts
gelegenen Hirnpartien. Was dagegenin der Oblongata
entsteht, vergeht in ihr, d.h. wird in ihr oder nur
wenig kapitalwärts von ihr aufgebraucht.
Nur passiv, so wurde vorhin auseinander gesetzt, ist die
Pyramidenkreuzung an der Umlagerung der einzelnen Partien
beteiligt. Aktiv greift stets in bestimmender, Ausschlag gebender
Weise die dorsale Aufschlitzung des Markes, d.h. die Bildung
des IV. Ventrikels ein. Wie die Einzeldarstellung gezeigt hat,
ist es nicht bloss die Dehnung des Zentralkanals, welche zur
Bildung des Ventrikels führt. Auch der dorsale Rand ist insofern
daran beteiligt, als er sich nach dem Zentralkanal hin einsackt,
und öfter ist dieser Teil des Markes bereits geöffnet, ehe noch
der Zentralkanal mit ihm in Kommunikation getreten ist. Wieder-
holt hatte ich Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass der Anteil
des Zentralkanals am Ventrikel von dem Anteil, den das Mark
selber daran hat, bis ziemlich weit kapitalwärts gut zu unter-
scheiden ist. Eine Bedeutung glaube ich der Art, wie der
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 315
Ventrikel sich öffnet, aber nicht beilegen zu können. Denn wie
meine Darlegungen beweisen, findet hier keine phylogenetische
Abstufung des Vorganges statt. Immerhin musste der Vollständig-
keit wegen auf die genannten Tatsachen zusammenfassend auf-
merksam gemacht werden. Das Nahen der Ventrikelregion —
also die Vollendung der Aufschlitzung — macht sich bemerkbar
durch eine Zunahme des zentralen Grau, das sich dabei dorsal-
wärts ausdehnt und an den freien Markkontur zu gelangen sucht.
Es drängt auf diesem Wege die Kerne von Goll-Burdach
beiseite, verdünnt sich bei der Ausdehnung in der Mittellinie
und reisst hier schliesslich in dorsoventraler Richtung ein. Damit
ist der IV. Ventrikel gebildet, der anfänglich sehr eng ist — er
entspricht dann dem Calamus scriptorius der deskriptiven Anatomie
— und der erst allmählich sich erweitert. Von Interesse ist es,
dass bei den niederen Formen der Säugetiere die Erweiterung
bis zu einer vollständigen Geradlegung des Ventrikelbodens
führt, während diese bei den höheren Gruppen ausbleibt; d.h. bei
letzteren werden nicht alle ursprünglich dorsal gelegenen Teile
nach ventral und lateral gedrängt, der Ventrikelrand bleibt also
immer etwas dorsal aufgebogen. Bei ersteren dagegen wird
alles, was im Rückenmark den dorsalen Abschnitt bildete, so zur
Seite verlagert, dass es schliesslich auf der ventralen Fläche
anlangt. Denn es ist klar. dass die Eröffnung des Ventrikels,
da sie mit einer Beseitigung, einem Verschwinden der Rücken-
marksteile nicht verbunden ist, diese aus ihrer Position ver-
drängen muss. Das ist die zweite Verlagerung, die in
der Oblongata vor sich geht. Sie unterscheidet sich
wesentlich von der zuerst geschilderten. Die Teile werden
auseinander geschoben. weil das zentrale Grau in der Median-
linie, wo der geringste Widerstand der Fissura dorsalis sich findet,
sich vordrängt. Aber man kann sich beim Studium lückenloser
Schnittserien des Eindrucks nicht erwehren, dass die dorsalen
Stränge bezw. ihre Reste oder die an ihre Stelle getretenen
Kerne ihrerseits wenigstens nicht ganz passiv an der Verlagerung
beteiligt sind. Hier, im zweiten Teile, ist der Ort, hervorzu-
heben, dass die Stränge nicht bloss gedrängt werden, sondern
dass sie auch zu wandern scheinen. Und der Effekt ist, dass
die Goll-Burdach-Kerne an der dorsalen Seitenkante oder
sogar am lateralen Kontur des Markes sich ansiedeln und dass
376 Bernhard Rawitz:
die dorsalen Säulen, deren Geschick nachher bei Besprechung
der grauen Substanz erzählt werden soll, ventral gerückt sind.
In manchen Fällen schon frühzeitig, d. h. noch als dorsale
Säulen, in den meisten erst nach ihrem vollendeten Funktions-
wechsel sind sie, die ursprünglich marginal anzutreffen waren,
am ventralen Rande ganz nach innen gelagert. Wir treffen
also auch hier eine Verlagerung sensibler Partien auf die (im
Rückenmark) motorische Fläche; diese sind demnach auf stark
gewundener Bahn um 180° gewandert.
Eine völlige Umkehrung der Rückenmarkssituation hat der
IV. Ventrikel herbeigeführt, denn was früher dorsal lag, liegt
jetzt ventral, was früher ventral war, ist jetzt dorsal geworden.
Die ventralen Stränge nämlich oder vielmehr ihr Rest liegt nach
kurzer Zeit dem Boden des IV. Ventrikels an. Dafür können
bei den höheren Formen, also von den Prosimiern ab, Pyramiden
und kaudale Oliven als veranlassende Motive in Anspruch ge-
nommen werden. Da aber eine solche Verlagerung sich auch
bei den niederen Säugern findet, die keine Pyramiden und die
mechanisch unwirksame Oliven haben, so muss bei diesen allein
die Ausweitung des IV. Ventrikels den genannten Effekt herbei-
führen. Und es müssen darum bei Halbaffen, Affen und Mensch
die erwähnten beiden anderen Gebilde, wenn überhaupt, dann
nur eine sekundäre Einwirkung ausüben.
Betrachten wir das Geschick der lateralen Stränge. Ihre
Hauptmasse weitet sich nach dem Markinnern aus und bildet in
Gemeinschaft mit den am ventralen Oblongata-Rande gelegenen
Partien der ventralen Stränge das Retikulum. Ich sage: sie
weiten sich aus, denn um etwas anderes kann es sich nicht
handeln. Dadurch, dass die grösste Partie der ventralen Säulen,
worauf im I. Teile wiederholt hingewiesen wurde und worauf
nachher noch einmal zurückzukommen sein wird, in das zentrale
Höhlengrau einbezogen wird, entsteht so viel Platz, dass sich
die lateralen und ventralen Stränge ausbreiten können. Ihre
ursprünglich auf einem kleinen Raume eng zusammengepressten
Bündel — diese Zusammenpressung bewirkte das dichte Gefüge
der betreffenden Stränge — gewinnen Platz und erfüllen so nach
und nach das ganze Mark bis zur Medianlinie. Nur ein kleiner
Teil der lateralen Stränge, der vielfach schon im Rückenmark
differenziert’ war (vergl. die Tafel in dem erwähnten Ziehenschen
ro
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 377
Lehrbuche), erhält sich als dicht gefügte Masse; es ist dies die
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn (Corpus restiforme der Autoren). Sie
dehnt sich zuerst dorsalwärts aus, nimmt also einen grösseren Raum
ein als anfänglich, weil sie nämlich Zuzug aus dem Seitenstrangs-
kern erhält. Dabei wird die Bahn kompakter und liegt an der
dorsalen Ecke des Markkonturs. Dann wird sie teils durch die
Ausweitung des Ventrikels, teils und namentlich durch den
kaudalen Acusticus wieder nach ventral gedrängt, muss sich sogar
in ihrem Volumen einengen, wodurch sie dichter erscheint, um
nach dem Schwinden des Acusticus wieder dorsalwärts zu wandern.
Sie geht dann bei den einen Arten früher, d.h. mehr kaudal-
wärts, bei den anderen später, d.h. mehr kapitalwärts in die
Masse des Cerebellum über, indem ihre bisher kapitokaudal ge-
richteten Bündel sich nach dorsal umbiegen. Es ist dies ein
merkwürdig geschlängelter Verlauf der Bahn, sie dreht und windet
sich, dehnt sich aus und zieht sich zusammen, um vorsichtig die
sich ihr in den Weg stellenden Partien zu vermeiden.
So können wir ein sehr ungleiches Schicksal der weissen
Stränge des Rückenmarkes feststellen, nachdem es sich dorsal
geöffnet und dann zur Seite geklappt hat. Die ventralen Stränge,
soweit sie nicht für die Pyramiden benutzt werden und soweit
sie nicht in das Retikulum (so nenne ich die Bündel, welche sich
in der Formatio reticularis finden) aufgehen, bleiben deutlich
sichtbar und werden zu dorsalen Strängen. Sie reichen tief in
das Mittelhirn hinein. Die dorsalen Stränge, d.h. Gollscher und
Burdachscher Strang — das Schicksal der weissen Masse,
welche die dorsalen Säulen umgibt, ist später anzuführen —
lösen sich auf und verschwinden als differenzierte Gebilde, nach-
dem sie in einzelnen Fasern auf die ventrale Seite gewandert
sind. Nur da, wo es zur Ausbildung deutlicher Pyramiden kommt,
ist man imstande, sie weit in den Pons hinein zu verfolgen. Die
lateralen Stränge lösen sich zum grössten Teil im Retikulum auf
und reichen mit diesem weit kapitalwärts. Ein kleiner Teil von
ihnen wird cerebellare Masse.
Nicht minder interessant ist das Geschick, "das die graue
Substanz des Rückenmarkes in der Oblongata erleidet. Ich habe
im I. Teil dieser Abhandlung wiederholt gesagt, dass die late-
ralen und ventralen Säulen mit der fortschreitenden Ausbildung
des verlängerten Markes aufgebraucht werden. Dieser Aus-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 25
378 Bernhard Rawitz:
druck ist zu erklären. Die lateralen Säulen werden aufgebraucht,
d.h. sie verschwinden mit der Entwicklung des Retikulum als
distinkte Gebilde, aber sie verschwinden nicht überhaupt. Zwischen
den Faserbündeln des Retikulum trifft man disseminierte Ganglien-
zellen an, die hie und da in unregelmässigen und inkonstanten
Kernflecken zusammenfliessen. Ein Teil dieser Ganglienzellen ist
die direkte Fortsetzung der lateralen Rückenmarkssäulen; nur
dass diese jetzt über eine ziemlich breite Fläche zerstreut sind,
während sie früher eng beisammen waren. Ein anderer Teil
dieser disseminierten Zellen, der übrigens auch stellenweise in
den ventralen Strangresten als Kernflecken sich zusammentut,
stammt von den ventralen Säulen. Von diesen letzteren wandert,
so kann man geradezu sagen, eine nicht unerhebliche Menge in
das zentrale Grau und wird mit diesem zum zentralen Höhlen-
grau, dessen mediane Partie es nach Eröffnung des Ventrikels
bildet. Die übrigen Ganglienzellen verteilen sich diffus im Reti-
kulum und sind dann hier von den aus den lateralen Säulen
stammenden nicht mehr zu unterscheiden. So reicht also ein
Teil der grauen Rückenmarkssubstanz in disseminierter Form mit
dem Retikulum weit ins Mittelhirn hinein. Ein anderer Teil der
motorischen Säulen wandert, wie eben bemerkt, dorsal und bildet
den Boden des IV. Ventrikels; er stellt hier zunächst den Kern des
Hypoglossus dar. Er teilt also das Schicksal der ursprünglich zu
ihm gehörigen Stränge durch seine Verlagerung, trennt sich dabei
aber funktionell vollständig von ihnen. Denn der von mir nach
den Färbungsbildern in Weigert-Präparaten sogenannte dunkle
Abschnitt des zentralen Höhlengrau hat nicht das geringste mehr
mit den Resten der ventralen Stränge zu tun. Zum Lagerungs-
wechsel kommt also der Funktionswechsel hinzu, der hier mit
einer Funktionstrennung verbunden ist. In ununterbrochener
Kontinuität, aber zugleich, wie meine Darstellung und die anderer
Forscher lehren, in sehr wechselnder Stärke zieht dieser Teil
der ventralen Rückenmarkssäulen bis ans Mittelhirn heran. Noch
zweimal ändert er seine Bedeutung; aus dem Hypoglossuskern
wird er zum Kern des motorischen Teils des Vagus und aus
diesem zum Kern des Abducens. Die erwähnte Änderung der
Funktion hat in dem uns jetzt beschäftigenden Falle nichts auf-
fälliges. Auch die ventralen Rückenmarkssäulen sind kontinuier-
lich; sie senden aber hier die Fasern zum Plexus brachialis,
o
—I
Do
Das Zentralnervensystem der Üetaceen.
dort zum Plexus lumbalis. Das Erfolgsorgan ist verschieden, die
Nerven aber sind ihrem Ursprungsorte nach identisch. Und
wenn in der ÖOblongata der Vagus eine vom Hypoglossus und
Abducens verschiedene Austrittsstelle zeigt, so glaube ich darauf
kein besonderes Gewicht legen zu müssen. Die Beimischung
sensibler Fasern, welche der Vagus aus dem hellen Teil des
zentralen Höhlengrau erhält, bedingt wohl auch eine veränderte
Verlaufsrichtung.
Anders verhalten sich die dorsalen Säulen. Dass sie all-
mählich ganz oder fast ganz ventral verlagert werden — es sind
hier unerhebliche Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen
vorhanden —, ist schon erwähnt worden. Sehr interessant, wenn
auch für mich physiologisch völlig unerklärlich, ist eine Ver-
änderung, welche an diesen Säulen vor ihrer Wanderung sich
vollzieht und wieder verschwindet. Das ist nämlich die Zu-
nahme der sie umhüllenden Rolandoschen Substanz,
die beim Pferd, bei Erinaceus und bei Vespertilio zu einer ganz
exzessiven werden kann. Interessant ist diese Zunahme einmal
darum, weil sie bei den höheren Formen von den Halbaften
aufwärts nicht mehr eintritt. Und interessant ist sie zweitens
deswegen, weil sich gar kein zureichender Grund für sie ein-
sehen lässt. Denn es gehen aus der dorsalen Säule nach ihrer
Vergrösserung nicht mehr feinste Arcuatae ab als vorher, es
entspringt von ihnen kein Nerv bezw. es endet in ihnen keiner
und es macht diese Zunahme sehr bald normalen Dimensionen
Platz, mit welchen erst die ventrale Wanderung einsetzt.
Die weisse Nervenmasse, welche die dorsalen Säulen in
kontinuierlicher Fortsetzung der Burdachschen Stränge aussen
umhüllt und die sich scharf gegen die Kleinhirn-Seitenstrangs-
bahn absetzt, wird bald durch Abgabe von Arcuatae erschöpft.
Aber es tritt hier keine Unterbrechung ein, sondern durch voll-
kommenes Remplacement wird der dorsale Strangrest von der
aufsteigenden Trigeminuswurzel ersetzt. Nur daran kann man
sehen, dass diese Veränderungen stattgefunden, dass von einem
bestimmten Momente ab, der bei den verschiedenen Tiergruppen
in verschiedener Höhe sich findet, keine Fasern mehr durch die
Säulen hindurch ins Retikulum gehen. Es gibt einige Gruppen,
bei denen neben, d. h. gleichzeitig mit noch vorhandenem Strang-
rest in der Säule die ersten Bündel der Trigeminuswurzel auf-
35F
[4
380 Bernhard Rawitz:
treten. Doch scheint diese Tatsache nur den Rang eines Kuriosums
zu besitzen, wenigstens zeigt sich in ihr keine phylogenetische
Abstufung. Das heisst, es sind nicht die niederen Formen, bei
welchen sie zu beobachten ist, und die höheren, bei denen sie
fehlt (bezw. umgekehrt), sondern sie ist bei höheren und niederen
Formen zu beobachten und fehlt auch bei beiden. Man kann
also sagen, dass infolge der Ersetzung der dorsalen Strangreste
durch die aufsteigende Trigeminuswurzel eine Kontinuität eines
Teiles der dorsalen weissen Rückenmarkssubstanz durch die
Oblongata hindurch bis weit in die Ponsregion hergestellt ist.
Freilich ist diese Kontinuität mit einem tiefgreifenden Funktions-
wechsel verbunden. Dem Strange folgt die zugehörige Säule.
Nachdem sie sich da, wo sie eine Vergrösserung erfahren hatte,
nicht nur auf ihren früheren Umfang reduziert hat, sondern
nachdem sie allenthalben durch Schwinden der Rolandoschen
Substanz auch bei höheren Formen erheblich kleiner geworden
ist, hat sie ihren Funktionswechsel zum Kern der aufsteigenden
Trigeminuswurzel durchgemacht. In dieser Eigenschaft erhält
sie sich unter dauernder allmählicher Grössenabnahme, bis die
genannte Wurzel austritt. Dann verschwindet sie, indem sie
sich immer mehr einengt, d. h., wenn man ihre Säulennatur in
Betracht zieht, indem sie zugespitzt endet.
Die dorsale Säule ist nicht so weit ventral gewandert, wie
die ventrale dorsalwärts; denn während diese direkt den dorsalen
Kontur bildet, bleibt jene vom ventralen noch immer beträchtlich
ab. Bequemer war der Weg für die ‘ventrale Säule, indem sie
sich in gerader Linie an ihren neuen Platz begeben hat. Die
dorsale Säule musste in weitem Bogen ziemlich am Aussen-
rande des Markes bis an die Stelle ziehen, die sie als aufsteigende
Trigeminuswurzel einzunehmen hat.
Vergleichen wir nun noch die beiden Hauptteile der grauen
Substanz des Rückenmarkes, den ventralen und den dorsalen
Abschnitt, miteinander, so können wir folgendes feststellen:
Der ventrale, der in der Oblongata zum dorsalen geworden ist,
erhält sich unter mancherlei Veränderungen bis weit in die Pons-
region hinein. Der dorsale, aus dem ein ventraler geworden
ist, hat ein doppeltes Schicksal. Die zum Kern der kapitokaudalen
Acusticuswurzel gewordenen vereinigten Kerne der Gollschen
und Burdachschen Stränge, die allerdings nicht mehr als
Das Zentralnervensystem der ÜCetaceen. 381
Rückenmarksteile im engeren Sinne zu betrachten sind, schwinden
mit dem Acusticus, also noch vor den motorischen Teilen. Die
zum Trigeminuskern gewordene Partie erhält sich länger als der
Abducenskern. Aber es sind nur wenige Schnittebenen nötig,
um bei den meisten Arten nach Erledigung des Abducens auch
den Kern und die aufsteigende Wurzel des Trigeminus ver-
schwinden zu sehen. Die grössere Masse der grauen Rückenmarks-
substanz findet also ziemlich gleichzeitig ihr Ende in der Pons-
region.
Nicht allzu schwierig sind also in der Oblongata die einzelnen
Bestandteile des Rückenmarks wieder zu erkennen. Aber das
Rückenmarksschema, wie Deiters wollte, ist nicht mehr
vorhanden; es hat sich vielmehr, was die Lagerung der
Teile betrifft, vollkommen umgekehrt. Auch hinsichtlich
der Nerven ist das Schema nicht wieder zu erkennen. Denn
— ich will dies gleich hier bei dieser Gelegenheit abtun —
es scheint mir ganz unmöglich und zugleich ganz unzulässig,
auch nur die Analoga von Rückenmarksnerven in den Oblongata-
nerven wiederzusehen, von Homologien ganz zu schweigen. Zeigt
zwar der Vagus noch eine Zusammensetzung aus motorischer
und sensibler Portion und ist vielleicht der Glossopharyngeus
als ein Teil von ihm zu betrachten, so besitzt doch sein Ursprung
— der erste Teil dieser Abhandlung, die Angaben der Autoren
lehren es zur Evidenz — nichts rückenmarkartiges mehr. Und
wenn man den Hypoglossus und Abducens in vager Analogie je
als eine sogenannte vordere, also motorische Wurzel betrachten
wollte, so müssten die kapitokaudale Acusticuswurzel und die
aufsteigende Trigeminuswurzel als die dazu gehörigen sensiblen
Wurzeln bezeichnet werden. Das ist aber nicht möglich. Nicht
etwa weil die zuletzt genannten Teile einem Funktions wechsel
ihren Charakter verdanken, sondern weil mit der topographischen
Verlagerung eine so vollkommene Funktionstrennung — sie
wurde vorhin bei der Schilderung des Schicksals der ventralen
Strangreste erwähnt — vorbunden ist, dass die motorischen und
sensiblen Rückenmarkspartien alle und jede direkte Beziehung
zueinander verloren haben. Die einzelnen Teile, welche
im Rückenmark in inniger Korrelation miteinander
stehen, werden im verlängerten Mark selbständig
und geben diese Korrelation, die unmittelbaren
oO
382 Bernhard Rawitz:
Beziehungen zueinander auf. Nur indirekt stellen
sich wieder Verbindungen der Teile untereinander ein und sie
werden durch die kaudalen und kapitalen Oliven sowie durch die
beiden Kommissuralorgane, die Bindearme und den Pons, ver-
mittelt. Das aber hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Rücken-
marksschema.
Das Auftreten neuer grauer Partien nämlich, wie es den
Bau der Oblongata ungemein kompliziert, wirkt auch, wenigstens
teilweise, in der eben genannten Richtung. Teilweise nur; denn
zwei neu auftretende und schnell wieder verschwindende graue
Massen wirken nur morphologisch komplizierend, leiten aber
keine neuen physiologischen Beziehungen ein. Diese beiden
grauen Massen sind der Seitenstrangskern und der Monak ow sche
Kern. Sie stellen nur verstärkende Relais innerhalb ihrer Bahnen
dar, mehr aber nicht. Und wenn auch der Monakow sche
Kern bei der einen oder anderen Spezies Beziehungen zu Kernen
der Nachbarschaft eingeleitet hat, so löst er sie auch, noch ehe
sie gewissermaßen intimer geworden sind.
Auch das neu auftretende, von mir wegen seines Aussehens
in Weigert-Präparaten so genannte helle Grau kann in der
genannten Richtung nicht beansprucht werden. Es scheint mir
zweifellos, dass der dorsale Abschnitt des zentralen Grau nur
zum kleineren Teil aus dem Grau des Rückenmarkes stammt,
und zwar aus dessen dorsaler grauer Kommissur. Der grössere
Teil entsteht neu in der Oblongata, um mit dem Glossopharyngeus
wieder zu verschwinden. Dies helle Grau ist Ursprungsstätte
von Nerven — sensibler Vagus und Glossopharyngeus —, ist als
solche selbständig, aber zu den Beziehungen der Teile unter-
einander trägt es nichts bei. Und wenn nach dem Schwinden
des Glossopharyngeus das Höhlengrau einheitlich geworden ist,
dann gibt es, soweit es nicht als Abducenskern funktioniert,
Fasern zum Acusticus und wohl auch zu den Bindearmen ab,
aber korrelative Verhältnisse ruft es nicht hervor.
Ganz anders wirken die kaudalen Oliven. Rekapitulieren
wir in Kürze ihr Verhalten. Bei den Marsupialiern liegen sie
gänzlich intramedullar, sind nicht scharf von ihrer Nachbar-
schaft abgesetzt, erscheinen also unselbständig und ihre graue
Substanz ist nicht gefaltet. Bei den Pachydermen — ich setze
hierbei, vielleicht mit Unrecht, voraus, dass die bei einer oder
Das Zentralnervensystem der ÜCetaceen. 383
bei zwei Spezies gewonnenen Resultate Gültigkeit für die betreffende
Gruppe haben — sind sie zwar konturiert, stellen sich also als
relativ selbständige Gebilde dar, besitzen aber wie bei den
Marsupialiern keinen ausgesprochenen Hilus und liegen intra-
medullar. Ihre graue Substanz zeigt Faltenbildung. Bei den
Ruminantien und Perissodactylen sind sie zwar gefaltet, ent-
behren aber einer scharfen Sonderung von der Nachbarschaft,
ein Hilus ist kaum zu erkennen. Will man einen solchen absolut
annehmen, so ist er lateral gewendet. Bei den Carnivoren
zeigen die Caniden ein nicht konturiertes Organ mit teils lateral,
teils medial gewendetem Hilus; ihre graue Substanz ist gefaltet.
Die Feliden dagegen weisen einen Fortschritt auf, denn bei
ihnen ist ein dorsal gerichteter Hilus vorhanden, der eine leichte
Neigung nach medial zeigt. Die Rodentien haben eine umfänglichere
Olive, deren graue Substanz mehrfache Faltenbildung besitzt;
ein eigentlicher Hilus aber fehlt. Insektivoren und Chiropteren
besitzen eine sehr primitive kaudale Olive, da das Organ sich
nur als ein heller Fleck präsentiert. Die Prosimier haben eine
scharf konturierte Olive, deren Hilus mediodorsal gerichtet ist.
Während bei denjenigen der bisher erwähnten Gruppen, deren
Oliven eine Faltenbildung ihrer grauen Substanz hatten, diese
Falten nicht unter sich direkt zusammenhingen, treffen wir bei
den Prosimiern zum ersten Male eine einheitliche graue Substanz,
die in Falten gelegt ist. Bei den Pitheciern ist ein grosser
Fortschritt, denn hier finden wir die graue Olivensubstanz nach
Art der Grosshirnrinde in Gyri gelegt. Zugleich ist das Organ
scharf abgegrenzt und sein medial gerichteter Hilus zeigt nur
noch eine leichte Neigung nach dorsal. Bei Homo endlich ist
das Organ am höchsten differenziert, was Abgrenzung gegen die
Nachbarschaft, Fältelung der grauen Substanz und mediale
Orientierung des Hilus anlangt.
Der phylogenetische Fortschritt von den Beutlern
zum Menschen ist klar. Ein ursprünglich fast indifferentes
Organ, ein gewöhnlicher Nervenkern, der nicht einmal äusserlich
sich bemerkbar macht, wird innerhalb der Klasse grösser, bedingt
eine Veränderung des Markkonturs, ragt äusserlich hervor und
wird innerlich spezialisiert. Der Hilus, wenn und wo ein solcher
vorhanden war, zeigte sich meist lateral gewendet, dann dreht
er sich bei den Prosimiern um mehr als 90° um beim Menschen
384 Bernhard Rawitz:
eine Drehung um 180° vollendet zu haben. Und wie die
morphologische, so wächst auch die physiologische Bedeutung
des Organs. Ursprünglich wesentlich Durchgangsstation und nur
zu einem überaus geringen Teil Umlagerungsstätte für Nerven-
fasern der verschiedensten Provenienz — neue Fasern entstehen in
den primitiven Oliven nicht, — werden die Oliven beim Menschen
schliesslich zu einem selbständigen Zentralorgan. In ihm laufen
Nervenfasern aus allen Richtungen zusammen, in ihm, d.h.
in seiner grauen Substanz, werden sie umgelagert, vermischen
sich mit den hier neu entstandenen und treten gemeinsam mit
diesen aus dem Organ heraus. Welchen physiologischen Wert
dieses Zentralorgan, das man auch ein Sammelorgan nennen
könnte, besitzt, darüber gibt natürlich die rein anatomische Unter-
suchung keinen definitiven Aufschluss. Gibt ihn um so weniger,
als das Experiment hier sein letztes Wort wohl noch nicht
gesprochen hat. Nur das lässt sich sagen, dass die
Beziehungen der Öblongatateile zueinander, die,
wie die vorherige Auseinandersetzung gezeigt hatte, durch
eine vollständige Funktionstrennung erloschen
waren, durch die kaudale Olive auf indirektem
Wege wieder hergestellt werden.
Eine Ausnahmestellung nimmt die Olive der Cetaceen ein.
Sie ist von enormer Ausdehnung, hat einen deutlichen lateralen
Hilus und ist doch funktionell offenbar recht primitiv. Letzteres
ist daraus zu folgern, dass das Innere der Oliven bei dieser
Gruppe fast gar keine Nervenmassen enthält, sondern beinahe
ausschliesslich aus grauer, nicht gefältelter Substanz besteht.
Nerven treten durch sie hindurch, Nerven werden in ihr um-
gelagert, aber sicherlich entstehen keine in ihr. Dieses Miss-
verhältnis zwischen Grösse und anatomischer Beziehung ist
rätselhaft.
Die kapitale oder kleine Olive löst die kaudale ab. Von
verschiedener Ausbildung bei den verschiedenen Tiergruppen,
ohne dass sich hier ein phylogenetisches Prinzip erkennen liesse,
ersetzt die kapitale Olive insofern die kaudale, als sie offenbar
eine Umlagerungsstätte für Nerven verschiedener Herkunft ist.
Das heisst aber nichts anderes wie: die kapitale Olive stellt
Beziehungen zwischen räumlich getrennten und physiologisch
verschiedenwertigen Oblongatateilen her.
Das Zentralnervensystem der ÜOetaceen. 385
Ein Effekt der früher hervorgehobenen Funktionstrennung
zeigt sich auch darin, dass der kaudale Acustieus durch das
Corpus trapezoides und durch Arcuatae, der kapitale nur durch
letztere Verbindungen mit der Peripherie sucht und findet. Der
Vollständigkeit wegen sei hinzugefügt, dass das Trapezoides ein
schönes Beispiel des in der Oblongata wiederholt vorkommenden
Remplacements darbietet. Im I. Teil ist wiederholt darauf hin-
gewiesen worden, dass die Trapezoidesfasern unauffällig durch
die von den Bindearmen durch die Oblongata zum Pons gehenden
Nervenzüge ersetzt werden.
Verwirrend auf die innere Konfiguration wirken die Binde-
arme und der Pons ein. Im I. Teil ist auf deren Auftreten und
auf die näheren und entfernteren Beziehungen, die sie knüpfen,
wiederholt hingewiesen worden. Und aus dem ersten Teil geht
auch hervor, dass die Säuger niederer phyletischer Stufen ım
Cerebellum einen mächtigen, aus gewöhnlichen multipolaren Zellen
bestehenden Kern für die Bindearme haben, der allmählich immer
schwächer wird. Beim Menschen habe ich ihn nicht mehr getroffen.
Bindearme und Pons sind Kommissuralorgane. Nichts ent-
steht in ihnen, sie verbinden nur die verschiedenen Teile mit
dem Cerebellum und der Pons leitet ausserdem zum Mittelhirn
hin. In phylogenetischer Hinsicht sind beide interessant. Je
höher das Säugetier organisiert ist, um so früher
stellen sich beide Gebilde ein und um so komplizierter
wird zugleich ihr innerer Bau. Eine Ausnahmestellung gebührt
allerdings den Cetaceen. Hier treten die Bindearme noch früher
auf als beim Menschen; und man wird nicht gerade behaupten
können, dass die Wale höher organisiert seien als die Spezies
Homo sapiens L. Worauf diese Eigentümlichkeit zunächst zurück-
zuführen ist, vermag ich nicht zu sagen; der physiologisch
zureichende Grund ist nicht zu erkennen. Indessen: Exceptio
affırmat regulam, und die Cetaceen zeigen, weil bei ihnen allein
die Bindearme soweit kaudalwärts reichen, dass die oben ge-
gebene Regel zu Recht besteht.
Der Pons der Prosimier, Affen und Menschen reicht viel
weiter kaudalwärts,. als der der Pachydermen etc. Nur Equus
macht eine Ausnahme, da bei ihm der Pons ebenfalls ungemein
früh kaudal auftritt. Es ist nicht zu verkennen, dass mit dem
frühen Erscheinen dieser Kommissuralorgane im Schnitt eine
386 Bernhard Rawitz:
zunehmende Verwirrung im innern Aufbau der Oblongata gleichen
Schritt hält. Bei niederen Formen ist das verlängerte Mark
leicht verständlich, bei den höheren sind bereits Schwierigkeiten
zu überwinden. Gewaltig aber ist die Kluft, die zwischen Homo
und den katarrhinen Affen sich zeigt. Denn bei letzteren liegen
alle Verhältnisse noch ziemlich klar; bei ersterem dagegen werden
durch das frühzeitige Erscheinen der Bindearme die Oblongata-
teile nach innen, durch das nicht viel spätere Auftreten des Pons
nach dorsal hin gedrängt. Und so entsteht ein Durcheinander
der schlimmsten Art, welches den morphologischen Einblick un-
gemein erschwert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Anthro-
poiden die Kluft überbrücken, doch will ich mich bei diesen
Betrachtungen nur auf solche Formen stützen, die ich selber
untersucht. Anthropoiden-Material stand mir aber leider nicht
zur Verfügung.
Wie kompliziert aber auch immer die Oblongata des Menschen
erscheinen möge, sie zeigt doch schliesslich den gleichen Aufbau
wie die der niederen Säuger und entsteht aus dem Rückenmark
unter den gleichen mechanisch-physiologischen Bedingungen.
2. Die Nerven der Oblongata.
Für die folgende Betrachtung scheidet der Nervus acces-
sorius Willisii aus. Er ist ein Rückenmarksnerv, der bei vielen,
aber nicht bei allen Spezies einige Wurzeln in der Oblongata hat.
Über die Einzelheiten, welche die im verlängerten Mark
entstehenden und hier austretenden Nerven erkennen lassen, hat
der I. Teil alles Nötige gebracht; eine zusammenfassende Über-
sicht erscheint mir unnötig. Nur darauf möchte ich noch einmal
hinweisen, dass auch zwei dieser Nerven das wiederholt erwähnte
Remplacement zeigen. Bei den meisten Arten tritt der Glosso-
pharyngeus so unmerklich an die Stelle des Vagus, dass es keine
leichte Aufgabe ist, zu sagen, wo der Vagus aufhört und wo der
Glossopharyngeus anfängt.
Von den Nerven der Oblongata zeigen der Hypoglossus
Vagus, Glossopharyngeus und Abducens ein übereinstimmendes
Verhalten, denn sie gehorchen dem Nervengesetz der Ob-
longata. Dieses lässt sich weniger leicht in eine kurze Formel
bringen, als in extenso darlegen.
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 387
Gemeinsam den genannten Nerven ist also folgendes: Die
Kerne sind eher da, als der intramedullare Verlauf, und sie ver-
schwinden später, als der Nerv intramedullar verschwindet. Die
Kerne fangen klein an und hören klein auf, während sie zwischen
diesen ihren Enden mehr oder minder umfänglich sind. Man
kann also sagen: Die Kerne des XII., X., IX. und VI. Gehirn-
nerven sind spindelförmige Gebilde (Fig. 48).
Der intramedullare Verlauf der Nerven ist eher da als ihr
Austritt und schwindet später als dieser. Das soll heissen: die
in den kaudalen Partien der Kerne entspringenden Wurzelfasern
ziehen schräg kapitalwärts zur Austrittsstelle, die von den
kapitalen entspringenden gehen schräg kaudalwärts ebendahin.
Nur die mittleren besitzen geraden Verlauf (Fig. 48). Die
Austrittsstelle der Nerven zeigt also eine dichtere Zusammen-
fassung der Wurzelbündel, als der Ursprung aus dem Kern.
Der Weg zum Austritt, mit Ausnahme des Hypoglossus des
Menschen, ist kein gerader, sondern ein gewellter (Fig. 48).
Darum trifft man die Nerven im Schnitt intramedullar in unter-
brochenen Zügen. Diesem (Gesetz gehorchen, mit der oben
erwähnten Ausnahme, die genannten Nerven aller von mir
untersuchten Spezies.
Der Facialis ist ein Nerv sui generis, er ist dem eben
entwickelten Gesetz nur zu einem kleinen Teil unterworfen.
Sein Kern liegt ventral, die Kerne der vorhin genannten Nerven
liegen dorsal. Letztere entsenden ihre Fasern in ventraler
(XII und VI) oder mehr lateraler Richtung (X und IX), dieser
in dorsaler Richtung. Die erwähnten vier Nerven treten ventral
von ihren zugehörigen Kernen aus, der Facialis kapitalwärts von
seinem Kern (Fig. 49). Letzterer ist längst spurlos verschwunden
und dann erst erscheint intramedullar seine Austrittsmasse. Die
anderen Nerven gehen in mehr oder minder dicken Bündeln von
den Kernen ab, der Facialis erscheint als ein Strom von einzelnen
Fasern (Fig. 49), welche erst nach dem Schwinden des Kernes
sich zu einem dicken Strange zusammenlegen, dem fälschlich so
genannten Knie (Fig. 49). (Ich habe mich dieser Terminologie
aus äusseren Gründen, nämlich um nicht unverständlich zu
werden, im I. Teile anbequemt). Was man nämlich als „Knie“
bezeichnet, ist gar kein solches, also keine Umbiegungsstelle des
Nerven (denn so muss doch wohl der Terminus „Knie“ auf-
388 Bernhard Rawitz:
gefasst werden), sondern ist ein dicker, kapitalwärts verlaufender,
drehrunder Strang (Fig. 49), der sich bei manchen Formen tief
in die Ponsregion erstreckt. Früher oder später biegen die
Fasern dieses Stranges in die transversale Richtung ein, welche
Stelle richtiger als Knie zu bezeichnen wäre (Fig. 49). Dann
ziehen sie am Boden des IV. Ventrikels entlang bis in die
Bindearmregion und biegen hier (Fig. 49), also in einem zweiten
Knie, in die dorsoventrale Ebene ein. In dieser verlaufen sie
aber nicht auf geradem Wege nach aussen, sondern ziehen schräg
kaudalwärts und treten also in einer Gegend aus der Oblongata
heraus, welche ihrem Kern wieder mehr genähert ist, als ihr
intramedullarer Verlauf (Fig. 49). Und nur insofern gehorcht. der
Facialis dem oben entwickelten Nervengesetz, als sein Kern
spindelförmige Gestalt hat.
Der Acustieus ist ein Doppelnerv. Die vordere Wurzel der
Autoren, Nervus vestibuli, ist in gewissem Sinne reiner Oblongata-
nerv, die hintere Wurzel der Autoren, Nervus cochleae, betrachte
ich als einen Grosshirnnerven. Der kapitale Acusticus entsteht
aus der kapitokaudalen Acusticuswurzel. Diese zeigt das Eigen-
tümliche, dass, nachdem sie sich im vereinigten Goll-Burdach-
kern gebildet hat, sie die Zellen des zugehörigen Kernes zwischen
ihren Bündeln beherbergt. Dieser Umstand sowohl wie auch
die eigentümliche Umbiegung zum Austritt unterscheiden den
kapitalen Acusticus von allen anderen Oblongatanerven. Und
nur darum rechne ich ihn noch zu diesen, weil er in der
Oblongata entsteht und in ihr auch vergeht. Dem Nerven-
gesetz ist er nicht unterworfen. Ebenso ist der kaudale Acusticus
dem Nervengesetz nicht untertan. Er ist meines Erachtens als
ein aberranter Grosshirnnerv anzusehen und zwar lediglich
darum, weil sein Kern keine Spur von Ähnlichkeit mit einem
Oblongatakern zeigt und auch nur sekundär mit dem Mark in
Verbindung tritt. Dass beim Menschen der Kern von Anfang
an mit der Öblongata vereinigt ist, ändert nichts an seiner
Klassifizierung, denn auch bei Homo hat der Kern dank seinem
Aussehen Grosshirncharakter, wobei es unerheblich ist, dass die
sehr kleinen Zellen des Kerns nicht den Grosshirnzellen gleichen.
Aber wer durch die Säugetierreihe hindurch das Auftreten des
Kerns des kaudalen Acusticus verfolgt hat, dem zwingt sich die
eben entwickelte Vorstellung direkt auf.
Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 389
Interessant ist der Gegensatz des Aufbaues der Oblongata
zu den in ihr entstehenden und aus ihr austretenden Nerven.
Konnte dort eine zunehmende phyletische Komplikation bei aller
prinzipiellen Gleichmässigkeit der Grundlagen festgestellt werden,
so ist hier bei den Nerven von einer Phylogenie nicht die Rede.
Sie zeigen von Didelphys zu Homo so übereinstimmende Ver-
hältnisse, entspringen und verlaufen in so gleicher Weise, dass
von einer phyletischen Vervollkommnung nichts zu merken ist.
Das offenbart eine eigenartige Disharmonie zwischen der Oblongata
und ihren Nerven. Und nur dadurch kann diese aufgelöst
werden, dass wir die phyletische Weiterbildung des verlängerten
Markes als das Resultat einer zunehmenden cänogenetischen
Komplikation seiner spezifischen Funktionen, einer innigeren, neu
erworbenen Verflechtung seiner Teile betrachten, während die
primären palingenetischen Funktionen, die, ich möchte
sagen, brutalen nervösen Leistungen, sich allenthalben in der
Säugetierklasse gleich verhalten.
Berlin, Ende Juli 1908.
Figurenerklärung auf Tafel XIII-XV.
Die Nummerierung der Figuren ergibt sich als Fortsetzung der
ersten Hälfte, pag. 260 dieses Bandes.
Fig. 293—33. Ovis aries.
Fig. 29, welche nur die Olive gibt, ist 9fach, die übrigen sind 8fach vergr.
Fig. 34. Equus caballus.
Vergr.8:1. Skizze z. Kenntlichmachung d.Rolando schen Substanz (RO).
Fig. 35. Canis familiaris. Vergr. 11:1.
Fig. 36. Felis domestica. Olive; vergr. 10:1.
Fig. 37. Lepus cuniculus. Vergr. 9:1.
Fig. 33—40. Erinaceus europaeus.
Fig. 38 = 20:1; Bie739— 13:1; Fig. 40 = 12:1.
Fig. 41. Talpa europaea. Vergr. 12:1.
Fig. 42 u.43. Vespertilio murinus.
Fig. 42 = 45:17 Big. 43 = 15:1.
Fig. 44 u.45. Lemur varius.
Hip. AA =/15 1819.45 — 11:1.
Fig. 46. Macacus rhesus. Vergr. 11:1.
Fig. 47. Homo sapiens.
Skizze; nur die Olive ist ausgeführt. Vergr. 7:1.
Fig. 48. Schema des Nervengesetzes. | kaud. — kaudal,
Fig. 49. Schema des Facialis. | kap. = kapital.
390
Aus dem Anatomischen Institut der Universität zu Upsala.
Studien über die Thymusinvolution.
Die akzidentelle Involution bei Hunger.
Von
Arvid Jonson.
Hierzu Tafel XVI, XVIH und 11 Textfiguren.
Schon seit langer Zeit ist von einzelnen Forschern darauf
hingewiesen worden, dass die Thymusdrüse auch bei Individuen
desselben Alters bedeutende Verschiedenheiten in bezug auf
Grösse und Bau aufweist. Allerhand Einflüsse, wie anstrengende
Muskelarbeit, schlechte Ernährung, Krankheiten (besonders
chronische, zehrende) können eine oft hochgradige Verminderung
des Organs hervorrufen.
Der erste, der auf diesen Umstand aufmerksam gemacht
hat, scheint Wharton (1659) zu sein, der die Bedeutung der
Muskelarbeit in dieser Hinsicht betont. Seine Beobachtungen
wurden später von Verheyen (1710) und Gulliver (1842)
bestätigt. Meckel (1810), Simon (1845), Herard (1847),
Friedleben (1858), Seydel (1894) u. a. wiesen auf die
Bedeutung des Ernährungszustandes hin: schlecht genährte
Individuen besitzen eine kleine Thymus von niedrigem Gewicht,
wohlgenährte dagegen eine grosse Thymus von hohem Gewicht.
Haugsted (1831), Friedleben (1858), Thaon (1872),
Hansen (1894) u. a. wiesen Veränderungen der Thymus und
eine Verminderung des Thymusgewichts, verschieden bei akuten
und bei chronischen Krankheiten, nach. Das Thymusgewicht ist
relativ hoch bei solchen, die an akuten Krankheiten gestorben,
weit niedriger bei solchen, die an chronischen gestorben sind,
und zwar um so niedriger, je ungünstiger die Krankheit auf den
Ernährungszustand eingewirkt hat. Ganz neulich hat Hammar
(1906) eine geschichtliche Übersicht über die vorliegende Frage
gegeben, welche Darstellung hauptsächlich dieser meiner Über-
sicht zugrunde gelegen hat, und auf die ich betreffs der Einzel-
Studien über die Thymusinvolution. 391
heiten hier verweise. Aus ihr geht auch hervor, dass diese
Labilität der Thymusdrüse trotz der nicht wenigen Beobachtungen
bis in die letzte Zeit im grossen und ganzen von den Forschern
übersehen worden ist. Erst in den letzten Jahren ist diese
Tatsache und ihre Bedeutung für das Thymusstudium mit grösserer
Schärfe von Hammar (1905: 1 und 2, 1906, 1907: 1 und 2)
betont worden. Er beschreibt diese Veränderungen der Drüse
unter der Benennung akzidentelle Thymusinvolution.
Fast alle diese Darstellungen gründen sich indessen auf
mehr zufällige Beobachtungen sowie auf die Statistik von Sektions-
fällen. AÄusserst wenige Versuche scheinen dagegen mit der
Absicht angestellt worden zu sein, durch systematische Experimente
die Frage zur Klärung zu bringen.
Friedleben (1858) untersuchte an Hunden experimentell
das Verhalten der Thymus bei vollständigem Hunger sowie bei
qualitativ geänderter Nahrung. Die Hungerversuche sind wenig
umfassend: 3 Versuchstiere mit 12 Stunden, 40 Stunden und
14 Tagen Versuchszeit. Das Ergebnis war Verminderung des
„Ihymussekrets“ (d.h. des Parenchyms) und Veränderung des-
selben in morphologischer und chemischer Hinsicht sowie Ver-
minderung der Drüse in bezug auf Breite und Dicke. Die Drüse
erleidet eine weit hochgradigere Atrophie als der Körper im
übrigen und eine hochgradigere als Leber und Milz.
Die Versuche desselben Forschers über den Einfluss qualitativ
geänderter Nahrung auf die Thymus beziehen sich gleichfalls auf
Hunde als Versuchstiere. Diese seine Versuche resultieren darin,
dass eine einseitige Fütterung mit Butter oder Stärke die Thymus
allmählich zum Atrophieren bringt, während eine allseitige, salz-
haltige, eiweiss-, fett- und kohlehydratreiche Nahrung eine
Zunahme von Thymusgewicht und „Sekret“ zur Folge hat.
Hammar (1905: 1) führte Hungerversuche an Fröschen
und Kaninchen aus. Dabei konstatierte er eine durch den
Hunger verursachte Rarefizierung der Rindenlymphozyten, eine
Auswanderung derselben auf Lymph- und Venenwege, wodurch
die Drüse ein mehr epitheliales Aussehen erhält; ferner eine
Verminderung der Anzahl der Mitosen und Degeneration von
Retikulumzellen ; endlich regressive Veränderungen in myoiden
Zellen und Verschwinden oder eystenähnliche Umwandlung
Hassalscher Körperchen.
392 Arvid Jonson:
Kann es demnach auch als bereits nachgewiesen betrachtet
werden, dass eine akzidentelle Thymusinvolution vorkommt, und
dass sie sich durch ungenügende Nahrungszufuhr experimentell
hervorrufen lässt, so bleibt gleichwohl in dieser Hinsicht eine
nicht geringe Anzahl Fragen übrig, die entweder überhaupt noch
nicht zur Bearbeitung gekommen sind oder nur eine unvollständige
Beantwortung gefunden haben. Einige derartige Fragen, wie sie
bei dieser meiner Untersuchung vorzugsweise bearbeitet worden
sind, seien hier angeführt: das Verhalten des Parenchyms teils
bei vollständigem Hunger, teils bei ungenügender Nahrungs-
zufuhr; die Veränderungen des Marks bezw. der Rinde unter
diesen Verhältnissen hinsichtlich des Umfangs und des Baues;
von besonderem Interesse ist die Feststellung der Anzahl der
Mitosen und der Anzahl und der Formen der Hassalschen
Körperchen, verglichen mit dem normalen Zustand, da sich
hieraus möglicherweise Schlüsse bezüglich der Funktion des
Organs während des Hungerns ziehen lassen: ferner die Frage
nach dem Vorkommen und dem Verlauf der Regeneration, wobei
besonders die Frage nach der Herkunft der eventuell neu auf-
tretenden Thymuslymphozyten Beachtung verdient; endlich ist
ein Vergleich zwischen dem Verhalten der Thymusdrüse und des
Fettgewebes sowohl bei den Hunger- als bei den Regenerations-
tieren nicht ohne Interesse. Dem Verhalten der eigentlichen
Iymphoiden Organe habe ich auch bei der Sektion der Versuchs-
tiere einige Aufmerksamkeit gewidmet. Da diese Frage indessen
gegenwärtig von Hellman bearbeitet wird, so habe ich den
betreffenden Teil meines Materials ihm überlassen und im Aus-
tausch dafür die der Serie V angehörigen Thymi erhalten. Ich
habe im allgemeinen in meinen Versuchsprotokollen nur das
(rewicht der Milz angeführt.
Material und Methoden.
Als Versuchstiere habe ich bei meiner Untersuchung Kaninchen
angewandt. Die normalen Verhältnisse der Kaninchenthymus sind
durch die gleichzeitig angestellten Untersuchungen Söderlunds
und Backmans (1908) gut bekannt. Von Wert bei einer Unter-
suchung wie der vorliegenden ist auch die Möglichkeit, die das
Kaninchen bietet, grosse und gleichmässige Würfe zu erhalten,
Studien über die Thymusinvolution. 393
so dass nicht mehr als ein Wurf für jedes Experiment angewandt
zu werden brauchte.
Gewöhnlich sind die Tiere nicht eher in Arbeit genommen
worden, als bis sie das Alter von sechs Wochen erreicht hatten;
in einigen Fällen habe ich bedeutend ältere Würfe angewandt,
jedoch nicht mehr als fünf Monate alte. Mit Absicht habe ich
so junge Tiere gewählt: teils um so homogene Würfe wie möglich
zu erhalten, teils um die störenden Einflüsse zu vermeiden, welche
die zur Zeit der Pubertät eintretende Altersinvolution der Thymus
unzweifelhaft mit sich bringen musste (Söderlund-Backman).
Meine Hungerversuche lassen sich in zwei Gruppen teilen,
die ich unter Anwendung von v. Noordens (1907) Bezeichnungs-
weise benenne:
a) Chronische Unterernährung und
b) Akuter Hungerzustand.
Bei den der erstgenannten Kategorie angehörenden Ver-
suchen erhielten die Versuchstiere täglich eine allseitige, aber
knapp bemessene Kost, die so abgepasst war, dass die Tiere,
trotzdem sie sich im Wachstumsalter befanden, während der
ganzen Versuchszeit sich auf einem ungefähr konstanten Körper-
gewicht hielten.
Bei akutem Hungerzustand wurde dagegen den Versuchs-
tieren von Anfang an alle Nahrung ferngehalten. Die Tiere
hatten bei diesen beiden Versuchsanordnungen Zugang zu frischem
Wasser.
Im allgemeinen habe ich bei jeder Versuchsreihe zwei
Kontrolltiere gehabt, von denen eins zu Anfang des Versuchs
(1. Kontrolltier), eins zu Ende desselben (2. Kontrolltier) getötet
wurde. Zu Kontrolltieren wurden die kleinsten oder mittelgrossen
des Wurfes gewählt, wobei vor allem auf das Körpergewicht
Rücksicht genommen wurde. Die schwächsten Versuchstiere
wurden im allgemeinen zuerst getötet, die kräftigsten gegen Ende
der Versuchszeit; es geschah dies nicht nur, weil die grössten
und üppigsten Tiere besser die Abmagerung, die der Versuch
bezweckte, aushalten, sondern auch und ganz besonders um die
Fehlerquellen zu vermindern und die Resultate, was die späteren
Stadien betrifft, so zuverlässig wie möglich zu machen. Meine
Untersuchungen stützen sich ja auf einen Vergleich zwischen den
Thymi der Kontrolltiere und der Versuchstiere, und richtig sind
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 26
394 Arvid Jonson:
meine Schlüsse nur unter der Voraussetzung, dass die Thymi zu
Beginn des Versuchs sich in mindestens gleich gutem Zustand
befanden wie die der Kontrolltiere.
Bei meinen Versuchsreihen mit chronischer Unterernährung
tötete ich im allgemeinen ein Versuchstier jede Woche, bei Ver-
suchen mit vollständigem Hunger wurden dagegen die Versuchs-
tiere in Zwischenzeiten von 1—4 Tagen getötet. Die der erst-
genannten Versuchsreihe angehörenden Versuchstiere wurden zwei-
bis dreimal täglich gefüttert, und dabei habe ich versucht, die
Nahrung so abwechselnd und allseitig wie möglich zu machen.
Sie bestand u. a. aus Milch, Hafer, Kleie, Gras oder Heu und
Wurzelgewächsen. Hierdurch habe ich den störenden Momenten
vorbeugen wollen, welche Verdauungsstörungen infolge einförmiger
Diät mit sich bringen können.
Während meiner Arbeit hat der Parasit Öoceidium oviforme
grosse Verheerungen unter meinen Tieren angerichtet und mir
grosse Schwierigkeiten bereitet, denn meine Würfe wurden nicht
selten hierdurch vorzeitig dezimiert, so dass die Versuche wieder-
holt werden mussten. Dieser Parasit scheint unter den Kaninchen-
stämmen, denen ich meine Tiere entnommen habe, ungewöhnlich
verbreitet zu sein. Meine Erfahrungen betreffs der Coccidiose
gehen indessen dahin, dass gelinde Leberinfektion, die den
Appetit oder das allgemeine Wohlbefinden nicht stört, geringe
oder gar keine Einwirkung auf die Thymus hat. In weiter vor-
geschrittenem Stadium der Krankheit, wo sich Herabsetzung des
Appetits und des Allgemeinzustandes geltend macht, und wo
Leber und Schleimhäute schwer angegriffen sind, beeinflusst die
Krankheit auch die Thymus, und derartige Tiere sind natürlich
bei meinen Versuchen nicht zur Anwendung gekommen. In den
wenigen Ausnahmefällen, wo ich ein gelinde coceidieninfiziertes
Tier mitangewandt habe, ist dies stets besonders bemerkt worden.
Tägliche Wägungen der Tiere wurden sowohl einige Zeit
vor dem Versuch wie auch während desselben ausgeführt, um so
genau wie möglich Wachstum und Ernährungszustand kontrollieren
zu können.
Da es bei einer Untersuchung wie der vorliegenden sehr
wünschenswert ist, ein objektives Maß für den Ernährungszu-
stand bei den Kontroll- und Versuchstieren zu haben, so habe
ich zu diesem Zwecke und neben der Feststellung des totalen
Studien über die Thymusinvolution. 395
Körpergewichts der Tiere eine Methode angewandt, die hier in
ihren Einzelheiten mitgeteilt wird, um bei anderen gleichartigen
Untersuchungen die Erhaltung vergleichbarer Werte zu ermög-
lichen. Die Achselhöhlen, die Leisten, die Renal- und Inter-
skapulargebiete wurden von allem Fett befreit, welches gesammelt
und gewogen wurde, und das Gewicht als Maß für den Ernährungs-
zustand des Tieres benutzt. Hierbei wurde stets genau auf die-
selbe Weise verfahren und darauf gesehen, dass stets die ent-
sprechenden Gebiete von ihrem Fett befreit wurden. Bei mageren
Versuchstieren bereitete dies keine Schwierigkeit; schlimmer war
es dagegen, wenn es sich um wohlgenährte, fette Tiere, wie die
Kontrolltiere, handelte, wo ein ziemlich ansehnlicher Panniculus
adiposus mit den meisten obengenannten Fettdepots in Verbindung
stand. Im Zusammenhang mit dem Interskapularfett wurde alles
kückenfett bis zur Höhe des Angulus inferior scapulae, mit dem
Axillarfett alles Fett bis zum unteren Brustkorbrande in der Axillar-
linie, mit dem Inguinalfett das gewöhnlich zirkumskripte Gebiet,
das in einem Bogen sich von der Symphyse bis zur Spina iliaca
anterior superior erstreckt, und mit dem Renalfett alles um die
Nieren gelegene Fett bis herunter zur Mitte des Ureters ge-
sammelt und gewogen. In den letzten Stadien der Versuchsreihen
unterliegt es keinem Zweifel, dass das „Fett“, das ich dermassen
gewogen, streng genommen nicht so genannt werden kann, sondern
eher das seröse Bindegewebe ist, das durch die Atrophie des Fett-
gewebes entstanden ist. Die eigentliche Fettreduktion ist daher
sicherlich noch etwas grösser, als die Zahlen es angeben.
Als Fixierungsflüssigkeit habe ich die Tellyesniczkysche
Lösung verwendet; gewöhnlich wurde ausserdem noch ein geringerer
Teil der Drüse in Flemmingscher Flüssigkeit fixiert.
Die Bestimmung der Parenchymwerte geschah nach dem
von Hammar (1906) angegebenen Prinzip. Seine Anwendung
auf das Kaninchen erfordert indessen die Kenntnis der spezifischen
(rewichte von Thymusparenchym, Bindegewebe und Fettgewebe
bei diesem Tier. Ich führte eine solche Bestimmung des spez.
(rewichts des Parenchyms in der Weise aus, dass ich Thymus-
stücke von neugeborenen Kaninchen, wo das interlobuläre Binde-
gewebe so wenig entwickelt ist, dass es in diesem Zusammenhang
zu vernachlässigen sein dürfte, in Kochsalzlösungen von bekanntem
spez. Gewicht eintauchte. In gleicher Weise wurde das spez.
26*
396 Arvid Jonson:
Gewicht des Bindegewebes an Stücken von fettfreier Subcutis
aus dem Bauche neugeborener und ausgewachsener Tiere bestimmt.
Das spez. Gewicht des Fettgewebes wurde an subkutanem Fett-
gewebe mittelst Alkoholmischungen von bekanntem spez. Gewicht
bestimmt. Als spez. Gewicht des Thymusparenchyms des Kaninchens
ergab sich 1,075, des jungen Bindegewebes 1,060, des älteren
Bindegewebes 1,10 und des Fettgewebes 0,95. Bei diesen Unter-
suchungen leistete mir Herr Professor C. Th. Mörner wohlwollende
Hilfe, wofür ich ihm zu grossem Danke verpflichtet bin. Die Berech-
nungen wurden nach den in Söderlund-Backmans Aufsatz (1908)
angeführten Formeln ausgeführt.
Auch im übrigen habe ich versucht, objektive Maße für die
mikroskopischen Veränderungen zu erhalten. Vor allem gilt dies
für die Verhältnisse und die Menge der Hassalschen Körverchen
und der Mitosen.
Die Hassalschen Körperchen habe ich der Anzahl und
Grösse nach zu bestimmen versucht und dabei mich folgender
Methode bedient. Schnitte von 6 « Dicke aus verschiedenen
Teilen der Drüse wurden mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt und in
Kanadabalsam eingeschlossen. Unter dem Mikroskop wurde die
Anzahl der im Parenchym vorhandenen Hassalschen Körperchen
bestimmt und mit Benutzung des Okularmikrometers der Durch-
messer jedes einzelnen Körperchens gemessen. Deutlich ober-
flächlich geschnittene Körperchen wurden dabei nicht mitgezählt.
Nachdem auf diese Weise Schnitte aus verschiedenen Teilen der
Drüse durchsucht worden waren, wurden die Volumina der
betreffenden Parenchymgebiete nach folgender Methode bestimmt.
Mit Hilfe eines Projektionsapparats mit bekannter Vergrösserung
wurden die behandelten Schnitte auf einer Wachsplatte auf-
gezeichnet. Die aufgezeichneten Parenchymgebiete wurden danach
ausgeschnitten und gewogen. Mittelst der Wägung eines Quadrats
mit 5 cm langen Seiten wurde auch das Gewicht von 1 mm
derselben Wachsplatte bestimmt. Angenommen, dass letzteres
Gewicht a mg beträgt, dass das ausgeschnittene Parenchymgebiet
b mg wiegt, und dass die bei der Projektion angewandte lineare
Vergrösserung gleich m ist, so lässt sich die Oberfläche des
untersuchten Schnittes nach folgender Formel berechnen
b
Sr ame
Studien über die Thymusinvolution. 397
Beträgt die Dicke des Schnittes 0,006 mm, so ist folglich der
Kubikinhalt (ce) des untersuchten Parenchymgebiets
ce = 0,006 u
Falls man nun die Anzahl Hassalscher Körperchen von
bestimmter Grösse kennt, die auf dieses Volumen gehen, kann
man die Anzahl solcher Körperchen pro mm? Parenchym be-
rechnen. Auch die Anzahl pro Drüse lässt sich berechnen, da
man durch die Parenchymwertbestimmung das Gewicht des
Parenchyms kennt und demnach bei bekanntem spez. Gewicht
das Volumen (Vol. = absol. Gewicht : spez. Gewicht) des Drüsen-
parenchyms berechnen kann.
Die Zahlen, die so erhalten werden, bedürfen indessen einer
weiteren Korrektion, und zwar ganz besonders, was die grösseren
Hassalschen Körperchen betrifft. Wenn z. B. der Durchmesser
in einem Fall als 30 « und die Schnittdicke als 6 « betragend
festgestellt wurde, so kann dieses Hassalsche Körperchen von
dem Messer höchstens fünfmal getroffen worden sein. Eine
Wahrscheinlichkeitsberechnung zeigt, dass die Bildung in der
Mehrzahl der Fälle in sechs Schnitten gefunden wird. Von
diesen repräsentieren indessen zwei Schnitte die beiden Ober-
flächenschnitte, von denen ich bereits beim Rechnen abgesehen
habe, und ich hätte demnach dieses Hassalsche Körperchen
viermal statt einmal gezählt. Aus diesem Grunde ist eine
Reduktion der ursprünglich erhaltenen Zahlenwerte notwendig
gewesen, und in Übereinstimmung hiermit habe ich auch die
Reduktionsziffer für Gruppe 2 (s. unten!) zu 2, für Gruppe 3 zu 4
und für Gruppe 4 zu 5 bestimmt, durch welche Zahlen also die
ursprünglich erhaltene Totalsumme der betreffenden Gruppe
dividiert worden ist. Die Werte in Gruppe 1 sind überhaupt
nicht reduziert worden. Nach dieser Reduktion dürften die Werte,
obwohl natürlich nur approximativ, als relativ anwendbar anzu-
sehen sein.
Bei dem Messen der Hassalschen Körperchen habe ich
folgendes Verfahren beobachtet. Die Länge des Durchmessers
ist nicht genauer als auf 5 « bestimmt worden, da die Grenze
nach aussen hin meistens undeutlich und es unmöglich ist, sie
völlig scharf zu markieren. Beim Messen ist keine besondere
Schwierigkeit bei sphärischen Formen, dem gewöhnlichsten Typus
395 Arvid Jonson:
der einfachen mehrzelligen Hassalschen Körperchen, vorhanden
gewesen. Anders stellt sich indessen die Sache bezüglich der
zusammengesetzten Formen. Recht oft erhebt sich die Frage,
ob mehrere einfache oder eine zusammengesetzte vorliegt. Dabei
bin ich nun in der Weise verfahren, dass ich eine solche, die
nicht von einer gemeinsamen peripheren Zellschicht umgeben
war, als mehrere einfache gerechnet und jede dieser letzteren
für sich gemessen, jede aber, die wenigstens eine gemeinsame
periphere Zellschicht aufwies, als ein einziges Hassalsches
Körperchen aufgefasst habe. Bei länglichen Formen ist ein un-
gefährer mittlerer Durchmesser berechnet worden.
Folgende Einteilung habe ich gewählt:
A. Einzellige Hassalsche Körperchen, d. h. grosse, hyper-
trophische Zellen, nicht selten mit ausgesprochen faseriger
Protoplasmadifferenzierung, die wahrscheinlich bis zu einem ge-
wissen Grade als Vorstadien zu den echten Hassalschen
Körperchen anzusehen sind.
B. Mehrzellige (echte) Hassalsche Körperchen. Grössen-
gruppen:
1. Durchmesser 5 —14 u,
2. 15—24 u,
3. R 25—34 u,
4 35—60 u.
Beim Zählen von Mitosen habe ich mich folgenden Ver-
fahrens bedient. Von in Tellyesniczkyscher Flüssigkeit
fixiertem Material wurden 6 w-Schnitte angefertigt und in
Harrisschem Hämatoxylin gefärbt, wonach kräftige Entfärbung
in HCl-saurem 70 °/oigem Alkohol (1°/o HÜl) vorgenommen wurde.
Danach wurde die Säure gründlich in dest. Wasser ausgewaschen,
so dass eine schöne, aber schwache Blaufärbung entstand; Über-
führung in Xylol und Einschluss in Kanadabalsam. Unter An-
wendung von Leitz’ Okular 1, Objektiv 7 habe ich die Anzahl
der Mitosen in einer Anzahl Gesichtsfelder von Rinde bezw. Mark
berechnet. Die Grösse des Gesichtsfeldes wurde mit Hilfe eines
Objektmikrometers berechnet, und auf Grund der bekannten
Schnittdicke wurde das Volumen der durchsuchten Gesichtsfelder
festgestellt und die Anzahl Mitosen pro mm® Rinde und Mark
sowie auch pro Drüse berechnet.
Studien über die Thymusinvolution. 399
In all den Fällen, wo ein Unterschied zwischen Rinde und
Mark vorhanden war, wurde die Zählung der Mitosen für jedes
der beiden Parenchymgebiete für sich angestellt. Wo ein Unter-
schied zwischen Mark und Rinde nicht vorhanden war, wurde die
Zählung für das Parenchym in seiner Gesamtheit vorgenommen.
Um einen direkten Vergleich zwischen diesen beiden Kategorien
von Fällen zu ermöglichen, wurde, um auch im erstgenannten
Falle die Anzahl pro mm? Parenchym bestimmt zu erhalten, die
Summe der in Rinde und Mark vorhandenen Mitosen durch den
Kubikinhalt des ganzen Parenchyms (in mm ? gerechnet) dividiert.
Die grösste technische Schwierigkeit bei dieser Methode
ist die, dahin zu kommen, dass die Mitosen scharf gefärbt sich
von der Umgebung abheben. Das Material muss wohltixiert sein,
so dass das Charakteristische in der Form und Anordnung der
Uhromosomen hervortritt, sonst dürfte es sich bei dieser Färbungs-
methode nicht verlohnen, die Kernteilungsfiguren zählen zu wollen.
Was die Entfärbung betrifft, so muss sie so kräftig sein, dass
alle Zellkerne, die nicht in Mitose begriffen sind, äusserst matt
gefärbt werden, denn erst dann werden die Chromosomen leicht
erkennbar. Besonders grosse Schwierigkeiten bieten die Hunger-
stadien, wo die Anzahl stark blaugefärbter, nicht selten unregel-
mässig geformter Kerne und Kernderivate gewöhnlich sehr gross
ist und Verwechslung mit Mitosen veranlassen kann. Indessen
lernt man nach einiger Übung auch hier mit grosser Sicherheit
die beiden Arten von Bildern zu unterscheiden.
Eigene Untersuchungen.
I. Der Verlauf der Involution.
A. Chronische Unterernährung.
Serie I. Sechs Tiere von demselben Wurf. Alter zu Beginn des
Versuchs sechs Wochen (Taf. XVII, Fig. 1—5).
Nr.1 (@). Erstes Kontrolltier. Zu Beginn des Versuchs getötet.
Eines der mittelgrossen Tiere des Wurfs. Körpergewicht 409 gr, Milzgewicht
0,17 gr, Gewicht des Fetts 12,37 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,87 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,72 gr,
Rindenwert 0,60 er, Markwert 0,12 gr (die entsprechenden Durchschnitts-
werte für sechs Wochen alte Kaninchen nach Söderlund-Backman
bezw. 1,07, 1,00, 0,769, 0,232).
Das mikroskopische Präparat (Taf. XVII, Fig. 1) zeigt das Bild einer
normalen Thymus von einem wohlgenährten Tier. Die Läppchen liegen dicht
400 Arvid Jonson:
nebeneinander, nur durch schmale Bindegewebszüge voneinander getrennt.
Verhältnis Rinde : Mark wie 5:1 und Verhältnis Parenchym : interstitielles
Gewebe gleichfalls ungefähr wie 5:1. Nur spärlich werden Lymphozyten
im interstitiellen Gewebe angetroffen, in nicht geringer Menge auch in
Blutgefässen und Lymphgefässen. Kernteilungsfiguren sind in grosser Menge
vorhanden, sowohl Lymphozyten als Retikulumzellen angehörig, pro mm?
Rinde zu 16800, pro mm® Mark zu 9431 oder im Durchschnitt für das
Parenchym zu 15590 pro mm? berechnet. Für das ganze Organ berechnet,
sind die entsprechenden Werte 9408000, 1037410 und 10445410. Hassal-
sche Körperchen 313,5 pre mm® Parenchym, 210045 für das ganze Organ
berechnet. Die mittelgrossen (15—24 u) und die einzelligen am zahlreichsten
(wegen Einzelheiten s. Tab. II auf S. 414). Das interstitielle Gewebe enthält
ziemlich reichlich Fett.
Nr. 2 (9). Erstes Versuchstier. Eine Woche lang unzureichende,
aber allseitige Ernährung. Körpergewicht zu Beginn des Versuches 369 gr,
Gewichtsabnahme während der ganzen Versuchszeit 37 gr (mittlere Gewichts-
zunahme vor Beginn des Versuchs 14,5 gr pro Tag; mittlere Gewichtsabnahme
pro Tag während des Versuchs 5,3 gr), Milzgewicht 0,22 gr, Fett 6,32 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,30 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,19 &
Rindenwert 0,13 gr, Markwert 0,06 gr.
Verhältnis Rinde: Mark — 2:1 (ungef.) und Parenchym : intersti-
tielles Gewebe = 9:5 (ungef.). In dem mikroskopischen Präparat (Taf. XVII,
Fig. 2) zeigen sich die Lobuli an Umfang beträchtlich vermindert, die Rinde
mehr als das Mark. Die Anzahl der Rindenlymphozyten ist stark reduziert,
während das Mark solche Zellen in vermehrter Anzahl zu enthalten scheint.
Zahlreiche Lymphozyten im interstitiellen Gewebe und in den perivaskulären
Lymphgefässen. Die Anzahl der Mitosen relativ gross, zu 12855 pro mm
Rinde, 8290 pro mm? Mark und 11411 pro mm? Parenchym berechnet; für
das ganze Organ berechnet, betragen sie 1555455 in der Rinde, 464240 im
Mark oder zusammen 2019695, also etwas mehr als !/s der Mitosen beim
Kontrolltier. Die allerkleinsten Formen mehrzelliger Hassalscher Körperchen
weisen Anzeichen der Degeneration auf, in der Form von Kernzerfall und
Nekrose in den zentralen Partien. Die Anzahl der Hassalschen Körperchen
beträgt der Berechnung nach 867,2 pro mm? oder für die ganze Drüse
153494, d. h. etwas mehr als ?/« der beim Kontrolltier. Am zahlreichsten
ist auch hier die Grössengruppe 15—24 „, demnächst die kleinen mehrzelligen
und die einzelligen (s. Tab. II. Das interlobuläre Fett an einigen Stellen
stark atrophisch. Das interstitielle Gewebe bedeutend mehr aufgelockert als
in der Thymus des Kontrolltiers.
m
Nr.3 (2). Zweites Versuchstier. Zwei Wochen lang unzureichende
Ernährung Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 367 gr, Gewichts-
abnahme während der ganzen Versuchszeit 56 gr (mittlere Zunahme pro
Tag vor Beginn des Versuchs 12,7 gr, mittlere Gewichtsabnahme während
des Versuchs selbst 4,0 gr pro Tag). Milzgewicht 0,18 gr, Fett 1,7 gr.
Absolutes Thymusgewicht 0,12 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,07 gr.
Rindenwert 0,05 gr, Markwert 0,02 gr.
Studien über die Thymusinvolution. 401
Die Involution ist hier noch weiter gegangen (Tafel XVII, Fig. 3).
Die Lobuli klein, mit einer dünnen Rindenschicht. Die Grenze zwischen
den Rinden- und Markgebieten noch erkennbar, in einigen Lobuli jedoch
ziemlich undeutlich. Zahlreiche Lymphozyten in den Lymphgefässen und
im interlobulären Bindegewebe. Die Anzahl der Mitosen bedeutend ver-
mindert, pro mm? Parenchym zu 4860 und im ganzen Parenchym zu 325 620
oder ungefähr !/so des Betrages beim Kontrolltier berechnet. Zahlreiche
Degenerationstypen unter den Retikulumzellen : Schollen oder Körnchen in
dem stark angeschwellten Protoplasma, die von Osmium grau gefärbt werden,
ausserdem Ohromatolyse des gewöhnlich exzentrisch liegenden Kerns. Unter
den Hassalschen Körperchen scheint eine grosse Zahl in Degeneration be-
griffen zu sein: Nekrose und Auflösung der mehr zentral gelegenen Zellen
und Kernzerfall in den peripheren Schichten; pro mm? Parenchym betragen
sie 1222,9. im gesamten Parenchym 81934. Die einzelligen Formen sind
ganz verschwunden, die mittelgrossen (15—24 .„) überwiegen immer noch
(s. Tab. I).
Nr.4 (82). Drittes Versuchstier. Drei Wochen lang unzureichende
Ernährung. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 382 gr, Gewichtsabnahme
während der ganzen Versuchszeit 5 gr (Körpergewicht fast konstant während
der ganzen Versuchszeit; mittlere Gewichtszunahme pro Tag vor Beginn
des Versuchs 14,3 gr). Milzgewicht 0,15 gr, Fett 1,3 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,09 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,04 gr.
Die ganze Drüse äusserst dünn, kaum erkennbar, eingebettet in ein
serös durchtränktes, schlottriges Bindegewebe (Taf. XVII, Fig. 4) im vorderen
Mediastinum. Das Parenchym beträgt weniger als die Hälfte der Drüse.
In dem mikroskopischen Präparat ist es nicht immer leicht, die Mark- und
Rindenregionen voneinander zu unterscheiden. Das Mark ist nämlich besonders
reich an Lymphozyten, während die Anzahl in der Rinde stark reduziert ist,
weshalb der Zellreichtum des Parenchyms ziemlich gleichförmig ist. Besonders
augenfällig ist die starke Lymphozytenanhäufung, die überall um die grösseren
intraparenchymatösen Gefässe und die in ihrer Nähe gelegenen Lymphwege
herum vorkommt. Auch die Lymphgefässe und das interstitielle Gewebe
enthalten reichlich solche Zellen. Ebenso scheint ihre Anzahl etwas in den
Venen vermehrt zu sein. Die Mitosen sind spärlich, zu 4105 pro mm? Paren-
chym und 147780 im gesamten Parenchym berechnet. Die Bilder degenerierter
Retikulumzellen zahlreicher. Die Hassalschen Körperchen zu 1623,2 pro
mm? Parenchym und 58435 im gesamten Organ berechnet. Einzellige
fehlen; die Gruppe 15—24 „ überwiegt der Zahl nach immer noch. Fast
alle Hassalschen Körperchen scheinen in Degeneration begriffen zu sein.
Das interstitielle Gewebe fettfrei, serös durchtränkt und aufgelockert.
Nr. 5 (2). Viertes Versuchstier. Vier Wochen lang unzu-
reichende Ernährung. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 445 gr; Ab-
nahme während der ganzen Versuchszeit 45 gr (mittlere Zunahme vor Beginn
des Versuchs 15 gr pro Tag, mittlere Abnahme während des Versuchs
1,69 gr pro Tag; Gewichtsfluktuationen während des Versuchs selbst 485
und 400 gr). Milzgewicht 0,07 gr, Fett 1,5 gr.
402 Arvid Jonson:
Absol. Thymusgewicht 0,03 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,011 gr.
Die Drüse äusserst reduziert dem Gewicht und Volumen nach. Ver-
hältnis Parenchym : interstitielles Gewebe —= 5:9 (ungef.). Die Lobuli sehr
stark vermindert, einige von fast epithelialem Aussehen, so gut wie voll-
ständig von Lymphozyten entblösst. Die zentralen Teile der Lobuli enthalten
eine grössere Anzahl Lymphozyten als die peripheren (Taf. XVII, Fig. 5),
und besonders scheinen diese Zellen um die grossen Gefässe gesammelt zu
sein, die sich zentral in den Lobuli befinden. Lymphozyten kommen ausser-
dem zahlreich in Blutgefässen, Lymphgefässen und in dem interstitiellen
Gewebe vor. Mitosen kommen äusserst spärlich vor, und die vereinzelten,
die entdeckt werden konnten, scheinen meistens Retikulumzellen anzugehören;
ihre Anzahl zu 315 pro mm? und 3087 im gesamten Organ berechnet.
Degenerationsbilder von Retikulumzellen sind sehr gewöhnlich; hier und da
finden sich auch kleine, stark gefärbte Körnchen oder Klumpen, Flemmings
„tingiblen Körperchen“ ähnlich, wahrscheinlich Kernfragmente aus degene-
rierten Lymphozyten. Die Hassalschen Körperchen zu 1646,6 pro mm? und
16136 im ganzen Organ berechnet. Keine einzelligen vorhanden; die Gruppe
15—24 „ überwiegt kaum nennenswert über die Gruppe 5—14 u. In sämt-
lichen Hassalschen Körperchen degenerative Veränderungen.
Dieses Tier erwies sich als mit Coccidien behaftet. Eine geringe Anzahl
Herde in der Leber.
Nr.6 (4). Zweites Kontrolltier. Reichliche und allseitige Kost
während der ganzen Versuchszeit. Wurde wegen hervortretender Symptome
von Coccidieninfektion schon nach drei Wochen, d.h. gleichzeitig mit Nr. 4
getötet. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 370 gr, Gewichtszunahme
während des ganzen Versuchs 256 gr (mittlere Zunahme pro Tag 12,6 gr).
Milzgewicht 0,28 gr, Fett 20,35 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,95 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,77 gr,
Rindenwert 0,62 gr, Markwert 0,15 gr.
Verhältnis Parenchym: interstitielles Gewebe — 4:1 (ungef.), Rinde zu
Mark = 4:1 (ungef.). Das mikroskopische Bild zeigt eine ziemlich normale
Thymus: zahlreiche Mitosen, die Rinden- und Markgebiete deutlich voneinander
abgegrenzt. Doch ist es augenfällig, wie äusserst zahlreiche Lymphozyten
sich in den Lymphgefässen und dem interlobulären Bindegewebe befinden.
Dies steht offenbar mit einer ziemlich starken Coceidieninfektion der Leber
in Zusammenhang. Zu beachten ist auch, dass das Tier, trotz reichlicher
Nahrung, während der letzten fünf Tage, bevor es getötet wurde, um 40 gr
abnahm.
Serie II. Ein Wurf von vier Tieren, von denen zwei Tiere als Kon-
trolltiere, die zwei übrigen als Versuchstiere angewandt wurden. Alter zu
Beginn des Versuchs vier Wochen.
Der Versuch wurde so angeordnet, dass die Versuchstiere einer ziem-
lich gelinden Beschränkung der Nahrung während der ersten Woche ausgesetzt
wurden, wonach ein Versuchstier getötet wurde; das andere Versuchstier
bekam dann während der zweiten Versuchswoche eine ganz minimale Menge
Nahrung, wonach es getötet wurde.
26 ee
Studien über die Thymusinvolution. 403
Nr.7 (&). Erstes Kontrolltier, getötet zu Beginn des Versuchs.
Kleinstes Tier des Wurfs. Körpergewicht 262 gr, Milzgewicht 0,13 gr, Ge-
wicht des Fetts nicht bestimmt.
Absol. Thymusgewicht 0,39 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,33 gr,
Rindenwert 0,27 gr, Markwert 0,06 gr.
Die Thymus zeigt normales Aussehen im mikroskopischen Präparat.
Mitosen 18500 pro mm® Rinde, 7166 pro mm? Mark, d.h. durchschnittlich
pro mm® Parenchym 16453; berechnet für das ganze Organ sind die ent-
sprechenden Zahlen 4699000, 401296 und 5100296. Hassalsche Körperchen
zu 325,7 pro mm® Parenchym oder für das ganze Organ zu 100967 be-
rechnet; die kleinen Formen 5—14 und 15—24 „ sind ungefähr in gleicher
Anzahl vertreten; die einzelligen etwas spärlicher.
Nr.8 (8). Erstes Versuchstier. Eine Woche lang gelinde Be-
schränkung der Nahrung. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 345 gr,
zu Ende desselben 362 gr, Zunahme während der ganzen Versuchszeit 17 gr
(tägliche Zunahme vor Beginn des Versuchs 15,0 gr, tägliche Zunahme während
des Versuchs 2,4 gr).
Absol. Thymusgewicht 0,40 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,34 gr,
Rindenwert 0,22 gr, Markwert 0,12 gr.
Das mikroskopische Präparat zeigt bedeutend verminderte Lobuli. Die
Lymphozytenmenge in der Rinde bedeutend geringer als bei den Kontrollthymi.
Die Lymphozyten sind dagegen im Mark vermehrt, und die interlobulären
Lymphgefässe sind ganz überschwemmt mit derartigen Zellen. Auch im
interstitiellen Bindegewebe sowie in den Blutgefässen zahlreiche Lympho-
zyten. Mitosen 12510 pro mm® Rinde, 10230 pro mm? Mark, 11726 pro
mm? Parenchym: in der ganzen Rinde wurde ihre Anzahl zu 2627100, im
ganzen Mark zu 1125300 oder zusammen im ganzen Parenchym zu 3752400
berechnet. Die Anzahl der Hassalschen Körperchen beträgt 370,5 pro mm?
oder 119560 in der ganzen Drüse. Die Gruppe 5—14 „ ist am zahlreichsten
vertreten, danach die einzelligen und die Gruppe 15—24 „ in ungefähr
gleicher Menge (s. Tab. II). Das interstitielle Gewebe ist deutlich lockerer
als normalerweise; die Fettlobuli innerhalb desselben hier und da etwas
atrophisch.
Nr.9 (&). Zweites Versuchstier. Eine Woche lang äusserst
gelinder, danach eine Woche lang starker Hunger. Körpergewicht zu Beginn
des Versuchs 324 gr, zu Ende desselben 313 gr. Gewichtsabnahme während
des ganzen Versuchs 11 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor Beginn des Ver-
suchs 13,7 gr, mittlere Abnahme pro Tag während des Versuchs selbst 0,8 gr).
Milzgewicht 0,15 gr, Fett 0,59 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,05 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,016 gr.
Die Lobuli stark vermindert. Ein Unterschied zwischen den Rinden-
und Markgebieten unmöglich zu beobachten. Das Parenchym hat ein durch-
weg gleichartiges Aussehen; die Hassalschen Körperchen werden oft an den
Rändern der Lobuli angetroffen. Die Anzahl der Lymphozyten stark reduziert.
Am zahlreichsten sind sie zentral in den Lobuli, stellenweise in den Retikulum-
maschen und um die grossen zentralen Gefässe (Venen) herum angesammelt.
404 Arvid Jonson:
Auch die perivaskularen Lymphwege in dem interstitiellen Gewebe enthalten
zahlreiche Lymphozyten. Dagegen finden sie sich spärlicher in den peripheren
Teilen der Lobuli, woselbst eine epitheliale Randschicht mehrfach zutage
tritt. Mitosen kommen äusserst spärlich vor und gehören hauptsächlich
Retikulumzellen an; sie sind zu 728 pro mm? Parenchym und 10920 in der
ganzen Drüse berechnet worden. Degenerationsformen sowohl von Retikulum-
zellen als von Lymphozyten äusserst zahlreich. Die allermeisten Hassalschen
Körperchen sind in Degeneration und Auflösung begriffen; ihre Anzahl 1305,5
pro mm®, 19582 in der ganzen Drüse; die kleinen mehrzelligen (5—14 4)
am zahlreichsten, die einzelligen verschwunden. Das interstitielle Gewebe
ist stark aufgelockert und entbehrt des Fettes. Die Blutgefässe mit Blut
prall gefüllt.
Nr. 10 (3). Zweites Kontrolltier. Wurde zu Ende des Ver-
suchs getötet. Kein Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 310 gr,
Gewichtszunahme während der ganzen Versuchszeit 185 gr (mittlere Zunahme
pro Tag 13,2 gr). Milzgewicht 0,20 gr, Fett 5,5 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,68 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,64 gr,
davon Rinde 0,57 gr, Mark 0,07 gr.
Ich habe noch eine Versuchsserie mit chronischer Unter-
ernährung (Serie IV) anzuführen, da sie aber mit Regenerations-
versuchen verbunden wurde, wird in dem betrefienden Abschnitt
weiter unten über sie berichtet werden.
Die hier angeführten Versuche zeigen deutlich, welch intimer
Zusammenhang zwischen der Thymus und dem allgemeinen Er-
nährungszustand des Körpers herrscht. Unter ständigem Sinken
geht das absolute Thymusgewicht bei Unterernährung in Serie I
so herab, dass es nach vier Wochen nahezu !/so!) von dem des
Kontrolltiers beträgt (vgl. die Kurve Textfig. 1). In Serie II
gibt der schwache Hunger der ersten Woche einen undeutlichen
Ausschlag; möglicherweise resultiert er nur in verlangsamtem
Wachstum des Organs. Eine Woche schwachen und eine Woche
strengeren Hungers hat dagegen eine Reduktion des Thymus-
gewichts auf !/s bis !/ı2 desjenigen beim Kontrolltier zur Folge.
In Serie IV (Textfig. 10, s. S. 437) ist das absol. Thymusgewicht
nach zehntägiger Unterernährung gleichfalls auf '/ı2 desjenigen
beim Kontrolltier reduziert; ein Monat Hunger (in dieser Serie
') Da das zweite Kontrolltier gleichwie das vierte Versuchstier und
in höherem Grade als dieses coccidieninfiziert war, so ist das erhaltene
Resultat meines Erachtens offenbar dem Hunger, nicht der Krankheit zuzu-
schreiben.
Studien über die Thymusinvolution. 405
strenger als in Serie I!) hat das Gewicht auf ungefähr '/ıoo des-
jenigen beim Kontrolltier herabgebracht !
Da das Körpergewicht währenddessen recht wenig von dem
ursprünglichen variiert hat (wobei man jedoch sich erinnern muss,
dass die Versuche Altersstadien umfassen, wo normalerweise ein
schnelles Wachstum stattfindet), so hat sich auch das relative
Thymusgewicht (in Prozent des Körpergewichts gerechnet)
bedeutend geändert: in Serie I ist es von 0,21°/o auf 0,007 Jo,
d.h. gleichfalls auf '/so des Wertes beim Kontrolltier gesunken;
Fig. 1. Serie I. Chronische Unterernährung.
Absoßsehymussewicht,, —-— rer
„ Parenchymgewicht —- — -—-
„ Rindengewicht -— - - —- —
5 Markgewicht - - - 0er...
» Gewicht des interst. Gewebes — - -— - - —
in Serie II von 0,15 °/o auf 0,016, d. h. auf ungefähr '/ıo, und in
Serie V von 0,21°/o auf 0,004 °/o, d.h. auf ungefähr '/so (s. Tab. I).
In dem anatomischen Bilde des Organs müssen natürlich
derartige Veränderungen notgedrungen sich stark bemerkbar
machen.
Bei gesunden Kaninchen, die sich im Wachstumsalter be-
finden, und die wohlgenährt sind, ist die Thymus normalerweise
eine ziemlich ansehnliche Drüse, die fast das ganze vordere
406 Arvid Jonson:
Mediastinum von der Mitte des Herzens bis hinauf zum oberen
Sternalrande ausfüllt und sich sogar mit den beiden Hörnern ein
Stück in die Halsregion hinauferstreckt. Aber bereits eine ein-
wöchige Abmagerungskur ist hinreichend, um eine bedeutende
Verminderung im Volumen der Drüse zu verursachen, und nach
3—4 Wochen verminderter Nahrungszufuhr ist die Involution
soweit gegangen, dass die Drüse nur mit Schwierigkeit zu ent-
decken ist: als ein dünner, geleeartiger Fetzen liegt sie über
. dem Herzbeutel im vorderen Mediastinum ausgebreitet, und beim
Herauslösen einer solchen „Hungerthymus“ sind es vor allem ihre
(Gefässe, die bezüglich der Lage und Ausbreitung des Organs
Anhaltspunkte geben. Gefässe sind ja im allgemeinen ziemlich
resistent gegenüber dem Hunger, und eine stark involvierte Thymus
ist daher sehr reich vaskularisiert und infolgedessen stark blut-
gefärbt. Eine gute Vorstellung von der Grössenreduktion liefern
die Figuren 1—4 auf Taf. XVII, die sich auf Serie I beziehen. An
verschiedenen Stellen ist eine verschieden starke Involution zu
sehen. Am besten scheinen die zentralen, um die grösseren Ge-
fässe herum gelegenen Lobuli der Einwirkung des Hungers zu
widerstehen.
Der grösste Gewichtsverlust trifft die Thymus in der ersten
Zeit bei gleichförmiger unzureichender Fütterung. In Serie I
beträgt während der ersten Versuchswoche die Gewichtsabnahme
65,5°/o (Fig. 2). Während der folgenden Versuchszeit ist der
Verlust geringer: während der zweiten Versuchswoche 20,5 °/o,
während der dritten Woche 3,7°/o und während der vierten
Woche 7°/o. Nach vierwöchiger Abmagerungskur hat die Thymus
an Gewicht nicht weniger als 97,7°/o verloren. Das gleiche
Verhältnis finden wir in Serie IV: während der ersten zehn Tage
Gewichtsabnahme um ungefähr 88,7°/o, während der folgenden
drei Wochen um weitere 11°/o (diese Zahlen sind indessen nicht
völlig vergleichbar mit den vorhergehenden, da das Kontrolltier
in dieser Serie erst nach Ende der Hungerperiode getötet wurde).
Es ist von Interesse, die Verminderung der Thymusdrüse
unter dem Einfluss des Hungers mit der ‘des Fettgewebes zu
vergleichen. Dieses letztere verhält sich im grossen und ganzen
gleichartig :mit der Thymus und zeigt vor allem während der
zwei ersten Versuchswochen eine schnelle Reduktion. Nach dieser
Zeit fände 'nach den ‚Kurven (Fig. 2) und Tab. I auch noch
Studien über die Thymusinvolution. 407
weiterhin eine langsame Abnahme der Thymus statt, während
das Gewicht des Fettgewebes sich mehr konstant hielte. Wie
bereits oben erwähnt, hat indessen das „Fett“, das ich in den
späteren Hungerstadien gewogen, in Wirklichkeit zu grossem
Teil aus einem serös durchtränkten Bindegewebe oder atrophiertem
Fettgewebe bestanden. Inwieweit Fett innerhalb dieses letzteren
während der letzten
Hungerwochen noch
vorhanden gewesen und
während dieser Zeit
160 %.
noch weiter reduziert 140%
worden ist, darüber ver-
mögen zweifellos die 120%
Wägungen keinen
sicheren Bescheid zu ak
geben, da es jedenfalls
beider makroskopischen
Präparierung in diesen
Stadien nicht möglich
gewesen ist, sicher die
Fettgewebsreste von
80%
dem fettfreien Gewebe 40
in der Umgebung zu
sondern. Im grossen 90%
und ganzen dürfte es
sich daher sagen lassen,
dass die Kurve des Fetts
mit der Thymuskurve Fig. 2. Serie I. Chronische Unterernährung.
IW 2
+W
Ss
zusammenfällt und die Absol. Thymusgewicht in Prozenten desjenigen
beim ersten Kontrolltiier —————————— —— :
Thymus demnach in gi 5
Körpergewicht in Prozenten desjenigen zu
bezug auf Labilität bei
f n Beginn des Hungers —-— -— .— .; Gewicht
Unterernährung dem des Fetts in Prozenten desjenigen beim ersten
Fettgewebe gleichge- Kontrolltier — — — — -
stellt ist.
Wenn auch die Verminderung des absoluten Thymusgewichts
durch unzureichende Nahrungszufuhr schon höchst beträchtlich
ist, so zeigt doch das eigentliche Parenchym der Drüse eine
verhältnismässig noch grössere Gewichtsherabsetzung, wie aus
Tab. I und den Protokollen hervorgeht. Nach vierwöchiger Ver-
408 Arvid Jonson:
Tabelle I.
| Körpergewicht Fettgewicht
en Ti
IE | Versuchs- -
Nr. @ Alter zu Beginn u: in
> zeit ' ee) des.
Im des bei Mors oder absolut .
Tanga Versuchs Zunahme Ko E
| | (H gewicht
B> | ! 7
| |
( 1.1) 2 | 6Wochen| Kontrolle 1 409 gr |, 409 gr 12,37 gr
re
an 3. Ol 1 Woche | 369 ‚, 332... —=.31 gel. 0a20% 1,90
= e| 3.) 90.18 „ 2. Wochen) 367 „| 311 „| 56 „170 „| mus
E & 4. 2 I „ 3 „ 382 2) 37 „ ara 2) 1,30 „ 0,35
= B. 1, 85 10 0 E57, | AO 150, 0,37
e 6819 „Kate 2| 370 „! 626 „ |4256 „|| 20,35 „| Su
<|
Pe |
2 7.| & | 4Wochen| Kontrolle 1 | 262 gr | 262 gr
I |
S) 2 8 &|5 „ 1 Woche 345 „| 362 „|-+i7er| 59 er zu
+ Eu 9 & |6 „ 2ÖWochen 324 „| 3137, 11 „ı Opa
( ey 2 Kontrolle 2 | 310 „, | 495 „ +18 „| 55 „| LEE
(11., & |4 Monate | Kontrolle 2 | 1375 gr | 1445 gr | +70 gr| 26,40 grı 1,8
a el 1 Tag | 1200 „ | 1110 „| —90 „|1860 „| 168)
&| a! 13.| 2 : 2 Tage | 1385 „ | 1235 „ 150 „|1630 „| 132
Ba) Mar vo r 3 „1380 „!1200 „|-180 „10,92 „| "O
a) 115.| & h 2.011885 „| 1185) „= 2503,19 6/90 se
3\
= \
E (24.| & |5 Monate | Kontrolle 1 | 1450 gr | 1450 gr 25,00 ger) ve
< =. e % 2 Tage | 1550 „ | 1360 „ |--190 er|l 24,50 „| 1,80
ra 2126. ®) er ER 1665 „, | 1390 „ |— 275 „, | 27,20 „, 1,96
UWE 9...,..1 1740. „ | 1300 „ |—440 14,00 eu
Studien über die Thymusinvolution. 409
' Thymusgewicht
| | |
in ®/o Absolutes Gewicht von Ink | Rinde | Mark BIETE
des chym | Gewebe
absolut * un Bi sk
Körper- | Paren- 4 interst. | in °/o des absol. Thymus-
gewichts Rinde Mark
chym Gewebe gewichts
M87 er | 021 0,72. gr | 0,60. 0. | 0,12 er | 015 gr | 82,8 | 69,0 | 13,8 | 172
0,30 , 0.032 >| 0,19 ,.,, |, Ol .cl 0,062, | 0,11 „ ‚163,3 1243.3317.20:02 1,36,7
012 „| oo Ioor „| 005 „| 002 „1005 „| 584! 217 | 167 | 41,6
009 „| 0024 |004 „ 005 „| 444 N
0.08 „| 0007 |oor „ |o019 „| 36,7 | | 683
eo 0,062 „016,018 „| 811603 15,8. | 18,9
sg or | "0,18 | 0,33 gr | 0,27 gr | 0,06 gr | 0,06 gr | 84,6 | 6322| 15,418,
In, oo, lo „| 012,006 „| 85,0) 550 30.0 | 15,0
| 005 „| 0016 | 0,016 „ | 0.084 „| 330 | | 68,0
Des „ | 0137 007 „004 „| 946 |
S&
[or
NS
oO
fox!
=
1255 ger | 0176 211 gr | 167 gr | 0,44 gr 0,44 gr 328 65,6 17,2
17,2
| ’
245 „ | 0220 | 198 „| 159 „| 089 „047 „| 808 649 | 15,9 | 192
2412 „| 0196 |1zı „| 14 „| 030 „1071 „| 7%0,2| 583 | 12,4 | 29,3
152, | 0126 || 1500 „. 025 025 „052 „| 65,6
1,02 „| 0089 |.o0,2 „| 04 „| 018 040 „| 607 | 4831| 17,6 | 39,3
>
Re
[80]
jet
2
RSS
=”
Nm
RS
6b er | 0,114 1,31 gr | 1,13 gr | 0,18 gr | 0,34 gr | 79,4 68,5
Ne 10,132. „| 1,2207 Re... \..0:21 053 „| 70,6 | 583 | 12,3 | 29,4
1410 „ | 0.081. | 0,48, |:0>26 022 „0,82 „| 43,6 | 23,6 | 20,0 | 56,4
0,40 „| 0081 | R 1027 „| 325 | 675
=
„m
o
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73.
IV
1]
410 Arvid Jonson:
suchszeit beträgt in Serie I das reduzierte Parenchymgewicht
nur ungefähr '/s von dem des Kontrolltiers (absol. Thymus-
gewicht — '/3o von dem des Kontrolltiers in demselben Fall).
Nach einer Woche schwachen und einer Woche strengeren
Hungers ist der Parenchymwert in Serie II auf '/se (das absol.
Thymusgewicht auf "/s) des ursprünglichen Wertes reduziert:
und in Serie IV ist der Parenchymwert nach 31 Tagen Unter-
ernährung nur gleich '/s0oo des entsprechenden Wertes bei dem
ungefähr zu gleicher Zeit getöteten Kontrolltier (das absol.
Thymusgewicht ist während derselben Zeit auf ungefähr "/ıoo
desjenigen beim Kontrolltier heruntergegangen). In diesen letzt-
genannten, der Serie IV angehörenden Beispielen dürften die
überraschend niedrigen Werte jedoch nicht nur einem relativ
strengen Hunger, sondern auch der Wirkung der vorhandenen
Coceidiose zuzuschreiben sein. Aus dem Angeführten geht hervor,
dass die Involutionsprozesse im Parenchym vor sich gehen.
In wie hohem Grade das Verhältnis zwischen den einzelnen
Gewebskomponenten in derselben Drüse sich im Laufe des Ver-
suchs ändern kann, geht aus Tab. I und II hervor. Bei dem
Kontrolltier Nr. 1, Serie I, enthält die Drüse ungefähr fünfmal
so viel Parenchym wie interstitielles Gewebe, nach vierwöchiger
Versuchszeit aber ist dieses Verhältnis dahin geändert, dass das
Parenchym nur ungefähr die Hälfte von dem interstitiellen Gewebe.
nach dem Gewicht gerechnet, beträgt.
Die beiden Gebiete des Parenchyms verhalten sich während
der Involution verschieden, worüber Tab. I und II sowie die
Kurven (Textfig. 1) Bescheid geben.
Die Rinde, die in der Kaninchenthymus normalerweise
durchgehends der vorherrschende Teil des Parenchyms ist, erfährt,
so lange sie sich mit Sicherheit unterscheiden lässt, eine Reduktion,
die in der Regel der des Parenchyms in seiner Gesamtheit
parallel verläuft. So verlaufen in Serie I (Fig. 1) und in
Serie IV (Fig. 10, s. S. 437) die Kurven des Parenchyms und
der Rinde im grossen und ganzen nebeneinander.
Das Mark dagegen nimmt weit langsamer als die Rinde ab,
was besonders für die erste Versuchswoche gelten dürfte (Fig. 1):
der schwache Hunger in Serie II scheint sogar in einer Steigerung
des Markwertes zu resultieren. Die Frage lässt sich erheben,
ob diese mehr resistente Beschaffenheit des Marks wirklich oder
Studien über die Thymusinvolution. 411
(ganz oder teilweise) nur scheinbar ist. In letzterem Fall hätte
man sich die Sache so zu denken, dass die zentralen Teile der
Rinde bei ihrer Reduktion einen mehr markähnlichen Bau
annähmen und dadurch die Reduktion, die gleichzeitig auch das
Mark träfe, kompensierten. Auf die Möglichkeit eines solchen
Verhaltens hat Hammar (1906, S. 155) hingewiesen. Ver-
schiedenes spricht indessen dafür, dass die Sache sich nicht so
verhält. In vorgeschrittenen Involutionsstadien kann man
Hassalsche Körperchen bis in die Oberfläche der Lobuli hinein
antreffen. Da kein Anlass zu der Annahme vorliegt, dass der-
artige Körperchen während der akzidentellen Involution neu-
gebildet werden, so spricht dies dafür, dass die Rinde in grosser
Ausdehnung wirklich geschwunden und nicht sichzu Mark umgebildet
hat. Ferner spricht das Auftreten einer epithelialen Randschicht
schon in relativ frühen Involutionsstadien (Hammar 1905: 1,
S. 71) für eine zentripetale und bis zu einem gewissen Grade
gegen eine zentrifugale Reduktion der Rinde. Auch weist die
mikroskopische Prüfung der Mark-Rindengrenze nicht darauf hin,
dass während der akzidentellen Hungerinvolution eine Verschiebung
dieser Grenze nach aussen hin, d. h. eine Erweiterung des Marks
auf Kosten der Rinde in grösserer Ausdehnung stattfindet.
Dagegen sprechen die mikroskopischen Bilder bestimmt dafür,
dass in den frühzeitigeren Involutionsstadien keine bedeutendere
Reduktion des Marks zustande kommt. Ja, der zu Beginn der
Involution geschehende Import von Lymphozyten in das Mark
hinein bietet sogar die Möglichkeit, eine Markvergrösserung, wie
sie das Kaninchen Nr. 8, Serie II zeigt, zu erklären — sofern
es sich hier um etwas anderes als individuelle Variationen handelt,
eine Frage, zu deren Entscheidung neue Versuche über die
Involution bei gelindem Hunger vonnöten sein dürften.
Was die histologischen Einzelheiten des Involutionsverlaufes
betriftt, so will ich hier eine kurze Zusammenfassung derselben
geben und verweise im übrigen auf die Protokolle.
Normalerweise besteht ja das Thymusparenchym aus Rinde
und Mark. Die Rinde besteht aus zerstreut liegenden, kleineren
Retikulumzellen, die mit ihren Ausläufern ein weitmaschiges
Netzwerk bilden, in dessen Maschen eine grosse Anzahl Lympho-
zyten sich befinden. Das Mark dagegen hat dichter liegende,
grössere, protoplasmareichere Retikulumzellen, und in dem mehr
Dirks
=
412 Arvid Jonson:
dichtmaschigen Markretikulum befinden sich normalerweise nur
eine geringe Anzahl Lymphozyten. Ausserdem kommen im Mark
normalerweise reichlich stärker hypertrophische Retikulumzellen
von runder Form („einzellige Hassalsche Körperchen“) und echte
Hassalsche Körperchen vor.
Unter dem Einfluss verminderter Nahrungszufuhr ändern
sich sehr bald diese Verhältnisse.
Das erste, was man beobachten kann, ist eine augenfällige
Verminderung der Anzahl der Lymphozyten innerhalb der Rinde,
und gleichzeitig findet eine Vermehrung dieser Zellen im Mark,
in den perivaskularen Lymphwegen, die von ihnen ganz erfüllt
sein können, sowie in den Venen statt; auch werden derartige
Zellen innerhalb des interstitiellen Gewebes in nicht geringer
Menge angetroffen. Bedenkt man, dass das Parenchym, während
dies vorsichgeht, eine höchst beträchtliche Verminderung in bezug
auf Gewicht und Volumen zeigt, und dass die Rinde in über-
wiegendem Grade an diesem Verlust interessiert ist, so lässt es
sich kaum bezweifeln, dass eine bedeutende Lymphozytenaus-
wanderung inszeniert worden ist, und dass die mobilisierten
Lymphozyten hauptsächlich von der Rinde herstammen. Durch
Lymphwege und Venen verlassen die Rindenlymphozyten über das
Mark hin das Organ. Dass diese Zellen nicht auf dem Wege in
die Thymus hineingewandert sein können, wie Stöhr (1906) es
angenommen, ist klar, wenn man berücksichtigt, dass die Zahl
der Lymphozyten während derselben Zeit mehr und mehr ab-
nimmt. Denkbar ist zwar, dass auch eine Einwanderung vor-
kommt, sie muss solchenfalls aber sehr unbedeutend im Vergleich
mit der Auswanderung sein.
Die Lymphozytenemigration geht vor sich, solange die
Hungerzeit anhält, scheint aber, den Präparaten nach zu urteilen,
lebhafter im Anfang als nach dem Ende zu zu sein, was sicher-
lich mit der kontinuierlichen Verminderung der totalen Lympho-
zytenmenge, je länger die Unterernährung dauert, in Zusammen-
hang steht.
Durch die Dezimierung der Rindenlymphozyten und ihre
Einwanderung ins Mark erhält der Lobulus sehr bald ein uniformes
Aussehen ohne Unterschied zwischen Rinde und Mark, und schliess-
lich haben sich in den weit vorgeschrittenen Stadien die Verhält-
nisse dahin geändert, dass die meisten Lymphozyten sich zentral
Studien über die Thymusinvolution. 415
im Lobulus befinden, während dieser in seinen peripheren Teilen
fast Iymphozytenfrei ist. In einzelnen Läppchen fehlt es in den
letzten Stadien sogar gänzlich an Lymphozyten.
Die Anzahl der Mitosen im Parenchym ist, wie Tab. II und
Fig. 3 zeigen, in einem kontinuierlichen und schnellen Sinken
begriffen, und zwar nicht nur absolut im ganzen Organ, sondern
auch pro mm? Parenchym berechnet. Die Rinde verhält sich
dabei wie das Parenchym in seiner Gesamtheit; das Mark zeigt
in Serie I auch ein Sinken, aber ein langsameres als die Rinde;
in Serie II dagegen zeigen die Markmitosen eine Zunahme während
des schwachen Hungers der ersten Woche. Es lässt sich nicht
12000
8000
400
IW 9 3 Wochen
Fig. 3. Serie I. Chronische Unterernährung.
Anzahl Mitosen pro mm? Parenchym
tinde
Mark Een:
n n
”
mit Sicherheit ausschliessen, dass individuelle Verschiedenheiten
hierbei mitgespielt haben, doch braucht dies durchaus nicht der
Fall gewesen zu sein. In dem Mark hat auf diesem Stadium
der Involution eine starke Einwanderung von Lymphozyten statt-
gefunden, und eben die Marklymphozyten sind es, auf die der
grössere Teil der Mitosen entfällt.
Ohne Zweifel würden eingehendere Schlüsse aus der Mitosen-
statistik zu ziehen gewesen sein, wenn es bei der Zählung möglich
gewesen wäre, streng zwischen den „kleinen“ Mitosen in den
Lymphozyten und den „grossen“ Mitosen in den Retikulumzellen
zu unterscheiden. Ich habe in meinen Zählungsprotokollen die
relativ sicheren Fälle beider Art angegeben, es finden sich aber
414 Arvid Jonson:
Tabelle 11.
Anzahl Hassalscher Körperchen pro mm® |
| Parenchym Anzahl Hassalscher
Absol.
Nr. |'Thymus-| _. Durchmesser .
gewicht NE Sa. Ba
| 2eiBen 1 oe o6 31.0150 60% zelliee |
( 1.9) 0,87 gr | 105,7| 19,8 | 148,7 31,4 7,9 | 3135| 70819 13 266.
3 i 2. 0,30 „ | 144,5| 168,6 445,7 84,3 24,1. | 867,2|| 25 576 | 29 842
= 2 3..104125 381,1 | 660,0 | 147,2 34,6 11222,9 | 25 534
2l@| 4.1009, | 598,7 | 831,5 | 166,3 26,7 |1623,2 ı 215535
3 I | 5.0088 7286 | 8015 | 72,8.| 43,7 |1646,6 | 7140
a ( 69) 0,9% „ | 185,0) 50,6 160,2 76,0 20,2 | 491,9|| 133 200 | 36 432
B= |
B |
E |
als! 7.2)039gr | 88,1 101,3 | 102,0 312°) 31 1325,27, 2rekk 31 403
z = 8. | 0,40 „ | 9382| 134,3 98,4 36,0 3,6 | 37051 31424 | 42976
(al 9 0,05 „, | 798,8 | 459,5 | 472 1305,5 11 982
=
- |
< (11.2) 2,55 gr | 86,6| 130,0 72135 294 | 5,4 | 464,9] 169736 | 254 800
& >| 12. [2,45 „ | 116,4 | 340,1 331,2 291 | 1,8 | 8186|] 214176 625 784
E E‘ 13. | 2,42 „ | 130,6| 331,4 | 289,3 16,3 1,9 | 769,5 | 207 654 | 526 926
s @lıa |1,52 „|| 150,7| 333,2 430,1 278 | 16 , 943,4 || 140151 | 309876
E (415. 1eL02E, 75,4| 212,6 | 363,5 308 | 13 |68,6|| 43732 | 123308
rs | |
!) Erstes Kontrolltier, getötet zu Beginn des Versuchs.
?) Zweites Kontrolltier, getötet zu Ende des Versuchs.
Zwischenformen, wo eine Entscheidung nicht zu trefien ist, und
aus diesem Grunde nehme ich von einer derartigen Teilung
Abstand. Nur soviel glaube ich sagen zu können, dass in den
späteren Hungerstadien die angetroffenen Mitosen hauptsächlich
Retikulumzellen angehört haben, ein Umstand, der teilweise aus |
der starken Dezimierung der Lymphozyten in diesen Stadien zu
erklären sein dürfte.
Studien über die Thymusinvolution. 415
T— ee Tea ss EEE EEETEEEEEEEEEEEEEEEREEERREEEEEEEEEETEETEETEEEEEEE EEE
Körperchen in der ganzen Thymus
7 nd - Anzahl Mitoser Anzahl Mi
Durchmesser pro nm3 nza itosen
m y an Eatenl |üeys2 | im ganzen) in der |;jm ganzen
15—24 u 125—34 „|35—60 u h Paren- ganzen
sn chym Rinde Mark
=
99629 | 21038 | 5293 | 210045 | 15590 10 445 410, 9408 000) 1 037 410
78889 | 14921 | 4266 | 153494 11411 2019695 1555455 464 240
44220 | 9862 | 2318 81 934 || 4 860 325 620
29934 | 5987 961 | 58485 | 4105 147 780
185 | 718| 488 | 16186 | 315 3.087
115344 | 54 720 | 14 544 354 240
31 620 9 672 961 | 100 967 || 16 453 5 100 296 4699000) 401 296
31488 | 11520 | 1152 | 119560 11 726 3 752 400) 2 627 100| 1 125 300
6 892 708 19 582 128 10 920
418460 |, 57624 ‚10584 | 911 204 || 14 563 28 542 510,25 604 450| 2 938 060
609408 | 53544 | 3312 (1506 224 || 14 270 26 257 350/23 812 470| 2 444 880
459987 | 25917 | 3021 [1223505 || 14 434 22 950 130119 889 730| 3 060 400
399 993 \ 25854 | 1488 | 877362 11421 10 621 350 84614 230| 2 157 120
210830 | 17864 754 396488 | 11504 6 672 600| 5 248 000) 1 424 600
|
Es ist nicht ohne Interesse, den Resultaten der Berech-
nungen betreffs der Mitosen die entsprechenden Resultate betrefts
der Hassalschen Körperchen (Tab. II, Textfig. 4) zur Seite zu
stellen. Auch die totale Menge dieser letzteren nimmt in Serie I
ab, etwas rascher während der ersten Woche als später.
Die
Reduktion der Hassalschen Körperchen geschieht indessen nicht
ebenso schnell wie die Reduktion des Parenchyms in toto.
Die
Folge ist eine relative Vermehrung derselben, wie sie aus
416 Arvid Jonson:
Tab. II hervorgeht. Erst in der vierten Hungerwoche, wo die
Abnahme des Parenchyms beträchtlich verlangsamt ist, scheinen
die beiden Reduktionsprozesse mit nahezu gleicher Geschwindig-
keit vorsichzugehen.
In Serie II zeigt die erste Woche eine Steigerung der totalen
Menge Hassalscher Körperchen, die bei der langsamen Zu-
nahme des Parenchyms während derselben Zeit genügend ist, um
auch die relative Menge zu erhöhen. Hier lägen demnach Fälle
vor, wo unter dem Einfluss des schwachen Hungers die Menge der
Mitosen vermindert worden ist,
während zugleich die Hassal-
schen Körperchen an Zahl zu-
genommen haben. Es ist nicht
meine Absicht, einen bestimmten
Schluss aus diesem einzigen Fall
zu ziehen, er ist aber doch nicht
ohne Interesse, insofern er auf
die Möglichkeit einer gewissen
gegenseitigen Selbständigkeit
dieser beiden Seiten der Funktion
der Thymusdrüse, Vermehrung
und Bildung Hassalscher Kör-
perchen hinweist.
Es erhebt sich nun die
Frage, in welcher Weise die
Verminderung der Anzahl der
Hassalschen Körperchen zu-
standekommt. Eine Andeutung
davon, daß die einzelligen Formen
durch die Degeneration der Zellen
verschwänden, habe ich nicht
beobachten können. Ich bin daher geneigt anzunehmen, dass ıhr
relativ schnelles Verschwinden ganz einfach auf einem atrophischen
Prozess beruht, wodurch sie den Charakter gewöhnlicher Retikulum-
zellen wiedererhalten. Eine entsprechende Verminderung hat
Hammar (1905: 1, 8. 72) auch bei den bis zu einem gewissen
Grade diesen Formen entsprechenden myoiden Zellen in der
Froschthymus bei ihrer akzidentellen Involution konstatieren
können. Die Möglichkeit, dass einige durch Entwicklung zu
Fig. 4 Serie I.
Chronische Unterernährung.
Absol.Menge HassalscherKörperchen
bei den Versuchstieren — —— ,
beim zweiten Kontrolltier — — — —
Studien über die Thymusinvolution. 417
grösseren (d. h. mehrzelligen) Formen verschwinden, lässt sich
nicht völlig ausschliessen, scheint mir aber nicht sehr gross zu
sein. Von den mehrzelligen Körperchen scheinen die kleinen
’ormen wohl auch teilweise durch Verkleinerung der Zellen und
dadurch bedingte Dissoziation eine Auflockerung zu erfahren.
Die grösseren Formen degenerieren gewöhnlich in ihren zentralen
Teilen: die Zellen zerfallen dort und lösen sich auf, während die
peripheren Zellen nicht selten sich konzentrisch abplatten und
um die entstandene Höhlung herum eine Art epithelialer Be-
kleidung bilden. In solehen zu kleinen Cysten umgewandelten
Hassalschen Körperchen scheinen Lymphozyten mit einer ge-
wissen Vorliebe sich anzuhäufen.
Ich habe, wie bereits angegeben, bei meiner Berechnung
die Hassalschen Körperchen in fünf verschiedene Gruppen
geteilt: einzellige und mehrzellige mit 5—14 u, 15—24 «,
25—34 u und 35—60 « Durchmesser. Es zeigt sich nun, dass
diese Gruppen sich in der Regel in ähnlicher Weise verhalten
wie die Hassalschen Körperchen, als eine Gruppe betrachtet.
Im Laufe des Versuchs nehmen demnach in Serie I (Textfig. 4)
sämtliche Gruppen an totaler Menge innerhalb der Thymus ab.
Am schnellsten geht die Abnahme betrefis der einzelligen vor
sich, die bereits nach zweiwöchiger Versuchszeit vollständig ver-
schwunden sind. Für alle Gruppen ist die Abnahme durchgehends
vorhanden, ausser bei der Gruppe 5—14 u, wo während der
ersten Woche eine Zunahme hervortritt. Dies kann auf den
ersten Blick hin eigentümlich erscheinen und lässt an die Möglich-
keit denken, dass individuelle Verschiedenheiten hier wirksam
gewesen sind; diese Vermutung wird jedoch nicht durch einen
Vergleich mit dem zweiten Kontrolltier in derselben Serie be-
stätigt, wo gleichfalls die totale Anzahl Hassalscher Körperchen
von dieser Grössengruppe augenfällig klein im Verhältnis zu den
einzelligen und den nächst höheren Grössengruppen ist; auch in
Serie II sind die Verhältnisse analog betretfs dieser Gruppe. Ich
bin durch meine Messungen zu folgender Auffassung in dieser
Sache gekommen. Bei den Thymi normaler, d. h. wohlgenährter
und gesunder Kaninchen sind mehrzellige Hassalsche Körperchen
von so kleinem Durchmesser wie 5—14 «u äusserst selten: die
kleinsten Formen sind gewöhnlich grösser als 15 « und werden
dann zu der 15—24 u-Gruppe gerechnet. Dies dürfte damit
415 Aryıdeskon som:
zusammenhängen, dass bereits die einzelligen Hassalschen
Körperchen, auf deren Grundlage die mehrzelligen Formen in
vielen Fällen sich entwickeln, nicht selten einen Durchmesser
von 15 4 erreichen. Aus diesen Gründen weist die 5—14 u-
Gruppe bei den Kontrolltieren nur eine geringe Anzahl Hassal-
scher Körperchen auf. Bei den Versuchstieren ist dagegen, sogar
in frühen Stadien, diese Gruppe zahlreich repräsentiert, und als
Ursache für diese Zunahme der Anzahl lassen sich zunächst die
regressiven Veränderungen, die Schrumpfung und Verkleinerung
grösserer Formen, denken, wie sie unter dem Einfluss der Unter-
ernährung zustandekommen.
Werden Berechnungen pro mm? für die einzelnen Gruppen
je für sich ausgeführt, so ergibt sich eine mehr oder weniger
ausgesprochene Zunahme der relativen Anzahl Hassalscher
Körperchen. Die Zunahme ist am grössten innerhalb der Gruppe
5—14 u (Serie I), wo der Berechnung gemäss die Körperchen
nach vierwöchigem Hunger 36 mal dichter liegen, als bei dem
Kontrolltier; demnächst kommt die Gruppe 15—24 « mit un-
gefähr siebenmal grösserer relativer Anzahl. Zu einem Teil beruht
wohl diese hohe Zahl auf der niedrigen Anzahl Hassalscher
Körperchen innerhalb der 5— 14 «-Gruppe bei dem ersten Kontroll-
tier; aber auch wenn man die nicht unbedeutend höhere Anzahl
beim zweiten Kontrolltier der Berechnung zugrunde legt, erhält
man eine bedeutend höhere Zahl als in allen anderen Gruppen.
Nähme man an, dass die Körperchen ihre Grösse nicht änderten,
und dass keine neuen Körperchen den verschiedenen Gruppen
während der Involutionsperiode zugeführt würden, so würde jener
Umstand natürlich auf eine grössere Resistenz der Hassalschen
Körperchen in dieser Gruppe als in den übrigen hindeuten. Nun
deutet er aber wohl eher eine Zufuhr von Körperchen zu der
fraglichen Gruppe an; wie oben erwähnt, geschieht diese Zufuhr
wahrscheinlich auf dem Wege der Reduktion.
In Serie II zeigt während der ersten Woche mit ihrem
äusserst gelinden Hunger die Zahl für das ganze Organ keine
Verminderung innerhalb irgend einer der Gruppen der Hassal-
schen Körperchen (mit Ausnahme allerdings der Gruppe 15—24 u,
wo eine ganz minimale Verminderung stattgefunden hat) und
Vermehrung in vier derselben, am grössten innerhalb der Gruppe
5—14 u; während der zweiten Woche mit ihrem kräftigeren
Studien über die Thymusinvolution. 419
Hunger nehmen sämtliche Gruppen ab, und die einzelligen ver-
schwinden vollständig. Die relativen Werte zeigen eine dem-
entsprechende Zunahme pro mm?°. Von Interesse ist es, dass
auch hier die kleinen mehrzelligen Körperchen (Gruppe 5— 14 «)
eine bedeutend grössere relative Zunahme zeigen als alle übrigen,
nämlich eine achtfache (s. Tab. II).
Zunächst erfahren Retikulumzellen und Lymphozyten de-
generative Veränderungen nur in geringem Umfange; in diesen
frühzeitigen Stadien besteht die Involution hauptsächlich in
Lymphozytenexport aus dem Organ. In späteren Hungerstadien
aber beginnen die Bilder degenerierender Retikulumzellen, charak-
terisiert durch das Auftreten von durch Osmium graufärbbaren
Körnchen im Protoplasma der angeschwellten Zelle, mehr und
mehr zuzunehmen, und etwas später tritt auch ein Zerfall von
Lymphozyten in nicht geringer Ausdehnung ein: intra- oder extra-
zellulare Kernfragmente treten auf, bestehend aus Körnchen oder
Klumpen, die durch basische Färbmittel stark gefärbt werden —
„Flemmings tingible Körperchen“.
Was das interstitielle Gewebe betrifft, so wird auch dieses
bis zu einem gewissen Grade durch den Hunger beeinflusst.
Zunächst verliert es sein Fett, welches sehr bald atrophiert.
Vermehrte „paradoxale“ Fettgewebsumwandlung, wie sie Hammar
(1906, S. 164) bei der Involution der Menschenthymus während
der Krankheit beschreibt, habe ich bei meinen Hungerversuchen
nicht beobachtet. Infolge der grossen Volumverminderung der
Drüsenlobuli und der Atrophie des interstitiellen Fettgewebes
tritt zunächst hauptsächlich eine Auflockerung des interlobulären
(sewebes und seröse Durchtränkung desselben ein. Erst später
scheint eine Volumabnahme desselben durch Retraktion hinzu-
zukommen. Hierdurch erklärt sich der Umstand, weshalb in
der ersten Versuchswoche in Serie II keine Abnahme des inter-
stitiellen Gewebes hervortritt. Eine wirkliche, rein fibrilläre
Zunahme des Bindegewebes anzunehmen, haben meine Bilder
keinen Anlass gegeben, und die akzidentelle Hungerinvolution
als einen sklerotischen Prozess zu betrachten, wie mehrere
Forscher (d’Arrigo u.a.) haben glaubhaft machen wollen, dürfte
nicht richtig sein. |
Indessen geschieht die Volumverminderung des interstitiellen
Gewebes ungeheuer viel langsamer als die des Parenchyms.
420 Arvid Jonson:
Hierdurch werden die grossen Änderungen in dem Verhältnis
zwischen den einzelnen Thymuskomponenten während des Hungers
bedingt. So zeigt Serie I eine relative Vermehrung des inter-
stitiellen Gewebes von 17,2°/o bei dem Kontrolltier auf 63,3 /o
bei dem Versuchstier der vierten Woche, während das Parenchym
in demselben Fall von 82,8°/o auf 36,7°/o abgenommen hat.
In Serie II sind die Unterschiede noch grösser: eine Zunahme
von 15,4°/o auf 68,0°/o beim Bindegewebe, eine Abnahme von
84,0°/o auf 32,0°/o beim Parenchym, und zwar innerhalb zweier
Wochen (s. Tab. ]).
B. Akuter Hungerzustand.
Serie III. Kein Futter, nur Wasser. Fünf Tiere von demselben
Wurf. Alter zu Beginn des Versuchs vier Monate.
Nr. 11 (8). Kontrolltier. Der Versuch dauerte nur vier Tage,
und zu Ende desselben wurde dieses Tier getötet. Reichliche und allseitige
Nahrung die ganze Zeit über. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs
1375 gr, zu Ende desselben 1445 gr; Zunahme 70 gr, Milzgewicht 0,52 gr,
Fett 26,4 gr.
Absol. Thymusgewicht 2,55 gr, reduziertes Thymusgewicht 2,11 gr,
Rindenwert 1,67 gr, Markwert 0,44 gr (die entsprechenden Durchschnitts-
werte sind nach Söderlund-Backman bezw. 2,49, 2,30, 1,875 und 0,425).
Das mikroskopische Bild ist völlig normal (Taf. XVII, Fig. 6). Ganz
wenige Lymphozyten im interstitiellen Gewebe; nur eine geringe Anzahl in
Venen und Lymphwegen angetroffen. Zellteilung lebhaft in Lymphozyten
und Retikulumzellen. Anzahl der Mitosen berechnet zu 28 542 510 im ganzen
Organ, davon 25604450 in der Rinde und 2938060 im Mark. Pro mm?
sind die entsprechenden Zahlen 14563 (im Parenchym), 16519 (in der Rinde)
und 7166 (im Mark).
Hassalsche Körperchen zu 911204 im ganzen Organ, 464,9 pro mm?
Parenchym berechnet. Die Gruppe 15—24 .„ ist am zahlreichsten vertreten,
demnächst die Gruppe 5—14 «u (s. Tab. I).
Das interstitielle Gewebe besteht hauptsächlich aus Fettgewebe.
Nr. 12 (9). Erstes Versuchstier. Ein Tag lang vollständiger
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1200 gr, zu Ende desselben
1110 gr, Abnahme 90 gr, Milzgewicht 0,65 gr, Fett 18,6 gr.
Absol. Thymusgewicht 2,45 gr, reduziertes Thymusgewicht 1,98 gr,
iindenwert 1,59 gr, Markwert 0,39 gr.
Auf den ersten Blick hin unterscheidet sich diese Drüse nicht nennens-
wert von der des Kontrolltieres in mikroskopischer Hinsicht. Doch scheint
die Anzahl der Lymphozyten in kleinen Venen und Lymphgefässen sowie in
dem interstitiellen Gewebe etwas vermehrt zu sein. Besonders auffällig ist
ihr reichliches Vorkommen in den interlobulären Fettansammlungen. Mitosen
zu 26257350 im ganzen Organ berechnet, davon 23812470 in der Rinde, .
Studien über die Thymusinvolution. 421
2444880 im Mark; pro mm? sind die entsprechenden Zahlen 14270, 16 155,
6680. Hassalsche Körperchen zu 911204 im ganzen Organ und 818,6 pro
mm Parenchym berechnet. Am zahlreichsten vertreten sind die Gruppen
5—14 „ und 15—24 u, erstere etwas über letztere überwiegend (s. Tab. II).
Nr. 13 (@), Zweites Versuchstier. Zwei Tage lang vollständiger
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1385 gr, zu Ende desselben
1235 gr, Abnahme 150 gr, Milzgewicht 0,62 gr, Fett 16,30 gr.
Absol. Thymusgewicht 2,42 gr; reduziertes Thymusgewicht 1,71 gr,
Rindenwert 1,41 gr, Markwert 0,30 gr.
Das mikroskopische Bild zeigt augenfällig verkleinerte Lobuli. In
Zusammenhang damit ist das interstitielle Gewebe beträchtlich aufgelockert
und infolgedessen scheinbar vermehrt (s. Tab. I). Einige interlobuläre
Fettansammlungen sichtlich atrophisch. Verhalten der Lymphozyten ungefähr
wie beim vorigen Versuchstier, doch noch prägnanter. Mitosen 22950 130
im ganzen Organ, davon 19889730 in der Rinde, 3060400 im Mark; pro
mm sind die entsprechenden Zahlen 14805, 15183 und 10930. Hassalsche
Körperchen zu 1223505 im ganzen Organ und 769,5 pro mm? Parenchym
berechnet. Die Gruppe 5—1# u ist auch hier am zahlreichsten vertreten;
danach kommt die Gruppe 15—24 « (vgl. Tab. II).
Nr. 14 (9). Drittes Versuchstier. Drei Tage vollständiger
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1380 gr, zu Ende desselben
1200 gr, Abnahme 180 gr, Milzgewicht 0,53 gr, Fett 10,92 gr.
Absol. Thymusgewicht 1,52 gr; reduziertes Thymusgewicht 1,00 gr,
Rindenwert 0,75 gr, Markwert 0,25 gr.
Die ganze Drüse bedeutend abgeplattet und vermindert. Bei mikro-
skopischer Prüfung erweist sich die Rindenschicht in den Lobuli als beträcht-
lich verdünnt und Iymphozytenärmer als bei der normalen Thymus. Das
Volumen des Marks scheint unverändert zu sein, die Lymphozytenmenge ist
dort aber vermehrt. Lymphozyten werden reichlich in Venen und Lymph-
wegen sowie im interstitiellen Gewebe angetroffen. Mitosen im ganzen Organ
10621350, davon 8464230 in der Rinde, 2157120 im Mark; pro mm? be-
rechnet sind die entsprechenden Werte 11421, 12267 und 8985. Hassalsche
Körperchen 877 362 im ganzen Organ und 943,4 pro mm? Parenchym. Die
Gruppe 15—24 „ ist hier am zahlreichsten vertreten, danach die Gruppe
5—14 u. Das interstitielle Fett ist deutlich atrophisch.
Nr. 15 (&). ‘Viertes Versuchstier. Vier Tage vollständiger
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1385 gr, zu Ende desselben
1135 gr, Abnahme 250 gr, Milzgewicht 0,5 gr, Fett 6,9 gr.
Absol. Thymusgewicht 1,02 gr; reduziertes Thymusgewicht 0,62 gr,
Rindenwert 0,44 gr, Markwert 0,18 gr.
Die Involution der Thymus hat hier einen ziemlich hohen Grad erreicht
(Taf. XV, Fig. 7), wenn man die kurze Versuchszeit berücksichtigt. Lobuli
klein, mit verdünnter Rinde. Das Mark relativ Iymphozytenreich. Reichlich
Lymphozyten in Venen, Lymphgefässen und im interstitiellen Gewebe.
Retikulumzellen, in Degeneration begriffen, sind recht gewöhnlich; degene-
rierende Lymphozyten dagegen kommen weniger oft vor. Mitosen zu 6672 600
4922 Arvid Jonson:
im ganzen Organ berechnet, davon 5248000 in der Rinde, 1424600 im Mark;
pro mm? sind die entsprechenden Werte 11504, 12800 und 8380. Die
Lymphozytenmitosen im Mark sind eher vermehrt als vermindert, was in
der vermehrten Anzahl dieser Zellen im Mark seine Erklärung finden dürfte.
Hassalsche Körperchen 396488 im ganzen Organ und 683,6 pro mm? Paren-
chym. Die Gruppe 15—24 „ ist am zahlreichsten, danach kommt die Gruppe
5—14 u (s. Tab. II). Fettgewebe, wenn auch in recht beträchtlichem
Grade atrophiert, kommt noch reichlich im interstitiellen Gewebe vor.
Serie V. Ein Wurf von wier Stück gesunden, fünf Monate alten
Tieren. Leider war dieser Wurf nicht so gleichförmig wie der in Serie III
(vgl. die Körpergewichte zu Beginn der Versuche in beiden Fällen, Tab. I).
Dieser Wurf war aus dem Kaninchenhof des Physiologischen Instituts hier-
selbst erhalten worden, während der vorige (Serie III) aus einem Kaninchen-
hof auf dem Lande bezogen worden war. Das schwächste Tier des Wurfes
wurde als Kontrolltier zu Beginn des Versuchs getötet und die übrigen
nach zwei, bezw. fünf und neun Tagen Versuchszeit, die schwächeren zuerst,
das kräftigste zuletzt. Vollständiger Hunger die ganze Zeit über. Zu be-
merken ist jedoch, dass diese Tiere eine geringere Quantität Wasser täglich
erhielten als in Serie III, um dem schädlichen Einfluss vorzubeugen, den
allzu reichliches Wassertrinken bei einem hungernden Tier unzweifelhaft mit
sich bringt. Mitosen und Hassalsche Körperchen sind in dieser Serie nicht
berechnet worden.
Nr. 24 (). Kontrolltier. Wurde zu Beginn des Versuchs ge-
tötet. Körpergewicht 1450 gr, Milzgewicht 0,50 gr, Fett 25 gr.
Absol. Thymusgewicht 1,65 gr; reduziertes Thymusgewicht 1,31 gr,
Rindenwert 1,13 gr, Markwert 0,15 gr (Durchschnittswerte nach Söderlund-
Backman bezw. 2,34, 2,08, 1,712, 0,371).
Das ziemlich niedrige Gewicht der Thymus ist bemerkenswert, dürfte
aber darin seine Erklärung finden, dass das Tier das kleinste des Wurfes
und nahezu 300 gr leichter war als das kräftigste Tier desselben. Im übrigen
normale Verhältnisse. was das mikroskopische Bild betrifft.
Nr. 25 (2). Erstes Versuchstier. Zwei Tage lang vollständiger
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1550 gr, zu Ende desselben
1360 gr, Abnahme 190 gr, Milzgewicht 0,42 gr, Fett 24,5 gr.
Absol. Thymusgewicht 1,80 gr; reduziertes Thymusgewicht 1,27 gr,
Rindenwert 1,06 gr, Markwert 0,21 gr.
Ungefähr dieselben Verhältnisse in mikroskopischer Hinsicht wie die
unter Nr. 13 (vorige Serie) beschriebenen. Die Lobuli jedoch relativ gross
und voluminös.
Nr. 26 (2). Zweites Versuchstier. Fünf Tage lang vollständiger
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1665 gr, zu Ende desselben
1390 gr, Abnahme 275 gr, Milzgewicht 0,42 gr, Fett 27,2 gr.
Absol. Thymusgewicht 1,10 gr; reduziertes Thymusgewicht 0,48 gr,
Rindenwert 0,26 gr, Markwert 0,22 gr.
Lobuli stark vermindert. Oft ist es schwer, die Mark- und die Rinden-
regionen scharf voneinander zu unterscheiden. Die Rinde bedeutend verdünnt,
Studien über die Thymusinvolution. 423
einen schmalen Rand an den Lobuli bildend ; sie ist sehr Iymphozytenarm,
besonders ganz peripher, wo die epitheliale Randschicht schön zutage tritt.
Das Mark enthält zahlreiche Lymphozyten, die ausserdem in grosser Anzahl
interlobulär, in Venen und Lymphgefässen, angetroffen werden. Zahlreiche
Degenerationsbilder von Hassalschen Körperchen und Retikulumzellen.
In dieser Thymus findet sich an einer Stelle eine Gruppe Oysten, zwei
grössere und einige kleinere, die das Parenchym in einigen Lobuli durch-
setzen. Derartige Bildungen scheinen sonst in der Kaninchenthymus ziemlich
selten zu sein, sind aber relativ gewöhnlich in der Thymus gewisser anderer
Säugetiere, wie Hund, Katze u.a. (Hammar).
Nr. 27 (3). Drittes Versuchstier. Neun Tage lang vollständiger
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1740 gr, zu Ende desselben
1300 gr, Abnahme 440 gr, Milzgewicht 0,40 gr, Fett 4 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,40 gr; reduziertes Thymusgewicht 0,13 gr.
Das mikroskopische Bild zeigt eine sehr stark involvierte Drüse. Die
Lobuli sind sehr klein, und zwischen ihnen verlaufen breite Züge aufge-
lockerten Bindegewebes. Ein Unterschied zwischen Mark und Rinde lässt
sich nieht entdecken. Die Lymphozytenverteilung im Parenchym bedingt
gleichwohl einen Unterschied zwischen Zentrum und Peripherie, ganz entgegen-
gesetzt dem normalen Verhältnis; die Lymphozyten sind nämlich hier am
zahlreichsten in den zentralen Teilen der Lobuli um die dort gelegenen grossen
Gefässe herum, peripher findet sich nur eine geringe Anzahl solcher Zellen,
und das Gewebe zeigt dort ein deutlich epitheliales Aussehen.
Die Lobuli sind reich vaskularisiert mit dichtliegenden Gefässen und
* Kapillaren.
Lymphozyten kommen zahlreich im interstitiellen Gewebe und in den
Blutgefässen vor, vor allem aber erweisen sich die Lymphgefässe als voll-
ständig von diesen Zellen erfüllt. Augenfällige degenerative Veränderungen
in der Form starker Anschwellung, grobkörnigen Protoplasmas und exzentrisch
liegenden Kerns sind in einer grossen Anzahl Retikulumzellen zu beobachten ;
auch in den Lymphozyten findet man oft ausgeprägten Kernzerfall. Die
Hassalschen Körperchen sind in einigen Lobuli ganz verschwunden, zahlreiche
Degenerationsbilder wieder in anderen Lobuli zeigen deutlich, in welcher
Richtung der Prozess fortschreitet. Interstitielle Fettansammlungen kommen
spärlich vor und sind stark atrophisch.
Auch diese Versuchsserien zeigen ein starkes Niedergehen
des absoluten Thymusgewichts: in Serie III ist es nach viertägigem
akutem Hungerzustand auf °5; des (Gewichts beim Kontrolltier
heruntergegangen, in Serie V nach neuntägigem Hunger auf 'ı
des Betrages beim Kontrolltier (Textfig. 5). Es fällt indessen bei
einem Vergleich mit den entsprechenden Stadien in Serie I und IV
(Nr. 2 mit Sinken auf nahezu "s nach sieben Tagen und Nr. 17
mit Sinken auf nahezu "ı>2 nach zehn Tagen) in die Augen, dass
424 Arvid Jonson:
die Reduktion hier im ganzen weit schwächer ausgefallen zu sein
scheint, als man wegen der Vollständigkeit des Hungerns in
diesen Versuchen hätte erwarten können. Es ist auch nicht un-
denkbar, dass eine gewisse Schwelle vorhanden ist, unterhalb
welcher Unterschiede in der Fütterung sich gar nicht oder nur
ganz wenig in ihrem Verhältnis zur Thymus geltend machen.
Meine Versuche sind nicht geeignet, hierüber bestimmten Bescheid
zu geben, und zwar aus mehreren Gründen Der grosse Alters-
unterschied zwischen den Tieren der Versuchsserien mit akutem
Hungerzustand einer-
seits und denen der
Serien mit chronischer
Unterernährungandrer-
seits (die ersteren vier
und fünf Monate, die
letzteren vier und sechs
Wochen) lässt einen
direkten Vergleich
zwischen ihnen nicht ge-
rechtfertigt erscheinen ;
meine Erfahrungscheint
nämlich an die Hand zu
geben, dass junge Tiere
viel empfindlicher für
Ernährungsstörungen
Fig. 5. Serie V. Akuter Hungerzustand. sind als ältere (ich habe
Absol. Gewicht der Thymusdrüse — —— auch absichtlich mehr
r „ desfEnrenchyms ZT Ausgewachsene Tiere zu
- 5 der Rinde —- — -— - — -—. Sm: .
den Serien mit akutem
r m des-Marks 7 Se ra
5 E des interst. Gewebes — - -- - - Hungerzustand ge-
wählt, eben damit sieum
so besser einen vollständigen Hunger aushalten könnten). Ausser-
dem dürfte auch der Umstand in Betracht kommen, dass die
Variationen des Thymusgewichts innerhalb derselben Altersgruppe
bis zu einem gewissen Grade zunehmen, je älter die Tiere sind,')
und da zu Kontrolltieren die schwächeren Tiere des Wurfs ge-
wählt wurden, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese ein
') Söderlund-Backmans Werte scheinen eine gewisse Stütze für
eine solche Ansicht abzugeben.
Studien über die Thymusinvolution. 425
niedrigeres Thymusgewicht besassen, als die Versuchstiere vor
dem Hunger, welcher Umstand besonders in den Serien mit
akutem Hunger im Hinblick auf die Kürze der Versuchszeit einen
merkbaren Einfluss auf die Werte ausüben muss. Dies tritt auch
ganz augenfällig für Serie V ım ersten Teil der Kurve (Textfig. 5)
hervor. Aus diesen Gründen dürften die Serien nicht völlig
geeignet sein, eine richtige Vorstellung davon zu geben, wie
schnell eine Thymusreaktion gegenüber dem Hunger eintritt.
Mit um so grösserer Sicherheit ist dagegen anzunehmen, dass
die Veränderungen, die in den späteren Stadien hervortreten,
wirklich durch den experimentellen Eingriff bedingt worden sind.
Das Körpergewicht ist in Serie III nach vier Tagen Hunger
nur auf ungefähr */s und in Serie V nach neun Tagen auf ungefähr
®/ı des ursprünglichen Wertes herabgesunken. Die Folge hiervon
ist ein Sinken des relativen Thymusgewichts von bezw. 1,33 /o
und 1,72°/o auf bezw. 0,61°/o und 0,31°/o, d. h. nach vier Tagen
auf '/s und nach neun Tagen auf mehr als '/;.
Die Reduktion des Fetts, die bei der chronischen Unter-
ernährung mit der der Thymusdrüse nahezu übereinstimmte,
scheint beim akuten Hungerzustand etwas schneller als die der
Thymusdrüse zu geschehen (Textfig. 6 und 7). Nach vier Tagen
ist das Fett auf ungefähr '/s und nach neun Tagen auf ungefähr
!/; des Gewichts beim Kontrolltier reduziert. Das Verhältnis
dürfte wohl als Anzeichen dafür gedeutet werden können, dass
das Fettgewebe in etwas engerer Abhängigkeit von der Grösse
der Nahrungszufuhr steht als die Thymus; ich komme auf diesen
Punkt weiter unten zurück. Die beiden Kurven, die des Fetts
und der Thymus, verlaufen auch in diesen Versuchen weniger
nahe beieinander als bei dem chronischen, unvollständigen Hunger.
Möglicherweise hat auch hierbei die Ungleichmässigkeit in dem
vorhergehenden Ernährungszustand der Tiere eine Rolle gespielt,
Ungleichmässigkeiten, die während der ersten Versuchstage noch
nicht sich haben ausgleichen können.
Auch bei diesen Serien mit akutem Hungerzustand sehen
wir aus Tab. I und Fig. 5, dass das eigentliche Parenchym es
ist, das am meisten von dem Gewichtsverlust der Drüse betroffen
wird. Nach vier Tagen ist der Parenchymwert in Serie III auf
nicht ganz ?/r herabgegangen, und nach neun Tagen beträgt er
Archiv f mikrosk. Anat. Bd. 73. 28
426 Arvid Jonson:
in Serie V nur !/ıo des Wertes beim Kontrolltier. Während der-
selben Zeiten ist das Parenchym, das bei der Kontrollthymus
ungefähr 80 °/o des Organs betragen hat, auf 60,7 °%o bezw. 32,5 %o
herabgegangen. Auch in diesen Fällen betrifft die hauptsächliche
Verminderung die Rinde; in beiden Serien beträgt sie nach vier
bis fünf Tagen nur ungefähr 'ı des Wertes beim Kontrolltier.
Der Verlauf der Markkurve ist in beiden Serien mehr horizontal:
er zeigt in Serie III (die Kurve hier nicht wiedergegeben) eine
Abnahme auf ungefähr die Hälfte, in Serie V sogar eine leichte
Zunahme (Fig. 5).
Was den Verlauf des Involutionsprozesses betrifft, so wie er
sich im mikroskopischen Bilde ausnimmt, so zeigt es sich, dass
60%.
40%
Ona
20%
ll 2 3 4T zul 4 6 8 Tag
Fig. 6. Serie III Fig. 7. Serie V.
Akuter Hungerzustand. Akuter Hungerzustand.
Absol. Thymusgewicht in °/o des Gewichts beim Kontrolltier
Körpergewicht bei Mors in °/o des Gewichts zu Beginn des Versuchs
Gewicht des Fetts in °/o des Gewichts beim Kontrolltier
schon nach 24 Stunden vollständigen Hungers die Lymphozyten-
auswanderung zugenommen hat. Zu dieser Zeit ist auch schon
(Textfig. S und Tab. II) eine deutliche Abnahme der absoluten
Anzahl der Rindenmitosen wahrzunehmen, die dann während der
folgenden Tage ein rasch fortschreitendes Sinken zeigt, während
die totale Menge im Mark, den mikroskopischen Bildern nach
zu urteilen, infolge vermehrter Lymphozytenauswanderung ins
Mark hinein sich mehr konstant zeigt.
Studien über die Thymusinvolution. 427
Betreffs der Hassalschen Körperchen zeigt es sich, dass
das Kontrolltier Nr. 11 in Serie III den Versuchstieren bedeutend
nachgestanden hat. Kurven!) sowohl für alle Körperchen als
für die Anzahl der einzelnen Gruppen im ganzen Organ be-
einnen daher mit einem Anstieg während des ersten Tages (eine
Ausnahme machen nur die Gruppen 35--60 «u und 25—34 u).
Sodann tritt eine kontinuierliche und starke Abnahme hervor.
augenfällig besonders für die einzelligen sowie die kleineren
(5—14 u und 15—24 u) mehr-
zelligen. Trotz der kurzen Ver-
suchszeit (vier Tage) ist die
Gesamtzahl auf 43,5 °/o von der
beimKontrolltierherabgegangen.
Am stärksten ist die Abnahme
in der Gruppe 35—60 u, wo
der Wert beim letzten Ver-
suchstier nicht 0,7 °/o des Wertes
beim Kontrolltier beträgt. Ohne
übertrieben grosses Gewicht auf
die einzelnen Zahlenwerte zu
legen, wo zweifellos Zufälle einen
recht grossen Spielraum gehabt
haben können, möchte ich doch
die Labilität der Hassalschen
Körperchen auch während nur
weniger Tage Hungers betonen,
Fig. 8. Serie III.
von der die Resultate Zeugnis a. io oa
ablegen. Gesamtzahl Mitosen im Parenchym
Die degenerativen Prozesse in ————. in der Rinde — — —
Retikulumzellen und Lympho- im Mark
zyten treten auch bei dem akuten Hungerzustand ganz spät auf.
Dieser Prozess verläuft in seinen Hauptzügen, wie er bei den
Serien mit chronischer Unterernährung geschildert worden ist.
Da keines von meinen Tieren infolge des Hungers gestorben ist,
kann ich nicht bestimmt sagen, ob der Prozess bei den beiden
Versuchsanordnungen gleichweit gelangen kann. Da indessen
schon neun Tage vollständigen Hungers den Allgemeinzustand
!) Mit Rücksicht auf den Raum hier nicht wiedergegeben.
28*
498 Arvid Jonson:
des Tieres stark herabsetzen und verschlechtern, bin ich geneigt
anzunehmen, dass der Tod des Tieres beim akuten Hungerzustand
eintritt, während der Involutionsprozess in der Thymus noch keine
extremen Dimensionen angenommen hat.
Die durch Hunger hervorgerufene akzidentelle Thymus-
involution zeichnet sich also vor allem dadurch aus, dass die
Lymphozyten massenweise aus dem Organ austreten, wie es
eheint, vorzugsweise durch die Lymphwege. Sie scheinen dabei
das Organ zu grossem Teil durch die im Innern der Lobuli, im
Mark liegenden, feineren Gefässe zu verlassen. Daher die Über-
schwemmung des Thymusmarks mit derartigen Zellen, wie sie in
einem gewissen, relativ frühen Stadium der Involution stattfindet.
In ihrer Weise dürfte zu der Abnahme der Lymphozyten
innerhalb des Parenchyms die Herabsetzung der Anzahl der
Mitosen beitragen, die bereits während des ersten Hungertages
zu beobachten ist, und die zweifellos zu grossem Teil auf ver-
minderter Teilung eben der Lymphozyten beruht; im weiteren
Verlaufe tritt diese Abnahme immer mehr hervor. Andererseits
ist es beachtenswert, dass noch nach mehreren Tagen vollständigen
Hungerns Teilungsprozesse andauernd vorsichgehen, wenn auch
mit geschwächter Intensität. Erblickt man in dieser Vermehrung
der Lymphozyten einen Ausdruck wenigstens für eine Seite der
Funktion des Organs, so kann man daraus schliessen, dass diese
Funktion auch während der Hungerperiode relativ lange fortfährt.
Es lässt sich fragen, ob sie unter ausschliesslichem Einfluss des
Hungers jemals ganz aufhört. Sicher ist, dass ich nie, auch nicht
in den letzten Hungerstadien, völlig Iymphozytenfreie Thymi an-
getroffen habe. Wohl kommen, obgleich recht selten, vereinzelte
Iymphozytenfreie oder fast Iymphozytenfreie Lobuli vor, dazwischen
kommen aber andere, Iymphozytenreichere vor, ein Beweis dafür,
dass verschiedene Teile des Organs in verschiedenem Grade von
dem Hunger beeinflusst werden können. Ob nun Mitosen auch
innerhalb dieser wenigen übrigbleibenden Lymphozyten vorkommen,
ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls sind sie äusserst selten.
In schwer coccidienkranken Tieren habe ich dagegen Thymi
angetroffen, wo nahezu alle Lymphozyten verschwunden waren und
das Organ ein fast ganz epitheliales Aussehen angenommen hatte,
Studien über die Thymusinvolution 42.)
Bilder, die mehrere frühere Untersucher bei hochgradiger akzi-
denteller Involution nach Krankheit beobachtet haben, und die
es Rudberg (1907) gelungen ist, durch Kombination von Hunger
und Röntgenbestrahlung hervorzurufen.
Von den epithelialen Elementen der Thymusdrüse scheinen
die Hassalschen Körperchen diejenigen zu sein, die am frühesten
einen Einfluss durch den Hunger erfahren. Es kommt dies in
einer fortschreitenden Abnahme der Anzahl dieser Bildungen zum
Ausdruck, eine Abnahme, die nach dem bereits Angeführten in
gleicher Weise vorsichzugehen scheint. Bei den grösseren
Formen scheint es sich nur um eine wirkliche Degeneration zu
handeln; die kleineren scheinen dagegen zu grossem Teil durch
eine Verminderung des Umfangs der darin enthaltenen Zellen
und eine hierdurch hervorgerufene Desaggregation der kleineren
mehrzelligen Formen zu verschwinden. Es ist nun von Interesse,
dass diese Veränderungen relativ frühzeitig bei Hungerversuchen
eintreten; am augenfälligsten ist dabei die Reaktion der ein-
zelligen Körperchen, indem sie bereits nach zwei Wochen chronischer
Unterernährung vollständig verschwunden sein können.
Darf man es nun wagen, in den Hassalschen Körperchen
einen morphologischen Ausdruck für eine Seite der Funktion des
Organs zu sehen, so darf man wohl in ihrer Abnahme auch einen
Beweis dafür erblicken, dass auch diese Seite vom Hunger be-
einflusst worden, dass eine gewisse Hemmung der Funktion ein-
getreten ist.
Es kann da auch Beachtung verdienen und fordert unzweifel-
haft zu weiterer Prüfung in dieser Hinsicht auf, dass einige Er-
scheinungen in meinen Versuchen, besonders in der ersten
Versuchswoche meiner Serie II, auf die Möglichkeit hindeuten,
dass diese Seite der Funktion etwas weniger empfindlich für den
Einfluss des Hungers wäre als die, welche in der mitotischen
Teilung der Lymphozyten zum Ausdruck kommt. Könnte der
Beweis dafür erbracht werden, dass die eine Seite der Funktion
ungestört weiter bestehen kann, während die andere augenfälligen
Abbruch gelitten hat, so würde dies unbestreitbar für eine gewisse
gegenseitige Unabhängigkeit dieser beiden Äusserungen der
Tätigkeit des Organs sprechen. In der gegenwärtigen Lage der
Frage ist die Sache indessen noch nicht zu näherer Diskussion reif.
430 Arvid Jonson:
Eine Frage, auf die ich gleichfalls keine bestimmte Antwort
geben kann, ist die nach einer Neubildung Hassalscher
Körperchen auch während der Hungerperiode. Die Möglichkeit,
auf Grund des Aussehens und Baues das Alter einer solchen
3ildung zu bestimmen,. ist gegenwärtig zu gering, um an die
Lösung einer solchen Aufgabe denken zu können. Nur darauf
möchte ich hinweisen, dass, da auch in extremen Hungerstadien
Mitosen niemals vollständig bei den Zellen des Retikulums zu
verschwinden scheinen, hier ein Moment vorhanden ist, das dem
Anschein nach einigermaßen dafür sprechen könnte, dass eine
derartige Neubildung Hassalscher Körperchen wirklich statt-
finden kann.
Ebensowenig wie das Vorkommen eines Konnexes zwischen
dem Verschwinden der Lymphozyten aus der Thymus durch ver-
mehrte Ausfuhr und herabgesetzte Neubildung sowie der Ver-
minderung der Anzahl der Hassalschen Körperchen gegen-
wärtig einer näheren Prüfung unterzogen werden kann, ebenso-
wenig ist es möglich, sich jetzt darüber auszusprechen, welche
sedeutung diese Verhältnisse für den Organismus in seiner
(Gesamtheit besitzen können. Was im besonderen die Mobilisierung
der Lymphozyten — den augenfälligsten Zug der hier behandelten
Form von akzidenteller Thymusinvolution — betrifft, so ist es
klar, dass man nicht mit Erfolg diese Frage zur Diskussion
aufnehmen kann, bevor man genaue Kenntnis darüber besitzt,
wie die entsprechenden Verhältnisse sich in dem echten Iymphoiden
(Gewebe und im Blute selbst gestalten. Meines Wissens sind
derartige Untersuchungen bereits geplant — zum Teil auch schon
im hiesigen Anatomischen Institut begonnen. Soviel lässt sich
jedoch schon bei dem gegenwärtigen Stande der Frage bestimmt
behaupten, dass trotz des Parallelismus, der im grossen und
ganzen die Reduktion der Thymusdrüse und des Fettgewebes
unter Hunger auszeichnet, diesen beiden Prozessen keineswegs
eine gleichartige Bedeutung für den Organismus beigemessen
werden kann. Die Behauptungen, die man in der Literatur von
einzelnen Forschern findet, dass die Thymus in Übereinstimmung
mit dem Fett als eine Art Reservenahrung für den Organismus
anzusehen sei, entbehrt alles Grundes; es handelt sich hier um
lebende Zellen, die während der Involution in grösserer Menge,
aber in derselben Weise wie unter normalen Verhältnissen das
Studien über die Thymusinvolution. 43]
Organ verlassen, nicht, wie im Fettgewebe, nur um die Produkte
der in den Zellen verlaufenden chemischen Prozesse.
Die Veränderungen im Tihymusparenchym, die vor allem
die späteren Phasen der Hungerinvolution charakterisieren,
scheinen mir von einer anderen Art zu sein als die bisher
behandelten. Die körnige Anschwellung und der Zerfall von
Retikulumzellen sowie der lokale Zerfall von Lymphozyten, ') die
ich hier im Auge habe, scheinen mir Veränderungen zu sein,
die einen unmittelbaren Ausdruck für den Schaden abgeben, den
die Zellen des Drüsenparenchyms unter dem Einfluss des Hungers
an ihrer Vitalität erlitten haben. Sie dürften nicht ohne Analogien
in anderen Organen sein und nichts direkt mit der Funktions-
störung des Organs während der Hungerperiode zu schaffen haben.
Naegeli (1907) ist der Ansicht. dass die Markzellen bei
Hunger verschwinden und will hierin einen Beweis dafür erblicken,
dass diese Zellen überwiegend aus echten grossen Lymphozyten
und nicht aus epithelialen Zellen bestehen. Aus dem oben Ge-
sagten geht hervor, dass diese Zellen lange bei Hunger persi-
stieren und dass sie im Gegensatz zu den Lymphozyten durch
Degeneration in loco reduziert werden, Verhältnisse, welche
zeigen, dass die fragliche Auffassung des genannten Forschers
ebensowenig begründet ist, wie seine Bezeichnung des Marks
als Proliferationszentrum in der Verteilung der Mitosen innerhalb
des Organs eine Stütze findet.
II. Zur Kenntnis der Regeneration der Thymus-
drüse nach Hunger.
Um mich über das Vorkommen einer Regeneration der
Thymus nach der Hungerinvolution sowie über den Verlauf
dieser Regeneration zu orientieren, wurde eine Versuchsserie
angeordnet. Diese Serie bezweckte, durch verminderte Nahrungs-
zufuhr bei den Versuchstieren eine so starke Involution der
'!) „Tingible Körperchen“, der Ausdruck für einen Lymphozyten-
zerfall, werden von Hammar (1905: 8.61) als regelmässiger Befund
erwähnt: speziell sollen sie zahlreich und vom Fötalleben an in der Hühner-
thymus vorkommen, wo man diese um die Kerne des Rindenretikulums
herum gruppiert findet. In der Kaninchenthymus sind indessen solche
Bilder sehr spärlich, und erst in späteren Stadien der Hungerinvolution
treten sie zahlreicher auf.
432 Arvid Jonson:
Thymus wie möglich hervorzurufen, um dann durch eine reichliche
und allseitige Fütterung zu versuchen, eine Regeneration zu-
stande zu bringen.
Leider erwies sich der angewandte Kaninchenwurf als mit
Coceidien behaftet; da aber diese Parasiten sowohl bei dem
Kontrolltier als bei den Versuchstieren vorhanden waren, und
da die Thymus sich als ziemlich normal in allen Hinsichten er-
wies, so dürfte doch die Serie ihren Wert besitzen, weshalb ich
sie hier auch anführe. Wegen der nicht völlig tadellosen Be-
schaffenheit der Versuchstiere habe ich es indessen nicht für
angebracht erachtet, Mitosen und Hassalsche Körperchen zu
zählen.
Serie IV. Chronische Unterernährung und danach reichliche und
allseitige Kost. Acht Tiere, zu Beginn des Versuchs sechs Wochen alt
(vgl. die Bilder auf Taf. XV).
Nr. 16 (4). Kontrolltier. Wurde gleich nach Ende der Hunger-
periode getötet. Reichliche und allseitige Kost während der ganzen Ver-
suchszeit. Körpergewicht zu Beginn der Versuchszeit 458 gr, bei der Tötung
990 gr, Zunahme 532 gr (mittlere Gewichtszunahme während des Versuchs
14,8 gr pro Tag). Milzgewicht 0,65 gr, Fett 17,6 gr.
Absol. Thymusgewicht 2,1 gr (Taf. XVI, Nr. 16); reduziertes Thymus-
gewicht 1,8 gr, Rindenwert 1,50 gr, Markwert 0,30 gr (Durchschnittswerte
nach Söderlund-Backman bezw. 1,69, 1,556, 1,261, 0,295).
Bei makro- und mikroskopischer Untersuchung erwies sich die Drüse
als von normaler Beschaffenheit, trotzdem die Leber gelinde von Coceidien
angegriffen war. An einigen Stellen enthielten jedoch die Lymphgefässe in
der Thymus Lymphozyten in bemerkenswert grosser Menge.
Nr.17 (&). Erstes Versuchstier. Starke Verminderung der
Nahrung während zehn Tagen, wonach das Tier getötet wurde. Körper-
gewicht zu Beginn des Versuchs 465 gr, zu Ende desselben 440 gr, Abnahme
während der ganzen Versuchszeit 25 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor Be-
einn des Versuchs 11,4 gr, mittlere Abnahme pro Tag während des Versuchs
2.5 er). Milzgewicht 0,17 gr, Fett 1,15 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,17 gr (Taf. XVI, Nr. 17); reduziertes Thymus-
gewicht 0,08 gr, Rindenwert 0,05 gr, Markwert 0,03 gr.
Der Unterschied zwischen Rinde und Mark ist noch ziemlich deutlich
in einigen Lobuli, in anderen dagegen fast verlöscht. Die Rindenlymphozyten
stark dezimiert. Lebhafte Lymphozytenauswanderung auf Lymph- und Blut-
wegen Gewöhnlicher Involutionstypus im übrigen. Das interstitielle Gewebe
aufgelockert; ohne Fett.
Nr.18 (9) Zweites Versuchstier. 15 Tage lang Unterernährung,
wonach das Tier getötet wurde. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs
369 gr, zu Ende desselben 303 gr, Abnahme während der Versuchszeit 66 gr
Studien über die Thymusinvolution. 435
(mittlere Zunahme pro Tag vor Beginn des Versuchs 4,4 gr, mittlere Abnahme
pro Tag während des Versuchs 4,4 gr). Milzgewicht 0,08 gr, Fett 0,65 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,07 gr (Taf. XVI, Nr. 18); reduziertes Thymus-
gewicht 0,02 gr.
Die Drüse stark involviert mit kleinen Lobuli, die von einem aufge-
lockerten, fettfreien interstitiellen Gewebe umgeben sind. Kein Unterschied
im Parenchym zwischen Mark und Rinde. Die Lymphozyten, hauptsächlich
zentral in den Lobuli angesammelt, haben der Zahl nach bedeutend abge-
nommen. Zahlreich kommen sie in den Lymphgefässen und im interstitiellen
Gewebe vor. Mitosen gering an Zahl. Degenerierte Retikulumzellen sind
sehr gewöhnlich. Hassalsche Körperchen gering an Zahl, in Degeneration
begriffen.
Nr.19 (8). Drittes Versuchstier. 23 Tage lang Unterernährung,
wonach das Tier unmittelbar getötet wurde. Körpergewicht zu Beginn des
Versuchs 403 gr, zu Ende desselben 432 gr, Zunahme während der ganzen
Versuchszeit 29 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor Beginn des Versuchs
12,3 gr, während des Versuchs selbst 1,5 gr). Milzgewicht 0,10 gr, Fett
1,02 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,05 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,012 gr.
Dieses Versuchstier nahm während des Versuchs an Gewicht zu. Doch
fällt diese Zunahme hauptsächlich in den Beginn der Versuchszeit; während
der letzten Hälfte der Versuchszeit fand eine beträchtliche Gewichtsabnahme
statt (49 gr in 13 Tagen). Die mikroskopische Untersuchung ergab ungefähr
die gleichen Verhältnisse wie bei Nr. 18.
Nr.20 (2). Viertes Versuchstier. 31 Tage lang Unterernährung,
wonach das Tier getötet wurde. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs
622 gr, zu Ende desselben 482 gr, Abnahme während der ganzen Versuchs-
zeit 140 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor Beginn des Versuchs 15,2 gr,
mittlere Abnahme pro Tag während des Versuchs 4,5 gr). Milzgewicht 0,07 gr,
Fett 0,70 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,02 gr (Taf. XVI, Nr. 20); reduziertes Thymus-
gewicht 0,004 gr.
Die Drüse in äusserstem Grade involviert. Die Lobuli stark vermindert;
im mikroskopischen Schnitt schmalen Strängen ähnlich, die in ein aufge-
lockertes, serös durchtränktes, fettfreies Bindegewebe eingebettet sind
(Taf. XVII, Fig. 8). Die Hassalschen Körperchen verschwunden. Nur eine
geringe Anzahl Lymphozyten in den Maschen des Retikulums, gewöhnlich
gruppenweise vorkommend. Einige Lobuli fast von rein epithelialem Aus-
sehen, äusserst lymphozytenarm. Ausgesprochene Degeneration in einer
grossen Anzahl Retikulumzellen und Lymphozyten.
Nr.21 ($2). Fünftes Versuchstier; erstes Regenerations-
tier. Zuerst 31 Tage lang Unterernährung, danach 2 Tage lang reichliche
und allseitige Kost. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 532 gr; zu
Ende der Hungerperiode 485 gr, Gewichtsabnahme insgesamt 47 gr (mittlere
Zunahme pro Tag vor Beginn des Versuchs 7,0 gr, mittlere Abnahme pro
Tag während der Hungerperiode 1,5 gr), Gewicht zu Ende der Regenerations-
434
Arvid Jonson:
Tabelle IM.
ea
“| Körpergewicht .
= Versuchszeit u
Nr. |2 | Alter zu |zu Endeiwhne CH) = © 7 Zunanme
2 | Beginn der a bei während der
(a) AN des |Hunger-, während | Mors Regenerations
| Hunger | nährung Versuchs, periode | dieser Zeit Per
I 16. | & |12Wochen Kontrolltier 458 gr | 955 gr I+ 497 gr 990 gr +35 gr’
3[17.|&) 2.010 Tage) — 465. |440. „25 „| 440, Dee
| ı8.|o|8 a — ...:1,8693..|1303 ,, 66, „303 Sue
| 19.18.19 23 (u = 4.11403:648) 432, Boa 3
&na0, ang ar ge ’629 0 aga,,j2 1aos Nase ee
a 2 Tage | 532 „|485 „ ar „|5ia „| Too
au Ve ER en 16 520 „!550 „|=+30 „1960 „1 20m
Zu 23. 9 |14 31 21, 558 „|655 „4102 „so „1 Soc
|
zeit 514 gr, Zunahme während dieser Zeit 29 gr (mittlere Zunahme pro Tag
während dieser Zeit 14,5 gr). Milzgewicht 0.45 gr, Fett 1,25 gr.
Absol. Thymusgewicht 0,07 gr (Taf. XVI, Nr. 21); reduziertes Thymus-
gewicht 0,03 gr.
Die Mehrzahl der Lobuli klein und stark involviert. Indessen unter-
scheiden sich einige Lobuli von den übrigen durch grösseres Volumen und
grösseren Umfang. Diese enthalten zentral ziemlich reichlich Lymphozyten
(Taf. XVII, Fig. 9). Die perivaskularen Lymphgefässe ganz mit Lymphozyten
angefüllt. Fig. 10, Taf. XVII, gibt eine ziemlich gute Vorstellung hiervon.
Das Bild ist eine Vergrösserung der Mittelpartie in Fig. 9, Taf. XVII. Ganz
oben im Bilde ist ein Teil eines fast Iymphozytenfreien Lobulus mit mehreren
degenerierten Retikulumzellen zu sehen. Darunter verläuft ein breiter Zug
fettfreien interstitiellen Gewebes. Zahlreiche Lymphozyten liegen in den
um die beiden grossen Arterien herum gelegenen Lymphräumen. Ausserdem
findet sich ein Lymphgefäss rechts im Bilde, Lymphozyten in grosser Menge
enthaltend. In dicken, hämatoxylingefärbten Schnitten kann man sehen, wie
Iymphozytengefüllte Lymphwege als dunkle Züge in die Lobuli einstrahlen.
Mitosen in Lymphozyten und Retikulumzellen sind nicht selten. Keine
Hassalschen Körperchen sichtbar. Im interstitiellen Gewebe hier und da
Fettloben in Bildung begriffen.
Nr. 22 ($). Sechstes Versuchstier; zweites Regenerations-
tier. Zuerst 31 Tage lang Unterernährung, danach 16 Tage lang reichliche
Fütterung. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 520 gr, zu Ende der
a
Studien über die Thymusinvolution. 435
, Fettgewicht Fr
gewich
e ze a Se Absolutes Gewicht von Rinde | Mark | Fe
bsolut Be absolut abs EEE 7 aa, DIL ea —
Bin. Sim 5 SBaTen interst. | in °o des absol. Thymus-
9 | chym Winde, an Gewebe) gewichts
a EN I Br ONE
0 gr 1,78 8,10 rl 0,21 1,8 gr1,55 gr0,25 gr0,30 gr| 85,7 | 73,8 | 11,9 | 143
5 „| 026 |oız „| 004 |o08 „005 ‚003 „ooog „| azı | 295 | ı76 | 52,9
0,65 „| 021 0,07 „| 0.023)0,02 | 0,05 „| 28,6 | | | 14
102 „| 0,24 0.05 „| 0,012)10,012 „ | 0,088 „| 24,0 | | 76,0
0,70 „| 0,14 0,02 „) 0,004 10,004 ‚, | 0,016 „20,0 800
125 „| 0,24 |0,07 „!0,0140,03 | 0,04 | 42,8 | | 572
130 „| 222 140 „|o,15 |ı12 „I1o6 „006 „Io28 „| 80,0 | 75,7 | 4,3 | 20,0
E10 „| 192 195 „| om !ı59 „I1ao „\o19 „lose „| sı5 | 18 | 97 | 185
| |
Hungerperiode 550 gr, Zunahme 30 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor dem
Versuch 12,2 gr, während der Hungerperiode nicht ganz 1,0 gr); Gewicht
zu Ende der Regenerationszeit 960 gr, Zunahme 410 gr (mittlere Zunahme
pro Tag während dieser Zeit 25,6 ger). Milzgewicht 0,72 gr, Fett 21,3 gr.
Absol. Thymusgewicht 1,4 gr (Taf. XVI, Nr. 22). Reduziertes Thymus-
gewicht 1,12 gr, Rindenwert 1,06 gr, Markwert 0,06 er.
Dieses Tier nahm während der Hungerperiode an Körpergewicht zu,
aber höchst unbedeutend, nur 30 gr (das Kontrolltier nahm gleichzeitig um
497 gr zu!). Die Thymus scheint während der Regenerationszeit bedeutend
an Gewicht und Grösse zugenommen zu haben. Das mikroskopische Präparat
zeigt ein höchst charakteristisches Bild: die Lobuli bestehen dem Anschein
nach fast nur aus rindenähnlichem Gewebe, nur in dem Zentrum einiger
ein kleines unbedeutendes Gebiet, das den Beginn der Bildung einer Mark-
region anzudeuten scheint (grössere, protoplasmareichere Retikulumzellen
und eine geringere Anzahl Lymphozyten in dem dichtmaschigen Retikulum).
In diesen kleinen, neugebildeten und in Entwicklung begriffenen Mark-
gebieten finden sich zahlreiche hypertrophische Zellen, welche Vorstadien zu
Hassalschen Körperchen zu sein scheinen; ausgebildete mehrzellige
Hassalsche Körperchen kommen nur sporadisch vor. Zellteilung lebhaft
sowohl in Lymphozyten als in Retikulumzellen. Lymphozyten kommen reichlich
in den Lymphgefässen vor. Interstitiell finden sich grosse Fettansammlungen.
Nr.23 (9). Siebentes Versuchstier; drittesRegenerations-
tier. Zuerst 31 Tage lang Unterernährung, danach 21 Tage lang reichliche
436 Arvid Jonson:
und allseitige Kost. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 553 gr, zu
Ende der Hungerperiode 655 gr, Zunahme 102 gr (mittlere Zunahme pro
Tag vor dem Versuch 12,6 gr, während der Hungerperiode 3,3 gr); Gewicht
zu Ende der Regenerationszeit 1180 gr, Zunahme während dieser Zeit
525 gr (mittlere Zunahme pro Tag 25,0 gr). Milzgewicht 0,85 gr,
Fett 14,4 gr.
Absol. Thymusgewicht 1,95 gr (Taf. XVI, Nr. 23). Reduziertes Thymus-
gewicht 1,59 gr, Rindenwert 1,40 gr, Markwert 0,19 gr.
Bei mikroskopischer Untersuchung erweisen sich die Thymuslobuli als
gross, voluminös und dichtliegend, nur durch schmale Züge interstitiellen
Gewebes voneinander geschieden. Eine deutliche Teilung des Parenchyms
in Rinde und Mark macht sich hier geltend, wenn auch die Grenzen oft
genug nicht sehr scharf markiert und die Markgebiete nicht so gross sind
wie bei der Kontrollthymus. Hypertrophische Zellen finden sich in grosser
Menge im Mark; die Anzahl der echten Hassalschen Körperchen ist nicht
sehr gross, doch hat eine beträchtliche Vermehrung im Vergleich mit der
Thymus des vorhergehenden Versuchstiers (Nr. 22) stattgefunden. Zellteilung
lebhaft. Die Lymphgefässe enthalten immer noch Lymphozyten in grosser
Anzahl. Das interstitielle Gewebe ist reich an Fett.
Ausdem Angeführten
geht hervor, dass eine
Regeneration nach der
Hungerinvolution der
Thymus recht leicht zu-
standekommt. Dabei
steigt das Thymusge-
wicht rasch an, wenn
auch nicht mit völlig
derselben Geschwindig-
keit wie das Gewicht des
Fettgewebes (Fig. 9).
Beide zeigen schon
nach zwei Tagen reich-
licher Ernährung eine
ıW P 3 4 5 6 7 8 Wochen :
Fig. 9. Serie IV. deutliche Zunahme.
Involution mit folgender Regeneration. Ein klares Bild von
Thymusgewicht in °/o des Gewichts dem Umfang des In-
beim Kontrolltier ;
Körpergewicht in °/o des Gewichts
zu Beginn des Versuchs —-— -— -; RS R ee
Fettgewicht in °o des Gewichts liefern Taf. XVI und
beim Kontrolltier BER Textfig. 10. Wir sehen
volutions- und des
Regenerationsprozesses
Studien über die Thymusinvolution. 437
dort, wie die Thymusdrüse mit ihren verschiedenen Gewebs-
elementen durch den Einfluss des Hungers rasch auf ein Minimum
herabgeht. Durch die darauffolgende Ernährung tritt eine schnell
verlaufende Regenera-
tion ein. Wie die ver-
schiedenen Gewebs-
komponenten sich bei
diesen beiden Prozessen,
der Involution und der
Regeneration, ver-
halten, geht aus Fig. 10
hervor. Am meisten
betroffen von den Ge-
wichtstluktuationen ist
das Parenchym und da
besonders die Rinde.
Bedeutend weniger vari-
ieren das Mark und das
interstitielle Gewebe).
Wie das Verhältnis
zwischen den einzelnen
(reweben innerhalb
einer und derselben
Drüse während desVer-
suchs wechselt, zeigt
Fig. 11. Bemerkenswert
ist die schnelle Zunahme
des Marks in den letzten
Regenerationsstadien,
wodurch die Prozent-
kurve der Rinde dort
5 Tag
Fig. 10. Serie IV.
Involution mit folgender Regeneration.
Absol. Gewicht der Thymus ———;;
h i des Parenchyms — — -
einen absteigenden Ver- { ‚nitder Rinde ua er
lauf erhält (absolut ge- » »„ des Marks . . . . . - ;
nommen, findet jedoch A s des interst. Gewebes
eine wesentliche Zunahme der Rinde statt; s. Fig. 10).
') Bei näherer Überlegung wäre wohl der Unterschied zwischen der
Thymus des Kontrolltiers und des ersten Versuchstiers nicht so gross an-
zusetzen, wie ihn diese Bilder zeigen, da ja das Kontrolltier bedeutend
(4 Wochen) älter war als das erste Versuchstier.
438 Arvid Jonson:
Was den eigentlichen Verlauf der Regeneration anbelangt,
so weisen meine Bilder eine auffallende Ähnlichkeit mit denen
auf, die Rudberg (1907) bei der Thymusregeneration nach
töntgenbestrahlung gefunden hat. Wohl ist es wahr, dass ich
hier nicht die Regeneration von einem lymphozytenfreien An-
fangsstadium habe ausgehen lassen können, und dass — vielleicht
eben deshalb — schon in meinem ersten Regenerationsstadium
Mitosen innerhalb der Lymphozyten des Parenchyms vorkommen.
Verschiedenes in meinen Bildern spricht indessen dafür, dass
auch nach Hunger gleichwie nach Röntgenbestrahlung die neu-
10T 20 27 4 E7 oT
Fig. IL Serie IV.
Involution mit folgender Regeneration.
Parenchym in °o des absol. Thymusgewichts
Rinde FI e . —.—:
Mark RE. 0 5 > Ua 8 Ste :
Interst. Gewebe „
auftretenden Lymphozyten in sehr grosser Ausdehnung dem
Organ auf den Wegen zugeführt werden, die der Hauptsache
nach die Ausfuhr während der Hungerperiode vermittelt haben,
in erster Linie den Lymphwegen, die während der ganzen
Regenerationsperiode fast vollgepfropft mit Lymphozyten an-
getroffen werden.') Da die Lymphgefässe zu grossem Teil in
!) Ich will indessen hiermit nicht die Annahme als unmöglich be-
zeichnen, dass Lymphozyten auch durch die Blutgefässe einwandern könnten;
wahrscheinlich ist es, dass dies auch geschieht, in welcher Ausdehnung aber,
ist wegen der Blutleere der Arterien in den mikroskopischen Präparaten
nicht leicht zu sagen.
Studien über die Thymusinvolution. 439
das Parenchym durch das Mark eindringen, wird dadurch hier
wie nach der Röntgeninvolution die zentrifugale Ausbreitung der
Lymphozyten innerhalb des regenerierenden Parenchyms erklärt:
von den Lymphgefässen aus durch das perivaskulare Bindegewebe
zum Mark hin, von wo aus sie sich im Parenchym zunächst
diffus, erst später mit überwiegender Lokalisation in den peri-
pheren Teilen, der Rinde, verteilen.
Die hineinkommenden Lymphozyten verteilen sich auch
nicht gleichförmig auf die sämtlichen Lobuli der Drüse in früh-
zeitigeren Stadien. Worauf dies beruht. ist schwer zu ent-
scheiden ; möglicherweise könnte man sich denken, dass die
Nachbarschaft grosser Gefässe und Lymphwege hierbei eine Rolle
spielt.
Auch zu der relativ späten Ausbildung von Mark und
Hassalschen Körperchen findet sich Entsprechendes in Rudbergs
Fällen. Der Umstand verdient betont zu werden, da er an-
zudeuten scheint, dass die Gegenwart von hypertrophischen Reti-
kulumzellen und ihren eventuellen Produkten bei der Regeneration
ebensowenig wie bei der ersten Histogenese der Thymus eine
Bedingung für das Auftreten der Lymphozyten im Organ bildet.
Es findet sich nichts im Regenerationsverlauf, was für die sonst
naheliegende Vermutung spricht, dass die vergrösserten Retikulum-
zellen Stoffe bilden, die positiv chemotaktisch auf die Lymphozyten
wirken.
Dass Hunger nicht der einzige Faktor ist, der in der Thymus
eine akzidentelle Involution hervorzurufen vermag, ist durch
Heinekes und Rudbergs Nachweis einer Röntgeninvolution
der Thymus zur Genüge bewiesen. Verschiedenes spricht dafür,
dass auch andere Faktoren einen Einfluss auf Grösse und Bau
der Thymusdrüse ausüben können. Im Hinblick auf die hier
nachgewiesene grosse Empfindlichkeit des Organs gegen Ver-
änderungen im allgemeinen Ernährungszustand des Organismus
wird es geboten sein, bei Untersuchungen über den Einfluss
solcher anderen Faktoren stets die Bedeutung der Ernährung im
Auge zu behalten. Ich hoffe, dass die zum Teil zahlenmässige
Analyse der Hungerinvolution, die ich hier gegeben, in solchen
Fällen geeignet sein wird, einen objektiven Vergleich mit anderen
Involutionsformen zu ermöglichen.
440 Arvid Jonson:
Zusammenfassung der Ergebnisse.
l. Die Unterernährung vermag in der Thymus eine schnelle
und weitgehende Involution hervorzurufen. Vier Wochen chronischer
Unterernährung können das Thymusgewicht auf ungefähr !/s3o und
den Parenchymwert auf !/ess des Wertes beim Kontrolltier herab-
bringen. Ein neuntägiger vollständiger „akuter“ Hungerzustand
vermag das Thymusgewicht (mindestens) auf '/« und den Parenchym-
wert auf "io des Wertes beim Kontrolltier herabzubringen.
Von den Parenchymgebieten erfährt die Rinde die unver-
gleichlich grösste Reduktion. Schon nach zwei Wochen Unter-
ernährung ist sie auf "2 des Gewichts beim Kontrolltier ver-
mindert. Nach dieser Zeit lässt sie sich in der Regel nicht
mehr beobachten. Fünf Tage vollständigen Hungers bringen sie
auf ungefähr ®s des Gewichts beim Kontrolltier herunter, wonach
sie auch hier nicht mehr wiederzufinden ist.
Das Verschwinden der Rinde wird hauptsächlich durch die
Auswanderung der Lymphozyten aus dem Organ bedingt. Ihr
Weg scheint hierbei hauptsächlich durcb das Mark zu den in
diesem gelegenen Lymph- (und Venen-?) Wegen zu gehen. Hier-
durch erhält das Parenchym nach und nach ein fast rein epithe-
liales Aussehen. Erst in späteren Involutionsstadien kommt in
nennenswerter Ausdehnung Degeneration von Retikulumzellen
hinzu.
Zu der Reduktion der Lymphozyten innerhalb des Organs
trägt ausserdem die Abnahme der Mitosen während der Hunger-
periode bei. Nach vier Wochen Unterernährung hat die berechnete
Anzahl Mitosen in der ganzen Drüse von ungefähr 10500000
auf ungefähr 3100 abgenommen. Die Mitosenreduktion inner-
halb der Lymphozyten ist indessen noch grösser, indem die
Mehrzahl der übrigbleibenden Teilungsfiguren Retikulumzellen
anzugehören scheint. Ebenso tritt bei vollständigem Hunger in
vier Tagen eine Reduktion von 28500000 auf 6500000 ein.
Bemerkenswert ist, dass in keinem der Fälle der mitotische
Prozess in dem Organ vollständig aufhört.
Die Hassalschen Körperchen zeigen verschiedene Resistenz
gegen Hunger; die einzelligen verschwinden am frühesten (durch
Atrophie?) und sind bei Unterernährung schon in der zweiten
Versuchswoche vollständig verschwunden; die mehrzelligen werden
Studien über die Thymusinvolution. 441
(wenigstens teilweise durch Degeneration) von ungefähr 139 200
auf 16 100 in vier Wochen reduziert. Bei vollständigem Hunger
geht die Anzahl der einzelligen in gleicher Weise von 170 000
auf ungefähr 44000 und die der mehrzelligen von ungefähr
741500 auf ungefähr 352 700 herunter.
Das interstitielle Gewebe wird gleichfalls durch den Hunger
beeinflusst. Bei chronischer Unterernährung ist bereits in der
zweiten Versuchswoche das interstitielle Fett vollständig atrophiert
und durch ein aufgelockertes, serös durchtränktes Bindegewebe
ersetzt; nach vier Wochen Versuchszeit ist das interstitielle Ge-
webe auf ungefähr '/s des Gewichts beim Kontrolltier reduziert.
Auch bei vollständigem Hunger findet eine Verminderung des
interstitiellen Gewebes statt, obwohl in geringerem Umfang.
2. Eine Regeneration der Thymus nach Hunger tritt rasch
bei guter Nahrungszufuhr ein. Schon zwei Tage reichlicher Er-
nährung rufen eine deutliche Vermehrung des Thymusgewichts
und Parenchymwerts hervor, und nach drei Wochen ist das
Thymusgewicht bis auf das Hundertfache und der Parenchym-
wert ungefähr auf das Vierhundertfache gestiegen, wodurch nahe-
zu die normalen Werte erreicht sind.
Von den Parenchymgebieten kommt die grösste Vermehrung
auf die Rinde. In frühem Regenerationsstadium fehlt Markge-
webe gänzlich, und das ganze Parenchym hat dabei ein höchst
charakteristisches, homogenes,. rindenähnliches Aussehen.
Die Zunahme des Parenchyms wird in erster Linie durch
Einwanderung von Lymphozyten aus den Lymph- (und Blut-)
Wegen bedingt, wozu frühzeitig eine nicht geringe Zunahme von
Mitosen in Lymphozyten und Retikulumzellen hinzukommt.
Erst nach 16 Tagen vollständiger Ernährung treten die
ersten Andeutungen von Mark in den Zentren der Lobuli durch
Vergrösserung der dort gelegenen Retikulumzellen auf, wonach
eine rasche Vermehrung des Markgewebes stattfindet: während
der dritten Regenerationswoche verdreifacht sich ihre Menge.
Die Hassalschen Körperchen fehlen in dem frühesten
Regenerationsstadium; erst nach etwas mehr als zwei Wochen
guter Ernährung beginnen sie wieder aufzutreten. Hypertrophische
Retikulumzellen („einzellige Hassalsche Körperchen“) und auch
kleinere mehrzellige („echte“) Hassalsche Körperchen sind
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73. 39
442 Arvid Jonson:
dann im Mark zu beobachten. Doch geschieht die Neubildung
bemerkenswert langsam.
Das interstitielle Gewebe nimmt während des Regenerations-
stadiums der Drüse beträchtlich zu. Schon nach zwei Tagen
reichlicher Nahrung beginnen interstitielle Fettzellengruppen auf-
zutreten, die allmählich an Grösse und Verbreitung zunehmen.
Nach drei Wochen ist das Interstitialgewebe neunmal so gross
als zu Beginn der Regenerationsperiode.
Literaturverzeichnis.
Friedleben, A. (1858): Die Physiologie der Thymusdrüse. Frankfurt a.M.
Hammar, J. A. (1905): 1. Zur Histogenese und Involution der Thymus-
drüse. Anat. Anz., Bd. 27.
Derselbe (1905): 2. Über Thymusgewicht und 'Thymuspersistenz. Verh. der
Anat. Gesellschaft.
Derselbe (1906): Über Gewicht, Involution und Persistenz der Thymus im
Postfötalleben des Menschen. Arch. f. Anat. und Phys., Anat. Abt.
Derselbe (1907): 1. Über die Natur der kleinen Thymuszellen. Ibidem.
Derselbe (1907): 2. Nyare forskningsresultat och forskningsuppgifter rörande
thymuskörteln. Allm. Sv. Läkartidningen.
Heineke, H. (1905): Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung
der Röntgenstrahlen auf innere Organe. Mitt. aus den Grenzgebieten
d. Med. u. Chir.
Naegeli, ©. (1907): Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. Leipzig.
v. Noorden, C. (1907): Handbuch des gesamten Stoffwechsels. Berlin.
Rudberg, H. (1907): Studien über die Thymusinvolution. I. Die Involution
nach Röntgenbestrahlung. Arch. f. Anat. u. Phys., Anat. Abt.
Stöhr, Ph. (1906): Über die Natur der Thymuselemente. Anat. Hefte, Bd. 31.
Söderlund, G. och Backman, A. (1908): Studier öfver thymusinvolu-
tionen. Aldersinvolutionen hos kaninen. Upsala läkareförenings för-
handlingar.
(Die übrigen Zitate sind aus Hammars Arbeit 1906 entnommen.)
Studien über die Thymusinvolution. 443
Erklärung der Figuren auf Tafel XVI und XVII.
Taf. XVI. Thymi von Kaninchen, getränkt mit Zederholzöl und bei
durchfallendem Licht photographiert; natürliche Grösse. Zur Ser. IV ge-
hörig (Regenerationsserie, chronische Unterernährung, danach für Nr. 21—23
reichliche Ernährung). Alter ”—14 Wochen. Thymusgewicht und Versuchs-
zeit sind bei den betreffenden Figuren angegeben.
Taf. XVII. Schnittbilder aus verschiedenen Serien.
Fig. 1—5 zu Ser. I gehörig, Vergrösserung 9x 1; Fig. 6—7 zu Ser. III,
Vergrösserung 5 x 1: Fig. S-10, sämtlich nach Hämatoxylin-Eosinfärbung,
zu Ser. IV, Vergr. für die Fig. 8u.9: 67 x 11, für Fig. 10: 300 x 1. Mallorys
Bindegewebsfärbung.
Fig. 1. Alter 6 Wochen; erstes Kontrolltier; Thymusgewicht 0,87 gr.
Fig. 2. Alter 7 Wochen; erstes Versuchstier, 1 Woche chronische Unter-
ernährung; Thymusgewicht 0,30 gr.
Fig. 3. Alter 8 Wochen; zweites Versuchstier, Versuchszeit 2 Wochen;
Thymusgewicht 0,12 gr.
Fig. 4. Alter 9 Wochen; drittes Versuchstier, Versuchszeit 3 Wochen ;
Thymusgewicht 0,09 gr.
Fig. 5. Alter 10 Wochen; viertes Versuchstier, Versuchszeit 4 Wochen;
Thymusgewicht 0,03 gr.
Fig. 6. Alter 4 Monate; zweites Kontrolltier; Thymusgewicht 2,55 gr.
Fig. 7. Alter 4 Monate; viertes Versuchstier, 4 Tage vollständiger Hunger;
Thymusgewicht 1,02 gr.
Fig. 8. Alter 2'/. Monate; viertes Versuchstier, 31 Tage Unterernährung ;
Thymusgewicht 0,02 gr.
Fig. 9. Alter 2'/. Monate; fünftes Versuchstier, 31 Tage Unterernährung,
danach 2 Tage reichliche und allseitige Kost; Thymusgewicht 0,07 gr.
Fig. 10. Die zentrale Partie von Fig. 9 bei stärkerer Vergrösserung.
444
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe.
I. Die frühesten Entwicklungsstadien der Blut- und Binde-
gewebszellen beim Säugetierembryo, bis zum Anfang der
Blutbildung in der Leber.
Von
Dr. Alexander Maximow,
Professor der Histiologie und Embryologie an der Kaiserlichen Medizinischen
Militär-Akademie zu St. Petersburg.
Hierzu Tafel XVIII-XX.
1. Einleitung.
Die Fragen der morphologischen Hämatologie finden heut-
zutage merkwürdigerweise ihre Bearbeitung vornehmlich von
seiten der Pathologen und Kliniker. Die Anatomen und Embryo-
logen von Fach interessieren sich meist nur für die Probleme
der ersten Entstehung des Blutes und des Gefässsystems und
für die Beziehungen dieser Gewebe zu den Keimblättern. Ist
ihr Ursprung und ihre Anlage festgestellt, dann ist für die
Betreffenden die Sache meistens erledigt und die weitere zyto-
logische Differenzierung, die Entstehung der verschiedenen Zell-
arten bleibt unerforscht. Allerdings werden in Untersuchungen
solcher Art, trotz einwandsfreiem Material, meistens auch solche
Methoden gebraucht, die die Klarstellung der zytologischen
Probleme unmöglich machen und eben nur rein embryologischen
Forderungen angepasst sind.
Es ist bekannt, wie gross die Literatur über die zytologische
Entwicklung der verschiedenen Blutzellenarten und zugleich wie
wenig Positives, Feststehendes hier zu verzeichnen ist. Es finden
sich leidenschaftliche Verfechter für die verschiedensten, genau
entgegengesetzten Anschauungen.
Hier ist es nicht am Platz, einen kritischen Bericht über
die Literatur der morphologischen Hämatologie zu bringen.
Dies ist schon unzählige Male von verschiedenen Seiten gemacht
worden. An dieser Stelle möchte ich nur im Vorübergehen
einige von den wichtigsten heute hervortretenden Strömungen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 445
notieren. Sie beziehen sich meistenteils auf die Blutbildung im
erwachsenen Organismus der Wirbeltiere, speziell der Säuger und
des Menschen. |
Es sind vor allem die sogenannte dualistische oder richtiger
polyphyletische und die unitaristische oder monophyletische Theorie
der Hämatopoese zu unterscheiden.
Die Dualisten erklären die verschiedenen Zellarten des
Blutes für ebensoviele mehr oder weniger selbständige, genetisch
nicht zusammenhängende Zellstämme. Da unterscheidet man
erstens streng zwischen dem sogenannten myeloiden Gewebe —
den Erythrozyten und den granulierten Leukozyten einerseits
und dem sogenannten Iymphoiden Gewebe — den verschiedenen
ungranulierten Leukozyten oder Lymphozyten im weitesten Sinne
des Wortes andererseits (Nägeli [37], Wain [63], Schridde
|51—53], Morawitz und Rehn [34], Gütig [16] u.a.). Die
meisten Dualisten wollen diese strenge Einteilung auch noch
weiter durchführen und auch die roten Blutkörperchen von den
syanulierten Leukozyten in ihrer Genese streng geschieden
wissen. Die ersten entstehen aus hämoglobinhaltigen oder
hämoglobinlosen Erythroblasten, die sich selbständig vermehren
und in Erythrozyten verwandeln. Die zweiten entstehen entweder
ausschliesslich aus entsprechenden schon granulierten wuchernden
Myelozyten (Helly |17]). oder aus besonderen ungranulierten
basophilen Myeloblasten durch Ausarbeitune von Körnchen im
Protoplasma. Manche Autoren halten wieder dafür, dass zwar
sämtliche Leukozyten, die Lymphozyten und Granulozyten aus
einer gemeinsamen (uelle stammen, die roten Blutkörperchen
aber einen anderen Ursprung haben (Löwit, v. d. Stricht
157,58], soodall [14], Browning[2],Gulland[15|, neuerdings
auch Pappenheim [46|). Einige wollen auch unter den Lympho-
zyten mehr oder weniger bewusst „histiogene“ und „hämatogene“
unterscheiden (Marchand, Pappenheim [43]). Dieser prinzipielle
(regensatz zwischen „histiogenen“ und „hämatogenen“ Zellformen
ist überhaupt eine Überlieferung, die sich in der Wissenschaft
bis jetzt sehr hartnäckig behauptet, obwohl sie, wie wir weiter
unten sehen werden, kaum existenzberechtigt ist.
Die Unitarier sehen demgegenüber die verschiedenen Zell-
arten des Blutes als verschiedene Entwicklungszweige einer
einzigen gemeinsamen Stammzelle an (Müller [35], Saxer [49],
446 Alexander Maximow:
Wertheim [67], Weidenreich [64—66|, Maximo w [|30—32],
Benda, Dominici[6], Dantschakoff [4, 4a, 5a], Pappen-
heim [35—41]). Diese aus einem einzigen Punkte nach ver-
schiedenen Richtungen ausstrahlende differenzierende Entwicklung
bleibt auch im erwachsenen Organismus jederzeit bestehen.
Was das für eine Stammzelle ist und wie sie genannt werden
soll, darüber sind die Meinungen wieder nicht ganz einig. Die
einen, die meisten, erblicken sie in dem sog. „grossen (resp. auch
kleinen) Lymphozyt“. Die anderen nehmen als gemeinsame Stamm-
zelle für das myeloide und Iyvmphoide (Gewebe, speziell für die
(Granulozyten und Lymphozyten, eine besondere, ziemlich hypothe-
tische „indifferente Lymphoidzelle“ an (Türck [62], Meyer und
Heinecke |33]) Diese Anschauung könnte man eine zwischen
den Dualisten und Unitariern vermittelnde nennen und mit
Pappenheim [40] als „monophyletisch überbrückten Dualismus“
bezeichnen, denn hier wird das dualistische System in der Tat
mit einer eigenen neuen Lymphoidzelle monophyletisch überbrückt.
(zewiss, auch in anderen Fragen der morphologischen Wissen -
schaft herrschen verschiedene Anschauungen. Nirgends aber
stehen die Differenzen einander so schroff gegenüber, wie in der
Hämatologie und vor allem — nirgends findet man so wenig
Aussicht auf endgültige Klärung der wichtigsten Fragen. Bis
jetzt erscheinen fortwährend neue und neue Arbeiten, die auf
Grund von scheinbar einwandsfreien Befunden zu den entgegen-
gesetztesten Schlüssen gelangen. Es genügt z. B. einerseits auf
das neue Werk von Nägeli|37]| und die Arbeiten von Schridde
und Türk!) hinzuweisen, in welchen die Verfasser alle bisher
bekannten Tatsachen der Morphologie des Blutes nur durch die
dualistische Auffassung erklärbar finden, andererseits auf die
zahlreichen Schriften von Weidenreich, Dominici und
anderen Unitariern, wo dasselbe Tatsachenmaterial zugunsten
der entgegengesetzten Anschauung ins Feld geführt wird.
Ein grosser Übelstand in der heutigen morphologischen
Hämatologie ist ferner die unheilvolle Verwirrung, die in der
Terminologie herrscht. Es sind unzählige komplizierte Namen
für ebenso unzählige, angeblich scharf zu unterscheidende Zellarten
vorgeschlagen worden; derselbe Ausdruck wird sogar mitunter von
') Centralbl. f. allg. Pathologie, Bd. XIX, Nr. 21, 1908.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 447
Dieser besonders trostlose Zustand der hämatologischen
Literatur hängt nun meiner Meinung nach von einigen ganz be-
stimmten Bedingungen ab.
Vor allem von dem Material, an welchem die hämato-
logischen Untersuchungen, meistens. wie gesagt, von Pathologen
und Klinikern, ausgeführt werden. Man benützt vorzugsweise
das schwierigste, komplizierteste Objekt, den menschlichen Organis-
mus, den man ja gewöhnlich nicht einmal in genügend frischem
Zustande und mit genügender Vollständigkeit untersuchen kann.
Um die allgemeinen biologischen Fragen über die Abstammung
der Blutzellen zu lösen, geht man von dem am wenigsten dazu
geeigneten Objekte aus. Es ist z. B. meiner Meinung nach ganz
unmöglich, auf Grund von Untersuchung einiger Trockenpräparate
vom zirkulierenden Blut eines gesunden oder kranken, etwa
leukämischen Menschen oder anderer rein zufällig gewonnener
Objekte zu einigermassen richtigen Schlüssen über die Histiogenese
der Blutelemente zu gelangen. Dies ist auch schon gelegentlich
von Weidenreich mit Recht hervorgehoben worden. Ich ver-
stehe überhaupt nicht, welchen Vorzug für die Lösung der prin-
zipiellen Fragen der morphologischen Hämatologie die Anstellung
von Untersuchungen gerade an menschlichem Material bietet.
(rewiss, wenn es möglich wäre, vom Menschen ein ebenso einwands-
freies Material von allen Geweben und Organen zu bekommen,
wie es von Tieren zu erlangen ist, dann wäre diese Bevorzugung
leicht erklärlich und gut begründet. Bei den obwaltenden Ver-
hältnissen finde ich es aber entschieden vorteilhafter, tadelloses
histiologisches Material von Säugetieren zu benützen, als mangel-
haftes vom Menschen, selbst in dem Falle. wo man gerade über
die Bluthistiogenese im menschlichen Organismus ins Klare
kommen will.
Die notierten Besonderheiten der am meisten gebrauchten
Untersuchungsobjekte bringen es auch mit sich, dass das Tat-
sachenmaterial scheinbar immer mehr und mehr anschwillt, ohne
in entsprechendem Grade unsere allgemeine Erkenntnis über die
wichtigsten Prozesse der Bluthistiogenese zu fördern. Es werden
eben zu viele einzelne unzusammenhängende Beobachtungen von
rein Kasuistischem Charakter gemacht, es werden zu viele einzelne.
besondere, angeblich grundverschiedene Zellarten beschrieben,
ohne dass ihre wirkliche Existenzberechtigung als distinkter Zell-
448 Alexander Maximow:
typen und ihre genetischen Beziehungen dadurch in hellerem
Lichte erscheinen würden. Es werden Stammbäume für die Ent-
wicklung der Blutzellen konstruiert, es gibt derer aber heutzutage
wohl ebensoviele, wie der Autoren selbst und mit der Zeit werden
sie noch immer komplizierter und umfangreicher. Bei Unter-
suchung eines so überaus komplizierten und unvollständigen
Objektes, wie das menschliche Blut, kann es nur zu leicht vor-
kommen, dass die Autoren einzelne, vielleicht rein zufällige oder
vorübergehende morphologische Veränderungen an der oder jener
Zellart für wichtige Artmerkmale halten und auf diese Weise
sich wieder zur Aufstellung neuer spezifischer Zellarten verleiten
lassen.
Wenn nun also das menschliche Material, wie wir gesehen
haben, für die Lösung der Probleme der morphologischen Häma-
tologie ziemlich unbrauchbar ist, so ist andererseits für diese
Zwecke auch die Untersuchung der Gewebe des erwachsenen
Säugetierorganismus nicht ausreichend. Hier können wir zwar
nach Belieben alle Gewebe, das Blut, die blutbildenden Organe,
das Bindegewebe in frischem Zustande untersuchen, auch das
Experiment zu Hilfe nehmen, aber im erwachsenen Körper sind
die Blutbildungsprozesse doch schon so kompliziert, dass der
genetische Zusammenhang der einzelnen Zellformen nicht überall
und nicht immer klar hervortritt und die wichtigsten Zellformen
sehr oft durch weniger wichtige, zufällige, aber vielleicht gerade
zahlreichere verdeckt und verdrängt werden.
Es leuchtet also ein, dass zur Klärung der schwebenden
Fragen der morphologischen Hämatologie und zur möglichst
vollständigen Vereinfachung der existierenden Vorstellungen über
den Stammbaum der Blutzellen und der Terminologie erstens
embryologische und zweitens vergleichend-histiologische Unter-
suchungen not tun.
Es muss die Entwicklung der verschiedenen Blutzellen von
den ersten embryonalen Stadien an untersucht werden an
möglichst lückenlosem Material und mittelst derselben feinsten
histiologischen Methoden, die sonst in der Hämatologie gebraucht
werden. Ferner muss die Blutbildung bei möglichst verschiedenen
Klassen der Wirbeltiere im erwachsenen und embryonalen Zustande
genau studiert werden. Nur durch die vergleichend-histiologische
Methode können wir hoffen, der wirklichen Erkenntnis der
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 444
hämatopoetischen Prozesse bei den Säugetieren und dem Menschen
näher zu kommen.
In der Literatur ist schon jetzt eine ganze Reihe von
embryologischen Arbeiten über Hämatopoese zu verzeichnen.
Meiner Meinung nach genügen sie aber nicht allen notwendigen
Forderungen.
(ranz auszuschliessen sind die Arbeiten, die, wie ich eingangs
erwähnt habe, nur rein morphologische Zwecke verfolgten und
nit entsprechenden Methoden ausgeführt wurden. In den anderen.
speziell histiogenetischen Arbeiten ist erstens wieder am Material
vieles auszusetzen. Die allerersten Stadien der Blutbildung sind
in den Bereich der histiologischen Untersuchung überhaupt noch
iast gar nicht gezogen worden. Viele Autoren bezeichnen
merkwürdigerweise Embryonen von 6 mm Länge (Goodall) als
sehr jung, als die jüngsten, über die sie verfügten. In solchen
Kntwicklungsstadien sind aber, wie wir weiter unten sehen
werden, die wichtigsten Zellarten des Blutes schon längst vor-
handen. In keiner von den mir bekannten Arbeiten ist ferner
sogar das Material aus den späteren Stadien vollkommen lücken-
los. Stets wurden nur zufällig gefundene Embryonen verwendet.
Ferner ist auch die Methodik in den meisten Arbeiten
ungenügend gewesen. Seltsamerweise wurde z. B. von vielen
(Engel |7—10|) nur das zirkulierende Blut untersucht. wobei
die hier ganz und gar unbrauchbare Trockenmethode zur An-
wendung kam. Offenbar glaubten die betreffenden Autoren, dass
in den frühen Entwicklungsstadien die Blutbildung nur im Blut-
strom selbst vor sich geht. Wie wir aber weiter unten sehen
werden, ist die zellige Zusammensetzung des zirkulierenden
Blutes selbst in den allerfrühesten Stadien nicht überall im
Embryo dieselbe und es existieren schon von Anfang an wirkliche
echte blutbildende Organe. Auf Grund der Untersuchung des
zirkulierenden Blutes allein kann man niemals zu richtigen Vor-
stellungen über Blutbildung gelangen.
Es ist meine Überzeugung, dass hier folgendes notwendig
ist. Erstens einwandsfreies, lückenloses embryonales Material
von den allerersten Entwicklungsstadien an (vom Moment der
Mesoblastentstehung). Zweitens dieselben feinsten zytologischen
Methoden, wie sie in der Hämatologie für die Zellen des Blutes
im erwachsenen Organismus gebraucht werden. Drittens Unter-
450 S Alexander Maximow:
suchung aller Teile des embryonalen Körpers und seiner Annexen.
Endlich vergleichende Verwendung mehrerer Tierarten. Wie wir
weiter unten sehen werden, geht die embryonale Entwicklung
des Blutes bei allen Säugetieren prinzipiell die gleichen Wege; bei
jeder Tierart treten aber doch manche spezielle interessante
Besonderheiten hervor.
Wenn wir embryologische Arbeiten, die den angegebenen
Bedingungen genügen, besitzen werden, dann erst werden wir
uns auch in dem Gewirr der verschiedenen Zellformen des Blutes
im erwachsenen Körper leichter zurechtfinden.
Ich möchte hier die wichtigsten neueren embryologischen
Arbeiten aufzählen. Über ihren Inhalt ausführlich zu berichten,
wäre überflüssig, da dies schon von anderen Autoren mehrfach
gemacht worden ist. Die sich speziell auf die Blutbildung in der
embryonalen Leber beziehenden Arbeiten bespreche ich weiter
unten besonders.
Eine erschöpfende Darstellung des heutigen Zustandes der Lehre von
der Entstehung der ersten Blut- und Gefässanlagen bei den Säugern von
rein morphologischem Standpunkt finden wir in dem neuen Handbuch der
Entwicklungslehre von Hertwig. Sie ist von Rückert und Mollier (48)
geschrieben und enthält Angaben über die Topographie der Anlagen, über
ihre Beziehung zu den Keimblättern. speziell zu dem Mesoblast usw. Die
Fragen der zytologischen Differenzierung der Blutzellen werden nicht berührt —
die ersten Blutelemente werden, wie gewöhnlich, für rote Blutzellen erklärt.
H. E. Ziegler (69) gehört eine schon ältere, vergleichend-histiologische
Abhandlung über die Entstehung des Blutes bei verschiedenen Wirbeltieren
und u.a. auch bei den Säugern. Ziegler behandelt die Frage auch von
einem mehr allgemein-morphologischen Standpunkt. Für uns ist das Wichtigste,
dass Ziegler sich genötigt sieht, eine zeitlich und örtlich Betrennle Ent-
stehung der roten und weissen Blutkörperchen anzunehmen.
Die grundlegendsten histiogenetischen Arbeiten über die ersten Ent-
wicklungsstadien der Blutelemente bei Wirbeltieren und speziell bei den
Säugern gehören v. d. Stricht (57—61). Die ersten Blutzellen in der area
vasculosa sind nach ihm auch ausschliesslich junge rote Blutkörperchen
Erythroblasten. Die Leukoblasten und Leukozyten sollen unabhängig von
ihnen, extravaskulär, im Mesenchym entstehen und in die Gefässbahn erst
nachträglich einwandern. V. d. Stricht trennt also ebenfalls die Erythro-
zyten und Leukozyten nach ihrer Herkunft streng voneinander.
Nicht minder bedeutungsvoll ist die Arbeit von Saxer über die Blut-
bildung bei Säugetierembryonen (49). Sie bezieht sich allerdings nur auf die
späteren Entwicklungsstadien, enthält aber dennoch ausserordentlich wert-
volle Angaben, die ich zum grossen Teil durch meine eigenen Untersuchungen
bestätigen kann. Saxer ist ausgesprochener Unitarier. Er anerkennt die
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 451
Existenz besonderer „primärer Wanderzellen‘ im Mesenchym des Embryo.
Aus ihnen entstehen durch differenzierende Wucherung sowohl die roten, als
auch die verschiedenen weissen Blutkörperchen. Im Vergleich mit der
Saxerschen Arbeit stellen viele von den späteren, sogar von den neuesten
Arbeiten entschieden einen Rückschritt vor.
Über die frühen Entwicklungsstadien des Blutes bei Säugern findet
man im Bonnetschen Lehrbuch (1) interessante Angaben. Die Endothel-
zellen der primären Gefässe sollen eine grosse Rolle in der Erzeugung der
ersten Blutelemente spielen. Sie bringen zuerst nur Erythrozyten hervor.
lie Leukozyten entstehen nach Bonnet auch aus Endothelzellen, aber viel
später, haben mit den Erythrozyten genetisch nichts zu tun und verwandeln
sich nicht in dieselben.
Über die embryonale Entwicklung der Blutelemente hat Engel (7—12)
mehrere Arbeiten veröffentlicht. Er kommt zu Anschauungen, die zum Teil
eine ganz isolierte Stellung einnehmen. So lässt er z. B. bekanntlich weisse
Blutkörperchen aus den die primitiven Erythroblasten (seine Metrozyten)
verlassenden Kernen entstehen u. dergl. Es ist unzweifelhaft und auch von
anderen Autoren schon notiert worden, dass Engel zu solchen Schlüssen
nur durch eine unzweckmässige Methodik verleitet werden konnte; er unter-
suchte nämlich fast ausschliesslich Deckglastrockenpräparate.
Engels Schüler, Jost (22), hat im Jahre 1903 eine neue Arbeit über
die Blutentwicklung bei Säugetierembryonen veröffentlicht. Auch hier wurden,
ausser Paraffinschnitten, doch wieder an erster Stelle Deckglaspräparate
verwendet. Die frühesten Stadien sind nicht untersucht und der Ursprung
der ersten Blutzellen deswegen nicht klargestellt worden. Jost lässt rote
Blutzellen (in der Leber) direkt aus Endothelzellen entstehen. Bei ihm taucht
die Engelsche Lehre von der Entstehung der Lymphozyten aus hämoglobin-
haltigen polychromatischen Megaloblasten wieder auf.
Die Arbeiten von Browning (2) und Goodall (14) bringen recht
wenig Neues. Auch hier kam erst sehr spätes und unvollständiges Material
zur Untersuchung. Die verschiedenen Leukozytenarten sollen nach ihnen
einen gemeinsamen Ursprung haben, von den Erythrozyten aber getrennt sein.
Jolly und Acuna (21) gehört eine Arbeit über die Leukozyten im
Blute bei Säugetierembryonen. Sie untersuchten nur das zirkulierende Blut
und konnten also naturgemäss über die eigentliche Herkunft der ersten
Leukozyten nichts entscheiden. In den frühesten Stadien fanden sie im Blute
nur rote Zellen. Erst sehr spät (Meerschwein 16 mm) sollen die ersten
weissen Blutkörperchen in Form von Lymphozyten auftreten. Die (iranulo-
zyten erscheinen noch viel später.
Jolly (20) hat in letzter Zeit eine grosse Arbeit über die Bildung
der Erythrozyten publiziert. Er bespricht dabei auch ihre embryonale Ent-
stehung und unterscheidet in derselben Weise wie ich die zuerst auftretenden,
temporären, „primitiven“ Erythrozyten von den späteren, permanenten. Diese
letzteren, die Megaloblasten und Normoblasten, entstehen nach ihm aus be-
sonderen, indifferenten, farblosen Zellen.
In den Arbeiten von Nägeli (36, 37) gibt es zahlreiche, in sehr
apodiktischem Ton gehaltene Angaben über die Entwicklung der verschiedenen
452 Alexander Maximow:
Blutzellenarten beim Embryo. Sie sind sämtlich im Sinne der polyphyletischen
Theorie verfasst. Die Embryologie soll nach Nägeli die dualistische Theorie
Ehrlichs, die strenge Scheidung der verschiedenen Blutzellenarten, speziell
des myeloiden und Iymphoiden Gewebes voneinander, durchaus bestätigen.
Ich muss schon hier im voraus bemerken, dass meine eigenen Befunde fast
in allen Punkten den Nägelischen Angaben widersprechen. Ich werde in
der folgenden Schilderung noch mehrmals Gelegenheit finden, auf diese Arbeit
zurückzukommen.
Streng polyphyletisch sind auch die Angaben von Schridde (53). Er
lässt (beim Menschen) zuerst. während einer ziemlich langen Entwicklungs-
periode, nur rote Blutkörperchen (primäre Erythroblasten) existieren; sie
sollen direkt aus den Endothelzellen der primären Gefässe entstehen. Viel
später, in der Leber, gehen dann, ebenfalls aus den Gefässendothelien, drei
neue Zellstämme hervor, die sich sofort ganz voneinander isolieren — die
sekundären Erythroblasten, die Myeloblasten und die Riesenzellen. Auch zu
dieser Zeit soll von Lymphozyten noch nichts zu finden sein — sie sollen
noch viel später an anderen Orten entstehen und dadurch soll die Lehre von
der Rassenverschiedenheit der Lymphoblasten und Myeloblasten eine neue
Stütze erhalten. Wie aus meiner weiteren Schilderung erhellen wird, kann
ich diese Angaben von Schridde nicht bestätigen.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass in der neuesten Zeit
zwei Arbeiten erschienen sind. die zwar nicht an Säugetieren gemacht
wurden, die aber in bezug auf die embryonale Entwicklung der Erythrozyten
und Leukozyten dennoch zu Resultaten gekommen sind, welche mit den von
mir bei den Säugetieren erhaltenen auf das Schönste übereinstimmen. Die
eine Arbeit gehört Bryce (3) und ist an Lepidosiren paradoxa, die andere
gehört Dantschakoff (4. 4a. da) und ist am Hühnerembryo gemacht worden.
Nach allgemeiner Angabe entsteht das Blut und die (sefässe
aus dem Mesoblast resp. Mesenchym:; ob und inwiefern der Ento-
blast daran auch teilnimmt, ist noch nicht genau entschieden.
Was die Entwicklung der verschiedenen Blutzellen anbelangt, so
werden die embryologischen histiogenetischen Tatsachen sowohl
von den Dualisten, als auch von den Unitariern zur Bekräftigung
ihrer Theorien ins Feld geführt. Dies hängt nun sicher gerade
davon ab, dass die allerersten Stadien der Blutentwicklung durch
die angeführten Arbeiten überhaupt fast gar nicht beleuchtet
wurden. Die meisten Autoren fingen mit solchen Stadien an,
wo alle wichtigsten Blutelemente schon vorhanden sind.
Nur in einem Punkt scheinen bis jetzt alle Autoren, ausser
Bryce (3) und Dantschakoff (4, 4a, 5a), einig zu sein — dass
die ersten Blutelemente, die freien Zellen der Blutinseln, sich
sämtlich in rote Blutkörperchen verwandeln.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 453
Über die erste Entstehung der Leukozyten fehlen sichere
Angaben vollständig. Im allgemeinen wird bloss vermutet, dass
sie viel später als die Erythrozyten entstehen und an ganz
anderen Stellen — ausserhalb der Gefässbahn. Diese vermeint-
liche Tatsache bildet für die Dualisten eine wichtige Stütze für
ihre Anschauung.
Im Laufe der letzten Jahre befasse ich mich mit embryo-
logischen Untersuchungen über die Entwicklung des Blutes. Ich
habe vorläufig mit den Säugetieren angefangen und besitze jetzt
ein schon ziemlich vollständiges Material. In der vorliegenden
Arbeit lege ich die Resultate dar, die sich auf die ersten Ent-
wicklungsstadien des Blutes und Bindegewebes bis zum Anfang
der Blutbildung in der Leber beziehen. Diese Trennung von
den späteren Stadien ist gewiss rein künstlich, in manchen Be-
ziehungen sogar unbequem und schwer durchführbar. Ich möchte
aber die Veröffentlichung meiner Befunde in ausführlicher Form
nicht länger hinausschieben. Die Bearbeitung der späteren embryo-
nalen Stadien ist von mir indessen noch nicht abgeschlossen.
Die angegebene Trennung erscheint mir auch dadurch berechtigt,
dass gerade zur Zeit des Anfanges der blutbildenden Tätigkeit
in der Leber im embryonalen Organismus schon alle die wichtigsten
zelligen Elemente des Blutes auftreten; in den folgenden Ent-
wicklungsperioden finden wir nur die weitere Differenzierung dieser
schon vorhandenen Grundtypen.
Bei meinen Untersuchungen war es mein Ziel. bis zum
Moment des ersten Auftretens der Blutelemente vorzudringen,
ihre früheste Differenzierung zu erforschen und zu entscheiden,
wo, wann und wie die ersten roten und weissen Blutkörperchen
entstehen, ob sie dabei eine gemeinsame Stammzelle besitzen
und ob diese Stammform dann im folgenden bestehen bleibt.
Ich war mir im voraus dessen bewusst, dass die Lösung der Frage,
die heutzutage als die wichtigste der morphologischen Hämatologie
betrachtet werden muss, nämlich, ob die monophyletische oder
die polyphyletische Theorie der Hämatopoese richtig ist, nur auf
diesem Wege erreicht werden kann, nur durch die Verfolgung
aller Entwicklungsprozesse der Blutelemente von dem ersten
Moment ihres Auftretens an. Wenn ihr erster Ursprung im
Embryo einmal bekannt ist, wird sich naturgemäss auch die
Untersuchung der späteren. auch der postfetalen Perioden viel
454 Alexander Maximow:
einfacher und leichter gestalten. Vor allem interessierte mich
die Frage über das erste Auftreten der weissen Blutkörperchen,
der Leukozyten im Embryo — darüber ist ja bis jetzt, wie wir
sehen, fast gar nichts bekannt gewesen.
2. Material und Methoden der Untersuchung.
Mein Material bestand aus Embryonen von Kaninchen, Meerschweinchen,
weisse Ratte. weisse Maus, Katze und Hund. Vom Kaninchen und von der
Katze!) besitze ich sehr vollständige Reihen von den frühesten Entwicklungs-
stadien (Primitivstreifen) an. Die anderen Tierarten lieferten mir bis jetzt
mehr zufälliges Material, obwohl es auch ziemlich reichhaltig ist. Beim
Kaninchen war der Zeitpunkt der Begattung fast immer genau bekannt; sie
geschah gewöhnlich unmittelbar nach erfolgtem Wurf; die Embryonen konnten
hier also nach dem Alter gruppiert werden. Das embryologische Material
von der Katze gewann ich von Tieren, die in den Monaten Januar, Februar
und März eingefangen und sofort getötet wurden; von den etwa 150 geopferten
Exemplaren erwiesen sich 75 als schwanger und trotz des ziemlich häufigen
Vorkommens von ganz gleichen Entwicklungsstadien gelang es, wie gesagt,
doch mit der Zeit eine ziemlich lückenlose Reihe zu sammeln. Die Embryonen
der Katze wurden nach der Körperlänge gruppiert.
Hier lasse ich die Beschreibung der Methodik folgen, die sich speziell
auf die jüngeren Embryonen bezieht — beim Kaninchen bis zum 14. Tage,
bei der Katze bis zur Körperlänge von etwa 1 cm. Die älteren Embryonen
werden in einer anderen Abhandlung bearbeitet werden.
In allen Fällen wurden die dem soeben durch Chloroform oder Leucht-
gas getöteten Tier entnommenen Uterusanschwellungen unter warmer physio-
logischer Kochsalzlösung in einer mit schwarzem Paraffinboden versehenen
Schale präpariert. Die Muscularis wurde gewöhnlich mittelst feiner Pinzetten
möglichst rasch faserweise abgetrennt und die Uterusschleimhaut dann von
der antimesometralen Seite kreuzförmig aufgeschnitten oder auch mit Pin-
zetten vorsichtig aufgerissen. Ein Teil der Embryonen eines jeden Falles
wurde dann nach Eröffnung der Eihöhle (eventuell, in den späteren Stadien,
nach Abtragung des grössten Teiles der Dottersackwand) in situ mit Amnion,
Allantois und einem Teil der Dottersackwand auf der Uterusschleimhaut
fixiert. Der andere Teil, die Mehrzahl, wurde behutsam mittelst feinster
Pinzetten und Scheren von der Uterusschleimhaut resp. der Plazenta ab-
präpariert, wobei in den frühesten Stadien besonders auf die gute Erhaltung
der area vasculosa resp. der Dottersackwand geachtet wurde. Nach Isolierung
des Embryos mit seinen Annexen von der Plazenta (eventuell, wie gesagt,
schon früher) wurde der grösste Teil der area vasculosa, der Dottersack-
wand, abgeschnitten und in ausgespanntem Zustande fixiert. Dies erreicht
man auf sehr bequeme Weise nach der in meinem Laboratorium üblichen
Methode, indem man die Stücke der dünnen Membran sich auf der konvexen
1) Anm. bei der Korrektur: Jetzt auch vom Meerschweinchen und von
der Ratte.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 455
Fläche eines in warme physiologische Kochsalzlösung getauchten Uhrglases
ausbreiten lässt, sie aus der Flüssigkeit mit dem Glas herausnimmt und dann
aus einer Mannschen Tropfflasche die Fixierungsflüssigkeit darauf tröpfelt
Nach einigen Sekunden ist die nötige Regidität des Gewebes erreicht und
man löst die fixierte Membran vom Glase, indem man die konvexe Fläche
des letzteren in eine Schale mit Fixierungsflüssigkeit eintaucht und hin und
her schwenkt. Der Körper des Embryo mit dem Rest der Hüllen wird auf
einem kleinen Hornlöffel direkt in die Fixierungsflüssigkeit gebracht, wobei
ınan darauf zu achten hat, dass er in möglichst günstiger Lage erstarrt.
Sehr junge Embryonalstadien, Keimscheiben mit Primitivstreifen oder
einigen Ursegmenten u. dergl. wurden immer zum Teil auch in situ auf dem
betreffenden Abschnitt der Uterusschleimhaut liegend fixiert; dies geschah,
wenn ich sie für Schnittpräparate bestimmte. Meistens wurden sie aber
von der Uterusschleimhaut in möglichst weitem Umkreise, zusammen mit der
area opaca resp. vasculosa vorsichtig abgehoben und der ganze Keim in
möglichst ausgespanntem Zustande in der angegebenen Weise auf der kon-
vexen Fläche eines Uhrglases fixiert. Solche Präparate breiten sich tadellos
ohne eine einzige Falte, ebenso wie die Teilstücke der Dottersackwand aus
und können nachher in toto wie Schnitte weiter behandelt, also gewässert,
gefärbt und in Balsam eingeschlossen werden. Sie sind so dünn und durch-
sichtig, dass man an ihnen die feinsten Strukturdetails der Blutzellen bequem
studieren kann. Die beschriebene Behandlung der Dottersackwand ist schon
von Saxer mit Erfolg gebraucht worden.
Es erhellt aus dem eingangs angeführten Gedankengang, dass man
bei Erforschung der ersten Stadien der Blutbildung und des Bindegewebes
notwendigerweise alle Teile des Keimes, den embryonalen Körper selbst und
alle seine Anhänge in der ungestörten normalen Lage und in möglichst voll-
kommen fixiertem und gefärbtem Zustande untersuchen muss. Man kann
sich unmöglich nur etwa auf Präparate vom zirkulierenden Blut oder von
der embryonalen Leber oder Milz und dergl. beschränken. In den frühen
Stadien ist speziell die Untersuchung des zirkulierenden Blutes an und für
sich, z. B. an Deckglaspräparaten gar nicht möglich, weil man es ohne
schwere Beschädigung und Zerstörung der Gewebe überhaupt nicht bekommen
kann. Hier hat man das zirkulierende Blut nur an Schnittpräparaten von
tadellos in situ fixierten Embryonen zu studieren.
Eine sehr grosse Bedeutung für Untersuchungen, wie die vorliegende,
hat die Wahl der Fixierungsmethode. Kein anderes Gewebe gibt bei unzweck-
mässiger Fixierung so leicht Anlass zu den verschiedenartigsten Artefakten,
wie gerade das Blut, besonders das embryonale.
Ich habe eine ganze Reihe von verschiedenen Fixierungsflüssigkeiten
durchprobiert und bin schliesslich bei dem sog. Zenker-Formol (ZF), der von
Helly vorgeschlagenen Modifikation der Zenkerschen Flüssigkeit, stehen
geblieben. Diese Mischung fixiert vorzüglich alle embryonalen Gewebe und
speziell das Hämoglobin. Die gewöhnliche Zenkersche Flüssigkeit ist hin-
gegen für Untersuchungen über die frühesten Stadien der Blutbildung gar
nicht zu brauchen. Ich will dies speziell hervorheben, weil sie von manchen
456 Alexander Maximow:
Autoren gerade für das genannte Objekt an erster Stelle empfohlen wird.
Sie leistet wohl für das Bindegewebe, besonders in den späteren embryonalen
Stadien, ganz Vorzügliches, für das Blut ist sie aber unbrauchbar, da si«
das hämoglobinhaltige Protoplasma direkt zerstört.
Fixiert wurde also fast ausschliesslich mit ZF. Je nach dem Umfang
des Objektes dauerte die Fixation verschieden lange; dünne Membranen —
Dottersackwand und dergl. — verweilen in ZF bloss 10 Minuten; kleine
Embryonen bleiben darin 1'/.—2 Stunden, grössere bis zu 4—5, sogar 6 Stunden.
Nach der Fixierung erfolgte Auswaschen in fliessendem Wasser, wobei.
um die Objekte nicht zu beschädigen, meistens Steinachsche Siebdosen
sebraucht wurden.
Ich habe auch die Dominicische Fixation mittelst Jodsublimat ver-
sucht. Sie gibt ganz gute Resultate, ähnlich wie ZF, dringt aber sehr
schlecht ein, verursacht manchmal Schrumpfungen und ausserdem verflüchtigt
sich das Jod sehr rasch.
Nicht weniger wichtig, als die Fixierung, ist für meine Untersuchungen
auch die Einbettungsmethode gewesen. Es ist hier nicht am Platz, die
Vorzüge und Nachteile der beiden heutzutage gebräuchlichen Verfahren, der
Paraffin- und der Zelloidinmethode, zu erörtern. Ich werde vielleicht darüber
einiges gelegentlich besonders berichten. Ich kann aber bestimmt behaupten,
dass für Untersuchungen über die früheste Entwicklung des Blutes im Embryo
die Paraffineinbettung ganz unbrauchbar ist; nur das Zelloidin gibt gute
Resultate. Es ist leicht, dies zu beweisen. Wenn man von zwei gleichen,
in gleicher Weise fixierten Embryonen den einen in Paraffin, den anderen in
Zelloidin einbettet, so kann man sich nachher an den in gleicher Weise ge-
färbten Schnitten davon überzeugen, wie gross die Unterschiede in den beiden
Präparaten sind. Nach Paraffin treten stets, selbst bei der vollkommensten
Einbettungstechnik, starke Schrumpfungen hervor — man bemerkt sie aller-
dings weist nur beim Vergleich mit den Zelloidinpräparaten, wo sie voll-
ständig fehlen. Ausserdem gelingt die weiter unten beschriebene Färbung
mit Eosin-Azur an Paraffinpräparaten lange nicht so gut, wie an (vom
Zelloidin befreiten) Zelloidinpräparaten. Speziell tritt das weiter unten be-
schriebene verschiedene Aussehen der Lymphozyten und der Erythrozyten,
die Basophilie der ersteren und die Oxyphilie der letzteren bei weitem nicht
so scharf hervor; oft sehen diese Zellen an Paraffinpräparaten sogar ziemlich
ähnlich aus. Besonders tritt hier auch der Unterschied zwischen den weiter
unten beschriebenen primitiven Blutzellen und den sich aus ihnen ent-
wickelnden Lymphozyten und primären Erythroblasten ganz zurück. Vielleicht
ist die herrschende unzutreffende Vorstellung über die Verwandlung sämt-
licher Zellen der Blutinseln in rote Blutkörperchen gerade dadurch zu
erklären, dass alle Autoren ohne Ausnahme zur Untersuchung dieser
frühesten Stadien ausschliesslich Paraffinpräparate gebrauchten, so z. B. auch
v. d. Stricht.
Ich habe also nur Zelloidinpräparate gebraucht.
Es ist wahr, dass die Bevorzugung der Paraffinmethode ihren guten
Grund hat. Bis jetzt gab es nämlich keine brauchbare Methode zur Her-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 457
stellung von Schnittserien von Zelloidinpräparaten. Jetzt existiert aber eine
solche Methode, die tadellos und sicher funktioniert — sie ist von
Rubaschkin (47) angegeben und später von Dantschakoff (5) weiter
vervollkommnet worden. Nach dieser Methode ist es eine Leichtigkeit, ganz
lückenlose Schnittserien von Zelloidinpräparaten herzustellen, sie an Objekt-
trägern aufzukleben und dann vom Zelloidin zu befreien. Meine Präparate
wurden demgemäss fast sämtlich in Zelloidin geschnitten, die jüngeren
Embryonen stets in Form von lückenlosen Serien.
Was die Färbung anbelangt, so gebrauchte ich die von den Häma-
tologen jetzt allgemein empfohlene Eosin-Azur-Färbung, meistens nach der
einfachen Nochtschen Methode (E Az), die für Schnitte von Helly vor-
geschlagen worden ist. Die an Objektträgern aufgeklebten und von Zelloidin
befreiten Schnitte kommen in eine ex tempore herzustellende Mischung von
10 cc einer 1°/oo wäss. Lösung von Eosin W.G., 100 ce dest. Wasser und
10 ce einer 1°/oo wäss. Lösung von Azur II. Darin verbleiben sie 6 bis
24 Stunden — verschiedene Objekte erfordern eine etwas verschiedene
Färbungszeit und werden dann einfach mit 96°/o Alkohol differenziert, in
Alkohol absolutus rasch entwässert und durch Xylol in Balsam (neutral fest
von Grübler) übergeführt. Ich finde, dass die von Schridde und anderen
für Schnittpräparate vorgeschlagenen besonderen Modifikationen dieser Eosin-
Azur-Färbung, wie z. B. Entwässerung durch Azeton statt Alkohol, ganz
überflüssig sind — nach Azeton ergeben die Präparate genau dieselben Bilder,
wie nach gewöhnlicher Alkoholdifferenzierung.
In anderen Fällen wurde zu derselben Färbung die Grüblersche
Giemsa-Lösung angewandt — 2 Tropfen auf 1 ce Wasser; die Färbungs-
dauer ist hier etwas kürzer, 2--8 Stunden. Das Resultat ist dasselbe; nur
erscheint die Blaufärbung etwas dunkler.
Auch die Dominicische Färbung mit Eosin-Orange-Toluidinblau (D)
habe ich oft gebraucht. Sie gibt besonders schöne Resultate bei der Färbung
verschiedener blutreicher Gewebsmembranen, z. B. der Dottersackwand. Die
Zeichnungen 3 und 4 auf Taf. XVIII sind gerade nach solchen mit ZF
fixierten und nach D gefärbten Präparaten angefertigt. Die E Az-Färbung
verursacht an dem genannten Objekt manchmal störende Niederschläge.
3. Die Entstehung der Blutinseln.*”
Über die Entwicklung des Mesoblasts selbst habe ich nichts
Neues zu berichten. Es ist bekannt, dass diese Frage für die
Säugetiere, ebenso wie für die anderen Wirbeltiere, noch nicht
vollständig gelöst ist, indem die einen Autoren (Kölliker,
v. Beneden et Julin, Keibel, v. d. Stricht [58, 61]) die
Elemente des Mesoblasts nur aus dem Primitivstreifen ableiten
und sie dann zwischen Ektoderm und Entoderm frei nach aussen
sich ausbreiten lassen, die anderen bei der Erzeugung derselben
auch den Entoblast eine gewisse Rolle spielen lassen.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 30
458 Alexander Maximow:
Ich besitze einige Serien von Querschnitten durch sehr junge
Meerschweinchen- und Kaninchenkeimscheiben (7 Tage, Primitiv-
streifen), die nach der oben beschriebenen Methode hergestellt
worden sind. An diesen Präparaten bietet der Mesoblast im
Querschnitt, speziell im ausserembryonalen Bezirk, der uns hier
besonders interessiert, dieselben Bilder, wie sie v. d. Stricht (58,
61) seinerzeit ausführlich beschrieben hat — er stellt eine oder
zwei Lagen platter, langer, spindelförmiger, oft auch amöboider
Zellen vor, die nirgends in sichtbarem Zusammenhange mit dem
Entoblast stehen. Sie bilden in den peripherischen Bezirken keine
ununterbrochene epitheliale Lage, sondern sind an vielen Stellen
voneinander durch weite Zwischenräume getrennt. Ohne die
oben angedeutete Frage endgültig entscheiden zu wollen, muss
ich mich demgemäss in dieser Beziehung auf die Seite von
v. d. Stricht stellen.
Viel interessanter für unsere Zwecke sind in der oben er-
örterten Weise hergestellte Flächenpräparate von den Keim-
scheiben. Sie sind meistens, trotz der intensiven Färbung des
Ektoderms, durchsichtig genug und mit Hilfe der Mikrometer-
schraube lässt sich die Mesoblastschicht leicht in ihrer Zusammen-
setzung erkennen.
Wir sehen an solchen Präparaten (Kaninchen 7 Tage, Primitiv-
streifen) sehr deutlich, dass der periphere Mesoblast, in dem
später die Blutinseln entstehen, keineswegs den Charakter eines
zusammenhängenden epithelialen Blattes hat, sondern aus locker
zusammengefügten, sicherlich beweglichen Zellen besteht, also
„mesenchymatös“ genannt werden kann. Seine im Querschnitt
langen, dünnen, spindelförmigen Zellen präsentieren sich hier ın
Form von ästigen, durch Ausläufer miteinander verbundenen
Elementen, die ein nahezu homogenes, äusserst fein retikuläres,
deutlich basophiles Protoplasma und einen rundlichen oder ovalen
Kern mit sehr spärlichen blassen Chromatinteilchen und einem
oder mehreren grossen Kernkörperchen besitzen. Oft sieht man
auch wirklich spindelförmige, sehr lang ausgezogene Zellen.
Dass solche Mesoblastzellen beweglich sind, ist von Laguesse
(25) am Forellenembryo direkt intra vitam beobachtet worden.
Infolge der fortwährenden Bewegung ist auch die Gruppierung
der Zellen ziemlich ungleichmässig — an den einen Stellen er-
scheinen sie dichter, an den anderen lockerer angeordnet. Runde
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 459
Elemente, wirkliche Wanderzellen, sind unter diesen Mesenchym-
zellen nicht vorhanden. Höchstens dass man am äussersten Rande
der Mesoblastflügel, wo die am weitesten vorgedrungenen Zellen
liegen, einige sehr seltene Exemplare findet, in denen die Aus-
läufer mehr oder weniger kontrahiert erscheinen. Nur wenn die
ästigen Zellen in Mitose treten, dann runden sie sich sofort ab,
wobei die Ausläufer meist vollständig eingezogen werden: solche
kugelige kontrahierte Zellen färben sich sehr dunkel. Dies ist
aber nur ein rasch vorübergehender Zustand und nach Ablauf
der Mitose kehrt die frühere ästige Form wieder zurück.
In diesem peripheren mesenchymatösen Mesoblast entstehen
nun bekanntlich, zuerst in den hinteren Teilen der area opaca,
die Blutinseln. Auch dieser Prozess ist in den Arbeiten von
v.d. Strieht (58, 60, 61) an Schnitten schon gründlich studiert
worden und seiner Beschreibung habe ich nichts Neues hinzu-
zufügen. Ich finde aber, dass die Blutinselbildung noch viel
deutlicher gerade wieder an Flächenpräparaten von Keimscheiben
hervortritt. Die dazu erforderlichen Stadien besitze ich z. B. vom
Kaninchen (S Tage 2 Stunden, Primitivstreifen mit Kopffortsatz
von gleicher Länge) und Meerschweinchen (Primitivstreifen mit
kleinem Kopffortsatz). Besonders schön sind die Bilder beim
letztgenannten Tier. da der Ento- und Ektoblast hier sehr durch-
sichtig sind und die basophilen Mesoblastzellen nach der D-Färbung
sehr deutlich hervortreten.
Die Entstehung der Blutinseln wird dadurch eingeleitet,
dass die ästigen oder lang ausgestreckten Mesoblastzellen gruppen-
weise zusammentreten, wobei die Ausläufer mehr oder weniger
eingezogen werden und die dicht beisammenliegenden Zellen zum
grösseren Teil rundliche Formen annehmen (Taf. XVIII, Fig. 1b).
Solche Gruppen können ganz isoliert sein, meistens stehen sie
aber mit den benachbarten von Anfang an durch dickere oder
dünnere Züge langer, ausgestreckter Zellen (a) in Verbindung.
Die innere Struktur der Zellen in den Gruppen und zwischen
ihnen bleibt unverändert (Fig. 1). Neben dem Kern sieht man
oft eine deutliche blassrosa gefärbte Sphäre hervortreten (a und
a’ oben). Hier und da sind im Protoplasma auch kleine Vakuolen
(a unten) bemerkbar. An den rundlichen Zellen der Gruppen (b)
tritt die Basophilie des Protoplasmas besonders deutlich hervor:
ferner bemerkt man an der Oberfläche ihres Zellleibes das Auf-
30*
460 Alexander Maximow:
treten kleiner amöboider Pseudopodien. Diese letzteren können
übrigens auch an den langen und ästigen Mesoblastzellen vor-
kommen (a). Alle Zellen fahren fort, sich mitotisch zu ver-
mehren (b‘).
Die beschriebenen, durch schmale Zellzüge netzartig ver-
bundenen Zellgruppen sind die Anlagen der Blutinseln. Wir sehen,
dass sie von den Elementen des mesenchymatösen Mesoblasts
gebildet werden, indem sich dieselben zum Teil in rundliche
Formen (Fig. 1b) verwandeln, zum Teil die frühere ästige oder
langausgestreckte Gestalt (a) bewahren. Die Blutinselanlagen,
die die abgerundeten Zellen enthalten, sind miteinander, wie
gesagt, von Anfang an durch Züge von langen Zellen verbunden.
Die Haufen der abgerundeten Zellen werden nun von den ästigen
und langen allmählich umscheidet. Man sieht sehr gut (Fig. 1),
wie die Ausläufer der letzteren mit ihren Enden über die Ober-
fläche der runden gleiten, wie sie sich mit den Ausläufern der
benachbarten Zellen verbinden und wie sie auf diese Weise um
den Haufen der runden Zellen herum eine Hülle bilden, die
zuerst noch unvollständig ist, sehr bald aber ununterbrochen wird.
Die langen, ästigen Zellen verwandeln sich dadurch in
Gefässendothelien und geben infolge ihrer schon von Anfang an
existierenden netzartigen Anordnung dem primitiven Gefässnetz
der area vasculosa Ursprung. Zwischen den Blutinseln, in den
langausgezogenen Zellzügen,. wo runde Zellen fehlen, schmiegen
sie sich zu mehreren der Länge nach aneinander; aus ihnen
gehen hier die dünneren, leeren Endothelröhren hervor. Wo die
Haufen rundlicher Zellen liegen, entstehen die breiteren Knoten-
punkte des Gefässnetzes mit den runden Zellen im Inneren.
Diese letzteren stellen die ersten Blutelemente vor.
Die ersten Endothelien und die ersten Blutzellen sind also
beides Mesoblast- resp. Mesenchymzellen. In den Blutinseln sehen
wir sie vor unseren Augen aus einer gemeinsamen Quelle ent-
stehen. Auch in der späteren Entwicklung werden wir oft
Gelegenheit haben, die enge Verwandtschaft dieser beiden Arten
von Mesenchymzellen zu beobachten.
4. Die primitiven Blutzellen.
Die beschriebenen Blutinseln verändern sich im folgenden
bekanntlich in der Weise, dass die peripheren, langen Zellen sich
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 461
abplatten und zu einer zusammenhängenden Endothelhaut ver-
einigen, die ein System von netzartig anastomosierenden Röhren
bildet und die Gruppen der runden Zellen umschliesst. Durch
Flüssigkeit, die sich in den Röhren ansammelt, werden dieselben
ausgedehnt und die eingeschlossen gebliebenen Zellhaufen werden
früher oder später in einzelne frei flottierende runde Zellen, die
ersten zelligen Blutelemente, aufgelöst.
Diese Verwandlung der soliden, durch Zellstränge ver-
bundenen Blutinseln in das primitive Gefässnetz der area vas-
culosa scheint bei allen Wirbeltieren prinzipiell in der gleichen
Weise zu verlaufen (s. Rückert und Mollier [48]). Für die
Säugetiere ist sie besonders ausführlich in den Arbeiten von
v.d.Stricht (60, 61) beschrieben worden. Bei den verschiedenen
Wirbeltierklassen wechselt bloss das Äussere der Erscheinung,
die Grösse der Zellhaufen, die Schnelligkeit ilıres Auflösens in
einzelne Zellen usw. Bei den Säugetieren gerade läuft sie z. B.
sehr schnell ab, besonders im Vergleich mit dem Hühnchen.
Während hier (Rückert [48], Dantschakoff[4]) nach Bildung
des endothelialen Gefässnetzes in dessen Innerem noch während
ziemlich langer Zeit dicke kompakte synzytiale Zellklumpen liegen
bleiben und ihre Auflösung in einzelne freie Zellen erst verhältnis-
mässig langsam erfolgt, treten bei den Säugetieren gleich nach
Entstehung der Endothelwände in den primitiven Gefässen sofort
auch schon frei im Blutplasma flottierende einzelne Zellen auf,
ohne dass man vorher grössere intravaskulär gelegene Zellhaufen,
geschweige denn synzytiale Zellmassen, wie beim Hühnchen, be-
merken könnte. Nur beim Meerschweinchen bleiben grössere intra-
vaskuläre Zellhaufen etwas länger erhalten (2—5 Paar Segmente).
Ausserdem ist die relative und absolute Zahl der auf solche
Weise entstehenden ersten Blutelemente bei den Säugetieren
geringer, als beim Hühnchen.
Nach vollzogener Verwandlung der Blutinseln bekommen
wir beim Säugetier (Kaninchenembryo von 8!/s Tagen mit 5 Seg-
menten und von 8 Tagen 19 Stunden mit 10 Segmenten, Katzen-
embryo mit 10—12 Segmenten, Meerschweinchenembryo mit
12— 15 Segmenten) im Bereich der area vasculosa ein dichtes
gleichmässiges Netz von weiten, dünnwandigen Gefässen, nach
aussen von einem mehr oder weniger deutlich hervortretenden
Ringgefäss, dem sinus terminalis abgegrenzt. Den Inhalt dieser
462 Alexander Maximow:
primitiven Gefässe, die in der Richtung nach dem Embryo, in
der area pellucida, in dünne, leere, daselbst in loco entstandene
Gefässe übergehen und in denen vorläufig noch keine Zirkulation
existiert, da das Herz noch aus zwei weit voneinander entfernten
Hälften besteht, bildet Flüssigkeit, das Blutplasma, mit frei in
derselben schwimmenden runden Zellen, den ersten Blutzellen.
An senkrechten Schnitten durch die area vasculosa sieht
man in dem Lumen der Gefässe oft dünne protoplasmatische
Fäden ausgespannt; sie verbinden die einander gegenüberliegenden
Teile der endothelialen Gefässwand und entstehen durch Aus-
dehnung der Ausläufer der peripheren Zellen der Blutinseln, wenn
sie sich in Endothelzellen verwandeln und wenn sich die jungen
Gefässe mit Blutplasma anfüllen.
Die Maschen des Gefässnetzes stellen die sogen. Substanz-
inseln vor: in ihnen bleiben zwischen Ekto- und Entoderm die
zur Bildung der Gefässe nicht aufgebrauchten Mesoblastzellen
liegen. Ich möchte hervorheben, dass (ebenso wie es Dantscha-
koff für das Hühnchen angibt) diese Räume bei den Säugetieren
nur sehr enge Spalten zwischen den einander noch eng anliegenden
Ento- und Ektoderm vorstellen: Mesoblastzellen befinden sich in
ihnen zuerst nur in sehr geringer Anzahl. Im peripherischen
Mesoblast werden eben beinahe alle Zellen zur Bildung der Blut-
anlagen aufgebraucht. Beim Kaninchen bleiben zuerst nur sehr
spärliche, mit Ausläufern versehene mesenchymatische Zellen
ausserhalb von den Endothelröhren liegen — die intervaskulären
Zellen Bonnets. Da sie sich aber karyokinetisch teilen, so
vergrössert sich mit der Zeit ihre Zahl allmählich; das muss
auch schon deswegen geschehen, weil sich ja der Mesoblast mit
den in ihm enthaltenen Gefässen peripherisch immer mehr und
mehr ausbreitet. Es kann auch oft beobachtet werden, dass sich
die Endothelzellen der Gefässe, wenn sie wuchern, zum Teil wieder
in gewöhnliche Mesenchymzellen verwandeln: sie wölben sich dann
nach aussen vor, treten aus der Gefässwand heraus und ver-
grössern auf diese Weise die Zahl der intervaskulären Zellen.
Jetzt muss also untersucht werden, was die ersten freien
intravaskulären Blutzellen, die sich direkt von den Blutinseln
ableiten, für Elemente sind, wie sie sich weiter verändern und
wie sie dementsprechend genannt werden sollen.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 463
Wenn wir die Literatur überblicken, so können wir fest-
stellen, dass in der Beurteilung der prospektiven Bedeutung
dieser Zellen fast alle Autoren ohne Ausnahme (ausser Bryce [3]
und Dantschakoff[4,5a]) einig sind. Alle behaupten, dass die
ersten aus den Blutinseln entstehenden Blutzellen bei allen Wirbel-
tieren und speziell auch bei den Säugern sich sämtlich in rote,
hämoglobinhaltige Blutkörperchen verwandeln und alle bezeichnen
sie dementsprechend als Erythroblasten resp. Erythrozyten. Dabei
lässt es sich aber merkwürdigerweise konstatieren, dass ausser
Kölliker eigentlich nur v. d. Stricht (60, 61) diese Stadien
beim Säugetier wirklich selbst untersucht bat. Die anderen
Autoren nehmen es seit der Zeit einfach als ein feststehendes
Axiom hin.
Nun glaube ich aber auf Grund meiner Untersuchungen
behaupten zu dürfen, dass diese allgemein angenommene Vor-
stellung von der Bedeutung der ersten Blutzellen den Tatsachen
keineswegs entspricht.
/uerst will ich eine objektive Beschreibung des morpho-
logischen Charakters der ersten Blutzellen geben. Zu ihrem
Studium sind in gleicher Weise sowohl Flächenpräparate, als auch
Serienschnitte (von Zelloidinpräparaten) verwendbar. Die Zeichnung
Fig. 2 auf Taf. XVIII stellt einen Teil eines Querschnittes der area
vasculosa vom oben erwähnten Kaninchenembryo mit 5 Segmenten
vor. Man sieht unten das in die Eihöhle vorgewölbte Entoderm
(Ent) mit seinen dotterbeladenen Zellen. Das Ektoderm, welches
oben liegen sollte, ist auf der Zeichnung weggelassen. Zwischen
Ekto- und Entoderm liegen nun im Mesoblast, der sich hier
noch nicht in die Somato- und Splanchnopleura gespalten hat,
die (refässe (L). Der Mesoblast besteht aus spärlichen (Mz), über,
unter und zwischen den Gefässen gelegenen mesenchymatischen
Zellen, die ihren morphologischen Charakter von früher her
unverändert bewahrt haben. Die dünne Wand der Gefässe besteht
aus Endothelzellen (Ed), die nach ihrer inneren Struktur den
sie umgebenden Mesenchymzellen ebenfalls völlig gleichen und
mit ihnen an vielen Stellen auch tatsächlich noch durch Ausläufer
verbunden erscheinen. Sie haben fein retikuläres, leicht basophiles
Protoplasma, einen hellen Kern mit staubförmigen Chromatin-
teilchen und ein paar grosse Nukleolen. Neben dem Kern sieht
man mitunter (Ed, oben) trotz der ungünstigen Form und Lage
464 Alexander Maximow:
der Zellen eine deutliche Sphäre, die nach EAz- oder D-Färbung
einen rosenroten Farbenton annimmt.
Die ersten im Gefässlumen befindlichen Blutzellen (p Blz),
die sich also direkt von den Blutinselzellen ableiten, sind regel-
mässig kugelförmige, glatt konturierte, beim Meerschweinchen oft
amöboide Zellen von etwa 10—11!/s « im Durchmesser. Der
Kern ist gross und nimmt den grössten Teil des Zellkörpers ein,
sodass das Protoplasma nur einen schmalen Saum bildet. Er ist
ebenfalls kugelig oder an der einen Seite leicht eingebuchtet.
In seinem Inneren sieht man feinste im Liningerüst verteilte
blasse Chromatinkörnchen und einen oder mehrere sehr grosse
und deutliche Nukleolen, diesich mit EAz oder D rötlich färben.
Das Protoplasma hat eine äusserst feine und dichte retikuläre
Struktur und ist ziemlich stark basophil — es färbt sich dunkler,
als das Protoplasma der Endothelzellen und Mesenchymzellen. Es
enthält fast stets feinste helle runde Vakuolen, welche einzeln oder
in kleinen Gruppen liegen. Der Kern hat meistens eine etwas
exzentrische Lage, seine eingebuchtete Seite ist dann dem breiteren
Teil des Protoplasmasaumes zugekehrt und hier befindet sich, der
Kernmembran eng anliegend, eine sehr deutliche, meist halbkugel-
förmige, nach E Az oder D rosenrote Sphäre; in ihrer Umgebung
pflegen besonders viele Vakuolen zu liegen. An Eisenhämatoxylin-
Präparaten gewahrt man an Stelle der Sphäre ein typisches
Zentriolenpaar.
Die beschriebenen Zellen vermehren sich selbständig durch
Karyokinese. Man findet in ihnen zahlreiche Mitosen (p Blz‘).
In dem uns jetzt interessierenden Stadium sind diese ersten
Blutzellen alle einander vollständig gleich. Man bemerkt aller-
dings, besonders in etwas späteren Stadien (Kaninchen 9 Tage,
besonders aber Katzenembryonen von entsprechendem Alter), wie
einzelne Zellen sch besonders stark vergrössern und zu Riesen-
formen werden. In ihnen tritt dann in den einen Fällen Kern-
amitose ein, sodass 2—3kernige Zellen entstehen, oder man findet
mehrpolige Mitosen, die sogar manchmal zu richtiger mehrfacher
Protoplasmazerschnürung führen können. Dies sind aber vor-
läufig doch noch sehr seltene Befunde und diese Tendenz zur
Bildung von Riesenformen tritt, wie wir sehen werden, erst in
den späteren Grenerationen der Blutzellen deutlicher hervor.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 465
Die beschriebenen ersten Blutzellen enthalten kein Hämo-
globin. Bei der Präparation des lebenden Embryo sieht man in
der area vasculosa mit blossem Auge keine Spur von Rot-
färbung, ebenso bemerkt man unter dem Mikroskop im frischen
oder in fixiertem, aber ungefärbtem Zustande keine Gelbfärbung
an diesen Zellen. Es ist ja auch schon bekannt, dass z. B. beim
Hühnchen das Hämoglobin in den ersten Blutzellen relativ spät
auftritt. So fand Smiechowski (55), dass das Hämoglobin
sich optisch und chemisch erst in Hühnerembryonen nachweisen
lässt, die schon 12 differenzierte Segmente besitzen. Wulf (68),
der das Hämoglobin speziell mittelst des Spektroskops suchte,
fand die ersten Spuren erst beim Hühnerembryo mit 6 Segmenten,
während das volle Hämoglobinspektrum erst mit 9 Paar Segmenten
erschien. Auch v. d. Stricht (59) findet, dass die ersten Blut-
zellen der Selachier zuerst keinen Farbstoff enthalten und sich
erst später (sämtlich) in rote Blutkörperchen verwandeln. Auch
bei Pappenheim (42) finde ich den Gedanken ausgedrückt, dass
die hämoglobinführenden Erythroblasten, obwohl sie nach seiner
(bis jetzt allgemein angenommenen) Ansicht im embryonalen Blute
eher auftreten, als die Leukozyten, doch aus einer hämoglobin-
freien. farblosen endothelioiden oder grosslymphozytoiden Mutter-
zelle des Mesenchyms entstehen.
Es gibt also sicher ein Entwicklungsstadium bei den
Wirbeltieren. wo bereits freie Blutzellen existieren, Hämoglobin
aber noch nirgends vorhanden ist. Da diese ersten Blutzellen
noch keinen Farbstoff enthalten, darf man sie also auch nicht
rote Blutkörperchen nennen.
Nun behaupten aber fast alle Autoren, dass sich diese
ersten Blutzellen später sämtlich in rote Blutkörperchen ver-
wandeln. Wenn es wirklich so wäre, so hätten wir allerdings
gutes Recht, sie als Erythroblasten zu bezeichnen. So wird es
auch von den Autoren getan. Wie ich aber gleich im folgenden
zeigen werde, entspricht diese Auffassung nicht den Tatsachen.
Die ersten Blutzellen verwandeln sich nicht alle in rote Blut-
körperchen und dürfen also nicht Eıythroblasten genannt werden.
Es fragt sich, ob man sie nicht dann mit dem Namen
„weisse Blutkörperchen“ oder .„Leukozyten“ belegen könnte?
Dem steht auch eigentlich nichts im Wege. Wir sind jedoch
gewohnt, von weissen Blutkörperchen immer im Gegensatz zu
466 Alexander Maximow:
den gleichzeitig und daneben existierenden roten zu sprechen.
Solche gibt es aber noch nicht und deswegen ist auch diese
Bezeichnung meiner Meinung nach, wenigstens für die Säugetiere,
unzweckmässig. Ich halte dafür, dass man den beschriebenen
ersten Blutzellen in der area vasculosa am besten die nichts
präjudizierende Bezeichnung „primitive Blutzellen“ geben soll.
Zu demselben Resultat sind auch Bryce (3) für Lepidosiren
und Dantschakoff (4) für das Hühnchen gekommen. Sie
nennen die ersten hämoglobinlosen Blutzellen des Embryo eben=
falls primitive Blutzellen.
Wie wir gesehen haben, vermehren sich die freien intra-
vaskulären primitiven Blutzellen selbständig durch Mitose.
Es ist nun eine sehr wichtige und interessante Tatsache.
dass ihre Zahl während der beschriebenen Stadien auch noch
auf eine andere Weise zunimmt — man beobachtet nämlich
überall in den Gefässen der area vasculosa eine weitere Neu-
entstehung ganz gleicher Zellen aus den fixen Endothelwandzellen
der primären Grefässe.
Ich habe schon oben notiert, dass die wuchernden Endothel-
zellen sich oft nach aussen in Mesenchymzellen verwandeln:
Dasselbe kann nun auch in umgekehrter Richtung, ins Lumen
hinein erfolgen.
Man sieht fast an jedem Gefässquerschnitt, auch überall an
Flächenpräparaten, wie einzelne Endothelzellen anschwellen und
immer mehr und mehr in das Gefässlumen hineinragen (Fig. 2 m).
Der Zellkörper wird halbkugelig, das Protoplasma färbt sich
dunkler, wird basophiler, in ihm tauchen zahlreiche Vakuolen und
eine grosse Sphäre auf, der Kern bläht sich auf — kurz, es
entstehen Zellen, die mit den primitiven Blutzellen histiologisch
ganz identisch sind. Mit den übrigen Endothelzellen sind sie
zuerst noch an ihrer Basis durch eine feine Protoplasmalamelle
verbunden. Allmählich wölben sie sich aber immer mehr und
mehr ins Lumen vor und schnüren sich an der Basis schliesslich
vollständig ab. Auf diese Weise verwandeln sich die Endothel-
zellen in freie primitive Blutzellen. Während der Abrundung
teilen sich die Zellen sehr oft mitotisch.
Die beschriebene interessante Erscheinung stellt im Grunde
genommen nichts aussergewöhnliches vor — Endothelzelle und
primitive Blutzelle stammen ja, wie wir gesehen haben, aus
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 467
einer (Wuelle, aus den Blutinselzellen. Es sind Schwesterzellen.
von denen die einen platt und fix geblieben, die anderen rund
und frei geworden sind. Wenn nachträglich aus den ersten die
zweiten neu entstehen, so ist dies eben bloss als eine in die
Länge gezogene, verspätete Abrundung der fixen Zellen anzusehen
— es ist derselbe Prozess, der in den Blutinseln selbst schon
von Anfang an ihre Zellen in die inneren, rundlichen und in die
äusseren, platten gesondert hatte.
Die beschriebene Abrundung und Isolierung der Endothelien
der primären Gefässe hat wahrscheinlich auch Schridde (53)
bei seinem jüngsten menschlichen Embryo gesehen. Er behauptet
aber, dass dabei aus dem Endothel direkt rote, hämoglobin-
haltige Zellen, die primitiven Erythroblasten, entstehen. An
meinen Präparaten habe ich das niemals gesehen — es entstehen
aus den Endothelzellen immer nur indifferente, farblose Zellen.
Ich glaube, dass es sich auch im Schriddeschen Fall ebenso ver-
hielt, nur traten wahrscheinlich infolge mangelhafter Konservierung
die Unterschiede zwischen den noch hämoglobinarmen Erythro-
blasten und den Iymphozytoiden primitiven Blutzellen (resp. Lympho-
zyten) nicht deutlich genug hervor.
Ich zögere keinen Augenblick, diesen von mir beim
Kaninchen und anderen Säugern beobachteten Prozess mit dem
von Bonnet (1) beim Schaf beschriebenen Entwicklungsmodus
der Blutzellen zu vergleichen. Dort entstehen die Blut- und
(Grefässanlagen bekanntlich aussergewöhnlich spät in der Nabel-
blasenwand in dem viszeralen Mesoblast und zuerst sollen nach
Bonnet leere Gefässe auftreten, von deren Wand aus dann
durch Wucherung des Endothels freie Blutzellen gebildet werden.
Die verspätete Abtrennung der freien Zellen von der Blut- und
(efässanlage, die beim Kaninchen bloss einen kleinen Teil der
Zellen betrifit, ist also beim Schaf die Regel und alle oder die
meisten Blutzellen entstehen auf diese Weise.
Ich möchte auch hervorheben, dass mit dieser Anschauung
die Äusserungen Rückerts (48, S. 1254) in vollem Einklange
stehen — er sieht in der erwähnten eigentümlichen Besonderheit
der Blutentwicklung beim Schaf auch nur eine durch besondere
Umstände (rasches Wachstum des Eies) hervorgerufene zeitliche
Verschiebung der einzelnen Phasen der Sonderung des gemeinsamen
468 Alexander Maximow:
indifferenten Materials der Blut- und Gefässanlagen in freie und
fixe Zellen.
Die Kritik, der Saxer (49, S. 463) die Bonnetschen
Befunde beim Schaf unterwirft, ist nicht stichhaltig; er selbst
verfügte ja gar nicht über entsprechende frühe Entwicklungs-
stadien.
Endlich möchte ich noch notieren, dass auch bei den niederen
Wirbeltieren die Bildung der primitiven Blutzellen aus dem
Gefässendothel vielleicht viel häufiger vorkommt, als man es
jetzt annimmt. Einige diesbezügliche Angaben finde ich bei
Bryce (3) und ferner schreibt auch Mollier (48, S. 1070),
dass bei urodelen Amphibien in den Gefässen platte Endothel-
zellen in gerundete Blutzellen übergehen.
Der beschriebene Prozess der Verwandlung der Endothel-
zellen in primitive Blutzellen in der area vasculosa dauert nicht
lange. Bei einem Kaninchenembryo von 9!/s Tagen finde ich
von ihm keine Anzeichen mehr.
Auf Grund der dargelegten Tatsachen komme ich also zum
Schluss, dass die ersten zelligen Elemente des Blutes, die
primitiven Blutzellen, indifferente, freie, runde Mesenchymzellen
vorstellen.
Die area vasculosa breitet sich allmählich an ihrer Peri-
pherie aus. Dieses Wachstum geschieht nicht mehr auf Kosten
einer Bildung neuer Blutinseln nach aussen vom Sinus terminalis,
sondern die Sache verläuft, wie es scheint, ungefähr in der Weise,
wie es Bonnet für das Schaf beschreibt (l. c. S. 334), nämlich
so, dass die peripherisch vordringenden Mesoblastzellen sich zu
engen leeren Röhren vereinigen, die sich dann durch Flüssigkeits-
ansammlung rasch erweitern. Beim Kaninchen finde ich aber im
(regensatz zu Bonnet, dass das Lumen dieser neu entstehenden
Getässe schon von Anfang an nur von mesoblastischen Zellen
begrenzt erscheint. In diese neuen Gefässe gelangen die
wuchernden primitiven Blutzellen aus den älteren, zentraler
gelegenen Gefässen, mit denen die neuen ja von Anfang an
kommunizieren. Wie gesagt, hört der Prozess der Neubildung
von primitiven Blutzellen aus dem Endothel der Dottersack-
gefässe bald auf und in den neu entstehenden peripheren
Abschnitten der area vasculosa werden also neue primitive Blut-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 469
zellen wahrscheinlich nicht mehr aus fixen Zellen gebildet.') Die
peripherische Ausbreitung der area vasculosa dauert ja übrigens
noch zu der Zeit fort, wo in ihren Gefässen überhaupt schon
keine primitiven Blutzellen mehr existieren (siehe weiter unten).
5. Die Differenzierung der primitiven Blutzellen im
Gefässnetz der area vasculosa in primitive Erythro-
blasten und in Lymphozyten.
Zum Studium dieses weiteren wichtigen Stadiums der
embryonalen Blutbildung kann die area vasculosa von Kaninchen-
embryonen von 9'/s—11 Tagen dienen. Ein ganz entsprechendes
Stadium bei der Katze findet man bei Embryonen von etwa
5—7 mm Länge, bei der Ratte bei Embryonen von 5 mm.?)
Bei allen untersuchten Säugern fand ich fast genau dieselben
Erscheinungen.
Besonders lehrreich sind gerade für diese Periode Flächen-
präparate. Die Zeichnung Fig. 3 auf Taf. XVIII ist nach einem
solchen, von einem Kaninchenembryo von 11 Tagen herrührenden
Präparat gezeichnet. Am prägnantesten treten die im folgenden
beschriebenen Erscheinungen beim Kaninchen gerade zu dieser
Zeit hervor — unmittelbar vor dem Übergang zum nächsten
Stadium. Bei jüngeren Kaninchenembryonen, etwa nach 9'/»
oder 10 Tagen, ist das mikroskopische Bild der Blutzellen in
der area vasculosa noch nicht so scharf ausgeprägt, es steht
dem im vorigen Abschnitt beschriebenen noch mehr weniger
nahe und entwickelt sich allmählich weiter.
Wir finden jetzt in den Gefässen der area vasculosa (Taf. XVIIL,
Fig. 3) nicht mehr eine einzige einfache Zellart, die primitiven
Blutzellen, sondern zwei sehr distinkte, sich voneinander scharf
unterscheidende Zellarten. Sie sind beide aus den primitiven
') Die nach Bonnet (1) fortdauernde Ablösung der Endothelien finde
ich auch in den späteren Stadien in den Dottersackgefässen, aus ihnen gehen
aber dann, wie wir weiter unten sehen werden, nur phagozytische Zellen
hervor.
”) Beim Meerschweinchen geschieht die beschriebene Differenzierung
der primitiven Blutzellen besonders früh — bei Embryonen mit bloss 3 Paar
Ursegmenten sieht man in der area vasculosa schon hämoglobinhaltige Zellen
auftreten
470 Alexander Maximow:
Blutzellen entstanden, durch Wucherung und differenzierende
Entwicklung in zwei verschiedenen Richtungen.
Der eine Teil der primitiven Blutzellen, und zwar entschieden
der grössere, verwandelt sich in hämoglobinhaltige Elemente. Die
Zellen behalten die kugelige Form (pEbl). ihre Konture sind
noch regelmässiger und glätter geworden. Die (Grösse entspricht
im allgemeinen der Grösse der primitiven Blutzellen, schwankt
aber innerhalb gewisser Grenzen. Der Kern ist bei der vorher-
gegangenen Vermehrung relativ kleiner geworden, er ist stets
auch regelmässig kugelförmig oder höchstens leicht oval, in
seinem Innern sieht man jetzt im zierlichen Liningerüst deutliche,
kleine, eckige, ziemlich regelmässig verteilte Chromatinteilchen
und einen oder mehrere grosse echte Nukleolen. Das Proto-
plasma wird homogen, erscheint am frischen und ungefärbten
Präparat leicht gelblich, an ZFD-Präparaten erhält es einen
violetten oder rötlichen Ton. Es ist klar, dass es sich um eine
Ausarbeitung von Hämoglobin im Protoplasma handelt. Vorerst
ist aber seine Menge noch ziemlich gering. \on der Sphäre
sieht man meistens gar nichts mehr. Nur bei verzögerter Ver-
wandlung einzelner primitiver Blutzellen in solche hämoglobin-
haltige Elemente, wie dies besonders bei der Katze oft der Fall
ist, kann man auch im schon hämoglobinhaltigen Zellleib am
Kern einen blassen Hof, die allmählich undeutlich werdende
Sphäre erkennen. Nach Eisenhämatoxylinfärbung findet man
übrigens doch die Zentriolen, auch in den späteren Stadien. wo
die Zellen schon viel hämoglobinreicher sind.
Die beschriebenen Zellen wuchern energisch weiter, man
findet überall Mitosen in ihnen (pEbl‘), die sich von den Mitosen
der anderen Zellen sofort durch die deutliche rötliche Färbung
des Zellkörpers an ZF D-Präparaten unterscheiden. Es kommen
auch in diesen Zellen manchmal mehrpolige Mitosen vor. In den
embryonalen Hämoglobinzellen sind solche bekanntlich auch von
anderen Autoren (z. B. Saxer) beobachtet worden, allerdings ‘in
späteren Stadien. Nicht selten findet man auch degenerierende
Exemplare (y).
Die beschriebenen Zellen sind die ersten roten Blutkörperchen
des Embryo.
Wie soll man diese Zellen nennen? Es sind junge, noch
unfertige, noch wuchernde rote Blutzellen; aus diesem Grunde
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 41
können sie nur als „Erythroblasten“ bezeichnet werden. Aus
der weiteren Schilderung werden wir aber erfahren, dass sie
auch in ihren späteren, reiferen (senerationen doch nicht für
immer bleiben, sondern dass sie allmählich durch vollkommnere,
anders geartete und anders entstehende rote Blutzellen ersetzt
werden. Deswegen verdienen sie den Namen „primitive“. Die
passendste Bezeichnung für sie ist also „primitive Erythroblasten“.
Im embryonalen Blut der Säuger unterscheidet neuerdings
auch Jolly (20) primitive Erythrozyten von endgültigen, welch
letztere die ersteren schliesslich verdrängen sollen. Er scheint
aber das Erscheinen der sekundären Erythroblasten mit dem
Beginn der Blutbildung in der Leber in Beziehung zu setzen,
was, wie wir noch sehen werden, nicht immer richtig ist. Beim
Hühnchen hat ferner in jüngster Zeit Dantschakoff (4,5a) das
sehr frühe Auftreten von besonderen Hämoglobinzellen bewiesen,
die nachher auch allmählich durch andere, vollkommenere ersetzt
werden: sie nennt sie ebenfalls primitive Erythroblasten. Schon
früher hatte endlich Bryce (3) bei Lepidosiren die zu allererst
entstehenden roten Zellen. die sich von den späteren auch
bedeutend unterscheiden, mit demselben Namen belegt.
Der andere, kleinere Teil der primitiven Blutzellen bleibt
hämoglobinlos und verändert sich in ganz anderer Weise. Die
Zellen bleiben natürlich auch frei und in der Grundform kugelig,
ihr Protoplasma erhält aber die Fähigkeit der amöboiden
Bewegung und infolgedessen sieht man überall an der Oberfläche
des Zellleibes feine, zipfelförmige Pseudopodien auftreten (Fig. 3.
Emz). Nicht selten findet man die Zellen auch der Endothel-
wand der (Gefässe von innen anliegend und auf derselben
kriechend (Lmz unten), wobei sie sich oft in die Länge ziehen
und grössere lappenförmige Fortsätze entsenden. Die (Grösse
der Zellen variiert ebenfalls infolge von ungleichmässig, schubweise
erfolgender Wucherung: es gibt sehr grosse Zellen (bis 13 «)
und sehr kleine (bis 6.5 «), während der mittlere Durchmesser
etwa 9,5 u beträgt. Diese Grössendifferenzen haben übrigens
keine Bedeutung. denn sie stellen für jede gegebene Zelle nichts
konstantes vor.
Das amöboide Protoplasma der Zellen behält den fein-
retikulären, sehr dichten Bau des Protoplasmas der primitiven
Blutzellen und seine Basophilie steigert sich noch bedeutend,
472 Alexander Maximow:
sodass die Zellen an ZFD-Präparaten schon bei schwacher Ver-
grösserung durch ihre tiefblaue Färbung auffallen. Ebenso, wie
in den primitiven Blutzellen, sieht man auch jetzt im Zellleib
fast stets feine runde helle Vakuolen einzeln oder in Gruppen
liegen. Das Protoplasma nimmt nicht an Masse zu und bildet
immer einen relativ sehr schmalen, den Kern umgebenden Saum.
Der Kern ist nicht regelmässig rund, wie in den primitiven
Erythroblasten, sondern seine Oberfläche weist Unebenheiten auf
und besitzt immer an einer Seite eine tiefere dellenförmige
Einsenkung. Die innere Kernstruktur entspricht meist vollkommen
den Kernen der primitiven Blutzellen — dieselben feinen blassen
staubförmigen Chromatinteilchen, dieselben dicken. eckigen
Nukleolen. Der Kern erscheint immer heller, als das Proto-
plasma. Die Lage des Kerns ist stets exzentrisch, soweit dies
durch die geringe Protoplasmamenge ermöglicht wird: die Delle
an der Kernoberfläche ist stets dem breiteren Teil des Proto-
plasmasaumes zugekehrt und hier befindet sich die jetzt noch viel
deutlicher gewordene Sphäre. Die Zellen wuchern selbständig
weiter und ihre Mitosen (Fig. 3, Lmz‘) zeichnen sich durch die
sehr dunkle Färbung des Zellleibes aus; die Pseudopodien werden
dabei immer eingezogen.
Es fragt sich nun: welcher uns sonst bekannten Zellart
entsprechen die beschriebenen Elemente? Im glaube, ein jeder
wird mir zugeben, dass sie ihrem morphologischen Charakter
nach den sogenannten „grossen Lymphozyten“ äusserst nahe
stehen oder sogar mit ihnen identisch sind. Es sind farblose,
indifferente, amöboide, mesenchymatische Zellen mit schmalem,
basophilem Plasma und hellem, nukleolenhaltigem Kern, es sind
unzweifelhafte farblose Blutkörperchen, es sind die ersten Leuko-
zyten des Embryo.
Die hämatologische Terminologie muss unbedingt vereinfacht
werden. Ich finde es deswegen unzulässig, diesen Zellen eine
neue Bezeichnung zu geben — ich selbst will sie im folgenden
einfach nach ihrem Aussehen Lymphozyten nennen. Wenn ich
dies tue, so bin ich mir allerdings dessen wohl bewusst, dass
dieser Name eigentlich gar keinen Sinn hat, denn mit Lymphe
und Iymphoidem Gewebe haben die beschriebenen Zellen des
Embryo ja nichts zu tun. Ebenso unpassend seinem philo-
logischen Sinne nach ist übrigens, wie ich glaube, der
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 475
Name Lymphozyt für die betreffenden Zellen auch im er-
wachsenen Organismus. Dieses Wort hat sich aber nun
einmal fest eingebürgert und man verbindet mit ihm einen
ganz bestimmten histiologischen Begriff. Aus diesem Grunde
finde ich es, wie gesagt, vorläufig am zweckmässigsten, in die
so wie so überreiche hämatologische Terminologie keine neue
Bezeichnung einzuführen und beim alten Namen „Lymphozyt“
zu bleiben. !)
Auf die oben beschriebene Weise entstehen also im Säugetier-
embryo die ersten Leukozyten, die Lymphozyten. Sie entstenen
zu gleicher Zeit und aus derselben Quelle, wie die primitiven
Erythroblasten. Während die letzteren eine speziell differenzierte
Zellart vorstellen, bleiben die Lymphozyten für immer in indifferentem
Zustand. Ebenso, wie die primitiven Blutzellen, von welchen sie
direkt abstammen, sind es indifferente, abgerundete, amöboide
Mesenchymzellen.
Wir haben gesehen, dass die ersten Leukozyten, die Lympho-
zyten. sich bei den Säugern morphologisch von den primitiven
Blutzellen unterscheiden. Bei anderen Wirbeltieren scheint das
anders zu sein, und diese Tatsache hat eine grosse Bedeutung.
Beim Hühnerembryo sind z. B. nach Dantschakoff (4, 5a) die
Lymphozyten, die auf dieselbe Weise in der area vasculosa ent-
stehen. wie bei den Säugern, von den primitiven Blutzellen
morphologisch kaum zu trennen. Diese letzteren sind hier eben-
falls schon amöboid, stark basophil usw. Dantschakoff weist
infolgedessen, wie ich glaube, mit Recht darauf hin, dass beim
Hühnchen eigentlich schon die primitiven Blutzellen Lymphozyten
genannt werden könnten. Beim Hühnchen würden also, entgegen
der allgemein angenommenen Ansicht, weisse Blutkörperchen sogar
früher entstehen, als rote. Beim Säugerembryo ist das, wie
gesagt, etwas anders, aber auch hier kann keine Rede davon sein,
dass die roten Blutkörperchen zuerst entstünden. Im Gegenteil,
wir hätten auch hier viel mehr Recht zu sagen, dass zuerst
Leukozyten entstehen und erst später die ersten Roten. Denn
die primitiven Blutzellen sind ja jedenfalls als abgerundete Mesen-
chymzellen, als hämoglobinlose Zellen Leukozyten weit ähnlicher,
‘) Anmerk. b. d. Korrektur: Neuerdings (Folia hämatologica, Bd. 6, H.3,
S. 217) schlägt Pappenheim für die Stammzelle der Blutelemente den
Namen „Lymphoidozyt“ vor.
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 73. 31
474 Alexander Maximow:
als roten Blutzellen. Es ist jedoch besser, wenn wir, wie ich es
schon oben erörtert habe, die ersten Blutzellen einfach primitive
Blutzellen nennen. Sie spalten sich dann in zwei Stämme, die
primitiven Erythroblasten und die Lymphozyten. Dies kann durch
folgendes Schema illustriert werden:
Primitive Blutzellen
primitive Erythroblasten Lymphozyten.
Beim Beginn der Spaltung in die zwei neuen Zellstämme
(Kaninchen 9!/z Tage) sieht man stets ganz deutlich, dass in den
Gefässen der area vasculosa die primitiven Erythroblasten viel
zahlreicher sind, als die Lymphozyten. Das hängt, wie schon
gesagt, davon ab, dass die primitiven Blutzellen sich zum grössten
Teil eben in primitive Erythroblasten verwandeln. Sehr bald
ändert sich aber das Zahlenverhältnis. In die Zirkulation werden,
wie wir weiter unten sehen werden, fast ausschliesslich die primi-
tiven Erythroblasten hinausgesandt. Die Lymphozyten werden in
den blutbildenden Gefässräumen der area vasculosa zurückgehalten.
Sie wuchern hier ausserdem weiter und infolgedessen wächst ihre
Zahl im Vergleich mit der Zahl der hier befindlichen primitiven
Erythroblasten mit der Zeit. z. B. zum Stadium von il Tagen beim
Kaninchen, ganz bedeutend. An vielen Stellen sieht man sie
sogar entschieden über die letzteren dominieren, besonders in
den engeren Kapillaren.
Beim Kaninchen vollzieht sich die Verwandlung der primi-
tiven Blutzellen in die beiden neuen Zellstämme ziemlich rasch.
An Stelle der primitiven Blutzellen treten meistens fast plötzlich
die Lymphozyten und primitiven Erythroblasten. Bei der Katze
scheint diese Verwandlung langsamer zu verlaufen — hier sieht
man infolgedessen noch während längerer Zeit ausser den typischen
primitiven Erythroblasten und Lymphozyten auch mehr oder
weniger unveränderte primitive Blutzellen, die sich nur sehr
langsam dem einen oder dem anderen Typus nähern. Viele von
ihnen neigen gerade jetzt zum Riesenwuchs und geben atypischen
Megakaryozyten oder protoplasmareichen mehrkernigen Riesen-
zellen Ursprung. Bei der Katze scheint ein Teil der primitiven
Blutzellen auch in der Beziehung eine atypische Entwicklungs-
richtung einschlagen zu können, dass sie, ohne deutliche Mengen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 475
von Hämoglobin auszuarbeiten und ohne sich andererseits in
typische Lymphozyten zu verwandeln, als solche altern und sich
in grosse, protoplasmareiche, schwach basophile Zellen mit relativ
sehr kleinem und dunklem rundem Kern verwandeln. Solche
gealterte primitive Blutzellen findet man besonders oft im zirku-
lierenden Blut (z. B. bei Katzenembryonen von 5—7 mm) zwischen
den primitiven Erythroblasten und sie bleiben mit besonderer
Vorliebe zusammen mit den Megakaryozyten und mehrkernigen
Riesenzellen in den Kapillaren am Gehirn stecken.
Ausser den Lymphozyten und primitiven Erythroblasten findet
man in den (efässen der area vasculosa in den beschriebenen
Stadien auch noch eine andere Zellart (Fig. 3 Edph). Es sind
meist kleine, lebhaft amöboide Zellen mit zackigem Kontur,
blassem, sehr schwach basophilem, meist vakuolisiertem Proto-
plasma und einem kleinen, unregelmässig geformten, gefalteten
blassen Kern mit kleinen Nukleolen. Sie sind noch sehr spärlich,
man bemerkt aber schon jetzt, dass sie als Phagozyten degene-
rierenden Zellresten gegenüber funktionieren. Wir werden sehen,
dass sie in späteren Stadien noch viel zahlreicher werden.
Vorläufig will ich bloss bemerken, dass es keine besondere
Zellart ist — es ist eine durch funktionelle Ursachen bedingte
Abart der Lymphozyten. Man findet in der Tat auch schon jetzt
nicht selten Übergangsformen von den letzteren zu den blassen
Phagozyten. Die Phagozyten können aber ausserdem auch neu
aus dem Gefässendothel entstehen. Sie sind morphologisch den
weiter unten beschriebenen Wanderzellen im Mesenchym äusserst
ähnlich.
Es taucht unwillkürlich die Frage auf, warum die früheren
Autorer, die die embryonale Blutentwicklung beim Säugetier in
den entsprechenden Stadien untersuchten, speziell ein so aus-
gezeichneter Beobachter wie v. d. Stricht (58, 60, 61), die
Lymphozyten in den Gefässen der area vasculosa nicht gesehen
haben. Dies hängt nun sicherlich von der angewandten Fixierungs-
und Färbungsmethodik ab. Es ist eine Leichtigkeit, sich davon zu
überzeugen, dass bei Fixation mit Flemmingscher, Hermann-
scher oder sogar gewöhnlicher Zenkerscher Lösung die morpho-
logischen Besonderheiten der primitiven Erythroblasten und
Lymphozyten äusserst leicht verwischt werden, und wenn darin
noch eine gewöhnliche Färbung, z. B. mit Safranin oder Häma-
Salz
476 Alexander Maximow:
toxylin oder dergleichen angewandt wird. können die beiden Zell-
arten gar nicht mehr voneinander unterschieden werden.
Beim Hühnchen gibt es nach Dantschakoff (4) in der
area vasculosa von Anfang an auch extravaskulär gelegene Lympho-
zyten, die zum Teil direkt von primitiven Blutzellen abstammen, die
ausserhalb der Blutinseln liegen geblieben sind, zum Teil aus
den Gefässen ausgewandert oder durch nach aussen gerichtete
Wucherung der Endothelzellen entstanden sind. Sie entwickeln
sich zu granulierten Leukozyten. Bei den Säugetieren tritt diese
Erscheinung ganz zurück. Beim Kaninchen findet man nur sehr
selten an der äusseren Oberfläche der Gefässwände (Fig. 3 Lwz)
in den Substanzinseln freie amöboide Zellen von Lymphozyten-
charakter — sie entstehen hier wahrscheinlich auch durch
Endothelwucherung, wobei die Teilprodukte nach aussen als freie
Zellen gelangen. Bei der Katze sind sie zahlreicher und geben
hier im folgenden, wie ich es in einer späteren Arbeit beschreiben
werde, kleinen extravaskulären Erythroblastenherden Ursprung.
Eine Einwanderung der extravaskulären Lymphozyten in das
Entoderm, wie es Saxer (49) beim Schaf gesehen hat, konnte
ich nicht finden. Überhaupt haben diese extravaskulären Lympho-
zyten in der area vasculosa bei den Säugetieren keine grosse
Bedeutung; granulierte Leukozyten gehen hier aus ihnen nie-
mals hervor.
6. Die weitere Entwicklung der blutbildenden
Prozesse im Gefässnetz der Dottersackwand und
die Entstehung der definitiven Erythroblasten.
Zum Studium dieser Prozesse sind eigentlich alle auf die
bisher untersuchten folgenden Stadien bis zur beginnenden Ver-
ödung des Dottersacks zu brauchen. In der vorliegenden Arbeit
beschränke ich mich aber nur auf die Beschreibung der früheren
Stadien, etwa bis zum 14. Tage beim Kaninchen, bis zur Körper-
länge von 1 cm bei der Katze und von 8 mm beim Meerschweinchen.
Die neue Phase der Blutbildung, die durch das Auftreten
der definitiven Erythroblasten charakterisiert ist, wird allmählich
angebahnt. Ihre ersten Anzeichen merke ich bereits in der area
vasculosa eines Kaninchenembryo von 11'/» Tagen; nach 12 Tagen
ist sie schon stark entwickelt, nach 13 Tagen hat sie das mikro-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe 477
skopische Bild des (Gefässinhaltes in der area vasculosa schon
ganz verändert.
Die Fig. 4 auf Taf. XVII stellt einen kleinen Gefässabschnitt
der‘ Dottersackwand eines 13'/2-tägigen Kaninchenembryo vor.
Hier sind die Gefässlumina überall mit zahllosen dicht gedrängten
verschiedenartigen Zellen erfüllt, die ein überaus buntes Bild
darbieten.
Zuerst wollen wir sehen, was aus den beiden früher vor-
handen gewesenen Zellformen geworden ist — den primitiven
Ervthroblasten und den Lymphozyten.
Die primitiven Erythroblasten sieht man auch jetzt überall
in wechselnden Mengen in dem (sefässnetz der area vasculosa
(Fig. 4 pEbl. Während sie aber früher die grösste Mehrzahl
aller vorhandenen Elemente ausmachten, treten sie jetzt in den
eigentlichen Kapillaren des Dottersackgefässnetzes an Zahl ganz
zurück.
Sie zeichnen sich nach wie vor durch bedeutende Dimensionen
aus (10,5 bis 12,5 a), es kommen nur verhältnismässig geringe
Schwankungen in dieser Beziehung vor.!) Die Form ist aber jetzt
nicht immer regelmässig kugelig, sondern manchmal etwas unregel-
mässig und namentlich findet man sehr oft Formen, die mit dicken,
stark bikonvexen Linsen verglichen werden können (Fig. 4pEbl
rechts) und auch in dieser Beziehung ausserordentlich an die
primitiven Erythroblasten des Hühnerembryo (Dantschakoff)
erinnern. Wenn die Zellen zwischen anderen benachbarten liegen,
werden sie oft bedeutend deformiert. Das Protoplasma ist voll-
kommen homogen. In frischem und ungefärbtem Zustande hat
es eine intensive gelbgrünliche Farbe. An ZFD-Präparaten
(Fig. 4 pEbl) erscheint es intensiv rosenrot oder orangenrot ge-
färbt. Es enthält also viel mehr Hämoglobin als früher. Der
oft exzentrisch gelegene Kern ist noch viel kleiner geworden, als
früher, er ist rund oder oval, in seinem Inneren sieht man ein
Liningerüst mit kleinen, undeutlich begrenzten, ziemlich blassen
Chromatinteilchen an den Knotenpunkten und einem oder zwei
kleinen blassen Kernkörperchen. Auch jetzt findet man noch
!‘, Beim Meerschweinchen sind die Schwankungen grösser und es
kommen speziell auch primitive Erythroblasten von vorübergehend kleineren
Dimensionen vor.
4785 Alexander Maximow:
gelegentlich Mitosen in diesen hämoglobinreichen primitiven
Erythroblasten, aber lange nicht so häufig wie früher.
Manchmal, obzwar selten, kommen Riesenexemplare dieser
Zellart vor, deren Durchmesser beinahe das Doppelte des gewöhn-
lichen erreicht. Auch der Kern ist in solchen Zellen ungewöhnlich
gross und hat meistens unregelmässige zerschnürte Formen.
Es fällt sofort auf, dass die primitiven Erythroblasten sich
von allen anderen vorhandenen Zellen äusserst scharf unter-
scheiden, mit ihnen durch keinerlei Übergangsformen verbunden
sind und also einen vollständig isolierten, spezifischen Zellstamm
vorstellen.
Mit der Zeit, in den späteren Stadien, die ich in einer
anderen Arbeit besprechen werde, erlöscht die Wucherungsfähig-
keit der primitiven Erythroblasten vollkommen. Auch in Stadium
von 13'/» Tagen gibt es schon Exemplare, die nicht mehr teilungs-
fähig sind und nur noch als „Hämoglobinträger“ funktionieren. Die
Kerne dieser Zellen werden besonders klein, die Chromatinteilchen
rücken näher aneinander, der Kern als Ganzes färbt sich dunkler und
erleidet dabei merkwürdige Formveränderungen — er zerschnürt
sich in zwei oder mehrere Teile, die sich aber nicht ganz von-
einander loslösen, sondern nur hantel- oder kleeblattförmige
Figuren zustande bringen (Taf. XX, Fig. 33pEbl). Auffallend ist
die Tatsache, dass man solche Kernfiguren in sonst vollkommen
gleichen Präparaten von verschiedenen Embryonen desselben Alters
durchaus nicht immer in derselben Häufigkeit findet. Das eine Mal
sind sie sehr zahlreich, das andere Mal fehlen sie fast vollständig.
Ähnliche Erscheinungen am Kern der Erythroblasten sind be-
kanntlich schon von einigen Autoren beobachtet worden, so z. B.
von Weidenreich (64); speziell in den primitiven Erythro-
blasten (Metrozyten II. Generation) hat sie vor kurzem auch
Jost (22) erwähnt. Es sind vielleicht Alterserscheinungen an
nicht mehr teilungsfähigen Kernen. Solche klein- und dunkel-
kernige primitive Erythroblasten werden allerdings meistens in
dem zirkulierenden Blut getroffen, während in den blutbildenden
Kapillaren der Dottersackwand die jüngeren Formen zurück-
gehalten werden.
Die primitiven Erythroblasten erfüllen ihre physiologische
Pflicht als Hämoglobinträger in Form von echten kernhaltigen
Zellen. Sie zeigen im allgemeinen sehr wenig Neigung zur Ent-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 479
kernung und bleiben zum grössten Teil bis zu ihrem Untergange
kernhaltig. Schliesslich kann aber auch bei ihnen doch Entkernung
eintreten (Meerschweinchen). Sie verläuft bei den verschiedenen Tier-
arten in etwas verschiedener Weise. Beim Kaninchen schrumpft ın
solchen Zellen, die übrigens in den Stadien, die ich jetzt be-
schreibe, noch sehr selten sind, der Kern ganz zusammen, er
wird pyknotisch, färbt sich sehr dunkel, zerfällt manchmal in
einzelne kleine Partikelchen (Fig. 4 pEbl‘) und tritt dann ın
diesem degenerierten Zustande aus der Zelle heraus — es ent-
stehen dann grosse, unregelmässig geformte, sehr hämoglobin-
reiche kernlose rote Blutkörperchen, die man primitive Erythrozyten
nennen kann (Fig. 4 pErz). Bei der Katze wird der Kern der
primitiven Erythroblasten während der Degeneration, wie dies
auch schon von Jolly (20) bemerkt worden ist. allmählich
oxyphil — er färbt sich immer schwächer und schwächer mit
den basischen Anilinfarben. Beim Meerschweinchen sammelt sich
sein Chromatin an der Membran an, während das Kerninnere von
oxyphiler Substanz eingenommen wird. Solche degenerierende
Kerne bekommen hier dann an ZFD-Präparaten das Aussehen von
Blasen mit dunkelblauer Wand und rotem Inhalt und können
sich in diesem Zustande sogar noch bedeutend vergrössern. ')
Die weiteren Schicksale der primitiven Erythroblasten und
Erythrozyten werde ich, wie gesagt, in einer anderen Arbeit
besprechen. Vorläufig möge nur noch bemerkt werden, dass sie
schliesslich allmählich aussterben und durch die neuen, definitiven
Erythroblasten zuerst aus dem blutbildenden Organ, der Dotter-
sackwand, dann auch aus dem zirkulierenden Blut verdrängt werden.
Einzelne degenerierende Exemplare von primitiven Erythro-
blasten findet man in allen, selbst den frühesten Stadien in den
Kapillaren des Dottersacks und mit der Zeit werden sie hier
noch zahlreicher. Solche degenerierende Zellen werden von den
weiter unten beschriebenen intravaskulären Phagozyten gefressen.
Übrigens werden von den letzteren mitunter auch scheinbar ganz
!) Wenn solche Kerne aber austreten, was beim Meerschweinchen die
Regel ist, so färben sie sich sofort im ganzen dunkelblau; ihre z. T. rote
Färbung innerhalb der Zelle wird also vornehmlich davon abhängen, dass
sie hier von einer dicken Schicht hämoglobinhaltigen Plasmas umgeben sind.
Es ist möglich, dass viele von den Bildern des sogenannten „intrazellulären
Kernschwundes“ sich gerade dadurch erklären lassen.
480 Alexander Maximow:
normale primitive Erythroblasten verschlungen, ebenso wie dies
in den Lebergefässen geschieht (siehe weiter unten).
Die primitiven Erythroblasten resp. Erythrozyten sind von
den meisten Autoren, die die embryonale Blutbildung beim Säuger
studierten, gesehen worden. Einige haben sie allerdings von den
definitiven Erythroblasten nicht scharf unterschieden, so erst
neuerdings Goodall (14), der, wie es scheint, gerade die
primitiven Erythroblasten überall in embryonalen Geweben findet,
sie aber fälschlicherweise als Megaloblasten beschreibt. Engel
(7—12) hat sie aber schon längst als eine besondere Zellart
erkannt und unter dem Namen „Metrozyten I. (die jüngeren gross-
kernigen Formen) und II. Generation“ (die älteren kleinkernigen
Formen) beschrieben. Er stellt sich ihre weitere Entwicklung,
wie ich oben schon erwähnt habe, als sehr kompliziert vor —
sie sollen sich zum Teil in Leukozyten, zum Teil in die end-
gültigen Roten verwandeln — diese Resultate erklären sich aber
sicherlich durch die von Engel gebrauchte unzweckmässige
Technik. Giglio Tos (13) beschreibt die primitiven Erythro-
blasten als „granulierte Erythrozyten“ — ich glaube aber, dass
seine „Hämoglobin erzeugenden Granula“ im Leben gar nicht
existieren, denn sowohl im frischen Zustande, als auch nach
guter Fixierung ist der Zellleib dieser Zellen stets homogen.
Auch in der Mitteilung von Schridde (53) werden besondere,
zuerst auftretende, angeblich direkt von Gefässwandzellen stammende
grosse Hämoglobinzellen als primäre Erythroblasten erwähnt.
Endlich ist hier auch die neue grosse Arbeit von Jolly (20) zu
zitieren; er beschreibt die ersten Hämoglobinzellen des Säugetier-
embryo (allerdings in ziemlich späten Stadien) als „hematies
primordiales“ und bezeichnet sie in zutreffender Weise als eine
ganz besondere Zellgeneration, die direkt von den Elementen der
Blutinseln abstammt und zu den definitiven Erythroblasten in
keiner genetischen Beziehung steht.')
Die Lymphozyten sehen jetzt ganz so aus wie früher
(Fig. 4 Lmz). Vielleicht ist nur der Unterschied im Vergleich
') Ich glaube aber, dass die auf seiner Zeichnung Fig. 7. S. 205 unter a
abgebildete Zelle kein primitiver Erythroblast ohne Hämoglobin ist, wie es
Jolly will, sondern ein junger, eben aus einem grossen Lymphozyten ent-
standener definitiver Megaloblast. Bei so alten Embryonen, wie der betreffende
(Kaninchen 17 mm), gibt es nämlich gar keine jungen hämoglobinarmen
primitiven Erythroblasten mehr.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 481
mit den vorhergehenden Stadien zu notieren, dass sie jetzt nicht
mehr so feine zipfelförmige, sondern breitere, massigere Pseudo-
podien bilden. Viele befinden sich auch in vollständig ruhendem
Zustand und besitzen im Präparat keine Fortsätze. Im Proto-
plasma sieht man stets grössere und kleinere helle Vakuolen.
Die Lymphozytenmitosen sehen auch ebenso aus wie früher.
Die Grösse der Lymphozyten ist auch jetzt sehr verschieden ;
es kommen wahre Riesenformen vor, andererseits wieder ganz
winzige Exemplare. Diese Grössendifferenzen haben aber keine
besondere Bedeutung, denn sie hängen wohl nur von der Zeit ab,
die seit dem Moment der letzten stattgefundenen Teilung der
betreffenden Zelle verstrichen ist und werden durch das Wachs-
tum der Zellen wieder ausgeglichen. Qualitativ sind die Lympho-
zyten jedenfalls alle gleich.
Die Zahl der Lymphozyten ist in den blutbildenden Kapillaren
der Dottersackwand, trotz ihrer fortwährenden Verwandlung in
andere Zellen (siehe weiter unten). ausserordentlich gross geworden.
Sie bilden jetzt meistens dichte Gruppen, in welchen die ein-
zelnen Zellen durch gegenseitigen Druck oft polyedrische Formen -
annehmen und welche in den breiteren Gefässteilen entweder
frei im Lumen liegen, oder der Endothelwand anhaften. In den
engeren Kapillaren sieht man sie sich in besonders grossen
Mengen anhäufen, sodass solche Kapillaren (besonders beim Meer-
schweinchen) durch Lymphozyten vollständig verstopft werden
und an ZFD-Präparaten schon unter ganz schwacherVergrösserung
als dunkelblaue netzförmig verbundene Streifen auffallen.
Degenerierende Exemplare sind unter den Lvmphozyten
sehr selten.
Ausser den primitiven Erythroblasten und den Lymphozyten
sehen wir in den uns jetzt interessierenden Stadien noch eine
neue Zellart auftreten. Wie gesagt, erscheint sie beim Kaninchen
schon nach 11'/» Tagen; nach 13 Tagen sind die neuen Zellen
massenhaft vorhanden und übertreffen an Zahl sowohl die primi-
tiven Erythroblasten, als auch die Lymphozyten.')
Die neuen Zellen (Fig. 4 Mlb“, Mlib, Nmb‘, Nmb) gehen
durch Wucherung und Differenzierung aus einem Teil der
Nachkommen der Lymphozyten hervor. An jeder Stelle eines
!; Beim Meerschweinchen erscheinen sie bei einer Körperlänge von
etwa 5—6 mm.
482 Alexander Maximow:
Fläehenpräparates der Dottersackwand findet man äusserst klare
histiologische Bilder, die den genannten Prozess illustrieren.
Zuerst entstehen aus den grossen basophilen amöboiden
Lymphozyten (Lmz) durch eine Reihe von Teilungen Zellen, die
sich von ihnen qualitativ noch ziemlich wenig unterscheiden
(Mlb‘). Sie liegen meistens in grossen, dichten Haufen bei-
sammen; jeder Haufen stellt eine an Ort und Stelle durch
Wucherung eines oder mehrerer Lymphozyten entstandene junge
Zellbrut, eine Zellenfamilie vor. Alle Schwesterzellen haben sich
in gleicher Weise verändert und sehen alle ganz ähnlich aus.
Ihr Durehmesser beträgt S,1—9 u, sie sind regelmässig kugelig,
ausser wenn sie durch gegenseitigen Druck polygonal erscheinen;
Pseudopodien werden nicht mehr gebildet, die Zellen haben die
Fähigkeit der amöboiden Bewegung eingebüsst. Das Protoplasma
bildet einen ziemlich schmalen Saum. ebenso wie in den Lympho-
zyten; es bewahrt noch den feinretikulären Bau, seine Basophilie
hat aber deutlich abgenommen und es färbt sich mit D blassblau
mit leichtem violetten Ton. Die für die Lymphozyten typischen
Vakuolen sind spärlicher geworden und verschwimmen, die Sphäre
tritt nicht mehr hervor. Der Kern ist regelmässig rund, oft
etwas exzentrisch gelegen, seine innere Struktur hat sich im
Vergleich mit dem Lymphozytenkern in der Weise verändert,
dass die Chromatinteilchen gröber geworden sind und sich etwas
intensiver färben; sie liegen im Liningerüst in ziemlich regel-
mässigen Abständen voneinander; die Kernkörperchen sind etwas
kleiner geworden, als in den Lymphozyten, treten aber noch
deutlich hervor.
Die beschriebenen Zellen fahren fort zu wuchern und ihre
weiteren Generationen erleiden eine immer tiefere und tiefere
morphologische Veränderung. Vorübergehend können die Zellen,
bei sehr rasch aufeinanderfolgenden Teilungen, ziemlich klein
werden (Fig. 4 0), diese kleinen Exemplare wachsen aber bald
wieder etwas an. Immerhin geht mit der weiteren Entwicklung
der für diesen Zelltypus charakteristischen Eigenschaften doch
auch eine bleibende bedeutende Volumsabnahme Hand in Hand.
Der regelmässige kugelrunde Zellkörper wird in seinem
grössten Teil von dem ebenfalls ganz regelmässig kugeligen,
höchstens etwas ovalen Kern eingenommen; das Protoplasma ist
jetzt vollständig homogen und hat seine Basophilie fast völlig
oh
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 483
eingebüsst — an ZFD-Präparaten erscheint es in einem deut-
lich violetten oder sogar rotvioletten Ton tingiert (Fig. 4 MIbı.
Vakuolen und Sphäre sind nicht mehr vorhanden. Der Kern ent-
hält jetzt noch zahlreichere eckige CGhromatinteilchen, die in sehr
regelmässigen Abständen voneinander dem Liningerüst einver-
leibt sind und besonders an der Membran radiär gestellt
erscheinen. Die Nukleolen sind zuerst noch sichtbar, dann
verschwinden sie endgültig. Die Mitosen dieser Zellen (Mlb’)
sind sofort als solche an dem violetten homogenen Protoplasma
und den zierlichen, deutlichen Chromosomen zu erkennen. An
frischen ungefärbten Präparaten haben die beschriebenen Zellen
eine blassgelbe Färbung; man erkennt sie hier auch sofort
daran, dass sie gewöhnlich grosse Gruppen von. lose zusammen-
hängenden kugelförmigen Zellen in den Gefässen bilden.
Es erhellt aus der angeführten Schilderung, dass die
beschriebenen Zellen hämoglobinhaltige Elemente sind. Da sie
jugendlichen Charakter haben und wuchern, müssen sie Erythro-
blasten genannt werden. Sie stellen auch wirklich die Jugend-
formen der für das ganze weitere Leben bleibenden roten Blut-
körperchen vor und verdienen die Bezeichnung „definitive
Erythroblasten“. Zum Unterschied von den primitiven Erythro-
blasten könnte man sie auch kurzweg Erythroblasten nennen. Mit
den primitiven Erythroblasten haben sie genetisch nichts zu tun.
Überall, wo man die beiden Zellarten trifft, im Dottersack, im
zirkulierenden Blut oder anderswo unterscheiden sie sich so scharf
voneinander, dass eine Verwechslung gar nicht möglich erscheint.
Die beschriebenen definitiven Erythroblasten sind noch sehr
jung und stehen von den fertigen kernlosen roten Blutkörperchen
noch sehr weit. Sie entsprechen nach dem Kerntypus, nach dem
noch spärlichen Hämoglobingehalt und der daraus resultierenden
Polychromasie des Protoplasmas den sog. Megaloblasten der Autoren.
Eine genaue morphologische Bestimmung dieses Begriffes ist
bekanntlich von Pappenheim gegeben worden. Er hat auch
besonders auf den charakteristischen Kerntypus dieser Zellen
hingewiesen, den er auf Grund der relativen Chromatinarmut
amblychromatisch nennt. In der jüngsten Arbeit von Jolly (20)
werden die Megaloblasten ebenfalls erwähnt und ebenfalls als
eine von den primitiven Erythroblasten ganz unabhängige Zell-
gruppe festgestellt.
434 Alexander Maximow:
Ich finde den Namen Megaloblast nicht sehr glücklich
gewählt, da diese Zellen durchaus nicht besonders gross sind.
Sie sind, wie gesagt, sogar immer kleiner, als die Lympho-
zyten. Bei der fortgesetzten Wucherung variiert die Zellgrösse
überhaupt, wie auch die relative Breite des Protoplasmasaumes
sehr bedeutend. Charakteristisch ist eben nicht die Grösse,
sondern der morphologische Habitus. Der Name Megaloblast
hat sich aber schon so eingebürgert, dass man ohne ihn wohl
nicht gut wird auskommen können. In der folgenden Darstellung
werde ich also die jungen hämoglobinarmen definitiven Erythro-
blasten auch Megaloblasten nennen.
Was die Ausarbeitung des Hämoglobins in den Megaloblasten
betrifft, so beweisen frische und gut fixierte Präparate, dass das
Protoplasma dabei homogen wird. Es treten dabei keinerlei
Körnungen auf. So hebt es auch Weidenreich (64) hervor.
Die von manchen Autoren in den jungen Erythroblasten be-
schriebenen Körner (Saxer [49, S. 491], Giglio Tos [13]) sind
wohl stets einfach das Resultat ungenügender Fixation gewesen.
In der area vasculosa eines Kaninchenembryo von 11!
Tagen sieht man beim ersten Auftreten der definitiven Erythro-
blasten nur die eben beschriebenen jungen, noch hämoglobinarmen
definitiven Erythroblasten, die Megaloblasten. Sie entwickeln sich
aber unter fortgesetzter Wucherung gleich weiter und schon
. nach 12 Tagen, noch mehr nach 13 Tagen, sehen wir in den
blutbildenden Kapillaren der Dottersackwand in unzähligen Mengen
ihre späteren, schon wieder anders aussehenden Generationen.
Aus den wuchernden Megaloblasten sehen wir jetzt an
vielen Stellen Gruppen von noch etwas kleineren, manchmal so-
gar viel kleineren (6,30 «) Erythroblasten entstehen, die schon
viel reicher an Hämoglobin sind (Fig. 4 Nmb‘). Ihr Zellleib ist
kugelig, doch kann er manchmal infolge von äusserem Druck
sehr unregelmässige Formen annehmen. Das zuerst noch sehr
schmale, später breitere, völlig homogene Protoplasma färbt sich
an ZFD-Präparaten in einem ins reine Rot immer mehr und
mehr übergehenden Ton. Der Kern ist absolut und relativ noch
kleiner geworden und die typische Struktur des Erythroblasten-
kernes tritt jetzt in ihm auf das Schönste hervor; auch die
Mitosen werden immer typischer (r). Von Nukleolen fehlt jede Spur.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 485
Von diesen Zellen kommen wir dann endlich zu ganz aus-
gebildeten definitiven Erythroblasten (Nmb). Sie sind ziemlich
klein, meistens aber doch wieder grösser als vorher (7,5 «),
kugelig, nicht selten aber auch bikonvex, ihr Protoplasma
ist breiter geworden und färbt sich ebenso grell rot, wie
das Protoplasma der primitiven Erythroblasten. Es ist sehr
hämoglobinreich geworden, was sich auch durch Untersuchung
des frischen Präparats bestätigen lässt. Der Kern ist klein.
kugelig, nimmt eine exzentrische Lage ein und sein grosser
Chromatingehalt bedingt eine ziemlich dunkle allgemeine Färbung.
Die groben eckigen Chromatinteilchen sind in ganz regelmässigen
Abständen voneinander angeordnet. Nicht selten trifft man
auch noch diese kleinen, schon sehr hämoglobinreichen Erythro-
blasten im Zustande der Karyokinese (Nmb’).
Die beschriebenen älteren Erythroblastenformen sind in der
Literatur unter dem Namen „Normoblasten* bekannt. Sie
unterscheiden sich von den Megaloblasten durch ihre im all-
gemeinen kleineren Dimensionen (obwohl es, wie gesagt, auch
kleine Megaloblasten geben kann), durch den grossen Hämoglobin-
reichtum des Protoplasmas und ‘durch den kleinen, dunklen,
trachychromatischen (Pappenheim) Kern ohne Nukleolen.
Bei Kaninchenembryonen von 13". 14 und mehr Tagen
findet man in dem blutbildenden Gefässnetz der Dottersackwand
sehr oft auch schon Bilder, die das endgültige Schicksal der
reifen Normoblasten illustrieren (Fig. 4 m, m‘).
Der Kern wird noch kleiner, er schrumpft zusammen, die
Chromatinteilchen rücken näher aneinander, ohne jedoch ganz
zusammenzusintern, dann weicht der sehr dunkle, fast pyknotische
Kern zur Zellperipberie und tritt endlich aus der Zelle heraus (m ”).
Der hämoglobinreiche Zellleib erhält dabei meistens sehr unregel-
mässige Formen — er ist mit kleineren und grösseren höcker-
artigen Unebenheiten versehen (m, m‘). -Als Resultat dieses
Kernaustrittes finden wir dann nackte, in dem Blutplasma frei
fiottierende Kerne (z) und kernlose rote Blutkörperchen von
mehr oder weniger regelmässiger Scheiben- oder Glockenform.
Auf die beschriebene Weise entstehen aus den reifen, nicht mehr
teilungsfähigen definitiven Erythroblasten, den Normoblasten, die
definitiven Erythrozyten.
486 Alexander Maximow:
Nach 14 Tagen sind aber beim Kaninchen die kernlosen
Erythrozyten noch ziemlich selten. Ausserdem ist ihre Entstehung
hier in Bezug auf den Verlauf und auf das Endresultat der Fr-
scheinung nicht ganz identisch mit denjenigen Tatsachen, die
sich im erwachsenen Organismus beobachten lassen.
Erstens tritt der Kern in einem verhältnismässig noch
schwach pyknotischen, noch nicht ganz homogenen Zustand aus
der Zelle heraus, während er im erwachsenen Organismus
bekanntlich vorher total degeneriert und sogar in einzelne Teile
zerfallen kann. Es wäre also nach dem Ausdruck von Pappen-
heim eine Entkernung in noch jugendlichem Zustand, eine
Erscheinung, die gelegentlich auch in den Erythroblasten des
Erwachsenen bei krankhaften Prozessen vorkommen soll.
Zweitens sind die ersten kernlosen Erythrozyten meist
noch etwas grösser, als die des erwachsenen Tieres und von
nicht so regelmässiger Form.
Was: die wichtige Frage anbelangt, wie die Entkernung
der roten Blutkörperchen vor sich geht, so gibt es bekanntlich
darüber zwei entgegengesetzte Meinungen. Nach den einen
soll intrazellulärer Kernschwund existieren, nach den anderen
Kernaustritt. Ich selbst habe mich schon vor Jahren (29) mit
v. d. Stricht (57, 58), Saxer (49) u. a. entschieden für die
letztere Annahme erklärt und habe seitdem an der Diskussion
über dieses Thema nicht teilgenommen, sie aber genau verfolgt.
Ich muss bekennen, dass es mir ganz unverständlich ist, wie so
es auch jetzt noch, besonders nach den erschöpfenden Darlegungen
Weidenreichs (64), Autoren geben kann, die an der Richtig-
keit der Lehre vom Kernaustritt zweifeln und an eine intra-
zelluläre Karyolyse glauben. Und doch ist dies der Fall. So
finden wir z. B,. um nur ein paar Beispiele zu zitieren, in dem
neuesten Werk von Nägeli (37) wieder die Behauptung, dass
„die intrazelluläre Karyolyse der einzig physiologische Vorgang
sei und die Kernausstossung bloss pathologisch in Frage komme.“
Scott (54) und Lobenhoffer (27), ebenso Schridde äussern
sich auch in diesem Sinne. Interessant ist dabei die Feststellung,
dass es meistens gerade Autoren sind, die der dualistischen
Anschauung über die Histiogenese der Blutelemente huldigen.
Ich bin sicher, dass man angebliche Beweise für den intra-
zellulären Kernschwund nur an ganz minderwertigen Präparaten
Ha
[® 6)
I
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe.
finden kann, wo die Kernfärbung sehr unvollkommen aus-
gefallen ist. Sonst ist es unmöglich, an irgend einem normalen
hämatologischen Objekt etwas anderes zu sehen, als Austritt des
degenerierenden Kernes aus den reifen, hämoglobinreichen Nor-
moblasten. Besonders schön tritt dies in etwas späteren Ent-
wicklungsstadien zu Tage, z. B. in den Dottersackgefässen eines
Katzenembryo von etwa 15 mm Länge. Ich werde diese Stadien
später ausführlich beschreiben, vorerst bringe ich bloss die Zeichnung
eines Normoblasten (Taf. XVIII. Fig.5), der gerade im Moment des
Kernaustritts fixiert worden ist. Solche Bilder sind meiner
Meinung nach absolut beweisend, es können keine Artefakte
sein und sie brauchen dabei nicht etwa mit Mühe ausgesucht
zu werden, sondern man sieht sie an diesem Objekte überall.
auf jedem Schritt und Tritt. Neben solchen Normoblasten mit
heraustretenden Kernen findet man auch stets Phagozyten mit
verschlungenen Erythroblastenkernen im Protoplasma. Alle Tat-
sachen sprechen also für die Kernausstossung, keine dagegen
und das Umgekehrte gilt von der Karyolyse. Selbst Pappen-
heim, der ja früher auch Anhänger der Karyolyse war, gibt
jetzt die Existenz des Kernaustrittes zu. Besonders schwer-
wiegend ist jedoch die Stimme Jollys (20), der früher (19),
auch noch auf der Genfer internationalen Anatomenversammlung,
ein eifriger Verfechter des intrazellulären Kernschwundes war,
jetzt aber in seiner Arbeit über die roten Blutkörperchen zum
Schlusse kommt, dass die Entkernung auf solche Weise voll-
zogen wird, dass der Kern zuerst degeneriert, pyknotisch
wird, eventuell in Stücke zerfällt, dann aber doch die Zelle ver-
lässt. Es ist dies also genau dasselbe, was Weidenreich (64)
festgestellt hat und was auch ich schon vor Jahren (29)
behauptete.
Um die intrazelluläre Karyolyse wenigstens teilweise zu
retten, hatte Ehrlich seinerzeit versucht, den Satz aufzustellen,
dass die postfetalen Normoblasten zwar den Kern ausstossen,
dass aber die fetalen Megaloblasten (also meine primitiven Ery-
throblasten) die Kerne durch intrazellulären Schwund verlieren.
Auch das ist von Weidenreich als falsch erwiesen worden
und meine Untersuchungen bestätigen ebenfalls, dass auch für
die primitiven Erythroblasten der normale Vorgang die Kern-
ausstossung ist. Hier wird dieser Vorgang nur dadurch kom-
488 Alexander Maximow:
pliziert, dass die Kernausstossung viel später erfolgt und der
Kern, wie oben erwähnt, vorher mit basischen Farben nur schwer
zu färben ist und oxyphil scheinen kann.
Dass intrazelluläre Karyolyse in krankhaft veränderten,
lädierten Erythroblasten vorkommen kann, will ich durchaus
nicht leugnen. Bei verschiedenen anämischen oder leukämischen
Zuständen mag dies sogar sehr oft der Fall sein. Einen Beweis
dafür sehe ich auch in der Erscheinung der weiter unten
beschriebenen Phagozytose der Erythroblasten durch Wanderzellen
oder Endothelien — in dem verschlungenen Erythroblasten sieht
man dabei sehr oft Auflösung und intrazellulären Schwund des
Kernes.
In dem blutbildenden Gefässnetz der Dottersackwand ent-
stehen also in einer bestimmten Entwieklungsperiode die defi-
nitiven roten Blutzellen aus farblosen Vorstufen und zwar sind
diese letzteren keine besonderen „Erythroblasten®* (Löwit),
sondern einfache indifferente, von früher her daselbst befindliche
und, wie wir weiter unten sehen werden, ubiquitäre farblose
Blutkörperchen, Lymphozyten. Während die primitiven Erythro-
blasten einen ganz isolierten Zellstamm vorstellen, der sich nur
einmal von den farblosen primitiven Blutzellen abgespalten hat,
um dem ersten Bedürfnis des Embryo an Hämoglobinträgern zu
genügen und dann allmählich ausstirbt, entstehen die definitiven
Erythroblasten auch späterhin, auch im postfetalen Leben jeder-
zeit neu aus den Lymphozyten. Dieser ständige, in allen zu-
künftigen Blutbildungsorganen gleich bleibende Entwicklungs-
modus erscheint eben dadurch gesichert, dass die Lymphozyten,
diese indifferenten amöboiden Mesenchymzellen, ubiquitär sind
und bei geeigneten äusseren Bedingungen überall als Hämato-
gonien funktionieren können. Natürlich sind die bereits hämo-
globinhaltigen Zellen, die Megalo- und Normoblasten, auch selb-
ständig vermehrungsfähig und in vielen Fällen genügt auch
dieser Regenerationsmodus allein, aber es ist sehr wichtig, dass
die beim ersten Auftreten der definitiven roten Blutzellen statt-
findende Neudifferenzierung derselben aus indifferenten farblosen
Zellen als jederzeit bestehende Möglichkeit auch für das ganze
übrige Leben bleibt. Dass die roten Blutzellen auch im er-
wachsenen Organismus auf genau dieselbe Weise entstehen
können, habe ich vor kurzem experimentell bewiesen (32).
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 489
Der geschilderte Entwicklungsmodus der definitiven Ery-
throblasten und Erythrozyten aus farblosen Vorstufen entspricht
im allgemeinen den Vorstellungen über die Entwicklung der
roten Blutzellen, die heutzutage im Lager der Unitarier herrschen.
Hier wäre vor allem Weidenreich (64)!) zu nennen. Auch
Jolly (20) könnte in bezug auf die Bedeutung der Megaloblasten
und Normoblasten hierher gerechnet werden. Von den Autoren,
die spezielle embryologische Untersuchungen gemacht haben,
scheint mir Saxer (49) den Sachverhalt gerade an demselben
Objekt, der Nabelblase der Katze, auch schon ziemlich richtig
erfasst zu haben; seine Übergangszellen II. und III. Ordnung,
die er auch Erythroblasten nennt, entsprechen wahrscheinlich
den Megalo- und Normoblasten.
Sehr merkwürdig ist die Tatsache, dass es beim Säugetier
zwei so scharf geschiedene Typen von roten Blutzellen gibt; die
primitiven und die definitiven oder sekundären. Beim Hühnchen
hat neuerdings Dantschakoff (4,5a) ebenfalls zwei solche Typen
genau beschrieben, aber zwischen den Säugetieren und den
Vögeln scheint in dieser Beziehung doch auch ein deutlicher
Unterschied zu bestehen. Während nämlich beim Säugerembryo,
wie wir gesehen haben, die primitiven Erythroblasten nur ein-
mal als scharf isolierter Zellstamm entstehen und die aus den
primitiven Blutzellen inzwischen direkt hervergegangenen Lym-
phozyten erst nach einiger Zeit die definitiven Erythroblasten
zu produzieren anfangen, während man also hier keine Zwischen-
formen zwischen den beiden Erythroblastenarten bemerken kann,?)
gehen beim Hühnchen die primitiven Erythroblasten ziemlich
allmählich in die definitiven über. Es gibt beim Hühnchen zwischen
beiden viele Übergangsformen, nicht weil sich die ersten etwa direkt
in die zweiten unter Wucherung verwandeln würden, sondern die
primitiven Blutzellen, resp. die Lymphozyten erzeugen zuerst
grosse hämoglobinarme, primitive, dann, ohne eine deutliche
Zeitpause, fortwährend wieder weitere allmählich immer voll-
kommnere Erythroblastenstämme. Beim Hühnchen spaltet sich
also vom Grundstock der indifferenten Lymphozyten im Gegen-
') Bis vor kurzem gehörte auch Pappenheim hierher.
°) Nur beim Meerschweinchen sind die primitiven Erythroblasten von
den sekundären histiologisch nicht so scharf geschieden und in dieser Beziehung
erinnern die Verhältnisse hier an das Hühnchen,
Archiv f. mikrosk. Anat. Bad. 73. 32
490 Alaoxander Maximow:
satz zum Säugetier eine ganze Reihe von sich allmählich immer
mehr und mehr dem definitiven Typus nähernden Erythroblasten-
stämmen nacheinander ab.
Die Frage über die Beziehungen der Megaloblasten und
Normoblasten zueinander gehört auch zu den aktuellsten in
der Hämatologie. Früher wurden die zwei genannten Zellarten
meistens ziemlich streng voneinander geschieden. So hielt zum
Beispiel früher Pappenheim die Megaloblasten für eine im
Vergleich mit den Normoblasten nicht nur ontogenetisch, sondern
auch phylogenetisch ältere Zellform und liess sie selbständige
Entwicklungswege gehen. Demgegenüber haben andere, z. B.
Weidenreich (64) sich gegen eine solche Trennung aus-
gesprochen und die Normoblasten bloss für eine reifere Form
der Megaloblasten erklärt, eine Anschauung, der auch ich (32)
mich angeschlossen habe. Auch Pappenheim (44, 45) steht jetzt
übrigens auf einem ähnlichen Standpunkte: er leitet bei den
Säugern die Normoblasten ebenfalls durch fortgesetzte Proliferation
von den jungen Megaloblasten ab.
Ich glaube, dass das Studium der ersten Entstehung dieser
beiden Zellarten auch ihre gegenseitigen Verhältnisse genügend
beleuchtet. Wir sehen, dass die Lymphozyten im Dottersack
durch difterenzierende Wucherung schliesslich definitive rote
Blutzellen, reife Erythrozyten entstehen lassen. Die Übergangs-
etappen dieser Entwicklungsreihe sind zuerst hämoglobinarme,
hellkernige Elemente, Megaloblasten, dann hämoglobinreiche,
dunkelkernige Normoblasten. Die Frage ist nun die — sind
diese zwei Frythroblastenarten zwei scharf voneinander ge-
schiedene Zellarten oder nicht? Ich glaube, dass die Antwort
negativ ausfallen muss. Bei meiner Beschreibung war ich schon
genötigt, junge, aus Lymphozyten eben erst entstandene Megalo-
blasten und ältere, schon etwas hämoglobinreichere zu unter-
scheiden. Ebenso beschrieb ich jüngere und ältere Normoblasten.
Die Megaloblasten gehen also in die Normoblasten ganz all-
mählich über, nicht direkt natürlich, sondern unter fortgesetzter
differenzierender Wucherung. Es ist ın sehr vielen Fällen sehr
schwierig zu sagen, ob die betreffende Zelle bereits ein Normo-
blast oder noch ein Megaloblast ist, ebenso, wie es vorkommen
kann, dass man von einer Zelle nicht imstande ist zu entscheiden,
ob sie noch den Lymphozyten oder bereits den jüngsten Megalo-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 491
blasten zuzuzählen ist. Dazu kommen noch, wie wir gesehen haben,
bedeutende, obzwar vorübergehende und dem Wesen nach un-
wichtige Grössendifferenzen, die die Unterscheidung oft auch sehr
erschweren.
Wenn wir also schon von Megalo- und Normoblasten
sprechen wollen, so dürfen diese Begriffe jedenfalls nur im
Sinne von „jüngeren und älteren Erythroblasten“ gebraucht
werden, nicht im Sinne von scharf geschiedenen, selbständigen
Zelltypen.
Die beschriebenen Entwicklungsprozesse, die, beiläufig gesagt,
bei allen untersuchten Säugetierarten in den frühen Entwicklungs-
stadien auf ganz identische Weise verlaufen, könnte man durch
folgendes Schema veranschaulichen.
Primitive Blutzellen
Lymphozyten prim. Erythroblasten
|
Lymphozyten Megaloblasten prim. Erythrozyten
_— [2.0
Lymphozyten Megaloblasten Normoblasten
| |
Normoblasten def. Erythrozyten
def.
Ausser den drei beschriebenen Haupttypen, den Lympho-
zyten, den primitiven und definitiven Erythroblasten, gibt es in
den (Gefässen der area vasculosa auch noch andere Zellarten.
Erstens lenken zahlreiche Riesenzellen vom allgemeinen
Charakter der Megakaryozyten die Aufmerksamkeit auf sich. Sie
sind in den embryonalen Geweben schon von vielen Autoren ge-
sehen und speziell im Dottersack der Katze (Embryo von 1 cm
Länge) von Saxer (49) beschrieben worden.
Wir haben gesehen, dass schon in den vorhergehenden
Stadien verschiedene Blutzellen, die primitiven Blutzellen, die
Lymphozyten und die primitiven Erythroblasten in einzelnen
Exemplaren die Neigung zum Riesenwuchs offenbarten. Dies
tritt nun besonders deutlich in den späteren Stadien an den
Lymphozyten hervor, wenn die neue Phase der Blutbildung beginnt.
Die betreffenden Zellen vergrössern sich sehr bedeutend
(14—20 x im Durchmesser), das Protoplasma bewahrt die dichte
retikuläre Struktur und die starke Basophilie. Am Kern sehen
32*
492 Alexander Maximow:
wir Amitose (Taf. XVIII, Fig. 6) in ihrer klassischen Form auftreten,
wie es auch schon von Saxer beschrieben worden ist — das
_ Kernkörperchen zieht sich in die Länge, teilt sich in zwei Teile,
dann erscheint auch an der Kernmembran an entsprechender
Stelle eine sich immer mehr und mehr vertiefende Einschnürung
und schliesslich bekommen wir zwei, drei und mehr einzelne Kerne
in der grossen Zelle, von denen ein jeder die Grösse und die
innere Struktur eines gewöhnlichen Lymphozytenkernes annähernd
beibehält. In solchen mehrkernigen Riesenzellen nehmen die
Kerne die Peripherie des Zellleibes ein, in der Mitte liegt die
Sphäre, die gewöhnlich an Umfang und Deutlichkeit noch gewinnt.
Wenn an den Kernen neue Einschnürungen auftreten, so ent-
spricht ihre Lage gewöhnlich der Lage der Spbäre.
Diese ersten grossen mehrkernigen Riesenzellen im Dotter-
sack erinnern zwar nach ihrer Kernstruktur und nach der Be-
schaffenheit des Plasmas an die bekannten Megakaryozyten der
embryonalen Leber und des Knochenmarks — sie entstehen auch
in gleicher Weise aus Lymphozyten — immerhin sind aber auch
deutliche Unterschiede zu notieren. Im Dottersack handelt es
sich, wie wir sehen, um echte amitotische Kernteilung, während
in den richtigen Megakaryozyten bekanntlich komplizierte mehr-
polige Mitosen mit nachfolgender Verschmelzung der Teilprodukte
beobachtet werden (v. d. Stricht [57, 58], v. Kostanecki[23)).
Es sind also noch atypische, auf etwas andere Weise entstandene
Riesenzellen.
An einzelnen hypertrophischen Lymphozyten sieht man aber
im Dottersack schon nach 15 —14 Tagen beim Kaninchenembryo
auch die für die echten Megakaryozyten typische Veränderung
des Kerns — er vergrössert sich sehr bedeutend, bekommt eine
unregelmässige höckerige Oberfläche und schickt sich zur mehr-
poligen Mitose an, wodurch die Bildung echter Megakaryozyten
angebahnt wird. Sie treten übrigens häufiger in den späteren
Stadien auf; ausserdem werden wir derselben Erscheinung auch
weiter unten beim Studium der Blutbildung in der Leber wieder
begegnen.
Die Riesenzellen treten bei allen untersuchten Säugern in
gleicher Weise auf, ihre Zahl schwankt aber ausserordentlich von
Fall zu Fall und auch in dem gegebenen Präparat sind sie in
den (refässen immer höchst ungleichmässig verteilt.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 4953
Endlich ist in den Dottersackkapillaren noch das Vorhanden-
sein anderer besonderer Zellen zu notieren, deren erste Ent-
stehung wir schon in den vorhergehenden Stadien konstatieren
konnten — es sind amöboide phagozytierende Wanderzellen
(Taf. X VIII, Fig.4Edph). Nach Grösse und äusserer Form gleichen
sie den Lymphozyten; sie liegen meistens zu kleinen Gruppen
vereinigt. An der Peripherie des Zellleibes sieht man stets sehr
zahlreiche ‚Pseudopodien. Das Protoplasma ist sehr blass, sehr
schwach basophil. von Vakuolen durchsetzt und enthält meistens
zahlreiche durch Phagozytose aufgenommene und mehr oder
weniger verdaute Einschlüsse, meistens Reste von primitiven
Erythroblasten und freie, aus definitiven Erythroblasten stammende
Kerne. Diese letztere Erscheinung tritt allerdings erst später
prägnant hervor. Der Kern dieser Phagozyten ist meistens tief
eingeschnürt, nieren- oder hufeisenförmig. Seine innere Struktur
entspricht dem Kern der Lymphozyten.
Diese Phagozyten stammen von den oben beschriebenen
ähnlichen Zellen ab (Fig. 3 Edph), sind jetzt aber grösser und
viel zahlreicher geworden; man findet in ihnen auch Mitosen.
Stellenweise kann man ausserdem mit voller Sicherheit auch ihre
direkte Entstehung aus fixen Endothelzellen durch Abrundung
und Mobilwerden verfolgen — auch die noch in situ verbleibenden
Endothelzellen sieht man sehr oft als energische Phagozyten
funktionieren (Fig. 4 w). Ferner findet man gar nicht selten
auch jetzt Übergangsformen von echten Lymphozyten zu diesen
Phagozyten — es ist also eine besondere funktionelle Form der
indifferenten Lymphozyten, keine besondere, streng abgegrenzte
Zellart.
Wie die Lymphozyten hypertrophieren und sich in Riesen-
zellen mit amitotisch zerschnürten Kernen verwandeln, so kann
dies gelegentlich auch mit den beschriebenen Phagozyten ge-
schehen — man bekommt dann mehrkernige Riesenzellen. die
sich von den aus gewöhnlichen Lymphozyten entstandenen da-
durch unterscheiden, dass ihr Protoplasma ganz blass ist und an
seiner Oberfläche zahlreiche zackige Pseudopodien bildet.
Die beschriebenen Phagozyten sind wahrscheinlich auch
von Saxer (49) gesehen worden — er beschreibt sie auf der
Seite 488 seiner Arbeit als „grosse amöboide Wanderzellen“.
Bonnet (1) bildet in seinem Lehrbuch S, 337 Dottersackgefässe
494 Alexander Maximow:
von einem Hundeembryo von 25 Tagen ab, in welchem freie
Blutzellen aus Endothelzellen entstehen sollen. Ich glaube, dass
es sich in diesem sehr späten Entwicklungsstadium nur um
Bildung der von mir eben beschriebenen Phagozyten aus dem
Endothel handeln konnte.
Was die topographische Verteilung aller der beschriebenen
Zellformen in dem Gefässnetz der Dottersackwand anbelangt, so
habe ich schon oben einige diesbezügliche Bemerkungen gemacht
und werde darüber noch weiter im Abschnitt über das zirku-
lierende Blut sprechen. Hier möchte ich nur zur Frage Stellung
nehmen, ob in der Dottersackwand des Säugetierembryo ausser
der beschriebenen intravaskulären auch eine extravaskuläre Blut-
bildung vorkommt.
Für das Kaninchen kann ich dies mit aller Entschiedenheit
verneinen. Ich habe den Dottersack in allen Entwicklungsstadien
untersucht und habe niemals Blutzellen ausserhalb der Gefässe
gesehen. Es handelt sich höchstens um die schon oben erwähnten,
einzelnen, zwischen Gefässwand und Entoderm (Fig. 3 Lwz)
umherwandernden Lymphozyten. Bei der Katze verhält es sich
etwas anders — hier ist die Zahl der extravaskulären Lympho-
zyten schon von Anfang an grösser und mit der Zeit entstehen
aus ihnen hier zwischen Entoderm und Gefässendothel, ebenso
wie intravaskulär, Häufchen von Erythroblasten. So hat es auch
Saxer (l. ce.) gesehen, er scheint aber dieser Erscheinung eine
viel zu grosse Bedeutung beizumessen. Namentlich darf diese
extravaskuläre Blutbildung nicht als etwas primäres aufgefasst
werden. Bei anderen Säugern (Schaf) soll nach Saxer diese
extravaskuläre Blutbildung im Dottersack noch bedeutender sein,
als bei der Katze.
Es ist sehr wichtig hervorzuheben, dass bei der Blutbildung
im Dottersack niemals gekörnte Leukozyten entstehen. In dieser
Beziehung unterscheiden sich die Säugetiere scharf von den
Vögeln, wo bereits im Dottersack aus den extravaskulären Lym-
phozyten azidophile Myelozyten und Leukozyten hervorgehen
(Dantschakoff).
Bei Ratte und Maus existiert ein sehr wichtiger Unterschied
in der Blutbildung im Dottersack. Es kommt in ihm nicht zur
Bildung von sekundären Erythroblasten aus den Lymphozyten,
sondern die Hämatopoese, die zuerst genau wie bei den anderen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 495
Säugern verläuft, beschränkt sich hier auf die Bildung von primi-
tiven Ervthroblasten und Lymphozyten, wonach das Gefässnetz
des Dottersacks bei 7-8 mm Körperlänge zu veröden beginnt.
Die definitiven Erythroblasten erscheinen bei Ratte und Maus
relativ viel später, als bei Kaninchen, Katze und Meerschweinchen,
erst in Stadien von 7,5—S mm Körperlänge und zwar in der
Leber, in geringer Anzahl auch im Kopfmesenchym. Sie ent-
stehen hier ebenso aus wuchernden Lymphozyten, wie bei den
anderen Tieren.
Wir sehen aus der vorhergehenden Schilderung, dass das
erste blutbildende Organ des - Säugetierembryo das Gefässnetz
der area vasculosa resp. der Dottersackwand ist. Auch beim
Hühnchen ist dasselbe von Dantschakoff (4, 5a) gefunden
worden und ich zweifle nicht daran, dass dasselbe auch für alle
anderen Wirbeltiere mit meroblastischen Eiern zutrifft. Die
genannte physiologische Tätigkeit der Dottersackwand ist ja bei
den Säugetieren schon früher durch Bonnet (1) und Saxer (49)
bewiesen worden Merkwürdigerweise scheint aber diese Tatsache
bis jetzt vielen namhaften Hämatologen unbekannt geblieben zu
sein. So finden wir z. B. im neuen Werke von Nägeli (37) die
sehr bestimmte Angabe, dass das erste blutbildende Organ des
Embryo die Leber sei (S. 72); vorher soll die Erythropoese ganz
allgemein „in jungen Kapillaren und Blutsinus“ erfolgen. Es ist
mir nicht recht klar. was Nägeli eigentlich darunter versteht.
Der Dottersack hat also nicht nur die Bedeutung eines
einfachen ernährenden Organs für den wachsenden Embryo,
sondern er erfüllt während der ersten Entwicklungsstadien auch
hämatopoetische Funktionen. Bei den Säugern, bei welchen die
Leber schon sehr früh als hämatopoetisches Organ zu funk-
tionieren beginnt, hört dieser Prozess im Dottersack verhältnis-
mässig früher auf (besonders bei der Ratte und Maus). Bei den
Vögeln dagegen, wo die Leber keine blutbildende Funktion aus-
übt, bleibt die blutbildende Tätigkeit des Dottersacks fast während
der ganzen Brutperiode erhalten und er verödet erst dann, wenn
schon das Knochenmark stark entwickelt ist.
(. Das primäre Mesenchym ohne Wanderzellen.
Im lockeren Bindegewebe des erwachsenen Säugetiers findet
man bekanntlich eine grosse Anzahl verschiedener Zellarten, zum
496 Alexander Maximow:
Teil fixe, zum Teil wandernde Elemente. Über ihre genetischen
Beziehungen zueinander und zu den Leukozyten des Blutes
herrschen bis jetzt noch sehr geteilte Anschauungen und dieser
Umstand, ebenso wie die grosse Verwirrung in der Hämatologie,
hängt vor allem davon ab, dass auch diese Fragen bis jetzt eine
embryologische Bearbeitung nicht gefunden haben und dass
ihnen fast nur von seiten der Pathologen Interesse entgegen-
gebracht wurde. Über die embryonale Histiogenese der ver-
schiedenen Zellarten des lockeren Bindegewebes gibt es fast gar
keine Untersuchungen. Unter „Entwicklung des Bindegewebes“
versteht man meistens nur „Entwicklung der faserigen Zwischen-
substanz“, nicht die Histiogenese der zelligen Elemente.
Es ist klar, dass man die Entwicklung der Zellformen des
lockeren Bindegewebes nur zusammen mit der Entwicklung der
Blutzellen studieren kann, denn diese beiden (ewebe stammen
ja aus einer Quelle und sind ja auch im erwachsenen Organismus
durch engste Beziehungen verknüpft.
Es müssen vor allem folgende Fragen entschieden werden.
Entstehen die wandernden Elemente zugleich mit den fixen Zellen
des Bindegewebes, gleich bei der ersten Bildung des Mesenchyms,
oder nicht? Wenn es einen primären wanderzellenlosen Zustand
des Mesenchyms gibt, woher stammen dann die ersten Wander-
zellen? In welcher Beziehung stehen die ersten Wanderzellen
des Bindegewebes zu den farblosen Blutkörperchen, den Leuko-
zyten?
An Säugetierembryonen entsprechenden Alters, z. B. an
Kaninchenembryonen mit 5—15 und mehr Segmenten im Alter von
S!/a—91/s Tagen, sieht man die bekannte Erscheinung der Mesen-
chymentwieklung. Aus dem epithelialen Verbande des Mesoblasts
treten, namentlich an der medioventralen Seite der Ursegmente
einzelne oder zu Gruppen vereinigte Zellen heraus und bilden
ein lockeres Gewebe, welches sich zwischen die Keimblätter und
die aus ihnen entstehenden Organe einschiebt und sich je nach
der Körperstelle in grösserer oder geringerer Menge anhäuft.
In den vorderen Körperabschnitten, vor allem im Kopf, wächst
die Masse des Mesenchyms besonders rasch an, während man es
in den kaudalen Körperabschnitten zuerst noch ganz vermisst
oder sehr spärlich findet. Auch im folgenden erscheinen die
Differenzierungsprozesse im Mesenchymgewebe in den vorderen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 497
Körperabschnitten, besonders im Kopf, stets weiter gediehen, als
in den kaudalen Regionen.
Aus welchen Zellen besteht nun dieses erste Mesenchym ’?
In den angegebenen frühesten Entwicklungsstadien besteht es
nur aus einer einzigen Art von Zellen (Taf. XVIII, Fig. 8 u. 10 Mz).
Diese indifferenten Mesenchymzellen haben eine unregelmässige.
sternähnliche, spindlige oder ästige Form. Der Zellleib entsendet
nach allen Richtungen breite oder schmale, lange oder kurze,
geschweifte, sich an den Enden verjüngende Ausläufer, die sich
ihrerseits verzweigen und mit den Ausläufern der Nachbarzellen
vereinigen, sodass ein netz- oder schwammartiges Zellgeflecht
entsteht. Die Maschen des Netzes sind mit einer vollkommen
strukturlosen gallertigen Masse angefüllt.
Das Protoplasma dieser jüngsten Mesenchymzellen hat an
ZF EAz-Präparaten einen sehr feinen retikulären Bau und ist
leicht basophil. Der Kern ist meistens oval, manchmal an der
Oberfläche, besonders der Sphäre entsprechend, eingedrückt und
in seinem Inneren finden wir im zarten Liningerüst äusserst feine
blassblaue gleichmässig verteilte Chromatinteilchen und ausserdem
einige gröbere dunkelblaue Körner, die meistens an der Ober-
fläche der grossen, unregelmässig geformten, eckigen Nukleolen
angeordnet sind. Man sieht in diesen Kernen fast stets auch
feine gleichmässig verteilte rosafarbene Körner. Es könnte sich
vielleicht um Oxychromatin handeln. Neben dem Kern liegt im
Protoplasma die mehr oder weniger deutliche Sphäre. Wenn
sich die Zellen teilen, rundet sich der Zellkörper meistens voll-
kommen ab.
Im allgemeinen entsprechen diese Mesenchymzellen nach
ihrem Aussehen den oben beschriebenen ästigen Zellen des peri-
pheren mesenchymatösen Mesoblasts der area opaca, aus welchen
die Blutinseln entstehen — es sind ja auch genetisch dieselben
Elemente.
Die Mesenchymzellen sind keine amöboiden Zellen, sie sind
aber nichtsdestoweniger sicher beweglich; sie schieben sich nach
allen Richtungen zwischen den Keimblättern durch, rücken weiter
auseinander oder treten näher zusammen. Die Beweglichkeit
solcher ästiger Mesenchymzellen ist bekanntlich bei Fisch-
embryonen von Laguesse (25) am lebenden Objekt direkt be-
wiesen worden.
498 Alexander Maximow:
Die beschriebenen Zellen bleiben auch für die Zukunft der
Hauptbestandteil des Mesenchyms. Sie werden zu den fixen Zellen
des lockeren Bindegewebes. zu den Fibroblasten und arbeiten als
solche faserige Zwischensubstanz aus: sie verwandeln sich auch
später in Knorpel-, Knochenzellen usw. Ihre Neubildung durch
Auswanderung einzelner Zellen aus dem epithelialen Mesoblast
hört bald auf und ihre Vermehrung geschieht von nun an aus-
schliesslich auf Kosten der selbständigen Wucherung.
Bei älteren Embryonen (Kaninchen 10—13'/. Tage, Katze
0,7—1,0 em) bemerkt man neben der starken Zunahme des
Mesenchyms an Masse auch gewisse Strukturveränderungen
seiner Bestandteile. Die Zellen selbst werden vorerst (Kaninchen
10—11 Tage) besonders gross und saftig, namentlich im Kopf-
mesenchym und rücken weiter voneinander ab (Taf. XIX, Fig. 11,
15, 14, 18, 26 und 27 Mz). Ihre Ausläufer stellen jetzt meistens
platte, flügelförmig sich ausbreitende Protoplasmalamellen vor,
die durch gegenseitige Verbindung ein lockeres schwammartiges
Gitterwerk zustande bringen. Das Protoplasma bekommt eine
lockerere netzige Struktur, oft erscheint es mit zahlreichen hellen
Vakuolen erfüllt. Während der mitotischen Teilung (Taf. XVII,
Fig. 10 Mz‘, Taf. XIX, Fig. 11 Mz‘) können die Zellen auch jetzt
noch mitunter sich vollständig abrunden — meist bleiben sie
aber dabei mehr oder weniger eckig.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung treten dann in Ab-
hängigkeit von der Körperstelle immer deutlicher und deutlicher
Verschiedenheiten im Mesenchymgewebe hervor. Die Zellen in
ihrer inneren Struktur werden davon kaum betroffen. Es ändert
sich aber bedeutend ihre Grösse und die Dichtigkeit ihrer An-
ordnung. In der Umgebung des Gehirns, besonders an dessen
ventrolateraler Seite, der Körperachse entlang, an der Ühorda
und den sich zu einem Gefäss vereinigenden Aorten und an der
ventralen Seite des Rückenmarks, an vielen Stellen der Rumpf-
wand, im Septum transversum, endlich in der Allantois nimmt
das Mesenchym eine mehr lockere Beschaffenheit an, indem die
Zellen durch reichliche Interzellularsubstanz weiter auseinander-
geschoben werden und besonders lange, zarte Ausläufer be-
kommen. Auch in den angegebenen Bezirken kann man natürlich
bedeutende graduelle Ungleichmässigkeiten erkennen und sind
auch speziell die Zellen an den einen Stellen kleiner und
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 499
schmächtiger, an den anderen grösser und saftiger. An der Ober-
fläche des Körpers, unter dem Hornblatt, an den Ursegmenten,
im Stirnfortsatz, im oberen und unteren Kieferfortsatz, in den
Kiemenbögen, in den Extremitätenstummeln, ferner in der Wand
der Lungen und des Darmes nimmt das Mesenchym schon sehr
frühzeitig eine dichtere Beschaffenheit an, indem die Zellen hier
sich stark vermehren, klein bleiben und sich sehr dicht aneinander-
lagern, wobei die Ausläufer natürlich zu ganz kurzen Verbindungs-
brücken reduziert werden und die Interzellularräume sehr schmal
werden. An manchen Stellen, z. B. in den Kiemenbögen und den
Extremitäten kann dieses Zusammenrücken der Zellen so weit
gehen, dass die Zellleiber der einzelnen Zellen tatsächlich zu ver-
schmelzen scheinen und man eine kontinuierliche Protoplasma-
masse mit dicht gedrängten Kernen erhält.
Bekanntlich haben einige Autoren, die die Entwicklung der
faserigen (Grundsubstanz des Bindegewebes untersuchten, das
Mesenchym in den frühen Stadien als Synzytium bezeichnet und
die hellen Räume zwischen den Zellen, wo später die Kollagen-
fasern auftreten, als Exoplasma aufgefasst (Mall|28], Retterer).
Ich finde, dass man eine solche Bezeichnung nur den eben be-
schriebenen, äusserst diehten Mesenchymabschnitten geben kann
— auch hier lösen sich übrigens mit der weiter fortschreitenden
Entwicklung die Zellen gewöhnlich wieder voneinander und die
ästigen Ausläufer treten wieder auf — das Zusammenfliessen zu
einem Synzytium war also bloss ein scheinbares. Ganz unpassend
ist sie aber meiner Meinung nach für das gewöhnliche Mesen-
chym — hier kann man sich an einem frischen Zupfpräparat
leicht davon überzeugen, dass man es nicht mit einem Synzytium,
sondern tatsächlich mit scharf konturierten, netzartig verbundenen
Zellkörpern von bestimmter äusserer Form zu tun hat — wie es
auch Spuler (56) seinerzeit beschrieben hat.
In den frühen Entwicklungsstadien des Mesenchyms, die
uns jetzt interessieren, tritt an seinen Zellen sehr regelmässig
eine Erscheinung hervor, über die ich in der Literatur keine
Angaben finden konnte.
An einigen zum Teil ganz bestimmten Körperstellen beobachtet
man nämlich im Protoplasma der Mesenchymzellen eigentümliche
Einschlüsse, die sich manchmal in grossen Mengen anhäufen und
das Aussehen der Zellen stark verändern (Taf. XVIL, Fig. 7 u.8
500 Alexander Maximow:
Mz u.Mz'). Im Protoplasma liegen grössere und kleinere, kugelige
oder eckige Körner und Schollen, meist in hellen Vakuolen
gebettet. Sie bestehen aus verschiedenen Substanzen, denn ein
Teil von ihnen färbt sich mit EAz rot oder violett, der andere
mehr oder weniger dunkelblau. Die Nuancen sind übrigens so
mannigfaltig, dass ich sie auf den Zeichnungen nicht alle wieder-
geben konnte, es kommen z. B. himmelblaue, grünliche, anderer-
seits tiefblaue, fast schwarze Teilchen vor. Meistens bestehen
die Schollen aus beiden Substanzen, der erythrophilen und der
zyanophilen zugleich, in der Art, dass eine rote oder violette
Kugel eine oder mehrere blaue kleinere Kugeln in ihrem Innern
enthält oder an der Oberfläche mit einer oder mehreren tief-
blauen Kalotten versehen erscheint (Fig. 7 u. 53). Seltener sieht
man blaue Ringe (Hohlkugeln) mit hellem oder erythrophilem
Inhalt.
Wenn die Einschlüsse spärlich sind, ändern sie die äussere
Form der Zelle nicht. Wenn sie aber eine Zelle in grosser
Anzahl erfüllen, dann erscheint dieselbe meistens abgerundet
und von den benachbarten Zellen isoliert; auch der Kern ist
dann meistens deformiert und zur Seite geschoben. Es entstehen
grosse, mit Einschlüssen beladene runde Zellen (Fig. 7), die aber
nicht als echte Wanderzellen bezeichnet werden dürfen.
Beim ersten Anblick lassen die beschriebenen Bilder Pha-
gozytose von seiten der Mesenchymzellen vermuten: die Ein-
schlüsse sehen tatsächlich degenerierenden verschlungenen Zell-
resten äusserst ähnlich aus. Phagozytäre Erscheinungen kommen
nun allerdings im Mesenchym, wie wir sehen werden, wohl vor,
aber in dem gegebenen Falle kann es sich doch kaum um
Phagozytose handeln; man findet eben fast gar keine richtigen
degenerierenden Zellen ausserhalb und innerhalb der mit Ein-
schlüssen beladenen Mesenchymzellen. Man könnte die Vermutung
äussern, dass es sich einfach um Dotterplättchen handle. Man
findet auch tatsächlich an einigen Stellen im Epithel der Gehirn-
blasen, im Epithel der Mundhöhle oft ganz ähnliche Einschlüsse,
allerdings in viel geringerer Menge, als im Mesenchym. Aber
gegen diese Annahme spricht der Umstand, dass bei dem ersten
Entstehen des Mesenchyms, z. B. bei Kaninchenembryonen von
8Y2--9 Tagen die Einschlüsse gewöhnlich noch spärlich sind,
später aber, bei Kaninchenembryonen von 9°/4—10 Tagen oder
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. >01
Katzenembryonen von 6—7 mm an Menge stark zunehmen.
Ausserdem sehen die unzweifelhaften Dotterplättchen, wie man
sie in den Entodermzellen der Dotterblase findet, anders aus
(Fig. 2 Ent) — es sind regelmässig kugelige, erythrophile Körner.
Es handelt sich also augenscheinlich um ein Elaborat des
Protoplasmas der Mesenchymzellen. Man kann auch in der Tat
beobachten, wie sich die Einschlüsse im Plasma einer Zelle aus
zuerst winzig kleinen erythrophilen Körnchen entwickeln, wie
diese allmählich wachsen und wie dann in ihrem Inneren oder
an ihrer Oberfläche auch die zyanophile Substanz erscheint.
Die physiologische Bedeutung dieser Erscheinung ist voll-
kommen dunkel. Es ist möglich, dass die Substanz der Ein-
schlüsse nachträglich als ein besonderes Sekret von den Zellen
ausgeschieden wird; dafür sprechen die weiter unten beschriebenen
Befunde bei der Entwicklung der Gefässanlagen im Körper-
mesenchym (Fig. 8 u. 9). Sehr interessant ist aber die Verteilung
der mit Einschlüssen versehenen Mesenchymzellen im Körper.
Zuerst sind sie, wie gesagt, spärlich, man findet sie aber schon bei
Kaninchenembryonen von S Tagen 19 Stunden mit 10 Segmenten
(Fig. SMz u. Mz‘'). Später nehmen sie an Zahl zu, bis sie in den
oben angegebenen Stadien die Höhe ihrer Ausbildung erreichen.
Im folgenden nimmt ihre Zahl wieder ab und sie verschwinden
allmählich, einzelne Mesenchymzellen mit Einschlüssen habe ich
aber in verschiedenen Körperteilen sogar bei Kaninchenembryonen
von 13'/’»—14 Tagen und bei Katzenembryonen von 1 cm gesehen.
Einzelne mit Einschlüssen beladene Mesenchymzellen können
überall im Körper vorkommen, besonders dort, wo das Mesenchym
locker ist. An einigen bestimmten Stellen sammeln sie sich aber
in auffallend grossen Mengen an. Hier ist vor allem das Kopf-
mesenchym zu nennen und zwar speziell die Austrittsstellen
gewisser Hirnnerven aus dem Gehirn, des facialis, acusticus,
glossopharyngeus und vagus. Auch am Ganglion Gasseri sieht
man viele solche Zellen, ferner liegen sie in Haufen hart an
der Wand der vena jugularis. In einem Falle sah ich sogar
zwei solche Zellen innerhalb einer Kapillare am Gehirn liegen.
Ausserdem findet man grössere Mengen von Einschlüssen in den
Mesenchymzellen an dem oberen und unteren Kieferfortsatz und
an den Kiemenbögen, an der Grenze des verdichteten Mesenchyms
mit dem lockeren, ferner in dem der Perikardialhöhle zugekehrten
502 Alexander Maximow:
Teil des Septum transversum, an den Urnierenkanälchen und
auch in der Allantois.
Es muss notiert werden, dass die beschriebenen Einschlüsse
zwar bei allen Embryonen in den bezeichneten Stadien nach-
gewiesen werden können, dass sie aber bei einigen sonst ganz
normalen Fxemplaren in ganz aussergewöhnlichen Mengen
auftreten.
8. Die Wanderzellen des Mesenchyms.
Ich habe schon gesagt, dass man in den frühesten Ent-
wicklungsstadien im Mesenchym nur eine einzige Zellart findet
Bei seiner ersten Entstehung besitzt das Mesenchym keine
Wanderzellen. Sie treten erst nachträglich, allerdings schon sehr
früh auf.
Das früheste Stadium, wo ich die ersten Wanderzellen im
Mesenchym entstehen sehe, ist das von 9°/ı Tagen für das
Kaninchen. Hier ist das Mesenchym im Bereich der Körpers
schon ziemlich reichlich. Es besteht aus grossen, saftigen,
ästigen Zellen, die übrigens an manchen Stellen auch ziemlich
klein sein können (Taf. XIX, Fig. 11—14 Mz) und enthält viele
Blutgefässe, die ein besonders dichtes Netz unmittelbar an der
Oberfläche der Hirnblasen bilden. Der jetzt beginnende Prozess
der Wanderzellenbildung verläuft auch in etwas späteren Stadien
(Kaninchenembryo 10—10!/sz Tage) in gleicher Weise weiter.
Man bemerkt (Fig. 11—14 Lwz), wie an vielen Stellen
einzelne Mesenchymzellen, vornehmlich am Vorderhirn und
meistens in der Nähe von Blutgefässen, sich kontrahieren und
abrunden. Die breiten steifen Fortsätze werden eingezogen, der
Zellkörper nimmt eine annähernd kugelige Form an und bleibt
noch zuerst mit den Nachbarzellen durch feine protoplasmatische
Brücken verbunden, die aber bald verschwinden, sodass die Zelle
ganz frei wird. Sie fängt sofort an, breite amöboide Vorstösse
zu bilden, sie wird amöboid und wandert in den von homogener
Zwischensubstanz erfüllten Räumen zwischen den Mesenchym-
zellen umher. Zu gleicher Zeit ändert sich auch die innere
Struktur der Zelle. Das Protoplasma bekommt ein sehr dichtes
Gefüge und eine stärkere Basophilie, färbt sich dunkler mit
Azur und es erscheinen in ihm zahlreiche feine Vakuolen (Fig. 11
und 14 Lwz). Die Sphäre tritt äusserst deutlich als scharf
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 5053
abgegrenzter, mit EAz sich rotviolett färbender Körper (Fig. 11)
hervor. Sehr oft (Fig. 15 Lwz) erscheint die Sphäre nach
E Az-Färbung als heller Hof mit einem roten Korn, der Zentriolen-
gruppe in der Mitte. Der Kern wird meistens etwas kleiner,
seine Form wird unregelmässig, er bekommt Einkerbungen und
Falten an der Oberfläche, besonders an der Seite, wo die Sphäre
liegt, seine Membran wird dicker, färbt sich dunkler, das
Chromatin im Innern verändert sich aber bloss unbedeutend,
ebenso auch die grossen eckigen Nukleolen.
In einigen Fällen, selbst in etwas späteren Stadien, sieht
man den beschriebenen Prozess der Abrundung und Isolierung
sich auch an wirklichen Gefässendothelzellen abspielen (Fig. 158).
Der platte Zellkörper bildet an seiner äusseren Oberfläche
Pseudopodien, allmählich rückt die Zelle aus dem Verbande der
Endothelzellen heraus und gelangt ins Gewebe.
Nicht selten bemerkt man ferner schon bei dem ersten
Auftreten der Wanderzellen, dass einige von ihnen einen etwas
abweichenden morphologischen Charakter annehmen. Das Proto-
plasma bleibt hell und schwach basophil, es erfüllt sich oft mit
grossen unregelmässigen Vakuolen, der Kern erhält aber besonders
tiefe Falten und Einschnürungen (Taf. XIX, Fig. 16x), wobei man
in seinem Inneren gröbere eckige Uhromatinteilchen neben den
Nukleolen auftreten sieht; die Sphäre ist weniger deutlich, als
im ersten Fall. Diese Wanderzellen von etwas abweichender
Form und Aussehen sind mit den an erster Stelle beschriebenen
stets durch eine Reihe von fliessenden Übergangsformen ver-
bunden.
Alle jungen Wanderzellen können selbständig weiter wuchern
und man findet in ihnen Mitosen, die den typischen Mitosen der
Blutlymphozyten völlig gleichen.
Aus der angeführten Beschreibung erhellt, dass die ersten
Wanderzellen,. die im Mesenchym auftreten, nach ihrer Struktur
und ihrem Aussehen, wenigstens zum grössten Teil, vollständig
den grossen Lymphozyten entsprechen, wie wir sie in dem blut-
bildenden Gefässnetz der area vasculosa aus den primitiven
Blutzellen haben entstehen sehen. Wenn sich ein Teil der
Zellen auch durch schwächere Basophilie und einen kleineren,
unregelmässigeren Kern auszeichnet, so sind diese Unterschiede
504 Alexander Maximow:
am Ende doch sehr unbedeutend und ausserdem lassen sich
diese Zellen von den übrigen keineswegs scharf trennen.
Auch genetisch sind die ersten Wanderzellen des Mesenchyms
den grossen Lymphozyten der area vasculosa ganz gleichwertig.
Diese letzteren sind ja in letzter Instanz auch abgerundete
mobile Mesenchymzellen, ebenso wie die im Körpermesenchym
entstehenden Wanderzellen. Also gehören die ersten Gewebs-
wanderzellen des Säugetierembryo und die ersten Blutlymphozyten
zu ein und demselben Zellstamm, obwohl die letzteren an anderen
Stellen des Mesenchyms und früher entstehen. Die gleich am
Anfang hervortretenden abweichenden Merkmale eines Teils der
Gewebswanderzellen hängen sicherlich nur von den etwas
abweichenden äusseren Existenzbedingungen ab, in denen sich
die betreffenden Zellen befinden.
Histiogene und hämatogene Wanderzellen dürfen also über-
haupt nicht als zwei gesonderte Zelltypen betrachtet werden.
Die Bezeichnungen selbst dürfen wohl gebraucht werden, aber
nur um den jeweiligen Aufenthaltsort der Zellen zu kennzeichnen.
Wir werden noch weiter sehen, dass alle diese Zellen keineswegs
an ihren Ursprungsort gebunden sind und dass eine hämatogene
Wanderzelle, ein Blutlymphozyt ins Gewebe und umgekehrt eine
Iymphozytoide histiogene Wanderzelle ins Blut als vollgültige
Ersatzzelle übertreten kann.
Wie beim Kaninchen, so entstehen die ersten Wanderzellen
im Mesenchym auch bei den anderen Säugern. So finde ich es
z.B. bei der Katze, dem Meerschweinchen, der Maus und der
Ratte. Hier treten in entsprechenden Stadien, ebenfalls zuerst
im Kopfmesenchym, ziemlich grosse Iymphozytenähnliche Wander-
zellen auf und sie entstehen hier ebenfalls durch Abrundung und
Mobilisierung der Mesenchymzellen, oft auch der Peri- und Endothel-
zellen der Gefässe (Fig. 23 Lwz).
Mit der weiteren Entwicklung der intravaskulären Lympho-
zyten der area vasculosa sind wir bekannt. Die weitere Ent-
wicklung der ersten Iymphozytenähnlichen Gewebswanderzellen
verläuft auf andere Weise und führt zu anderen Resultaten. Das
kann aber selbstverständlich nicht als Beweis gegen die Zu-
sammengehörigkeit der intra- und extravaskulären Iymphozytoiden
Wanderzellen angesehen werden. Der verschiedene Entwicklungs-
modus hängt bloss davon ab, dass die Zellen sich auch in ganz
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 505
verschiedenen Existenzbedingungen, die einen 'ntravaskulär im
Blutplasma, die anderen extravaskulär im embryonalen Binde-
gewebe befinden. Es wäre im Gegenteil viel weniger verständlich,
wenn sie sich dabei in der gleichen Weise weiter entwickeln
würden.
Bei einem Kaninchenembryo von 11 oder noch besser von
12 Tagen (9,5 mm Länge) (Katzenembryo von 7 mm) ist das
Mesenchym schon sehr reichlich, besonders im Kopf und im
der Umgebung der Aorta und Chorda. Hier sehen wir schon
sehr viele Wanderzellen, wobei die allermeisten sich im Kopf-
mesenchym, in der Nähe der Gehirnwand, vornehmlich an ihrer
ventrolateralen Seite befinden. Sie sind aber auch hier ziemlich
ungleichmässig verteilt. In dem die Chorda und die Aorta um-
gebenden lockeren Mesenchym werden sie in der kaudalen Richtung
immer spärlicher. In der seitlichen Rumpfwand sind sie vor-
läufig auch nicht zahlreich. Von sonstigen Stellen, wo man schon
in diesem Stadium Wanderzellen immer trifft, kann man noch
das Septum transversum nennen und das halbkugelförmige, aus
sehr lockerem und saftigem Mesenchym bestehende Polster,
welches beim Kaninchen von der Allantois an der Ansatzstelle
des Embryo an die Plazenta zu der angegebenen Zeit gebildet
wird. An allen Stellen, wo das Mesenchym eine dichtere Be-
schaffenheit hat, sind die Wanderzellen sehr selten. In den
Kiemenbögen, dem Unter- und Öberkieferfortsatz und in den
Extremitäten fehlen sie in dem synzytialen Mesenchym vollständig.
In noch späteren Stadien (Kaninchen 12 Tage 19 Stunden),
wo die Gesamtmasse des Mesenchyms noch mehr zugenommen
hat, bleibt die beschriebene relative Verteilung der Wanderzellen
dieselbe. Ihre absolute Zahl wird aber noch grösser. Dann findet
man sie auch zwischen den Kanälchen der Urniere, im Mesen-
terium des Darmes usw. Sehr interessant ist es ferner, dass die
im folgenden beschriebenen kleinkernigen pseudopodienreichen
Wanderzellen schon sehr früh und in noch viel grösseren
Mengen, als im Körpermesenchym, im Bindegewebe des Amnions
auftreten — so finde ich sie besonders zahlreich, zu grossen
Gruppen vereinigt, bei einem Kaninchenembryo von 12 Tagen an
den Stellen, wo das Amnion in die Rumpfwand übergeht. Wander-
zellen im Amnion sind bereits von Spuler (56) beobachtet
worden.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 33
506 Alexander Maximow:
Wenn die Wanderzellen schon bei ihrer ersten Entstehung
etwas verschieden aussahen, so sind sie jetzt schon sehr mannig-
faltig geworden und die meisten von ihnen unterscheiden sich
sehr bedeutend von dem ursprünglichen Iymphozytoiden Typus.
Die meisten von ihnen (Taf. XIX, Fig. 20, 21, 22, 26 Wz)
sind kleiner geworden, obwohl die Grösse bedeutend wechselt
und stellen äusserst bewegliche, stets mit einer Menge zackiger
oder abgerundeter, auch gestielter Pseudopodien an der Ober-
fläche versehene Elemente vor. Die äussere Form ist sehr ver-
schieden, was von den Bewegungen der Zellen abhängt. Das
Protoplasma hat einen feinen retikulären Bau, ist aber zum
Unterschied von den Lymphozyten sehr blass und nicht basophil;
im Gegenteil, es erhält an ZF EAz-Präparaten (besonders bei der
Katze, Fig. 27 Wz, Wz‘) oft einen leicht rötlichen Ton. Sehr
charakteristisch sind die zahlreichen, grossen und kleinen hellen
Vakuolen, die den ganzen Zellleib erfüllen. Sehr typisch ist auch
der Kern — er ist relativ sehr klein und sieht wie geschrumpft
aus, da seine Membran tiefe Falten und Furchen bildet. Im
Inneren sieht man mehrere kleinere und grössere Chromatin-
teilchen und nur undeutlich hervortretende kleine Nukleolen.
Der Kern ist entweder sehr blass (Fig. 26 Wz links oben), oder
er nimmt im Gegenteil eine gerade besonders dunkle Färbung
an (Fig. 26 Wz rechts oben). Die Sphäre ist meistens viel kleiner,
als in den Lymphozyten.
Im Vergleich mit den grossen Iymphozytoiden Wanderzellen
der früheren Stadien (Fig. 11—14 Lwz) fällt hier also besonders
die Abnahme der Basophilie im Protoplasma, seine relative Zu-
nahme an Masse und die grossen Vakuolen auf, während der
Kern sehr klein wird, unregelmässige Formen bekommt und sich
entweder ebenso hell, wie das Protoplasma, oder im Gegenteil
noch viel dunkler färbt.
Es lassen sich übrigens stets in den Staaien, die ich jetzt
beschreibe, doch auch ziemlich oft ganz dieselben Iymphozytoiden
Wanderzellen finden, wie früher. Unter ihnen gibt es wieder
sehr grosse und andererseits sehr kleine, zwerghafte Formen.
Ferner, und das ist sehr wichtig, kommen auch wandernde
Zellen vor, die nach ihrem morphologischen Charakter alle mög-
lichen Übergangsformen zwischen den kleinkernigen, blassen,
vakuolisierten Formen und den basophilen, Iymphozytoiden
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 507
repräsentieren. So gibt es ziemlich grosse oder auch kleine
Zellen (Fig. 26x), die nach dem Massenverhältnis von Kern und
Plasma den Lymphozyten entsprechen, die aber sehr blass sind,
viele kleine Pseudopodien aufweisen und deren Kern eine stark
gefaltete Membran besitzt. Andere Zellen sind wieder glatt
konturiert und kugelig wie Lymphozyten, haben auch manchmal
ein deutlich basophiles Plasma und eine grosse Sphäre — der
Kern ist aber klein, geschrumpft und färbt sich dunkler, als das
Protoplasma (Fig. 17 und 27 Wz rechts oben).
Der Ursprung aller der beschriebenen Wanderzellenformen
im Mesenchym tritt auch in diesen späteren Stadien klar hervor.
Überall, wo man sie erblickt, sieht man sie auch weiter in loco
aus gewöhnlichen Mesenchymzellen neu entstehen (Fig. 18, 19
und 26 y, Fig. 27 Wz links). Die betreffenden Zellen kontrahieren
sich, ziehen ihre Ausläufer allmählich ein, bilden dafür kleine
scharf konturierte Pseudopodien, das Protoplasma erfüllt sich mit
Vakuolen, der Kern schrumpft und wird dunkel — auf diese
Weise entstehen die kleinkernigen blassen Wanderzellen. Ausser-
dem sieht man aber hin und wieder, obzwar selten, auch Neu-
entstehung von Iymphozytoiden Wanderzellen aus den Mesen-
chymzellen. Sehr oft, besonders an den am Gehirn verlaufenden
Blutgefässen, kann es sich dabei speziell um Endo- oder Perithel-
zellen handeln,
Nach ihrer Isolierung wuchern die Wanderzellen selbständig
weiter und diese Mitosen sehen in der Regel überaus charakte-
ristisch aus (Fig. 21 und 27 Wz‘) — der blasse rundliche Zell-
leib behält die kleinen zackigen oder gestielten Pseudopodien,
im Inneren liegt die stark verklumpte Uhromosomenmasse.
In den beschriebenen Stadien haben also die jetzt schon
sehr zahlreichen Wanderzellen im Mesenchym ein sehr ver-
schiedenes Aussehen. Zum grössten Teil unterscheiden sie sich
schon sehr bedeutend von den Lymphozyten des Blutes. Das
genaue Studium ihrer Entwicklungsgeschichte belehrt uns aber,
dass diese Schwankungen des morphologischen Charakters und
speziell die Entfernung vom Lymphozytentypus uns keinen ge-
nügenden Grund geben, die Wanderzellen des Mesenchyms von
den im Blute befindlichen Lymphozyten genetisch scharf zu trennen.
Erstens haben wir gesehen, dass die ersten im Mesenchym auf-
tretenden Wanderzellen den Lymphozyten auch in bezug auf ihre
33*
508 Alexander Maximow:
innere Struktur mehr oder weniger vollkommen entsprechen.
Später erhalten allerdings, wie wir sehen, mit der Zunahme der
(Gesamtzahl der Wanderzellen die meisten von ihnen ein anderes
Aussehen, aber ein Teil von ihnen geht ja aus den ersten, Iympho-
zytoiden durch eine Reihe von Teilungen direkt hervor und wir
sehen auch eine ganze Reihe fliessender Übergangsformen zwischen
den verschiedenen Typen der Wanderzellen. Ausserdem werden
wir in einem weiteren Abschnitte noch sehen, dass gelegentlich
an bestimmten Stellen im Mesenchym die darin befindlichen
Wanderzellen infolge unbekannter Einflüsse genau dieselbe Ent-
wicklungsrichtung einschlagen können, wie die intravaskulären
Lymphozyten in der area vasculosa und auch Erythroblastenherde
erzeugen. Beweise für ihre direkte Verwandlung in richtige
Lymphozyten wird uns auch noch das Studium der Blutbildung
in der Leber liefern.
Nicht selten kann man beobachten, besonders an den
Kapillaren, die das Gehirn umflechten (Kaninchenembryo 12 Tage),
wie einzelne blasse histiogene Wanderzellen durch Migration in
die Gefässe hineingelangen — man findet sie auch, obzwar sehr
selten, im zirkulierenden Blut. Umgekehrt können sicherlich
auch einzelne Blutlymphozyten schon bei sehr jungen Embryonen
aus engen Gefässen in das Mesenchym übertreten. Endlich
werden wir auch weiter unten sehen, dass die Endothelzellen der
Aorta an bestimmten Stellen unter Wucherung und Abrundung
Zellformen liefern, die zuerst morphologisch vielen von den im
Mesenchym herumkriechenden Wanderzellen völlig gleichen, dann
aber vom Blut fortgeschwemmt werden und sich dabei in echte
Lymphozyten verwandeln. Es möge auch noch darauf hingewiesen
werden, dass die kleinkernigen blassen Wanderzellen des Mesen-
chyms den oben beschriebenen Phagozyten endothelialer Herkunft
in den Gefässen der area vasculosa morphologisch vollkommen
entsprechen.
Auch die Wanderzellen des Mesenchyms, die „histiogenen
Wanderzellen“ sind folglich einfach abgerundete Mesenchymzellen,
ebenso wie die Blutlymphozyten. Sie stellen zusammen mit den
letzteren einen einzigen grossen Stamm der Wanderzelien vor.
Diese Feststellung hat selbstverständlich eine sehr grosse Be-
deutung, nicht nur für die Hämatologie allein, sondern auch für
die anderen Zweige der morphologischen Wissenschaft und auch
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 509
für die Pathologie, speziell für die I,ehre von der Histiogenese
der Entzündung.
Es ist bekannt, wie viel Kontroversen es gerade in dieser
Wanderzellenfrage gibt — dies ist auch leicht erklärlich, denn
die Wanderzellen stellen eine äusserst polymorphe Zellgruppe vor.
Wir sehen ja, dass diese Eigenschaft schon bei ihrem ersten
Auftreten im Embryo hervortritt, dass wir gleich am Anfang
histiologisch mehrere Zelltypen unterscheiden können. Wenn
wir diese letzteren nur im erwachsenen Organismus oder in den
späteren Embryonalstadien untersucht hätten, könnten wir uns
leicht verleiten lassen, sie auch genetisch scharf zu trennen und
für sie verschiedene Stammbäume zu konstruieren — im Wirk-
lichkeit, bei genauer Verfolgung ihrer ersten Entstehung erweist
es sich aber, dass die Unterschiede, die die einzelnen Wander-
zellen bieten, eigentlich keine grosse Bedeutung haben, dass sie
ausserordentlich labil und veränderlich sind. Diese Unterschiede
sind nur das Resultat dessen, dass ein indifferenter, mit hoher
Entwicklungspotenz ausgestatteter und eine ausgesprochene
Neigung zur Polymorphie besitzender Zellstamm, die abge-
rundeten wandernden Mesenchymzellen, in jedem einzelnen ge-
gebenen Fall je nach Körperstelle und Entstehungszeit in sehr
verschiedene Existenzbedingungen gelangen, durch welche die Ent-
wicklung in eine ganz bestimmte Bahn geleitet wird. Im Grunde
genommen ist jedoch die genetische und die prospektive Be-
deutung aller Wanderzellenarten des Mesenchyms und des Blutes
ein und dieselbe.
Von anderen Autoren sind die Wanderzellen des Mesen-
chyms am genauesten von Saxer (49) beschrieben worden. Er
hat sie aber erst in viel späteren Stadien untersucht; ihre Ent-
stehung an Ort und Stelle aus den Mesenchymzellen ist ihm
unbekannt geblieben. Er trennt diese Wanderzellen, die er
„primäre“ nennt und die er zuerst nur Erythroblasten produzieren
lässt, von den eigentlichen Leukozyten, die seiner Meinung nach
aus ihnen erst viel später entstehen. Auch dies muss jetzt
korrigiert werden, denn die Wanderzellen des Mesenchyms sind
erstens gar nicht „primär“, sondern entstehen später, als die
Blutlymphozyten und zweitens gehören sie mit diesen letzteren
zu ein und demselben Zellstamm und dürfen von ihnen nicht
getrennt werden. Die Lymphozyten verdienen aber mit Fug und
510 Alexander Maximow:
Recht den Namen Leukozyten — es sind ja echte ungranulierte
weisse Blutkörperchen. In der Arbeit von Spuler (56) über
die Histiogenese der Bindesubstanzen werden ebenfalls Wander-
zellen im embryonalen Mesenchym, allerdings in viel späteren
Entwicklungsstadien erwähnt, die nach ihrem schwammigen
Protoplasma sicherlich den von mir beschriebenen Wanderzellen
entsprechen.
So haben wir also in den beschriebenen Entwicklungsstadien
im Mesenchym zwei Zellarten: die gewöhnlichen Mesenchymzellen
und die Wanderzellen. Die ersten können als fixe Elemente be-
trachtet werden — sie verwandeln sich mit der Zeit in die
Fibroblasten, Knorpelzellen usw. Die Wanderzellen bilden zu-
sammen mit den Lymphozyten des Blutes und der blutbildenden
Organe einen Zellstamm der abgerundeten mobilen indifferenten
Mesenchymzellen.
Wie lange die Fähigkeit der fixen Mesenchymzellen, sich
durch Abrundung in Wanderzellen zu verwandeln, bestehen bleibt,
ist auch eine sehr wichtige Frage. In den spätesten Entwicklungs-
stadien, die ich in dieser Arbeit behandle (Kaninchenembryo
14 Tage), dauert dieser Prozess noch fort, allerdings in schon
etwas abgeschwächtem Grade, sodass man die entsprechenden
Bilder schon seltener findet. Die Wanderzellen wuchern eben
vornehmlich selbständig weiter. Doch ist es sicher, dass die Ver-
wandlung der fixen Mesenchymzellen in Wanderzellen auch noch
in viel späteren embryonalen Stadien (vielleicht auch im post-
fetalen Leben) vorkommt, nur wird sie allmählich auf gewisse
spezielle Bezirke des Mesenchyms beschränkt und immer mehr
und mehr lokalisiert, so z. B. auf die Stellen, wo Lymphknoten
entstehen. Jedenfalls befindet sich Saxer (l. ce. S. 519) im
Unrecht, wenn er bewiesen zu haben glaubt, dass selbst in
frühen Zeiten embryonaler Entwicklung keine Wanderzellen aus
fixen Gewebselementen hervorgehen. Die oben geschilderten Tat-
sachen beweisen gerade das Gegenteil.
Im Vergleich mit den Literaturangaben ist es interessant
zu bemerken, dass sich die Ansicht von der extravaskulären Ent-
stehung der Leukozyten (H. E. Ziegler [69], v. d. Stricht [58])
an und für sich eigentlich als richtig erweist. Gewiss entstehen
den Leukozyten (Lymphozyten) gleichwertige Wanderzellen ausser-
halb der Gefässe, im Mesenchym. Die betreffenden Autoren
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 5ll
haben aber die frühesten Entwicklungsstadien nicht untersucht
und deswegen nicht erkannt, dass dieselben Zellen schon früher,
intravaskulär, direkt aus den Zellen der Blutinseln entstehen.
Die extravaskuläre Entstehung der Leukozyten kann also keines-
wegs als eine primäre Erscheinung angesehen werden. Die im
Mesenchym auftauchenden Wanderzellen sind bloss die viel später
und an anderem Ort entstandenen und demgemäss anders aus-
sehenden Schwesterzellen der primär intravaskulär aus den Blut-
inseln hervorgegangenen Lymphozyten.
9. Über die Bildung von Gefässanlagen mit Blut-
zellen im Körpermesenchym.
Wir haben gesehen, dass die ersten Anlagen der (efässe
und des Blutes im peripherischen mesenchymatösen Mesoblast
der area opaca entstehen. Das Mesenchym des Körpers ist
diesem mesenchymatösen Mesoblast in bezug auf die Bedeutung
seiner Zellen ganz gleichwertig. Es darf uns also eigentlich
nicht verwundern, dass auch im Körpermesenchym Blut- und
Gefässelemente auf prinzipiell dieselbe Weise entstehen können.
Es ist bekannt (Bonnet|1|, Mollier [48]), dass die ento-
embryonalen Gefässe in loco aus Gefässzellen entstehen, die
eigentlich gewöhnliche Mesenchymzellen sind, welche eine
besondere Funktion und dementsprechend eine besondere platte
Form usw. annehmen. Die früheren Lehren von dem direkten
Einwachsen der exoembryonalen Gefässe in den Körper in Form
solider, nachträglich hohl werdender Sprossen, oder umgekehrt
von dem Auswachsen der intraembryonalen Gefässe aus dem
Herzen sind verlassen worden. Bis jetzt hat man aber immer
nur Bildung von leeren Gefässen im Körpermesenchym gesehen,
während die Blutkörperchen ausschliesslich aus dem Gefässnetz
der area vasculosa in sie hineingeschwemmt werden sollten.
Nur allein bei den Teleostiern kommt bekanntlich Gefäss- und
Blutbildung zusammen zuerst gerade im Körper vor, während
das Gefässnetz auf dem Dotter erst später entsteht.
In den frühesten Embryonalstadien, z. B. bei einem Kaninchen-
embryo mit 5—-10 Ursegmenten, finde auch ich in meinen Prä-
paraten die bekannten Bilder der Entstehung von Gefässen aus
Gefässzellen, die zugleich mit den gewöhnlichen Mesenchymzellen
aus dem Mesoblast hervorgehen und, wie gesagt, eigentlich auch
512 Alexander Maximow:
Mesenchymzellen sind. Es lassen sich aber in diesen Stadien
und auch in etwas späteren gewisse Erscheinungen beobachten,
die die Sache doch etwas komplizierter erscheinen lassen. Es
können nämlich die die Gefässe bildenden Gefässzellen zum Teil
sicher auch primitive Blutzellen liefern, wie ich es oben in der
area vasculosa beschrieben habe, allerdings in viel geringerem
Grade und auf etwas modifizierte Weise; das Merkwürdige ist
dabei noch der Umstand, dass man dies durchaus nicht bei allen
Embryonen gleichen Alters in gleich deutlicher Weise hervor-
treten sieht; bei den einen werden alle Gefässe im Körper als
fast ganz leere Röhren gebildet, bei anderen, im Übrigen ganz
normalen, entstehen mit der Gefässwand zugleich auch Blutzellen.
Dieser Vorgang ist auf der Fig. 8 der Taf. XVIII dargestellt.
Man sieht hier den gleich nach hinten von der paarigen Herz-
anlage geführten Querschnitt eines Kaninchenembryo von 5 Tagen
19 Stunden mit 10 Segmenten, an der Stelle, wo über dem
Entoderm (Ent) die rechte Aorta entsteht (s). Das Mesenchym
ist hier sehr zellreich, zum Teil sind seine Zellen (Mz) sogar zu
einer Art Synzytium verbunden (Mz‘) und enthalten viele Ein-
schlüsse, wie sie oben beschrieben worden sind. Hart über dem
Entoderm treten nun die Mesenchymzellen zu einem der Körper-
achse parallel gerichteten dicken Strang zusammen, wobei sie
sich etwas vergrössern, gegenseitig abplatten, wuchern (s‘) und
sich von dem umgebenden Mesenchym ziemlich scharf isolieren (s).
Ihr Protoplasma erlangt einen bedeutenden Grad von Basophilie,
es enthält auch sehr oft Einschlüsse, neben dem Kern tritt eine
rotviolett gefärbte Sphäre hervor (s. rechts). Durch diese An-
ordnung der Mesenchymzellen entstehen also blutinselähnliche
(Gebilde im Körper selbst und ihre weiteren Veränderungen be-
stätigen die Richtigkeit dieses Vergleiches. Wenn wir die Schnitt-
serie nach rückwärts weiter verfolgen, sehen wir nämlich, dass
sich der kompakte Zellstrang in ein hohles Endothelrohr, die
rechte Aorta, direkt fortsetzt. Schon in dem abgebildeten Schnitt
sieht man einen Teil der Zellen, die peripherischen, sich
abplatten (s. links), wobei zwischen ihnen und den anderen mit
Flüssigkeit erfüllte Hohlräume auftreten (t). Aus einem Teil
der Zellen des Stranges geht also das Endothelrohr des Gefässes
hervor. Die übrigen, immer verhältnismässig spärlichen, runden
sich aber ab und bleiben im Inneren des Gefässes als wirkliche
Oi
pa
oo
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe.
primitive Blutzellen liegen; in dem betreffenden Stadium sind auch
in den Gefässen der area vasculosa nur diese letzteren vorhanden.
Die Zahl der auf solche Weise zugleich mit den Gefässen im
Körper entstehenden primitiven Blutzellen ist allerdings stets
nur ganz unbedeutend im Vergleich mit der area vasculosa.
Diese Zahl unterliegt, wie gesagt, auch ausserordentlichen indi-
viduellen Schwankungen; manchmal werden Blutzellen, wie es
scheint, sogar überhaupt nicht gebildet und die Gefässe werden
gleich von Anfang an als leere Endothelröhren angelegt — in
solchen Fällen verläuft, wie es scheint, auch ihre Entstehung
rascher, während bei Bildung zahlreicher Blutzellen die ganze
Differenzierung etwas verzögert wird.
Tatsache ist also jedenfalls, dass die primäre Gefässbildung
im Körpermesenchym bei den Säugern im Grunde genommen
ganz derselbe Prozess ist, wie die Blut- und Gefässbildung im
ausserembryonalen Mesoblast, mit dem Unterschied, dass im
Körper der eine Teil der Erscheinung, die Bildung der freien
Elemente, der Blutzellen, entweder ganz unterdrückt wird oder
nur in Form von Spuren erscheint.
Es ist interessant, dass in den Fällen, wo im Körper-
mesenchym in den Gefässanlagen auch primitive Blutzellen ent-
stehen, die Mesenchymzellen gerade besonders reich an Ein-
schlüssen sind. Die Bedeutung der letzteren ist ganz unklar,
man beobachtet aber die folgende interessante Erscheinung —
bei Ausbildung der Endothelwand scheiden die sich abplattenden
Zellen die in ihnen enthaltenen Einschlüsse in das Lumen der neuen
Gefässe aus; oft sieht man die Einschlüsse sich vom Zellleib in Form
von Tropfen abschnüren (Fig. 9) und im Gefässlumen findet man
viele runde, aus erythro- und zyanophiler Substanz bestehende
grosse und kleine Körner, die sich hier im Blutplasma bald auf-
lösen. Bei der Entstehung des paarigen Herzschlauches sieht
man genau dasselbe — auch hier werden von den ersten Herz-
endothelien meist Einschlüsse in das Lumen ausgeschieden.
Bildung von primitiven Blutzellen in loco zugleich mit dem Herz-
endothel habe ich nicht bestimmt gesehen, diese Möglichkeit
möchte ich jedoch nicht ganz ausschliessen.
In etwas späteren Stadien (Kaninchenembryo von 9'/, Tagen)
finde ich noch weitere Beweise für die beschriebene intra-
514 Alexander Maximow:
embryonale gleichzeitige Bildung von Blut- und Gefässanlagen.
Zu dieser Zeit sind die grossen Gefässe schon alle entwickelt,
in ihnen zirkuliert schon Blut, welches primitive Erythroblasten
und sehr spärliche Lymphozyten resp. Übergangsformen von den
primitiven Blutzellen zu ihnen enthält. In dem jetzt schon
reichlichen, aber noch keine Wanderzellen enthaltenden Mesen-
chym sieht man nun an vielen Stellen sich sehr interessante
Prozesse abspielen. Solche Stellen findet man vor allem im
Kopfmesenchym ‚in der präotischen Region, an der seitlichen
Fläche und unmittelbar hinter dem noch offenen Gehörgrübchen,
ferner stellenweise auch in dem die axialen Organe umhüllenden
Mesenchym und auch in dem aus saftigem Mesenchym bestehenden
Allantoishöcker.
Im grosszelligen lockeren Mesenchym (Taf. XVIII, Fig. 10
Mz) verlaufen gewundene und verästelte Zellstränge, die vom
Mesenchym gar nicht scharf abzugrenzen sind und stellenweise
in fertige Gefässe (L) übergehen. Sie bestehen erstens aus den-
selben ästigen saftigen wuchernden Mesenchymzellen (Mz), die
sich gegenseitig durch. Ausläufer verbinden und sich an den
Übergangsstellen zu den Gefässen unmittelbar in die Endothel-
zellen (Ed) fortsetzen. Zweitens liegen dazwischen grosse rund-
liche oder unregelmässig geformte, aber jedenfalls nicht mehr
fixe Zellen, die ein verschiedenes Aussehen haben. Zum Teil
(Mz'') sind es der inneren Struktur nach gewöhnliche Mesenchym-
zellen, die sich nur abgerundet und isoliert und oft eine deut-
liche Sphäre bekommen haben. Zum Teil (Lmz) sind es schon
Zellen von Lymphozytencharakter mit dunklerem basophilem
Protoplasma von dichterem Gefüge und mit mehr oder weniger
zahlreichen Vakuolen. Die meisten (pEbl) haben aber das Aus-
sehen von jungen primitiven Erythroblasten, wie wir sie von der
Beschreibung der area vasculosa her kennen. Der grosse kugelige
Zellleib wird allmählich homogen, färbt sich in einem immer
deutlicheren rosafarbenen Ton. der sich immer mehr und mehr
verkleinernde Kern erhält ein regelmässiges Chromatingerüst
mit deutlichen Nukleolen. Mitosen sind in diesen jungen primi-
tiven Erythroblasten sehr häufig, nicht selten (pEbl‘) findet man
auch mehrpolige Mitosen in den besonders grossen Zellen.
Man kann sich nun beim Vergleich verschiedener Stellen
im Präparat leicht davon überzeugen, dass die beschriebenen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 515
Zellansammlungen Gefäss- und Blutanlagen zugleich vorstellen
und in loco aus wuchernden Mesenchymzellen entstehen. Aus
einem Teil der letzteren gehen die Endothelzellen hervor, indem
sich die Zellleiber abplatten und die Ausläufer sich zu einer
Membran verbinden; an ihrer äusseren Oberfläche (Fig. 10 Ed
rechts oben) bleibt diese Membran mit den übrigen Mesenchym-
zellen auch später verbunden. Die übrigen Zellen des Zellstrangs
isolieren sich und verwandeln sich in Blutzellen. Entsprechend
dem späteren embryonalen Stadium bekommen wir dabei aber
keine wirklichen primitiven Blutzellen mehr, sondern die grossen
sich abrundenden Mesenchymzellen gehen sofort die einen in
Lymphozyten, die anderen, die meisten, in primitive Erythroblasten
über — ebenso, wie es ja in viel grösserem Maßstab zu gleicher
Zeit in den Gefässen der area vasculosa geschieht.
Die auf die beschriebene Weise entstandenen Lymphozyten
und Erythroblasten liegen zuerst zwischen den noch ästigen
Mesenchymzellen des Stranges unregelmässig zerstreut (Fig. 10
links). Sobald sich aber die Endothelmembran differenziert hat,
werden sie von derselben umscheidet, durch interzelluläre Flüssig-
keit auseinandergeschoben und wir bekommen ein Gefässrohr
(Fig. 10 rechts) mit spärlichen Lymphozyten und zahlreichen
Erythroblasten im Inneren. Dies Gefäss steht natürlich von
Anfang an mit den benachbarten in Verbindung und erscheint
gewöhnlich zuerst durch die in seinem Lumen liegenden wuchern-
den Erythroblasten noch ganz verstopft, bis die letzteren all-
mählich ausgeschwemmt werden.
Auch bei der beschriebenen Bildung kleiner intraembryonaler
Gefäss- und Blutanlagen findet man in den Mesenchymzellen zahl-
reiche granuläre Einschlüsse die bei der Entstehung des Gefäss-
lumens in dasselbe ausgeschieden werden.
Die beschriebene Erscheinung stellt meiner Ansicht nach
den letzten, in etwas atypischer und abgekürzter Form ver-
laufenden Rest des ursprünglichen Prozesses der Blutinselbildung
vor. Die Blutinselbildung beginnt zuerst im peripherischen extra-
embryonalen Mesoblast. breitet sich dann auf den intraembryonalen
aus und erlischt hier schon in verhältnismässig frühen Stadien,
indem sie durch einen abgeänderten, vollkommeneren Typus der
Blutbildung ersetzt wird.
516 Alexander Maximow:
10. Die Entstehung der Lymphozyten aus dem
Gefässendothel.
Wir haben gesehen, dass in sehr frühen Stadien, nach Ver-
wandlung der Blutinseln in ein Gefässnetz mit Blutzellen, die
Endothelzellen dieser extraembryonalen Gefässe sich abrunden,
isolieren und in freie primitive Blutzellen verwandeln können.
Diese nachträgliche Abrundung der Endothelzellen und ihre Ver-
wandlung in Blutzellen tritt aber dort hinter der selbständigen
Vermehrung der letzteren ganz zurück und wenn die Endothel-
zellen sich auch im folgenden ablösen, so werden sie dann doch
nur zu phagozytischen Elementen, die allerdings auch, wie gesagt,
nur eine Abart der Lymphozyten vorstellen.
So wie sich nun der Prozess der Blutinselbildung, in dem
peripheren Mesoblast beginnend, auch auf das Körpermesenchym,
allerdings in sehr abgeschwächter Weise, ausbreitet, so geschieht
es auch mit dieser nachträglichen Ablösung einzelner Endothel-
zellen von der fertigen Gefässwand. Auch diese Erscheinung
beobachten wir zuerst in der area vasculosa, wo sie später in
abgeänderter Form mit anderen Resultaten fortdauert und sie
pflanzt sich ebenfalls, dem arteriellen System des Dottergefäss-
netzes folgend, zum Körper hin weiter fort. Auch in den ento-
embryonalen Gefässen bewahrt das Endothel, nachdem die letzten
Spuren der im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen primitiven
Gefäss- und DBlutanlagen verschwunden sind, während einer
längeren oder kürzeren Zeit die Fähigkeit, durch Isolierung und
Abrundung seiner Zellen freie Elemente zu liefern, die zu dem
grossen Stamm der wandernden Mesenchymzellen gehören und
in den meisten Fällen morphologisch den Lymphozyten entsprechen.
Dass die Gefässendothelien auch nach aussen, in das Gewebe
hinein wandernde Elemente hinausschicken können, das haben
wir bereits gesehen; diese Fähigkeit teilen sie ja mit ihren
Schwesterzellen, den gewöhnlichen Mesenchymzellen. In dem
gegenwärtigen Abschnitt beschreibe ich die gleiche, nur nach
innen, in das Gefässlumen hinein gerichtete Verwandlung.
Die Verwandlung der Endothelzellen in freie Elemente
geschieht in den grösseren Gefässen und vor allem in der Aorta
und den Dottersackarterien. Die ersten Anzeichen dieser Er-
scheinung merkt man dann, wern die Aorten noch grösstenteils
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 517
paarig sind und nur in den mittleren Körperabschnitten zu ver-
schmelzen beginnen. Ihren Höhepunkt erreicht sie beim Kaninchen-
embryo nach 10—10'/s Tagen, bei Katzenembryonen bei einer
Körperlänge von etwa 0,7 cm; auch bei den übrigen untersuchten
Säugern wird sie in den entsprechenden Stadien in derselben
Weise gefunden. Mit der weiteren Entwicklung wird sie dann
schwächer, nach 12!/s Tagen sieht man beim Kaninchen noch
einige Spuren davon, später verschwindet sie ganz.
Am deutlichsten tritt der Prozess an der ventralen Seite
der Aorta in ihrem kaudalen Abschnitt hervor, in kranialer
Richtung etwa bis zum Leberniveau. Wir sehen (Taf. XX, Fig. 31),
wie die Endothelzellen (Ed), die der inneren Struktur nach auch
jetzt den ihnen von aussen schichtenweise anliegenden gewöhn-
lichen Mesenchymzellen (Mz) vollständig gleichen, einzeln oder
meistens gruppenweise anschwellen, wuchern und sich in das
Gefässlumen vorwölben (m). Ihr Protoplasma besitzt die ge-
wöhnliche retikuläre Struktur und ist vorläufig noch nicht besonders
basophil. Der Kern erhält eigentümliche unregelmässige Formen,
er verlängert sich, schnürt sich ein, wird geknickt, seine Membran
legt sich in Falten. Neben ihm sieht man sehr deutlich (u)
eine Sphäre oder auch eine nach EAz-Färbung rote Zentriolen-
gruppe hervortreten.
Die Verbindung der angeschwollenen Zellen mit den Nachbar-
elementen wird immer lockerer und sie verwandeln sich in freie,
sicherlich bewegliche Elemente. Da diese Verwandlung auch
immer von sehr intensiver, auf einen beschränkten Bezirk
lokalisierter Wucherung (Lmz‘) begleitet wird, so entstehen an
den betreffenden Stellen der endothelialen Aortenwand grosse
Klumpen von kugeligen, lose zusammenhängenden Zellen (m), die
in das Gefässlumen hineinragen und vom Blut umspült werden.
Die oberflächlichsten Zellen eines solchen Klumpens (Lmz, Lmz‘) er-
scheinen immer bedeutend vergrössert, ihr Protoplasma wird
deutlich basophil, erfüllt sich mit feinen Vakuolen, der Kern
bekommt meist ausgesprochene Nierenform und wächst auch be-
deutend an, neben dem Kern liegt in einer Vertiefung seiner
Oberfläche eine sehr deutliche Sphäre mit Zentriolen. Solche
Zellen haben schon eine grosse Ähnlichkeit mit gewöhnlichen
Lymphozyten, wie wir sie in den Gefässen der area vasculosa und
auch im zirkulierenden Blut (Fig. 33 Lmz‘) (siehe weiter unten)
518 Alexander Maximow:
finden. Ihr kugeliger Zellleib löst sich schliesslich vollkommen
von den Nachbarzellen ab und dann werden diese reifen, Iympho-
zytenähnlichen Zellen vom Blutstrom weggespült und treten in
das zirkulierende Blut über, wo sie von den Lymphozyten anderer
Provenienz gar nicht mehr unterschieden werden können.
Dieselbe Lymphozytenproduktion auf Kosten wuchernder
Endothelien spielt sich auch in der arteria omphalomesenterica
ab, nahe von ihrer Abgangsstelle von der Aorta. Ferner greift
sie manchmal auch auf die dorsolateralen Teile des Aortenrohres
über und kann sich, wie es scheint, allerdings in sehr abge-
schwächtem Zustande, auch auf das Herzendothel, andererseits
auch auf einzelne kleinere Gefässe ausbreiten. Man findet nämlich
in dem die axialen Organe umhüllenden Mesenchym oft kleine
Gefässe, die mit Lymphozyten vollgestopft sind — natürlich kann
es sich in solchen Fällen, ebenso wie in den Kapillaren am
Gehirn, auch um aus dem zirkulierenden Blut stammende und
im Gefässlumen bloss stecken gebliebene Lymphozyten handeln.
Bei der beschriebenen Endothelzellenwucherung haben die
jüngsten Zellen (Fig. 31 m) zuerst noch nicht das Aussehen von
echten Lymphozyten; sie gleichen vielmehr den kleinkernigen
blassen Wanderzellen, wie man sie überall im Mesenchym findet
(Taf. XIX, Fig. 16 x, Fig. 17), — sie sind ja auch mit ihnen der
Genese nach identisch. Auch den blassen phagozytischen Wander-
zellen (Taf. XVIII, Fig. 4 Edph), die in der area vasculosa aus
_ dem Endothel entstehen, sind sie sehr ähnlich. Aber diese jungen
Zellen verwandeln sich, wie wir sehen, vor unseren Augen in
den Zellklumpen an der Aortenwand in echte vollwertige Lympho-
zyten. Diese Tatsache liefert einen weiteren Beweis für die
Identität der Wanderzellen des Mesenchyms und der Blutlympho-
zyten. Beide sind abgerundete mobile Mesenchymzellen.
Lymphozytenproduktion durch wucherndes Endothel hat
Dantschakoff (4a) in genau entsprechenden Stadien auch
beim Hühnchen gesehen. Es handelt sich also dabei sicherlich
nicht um eine zufällige und bedeutungslose, sondern um eine
bei verschiedenen Wirbeltierklassen regelmässig wiederkehrende
Erscheinung.
In der sonstigen Literatur ist den Endothelzellen der Ge-
fässe schon oft eine gewisse Bedeutung für die Produktion von
Blutzellen zugeschrieben worden. Ausser den Autoren, die das
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 519
speziell von der Leber behauptet haben, worüber ich weiter unten
sprechen werde, sind hier z.B. Pappenheim und Schridde(53)
zu nennen. Besonders wichtig sind aber die schon oben zitierten
Angaben Bonnets, der die Entstehung von Blutzellen aus dem
Endothel der Nabelblasengefässe bei Schaf und Hund zuerst
gesehen hat.
Meine Befunde bestätigen, dass die Endothelzellen in frühen
Stadien primitive Blutzellen, in späteren Lymphozyten produzieren
können. Es braucht ihnen jedoch, wie ich glaube, in dieser
Beziehung keine besondere spezielle Fähigkeit zugeschrieben zu
werden. Denn die genannte Eigenschaft besitzen in gleicher
Weise, wie wir gesehen haben, auch die gewöhnlichen, mit den
Blutgefässen in keiner Verbindung stehenden Mesenchymzellen.
11. Entstehung von definitiven Erythroblasten und
Erythrozyten und von granulierten Leukozyten im
Körpermesenchym.
In den späteren Stadien der embryonalen Entwicklung
kommen an verschiedenen Stellen im Mesenchym, welches sich
allmählich in wirkliches lockeres Bindegewebe verwandelt, Blut-
bildungsherde vor. Von den im neunten Abschnitt beschriebenen
unterscheiden sie sich dadurch, dass sie in keinerlei Beziehungen
mehr zur Gefässbildung stehen.
Sie tauchen schon ziemlich früh auf, bald nach dem Auf-
treten der ersten Wanderzellen im Mesenchym; beim Kaninchen-
embryo finde ich sie zuerst nach 12 Tagen 19 Stunden. Eine
bedeutendere Entwicklung erlangen sie aber erst in viel späteren
Stadien, die uns jetzt nicht interessieren. Sie haben Saxer (49)
als hauptsächliches Untersuchungsmaterial gedient.
Die Blutbildungsprozesse, die sich im diffusen Mesenchym
abspielen, wurzeln stets, ebenso wie im Gefässnetz der area vas-
culosa (und später in der Leber) in den Lymphozyten oder in den
ihnen gleichwertigen Wanderzellen des Gewebes, also allgemein
gesagt in den indifferenten mesenchymatischen Wanderzellen. Im
Vergleich mit den oben erörterten Befunden in der area vasculosa
gehen aber die Differenzierungsprozesse bei der Blutbildung im
embryonalen Bindegewebe weiter — hier entstehen aus den
Lymphozyten resp. Wanderzellen nicht nur definitive Erythro-
blasten und Erythrozyten, sondern auch die ersten granulierten
520 Alexander Maximow:
Leukozyten. Zur selben Zeit, wo diese letzteren in den Blut-
bildungsherden im diffusen Mesenchym erscheinen, konstatiert
man übrigens ihre Anwesenheit auch in der Leber, wo inzwischen
auch die Blutbildung beginnt (siehe weiter unten).
Meistens entstehen an irgend einer gegebenen Stelle des
Mesenchyms nicht Erythroblasten und granulierte Leukozyten
zugleich, sondern bloss die eine von diesen beiden Zellarten.
Dabei kann als Regel notiert werden, dass die Erythroblasten
in kleineren oder grösseren, meist sehr dichten Gruppen an-
geordnet erscheinen, während die gekörnten Leukozyten vereinzelt
auftreten.
Die ersten Erythroblastenherde befinden sich immer im
Kopfmesenchym und zwar auffallenderweise mit grosser Regel-
mässigkeit an der Augenblase, an ihrem Stiel, in der Umgebung
des Ganglion Gasseri und an der ventralen Seite des Mesencephalon '
und Diencephalon. Etwas später (Kaninchenembryo 14 Tage)
findet man sie auch am Telencephalon, in dem die Aorta um-
gebenden Mesenchym und am Pankreas.
Das erste, was man an den betreffenden Stellen im Fall der
Entwicklung der Erythropoese bemerkt, ist das Auftreten einzelner
oder einer Gruppe von typischen Iymphozytenähnlichen Wander-
zellen (Taf. XIX, Fig. 28 Lwz); sie sind hier also entweder von den
ersten Stadien der Wanderzellenentwicklung im Mesenchym un-
verändert liegen geblieben, oder sie entstehen dadurch, und dazu sind
überall die nötigen Übergangsformen da, dass die kleinkernigen
blassen Wanderzellen einen grossen Kern und ein dunkles baso-
philes Protoplasma bekommen und dadurch wieder zu grossen
Lymphozyten werden.
Die Lymphozyten teilen sich mitotisch und die infolge der
Wucherung entstehenden Zellen differenzieren sich in genau der-
selben Weise, wie wir es in den Gefässen der area vasculosa
gesehen haben. Es entstehen zuerst (Fig. 28 Mlb, Mlb‘) ziemlich
grosse, schmalrandige, noch leicht basophile Megaloblasten mit zier-
lichem Chromatinnetz und allmählich verschwindenden Nukleolen
im Kern und mit allmählich immer undeutlicher werdender Sphäre.
Dann treten unter fortgesetzter Wucherung kleinere, dunkelkernige
und schon hämoglobinreiche Normoblasten auf (Fig.29 Nmb, Nmb‘),
die schliesslich ihre Kerne durch Ausstossung (Fig. 30 Nmb, Nmb‘')
in zerschnürtem und pyknotischem Zustande einbüssen und sich
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 521
in kernlose Erythrozyten verwandeln (Fig.30 Erz). Man bekommt
genau dieselben Bilder, wie in den Dottersackgefässen, mit dem
Unterschied, dass an Schnitten das Hämoglobin in seinen ersten
Spuren schwieriger dazustellen ist und die Megaloblasten dem-
entsprechend hier nach EAz-Färbung ein blassblaues Plasma
besitzen.
Die Erythroblasten bilden grössere und kleinere Häufchen,
die frei zwischen den Mesenchymzellen liegen; sehr oft befinden
sie sich hart an der Endothelwand eines Gefässes. Als Regel
kann gelten (Fig. 28, 29, 30), dass alle Zellen eines Herdes sich
immer in demselben Entwicklungsstadium befinden, sodass man
also entweder nur Megaloblasten (Fig. 28), oder nur Jüngere
Normoblasten (Fig. 29) oder nur ältere Normoblasten und Ery-
throzyten sieht (Fig. 30).
Die beschriebene Erythropoese im Gewehe aus indifferenten
Wanderzellen ist bereits von Saxer (49) sehr genau und bis in
alle Einzelheiten richtig beschrieben worden. Er lässt die fertigen
extravaskulär entstandenen Erythrozyten in die Gefässe hinein-
gelangen. Ich will die Möglichkeit dessen keineswegs in Abrede
stellen, Tatsache ist aber, dass man die Endprodukte der be-
schriebenen Erythropoese schliesslich meistens der Degeneration
verfallen sieht, wobei sie sowohl von den fixen Mesenchymzellen
(Fig. 30x), als auch von Wanderzellen (y) phagozytiert werden.
Auch diese Phagozytose ist Saxer bekannt gewesen.
Sehr oft findet man in Herden, die aus noch wuchernden
Normoblasten bestehen, grosse Wanderzellen, die in ihrem Proto-
plasma einen oder mehrere verschlungene Normoblasten enthalten
und verdauen (Fig. 30 y). Dabei sieht man seltsamerweise eine
besondere, schon oben erwähnte Veränderung an dem Kern der
letzteren, die sonst niemals vorkommt: der noch von dem hämo-
globinreichen Zellleib umgebene Kern wird als Ganzes immer
heller und heller gefärbt und kann schliesslich von dem ersteren
nicht mehr unterschieden werden; es tritt also Karyolyse ein.
Die ganze verschlungene Zelle verkleinert sich dabei sehr rasch
und verschwindet. Wenn der Herd aus reifen Normoblasten mit
pyknotischen und zerschnürten Kernen und aus kernlosen Ery-
throzyten besteht, so bemerkt man erstens eine selbständige
Degeneration der letzteren (Fig. 30), wobei die rotgefärbten
Scheiben in Stücke zerfallen und ebenso wie die ausgestossenen
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 34
529 Alexander Maximow:
Kerne (Fig. 30 z) in der Gewebsflüssigkeit aufgelöst werden.
Zweitens erscheinen auch hier Phagozyten, fixe und wandernde,
und vollenden das Werk der Zerstörung.
In den späteren Entwicklungsstadien sind die beschriebenen
Erscheinungen im Mesenchym viel öfter zu beobachten und sind
auch die Erythroblastenherde viel grösser.
Die ersten granulierten Leukozyten erscheinen einzeln an
verschiedenen Stellen des Mesenchyms zugleich. Man findet sie
aber zuerst am häufigsten im Kopfmesenchym, z. B. an der Aus-
trittsstelle des nervus vagus aus dem Gehirn und in der
Umgebung der Aorta, vornehmlich in den vordersten Körper-
abschnitten. }
Beim Kaninchen sieht man im Mesenchym einzelne Exemplare
der oben beschriebenen Wanderzellen eine besondere Entwicklungs-
richtung einschlagen. Im Protoplasma tauchen zuerst äusserst
spärliche (Taf. XIX, Fig. 24 Mlz), dann immer zahlreichere
(Fig. 26 Milz), feinste runde Körnchen auf, die sich an ZF EAz-
Präparaten rot färben. Eine bestimmte Anordnung im Zellleib
lässt sich nicht konstatieren — einmal liegen sie einzeln zer-
streut, oft in feinen Vakuolen eingebettet (Fig. 24 Milz), das
andere Mal bilden sie kleine Häufchen an der Peripherie des
Zellleibes oder an der Sphäre.
Sehr wichtig ist die Tatsache, dass die Körner in allen
Wanderzellen ohne Unterschied, also in Zellen von sehr ver-
schiedenem Aussehen auftreten. Man findet sie erstens (Fig. 25)
in den spärlichen, den grossen Lymphozyten des Blutes und der
area vasculosa entsprechenden Formen. Zweitens findet man sie
in den oben beschriebenen kleinkernigen blassen Wanderzellen
(Fig. 24 und 26 Milz) -—- das ist der häufigste Fall. Der Kern
der betreffenden Zellen ist meistens besonders stark polymorph,
mit tief einschneidenden Falten an der Membran versehen oder
sogar hufeisenföormig. Auch hier gibt es wieder Unterschiede,
denn unter solchen Zellen findet man sehr grosse und sehr kleine
Exemplare. Endlich ist es auch keine Seltenheit, Körner in
Wanderzellen auftreten zu sehen, die nach ihrem Aussehen eine
Zwischenstellung zwischen dem Lymphozyten und der klem-
kernigen Wanderzelle einnehmen.
Diese Tatsache beweist erstens noch einmal, dass die
verschiedenen Wanderzellenarten des Mesenchyms und die
ww
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 52:
Lymphozyten identische Zellen sind. Zweitens resultiert daraus,
dass kein triftiger Grund vorliegt, unter den einkernigen
Wanderzellen mit einer gewissen bestimmten Granulaart im
Protoplasma (Myelozyten) nur auf Grund von Verschiedenheit
der relativen Grösse von Kern und Protoplasma, der inneren
Kernstruktur usw. scharf getrennte Unterarten, wie z. B. Myelo-
blasten, Promyelozyten, Mikromyelozyten usw. (Pappenheim)
zu unterscheiden. Drittens wird dadurch bewiesen, dass die
definitiven roten Blutzellen, die Erythroblasten und die granu-
lierten Leukozyten aus einer gemeinsamen Stammzelle hervor-
gehen — aus der gewöhnlichen indifferenten mesenchymatischen
Wanderzelle. Allerdings unterscheiden sich meistens die Wander-
zellen, in welchen die ersten Granula auftreten, ziemlich deutlich
von denjenigen, die die Erythroblasten erzeugen. Das ist aber
erstens doch nicht immer der Fall und zweitens hängt dies nur
davon ab, dass die betreffende Zelle bereits lange vor dem Auf-
treten von Hämoglobin oder von sichtbaren Körnchen je nach
ihrer Bestimmung auch andere besondere Struktureigentümlichkeiten
erhält, die gerade mit ihrer spezifischen Entwicklung in der ge-
gebenen Richtung zusammenhängen.
Als Resultat der beschriebenen Granulaproduktion bekommen
wir einzeln im Mesenchym zerstreute einkernige gekörnte Zellen.
Nach der heutigen hämatologischen Terminologie verdienen sie
den Namen Myelozyten; sie sehen den Myelozyten des erwachsenen
Organismus zum grössten Teil noch wenig ähnlich aus — dies
hat aber, wie gesagt, keine grosse Bedeutung.
Es fragt sich, was das für Körner sind, die in diesen ersten
Myelozyten erscheinen. Wenn wir sie mit den Körnungen der
Blutzellen beim erwachsenen Kaninchen vergleichen, so müssen
wir schliessen, dass sie am meisten der sog. pseudoeosinophilen
oder amphophilen speziellen Körnung dieser Tierart entsprechen.
An mit Thionin gefärbten Alkoholpräparaten. nehmen sie auch
wie diese (im jugendlichen Zustande) eine rotviolette Färbung an.
Zuerst entstehen also Myelozyten mit Spezialkörnung. Die
Körnung der ersten amphophilen Myelozyten unterscheidet sich
allerdings noch in manchen Beziehungen von derjenigen im
erwachsenen Organismus — die Körner sind zum Teil etwas
grösser und unregelmässiger — das sind aber natürlich ganz
nebensächliche Differenzen.
34*
© t
N
Ha
Alexander Maximow:
Von den Autoren, die speziell auf die Entstehung der granu-
lierten Leukozyten beim Embryo geachtet haben, lassen auch
Jolly und Acuna (21) zuerst die Spezialzellen entstehen. Sie
untersuchten übrigens nur das zirkulierende Blut und waren
infolgedessen nicht in der Lage, über die Art und Weise ihrer
Entwicklung Angaben zu machen. Browning (2) hat bei
Menschenfeten ebenfalls im Mesenchym granulierte Leukozyten
aus ungranulierten Vorstufen, „Leukoblasten“, entstehen sehen:
nach ihm sollen hier neutrophile und eosinophile Leukozyten
zugleich auftreten. Saxer (49) unterscheidet unter den leuko-
zytenähnlichen Zellen, die er im embryonalen Bindegewebe findet,
keine granulierten. Dies wird wohl an der von ihm gebrauchten
Technik gelegen haben (saure Fixierungsflüssigkeiten).
Wir haben gesehen, dass die Körnung meistens in Wander-
zellen auftritt, die schon vorher einen mehr oder weniger poly-
morphen Kern haben. Wenn es sich um Iymphozytenähnliche
Zellen (Fig. 25) handelt, so tritt auch hier nach dem Erscheinen
der Körnchen sehr rasch eine starke Formveränderung des Kernes
ein. Darin äussert sich also sofort die Neigung der granulierten
Zellen mit einfachem Kern, der Myelozyten, sich in reife. poly-
morphkernige, granulierte Leukozyten zu verwandeln. Gleich
die ersten auftauchenden Zellen schlagen schon diesen Entwick-
lungsweg ein, sodass man in vielen Fällen ein richtiges Myelozyten-
stadium eigentlich gar nicht konstatieren kann. Aus einer blassen
Wanderzelle mit unregelmässig geformtem Kern wird sofort durch
Granulaausarbeitung und weitere Entwicklung der Kernpolymorphie
ein reifer Leukozyt. Allerdings sind diese ersten polymorphkernigen
Leukozyten denen des erwachsenen Organismus auch noch ziemlich
unähnlich: es fehlt noch die Homogenität der Zellart, der in
allen Zellen ganz gleich aussehende, dunkle, kompliziert gebaute
Kern, die gleichmässige dichte Körnung usw.
Die ersten Myelozyten können sich zwar mitotisch teilen,
dies geschieht jedoch nicht sehr oft, und ihre Zahl vergrössert
sich in der ersten Zeit hauptsächlich durch Neubildung aus unge-
körnten Wanderzellen. Auch darin äussert sich die Neigung zur
abgekürzten, überstürzten Verwandlung in reifere Formen ohne
ein eigentliches Myelozytenstadium.
Auch bei Katzenembryonen (7? mm und sogar früher) tritt
die erste Entstehung der granulierten Leukozyten an denselben
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 525
verschiedenen Stellen im Mesenchym sehr klar hervor. Wir
sehen (Taf. XIX, Fig. 27), wie sich einzelne, oft sehr zahlreiche
kleinkernige blasse Wanderzellen des Mesenchyms direkt in ganz
unzweifelhafte polymorphkernige Spezialleukozyten verwandeln
(Mlz und Lkz). Der Kern zerschnürt sich in mannigfaltiger Weise,
bekommt eine kleeblattartige Form oder sogar das Aussehen
eines langen geknickten Stranges mit mehreren, durch ganz
dünne Brücken verbundenen Teilen und verliert jede Spur von
Nukleolen. Im kleinen amöboiden Zellkörper treten hier keine
distinkten Körnchen auf, sondern das Protoplasma bekommt an
ZF EAz-Präparaten eine diffuse rötliche Färbung. Es ist be-
kannt, dass die Spezialkörnung der Katze auch beim erwachsenen
Tier sehr schwierig darzustellen ist, besonders in Schnittpräparaten
und es kann kein Zweifel darüber herrschen, dass wir es in dem
beschriebenen Fall gerade mit solchen Spezialleukozyten zu tun
haben.
Bei der Katze entstehen also in sehr frühen Stadien überall
im Mesenchym (vor allem im Kopf, in der Umgebung der Aorta
und im Septum transversum) aus den kleinkernigen Wanderzellen
unter Überspringung eines typischen Myelozytenstadiums direkt
polymorphkernige Spezialleukozyten. Sie können vielleicht in
einzelnen Exemplaren auch in die Gefässe gelangen. Im zirku-
lierenden Blut findet man sie jedoch in diesen Stadien niemals
und dies wird dadurch erklärt, dass weitaus die meisten von
diesen ersten, noch unvollkommenen, frühreifen Spezialleukozyten
eine nur sehr kurze Existenzdauer haben und an ihrem Ent-
stehungsorte selbst, im Mesenchym von fixen und wandernden
Mesenchymzellen gefressen und zerstört werden, in derselben
Weise, wie es mit den extravaskulären Erythroblasten geschieht.
Auch beim Meerschweinchen verwandelt sich schon bei
Embryonen von 5 mm ein Teil der ersten, noch sehr spärlichen
Wanderzellen im Mesenchym sofort in gekörnte Myvelozyten und
Leukozyten.
Bei der in diesem Abschnitt beschriebenen Blutbildung im
Mesenchym werden in einigen, übrigens sehr seltenen Fällen von
den Iymphozytoiden Wanderzellen auch Elemente vom Typus der
Megakaryozyten erzeugt. Megakaryozyten findet man oft an
Schnitten scheinbar im Mesenchym — sie befinden sich aber
dabei fast ausschliesslich innerhalb von kleinen Gefässen. In
326 Alexander Maximow:
den späteren Entwicklungsstadien sind sie auch im Gewebe selbst
viel häufiger. Dort sind sie auch von Saxer (49) ausführlich
beschrieben worden.
12. Die zellige Zusammensetzung
des zirkulierenden Blutes in den frühen Stadien
der embryonalen Entwicklung.
Diese Frage ist schon an und für sich interessant, besonders
aber deshalb, weil viele Autoren sich bei dem Studium der
embryonalen Blutentwicklung gerade nur auf die Untersuchung
des zirkulierenden Blutes beschränkt haben.
Wir wissen, dass im erwachsenen Organismus das zirkulierende
Blut sich nach seinen zelligen Bestandteilen scharf unterscheidet
von den blutbildenden Geweben — während man in den letzteren
ungeheure Mengen verschiedener Jugendformen findet, werden in
die Gefässbahn nur ganz reife Elemente hinausgesandt. Wir
haben hier also eine sehr vollkommene Zentralisation der Blut-
bildung vor uns.
Im embryonalen Leben ist dies anders. Es ist längst
bekannt, dass hier in der Zirkulation auch jugendliche Formen
der Blutelemente angetroffen werden, die sich hier im Blutstrom
selbst vermehren und weiter differenzieren. Bei vielen Autoren
hat sich nun die Überzeugung herangebildet, dass es in den
frühesten embryonalen Stadien überhaupt noch keine besonderen
blutbildenden Organe gibt und dass die gesamte Blutbildung
eben in dem zirkulierenden Blute erfolgt. Ferner soll nach den
ganz übereinstimmenden Angaben aller Forscher das embryonale
Blut zuerst, während einer ziemlich langen Periode, von weissen
Blutkörperchen ganz frei sein; es enthält ausschliesslich nur rote
Zellen. Es ist nicht einmal nötig, hier einzelne Autoren zu
zitieren, denn darüber sind die Meinungen ungeteilt. Jolly und
Acuna (21), die das zirkulierende Blut von Säugetierembryonen
speziell daraufhin untersucht haben, finden z. B. die ersten
Leukozyten beim Meerschweinchen erst bei einer Körperlänge
von 16 mm. Nur Bryce (3) beschreibt bei Lepidosiren die
sehr frühe Entstehung von leukozytoiden Zellen aus den primitiven
Blutzellen und in letzter Zeit findet Dantschakoff (4, 5a) beim
Hühnchen schon in den frühesten Stadien Lymphozyten nicht
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 527
nur im Gefässnetz der area vasculosa, sondern auch, obwohl
zuerst nur sehr spärlich, im zirkulierenden Blut.
Mit den angegebenen, in der Literatur herrschenden Vor-
stellungen sind meine eigenen Befunde nicht zu vereinigen.
Ich finde, dass es schon von Anfang an ein spezielles blut-
bildendes Organ gibt und dass das zirkulierende Blut schon von
den allerersten Stadien an nicht dieselbe zellige Zusammen-
setzung hat, wie das in diesem Organ enthaltene. Dasselbe ist
in der Arbeit von Dantschakoff für den Hühnerembryo fest-
gestellt worden.
Das erste blutbildende Organ beim Säugetierembryo ist das
Gefässnetz der area vasculosa resp. der Dottersackwand. Zuerst
finden wir hier nur eine Art von Zellen, die wuchernden primitiven
Blutzellen. Wenn dann die Blutzirkulation beginnt, so finden
wir überall in den Gefässen, auch im Herz (z. B. bei einem
Kaninchenembryo von 9 Tagen) dieselbe eine Art von Zellen:
aber schon jetzt konstatieren wir im zirkulierenden Blut einen
Unterschied im Vergleich mit dem Inhalt der Gefässe in der
area vasculosa — die primitiven Blutzellen weisen in dem ersten
seltener Mitosen auf, als in dem zweiten. Auch von diesem
frühesten Stadium kann man also jedenfalls sagen, dass die
Wucherung der primitiven Blutzellen besonders energisch in der
area vasculosa verläuft und deswegen muss die letztere als
richtiges blutbildendes Organ bezeichnet werden.
Wenn dann in der area vasculosa Lymphozyten und primitive
Erythroblasten erscheinen, dann gelangen diese beiden Zellarten
auch in das zirkulierende Blut, aber in einem ganz anderen
Zahlenverhältnis. In der area vasculosa sind, wie wir gesehen
haben, die Lymphozyten am Anfang auch verhältnismässig spärlich,
da die Mehrzahl der primitiven Blutzellen sich in die primitiven
Erythroblasten verwandelt hat. In das zirkulierende Blut treten
sie aber zuerst nur in so geringen Mengen über, dass sie dort
zwischen den primitiven Erythroblasten nur in ganz vereinzelten
Exemplaren vorkommen (Kaninchenembryo von 9!1/a—10 Tagen).
Auch in diesem Stadium unterscheidet sich also das zirkulierende
Blut von dem Inhalt der blutbildenden Gefässe in der area vasculosa.
Jedenfalls ist die sehr wichtige Tatsache zu verzeichnen,
dass echte weisse Blutkörperchen vom Charakter der grossen
Lymphozyten im zirkulierenden Blute schon sehr früh, zusammen
528 Alexander Maximow:
mit den primitiven Erythroblasten auftreten. allerdings zuerst,
wie gesagt, in sehr spärlicher Anzahl, da sie vorläufig fast
sämtlich in dem blutbildenden Gefässnetz der area vasculosa
zurückgehalten werden. Man kann also nicht sagen, dass das
embryonale Blut zuerst nur rote Blutkörperchen enthält. Es
gibt eigentlich überhaupt kein solches Stadium.
Zur Zeit, wo in der Dottersackwand die Bildung der
definitiven Erytroblasten aus Lymphozyten schon in vollem
Gange ist, unterscheidet sich das strömende Blut noch schärfer
von dem Inhalt der Kapillaren im Dottersack (Kaninchenembryo
12!/.—13 Tage). In diesen letzteren hat die Zahl der Lympho-
zyten inzwischen ausserordentlich zugenommen (siehe oben), sie
bilden grosse Haufen, die die engeren Gefässe oft ganz ver-
stopfen, zwischen ihnen liegen noch grössere Haufen von Megalo-
blasten und Normoblasten; kernlose definitive Erythrozyten sind
noch sehr selten. Die primitiven Erythroblasten beginnen hier
an Zahl immer mehr und mehr zurückzutreten. Im zirkulierenden
Blut hingegen behauptet gerade die letztgenannte Zellart, die
primitiven Erythroblasten, das Feld Ausser ihnen bemerkt man
nur vereinzelte Megalo- und sogar Normoblasten. Das wichtigste
ist aber, dass die Zahl der Lymphozyten in diesem Stadium
(besonders beim Kaninchen und noch viel mehr beim Meer-
schweinchen) im zirkulierenden Blut stark zugenommen hat —
bei einem Kaninchenembryo von 12 Tagen 19 Stunden zählte
ich z. B. in einem Aortenquerschnitt auf ca. 600 primitive
Erythroblasten 5 Lymphozyten und 4 definitive Erythroblasten
verschiedener Entwicklungsstadien. Bei Katzenembryonen sind
die Lymphozyten im zirkulierenden Blute spärlicher. |
In diesen, nur etwas späteren Stadien erscheint also der
Prozess der Blutbildung noch viel schärfer lokalisiert als früher.
Und doch sind es Stadien, von denen die meisten Autoren bei
ihren embryologischen Studien als von den frühesten erst aus-
gingen. Gewiss wuchern zu dieser Zeit die primitiven Erythro-
blasten (Taf. XX, Fig. 33 p Ebl‘) überall im zirkulierenden Blute
weiter, es teilen sich auch die zirkulierenden Lymphozyten (Lmz‘)
und die spärlichen definitiven Erythroblasten. Aber das kann ja
gar nicht in Vergleich gehen mit der ausserordentlichen Ver-
mehrung der in den Dottersackgefässen angehäuften Zellen. Das
strömende Blut kann an und für sich von der eigentlichen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 529
Hämatopoese im Organismus gar keine Vorstellung geben und
man darf sich keineswegs mit seiner Untersuchung allein begnügen.
Während im folgenden in der Dottersackwand die primitiven
Erythroblasten von den jungen Generationen der definitiven rasch
verdrängt werden, stellen sie im zirkulierenden Blut noch lange
(Kaninchen 13—14 Tage) den Hauptbestandteil vor. Sie fahren
fort zu wuchern, obwohl die Mitosen in ihnen schon seltener
werden und sie weisen gerade im Blutstrom die oben beschriebenen
Formveränderungen am Kern besonders häufig auf. Zwischen
ihnen sieht man immer ausser Lymphozyten nur spärliche definitive
Erythroblasten und Erythrozyten. Unter den definitiven Erythro-
blasten findet man in der Zirkulation besonders häufig solche,
die gerade im Moment der Kernausstossung fixiert worden sind.
Dass die Lymphozyten und die definitiven Erythroblasten
im zirkulierenden Blute wirklich aus dem Dottersacke stammen,
erkennt man sehr gut, wenn man an Serienschnitten den Inhalt
der Arteria omphalomesenterica und der entsprechenden Vene
vergleicht. In der zweiten begegnet man viel zahlreicheren
jungen Zellformen, Erythroblasten und Lymphozyten.
In der Dottersackwand selbst ist der Unterschied zwischen
den einzelnen Abschnitten des Gefässsystems an ein und demselben
Präparat (Kaninchen 14 Tage) auch in die Augen springend.
Die eigentlichen blutbildenden Kapillaren sind mit Haufen von
Lymphozyten und definitiven Erythroblasten vollgestopft, primitive
Erythroblasten sind hier nur ganz spärlich. Die ın gewissen
Abständen voneinander verlaufenden grösseren Gefässe, die Venen
und besonders die Arterien enthalten hingegen kolossale Mengen
von primitiven Erythroblasten, während Lymphozyten und definitive
Erythroblasten ihnen hier nur in verhältnismässig geringen
Quantitäten beigemengt erscheinen.
Auch in diesen Stadien, den spätesten, die ich in der vor-
liegenden Arbeit berücksichtige, werden also in den Blutstrom
fast nur die ältesten von den überhaupt vorhandenen Zellformen,
die primitiven Erythroblasten, hinausgeschickt, nach demselben
Prinzip, welches auch im erwachsenen Organismus besteht. Sie
genügen hier noch lange ihrer Pflicht als Hämoglobinträger,
vermehren sich auch noch immer, stellen aber doch einen ganz
isolierten, jetzt schon dem .allmählichen Aussterben geweihten
Zellstamm vor. Sie werden zuerst aus den blutbildenden Kapillaren
530 Alexander Maximow:
des Dottersacks rasch verdrängt. Dies ist bereits nach 14 Tagen
beim Kaninchenembryo fast durchgeführt. Im Blutstrom be-
haupten sie sich viel länger (beim Kaninchen etwa bis zum
20. Tage) und werden hier nur sehr allmählich durch die defini-
tiven roten Blutzellen ersetzt. Diese letzteren unterscheiden sich
von den primitiven speziell noch dadurch, dass sie in den Blut-
strom immer in viel reiferem Zustande gelangen, meist schon als
kernlose Erythrozyten, selten als Normoblasten mit geschrumpftem
Kern, noch seltener als junge Normoblasten oder Megaloblasten.
Auf Grund der dargelegten Tatsachen steht es also fest,
dass Lymphozyten, echte weisse Blutkörperchen, schon von den
frühesten Stadien an im Blute zirkulieren. Sie sind z. B. im
Herzblut eines 12—13 Tage alten Kaninchenembryo stets in der
oben notierten bedeutenden Anzahl ohne jede Schwierigkeit zu
konstatieren. Noch viel zahlreicher sind sie im zirkulierenden
Blute beim Meerschweinchen. Sie stammen natürlich zum grössten
Teil aus dem Dottersack, zum kleineren auch von dem Aorten-
endothel — wenigstens in der Aorta und ihren Zweigen.
Wenn die Lymphozyten bisher, ebenso übrigens, wie in den
blutbildenden Gefässen der area vasculosa, wo sie ja in zahllosen
Mengen vorkommen, nicht gesehen wurden, so hängt dies nur
von der gebrauchten Untersuchungsmethodik ab.
In den mittleren embryonalen Stadien, beim Kaninchen z. B.
vom 15. Tage an, werden die Lymphozyten im zirkulierenden
Blute wieder etwas spärlicher.
Ausser den Unterschieden, die das Blut in den blut-
bildenden Gefässen der area vasculosa einer- und in den sonstigen
grösseren Gefässen und dem Herzen andererseits bietet, bemerkt
man noch weitere interessante Besonderheiten, die sich auf den
Inhalt der kleineren Gefässe, der Kapillaren in gewissen be-
stimmten Körperteilen beziehen. Diese Kapillaren können sicher
nicht als eigentliche Blutbildungsstätten aufgefasst werden, sie
enthalten aber oft, fast regelmässig, stauende Blutelemente von
ganz besonderem Charakter. Vor allem wird dies an den Kapillaren
beobachtet, die sich an der äusseren Oberfläche des Gehirns ver-
zweigen (dies ist bereits von v. d. Stricht bemerkt worden)
und an den Gefässen der Urniere (Saxer), gelegentlich auch an
anderen Stellen, wenn auch viel seltener, z. B. an den Kapillaren
der Extremitätenstummeln und der Kiemenbogen. Was an solchen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 531
Kapillaren auffällt, ist die bedeutende Zahl von meist grossen
Lymphozyten im Lumen; sie liegen hier einzeln oder in Reihen
hintereinander und zwischen ihnen sieht man einzelne primitive
und auch definitive Erythroblasten. Ferner trifft man hier sehr
häufig grosse Riesenzellen im Kapillarenlumen eingekeilt, mit
mehreren kleinen oder einem grossen, sich amitotisch zer-
schnürenden Kern, wie ich sie oben im Dottersack beschrieben
habe. Die Teilstücke der Kerne sind gerade hier gewöhnlich von
sehr ungleicher Grösse und Form. Durch den grossen Zellleib
erscheint die Kapillarenwand an der betreffenden Stelle oft be-
deutend ausgedehnt. Bei der Katze sind in solchen Kapillaren
in den frühen Stadien (6—7 mm), ausser Megakaryozyten, nicht
selten sehr grosse Zellen zu finden, die ebenfalls mehrere ami-
totisch zerschnürte Kerne enthalten, deren riesiger Zellleib aber
deutliche Mengen von Hämoglobin enthält. Es sind also stark
hypertrophische, riesenhafte primitive Erythroblasten mit Kern-
amitose. Endlich sind daneben manchmal auch phagozytierende
Zellen zu sehen mit blassen Kernen und mit grossen, verschlungene
Zellreste enthaltenden Vakuolen im Zellleib.
In noch früheren Stadien, wo im Blute hauptsächlich noch
die primitiven Blutzellen zirkulieren, findet man in den Kapillaren
der angegebenen Körperstellen gelegentlich die schon oben er-
wähnten Riesenformen, die dem Typus nach den primitiven Blut-
zellen entsprechen und sich von ihnen, besonders bei der Katze,
nur durch das stark hypertrophische, hellere, leicht basophile
Protoplasma unterscheiden, während der Kern dabei sich auch
amitotisch zerschnüren kann. Hin und wieder findet man in
solchen Formen, ähnlich wie im Dottersack, auch mehrpolige
Mitosen. Ferner bleiben hier bei der Katze sehr oft auch die
ebenfalls schon oben erwähnten, von den echten Megakaryozyten
nicht immer leicht abzugrenzenden hypertrophischen, alternden,
primitiven Blutzellen mit kleinen, dunklen, runden Kernen stecken.
Es fragt sich, wie dieser abnorme Inhalt der betreffenden
Kapillaren zustande kommen mag. Erstens wäre hier an die
oben beschriebene verspätete Gefäss- und Blutzellenbildung im
Körper zu denken, als deren Resultat die von den verschieden-
artigen, zum Teil riesenhaften Blutzellen erfüllten Kapillaren
aufgefasst werden könnten. In der Tat lässt sich diese Möglich-
keit auch nicht von der Hand weisen. Wir haben aber gesehen,
532 Alexander Maximow:
dass es im zirkulierenden Blut schon von Anfang an grosse
ILymphozyten gibt; ausserdem kann man sowohl beim Kaninchen,
als auch bei der Katze im Blutstrom als regelmässigen, wenn
auch sehr seltenen Befund dieselben Riesenzellen verzeichnen,
wie ich sie im Gefässnetz des Dottersacks beschrieben habe und
dieselben kleineren und grösseren blassen Phagozyten endothelialer
Herkunft. Diese letztgenannten Zellen sind im zirkulierenden
Blut, besonders bei der Katze, von den frühesten Stadien an
ziemlich häufig. Sie sind im embryonalen Blut auch von Jolly
und Acuna (21) bereits gesehen worden, allerdings in späteren
Stadien.
Alle diese Zellen, die Lymphozyten und die verschiedenen
Riesenformen der Blutzellen, können nun in die engen Kapillaren
bestimmter Körperteile eingeschwemmt werden und bleiben stecken,
um hier dann ihre weiteren Veränderungen durchzumachen. Die
eingeschwemmten Lymphozyten z. B. entwickeln sich hier in der-
selben Weise, wie in den bilutbildenden Kapillaren der Dotter-
sackwand und geben Megaloblasten und Normoblasten Ursprung;
selbstverständlich können sie sich hier auch wieder in Riesen-
zellen verwandeln. Infolge der Degeneration der Riesenzellen
und der Verwandlung der eingekeilten Lymphozyten in kleinere
Zellformen, die Erythroblasten, werden die verstopften Kapillaren
mit der Zeit wieder durchgängig.
In dem folgenden Abschnitt werden wir sehen, dass auch
in den Leberkapillaren die Lymphozyten des zirkulierenden
Blutes sich in grossen Mengen anhäufen und erythropoetisch
funktionieren können.
Es ist sicher möglich, dass aus den beschriebenen intra-
kapillären Zellherden einzelne Lymphozyten auch in das Gewebe
emigrieren. und dort als lymphozytoide Gewebswanderzellen
weiterwandern.
Interessant ist die Tatsache, dass aus den intravaskulären
Lymphozyten sowohl im Dottersack, als auch in den Kapillar-
gefässen des Körpers niemals gekörnte Zellen entstehen. Die
Möglichkeit dazu ist beim Embryo, wie es scheint, nur extra-
vaskulär, im Gewebe selbst geboten, und in dieser Beziehung
entsprechen die Befunde bei dem Säugetierembryo vollkommen
den Befunden beim Hühnchen (Dantschakoff).
N
s
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 9
13. Der Anfang der Blutbildung in der Leber.
Dass die Leber bei den Säugetierembryonen als blutbildendes
Organ funktioniert, ist seit langem bekannt und beim Studium
der hämatopoetischen Prozesse im Embryo haben die meisten
Autoren die grösste Aufmerksamkeit gerade diesem Organ ge-
schenkt. Auf Grund dieser zahlreichen Arbeiten ist es festgestellt,
dass hier sowohl rote Blutzellen, als auch ungekörnte und ge-
körnte Leukozyten gebildet werden. Dennoch kann aber der
Blutbildungsprozess in der Leber keineswegs als klargestellt
gelten. Über die Herkunft der ersten Blutzellen in diesem Organ,
über ihre Lokalisation, über den Entwicklungsmodus der weissen
und roten Blutkörperchen und ihre gegenseitigen Beziehungen
sind die Meinungen noch sehr geteilt.
Die erste Frage ist also die: woher stammen die ersten Jugendformen
der Blutzellen in der Leber und wie gelangen sie in dieses Organ?
Janosik (18) steht ganz vereinzelt mit seiner Vermutung, dass die
jungen roten Blutkörperchen aus wuchernden Leberzellen hervorgehen. Ebenso-
wenig Anhänger wird wohl Kuborn (24) gefunden haben, nach welchem die
Erythroblasten durch Knospung endotheliogener Riesenzellen entstehen sollen.
Da im Blute noch vor Erscheinen der Leberanlage wuchernde Jugend-
formen roter Blutkörperchen zirkulieren, so war es naheliegend anzunehmen,
dass sie in die Kapillaren der Leberanlage eingeschwemmt werden, dort be-
sonders günstige Existenzbedingungen vorfinden und dass die Leber auf solche
Weise zum blutbildenden Organ wird. Diese Anschauung wird hauptsächlich
von v. d. Stricht (57, 58) vertreten. In den frühen Entwicklungsstadien
findet er in den Leberkapillaren zwei Zellarten, die Erythroblasten und die
Leukoblasten. Die ersten sind überall im Blute vorhanden, über den Ursprung
der letzteren äussert er sich nicht näher. Dann entstehen durch Endothel-
wucherung besondere Aussackungen der Kapillaren, wo die genannten Zellen
sich anhäufen und wuchern. Auch Kostanecki (23) hält die Blutzellen in
der Leber für mit dem Blute eingeschwemmte Elemente, obwohl er, im Gegen-
satzzuv.d.Stricht, für die roten und weissen Blutkörperchen eine gemeinsame
Stammform annimmt.
Viele Autoren lassen die ersten jungen Blutzellen in der Leber aus
dem Endothel der Kapillaren lokal entstehen. So sollen nach M. B. Schmidt
(50) die Endothelien der Leberkapillaren nach aussen und nach innen wuchern,
wobei hämoglobinlose Zellen vom Charakter der Leukozyten entstehen, die
sich dann weiter auch in rote Blutzellen differenzieren. Von den neueren
Autoren stehen auf ähnlichem Standpunkt Schridde (53) und Lobenhoffer
(27), nach welchem in der Leber aus dem wuchernden Endothel Jugendformen
sowohl für die granulierten weissen Blutkörperchen, als auch für die roten
Blutkörperchen hervorgehen und zwar sofort als zwei ganz spezifische,
ineinander nicht übergehende Elemente, als Myeloblasten und Erythroblasten.
534 Alexander Maximow:
Auch Jost (22) lässt in der Leber die roten Blutzellen direkt aus dem
Endothel entstehen.
Saxer (49) vertritt wieder eine ganz andere Meinung. Nach ihm
sollen zwischen die wuchernden Epithelstränge der Leberanlage gleich von
Anfang an, ausser den Blutgefässen mit ihrem Endothel auch einzelne aus
dem umgebenden Mesenchym stammende wandernde Zellen, seine „primären
Wanderzellen“ gelangen. Aus diesen entstehen dann später durch differenzierende
Wucherung rote Blutkörperchen und Leukozyten. Über die Entstehung speziell
der granulierten Leukozyten spricht er gar nicht, was, wie oben erwähnt, mit;
der von ihm gebrauchten Technik zusammenhängt.
Nattan Larier (26) scheint mir, soviel ich seiner Schilderung ent-
nehmen kann, die Blutzellen in der Leber ebenfalls auf eine besondere
primäre extravaskuläre kleine embryonale Zelle zurückzuführen.
Die zweite Frage — wie sind die Jugendformen der-Blutzellen in dem
Lebergewebe angeordnet, ob intra- oder extravaskulär, oder beides zugleich —
gilt sonderbarerweise auch noch nicht für alle als entschieden, obwohl diese
Entscheidung meiner Meinung nach gar keine so grossen Schwierigkeiten bereitet.
Selbstverständlich hängt diese Frage mit der ersten, schon erörterten, über
die Herkunft der Blutzellen innig zusammen. Für die intravaskuläre Lokali-
sation der Blutbildung sind selbstverständlich diejenigen Autoren, die die
ersten Blutzellen in die Leber mit dem strömenden Blut gelangen lassen.
Hier wären also v.d.Stricht (57,58) und Kostanecki (23) zu nennen, ausser-
dem wird diese Meinung in der letzten Zeit sehr entschieden von Nägeli (37)
und Wain (63) verteidigt. v. d. Stricht gibt zu, dass die Blutbildung,
innerhalb der Gefässe beginnend, später, durch Austritt der Blutzellen zwischen
die Leberzellen, auch zur extravaskulären wird, aber diese extravaskulären
Herde sollen nach ihm wieder eine neue Endothelmembran bekommen und
also wieder zu intravaskulären werden.
M.B. Schmidt, Schridde und Lobenhoffer geben sowohl extra-, als
auch intravaskuläre Lagerung der Blutbildungsherde zu.
Ohne zu leugnen, dass in der embryonalen Leber auch intravaskuläre
Blutbildung auf Kosten stauender und wuchernder Zellen vor sich geht, legt
Saxer (49) den Hauptwert auf die extravaskulären Differenzierungsprozesse
seiner primären Wanderzellen.
Die Frage, ob die roten und weissen Blutkörperchen aus einer ge-
meinsamen Stammform entstehen oder nicht, findet in den verschiedenen
Arbeiten über die embryonale Leber, wie oben angedeutet, auch eine sehr
verschiedene Beantwortung. Selbstverständlich darf diese Frage nicht isoliert
behandelt werden, sondern sie bezieht sich ebensogut auch auf die Blutbildung
im allgemeinen, in allen übrigen blutbildenden Organen. Es ist ja natürlich
mit Sicherheit anzunehmen, dass die genetischen Beziehungen der verschiedenen
Blutzellen zueinander in der Leber dieselben sein müssen, wie auch anderswo.
v.d. Stricht (57, 58) lässt die roten und weissen Blutkörperchen sich in den
Leberkapillaren aus zwei verschiedenen Zellarten entwickeln, den Erythro-
blasten und Leukoblasten. Moderne Dualisten, wie Schridde (53), Loben-
hoffer (27) oder Nägeli (37) usw. finden in der Leber natürlich auch zwei
8)
ou
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 53:
ganz verschiedene Arten von Stammzellen für die Hämoglobinzellen und für
die granulierten Leukozyten, allerdings ohne diese Annahme in befrie-
digender Weise zu beweisen. Demgegenüber nehmen Kostanecki (23) und
M. B.Schmidt (50) in ziemlich gleicher Weise für die roten und weissen
Blutzellen in der Leber eine gemeinsame Stammzelle an, obwohl sie in bezug
auf die Herkunft der ersten Stammzellen, wie erwähnt, verschiedener Meinung
sind. Saxer (49) ist der ausgesprochenste Unitarier unter den Autoren, die
die Blutbildung in der Leber ausführlich behandelt haben — aus den zwischen
den Leberzellen liegenden primären Wanderzellen entwickeln sich nach ihm
die Jugendformen der Erythrozyten, dieselben Wanderzellen liefern nachträg-
lich auch die verschiedenen Leukozytenformen. Allerdings hat er gerade
diese letztere Entwieklungsrichtung seiner Stammform in der Leber nicht
genau verfolgt.
Ich muss zugeben, dass die Untersuchung der Blutbildung
in. der Leber gerade in ihren ersten Stadien bedeutende Schwierig-
keiten bietet. Bei genügend lückenlosem Material. zweckmässiger
Technik und günstigen Objekten können sie jedoch überwunden
werden und meine Präparate geben mir, wie ich glaube, die
Möglichkeit, den Gang der Blutbildungsprozesse in der Leber
‚von ihrem ersten Anfang an genau zu verfolgen. Sie erwiesen
sich bei allen von mir untersuchten Säugern als im Prinzip
ziemlich übereinstimmend. Ich will im voraus sagen, dass die
von mir erhaltenen Resultate, was die Erythropoese und Riesen-
zellenbildung betrifft, im grossen und ganzen die Saxerschen
Angaben bestätigen.
Das günstigste Untersuchungsobjekt ist die Kaninchenleber.
Die Leberanlage erscheint beim Kaninchenembryo im Laufe
des 10. Tages der Entwicklung. Es ist bekannt, dass das Entoderm
der Darmwand eine hohle, sackartige Ausstülpung bildet, deren
Zellen dann in Form von verzweigten soliden Strängen in das um-
gebende Mesenchym des Septum transversum einwachsen und in
ihrer Gesamtheit, zusammen mit dem zwischen ihnen verlaufenden
reichen Kapillarnetz, das rasch an Umfang zunehmende Organ
bilden. Über die Lagebeziehung der Leberanlage zu den benach-
barten Teilen brauche ich mich hier nicht weiter auszusprechen,
zumal dies bereits in ausführlicher Weise von Saxer (l.c. S. 448)
gemacht worden ist. Wichtig ist, dass die wuchernden Elemente
der Leberanlage überall bei ihrem Wachstum an lockeres Mesen-
chym grenzen und in dasselbe eindringen.
In der ersten Zeit ihrer Entwicklung, beim Kaninchen-
embryo bis zum 12. Tage. bemerkt man in der Leberanlage noch
536 Alexander Maximow:
nirgends Spuren von Blutbildung. Aber auch in diesen Stadien
ist es bereits sehr wichtig, die Beziehungen der wachsenden Leber-
zellenstränge zu dem umgebenden Mesenchym näher zu untersuchen.
Meistens geschieht das Vordringen der Leberzellen in Form von
kompakten Gruppen oder Strängen (Taf. XX, Fig. 32 Lz), die von
dem umgebenden Mesenchym (Mz) durch die bedeutende Grösse
der Zellen, durch ihre grossen nukleolenhaltigen Kerne und das
basophile Protoplasma im allgemeinen leicht unterschieden werden
können. An einigen Stellen lösen sich aber die Stränge in kleine
Gruppen von 2—3 Zellen oder sogar in einzelne Zellen auf, die
sich von den anderen vorübergehend ganz abtrennen und isoliert
im lockeren Mesenchym liegen. Dann bekommt man Bilder, die
an das atypische Wachstum der epithelialen Elemente bei Krebs
erinnern und diese Eigentümlichkeit ist auch schon von Saxer
bemerkt worden. Die in das Mesenchym vordringenden Leber-
zellen, besonders die isolierten, sind ohne Zweifel bewegungsfähig.
Man sieht sie nicht selten im fixierten Präparat sogar mit einer
grossen Anzahl von pseudopodienartigen Ausläufern versehen, so
dass sie in diesem Fall tatsächlich den Eindruck grosser wan-
dernder Lymphozyten machen können. In den kompakten Gruppen
und Strängen (Fig. 32 Lz) ist die Form der Zellen rundlich oder
polyedrisch und ihre Konture meist glatt, ohne Auswüchse.
Das Mesenchym des Septum transversum (Fig. 32 Mz) ist
locker, ziemlich kleinzellig, die Ausläufer der Zellen bilden durch
ihre Vereinigung ein dichtes zartes Netz, in dessen Maschen sich
die Leberzellen bei ihrem Wachstum hineinschieben. Sehr wichtig
ist die Konstatierung der Tatsache, dass sich in diesem Mesenchym-
gewebe ausser den gewöhnlichen mit Ausläufern versehenen fixen
Zellen stets, allerdings in spärlicher Anzahl, auch Wanderzellen
(Wz) finden lassen, von demselben Typus, wie in den anderen
Körperteilen. Grosse Iymphozytoide Wanderzellen sind hier sehr
selten. Es handelt sich fast immer um kleine Zellen mit hellem
vakuolärem Protoplasma und unregelmässig geformtem, oft ziem-
lich dunklem Kern. Auch hier kann man ihre Entstehung aus den
gewöhnlichen fixen Zellen mit Leichtigkeit verfolgen (Fig. 32 y).
Bei dem Vordringen der Leberzellenstränge wird nun das
Mesenchym keineswegs ganz zur Seite geschoben und durch Epithel-
massen mit Gefässen ersetzt. Die beiden Gewebe durchwachsen
vieimehr einander in der Weise, dass zwischen den Leberzellen-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. al,
strängen breitere oder schmälere Mesenchymstreifen liegen
bleiben, die man auch überall in den zentralen, älteren Leber-
partien zwischen den Leberzellen sieht und die ausser gewöhn-
lichen kleinen blassen Mesenchymzellen stets auch einzelne kleine
Wanderzellen enthalten.
Im Mesenchym des Septum transversum sind Kapillargefässe
wohl vorhanden, aber nur sehr schwach entwickelt. Mit dem
Einwuchern der Leberzellenstränge geht nun auch die Entstehung
von breiten dünnwandigen Kapillaren einher — in die von den
ersteren umschlossenen Mesenchymstreifen sieht man sofort von
den präexistierenden Leberkapillaren sich hohle Sprossen hinein-
schieben (Fig. 32 L), und auf diese Weise werden die Mesenchym-
inseln im Lebergewebe von weiten Gefässen eingenommen. Diese
Gefässlumina sind von einem Endothel mit saftigen, oft wuchernden
Zellen (besonders bei Ratte und Maus) umgrenzt, zwischen dem
Endothel und den Leberzellen bleiben aber die unscheinbaren
Mesenchymzellen und spärlichen kleinen Wanderzellen zusammen-
gedrückt liegen.
Bei dem weiteren inneren Wachstum des Lebergewebes treten
natürlich sofort bedeutende Verschiebungen, Dehnungen und Ver-
lagerungen der Leberzellenstränge und Gefässe ein, während die
zwischen ihnen liegen gebliebenen kleinen Mesenchymelemente zuerst
in inaktivem Zustande verharren, ohne zu wuchern und infolgedessen
weit auseinandergeschoben werden. Dadurch kann es geschehen, dass
man an einigen Stellen des Lebergewebes in den zentralen Partien
des Organs zwischen den Leberzellensträngen und den ihnen eng
anliegenden Endothelien auf ziemlich weiten Strecken gar keine
anderen Elemente sieht. Bei genauem Studium kann man aber
stets auch hier zwischen Endothel und Leberzellen einzeln
zerstreute, zusammengedrückte kleine blasse Mesenchymzellen und
Wanderzellen bemerken. Ich will dies noch gerade Schridde (53)
gegenüber ausdrücklich hervorheben, denn er leugnet die Existenz
jeglicher mesenchymatischer Elemente zwischen dem Gefässendothel
und den Leberzellen.
Diese zwischen Endothel und Leberzellen liegenden in-
differenten mesenchymatischen Elemente sind berufen, der Ausgangs-
punkt der Hämatopoese in der Leber zu sein. Während an der
Peripherie der letzteren an vielen Stellen der geschilderte
Prozess des Einwucherns der Leberzellenstränge in das Mesen-
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73, 35
538 Alexander Maximow:
chym fortdauert, sehen wir sie in den mehr zentral gelegenen
Partien des Organs bald eine sehr intensive Tätigkeit entfalten.
Bei einem Kaninchenembryo von 13—13'/s Tagen tritt dies
sehr deutlich hervor (Fig. 33). Die Leberzellen (Lz) haben in-
zwischen bedeutend an Umfang zugenommen, ihr Protoplasma
ist grobretikulär, etwas basophil. Der grosse sphärische oder
ovoide Kern enthält an EAz-Präparaten ausser feineren und
eröberen blauen Chromatinkörnchen und sehr grossen, sehr
unregelmässig geformten Nukleolen fein verteilte rötliche Oxy-
chromatinkörnchen. Zwischen den Leberzellen, zwischen ihnen
und dem Gefässendothel (Ed), sieht man jetzt viele kleine
wandernde Elemente (Wz). Sie sind sehr ungleichmässig ver-
teilt; an den einen Stellen zahlreich angehäuft, sind sie an
anderen nur äusserst spärlic. Es sind zum Teil die oben
beschriebenen zwischen Leberzellen und Endothel liegen
gebliebenen kleinen Wanderzellen (Fig. 32 Wz), die sich nur ver-
grössert haben und jetzt klar hervortreten; zum Teil entstehen
sie neu aus den kleinen unscheinbaren fixen Mesenchymzellen,
in derselben Weise, wie es mit den ersten schon vor der Auf-
nahme in das Lebergewebe geschah. Morphologisch entsprechen
diese Wanderzellen denjenigen, die ich oben im gewöhnlichen
Mesenchym beschrieben habe. Eine Vergleichung der Zeichnungen
Fig. 33 Wz mit Fig. 18—22 Wz beweist dies sehr deutlich.
Typisch sind die Vakuolen im leicht basophilen Protoplasma und
die unregelmässig gestalteten Kerne.
In den darauf folgenden Stadien verwandeln sich nun diese
Wanderzellen in echte Lymphozyten. Schon auf der Fig. 35 Lmz
sieht man eine ganze Anzahl von beweisenden Übergangsformen.
Der Zellleib wird grösser, seine Basophilie nimmt zu, er behält
die feinen hellen Vakuolen, besonders stark vergrössert sich aber
auch der Kern: er wird rundlich oder oval, oft nierenförmig und
färbt sich heller, als das stark basophile Protoplasma. Seine
innere Struktur entspricht vollkommen einem Lymphozytenkern,
Sehr typisch sind besonders die feinen Chromatinteilchen und
die grossen eckigen Nukleolen. Bald findet man auch Mitosen
in diesen Lymphozyten (Fig. 34 Lmz‘). In den meisten Fällen
ist es an E Az-Präparaten schon bei schwacher Vergrösserung eine
Leichtigkeit, die dunkelblauen, in dem blassblauen Lebergewebe
einzeln verteilten Lymphozyten zu unterscheiden (Fig. 33). In
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 539
manchen Fällen kann es aber auch vorkommen, dass einzelne
Leberzellen den besonders grossen Lymphozyten äusserst ähnlich
werden (Fig. 34 Lz"). Dies kann vielleicht erklären, wie die
seltsame Vorstellung von der Entstehung der Blutzellen aus
Leberzellen (Janosik [18]) auftauchen konnte.
An den wuchernden Endothelien der Blutkapillaren bemerkt
man zu gleicher Zeit hie und da Erscheinungen, die offenbar
für viele Autoren gerade die Veranlassung waren, eine Entstehung
der Blutzellen aus dem Gefässendothel anzunehmen. In der Tat,
an vielen Stellen sieht man einzelne bedeutend geschwollene
Endothelzellen mit sowohl nach dem Lumen als auch nach
aussen hin sich vorwölbendem Zellkörper. Es hat manchmal
sogar den Anschein, als ob sich solche Zellen nach aussen von
der Gefässwand ablösen und in Wanderzellen verwandeln. Solche
Bilder wird wohl auch Schridde (53) gesehen haben.
Im Vergleich mit den übrigen Wanderzellen sind solche
Zellen aber doch sehr selten, besonders beim Kaninchen. Und
wenn man auch die Möglichkeit einer Entstehung der Wander-
zellen in dem Lebergewebe aus Endothelzellen nicht ausschliessen
kann, so ändert dies an der oben erörterten Anschauungsweise
jedenfalls doch gar nichts, denn auch im gewöhnlichen Mesen-
chym haben wir ja sehr oft Endothelzellen sich in Wanderzellen
oder sogar fast direkt in Lymphozyten (in der Aorta Fig. 31
und auch sonst Fig. 15) verwandeln sehen. Die Endothelzellen
in der Leber sind ja auch Mesenchymzellen, die in der frühen
embryonalen Entwicklungsperiode sicherlich noch die Fähigkeit
besitzen, sich in wandernde Elemente zu verwandeln.
Bei Ratte und Maus kommt die Verwandlung der Endo-
thelien der Lebergefässe in extravaskuläre Lymphozyten sogar
ziemlich häufig vor.
Die angeführte Beschreibung der Entstehung der ersten
Wanderzellen in der Leber entspricht im allgemeinen den Saxer-
schen Angaben.
Die ersten Blutzellen, die in der Leber auftreten, sind also
grosse Lymphozyten (Fig. 33 Lmz). Sie entstehen zum grössten
Teil extravaskulär aus kleinen mesenchymatischen Wanderzellen,
die ihrerseits direkt aus gewöhnlichen Mesenchymzellen hervor-
gehen, welche von den wuchernden Leberzellensträngen zwischen
sich aufgenommen werden; zum Teil entstehen sie aus den
35*
540 Alexander Maximow:
Endothelzellen. Diese Wanderzellen und Lymphozyten erzeugen
im folgenden die verschiedenen Blutzellenarten.
Der beschriebene „extravaskulär“ verlaufende Prozess wird
dadurch kompliziert, dass sich auch in den Leberkapillaren,
ebenso wie es oben für viele andere Körperstellen beschrieben
wurde, wahrscheinlich infolge verlangsamter Strömung und Blut-
stauung sehr zahlreiche wuchernde primitive Erythroblasten und
ebenfalls aus dem zirkulierenden Blute stammende Lymphozyten
anhäufen (Fig. 33 u. 34 L); gerade die letzteren sind hier sehr
zahlreich, da sie überhaupt eine besondere Neigung haben, bei
verlangsamter Blutströmung in den Gefässen zurückzubleiben.
Bei Ratte und Maus entstehen sie auch in loco intravaskulär aus
wucherndem Gefässendothel.
In den Leberkapillaren finden alle diese stauenden Blut-
zellen augenscheinlich sehr günstige Existenzbedingungen vor und
wir sehen, dass hier infolgedessen kleine intravaskuläre Blut-
bildungsherde entstehen (Fig. 33 L links oben, Fig. 34 L links
unten), die sehr an die Bilder im Dottersack erinnern und in
welchen aus den wuchernden Lymphozyten (Fig. 33 Lmz‘) eben-
falls Megaloblasten (Fig. 34 MIb‘“) und Normoblasten (Nmb'')
entstehen.
Die beiden Erscheinungen, die extravaskuläre Blutbildung
auf Kosten lokal entstehender Lymphozyten und die intravaskuläre,
auf Kosten eingeschwemmter und lokaler, sind sicherlich zuerst von-
einander unabhängige, parallel verlaufende Erscheinungen. Später
treten natürlich die extravaskulären Blutzellen in die Kapillaren’
über und dann ist es nicht mehr möglich, sie überall deutlich aus-
einanderzuhalten. Die von v. d. Stric ht (57, 58) hervorgehobene
intravaskuläre Blutbildung in der Leber ist also sicher vorhanden.
Ihre Bedeutung tritt aber im Vergleich mit der extravaskulären
ganz zurück. Diese letztere entwickelt sich in kürzester Zeit
ausserordentlich stark. |
Die extravaskulären Lymphozyten entwickeln sich auch in
der Leber in verschiedenen Richtungen und stellen auch hier
die gemeinsame Stammform der Blutzellen, die Hämatogonie
vor, wie im Dottersack. Hier geben sie sogar noch mannig-
faltigere Differenzierungsprodukte, denn aus ihnen entstehen
bier ausser den roten Blutkörperchen und den Riesenzellen so-
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. >41
fort auch gekörnte Leukozyten von derselben Art, wie ich es
oben für das Mesenchym beschrieben habe.
Die ersten Anzeichen einer weiteren differenzierenden Ent-
wicklung der extravaskulären Lymphozyten in der Leber bemerkt
man schon in dem vorher beschriebenen Stadium, wo aus den
mesenchymatösen Wanderzellen eben die Lymphozyten entstehen
— einzelne von diesen letzteren entfalten sofort ihre blutbildende
Tätigkeit. Hie und da sieht man aus ihnen schon einzelne zu-
erst noch weit verstreute kleine Erythroblastenherde entstehen,
während an den meisten Stellen nur kleine unscheinbare Wander-
zellen resp. Lymphozyten vorhanden sind. Viel deutlicher ist dies
in den etwas späteren Entwicklungsstadien, etwa nach 14 Tagen
beim Kaninchen (bei einer Körperlänge von etwa 11 mm).
In den Leberzellensträngen sieht man hier überall (Taf. XX,
Fig. 54) zwischen den Leberzellen (Lz) und zwischen ihnen und
dem Endothel (Ed) grössere und kleinere Haufen von Megalo-
blasten (Mlb, MIb’) und Normoblasten (Nmb, Nmb‘) zerstreut.
Ihre Entstehung an Ort und Stelle durch differenzierende
Wucherung der Lymphozyten (Lmz) ist über alle Zweifel erhaben.
Ihre Struktur brauche ich hier nicht ausführlich zu beschreiben —
ein Vergleich der Fig. 34 mit der Fig. 4 beweist, dass diese
Zellen den oben in den blutbildenden Kapillaren des Dottersacks
beschriebenen vollkommen gleichen. Nur tritt, wie schon gesagt,
im allgemeinen das Hämoglobin an Schnitten, besonders bei
seinem frühesten Auftreten, nicht so deutlich hervor, wie dort
an den Flächenpräparaten. Die Megaloblasten gleichen (Fig. 34
Mib‘) in bezug auf ihre Kernstruktur zum Teil noch den Lym-
phozyten, zum Teil (Mlb) bekommen sie schon ein regelmässigeres,
dunkleres Kerngerüst, in welchem die Nukleolen zuerst noch
unterschieden werden können. Das Protoplasma verliert die
Basophilie und wird homogen. Die kleinen Normoblasten (Nmb’‘‘)
bekommen im Kern ein noch kompakteres, dunkleres und regel-
mässigeres Gerüst ohne Nukleolen, das homogene Protoplasma
erhält an EAz-Präparaten zuerst eine deutliche rötlichviolette,
dann eine rein rosenrote (Nmb) Färbung. In den Stadien, mit
denen ich die vorliegende Arbeit abschliesse, sind in der Leber
extravaskulär noch keine ganz reifen Normoblasten mit pykno-
tischen Kernen vorhanden. In den Kapillaren trifft man sie hin-
gegen ziemlich häufig (Fig. 34 m) — sie stammen hier natürlich
542 Alexander Maximow:
aus dem Dottersack. Ebenso gibt es vorläufig noch keine Beweise
für das Übertreten der extravaskulär gelegenen Blutzellen,
speziell der Erythroblasten, in das Gefässlumen. ‚Dies geschieht
erst später, durch Auflockerung des Endothels. Natürlich können
einzelne I,ymphozyten (Fig. 34 Lmz‘) jederzeit durch das En-
dothel sowohl aus-, als auch einwandern.
Die Erythropoese in der embryonalen Leber der Säugetiere
geschieht also extravaskulär. Meine Befunde entsprechen in
dieser Beziehung durchaus den Befunden von Saxer (49) —
auch nach ihm verläuft die Erythropoese in der Leber extra-
vaskulär und nach demselben Typus, wie sie im Dottersack intra-
vaskulär vor sich geht. Nur differiere ich mit Saxer in bezug
auf die Beschaffenheit der Ausgangszelle dieser Entwicklungs-
reihe. Nach meinen Befunden muss die kleine primäre Wander-
zelle zuerst immer den Habitus eines echten grossen Lymphozyten
annehmen, bevor sie sich in Erythroblasten verwandelt. Saxer
scheint hingegen die Lymphozyten als solche in der Leber nicht
erkannt zu haben und dies ist auch leicht erklärlich, da zu jener
Zeit erstens die hämatopoetische Funktion der grossen Lympho-
zyten und ihre Bedeutung als Hämatogonien (Benda, Pappen-
heim) noch nahezu unbekannt war und zweitens auch die von
ihm gebrauchten Methoden die typische Eigenschaft dieser Zellen,
die Basophilie, nicht genügend hervortreten liessen.
Fast gleichzeitig mit dem Beginn der Erythropoese fängt
in der Leber auch die Bildung von granulierten amphophilen
Leukozyten an. Die Myelozyten entstehen hier auf ganz dieselbe
Weise, wie es oben für das Körpermesenchym beschrieben wurde.
Wie wir dort gesehen haben, tauchen die ersten Spuren
der amphophilen Körnung meist in den gewöhnlichen, klein- und
polymorphkernigen blassen Wanderzellen, seltener in den Lympho-
zyten auf. Ebenso ist es auch in der Leber. Auch hier finden
wir nach EAz-Färbung (Kaninchenembryo 13'/a—14 Tage) einzelne,
noch ziemlich seltene, sehr ungleichmässig zerstreute Zellen
(Fig. 55 Mlz) zwischen den Leberzellen und an der äusseren
Oberfläche des Kapillarendothels, die im übrigen den oben be-
schriebenen (Fig. 33 und 35 Wz) kleinen, blassen, extravaskulären
Wanderzellen vollkommen entsprechen, in deren Zellkörper aber
schon mehr oder weniger deutliche rote Granula hervortreten.
Zuerst ist es nur ein leichter rötlicher Schimmer (Fig. 40), dann
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 543
treten feinste staubföormige Körnchen hervor (Fig. 41 und 42),
die mit der Zeit allmählich grösser werden (Fig. 43). Das Proto-
plasma färbt sich sehr schwach, ohne gerade oxyphil zu werden,
der Kern ist in den meisten Fällen (Fig. 35 Mlz, Fig. 41 und 42)
klein und von unregelmässiger Form — nierenförmig, wurst-
förmig, geknickt oder zerschnürt und enthält kleine, schwach
hervortretende Nukleolen. Unvergleichlich viel seltener findet
man Ausarbeitung von amphophilen Körnern in Iymphozyten-
ähnlichen Zellen, auch in diesem Fall treten dann aber zugleich
mit der Granulaausarbeitung sofort auch mehr oder weniger tiefe
Furchen und Einschnürungen am Kerne auf.
In diesen jüngsten gekörnten Myelozyten der Leber konnte
ich bei ihrem ersten Auftreten Mitosen nur als Ausnahme be-
merken — sie entstehen also vorläufig meistens direkt neu aus
den ungranulierten Wanderzellen.
Einige von diesen jüngsten Myelozyten verwandeln sich
auch beim Kaninchen sofort in fertige Spezialleukozyten, indem
die Körner gröber werden, sich intensiv rot färben, der Kern
aber stark polymorph wird und die Nukleolen ganz verliert
(Fig. 43).
Besonders deutlich tritt diese verfrühte Bildung atypischer
polymorphkerniger Spezialleukozyten auf abgekürztem Wege, ohne
richtiges Myelozytenstadium bei der Katze hervor. Hier haben
wir ja auch im Mesenchym dieselbe Erscheinung sich abspielen
sehen. Schon im Mesenchym des Septum transversum finden
wir bei ganz jungen Katzenembryonen von 7 mm Länge viele
polymorphkernige Leukozyten mit oxyphilem Plasma. Beim Ein-
wuchern der Leberzellenstränge werden sie zwischen dieselben
aufgenommen und man findet sie dann zwischen Endothel und
Leberzellen einzeln zerstreut. Sie entstehen aber in der Leber
selbst auch neu aus den kleinen extravaskulären sich abrundenden
Mesenchymzellen, ebenso wie beim Kaninchen. Bei der Katze
konstatiert man demgemäss die merkwürdige Erscheinung, dass
in der Leber, ebenso wie im Mesenchym, polymorphkernige Leuko-
zyten früher als Myelozyten auftreten. Denn bei dieser früh-
zeitigen Verwandlung wird das Myelozytenstadium übersprungen
und richtige grosse wuchernde Myelozyten erscheinen erst
viel später.
544 Alexander Maximow:
Wir sehen also, dass die ersten gekörnten Leukozyten zwar
aus derselben Stammform entstehen, wie die Erythroblasten, dass
diese Stammzelle aber zu diesem Zwecke nicht erst den morpho-
logischen Charakter eines grossen Lymphozyten anzunehmen
braucht, wie im Falle der Erythroblastenproduktion, sondern sich
sofort, schon in kleinzelligem, sehr schwach basophilem Zustande
durch Ausarbeitung von Körnchen in einen jungen Myelozyten
oder sogar direkt in einen zwar etwas atypischen, aber doch un-
verkennbaren polymorphkernigen Leukozyten verwandeln kann.
Diese letzteren bleiben vorerst noch sämtlich extravaskulär.
Der Schluss, den Saxer (l. c. 5. 470) zieht, dass die Leber
keine nennenswerten Mengen von Leukozyten produziert, ent-
spricht somit nicht den Tatsachen; er folgerte dies daraus, dass
die Leukozyten im Blute während der ganzen Dauer der Blut-
bildung in der Leber fehlen. Nun ist aber der Satz vom Fehlen
der Leukozyten im zirkulierenden embryonalen Blut durch die
obigen Darlegungen als unrichtig erwiesen. Ferner sehen wir
ja in der Leberanlage vor allen anderen Blutelementen zuerst
gerade Lymphozyten auftreten und diese sind ja auch Leukozyten,
richtige weisse Blutkörperchen. Sie sind, wie gesagt, von Saxer
als besondere, typische Zellart nicht erkannt worden und zum
Teil wurden sie von ihm wohl den jüngeren Erythroblastenform en
zum Teil auch wohl den Riesenzellen zugerechnet — besonders
das letztere ist sehr wahrscheinlich, denn so zahlreiche Riesen-
zellen, wie sie Saxer beschreibt, finde ich in den embryonalen
(Geweben überhaupt nicht. Ich glaube auch, dass die kleinen
Wanderzellen mit polymorphem Kern, die Saxer in der Leber
von Schweineembryonen abbildet, die von mir beschriebenen ersten,
direkt aus den mesenchymatischen Wanderzellen entstehenden
polymorphkernigen granulierten Leukozyten waren. Saxer hat
an seinen Präparaten die Körnchen nicht sehen und die Leuko-
zytennatur dieser Zellen infolgedessen nicht erkennen können
und aus diesem Grunde konnte er sie auch von den primären
Wanderzellen nicht unterscheiden.
Aus den Wanderzellen resp. Lymphozyten entstehen in der
Leber ausser Erythroblasten und Granulozyten auch Riesenzellen,
typische und atypische Megakaryozyten. Der Entwicklungsgang
dieser Zellart ist genau derselbe wie im Dottersack, mit demi
Unterschied, dass sie hier extravaskulär entstehen.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 545
Ich finde auch in der Leber dieselben Abarten der Riesen-
zellen, wie dort; sie sind voneinander keineswegs scharf zu trennen.
In allen Fällen (Fig. 36—39) tritt die starke Hypertrophie des
basophilen Zellleibes in den Vordergrund. Seine retikuläre
Struktur tritt sehr deutlich hervor, es entstehen im Protoplasma
manchmal (Fig. 38 und 39) konzentrische Faserschichten, das
Zentrum der Zelle wird oft von einem deutlichen grossen Archo-
plasmahof eingenommen. Der Kern verändert sich nun in einem
Teil der Zellen (Fig. 36) in der Weise, dass er unter starker
Hypertrophie unregelmässige Auswüchse und Einschnürungen be-
kommt, sich aber nicht in Teile zerschnürt; in diesem Fall ent-
stehen richtige Megakaryozyten, indem später multipolare Mitosen
mit nachfolgender Konfluenz der Tochterkerne auftreten, wie es
von v.d. Strieht, Kostanecki (23) und anderen gerade in
der embryonalen Leber beschrieben worden ist. ‘In den meisten
Zellen tritt jedoch (Fig. 37—39) Kernamitose ohne Plasmateilung
ein, wobei die neuen abgeschnürten Kerne rasch die Grösse der
ursprünglichen erreichen und sich um den zentralen Archoplasma-
hof kranzförmig anordnen. Nicht selten (Fig. 39) nehmen dabei
einzelne Kerne nach EAz eine eigentümliche diffuse rotviolette
Färbung an.
Auch in den Leberkapillaren, ebenso wie in den Kapillaren
am Gehirn (siehe oben) können gelegentlich Riesenzellen gefunden
werden — sie werden hierher entweder in fertigem Zustand mit
dem Blute eingeschwemmt oder sie entwickeln sich hier in loco
aus den in den Kapillaren stauenden Lymphozyten.
Die Bedeutung der Riesenzellen vom Typus der Megakaryo-
zyten für die Blutbildung ist vollkommen dunkel; Tatsache ist,
dass sie überall entstehen, wo Erythropoese und Granulopoese
stattfinden. Jedenfalls habe ich im Gegensatz zu Saxer niemals
beobachtet, dass aus ihnen durch Ablösung von einzelnen kern-
haltigen Teilen neue einkernige Zellen entstehen könnten.
Beim Beginn der Blutbildung in der Leber tritt noch eine
interessante Erscheinung hervor, die von mir ebenfalls bereits
im Dottersack beobachtet wurde. Das Endothel der Blutkapillaren
entfaltet nämlich eine sehr intensive phagozytische Tätigkeit.
Dies ist bereits von Nattan Larrier (26) und Jolly (20) in
der embryonalen Leber gesehen worden. Es sind vornehmlich
die fixen, an Ort und Stelle verbleibenden Endothelzellen, die
546 : Alexander Maximow:
als Phagozyten funktionieren (Fig. 35 und 34 w). Als Objekt
dienen immer die grossen primitiven Erythroblasten (pEbl), viel
seltener die noch verhältnismässig spärlichen definitiven oder ihre
freien ausgetretenen degenerierten Kerne. Der Zelleib einer
Endothelzelle erscheint durch die verschlungenen grossen Erythro-
blasten stark ausgedehnt, der Kern ist zur Peripherie abgeschoben,
abgeplattet und liegt der kugelförmigen, stark hämoglobinhaltigen
Masse kalottenförmig an. Das Protoplasma der verschlungenen
Erythroblasten nimmt nach EAz eine besonders intensive,
glänzende Rotfärbung an. Es verkleinert sich allmählich, bekommt
eine granulierte Struktur und verschwindet schliesslich, wobei
sich die betreffende Endothelzelle wieder abplattet. Der Kern
der Erythroblasten tritt auch hier. ebenso wie bei der Phagozytose
der definitiven Erythroblasten im Mesenchym (siehe oben, Fig.30y),
entweder aus dem hämoglobinhaltigen Zellkörper in das Proto-
plasma des Phagozyten heraus, oder er verfällt unter dem Ein-
fluss der verdauenden Tätigkeit des letzteren einer intrazellulären
Karyolyse, wie sie sonst an freibleibenden Erythroblasten nicht
vorkommt.
Neben dieser Phagozytose durch fixe Endothelzellen sieht
man in den Leberkapillaren (Kaninchenembryo 14 Tage) viele
von ihnen sich auch frei in das Lumen ablösen (Fig. 34 Edph)
und in kleine Wanderzellen mit hellem Protoplasma und unregel-
mässigem Kern verwandeln. Sie können auch als freie Phago-
zyten funktionieren (Fig. 34 Edph oben) und entsprechen voll-
kommen den im Dottersack aus dem FEndothel entstehenden
amöboiden Zellen (Fig. 4 Edph). Ob sie sich dann auch weiter
in gewöhnliche Lymphozyten verwandeln können, ist schwer zu
sagen, meiner Meinung nach ist aber diese Annahme, wenn man
die oben geschilderte Entstehung von echten Lymphozyten aus
dem Aortenendothel berücksichtigt, keineswegs unwahrscheinlich.
14. Schluss.
Ich glaube, dass durch die vorliegenden Untersuchungen
die Fragen, die ich am Anfang dieser Arbeit formuliert habe,
ihre mehr oder weniger vollständige Lösung finden. Die genaue
Verfolgung der frühesten Entwicklungsstadien der Blut- und
Bindegewebszellen gibt genaue Aufschlüsse über das Wesen der
wichtigsten hämatopoetischen Prozesse.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 547
Die ersten Blutzellen, die aus den Blutinseln entstehen und
intravaskulär liegen, sind abgerundete, indifferente, hämoglobinlose
Mesoblast- resp. Mesenchymzellen.
Sie vermehren sich weiter durch selbständige Wucherung,
zum Teil aber auch, wenigstens am Anfang, durch fortdauernde Ab-
rundung und Isolierung der Endothelzellen der primären Gefässe.
Gleich am Anfang verwandelt sich ein grosser Teil von ihnen
in die primitiven Erythroblasten, die sich sofort als isolierter,
scharf abgegrenzter Zellstamm ganz abspalten und sich selbständig
weiter vermehren und entwickeln. Sie stellen vielleicht Über-
bleibsel phylogenetisch alter, noch unvollkommener Zellformen
vor, funktionieren ziemlich lange, sterben aber allmählich alle
aus, um durch die endgültigen roten Blutkörperchen ersetzt zu
werden.
Die übrigen primitiven Blutzellen bleiben hämoglobinlos und
nehmen den morphologischen Charakter von echten ungranulierten
Leukozyten, von Lymphozyten an — sie bleiben als indifferente
runde Mesenchymzellen, deren Wanderungsfähigkeit jetzt sehr
deutlich hervortritt.
Aus diesen IL,ymphozyten gehen dann die endgültigen roten
Blutzellen hervor. Ein Teil der Nachkommenschaft der wuchern-
den Lymphozyten verwandelt sich unter Hämoglobinausarbeitung
im Plasma, Umgruppierung des Chromatins im Kern und Schwund
der Nukleolen in definitive Erythroblasten und weiter in Erythro-
zyten, die die primitiven Erythroblasten und Erythrozyten zuerst
aus dem blutbildenden Gefässnetz der area vasculosa, dann aus
dem zirkulierenden Blut allmählich verdrängen. Dieser Ent-
wicklungsmodus der definitiven Erythroblasten bleibt für das ganze
übrige Leben erhalten und geschieht in derselben Weise in allen
erythropoetisch funktionierenden blutbildenden Organen. Selbst-
verständlich können die Erythroblasten sich auch durch eigene
Wucherung vermehren. Überall aber, wo sich indifferente
mesenchymatische Wanderzellen, Lymphozyten befinden, ist eo
ipso auch Neuentstehung von Erythroblasten aus diesen farblosen
Stammzellen möglich.
Wenn man schon durchaus die Frage aufwerfen will, welche
von den beiden Zellarten des Blutes, die roten oder die weissen
Blutkörperchen, zuerst entstehen, so muss die Antwort dahin
lauten, dass die beiden Zellarten zugleich, an ein und demselben
548 Alexander Maximow:
Orte und aus ein und derselben Quelle — den primitiven Blut-
zellen in den Gefässen der area vasculosa entstehen. Sie treten
beide zugleich und schon in den frühesten Stadien auf.
Die Anhänger der polyphyletischen Theorie der Hämatopoese,
die selbst embryologisches Material untersucht haben und dabei
neue Beweise für ihre Lehre gefunden zu haben glauben
(Sehridde u.a.), berufen sich bekanntlich darauf, dass zuerst
nur Erythroblasten entstehen, während die Leukozyten erst viel
später und an anderen Orten auftreten. Wie wir gesehen haben,
entspricht dies nicht den Tatsachen. Wenn in den Gefässräumen
Junger Säugetierembryonen nur Erythroblasten und keine Lympho-
zyten gefunden wurden, so hing dies sicherlich immer nur von
unzweckmässiger Technik und mangelhaftem Material ab, wodurch
die Unterscheidung der beiden Zellarten mitunter allerdings sehr
erschwert werden kann.
Da die primitiven Blutzellen, wie ich es schon oben hervor-
gehoben habe, als indifferente, hämoglobinlose Elemente den
Leukozyten viel näher stehen, als den roten Blutzellen, so könnte
man eigentlich sogar sagen, dass zuerst die Leukozyten entstehen,
während hämoglobinhaltige Zellen ja erst später auftreten. Beim
Hühnchen ist das sogar sicher der Fall, da die primitiven Blut-
zellen dort schon von Anfang an echten Lymphozyten voll-
ständig gleichen.
Die Vorstellung, dass die Leukozyten zuerst und die
Erythrozyten erst nachträglich entstehen, dass die Leukozyten
die ontogenetisch älteren Zellen sind, ist ja auch viel natürlicher,
als die heutzutage allgemein herrschende umgekehrte; denn
zuerst müssen doch sicherlich indifferente Zellen vorhanden sein,
damit sich aus ihnen dann höhere und spezifischer differenzierte
Elemente entwickeln könnten und als solche müssen doch jeden-
falls gerade die Erythrozyten betrachtet werden. Vielleicht wird
sich der ungranulierte Leukozyt, die indifferente, abgerundete
Mesenchymzelle auch phylogenetisch als die älteste Zellform des
Blutes erweisen.
Die Abgrenzung der primitiven Blutzellen von den Lympho=
zyten ist also überhaupt etwas künstlich, besonders bei den
Vögeln (Dantschakoff) — die Lymphozyten stellen die direkten
Nachkommen der primitiven Blutzellen vor, ihre weiteren
Generationen, in denen die histologischen Strukturveränderungen
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 549
nur mehr äusserliche sind, während die Grundeigenschaften der
Zelle dieselben bleiben. Die primitiven und definitiven Erythro-
blasten stellen hingegen Seitenäste vor, die sich vom Haupt-
stamm der indifferenten freien Mesenchymzellen nacheinander
abzweigen.
Die ersten weissen Blutkörperchen, die Lymphozyten, sind
also ebensolche indifferente runde Mesenchymzellen, wie die
primitiven Blutzellen und bleiben als solche für das ganze Leben
erhalten — sie erben von den letzteren und behalten für immer
die grosse plurivalente prospektive Entwicklungspotenz und
stellen die gemeinsame Stammzelle vor, aus der alle die anderen
Blutzellenarten durch differenzierende Entwicklung in ver-
schiedenen Richtungen stets hervorgehen können. Von den in
der Literatur bekannten Zelltypen entsprechen sie ihrer Bedeutung
nach am meisten den von Saxer zuerst beschriebenen primären
Wanderzellen.
So wie die Lymphozyten in der area vasculosa aus den
primitiven Blutzellen entstehen (die ihrerseits ja auch ab-
gerundete Blutinselzellen resp. Endothelzellen vorstellen), so
können mobile freie indifferente Mesenchymzellen auch an
anderen Stellen des embryonalen Organismus und zu verschiedener
Zeit aus den gewöhnlichen miteinander netzartig verbundenen
Mesenchymzellen oder aus Gefässendothelien, die ja auch nur
abgeplattete Mesenchymzellen sind, hervorgehen — so sehen wir
es überall im Körpermesenchym, im Endothel der Aorta, in
der Leber.
Je nach dem Ort und der Zeit des Erscheinens, je nach
den Existenzbedingungen können diese mesenchymatischen Wander-
zellen verschieden aussehen. Sie treten in zwei Hauptformen auf.
Die eine Form ist der typische grosse basophile schmalrandige
hellkernige Lymphozyt, wie man ihn überall in den blutbildenden
Organen findet. Die andere ist die sogenannte „histiogene Wander-
zelle“ — eine Zelle mit schwach basophilem, stark amöboidem
Protoplasma, relativ kleinem, meist unregelmässigem Kern. Diese
beiden extremen Formen sind histiologisch sehr verschieden, sie
sind aber erstens durch fliessende, stets nebeneinander existierende
Übergangsformen verbunden, zweitens können sie auch wirklich
direkt ineinander übergehen. Eine ganz wie ein Blutlymphozyt
aussehende Wanderzelle kann sich im embryonalen Bindegewebe
550 Alexander Maximow:
unter Wucherung in kleinkernige histiogene Wanderzellen ver-
wandeln. Eine typische, blasse kleinkernige Gewebswanderzelle
kann sich umgekehrt direkt durch Hypertrophie und Zunahme
von Basophilie im Plasma in einen echten Lymphozyten ver-
wandeln — wir haben dafür viele Beispiele gefunden z.B. bei der
Endothelwucherung in der Aorta, bei dem Anfang der Blut-
bildung in der Leber. Wir haben auch gesehen, dass die Gewebs-
wanderzellen ebenso wie typische Blutlymphozyten, Erythro-
blastenherde erzeugen oder sich in gekörnte Myelozyten und
Leukozyten verwandeln können. Endlich können sie auch wohl
durch Migration in die Gefässbahn gelangen und dort ebenfalls
zu Lymphozyten werden.
Die zahllosen Typen der ungekörnten Leukozyten und
Wanderzellen, die heutzutage in der Hämatologie unterschieden,
in schematischen Stammbäumen an besonderen Plätzen unter-
gebracht und mit komplizierten Namen belegt werden, die
grossen, kleinen Lymphozyten, Splenozyten, leukozytoiden Wander-
zellen usw. haben nicht die Bedeutung distinkter Zellstämme,
sondern nur verschiedener Funktionszustände einer einzigen Zell-
art, die mit mehr oder weniger deutlichen und charakteristischen
histiologischen Merkmalen ausgestattet sind.
Dies bezieht sich vor allem auf die Begriffe „grosser und
kleiner Lymphozyt“. Es ist ja eine bis jetzt allgemein an-
senommene Tatsache, dass die kleinen Lymphozyten durch
Teilung der grossen in den Keimzentren des adenoiden Gewebes
gebildet werden. Ich habe dies bis jetzt niemals bestritten
und die mir von Pappenheim (40) irrtümlicherweise zu-
geschriebene Meinung nie vertreten, dass die grossen Lympho-
zyten immer nur aus den kleinen durch Hpypertrophie ent-
stünden. Es ist aber sicher, dass der kleine Lymphozyt keine
reife, nicht mehr entwicklungsfähige Zelle vorstellt, sondern im
Gegenteil sich sehr mannigfaltig weiter entwickeln kann. Erstens
wuchert er auch selbst, ferner kann er bei passenden Bedingungen
hypertrophieren und in eine grössere Wanderzelle von beliebigem
Aussehen oder in einen grossen Lymphozyt übergehen und dann
auch zum Ausgangspunkte der Blutbildung werden. Der kleine
und der grosse Lymphozyt sind bloss temporäre Zustände im
Leben einer einzigen Zellart und der Streit darüber, ob die
kleinen Lymphozyten aus den grossen entstehen oder umgekehrt,
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. al
hat überhaupt keine Bedeutung. In den in dieser Arbeit berück-
sichtigten frühesten Entwicklungsstadien findet man übrigens im
ganzen Körper noch nirgends typische kleine Lymphozyten. Sie
erscheinen erst später.
Wie die grossen Lymphozyten von den kleinen nicht
getrennt werden dürfen, so ist jetzt auch die alte Ehrlichsche
Lehre, dass die sogenannten „grossen einkernigen Leukozyten“
eine von den Lymphozyten ganz ‚verschiedene Zellart vorstellen,
nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Es steht ferner fest, dass man auch nicht unterscheiden
kann zwischen sogenannten „hämatogenen“ und „histiogenen“
Wanderzellen. Die embryologischen Tatsachen bekräftigen diesen
Schluss, ebenso wie es auch die Beobachtung des Entzündungs-
prozesses und die Untersuchung des normalen Bindegewebes und
Blutes lehren. Die Wanderzellen sind ubiquitär, überall gleich-
wertig, ob sie von Anfang an im Gewebe, extravaskulär, oder in
der Gefässbahn, intravaskulär existieren, oder ob sie aus dem
Gewebe in das Blut oder umgekehrt aus dem Blut in das
(sewebe übergewandert sind.
Mit Weidenreich stehe ich auf dem Standpunkt, den
ich auch schon früher (30—32), klar ausgesprochen habe, dass
alle ungranulierten Leukozyten und auch die Wanderzellen des
Gewebes eine einzige grosse Zellgruppe vorstellen.
Die histiologischen Unterschiede, die die verschiedenen
Wanderzellen an verschiedenen Stellen darbieten, sind also ganz
und gar belanglos und hängen nur von den jeweiligen Existenz-
bedingungen ab, in denen sich die betreffende Zelle befindet. Der
Stamm der Wanderzellen darf nicht in verschiedene distinkte Zell-
gattungen eingeteilt werden. Die Lymphozyten resp. die Wander-
zellen haben überall dieselbe Entwicklungspotenz, je nach Ort
und Zeit ihrer Entstehung sehen sie aber natürlich sehr ver-
schieden aus und können sich auch in sehr verschiedener Weise
entwickeln. An den einen Stellen erzeugen sie ausser Riesen-
zellen und Phagozyten in der Hauptsache nur Erythroblasten -—
so ist es z. B. in den Gefässen der Dottersackwand oder an
bestimmten Stellen im Körpermesenchym. An anderen Stellen
bilden sie Granulozyten — so sehen wir es hier und da im
Körpermesenchym. Oder sie bilden unter fortgesetzter Wucherung
nur ihresgleichen — so finden wir es z.B. in der Thymus und
552 Alexander Maximow:
später in den Lymphknoten. Endlich gibt es Stellen. wo sie
alle verschiedene Blutzellenarten zugleich erzeugen, wenn auch
in sehr verschiedenen Mengen — so ist es der Fall in der
embryonalen Leber und später im Knochenmark.
Die Lymphozyten und die ihnen gleichwertigen Wander-
zellen entstehen zuerst durch Abrundung und Isolierung gewöhn-
licher netzartig verbundener oder als Endothelzellen abgeplatteter
Mesenchymelemente. Sie behalten als indifferente Zellen für immer
die Fähigkeit der selbständigen Vermehrung durch Karyokinese.
Ihre Neuentstehung aus gewöhnlichen fixen Mesenchymzellen
wird hingegen mit der Zeit immer mehr und mehr eingeschränkt.
Ob dieser Prozess im erwachsenen Organismus ganz erlöscht
oder an bestimmten Stellen und unter bestimmten Bedingungen
auch hier fortdauern kann, ist eine noch offene Frage. Die
neuesten Untersuchungen von Weidenreich (66) lassen aber
die bejahende Lösung als die wahrscheinlichere betrachten.
Es ist klar, dass die geschilderten Tatsachen sich mit der
dualistischen oder polyphyletischen Auffassung der Hämatopoese
nicht vereinbaren lassen. Das Studium der frühesten, wichtigsten
Entwicklungsstadien der Blut- und Bindegewebsentwicklung be-
stätigt die Richtigkeit der unitarischen oder monophyletischen
Theorie der Hämatopoese. Die verschiedenen Blutzellenarten
regenerieren sich wohl selbständig durch Wucherung, sie stellen
aber, abgesehen von den primitiven Erythroblasten, nicht isolierte,
scharf abgegrenzte Zellstämme vor, sondern sie können jeder-
zeit aus einer gemeinsamen indifferenten Stammzelle durch
differenzierende Entwicklung in verschiedenen Richtungen neu
entstehen.
Wenn man die Schicksale der embryonalen indifterenten
Stammzelle des Blutes von ihren ersten Entwicklungsstadien an
verfolgt und wenn man gesehen hat, wie sie sich überall je nach
den Existenzbedingungen verändert, ohne sich doch in streng
gesonderte Zellstämme ganz aufzulösen, macht es einen
befremdenden und nicht gerade sehr erfreulichen Eindruck, wenn
Dualisten, wie Schridde, Nägeli u. a, um ihre Lehre zu
retten, sich bemühen, sogenannte „Lymphoblasten“ und „Myelo-
blasten“ zu unterscheiden und sich dabei auf solche Merkmale
berufen, wie ein etwas abweichender Ton, in dem sich die
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 555
Granula des Zellleibes färben, oder verschiedene Zahl der
Nukleolen usw.
Lymphoides Gewebe kann von myeloidem Gewebe nicht
getrennt werden. Besondere Lymphoblasten und Myeloblasten
gibt es nicht, ebenso wie es keine besonderen farblosen Erythro-
blasten und Leukoblasten gibt. Gewiss sehen die Zellen, die
sich in rote Blutzellen oder in granulierte Myelozyten ver-
wandeln, oft verschieden aus und haben gewisse typische
Eigentümlichkeiten der Struktur, noch bevor in ihrem Proto-
plasma Hämoglobin oder bestimmte Granula nachgewiesen werden
können. Das beweist aber bloss, dass unsere Methoden zur Auf-
findung der ersten Spuren der betreffenden Substanzen nicht
empfindlich genug sind und weiter, dass die Zellen sich bereits
vor Auftritt dieser bestimmten, uns bekannten Differenzierungs-
produkte, des Hämoglobins oder der Granula, in besonderer
Weise strukturell verändern — nicht dass es so und so viele
besondere isolierte Zellarten sind, die sich nur selbständig durch
Mitose vermehren können.
Da es nun von Anfang an eine gemeinsame Stammzelle
für alle Blutelemente, eine „Hämatogonie“ gibt, so ist es klar,
dass man im Verlauf der embryonalen Hämatopoese keine
qualitativ scharf zu unterscheidende Etappen annehmen darf, wie
es die Anhänger der polyphyletischen Theorie, Schridde, Jost
und andere tun. Es gibt keine „prämedulläre“ und „medulläre“
(Jost) Periode der Blutentwicklung, denn im Knochenmark ge-
schieht die Hämatopoese in derselben Weise auf Kosten der sich
in verschiedenen Richtungen difierenzierenden Lymphozyten, wie
in der Leber, im Mesenchym oder auch im Dottersack — nur
geht sie im Mark besonders weit und es entstehen besonders
zahlreiche Differenzierungsprodukte. Mit dem Beginn der
Hämatopoese in der Leber geschieht auch nichts aussergewöhn-
liches Neues, wie es Schridde annimmt, es entstehen hier
keine besonderen neuen Erythroblasten und Myeloblasten aus
Endothelzellen, sondern es tauchen dieselben indifferenten mesen-
chymatischen Wanderzellen auf, wie wir sie schon früher im
Dottersack finden. Sie verwandeln sich in ganz entsprechende
Lymphozyten und werden auch hier, ebenso wie dort, zum Aus-
gangspunkt der Hämatopoese, die jedoch infolge anderer örtlicher
Verhältnisse etwas anders verläuft und zu komplizierteren Resultaten
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 36
554 Alexander Maximow:
führt — es entstehen nicht nur Erythrozyten, sondern auch
Granulozyten.
Was speziell die Entwicklung der definitiven roten Blut-
körperchen anbelangt, so folgt aus den dargelegten Tatsachen,
dass sie aus farblosen indifferenten Elementen vom Charakter der
grossen Lymphozyten entstehen. Dies geschieht, wie wir sehen,
schon in den frühesten Entwicklungsperioden. Dass diese Er-
scheinung auch für die spätere Zeit in derselben Weise be-
stehen bleibt, werde ich in einer anderen Arbeit zu beweisen
versuchen.
Durch Wucherung der Lymphozyten entstehen zuerst hell-
kernige, schmalrandige, hämoglobinarme Zellen, amblychromatische
Megaloblasten. Diese verwandeln sich unter fortgesetzter Wucherung
in dunkelkernige, breitrandige, hämoglobinreiche, trachychroma-
tische Normoblasten. In diesen verfällt der Kern der Pyknose,
wird oft in Fragmente zerteilt und in diesem Zustande aus der
Zelle ausgestossen. Dass intrazelluläre Karyolyse im normalen
Verlauf der Entwicklung der definitiven Erythroblasten überhaupt
nicht vorkommt, ist, wie ich glaube, durch die vorliegenden
Untersuchungen genügend bewiesen, wenn dies überhaupt noch
eines Beweises bedurfte.
Die Megaloblasten und Normoblasten sind demnach keine
zwei streng verschiedene Zellarten. Sie sind bloss zwei auf-
einanderfolgende Übergangsetappen in der differenzierenden Ent-
wicklung der Lymphozyten zu den roten Blutkörperchen. Auf
diesem Standpunkt stehen auch Weidenreich und Pappen-
heim. Die beschriebene Verwandlung der Megaloblasten in Normo-
blasten kann natürlich je nach den Umständen mit verschiedener
Geschwindigkeit verlaufen und unter pathologischen Bedingungen
können die amblychromatischen Zwischenformen, die Megaloblasten,
mitunter in diesem Zustande länger, als normal verharren und
vielleicht sogar atypische hämoglobinarme (polychromatophile)
Megalozyten liefern (Pappenheim).
Wenn ich auf einem ausgesprochen monophyletischen Stand-
punkte stehe und die Existenz einer gemeinsamen indifferenten
Stammzelle für alle Blutzellenarten während des ganzen Lebens
annehme, so will ich andererseits, ebenso wie Pappenheim und
Weidenreich, natürlich nicht behaupten, dass auch die ent-
wickelten Blutzellen ineinander übergehen können, dass z. B. die
O1
us} |
a
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe.
granulierten Leukozyten nicht spezifische Zellarten sind (Arnold).
Sobald das betreffende Stammzellenexemplar den Weg einer be-
stimmten spezifischen Entwicklung eingeschlagen hat, verliert es
wahrscheinlich sofort die Möglichkeit, durch Anaplasie wieder in
den ursprünglichen indifferenten Zustand zurückzukehren. Ebenso,
wie eine Hämoglobinzelle nicht wieder hämoglobinlos werden
kann, so kann also auch eine granulierte Zelle nicht wieder
granulationslos werden oder ein Myelozyt mit bestimmter Körnung
sich in einen anders gekörnten verwandeln. Eine andere Frage
ist freilich die, ob die ersten granulierten Zellen, deren Ent-
wicklung ich oben geschildert habe, nicht etwa eine besondere,
gewissermassen primitive Form vorstellen, die sich erst später
in die beim erwachsenen Tier vorhandenen Granulozytenarten
spaltet. Zu diesem Problem werde ich in einer späteren Arbeit
Stellung nehmen.
Ich bin mir dessen wohl bewusst, dass meine Ansichten
von seiten vieler Hämatologen heftige Angriffe zu erleiden haben
werden. Zu jeder Kritik möchte ich bloss im voraus bemerken,
dass sie nur dann Bedeutung haben und der Wissenschaft von
Nutzen sein kann, wenn sie auf systematischen Untersuchungen
begründet sein wird, die an gleichwertigem Material und mittelst
gleichwertiger Methoden ausgeführt worden sind.
Literaturverzeichnis.
1. Bonnet: Grundriss der Entwicklungsgeschichte. Berlin 1891.
2. Browning: Öbservations on the development of the granular leucocytes
in the human foetus. The Journal of Pathology and Bact., V.10, No.2, 1905.
3. Bryce: The histology of the blood of the Larva of Lepidosiren paradoxa.
Part. II. Haematogenesis. Transact. of the R. Soc. of Edinburgh, V. XLI,
-.,,.Paxt. I,2N0.119) 1905:
4. Dantschakoff: Über Blutbildung beim Hühnerembryo. Verhandl. der
Anat. Gesellsch., 22. Versammlung in Berlin, April 1908.
4a. Dieselbe: Über das erste Auftreten der Blutelemente im Hühnerembryo.
Vorl. Mitt. Folia haematologica, IV. Jahrg., Suppl. No. 2, 1907.
5. Dieselbe: Zur Herstellung der Zelloidinserien. Zeitschrift für wissen-
schaftl. Mikroskopie, Bd. 25, 1908.
5a. Dieselbe: Untersuchungen über die Entwicklung des Blutes und Binde-
sewebes bei den Vögeln. I. Die erste Entstehung der Blutzellen beim
Hühnerembryo ete. Anatomische Hefte, Bd. 37, 1908.
36*
556
10.
11.
12.
13.
14.
Alexander Maximow:
Dominieci: Sur le plan de structure du systeme h&matopoistique des
mammiferes. Archives generales de Medecine, No. 11, 1906.
Engel: Zur Entstehung der körperlichen Elemente des Blutes. Arch.
f. mikr. Anat., Bd. 42, 1893.
Derselbe: Weiterer Beitrag zur Entwicklung der Blutkörperchen beim
menschlichen Embryo. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 53, 1899.
. Derselbe: Die Blutkörperchen des Schweines in der ersten Hälfte des
embryonalen Lebens. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 54, 1899.
Derselbe: Über die Entwicklung der roten Blutkörperchen bei den Wirbel-
tieren. Compte rend. du XIII. congr&s internat. de medecine, Paris 1900.
T. I. Sect. d’Hist. et d’Embryol., p. 19.
Derselbe: Über kernhaltige rote Blutkörperchen und deren Entwicklung.
Deutsche med. Wochenschrift, No. 29, 1906.
Derselbe: Über Entstehung und Neubildung des Blutes. Verein f. innere
Medizin, 2. Juli 1906. Referat in Fol. haematol., Jahrgang 4, Suppl., 3
Dez. 1907.
Giglio-Tos: La struttura e l’evoluzione dei corpuscoli rossi del
sangue nei vertebrati. Accademia reale delle scienze di Torino, Anno
1896— 1897.
Goodall: Haematogenesis in foetal sheep. The Journal of Pathology
and Bacteriology, Vol. 12, No. 2 u. 3.
. Gulland: Classification, origin and probable röle of leucocytes etc.
Folia haematologica, Bd. III, No. 10 u. 11, 1906.
. Gütig: Ein Beitrag zur Morphologie des Schweineblutes. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 70, H. 4, 1907.
. Helly: Die hämatopoetischen Organe. Wien 1906.
. Janosik: Le developpement des globules sanguins chez les amniotes.
Bibliographie anatomique, T. X, 1902.
. Jolly: Sur l’evolution des globules rouges dans le sang des embryons
des mammiferes. Compt. rend. soc. biol., T. 57, 1905.
Derselbe: Recherches sur la formation des globules rouges des mammi-
feres. Archives d’anat. microscopique, T. 9, 1907.
Ko Iry et Acuna: Les leucocytes du sang chez les embryons des mammi-
feres. Archives d’anat. mieroscopique, T. 7, 1905.
Jost: Beitrag zur Lehre von der Blutentwicklung des embryonalen
Rindes und Schafes. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 61, 1903.
Kostanecki: Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blut-
bildung. Anatomische Hefte, Bd. 3.
Kuborn: Du developpement des vaisseaux et du sang dans le foie
d’embryon. Anat. Anzeiger, 1890.
. Laguesse: Quelques observations sur la motilite des cellules du mesen-
chyme. Compt. rend. Assoc. anat., 3 sess., Lyon 1901.
, Nattan Larrier: Le tissu myeloide du foie foetal. Archives de me-
decine experim. et d’anat. path., 1 ser., T. 16, 1904.
. Lobenhoffer: Über extravaskuläre Erythropoese in der Leber unter
path. u. norm. Verhältnissen. Zieglers Beiträge, Bd. 43, 1908.
45.
U
b} |
—
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 59
. Mall: On the development «f the connectiv tissues from the connective
tissue syneytium. The American Journal of Anatomy, V.1, 1901—1902.
. Maximow: Über die Struktur und Entkernung der roten Blutkörperchen
etc. Arch. f. Anat. u. Physiol., Anat. Abt., 1899.
Derselbe: Experimentelle Untersuchungen über die entzündliche Neu-
bildung von Bindegewebe. Zieglers Beitr., Suppl. 5, 1902.
Derselbe: Über die Zellformen des lockeren Bindegewebes. Arch. f.
mikr. Anat., Bd. 67, 1906.
Derselbe: Experimentelle Untersuchungen zur postfetalen Histiogenese
des myeloiden Gewebes. Zieglers Beitr., Bd. 41, 1907.
Meyer und Heineeke: Über Blutbildung bei schweren Anämien und
Leukämien. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin, Bd. 88, 1907.
. Murawitz und Rehn: Über einige Wechselbeziehungen der Gewebe
in den blutbildenden Organen. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 92, 1907.
5. H. F. Müller: Zur Frage der Blutbildung. Sitzungsber. der k. Akademie
d. Wissensch. Wien, mat.-naturw. Klasse, Bd. 98, Abt. 3, Heft 6, 1889.
. Näseli: Beiträge zur Embryologie der blutbildenden Organe. Verhdl.
d. Kongresses f. innere Medizin, 23. Vers., München 1906.
. Derselbe: Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. I. Leipzig 1907.
. Pappenheim: Theoretische Vorbemerkungen zum Kapitel XV: normale
u. pathol. Morphologie ete. Fol. haematol., Bd. 3, No. 6, 1906.
‘ Derselbe: Bemerkungen zum Referat über die Arbeit von Weidenreich
etc. Fol. haematol., Bd. 3, No. 6, 1906, S. 374.
. Derselbe: Über die Stellung der akuten, grosszellig-lymphozytären Leu-
kämie etc._ Fol. haematol., Jahrg. 4, No. 1ff., 1907.
. Derselbe: Einige Worte über Grosslymphozyten ete. Fol. haematol.,
Jahrg. 4, Suppl. 3, Dezember 1907.
. Derselbe: Bemerkungen zum Referat über A Fol. haemat.,
Jahrg. 3, No. 6, 1906, S. 386.
. Derselbe: Allgemeine Leukozytologie der Entzündung. Fol. haematol.,
Jahrg. 3, No. 1906. D
. Derselbe: Bemerkungen zum Referat “über die Arbeit von Jolly. Fol:
haematol., Jahrg. 4, Suppl. 3, Dez. 1907, S. 333.
Derselbe: Bemerkung zum Referat über Weidenreichs Aufsatz. Fol.
haematol., Jahrg. 3, No. 6, 1906, S. 361.
;. Derselbe: Über Iymphoide basophile Vorstufen der Erythroblasten. Fol.
haematol., Jahrg. 5, No. 6, 1908.
. Rubaschkin: Eine neue Methode zur Herstellung von Celloidinserien.
Anat. Anz., Bd. 31, No. 1, 1907.
Rückert und Mollier: Die erste Entstehung der Gefässe und des
Blutes bei Wirbeltieren. Kapitel 5 des I. Bandes des Handbuches der
Entwicklungslehre von 0. Hertwig, Jena 1906.
Saxer: Über die Entwicklung und den Bau der normalen Lymphdrüsen
etc. Anat. Hefte, H. 19 (Bd. 6, H. 3).
M.B. Schmidt: Über Blutzellenbildung in Leber und Milz ete. Zieglers
Beiträge, Bd. 11, 1892.
60.
61.
62.
63.
64:
{op}
(bi!
68.
69.
Alexander Maximow:
Schridde: Über Myeloblasten und Lymphoblasten. Verhandlg. des
Kongresses f. innere Medizin, 23. Vers., München 1906.
2. Derselbe: Myeloblasten, Lymphoblasten und lymphoblastische Plasma-
zellen. Zieglers Beiträge, Bd. 41, Heft 2.
Derselbe: Die Entstehung der ersten embryonalen Blutzellen des Menschen.
Verhandl. d. deutsch. path. Gesellsch., 11. Tag. Dresden, 16.—19. Sept. 1907,
Jena 1908.
Scott: A classification of the cells formed in the blood in health and
disease. The Journ. of Path. and Bact., V. II, Januar 1906.
5. Smiechowski: Über das erste Auftreten des Hämoglobins bei Hühner-
embryonen. Jmaug.-Diss., Dorpat 1892.
Spuler: Beiträge zur Histiologie und Histiogenese der Binde- und Stütz-
substanz. Anat. Hefte, Bd. 7, 1897.
. v. d. Stricht: Le developpement du sang dans le foie embryonnaire.
Archives de biologie, T. 11, 1891.
Derselbe: Nouvelles recherches sur la genese des globules rouges etc.
Archives de biologie, T. 12, 1892,
Derselbe: Origine des globules sanguins de l’aorte et de l’endocarde
chez les embryons des selaciens. Compt. rend. soc. biol., Ser. 10, T. 3,
No. 10, S. 287— 29%.
Derselbe: De la premiere origine du sang et des capillaires sanguins
dans l’aire vasculaire du Lapin. Compt. rend. soc. biol., Ser. 10, T. 2,
Bd. 47, 189.
Derselbe: L’origine des premitres cellules sanguines et des premiers
vaisseaux sanguins dans l’aire vasculaire de chauve-souris. Bulletin de
l’Acad&emie royale de medecine de Belgique; seance du 29 Avril 1899.
Türk: Kritische Bemerkungen über Blutzellenbildung und -benennung
Fol. haematol., Jahrg. 2, 1905.
Wain: Über die Bildung der roten und weissen Blutzellen in der
embryonalen menschlichen Leber. Inaug.-Diss., Zürich 1906.
Weidenreich: Die roten Blutkörperchen II. Ergebnisse der Anatomie
und Entwicklungsgeschichte von Merkel u. Bonnet, Bd. 14, 1904,
Wiesbaden 1905.
. Derselbe: Über die Entstehung der weissen Blutkörperchen im postfetalen
Leben. Verh. d. Anat. Gesellsch., 19. Vers., Genf 1905.
. Derselbe: Über die zelligen Elemente der Lymphe und der serösen Höhlen.
Verh. d. Anat. Gesellsch., 21. Vers., Würzburz 1907, Ergänzungsheft z.
30. Bd. d. Anat. Anz.
‘. Wertheim: Zur Frage der Blutbildung bei Leukämie. Zeitschr. f.
Heilkunde, Bd. 12, 1891.
Wulf: Mikroskopische Beobachtungen über die Entwicklung des Hämo-
globins beim Hühnerembryo. Inaug.-Diss., St. Petersburg 1897 (russisch).
H. E. Ziegler: Die Entstehung des Blutes der Wirbeltiere. Berichte
der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br., Bd. 4, 1889.
.r.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 559
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVIII—-XX.
Ausführliche Erklärung im Text.
Sämtliche Figuren wurden unter Benutzung des Zeissschen Apochr.
20 mm, Ap. 1,40 und des Kompensations-Okulars Nr. 8 entworfen. Die
relativen Grössenverhältnisse sind überall genau wiedergegeben.
Für alle Figuren gültige Bezeichnungen: Ed — Endothelzellen; Edph —
Endothelphagozyten ; Ent = Entodermepithel; Erz — definitive Erythrozyten ;
L = Gefässlumen; Lkz = reife Spezialleukozyten; Lmz — Lymphozyten;
Lwz — lymphozytoide Wanderzellen in Mesenchym; Lz — Leberzellen ;
MIb — Megaloblasten; Mlz — Myelozyten (amphophile); Mz — Mesenchym-
zellen; Nmb — Normoblasten; p Blz = primitive Blutzellen; p Ebl = primitive
Erythroblasten: p Erz = primitive Erythrozyten; Wz — Wanderzellen im
Mesenchym.
Ein ‘ Zeichen bei der Bezeichnung einer Zellart bedeutet diese Zell-
art im Zustande der Karyokinese.
Allen Abbildungen liegen mit E Az gefärbte Zelloidinschnittpräparate
von mit ZF fixierten Objekten zugrunde. Nur die Figg. 1 und 3—6 sind
nach mit ZF fixierten und mit Eosin-Orange-Toluidinblau gefärbten Flächen-
präparaten der area vasculosa resp. der Dottersackwand gemacht worden.
Tafel XVIIL
Fig. 1. Meerschweinchen (Primitivstreifen mit kleinem Kopffortsatz). Ent-
stehung der Blutinseln in der area opaca. Die Mesoblastzellen (a)
sammeln sich zu Gruppen runder Zellen (b) an.
Fig. 2. Kaninchen (8!/» Tage, 5 Segmente). Querschnitt eines Gefässes der
area vasculosa mit primitiven Blutzellen (p Blz) im Lumen. Ab-
rundung der Endothelzellen (m) und ihre Verwandlung in Blutzellen;
x — angeschnittene Mesenchymzelle.
Fig. 3. Kaninchen (11 Tage). Im Gefäss der area vasculosa sieht man
zwei Arten von Zellen: die primitiven Erythroblasten (p Ebl) und
die Lymphozyten (Lmz).
Fig. 4. Kaninchen (13'/ Tage). Im Gefäss der area vasculosa sieht man
primitive Erythroblasten (p Ebl) und primitive Erythrozyten (p Erz),
Lymphozyten (Lmz) und durch differenzierende Wucherung der
letzteren entstehende definitive Erythroblasten — Megaloblasten
(MIb“ u. MIb) und Normoblasten (Nmb’ u. Nmb). Entkernung der
letzteren durch Kernausstossung (m‘). Ausserdem endotheliale
Phagozyten (Edph).
Fig. 5. Katze (15 mm Körperlänge). Normoblast, Kernausstossung.
Fig. 6. Kaninchen (13!/z Tage). Riesenzelle aus der area vasculosa.
Fig. 7, Katze (?” mm Körperlänge). Mesenchymzellen mit Einschlüssen am
Gehirn.
Fig. 8. Kaninchen (8 Tage 19 Stunden, 10 Segmente); Querschnitt hinter
der Herzanlage; über dem Entoderm (Ent) entsteht im Mesenchym
(Mz) die rechte Aorta als kompakter blutinselähnlicher Zellstrang (8).
Fig.
Alexander Maximow:
9. Dasselbe Objekt, weiter rückwärts geführter Schnitt. Eine Gefäss-
wandzelle scheidet in das Lumen aus ihrem Protoplasma eine
kugelige Scholle aus.
. 10. Kaninchen (9'!/;, Tage). Bildung von Gefäss- und Blutanlagen im
Kopfmesenchym.
Tafel XIX.
. 11—14. Kaninchen (9) Tage), Entstehung der ersten Iymphozyten-
ähnlichen Wanderzellen (Lwz) im Kopfmesenchym.
. 15. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Aus dem Mesenchym in der
Umgebung der Aorta. Entstehung einer Iymphozytenähnlichen
Wanderzelle aus einer Gefässendothelzelle (g).
. 16. Kaninchen (9°: Tage). Entstehung einer Wanderzelle von un-
bestimmtem Charakter (x) im Kopfmesenchym.
. 17. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Wanderzelle von unbestimmtem
Charakter aus dem Mesenchym in der Umgebung der Aorta.
. 18. Kaninchen (12 Tage). Entstehung von Wanderzellen (y) aus ge-
wöhnlichen Mesenchymzellen (Mz).
. 19. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Desgleichen.
. 20—22. Kaninchen (12 Tage u. 12 Tage 19 Stunden). Typische Wander-
zellen (Wz) des Mesenchyms; Wz' — Mitose einer Wanderzelle.
. 23. Katze (7 mm Körperlänge); an einer Gefässwand (Ed) entstehen aus
gewöhnlichen Mesenchymzellen (Mz) Iymphozytenähnliche Wander-
zellen (Lwz); z = Übergangsformen.
. 24. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Die ersten Spuren der ampho-
philen Körnung in zwei Wanderzellen.
.25. Kaninchen (13'/. Tage). Eine Iymphozytoide Wanderzelle mit
amphophilen Körnchen aus dem Kopfmesenchym.
. 26. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Mesenchympartie an der Aus-
trittsstelle des Vagus aus dem Gehirn mit vielen Wanderzellen
(Wz) und einem Myelozyten (Mlz).
.27. Katze (7 mm Körperlänge). Kopfmesenchym mit zahlreiche
Wanderzellen (Wz) und ihrer Verwandlung in Myelozyten (Mlz
und Leukozyten (Lkz).
.28. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Megaloblastenherd im Kopf-
mesenchym.
.29. Kaninchen (13!/; Tage). Normoblastenherd im Kopfmesenchym.
. 30. Kaninchen (13'/. Tage). Herd von reifen Normoblasten (Nmb) mit
pyknotischen Kernen im Kopfmesenchym; Nmb‘ —= Normoblast im
Moment der Kernausstossung; z — ausgestossene Normoblasten-
kerne; y und x — Phagozytose der Normoblasten und Erythrozyten
(Erz) durch Mesenchymzellen (x) und Wanderzellen (y).
Tafel XX.
31. Kaninchen (10 Tage 5 Stunden). Querschnitt des ventralen Teiles
der Wand der kaudalen Aorta. Endothelwucherung. Entstehung
von Zellklumpen, die in das Gefässlumen hineinragen und sich in
Lymphozyten (Lmz) auflösen; o = angeschnittene Zelle.
Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 561
Fig. 32. Kaninchen (12 Tage). Einwucherung der Leberzellenstränge (Lz)
in das Mesenchym (Mz) des Septum transversum. Im Mesenchym
Wanderzellen (Wz), zum Teil in Entstehung begriffen (y).
Fig. 33. Kaninchen (13!/s Tage). Aus den zentralen Partien der Leber:
Ein zwischen zwei Gefässen (L) liegender Leberzellenstrang.
Zwischen den Leberzellen (Lz) viele kleine Wanderzellen (Wz), die
sich zum Teil schon in Lymphozyten (Lmz) verwandeln. In dem
Gefässlumen wuchernde primitive Erythroblasten (p Ebl‘) und
Lymphozyten (Lmz‘).
Fig. 34. Kaninchen (14 Tage). Leberzellenstrang, umringt von Gefässen
(L); zwischen den Leberzellen (Lz) wuchernde Lymphozyten (Lmz,
Lmz‘), welche Megaloblasten (Mlb’‘, MIb‘, Mlb) und Normoblasten
(Nmb”, Nmb‘, Nmb) erzeugen. Ausserdem intravaskuläre Blut-
bildung — primitive Erythroblasten (p Ebl), Megaloblasten (Mlb“')
und Normoblasten (Nmb''); Lmz'' — intravaskulär gelegener, am
Endothel kriechender Lymphozyt; w = phagozytierende Endothel-
zellen; m — intravaskulärer Normoblast im Moment der Kern-
ausstossung; Edph = frei gewordene, zum Teil phagozytierende
Endothelzellen.
Fig. 35. Kaninchen (14 Tage). Partie vom Lebergewebe. Zwischen den
Leberzellen sieht man kleine Wanderzellen (Wz), Lymphozyten
(Lmz), einen Megaloblasten (Mlb) und zwei junge amphophile
Myelozyten (Mlz), die durch Ausarbeitung der Körnchen im Proto-
plasma der Wanderzellen (Wz) entstanden sind.
Fig. 36—39. Dasselbe Objekt. Verschiedene Riesenzellenformen.
Fig. 40—43. Dasselbe Objekt. Vier Übergangsstadien der Verwandlung der
kleinen mesenchymatischen Wanderzellen in reife gekörnte Leuko-
zyten, unter Überspringung eines eigentlichen Myelozytenstadiums.
Die Entstehung des Knochengewebes und des
Zahnbeins.
Ein Beitrag zur’ Lehre von der Bildung der Grundsubstanzen.
Von
J. Disse, Marburg.
Hierzu Tafel XXI und XXII.
Die Frage nach der Bildung der Interzellularsubstanz ist
für die Zellentheorie gerade so wichtig wie die nach der Bildung
der Zellen selbst. Bei der Aufstellung der Zellentheorie wurde
von Schwann und von seinen Mitarbeitern die Interzellular-
substanz als das Wichtigste angesehen : „die Interzellularsubstanz
ist das Ursprüngliche, identisch mit dem Cytoblastem ; Cytoblastem
ist die Materie, in und aus welcher die Zellen sich entwickeln,
und was nach Vollendung und Umbildung der Zellen von der
ursprünglichen Materie übrig bleibt, ist Interzellularsubstanz“
(Henle, Allgemeine Anatomie, S. 214).
Diese Lehre war von kurzer Dauer: die Beobachtungen,
aus denen man die freie Zellbildung gefolgert hatte, mussten
eine andere Deutung erfahren, und es wurde die Existenz eines
„Cytoblastems“ selbst fraglich, als an die Stelle der Lehre von
der freien Zellbildung der Satz trat „Omnis cellula a cellula“.
Wenn eine jede Zelle von einer bereits vorhandenen gebildet
wird, ist eine ungeformte, aber zur Zellenbildung befähigte
Substanz überflüssig. Es gibt dann nur ein einziges Bildungs-
element für die Gewebe des Organismus, die Zelle selbst. Die
Zelle ist das ursprünglich Vorhandene: und wenn wir ausser
ihr eine „Zwischensubstanz* vorfinden, so kann diese nicht den
„Rest der ursprünglich vorhandenen Materie“ darstellen, der
nach der Bildung der Zellen übrig geblieben ist, sie muss viel-
mehr eine andere Herkunft haben. In irgend einer Weise muss
die Zwischensubstanz auf die Zellen zurückgeführt werden können.
An Versuchen, die Entstehung der Interzellularsubstanz
aufzuklären, hat es nicht gefehlt: es entsprach den Verhältnissen,
dass derartige Untersuchungen vorwiegend an denjenigen (Geweben
angestellt wurden, die sich durch das Vorwiegen der Interzellular-
Archiv f.mikrosk. Anat. Pd. 73. 37
564 J. Disse:
substanz, durch das Zurücktreten der Zellen selbst auszeichnen.
Wie bildet sich die Interzellularsubstanz des Bindegewebes, des
Knorpels, des Knochens? So wurde gefragt; und da die Inter-
zellularsubstanz nicht amorph, sondern geformt ist, da sie im
jindegewebe, Knochen und Zahnbein leimgebende Fibrillen in
bestimmter Anordnung enthält, so wurde besonders für das
Bindegewebe die Frage aufgeworfen: Wie entstehen die Fibrillen?
Entstehen sie durch eine Differenzierung, eine Art von
„Prägung“ in einer von den Zellen der ersten Anlage aus-
geschiedenen Substanz, also ausserhalb der Zellen, oder entstehen
sie im Protoplasma der Zellen selbst ?
In jedem Falle blieb es verständlich, dass bei der Bildung
der Fibrillen die Zellen des Gewebes erhalten bleiben. Es wurde
aber bei den Untersuchungen über die Bildung der Fibrillen die
ungeformte Substanz, die ausser den Fibrillen in wechselnder
Menge in den Unterabteilungen des Bindegewebes vorhanden
ist, nicht berücksichtigt; wohl deshalb, weil sie amorph ist und
viel weniger ins Auge fällt als die strukturierten Elemente der
Interzellularsubstanz.
Bekanntlich hat erst v. Ebner festgestellt (Über den
feineren Bau der Knochensubstanz. Wiener Sitzungsberichte,
Bd. 72, 1576), dass auch das Knochengewebe und das Dentin
leimgebende Fibrillen enthalten, die in eine verkalkte Grund-
substanz eingelagert sind. Vor seinen Untersuchungen galten
Knochen und Zahnbein als einfache, nicht weiter strukturierte
Grundsubstanzen. Bei der Untersuchung der Entstehung der-
artiger Gewebe konnte es sich nicht um Fibrillenbildung handeln;
es lag vielmehr der einfache Fall vor von Produktion einer
ungeformten Grundsubstanz.
Nun hatte Heinrich Müller gezeigt (Über die Entwick-
lung der Knochensubstanz. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 9, 1858),
dass bei den knorplig vorgebildeten Skeletteilen das Knochen-
gewebe nicht etwa durch Umwandlung des Knorpels sich bildet,
sondern dass es eine Neubildung darstellt, die an die Stelle des
einschmelzenden Knorpels tritt. Gegenbaur (Über die Bildung
des Knochengewebes. I. Jenaische Zeitschrift, Bd. 1,1864. II. Ebenda,
Bd. 3, 1867), konnte den Nachweis führen, dass das Auftreten
des Knochengewebes geknüpft ist an das Auftreten bestimmter
Zellen, der Osteoblasten, und dass aller Wahrscheinlichkeit
Entstehung des Knochengewebes. 565
nach lediglich diese Zellen das Material liefern, aus dem sich das
Knochengewebe bildet. Die Zellen selbst bleiben bei diesem
Prozess erhalten und werden zu den Knochenzellen; sie sezernieren
einen Stoff, der zur Grundsubstanz des Knochens wird. Morpho-
logisch bestände also niemals ein Zusammenhang zwischen den
ÖOsteoblasten und dem Knochengewebe; dieses ginge aus einem
Sekret der Osteoblasten hervor.
Fast gleichzeitig hatte Waldeyer die Bildung des Knochen-
gewebes untersucht (Über den Ossifikationsprozess. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 1, 1865); er konnte bestätigen, dass das Knochen-
gewebe von den Osteoblasten geliefert wird. Über die Art der
Bildung des Gewebes aber war er anderer Ansicht als Gegen-
baur. Waldeyer fand eine direkte Beziehung des Knochen-
gewebes zu den Osteoblasten; diese Zellen gehen mit ihrem
Protoplasma unmittelbar in das Knochengewebe über. Das
Knochengewebe entsteht nicht aus einem von den Osteoblasten
abgesonderten Sekret, sondern es ist umgewandeltes Zellproto-
plasma. Die Zellen innerhalb der Knochenhöhlen stammen zwar
von den Osteoblasten ab; indessen stellt eine Knochenzelle nicht
einen ganzen Osteoblasten vor, sondern einen „reduzierten“,
dessen Protoplasma zum grössten Teil zu Knochengewebe
geworden ist.
Waldeyer entdeckte ferner, dass das Zahnbein ebenso auf
bestimmte Zellen zurückzuführen ist, wie das Knochengewebe
auf die Osteoblasten (Untersuchungen über die Entwicklung der
Zähne. I. Königsberger med. Jahrbücher, 4. Bd., 1864. II. Zeitschr.
f. rationelle Medizin. III.R., Bd. 24, 1565). Wo sich Zahnbein bilden
soll, treten in zusammenhängender Lage wohl charakterisierte
Zellen auf, die „Dentinzellen“ oder „Odontoblasten“. Das Proto-
plasma dieser Zellen wird, bis auf einen Rest, zur Grundsubstanz
des Dentins. Der Rest des Protoplasmas nebst dem Kern erhält
sich an der inneren Fläche der Dentinlage und sendet in diese
die Zahnfaser hinein.
Gegenbaur schildert das tatsächliche Verhalten der jungen
Knochensubstanz zu den Osteoblasten folgendermassen : „Die erste
Entwicklung der Knochenbälkchen des Scheitel- oder Stirnbeins
erfolgt innerhalb einer ganz kontinuierlichen Schicht von Zellen . . .
zwischen diesen Zellen sondert sich eine alsbald sklerosierende,
eckig geformte Masse ab, die von den Zellen allseitig umgeben
37%
566 eDırsse:
wird. und durch fernere Abscheidung von seiten der Zellen
weiter wächst.“ Diese Anlage besitzt keine Struktur, sie nimmt
an Masse beständig zu und schliesst einzelne Osteoblasten ein.
Der Modus der Absonderung ist nicht beobachtet worden.
Demgegenüber betont Waldeyer, dass das Knochengewebe
gerade so entsteht wie das faserige Bindegewebe. Dieses bildet
sich „aus einer formalen und chemischen Umwandlung eines Teils
des Protoplasmas der embryonalen Bildungszellen, indem dasselbe
leimgebend und zugleich mehr oder weniger fibrillär wird“.
Viele Bildungszellen gehen dabei ganz zu Grunde: andere
wandeln nur die Aussenschichte ihres Protoplasmas in Binde-
gewebe um, während das den Kern umgebende Protoplasma sich
erhält und zu einer Bindegewebszelle wird. Nun sind die Osteo-
blasten „die embryonalen Bildungszellen des Knochengewebes:
ein Teil derselben geht „mit Schwund des Kerns ganz die Um-
wandlung in leimgebendes faseriges Gewebe ein... . von einem
anderen Teil tun das nur die peripheren Protoplasmaschichten.
Der Rest bleibt als kernhaltiges Knochenkörperchen zurück“.
(8. 359.)
Die erst gebildete Knochensubstanz tritt nach Waldeyers
Angabe „als ein leicht gelblicher, homogen aussehender Streifen“
an den Rändern der Knorpelbalken auf. In diese Knochen-
substanz geht hier und da das Protoplasma eines Osteoblasten
direkt über. „Bei einzelnen Osteoblasten verändern sich die
peripherischen Teile, indem sie ihr dunkel gekörntes Aussehen
verlieren ..... Nur die dicht um den Kern gelegenen Teile des
Protoplasmas bleiben unverändert.“
Die veränderten peripheren Partien der Osteoblasten sieht
man „unmittelbar in bereits fertige Knochensubstanz übergehen“
(S. 363). Das sind positive, auch durch Abbildungen belegte
Angaben, die für einen direkten Übergang des Protoplasmas der
Osteoblasten in Knochengewebe sprechen.
Zu dem gleichen Resultat ist Stieda gekommen. (Die
Entwicklung des Knochengewebes. 1372.) Stieda vertritt die
Lehre. dass „das ächte Knochengewebe sich stets ohne Beteiligung
des Knorpels bilde“, dass es also überall da, wo es auftritt, eine
Neubildung repräsentiert. Sowohl an Stelle atrophierenden
Knorpels als innerhalb bindegewebiger Membranen entsteht das
Knochengewebe durch die „Metamorphose“ der Osteoblasten.
Entstehung des Knochengewebes. 567
Ein Abschnitt eines Osteoblasten wandelt sich in Knochengewebe
um; ein anderer bleibt unverändert. „Während der äussere
Abschnitt einer jeden einzelnen Zelle durch einen noch nicht
erklärten Prozess fest wird — sklerosiertt — bleibt der Kern
mit dem Rest des unveränderten Protoplasma weich. Die Summe
des sklerosierten Protoplasma einer Anzahl von Östeoblasten gibt
die sogenannte Grund- oder Zwischensubstanz des Knochen-
sewebes; der Kern nebst anhängendem Protoplasma ist das
sogenannte Knochenkörperchen.“ Die sklerosierten Abschnitte
der Osteoblasten sind daran kenntlich, dass sie bei Karminfärbung
hell bleiben, während der Kern und das unveränderte Protoplasma
sich färben.
Trotz dieser Bestätigung durch Stieda wurde die Lehre
von Waldeyer nicht allseitig anerkannt; die meisten Forscher
schlossen sich an Gegenbaur an und betrachteten das Knochen-
gewebe als ein Sekret der Osteoblasten. Sie stützten sich
darauf, dass eine direkte Beteiligung des Protoplasmas dieser
Zellen an der Bildung des Knochengewebes nicht zu erkennen
sei: die Osteoblasten wären stets vom jungen Knochengewebe
getrennt, und man könne keine Verkleinerung derselben während
der Knochenbildung nachweisen. Es müsse aber eine Verkleinerung
der Osteoblasten eintreten, wenn wirklich ein Teil des Protoplasmas
einer jeden Zelle zur Bildung der Grundsubstanz verwendet würde.
In der späteren Zeit, nach dem Erscheinen der Arbeiten
von Gegenbaur, Waldeyer und Stieda, ist keine Beob-
achtung bekannt geworden, die eine Entscheidung zu Gunsten
der Lehre von Gegenbaur oder der Theorie von Waldeyer
zu treffen erlaubt hätte. Es scheint, dass, mit Ausnahme von
Stieda. keiner der späteren Untersucher Bilder gesehen hat,
die die Osteoblasten im Zusammenhang mit jungem Knochen-
gewebe zeigten.
Und doch sind die Angaben von Waldeyer über die Ver-
änderungen der Osteoblasten von der grössten Wichtigkeit. Die
Osteoblasten trennen sich in eine körnige Innenzone und eine
mehr homogene Aussenzone; nur diese geht in die Grundsubstanz
des Knochens über. Es war ein positiver Beweis für die Richtig-
keit der Lehre von Max Schultze, dass „der grösste Teil der
sogenannten Interzellularsubstanzen ausumgewandelter Zellsubstanz
besteht“ (Über Muskelkörperchen. Reicherts Archiv 1861).
568 JeDiissie:
Diese Angaben hätten nachgeprüft werden müssen, statt mit
Stillschweigen übergangen zu werden. Man wandte sich lieber
der Frage nach der Entstehung der Bindegewebsbündel zu. Diese
wenigstens sollten, so suchte man zu erweisen, direkt aus dem
Protoplasma der Bildungszellen hervorgehen. Franz Boll
formulierte im Jahre 1872 (Untersuchungen über die Entwicklung
der Gewebe. Arch. f. mikr. Anat., Bd. Ss) die von ihm im An-
schluss an Max Schultze vertretenen Ansichten folgender-
massen: „Das Protoplasma der Embryonalzellen bildet die Fibrillen
auf seiner Oberfläche und aus seiner Substanz . . . indessen ist
die Fibrillensubstanz etwas Neues, durch die formative Tätigkeit
des Protoplasma Gebildetes“. Auf die Frage nach der Ent-
stehung der Grundsubstanz des Bindegewebes ist weder
F. Boll noch die späteren Bearbeiter der gleichen Aufgabe ein-
gegangen. Immer lautete die Fragestellung nur: Entstehen die
Fasern des Bindegewebes innerhalb der Zellen, im Protoplasma,
oder entstehen sie innerhalb einer zwischen den Zellen gelegenen,
amorphen Grundsubstanz? Wie diese Grundsubstanz selbst ent-
steht, wurde nicht weiter untersucht.
Definieren wir mit Waldeyer (Kittsubstanz und Grund-
substanz, Epithel und Endothel. Arch. f. mikr. Anat., Bd.57, 1901)
die Grundsubstanz als „eine homogene und strukturlose Bildung,
in welche Zellen und Fasern des betreffenden Gewebes eingelagert
sind“, so müssen wir feststellen, dass im Knochengewebe und
im Zahnbein der Grundsubstanz eine viel grössere Bedeutung
zukommt, als im fibrillären Bindegewebe. Die leimgebenden
Fasern, die in die Grundsubstanz eingelagert sind, treten dieser
gegenüber zurück. Besonders muss betont werden, dass bei der
Bildung von Knochen und von Zahnbein anfänglich nur die
Grundsubstanz vorhanden ist; Fasern treten erst auf, wenn
die Grundsubstanz als selbständige Lage erscheint. Will man
also die Frage beantworten, wie Knochen und Zahnbein entstehen,
so muss man untersuchen, wie die Grundsubstanz sich bildet.
Dafür gilt die von Max Schultze präzisierte Fragestellung:
Entsteht die Grundsubstanz durch Umwandlung des Protoplasmas
bestimmter Zellen, oder entsteht sie als ein Sekret, als eine
flüssige, nach der Abscheidung erhärtende Masse ?
Für die Bildung der Grundsubstanz kommen beim Knochen-
gewebe nur die Osteoblasten, beim Zahnbein die Dentin-
Entstehung des Knochengewebes. 369
zellen in Betracht. Es handelt sich nicht darum, die Herkunft
dieser Zellformen zu untersuchen, sondern festzustellen, ob die
Bildung der Grundsubstanz des Knochens durch die Osteoblasten,
des Zahnbeins durch die Dentinzellen erwiesen werden kann. Und
wenn das der Fall ist: wird die Grundsubstanz durch ein er-
härtendes Sekret geliefert, oder geht sie aus umgewandeltem
Protoplasma hervor’?
Die Fragen sind ja schon von Gegenbaur und von
Waldeyer aufgeworfen und derart beantwortet worden, dass
Waldeyer die Grundsubstanz für umgewandeltes Protoplasma,
(Gsegenbaur sie für ein Sekret erklärt hat. Die späteren
Untersucher haben sich teils für Waldeyer, teils für Gegenbaur
erklärt. Kölliker (Gewebelehre, 6. Aufl., Bd. I, S. 327) schloss
sich der Lehre von Gegenbaur an; Spuler (Verhandl. der
Anat. Gesellsch. 1899) steht mehr auf der Seite von Waldeyer.
Nach seiner Angabe steht das jüngste Knochengewebe „in direktem
Zusammenhang mit den in Fortsätze auslaufenden Osteoblasten“.
Er bezeichnet das jüngste Knochengewebe als „kollagene Substanz“
und findet diese bald fibrillär, bald strukturlos.
Flemming (Histogenese der Kittsubstanzen. Hertwig,
Handbuch der Entwicklungslehre, Bd. 3, II. Abt. 1902) ist nicht
der Ansicht, dass die Beobachtungen erlaubten, die Frage nach
der Entstehungsweise des Knochengewebes zu entscheiden; er
lässt beide Möglichkeiten zu. Die Osteoblasten scheiden „an ihrer
Peripherie eine aus Knochenfibrillen und verkalkter Kittsubstanz
bestehende Schale aus“, oder formen diese aus ihrer Substanz.
„Dass dies das Wesen des Vorgangs sei, können wir nur schliessen,
ihn direkt zu beobachten, ist bis jetzt nicht wohl möglich.“
Diese Auffassung ist zu resigniert; es ist, wie in. folgendem
gezeigt werden soll, recht wohl möglich, die Bildung der Grund-
substanz des Knochens aus Osteoblasten direkt zu sehen. Dazu
ist gut konserviertes, in feine Schnitte zerlegbares Material er-
forderlich; beides erlaubt die moderne Technik herzustellen.
I. Die Entstehung der Grundsubstanz des Knochen-
gewebes.
(Vgl. Fig. 1—13, Taf. XXI.)
Ich habe die Bildung des Knochengewebes bei der enchon-
dralen Verknöcherung sowie bei der Knochenbildung in Membranen
570 JMaDkls’ster
untersucht. Am geeignetsten erwiesen sich mir menschliche
Embryonen, die auch Waldeyer zum Studium der Verknöcherung
benutzt hat. Besonders ein in Formol-Alkohol (95 °/o Alkohol
90 voll.. Formol 10 voll.) fixierter menschlicher Embryo aus dem
vierten Monat lieferte sehr klare und eindeutige Präparate über
die Bildung der Grundsubstanz des Knochens. Für das Studium
der Knochenbildung in Membranen wurden auch noch Schweine-
embryonen, in Sublimat-Eisessig fixiert, herangezogen, um zu
untersuchen, ob auch bei diesen die am Menschen gefundenen
Bildungsstadien zu sehen wären.
Als bestes Verfahren ergab sich folgendes: Der mit dem
Periost herausgelöste Knochen — die Tibja — wurde in 10°o
Kochsalzlösung, der 2°/o Salzsäure zugesetzt waren, entkalkt.
im ganzen mit Hämalaun durchgefärbt, gut in destilliertem
Wasser extrahiert und in Paraffin eingeschmolzen. Schnitte von
5 « Dicke wurden auf dem Objektträger, nach Entfernung des
Paraffins, mit folgender Lösung nachgefärbt: Alkohol 95°/o,
90 voll., Rubin S 1,0, Orange 0,5, Glyzerin 10,0. Am besten
wird das Glyzerin erst zugesetzt, wenn beide Farbstoffe im
Alkohol gelöst sind. Dauer der Färbung eine Minute; Differenzieren
in 95°/o Alkohol, Entwässern, Aufhellen in Ol. Origani, Xylol-
Balsam.
a) Enchondrale Verknöcherung. Tibia.
Die Tibia besitzt bei dem untersuchten menschlichen Embryo
aus dem vierten Monat erst einen einzigen Markraum in der
Diaphyse. Der Knorpel ist bis auf feine Balken aufgelöst, die
weiten Markräume sind mit jungem, fast ausschliesslich aus Zellen
und Blutgefässen bestehendem Mark angefüllt: An der Auflösung
des Knorpels beteiligen sich zahlreiche mehrkernige Riesenzellen,
die den Osteoklasten gleichen; sie liegen zum Teil den Knorpel-
balken an, werden aber auch frei in den Markräumen angetroffen.
Die meisten Knorpelbälkchen innerhalb des Markraums besitzen
bereits einen dünnen Überzug von Knochensubstanz; sie sind
durchweg mit Osteoblasten belegt, die in einfacher Lage, einem
Epithel ähnlich, der Oberfläche anliegen.
Die Osteoblasten sind im Vergleich zu den Markzellen als
eross zu bezeichnen; sie besitzen ein dichtes Protoplasma, das
meistens feinstreifig erscheint. Die Zellen sind prismatisch oder
u |
—
Entstehung des Knochengewebes. )
zylindrisch, seltener kubisch oder polygonal; der grosse, kugelige
Kern liegt meistens endständig und vorwiegend an demjenigen
Pol der Zelle, der dem Markraum zugekehrt ist. Natürlich sieht
man diese Stellung des Kerns nur bei günstiger Lage der Zelle,
wenn ihr längster Durchmesser horizontal gestellt ist, d. h. in
der Ebene des Schnittes liegt. Fortsätze sind an den Osteo-
blasten ziemlich selten; die Streifung des Protoplasmas läuft
parallel der Längsachse der Zelle. Wenn nun auch die grosse
Mehrzahl der Osteoblasten gleichartig protoplasmatisch erscheint,
so kann man an den feinen Knorpelbälkchen nahe der Ein-
schmelzungsgrenze des Knorpels, also an den Enden des Mark-
vaumes, einzelne Osteoblasten finden, die von der Mehrzahl ab-
weichen. Ihr Zellenleib lässt nämlich zwei deutlich
getrennte Abschnitte erkennen. Der eine ist dunkel,
protoplasmatisch, enthält den Kern; er ist also
meistens dem Knochen abgewendet. An diesen schliesst
sich ein ganz heller, hyaliner Abschnittan, der dem
Knorpelbälkchen zugewendetist: erist oft struktur-
los, wie ein Glastropfen, schliesst in anderen
Fällen einzelne Körner ein. Der helle Abschnitt eines
Osteoblasten bildet öfters mit dem protoplasmatischen einen
Winkel, erscheint wie abgeknickt, so dass er in eine andere
Ebene fällt: er ist zuweilen von gleichem Durchmesser wie der
protoplasmatische Abschnitt, in anderen Fällen verbreitert er
sich und wird zu einem Kegel, dessen verjüngtes Ende mit dem
’rotoplasma zusammenhängt, während die Basis sich an den
Knorpelbalken anlegt. Auf der Oberfläche eines Knorpelbalkens,
oder auch einer dünneren Lage von jungem Knochengewebe, fliesst
der hyaline Abschnitt eines Osteoblasten gleichsam nach allen
Seiten hin weiter; er legt sich an die hyalinen Abschnitte
benachbarter Osteoblasten an, verschmilzt mit ihnen und bildet
eine glasartig aussehende Substanz, welche einen Knorpelbalken
oder eine Lage jungen Knochengewebes überzieht. Das ist die
erste Anlage der Grundsubstanz des Knochengewebes.
In Fig. 1, 2, 3, Taf. XXI, sind derartige Bildungsstadien
der Knochengrundsubstanz von der Tibia eines menschlichen
Embryo des vierten Monats wiedergegeben. Die Zeichnungen
sind bei Zeiss Apochromat homogene Immersion 2 mm,
Komp.-Ok. 6, unter Benutzung des Abbeschen Zeichenapparates
572 JaDkisiste :
angefertigt. Es ist besonders Wert darauf gelegt, die Osteo-
blasten mit ihren beiden Abschnitten, dem protoplasmatischen
und dem hyalinen, möglichst naturgetreu wiederzugeben; viele
andere Einzelheiten der Präparate sind dagegen nicht dargestellt,
wenn sie keine direkte Beziehung zur Bildung der Grundsubstanz
des Knochens hatten. Auch die tadellos erhaltenen Mitosen
einzelner Markzellen, die öfters zu sehen waren, sind nicht
wiedergegeben.
Die erste Anlage der Grundsubstanz des Knochengewebes
auf einem Knorpelbalken im Markraum zeigt Fig. 1. Dem Knorpel-
bälkchen Kn liegen zwei Osteoblasten an, a und b, deren jeder
in zwei Abschnitte zerfällt, einen protoplasmatischen, dunkeln
(a und b) und einen hellen, hyalinen (aı und bı). Die hyalinen
Abschnitte sind die voluminöseren, sie liegen dem Knorpel
unmittelbar auf, während die protoplasmatischen nach dem Mark-
raum zu liegen. Nur in b ist der Kern getroffen, der den freien
Pol der Zelle einnimmt. Der hyaline Abschnitt ist gegen den
protoplasmatischen deutlich abgegrenzt; er liegt nicht genau in
der Verlängerung des protoplasmatischen Anteils, sondern erscheint
unter leichter Torsion, etwas abgeknickt, so dass die Achsen
beider Abschnitte unter stumpfem Winkel zusammentreffen.
Der hyaline Abschnitt eines jeden Östeoblasten verbreitert
sich nach dem Knorpel zu, und legt sich auf dessen Oberfläche
auf. Er scheint sich auf dieser auszubreiten, denn man sieht,
dass der Abschnitt bı mit dem ähnlichen Abschnitt cı in Berührung
getreten und zu einer Masse zusammengeflossen ist. Dieser
hyaline Abschnitt cı ist mit keinem Osteoblasten in Verbindung:
es kann aber nach seinem Aussehen keinem Zweifel unterliegen,
dass er zu einem Osteoblasten gehört. Zwei Osteoblasten liegen
in seiner unmittelbaren Nähe und sind nur durch eine feine
Spalte von ihm getrennt (Fig. 1c). Es ist möglich, dass der
Abschnitt cı von einer dieser Zellen gebildet wurde und sich
abgetrennt hat, es kann aber auch sein, dass er von dem zu-
gehörigen protoplasmatischen Abschnitt durch den Schnitt getrennt
worden ist. Es handelt sich aber bei den Zellen a und b nicht
um einen Sekrettropfen, der noch mit der ihn produzierenden
Zelle im Zusammenhang geblieben ist; das ganze Aussehen, die
scharfe Begrenzung, der unmittelbare Zusammenhang führt zu
der Erklärung, dass hier Zellen vorliegen, in denen der dem
Entstehung des Knochengewebes. 573
Kern ferner liegende Abschnitt des Protoplasmas hell, homogen,
glasartig durchsichtig geworden ist. Ein Teil des Zellprotoplasmas
hat sich umgewandelt, ist aber noch in Zusammenhang mit dem
unveränderten Abschnitt der Zelle geblieben.
Nun besitzt nur eine kleine Anzahl der im Gesichtsfelde
befindlichen Osteoblasten den beschriebenen hyalinen Abschnitt;
die meisten erscheinen gleichartig und zeigen ein dunkles Proto-
plasma. Auch ist der hyaline Abschnitt nicht leicht zu sehen
und kann nur mit starken Systemen — homogene Immersion —
erkannt werden. Daraus erklärt sich wohl, dass dieser Abschnitt
von fast allen Beobachtern übersehen worden ist. Nur Waldeyer
hat gesehen und beschrieben, dass ein peripherer Abschnitt der
Osteoblasten heller wird und in junges Knochengewebe übergeht.
Zur Zeit kann diese Angabe genauer gefasst werden. Es handelt
sich nicht um eine Bildung, die an der Peripherie des Proto-
plasma auftritt, und etwa, wie ein Mantel, die Zelle umgibt;
sondern es handelt sich um ungefähr die Hälfte eines Osteoblasten,
die dem Knorpel zugekehrt, dem Zellkern abgewandt ist. Diese
Hälfte wandelt sich in eine helle, homogene Substanz um, bleibt
dabei aber noch in Verbindung mit dem dunklen Protoplasma,
das dem Kern benachbart liegt.
Wie lange nun die Bildung des hyalinen Abschnitts bei
einem Östeoblasten währt, und wie lange dieser Abschnitt mit
dem kernhaltigen dunklen Protoplasma in Zusammenhang bleibt,
kann nicht genau angegeben werden. Vielleicht erfolgt die
Bildung schnell, selten lagenweise, mehr an einzelnen Zellen
ablaufend; wenn sich der hyaline Abschnitt kurz nach seinem
Entstehen von dem Östeoblasten abtrennt, und sich dann, wie
noch geschildert werden soll, weiter umwandelt, so ist erklärlich,
warum man die grosse Mehrzahl der Osteoblasten immer als
dunkle, einheitlich protoplasmatische Zellen sieht, und nicht auf
die Idee kommt, dass es einen Zustand gibt, in dem der Osteo-
blast Form, Grösse ıund Aussehen ändert.
In Fig. 2 und Fig. 3, Taf. XXI sehen wir Knorpelbalken,
die bereits einen Überzug von jüngsten Knochen besitzen. In
Fig. 2 ist der Knorpel eine Strecke weit unterbrochen, und das
Bälkchen besteht lediglich aus Knochen, in den schon eine
Knochenzelle eingeschlossen ist (Fig. 2 KZ). Auf den jungen
Knochen legen sich, wie anderwärts auf den Knorpel, die
574 J=Di:siste :
hyalinen Abschnitte einzelner Osteoblasten auf (Fig. 2, Fig. 3aı).
In Fig. 2 ist der hyaline Abschnitt aı gegen den proto-
plasmatischen a unter nahezu rechtem Winkel abgeknickt: er
legt sich mit breiter Fläche dem Knochengewebe an, ist aber
noch von diesem zu unterscheiden. (Im Präparat ist der junge
Knochen rot gefärbt, der hyaline Abschnitt der Osteoblasten
dagegen bleibt farblos, so dass hier die Verschiedenheit beider
Substanzen augenfällig ist.) Auch der hyaline Abschnitt des
Osteoblasten b, der sich unter dem Osteoblasten a verbirgt (Fig. 2),
ist gegen den jungen Knochen gerichtet und legt sich höchst
wahrscheinlich an diesen an. Auf diese Weise tragen die Osteo-
blasten zur Verdickung der jungen Knochenschichte bei; man
sieht dies auch in Fig. 3. An zwei Östeoblasten, a und b, ist
je ein hyaliner Abschnitt ausgebildet; beide fliessen zu einer
Masse zusammen (Fig. 3aı), die mit dem jungen Knochengewebe
in Verbindung getreten ist.
Was bedeutet nun der hyaline Abschnitt eines Osteoblasten ?
Ist er ein Sekrettropfen, oder ist er verändertes Protoplasma?
Gegen ein Sekret spricht die Form und die Begrenzung: der
hyaline Abschnitt hat eine konstante Lage; die Umrandung
des protoplasmatischen Teils der Osteoblasten geht direkt in
die des hyalinen Abschnitts über, der Durchmesser desselben
ist anfänglich gleich dem Durchmesser des protoplasmatischen
Abschnitts, wo die Verbreiterung einsetzt, bleibt die scharfe
Begrenzung des hyalinen Abschnitts erhalten — es ist eben die
beste Deutung der Befunde die, dass hier ein Stück des Zellen-
leibes selbst vorliegt, das sich in bestimmter Weise umgewandelt
hat.. Eine Struktur ist nicht erkennbar, die ganze Masse ist
gleichartig, von starker Lichtbrechung.. Hier und da findet man
ein stark färbbares Korn in die hyaline Masse eingelagert.
Wie nun die Umwandlung des Protoplasmas in den hyalinen
Abschnitt erfolgt, habe ich nicht beobachtet. Ich fand den Ab-
schnitt gut ausgebildet, oder fand ihn gar nicht vor.
Die Annahme, dass die hyalinen Abschnitte Kunstprodukte
seien, ist ausserordentlich unwahrscheinlich. Schon die Tatsache
spricht dagegen, dass nur an wenigen Zellen unter den Massen
von Osteoblasten der hyaline Abschnitt auftritt. Würde es sich
um eine Wirkung eines bestimmten Stoffes auf die Zellen handeln,
so müssten doch wohl alle Zellen, die von diesem Stoff beeinflusst
Entstehung des Knochengewebes. 975
or
werden, den hyalinen Abschnitt aufweisen; man würde erwarten
müssen, in bestimmten Regionen alle Zellen in dieser Weise ver-
ändert zu finden. Man findet aber nur in gut fixierten Objekten
die hyalinen Abschnitte der Osteoblasten überhaupt vor. In meinen
Präparaten sind alle Mitosen ausgezeichnet zu erkennen; in dem
Objekt, dem die Fig. 1 entnommen ist, liegt neben den beiden
Östeoblasten ce eine Markzelle, die sich gerade geteilt hat; die
Knäuelfigur der Tochterkerne ist vortrefflich erhalten. Da darf
man folgern, dass die Zellen dieser Gegend gut fixiert sind und
dass das, was sie zeigen, natürlichem Verhalten entspricht.
Die Substanz, die sich durch Zusammen-
fliessen der hyalinen Abschnitte der Osteoblasten
bildet, wird zur Grundsubstanz des Knochen-
gewebes. DieGrundsubstanzdesKnochensistalso
umgewandeltes Zellprotoplasma; sie wird ledig-
lich von den Osteoblasten geliefert.
Ein indirekter Beweis für beide Sätze kann aus der An-
lagerung der hyalinen Massen an die Oberfläche der Knorpelbalken
im Markraum, sowie an die die Knorpelbalken umgebende
Knochensubstanz entnommen werden. Das einzige, was sich einem
Knorpelbalken im Markraum nachweislich auflagert, ist der hyaline
Abschnitt der Osteoblasten (Fig. 1).
Da man auf den Knorpelbälkchen nach kurzer Zeit Knochen-
substanz antrifit, so liegt der Schluss nahe, dass sich die hyaline
Substanz in Knochen umgewandelt habe. Damit wäre auch erklärt,
warum im jungen Knochen ein Knorpelrest steckt. Nun hat aber
der junge Knochen durchaus keine Verbindung mit den Osteo-
blasten; wenn auch diese Zellen in dichter Reihe dem jungen
Knochen aufliegen, so sind sie gegen den Knochen immer deut-
lich abgegrenzt. Dasselbe gilt von den in die Knochenhöhlen
eingeschlossenen Zellen. Diese Tatsache ist aus den Beobachtungen
zu erklären, die über das weitere Schicksal der hyalinen Ab-
schnitte der Osteoblasten vorliegen; diese Beobachtungen liefern
auch den direkten Beweis dafür, dass sich die hyalinen Abschnitte
der Osteoblasten in die Grundsubstanz des Knochens umwandeln.
Es trennen sich nämlich die hyalinen Abschnitte von den Osteo-
blasten und werden zu einem einheitlichen, zusammenhängenden
Überzuge für einen Knorpelbalken, oder auch eine Knochenlage;
gleichzeitig treten Strukturen in diesem Überzuge auf, die zu
576 J. Disse:
den Fasern des jungen Knochens werden. Die Bildung eines
zusammenhängenden Überzuges für einen Knorpelbalken aus den
vereinigten hyalinen Abschnitten benachbarter Osteoblasten zeigt
Fig. 4, Taf. XXI. Der Knorpelbalken Kn, Knı wendet das breitere
Ende Kn der OÖssifikationsgrenze, das verjüngte Ende Knı der
Mitte des Markraumes zu. Während auf diesem bereits eine
dünne Hülle von Knochensubstanz gebildet ist (Fig. 4 KS), liegt
näher der Ossifikationsgrenze der Knorpel frei; auf beiden Flächen
aber beginnt sich eine homogene Substanz aufzulagern. Auf der
konvexen Seite befindet sich der hyaline Abschnitt eines Osteo-
blasten (Fig. 4 O1) in Berührung mit dem Knorpel; auf der
konkaven Fläche liegt ein ungleich dicker Überzug auf (Fig. 4
GSı, GSe), der sich zwischen den Knorpel in die Osteoblasten-
lage O2 einschiebt. Der dickere Abschnitt dieses Überzuges GSı
besteht aus kegelförmigen Massen, die an den Spitzen noch
getrennt, mit den Basen aber zusammengeflossen sind; an diese
schliesst sich ein dünnerer, gleichmässig entwickelter Abschnitt
GSs an, der abgerundet aufhört. Man sieht in dieser homogenen
Masse, einzeln wie bei GSı oder zu einer Gruppe vereinigt (Ga),
stark gefärbte Körnchen liegen.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass dieser hyaline
Überzug aus den hyalinen Abschnitten benachbarter Osteoblasten
entstanden ist, die sich von den protoplasmatischen Abschnitten
der Zellen getrennt haben. Die kegelförmigen Verdickungen
(Fig. 4 @Sı) reichen bis an zwei ÖOsteoblasten OÖ» heran; die
Spitzen der Kegel werden vom Protoplasma dieser Zellen umfasst.
Offenbar ist die Ablösung gerade vollzogen, und daher ist die
Kegelform der hyalinen Abschnitte noch zu sehen. Das bestätigt
ein Vergleich der Fig. 4 mit Fig. 1, aı und bı. Die dünnere
Abteilung GS2 steht in keiner erkennbaren Beziehung zu an-
liegenden Osteoblasten; ich möchte daraus schliessen, dass sie
sich schon früher von den zugehörigen Zellen abgetrennt hat.
Mit der Trennung ist dann die Möglichkeit gegeben, dass sich
die hyaline Substanz gleichmässig auf der Oberfläche des Knorpels
ausbreiten kann. £
Fig. 11, Taf. XXI zeigt die hyaline, einen zusammen-
hängenden Überzug eines Knorpelbalkens bildende Grundsubstanz
von der Fläche (Fig. 11 GS). Der Knorpelbalken Kn ist teilweise
in Auflösung begriffen; in seiner Mitte ist eine grössere Lücke
O1
—I
Entstehung des Knochengewebes.
entstanden, in der körnige Reste des Knorpels teils frei, teils noch
im Zusammenhang mit dem Knorpel zu sehen sind (Fig. 11 Knr).
Die frei gewordenen Knorpelreste bilden grössere und kleinere,
aus Körnchen bestehende Schollen (Knrı), welche von der hyalinen
Substanz eingeschlossen werden. Die durch die Auflösung des
Knorpels gebildete Lücke wird durch die Grundsubstanz völlig
ausgefüllt; es erscheint das Knorpelbälkchen sogar an dieser
Stelle am dicksten, da die Grundsubstanz in Masse sich an-
gesammelt hat.
Die Körner stellen ein erstes Produkt der Differenzierung
vor, die in der Grundsubstanz auftritt, weiter greift und
schliesslich zur Sonderung des Knochens in Grundsubstanz und
Fasern führt.
Der hyaline, Körnchen einschliessende Überzug des Knorpels
muss als „Grundsubstanz“ bezeichnet werden; er ist in Wirk-
lichkeit eine „homogene und strukturlose Bildung“, in der nach-
weislich alsbald Fasern auftreten. Diese Grundsubstanz ist
nachgewiesenermassen umgewandeltes Zellprotoplasma;
sie wird von den Osteoblasten geliefert. Das entspricht genau
der von Max Schultze ausgesprochenen Lehre über die Bildung
der Grundsubstanzen; und für die Grundsubstanz des Knochen-
gewebes im speziellen besteht die von Waldeyer stets vertretene
Auffassung zu Recht. Noch 1901 schrieb Waldeyer, dass die
Grundsubstanz des Knochens „nicht einer Sekretion der Gewebs-
zellen, sondern einer Metamorphose des Protoplasmas derselben
ihr Dasein verdanke“. Für diesen Satz liegt nunmehr die Be-
stätigung in den mitgeteilten Tatsachen vor.
Das Auftreten von Faserzügen in dieser homogenen Grund-
substanz zeigt Fig. 5 und 6. In Fig. 5 sieht man einen Knorpel-
balken Kn bereits von einer dünnen Knochenlamelle KS überzogen,
die eine Knochenzelle einschliesst. Mit der Knochenlage treten
die hyalinen Fortsätze der Osteoblasten b und c in Verbindung;
man sieht, dass die längste Achse des Osteoblasten b und des
zugehörigen hyalinen Abschnittes bı parallel der Längsachse des
Knochens gerichtet ist. In diesem Fortsatz bı ist eine Längs-
faserung leicht angedeutet; ebenso in dem senkrecht zu bı stehenden
hyalinen Abschnitt des Osteoblasten c.. Körner sind nicht sicht-
bar. In Fig. 6, Taf. XXI sieht man zwei Osteoblasten Oı und Os
378 DRLSISTE :
annähernd parallel zur Oberfläche einer Knochenlage gestellt, die
den Knorpelrest Kn einschliesst. In den hyalinen Abschnitten
beider Zellen ist ein System von feinen Fasern entwickelt, die
bis an die Knochenlage zu verfolgen sind. Der hyaline Abschnitt
eines dritten Osteoblasten O3 ist noch homogen, bis auf eine
Gruppe feiner Körnchen. Die Fasern sind, wie die Körner, ganz
und gar unabhängig von den protoplasmatischen Abschnitten der
Osteoblasten; nur die Grundlage, innerhalb deren sie entstehen,
ist Protoplasma, allerdings in bestimmter Weise verändertes
Protoplasma.
Die jüngste Knochensubstanz gibt beim Kochen noch keinen
Leim: die Fäden der hyalinen Abschnitte der Osteoblasten können
demnach ebensowenig als die Fasern in der Knochensubstanz
selbst als „kollagene Substanz“ bezeichnet werden. Auch ist der
junge Knochen, im polarisierten Licht untersucht, durchaus 1s0-
trop. Es liegen keine Anzeichen dafür vor, dass die Fäden
innerhalb der hyalinen Abschnitte der Osteoblasten durch Aus-
wachsen aus den Körnern entstehen. Ich möchte annehmen, dass
sie direkt aus der Grundsubstanz sich herausdifferenzieren.
Die Osteoblasten bilden also lediglich die Grundsubstanz
des Knochengewebes. Fasst man zusammen, was an den Osteo-
blasten während der Bildung der Grundsubstanz des Knochens
vorgeht, so ist folgendes zu konstatieren: Der Osteoblast bildet,
meist an dem dem Kern entgegengesetzten Pol der Zelle, einen
hyalinen Abschnitt aus, durch Umwandlung eines Teils von seinem
Protoplasma. Während der Ausbildung dieses Abschnittes wird
die Zelle länger, geht aber nach Trennung von dem hyalinen
Abschnitte auf die frühere Grösse zurück. Vor Ausbildung und
nach Abstossung des hyalinen Abschnittes sind also die Osteo-
blasten von gleichen Dimensionen. Nun war diese Möglichkeit
von den Anhängern der Lehre Gegenbaurs nicht in Betracht
gezogen; diese setzten voraus, die Osteoblasten müssten kleiner
werden, wenn sie die Knochensubstanz aus einem Teil ihres
Protoplasmas bilden sollten. Im (Gegenteil, ein gewichtiges
Argument für die Annahme, dass das Knochengewebe aus einem
Sekret der Osteoblasten, und nicht etwa aus umgewandeltem
Protoplasma entsteht, wurde aus dem Umstande abgeleitet, dass
während der Ausbildung einer Knochenlage die anliegenden
Osteoblasten Grösse und Form nicht ändern. So schreibt
Entstehung des Knochengewebes. 37)
Kölliker ((sewebelehre, 6. Aufl., Bd. I, S. 327): „Erstens sind
die Knochenzellen in junger, eben erst gebildeter Knochensubstanz
oft nicht kleiner als die Osteoblasten:; zweitens sind die Ent-
fernungen der Knochenzellen voneinander meist derart, dass
man, namentlich unter Berücksichtigung ihrer Grösse, nicht an-
nehmen kann, dass die Zellen allein die Grundsubstanz des
Knochens geliefert haben. Drittens endlich scheiden die Osteo-
blasten, ohne ihre Gestalt und Grösse zu ändern, zuerst eine
zellenlose Knochensubstanz ab.“
Die Erklärung dafür, dass die hyalinen Abschnitte der
Osteoblasten bisher übersehen worden sind, liegt in der Kleinheit
und besonders der homogenen Beschaffenheit dieser Bildungen,
ferner darin, dass diese Abschnitte nur kurze Zeit mit den
Osteoblasten in Zusammenhang bleiben. Man findet auch selten
die hyaline Vorstufe der Knochenlagen auf den Knorpelbalken
vor; meistens sieht man nur die ganz protoplasmatischen Osteo-
blasten auf dem Knorpel oder auf einer Schichte jungen Knochen-
gewebes aufliegen. Es folgt wohl daraus, dass das hyaline
Stadium der Knochengrundsubstanz nur kurze Zeit besteht und
dass es sich schnell auf dem Wege der Faserbildung in junges
Knochengewebe umwandelt. Dann ist aber jeglicher Zusammen-
hang mit den Osteoblasten gelöst. Das gesamte Knochengewebe
ist ein Produkt der Osteoblasten: es ist „umgewandeltes Proto-
plasma“. Zuerst ist diese Substanz strukturlos und sie bleibt
strukturlos, so lange sie noch in Zusammenhang mit den Osteo-
blasten steht. Die Fasern treten erst auf, wenn sich die Trennung
von den Östeoblasten vollzogen hat. In dieser Hinsicht kann
man sagen, dass die Fasern des Knochengewebes unabhängig
von den Osteoblasten sind. Aber das Material, aus dem die
Fasern sich herausdifferenzieren, ist darum doch ein Teil des
Protoplasmas der Osteoblasten.
Ob sich die Fasern des jüngsten Knochengewebes direkt in
die Fibrillenbündel des späteren Knochens umbilden, kann ich
nicht sagen; ich habe diese Frage nicht untersucht, da es mir
darauf ankam, die Beziehungen des Knochengewebes zu den
Östeoblasten aufzuklären. Auch muss ich unentschieden lassen,
woher die Osteoblasten selbst kommen und ob sich alle als
Knochenzellen erhalten oder ob ein Teil ganz zu Grunde geht:
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 38
>80 NSuDansıste:
b) Knochenbildung in Membranen. Belegknochen
der Nasenkapsel.
(Fig. 7—12 der Taf. XXI.)
Man könnte vermuten, dass die Beteiligung der Osteoblasten
an der Bildung des Knochengewebes am leichtesten bei der
sildung der Knochen in weicher membranöser Grundlage beob-
achtet werden könne, da hier der einfachste Modus der Knochen-
bildung vorliegt. Während bei der Knochenbildung im Knorpel
zwei Vorgänge gleichzeitig sich abspielen, die Einschmelzung des
Knorpels und die Neubildung von Knochengewebe, handelt es
sich bei der Knochenbildung in Membranen um eine einfache
(ewebsneubildung. Es ist aber in Wirklichkeit viel leichter,
die Sonderung der Osteoblasten in den hyalinen und den
protoplasmatischen Abschnitt da zu sehen, wo die Osteo-
blasten sich auf einer knorpeligen Unterlage befinden, als da,
wo ihnen eine solche fehlt. Von der hellen Substanz, die zwischen
den Zellen des embryonalen Bindegewebes liegt, heben sich die
hyalinen Abschnitte der Osteoblasten nicht sonderlich ab und
werden sehr leicht übersehen.
Der in membranöser Grundlage auftretende Knochen hat
die Form feiner mit Ausläufern besetzter Balken. Ränder und
Flächen dieser Balken sind mit Östeoblasten belegt; die Osteo-
blasten gehen noch eine Strecke weit über die Enden der Knochen-
bälkchen hinaus, die Richtung andeutend, in der die Bälkchen
wachsen werden. Man kann nun, da der neu angelegte Knochen
sich in Rubin S intensiv färbt, zwischen den Östeoblasten ein
Netzwerk feiner Fäden auffinden, die mit den Knochenbalken
zusammenhängen; von einem stärkeren, in der Verlängerung des
Knochenbalkens gelegenen Faden gehen nach den Seiten hin,
zwischen die Osteoblasten, feine Ausläufer hinein, die sich in
dem umgebenden embryonalen Bindegewebe verlieren. Statt der
fädıgen Ausläufer der Knochenbalken — sie sehen wie Züge von
Bindegewebsfasern aus — finden sich auch Reihen gefärbter
Körnchen vor; man erhält den Eindruck, als ob die Fäden aus
Körnchen sich zusammensetzten. Die Körnchen selbst liegen
noch zwischen Osteoblasten.
Auch findet man Fäden und Reihen von Körnern ausser
Verbindung mit einem Knochenbälkchen vor; sie wachsen aber
Entstehung des Knochengewebes. 5s1l
auf den nächsten Knochenbalken zu. Fig. 12, Taf. XX1I zeigt einen
Knochenbalken Kb, von Osteoblasten umgeben; bei b und e sieht
man feine Fäden, die von dem Knochenbälkchen abgehen. Bei
a liegen Körner, in Reihen geordnet, sowie feine Fäden, die
noch keine Verbindung mit dem Knochenbälkchen haben; bei d
sieht man Aggregate von Körnchen auf einem Osteoblasten, bei
e ein Geflecht von Fäden, in dem ein Osteoblast steckt.
Es könnte aus derartigen Bildern gefolgert werden, dass
die erste Anlage des Knochengewebes eine faserige ist und dass
sie zwischen den Östeoblasten, in gewisser Hinsicht unabhängig
von diesen Zellen auftritt.
Wenn man nun die feinsten Ausläufer der Knochenbälkchen
in dem embryonalen Bindegewebe ausserhalb der Osteoblasten-
schicht aufhören sieht, so kann man sie für Bindegewebe halten
und dann schliessen, dass die erste Anlage des Knochens aus
dem Bindegewebe stammt und dass sie durch Bündel repräsentiert
wird, welche unabhängig von den Östeoblasten entstanden sind.
Diese Ansicht hat in neuester Zeit v. Korff vertreten. „Die
Bindegewebsfibrillen laufen, von verschiedenen Richtungen
kommend, pinselartig zusammen; dann legen sie sich zu Fibrillen-
bündeln aneinander und gehen kontinuierlich in die Fibrillen-
bündel der ersten Knochengrundsubstanz über“ (Die Analogie
in der Entwicklung der Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz
der Säugetiere. Arch. f. mikr. Anatomie, Bd. 69, 1906).
Nun zeigen derartige Präparate, wie das in Fig. 12 wieder-
gegebene, wohl die Lage der jungen Knochensubstanz, nicht aber
die Entstehungsweise. Diese ist gerade bei der Knochenbildung
in Membranen nicht leicht zu sehen; aber sie kann mit Sicherheit
erkannt werden. Freilich ist nicht jede Spezies und jedes Alter
gleich gut geeignet; mir erwies sich ein menschlicher Embryo
von 25 mm Länge, in Formol-Alkohol fixiert, als ein sehr
günstiges Objekt, um die erste Entstehung der Grundsubstanz
an den ‚Belegknochen der Nasenkapsel zu verfolgen (Fig. 7, 8,
10,11, Taf. XXD:
Es ist nicht anzunehmen, dass die erste Anlage eines
Knochenbälkchens auf andere Weise erfolgt, als die Bildung neuer
Substanz an der Oberfläche einer bereits vorhandenen Lage von
Knochen. Im Gegenteil, in derselben Weise, in der sich die
Anlagerung neuer Grundsubstanz an ein Knochenbälkchen voll-
38*
582 Je Disse:
zieht, ist sicherlich die erste Bildung von Knochengewebe erfolgt.
Der in membranöser Grundlage auftretende Knochen wächst nun
dadurch in die Dicke, dass sich amorphe Grundsubstanz auf
seiner Oberfläche ablagert und zu Knochengewebe wird; er
wächst in die Länge, indem neu gebildete Grundsubstanz mit
seinen freien Enden in Verbindung tritt. Die Grundsubstanz
wird hier, gerade so wie bei der enchondralen Knochenbildung,
durch die Osteoblasten gebildet: sie ist umgewandeltes Proto-
plasma der Osteoblasten.
Zum Belege für diese Angaben mögen die Fig. 7, 8, 9,
Taf. XXI dienen. Fig. 7 und S beziehen sich auf ein Knochen-
bälkchen der Oberkieferanlage vom Menschen; Fig. S, das freie
Ende darstellend, schliesst sich unmittelbar an die in Fig. 7
dargestellte Partie an. Fig. 9 ist von der Oberkieferanlage eines
Schweineembryo entnommen.
Wir sehen in Fig. 7 auf einem Knochenbälkchen Kb drei
Osteoblasten nebeneinander aufliegen (O1, O2, O3). Jeder dieser
Osteoblasten besitzt einen wohl ausgebildeten hyalinen Abschnitt
(hi. he, ha); auf der Knochenoberfläche beginnen die hyalinen
Abschnitte zusammenzufliessen. Der hyaline Abschnitt h3 legt
sich in ein Grübchen der Oberfläche des Knochens hinein und
füllt dasselbe aus: man sieht den tiefer liegenden Rand des
Grübchens deutlich durch die hyaline Masse durchscheinen. Ver-
gleichen wir diesen Befund mit den in Fig. 1, 2, 3, 4 wieder-
gegebenen Verhältnissen, so liegen offenbar die gleichen Dinge
vor. Aus den hyalinen Abschnitten der Osteoblasten bildet sich
eine, zunächst strukturlose Auflagerung auf ein Knochenbälkchen,
bestimmt, selber zu Knochen zu werden. In Fig. 9 sehen wir
gleichfalls, dass auf einer Fläche eines Knochenbälkchens K sich
eine hyaline Auflagerung befindet (Fig. 9 GS); in diese geht
der hyaline Abschnitt des Osteoblasten Oı direkt über.
Bemerkenswert ist aber. dass nicht alle Osteoblasten, die
einen hyalinen Abschnitt entwickelt zeigen, diesen auf ein
Knochenbälkchen auflegen. In Fig. 7 ist der hyaline Abschnitt hı
des Osteoblasten Oı vom Knochen abgesondert und gegen die
bindegewebige Umgebung gerichtet. In einiger Entfernung vom
freien Ende des Knochenbälkchens, das in Fig. 7 dargestellt ist,
finden wir etwas Ähnliches (Fig. Ss). Eine Gruppe von Osteo-
blasten (Fig. 8 Obl) liegt dem Ende des Knochenbälkchens Kb
Entstehung des Knochengewebes. 985
gegenüber: diese Osteoblasten besitzen die hyalinen Abschnitte,
die zu einer gemeinsamen Masse h zusammengeflossen sind. Diese
Masse liegt im embryonalen Bindegewebe und ist schwierig zu
finden; wenn man aber einmal auf sie aufmerksam geworden ist,
erkennt man ihre Natur sehr deutlich. Die hyaline Masse steht
durch zwei feine Bälkchen f, f mit den Knochenbälkchen Kb in
Verbindung, so dass sie mit ihm eine grosse Lücke L begrenzt,
in der zwei Osteoblasten liegen. Der eine von diesen ist ver-
mittelst eines hellen Fortsatzes in Verbindung mit der hyalinen
Masse h getreten.
In dieser Masse selbst erkennt man die Anfänge einer
Struktur. In der Verlängerung der Osteoblasten sieht man
Reihen von Körnchen; den Zwischenräumen zwischen den Osteo-
blasten entsprechend treten feine Fäden auf. Da diese Veränderungen
die gleichen sind, die in den hyalinen Überzügen der Knorpel-
bahnen zu sehen sind, so handelt es sich hier sicherlich um den
gleichen Vorgang. Die ‚aus den hyalinen Abschnitten der Osteo-
blasten Obl hervorgegangene Masse ist im Begriff, zu Knochen
zu werden; sie bildet einen „Herd“ von Knochensubstanz in der
Umgebung eines Knochenbälkchens und setzt sich mit diesem in
Verbindung.
Schon nach den hier mitgeteilten Befunden muss man. als
sichergestellt ansehen, dass die Bildung der Grundsubstanz des
Knochengewebes innerhalb von Membranen 1. lediglich durch
die Osteoblasten geschieht, und dass sie 2. genau so erfolgt, wie
bei der Knochenbildung innerhalb des Knorpels. Die Anlage des
Knochengewebes ist hyalin, strukturlos; fädige Bildungen treten
erst zu einem bestimmten Zeitpunkte auf, meistens erst, wenn
sich die Anlage von den produzierenden Osteoblasten getrennt
hat. Wenn man ausgebildete Fasern findet, besteht schon lange
kein Zusammenhang mehr zwischen der Knochensubstanz und
den Osteoblasten:; man darf die Fasern nicht für die erste
Anlage des Knochengewebes halten, sie entsprechen einer ziemlich
vorgeschrittenen Stufe der Ausbildung.
Wenn man nun auch erwarten darf, an der Oberfläche der
Knochenbälkchen, die innerhalb membranöser Grundlage entstanden
sind, den Belag mit hyaliner Grundsubstanz zu finden, der auf
den Knorpelbälkchen bei der enchondralen Knochenbildung so
deutlich zu sehen ist (Fig. la, Fig. 4), so muss hervorgehoben
554 aDiisser
werden, dass es seine Schwierigkeiten hat, auch mit den besten
Systemen die hyaline Grundsubstanz aufzufinden. An den
gefärbten und aufgehellten Schnitten bedarf es günstiger Stellen,
um die nicht färbbare, glasartig durchsichtige Grundsubstanz
des Knochens zu erkennen; am besten sieht man sie noch in
den weiten Lücken, die an der Peripherie der Knochenbalken
angetroffen werden und Osteoblasten enthalten. Neben diesen
Östeoblasten, zuweilen noch im Zusammenhang mit ihnen, ist die
neugebildete, strukturlose Grundsubstanz zu sehen. Ich habe
versucht, diese für eine Wiedergabe durch die Zeichnung wenig
geeigneten Befunde in Fig. 10 und 13 wiederzugeben. Man sieht
in Fig. 10 ein Stück „geflechtartigen“ Knochens; von dünnen,
vielfach verbundenen Balken von Knochensubstanz werden weite
Lücken umschlossen. In zweien dieser Lücken liegt hyaline
Substanz neben Osteoblasten; in der oben gelegenen Lücke ist
deutlich zu sehen, dass die hyaline Masse h der helle struktur-
lose Abschnitt eines Osteoblasten Oı ist, dessen Kern nebst der
grösseren Menge des protoplasmatischen Abschnittes weggeschnitten
ist. In einer angrenzenden Lücke liegt ein Osteoblast O; dieser
wird von hyaliner Substanz hı wie von einer Kappe überzogen.
Beim Wechsel der Einstellung tritt der hier verdeckte Rest des
Protoplasmas gut hervor. Es hat sich in diesem Falle die
hyaline Substanz von dem zugehörigen Osteoblasten abgetrennt;
es ist aber nicht zu bestimmen, wo dieser Osteoblast liegt. Nun
kann aber wohl keinem Zweifel unterliegen, dass diese, innerhalb
von Gruben der Knochenoberfläche befindlichen Massen hyaliner
Grundsubstanz sich dem vorhandenen Knochen auflegen, zu
Knochen werden und so das Dickenwachstum der Bälkchen
fördern. Fig. 13 zeigt ein Stück geflechtartigen Knochens aus
der Anlage des Oberkiefers eines menschlichen Embryo; in jeder
Lücke liegt ein Östeoblast, der eine hyaline Zone (hZ) ent-
wickelt hat.
Aus den mitgeteilten Beobachtungen ergibt sich, dass
zuerst die Grundsubstanz des Knochengewebes gebildet wird. Sie
ist ursprünglich homogen, glasartig, strukturlos; sie entsteht
aber nicht, wie Gegenbaur lehrt, durch einen Sekretions-
vorgang, sondern sie ist „umgewandeltes Protoplasma“ der
Osteoblasten, wie Waldeyer von jeher ausgesprochen hat. Jeder
Entstehung des Knochengewebes. 585
Osteoblast liefert ein Stück Grundsubstanz; dasselbe trennt sich
von der produzierenden Zelle, fliesst mit den gleichen Abschnitten
benachbarter Osteoblasten zusammen und breitet sich — bei
enchondraler Knochenbildung — auf den Knorpelresten inner-
halb der Markräume zu einem zusammenhängenden Überzuge
aus. Die zellulare Sonderung ist in diesem umgewandelten Proto-
plasma endgültig aufgehoben, es ist eine einheitliche Masse
geworden, die einen Teil der Zellen, von denen sie abstammt,
eingeschlossen hält. Durch Auftreten faseriger Differenzierungen
und alsbaldige Erhärtung wandelt sich die Grundsubstanz in
junges Knochengewebe um. Man kann diese aus den Osteoblasten
entstandene Lage als „Grundsubstanz“ oder auch als „osteogenes
(zewebe“ bezeichnen.
Bei der Knochenbildung in Membranen wird die Grund-
substanz in das embryonale Bindegewebe der Umgebung einfach
eingelagert. Ihre Ausdehnung wird durch die Anordnung
der Osteoblasten bestimmt. Sowie ein Knochenbälkchen gebildet
ist, wächst es durch Anlagerung neu gebildeter Grundsubstanz
in die Dicke und in die Länge und verdrängt das Bindegewebe
immer mehr.
Da erst nach der Trennung der Grundsubstanz von den
Osteoblasten die fasrige Struktur sich ausbildet — nur ihre erste
Andeutung kann schon auftreten, wenn die Grundsubstanz noch
mit den Osteoblasten verbunden ist — so sind die Faserzüge
des Knochengewebes ausser Verbindung mit den Osteoblasten.
Sie sind ausserhalb derselben und unabhängig von ihnen auf-
getreten.
Dieser Umstand ändert aber nichts an der Tatsache, dass
die Fasern im Knochen Produkte des Zellprotoplasmas sind; un-
mittelbar haben sie zwar nichts mit den Osteoblasten zu tun;
aber mittelbar sind sie auf die Osteoblasten zurückzuführen, da
die Grundsubstanz, in der sie gebildet werden, weiter nichts ist,
als umgewandeltes Protoplasma der Osteoblasten. Würden die
Fasern früher sich ausbilden, so ständen sie in direktem Zu-
sammenhang mit Osteoblasten. Man darf also keinen übertriebenen
Wert darauf legen, ob man in einem besonderen Falle Fasern
innerhalb des Zellenleibes, oder ausserhalb desselben auftreten
sieht. Es kommt nur darauf an, zu entscheiden, woher die
(Grundsubstanz stammt, in welcher die Fasern liegen. Es muss
586 J. Disse:
gefragt werden: Ist diese «rundsubstanz ein Sekret von bestimmten
Zellen, oder ist sie umgewandeltes Protoplasma? In letzterem
Falle sind die Fasern in der Grundsubstanz Produkte des Zell-
protoplasma, und der Zeitpunkt ihres Auftretens ist von minderer
Wichtigkeit. Dieser Gesichtspunkt ist meines Erachtens auch bei
den Untersuchungen über die Entstehung der Fasern des fibrillären
Bindegewebes der maßgebende.
Die Resultate der Untersuchungen über die Entstehung des
Knochengewebes sind zuerst am 16. Juni 1908 in der Gesellschaft
zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften zu Marburg
mitgeteilt und in den Sitzungsberichten erschienen. (Disse, Über
die Bildung des Knochengewebes. Marburger Sitzungsberichte
1908 Nr. 5. Juni.)
II. Die Entstehung des Zahnbeins.
(Fig. 14—20 auf Taf. XXIL)
Das Zahnbein bildet sich an der Oberfläche einer Zahnpapille,
soweit wie diese vom Schmelzorgan bedeckt wird. Die Papille
besteht hauptsächlich aus polygonalen Zellen, die zahlreiche,
längere und kürzere Ausläufer besitzen und in eine mucinhaltige
Grundsubstanz eingelagert sind; vor dem Auftreten des Zahn-
beins sind die oberflächlich gelegenen Zellen der Papille durchaus
den in der Tiefe gelegenen ähnlich. Sobald nun die Dentin-
bildung einsetzt, findet man die oberflächliche Zellenlage der
Papille in charakteristischer Weise verändert. Sie wandelt sich
in eine einfache Schicht hoher, prismatischer Zellen um, deren
längster Durchmesser senkrecht zur Oberfläche der Papille steht;
man bekommt den Eindruck. als sei die Papille von einem ein-
schichtigen hohen Epithel überzogen.
Das Dentin tritt an der Aussenfläche dieser epithelartigen
Zellenlage auf, zwischen ihr und dem inneren Epithel des Schmelz-
organs: es bildet ein konform der Papillenoberfläche gekrümmtes
Scherbehen, das „Zahnscherbchen“, das zuerst an der Spitze der
Papille auftritt und von dieser aus, an Dicke allmählich ab-
nehmend, auf die Seitenflächen der Papille übergreift. Das Zahn-
scherbehen reicht nur soweit, wie die erwähnte Lage hoher
prismatischer Zellen; es steht mit diesen in Verbindung, indem
jede Zelle einen langen feinen Fortsatz in das Zahnscherbchen
Entstehung des Knochengewebes. 587
entsendet, für den ein Hohlraum, das Zahnkanälchen, ausgespart
bleibt. Die Länge dieses Zellausläufers, der „Zahnfaser*, ent-
spricht immer der Dicke der Dentinlage; es nimmt die Zahnfaser
in dem Maße an Länge zu, wie die Dentinlage dieker wird.
Wenn man das Zahnscherbehen von der Papille abhebt,
lösen sich die hohen, prismatischen Zellen von der Papille ab
und bleiben mit dem Zahnscherbcehen in Verbindung: sie bilden
einen zelligen Überzug an der konkaven Fläche der Dentinlage
und sind deshalb als „Dentinzellen“ oder „Elfenbeinzellen“ be-
nannt worden. Untereinander hängen die Dentinzellen durch
kurze Ausläufer zusammen; die meisten lassen einen längeren
Ausläufer erkennen, der der Zahnfaser gegenüber von der Basal-
täche der Zelle abgeht und in das Gewebe der Papille hinein
verläuft.
Diese Befunde führten dazu. dass man die Lage der Dentin-
zellen als die dentinbildende Schichte ansah. Waldeyer hat
diese Auffassung zuerst klar ausgesprochen; er hat die Theorie
aufgestellt, dass das Zahnbein durch Umwandlung des
Protoplasmas der Dentinzellen entstehe. An einer
jeden Dentinzelle wandelt sich die Mantelschicht des Protoplasma
in die Grundsubstanz des Dentins um, die alsbald durch Ein-
lagerung von Ralksalzen fest wird: der axiale Protoplasmaabschnitt
aber bleibt weich, wird zur Zahnfaser und bleibt natürlich in
dem neugebildeten Dentin liegen. Bei dieser Umwandlungsweise
muss nun die Dentinzelle bald verbraucht werden: ein Teil des
Protoplasma wird zu Dentin, ein anderer zur Zahnfaser. Dann
tritt eine neue aus der Papille stammende Zelle für die ver-
brauchte ein. „Durch den Pulpafortsatz steht jeder Odontoblast
mit den tiefer gelegenen, sich ebenfalls sukzessive vergrössernden
Zellen der jungen Pulpa (d. h. der Papille) in Verbindung, sodass,
wenn ein Odontoblast bis auf das Faserrudiment verknöchert ist,
ein anderer an seine Stelle tritt, ohne dass die Kontinuität der
Faser unterbrochen wird. Dem Gesagten zufolge muss also
jede Zahnfaser als ein Rudiment mehrerer zusammenhängender
Odontoblasten angesehen werden .... Somit konstituiert sich
das Dentin mit allen seinen Bestandteilen nur aus den chemisch
und formell umgewandelten Odontoblasten.“ (Waldeyer, Bau
und Entwicklung der Zähne. Strieckers Handbuch der Lehre
von den Geweben, Bd. I, 1871.)
588 I Disease
Der Kernpunkt der Lehre Waldeyers ist der, dass das
Dentin umgewandeltes Zellprotoplasma ist. Die Einzelheiten des
Umwandlungsprozesses aber waren von Waldeyer weniger direkt
gesehen, als vielmehr erschlossen worden. Besonders gilt dies
für die Angabe, dass die Odontoblasten ganz zur Bildung von
Dentin und Zahnfaser verbraucht würden, und dass immer neue
Odontoblasten entstehen und an die Stelle der verbrauchten treten
sollten. Gegen diesen Punkt richteten sich zunächst die Ein-
würfe. Kölliker (Gewebelehre, 5. Aufl., 1867) sprach sich dahin
aus, „dass in vielen Fällen eine einzige Zelle ausreicht, um eine
Zahnfaser zu bilden; man sieht an den Zahnfasern nie Spuren
einer Entstehung aus Zellreihen“. Vielmehr nahm Kölliker
an, „dass die Elfenbeinzellen, indem sie einerseits immer neuen
Bildungsstoff aufnehmen und hierdurch in immer gleicher Grösse
sich erhalten, auf der andern Seite durch ein lebhaftes Spitzen-
wachstum immer längere verästelte Ausläufer, eben die Zahn-
fasern, hervorbringen“. Damit war der neue Gesichtspunkt ein-
geführt, dass die Dentinzelle ständig in die Länge wachsen kann,
und dass sie dadurch etwaigen Verlust an Protoplasma zu er-
setzen imstande ist. Indessen war Kölliker der Meinung, dass
das Wachstum lediglich den Verlust desjenigen Protoplasma-
abschnittes decke, der zur Bildung der Zahnfaser verbraucht
werde. Eine Umwandlung des Protoplasmas einer Dentinzelle
in Dentin komme nicht vor; es handle sich vielmehr um eine
Ausscheidung, die von den Dentinzellen geliefert wird, ver-
kalkt und zu Dentin wird. Weil das Dentin zwischen den äusseren
Enden der Dentinzellen auftritt, „geht es nicht wohl an, das
Dentin unmittelbar aus der Pulpa abzuleiten, und es bleibt nichts
anderes übrig, als anzunehmen, dass das Dentin unter Vermittlung
der Elfenbeinzellen sich bilde“. (Gewebelehre, S. 387.) Die
Grundsubstanz des Dentins wäre „als eine durch alle Elfenbein-
zellen gemeinsam gebildete Ausscheidung zu betrachten“;
diese ist durchaus gleichartig und lässt niemals eine Zusammen-
setzung aus einzelnen Abschnitten erkennen, die man etwa für
Zellterritorien halten könnte.
Kölliker zog noch eine scharfe Grenze zwischen einer
Sekretion und einer Umwandlung des Zellprotoplasma:;
es lag wohl die Vorstellung zugrunde, dass ein Sekret immer
amorph, vielfach sogar flüssig sei, während dem sich um-
Entstehung des Knochengewebes. 589
wandelnden Protoplasma immer eine Struktur zukomme;
dass ferner ein Sekret sich von den produzierenden Zellen
sofort trenne, während Protoplasma mit ihnen im Zusammenhang
bleibe. Wenn man zulässt, dass Protoplasma seine Struktur ver-
lieren, amorph werden und sich aus dem Zellverbande lösen
kann, so wird Protoplasma zu Sekret; es verwischt sich die
Grenze zwischen beiden Vorgängen, da das Produkt in dem
einen wie in dem anderen Falle „umgewandeltes Protoplasma“
ist. In diesem Sinne hat v. Ebner (Köllikers Gewebelehre,
6. Aufl., 1899) die Lehre Köllikers über die Entstehung des
Dentins modifiziert; er hält es den Tatsachen am meisten ent-
sprechend, anzunehmen, „dass die Elfenbeinzellen an ihrer Ober-
fläche zunächst eine nicht fibrilläre Substanz bilden, die zu einer
gemeinsamen Masse zusammen fliesst“... „Die fibrilläre Grund-
substanz des Zahnbeins wird von den Elfenbeinzellen zunächst
an der äusseren Oberfläche, dann aber auch zum Teil an den sich
berührenden Seitenflächen der Zellen gebildet.“ Denn das zuerst
gebildete Dentin erscheint „wie ein Ausguss der Zwischenräume
zwischen den äusseren Enden der Dentinzellen“; es entsteht „auf
Kosten der Odontoblasten wahrscheinlich dadurch, dass die
Plasmafäden derselben an der Oberfläche zu einer chemisch dem
Kollagen nahe stehenden Substanz, die zunächst nicht fibrillär
ist, zerfliessen“ (v. Ebner, Über die Entwicklung der leim-
gebenden Fibrillen. besonders im Zahnbein. Wiener Sitzungs-
berichte, math.-naturw. Kl., Bd. 115, Abt. 3, 1906).
Bei dieser Auffassung bleibt aber die Lehre von Kölliker
bestehen, dass das Zahnbein das Produkt einer einzigen Lage von
Dentinzellen ist. Die Zellen wachsen, solange sie Dentin produzieren,
und ihr nicht zu Dentin gewordenes Protoplasma erhält sich in Form
der Zahnfasern. Nur in diesem Punkte entfernt sich die Lehre
v. Ebners von der Theorie, die Waldeyer aufgestellt hatte; sie
fasst aber, dieser Theorie entsprechend, das Dentin als umgewandeltes
Protoplasma auf. Der Umwandlungsprozess ist aber auch von
v. Ebner nicht in seinen Einzelheiten gesehen: besonders sind
keine Beobachtungen mitgeteilt, die eine sichtbare Veränderung des
Protoplasmas der Dentinzellen bei der Dentinbildung feststellen.
Nach den zitierten Autoren, denen eine Anzahl anderer
anzureihen wäre, sind es immer die Dentinzellen, von denen
die Bildung des Dentins ausgeht.
590 TaDalsisıer:
Nun ist in neuester Zeit angegeben worden, dass das junge
Dentin, das „wie ein Ausguss“ zwischen den äusseren Enden der
Dentinzellen liegt, nicht homogen sei, sondern fibrillär; dass die
Fibrillen aus der Papille herkommen, und durch Auffaserung
stärkerer Bündel entstehen, die zwischen den Dentinzellen hindurch-
treten. Diese Fibrillen werden direkt zu den Fibrillen des fertigen
Zahnbeins. Es ist keine anfangs homogene Grundsubstanz des
Dentins da, sondern die erste Anlage desselben ist fibrillär; die
Fibrillen stammen aus dem Gewebe der Papille.. Die Zahnbein-
grundsubstanz „baut sich aus Fibrillen auf, die mit denen der
Zahnpulpa kontinuierlich sind“. (v. Korff, Die Entwicklung der
Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. Arch. f. mikr. Anatomie,
Bd. 67, 1905.) Wenn diese Angaben zutreffen, ist das Dentin
ein Produkt der Zahnpapille, und zwar ihrer Fasern, nicht ihrer
Zellen: die Dentinzellen kommen dann für die Bildung des Zahn-
beins nicht in Betracht.
Nach meinen eigenen Untersuchungen, die hauptsächlich an
menschlichen Embryonen angestellt sind, ist es nun möglich, den
Nachweis zu führen, dass die Dentinzellen es sind, welche das
Zahnbein produzieren. Das Dentin ist umgewandeltes Zellproto-
plasma der Dentinzellen: die einzelnen Umwandlungsstadien lassen
sich erkennen, und sie entsprechen im wesentlichen den Ver-
änderungen, die das Protoplasma der Osteoblasten bei der Bildung
des Knochengewebes erfährt.
Das Verständnis für die Vorgänge bei der Bildung des Dentins
erschliesst sich nur dem, der die Bildung der Knochensubstanz
in ihren Einzelheiten untersucht hat, und der besonders die Um-
bildungen der Osteoblasten, das Homogenwerden des peripheren
Zellenabschnitts und seine Trennung von dem protoplasmatischen,
genau kennt. Diese Vorgänge sind an den Osteoblasten relativ
leicht zu sehen; ihre Deutung ist nicht schwierig, und sie
erleichtert das Verständnis anologer Vorgänge in verwandten Ge-
weben. Die Veränderungen an den Dentinzellen sind schwieriger
zu sehen; man wird nur dann auf ihre Bedeutung aufmerksam,
wenn man die Phasen kennt, die ein Osteoblast bei der Produktion
von Knochengewebe durchläuft. Man wird immer wieder die
Wahrheit des Satzes bestätigt finden, den vor Jahren Waldeyer
aussprach: „Die histiologische Genese des Zahnbeins muss voll-
Entstehung des Knochengewebes. 591
kommen der Bildung der Knochensubstanz homologisiert werden“
(Striekers Handbuch, Bd. I, S. 550).
Auch zur Untersuchung der Dentinbildung dienten mensch-
liche Embryonen, die teils in Pikrinsäure-Sublimat, teils in
Zenkerscher Lösung fixiert waren. Es kamen Embryonen von
125 mm, 132 mm, 140 mm Länge zur Verwendung, ausserdem
ein Embryo aus dem Ende des 5. Monats, der in Müllerscher
Lösung fixiert worden war. Auch wurden Schweineembryonen,
in Sublimat-Eisessig fixiert, zum Studium der Dentinbildung heran-
gezogen. Die Vorbehandlung aller Präparate war die folgende:
Entkalkung in 10°/o Kochsalzlösung mit 2°/o HCl; Stückfärbung
in Hämalaun, Einschluss in Paraffin. Die 0,005 mm dicken Schnitte
wurden auf dem Objektträger eine Minute lang in einer alko-
holischen Lösung von Rubin S und Orange nachgefärbt (Rubin S 1,0,
Orange 0,5, 95°/o Alkohol 90,0, Glyzerin 10,0), in starkem Alkohol
differenziert und in Ol. Origani aufgehellt. Bei dieser Behandlung
werden die Zellkerne blau, das Protoplasma der Dentinzellen rot;
das jüngste Dentin erscheint rot, das ältere orange. Die Zahn-
scheiden werden rot. Die Fragestellung muss lauten: Kommen
während der Dentinbildung an den Dentinzellen sichtbare Ver-
änderungen vor? Haben diese Veränderungen Ähnlichkeit mit
denen, die an den Osteoblasten bei der Knochenbildung beobachtet
werden? Liefern die veränderten Abschnitte der Dentinzellen
das junge Dentin? Um diese Fragen beantworten zu können,
müssen wir mit der Schilderung der Dentinzellen beginnen.
Um die Zeit, in welcher die Dentinbildung beginnt, tritt
auf der Oberfläche der Zahnpapille eine Lage bestimmt geformter
Zellen auf, die sich von den zentralen Zellen der Papille unter-
scheiden. Es sind die „Dentinzellen“, auch „Odontoblasten“,
oder „Elfenbeinzellen“ genannt. Die Schichte dieser Zellen ist
anfänglich, bei ihrem ersten Auftreten, am dicksten, und nimmt
allmählich an Mächtigkeit .ab. Man findet 3—5 Zellenlagen
übereinander, besonders an der Spitze der Papille, während ın
späterer Zeit höchstens zwei Zellenlagen da sind. Die einzelnen
Zellen sind zwar an Form, Grösse, Zahl der Ausläufer vielfach
verschieden; indessen treten die Abweichungen gegenüber den
gemeinsamen Merkmalen zurück. Die Dentinzellen sind lange
und schmale, ‚prismatisch oder auch zylindrisch gestaltete Zellen.
Der Kern liegt, mit seltenen Ausnahmen, endständig, in dem-
592 JeEDAgsie:
jenigen Ende der Zelle, das der Papille zugekehrt ist; man kann
es als das zentrale Ende bezeichnen. Der Kern ist gewöhnlich
kuglig, seltener ovoid; er hat eine deutliche Struktur, das Chro-
matin bildet ein feines Netzwerk mit zahlreichen grösseren und
kleineren Netzknoten. Das Zellprotoplasma ist undeutlich streifig,
die Streifen laufen der Längsachse der Zelle parallel. Ausser den
feinen Fibrillen, die die Streifung bewirken, enthält das Proto-
plasma zahlreiche feine Körner: wenn die Streifung zurücktritt,
kann die Zelle körnig erscheinen.
Die Länge der Dentinzellen beträgt nach Waldeyer beim
Menschen 20—30 u, die Breite 5 «; Kölliker gibt 35-—54 u
Länge bei 5—10 « Breite an. Ich finde bei menschlichen
Embryonen die Länge 24—30 u, die Breite 5—6 «. Der Kern
hat den gleichen Durchmesser wie die Zelle.
Es ist unter Umständen nicht leicht, die Länge einer
Dentinzelle genau zu bestimmen; einmal besitzt die Zelle Fort-
sätze, auch solche, die in der Richtung des längsten Durchmessers
liegen, nämlich die Zahnfaser und einen ihr gegenüber abgehenden
zentralen Fortsatz. Wenn man ein kleines Stück dieser Fort-
sätze bei der Messung berücksichtigt, bekommt man natürlich
höhere Werte, als wenn man die Fortsätze ausser acht lässt.
Wichtiger aber ist die Tatsache, dass der leicht sichtbare, proto-
plasmatische Abschnitt einer Dentinzelle sehr häufig nicht die
ganze Zelle darstellt, sondern nur einen Teil derselben.
Es ist mehrfach angegeben worden, dass die Dentinzelle,
wenn die Bildung des Dentins im Gange ist, in zwei Zonen zer-
fällt. v. Korff sagt: „der Zellenleib der Elfenbeinzelle lässt
einen kleinen äusseren, homogenen, und einen grösseren, inneren,
differenzierten Abschnitt erkennen“; v. Ebner bildet derartige
in zwei Zonen gesonderte Dentinzellen ab (Köllikers Hand-
buch der Gewebelehre, 6. Aufl., Bd. 3, Fig. 935).
Die Beschreibungen und die Abbildungen der genannten
Autoren beziehen sich auf isolierte Zellen, und diese zeigen die
äusseren, homogenen Abschnitte der Dentinzellen nur sehr un-
vollständig. Man muss die Zellen an Schnittpräparaten unter-
suchen, wenn man das wirkliche Verhalten der homogenen Zone
erkennen will. Es ergibt sich dann, dass die Dentinzelle vielfach
in eine innere oder zentrale protoplasmatische, und in
eine äussere oder periphere homogene Zone zerfällt, und dass
Entstehung des Knochengewebes. 593
die homogene Zone ein variables Element ist. Das Auftreten
dieser homogenen Zone hängt nun mit der Bildung des Dentins
zusammen, es stellt das erste Stadium bei der Dentinbildung dar.
Die Bildung des Dentins wird dadurch eingeleitet, dass die
Dentinzellen einen homogenen, nach aussen gekehrten Abschnitt
ausbilden, der dem Schmelzorgan anliegt. Dieser Abschnitt wird
glasartig durchsichtig, besitzt keine deutliche Struktur, nimmt
an Durchmesser gegenüber dem protoplasmatisch bleibenden Ab-
schnitte der Zelle zu, und tritt mit den gleichartig veränderten
äusseren Abschnitten der benachbarten Dentinzellen in innige
Berührung. Dann fliessen die in Verbindung stehenden Enden
der homogenen Abschnitte an der inneren Grenze des Schmelz-
organs zu einer einzigen Lage zusammen. Diese Lage, hervor-
gegangen aus dem in bestimmter Weise veränderten Protoplasma
der Dentinzellen, trennt sich von den Dentinzellen ab und wird
zu Dentin. Das Dentin wächst in die Dicke durch Anlagerung
neu gebildeten Materials an die bereits vorhandene Dentinschicht ;
dieses Material geht auf die gleiche Weise, wie das zuerst ge-
bildete Dentin, aus den Dentinzellen hervor.
Fig.14, Taf. XXIl zeigt das erste Stadium der Dentinbildung;;
in Fig. 14a sehen wir die Verdickung einer bereits vorhandenen
Dentinschicht durch Anlagerung einer hellen, noch mit den Dentin-
zellen in Verbindung stehenden Lage. Beide Präparate gehören
einer Serie an, die von einem Schweineembryo stammt.
Fig. 14 zeigt die erste Bildung derjenigen Substanz, die
zu Dentin werden soll; man kann sie mit v. Ebner als „Prä-
dentin“ benennen. Die Stelle, die in der Abbildung wiederge-
geben ist, liegt ganz nahe dem zugeschärften Rande des Zahn-
scherbehens. Es ist noch kein Dentin da, wohl aber eine gut
ausgeprägte Lage von Dentinzellen. Diese erscheint bei schwächerer
Vergrösserung von dem inneren Epithel des Schmelzorgans durch
einen hellen Zwischenraum getrennt; die Untersuchung mit homo-
gener Immersion aber zeigt, dass die helle Partie aus den ganz
hellen, gleichmässig hyalin erscheinenden Abschnitten der Dentin-
zellen besteht (Fig. 14 hZ). Eine jede Dentinzelle besteht aus
zwei Abschnitten, einem protoplasmatischen (pZ),. der an die
Papille angrenzt und den Kern einschliesst, und einem hellen,
glasartig durchsichtigen (hZ), der unter leichter Verbreiterung
aus dem protoplasmatischen Abschnitt hervorgeht und sich mit
594 JseDuHsBe:
seiner äusseren Fläche an das Schmelzorgan (SO) anlegt. In der
Nähe des protoplasmatischen Zellenabschnittes sind die glas-
artigen Partien selbständig; ihre breiten Aussenflächen aber sind
entlang dem Schmelzorgan miteinander verschmolzen und bilden
eine einzige, gleichmässige helle Lage. die mit dem Rande des
Zahnscherbehens in Berührung steht.
Ein ganz gleiches Verhalten zeigen die Dentinzellen an
der Innenfläche des Zahnscherbehens, also näher der Spitze der
Zahnpapille (Fig. 14a, Taf. XXII). Die Dentinlage (D) besitzt
eine gewisse Mächtigkeit, 30—40 «; sie besteht aus einer
äusseren, gleichartigen und einer inneren Zone, die sich in Rubin
stark gefärbt hat. In dieser Zone sind die Zahnkanälchen deutlich
wahrzunehmen: die Grundsubstanz erscheint körnig und enthält
noch keine anisotröpen Fibrillenzüge. Es ist also ganz junges
Dentin Unterhalb dieser Schichte ist eine ganz helle, homogene
Lage h7 vorhanden; sie setzt sich aus den äusseren, hellen und
homogenen Abschnitten der Dentinzellen zusammen, so dass alle
diese Zellen mit der genannten Schicht in Verbindung stehen.
Die hellen Aussenzonen der Dentinzellen sind von ungleicher
Länge: sie sind zylindrisch, oder auch kegelförmig. In der
hellen Substanz treten bei einzelnen Zellen Körnchen auf, die
sich in Rubin stark färben: sie liegen immer ganz oberflächlich,
stehen einzeln oder ordnen sich zu Reihen zusammen. Auch die
Grenze des protoplasmatischen Abschnittes der Dentinzellen gegen
den hellen Abschnitt kann körnig erscheinen.
Die Dentinzellen, die sich in zwei Abschnitte gesondert
haben, gleichen durchaus den Osteoblasten, die einen Teil ihres
Protoplasmas in osteogene Substanz umwandeln; es kann keinem
Zweifel unterliegen, dass in beiden Zellenarten analoge Vorgänge
sich vollziehen, die darauf hinauslaufen, eine Substanz zu bilden,
welche später sklerosieren soll.
Die Dentinzellen des Menschen lassen die beim Schweine-
embryo beschriebenen Stadien gleichfalls erkennen. Es wird der
nach aussen gerichtete Abschnitt des Zellprotoplasmas in eine
helle, homogene Masse verwandelt, die als ein peripherer Ab-
schnitt der Zelle erscheint. Fig. 15, Taf. XXI zeigt vier der-
artig veränderte Dentinzellen, die an der Innenfläche einer
dünnen Schichte von Dentin (D) gelegen sind. Der protoplasma-
tische Zellenabschnitt (pZ). der an seinem zentralen Ende den
Entstehung des Knochengewebes. 595
Kern einschliesst, geht ohne scharfe Grenze, mehr allmählich,
in den homogenen Abschnitt hZ über; die sämtlichen homogenen
Abschnitte aber sind bereits miteinander verbunden und zu einer
einzigen Masse zusammengeflossen, die sich enge an die Dentin-
lage D anschliesst. Auch in Fig. 16, Taf. XXII sieht man die
hyalinen, homogenen Abschnitte von drei Dentinzellen miteinander
verschmolzen und zu einer glasartig hellen Masse hZ vereinigt.
Es ist die Spitze der Papille eines Schneidezahns bei einem
Embryo von 152 mm Länge dargestellt, auf der sich das Zahn-
scherbehen D gerade anlegt. Die Grenze beider Abschnitte er-
scheint an den Dentinzellen unregelmässig; an der mit pZ be-
zeichneten Zelle entsendet der protoplasmatische Abschnitt zwei
Ausläufer in die hyaline Masse hinein; nur die mit pZı bezeichnete
Zelle zeigt eine geradlinige Abgrenzung beider Abteilungen.
Überall da, wo sich Dentin bildet, nimmt man das Auf-
treten einer hyalinen Aussenzone an den Dentinzellen wahr. Es
muss diese Veränderung eine wesentliche Bedeutung haben. Dass
sie bisher gar nicht oder nur unvollkommen gesehen worden ist,
liegt wohl an der Durchsichtigkeit des hyalinen äusseren Ab-
schnittes; oft kann man geneigt sein, ihn für eine Lücke im
Präparat zu halten. Es bedarf einiger Erfahrung und einiger
Aufmerksamkeit, um die hellen Abschnitte der Dentinzellen
zu sehen; um die richtige Deutung der Bilder geben zu
können, ist es notwendig, die Veränderungen der Osteoblasten
bei der Knochenbildung zu kennen. Nicht selten sieht man,
besonders auf Flächenschnitten der Dentinzellen, glasartige
Massen zwischen den Zellen liegen, deren Zusammenhang mit
protoplasmatischen Abteilungen nicht nachzuweisen ist. Derartige
Bilder erklären sich daraus, dass oftmals die beiden Abschnitte
einer Zelle einen Winkel miteinander bilden, sodass der Schnitt
nur einen einzigen Abschnitt trifft. Vielfach kann man aber
auch den Nachweis führen, dass glasartige Massen mit kern-
haltigem Protoplasma zusammenhängen. Nun ist die wichtige
Frage zu beantworten: In welcher Weise wandelt sich die
homogene, aus den äusseren Abschnitten der Dentinzellen
gebildete Lage weiter um? Welcherlei Stadien durchläuft sie,
bis sie zu Dentin geworden ist?
Die homogene Lage enthält zweierlei Bestandteile: einmal
das Material, das zu Dentin wird, ferner die Zahnfasern. Beiderlei
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd.73, 39
596 J.-Dissie:
Eiemente lassen sich anfänglich, so lange die hyalinen Abschnitte
noch mit den Dentinzellen vereinigt sind, nicht voneinander
unterscheiden. Die ganze, den Dentinzellen aufsitzende Lage ist
homogen; das sieht man sehr gut an dem in Fig. 17, Taf. XXIII
wiedergegebenen Längsschnitt der Zahnanlage eines menschlichen
Embryo von 140 mm Länge. Die Dentinlage D wird durch die
homogene Schicht hZ von den Dentinzellen getrennt; die Schicht
hZ setzt sich aus Abteilungen zusammen, deren jede zu einer
Dentinzelle gehört, was auf den ersten Blick erkennbar ist.
Nun trennt sich die homogene Lage von dem proto-
plasmatischen Abschnitt der Dentinzellen ab und wird selb-
ständig; gleichzeitig werden in ihr die Zahnfasern sichtbar, die
mit den Dentinzellen in Verbindung stehen. In Fig. 18, Taf. XXII
hat fast eine jede der Dentinzellen DZ einen langen peripheren
Fortsatz Zf, der in ein Kanälchen des Dentins D hinein verfolgt
werden kann. Es ist die Zahnfaser. Diese besitzt jetzt die
Struktur und die Färbbarkeit des protoplasmatischen Abschnittes
der Dentinzelle; vorher, so lange die homogenen Abschnitte
noch mit den protoplasmatischen in Verbindung stehen, ist nichts
von einer Faser zu sehen, es hebt sich innerhalb des hyalinen
Abschnittes einer Zelle das in der Achse gelegene Protoplasma
nicht gegenüber dem peripheren durch besondere Lichtbrechung
hervor. Indessen kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass
die Zahnfaser innerhalb des homogenen Abschnittes einer Dentin-
zelle von Anfang an vorhanden ist, wenn sie auch anfänglich
noch dasselbe Lichtbrechungsvermögen hat wie das umgebende,
hyalin gewordene Protoplasma.
Von dem Zeitpunkt ab, in welchem die hyalinen Abschnitte
der Dentinzellen sich von den protoplasmatischen trennen, bleibt
die Zahnfaser sichtbar, und erscheint als ein Ausläufer des
protoplasmatischen Abschnittes der Zelle. Natürlich steckt eine
jede Zahnfaser in der homogenen Masse, die aus den hyalinen
Abseunitten besteht; wir wollen sie von jetzt ab als „Prädentin“
bezeiehnen (Fig. 18 PD).
Es sind zuerst von Höhl (Beitrag zur Histologie der Pulpa
und des Dentins. Arch. f. Anatomie 1896) Fasern beschrieben
wor on, die aus dem Gewebe der Zahnpapille kommen, die Lage
der entinzellen durchsetzen und bis an die innere Fläche des
Sch ıelzepithels herantreten. Die Fasern lösen sich zwischen den
Entstehung des Knochengewebes. 597
äusseren, peripheren Abschnitten der Dentinzellen in feinste
Fibrillen auf. v. Korff hat diese Fasern und die aus ihnen
hervorgehenden Fibrillenzüge ebenfalls gefunden und sie für die
Vorläufer der Fibrillen des Dentins erklärt. Wenn nun auch
diese Deutung nicht aufrecht zu halten ist, weil die fraglichen
Fasern senkrecht zu der Verlaufsrichtung der Dentinfibrillen
stehen und weil sie weder leimgebend noch doppeltbrechend sind
(v. Ebner), so ist die Existenz dieser Fasern, die sich in Fibrillen
auflösen, nicht zu bestreiten. Wenn die Dentinbildung im
Gange ist, kann man diese „Höhlschen Fasern“ oftmals nach-
weisen. Sie gehören zum Gewebe der Zahnpapille und sind
teils Zellenausläufer, teils Fasern, die in einer „Grundsubstanz“*
differenziert sind und mit den Zellen der Papille keinen nach-
weisbaren Zusammenhang mehr besitzen. Wo bleiben diese
Fasern bei der Dentinbildung? Höhl bildet ihren Übergang
in das junge Dentin ab; das junge Dentin liegt aber nach seiner
Zeichnung zwischen den peripheren Enden der Dentinzellen,
ganz ähnlich sind die Abbildungen, die v. Korff gibt.
Beide Autoren haben nicht erkannt, dass die jüngste Dentin-
lage aus den homogenen, verbreiterten und zusammengeflossenen
Abschnitten der Dentinzellen besteht; dass sie nicht wie ein
Ausguss zwischen den Dentinzellen liegt, sondern dass sie eine
direkte Verbindung mit den protoplasmatischen Abschnitten dieser
Zellen besitzt, also zu den Dentinzellen gehört. Bei dem Zu-
sammenfliessen der homogenen Abschnitte der Dentinzellen zu
einer einzigen Lage kommen die Fasern, die zwischen den
Dentinzellen gelegen waren, in die homogene Masse, also in das
Prädentin, hinein zu liegen; sie werden vom Prädentin ein-
geschlossen. Eine Zeitlang bleiben die Fasern noch sichtbar;
auch färberisch lassen sie sich darstellen. Wenn aber die
Umwandlung des Prädentin in Dentin eintritt, verschwinden die
genannten Fasern völlig. Sie verhalten sich zu dem Dentin, wie
die Knorpelbalken innerhalb der Markräume sich zum jungen
Knochengewebe verhalten; auch diese werden allseitig vom neu-
gebildeten Knochen umgeben, bleiben kurze Zeit sichtbar, können
fäarberisch nachgewiesen werden, sind aber bei einem bestimmten
Alter eines Knochenbalkens nicht mehr nachweisbar. Sie werden
dem umgebenden Gewebe assimiliert. Die so viel dünneren
Fasern im Dentin werden von dieser Assimilation noch
39*
598 pDlsiste:
früher betroffen als die Knorpelreste innerhalb des jungem
Knochens.
Wenn das Prädentin zu einer zusammenhängenden Schicht
geworden ist, die sich von dem Rest der Dentinzellen abgetrennt
hat, ist es zu einer „Grundsubstanz“ geworden. In dieser sind
aber keine zelligen Elemente enthalten; da die Grundsubstanz.
nuran einem Pol der sie produzierenden Zellenlage entsteht, bleiben
die Mutterzellen — also die Dentinzellen — an der inneren
Fläche der Grundsubstanzlage liegen und nur ein Rest des
Protoplasma einer jeden Dentinzelle, der nicht in Grundsubstanz
umgewandelt worden ist, bleibt als „Zahnfaser“* in der Schicht
liegen. Für jede Zahnfaser bleibt ein relativ weiter Hohlraum
ausgespart; vielleicht enthält er, ausser der Faser, noch Flüssigkeit.
Das Prädentin wird fester, härter, bildet bestimmt orientierte
Fibrillenzüge aus und verkalkt dabei. Die „Sklerosierung“ des.
Prädentins wird nun von sichtbaren Veränderungen begleitet.
In der gleichartigen Masse tritt eine Art von provisorischer‘
Struktur auf; es bilden sich nämlich feine, in Rubin S färbbare
Körner, die bis zum Auftreten der Fibrillenzüge sichtbar bleiben.
Die Bildung der Körner beginnt am inneren Rande des Prädentins,
also in der unmittelbaren Nähe der protoplasmatisch bleibenden
Zellenabschnitte, die von nun an die ganzen Dentinzellen reprä-
sentieren und schreitet nach aussen nach dem Schmelzorgan hin,
vor; in der unmittelbaren Nähe der Lage fertigen Dentins sieht
man öfters noch körnerfreie, glasartig durchsichtige Massen von
Prädentin, die man leicht für Lücken der Substanz halten kann
(Fig. 19 HZ).
In der körnig gewordenen Masse des Prädentins sind an
feinen Schnitten die Kanäle für die Zahnfasern gut zu erkennen
(Fig. 19 R). Der Schnitt nimmt mitunter die Dentinzellen und
ihre Ausläufer weg, so dass die Räume, in denen sie gelegen
haben, sichtbar werden. Meistens aber bleiben die Dentinzellen
mit ihren peripheren Enden im Prädentin stecken (Fig. 19 DZ).
Man kann aus dieser Erscheinung entnehmen, dass das Prädentin
an Festigkeit gewonnen hat. Die Hohlräume des Prädentins-
stehen, wie man vielfach sehen kann, in Verbindung mit den
Kanälchen der fertigen Dentinschicht; sie bilden gleichsam etwas
erweiterte, leicht schraubenförmig verlaufende Vorräume dieser
Kanälchen.
Entstehung des Knochengewebes. 599
Wenn die ganze Lage von Prädentin körnig und fest
geworden ist, tritt sie in Verbindung mit der fertigen Dentin-
schicht und wandelt sich dann erst in Dentin um. Der Unter-
„schied zwischen Prädentin und Dentin liegt darin, dass im Dentin
‚die Bündel leimgebender Fibrillen, parallel der Oberfläche des
Zahns geordnet, vorhanden sind: diese Fibrillen sind anisotrop,
und ihre Existenz lässt sich bei Untersuchung der Zahnanlage
im polarisierten Licht erweisen. Auch an feinen Schnitten sieht
man die Doppeltbrechung. Das Prädentin ist noch isotrop.
Die Bildung des Dentins geschieht in einzelnen Perioden,
Lage auf Lage bildet sich und tritt mit dem vorhandenen
Dentin in Verbindung. Die Vorgänge innerhalb einer jeden
Periode sind natürlich die gleichen; zwischen zwei Zeiträume,
in denen Dentin gebildet wird, schiebt sich eine Periode der
Ruhe ein, deren Dauer sich aber nicht bestimmen lässt. Eine
solche Ruheperiode charakterisiert sich dadurch, dass die Dentin-
zellen rein protoplasmatisch erscheinen und keine Spur einer
hyalinen Aussenzone erkennen lassen. In einer solchen Ruhezeit
sind die Zahnfasern sehr gut zu sehen. Die innere Grenze der
Dentinlage enthält Nischen, in denen die peripheren Enden der
Dentinzellen stecken (Fig. 20 N); aus diesen Nischen kommt man
in die Dentinkanälchen hinein, innerhalb deren die Zahnfasern
(Fig. 20Zf) gelegen sind. Zwischen den Nischen springt das
Dentin mit breiteren und schmäleren Fortsätzen vor (Fig. 20).
Die jüngste Dentinlage enthält eine grosse Menge feiner,
stark färbbarer Körner; diese verlieren sich plötzlich in einer
‚gewissen Entfernung von der Lage der Dentinzellen.
Die Frage, ob die ganze am fertigen Zahn vorhandene
Dentinschicht von einer und derselben Zellenlage gebildet wird,
oder ob sich mehrere Zellengenerationen an der Dentinbildung
beteiligen, lässt sich durch direkte Untersuchung nicht entscheiden.
Ich bin geneigt, anzunehmen, dass es immer dieselbe Zellenlage
ist, die das Dentin bildet. Man sieht nämlich nie Anzeichen
dafür, dass Dentinzellen zugrunde gehen; ebensowenig findet
man Anzeichen für eine Neubildung von Dentinzellen, etwa
mitotische Teilungen einzelner Dentinzellen. Die mit der Ver-
‚diekung der Dentinlage Schritt haltende Verlängerung der Zahn-
faser aber spricht dafür, dass die Dentinzellen in die Länge
wachsen, so lange die Dentinbildung dauert. Dann bleibt nur
600 J. Disse:
übrig, anzunehmen, dass die Umwandlung des peripheren Zellen-
abschnittes in Prädentin an einer und derselben Dentinzelle
vielmal hintereinander sich vollzieht, und dass bei jeder dieser
Phasen eine neue Dentinlage gebildet wird, die sich an das vor-
handene Dentin anlegt.
Die Vorgänge bei der Dentinbildung, d.h. die Veränderungs-
stadien an den Dentinzellen sind am leichtesten da zu sehen, wo
die Dentinlage am mächtigsten wird, also an der Spitze der
Zahnpapillen. Hier ist die Dentinbildung sehr rege; demgemäss
findet man die Umwandlungsstadien an den Dentinzellen meistens-
vor und kann sie ihrer Reihefolge nach ordnen.
Dafür liefern die Fig. 15, 16, 17, 18 die Bestätigung. Am
freien Rande der Dentinlage ist es schwieriger, die Veränderungen
an den Dentinzellen zu Gesicht zu bekommen; natürlich sind sie
auch hier vorhanden, wie Fig. 14 erweist.
Aus den mitgeteilten Beobachtungen folgt, dass das Dentin
aus den Dentinzellen hervorgeht. Es ist „umgewandeltes
Protoplasma“. Die Umwandlung ergreift die periphere Hälfte
der Dentinzelle; hier wird der Zellenleib glasartig, homogen,
strukturlos. Das in dieser Weise veränderte Protoplasma bleibt
mit der protoplasmatisch gebliebenen inneren Zone der Dentin-
zelle noch einige Zeit in Verbindung, verschmilzt aber mit den
gleichartigen Abschnitten der benachbarten Zellen. Dadurch
wird eine helle Schicht gebildet, die sich an die Innenfläche des.
fertigen Dentins anlegt.
Diese Schicht trennt sich vom Rest der Dentinzellen ab,
wird fester und erhält eine „provisorische Struktur“, indem
Körnchen in ihr auftreten. Dann muss die Schicht als „Prädentin“
bezeichnet werden. Erst bei der Sonderung des Prädentins wird
die Zahnfaser erkennbar; sie stellt den axialen Abschnitt der
hyalinen Zone einer jeden Dentinzelle vor, der sich nicht in
Dentin umwandelt, sondern protoplasmatisch bleibt.
Das Dentin ist anfänglich eine reine Grundsubstanz ; inner-
halb dieser erst treten, ganz unabhängig von den Zellen, Bündel
leimgebender Fibrillen auf. Es ist verständlich, dass diese-
Grundsubstanz, ein in bestimmter Weise verändertes Zell-
protoplasma, weiter lebt, Stoffwechsel besitzt (Schwinden der
Körner, Einlagerung von Kalksalzen) und sowohl leimgebende
Entstehung des Knochengewebes. 601
Fibrillen bildet, als auch die sehr widerstandsfähigen Wandungen
der Zahnkanälchen produziert.
Die Gleichartigkeit bei der Bildung der Grundsubstanz des
Zahnbeins und der Grundsubstanz des Knochengewebes besteht
darin, dass beiderlei Grundsubstanzen kein Sekret, sondern
umgewandeltes Zellprotoplasma sind. Es bestehen aber bemerkens-
werte Unterschiede in der Bildungsweise der genannten Grund-
substanzen. Das hyalin gewordene Protoplasma der Osteoblasten
trennt sich völlig von dem protoplasmatisch bleibenden Rest der
Zelle ab und wird zur Grundsubstanz des Knochens; bei der
Dentinzelle wandelt sich nur die Mantelzone des hyalinen
Abschnittes in Dentin um, eine axial gelegene Partie bleibt,
obgleich sie anfänglich hyalin war, doch protoplasmatisch und
erhält sich als Zahnfaser. Die Grundsubstanz des Knochens sowohl
wie die des Dentins bekommt bei ihrer ersten Bildung Ein-
schlüsse fremdartigen Gewebes.
In das osteogene Gewebe kommen Knorpelreste, oder aber
einzelne Bindegewebsfasern hinein; in das Prädentin werden
periphere Pulpafasern eingeschlossen. Diese Einschlüsse ver-
schwinden nach kürzerer oder längerer Zeit; sie werden wohl
dem neu entstandenen Gewebe völlig assimiliert.
Die Grundsubstanz des Knochens lässt ebenso wie die des
Dentins nach ihrer Trennung von den Zellen Bündel leim-
gebender, bestimmt orientierter Fibrillen entstehen; sie sondert
sich ferner gegen die eingeschlossenen Zellen oder Zellfortsätze
durch Bildung feiner, sehr widerstandsfäbiger Membranen ab,
welche die Wandungen der Knochenhöhlen oder der Zahnkanälchen
darstellen. Diese Membranen sind färberisch leicht darstellbar;
schon länger war bekannt, dass sie sich in Reagentien erhalten,
durch welche die Grundsubstanzen selbst rasch zerstört werden.
Schon Waldeyer hatte angegeben, dass das Protoplasma
der Dentinzellen sich in eine homogene, durchsichtige Masse
umwandle und dass diese zu Dentin werde (Untersuchungen über
die Entwicklung der Zähne. Zeitschrift für rationelle Medizin,
III. Reihe, Bd. 24, 1865). „Die Dentinbildung besteht in einer
Umwandlung eines Teils des Protoplasma der Elfenbeinzellen
602 JeoDasisıe:
in leimgebende Substanz, mit nachfolgender Verkalkung der
letzteren.“ Waldeyer bildet in Fig. 2 Tafel VI seiner Ab-
handlung die helle, zwischen den Dentinzellen gelegene Substanz
ab, die aus dem Protoplasma der Dentinzellen hervorgeht, ohne
indessen das Bild zu deuten; in Fig. 3 der Tafel mit 1 bezeichnet,
ist ein kurzes Stück des homogen gewordenen Protoplasma einer
Dentinzelle abgebildet und richtig gedeutet als „die Stelle, wo
man einen kontinuierlichen Übergang von Zellprotoplasma der
Dentinzelle in die jüngste, noch weiche Dentinlage zieht“ (Figuren-
erklärung, Seite 213).
Diese so wichtigen Hinweise auf sichtbare Veränderungen
an den Dentinzellen sind nicht weiter verfolgt worden; noch
v. Ebner (Über die Entwicklung der leimgebenden Fibrillen,
besonders im Zahnbein. Wiener Sitzungsberichte, math.-naturw. Kl.,
Bd. 115, Abt. 3, 1906) bringt wenig positive Angaben über die
Veränderungen der Dentinzellen bei. Er sagt: „Über die Her-
kunft des Prädentins kann man sich wohl kaum eine andere
Vorstellung machen, als dass dasselbe in erster Linie von den
Odontoblasten und deren Fortsätzen gebildet wird. Es tritt an
der Basalmembran, zwischen dieser und den oberflächlichen
Pulpazellen zuerst zutage, und erscheint wie ein Ausguss zwischen
den äussersten Enden der Zellen... Das Prädentin entsteht
auf Kosten der Odontoblasten wahrscheinlich dadurch, dass die
Plasmafäden derselben an der Oberfläche zu einer chemisch dem
Kollagen nahestehenden Substanz, die zunächst nicht fibrillär ist,
zerfliessen“ (S. 309). Es ist, wie gezeigt wurde, möglich, die
Veränderungen an den Ödontoblasten zu sehen, und bis zur
Ausbildung des Prädentins zu verfolgen.
In einer früheren Mitteilung (Marburger Sitzungsberichte
1907, Juli) war ich zu der Folgerung gekommen, dass die
Odontoblasten eine Interzellularsubstanz produzieren, welche die
Fähigkeit hat, zu Dentin zu werden. Die Stadien, die der
Bildung der Interzellularsubstanz vorausgehen, waren mir damals
noch nicht bekannt, und so fehlte der zwingende Beweis dafür,
dass diese „Interzellularsubstanz“, d.h. das Prädentin, wirklich
von den Dentinzellen gebildet werde.
Beim Knochengewebe, wie beim Zahnbein, bilden die Zellen
aus ihrem Protoplasma eine amorphe Grundsubstanz; diese
Entstehung des Knochengewebes. 605
ist zuerst da, und lässt durch Differenzierung die leimgebenden
Fibrillen entstehen. Diese Strukturen innerhalb der Grund-
substanz entstehen erst, nachdem sich die Grundsubstanz von
den Zellen getrennt hat; sie sind also völlig unabhängig von
den Zellen, aus welchen die Grundsubstanz gebildet wird. Es
liegt nahe, zu fragen, ob dies auch für diejenigen Fasern zutrifft,
die in den andern Unterabteilungen der Gruppe der Binde-
substanzen vorkommen. Für die Fasern des fibrillären Binde-
gewebes hatte bekanntlich Flemming angegeben, dass sie im
unveränderten Protoplasma der Bindegewebszellen zuerst vor-
handen sind, und dass sie, über den Bereich der Zelle hinaus-
gehend, in die Interzellularsubstanz gelangen. Von einer dem
Auftreten der Fasern vorhergehenden Sonderung der Bindegewebs-
zellen in zwei Abschnitte hat Flemming nichts wahrgenommen.
Nach seinen Beobachtungen handelte es sich um Bildung von
leimgebenden Fasern innerhalb unveränderten Zellprotoplasmas.
(Flemming, Zur Entwicklungsgeschichte der Bindegewebsfibrillen.
Internationale Beiträge zur wissenschaftl. Medizin, Bd. I, 1891.)
Spätere Beobachter hoben hervor, dass die Anlagen der
Fasern nicht innerhalb der Zellen, sondern auf deren Oberfläche,
in unmittelbarer Nachbarschaft der Zellen, sich befinden; für die
Nabelschnur z. B. wird von Golowinski (Anat. Hefte, Bd. 33,
1907) angegeben, dass die Anlagen der Fasern in Form von
Reihen von Körnchen auftreten, die auf der Oberfläche der Zellen
liegen und nach ihrer Ausbildung frei von den Zellen werden.
Diese Substanz, welche auf der Zelle liegend die Fähigkeit hat,
Fasern zu bilden, ist, nach Laguesse (Sur l’histogenese de la
fibre collagene etc. Archives d’Anatomie microscopique, tome VI,
1903) ein Produkt der betreffenden Zelle; sie ist aufzufassen
‚als eine Oberflächenschicht, entstanden durch Differenzierung des
Protoplasma. „Cette Substance n'est autre chose que le cyto-
plasma m&me modifie, chimiquement differeneie (S. 162). Dieses
„modifizierte Uytoplasma“ ist dieselbe Substanz, die Hansen
(Über die Genese einiger Bindegewebsgrundsubstanzen. Anat.
Anzeiger, Bd. 16, 1599) als „Ektoplasma“ bezeichnet hat. Das
Ektoplasma übernimmt die Bildung leimgebender Fasern.
Nach Hansen, Laguesse, Golowinski entstehen die
Bindegewebsfasern in einem chemisch veränderten, auch optisch
sich besonders verhaltenden Abschnitte des Zellprotoplasma. Es
604 JeDassie:
würde die Bildung dieses Abschnittes, des „Ektoplasma“ von
Hansen, der Bildung einer hyalinen Zone an den Osteoblasten
und an den Dentinzellen, zu vergleichen sein, wenn es festgestellt
würde, dass das „Ektoplasma“ zur Grundsubstanz des Binde-
gewebes wird und dass die gesamte Grundsubstanz aus dem
Ektoplasma hervorgeht. Diese Frage ist noch nicht geklärt; die
mit ihr zusammenhängenden Fragen nach dem Verhalten von
Fasern und Grundsubstanz im fibrillären Bindegewebe bedürfen
einer erneuten Bearbeitung. Ist, bevor fasrige Strukturen auf-
treten, auch im Bindegewebe eine amorphe Grundsubstanz da?
Wie verhält sich diese zu den Zellen, die die erste Anlage des
Bindegewebes darstellen ? Erst die Beantwortung dieser Fragen
wird uns in den Stand setzen, die Bildungsweise des Binde-
gewebes einerseits, des Knochens und des Zahnbeins andererseits
im einzelnen zu vergleichen.
Marburg, den 10. September 1908.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI u. XXI.
Sämtliche Abbildungen sind bei Zeiss, Apochromat 2 mm, homogene
Immersion, Komp.-Okular 6, gezeichnet.
Fig. 1. Mensch, Embryo des vierten Monats. Tibia. Längsschnitt. Ein
Knorpelbalken, mit Osteoblasten belegt. Kn — Knorpel; a, b, ce =
die protoplasmatischen Abschnitte der Osteoblasten; aı, bı, cı — die
hyalinen Abschnitte dieser Zellen.
Fig. 2. Mensch, Embryo des vierten Monats. Tibia. Osteoblasten auf
einer Lage jungen Knochengewebes, das einen Knorpelrest ein-
schliesst. Kn = Knorpelrest, Kno — Knochenlage; Kz —= Knochen-
zelle in einem Hohlraum des jungen Knochens; a, b = proto-
plasmatische; aı, bı —= hyaline Abschnitte zweier Osteoblasten;
c = ein Osteoblast dem jungen Knochen aufliegend.
Fig. 3. Mensch, Embryo des vierten Monats. Tibia. Osteoblasten auf
einem Knochenbälkchen, das einen Knorpelrest einschliesst. Kn —
Knorpelrest; a, b, ce = Östeoblasten; a — der hyaline Abschnitt
des Osteoblasten, a fliesst auf der Oberfläche des Knochenbalkens
mit dem hyalinen Abschnitt des Osteoblasten b zusammen.
Fig. 4. Mensch, Embryo des vierten Monats. Tibia. Entstehung von osteo-
gener Substanz auf einem Knorpelbälkchen. Kn — Knorpel; Ks —
eine Lage jungen Knochens; O0, O1, O2 — Osteoblasten; Gsı, Gs2 =
osteogene Substanz, aus den hyalinen Abschnitten der Osteeblasten
gebildet.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
10.
1a
12.
13.
. 14—
Entstehung des Knochengewebes. 605
Mensch, Embryo des vierten Monats. Auftreten von Strukturen in
den hyalinen Abschnitten der Östeoblasten. Kn = Knorpel; KS =
ihm aufliegende Knochenschicht ; a,b. ce — Osteoblasten;; bı — hyaliner
Abschnitt des Osteoblasten b, mit Andeutungen einer Faserung.
Mensch, Embryo des vierten Monats. Deutlichere fasrige Struktur
in den hyalinen Abschnitten einiger Osteoblasten. Oı, O2, O3 —
Östeoblasten; in den hyalinen Abschnitten sind Fasern deutlich,
die Netze bilden. Kn — Knorpel.
Mensch, Embryo des zweiten Monats. Knochenbildung in Mem-
branen. Kb = ein Knochenbälkchen; O1, O:, O3 — Osteoblasten,
dem Bälkchen aufliegend; hı, he, ha — hyaline Abschnitte dieser
Osteoblasten. Der Abschnitt ha füllt ein Grübchen der Knochen-
oberfläche aus.
Mensch, Embryo des zweiten Monats. Knochenbildung in Membranen.
Das freie Ende des in Fig. 7 dargestellten Knochenbälkchens wächst
durch Anlagerung von osteogener Substanz (Grundsubstanz), die
von einer Gruppe von Osteoblasten (Obl) produziert wird. h =
osteogene Substanz, aus den hyalinen Abschnitten der Osteoblasten
(Obl) gebildet; Kb — Knochenbälkchen, durch die Faserzüge ff
mit den hyalinen Abschnitten der Osteoblasten (Obl) in Verbindung
stehend; L — Lücke im Knochen, in der zwei Osteoblasten liegen.
Schwein, Embryo. Anlage des Oberkiefers. Ein Knochenbälkchen (K)
mit Osteoblasten belegt. OÖ, O1 — Osteoblasten; Gs —= osteogenes
Gewebe (Grundsubstanz), aus den hyalinen Abschnitten der Osteo-
blasten gebildet. Diese Schicht ist noch mit den Osteoblasten (Oı)
im Zusammenhang.
Mensch, Embryo des zweiten Monats. Belegknochen der Nasen-
kapsel. In den Lücken des Knochengewebes liegen Osteoblasten
(0, 0:1), die einen hyalinen Abschnitt ausgebildet haben (h u. hı).
Der hyaline Abschnitt (hı) überzieht, wie eine Kappe, den zuge-
hörigen Östeoblasten (0).
Mensch, Embryo des vierten Monats. Osteogene Substanz (Grund-
substanz), auf einem Knorpelbalken aufliegend, von der Fläche
gesehen. Kn —= Knorpelbalken; OÖ — Osteoblast; Gs — osteogene
Substanz, körnige Reste zerfallenen Knorpels (Knrı) einschliessend.
Schwein, Embryo. Partie aus der Umgebung eines in bindegewebiger
Grundlage entstandenen Knochenbälkchens. Kb = Knochenbälkchen,
in feine Fäden (b, c) auslaufend; a — Reihen von Körnern, die zu
Fäden zusammentreten; d, e —= Osteoblasten, in deren Umgebung
Fadennetze sich ausbilden.
Mensch, Embıyo von 25 mm. Anlage des Oberkiefers. In den
Lücken des Knochengewebes (K) liegen Osteoblasten; bei den meisten
Zellen ist, ausser dem Kern, nur die hyaline Zone (hZ) sichtbar,
nur eine Zelle ist so günstig getroffen, dass man auch die proto-
plasmatische Zone (pZ) sehen kann.
20. Dentinbildung.
606
ie. 14.
ie. 14a.
ig. 16.
19:
18,
ch
J. Disse: Entstehung des Knochengewebes.
Schwein, Embryo. Anlage eines Schneidezahnes. Längsschnitt.
Einige Dentinzellen in der Nähe des freien Randes des Zahn-
scherbchens sind in einen protoplasmatischen Abschnitt (pZ) und
einen hyalinen Abschnitt (hZ) gesondert. SO = inneres Epithel
des Schmelzorgans.
Schwein, Embryo. Ein Stück jungen Dentins (D), an seiner Innen-
fläche Dentinzellen. Jede Dentinzelle besitzt einen protoplasmatischen
Abschnitt (pZ) und einen glasartig durchsichtigen, hyalinen Ab-
schnitt (hZ).
Mensch, Embryo von 140 mm. Sonderung der Dentinzellen in zwei
Abschnitte. pZ —= protoplasmatischer Abschnitt mit endständigem
Kern; hZ = hyaliner Abschnitt, dem Dentin (D) anliegend.
Mensch, Embryo von 132 mm. Einige Dentinzellen an der Spitze
der Zahnpapille.e. pZ = protoplasmatische Zone; hZ —= hyaline
Zone; D — Dentinlage, deren Bildung gerade beginnt.
Mensch, Embryo von 140 mm. Schneidezahn, Längsschnitt. Dentin-
zellen an der Innenfläche der Dentinlage (D. hZ = hyaline
Aussenzone der Dentinzellen.
Mensch, Embryo von 140 mm. Schneidezahn. Die hyaline Aussen-
zone hat sich von dem Protoplasma der Dentinzellen (DZ) getrennt
und ist zu einer einheitlichen Schicht, dem Prädentin (PD),
geworden. Die Zahnfasern (Zf) sind deutlich.
Mensch, Embryo aus dem fünften Monat. Längsschnitt der Anlage
eines Schneidezahns. Das Prädentin (PD) wird fest, erscheint
körnig; enthält Hohlräume {R), in denen die Dentinzellen stecken.
HZ —= die noch homogenen Abschnitte des Prädentins; D = fertiges
Dentin; DZ = Dentinzellen.
Mensch, Embryo aus dem fünften Monat. Junges und älteres
Dentin. D = älteres; DI = jüngeres Dentin; Zf — Zahnfasern;
DZ = Dentinzellen; Cg — Kapillargefäss; N —= Nische für das
periphere Ende einer Dentinzelle. Längsschnitt der Anlage eines
Schneidezahns.
607
Aus dem anatomisch-histologischen Laboratorium der Universität St. Petersburg.
Vorstand: Prof. Dr. A. S. Dogiel.
Das Nervensystem von Ammocoetes.
I. Das Rückenmark.
Von
D. Tretiakoff.
Hierzu Tafel XXIII-XXV.
Das in seinem Bau primitive, einer Präparation leicht zu--
gängliche Rückenmark vom Neunauge resp. von Ammocoetes ist
bereits seit langem Gegenstand einer allseitigen histologischen
Untersuchung geworden. Es hat sich als ein günstiges Objekt
für die spezifischen Färbungsverfahren der Elemente des Nerven-
gewebes erwiesen. Mit Hilfe der Methoden von Nissl, Ramön
y Cajal, Bielschowsky, Ehrlich sind eine Menge Einzel-
heiten des Baues und der Anordnung der Nervenzellen und
Nervenfasern beschrieben worden. Am Beginn der Arbeit hatte
ich natürlich wenig Hoffnung, irgend etwas wesentlich Neues zu
erfahren. Das Ziel meiner Arbeit bestand hauptsächlich darin,
die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Elemente des Rückenmarks
von Ammocoetes zu konzentrieren, dieselben vermittelst einer
möglichst grossen Anzahl von Methoden zu studieren und auf
Grund der erhaltenen Resultate und einer kritischen Durch-
arbeitung der Literaturbefunde synthetisch die Typen der Nerven-
elemente des Rückenmarks klarzustellen. Die Stellung der
Cyelostomen in dem System der Wirbeltiere erfordert eine der-
artige Arbeit. Die COyclostomen stellen ein lebendiges Schema
der Wirbeltiervorfahren dar. Für das phylogenetische Verständnis.
des Baues des Nervensystems der Wirbeltiere ist es erforderlich,
mit den Cyelostomen (und Amphioxus) zu beginnen. Ein geringer
Fehler am Ausgangspunkt hat beim weiteren Studium sämtlicher
divergierender Reihen der Wirbeltiere grosse Missverständnisse
zur Folge; es ist daher verständlich, dass das Nervensystem der
Cycelostomen einer äusserst detaillierten Untersuchung bedarf.
608 D, Tretjakoßt:
Letztere muss einen sicheren Untergrund für die Gesamtlehre
über das Nervensystem der Wirbeltiere darstellen und den Leit-
faden abgeben für das Auffinden der direkten Vorfahren unter
den wirbellosen Tieren.
Der vergleichend-anatomische Wert der Cyelostomen recht-
fertigt auch das zweite Ziel meiner Untersuchung, nämlich ein
topographisches Bild der Nervenelemente des Rückenmarks, sowie
ein Bild der Beziehungen seines Baues zum allgemeinen Bau des
Körpers zu geben. Unter den segmentierten wirbellosen Tieren
ist eine Wechselbeziehung zwischen dem Körperbau und dem
Aufbau des Nervensystems vorhanden: beide segmentiert, meta-
merisiert. Spuren der Metamerie des Nervensystems sind im
Gehirn der Wirbeltiere vorhanden. Im Rückenmark, welches im
Zusammenhang mit Körperabschnitten steht, wo die Metamerie
der Muskeln, des Skeletts und der Abschnitte der sekundären
Körperhöhle vollständiger erhalten ist als im Kopfe, fehlt jedoch
die Metamerie der Nervenelemente. Ob die letztere hier voll-
ständig fehlt oder ob sie sich noch in irgend etwas dokumentiert,
ob die Neuromerie des Gehirns eine primäre oder sekundäre Er-
scheinung darstellt, sind bisher noch offene Fragen.
Ammocoetes hat weder einen Schulter- noch einen Becken-
gürtel noch paarige Extremitäten. Bei den Bewegungen beteiligt
sich gleichmässig die gesamte Rumpfmuskulatur. Die Struktur
des Rückenmarks wird nicht wie bei höheren Wirbeltieren von
der Entwicklung der Extremitäten beeinflusst. Im Vergleich zu
den übrigen Wirbeltieren stellt Ammocoetes, resp. das Neunauge
ein Tier mit amputierten Extremitäten dar, welches die Operation
günstig überstanden hat. Es erübrigt uns nur, vermittelst der
Methode des Ausschlusses die Bahnen der erfolgten Degeneration
zu verfolgen. Oder aber, was noch wichtiger .ist, wir Können
feststellen, welchen Finfluss auf die Entwicklung des Nerven-
systems der Wirbeltiere die Entwicklung der paarigen Extremitäten
ausgeübt hat und wie weit dieser Einfluss überhaupt auf die Ent-
wicklung der Wirbeltiere eingewirkt hat. Letztere Frage stellte
nicht die Aufgabe meiner Untersuchung dar, die Möglichkeit
einer Lösung derselben auf Grund anatomischer Befunde war
jedoch eine der Hauptveranlassungen für eine genaue Ausführung
der ersten zwei Aufgaben. Dieselbe gewährte gleichsam der
Untersuchung einen physiologischen Sinn.
Nervensystem von Ammocoetes. 609
In den zahlreichen Arbeiten über den Bau des Nerven-
systems der Oyclostomen finden sich wenige strikte und begründete
Antworten auf die erwähnten Fragen. Als Beispiel führe ich die
Arbeit von W. Kolmer aus dem Jahre 1905 an (27). Dieselbe
ist in jeder Hinsicht eine ausgezeichnete Arbeit. Autor hatte
ein Material von 500 Ammocoetesexemplaren zur Verfügung. Er
hat eine neue Präparationsmethode ausgearbeitet, welche es ihm
ermöglichte, in äusserst kurzer Zeit aus dem narkotisierten Tier
das unverletzte Rückenmark zu erhalten. Für seine Unter-
suchungen wandte Autor die besten Fixierungsmittel, spezielle
Methoden der Neurofibrillenfärbung, die Verfahren der Tropho-
spongienfärbung, der NissIschen Körperchen und hauptsächlich
die Methylenblaufärbung mit nachfolgender Fixierung der Färbung
in molybdänsaurem Ammonium (4°/o) an. Hierbei hat sich Autor
nicht mit dem gewöhnlichen Verfahren der Färbung mit einer
Lösung des Methylenblaus in physiologischer Kochsalzlösung be-
gnügt, sondern erzielte verschiedene Variationen der Färbung,
indem er andere Salze, Zucker, Alkaloide hinzufügte, sowie die
Konzentration der Methylenblaulösung und der Kochsalzlösungen
varlierte.
Als einen Beweis der hochgradigen Gewissenhaftigkeit des
Autors will ich die Anmerkung auf pag. 178 seiner Arbeit an-
führen: „Auch die Frage des Abgangs der Achsenzylinder von
Zellen erfordert die Anwendung der verschiedenen technischen
Methoden. — Es ist ja der Zusammenhang von Faser und Zelle
oft in dünnen gutgefärbten Schnitten noch mit der stärksten
Vergrösserung zweifelhaft. An Methylenblaupräparaten glaubte
ich oft noch mit !/ı2 Immersion einen Achsenzylinder aus einer
Zelle entspringen zu sehen, während erst mit dem Apochromat
1,40 zu sehen war, dass er bloss vorüberzog.“
Soviel ich aus eigener Erfahrung beurteilen kann, ist in
den Präparaten des Rückenmarks von Ammocoetes bei einer guten
Färbung der Nervenelemente jeden Augenblick die. Versuchung
geboten, einen Zusammenhang zwischen einer Nervenfaser und
einer Zelle zu sehen. Nicht selten helfen sogar Immersions-
systeme wenig zur Lösung der Frage, ob die Faser einer Zelle
bloss anliegt oder aus letzterer entspringt; nur eine logische
Analyse und die Regel, sich nicht auf ein Präparat zu verlassen,
können den Forscher vor fatalen Irrtümern schützen.
610 D-Tretjakortt:
Die Resultate der Arbeit von Kolmer ergänzen in vielem
die Befunde der anderen Autoren und sind in kurzen Worten
folgende: Das Rückenmark von Ammocoetes weist keine Trennung
in graue und weisse Substanz auf; dasselbe enthält keine echte
markhaltige Fasern; nach Einwirkung von Osmiumsäure erscheint
bei manchen Fasern auf dem Querschnitt ein dunkler Kontur,
welcher möglicherweise einer Markschicht entspricht. Diese
Schicht umgibt sogar die dicken Müllerschen Fasern.
Die Nervenzellen sind aller Wahrscheinlichkeit nach sämt-
lich multipolar. Sie erscheinen unipolar oder bipolar nur im
Falle einer unvollständigen Färbung der Fortsätze. — Es ist
jedoch möglich, dass die unipolaren Zellen Übergangsstadien der
Ependymzellen zu den Ganglien- (Nerven?) Zellen darstellen.
Echte bipolare Zellen werden augenscheinlich selten zwischen
den grossen „Hinterzellen“ und den kleinen Zellen des mittleren
Gebietes des Markes angetroffen. Es werden folgende Zelltypen
unterschieden: grosse „Hinterzellen“, grosse und kleine Zellen
der Seitenstränge, kleine Zellen der Mitte, Randzellen, Kolossal-
zellen, welche mit ihren Fortsätzen die ganze Breite des Rücken-
marks einnehmen.
Sämtliche Nervenzellen weisen eine äusserst geringe Anzahl
Nisslscher Körperchen auf. In sämtlichen Zellen sind wahr-
scheinlich zwei Arten von Neurofibrillen, dicke und dünne, vor-
handen. Ein besonders deutliches Bild der Neurofibrillenaus-
breitung weisen die Zellen der Seitenstränge auf. Um den Kern
der Zellen bilden die Neurofibrillen „ein echtes Gitterwerk“.
In anderen Zellen offenbart sich letzteres nicht, doch ist dessen
Anwesenheit wahrscheinlich. Ein perizellulares Gitterwerk ist
auf der Oberfläche der Zellen nicht zu erkennen; sein Vorhanden-
sein wird durch nichts erwiesen.
In den Nervenzellen ist ein System miteinander kommuni-
zierender Kanäle vorhanden, in welchen besondere sich intensiv
färbende Körperchen gelegen sind. Möglicherweise kommuniziert
das Kanalsystem mit äusseren Hohlräumen.
Die Fortsätze der Nervenzellen anastomosieren wahrscheinlich
miteinander auf der Oberfläche des Rückenmarks, wobei sie ein
unter der Membrana limitans externa gelegenes Netz bilden.
Die Nervenfasern bestehen aus Fibrillen und perifibrillärer
Substanz, und sind von einem Homologon des Marks und einem
Nervensystem von Ammocoetes. 611
Oberflächenhäutehen bedeckt. Die dieken Fasern haben noch
eine besondere Gliascheide.
Unter den Fasern werden unterschieden:
Längsfasern, zu denen auch die Müllerschen Fasern
gehören.
(Juerverlaufende Fasern, schräge, strikt querverlaufende
und Fasern mit mäanderförmigem Verlauf.
Bogenfasern auf der ventralen Seite des Rückenmarks.
Fasern der vorderen Wurzeln.
Fasern der hinteren Wurzeln.
Die Herkunft der Bogenfasern und der Fasern der Vorder-
wurzeln ist unbekannt. In seltenen Fällen lässt sich ein Zu-
sammenhang der Bogenfasern mit den Randzellen feststellen.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Fasern der vorderen Wurzeln
im Zusammenhang mit den Zellen der Seitenstränge stehen. Ein
augenscheinlicher Beweis lässt sich hierüber nicht erbringen.
Einige Hinterzellen entsenden Fortsätze in die hinteren
Wurzeln.
Die Neuroglia hat nach den Beobachtungen des Autors den
Bau, welchen an ihr andere Forscher beschrieben haben.
Der Achsenfaden im Zentralkanal (Reissnerscher Faden)
stellt wahrscheinlich das Sekretionsprodukt der Ependymzellen dar.
Abgesehen von seiner allmählichen Verschmälerung in der
Richtung zum hinteren Körperende und dem Schwunde der dieken
Fasern ist das Rückenmark von Ammocoetes in seinem Bau sehr
einförmig. Ausser den Wurzeln ist eine Segmentierung undeutlich.
„Das bandartige Rückenmark darf als ein dem Kraniotenstamm-
typus nahestehendes, aber doch ganz eigenartig modifiziertes an-
gesehen werden. Es kann kaum angenommen werden, dass es
eine Zwischenstellung zwischen bekannten, tieferstehenden Formen
des Zentralnervensystems und dem Rückenmark der jetzt lebenden
Kranioten darstellt.“
Ungeachtet einer sehr grossen gewissenhaften Arbeit, aus-
gezeichneter Präparate, beglaubigt durch Mikrophotographien,
sind die Resultate der Arbeit von Kolmer unbestimmt. Autor
sieht keine Möglichkeit, im Rückenmark von Ammocoetes eine
graue und weisse Substanz zu unterscheiden, findet jedoch gleich-
zeitig an den Nervenfasern ein Homologon des Marks. Auf
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 40
612 D. Eretjakoff:
Grund welcher Kriterien Autor die weisse und graue Substanz
voneinander unterscheidet, wird in der Arbeit nicht dargetan.
Nach der Annahme von Kolmer sind sämtliche Nerven-
zellen multipolar; in den folgenden Zeilen erwähnt er zweifellos
uni- und bipolare Zellen.
Die Kolossalzellen sind zum Unterschiede von den grossen
und kleinen Zellen der Seitenstränge durch ihre Fortsätze charakte-
risiert, welche sich durch die ganze Breite des Rückenmarks
erstrecken. Die grossen Zellen der Seitenstränge haben jedoch
auch Fortsätze, welche als Kommissurenfasern auf die andere
Seite des Markes herüberziehen. Derartige Zellen nehmen mit
ihren Fortsätzen natürlich die Gesamtbreite des Markes ein.
Wo ist denn hier wiederum das Kriterium für die Unterscheidung
derselben von den Kolossalzellen? — Alles, was in der Arbeit
über den Zusammenhang der Nervenfasern mit Zellen berichtet
wird, geht nicht aus dem Rahmen der Wahrscheinlichkeit und
der Seltenheit heraus. Der Zusammenhang der Zellen der Seiten-
stränge mit den motorischen Fasern ist nicht erwiesen; absolut un-
bekannt ist das Schicksal der sensiblen Fasern der hinteren Wurzeln.
Die Segmentierung, sagt Autor, ist nicht deutlich, berichtet
jedoch nicht, worin er eigentlich eine Segmentierung des Rücken-
marks sehen möchte, indem er dieselbe bei Ammocoetes ver-
wirft. In der Verteilung der Wurzelfasern ist er bereit, eine
Segmentierung anzuerkennen, über ihre Bedeutung äussert er
jedoch kein Wort.
Was kann ein Anatom mit dergleichen labilen Behauptungen
‚anfangen? Man muss sich mit dem Autor einverstanden er-
klären: „Die bisher bekannten Details über den histologischen
Aufbau reichen nicht aus, um derzeit eine bestimmte Anschauung
über die Leitungsverhältnisse zu bilden“. Diese Details sind un-
geachtet ihrer sozusagen Modernität von der technischen Seite für
einen bestimmten vergleichend-anatomischen Schluss ungenügend.
Die Arbeit von Kolmer behält infolgedessen ihren Wert als ein
Hinweis darauf, dass die modernen Forschungsmethoden grosse
Erfolge für die Erforschung des Rückenmarks von Ammocoetes
ergeben können. Für die Befunde von fundamentalem anatomischen
und physiologischen Wert sind neue Opfer, ausser den von Kolmer
in der Donau und den böhmischen Bächen gesammelten 500
Ammocoetes, erforderlich.
Nervensystem von Ammocoetes. 613
Eigene Untersuchungen.
Im Verlaufe mehrerer Jahre, von 1902 an hatte ich ein
weit grösseres Material, alses Kolmer für seine Untersuchungen
angibt, unter den Händen. Hauptsächlich bestand das Material
aus Ammocoetes, in den Herbstmonaten auch aus erwachsenen
Neunaugen aus der Newa. Nachdem ich mich von vornherein
‚davon überzeugt hatte, dass im Aufbau des Rückenmarks von
Ammocoetes und dem Neunauge kein prinzipieller Unterschied
vorhanden ist, konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf
‚ersteren. Von den verschiedensten Methoden bediente ich mich
hauptsächlich der intravitalen Methylenblaufärbung. Ich ver-
mied es, die Tiere zu narkotisieren, sondern tötete sie einfach
durch Abschneiden des Kopfes mit einer Schere. Den Rumpf
zerschnitt ich in Stücke von 1—2 cm und holte aus denselben
auf verschiedene Weise das Rückenmark heraus. Die Färbung
der Fasern und der Zellen der Seitenstränge vermittelst einer
!/°/oigen Methylenblaulösung in 0,75—0,5°/oiger Kochsalzlösung
erfolgt in einer feuchten Kammer im Verlaufe von 1—2 Stunden.
Sobald die Färbung genügend vollkommen ist, nehme ich die
Objektgläser mit den hRückenmarksstücken aus der feuchten
Kammer und lasse sie 10—30 Minuten frei an der Luft liegen;
die Präparate trockneten hierbei halb aus, wobei die Färbung
der Nervenelemente eine scharfe dunkelblaue Nüance annahm.
Darauf folgt die gewöhnliche weitere Behandlung mit molybdän-
saurem Ammon usw.
Ungeachtet einer maximalen Vollkommenheit der Färbung
sind totale Präparate zur Klarlegung der Typen der Nerven-
elemente wenig geeignet. Besonders schwer ist es, auf ihnen
den Zusammenhang der Zellen und Fasern festzustellen, wobei
die Hauptschwierigkeit die grosse Anzahl der gefärbten Elemente
darstellt. Dieses brachte mich auf den Gedanken, der Frage
nach den Nervenzellentypen vermittelst Durchschnitten durch das
Rückenmark näher zu treten.
Aus Rumpfstücken, welche in verschiedenen Lagen zwischen
den Hälften eines Hollundermarkstäbchens eingelegt waren, fertigte
ich Schnitte, vorwiegend frontale und sagittale an. Erstere eignen
sich besonders zum Studium des Verlaufs der Dendriten, letztere
geben nicht selten die Möglichkeit, den Zusammenhang der
40*
614 Derek:
Nervenzellen mit den Nervenfasern zu verfolgen. Die Schnitte
färbte ich mit '/a- oder !/s°/oigen Methylenblaulösungen. —
Bei diesem Färbungsverfahren der Schnitte bemerkte ich, dass
sich häufig nicht die ganze Masse der Zellen färbt, sondern.
irgendwelche einzelne Zellen, jedoch mit ihren särntlichen Fort-
sätzen; ich erhielt dadurch Bilder, auf denen eine Orientierung
bei weitem leichter war, als auf Totalpräparaten des Rücken-
marks.
Hinsichtlich einiger Zellen -- der Hinterzellen — ergibt
jedoch das Methylenblau geringe Resultate, infolgedessen unver-
meidlich die Golgimethode in Anwendung kommen muss. Ich
benutzte verschiedene Modifikationen des Golgigemisches inklusive
dem Gemisch von Kaliumbichromat mit Formalin nach Kopsch.
Die besten Resultate erzielte ich mit einem Gemisch, welches
aus 54 Teilen Kaliumbichromat (3°/o oder 3'/2°/oiger Lösung)
und 6 Teilen 1°/oiger Osmiumlösung bestand.
Die Hinterzellen färben sich ausserdem noch mit ihren
Fortsätzen sehr gut nach der Methode von Ramon y Cajal
(Fixierung in Alkohol mit Ammoniak, Färbung mit 3°/o bis 4°/o
Silbernitrat, Entwicklung durch Pyrogallussäure mit Formalin).
Das Verfahren von Bielschowsky individualisiert, wie überall,
zu sehr die Neurofibrillen und gibt eine zu geringe Vorstellung
von der Zelle selber und ihren Fortsätzen.
Auf@Grund zahlreicher vermittelst der verschiedenen Methoden
erhaltenen Befunde ist es mir gelungen, unzweifelhaft einen Zu-
sammenhang zwischen den Zellen und bestimmten Fasersystemen
des Rückenmarks von Ammocoetes aufzufinden. Infolgedessen
war es möglich, zwischen den Zellen des Marks besondere Typen
nicht nur der äusseren Form nach, sondern auch ihrer funktionellen
Bedeutung nach festzustellen. Gleichzeitig erwies es sich jedoch,
dass diese Typen auch morphologisch genügend charakteristische
Merkmale aufweisen. Diese Merkmale sind bereits von anderen
Autoren beschrieben worden. Letztere hatten jedoch entweder
nur Querschnitte des Rückenmarks, oder nur vermittelst eines
Verfahrens gefärbte Totalpräparate vor sich. Ihre Beschreibungen
geben nur eine einseitige Vorstellung von den Zellen. Um eine
reale Vorstellung von den Zellen zu erhalten, ist es erforderlich,
dieselben in den drei Orientierungsebenen — der frontalen, hori-
zontalen und sagittalen — zu sehen. Derartige Bilder erhielt ich.
Nervensystem von Ammocoetes. 615
vermittelst des Schnittverfahrens; auf Grund dieser bin ich in
der Lage, eine vollständigere Beschreibung der äusseren Form
der von mir aufgestellten Typen zu geben.
Nach den Angaben fast sämtlicher Forscher stellen die
Nervenfasern des ventralen Teils des Rückenmarks der Cyelostomen
motorische Fasern dar. Ein Zusammenhang derselben mit irgend-
welchen Rückenmarkszellen ist von niemand mit Evidenz erwiesen
worden. Auch mir war es zunächst unverständlich, warum bei
einer idealen Färbung der Zellfortsätze mit Methylenblau weder
auf horizontalen noch auf frontalen Durchschnitten es zu ersehen
war, von welchen Zellen die motorischen Fasern entstehen’?
Nur Golgipräparate ergeben mir eine Erklärung der erwähnten
Tatsache. Bei einer glücklichen Imprägnation waren nur die
motorischen Fasern und Zellen, von denen die ersteren ent-
springen, gefärbt. Um die Lage der motorischen Zellen anzu-
geben, muss ich zunächst mich hinsichtlich der Nomenklatur der
Rückenmarksabschnitte der Uyclostomen verständigen.
Die Bezeichnungen „graue Substanz“ und „weisse Substanz“
des Rückenmarks beruhen auf einer verschiedenen Färbung des-
selben; ein derartig scharfer Farbenunterschied wird natürlich
im Rückenmark von Ammocoetes nicht beobachtet. Nichtsdesto-
weniger sind diese Bezeichnungen mit der Zeit Symbole vieler
anderer Kennzeichen geworden; ist es nun erforderlich, in Be-
rücksichtigung allein der Farbe des Rückenmarks die Anwendung
dieser Bezeichnungen aufzugeben, so wäre es überhaupt mehr
angebracht, dieselben überhaupt aus der anatomischen Nomen-
klatur zu streichen und durch andere zu ersetzen, welche beide
Bestandteile des Rückenmarks besser charakterisieren. Solange
jedoch dieses noch nicht erfolgt ist, kann für die vergleichend
anatomische Einheit auch in dem Rückenmark der Cyelostomen,
natürlich jedoch nicht der Farbe nach, eine graue und weisse
Substanz unterschieden werden. Dafür gibt es genügend anato-
mische Anhaltspunkte. Die Fortsätze der Nervenzellen verlaufen
hier freilich durch die weisse Substanz bis an die Oberfläche des
Rückenmarks, dasselbe wird jedoch auch bei anderen höher organi-
sierten Wirbeltieren beobachtet, obgleich deren weisse Substanz
sich ihrer Färbung nach scharf von der grauen unterscheidet.
Ausserdem findet Kolmer (27) selber in den Fasern des Rücken-
marks von Ammocoetes ein Homologon der Markscheide.
616 D.Taetjakoft:
Im Rückenmark von Ammocoetes unterscheide ich somit
eine graue und weisse Substanz, dorsale, ventrale und dorso-laterale
Stränge der weissen Substanz, eine Mitte und Seitenstränge der
grauen Substanz. Das Rückenmark hat zwei Oberflächen, eine
dorsale und eine ventrale, und zwei Seitenkanten, eine rechte
und eine linke. Ebensolche Oberflächen und Kanten begrenzen
die graue Substanz.
Die motorischen Zellen des Rückenmarks von Ammocoetes-
stellen multipolare Zellen mit einem Neuriten und mehreren
Dendriten dar. Der Zellleib ist annähernd pyramidenförmig, die
Dendriten entspringen von ihm in der Frontalebene (Taf. XXIII,
Fig. 1, 9, Taf. XXIV, Fig. 11), wobei sämtliche Verzweigungen
derselben bestrebt sind, sich in einer Frontalebene auszubreiten.
Infolgedessen stellen diese Verzweigungen bei einer. Betrachtung
in einem Totalpräparat von oben oder von unten eine kompakte,
im Rückenmark quergelegene Masse dar (Taf. XXIII, Fig. 9,
Taf. XXIV, Fig. 11). Ein vollständiges Bild derselben erhält
man auf Frontalschnitten (Taf. XXIII, Fig. 1). In dieser Hinsicht
gleichen die motorischen Zellen den Purkinjeschen Zellen des
Kleinhirns der höheren Wirbeltiere.
Die motorische Nervenfaser entspringt von einer Ecke der
Pyramidenbasis in Gestalt eines kegelförmigen, kurzen (Fig. 9)
Fortsatzes, welcher sich rasch zu einer äusserst feinen Nerven-
faser verschmälert, diese zieht in der Richtung des Fortsatzes,
d. h. streng parallel der Längsachse des Rückenmarks weiter
(Taf. XXIV, Fig. 15). Irgendwo tritt die Faser aus der grauen
Substanz heraus und setzt sich in der weissen Substanz, in den
vorderen Strängen, fort. In einer wechselnden Entfernung von
der Zelle nimmt die Nervenfaser allmählich an Dicke zu, biegt
alsdann um und tritt in den Bestand der Fasern der ventralen
Wurzeln ein.
Die typischen motorischen Zellen sind in den Seitensträngen
gelegen; dieselben sind im Rückenmark sehr gleichmässig ange-
ordnet; niemals kommt es jedoch vor, dass motorische Nerven-
fasern von Zellen, welche einer ventralen Wurzel gegenüberliegen,
unmittelbar von diesen Zellen in die betreffende Wurzel verlaufen.
Die motorische Nervenfaser zieht von der Zelle stets in der Längs-
richtung fort, wobei sie in dieser Richtung entweder kranial-
Nervensystem von Ammocoetes. 617
oder kaudalwärts verläuft und erst in einiger, wechselnder Ent-
fernung von der Zelle in die ventrale Wurzel abbiegt.
Der Neurit und die Dendriten entspringen in zwei zueinander
senkrechten Ebenen. Aus dem Mitgeteilten ist somit klar, dass
es unmöglich ist, auf frontalen Schnitten durch das Rückenmark
den Ursprung des Neuriten aus der Zelle wahrzunehmen. Nach-
dem ich auf Golgipräparaten die Beziehungen des Neuriten zu
den motorischen Zellen festgestellt hatte, habe ich dasselbe Ver-
halten auch an Methylenblaupräparaten erweisen können. Die
Ursprungskegel der Nervenfaser finden sich auf letzteren sehr
häufig; bisweilen gelingt es auch die dünnen Teile der motorischen
Nervenfaser zu verfolgen. Dieser Abschnitt der letzteren ist jedoch
dermassen fein und gewöhnlich dermassen schwach mit Methylen-
blau gefärbt, dass man sich in der Mehrzahl der Fälle für die
Bestimmung des Zelltypus mit dem Vorhandensein des erwähnten
kegelförmigen Fortsatzes begnügen muss; derselbe unterscheidet
sich in dem Maße von den Dendriten, dass eine Verwechslung
jenes mit diesen unmöglich ist; sein Aussehen ist sowohl auf
Golgipräparaten als auch auf Methylenblaupräparaten das
nämliche. Seine Anordnung in einer zur Anordnungsebene der
Dendriten senkrechten Ebene gewährt ihm schliesslich die
Bedeutung eines sicheren diagnostischen Merkmals.
Der dünıe Abschnitt der Nervenfaser stellt keine vollkommen
gerade Linie dar: sie windet sich ziekzackförmig, wobei ihre
Windungen äusserst regelmässig angeordnet sind; gerade diese ge-
währen dem betreffenden Abschnitt der Faser ein charakteristisches
Aussehen und geben die Möglichkeit, den Nervenfortsatz von dünnen
und langen Dendriten der Zellen anderer Typen zu unterscheiden.
Während des Verlaufs der motorischen Faser in dem Rücken-
mark gehen von derselben in verschiedenen Entfernungen von
der Zelle Kollateralen ab; letztere endigen in ebensolchen Ver-
zweigungen, wie sie die Dendriten aufweisen. Tritt der Nerven-
fortsatz in einer geringen Entfernung von der Zelle in die Wurzel
ein, so bildet er gewöhnlich keine Kollateralen (Taf. XXIV,
Fig. 11). Ihrer Grösse nach gehören die typischen motorischen
Zellen den grossen Zellen und solchen mittlerer Grösse der
Seitenstränge an.
Die Dendriten entspringen von der Zelle an verschiedenen
Stellen deren Oberfläche, jedoch fast stets in einer Frontalebene.
615 DıPretjakoff:
Die Mehrzahl der Dendriten entsteht am lateralen Ende der Zelle,
welches sich häufig in einen langen Hauptfortsatz, wie an den
Pyramidenzellen in der Rinde des Wirbeltiergehirns, auszieht.
Der in der grauen Substanz des Rückenmarks gelegene
Teil des Dendriten unterscheidet sich scharf von den Verzweigungen
desselben in der weissen Substanz. In der grauen Substanz
behalten die Dendriten den Charakter von sich allmählich ver-
schmälernden, schwach gewundenen Zellfortsätzen. Ihre Ver-
zweigungen in der weissen Substanz stellen feine, sich zwischen
den Längsfasern der weissen Substanz windende Fasern dar.
Die Dendritenverzweigungen zeichnen sich ausserdem noch durch
ihre recht gleichmässige Dicke aus. An der Oberfläche des
Rückenmarks verzweigen sie sich in noch feinere Äste, welche
mit Varikositäten in Gestalt von kleineren und grösseren Schollen
versehen sind. Diese Varikositäten der Endfädchen stellen hier
keinesfalls Kunstprodukte dar. Auf Querschnitten des Rücken-
marks, welche mit Methylenblau gefärbt sind, treten die Vari-
kositäten nur an den Endresten in Erscheinung, obgleich sämt-
liche Verzweigungen der Dendriten sich hinsichtlich des Absterbens
in gleichen Bedingungen befinden. Bei sehr lang andauernder
Färbung treten in der Tat Varikositäten als Kunstprodukte, als
Absterbungserscheinung, auf, doch ist ihr Aussehen, ihr Färbungs-
vermögen ein durchaus anderes, wobei sie auf sämtlichen feinen
Dendritenverzweigungen auftreten. Die varikösen Endfäden müssen
daher als tatsächliche Endigungen der Dendriten anerkannt werden.
Dieselben bilden auf der Oberfläche des Rückenmarks ein äusserst
dichtes Geflecht, jedoch kein Netz. Die Geflechte der einzelnen
Zellen vereinigen sich nicht miteinander. Die Fäden des Netzes
ordnen sich zwischen und über den Längsfasern der Oberfläche
des Rückenmarks an. Stellenweise gehen von den Dendriten
variköse Fädchen in die tieferen Schichten der grauen Substanz ab,
besonders an den Stellen, wo die Dendriten um die Müllerschen
Fasern verlaufen. Die Dendriten verteilen sich auf dem Quer-
schnitt des Rückenmarks in verschiedener Weise. Die Mehrzahl
derselben ist in dem dorso-lateralen und im ventralen Strange
derjenigen Hälfte des Rückenmarks gelegen, welchem die betreffende
Zelle angehört. Ein Teil der Dendriten dringt stets zwischen
die Müllerschen Fasern ein. Hier gehen von den Dendriten-
verzweigungen, wie oben mitgeteilt ist, variköse Endfädchen ab,
Nervensystem- von Ammocoetes. 619
welche ein Geflecht um jede Müllersche Faser bilden. Die
Fäden des Geflechts umgeben auf dem Querschnitt die Nerven-
faser allseitig, wobei sie derselben dicht anliegen.
Ausser motorischen Zellen, deren Dendriten sich nur in
einer Hälfte des Rückenmarks ausbreiten, sind auch noch solche
vorhanden, deren Dendriten auf die entgegengesetzte Seite des
Rückenmarks übertreten. In letzterem Falle sind die End-
ausbreitungen der Dendriten auf der entgegengesetzten Rücken-
marksseite ungefähr in derselben Frontalebene gelegen, in welcher
die zugehörige Zelle gelagert ist.
In der Mehrzahl der Fälle erstreckt sich ein medialer
Dendrit, beinahe ohne sich zu verzweigen, bis zu der weissen
Substanz der entgegengesetzten Seite (Taf. XXIII, Fig. 2, 3, 4)
und bildet in demselben Endverzweigungen und -fäden. Dieser
lange Dendrit erreicht die entgegengesetzte Hälfte des Rücken-
marks, indem er entweder ventral oder dorsal vom Zentral-
kanal verläuft. Im ersteren Falle tritt er in den Bestand der
Fasern der Kommissura grisea ventralis, im zweiten Fall der
Kommissura dorsalis.
Bisweilen treten auch auf die entgegengesetzte Seite
des Rückenmarks die Verzweigungen der lateralen Dendriten
(Taf. XXIII, Fig. 3), besonders derjenigen, welche sich von der
Zelle in die dorso-lateralen Stränge erstrecken, über.
Die Zahl der Dendriten der typischen motorischen Zellen
variiert in beträchtlichem Maße. Das Minimum derselben beträgt
zwei — wobei der eine von ihnen ein lateraler, der andere ein
medialer ist. Derartige Zellen haben natürlich auf Querschnitten
durch das Rückenmark (Taf. XXIII, Fig. 4) das Aussehen von
bipolaren Zellen, wobei jedoch berücksichtigt werden muss, dass
sie noch einen Nervenfortsatz besitzen. Sogar auf Querschnitten
ist es möglich, dieselben von tatsächlich bipolaren Zellen, von
denen weiter unten die Rede sein wird, zu unterscheiden.
Die Ausbreitung der Dendriten ist von der Grösse der
Zelle unabhängig — die Fortsätze der Zellen mittlerer Grösse
können sich über: den ganzen Querschnitt des Rückenmarks
verzweigen. Die Zahl der Dendriten ist jedoch für die Grösse
der Zellen charakteristisch. Die grossen Zellen nehmen niemals
das Aussehen bipolarer Zellen an, als solche erscheinen auf Quer-
schnitten nur Zellen mittlerer Grösse und kleine Zellen.
620 D, Pretjakoft:
Den beschriebenen Typus der motorischen Zellen, unabhängig
von der Grösse derselben und der Anzahl der Dendriten, bezeichne
ich als den I. Typus der motorischen Zellen des Rückenmarks
von Ammocoetes. Das Kennzeichen derselben stellt das Bestreben
der Dendriten, sich in einer Frontalebene zu verzweigen, dar
UDSSR IE 293 RER TV; "Bier ed!
Diesem Typus gehören die Mehrzahl der „Randzellen“ der
Autoren (Retzius u.a.) an. Nach meinen Beobachtungen sind
auch die Randzellen typische motorische Zellen (Taf. XXIII,
Fig. 6 u. 7), welche aus der grauen Substanz zur Kante des
Rückenmarks gerückt sind, wobei sämtliche Übergangsformen von
den typischen motorischen Zellen zu den Randzellen gefunden
werden können. Die Form der Randzellen variiert ebenso wie
diejenige der motorischen Zellen. Die Dendriten der Randzellen
ordnen sich desgleichen auf einem schmalen @Querabschnitt des
Rückenmarks an. Die lateralen Dendriten stossen natürlich infolge
der Lagerung der Zellen selber an die Kante des Rückenmarks und
bilden keine Systeme feinster Verzweigungen. Nichtsdestoweniger
endigen sie in feinen, mit Varikositäten versehenen Fädchen, wobei
letztere nicht selten in der Längsrichtung auseinanderziehen.
Die medialen Dendriten verzweigen sich in derselben Rückenmarks-
hälfte gewöhnlich in dem dorso-lateralen Strange. Die Nerven-
faser beginnt ebenso wie bei den typischen motorischen Zellen;
infolge der Lagerung der Zellen hat sie jedoch nicht nötig, aus
der grauen Substanz in die weisse umzubiegen; sie verläuft von
vornherein in der weissen Substanz, wobei sie in den Bestand
der ventralen Bündel eingeht. In diesem vereinfachten Verlauf
des Neuriten liegt meiner Meinung nach der Grund für den
ÖOrtswechsel dieser Zellen: dank diesem wird eine gleichmässigere
Verteilung der motorischen Zellen und Fasern erhalten.
Ausser den beschriebenen Formen der Zellen des I. Typus
werden noch zwei Typen motorischer Zellen unterschieden.
Der U. Zelltypus (Taf. XXIII, Fig. 5, Taf. XXIV, Fig. 12)
unterscheidet sich von dem ersteren zunächst durch die Aus-
breitung der Dendriten. Die Zellen selber liegen in den Seiten-
strängen der grauen Substanz. Die Form der Zellen variiert
in stärkerem Maße als diejenige der Zellen des I. Typus, von
einer pyramidenförmigen bis zu einer spindelförmigen, in ver-
schiedenen Richtungen gekrümmten. Die Zellen gehören zu
Nervensystem von Ammocoetes. 621
den grossen des Rückenmarks und bilden natürlich eine grosse
Anzahl Dendriten ; letztere ordnen sich nicht wie bei den Zellen
des I. Typus in einer Frontalebene an, sondern erstrecken sich
in verschiedenen Richtungen. Die feinen Verzweigungen und die
varikösen Endfädchen bieten im Vergleich zu den Zellen des
1. Typus nichts Neues, sie gehen jedoch von den Dendriten in
frontaler Richtung ab.
An jedem Dendriten entstehen mehrere Systeme feiner
Querverästelungen und variköser Fädchen, wobei ein jedes
derartige System in einem schmalen Querabschnitt des Rücken-
marks angeordnet ist. Die Dendriten, welche von der Zelle in
schräger Richtung oder in der Längsriehtung (hinsichtlich des
Rückenmarks) verlaufen, übertreffen an Länge nur in geringem
Maße die Dendriten der Frontalebene. Die Quersysteme der
feinen Verzweigungen verteilen sich in verschiedenen frontalen
Ebenen, wobei sie zwischen den Verzweigungen der Zellen des
I. Typus vordringen. Ungeachtet der schräg und längs ver-
laufenden Dendriten, verhalten sich somit die Zellen des II. Typus
zur weissen Substanz ebenso, wie die Zellen des I. Typus. Ein
Unterschied von diesen besteht nur in der Anordnung derjenigen
Dendriten, welche in der grauen Substanz gelegen sind. Die
Bedingungen für die Ausbreitung der Dendriten sind augen-
scheinlich in der grauen und der weissen Substanz verschieden ;
sie beruhen entweder auf einer Verschiedenheit der mechanischen
3edingungen für das Auswachsen der Dendriten oder auf einer
verschiedenen Funktion der dicken Abschnitte der Dendriten und
ihrer feinen Verzweigungen.
Die Entstehung des Nervenfortsatzes an den Zellen des
ll. Typus zu verfolgen, ist weit schwieriger, als im ersteren Fall.
Auf den Golgipräparaten, denen die Hauptbedeutung in dieser
Frage zukommt, wird selten ein volles Bild der Ausbreitung der
Dendriten, welche die Zellen des II. Typus charakterisieren, er-
halten (Taf. XXIV, Fig. 10 u. 12).
So scharf die Unterschiede der Zellen des II. Typus von den-
jenigen des I. auf totalen, in Methylenblau gefärbten Rücken-
markspräparaten bervortreten, so schwer ist es, mit ersteren die
nach dem Golgiverfahren gefärbten, mit einem motorischen
Nervenfortsatz verbundenen Zellen zu identifizieren, welche weder
ihrer Form nach, noch der Anordnung ihrer Dendriten nach in den
622 D. Tretjakoff;;
Rahmen der Zellen des I. Typus hineinpassen. Auf Grund anderer
Kennzeichen, wie Form der Zellen, Form des Fortsatzes, welcher
der Nervenfaser den Ursprung gibt, der Lagerung und Grösse
der Zellen können die erwähnten Elemente auf den Golgipräpa-
raten nur Zellen des II. Typus sein (Taf. XXIV, Fig. 12). Ist
einmal auf Golgipräparaten das Vorhandensein eines Nerven-
fortsatzes bei den Zellen des erwähnten Typus sichergestellt, so
kann nach ihm auch auf Methylenblaupräparaten gesucht werden,
widrigenfalls für den Nervenfortsatz leicht ein in der Längs-
richtung des Rückenmarks verlaufender und nicht bis zu seinem
Ende gefärbter Dendrit angenommen werden kann.
Auf diese Weise kann durch Ausschluss sämtlicher zweifel-
hafter Gebilde folgende Vorstellung von der Entstehung des
Nervenfortsatzes der Zellen des II. Typus gewonnen werden. Sein
Anfangskegel ist in seltenen Fällen so regelmässig ausgeprägt
als bei den Zellen des I. Typus; von ihm entspringen Kollateralen,
welche ebenso wie die Dendriten endigen; er selber unterscheidet
sich nur wenig von den Dendriten; er entspringt jedoch aus-
schliesslich von der kranialen oder kaudalen Zelloberfläche und
behält dieselbe Richtung in der grauen Substanz bei, indem er
sich in eine äusserst feine Faser verschmälert, welche in die
weisse Substanz übertritt. Mit der Annäherung an die ent-
sprechende Wurzel nimmt die feine Faser an Dicke zu. Die
Kollateralen entspringen auch aus dem dünnen Abschnitt, jedoch
nicht aus dem dicken Wurzelabschnitt der Faser. Ausser durch
seinen Anfangskegel unterscheidet sich der Nervenfortsatz in
nichts wesentlichem von dem Nervenfortsatz der Zellen des I. Typus.
Den motorischen Zellen des III. Typus (Taf. XXIV, Fig. 10)
rechne ich diejenigen zu, welche von Kolmer unter der Bezeich-
nung Kolossalzellen beschrieben worden sind. Dieser Beschreibung
habe ich noch hinzuzufügen, dass das charakteristische Merkmal
dieser Zellen nicht ihre Grösse, sondern die Verteilung ihrer
Dendriten darstellt. Die kleinen Zellen des III. Typus sind
ebenso gross wie die grossen Zellen des I. Typus, die grossen
Zellen des IIl. Typus entsprechen den von Kolmer angegebenen
Dimensionen. Mir ist es nicht gelungen, den Nervenfortsatz nach
dem Verfahren von Golgi zu färben; auf Methylenblaupräparaten
wiederholt der Anfangskegel des Nervenfortsatzes dermassen die
Form desselben Gebildes bei den Zellen des I. Typus, dass ein
Nervensystem von Ammocoetes. 623
Zweifel an seiner Natur nicht aufkommen kann. Der Zellleib
ist häufig spindelförmig, wobei die Längsachse desselben sowohl
schräg als auch quer zur Längsachse des Rückenmarks gerichtet
sein kann. Fast stets geht der Anfangskegel des Nervenfort-
satzes von dem, dem längsten Dendriten entgegengesetzten Ende
der Zelle ab. Ausser einem langen Dendriten entspringen von
der Zelle noch Dendriten, welche sich in derselben Frontalebene,
in der die Zelle gelagert ist, verzweigen. Am Ende geht der
lange Dendrit in feine Verzweigungen und variköse Fädchen über.
Ebensolche Systeme feiner Verzweigungen und variköser Fäden
entspringen von dem Dendriten auch in den anderen Abschnitten
seines Verlaufs. Alle diese Systeme sind senkrecht zur Längsachse
des Rückenmarks angeordnet (Taf. XXIV, Fig. 10) und unter-
scheiden sich durchaus nicht von den gleichen Systemen der
Zellen des I. und II. Typus, indem sie mit diesen an der Bildung
eines dichten Geflechtes auf der Oberfläche der ventralen und
dorso-lateralen Stränge teilnehmen.
Sowohl die langen wie auch die kurzen Dendriten breiten
sich entweder in einer Hälfte des Rückenmarks aus oder gehen
auf die entgegengesetzte über. Der lange Dendrit ist bis zum
3eginn der feinen Verzweigungen in der grauen Substanz ge-
lagert. Die Systeme der queren Verzweigungen gehören haupt-
sächlich den dorso-lateralen Bündeln an.
Alle drei Typen der motorischen Zellen gehören zu den
beständigen Elementen des Rückenmarks von Ammocoetes.
Ausser den motorischen Zellen enthalten die Seitenstränge
eine grosse Anzahl kleiner Nervenzellen (Taf. XXIV, Fig. 14),
an denen auf keine Weise ein Unterschied der Fortsätze erwiesen
werden kann. Alle Fortsätze haben das Aussehen von Dendriten,
alle verzweigen sich wie die Dendriten der motorischen Zellen.
Die Zellen sind. entschieden bipolar oder multipolar und haben
grösstenteils Spindelform. Bei Anwendung desselben Unter-
scheidungsprinzips wie bei den motorischen Zellen können diese
kleinen Zellen in drei Typen eingeteilt werden. Typus I — die
Fortsätze der Zellen verzweigen sich in einer Frontalebene;
Typus II — die Fortsätze verzweigen sich in verschiedenen
Frontalebenen, jedoch nicht weit von der Zelle; Typus III — die
Zellen sind mit langen Fortsätzen versehen (Taf. XXV, Fig. 21).
Die Zellen selber liegen in den Seitensträngen, bisweilen auch
624 Dosieetijiakoff:
an der Grenze der grauen und weissen Substanz der Seiten-
stränge, oder in der Mitte des Rückenmarks dorsal vom Zentral-
kanal (Taf. XXIV, Fig. 13, Taf. XXV, Fig. 16) oder sogar in der
weissen Substanz (Taf. XXV, Fig. 19). In der Mehrzahl der Fälle
unterscheiden sich die Fortsätze scharf von der Zelle und nehmen
bereits in der grauen Substanz das Aussehen einer feinen, stellen-
weise mit kleinen Verdickungen versehenen Faser an. Die End-
fädchen sind mit Varikositäten besetzt, treten in den Bestand
des oberflächlichen Geflechts, woselbst sie sich durch Kontakt
mit den Endfädchen der motorischen Zellen in Verbindung setzen.
Auf Querschnitten des Rückenmarks (Taf. XXIV, Fig. 13,
Taf. XXV, Fig. 16, 20) gelingt es besonders die Verteilung der
Fortsätze der Zellen des I. und des U. Typus zu verfolgen;
bereits die bipolaren Zellen gewähren einen sicheren Einblick in
die Art der Ausbreitung, da die Ausbreitung der Fortsätze der
multipolaren Zellen sich prinzipiell von derselben nicht unter-
scheidet. Beide Fortsätze der bipolaren Zellen verzweigen sich
in verschiedenen Strängen: sie verbinden entweder die dorso-
lateralen Stränge mit den ventralen, oder die dorsalen mit den
ventralen, oder die dorsalen mit den latero-dorsalen, oder die
latero-dorsalen mit der Gruppe der Müllerschen Fasern der-
selben oder der entgegengesetzten Seite oder schliesslich die
Gruppe der Müllerschen Fasern mit den ventralen Strängen. Zum
Zweck der Verbindung der Stränge beider Hälften des Rückenmarks
verlaufen die Fortsätze in der dorsalen oder ventralen Kommissur.
Verhältnismässig seltener als die angegebenen Verbindungen,
wird eine solche der gleichnamigen Stränge angetroffen. Am
konstantesten sind die Zellen, welche mit ihren Fortsätzen die
dorso-lateralen oder ventralen Stränge verbinden.
Schwieriger ist das Studium der Ausbreitung der langen
Fortsätze der Zellen des III. Typus, welche hauptsächlich dorsal
vom Zentralkanal sich vorfinden. Ihr Aussehen und die Verteilung
derselben ist genügend ausführlich von Kolmer beschrieben
worden — Zellen m seines Schemas Fig. 26. Seiner Beschreibung
füge ich nur hinzu, dass die varikösen Endfäden der Fortsätze
sich zwischen den verschiedenen Bündeln der weissen Substanz
quer zur Längsachse des Rückenmarks anordnen.
Sämtliche erwähnten Typen der kleinen Nervenzellen des
Rückenmarks von Ammocoetes stellen offenbar Koördinations-
Nervensystem von Ammocoetes. 625
elemente dar, welche die Reizung der motorischen Zellen summieren
und möglicherweise die Reizung der Fasern verschiedener Stränge
regulieren. Einige der mutmasslichen Koördinationszellen müssen
jedoch besonders erwähnt werden. Sie offenbaren einen ganz
bestimmten Zusammenhang mit gewissen Strängen, obgleich sie
der Anordnung ihrer Fortsätze nach zu einem jeden der drei er-
wähnten Typen gehören können. Hierher gehören vor allem die
Zellen, deren einer Fortsatz sich unbedingt zwischen den Müller-
schen Fasern verzweigt, indem er dieselben in der Querrichtung
des Rückenmarks mit feinen varikösen Fädchen umflicht (Taf. XXV,
Fig. 16); der andere oder die anderen Fortsätze können sich in
beliebigen Bündeln verzweigen, besonders in den latero-dorsalen.
Eine zweite Gruppe von Zellen entsendet einen Fortsatz unbedingt
zur Mitte der ventralen Rückenmarksoberfläche, woselbst sich
unterhalb der Gruppen der Müllerschen Fasern quere variköse
Fädchen bilden (Taf. XXV, Fig. 17). Obgleich dieser Fortsatz in
der nächsten Nähe der Müllerschen Fasern verläuft, so gibt
er dennoch keine Seitenästchen, welche die Müllerschen Fasern
umflechten, ab.
Eine dritte Gruppe von Zellen (Taf. XXV, Fig. 23) ist ver-
mittelst eines Fortsatzes derselben mit den dorsalen Bündeln oder
mit dem Grenzgebiet dieser und der dorso-lateralen Bündel ver-
bunden. Dieser Fortsatz zeichnet sich im Vergleich zu den
übrigen durch seine Dicke aus und zerfällt, nachdem er in die
Bündel eingedrungen ist, in verschiedener Entfernung von der
dorsalen Oberfläche in ein Büschel dicht bei einander gelegener
variköser Fädchen. Die übrigen feineren Fortsätze treten nicht
aus der grauen Substanz heraus.
Ich bin nicht imstande, allein auf das Aussehen dieser Fort-
sätze der Koördinationszellen die Frage zu entscheiden, ob unter
ihnen Dendriten und Neuriten unterschieden werden können.
Möglicherweise ist es möglich, den Fortsatz der Zellen der letzten
drei Gruppen, welcher sich bestimmtermassen in bestimmten Ge-
bieten der weissen Substanz verzweigt, als Nervenfortsatz anzu-
erkennen.
In morphologischer und physiologischer Hinsicht ist die
Mehrzahl der kleinen Zellen vollkommen den sog. amakrinen
Zellen (Spongioblasten) der Retina der Wirbeltiere homolog. An
den bipolaren Zellen der Retina unterscheiden sich ausserdem
626 De PreiTakofT:
beide Fortsätze wenig ihrem Aussehen nach und wenn der eine
von ihnen als Dendrit, der andere als Neurit bezeichnet wird,
so geschieht es auf Grund ihrer verschiedenen Länge und ihrer
topographischen Lagerung.
In Anbetracht dessen, dass die Retina einen modifizierten
Abschnitt der Wand des Medullarrohres darstellt, halte ich es
für möglich, die Spongioblasten und bipolaren Zellen der Retina
mit den kleinen Zellen zu analogisieren und nenne daher im
folgenden die letzteren — amakrine Zellen oder Schaltzellen des
rückenmarks. —
Jedenfalls unterscheidet sich jedoch nur bei den zuletzt
angeführten drei Zellgruppen des Rückenmarks von Amocoetes
der Nervenfortsatz von den anderen Fortsätzen.
Vermittelst Methylenblaupräparaten ist es möglich, die
Systeme der Assoziationsbahnen genau zu studieren, solange
jedoch die Leistungsbedingungen der Nervenreizungen physiologisch
wenig bekannt sind, ist das Studium ihrer anatomischen Grund-
lage von geringem Wert. Für die angegebenen Ziele meiner
Arbeit war es nur wichtig, die Typen der Rückenmarkselemente
morphologisch festzustellen.
Ich gehe nun mit einigen Worten auf die sog. Hinter-
zellen über.
Dieselben färben sich sehr schwer in Methylenblau; für
Totalpräparate von Rückenmarksstücken sowie für Schnitte ist es
ratsamer, starke !/2°/o bis !/a°/o Lösungen des Farbstofis zu be-
nutzen. In den ersten Momenten nach Einwirkung der Farbe
treten die Hinterzellen in Gestalt von blauen Flecken auf voll-
kommen farblosem Grunde hervor. Die Färbung verschwindet
rasch vor dem Beginn der Färbung der anderen Zellen des
Rückenmarks. Die Färbung kann in gewöhnlicher Weise fixiert
werden, doch erscheint sie stets sehr diffus (Taf. XXIV, Fig. 14d)
und gibt nur mangelhaft die tatsächliche Zellform wieder. In
dieser Hinsicht teilen sie das Schicksal der Riesenzellen im Gehirn
von Ammocoetes und der Spinalganglienzellen ; die ersteren gehören
zu den motorischen Zellen, die zweiten — zu sensiblen; es ist nicht
möglich, wie es jedoch einige Autoren tatsächlich getan haben,
aus dem Färbungsvermögen allein die motorische oder sensible
Natur der Hinterzellen bestimmen zu wollen; wie es auch sein
mag, die Färbung der letzteren ist jedenfalls ein intravitaler
Nervensystem von Ammocoetes. 627
Vorgang. Kolmer stellt dieses in Abrede; seiner Meinung nach
liegen rein physikalische Gründe dafür vor, dass die Hinterzellen
einer intravitalen Färbung nicht zugänglich sind und zwar: „sie
liegen zu sehr geschützt in der Rückenmarkssubstanz“. Nur bei
einer Verletzung des Präparates, fügt der genannte Autor hinzu,
färben sich die Hinterzellen, wobei die Färbung eine für das
absterbende Gewebe charakteristische Nuance annimmt. Ich halte
die Schlüsse des Autors für etwas voreilig; an der verletzten
Stelle eines Rückenmarksstückes sind in der Tat bei der gewöhn-
lichen Färbungsdauer bisweilen recht intensiv die Hinterzellen
gefärbt, der Charakter der Färbung ist jedoch ein anderer als bei
einer intravitalen Färbung; scharf gefärbt sind nur die Kerne der
Hinterzellen. Ich bin der Ansicht, dass die Verletzungen durchaus
nicht den Zutritt des Farbstoffs zu den Zellen erleichtern, sondern
die Konzentration der die Zellen umgebenden Lymphe alterieren
und ein Absterben der Zellen hervorrufen. Irgendwelcher be-
sonderer Schutz der Hinterzellen von seiten der Rückenmarks-
substanz lässt sich nicht erkennen; mir ist es nicht klar, welche
Art Schutz Kolmer annimmt, denn andere sich in Methylenblau
ausgezeichnet färbende Zellen liegen tiefer im Rückenmark als
die Hinterzellen. Auf Querschnitten bleiben, wie gut auch die
übrigen Elemente gefärbt sind, ungefärbt die Hinterzellen und
die dorsalen Stränge, welche demjenigen Gebiet der grauen
Substanz anliegen, in dem die Hinterzellen gelagert sind (Taf. XXV,
Fig. 16). Da auf den in toto gefärbten Rückenmarksstücken nie-
mals die Fortsätze der Hinterzellen gefärbt sind, so ist die Annahme
möglich, dass die dorsalen Bündel aus den längsverlaufenden
Fortsätzen der dorsalen Zellen bestehen.
Das Verfahren von Golgi und von Ramön y Cajal er-
geben hier die Resultate, welche mit dem Methylenblauverfahren
nicht erzielt werden können. Besonders das Verfahren von
Ramön y Cajal erscheint für die Hinterzellen spezifisch; ver-
mittelst desselben gelingt es am leichtesten auf Querschnitten
Bilder der Anordnung .der Zellen selber als auch ihrer Fortsätze
zu erhalten.
Die Grösse, Form, Anordnung auf Querschnitten, die Anzahl
der Fortsätze dieser Zellen ist von den Autoren genügend genau
beschrieben worden. In dieser Hinsicht kann ich nur die Beob-
achtungen derselben bestätigen. Einige der Zellen sind ent-
Archiv f. mikrosk. Anat. Pd. 73. 41
628 D. Tretjakoff:
schieden bipolar, andere sind ausser mit je einem auf- und ab-
steigenden Fortsatz noch mit kurzen, verzweigten, nach allen
Richtungen sich erstreckenden Fortsätzen versehen (Owsjannikoff,
Kolmer). Die feinen Fortsätze entspringen von der Zelle,
ohne deren regelmässigen, Kreisförmigen Konturen zu alterieren
(Kolmer), oder aber die Zelle erscheint eckig, wobei die feinen
Fortsätze von den Ecken derselben ihren Anfang nehmen. Nicht
selten werden Zellen angetroffen, welche paarweise durch diese
oder dünne Anastomosen verbunden sind (Kolmer), oder Zellen
mit zwei Kernen im Ruhestadium (Kolmer). Ebenso kann ich
sämtliche Befunde Kolmers hinsichtlich der Verteilung der
Neurofibrillen und der Trophospongien in genannten Zellen be-
stätigen. In einigen Beziehungen enthalten jedoch meine Beob-
achtungen etwas neues und stimmen nicht mit den Beobachtungen
anderer Forscher überein. — Es handelt sich vor allem um den
Bau der Kerne. Im allgemeinen sind sie kugelförmig, weisen ein
regelmässiges Chromatinnetz auf und unterscheiden sich eigentlich
nicht von den Kernen anderer Nervenzellen. Nicht selten werden
jedoch Kerne von vollkommen anderer, unregelmässiger Form
angetroffen. Dieselben erscheinen bald in einer Richtung ge-
streckt, bald gelappt, bald weisen sie eine verschiedenartige
unregelmässige Anordnung des Chromatins auf. Zunächst bemerkte
ich diese unregelmässigen Kerne auf Methylenblaupräparaten und
neigte dazu, dieselben für Absterbungserscheinungen zu halten.
Nach gewöhnlichen Verfahren fixierte und gefärbte Präparate
überzeugten mich jedoch davon, dass im gegebenen Falle es sich
tatsächlich um verschiedenartige Kerne handelt. Besonders
charakteristisch ist in diesen Kernen die Anwesenheit einer hellen
Vakuole (auf Methylenblaupräparaten). Die Grösse der Zellen,
ihr geringes Färbungsvermögen mit Methylenblau, die Form
ihrer Kerne geben Veranlassung, die Hinterzellen mit den von
A. Nemiloff (Arch. f. m. Anat., Bd. 72, 1908) in den Ganglien
von Fischen beschriebenen besonderen Zellen zu vergleichen. —
Um der bisher strittigen Funktion der Hinterzellen möglichst
nahe zu kommen, habe ich sorgfältig ihre Verteilung in der
Horizontalebene verfolgt. Von einer segmentalen Anordnung oder
einer Anhäufung der Zellen an der Anstrittsstelle der dorsalen
Wurzeln ist keine Spur vorhanden. Überall ist dieselbe ökono-
“mische gleichmässige Verteilung der grossen und mittleren Zellen,
Nervensystem von Ammoecoetes. 629
wie in den Seitensträngen wahrnehmbar. Der Streifen der Hinter-
zellen erstreckt sich ununterbrochen bis zur Rautengrube, bis
zum Austritt des ersten dorsalen N. spino-oceipitalis. Hier und
nur hier werden konstant die Hinterzellen angetroffen, deren
aufsteigende Faser zur Peripherie des Rückenmarks, zur Aus-
trittsstelle der dorsalen Wurzeln gerichtet ist. Einen unmittel-
baren Übergang des Fortsatzes in die Wurzel habe ich nicht
gefunden, obgleich ich meine ganze Aufmerksamkeit darauf ge-
richtet habe. Der Fortsatz verschmälert sich in der weissen
Substanz des Rückenmarks und endigt in derselben ebenso, wie
die Dendriten der motorischen Zellen. Selbst in den äusserst
seltenen Fällen, wenn der auf- oder absteigende Fortsatz der
Zellen in anderen Rückenmarksgebieten gegen die Austrittsstelle
der dorsalen Wurzeln abbiegt, ist dennoch keine Veranlassung
dafür vorhanden, einen Übergang desselben in die Wurzel anzu-
nehmen. Die dorsalen Wurzeln bestehen ausschliesslich aus
Fasern, welche in das Rückenmark von den sensiblen, ausserhalb
des Rückenmarks gelegenen Ganglienzellen eindringen. Die Fort-
sätze der dorsalen Zellen haben keine Beziehungen zu den
Wurzeln. Sie erstrecken sich bisweilen auf weite Entfernungen
in die dorsalen Bündel, biegen jedoch gewöhnlich schliesslich in
die latero-dorsalen Bündel um und endigen ebenso wie überhaupt
die Fasern der latero-dorsalen Bündel, d. h. mit feinen varikösen
Fädchen, welche in den oberflächlichen Schichten des Rücken-
marks quer verlaufen. Auf Methylenblaupräparaten verhalten
sich die Fortsätze der Hinterzellen ebenso wie diese: sie bleiben
ungefärbt. Infolgedessen unterscheiden sich auf Querschnitten
durch das Rückenmark die dorsalen, oberhalb des Streifens der
Hinterzellen gelegenen Bündel scharf von den latero-dorsalen
Bündeln (Fig. 16); dieselben bestehen aus den längsverlaufenden
Fortsätzen der Hinterzellen.
Auf stark tingierten Präparaten ganzer Rückenmarksstücke
gelingt es bisweilen einige Fasern der dorsalen Bündel gefärbt
zu erhalten (Taf. XXI, Fig. 5v). Sie gehören den feinsten Fasern
der weissen Substanz an. Von den Fasern der latero-dorsalen
Bündel unterscheiden sie sich hauptsächlich dadurch, dass sie keine
Kollateralen bilden. Eine jede Faser der dorsalen Bündel windet
sich ziekzackförmig und bildet stellenweise spindelförmige An-
schwellungen, welche sich besonders intensiv in Methylenblau färben.
41*
630 D. Tretjakoff:
Im Vergleich zu den latero-dorsalen Bündeln ist in der ober-
tlächlichen Schicht der dorsalen Bündel nur eine geringe Anzahl
quereı variköser Ästehen — Endigungen verschiedener Elemente
des Rückenmarks vorhanden. Am häufigsten finden sich hier
Endigungen motorischer Zellen und besonderer Assoziationszellen.
Bisweilen jedoch beginnen, wie es die Fig. 5v (Taf. XXIII) zeigt,
hier sich die Fasern der dorsalen Bündel selber, resp. die Fort-
sätze der dorsalen Zellen in ihre Endfäden zu verzweigen.
Die Gestalt der dorsalen Zellen ist der Rolle angepasst,
den dorsalen Strängen Fasern zuzuführen. In der Mehrzahl der
Fälle sind die Zellen auf Sagittalschnitten von Oberflächen ver-
schiedener Krümmung begrenzt. Die ventrale Oberfläche der-
selben ist grösser, stärker gekrümmt und ragt in die graue
Substanz hinein; die dorsale Oberfläche ist flach und liegt den
dorsalen Bündeln dieht an; die beiden längs verlaufenden Fort-
sätze haben nur eine geringe Abweichung von der Längsrichtung
zu machen, um in den Bestand der dorsalen Bündel einzugehen.
Auf Grund der angeführten Merkmale halte ich die Hinter-
zellen für die Assoziationszellen. Das von ihnen im Rückenmark
von Ammocoetes gebildete Band schlage ich vor, als Nucleus:
dorsalis des Rückenmarks zu bezeichnen, die Zellen selber als
Dorsalzellen statt der für Ammocoetes wenig passenden und allzu
anthropomorphen Bezeichnung „Hinterzellen“.
Die Endigungen, welche den Dorsalzellen den Wert von
Assoziationselementen gewähren, liegen hauptsächlich an der
Oberfläche der latero-dorsalen Bündel. In demselben Gebiet
finden sich auch die Endverzweigungen der Fasern der dor-
salen Wurzeln, der Schaltzellen und der motorischen Zellen.
Die Frage, ob die Assoziationsvorrichtungen der Dorsalzellen auf
irgendwelche Flemente einer Art des Nervensystems von
Ammocoetes Bezug haben, oder auf verschiedenartige, habe ich
nicht entscheiden können. Durch verschiedene Schlussfolgerungen,
jedoch nicht auf Grund unmittelbarer Beobachtungen, komme
ich zum Schluss, dass die Assoziationstätigkeit der Dorsalzellen
die Endigungen der Fasern der dorsalen Wurzeln betriftt. Die
Dorsalzellen summieren die Reizung verschiedener dorsaler
Wurzeln und übertragen dieselbe auf andere Abschnitte des
Rückenmarks und auf das verlängerte Mark. Bei den höheren
Wirbeltieren, speziell bei den Säugetieren erfolgt die Summierung
Nervensystem von Ammocoetes. 651
der sensiblen Reizung bereits in den Ganglien vermittelst
besonderer Zellen, die Verzweigungen des Nervenfortsatzes der-
selben umgeben die Ganglienzellen in Gestalt von perizellulären
Geflechten. Ein anderes Beispiel von Zellen, welche die Reizung
sensibler Nervenzellen summieren, stellen die sternförmigen
Zellen der Retina — die nervösen Horizontalzellen — dar.
Ausser den beschriebenen Nervenzellen des Rückenmarks
von Ammocoetes, welchen eine bestimmte Funktion zugeschrieben
werden kann, gibt es noch Anfangsstadien der Entwicklung von
Nervenzellen, Übergangsstadien von Neuroblasten zu echten
Nervenzellen. Dieselben hat bereits Kolmer als kleine unipolare
Zellen beschrieben; er bezeichnet sie als Übergangstypen von
Ependymzellen zu Nervenzellen.
Soviel ich habe wahrnehmen können, sind die Übergangs-
formen von Ependymzellen zu Nervenzellen nur in seltenen
Fällen in gewissen Entwicklungsperioden unipolar. Zu Beginn
der Differenzierung ist die betreffende Zelle ausser mit einem
peripherischen, verzweigten Fortsatze noch mit einem kurzen,
zwischen den Ependymzellen bis zur Lichtung des Zentralkanals
vordringenden Fortsatze versehen. Allmählich entfernt sich die
Zelle mit ihrem ventralen Fortsatze vom Zentralkanal. Im
weiteren können sämtliche Stadien der Verwandlung des zentralen
Fortsatzes in einen gewöhnlichen Dendriten verfolgt werden. —
Die Übergangszellen habe ich nur bei den kleinsten, mir zur
Verfügung stehenden Ammocoeten angetroffen. Bei einem
Ammocoetes von 10—18 mm kann das Rückenmark bereits als
vollkommen ausgebildet angesehen werden. Bei dem weiteren
Wachstum nehmen die einzelnen Elemente nur an Grösse zu,
ohne dass ihre Menge zunimmt. In dieser Hinsicht unterscheidet
sich das Rückenmark vom Gehirn, in welchem noch zur Zeit
der Metamorphose eine grosse Anzahl von Zellen in der Nähe
des zentralen Hohlraums das Aussehen von unentwickelten
Nervenzellen haben. Ich möchte hier nur der Annahme von
Kolmer entgegentreten, dass diese Zellen Übergangsformen
von Ependymzellen zu Nervenzellen darstellen. Die Ependym-
zellen und die Neuroblasten sind, wie bekannt, auf frühen
Entwicklungsstadien vollkommen differenziert; der zentrale Fort-
satz der sich entwickelnden Zelle spricht noch nicht zugunsten
der Entstehung desselben aus dem Ependym, er kann sich auch
632 D. Tretjakoff:
sekundär entwickeln. Die erwähnten Zellen könnten als Über-
gangstypen von Neuroblasten zu Nervenzellen bezeichnet werden,
bei der Annahme, dass bei Ammocoetes in der Ependymschicht
sich noch lange Neuroblasten erhalten. Die Ependymzellen
stellen bei Ammocoetes von der angegebenen Länge typische
Neurogliazellen dar; eine Umwandlung derselben in Nervenzellen
ist undenkbar.
Bereits seit der Arbeit von Nansen über das Gehirn von
Myxine ist die T-förmige Teilung der Fasern der dorsalen
Wurzeln im Rückenmark bekannt. Kolmer vermerkt in seiner
Arbeit den verschiedenen Durchmesser der Fasern und spricht
sich zugunsten einer Vereinigung der dorsalen Wurzeln mit den
Dorsalzellen aus, was ich entschieden in Abrede stelle.
Die Fasern der hinteren Wurzeln sind ausserhalb des
Rückenmarks von einem Neurilemm umgeben. Beim Eintritt in
das Rückenmark verlieren sie dasselbe. Die einzelnen Fasern
dringen in das Rückenmark verschieden tief ein, einige erreichen
die dorsale Oberfläche der grauen Substanz. In verschiedenen
Tiefen des dorso-lateralen Bündels biegen die Fasern entweder
in einem rechten Winkel um oder spalten sich in zwei gleiche
oder ungleiche dicke Äste, welche zu Längsfasern der dorso-
lateralen Bündel werden. Die dickeren Fasern — grösstenteils
Äste der Fasern, die sich T-förmig teilen — verlaufen vor-
wiegend an der Grenze der dorso-lateralen und der dorsalen
Bündel. In einer geringen Entfernung entspringen von diesen
Fasern in der Querrichtung des Rückenmarks (Taf. XXIV, Fig. 15)
kurze Kollateralen (de), welche in den dorsalen Strang eindringen,
bis zum medialen Rande des Stranges (Mittellinie des Rücken-
marks) verlaufen, sich schnell verschmälern und sich spurlos.
zwischen den Fasern des dorsalen Bündels, d. h. den Fortsätzen
der Dorsalzellen, verlieren. Die Kollateralen bilden keine vari-
kösen Fädchen und stellen offenhar an und für sich Endfäden
dar. Mit den Dorsalzellen gehen sie keine unmittelbare Ver-
bindung ein.
Die Mehrzahl der übrigen Fasern der Hinterwurzel weichen
allmählich in geringem Maße von der Eintrittsstelle der Wurzel
in das Rückenmark ab und nehmen das dorso-laterale Bündel
ein. An denselben sind die Kollateralen seltener; der Charakter
dieser ist ein anderer als der soeben beschriebenen. Die Kollateralen
Nervensystem von Ammocoetes. 635
und die Enden der dorso-lateralen Fasern (Taf. XXV, Fig. 24)
verzweigen sich ebenso wie die Dendriten der Zellen, indem sie
quere variköse Fädchen bilden, welche in den oberflächlichen
Schichten des Rückenmarks verlaufen. Diese Verzweigungen stehen
in Kontakt mit den Verzweigungen der Dendriten motorischer
und Schaltzellen, mit welchen sie gemeinschaftlich ein äusserst
dichtes oberflächliches Geflecht bilden.
Um die Endigungen der Fasern der dorso-lateralen Bündel
zu färben, ist es erforderlich, die Färbung der Rückenmarkszellen
zu beseitigen. Ich verfuhr hierzu folgendermassen: ich schnitt
die Muskelschicht und das Arachnoidalgewebe über dem Rücken-
mark ab, liess jedoch dasselbe im Zusammenhang mit der
Chorda; derartige Stückchen aus dem Rumpfe von Ammocoetes
färbte ich alsdann. Die Endigungen der dorso-lateralen Fasern
färben sich in diesem Falle gleichzeitig mit den Fasern selber;
da die Zeilen und deren Fortsätze hierbei ungefärbt bleiben, so
resultiert ein vollkommen klares Bild der Endigungen (Taf. XXV,
Fig. 24) allein der latero-dorsalen Fasern. Bei einer vollständigen
Färbung aller Elemente des Rückenmarks ist keine Möglichkeit
vorhanden, zu entscheiden, welche Endfädchen den motorischen oder
Schaltzellen und welche den dorso-lateralen Bündeln angehören.
Die Endigungen der letzteren Fasern entgingen der Beobachtung
der anderen Forscher, welche eine möglichst vollständige Färbung
des Rückenmarks erstrebten (Retzius, Kolmer). Hieraus
entstand die Annahme eines Zusammenhangs der dorsalen Wurzeln
mit den Dorsalzellen. Meine Untersuchungen weisen darauf hin,
dass die Fasern der dorsalen Wurzeln vollkommen homolog sind
denselben bei anderen Wirbeltieren. Sie stellen zentrale Fort-
sätze extramedullärer Ganglienzellen dar, die sich im Rücken-
mark verzweigen. Im Unterschiede zu anderen Wirbeltieren
umflechten diese Endigungen bei Ammocoetes nicht unmittelbar
die motorischen Zellen, sondern gehen in den Bestand des
allgemeinen Oberflächengeflechts des Rückenmarks ein. Hier
haben sie natürlich die Möglichkeit, mit den Verzweigungen der
motorischen und Koördinationszellen in Kontakt zu treten. Die
dorso-lateralen Fasern gehören stets einer Rückenmarkshälfte an:
weder ihre Kollateralen noch ihre Endigungen überschreiten das
dorsale Bündel der entgegengesetzten Rückenmarkshälfte. Einen
Übergang von Fasern aus dem dorso-lateralen Bündel in die
634 DD. Prresijfakoft:
ventralen habe ich nicht wahrnehmen können. Die Grenze
zwischen beiden bilden die Randzellen.
In den ventralen Bündeln verlaufen ausschliesslich motorische
Fasern. Ihre Herkunft, Dickenveränderung, der Übergang in
motorische Fasern resp. die ventralen Wurzeln habe ich bereits
früher bei der Beschreibung der motorischen Zellen geschildert.
In der Mitte der ventralen Oberfläche ist ein besonderes
Fasersystem gelegen, welches von Retzius (43) erwähnt und
von Kolmer ausführlich beschrieben wird. Nach den Be-
obachtungen des letzteren ist in dem erwähnten Gebiet eine
grosse Anzahl Y-förmiger Teilungen vorhanden. Die sich auf
diese Weise teilenden Fasern haben verschiedenen Durchmesser,
einige derselben sind recht dick. Anfangs verläuft die Faser
quer an der Oberfläche des Rückenmarks. Das laterale Ende
derselben verschmälert sich zu einem kaum wahrnehmbaren
Fädchen; in einigen Fällen hat Kolmer dasselbe bis an eine
Randzelle verfolgt, das mediale Ende der Faser teilt sich, nach-
dem es die Mittellinie überschritt, Y-förmig. Beide Äste be-
schreiben einen grossen Bogen und gesellen sich zu den längs-
verlaufenden Fasern; bisweilen weisen sie Kollateralen auf. Diese
Fasern sind beiderseits im Rückenmark gelegen, sodass ihre
Bögen sich überkreuzen; der grösste Teil der Fasern der vorderen
Kommissur gehört den bogenförmigen Fasern an. PBisweilen hat
die Verzweigungsstelle der Fasern eine F- oder H-Form; da die
Äste annähernd von gleicher Dicke sind, so ist es unmöglich, die
Frage zu entscheiden, welcher derselben die Hauptfaser darstellt.
Autor nimmt an, dass sämtliche bogenförmigen Fasern Nerven-
fortsätze der Randzellen darstellen.
Einen derartigen Zusammenhang der Randzellen mit den
Bogenfasern habe ich nicht wahrnehmen können. Das laterale
Ende der queren Fasern verläuft nach der Teilung nicht immer
zum Rückenmarksrande. Am häufigsten steigt es, nach meinen
Beobachtungen, dorsalwärts auf und dringt in den Rand der
grauen Substanz in das seitliche Band der motorischen Zellen
ein. Nichtsdestoweniger bestreite ich nicht die Richtigkeit der
Beobachtungen Kolmers. In einigen Fällen teilt sich vielleicht
der Nervenfortsatz einer Randzelle Y-förmig.
Aus meinen Beobachtungen ziehe ich jedoch den Schluss,
dass die Bogenfasern besonderen Kommissurenzellen angehören,
Nervensystem von Ammocoetes. 635
welche weder durch ihre Form noch durch ihre Lagerung sich
von motorischen Zellen unterscheiden. Das laterale dünne Ende
der Faser hat genau denselben Charakter, wie der verschmälerte
Teil des typischen Neuriten einer motorischen Zelle. Ein oder
mehrere Äste der Fasern stellen Kollateralen dar und verlaufen
grösstenteils zum Rande des Rückenmarks, wo sie mit queren
varikösen Fäden im oberflächlichen Geflecht endigen; variköse
Fäden entspringen auch von den Kollateralen auf dem Gesamt-
verlauf derselben, jedoch in sehr beschränkter Zahl.
Das beschriebene System der Bogenfasern entspricht, meiner
Meinung nach, dem System der Kommissurenfasern, welche bei
keinem Vertreter der übrigen Wirbeltiere fehlt und bei Embryonen
gleichzeitig mit den motorischen Zellen auftritt (Ramön y
Cajal. Van Gehuchten (17) fand das System der Bogen-
fasern in der ventralen Kommissur des Rückenmarks von
Amphibienlarven. Fig. 16 seiner Arbeit stellt einen frontalen
Durchschnitt durch die ventrale Kommissur bei einer Färbung
nach Golgi dar; dieselbe gleicht vollkommen den Abbildungen
von den Bogenfasernsystemen von Ammocoetes und vom Neun-
auge, wie sie in den Arbeiten von Retzius und Kolmer
gegeben sind. Die Nervenfortsätze der Kommissurenzellen winden
sich unterhalb der grauen Substanz bogenförmig und teilen sich
in einen aufsteigenden und einen absteigenden, in den Vorder-
Seitensträngen verlaufenden Ast. Das endgültige Schicksal der
Äste der Kommissurenzellen ist unbekannt. Im Rückenmark von
Ammoecoetes habe ich kein einziges Mal einen Übergang der Äste
von Bogenfasern in die ventralen Wurzeln gesehen.
Die Müllerschen Fasern müssen als ein selbständiges
System angesehen werden; ihr Anfang liegt in dem Hinter- und
Mittelhirn (Mayer [33]). Das Aussehen der Faser auf Präparaten,
welche nach den neuesten Methoden angefertigt worden sind, ist
von anderen Autoren hinreichend genau beschrieben worden.
Kolmer gelang es, dieselben mit Methylenblau, welches die-
selben gewöhnlich schwer färbt, zu tingieren; Abschnitte der
Fasern entbehrten auf einer Strecke von 8000 « jeglicher
Kollateralen und Verzweigungen. Die Endigungsweise der
Müllerschen Fasern ist Kolmer unbekannt geblieben.
Ich habe die Müllerschen Fasern bis zu den letzten
Schwanzsegmenten verfolgt, wo sie sich recht plötzlich ver-
636 D..Tretjakoff:
schmälern, zu Fasern von mittlerem Durchmesser sich gestalten
und sich zwischen anderen Fasern verlieren. In den ventralen
Wurzeln werden zwischen dünnen Fasern und solchen mittlerer
Dicke in den letzten Schwanzsegmenten dicke Fasern angetroffen,
welche motorische Endigungen in den Muskeln bilden und ihren
Durchmessern nach den dicksten Müllerschen Fasern gleich-
kommen. Wahrscheinlich stellen sie die extramedullären Fort-
setzungen der Müllerschen Fasern dar. Ich möchte hier auf
die von Kolmer in sämtlichen ventralen Wurzeln beschriebenen
besonderen dicken Fasern hinweisen, welche ihren Dimensionen
nach den Müllerschen Fasern mittlerer Dicke gleichkommen.
Es könnte daher angenommen werden, dass diese Fasern die
Fortsetzung der Müllerschen Fasern mittlerer Dicke darstellen,
so dass eine Müllersche Faser einen konstanten Bestandteil
einer jeden Wurzel bildet. Auf Golgipräparaten habe ich mich
jedoch davon überzeugen können, dass die dicken Wurzelfasern
von Zellen entspringen können, welche nalıe bei der Austritts-
stelle der Wurzel gelegen sind, und welche keinerlei Beziehung
zu den Müllerschen Fasern haben. Die dicksten Fasern werden
ferner in den letzten, postanalen Segmenten angetroffen. Einige
Autoren (OÖwsjannikoff [37]) haben sich bemüht, den Unter-
schied der Müllerschen Fasern von anderen Längsfasern durch
Hinweise auf Übergangsformen auszugleichen. Ich bestehe jedoch
auf der Notwendigkeit einer strengen Scheidung des genannten
Systems. Seine Eigentümlichkeit im Verhalten zur Methylenblau-
färbung, welche bereits Retzius (43) anführt, spricht schon an
und für sich zugunsten meiner Behauptung. Wird dieser noch
die Herkunft aus dem Mittel- und Hinterhirn zugefügt, so er-
scheint das System der Müllerschen Fasern als ein vollkommen
selbständiges System, welches motorische Impulse dem einzigen
Lokomotionsorgan von Ammocoetes — dem Schwanze — zuführt.
Die Frage nach dem Vorhandensein von Hüllen an den
Längsfasern des Rückenmarks lässt Kolmer unentschieden. Er
erwähnt freilich: „Es ist nicht daran zu zweifeln, dass eine der
Marksubstanz analoge Substanz sich rings um den Achsenzylinder
nachweisen lässt“. Auf Präparaten, welche mit Osmiumsäure
gefärbt und darauf mit Holzessig behandelt wurden, erhält jede
Faser, Müllersche Fasern und ventrale Kommissurenfasern
einen deutlichen dunklen Kontur. Eine derartige Struktur wird
Nervensystem von Ammocoetes. 637
auch an Präparaten, welche nach dem Verfahren von Bielschowsky
behandelt wurden, beobachtet.
Dasselbe habe ich auf Präparaten, die nach dem Verfahren
von Ramön y ÜCajal angefertigt worden waren, sowie bei
Wiederholung der Färbung mit Osmiumsäure und Holzessig wahr-
genommen. Der dunkle Hof um den Querschnitt einer Nerven-
faser ist jedoch nach meinen Beobachtungen an Quer- und
Längsschnitten nur eine eigenartig gefärbte Neurogliascheide,
nur Neurogliafäden, die infolge der Behandlung eine dunkle
Färbung angenommen haben. Eine an die Markscheide der
höheren Wirbeltiere erinnernde Hülle ist nicht vorhanden. Wie
bereits andere Autoren, besonders Owsjannikoff (37), darauf
hingewiesen haben, so sind die Fasern des Rückenmarks von
Ammocoetes von besonderen Futteralen aus Gliafasern umgeben.
Ein anderes anatomisches Element, in welchem die von Kolmer
angenommene markartige Substanz eingelagert sein könnte, habe
ich nicht gefunden. Ich sehe keinen Grund dafür, nur infolge
der Eigenschaft dieser Gliafasern, nach gewissen Behandlungen
eine dunkle Färbung anzunehmen, dieselben für ein morpho-
logisches Homologon der Markscheide zu halten. Fettsubstanzen,
welche für eine intensive Lebensfähigkeit des Nervensystems er-
forderlich sind, werden jedenfalls im Rückenmark von Ammocoetes
angetroffen; dieses hat Kolmer selber gefunden: „Bei längerer
Einwirkung von starker Omiumsäure finden sich innerhalb der
grauen Substanz in den Ganglienzellen, Gliazellen und zwischen
denselben, manchmal intensiv schwarz gefärbte, grobe Körnchen
oft in grosser Zahl und in unregelmässiger Verteilung. Ich
möchte dieselben mit Wahrscheinlichkeit als Fett bezeichnen.
Derartige Fetttropfen werden nach meinen Beobachtungen
beständig an Präparaten beobachtet, welche in Flüssigkeiten mit
einem Gehalt an Ösmiumsäure, z. B. Flemmingscher Flüssigkeit,
behandelt worden sind. Soviel ich habe beobachten können, so
ist entgegengesetzt der Meinung von Kolmer in den Nerven-
zellen ein Fett vorhanden, seine Anwesenheit beschränkt sich
nur auf die Gliazellen in der grauen Substanz. Besonders viele
Fetttröpfchen sind in den Ependymzellen ; der Zentralkanal erscheint
auf derartigen Präparaten von einem feinen dunklen Hof von
Fetttröpfehen umgeben. Nach Behandlung der Präparate mit
Flüssigkeiten ohne Osmiumsäure und bei nachfolgender Ein-
638 D.-Tretjakoff:
wirkung von Alkohol und Äther verbleiben in den Ependymzellen
nur helle Vakuolen, welche ihrer Grösse nach den Fetttropfen
entsprechen. Bei der Bestimmung, ob in gewissen Zellen oder
zwischen solchen Fett vorhanden ist, muss der Umstand berück-
sichtigt werden, dass das Mikrotommesser die durch Osmium-
säure geschwärzten Fettkörnchen aus den Zellen herausreisst
und sie auf dem ganzen Präparate verstreut. Derartige heraus-
gerissene Körnchen werden natürlich auch in den Ganglienzellen
ınd zwischen ihnen, wie es Kolmer beschreibt, gefunden. Ich
muss jedoch mit Entschiedenheit darauf bestehen, dass Fett-
tröpfehen sich ausschliesslich in den Ependym- und Gliazellen
vorfinden: interzelluläre Tröpfchen sind nicht vorhanden. Am
überzeugendsten sind hierfür natürlich Zelloidin-Paraffinpräparate ;
bei einer derartigen Bearbeitung leiden die Fettkörnchen am
wenigsten von dem Mikrotommesser; wenn auch auf derartigen
Präparatan hin und wieder ein ausserhalb der Zelle gelegenes
Körnchen vorhanden ist, so finden sich auch Anzeichen dafür,
dass es dahin zufällig gelangt ist.
Meine Beobachtungen über den Bau der Glia bestätigen
vollkommen die Ansicht von Owsjannikoff (37), welcher sich
auf Hämatoxylinpräparate stützt. Die Gliafasern winden sich
zwischen sämtlichen Nervenelementen, umflechten dieselben, ver-
zweigen sich in feinste Fibrillen, verflechten sich zu einem Netz
und bilden Futterale um die Nervenzellen und deren Fortsätze.
In den Futteralen um die Müllerschen Fasern winden. sich
die Fibrillen ringförmig in mehreren Schichten; ausserdem jedoch
sind hier auch Längsfasern vorhanden.
Die Beschreibung von Owsjannikoff kann ich nur durch
die Beobachtung vervollständigen, dass es gelingt, den Zusammen-
hang sämtlicher Gliafasern mit Gliazellen zu verfolgen. In tech-
nischer Hinsicht erwiesen mir gute Dienste ausser Präparaten
nach Hämatoxylinfärbung auch solche, welche in Chromessigsäure
fixiert und mit Safranin und Lichtgrün gefärbt worden waren.
Um ein vollständiges Bild von dem Bau des Rückenmarks
von Ammocoetes zu geben, will ich hier noch dessen allgemeine
anatomischen Kennzeichen anführen.
Vor allem fällt die flache Form des Rückenmarks auf:
dieselbe wird bei allen erwachsenen Cyclostomen angetroffen.
Bei anderen Fischen ist das Rückenmark mehr oder weniger
Nervensystem von Ammocoetes 639
zylindrisch, bei Amphioxus in Gestalt eines dreiseitigen Prismas.
Bei den Embryonen der Üyelostomen ist das Medullarrohr
prismatisch.
Phylogenetisch stellt die flache Form des Rückenmarks
natürlich eine sekundäre Erscheinung vor, ihre physiologische
3edeutung bleibt unaufgeklärt; dieselbe könnte in einer
mechanischen Anpassung gesucht werden; jedoch in mechanischer
Hinsicht ist ein flaches, horizontales, bandförmiges Rückenmark
unvorteilhaft. Wenn sich der Rumpf von Ammocoetes infolge
der Tätigkeit der Muskulatur windet, so müssen die Ränder
des Rhückenmarks stark gedehnt oder komprimiert werden,
hierbei müssen jedoch auch die Rückenmarkselemente gedehnt
oder komprimiert werden. Ich stelle mir vor, dass die Ursache
der flachen Form des Rückenmarks in der Ernährungsweise des-
selben liegt. Nach den Untersuchungen vieler Forscher sind
innerhalb des Rückenmarks der Petromyzonten absolut keine Blut-
gefässe vorhanden; dieselben treten nur im Gehirn auf. Es
entsteht somit ein Gegensatz — das Rückenmark enthält keine
Blutgefässe und behält die flache Form bei, das Gehirn enthält
Gefässe und erreicht im allgemeinen Zylinderform. Ich denke
mir, dass zwischen den angeführten Merkmalen ein kausaler
Zusammenhang existiert. Die flache Form des Rückenmarks
erleichtert am besten seine Ernährung aus dem oberflächlichen
Gefässnetz. Dies ist in Vollkommenheit von Sterzi (52, 53)
beschrieben und abgebildet worden: es genügt, die Abbildungen
des Autors zu verfolgen, um eine vollkommen entsprechende
Verteilung der Kapillaren und der Nervenzellen zu finden. In
dem ventralen Netze werden zwei seitliche Streifen feiner
Kapillarschlingen und ein mittlerer Streifen in der Längsrichtung
des Rückenmarks aus gestreckten grossen Schlingen feinster
Arterienästchen unterschieden. Beide seitlichen Streifen ent-
sprechen genau den Zellbändern der ventralen Stränge. Der
mittlere Streifen ohne Kapillaren liegt über der ventralen, zell-
armen Kommissur.
Im dorsalen Netze erreichen die Kapillarschlingen die
grösste Dichte in den lateralen Zonen, wiederum entsprechend
der Anordnung der grössten Mengen von Zellen. Der mittlere
Streifen wird besser als auf der ventralen Seite mit Blut ver-
sorgt und ist von einer grossen Zahl von Kapillaren bedeckt.
640 D. Dretjakoff:
Das Vorhandensein der Dorsalzellen bedingt offenbar einen Blut-
zufluss. Die Arterienästchen bilden sogar längs der Mittellinie
der dorsalen Oberfläche gleichsam eine kontinuierliche Kette —
ein Längsgefäss.. Die Venen entstehen nicht nur vom Rande
des Netzes, sondern auch aus der Mittelzone; der Blutabfluss
ist hier noch besser gesichert als auf der ventralen Seite.
Ich habe die Untersuchungen von Sterzi in extenso
angeführt, um auf die grosse Abhängigkeit der Ernährung des
Rückenmarks und der Anordnung seiner Elemente hinzuweisen.
Es ist natürlich auch vollkommen zulässlich, dass die Form des
Rückemmarks von seiner Ernährung abhängt oder besser für
seine Ernährung angepasst ist. Auf Grund meiner Annahme
wird es auch einleuchtend, warum das Rückenmarksband in
einer horizontalen Ebene angeordnet ist. Für die Ökonomie des
Organismus ist es wichtig, dass die Gefässe baldmöglichst ihren
Bestimmungsort erreichen; dieses wird jedoch am besten durch
die hier vorliegende Lagerung des Rückenmarks erzielt. Irgend-
welche mechanischen Prinzipien sind hierbei nur von äusserst
geringer Bedeutung. Ammocoetes bewahrt nicht und strebt
auch nicht dahin, eine bestimmte Lagerung seiner dorso-ventralen
Achse zu bewahren. Im Ruhezustande liegt er gewöhnlich auf
der Seite, schwimmt jedoch gewandt mit der Rückenseite nach
oben oder nach unten gerichtet.
Möglicherweise hängt die besondere Anordnung der Dendriten
der Nervenzellen, ihre Tendenz, sich durchaus in den oberflächlichen
Schichten des Rückenmarks zu verzweigen, von der Ernährung ab.
Die Nahrungssubstanzen des Blutes gelangen zunächst in die
Endverzweigungen der Dendriten und werden durch die Ver-
mittlung dieser den Zellen übergeben. Im Rückenmark vom
Neunauge tritt besonders deutlich die Rolle der Dendriten als
eine Anpassung für die Vergrösserung der Ernährungsoberfläche
der Zelle hervor. Damit wird auch die Bildung des oberflächlichen
Netzes der Endverzweigungen, welche dem Rückenmark des
Neunauges im Vergleich zu den höheren Wirbeltieren einen
besonderen Charakter verleiht, im allgemeinen verständlich.
Die mechanische Aufgabe des Rückenmarks kann in An-
passungen an eine Streckung und Kompression bei den Körper-
bewegungen bestehen. Eine derartige Anpassung ist in der
Anordnung der Dendriten und Endfäden, besonders bei den
Nervensystem von Ammocoetes. 641
motorischen und amakrinen Zellen des I. Typus, gegeben. Die
Endfäden der Dendriten ordnen sich nach Möglichkeit in einer
Frontalebene an. Bei einer jeglichen Streckung der Ränder des
Rückenmarks können derartige frontale Systeme auf verschiedene
Winkel ohne Gefahr des Risses der Fäden sich voneinander ent-
fernen. Würden sich die Fäden am Rande des Rückenmarks in
der Längsrichtung ausbreiten, so würden sie stets Gefahr laufen
zu zerreissen.
Die Dendriten der Zellen des II. und III. Typus, welche in
der Längsrichtung des Rückenmarks verlaufen, unterscheiden sich
durch besondere Dicke und Festigkeit; deren Endverzweigungen
ordnen sich jedoch wiederum in Frontalebenen an. Die längs-
verlaufenden Fasern zeichnen sich durch ihren ziekzackförmigen
Verlauf aus; bei der Streckung des Rückenmarks zerreissen sie
folglich nicht, sondern werden gestreckt. An der Austrittsstelle
der Wurzeln, besonders der ventralen, ist noch eine Besonderheit
zu erkennen: die Fasern sind stark verdickt. In den dorsalen
Wurzeln ist diese Verdiekung weniger scharf und voll ausgeprägt,
da die Wurzeln näher zur Mittellinie des Rückenmarks in den-
selben eindringen, wo eine Streckung der Ränder keine grossen
Deformationen bewirkt. Um so deutlicher ist die Verdickung
der ventralen Wurzeln, welche näher zum Rande in das Rücken-
mark eindringen. Das System der Müllerschen Fasern kann
als eine besondere Anpassung gegen das Durchreissen eines
wichtigen Systems, welches die Schwanzmuskulatur mit dem
Gehirn, mit den Zentren der höheren Sinnesorgane, verbindet,
angesehen werden. Die besondere Mächtigkeit der Fasern und
die Festigkeit ihrer Neurogliascheide haben meiner Meinung
nach zunächst die Bedeutung, diesem Fasersystem eine mechanische
Festigkeit zu verleihen. Derartige Fasern können natürlich,
ohne dass für sie die Gefahr eines Risses vorliegt, gestreckt
verlaufen. Bei einer detaillierten Betrachtung der Anordnung
der Zellen und ihrer Verzweigungen können noch viele Kenn-
zeichen gefunden werden, welche vom Standpunkte einer
mechanischen Anpassung leicht erklärlich sind. Die angeführten
Beispiele sind, denke ich mir, hinreichend, um die Besonderlich-
keiten des Aufbaues des Rückenmarks der Üyelostomen, welche
das Nervensystem nicht als solches charakterisieren, sondern in
Berücksichtigung der mechanischen und trophischen Bedingungen,
642 DER° TER AK RL:
in denen es sich befindet, klar zu stellen. Ausser diesen sind
natürlich noch morphologische Kennzeichen vorhanden, welche
ausschliesslich durch die Aufgabe des Rückenmarks, Nerven-
erregungen weiterzuleiten, bedingt sind. Im Nervensystem eines
jeden Tieres müssen voneinander streng geschieden werden die
Eigentümlichkeiten des Baues, welche das Nervensystem als
solches im Zusammenhang mit dessen speziellen Aufgaben
charakterisieren, von den Anpassungen rein mechanischen und
trophischen Charakters. In Abhängigkeit von einem besonderen
Körperbau, von besonderen Lebensbedingungen schwanken die
letzten zwei Faktoren in beträchtlichem Maße.
Die spezielle Aufgabe des Nervensystems bleibt stets dieselbe,
der Bau dieses, welcher zur Erfüllung jener Aufgabe erforderlich
ist, bleibt auch derselbe. Unsere Aufgabe besteht vor allem
darin, aus der Mannigfaltigkeit der Tatsachen das Grundprinzip
des Aufbaues unabhängig von sekundären Veränderungen zu er-
fassen. Nur in dem Falle, wenn die Problemfrage strikt gestellt
ist, erhalten die Annahmen einer Homologie gewisser histologischer
Elemente des Nervensystems bei den verschiedenen Tieren einen
höheren Wert. Im entgegengesetzten Falle liegt die Gefahr vor,
dass konvergente Erscheinungen, welche in verschiedenen Fällen
durch verschiedenartige Bedingungen hervorgerufen werden, als
homolog anerkannt werden. Meinen Versuch halte ich natürlich
in bezug auf das Rückenmark von Ammocoetes als nicht voll-
kommen erschöpfend. Es bleibt noch ein weites Feld dem
Experiment beibehalten. Nichtsdestoweniger habe ich auf die
angegebene Weise versucht, das Problem einzuteilen und aus
einer Betrachtung über Homologie diejenigen Merkmale auszu-
schliessen, welche für das Nervensystem nur einen zufälligen
Charakter haben.
Viele Forscher suchen energisch den Gedanken durchzu-
führen, dass das Studium der nıederen Formen der Tiere nicht
nur die physiologischen Probleme nicht erklärt, sondern im
Gegenteil neue Schwierigkeiten schafft; nur eine vollkommen
deutlich ausgeprägte Differenzierung der Funktionen im Zusammen-
hang mit der morphologischen Differenzierung ergibt die erfass-
baren Kennzeichen, welche mit Erfolg von der Physiologie aus-
genutzt werden können. Ich denke mir, dass eine derartige
Ansicht ausschliesslich auf einer Nichtbeachtung des von mir
05)
Nervensystem von Ammocoetes. 645
angeführten Prinzipes einer strengen Sichtung des wesentlichen
von dem unwesentlichen begründet ist. In Berücksichtigung der
Erfolge der Anatomie und Embryologie, deren Grund gerade die
Erforschung der niederen Formen ist, klingt die Behauptung
über die Nutzlosigkeit derartiger Arbeiten für die Physiologie
geradezu paradox. Es genügt ja, sich der Erfolge beider Wissen-
schaften zur Zeit Johannes Müllers, des allgemeinen Ver-
treters beider, zur Zeit, als die vergleichende Anatomie die
sicherste Stütze der Physiologie bildete, zu erinnern.
Seit der Zeit Golgis werden in dem Rückenmark der
Wirbeltiere zwei Haupttypen von Nervenzellen unterschieden,
und zwar: Zellen mit kurzem Nervenfortsatz und Zellen mit
langem Nervenfortsatz. Bei den letzteren werden noch drei
Untertypen angegeben — motorische Zellen, Kommissurenzellen
und Strangzellen. Im allgemeinen wird angenommen, dass die
Kommissurenzellen und die Strangzellen dieselbe Funktion aus-
üben, wobei sie sich nur durch den Verlauf ihrer Nervenfortsätze
unterscheiden. Retzius (45) schlägt vor, dieselben „Kommissuren-
strangzellen und direkte Strangzellen“ zu nennen. Die Nerven-
fortsätze beider Faserarten verzweigen sich wahrscheinlich in
verschiedenen Gebieten des Zentralnervensystems. Ich folge
nicht dem allgemeinen Schema. Bei Ammocoetes sind die Be-
ziehungen der Zellen zueinander dermassen einfach und klar,
dass die Zellen ihrer Funktion nach unterschieden werden
können. Beim Studium der Elemente des Nervensystems werden
wir vor allem von der Überzeugung ihres funktionellen Zu-
sammenhanges geleitet: „Si les cellules nerveuses sont, en m&me
temps, les organes d’origine des fibres nerveuses et les corps
el&mentaires ol se deploient les activites specifiques qui la phy-
siologie attribue aux centres nerveux, il est naturel de rechercher
dans la nature et dans les rapports matcriells de ces mömes corps
elementaires le m&canisme qui explique la connection fonctionnelle
dont il s’agit“. Diese Worte von Golgi (18) rechtfertigen am
besten die Bezeichnung der Nervenzellen nicht nach ihren topo-
graphischen Merkmalen, sondern nach ihrer erwiesenen Funktion.
In Befolgung dieses Prinzips teile ich die Zellen des Rücken-
marks in motorische Koördinationszellen und Assoziationszellen
ein. Da jedoch die allgemeine Funktion der Nervenzellen und
-fasern in der Weiterleitung nervöser Erregungen auf ver-
Archiv f. mikrosk. Anat, Bd. 73, 42
644 D. Tretjakoff:
schieden weite Entfernungen besteht, so ist es erforderlich, diese
physiologischen Gruppen noch weiter nach topographischen Merk-
malen zu teilen. Als topographische Merkmale nehme ich die
Lagerung der Zellen im Rückenmark und die Verteilung der
Dendriten an.
Bei Abwesenheit von Extremitäten offenbart Ammocoetes
nur eine Bewegung — die Bewegung des ganzen Körpers, welche
durch aufeinanderfolgende Kontraktionen sämtlicher Körpermuskeln
bedingt wird. In jedem Punkt des Rückenmarks muss die Nerven-
erregung auf gleichem Wege den motorischen Zellen übergeben
werden. Von wo die Empfindung ausgehen mag, die durch
dieselbe hervorgerufene Nervenerregung muss das ganze Rücken-
mark erfassen. Die Abtrennung des Kopfes alteriert durchaus
nicht den Charakter der Körperbewegungen, in der ersten Zeit
nach der Operation stimuliert dieselbe sogar energische Kon-
traktionen. Selbst nach drei bis vier Stunden winden sich die
dekapitierten, an der Luft liegenden Ammocoetes, gleichwie
lebende, auf jede Berührung hin. Das Nervensystem dieser Tiere
spiegelt, nach meinen Beobachtungen, seinem Bau nach den Zu-
sammenhang der Nervenelemente wieder, welcher in Berück-
sichtigung des Charakters der Bewegungen erwartet werden
kann. Wie auch bei anderen neurologischen Forschungen, nach
dem autoritätvollen Ausspruch von Golgi, so verwandelt sich auch
hier die physiologische Frage in eine speziell histologische Aufgabe.
In dem Rückenmark von Ammocoetes finde ich die Neuronen-
theorie in vollkommener Ausführung. Sowohl Kolmer als ich
haben freilich zwischen den Dorsalzellen paarweise verbundene
Zellen beobachtet. Der sich in mancher Hinsicht offenbarende
degenerative Charakter des dorsalen Kernes gibt jedoch nicht
das Recht, für diese Zellverbindung desselben eine prinzipielle
Bedeutung anzuerkennen. Eine derartige paarweise Verbindung
von Zellen befriedigt jedenfalls nur wenig die Ansichten der
Gegner der Neuronentheorie. Der Kontakt der Verzweigungen
der Nervenzellen geht hauptsächlich in dem oberflächlichen
Geflecht vor sich. Im Geflecht der dorsalen Oberfläche des
Rückenmarks beteiligen sich einerseits die zentralen Fasern der
extramedullären Ganglienzellen, andererseits die Dendriten der
motorischen und Schaltzellen. Die motorischen Zellen nehmen
die Erregung durch Vermittlung ihrer Dendriten unmittelbar
Nervensystem von Ammocoetes. 645
von den Fasern der dorsalen Wurzeln auf. Je nach dem
Typus sind die motorischen Zellen mit einem oder einer
grösseren Anzahl von Verbreitungsgebieten der sensiblen Fasern
verbunden. Welche Bedeutung haben in diesem Falle die
Schaltzellen, welche sich im Gebiet der dorsalen Stränge
verzweigen? Ihre Fortsätze werden nur in seltenen Fällen
— bei den Zellen des III. Typus und bei den Dorsalzellen —
zu längsverlaufenden Rückenmarksfasern. Sie verbinden grössten-
teils die dorsalen Stränge mit den ventralen oder richtiger mit
dem oberflächlichen Geflecht der ventralen Stränge. Dieses
Geflecht besteht aus Dendritenverzweigungen motorischer Zellen
und der Kollateralen der Bogenfasern. Die am Geflecht be-
teiligten Koördinationszellen übergeben indirekt die Reizung von
den dorsalen Wurzeln auf die motorischen Zellen.
Die Abwesenheit des Markes an den Nervenfasern des
Rückenmarks sowie überhaupt das Fehlen einer jeglichen Hülle
an denselben ist wahrscheinlich von Einfluss auf die Leitungs-
bedingungen der Nervenreizung. Die Schaltzellen, deren Fort-
sätze zwischen den Müllerschen Fasern verlaufen, umflechten
mit ihren Endverzweigungen die letzteren. Wahrscheinlich
ist überhaupt ein funktioneller Zusammenhang zwischen den
Längsfasern und den Endigungen des Geflechtes zwischen ihnen
vorhanden. Unter diesen Bedingungen übt jede Erregung der
Fasern der weissen Substanz einen Einfluss auf diejenigen Nerven-
zellen aus, mit deren Dendriten sie in Kontakt stehen. Beim
Fehlen eines gut entwickelten Systems von Strangzellen ist
anders die Regelmässigkeit einer Verbreitung der Erregung auf
das ganze Rückenmark von jedem beliebigen Punkt aus schwer
verständlich. Bei Ammocoetes ist nur ein Reflex vorhanden —
der Reflex des ganzen Körpers; das Gesamtnervensystem steht zu
Diensten dieses Reflexes. Bestimmte, mehr oder weniger in sich
abgeschlossene Neuronensysteme, welche gewisse Reflexe bedingen,
sind bei Ammocoetes nicht vorhanden. Alle Rückenmarkselemente
sind auf irgendeine Weise in ein System verbunden. Dasselbe er-
scheint verwirrt infolge einer äusserst ökonomischen Anordnung der
Elemente im Zusammenhang mit ihren Ernährungsbedingungen.
Die Hauptresultate meiner Untersuchung sind folgende:
In dem Rückenmark von Ammocoetes unterscheide ich drei
Typen motorischer Zellen. Die Dendriten der Zellen des I. Typus
42*
646 DITretjakorft:
verzweigen sich in einem schmalen Quergebiet des Rückenmarks,
welches an Höhe kaum die Dicke der Zelle selber übertrifft.
Die Zellen des II. und III. Typus entsenden ihre Dendriten in
der Längsrichtung des Rückenmarks auf mehr oder weniger
weite Entfernungen.
Die Koördinationszellen entsprechen nur zum Teil den Strang-
zellen bei anderen Tieren; nach der Anordnung ihrer Dendriten
zerfallen sie auch in drei Typen. Bloss bei einer Gruppe der
Zellen des III. Typus kann einer der Fortsätze als Nerven-
fortsatz angesprochen und die Zellen als echte Strangzellen
bezeichnet werden. Bei den anderen Koördinationszellen unter-
scheidet er sich durchaus nicht von Dendriten, die Zellen stellen
amakrine Zellen dar. Die Zellen des dorsalen Kernes — die
Hinterzellen der Autoren — stellen einen Typus von Asso-
ziationszellen vor und haben keine unmittelbare Beziehung zu
den dorsalen Wurzeln.
Die Kommissurenfasern (der vorderen Kommissur) gehören
aller Wahrscheinlichkeit nach besonderen Zellen an, welche ihrer
Form nach sich nicht von den motorischen Zellen unterscheiden
und zu den Assoziationszellen gehören.
Ein Kontakt geht vermittelst der Endfäden der Zellfort-
sätze vor sich. Ausserdem umflechten die Endfäden, indem sie
sich zwischen den nackten Achsenzylindern verzweigen, dieselben
und stehen augenscheinlich mit ihnen in Kontaktverbindung.
Die Fasern der dorsalen Wurzeln entstehen nicht aus den
Dorsalzellen, sondern gelangen ins Rückenmark von extra-
medullären Zellen und endigen in ihm in Endverzweigungen.
Das Rückenmark von Ammocoetes ist, meiner Meinung
nach, im Prinzip ebenso aufgebaut wie das Rückenmark eines
beliebigen anderen niederen Wirbeltieres bis zu den Reptilien
einschliesslich, worauf ich in einem weiteren Kapitel näher ein-
gehen will. i
Untersuchungen anderer Forscher.
Bei Aufstellung der Typen der Nervenelemente im Rücken-
mark von Ammocoetes habe ich nur die Einzelheiten des Baues
derselben und der Anordnung der Zellen und Fasern be-
schrieben, welche für diese Typen charakteristisch sind. Von
anderen Forschern ist eine Menge anderer Einzelheiten beschrieben
Neryensystem von Ammocoetes. 647
worden, welche eine vollere Vorstellung von der Mannigfaltigkeit
des äusseren Anblicks der Nervenzellen des Rückenmarks von
Ammocoetes geben. Ich habe nicht die Absicht, diese Einzel-
heiten hier zu wiederholen, sondern will mich nur bemühen, das
grosse Literaturmaterial zu systematisieren, in Rücksicht auf die
von mir festgestellten Typen.
Die Forscher früherer Zeiten entschieden höchst einfach
die Frage über den Zusammenhang der Zellen mit den Fasern.
Owsjannikoff schreibt z. B. in seiner Arbeit über diese Frage:
„Ab unaquaque cellula, id quod plane animadvertere possumus,
una fibra ad partem auteriorem, altera ad posticum porrigitur,
quo facto ambae e medulla spinali proveniunt, nervi spinalis
radices appellatae“ (36).
Die Nervenfasern entspringen im Rückenmark von Ammo-
coetes dermassen, dass es unmöglich ist, ihren Zusammenhang mit
Nervenzellen auf einem feinen Querschnitte zu sehen. Diese
Unmöglichkeit war sofort von denjenigen Forschern konstatiert
worden, welche imstande waren, die ihnen zugänglichen Forschungs-
methoden bis zu den äussersten Grenzen auszunutzen; dieselben
zogen daher ihre Schlüsse auf Grund einer grossen Anzahl von
Präparaten. Zu diesen Forschern gehört vor allen E. Reissner
(41). Von seinen Untersuchungen an beginnt tatsächlich die
faktische Kenntnis des Baues des Rückenmarks der Cyelostomen.
Die motorischen Zellen hat Reissner unter der Bezeich-
nung der äusseren grossen Nervenzellen beschrieben. Nach den
Worten dieses Autors, wechselt ihre Form von einer spindel-
förmigen bis zu einer sechsseitigen; die Zahl der Fortsätze er-
reicht sechs. Die Fortsätze konnten natürlich nur auf kurze Strecken
verfolgt werden. Reissner nimmt eher einen Zusammenhang
der Zellen mit den Fasern der ventralen Wurzeln an. Auf drei
Figuren bildet er Zellen mit Fortsätzen ab, von welch letzteren
(nach seiner Terminologie) der eine nach aussen und unten zum
unteren Rande des Rückenmarksquerschnittes verläuft; dem Fort-
satz entgegen ziehen die Fasern der ventralen Wurzeln. Einmal
gelang es jedoch diesem Forscher den erwähnten Zellfortsatz
über den Rand des Rückenmarks hinaus „in die motorische
Wurzel selber“ zu verfolgen. Soviel ich nach der Abbildung
beurteilen kann, so entspricht das Aussehen der von Reissner
648 DIDTEerT AK TT:
angenommenen Nervenfaser sehr wenig dem Tatsächlichen, infolge-
dessen ich die Beobachtung von Reissner als zweifelhaft ansehe.
Reissner beobachtete mit Owsjannikoff (36) die
Dendriten der motorischen Zellen in der vorderen Rückenmarks-
kommissur stets ventral vom Zentralkanal, hat jedoch im Gegen-
satz zuQOwsjannikoff niemals eine Verbindung der Dendriten
mit Zellen der entgegengesetzten Seite gesehen. Er hält ferner
gleichermassen für Dendriten diejenigen queren Fasern der vorderen
Kommissur, deren Verbindung mit Zellen er nicht hat feststellen.
können. Er bezeichnet diese Fasern als — „bald kürzere, bald
längere Achsenzylinder“, wahrscheinlich auf Grund irgendwelcher
Kennzeichen, durch welche sie sich von einfachen Zellfortsätzen
unterscheiden. Wahrscheinlich hat er jedoch keine Dendriten,
sondern die echten Nervenfasern der ventralen Stränge gesehen.
Rätselhaft bleibt für mich die Beschreibung der Zellfort-
sätze, welche gerade nach aussen oder schräg nach aussen und
oben oder sogar nach aussen und unten verlaufen. Reissner
hält auch diese Fortsätze für Verbindungsbahnen der Vorder-
und Seitenstränge mit motorischen Zellen; er homologisiert diese
Fortsätze mit denjenigen Nervenfasern im Rückenmark der
Wirbeltiere, welche von der grauen Substanz radiär in die Seiten-
und Vorderstränge verlaufen. Reissner behauptet, dass er in
einigen Fällen einen Zusammenhang der Radiärfasern mit den
grossen Nervenzellen, d. h. den motorischen Zellen, hat wahr-
nehmen können. Tatsächlich jedoch gibt es an den motorischen
Zellen keine streng radiär auseinanderziehenden geraden Fortsätze;
ich vermute, dass Autor durch stark tingierte Neurogliafasern
irregeleitet worden war.
In den Untersuchungen von Nansen (35) und Retzius
(43) über das Rückenmark von Myxine sind die Zellen zu wenig
charakterisiert: es wird nur auf ihre Grösse und Lagerung
hingewiesen. Diese Kennzeichen genügen natürlich nicht, um
zwischen den von beiden Forschern beschriebenen und abgebildeten
Zellen tatsächlich motorische Zellen aufzufinden. Nansen arbeitete
vermittelst der Methode von Golgi, Retzius ausserdem noch
mit der Methylenblaumethode. Die Vorteile dieser Methoden
treten natürlich in den Untersuchungen beider Forscher hervor.
Nansen erhielt vollständige Bilder von der Anordnung der
Zellfortsätze und versuchte zwischen denselben Neuriten und
Nervensystem von Ammocoetes. 649
Dendriten zu unterscheiden. Retzius beschrieb die Endigung
der Fortsätze auf der Oberfläche des Rückenmarks in Gestalt
von queren varikösen Fäden. Nichtsdestoweniger war es beiden
Forschern nicht gelungen, die Beziehungen der Zellen zu den
Nervenfortsätzen und Wurzeln klarzustellen.
Die von beiden Autoren beschriebenen grossen und ein
Teil der kleinen Nervenzellen entsprechen wahrscheinlich den
motorischen Rückenmarkszellen von Ammocoetes. Diese Frage
absolut bestimmt zu entscheiden, ist schwierig, da Nansen den
Begriff eines „gemischten Fortsatzes“ einführt. Darunter be-
schreibt er einen Zellfortsatz, der seinem Aussehen nach einem
Dendriten entspricht; aus seinen Verzweigungen entsteht jedoch
ein echter Nervenfortsatz.
Retzius untersuchte zum Teil gleichfalls Neunaugen und
bestelt auf der vollkommenen Baugleichheit des Rückenmarks
derselben mit demjenigen von Myxine. In seltenen Fällen war
es ihm gelungen, einen Übergang des Zellfortsatzes in einen
charakteristischen Nervenfortsatz zu sehen. In anderen Fällen
konstatiert er die Anwesenheit eines gemischten Fortsatzes im
Sinne Nansens.
Der Ursprung der Nervenfaser hat im Rückenmark von
Ammocoetes nichts gemein mit den Dendriten und ich nehme
an, dass „der gemischte Fortsatz“ von Nansen und Retzius
ein Missverständnis ist. Soweit aus den Figuren und dem Text
geschlossen werden kann, handelt es sich hier um Zellen des II.
und Ill. Typus; unvollkommen gefärbte Dendriten waren von den
Forschern für Nervenfortsätze gehalten worden. Der Ursprung
des Nervenfortsatzes ausschliesslich bei den Zellen des II. Typus
kann in einem gewissen Grade an einen Dendriten erinnern,
wenn von demselben Kollateralen abgehen, jedoch nicht in dem
Maße, dass ein besonderer Typus der Zellfortsätze, „ein gemischter
Fortsatz“, geschaffen werden muss.
Für ein wenig wesentliches Merkmal halte ich den von
beiden Autoren beschriebenen „Stammfortsatz“ der motorischen
Fortsätze, welcher seitlich Nebendendriten absendet. Wenn
derartige Dendriten auch angetroffen werden, so erscheinen sie
mehr als einfache Fortsetzung des Zellkörpers. Für die Zellen
sind sie überhaupt wenig charakteristisch: bloss bei den
motorischen Zellen des III. Typus erhalten sie eine besondere
650 DıBretjakoff:
Entwicklung; diese Zellen fehlen jedoch gerade in der Beschreibung
beider Autoren. |
Die den motorischen Zellen angehörigen Randzellen werden
von Reissner und von Retzius erwähnt.
Die zweite Arbeit von Owsjannikoff (37) zeichnet sich
durch eine sorgfältige Charakteristik der Nervenelemente des
Rückenmarks von Neunaugen aus. Das Aussehen der Zellen
und die Ausbreitung der Fortsätze werden nach Quer- und
Längsschnitten des Rückenmarks, sowie nach Totalpräparaten
beschrieben. Nach der Beschreibung und den Photogrammen
können die Zelltypen leicht erkannt werden.
Eine typische motorische Zelle mit dem Anfangskegel des
Nervenfortsatzes ist auf Fig. 15 abgebildet, der Verfasser gibt
jedoch in der Figurenerklärung keine nähere Erklärung derselben.
Im Text ist der Ursprungskegel denjenigen Fortsätzen der Zelle
zugezählt, welche in Längsfasern übergehen. Der Verfasser
spricht ihnen jedoch nicht die Bedeutung von motorischen
Fasern zu; aus dem unklar abgefassten Text scheint hervor-
zugehen, dass er das Vorhandensein zweier derartiger Fortsätze
an einer Zelle annimmt. „Der dritte und vierte Fortsatz gehen
in die Längsnerven, der eine in der Richtung des Kopfes, der
andere zum Schwanze des Tieres.“ Dass es sich hier um die
Nervenfortsätze motorischer Zellen handelt, darauf weist folgende
Bemerkung des Verfassers hin: „Nur die in die weisse Substanz
sich begebenden, um zu Längsfasern des Markes zu werden,
verzweigen sich seltener“. Der Verfasser ist eher geneigt, die
lateralen Fortsätze der Zellen für motorische Fasern anzuerkennen:
einige Fortsätze ein bestimmtes, leicht erkennbares Ziel
verfolgen, ız#Bin..L.uH: nach aussen streben, um das Mark als
vordere Wurzelfasern zu verlassen.“ Den Längsfasern spricht er
somit offenbar Assoziationsfunktionen zu. Tatsächlich ist jedoch
die Bedeutung der Fortsätze gerade die entgegengesetzte.
Den vorher erwähnten Forschern nachfolgend unterscheidet
Owsiannikoff im Rückenmark vom Neunauge vier Typen von
Zellv ı: grosse, kleine, Hinterzellen und Zellen des Seitenstranges.
Zwe: Typen, der erste und der letzte, entsprechen meinen
mot‘ ischen Zellen. Meinem I. Typus gehören die Zellen an,
welc e nach der Ansicht von Owsjannikoff mit ihrer Längs-
achs+ quer im Rückenmark liegen. Nach der Beschreibung des
Nervensystem von Ammocoetes. 651
Verfassers weist eine derartige Zelle auf Längsschnitten in
typischen Fällen vier Fortsätze auf. Der eine, äussere verläuft
parallel der dorsalen und ventralen Rückenmarkstläche in querer
Richtung zum äusseren Rande, der zweite desgleichen quere
Fortsatz zieht in die andere Rückenmarkshälfte und endigt in
Verzweigungen. Der dritte und vierte Fortsatz geht in Längs-
fasern des Rückenmarks über. Hinsichtlich der Bedeutung,
welche Owsjannikoff dem äusseren und den Längsfortsätzen
zuschreibt, habe ich bereits bei Besprechung der Fig. 15 seiner
Arbeit hingewiesen.
Bei der Beschreibung deyselben Zellen auf Querschnitten
unterscheidet Verfasser bereits drei Arten äusserer Fortsätze.
Der eine von ihnen verläuft zur oberen Fläche des Rückenmarks
und bildet auf seinem Verlauf eine grosse Zahl von Verzweigungen.
Der andere, untere Fortsatz verzweigt sich in der unteren
Rückenmarkshälfte, wobei ein Ast desselben sich in eine Faser
der vorderen Wurzel umwandelt. Der dritte Fortsatz zieht zur
äusseren Kante der weissen Substanz.
Die von mir beschriebenen motorischen Zellen des II. und
Ill. Typus sind desgleichen von Owsjannikoff angegeben
worden und zwar als Zellen, die zur Längsachse des Rücken-
marks schräg gestellt sind (Fig. 7, 11, 15) und einen dicken,
bogenförmigen Fortsatz haben.,.
Die Randzellen bezeichnet Owsjanikoff als „Zellen mit
dem Charakter der grossen vorderen Zellen“. Sämtliche Fort-
sätze dieser Zellen verbreiten sich nach der Beschreibung des
Verfassers nur in der Frontalebene. „Der eine Fortsatz ist
nach aussen, der andere nach innen gerichtet, während der
dritte die Richtung nach oben, der vierte nach unten einschlägt.“
Über die Bedeutung dieser Zellen sagt er nichts aus.
In der Arbeit von Kolmer finde ich die Zellen des
I. Typus unter den grossen, multipolaren Zellen der Seiten-
stränge. ler Ursprungskegel des Nervenfortsatzes ist auf den
Fig. 13 und 14 abgebildet, sowie im Schema wiedergegeben.
Im Texte äussert sich der Verfasser über ihn sehr vorsichtig.
„Nur in ganz vereinzelten Fällen bemerkte ich an Zellen der
eben geschilderten Art einen anscheinend wenig verzweigten,
ziemlich weit in die Längsrichtung sich erstreckenden Fortsatz,
der gleichmässig an Dicke abnahm, bis er sich zur Stärke einer
652 D. Pretjakoff:
dickeren Neurofibrille verjüngte...... Da auch die vorderen
Wurzelfasern weit von ihrem Eintritt ins Rückenmark eine Ver-
schmälerung bis auf die gleiche, geringe Dimension aufweisen —
ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie dann mit diesen Achsen-
zylinderfortsätzen zusammenhängen.“
Kolmers Annahme hat sich als richtig erwiesen. Die
Unterscheidungsmerkmale des Nervenfortsatzes sind jedoch dem
Verfasser entgangen. Nach seiner Meinung sind bei Öyelostomen
überhaupt keine von den Dendriten histologisch differenzierten
Nervenfasern vorhanden. Dieser Ansicht von Kolmer kann
natürlich nicht beigestimmt werden. Der Nervenfortsatz der
motorischen Zellen unterscheidet sich in vieler Hinsicht von den
Dendriten. Wenngleich von einem anderen Gesichtspunkte,
stimme ich dennoch dem Verfasser vollkommen zu, dass der
Ausdruck „gemischter Fortsatz“ gestrichen werden muss.
Über das Verhalten der motorischen Zellen des III. Typus
zu den von Kolmer beschriebenen Kolossalzellen habe ich
bereits oben geschrieben, desgleichen über die Zugehörigkeit
seiner Randzellen zu den motorischen Zellen. Ich habe nur
noch hinzuzufügen, dass der Verfasser sich irrtümlich die
Priorität ihrer Entdeckung zuschreibt. Owsjannikoff hat der-
artige Zellen abgebildet und dieselben den grossen Nervenzellen
zugezählt. »
Ich finde ausserdem keinen Anhaltspunkt für die Annahme
von Kolmer, dass seine Kolossalzellen ontogenetisch aus einer
Verschmelzung mehrerer Elemente entstanden sind. Ihre Ähnlich-
keit mit den Riesenzellen im Rückenmark von Amphioxus erfordert
festere und sicherere Anhaltspunkte. Der Zusammenhang der
Randzellen mit den Bogenfasern der ventralen Rückenmarks-
oberfläche ist nur eine Annahme von Kolmer.
Beim weiteren Studium der Literatur finde ich, dass auch
die Koördinationszellen bereits vor langer Zeit von den Forschern
wahrgenommen worden sind und in der Mehrzahl der Fälle von
ihnen als kleine Nervenzellen bezeichnet worden sind. Ihre Be-
deutung, ihr Zusammenhang mit Nervenfasern ist jedoch noch
weniger bekannt als diejenige der grossen Zellen.
E. Reissner hat tatsächlich als erster die kleinen Nerven-
zellen beschrieben. Einen Hinweis auf ihre Bedeutung sucht er
in der Verlaufsrichtung der Fortsätze. In einigen Fällen hatte
Nervensystem von Ammocoetes. 653
er bemerkt, dass die Verlaufsrichtung der Fortsätze der Eintritts-
stelle der dorsalen Wurzel entspricht. Auf einem Präparate hat
er sogar den Zellfortsatz bis zu der Stelle der Peripherie des
Rückenmarks verfolgt, wo die dorsale Wurzel nachblieb. Die
Betrachtungen Reissners erscheinen jetzt natürlich naiv: weder
die Verlaufsrichtung eines Fortsatzes, noch seine Annäherung an
einen Wurzelanfang können als Beweis für einen tatsächlichen
Übergang desselben in eine Wurzel dienen. Die Mehrzahl der
kleinen Nervenzellen von Reissner stellen Schaltzellen dar,
der Rest motorische Zellen mittlerer Grösse.
In der Arbeit von Retzius müssen die Schaltzellen
unter den Zellen, welche der Verfasser als „mittelgrosse“ be-
zeichnet hat, gesucht werden. Sie sind in geringer Zahl, nach
den Worten des Verfassers, in der Nähe des Zentralkanals gelegen.
Die Anordnung der Fortsätze entspricht vollkommen derjenigen
der Fortsätze der grossen motorischen Zellen; der peripherische
Fortsatz zieht entweder im Rückenmark direkt quer zum äusseren
Rande des letzteren oder verläuft zunächst eine gewisse Strecke
in der Längsrichtung, wendet sich darauf nach aussen und zieht
zur Oberfläche des Rückenmarks. Retzius hat somit alle drei
Typen der Schaltzellen gesehen.
Besondere Aufmerksamkeit widmet Owsjannikoff den
kleinen Zellen. Auf dem Querschnitt liegen nach ihm die kleinen
Zellen höher und näher zum Zentralkanal als die grossen Zellen:
„Man könnte die Zellengruppe, in welcher diese Elemente liegen,
als obere bezeichnen“. Sämtliche kleine Zellen sind nach den
Beobachtungen des Verfassers multipolar, die Verlaufsrichtung
der Fortsätze ist dieselbe wie bei den grossen Zellen. Unter
den Fortsätzen sind zwei für die Zellen besonders typisch; der
eine verläuft nach aussen in die Seitenstränge, der andere auf
die entgegengesetzte Rückenmarkshälfte über dem Zentralkanal.
Die Fortsätze einiger kleiner Zellen gehen in die dorsalen Wurzeln
derselben oder der entgegengesetzten Seite über. Derartige-
Zellen hält Owsjannikoff für homolog den von Kutschin (31),
Weliki(56) und Freud (11) beschriebenen, worin er sich jedoch
täuscht. Letztere Forscher weisen auf einen Übergang der Fort-
sätze von Hinterzellen und nicht von kleinen Zellen in die
Wurzeln hin. Er irrt desgleichen hinsichtlich des Ursprungs der
sensiblen Wurzeln; die letzteren haben gar keine Beziehung zu
654 D. Tretjakoff:
den kleinen Zellen. Die Mehrzahl der von Owsjannikoff
beschriebenen kleinen Zellen gehört den Schaltzellen, augen-
scheinlich dem I. und II. Typus derselben an; wenigstens be-
schreibt der Verfasser nur quere Fortsätze der kleinen Zellen,
obgleich er die Verbreitung der Fortsätze bei den kleinen und
den grossen Zellen für die gleiche hält.
Kolmers Beschreibung der kleinen Zellen bestätigt im
allgemeinen die Befunde der anderen Forscher, über ihre Be-
deutung und ihren Zusammenhang mit den Wurzeln drückt sich
Kolmer weit vorsichtiger als Owsjannikoff aus. Besonders
genau beschreibt Kolmer die Zellen meines III. Typus. Ihre
fünf bis acht Fortsätze verbreiten sich, nach den Beobachtungen
von Kolmer, allseitig, einige derselben gehen in Längsfasern
über; noch häufiger endigen die Fortsätze in einem Geflecht
feinster Nervenfädchen zwischen den Müllerschen Fasern oder
erreichen die Rückenmarksoberfläche, wo sie im oberflächlichen
Geflecht endigen. Einige Fortsätze verbreiten sich in ganz un-
erwarteter komplizierter Weise und sind „in mäandrischen
Linien“ zwischen dickeren Fasern gelegen. Die beschriebenen
Elemente liegen über dem Zentralkanal; sie zeichnen sich von
den gewöhnlichen kleinen Nervenzellen ausser durch andere
Kennzeichen noch durch ihre beträchtlichere ‚Grösse aus. Leider
gibt Kolmer keine Abbildung des Präparates, sondern bildet
die beschriebene Zelle im Schema des allgemeinen Baues des
Rückenmarks ab. In diesem Schema sind die Zellformen allzu
ideal gezeichnet, erinnern wenig an die tatsächlichen Formen,
wobei es natürlich schwer fällt diese Zellen dem III. Typus
meiner Schaltzellen zuzurechnen, ich tue es nur auf Grund
des Textes.
Ich gehe nun zu den Zellen des dorsalen Kernes, den
Hinterzellen der Autoren über. Diese Zellen lenkten unter den
Zellen des Rückenmarks stets die besondere Aufmerksamkeit der
Forscher auf sich: die anderen Zellen wurden, ohne augenschein-
liche Beweise, für originell gebaute Homologa der Nervenzellen
des Rückenmarks der höheren Wirbeltiere gehalten. Die „Hinter-
zellen“ erschienen rätselhafter und dem Geheimnis der Herkunft
der Wirbeltiere näherstehend. Ein besonderes Interesse gewährte
ihnen ihre Ähnlichkeit mit gewissen Rückenmarkselementen von
Amphioxus und von Fischen. Nichtsdestoweniger ist fast aus-
Nervensystem von Ammocoetes. 655
nahmslos die Bestimmung ihrer Bedeutung auf einem einzigen
Präparat, auf dem der Fortsatz einer derartigen Zelle augen-
scheinlich in die dorsale Wurzel umbiegt, begründet.
Joh. Müller (34) gab den „Hinterzellen“ die Bezeichnung
„grosse bipolare Zellen“. Stilling (54), Owsjannikoff (36),
Reissner beschrieben diese Zellenart genau auf Querschnitten.
Stilling nimmt an, dass diese Zellen nichts anderes als die
Ursprungsstätte der hinteren Wurzelfasern sein können; er be-
trachtet die „Hinterzellen“* als Gebilde, die den Zellen der
Klarkeschen Säulen im Rückenmark der Wirbeltiere homolog
sind. Eine direkte Beobachtung eines.Überganges der Fortsätze
der Zellen in die hinteren Wurzeln fehlt jedoch bei Stilling.
Weder Owsjannikoff noch Reissner beschreiben die
Verbreitung der Fortsätze dieser Zellen. Reissner beobachtet
freilich in sehr seltenen Fällen einen einzigen Fortsatz, welcher
entweder direkt nach aussen oder senkrecht nach oben zieht;
die Länge dieses Fortsatzes kommt höchstens dem grössten
Durchmesser der Zelle gleich. Über den Zusammenhang eines
derartigen Fortsatzes mit den Dorsalzellen schreibt er nichts.
Die Ansicht Stillings schien jedoch bald eine Bestätigung
in den Untersuchungen von Kutschin (31) zu finden. Letzterer
erklärt mit Bestimmtheit, dass bisweilen der Fortsatz einer
„Hinterzelle“* in die hintere Wurzel übergeht. Nach Kutschin
bildet Langerhans einen derartigen Fortsatz ab. Im Text
schreibt er desgleichen bestimmt, dass der Fortsatz in den
Anfangsteil der hinteren Wurzel verläuft. Dasselbe sah auf
seinen Präparaten Weliki (56); ausführlich beschreibt das gleiche
Verhalten Freud (11). Was Reissner nur in seltenen Fällen
feststellen konnte, findet Freud hinreichend häufig.
Der auf Querschnitten des Rückenmarks wahrnehmbare
Fortsatz entspringt von der Zelle mit einer trichterförmigen
Anschwellung. Auf seinem weiteren Verlauf erreicht der Fort-
satz die dorsale Oberfläche des Rückenmarks an der Ursprungs-
stelle der dorsalen Wurzel. Der Forsatz tritt aus derselben
Rückenmarkshälfte aus, welcher die Zelle angehört.
Freud hat ausserdem in einem Falle auf einem Längs-
schnitt den absteigenden Fortsatz einer Hinterzelle auf eine weite
Entfernung verfolgen können; der Fortsatz biegt schliesslich in
die hintere Wurzel um, d. h. erwies sich nach der Ansicht
656 DnEretjakvotf:
Freuds als ein Nervenfortsatz. Auf @Querschnitten wird bis-
weilen neben dem in die spinale Wurzel übergehenden Nerven-
fortsatz noch ein anderer Fortsatz der Zelle wahrgenommen,
welcher dorsal vom Zentralkanal auf die gegenseitige Rücken-
markshälfte zieht. Über die mögliche Bedeutung eines derartigen
Fortsatzes äusserst sich Freud gar nicht.
Die Arbeit von Freud offenbart in allen Punkten das
‚energische Bestreben des Verfassers, den Hinterzellen die Be-
deutung von Ursprungszellen der spinalen Wurzelfasern zuzu-
sprechen. Seiner Berechnung nach kommen auf jede Wurzel
ca. 7—13 Zellen, während die Zahl der Wurzelfasern, desgleichen
nach seiner Zählung, beträchtlich grösser bis zu 30 ist. Diese
Inkongruenz wird dadurch erklärt, dass im verlängerten Marke
oder im Gehirne selber eine grosse Anzahl von Hinterzellen oder
denselben gleichwertige Elemente vorhanden sind. Deren Nerven-
fasern senken sich im Rückenmark bis zu den spinalen Wurzeln
hinab. Der Verfasser lässt jedoch auch eine andere Möglichkeit
gelten — dass nicht alle Fasern der spinalen Wurzeln aus Hinter-
zellen stammen, sondern dass dieselben Fasern verschiedener
Herkunft enthalten können.
In der Arbeit Freuds vermute ich trotz ihrer scheinbaren
Genauigkeit einen fatalen Irrtum, wobei meine Meinung jedoch
nicht vereinzelt dasteht. Fr. Ahlborn (1) hat bereits im
Jahre 1883 einen Zweifel darüber ausgesprochen, dass die
Freudschen Hinterzellen mit den Hinterzellen der Autoren
identisch sind. Die auf dem Querschnitt durch das Rückenmark
von Ammocoetes abgebildeten Freudschen Hinterzellen sind
nach der Meinung von Ahlborn ausserhalb der Sphäre gelegen,
in welcher bei Petromyzon die seit Joh. Müller bekannten
„Bipolarzellen“ oder die grossen mittleren Zellen von Reissner
liegen. Ahlborn hält es für wahrscheinlich, dass die Hinter-
zellen von Freud der von Retzius aufgestellten Kategorie der
kleinen Zellen angehören. Die Beobachtungen von Freud fallen
somit vollkommen mit den Beobachtungen von Reissner zu-
sammen.
Ich stimme der Ansicht Ahlborns vollkommen bei. Einen
3eweis für den Irrtum von Freud sehe ich noch darin, dass
dieser Forscher einen Fortsatz an den betreffenden Zellen be-
schreibt, welcher dorsal vom Zentralkanal auf die gegenseitige
Nervensystem von Ammocoetes. 657
Rückenmarkshälfte verläuft. Derartige Fortsätze an den Hinter-
zellen beschreibt ausser Freud kein anderer Forscher. Fortsätze
kleiner Zellen mit einer derartigen Verlaufsrichtung sind bereits
von Reissner beschrieben worden.
Freud hat natürlich auch die wahren Hinterzellen beobachtet,
da er ihre scheinbare Bipolarität wahrgenommen hat. Er hat sich
jedoch ihre charakteristischen Merkmale nicht hinreichend klar
vorgestellt, sie mit kleinen Zellen verwechselt oder eher einige
kleine Zellen den Dorsalzellen zugerechnet.
Der Einfluss des Fehlers von Freud erstreckt sich auf die
Arbeit von Owsjannikoff, welcher diesen Autor zitiert, ohne
die Kritik Ahlborns zu berücksichtigen. Owsjannikoff weiss
offenbar nicht, welche Zellen Freud meint. Er wiederholt die
Ansicht Freuds von der Herkunft der spinalen Wurzelfasern
sowohl in Anlass der kleinen Nervenzellen als auch der Dorsal-
zellen. — Im ersteren Falle beruft er sich ausser auf Freud
noch auf Kutschin und Weliki, obgleich die beiden letzteren
Autoren die Herkunft der dorsalen Wurzeln von den Dorsalzellen
im Auge hatten. Owsjannikoff selber unterscheidet streng
die Dorsalzellen von sämtlichen übrigen. Verfasser schreibt ihnen
runde Form zu. Bei einigen Zellen sind ausser einem kaudalen
und einem kranialen keine weiteren Fortsätze zu erkennen.
Andere Zellen haben noch anderweitige, kurze Fortsätze, welche
von der Zelle in die weisse Substanz ziehen. Derartige Fort-
sätze sind feiner als die in der Längsrichtung verlaufenden und
zerfallen in feine Fäden. -- Unter hunderten von Präparaten
hat Verfasser nur in zwei Fällen einen Fortsatz einer dorsalen
Zelle in die dorsale Wurzel verfolgt. In seltenen Fällen verzweigt
sich einer der längsverlaufenden Fortsätze in feine Fäden, welche
in der weissen Substanz verbleiben.
Kolmer war es nur einmal gelungen, einen Zusammenhang
einer dorsalen Zelle mit einer dorsalen Wurzel auf einem Total-
präparat, das mit Methylenblau tingiert war, wahrzunehmen. Ein
derartiges Resultat spricht nach der Ansicht des Verfassers
natürlich nur in geringem Maße zugunsten einer Homologie der
Hinterzellen mit den Spinalganglienzellen.
Die allgemeine Ansicht der angeführten Forscher neigt sich
dahin, dass die Dorsalzellen nichts anderes als besondere sensible
Elemente sein können, welche den dorsalen Wurzeln den Ur-
658 D. Tretjakoft:
sprung geben. Nach meiner Meinung ist eine derartige Ansicht
nur äusserst wenig begründet. Es sind absolut keine Hinweise
darauf vorhanden, in welcher Region des Rückenmarks ein
Übergang eines Zellfortsatzes in die Wurzel gefunden worden
ist. In den neuesten Arbeiten sind weder Zeichnungen noch
Mikrophotographien derartiger Präparate, welche bloss im Texte
erwähnt werden, vorhanden. Die wichtigste Arbeit in dieser
Hinsicht, diejenige von Freud, stellt schliesslich ein grosses
Missverständnis dar. Ich kann hier nicht die vergleichend-ana-
tomische Arbeit von Studnicka (55) umgehen, welcher zu voll-
kommen entgegengesetzter Annahme über die Bedeutung der
Dorsalzellen gekommen war. Studnitka bezeichnet jedoch diese
Zellen bald als Reissnersche, bald als Freudsche, was auf
eine ungenügende Orientierung des Verfassers in Literatur-
befunden hinweist.
Studnitka findet, dass die Dorsalzellen bereits bei einer
Larve von 3—4 mm keine besonderen Beziehungen zu den sen-
siblen Wurzeln haben. Vollkommen entwickelt sind die Zellen
bei Ammocoetes von 20 mm Länge. Bei Aufsicht erscheinen
dieselben bei Ammocoetes halbmondförmig, bei erwachsenen Petro-
myzonten spindelförmig.
Auf Grund von ontogenetischen Befunden und phyloge-
netischen Betrachtungen erklärt Studni@cka die Fortsätze der
Dorsalzellen für unabhängig von den dorsalen Wurzeln. Nach
dem Austritt aus dem Rückenmark bilden die Fortsätze der
Dorsalzellen zunächst besondere Wurzeln, welche den sensiblen
parallel gerichtet sind und erst späterhin mit denselben ver-
schmelzen. In frühen Entwicklungsstadien endigen die Fortsätze
der Dorsalzellen wahrscheinlich in Myotomen. Infolgedessen
ist Studni@ka geneigt, den Dorsalzellen motorische Funktionen
zuzusprechen, ungeachtet ihrer Lagerung im Rückenmark und
den Austritt der Fortsätze.
Zu dieser jedenfalls paradoxen Ansicht gelangt Verfasser
übrigens weniger auf Grund eigener Beobachtungen als durch
Argumentation. Den Ausgangspunkt für diese gewährten die
Untersuchungen von Beard über die Entwicklung der Dorsal-
zellen bei Selachiern (4, 5). Die Beobachtungen von Beard
weisen jedoch nur auf einen Zusammenhang der Fortsätze der
Dorsalzellen mit Myotomate hin. Die Funktion der Zellen ist
Nervensystem von Ammocoetes. 659
jedoch aus den Beobachtungen von Beard mit Sicherheit nicht
zu erkennen. Die motorischen Nerven der betreffenden Myo-
tomenabschnitte entspringen bei erwachsenen Tieren in normaler
Weise. Die Frage über die motorische Funktion der Dorsal-
zellen der Selachier ist im hohen Grade strittig. Die Richtigkeit
der Beobachtung von Studni@ka über den Austritt der Fort-
sätze der Dorsalzellen aus dem Rückenmark ist ebenso zweifel-
haft wie in den Beobachtungen der anderen Forscher.
Die Forscher, welche nur Querschnitte des Rückenmarks
vor Augen gehabt hatten, die nicht mit spezifischen Färbungs-
verfahren tingiert waren, haben sich zu sehr beeilt, dort einen
Austritt einer Nervenfaser in die Wurzel anzunehmen, wo der
Fortsatz einer Zelle bloss zur Peripherie des Rückenmarks hin-
zog, um sich daselbst in Endästehen zu verzweigen. Diese An-
sicht war besonders durch die Kenntnis des Baues des Rücken-
marks höherer Wirbeltiere beeinflusst, wo tatsächlich die Zell-
fortsätze bis zur Rückenmarksperipherie ausschliesslich zu dem
Zweck verlaufen, um dasselbe in Gestalt von Wurzelfasern zu
verlassen. Auf diese Weise erkläre ich mir die kategorischen
Behauptungen von Kölliker in seinem Handbuche der Gewebe-
lehre, wo er die Ansicht von Freud wiederholt. Mit der Zu-
nahme der Exaktheit der Untersuchungsmethoden sinkt rasch
die Sicherheit der Autoren hinsichtlich der Ansicht über die un-
mittelbare Beteiligung der Fortsätze der Dorsalzellen an der
Bildung der sensiblen Spinalwurzeln. Kolmer wenigstens hält
allein auf Grund ihrer Multipolarität die Homologie dieser Zellen
mit den Spinalganglienzellen für zweifelhaft. Kolmer könnte
entgegnet werden, dass auch in den Spinalganglien multipolare
Zellen angetroffen werden. Ich leugne jedoch die Homologie
auf Grund der Ausbreitung der Fortsätze, welche sich durchaus
nicht an der Bildung der spinalen Wurzeln beteiligen. Die Un-
bestimmtheit der Ansichten von Kolmer beweisen seine eigenen
Worte. In Anlass des Überganges eines Fortsatzes einer dor-
salen Zelle in die Wurzel schreibt er auf Seite 203: „Mir ist
es nur einmal an einem Totomethylenblaupräparat gelungen,
dieses Verhalten mit der grössten Deutlichkeit zu verfolgen.“
Auf Seite 202—203 heisst es jedoch: „Den Zusammenhang von
solchen (Hinter) Zellen und Wurzelfasern und Übergänge von
diesem Zelltypus bis zu den Spinalganglien konnte ich mehr wie
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73,. 43
660 Ds Dr etjakoit:
einmal konstatieren.*“ Unabhängig von dem Widerspruch zwischen
„nur einmal“ und „mehr wie einmal“, welcher als Lapsus linguae
erklärt werden kann, erwähnt Verfasser von Übergangsformen
von Dorsalzellen zu Ganglienzellen, wobei er vergisst, dass weiter
oben für ihn „die Auffassung der Hinterzellen als Homologa der
Spinalganglienzellen erscheint schon bei der ausgesprochenen
Multipolarität dieser Zellart recht fraglich.“
Nansen und Retzius haben die dichstomische oder
Tförmige Teilung der spinalen Wurzelfasern im Rückenmark von
Myxine beschrieben. Keiner von ihnen hat irgendwelche Ver-
bindung derartiger Nervenfasern mit den Spinalganglienzellen
wahrgenommen. Eine detaillierte Beschreibung der dorsalen
Wurzelfasern gibt Kolmer. Fr unterscheidet zwei Faserarten:
Die Fasern einer Art teilen sich T-förmig, die der anderen biegen
in einem rechten Winkel ab. Bei einigen Fasern erster Art kann
der eine Ast sehr fein sein, die Dicke der Fasern ist überhaupt
sehr verschieden. Die tatsächliche Endigungsweise der dorsalen
Wurzelfasern bei Cyclostemen hat bisher noch niemand beschrieben.
Dasselbe bezieht sich auch auf die ventralen Wurzeln; den
Zusammenhang derselben mit den motorischen Zellen hat bisher
noch niemand erwiesen. Eine detaillierte Beschreibung ihrer Be-
standteile gibt wiederum Kolmer. Sofort nach dem Eintritt
in die weisse Substanz des Rückenmarks beschreiben die Fasern
grosse Bogen, ziehen allseitig auseinander und verwandeln sich
in Längsfasern. Sämtliche Fasern verändern schliesslich stark
ihren Durchmesser, werden feiner „bis sie in eine zarteste Faser
auslaufend, für das Auge verloren gehen“. Je dicker die Faser
ursprünglich war, desto schärfer ist ihr Übergang in den ver-
jüngten Teil; Kollateralen sind nicht sichtbar. Als Längsfasern
gelingt es die ventralen Wurzelfasern über die Eintrittsstelle
der nächsten Wurzel hinaus zu verfolgen. Scheinbare Endi-
gungen in Zellen erweisen sich stets bei Betrachtung mit starken
Systemen als Irrtümer. Nach der Ansicht des Verfassers gelingt
es nur in besonders glücklichen Fällen die Behauptung der
anderen Forscher zu beweisen: dass nämlich ein Zellfortsatz die
tichtung zur vorderen Wurzel einschlägt und in dieselbe eintritt.
Fast sämtliche Autoren, welche sich mit dem Rückenmark
von Petromyzon beschäftigt haben, legen zu wenig Gewicht auf
eine strenge Einteilung der Stränge der weissen Substanz. Nach
Nervensystem von Ammocoetes. 661
den Beobachtungen von Owsjannikoff sind beim Neunauge
keine dermassen scharfe Grenzen zwischen den Strängen, wie bei
den höheren Wirbeltieren vorhanden. Nichtsdestoweniger ist eine
Teilung vorhanden, welche von der Mehrzahl der Autoren ange-
nommen wird. Es werden hierbei unterschieden: 1. Funiculus
dorsalis — ein Streifen dorsaler Fasern, die seitwärts von den
aus dem Rückenmark austretenden dorsalen Wurzeln begrenzt
werden; 2. Funiculus ventralis — zwischen den ventralen
Wurzeln; er ist breiter als der vorgenannte; 3. und 4. Funieuli
laterales.. Als Teilungsprinzip wird häufig ein äusseres Kenn-
zeichen — der Austritt der Wurzeln — angenommen. Ich glaube,
dass es besser wäre, die Stränge nach ihrer Funktion zu scheiden
und halte daher beide ventralen Hälften, welche motorische
Fasern enthalten, für Funieuli ventrales. In der dorsalen Hälfte
bleibt für den Funieulus dorsalis dieselbe Lagerung bei; den
Seitenstrang bezeichne ich als Funieulus latero-dorsalis.
Vergleichend-anatomische Betrachtungen.
Der Vergleich des Rückenmarks von Ammocoetes mit den-
jenigen anderer Wirbeltiere erfordert in Anbetracht des primitiven
Charakters des ersteren eine doppelseitige Behandlung der Frage.
Erstens muss nachgewiesen werden, wie weit im Aufbau des
Rückenmarks erwachsener Tiere Eigenheiten enthalten sind,
welche dem Rückenmark von Ammocoetes zukommen. Zweitens
kann ein Vergleich mit den Elementen des Rückenmarks von
Ammocoetes in verschiedenen Entwicklungsstadien vorgenommen
werden, falls eine Ähnlichkeit der Elemente bei erwachsenen
Tieren nicht zu erkennen ist. Die überwiegende Mehrzahl der
Tatsachen ist hinsichtlich dieser Frage vermittelst der Golgi-
methode erhalten worden: dieses Verfahren ergibt bessere
Resultate bei Embryonen als bei erwachsenen Tieren. Es ist
daher hinsichtlich der embryonalen Form der Rückenmarks-
elemente eine grosse Anzahl genau beschriebener Beobachtungen
vorhanden. In einigen Fällen muss sogar gesagt werden, dass
für die Struktur des Rückenmarks erwachsener Tiere eigent-
lich Entwicklungsstadien desselben gehalten wurden.
Die Differenzierung der weissen und grauen Substanz
entspricht nicht den Ordnungen der Tiere, wie sie in den Lehr-
büchern angeführt werden. Ammocoetes am nächsten stehen in
43*
662 D. Tretjakoff:
dieser Hinsicht die Knochenfische; bei diesen ist im allgemeinen
die weisse und graue Substanz verschieden angeordnet und
voneinander nicht scharf getrennt. Nach der Beschreibung von
Bela Haller (7, S, 9) weisen den einfachsten Bautypus die
Plectognathi auf. Auf Rückenmarksschnitten werden vier Längs-
stränge von Fasern unterschieden, im Vergleich jedoch zum
Querschnitt des Rückenmarks behalten die Stränge nur eine
sekundäre Bedeutung. Das Rückenmark der Plectognathi behält
den Charakter eines homogenen Gebildes bei, die Längsfasern
sind auf dem Gesamtquerschnitt zerstreut. Bela Haller unter-
scheidet zwei ventrale und zwei laterale Fasergruppen. Bei
einigen Fischen (Tetrodon) werden noch zwei dorsale Bündel
unterschieden. Markhaltige Fasern sind nur im Bestande der
ventralen Bündel vorhanden und werden stellenweise in der
grauen Substanz angetroffen. Die Nervenzellen ordnen sich in
besonderer Weise an — sie gruppieren sich in bestimmten
Rückenmarksgebieten.
Der Bau des Rückenmarks der anderen Knochenfische stellt
nach der Meinung des Verfassers die weitere Entwicklung des.
Typus der Plectognathi dar. Die Nervenzellen konzentrieren.
sich vorwiegend in den ventralen Abschnitten der grauen Substanz,
welche sich zu den unteren Strängen des Rückenmarks entwickeln.
Die dorsalen Stränge, welche bei den Plectognathi fehlen,
differenzieren sich bei anderen Knochenfischen, enthalten jedoch
nur wenige kleine Zellen. Die Nervenzellen werden in der
weissen Substanz angetroffen. Die weisse Substanz scheidet sich:
in dem Sinne scharf von der grauen, dass die Längsfasern sich
in Strängen an der Rückenmarksoberfläche anordnen. Am
wenigsten scharf sind die Längsfasern in den sensiblen (dorsalen)
Rückenmarksgebieten abgeschieden.
Die ventralen Stränge enthalten lange Bahnen, die lateralen
kurze und die motorischen Wurzelfasern. Letztere stellen häufig
peripherische Kollateralen von Längsfasern dar. Fast alle Fasern
sind bereits von einer Markscheide umgeben. In den dorsalen
Strängen wird eine besondere Gruppierung dicker markhaltiger
Fasern angegeben.
Die Ursprungsgebiete der dorsalen und ventralen Wurzeln
erstrecken sich im Rückenmark weit in der Längsrichtung, wobei
das Gebiet des motorischen Nerven auf dem Querschnitt des
Nervensystem von Ammoöcoetes. 663
Rückenmarks ein grösseres Feld einnimmt als das Gebiet des
sensiblen Nerven. Jeder Spinalnerv, der ventrale wie der dorsale,
erhält Fasern nicht nur aus der gleichseitigen, sondern auch aus
der gegenseitigen Rückenmarkshälfte. Die motorische Nervenfaser
entspringt nicht immer unmittelbar von einer Zelle; bisweilen ist
sie ein Ast eines Fortsatzes. Die dorsalen Fasern entspringen
nach der Annahme des Verfassers aus einem besonderen inneren
Nervennetz des Rückenmarks; in dem sensiblen, dorsalen Gebiet
des Rückenmarks sind überhaupt keine Zellen vorhanden, deren
Fasern direkt in die dorsalen Wurzeln übergehen könnten.
Die vordere Kommissur besteht aller Wahrscheinlichkeit
nach aus Fasern, welche von den Nervenzellen der dorsalen
Hörner (Pyramidenbahnen) entstammen.
Die Mauthnerschen Fasern geben im Rückenmark_ seit-
liche Kollateralen; sie stehen mit dem allgemeinen Nervennetz
in Verbindung. Die Endäste der Mauthnerschen Fasern ver-
lassen das Rückenmark mit den drei letzten Spinalwurzeln.
Die dorsalen Wurzelfasern dringen sogar aus den dorsalen
Bündeln bis zum Unterhorn derselben oder der entgegengesetzten
Seite vor.
Im ventralen Teil des Rückenmarks der Knochenfische wird
ausser einer eigentlichen vorderen Kommissur noch eine Neben-
kommissur unterschieden, welche von ersterer durch zwei Längs-
faserbündel getrennt ist.
Die Ansichten von Bela Haller über den Bestand der
Nebenkommissur weichen von den Angaben derjenigen Autoren,
welche sich vorwiegend mit embryologischem Material beschäftigt
haben, ab. Van Gehuchten, Golgi, S. Ramön y Cajal,
Kölliker, Lenhossek u.a. haben niemals beobachtet, dass eine
motorische Faser aus einer Rückenmarkshälfte auf die andere
in der vorderen Kommissur übergeht. Bela Haller findet
auch bei Plectognathi, welchen eine Nebenkommissur fehlt, in
der vorderen Kommissur nur Dendriten motorischer Zellen.
Bei anderen Knochenfischen findet Verfasser motorische Zellen,
deren unzweifelhafte Achsenzylinder durch die Nebenkommissur
in die ventrale Wurzel der entgegengesetzten Seite verlaufen.
In der Nebenkommissur verlaufen ausserdem die Dendriten ver-
schiedener Zellen. Von den Einzelheiten des Zellbaues ist die
Angabe des Verfassers über Anastomosen zwischen grossen sowie
664 D: Tr.etjakorft:
kleinen Nervenzellen interessant; diese Anastomosen sind bei
Pleetognathi lang, bei anderen Knochenfischen kurz und selten.
Ich habe hier nur diejenigen Befunde von Bela Haller
angeführt, welche durch Schnitte, die in Karmin gefärbt waren,
illustriert werden. Hinsichtlich der Zeichnungen der Golgi-
präparate sowie der an solchen gewonnenen Resultate muss
jedoch die Kritik von van Gehuchten aus dem Jahre 1595 (13)
berücksichtigt werden. Nach den Worten dieses Forschers rufen
die Abbildungen und die Beschreibungen von B. Haller die
Überzeugung hervor, dass dieselben einen vollkommenen Mangel
an Erfahrung und Praxis in der Handhabung des Golgi-
verfahrens dartun; B. Haller ist nicht imstande, einen Nerven-
fortsatz von einem Dendriten resp. einem Protoplasmafortsatz
zu unterscheiden. Scheinbare Anastomosen- feiner Dendriten-
verzweigungen hält er ohne hinreichende Prüfung vermittelst
starker Systeme für den Beweis des Vorhandenseins eines Nerven-
netzes. Van Gehuchten hält die Imprägnation der Zellen in
der Arbeit Bela Hallers für sehr unvollständig; er findet
beständig Fehler in der Bestimmung des Charakters der Fortsätze,
stellt den Wert der Beobachtungen des Verfahrens vollkommen in
Abrede. Nach einem autoritätvollen Urteil ist es natürlich unmög-
lich, denjenigen Teil der Arbeit von B. Haller, welche vermittelst
des Golgiverfahrens ausgeführt war, für eine vergleichend-
anatomische Betrachtung zu benutzen. Die betreffende Arbeit
ist dabei beinahe die einzige, in welcher ernstliche Mühe verwandt
wurde zum Zweck einer Färbung der Rückenmarkselemente eines
erwachsenen Knochenfisches nach dem Verfahren von Golgi.
Von den Resultaten der Arbeit bleiben somit tatsächlich als mehr
oder weniger glaubwürdige nur die Beschreibung der in Karmin
gefärbten Schnitte. Van Gehuchten leugnet desgleichen nicht.
diese Resultate, indem er darauf hinweist, dass dieselben durch.
Golgipräparate nicht bewiesen werden. Von diesen Befunden
ist derjenige für uns besonders wichtig, dass die ventralen Wurzel-
fasern aus Fasern, die in dem Seiten- oder ventralen Strange in.
der Längsrichtung verlaufen oder aus der gegenseitigen Rücken-
markshälfte durch die Neben- oder Mauthnersche Kommissur
ziehen, entstehen können.
Einen vom Rückenmark der Knochenfische abweichenden.
Charakter hat das Rückenmark der Selachier, an welche sich
Nervensystem von Ammocoetes. 665
aufeinanderfolgend die Ganoiden, Dipnoi, Amphibien und Reptilien
anschliessen. In dieser Reihe ist über die Zellform bei erwachsenen
Tieren, besonders bei den Granoiden, sehr wenig bekannt.
Pawlowsky (38) hat bei Acipenser die Form der Nerven-
zellen an Golgipräparaten beschrieben. Hinsichtlich der Den-
driten, Nervenfortsätze, der Vollkommenheit der Färbung haben
die Beobachtungen des Verfassers ebensowenig Wert, wie in der
Arbeit von B. Haller. Die Zellen des ventralen Stranges sind
vorwiegend multipolar, des dorsalen -—— uni- oder bipolar. Der
Nervenfortsatz einiger Zellen des ventralen Stranges verläuft in
die ventrale Wurzel. Die Protoplasmafortsätze verzweigen sich
sowohl in der weissen als in der grauen Substanz. In der
weissen Substanz der Seitenstränge sind birnförmige Nervenzellen
vorhanden, deren Fortsätze ungefärbt geblieben waren. Die
Strangfasern sind mit Kollateralen versehen, welche den Proto-
plasmafortsätzen der Zellen in der weissen Substanz anliegen.
Die Mauthnersche oder Nebenkommissur ist nach den
Beobachtungen von Stieda (53) noch bei den Rochen erhalten.
Bei den Haien fehlt sie. In der weissen Substanz sind die Stränge
vollkommen differenziert. Durch die Dicke seiner Fasern zeichnet
sich besonders der Strang oberhalb des Zentrums der grauen
Substanz aus.
Die Frage über die Dorsalzellen im Rückenmarke wird
grösstenteils getrennt von der übrigen Struktur des Rückenmarks
abgehandelt; sie lenkt häufig die Aufmerksamkeit der Forscher
auf sich. Doch auch hier werden rein embryonale Beziehungen
als unveränderliche bis zum erwachsenen Zustande gehalten. Bei
einigen Fischen verschwinden die dorsalen Zellen zum Schluss
der Entwicklung oder sie werden transformiert.
Der Bau des Rückenmarks erwachsener Fische ist im all-
gemeinen so wenig bekannt, dass es vorläufig unmöglich ist,
dasselbe mit demjenigen von Ammocoetes zu vergleichen. Unsere
Kenntnisse über die Nervenelemente des Rückenmarks der Fische
betreffen entweder embryonale Stadien oder beziehen sich auf
frühe Jugendformen. Diese Kenntnisse sind für eine Übersicht
des allgemeinen Baues des Nervensystems mehr oder weniger
ausreichend; sie geben die Möglichkeit, allgemeine Schemata
aufzustellen und das Prinzip des Baues des Rückenmarks klar-
zustellen. Für eine Charakteristik der Entwicklungshöhe des
666 D. Tretjakoff:
Rückenmarks bei erwachsenen Fischen der einen oder der anderen
Gruppe fehlen die Befunde; ausserdem ist auch der Bau der
Rückenmarkselemente bei Fischen in der Lebensperiode, wenn
die Funktion derselben vollkommen bestimmt ist, unbekannt.
Infolge derartiger ungünstiger Verhältnisse können zum Vergleich
nur die allgemeinsten Kennzeichen herangezogen werden, um den
Fehler zu vermeiden, dass für wesentliche Kennzeichen Organi-
sationseigenheiten gehalten werden, welche bloss auf Grund einer
besonderen embryonalen Entwicklung entstanden sind.
Entwicklungsstadien des Rückenmarks sind von Retzius
(44, 45), Lenhossek (21, 22), Martin (82) und van Ge-
huchten (13) studiert worden. Alle vier Forscher bedienten
sich der Golgimethode. In den Resultaten sind fast keine
Widersprüche vorhanden. Die Nervenelemente werden leicht in
drei Gruppen geteilt: motorische — Kommissuren — und Strang-
zellen. Die Protoplasmafortsätze — Dendriten — verzweigen sich
in der weissen Substanz und erreichen die Oberfläche des Rücken-
marks. Unterhalb der pia mater des Rückenmarks liegen die
Endästchen in Gestalt eines oberflächlichen Geflechtes. Die
Fasern der dorsalen Wurzeln bilden Endverzweigungen in der
weissen Substanz an der Oberfläche des Rückenmarks.
Für einen detaillierteren Vergleich mit den Rückenmarks-
elementen von Ammocoetes führe ich die Resultate der letzten
Arbeit von van Gehuchten, welche ich bereits oben zitiert
habe, an.
Die motorischen Zellen von Trutta — les cellules radi-
eulaires — sind in den frühen Entwicklungsstadien gewöhnlich
unipolar, doch werden auch bi- und multipolare angetroffen.
Jedenfalls ist die Zelle mit Dendriten, welche sich in der weissen
Substanz verzweigen und einem Neuriten versehen. Keiner von
den Dendriten gelangt nach den Zeichnungen des Verfassers bis
an die Oberfläche des Rückenmarks. Selten werden Dendriten
angetroffen, welche sich medial von der Zelle in der grauen
Substanz verzweigen. Der Neurit verläuft stets in die Wurzel
derselben Rückenmarkshälfte; in die Nebenkommissur tritt er
nicht ein. Solange der Neurit sich in der Rückenmarkssubstanz
befindet, gehen von ihm bisweilen Kollateralen ab.
Die Strangzellen werden von den französischen Autoren
eingeteilt in: Kommissurenzellen — cellules des cordons hetero-
Nervensystem von Ammocoetes. 667
meres, eigentliche Strangzellen — cellules des cordons tautomeres
und plurikordonale Zellen —= cellules des cordons hecateromeres,
Die Kommissurenzellen sind nach den Beobachtungen von van
Gehuchten unipolar oder bipolar. Die Dendriten verzweigen
sich wie die Dendriten motorischer Zellen. Der Neurit geht längs
der Nebenkommissur in die weisse Substanz der gegenseitigen
Rückenmarkshälfte über. Bisweilen verzweigt er sich, wobei seine
beiden Teiläste unabhängig voneinander in die weisse Substanz
eindringen. Bisweilen werden Kollateralen des Neuriten ange-
troffen. Der Neurit kann auf der gegenseitigen Rückenmarks-
hälfte auf Längsschnitten verfolgt werden. Nachdem derselbe
als auf- oder absteigende Faser des ventralen Stranges eine ver-
schieden lange Strecke verlaufen ist, geht er in den Seitenstrang
über und verzweigt sich in ihm in eine auf- und eine absteigende
Faser. Diese Zellen sind in der ganzen grauen Substanz verstreut;
die Mehrzahl derselben gehört jedoch den dorsalen Strängen an.
Die eigentlichen Strangzellen sind meistens bi- oder multi-
polar; ihr Neurit verläuft mehr oder weniger kompliziert in der
grauen Substanz und biegt in den Vorder-Seitenstrang um, wo
er kaudalwärts oder kranialwärts zieht; schliesslich, bisweilen
weit ab von der Übergangsstelle in die Längsrichtung teilt sich
der Neurit in zwei Äste — einen auf- und einen absteigenden.
Es werden jedoch auch Zellen angetroffen, deren Neuriten sich
nicht verzweigen.
Der Nervenfortsatz der plurikordonalen Zellen verzweigt
sich bereits in der grauen Substanz; ein Ast desselben geht in
die weisse Substanz derselben Rückenmarkshälfte, der andere
durch Nebenkommissur in die Stränge der anderen Seite.
Über den Bau der Nervenzellen bei Trutta lässt sich vor
allem aussagen, dass sie Protoplasmafortsätze bilden. Einer der-
selben wandelt sich, nachdem seine Protoplasmamasse zahlreiche
Seitenzweige gebildet hat, in einen Achsenzylinder oder Neuriten
um. Letzterer entsteht nicht direkt aus der Zelle, sondern aus
einem Dendriten. Die. Nebenkommissur hält Verfasser für ein
vollkommenes Homologon der vorderen weissen Rückenmarks-
kommissur der höheren Wirbeltiere, da dieselbe ausschliesslich
von den Neuriten der Kommissurenzellen gebildet wird, was
bereits Lenhossck mit Bestimmtheit behauptet hat. In den
668 DER:
Bestand der Nebenkommissur gehen ausserdem Kollateralen von
Fasern der Vorderstränge und Dendriten ein.
Im Rückenmark der Selachier sind, nach den Befunden
Lenhosseks (22) Zelltypen vorhanden, welche den bei Knochen-
fischen beschriebenen Zelltypen vollkommen entsprechen. Die
Dendriten der Zellen erreichen jedoch bei den Selachiern un-
bedingt die Oberfläche des Rückenmarks und bilden hier ein
perimedulläres Geflecht. Bei den Rochen ist eine originelle
Trennung der Vorderhörner von den Hinterhörnern vorhanden.
Die Dendriten der motorischen Zellen müssen durch einen Streifen
weisser Substanz hindurchziehen, um mit den Endverzweigungen
der Fasern der Hinterwurzeln, welche nicht aus dem Bereich der
Hinterhörner heraustreten, zusammenzutreffen. Ein Kontakt der
Verzweigungen sensibler Nervenfasern findet, entgegengesetzt dem
Aufbau der höheren Wirbeltiere, nur mit den Dendriten moto-
rischer Zellen und nicht mit der Zelle selber statt.
Beim Vergleich der Zeichnungen in den Arbeiten der er-
wähnten Verfasser mit den Zelltypen bei Ammocoetes finde ich
in der Form der einzelnen Zellen, in der Beziehung des Neuriten
der motorischen Zellen zu der Zelle selber, in der Entwicklung
des perimedullären Geflechtes eine grössere Ähnlichkeit der
Cyclostomen mit den Selachiern als mit den Knochenfischen. In
topographischer Hinsicht offenbart sich jedoch auf dem Querschnitt
des Rückenmarks eine nahe Verwandtschaft der Cyclostomen mit‘
den Knochenfischen und zwar in der Anwesenheit der Neben-
kommissur oder richtiger in der Anwesenheit weisser Substanz
zwischen dem Zentralkanal und der Nebenkommissur. Bei diesen
und jenen sind die kolossalen Nervenfasern in diesem Gebiet der
weissen Substanz gelegen.
Obgleich Retzius, Lenhossek und van Gehuchten
die Zugehörigkeit der Kommissurenzellen zu den motorischen
Zellen in Abrede stellen, kann dennoch die Frage noch nicht als
endgültig entschieden betrachtet werden. Kolster lässt im
Jahre 1898 die Möglichkeit zu, dass ein Teil der vorderen
Wurzelfasern aus der entgegengesetzten Rückenmarkshälfte
stammen. Noch bestimmter spricht sich 1900 Kalberlah (25)
aus: nach seinen Beobachtungen an Selachiern tritt sogar ein
recht beträchtlicher Teil der motorischen Fasern aus der vorderen
Kommissur heraus. Meine Beobachtungen über das Fasersystem der
Nervensystem von Ammocoetes. 6693
Nebenkommissur bei Ammocoetes spricht wenig zugunsten ihrer
Herkunft von motorischen Zellen. Im allgemeinen resultiert eine
recht vollständige Homologie des Rückenmarks von Cyclostomen,
Knochenfischen und Haien; im Rückenmark der Cyclostomen finden
sich im embryonalen Zustande Gebilde, welche entweder nur bei
Haien oder nur bei Knochenfischen erhalten bleiben. Das Rücken-
mark der Cyelostomen steht somit der Ausgangsform desselben
nahe, von welcher die beiden divergenten Organisationen — die
Haie und Cyelostomen — ihre Herkunft nahmen, was durchaus
den anderen vergleichend-anatomischen Tatsachen entspricht.
Hinsichtlich der Verteilung der Kollateralfasern der weissen
Substanz der Fische spricht nur van Gehuchten eine bestimmte
Ansicht aus. Seinen Beobachtungen nach verzweigt sich eine
ungeheuere Zahl von Kollateralen und endigt zwischen den Fasern
der weissen Substanz. Sie dienen dem Kontakt mit den Dendriten
der Zellen. Die Kollateralen, welche in der grauen Substanz
endigen, können derselben Rückenmarkshälfte angehören oder der
entgegengesetzten. Letztere verlaufen durch die Nebenkommissur
oder bilden dorsal vom Zentralkanal eine dorsale Kommissur.
Keine von den beschriebenen Kollateralen stellt ein Homologon
der motorisch-sensiblen Kollateralen der Säugetiere dar: „Ües
collaterales font elles defaut dans la moelle de la truite? ou
bien, ont-elles rösiste a l’imprögnation par le chromate d’argent ?
Nous ne saurons le dire“ (pag. 146). Jedenfalls, fügt der Verfasser
hinzu, stellen derartige Kollateralen keine .besondere Notwendig-
keit dar, in Anbetracht der Möglichkeit eines Kontaktes zwischen
den vorhandenen Kollateralen und den Dendriten der Zellen.
Hinsichtlich der bei Fischen sehr verbreiteten Zellen des
Dorsalkernes gehen die Meinungen ebenso auseinander wie anläss-
lich derselben Elemente bei Ammocoetes. Beard (4,5), Studnicka
(57), Dahlgren (10), Tagliani (56), van Gehuchten,
Kolster (28), Sargent (öl), Jonston (19) haben dieselben
bei verschiedenen Fischen in verschiedenen Entwicklungsstadien
beschrieben. Bei einigen Fischen bleiben diese Zellen während
des ganzen Lebens erhalten, bei anderen werden sie nur im
Embryonalzustande der Tiere angetroffen (Raja, Acipenser, Salmo,
Trutta ete.). Gewöhnlich sind die Dorsalzellen im dorsalen Teil
der grauen Substanz oder aber an der Rückenmarksoberfläche,
unterhalb der pia mater gelegen. Beard, Dahlgren und
670 D. Tretjakoff:
Tagliani beschreiben den Eintritt des Fortsatzes der Zelle in
die hintere Wurzel. Sargent fand bei Ctenolabrius adspersus
in dem vorderen Drittel des Rückenmarks eine vollkommene
unpaare Reihe von Zellen im Septum medianum posticum. Vor
dieser Reihe, von ihr getrennt, sind zu beiden Seiten des Calamus
scriptorius zwei derartige Zellen gelegen. Der Neurit derselben
verläuft ventro-lateralwärts und spaltet sich in zwei Äste: der
eine derselben verläuft kaudalwärts und verschwindet im Hinter-
horn, der andere zieht ins Gehirn und verlässt dasselbe mit den
ventralen Trigeminuswurzeln.
Eine Anordnung der Zellen in zwei Reihen zu beiden Seiten
des Septum posticum hat Jonston (1900) bei Catosomus be-
schrieben. Bei Catosomus verlässt der Dendrit das Rückenmark
und endigt in einer geringen Anschwellung unter dem Epithel
der Haut. Ausser einem Dendriten entsendet jede Zelle zwei
Nervenfortsätze, welche in den dorsalen Bündeln kaudalwärts und
kranialwärts ziehen.
Der Austritt eines Dendriten oder Neuriten der Dorsalzellen
gehört wahrscheinlich zu ebensolchen Beobachtungsfehlern wie
dieselben Erscheinungen bei Ammocoetes. Ihrer Form, ihrer
Lagerung, der Zahl und dem Charakter ihrer Fortsätze nach
entsprechen diese Zellen vollkommen den Zellen des dorsalen
Kernes von Ammocoetes. In den Fällen, wenn die Zellen nicht
gleichmässig längs dem ganzen Rückenmarke verstreut sind, wird
eine Konzentration derselben im vorderen Teil des Rückenmarks
beobachtet (Lophius, Utenolabrius, Solea impar). In dieser Hin-
sicht erinnern sie an die riesigen Dorsalzellen im Rückenmark
von Amphioxus. Sämtliche sog. Dorsalzellen der Fische halte ich
für den Zellen des dorsalen Kernes, welche mit den Endver-
zweigungen der sensiblen dorsalen Wurzelfasern in Zusammen-
hang stehen, homologe Gebilde. Derselben Ansicht ist auch
van Gehuchten hinsichtlich der Dorsalzellen bei Batrachier-
iarven (17). Ich bin überzeugt, dass die Dorsalzellen sich in
irgend einer Form auch bei den höheren Wirbeltieren auffinden
lassen. Nucleus gracilis und nucleus cuneatus entsprechen im
wesentlichen ihrer Lagerung nach dem vorderen Abschnitt des Dorsal-
kernes und ihrer Funktion nach dem letzteren. Eine Neigung zur
Konzentration im kranialen Teil des Rückenmarks ist auch bereits,
wie soeben erwähnt, bei Amphioxus und den Fischen vorhanden.
Nervensystem von Ammocoetes. 671
Bei Trutta haben Rohon (49) und van Gehuchten
(14, 16) besondere Zellen beschrieben, welche ihren Nervenfort-
satz unzweifelhaft in den Dorsalkern entsenden. Die genannten
Autoren, sowie Ramön y Uajal (40) halten derartige Zellen
für sensible Rückenmarkszellen. In Anbetracht dessen, dass der-
gleichen von Freud im Rückenmark von Petromyzon beschriebene
Zellen tatsächlich nicht vorhanden sind, erfordern die Befunde
von Rohon und van Gehuchten noch einer Nachprüfung.
Das Rückenmark der Amphibien und Reptilien ist sowohl
im embryonalen als im erwachsenen Zustande gründlicher studiert
als das Rückenmark der Fische. Als gemeinsame Eigentümlich-
keit erscheint zunächst das perimedulläre Geflecht. Bei Fröschen
ist es bereits vor längerer Zeit vonLawdowsky (20), bei Reptilien
von Ramön y Cajal beschrieben worden. Die Struktur des
perimedullären Geflechtes wird ausführlich durch die Arbeiten
von Sala (50), van Gehuchten (17, 15) und Retzius auf-
geklärt; es gleicht in hohem Maße dem Geflecht im Rückenmark
von Ammocoetes; von den Autoren wird es als die Stelle des
Kontaktes sensibler und motorischer Neurone anerkannt. Be-
sonders besteht darauf van Gehuchten, welcher bei den
Amphibien das Vorhandensein langer motorisch-sensibler Kollate-
ralen, welche die motorischen Zeilen umflechten, in Abrede stellt.
Ändere Autoren, Althias (3), Ramön y Cajal (39) beschreiben.
derartige Kollateralen, Sala und Kölliker bilden sie auf ihren.
Schemata ab.
Die Typen der Nervenzellen im Rückenmark der Amphibien
sind dieselben, wie im Rückenmark der Fische: motorische,
Strang- und Kommissurenzellen. Die Dorsalzellen sind nur bei
Amphibienlarven (Burckhardt[9], Studnidka |57]) vorhanden
und gehören nach den Beobachtungen von van Gehuchten (17)
zu den Strang- oder Kommissurenzellen.
Im Rückenmark der Reptilien ist die comissura accessoria
bemerkenswert; sie nimmt dieselbe Lage ein wie bei Fischen.
Die Nervenzellen wiederholen die Typen bei Fischen und Amphibien,
die Anordnung der Kollateralen der Fasern der weissen Substanz
(van Gehuchten, Retzius) entspricht fast vollkommen der
Anordnung derselben bei Vögeln und Säugetieren; unzweifelhaft
sind hier lange motorisch-sensible Kollateralen vorhanden, welche
in Verzweigungen zwischen den motorischen Zellen endigen.
672 Dekretjakotff.:
Im embryonalen Zustande des Rückenmarks der Vögel und
Säuger dringen die Dendriten der Zellen, indem sie sich ver-
zweigen, in die weisse Substanz ein, bilden jedoch kein peri-
medulläres Geflecht. Beim Auswachsen der grauen Substanz
werden die Dendriten in diese zurückgezogen, wobei die Zellen
ihre endgültige Form und Lage annehmen.
Sei es infolge einer besseren Kenntnis des Nervensystems
der Vögel und Säugetiere, sei es infolge von Baueigentümlich-
keiten sind in ihm sog. Golgizellen beschrieben worden, welche
von allen Autoren bei Fischen, Amphibien und Reptilien in Abrede
gestellt werden. Ramön y Cajal, welcher sich zu diesem
Zelltypus überhaupt skeptisch verhält, erkennt sie dennoch in
der Rolandschen Substanz an.
Das Rückenmark der Wirbeltiere, angefangen von den
Cyclostomen, behält denselben Bautypus bei.
In bezug auf den Kontakt der sensiblen und motorischen
Neuronen wird ein allmählicher Übergang vom diffusen Kontakt
im perimedullären Geflecht zum isolierten Kontakt vermittelst
langer motorisch-sensibler Kollateralen beobachtet, d.h. zu dem
Verhalten, welches als Reflexbogen bezeichnet wird. Von den
mit paarigen Extremitäten versehenen Tieren (oder denjenigen,
welche sie sekundär verloren haben) unterscheiden sich die
Cycelostomen besonders durch die kolossale Entwicklung amakriner
Schaltzellen und durch den Mangel typischer Strangzellen. Die
bi- und multipolaren Zellen anderer Wirbeltiere können, meiner
Ansicht nach, als Hinweis darauf dienen, dass die Strangzellen eine
weitere Entwicklung amakriner oder überhaupt der Koördinations-
und Assoziationszellen von Ammocoetes darstellen. Indem die
Strangzellen kurze und lange Assoziationsbahnen bilden, bedingen
sie eine grössere Isolierung der Reflexe einzelner Muskeln. So
lange jedoch ein perimedulläres Geflecht vorhanden ist, kann wohl
kaum die Rede sein von einzelnen Reflexen sowie von einer
strengen und schnellen Lokalisation der Hautreizungen. Bei
jeder beliebigen äusseren .Reizung der Haut bemüht sich ein
Frosch zunächst wegzuspringen, d. h. eine lokale sensible Reizung
ruft in dessen Rückenmark einen diffusen motorischen Reflex
hervor. Noch grössere Bedeutung hat ein derartiger diffuser
motorischer Reflex bei Fischen, bei welchen die Bewegung der
Nervensystem von Ammocoetes. 675
Gesamtkörpermuskulatur das einzige Mittel vorstellt, um sich
von einer äusseren Hautreizung zu befreien.
Einem Vergleich des Rückenmarks von Ammocoetes mit
demjenigen von Amphioxus sah ich mich genötigt zu entsagen;
die Nervenelemente seines Rückenmarks behalten viele gemein-
same Eigenheiten mit denjenigen des Nervensystems wirbelloser
Tiere bei; die Nervenzellen sind meistenteils unipolar, die Den-
driten stellen Verzweigungen des Hauptfortsatzes, aus welchem
der Nervenfortsatz seinen Ursprung nimmt, dar. Die sensiblen
Zellen sind offenbar im Rückenmark selber gelegen (Retzius [42]).
Ausserdem sind hier noch besondere Riesenzellen vorhanden,
welche mit keinerlei Nervenelementen des Rückenmarks der
Wirbeltiere verglichen werden können. Ein Zentralkanal sowie
eine Faserschicht an der Rückenmarksoberfläche werden auch bei
Wirbellosen angetroffen. Für eine sicher begründete Homologi-
sierung der Nervenelemente des Rückenmarks von Amphioxus
und Ammocoetes muss zunächst das gegenseitige Verhalten der
Nervenelemente zueinander bei Amphioxus und der ihm nahe-
stehenden Gruppen wirbelloser Tiere Klargestellt werden.
Das grosse Interesse, welches die Metamerie des Kopfes
darbietet, bot den Anlass dazu, Spuren eines metamerischen Baues
im Rückenmark zu suchen. Im Jahre 1855 beschrieb K. von
Kupffer die Segmentierung der noch nicht geschlossenen Medullar-
platte bei Salamandra atra, welche sich gleichmässig sowohl auf
das Gebiet des Gehirns als auch des Rückenmarks erstreckt.
W. A. Locy (23, 24) fand eine gleiche primäre Segmentierung
des Rückenmarks bei Haien. Auf Grund dieser Befunde könnte
wohl angenommen werden, dass die Neuromerie eine primäre
Erscheinung sei und dass bei niederen Fischen Spuren derselben
in irgend einer Form vorhanden sein müssten.
Die segmentale Anordnung der Spinalwurzeln gestattet es
anzunehmen, dass das Rückenmark in segmentale Abschnitte,
welche den Wurzeln entsprechen, eingeteilt werden kann. Die
Forscher, welche die Metamerie des Gehirnes studiert haben,
bemühen sich gerade, einen Zusammenhang der Neuromeren mit
den Wurzeln der Kopfnerven aufzufinden. Da äussere Kenn-
zeichen der Segmentierung des Medullarrohres fehlen, so muss
das Augenmerk auf die Anordnung der Nervenelemente gerichtet
werden. Hinsichtlich der Nervenzellen erwachsener Fische sind
674 DIT etJakott:
in der letzten Zeit von Kolster (29) Befunde erhoben worden:
derselbe beschreibt die segmentale Anordnung der Zellen der
ventralen Hörner. Dieselbe wird auch im dorsalen Teil des
Rückenmarks, jedoch viel schwächer als im ventralen Horn aus-
gebildet, wahrgenommen. Eine ähnliche Verteilung der Zellen
ist in dem Rückenmark der höheren Wirbeltiere beschrieben
worden In dem Rückenmark von Ammocoetes ist jedoch absolut
keine Segmentierung oder gar eine einfache Gruppierung der
Nervenzellen zu erkennen. Der ganze Bauplan des Rückenmarks
weist im Gegenteil auf eine vollkommen gleichmässige Verteilung
der Nervenelemente ohne irgendwelche Beziehung derselben zu
den Körpersegmenten und den Nervenwurzeln hin. Unabhängig
von den embryonalen Beziehungen gibt der Bau des Rücken-
marks von Ammocoetes keine Grundlage dafür ab, seiner
Segmentierung eine tiefe phylogenetische Bedeutung zuzusprechen.
Die gruppenweise Anordnung der Zellen bei anderen Wirbeltieren
ist eine sekundäre Erscheinung, worauf bereits die sorgfältigen
Untersuchungen von Argutinsky (2) an dem Rückenmark des
menschlichen Neugeborenen hinweisen. Ein Beispiel einer der-
artigen Gruppenanordnung der Zellen und zwar der Zellen des
ventralen Hornes stellt die Medulla oblongata von Ammocoetes
dar, in welcher die Kerne der motorischen Nerven als aufeinander-
folgende Gruppen motorischer Zellen angeordnet sind. Der
sekundäre Charakter einer derartigen Segmentation erhellt aus
einem Vergleich mit dem Rückenmark, worüber ich ausführlicher
in nächster Zukunft zu berichten hoffe.
Meinen tiefempfundenen Dank spreche ich an dieser Stelle
meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. A.S. Dogiel, der
mich auf das Thema hingewiesen hat, aus. Seine Ratschläge,
sein beständiges Interesse an meiner Arbeit verhalfen mir dieselbe
zum Schluss zu bringen, wenn von einem Schluss einer derartigen
Arbeit überhaupt die Rede sein kann. Ich denke, dass im Gegenteil
bei einem weiteren Studium des Rückenmarks von Ammocoetes
viele neue Tatsachen erschlossen werden, wobei meine Unter-
suchung, wie ich hoffe, denselben eine sichere Basis abgeben wird.
10.
Ill.
16.
17.
18.
19.
Nervensystem von Ammocoetes. 675
Literaturverzeichnis.
Ahlborn, Fr.: Untersuchungen über das Gehirn der Petromyzonten.
Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXXIX, 1883.
Argutinski, P.: Über eine regelmässige Gliederung in der grauen
Substanz des Rückenmarks beim Neugeborenen und über die Mittelzellen.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLVIII, 1896.
Athias, M.: Structure histologique de la moelle du tetard de la grenouille.
Bibliographie anatomique, T. V, 1897.
Beard, J.: The transient ganglion cei!s and their nerves in Raja batis.
Anat. Anz., Bd. VII, No.”7 u. 8, 1892.
Derselbe: On the disappearance of the transtent nervus apparatus in the
series: Scyllium, Acanthias, Mustelus and Torpedo. Anat. Anz., Bd. XII,
No. 15 u. 16, 1896.
Bela Haller: Über das Zentralnervensystem, insbesondere über das
Rückenmark von ÖOrthagoriscus mola. Morph. Jahrb., Bd. XVII, 1891.
Derselbe: Untersuchungen über das Rückenmark der Teleostier. Morph.
Jahrb., Bd. XXIII, 1895.
Derselbe: Bemerkungen zu v. Gehuchtens Kritik über meine Arbeit:
Untersuchungen über das Rückenmark der Teleostier. Zool. Anz.,
Bd. 19, 504.
Burckhardt: Histologische Untersuchungen am Rückenmark der
Tritonen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XXXIV, 1888.
Dahlgren: The giant ganglion cells in the spinal cord of the order
Heterosomata cope &c. Anat. Anz., Bd. XIII, 1897.
Freud: Über den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln im Rückenmark
von Ammocoetes (Petromyzon Planeri). Sitzungsber. d. Kais. Akad. d.
Wissensch. Wien, Bd. LXXV, 1877.
Derselbe: Über Spinalganglien und Rückenmark des Petromyzon. Sitzungs-
ber. d. Kais. Akad. d. Wissensch. Wien, Bd. LXXVIII, 1878.
. v. Gehuchten, A.: La moelle epiniöre de la truite. La Cellule, T. XI,
183.
. Derselbe: Les cellules de Rohon dans la moelle epiniöre et la moelle
allongee de la truite. Bull. de l’Acad. roy. de Belgique, 3e serie, T. XXX,
1895.
Derselbe: Contribution ä l’&tude de la moelle epiniöre chez les vertebres
(Tropidonotus). La Cellule, T. XII, 1896.
Derselbe: Contribution & l’&tude des cellules dorsales (Hinterzellen) de
la moelle epiniere des vertebr6s inferieurs. Bull. de l’Acad. roy. de Belgique,
3e serie, T. XXXIV, 1897.
Derselbe: La moelle epiniöre des larves des Batraciens. Arch. de Biol.,
7. XV, 1898:
Golgi, C.: Le reseau nerveux diffus des centres du systeme nerveux.
Arch. ital. de Biol., T. XV, 1891.
Jonston: The giant ganglion cells of Catosomus and Coregonus. Journ.
‘comp. Neur., Bd. V, 1900.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 44
676
20.
21.
22.
23.
24.
25.
36.
37.
40.
4].
D. Bretjakoöff:
Lawdowsky, M.: Vom Aufbau des Rückenmarks. Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. XXXVII, 1891.
Lenhosse&k: Beobachtungen an den Spinalganglien und dem Rücken-
mark von Pristiurusembryonen. Anat. Anz., Bd. VII, 1892.
Derselbe: Beiträge zur Histologie des Nervensystems und II. Zur Kenntnis
des Rückenmarks der Rochen. Wiesbaden 1894.
Locy, W. A.: Metameric segmentation in the medullary folds and
embryonice rim. Anat. Anz., Bd. I, 1894.
Derselbe: Contribution to the structure and development of the Verte-
brate head. Journ. of Morph., 1895.
Kalberlah, Fr.: Über das Wückenmark der Plagiostomen. Ein Beitrag
zur vergleichenden Anatomie des Zentralnervensystems. Zeitschr. f.
Naturw., Bd. LXXIII, 1900.
Koelliker: Handbuch der Gewebelehre, Bd. II, 1896.
. Kolmer, W.: Zur Kenntnis des Rückenmarks von Ammocoetes. Anat.
Hefte, Bd. XXIX. 1905.
Kolster, Rud.: Über bemerkenswerte Ganglienzellen im Rückenmark
von Perca fluviatilis. Anat. Anz., Bd. XIV, 1898.
. Derselbe: Studien über das zentrale Nervensystem. I. Über das Rücken-
mark einiger Teleostier. Berlin 1898.
Kupffer, €.: Primäre Metamerie des Neuralrohrs der Vertebraten.
Sitzungsber. math.-physik. kl. Akad. d. Wissensch. München, 1885.
. Kutschin: Über die mikroskopische Struktur des Rückenmarks von
Petromyzon fluv. Gelehrte Nachrichten der Universität Kasan, 1865.
. Martin: Contribution A l’&tude de la structure interne de la moelle
epiniere chez le poulet et chez la truite. La Cellule, T. II, 1894.
Mayer, Fr.: Das Zentralnervensystem von Ammocoetes. Anat. Anz.,
Bd. XIII, 1897.
Müller, J.: Vergleichende Neurologie der Myxinoiden. Abhandlung. der
Berl. Akad., 1838—1840.
. Nansen, Frith.: The structure and combination of the histological
Elements of the central nerve-system. Bergens-Museum, Aarsberetning,
1887.
Owsjannikow: Disquisitiones microscop. de medullae spin. textura in
primis in piscibus, Dorpat 1854.
Derselbe: Das Rückenmark und das verlängerte Mark des Neunauges.
M&moires de l’Academie imp. des Sciences de St. Petersbourg, Vol. XIV,
1903.
Pawlowsky, D. J.: Zum Aufbau des Rückenmarks beim Sterlit. Neuro-
logischer Bote, Kasan 1897.
Ramön y Cajal, S.: La medula espinal de los reptiles. Pequenas
contributiones al conocimiento del sistema nervioso. Barcelona 1891.
Derselbe: Textura del sistema nervioso del hombre y de los vertebrados.
T.1I, Madrid 1899.
Reissner: Beiträge zur Kenntnis des Rückenmarks. Müllers Archiv,
1860.
Nervensystem von Ammocoetes. 677
Retzius, G.: Zur Kenntnis des Zentralnervensystems von Amphioxus
lanceolatus. Biol. Unters., N. F., Bd. II, 1891.
Derselbe: Zur Kenntnis des zentralen Nervensystems von Myxine gluti-
nosa. . Biol. Unters., N. F., Bd. II, 1891.
. Derselbe: Die nervösen Elemente im Rückenmarke der Knochenfische.
Biol. Unters., N. F., Bd. V, 1893.
Derselbe: Über den Bau des Rückenmarks der Selachier. Biol. Unters.
N. F., Bd. VII, 189.
. Derselbe: Die embryonale Entwicklung der Rückenmarkselemente bei
den Ophidiern. Biol. Unters., N. F., Bd. IV, 1894.
Derselbe: Weiteres über die embryonale Entwicklung der Rückenmarks-
elemente der Ophidiern. Biol. Unters., N. F., Bd. VIII, 1898.
. Derselbe: Zur Kenntnis der Entwicklung des Rückenmarks von Anguis
fragilis. Biol. Unters., N. F., Bd. VIII, 1898.
. Rohon: Zur Histogenese des Rückenmarks der Forelle. Sitzungsber.
d. math.-phys. Kl. d. bayr. Akad., 1884.
Sala y Pons, Cl.: Estructura de la medula espinal de los batracios,
Barcelona 1892.
Sargent: The giant ganglion cells in the spinal cord of Ctenolobrus
coeruleus Stoier. Anat. Anz., Bd. XV, 1898.
Sterzi, G.: Die Blutgefässe des Rückenmarks. Untersuchungen über
ihre vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Anat. Hefte,
1. Abt., Bd. 24, 1904.
. Derselbe: Il sistema nervoso centrale dei vertebrati. Padova 1907.
Stieda: Über den Bau des Rückenmarks der Rochen und Haie. Zeitschr.
f. wiss. Zool., Bd. XXIII, 1873.
Stilling: Atlas mikroskopisch-anatomischer Abbildungen zu den neuen
Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks. Kassel 1859.
Tagliani: Über die Riesennervenzellen im Rückenmark von Solea impar.
Anat. Anz., Bd. XV, 1898.
Studni@ka: Ein Beitrag zur Histologie und Histogenese des Rücken-
marks. Sitzungsber. der königl. böhm. Gesellsch. der Wissensch., 1895.
. Weliky, W1.: Über den Bau des Rückenmarks des Neunauges. Arbeiten
der kais. St. Petersb. Naturforschergesellschaft, Bd. VI, 1879,
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII-XXV.
Tafel XXIII.
Fig. 1. Hälfte eines Querschnittes durch das Rückenmark von Ammocoetes,
Grosse motorische Zelle desI. Typus mit einer grossenAnzahl Dendriten,
die sich in einer Rückenmarkshälfte verzweigen. M — Müllersche
Fasern von Dendritenverzweigungen umflochten; pd — dorsales
senkrechtes Geflecht ; pv = ventrales senkrechtes Geflecht. Vergröss.
250 mal.
44*
678
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 6.
Hug: =;
Fig. 8.
Eıv..u
D. Tretjakoff:
Querschnitt durch das Rückenmark. Motorische Zelle des I. Typus,
deren medialer Dendrit ventral vom Zentralkanal auf die gegen-
seitige Rückenmarkshälfte übergeht und daselbst im senkrechten
Geflecht endigt. C — Zentralkanal; M = Müllersche Fasern,
Vergröss. 220 mal.
Querschnitt durch das Rückenmark. Motorische Zellen des II. Typus
mit medialen Dendriten, welche auf die gegenseitige Hälfte des
Rückenmarks dorsal vom Zentralkanal übergehen. Ausserdem geht
auch ein Ast des lateralen Dendriten desgleichen auf die gegen-
seitige Rückenmarkshälfte über und endigt teilweise im senkrechten
Geflecht, teilweise in der grauen Substanz. C = Zentralkanal.
Vergröss. 220 mal.
Querschnitt durch das Rückenmark. Drei typische amakrine Schalt-
zellen des I. Typus in der linken Hälfte, eine an der Grenze der
grauen Substanz und des ventralen Stranges in der rechten Hälfte
des Rückenmarks. Eine der linken Zellen verzweigt sich in beiden
Rückenmarkshälften, die andere verbindet den laterodorsalen Strang
mit dem Gebiet der ventralen Kommissur; der mediale Dendrit
der dritten liegt zwischen Müllerschen Fasern, während die Ver-
zweigungen der vierten Zelle nicht aus dem Bereich des ventralen
Stranges heraustreten. © — Zentralkanal; M— Müllersche Fasern
Vergröss. 220 mal.
Sagittalschnitt durch das Rückenmark. Drei grosse motorische
Zellen des II. Typus in ihrer natürlichen Lagerung zueinander.
k = kleine Nervenzellen (ihre Dendriten sind nicht gezeichnet),
kd — kleine Zelle, deren Fortsatz sich im dorsalen Strang verzweigt
(conf. Fig. 23); v — zwei Fasern des Dorsalstranges, welche aus
dem Strange zu dessen Oberfläche emporsteigen, wo sie in Ver-
zweigungen endigen; diese Fasern gehören den Dorsalzellen an.
Vergröss. 280 mal.
Querschnitt durch das Rückenmark. Eine ausserhalb der grauen
Substanz gelegene motorische Zelle (Randzelle). Ihre Dendriten
verzweigen sich, wie bei den typischen motorischen Zellen, in den
dorso-lateralen und ventralen Bündeln. M — Müllersche Fasern.
Vergröss. 280 mal.
Eine Randzelle auf einem Totalpräparat des Rückenmarks. d =
Dendriten; m — Rückenmarksrand; n — Nervenfortsatz. Ansicht
der Zelle von der dorsalen Seite des Rückenmarks. Vergröss. 220 mal.
Eine motorische Zelle des III. Typus auf einem Totalpräparat.
dl — lateraler Dendrit; dm — medialer Dendrit; n = Nerven-
fortsatz. Vergröss. 280 mal.
Zwei motorische Zellen des I. Typus auf einem Totalpräparat.
m — Rand des Rückenmarks; n — Nervenfortsatz. Vergr. 280 mal.
Sämtliche Zeichnungen sind Präparaten aus den Rnmpfabschnitten
des Rückenmarks verschiedener Exemplare von Ammocoetes von
einer Länge von 10—17 cm entnommen. Die Präparate sind intra
vitam mit Methylenblau gefärbt worden.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
10.
11:
12.
13.
14.
16.
E27.
19.
Nervensystem von Ammocoetes. 679
Tafel XXIV.
Horizontalschnitt aus einem mit Methylenblau gefärbten Rücken-
mark. a — motorische Zelle des III. Typus; ac — Zellkörper;
ad = ein langer Dendrit der Zelle; an — Nervenfortsatz; b =
motorische Zelle des II. Typus, deren Nervenfortsatz nicht gefärbt
ist; ce — Schaltzellen des II. Typus. Vergröss. 280 mal.
Horizontaler Schnitt durch das Rückenmark von Ammocoetes.
Präparat nach Golgi. Motorische Zelle des I. Typus. ce — Zell-
körper; d — Dendriten; n — Nervenfortsatz. Vergröss. 280 mal.
Horizontalschnitt eines Golgipräparates. Motorische Zelle des
Il. Typus mit unvollkommen gefärbten Dendriten. ce — Zellkörper;
en — eine Kollaterale des Nervenfortsatzes; d — Dendriten; n —
Nervenfortsatz. Vergröss. 280 mal.
Querschnitt durch das frontale Rückenmark. Amakrine Schaltzellen
von verschiedener Grösse und Lage. Vergröss. 220 mal.
Abschnitt der Hälfte des Rückenmarks auf einem Totalpräparat,
von der unteren Oberfläche gesehen. Gesamtbild. a = motorische
Zellen; b — Schaltzellen; d = Dorsalzelle; m —= Rand des Rücken-
marks; r —= Randzelle (unvollständig gefärbt). Vergr. 380 mal.
Dorsale Oberfläche eines mit Methylenblau gefärbten Rückenmark-
stückes. rd — dorsale Wurzel; dv — Fasern der dorsalen Wurzeln
in den dorso-lateralen Strängen; de — deren Kollateralen in den
dorsalen Strängen. In den tieferen Schichten des Rückenmarks
sind sichtbar: a —= motorische Zelle des I. Typus, an — deren
Nervenfortsatz, bı b = Schaltzellen des I. Typus. Vergr. 220 mal.
Sämtliche Zeichnungen dieser Tafel sind Präparaten aus den
Rumpfabschnitten des Rückenmarks von Ammocoetes von 10—17 cm
Länge entnommen. Die Präparate 10, 13, 14 und 15 sind intra
vitam mit Methylenblau gefärbt worden.
Tafel XXV.
Querschnitt durch das Rückenmark. Schaltzellen und das peri-
medulläre Geflecht. ce — Centralkanal; d — dorsale Bündel; M —
Müllersche Fasern. Vergröss. 220 mal.
Hälfte eines Querschnittes durch das Rückenmark. a —= motorische
Zelle; b = amakrine Schaltzelle, deren ein Dendrit sich im dorsalen
Strange, der andere im Gebiet der ventralen Kommissur sich ver-
zweigt; bı — amakrine Schaltzelle, deren Dendriten sich in den
ventralen Strängen verzweigen. Vergröss. 280 mal.
Hälfte eines Querschnittes durch das Rückenmark. Amakrine Schalt-
zelle mit stark entwickeltem System von Verzweigungen. Vergr.
280 mal.
Hälfte eines Querschnittes durch das Rückenmark. Amakrine Zellen.
am — amakrine Schaltzelle in der weissen Substanz. M= Müller-
sche Fasern. Vergröss. 2S0 mal.
Fig.
Fig.
ig. 20.
. 22.
23.
D. Tretjakoff: Nervensystem von Ammocoetes.
Querschnitt durch das Rückenmark. Amakrine Zellen. © — Zentral-
kanal; d = dorsale Bündel; M—= Müllersche Fasern; dr — dorsale
Wurzeln; ve — ventrale Kommissur. Vergröss. 220 mal.
Totalpräparat des Rückenmarks, dorsale Oberfläche. Amakrine
Zellen ; die Endverzweigungen sind nicht gezeichnet. b — amakrine
Schaltzellen des III. Typus. Vergröss. 380 mal.
Querschnitt durch das Rückenmark. bı b = zwei amakrine Schalt-
zellen, welche die dorso-lateralen Bündel mit der ventralen Kommissur
verbinden. a — motorische Zellen. Vergröss. 280 mal.
Querschnitt durch das Rückenmark. Schaltzellen, deren einziger
oder mächtigster Fortsatz sich im dorsalen Strange oder an der
Grenze dieses mit dem dorso-lateralen Strange verzweigt. c —
Zentralkanal; sg —= graue Substanz. Schwanzabschnitt des Rücken-
marks. Vergröss. 220 mal.
Totalpräparat des Rückenmarks; dorsale Oberfläche. r — eine
Faser des dorso-lateralen Bündels am Rückenmarksrande; r — eine
Faser aus dem medialen Teil des dorso-lateralen Bündels; beide
Fasern sind Fortsetzungen von Fasern dorsaler Wurzeln; s =
Endigungen dorso-lateraler Fasern im perimedullären Geflecht.
Vergröss. 280 mal.
Sämtliche Zeichnungen dieser Tafel sind Präparaten aus den
Rumpfabschnitten (ausgenommen Fig. 23) des Rückenmarks von
Ammocoetes von 10—17 cm Länge entnommen. Die Präparate:
sind intra vitam mit Methylenblau gefärbt worden.
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen
Sekretion.
Von
A. N. Mislawsky
Prosektorgehilfe am histologischen Laboratorium zu Kasan.
Hierzu Tafel XXVI.
Bei meinen Untersuchungen über den Bau der im Jahre 1875
von Löwe (1) entdeckten und in den Handbüchern von Krause (?)
und C. Vogt und E. Jung (3) irrtümlich den Speicheldrüsen
angereihten Glandula mandibularis superficialis des Kaninchens,
einer Drüse, die tatsächlich nur als die tiefer liegende Partie
eines ziemlich ansehnlichen Konglomerates von Hautdrüsen eigen-
tümlicher Art in der Unterkieferregion des genannten Tieres
sich erweist, hatte ich Gelegenheit, sehr scharf ausgesprochene
Veränderungen funktionellen Charakters in dem Epithel der
sezernierenden Teile dieser Drüse zu beobachten, Veränderungen,
welche in der histologischen Literatur unter dem Namen der
blasenförmigen Sekretion (Henschen) bekannt sind.
Diese Erscheinung, welche in der Abstossung des ganzen
distalen Teiles der sezernierenden Zelle in das Sekret besteht,
ist zuerst von R. Heidenhain bei der tätigen Milchdrüse
beschrieben worden, obschon man weit früher Hinweise darauf
bei Ranvier (5, 6) finden kann: der letztgenannte Autor
beobachtete an den Schweissdrüsenzellen eine Ablösung homogener
Tropfen, die an Schleim- oder Colloidtropfen erinnern, doch gibt
er über den Modus dieser Ablösung keinen Aufschluss.
R. Heidenhain (7) fand bei seinen Untersuchungen über
die Veränderungen des Epithels der sezernierenden Partien der
Milchdrüse während ihrer Tätigkeit, dass in der Lactationsperiode
das niedrige kubische Epithel der ruhenden Mamma sich in ein
hohes zylindrisches verwandelt. Ferner sagter: „Bei der Sekretion
wird der vordere Teil samt dem in ihm enthaltenen Fett ab-
gestossen, die zerfallende Substanz der Zelle löst sich in der
Milch, die Fetttröpfehen werden frei; oft hängt ihnen noch auf
682 A.N. Mislawsky:
einer Seite ein Stückchen des Zellleibes kappenförmig an, das
allmählich aber gelöst wird. Sind in dem sich abstossenden
Teile der Zelle Kerne vorhanden, so gehen auch diese in das
Sekret über. Man findet sie nicht selten in dem Alveolarinhalt,
dagegen sehr selten in der entleerten Milch“ (S. 383—384). Die
Herkunft ebenso wie auch die physiologische Bedeutung der oben
erwähnten, in das Sekret ausgeschiedenen Kerne wurde einige
Jahre darauf von Heidenhains Schüler, Fr. Nissen (8), klar-
gelegt, indem letzterer die Beteiligung des Kernes bei der
gegebenen Art der Sekretion nachwies. Den Beobachtungen des
letztgenannten Autors zufolge geht in den Epithelzellen der
tätigen Milchdrüse eine sehr lebhafte Kernvermehrung vor sich
— die Zellen erscheinen meist zweikernig, wobei die beiden
Kerne in der Längsachse der Zelle übereinander liegen. Während
der Sekretion schnürt sich der distal liegende Kern mit einem
Teil des Zellprotoplasmas ab und geht in das Sekret über, wo-
selbst er durch Chromatolyse zerfällt. Die Anfangsstadien der
Chromatolyse beobachtete der Verfasser in dem zur Abstossung
bestimmten Kerne, als letzterer noch in dem Zellkörper sich
befand. Im Hinblick darauf, dass die Nukleinsubstanz in den
Geweben ausschliesslich der Kernsubstanz eigen ist, glaubt
Nissen, dass die von ihm beschriebene Erscheinung bei der
Bildung des Caseins der Milch eine sehr wichtige Rolle spielt,
da das Casein bekanntlich in die Gruppe der Nukleo-Albumine
gehört. Was aber den Modus der Kernvermehrung betrifft, so
meint der Autor, dass in der Milchdrüse eine direkte Kern-
teilung statthabe, weil es ihm kein einziges Mal gelang, einer
karyokinetischen Figur ansichtig zu werden. Der letzterwähnte
Umstand wird auch von Michaelis (9) bestätigt. Im Gegen-
satz hierzu fand Steinhaus (10) in der tätigen Mamma eine
beträchtliche Anzahl von Mitosen, wobei die Teilungsachse der
mitotischen Kerne gewöhnlich mit der Längsachse der Zelle
zusammenfiel, während dagegen in der gleichfalls von reichlichen
Mitosen begleiteten Schwangerschaftsperiode die Teilungsachse
der mitotischen Kerne senkrecht zur Längsachse der Zelle
gestellt war.
Die Arbeit von Steinhaus ist deshalb besonders interessant,
weil der Autor sich zum Ziel gesetzt hatte, die Morphologie der
Sekretbildung in den der Sekretausscheidung vorhergehenden
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 653
Stadien zu erörtern. Seinen Beobachtungen zufolge wird bei der
Sekretion eine mit Vergrösserung des Zellenumfanges parallel
gehende Anfüllung der Zelle mit Altmannschen fuchsinophilen
(Granulationen bemerkt; diese Granula unterliegen im Laufe des
Prozesses „einer zyklischen Metamorphosenreihe: anfänglich
kugelig, werden sie ovoid, stäbehenförmig, spirillen- und zuletzt
spirochaetenartig gewunden“. „Gleichzeitig tauchen im Proto-
plasma Fetttröpfehen auf. Wahrscheinlich entstehen sie auf die
Weise, dass einzelne fuchsinophile Granula sich mit Fett beladen“
(S. 66). Daneben beschreibt der Autor das gleichzeitige Auf-
treten von Fetttröpfehen in dem einen der neu gebildeten Zell-
kerne — eine Erscheinung, die zur Zerstörung und zum Unter-
gange dieses letzteren führt. „Alle diese morphologischen
Elemente, — Granula, Fetttröpfehen, verfettete Kerne, — lösen
sich von der Zelle ab und gehen in das Sekret über, in welchem
sie weitere Veränderungen erleiden. Die zurückgebliebenen
Zellenreste regenerieren sich, insofern sie kernhaltig sind, und
die Sekretion beginnt von neuem“ (S. 66).
Bereits bald nach Veröffentlichung der Untersuchungen
Heidenhains stellte es sich heraus, dass die Milchdrüse nicht
das einzige Organ ist, in welchem die oben beschriebenen
sekretorischen Veränderungen des Epithels statthaben; so fand
Lebedeff (11) bereits im Jahre 1885, als er die Veränderungen
im Epithel der Harnkanälchen bei, der Hämoglobinausscheidung
durch die Niere unter Einfluss vÖfschiedenartiger Intoxikationen
verfolgte, dass „durch die Aufquellung der Zellen der innere
dem Lumen zugekehrte Teil ganz abgelöst werden kann, so dass
nur der periphere Teil zurückbleibt; der Kern kann in dem
letzteren erhalten bleiben“ (S. 308).
Lebedeff hielt diese Erscheinung für eine rein patho-
logische; indes beobachtete Lorenz (12) einige Jahre später in
der normalen Schweinsniere eine ähnliche Ablösung eines kuppel-
förmig in die Lichtung des Harnkanälchens hineinragenden Teiles
des Zellprotoplasmas in Gestalt „spärlich gekörnter Kugeln“.
Bei dem Menschen fand Lorenz die nämlichen Veränderungen
des Nierenepithels nur bei Entzündungs- und Stauungserscheinungen.
Ein Jahr nach Lorenz beobachtete Altmann (13) das
uns interessierende Phänomen an den Epithelzellen der embryo-
nalen Niere eines I3tägigen Hühnerembryos. „Hier“, sagt er,
684 A. N. Mislawsky:
„zeigte es sich, dass die Zellen grössere kugelige Gebilde aus-
stossen, welche zum Teil noch spezifische Granula enthalten,
und dass dieses trotz des epithelialen Bürstenbesatzes geschieht“
(S. 117). Bei erwachsenen Warmblütern gelang es dem Verfasser
nicht, ein ähnliches Phänomen nachzuweisen, was er ausschliess-
lich der relativen Enge des Lumens ihrer Harnkanälchen zu-
schreibt, denn eine bis zwei Stunden nach der Ureterunterbindung,
wenn das Lumen der Harnkanälchen einigermassen ausgedehnt
erscheint, erhielt Altmann mit den soeben beschriebenen
identische Bilder. Neuerdings findet die Ansicht Altmanns,
wie es scheint, eine Bestätigung in der Arbeit Henschens (4),
welcher mit den Altmannschen Befunden identische Verände-
rungen des Epithels der Harnkanälchen in der Niere von Vesper-
tilio murinus konstatiert hat.
Nicolas (14), welcher den uns beschäftigenden Sekretions-
prozess an dem Urnierenepithel von Säugetieren studiert hat,
stellte im Jahre 1891 eine Theorie auf, welche den Mechanismus
dieses Prozesses erklärte. Seinen Anschauungen zufolge werden
von der Zelle flüssige, zur Ausscheidung aus dem Zellkörper
bestimmte Produkte ausgearbeitet; je mehr diese letzteren in
der Zelle zunehmen, desto mehr sind sie bestrebt, den Umfang
dieser Zelle in allen Dimensionen auszudehnen; da aber die an-
liegenden Nachbarzellen ebenso wie auch die wenig nachgiebige
Membrana propria der AusdChnung der Zelle Widerstand leisten,
so werden die Sekretionsproduüte unausbleiblich nach der einzigen
freien Zellenoberfläche hin verdrängt; hier imbibieren sie den
der Lichtung anliegenden Teil des Zellprotoplasmas und bedingen
so ein Auswachsen der Zelle in vertikaler Richtung und eine
kuppelförmige Vorwölbung des freien Zellenendes in das Lumen.
Hat die Sekretanhäufung in der Zelle ihre gewisse Grenze
erreicht, so löst sich der distale, mit der Sekretionsflüssigkeit
imbibierte Teil des Protoplasmas in Gestalt eines Tropfens von
der Zelle ab und geht in die Lichtung des Organs über. Dies
kann, nach der Ansicht des Verfassers, in zweierlei Weise vor
sich gehen, je nachdem die Zellenoberfläche mit einem Bürsten-
besatze versehen ist oder nicht. Im erstgenannten Falle, wie er
im Wolffschen Körper an den Zellen des postglomerulären Ab-
schnittes zur Beobachtung kommt, bildet der der Ablösung
anheim fallende Teil des Zellprotoplasmas an der Zellenoberfläche
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 685
gleichsam einen bruchsackartigen Wulst; letzterer nimmt allmählich
an Umfang zu, drängt die Elemente der Wimpermembran seit-
wärts auseinander, reisst endlich infolge seiner Schwere ab und
fällt in die Kanallichtung. Etwas einfacher gestaltet sich dieser
Prozess an den der Cilien sowie der damit verbundenen Membran
entbehrenden Zellen der Sammelröhren des W olffschen Körpers.
Von dem basalen Teile der Zelle löst sich hier der durch seine
mehr schwammige und lockere Struktur ausgezeichnete distale
Zellenabschnitt, indem er ebenfalls durch seine Schwere vom
Zellkörper abreist und ebenso in die Lichtung der Röhre fällt.
Mitunter kommt es, wie Nicolas angibt, im letztgenannten
Falle nicht zu einer Abschnürung der Zellenkuppe von der
basalen Zellenhälfte, so wie es oben beschrieben wurde, sondern es
zerreisst einfach die dünne Grenzmembran der Zelle und der Inhalt
der letzteren ergiesst sich direkt in die Lichtung des Organs. ')
Mit den von Nicolas beobachteten fast identische Bilder
hatte van Gehuchten (15) bereits etwas früher an dem Epithel
des Mitteldarmes (mediintestin) einer Raupe (Ptychoptera conta-
minata) beschrieben; indes besteht ein scharfer Unterschied in
der Deutung, die van Gehuchten seinen Befunden gibt und
der von Nicolas vorgeschlagenen Theorie. Während der letzt-
genannte Autor die Ablösung der von der Zelle ausgearbeiteten
Substanzen als eine auf den Gesetzen der Hydrostatik beruhende-
Erscheinung rein physikalischen Charakters betrachtete, schreibt
van Gehuchten der Zelle eine in gleichem Maße aktive Rolle
zu, sowohl bei der Bildung als auch bei der Ausstossung des
Sekretes. Nach der Ansicht van Gehuchtens sammeln sich
die zur Ausscheidung bestimmten Produkte im distalen Teile der
Zelle an und bilden hier die helle Zone, welche durch die Sekret-
anhäufung kuppelförmig nach der freien Zellenoberfläche hin vor-
gewölbt wird; doch bevor es zur Abstossung dieses distalen Zell-
teiles kommt, bildet der proximal liegende Abschnitt des Zell-
protoplasmas an der Grenze der erwähnten Zone eine neue
Membran ; die infolge davon nicht mehr organisch mit dem Zell-
leibe verbundene, distale Zellenkuppe wird abgestossen und fällt
in das Lumen des Organs.
!) Zufolge meinen eigenen Beobachtungen wurden an dem von mir
untersuchten Objekte ähnliche Bilder wie die letzterwähnten nur bei un-
genügender Fixierung der Zellenelemente wahrgenommen.
656 A.N. Mislawsky:
Im Jahre 1897 fand Tempel (16) den oben von uns
referierten ganz ähnliche Sekretionserscheinungen in den Zellen-
elementen des Epithels der zusammengesetzten tubulösen Drüsen
der Zwischenklauenhaut (des Klauensackes) des Hausschafes (ovis
aries). Hier lassen sich, seiner Beschreibung zufolge, im Ruhe-
zustande der Drüse in deren Zellen zwei deutlich unterscheid-
bare Zonen konstatieren — eine dunkle, der Membr. propria
zugewandte und eine, an die Lichtung des Drüsentubulus an-
grenzende, helle Zone.') Dieses dunklere Aussehen der äusseren
Zellenzone ist durch die Anwesenheit feiner Granulationen in
derselben bedingt, während dagegen in der inneren Zone, welche
zwar auch Granula enthält, diese letzteren sich nur in viel
geringerer Menge vorfinden und sich durch ihre relativ beträcht-
lichere Grösse auszeichnen. Während ihrer Tätigkeitsperiode
wachsen die Zellen in senkrechter Richtung an und ihre Zylinder-
form geht hierbei infolge einer ungleichmässigen Vergrösserung
des distalen Zellenteiles in eine kegelförmige über. „Der innere
Teil der Zelle zerfällt“, die Zellen werden wieder niedriger
(S.11). Gleichzeitig konstatiert man eine lebhafte Kernvermehrung,
so dass „einzelne Zellen mehrere Kerne aufweisen“ (ibid.). Man
trifft Kerne an, welche doppelt oder dreimal grösser sind als die
übrigen. Diese Kernvermehrung geht nach des Autors Ansicht
ausschliesslich auf dem Wege der Karyokinese vor sich. Schliess-
lich notiert Tempel die überraschende Ähnlichkeit des von ihm
beschriebenen Prozesses mit den vor ihm an der Milchdrüse
beobachteten Sekretionserscheinungen.
Nach der Publikation der Arbeit Tempels liess sich schon
a priori erwarten, dass ein Befund gleichartiger Erscheinungen
des Sekretions- oder richtiger Exkretionsprozesses auch an anderen,
bei Säugern so sehr verbreiteten zusammengesetzten tubulösen
Drüsen der äusseren Haut nachfolgen werde; und in der Tat
beschrieben Talke (18) und Lüneburg (19) gleichzeitig (im
Jahre 1902) einen derartigen Sekretionstypus an den in der
Achselhöhle des Menschen gelegenen grossen Schweissdrüsen,
welche den vom oben genannten Autor untersuchten Klauensack-
drüsen ihrer Struktur nach sehr nahe stehen. Nach Talke lassen
'‘, Eine ähnliche Differenzierung des Zellprotoplasmas beobachtete
Hermann (17) bereits im Jahre 1879 in den grossen Schweissdrüsen, zu
welchen, seiner Meinung nach, die Axillardrüsen des Menschen gehören.
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 657
sich in der tätigen Drüse zwei Zellenarten unterscheiden —
dunkle oder sezernierende und helle, ruhende, oder bereits sekret-
leere Zellen. Sowohl die einen wie auch die anderen besitzen
ein zartkörniges Protoplasma Die von der Zelle ausgearbeiteten
Produkte sammeln sich in dem dem Drüsenlumen zugekehrten
Teile des Zellkörpers an und bewirken durch ihre Gegenwart
eine im Vergleich mit den ruhenden Zellen bemerkbare Ver-
grösserung der Dimensionen sowie auch eine kolbenförmige An-
schwellung der freien Oberfläche der sezernierenden Zellen.
„Nachdem oberhalb des Kernes die Sekretanhäufung in dem nach
dem Lumen zu belegenen Teile der Zelle ihre Grenze erreicht
hat, erfolgt die Sekretentleerung, so dass sich aus der Kuppe der
Zelle ein verschmälerter Fortsatz entwickelt und so allmählich
die ganze Sekretmasse herausquillt“ (S. 548). Den Anschauungen
Talkes zufolge kann freilich die Zelle nach Ausscheidung der
gegebenen Sekretmasse mitunter aufs neue in den Tätigkeits-
zustand übergehen und neues Sekret produzieren, häufiger jedoch
erfolgt der Untergang und die Zerstörung der Zelle Der Ersatz
der untergegangenen Zellen findet ausschliesslich auf dem Wege
der Karyokinese statt: kein einziges Mal beobachtete der Ver-
fasser irgendwelche Anzeichen einer direkten Kernteilung. Etwas
anders beschreibt Lüneburg den Sekretionsprozess in den
nämlichen Axillardrüsen des Menschen. Die Resultate seiner
Beobachtungen erlaube ich mir wörtlich widderzugeben, weil sie
mir am meisten mit den von mir an den’ Epithelzellen der Glan-
dula mandibularis superficialis des Kaniüchens gesehenen Bildern
übereinzustimmen scheinen:
„Mit Beginn der Sekretion nehzden die ursprünglich kubisch
gestalteten Drüsenzellen eine mehr zylindrische Form an und
lassen deutlich einen basalen kernhaltigen, dunkler gefärbten
Teil, mit leichter Längsstreifung, von einem distalen, helleren,
mehr homogenen Teil unterscheiden, der mehr oder weniger
kuppelförmig in die Lichtung des Tubulus vorragt und sich aus
einem schmalen hellen Saum entwickelt hat. Diese ganze Aussen-
zone der Zelle wird bei der Sekretion abgestossen, und es bleibt
der dunkle kernhaltige Teil zurück, welcher zunächst im Zustand
der Untätigkeit ohne hellen Aussensaum verharrt“ (S. 31).
Zu erwähnen sind noch die Arbeiten von Courant (20)
und Grosz (21), welche in den Zellen der Präputial- (Inguinal-)
635 A.N. Mislawsky:
Drüsen des Kaninchens (Courant) und der Analdrüsen des
Maulwurfes (Grosz) die Ablösung homogener kugeliger, vom
Protoplasma dieser Zellen durch mangelnde Affinität für Farb-
stoffe sich unterscheidender Gebilde beobachtet haben; führen
wir dann noch einmal die Arbeit Henschens (4) an, welcher
den betreffenden Sekretionstypus am Darmepithel von Insekten,
Mollusken, Batrachiern, Reptilien und Vögeln konstatiert und
ihm den Namen der blasenförmigen Sekretion gegeben hat, so
können wir unsere literarische Übersicht für abgeschlossen halten.
Ziehen wir nun die Befunde sämtlicher, oben aufgeführter
Autoren in Betracht, so lassen sich folgende zwei, für den uns
interessierenden Sekretionsprozess charakteristische Kardinal-
merkmale feststellen:
1. Die von der Zelle bereiteten und als deren Sekret zur
Abstossung aus derselben bestimmten Stoffe häufen sich
bis zu einem gewissen Moment in dem der Lichtung
des Organs zugewandten, distalen Teile der Zelle an,
wobei sie ein Auswachsen der Zelle in vertikaler Richtung
und eine kuppelförmige Anschwellung der freien Zellen-
oberfläche bewirken.
2. Nachdem die in der Zelle stattfindende Anhäufung des
von derselben ausgearbeiteten Sekretes eine gewisse
Grenze erreicht hat, wird der sekrethaltige distale Teil
des Zellprowoplasmas abgestossen und fällt in Gestalt
eines Tropfens in die Lichtung des Organs.
bezug auf die Hautdrüsen ist noch hinzuzufügen:
Die Kerne der Diüsenzellen nehmen an dem Sekretions-
prozesse des gegelenen Typus Anteil, welch letzterer
sich in einer im Laufe des Prozesses erfolgenden, inten-
siven Kernvermehrung äussert.
Schliesslich haben wir noch einen, bei Durchsicht der ein-
schlägigen Literatur ins Auge fallenden und bereits von
Henschen!) bemerkten Umstand zu notieren, nämlich dass die
blasenförmige Sekretion nur auf solche Organe sich bezieht,
welche zur Ausscheidung aus dem Organismus bestimmte Stoffe
produzieren resp. produzieren können.
Als Objekt für meine eigenen Beobachtungen dienten mir,
wie bereits erwähnt, die Drüsenzellen der Glandula mandibularis
I7].'c., 82089.
m
>)
cs
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 65)
superficialis des Kaninchens '). Behufs Untersuchung der Drüse
wurde sie am lebenden Tiere mit aller Vorsicht herauspräpariert,
was bei ihrer oberflächlichen Lage leicht zu bewerkstelligen ist;
darauf wurde die Drüse mit scharfem Rasiermesser in kleine
Stücke zerschnitten und sofort in die Fixierungsflüssigkeit gebracht.
Nachdem ich eine grosse Zahl der in der mikroskopischen Technik
bekannten Fixierungsmittel probiert hatte, blieb ich bei der
Altmannschen Lösung und dem Gemische von mit Sublimat
gesättigter physiologischer Kochsalzlösung unter Osmiumsäure-
zusatz ?) stehen, weil namentlich diese beiden Lösungen sowohl
die äussere Form der Zellenelemente als auch die Struktur-
eigentümlichkeiten derselben am besten konservieren. Benutzte
ich dagegen die so sehr verbreiteten Fixierungsmittel, wie z. B
die Zenkersche oder Flemmingsche Lösung — letztere in
ihrer starken sowie auch schwachen Modifikation, — ferner die
verschiedenen anderen Sublimatlösungen, das Carnoysche Ge-
misch u. a., geschweige denn ein so grobes Mittel wie Alkohol,
so beobachtete ich stets Veränderungen destruktiven Charakters
und sogar Auflösung des zarten distalen Teiles des Zellkörpers,
so dass die sezernierenden Zellen hierbei an ihrer dem Drüsen-
lumen zugekehrten Oberfläche wie angenagt aussahen.
Der Fixierungsprozess dauerte in der Regel 20—24 Stunden,
darauf wurden die Stückchen sorgfältig in fliessendem Wasser
ausgewaschen, in Alkohol steigender Konzentration gehärtet und
in Paraffin eingebettet. Die mit dem Mikrotome gefertigten,
4—6 u dicken Schnitte wurden nach der japanischen Eiweiss-
Methode auf den Objektträger geklebt.
Die nach Altmann fixierten Präparate wurden in Anilin-
Fuchsin zum Teil nach der klassischen Altmannschen Pikrin-
) Ich sehe hier von einer Beschreibung der Struktur dieses inter-
essanten Organs ab, da dies Gegenstand einer speziellen, von mir zum
Druck vorbereiteten Arbeit sein wird; hier möchte ich nur bemerken, dass
die Gl. mandib. sup. in morphologischer Beziehung den Schweissdrüsen der
Achselhöhle des Menschen und den von Tempel in der Zwischenklauenhaut
der Paarhufer beschriebenen zusammengesetzten tubulösen Drüsen sehr
nahe steht.
?) Gesättigte Hg Cl-Lösung in 0,75°/o NaCl 200 cem, Ac. osmici 2%
8 ccm.
690 A. N. Mislawsky:
säuremethode, zum Teil aber — und zwar viel häufiger — nach
einer von mir etwas modifizierten Methode!) gefärbt.
Die Schnittpräparate welche nach Fixierung in dem oben
erwähnten Sublimat-Osmiumsäuregemische erhalten worden waren,
wurden gewöhnlich in Safranin gefärbt bei darauffolgender
Behandlung mit einem Gemische von Indigokarmin und Pikrin-
säure. Hier erlaube ich mir das Verfahren dessen ich mich bei
der Anwendung dieser Färbung bediente, ausführlich zu be-
schreiben, da diese Methode mir als eine der wenigst kompli-
zierten und sichersten Modifikationen unter den kombinierten
Safraninfärbungen erscheint.
Die auf den Objektträger geklebten und vom Paraffin be-
freiten Schnitte werden direkt aus absolutem Alkohol in eine mit
verdünntem Alkohol hergestellte 1 °/o Safraninlösung ?) übertragen ;
die Färbung dauert 15 Min. in einem Thermostaten bei 50—52°.
Darauf wird das Präparat sorgfältig in destilliertem Wasser ab-
gespült und eine Viertelstunde mit dem oben erwähnten (von
Callaja vorgeschlagenen) Gemische von Indigokarmin und Pikrin-
säure°) nachbehandelt. Die Farbe wird dann mit Wasser abgespült
und nan werden die Schnitte sehr rasch in absolutem Alkohol
entwässert und unter Kontrolle des Mikroskopes bis auf den
gewünschten Grad in Kreosot oder Nelkenöl aufgehellt; das
Kreosot resp. das Öl wird nun mit Xylol abgeschwemmt und
das Präparat in Balsam eingeschlossen. Das Chromatin der
Kerne nimmt bei diesem Verfahren eine hellrote Färbung an,
die leimgebenden Bindegewebsfibrillen erscheinen grünlichblau
gefärbt, und das Protoplasma der Zellen zeigt, je nach der
Extraktion des Safranins, verschiedene Nuancen, von gelbrosa
bis zu einem gesättigten Grau (in den Fällen, wo das Indigo-
karmin nicht mit Wasser abgespült wurde).
Für ein Gelingen der Färbung sind eine gleichmässige
!) Diese Methode, welche, abgesehen von einer Färbung der fuchsino-
philen Granula, zugleich auch eine differenzierte Färbung der Muskelepithel-
zellen in den Drüsen ermöglicht, wird in einer von mir zum Drucke vor-
bereiteten Arbeit ausführlich dargelegt werden.
?) Safranin 1,0 ccm, Alcohol. abs. 10,0 ccm, Aq. dest. 90,0 ccm.
®) Indigokarmin 0,5 ccm, Ac. pieronitr. in gesättigter wässeriger Lösung
200,0 ccm.
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 691
Fixation') und möglichst rasche (1—2 Sekunden) Entwässerung
des Präparates in Alkohol erforderlich.
Ausserdem färbte ich die Präparate in Hämatoxylin und
Eisen, und nach Fixation ohne Osmiumsäure auch nach Ehrlich-
Biondi, ferner in Toluidinblau mit Erythrosin usw.
Ich gehe nun zur Darlegung der von mir erhaltenen
Resultate über.
Betrachtet man ein. Schnittpräparat aus der Glandula
mandibularis superficialis bei mittleren Vergrösserungen, so
erweist es sich, dass fast die ganze Schnittfläche aus den in
verschiedensten Richtungen getroffenen Sekretionskanälchen der
Drüse besteht; diese letzteren erscheinen überall mit einem
einschichtigen Epithel überkleidet. Indes sind die Bilder, welche
dieser Zellenbelag bietet, bei weitem nicht überall dieselben.
In manchen Abschnitten der Drüse wird er von gleichartigen ?)
Zellen gebildet, welche niedrig-zylindrisch oder kubisch gestaltet
sind und dicht aneinander liegen; das Protoplasma dieser Zellen
erscheint nach Fixierung in Sublimat-Osmiumsäure gleichmässig
feinkörnig, und bei Anilinfuchsinfärbung nach vorhergehender
Fixierung in der Altmannschen Lösung lässt sich die Anwesen-
heit einer unbedeutenden Anzahl fuchsinophiler Granula in diesen
Zellen nachweisen, wobei diese Granula mehr oder weniger
gleichmässig über den ganzen Zellkörper verstreut erscheinen.
Die Behandlung dieser zelligen Elemente mit Osmiumsäure weist
auf die Identität derselben mit Talkes”’) „hellen“ Zellen hin,
Im Gegensatz zu den eben beschriebenen finden wir, dass
in anderen Bezirken der Drüse das Epithel der Drüsentubuli
aus hohen zylindrischen, zylindrisch-konischen oder sogar kugel-
förmigen Zellen besteht; in dem Protoplasma dieser Zellen lassen
sich zwei Zonen unterscheiden — eine dunklere. mehr zart
!) Am günstigsten erweist sich hierbei die Gegenwart der Osmium-
säure, doch habe ich auch bei dem Gebrauche der Zenkerschen Lösung
völlig befriedigende Bilder erhalten.
”) Unbedeutende Variationen in der äusseren Gestalt dieser Zellen —
von einer kubischen bis zu einer niedrig-zylindrischen — wie solche in den
verschiedenen Abschnitten der Drüsentubuli angetroffen werden, erklären
sich meines Erachtens leicht aus dem jeweiligen Zustande der Muskel-
membran des betreffenden Abschnittes.
ulze:
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 45
692 A.N. Mislawsky:
körnige, basale, und eine helle distale Zone. ') Diese letztere
erscheint bei der Altmannschen Fixation homogen, unter dem
Einflusse des Sublimat-Osmiumgemisches dagegen gewinnt sie
ein etwas spongiöses Aussehen.) Nicht selten werden Zellen
angetroffen, welche, ohne in vertikaler Richtung vergrössert zu
sein, beträchtlich breiter als die übrigen erscheinen. Die neben-
einander gereihten Drüsenzellen bieten nicht alle dieselbe Form
und Grösse dar, wie wir es soeben im vorhergehenden Falle
beschrieben; im Gegenteil, wir treffen hier in einem und dem-
selben Querschnitte eines der Drüsentubuli sehr häufig neben
einer kubischen eine zylindrische Zelle usw. an (s. Fig. 1).
Zwischen den Zellenelementen lassen sich Interzellulärräume
konstatieren, welche mitunter bis an die Membr. propria des
Drüsentubulus reichen (Fig. 16). Bei Behandlung mit Osmium-
säure nimmt das Protoplasma der beschriebenen Zellen eine
dunkle Färbung an, die sich entweder über den ganzen Zell-
körper erstreckt (breite kubische Zellen) oder aber nur den
basalen Teil der Zelle betrifft (die hohen zylindrischen und
zylindrisch-konischen Zellen).
Zahlreiche Übergangsformen verbinden diese, auf den ersten
Blick so verschiedenartig aussehenden Zellen sowohl untereinander
als auch mit den früher beschriebenen „hellen“ Zellen; dieses
weist darauf hin, dass wir es hier mit Veränderungen des äusseren
Aussehens der Drüsenzellen zu tun haben, welche mit der
Sekretionstätigkeit dieser Elemente in Verbindung stehen.
Die mit den „hellen“ gleichartigen Zellen besetzten Bezirke
der Drüsentubuli der Gl. mandibularis erscheinen als ruhende,
d.h. im gegebenen Moment nicht sekretabsondernde Drüsenteile,
im Gegensatz zu den mit polymorphen „dunkeln“ Elementen
besetzten, tätigen, sezernierenden Drüsenteilen.
Die Färbung der fuchsinophilen Granula bei vorhergehender
Fixierung nach Altmann ermöglicht uns eine Orientierung
sowohl in bezug auf das Verhalten der beschriebenen Zellformen
zueinander, als auch hinsichtlich der Bedeutung aller dieser
!) Vergl. die oben angeführten Beschreibungen von Talke und
Lüneburg.
?) Ein ganz gleiches Verhalten zu diesen beiden Fixierungsflüssigkeiten
zeigt auch das in der Lichtung der Drüsentubuli enthaltene Sekret.
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 693
Veränderungen in dem Aussehen der Drüsenelemente für die
Morphologie des Sekretionsprozesses.
Wir haben bereits oben darauf hingewiesen, dass die Drüsen-
epithelzellen der Gl. mandib. superf. während ihres Ruhezustandes
eine kubische oder niedrig-zylindrische Form aufweisen und dabei
eine nur geringe Zahl der nach Altmann sich färbenden
Granula beherbergen, welche letzteren mehr oder weniger
gleichmässig im ganzen Zellkörper verstreut liegen. Als
erstes Anzeichen eines Überganges der Zelle in den Tätigkeits-
zustand erscheint eine beträchtliche Vermehrung der Zahl der
fuchsinophilen Granula und eine lebhafte Färbung derselben;
gleichzeitig bemerkt man, dass in dem der Lichtung zugewandten
distalen Zellenabschnitte eine schmale Zone sich bildet, welche der
den ganzen übrigen Zellkörper dicht anfüllenden Altmannschen
Granula gänzlich entbehrt und anfangs wie ein an der freien
Zellenoberfläche liegender schmaler homogener Saum sich aus-
nimmt. Hierbei wird die Zelle ein wenig, mitunter aber
beträchtlich breiter, und ihre Oberfläche erscheint etwas gequollen
und ragt in die Drüsenlichtung vor (s. Fig. 3 der Taf. XXVI).
Die darauf folgende Formänderung der sekretierenden
Elemente entwickelt sich ausschliesslich auf Kosten dieses
homogenen, dem Lumen des Drüsenkanals zugekehrten Teiles
der Zelle, wie es aus Fig. 4 ersichtlich, so dass die Zelle in
einem gewissen Moment ihrer Tätigkeit die Form eines hohen
‚Zylinders annimmt, wobei der basale Teil der Zelle fuchsinophile
‘:Granula in reichlicher Menge enthält, während solche im distalen
Zellenabschnitte fast gänzlich fehlen (Fig. 5).
Die soeben genannten zwei Figuren geben uns auch einen
Begriff von der Entstehungsweise der von uns beschriebenen
strukturlosen Masse, welche die Kuppe der sezernierenden
Elemente bildet; so sehen wir hier, dass die spezifischen Alt-
mannschen Granula an der Grenze zwischen den beiden oben
beschriebenen Zonen ihrer Färbbarkeit in Säurefuchsin verlustig
gehen, dass sie an Grösse zunehmen, die der ganzen Aussenzone
‚eigene Färbung annehmen und schliesslich mit der Gesamtmasse
dieser Zone verschmelzen. In Fig. 5 sehen wir sogar förmliche
Züge solcher Granula, die im basalen Zellenteile lebhaft in
Fuchsin gefärbt sind und bei dem Übergange in den distalen
Zellenabschnitt eine graue Färbung annehmen. Durch solche
45*
694 A.N. Mislawsky:
3ilder wird meiner Ansicht nach die Tatsache zweifellos fest-
gestellt, dass das von der Gl. mandibularis gelieferte Sekret auf
dem Wege einer allmählichen Umwandlung der spezifischen
fuchsinophilen Granula gebildet wird, wie dies an einer ganzen
Reihe anderer Drüsen zuerst von Altmann!) selbst nach-
gewiesen worden ist.
Im nachfolgenden Stadium vergrössert sich allmählich die-
homogene Zellenkuppe, schnürt sich sodann vom Zellkörper ab
und fällt endlich in Gestalt eines Tropfens in die Lichtung der
Drüsenröhre. Das mikroskopische Bild, welches sich mir bei
dem Studium des Verlaufes dieses Exkretionsstadiums dar-
bot, erinnert sehr an die Ablösung von Tropfen einer zähen,
halbflüssigen Substanz, die sich kontinuierlich auf irgend eine
Weise an der Oberfläche irgend eines Objektes bildet (Fig. 6—10).
In der Tat, wir sehen, wie der distale Teil der Zelle aufquillt,
kolbenförmig sich aufbläht, wie der Hals dieses kolben- oder
keulenförmigen Anhängsels allmählich sich ausdehnt und verjüngt
und wie schliesslich der abgelöste Sekrettropfen frei im Lumen
des Organs liegt; man kann ihn dort noch eine Zeitlang in
Gestalt einer homogenen Kugel unterscheiden, bis sie endlich
vollständig mit der Gesamtmasse des Sekretes zusammenfliesst.
Nachdem die Zelle ein gewisses Quantum dieses Sekretes
abgestossen hat, fährt sie in ihrer Tätigkeit fort, indem sie
immer neue Sekrettropfen produziert und abstösst, bis endlich
die Zahl der in Sekret sich umwandelnden fuchsinophilen Granula
die sich in demselben Zeitraume neubildenden beträchtlich übersteigt.
Dann sinkt der Bestand der im Zellkörper enthaltenen Granula so-
sehr, dass eine weitere Sekretbildung aus diesen Granula un-
möglich wird und die Sekretion hört auf. Die soeben beschriebene
Abnahme der Altmannschen Granula kann in einer solchem
funktionell erschöpften Zelle mitunter einem fast vollständigen:
Schwunde dieser Granula gleichkommen, wie dies an Fig. 11
unserer Tafel ersichtlich ist.
Darauf nimmt die Drüsenzelle das für den Ruhezustand
charakteristische Aussehen an und kann nachträglich, sobald sie
den Aufwand an Granulis wieder ersetzt hat, aufs neue ihre
Sekretionstätigkeit entfalten.
lc.
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 695
Die Kerne der Drüsenzellen können ihrerseits augenscheinlich
an dem Verlaufe des von uns erörterten Prozesses auch einen
‚gewissen Anteil nehmen. Die Beteiligung der Kerne am Sekretions-
vorgange bekundet sich vor allem während der Anfangsstadien der
sekretbildenden Tätigkeit der Zelle durch eine ziemlich lebhafte
Kernvermehrung; äusserlich charakterisieren sich diese Anfangs-
stadien dadurch, dass die Zelle an Umfang, hauptsächlich aber
‚an Breite zunimmt. Die Zahl der neugebildeten Kerne in einer
Zelle kann bis vier betragen, wie dies aus Fig. 14 ersichtlich ist,
ja in einem Falle zählte ich selbst sechs Kerne in einer Zelle.
Die Kernvermehrung findet hier ausschliesslich auf dem Wege
der Karyokinese statt (s. Fig. 15) und ebensowenig wie Tempel
und Talke konnte ich je irgendwelche Anzeichen einer direkten
Kernteilung wahrnehmen. Das weitere Schicksal dieser neu-
gebildeten Kerne ist mir nicht klar. Einerseits ist es mir nie
gelungen, eine Teilung des Zellkörpers zu beobachten, die doch
der Kernteilung unbedingt nachfolgen müsste, wenn das von mir
beobachtete Phänomen in Beziehung stünde zu einem Ersatze
der untergehenden Zellen durch neugebildete Elemente; gegen
eine derartige Voraussetzung spricht entschieden auch die nicht
selten ins Auge fallende Lagerung der Kerne übereinander, d.h.
in der Längsachse der Zelle. Andererseits aber gelang es mir
nie, die Ausstossung eines dieser Kerne in das Sekret zu kon-
statieren, wie dies in der Milchdrüse statthat. Ebensowenig
traf ich je auf Kernveränderungen degenerativen Charakters,
wie solche ebenfalls in der Milchdrüse von Nissen und Stein-
haus beschrieben worden sind; Veränderungen, welche sicher
‚darauf hindeuteten, dass gewisse Bestandteile des Kernes zu
Zwecken der Ausbildung einiger spezifischer, chemisch differen-
zierter Sekretteile verwandt würden. Dennoch bin ich geneigt,
mich der letztgenannten Hypothese anzuschliessen, da sie eine
Bestätigung zu finden scheint in der Existenz gewisser, in der
sezernierenden Zelle enthaltener Gebilde, die unzweifelhaft mit
der sekretbildenden Funktion der betreffenden Zelle in Verbindung
stehen, wie wir dies sogleich besprechen werden. Es handelt
sich im gegebenen Falle um recht zahlreiche safranophile Zellen-
einschlüsse, welche scharf ins Auge fallen, wenn man einen
‚Schnitt aus der Gl. mandibul. superf. mit Safranin und Indigo-
1) 1. c., 8.471.
696 A. N. Mislawsky:
karmin gefärbt hat. Diese Zelleneinschlüsse finden sich in ver-
schiedenen Teilen des Zellkörpers entweder gruppenweise oder
aber vereinzelt; ihrem Aussehen nach erinnern dieselben im
allgemeinen sehr an die von Tschlenow (22) in den Schweiss-
drüsen, von Galeotti (23) in den Hautdrüsen bei Spelerpes,
von Nicolas!) in den Sammelröhren des Wolffschen Körpers
usw. beschriebenen Gebilde. Diese Körnchen färben sich ausser
mit Safranin noch mit Säurefuchsin, wie es bei der Färbung
nach Biondi oder Mallory ersichtlich ist; doch gelang es
mir weder mit Methylgrün noch mit Toluidinblau eine Färbung
dieser Körnchen zu erzielen. Charakteristisch für diese Gebilde
erscheint ihre konstante Lagerung im Zentrum einer kleinen
hellen Zone, gleichsam im Innern einer Zellen-Vakuole, welche
letztere mitunter mehrere kleine Gruppen dieser Körnchen
beherbergen kann; die Grösse der beschriebenen Körnchen variiert
in ziemlich breiten Grenzen; ihre Form ist nicht regelmässig
sphärisch, sondern sie erinnern vielmehr an unregelmässige
Partikel, gleichsam Bruchstücke früher dagewesener Gebilde.
Man bekommt den Eindruck, als wenn diese Einschlüsse von der
Zelle resorbiert werden und sich in den sie umgebenden Vakuolen
auflösen. In dem in der Drüsenlichtung befindlichen Sekrete-
fand ich nie etwas derart Gefärbtes.
Dagegen gelang es mir zu konstatieren, dass auch in den
Kernen der Drüsenzellen mitunter Gebilde der nämlichen Art
wie die in Rede stehenden Zelleneinschlüsse sich vorfinden;
dieser Befund in Verbindung mit den Angaben Galeottis,
welcher die von ihm erörterten Zelleneinschlüsse ausdrücklich
aus dem Kerne herleitet, zwingt mich zu der Annahme, dass
auch die von mir gefundenen Körnchen desselben Ursprungs sind,
obschon mir nie Bilder zu Gesichte kamen, welche diese An-
nahme mit Sicherheit begründen liessen. Es ist möglich, dass
auch die in den Anfangsstadien der Zellensekretion von mir
konstatierte Kernvermehrung mit der soeben beschriebenen
Erscheinung im Zusammenhange steht; möglicherweise spielt
diese Kernvermehrung die Rolle eines Faktors für die Repro-
duktion grösserer Mengen eines Materiales, welches die Zelle
zur Bereitung gewisser Bestandteile des von ihr gelieferten
Sekretes bedarf. Diese Voraussetzung trägt durchaus nichts.
Syke 86 Aizal:
Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 697
Unwahrscheinliches an sich, zumal wenn man die von Nissen
festgestellte und allgemein bekannte Tatsache in Betracht nimmt,
dass das Casein der Milch sich in der Mamma auf Kosten der
Nukleinsubstanz der Kerne der Drüsenzellen bildet.
Den Herren Professoren ©. A. Arnstein und D. A. Timo-
fejew, unter deren Leitung die vorliegenden Untersuchungen
ausgeführt worden sind, spreche ich meinen Dank aus.
SC)
1]
Literaturverzeichnis.
Loewe, L.: Beiträge zur Anatomie der Nase und Mundhöhle ($$ 8-9),
Berlin 1878.
Krause, W.: Die Anatomie des Kaninchens ($. 202—203). Leipzig 1884.
Vogt, ©. et Jung, E.: Traite d’anatomie comparee pratique (p. 934).
Paris.
Henschen, F.: Zur Kenntnis der blasenförmigen Sekretion. Anatom.
Hefte, Bd. 26, 1904.
Ranvier, L.: Traite technique d’Histologie. Paris 1875.
Derselbe: Sur la structure de glandes sudoripares (p. 1121). Comptes
Rendus de l’Acad&mie d. Sciences, T. 89, 1879.
Heidenhain, R.: Physiologie der Absonderungsvorgänge (8. 383384).
Hermanns Handbuch d. Physiologie, Bd. V, 1881.
Nissen, F.: Über das Verhalten der Kerne in den Milchdrüsenzellen
bei der Absonderung. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 26, 1886.
Michaelis: Beiträge zur Kenntnis der Milchsekretion. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 51, 1898.
Steinhaus, J.: Die Morphologie der Milchabsonderung. Arch. f. Anat.
u. Physiologie, Physiologische Abt., 1892.
Lebedeff, S.: Zur Kenntnis der feineren Veränderungen der Niere bei
der Hämoglobinausscheidung. Virchows Archiv, 1883.
Lorenz, H.: Über den Bürstenbesatz an pathologischen und normalen
Nieren. Zeitschr. f. klinische Medizin, Bd. 15, 1889.
Altmann, R.: Die Elementarorganismen. Leipzig 18%.
Nicolas, A.: Contribution a l’&tude des cellules glandulaires. Internat.
Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. VIII, 1891.
van Gehuchten, A.: Le m£&canisme de la secretion. Anatom. Anzeiger,
Bd. VI, 1891.
Tempel: Die Drüsen der Zwischenklauenhaut der Paarzeher. Arch. f.
wiss. u. prakt. Tierheilkunde, Bd. 23, 1897.
7. Hermann, M.: Contribution A l’&tude des glandes sudoripares. Gazette
medicale de Paris 1880, Nr. 4.
Talke, L.: Uber die grossen Drüsen der Achselhöhlenhaut des Menschen.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. 61, 1902.
695 A.N. Mislawsky: Zur Lehre etc.
Fig.
Lüneburg, E.: Beiträge zur Entwicklung und Histologie der Knäuel-
drüsen in der Achselhöhle des Menschen. Rostock 1902.
Courant: Über die Präputialdrüsen des Kaninchens. Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. 62, 1903.
. Grosz, S.: Beiträge zur Anatomie der accessorischen Geschlechtsdrüsen
der Insektivoren und Nager. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 66, 1905.
Tschlenoff: Zur Lehre von der Körnelung der Schweissdrüsenzellen.
„Wratsch“ („Der Arzt“) 1899, NN 13—16. (Russisch.)
Galeotti, G.; Über dieGranulationen in den Zellen. Internat. Monatsschr.
f. Anat. u. Physiologie, Bd. XII, 1895.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXV1.
1. Einer der Endabschnitte eines Sekretionsröhrchens aus der Glandula
mandibul. superf. des Kaninchens, im Stadium der Tätigkeit. Färbung
der fuchsinophilen Granula nach der modifizierten Altmannschen
Methode. Zeiss’ homog. Immers. 2,0; Ap. 1,30; Komp.-Ok. 4.
2. Ruhender (funktionell erschöpfter) Abschnitt eines Sekretionstubulus
der Gl. mandib. superf. Färbung und Vergrösserung wie in Fig. 1.
. 3—11. Verschiedene Funktionsstadien der Drüsenzellen der Gl. mandib.
superf. (Fig. 7 stellt nur den oberen, distalen Teil einer Zelle dar,
deren basaler Teil in der Zeichnung nicht aufgenommen worden
ist). Die Zellen der Fig. 8, 9 und 10 sind nach der klassischen
Altmannschen Methode gefärbt, die übrigen dagegen so wie in
Fig. 1. Zeiss’ homog. Immers. 2,0; Ap. 1,30; Komp.-Ok. 8.
12—13. Ruhende Zellen der Gl. mandib. superf. In Fig. 12 sehen wir
eine Zelle bald nach Abbruch ihrer Sekretion, Fig. 13 stellt eine
Zelle vor dem Wiederbeginn ihrer Sekretion dar. Färbung wie in
Fig. 1. Zeiss’ homog. Immers. 2,0; Ap. 1,50; Komp.-Ok. 8.
g. 14. Polynukleare Zelle (mit vier Kernen) aus einem Sekretionstubulus
der Gl. mandib. superf. Die safranophilen Zelleneinschlüsse sind
gut sichtbar. Safranin; Indigokarmin- und Pikrinsäuregemisch.
Vergrösserung wie in Fig. 3.
. 15. Karyokinese in den Drüsenzellen der Gl. mandib. superf. Färbung
wie im vorhergehenden Falle. Zeiss’ homog. Immers. 2,0; Ap. 1,30;
Komp.-Ok. 6.
g. 16. Interzellularräume zwischen den Drüsenzellen zur Zeit ihrer Tätig-
keit. In den Zellen sieht man safranophile Einschlüsse. Safranin ;
Indigokarmin- Pikrinsäuregemisch. Reicherts homog. Immers. '/ı2;
Ok. 4.
699
Aus dem Anatomischen Institut der Universität zu Upsala.
Studien über die Thymusinvolution.
Die Altersveränderungen der Thymusdrüse beim Kaninchen.
Von
G. Söderlund und A. Backman.
Hierzu Tafel XXVII und 6 Textfiguren.
In der Literatur findet sich gegenwärtig kaum eine ein-
gehendere Untersuchung über die Gewichtsverhältnisse der
Thymusdrüse und den Verlauf der Altersinvolution bei den
Säugetieren, abgesehen vom Menschen, wo Hammar neulich
(1906) eine solche geliefert hat.
Was man in der älteren Literatur findet, sind der Haupt-
sache nach mehr oder weniger vereinzelte Notizen betrefis ver-
schiedener Säugetierarten. In Übereinstimmung mit der bisher
herrschenden Auffassung bezüglich des Menschen ist man dabei
im allgemeinen von der Vorstellung ausgegangen, dass die normale
Involution des Organs bei oder nicht lange nach der Geburt
beginnt.
Einen scheinbaren Beweis für diese Ansicht lieferten auch
Baums (1891) Untersuchungen am Hunde. Die Untersuchung,
die nur vier Würfe mit insgesamt zehn Tieren umfasste, führte
nämlich zu dem Schlusse, dass die Altersinvolution beim Hunde
hauptsächlich während der ersten 2—3 Monate des extrauterinen
Lebens vor sich geht. Danach schreitet die Involution mit
wechselnder Geschwindigkeit fort, so dass noch im 2.—3. Lebens-
‚Jahr Thymusreste vorhanden sein können.
Es liegen jedoch Beobachtungen aus älterer und neuerer
Zeit vor, die in eine andere Richtung weisen. Bei Friedleben
(1858) heisst es so z.B.: „. . . dass die Thymus aller Säugetiere
den gleichen Gesetzen des Wachstums unterworfen ist, dass sie
mit dem Wachstum des Körpers fortwächst, von jenem bald über-
troffen und gegen Beendigung desselben ihrer Involution zu-
geführt wird.“ Eine durchgeführte Wägungsreihe an Tieren wird
indessen nicht geliefert. Für die Kaninchenthymus bietet
Friedleben nur zwei Gewichtsangaben.
700 Söderlund und Backman:
Klein (1881), der Untersuchungen über die Thymus beim
Meerschweinchen angestellt hat, sagt, dass die Drüse sowohl bei
jüngeren als bei ausgewachsenen Tieren anzutreffen, und dass in
beiden Fällen ihre Struktur die gleiche ist.
Blumreich und Jacoby (1896) bemerken im Vorbei-
gehen, dass die Thymus beim Kaninchen weder hinsichtlich der
(Grösse noch des histologischen Baues den Eindruck eines rudi-
mentären Organs macht; im Gegenteil persistiert sie mit ziemlich
konstanter und bedeutender Grösse während des ganzen Lebens
und ist stets unschwer an ihrem typischen Platz zu finden.
Hammar (1905), der eine allgemeine Darstellung des
histologischen Verlaufes der Altersinvolution der Thymus bei
gewissen Säugetieren (Mensch, Katze, Kaninchen, Ratte, Rindvieh
und Hund) liefert, gibt an, dass die Altersinvolution wenigstens.
bei den Säugetieren ungefähr um die Zeit der Geschlechtsreife
eintritt. Die Angabe gründet sich auf mikroskopische Unter-
suchungen, Wägungen des Organs bei Tieren werden nicht an-
geführt. Dagegen hat Hammar in einer späteren Arbeit (1906).
eine statistische Zusammenstellung des Thymusgewichts beim
gesunden Menschen gegeben, die in derselben Auffassung resul-
tiert. Baums Angaben betrefis der Zeit des Eintritts der
Altersinvolution beim Hund wird von Hammar widersprochen,
nach dessen Ansicht sie auf einer von Baum übersehenen akzi-
dentellen Involution bei den untersuchten Tieren beruhen.
Die eingehendsten Untersuchungen über die Gewichts-
verhältnisse bei der Thymus eines Säugetiers liegen aus dem:
Jahre 1904 von Goodall und Paton vor. Die Untersuchungen
wurden am Meerschweinchen angestellt.
Als Resultate glaubten diese Forscher feststellen zu können,
dass die Thymus beim Meerschweinchen bis zur Zeit der Geschlechts-
reife zu wachsen fortfährt, hiernach sich aber zu involvieren
beginnt, dass das Organ sein im Verhältnis zum Körpergewicht
erösstes Gewicht mit 5,7 Promille vor der Geburt erreicht und.
dass die relative Grösse dann bei der Geburt auf 2,2 Promille
und schliesslich noch weiter bis auf 1,1 Promille herabsinkt, um
bei der Pubertät wieder auf 1,5 Promille anzusteigen.
Sichere Altersangaben betrefis der Versuchstiere haben
diese'Forscher indessen in der Mehrzahl der Fälle nicht zu ihrer
Verfügung gehabt. Sie berechneten das Alter approximativ im
Studien über die Thymusinvolution. or
der Weise, dass sie das Durchschnittsgewicht einer Anzahl Tiere
bekannten Alters bestimmten und dann die so gefundenen Durch-
schnittsgewichte einer Altersschätzung der übrigen Tiere un-
bekannten Alters zugrunde legten. Dass ein derartiges Verfahren
zu wenig zuverlässigen Altersschätzungen führen kann, dürfte
indessen ziemlich sicher sein. Die individuellen Schwankungen
im Körpergewicht scheinen nämlich nach Henocque (1891) und
Livon (1898) beim Meerschweinchen ungefähr gleicher Art wie
die beim Kaninchen zu sein, für welche wir gefunden haben,
dass zwei Individuen desselben Alters, ja, sogar aus demselben
Wurf, einen bedeutenden Gewichtsunterschied aufweisen können.
Und die von Goodall und Paton festgestellten beträchtlichen
Variationen des Thymusgewichts auch bei nach ihren Berech-
nungen gleichaltrigen Tieren dürften bis zu einem gewissen
Grade auf Rechnung ihrer weniger exakten Methode bei der
Bestimmung des Alters der untersuchten Tiere zu setzen sein.
Möglicherweise hat auch eine ungenügende Beachtung der Be-
deutung der akzidentellen Involution hierbei mitgewirkt.
Diese Faktoren, die unvollständige Kenntnis des Alters der
untersuchten Tiere und die Ungewissheit, in welchem Grade die
akzidentelle Involution ihre Gewichtsresultate beeinflusst haben
kann, sind geeignet, wenigstens die Beweiskraft der Resultate
der britischen Forscher etwas zu vermindern. Hierzu kommt,
dass bei ihren Untersuchungen nur das Gewicht des Thymus-
körpers berücksichtigt worden ist. Die Frage nach der wirk-
lichen Parenchymmenge bei verschiedenem Alter ist von ihnen
nicht bearbeitet worden.
Eine entsprechende Untersuchung an einem anderen Säuge-
tier musste unter solchen Umständen einen gewissen Wert haben,
indem von ihr eine Kontrolle der bereits ausgeführten Unter-
suchungen am Menschen und Meerschweinchen zu erwarten war.
Auf Vorschlag von Herrn Professor Hammar begannen
wir im Sommer 1906 im histologischen Laboratorium der
Universität zu Upsala eine derartige Untersuchung, über deren
Ergebnisse wir hier berichten wollen.
Als Untersuchungsobjekt wurde das Kaninchen als aus
mehreren Gesichtspunkten geeignet gewählt. Nach in der Lite-
ratur (Krause 1884) vorhandenen Angaben tritt beim Kaninchen:
702 Söderlund und Backman:
die Geschlechtsreife ungefähr im Alter von 5 Monaten ein.
Unsere eigenen Untersuchungen zeigen, dass die zur Geschlechts-
reife führenden Veränderungen im Hoden während der Zeit vom
4.—8. Monat vor sich gehen. Das Maximalalter für Kaninchen
wird verschieden angegeben, von einigen zu 6—7 und 8 Jahren.
In den uns zugänglichen Kaninchenstämmen ist indessen ein
höheres Alter als 4'/2 Jahre nicht angetroffen worden. Die ganze
postfötale Entwicklungsgeschichte der Thymus fällt jedenfalls in
eine relativ kurze Zeit, was natürlich die Beschaffung von
Material zum Studium derselben in ihren verschiedenen Phasen
in hohem Grade erleichtert. Dazu kommt, dass das Kaninchen
ein ausserordentlich produktives Tier ist, leicht aufzuzieben und
relativ gesund, alles Momente, die es zum Studium der normalen
Verhältnisse bei einem gegen Krankheit und andere schädliche
Einflüsse so empfindlichen Organ wie dem hier fraglichen recht
geeignet machen.
Bei der Beschaffung unseres Materials wurde auch besonders
grosses Gewicht darauf gelegt, dass die Tiere gesund und wohl-
genährt waren. Unserer Erfahrung nach scheint die Thymus
für den Einfluss gewisser Krankheiten in anderen Organen und
Geweben des Körpers empfindlicher zu sein als sogar das Fett-
gewebe. Wiederholt trafen wir so wohlgenährte, allem Äusseren
nach zu urteilen, gesunde Individuen an, deren Thymus sich
jedoch als sogar in recht hohem Grade atrophisch, blassgelb und
wie geleeartig erwies, im Gegensatz zu der rotgrauen Farbe und
relativ festen Konsistenz, die wir sonst bei Tieren desselben
Alters fanden. In derartigen Fällen waren ohne Ausnahme
krankhafte Prozesse in einem der inneren Organe nachzuweisen,
gewöhnlich Coceidieninfiltration in der Leber. Organe von
kranken Tieren wurden aus dem Untersuchungsmaterial aus-
geschlossen.
Die Zahl der untersuchten Tiere betrug, wie aus der Tabelle
auf S. 7O4ff. und der Textfigur 1 hervorgeht, SO.
Die Lage und die Form der Thymusdrüse zeigen beim
Kaninchen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Verhältnissen beim
Menschen; recht grosse individuelle Variationen sind jedoch vor-
handen. Die Hauptmasse der Drüse liegt im vorderen Mediastinum
in engem Anschluss an die Herzbasis. Von hier aus ragen
gewöhnlich zwei (bisweilen drei oder vier) Fortsätze, die sog.
Studien über die Thymusinvolution. 705
Thymushörner (s. Taf. XXVII), kranialwärts ein kurzes Stück längs
den grossen Halsgefässen empor, während das Organ kaudal-
wärts sich mehr oder weniger weit über die Ventralseite des
Herzbeutels hinauserstreckt. In einigen Fällen haben wir diese so
Fig. 1.
Das angewandte Material.
|
gut wie vollständig von der
Thymus bedeckt gesehen.
Das Organ besteht aus zwei
Lappen, die äusserst locker
durch Bindegewebe ver-
bunden sind. Sie gehen
kranialwärts in die bereits
erwähnten hornähnlichen
Fortsätze über und enden
kaudalwärts mehr stumpf
mit zugeschärfter Kante.
Der dem Perikardium auf-
liegende Teil der Drüse
lässt sich im allgemeinen
leicht ablösen und empor-
heben; die Hörner sind
dagegen in der Regel —
wenigstens bei etwas
älteren Individuen — ziem-
lich fest mit den grossen
Gefässen verbunden.
Die hier gegebene Be-
schreibung gilt fürOrgane,
die keine Artvon Involution
durchgemacht haben. Eine
altersinvolvierte Thymus
bietet ein höchst ver-
schiedenartiges Aussehen
dar, je nachdem wie weit
der Prozess vorgeschritten
und wie viel interlobuläres Fettgewebe vorhanden ist. Noch bei ein-
bis zweijährigen oder älteren Individuen kann man indessen das
Organ mit ungefähr derselben Flächenausdehnung wie vor der Alters-
involution finden; dagegen ist die Dicke gewöhnlich beträchtlich
vermindert, und man sieht bisweilen die Thymus fast wie ein
Söderlund und Backman:
04
102‘ jsaE‘g [202g [erg | BL | TS | 79 oT| et | 008 | 2 | Er |uomome
Teer reelle | A080 8I
Eee ee ee zueng | EL LT
"OSN.Id, 2 ae 3070| 8 9T
-48194U7° HYOpJLqassne]Jon ‘Yo UOyasFewan ouroy | Tg sag rein wog | zZ Fler For cr
320g erg jzesig 200 Far erg | rag or so | 708 | 5 | m
sro (rein Isorig [ec | | TE | Br eat) eo | Fo | 5 | Er |wompong
— |egzfg.|2sig sag | — | FOOT |®06| “6 | 0 | 791 ra
200°0, |8er’g \z##‘g |9r0Q | FT | 6 ae 0) IST II
| 810° |aze‘g) |e6a‘) 620°) ec |. |Fog|eg eo | C)T & OI
800g |a08‘g Isarig reg | |, Hgg TI Oo | OCT | 5 6 \OpoMmı
=] Te je EN NEE L S.8
+00‘) [960% 180° \ero‘g | op 96 | TR ocy | org | 6€ ö „
== | | al 2 ee rd Te en
200°) |ErT°g) \060‘0) |880%) | 8°C 76 | vc) |*El a 89 2 G
coofg) |°60g) a80‘g ero'n | og | oc 028 6 or) Ge ö F
900°) |#60°) 620°) |ero‘g eg [org | 6) CT org TG ö G
soon eig zog moi | eig | 26 eg Tr ol Ta | & | | org
200° sorig |ssoXg [arg ı 8 | rear ro 6€ 2 T -nON
a5 ut 2 | |
9FUaN PpUparq NERIÄULMERISEN CDU 2 & oO
— SI 3| © zZ
"UOSNAPSFUOOTYOSOH AOp SYaıyaq uOSunyLowag en, e.yl & | = Er Bu =. | en Sn: =
Enessra alas seiner ee S
a! 85a |e: En e® ee ee
© © L, 73 (ER +
snwÄyf, |
'sperIsyeyg ueJoyoqreeg sop Sunjojsusuruesnz
(0;
-
iber die Thymusinvolution.
tudien ü
Y
D
"U9GPSUOP ULSUNPTIqUIWUNTSPUDUUTDag pun uoyopguryy
91oIIAq ‘uosopm [yezuy 9rossoad anu JE UT 9IM
uayarury pun uUPoH Iaq uayossny ag[fassep ayeppdun
| BIEDEIANGHE)
[yoM osnacy Spfpıgıysaogur TONL[oT OyosFeeın 9uroyy
‘cz U oIM UOPoH
‘Ye UPWUOUSSNZ
puomapag woyayury Aap Aossowmdand Aap SSep
pun ‘uopuy joygidosgyoajyasen) Wr uaSonm duo
| AUTO UNU OIS SSEP "poryosaoguf) Op uoyopeuwy dop yoıL
-SNZIG :UOSNILT AOJJOLITISAOYJUT YOILONZIA Ca UL 9IM UOPoH
"MSN CZ UT 9IM USPoH
| 19SS01D SEMIE Anu UODBURN Ip ‘cz UT 9IM UOpoH
"CZ UT 9IM uopoy
°Cz UI 9IM pjIg 9q[pssep uspoy WI
"UOWNRBURM SOYDIJU9STD ury !uoayappueyy uop ur
1
UOSOHM STUOM “u9][oZ AJJPIFIISAOJUL yoıjy9Toı uopop uf
680°)
ro‘)
or‘)
sr
arann)
‘
FFO 0)
LOL
68%
g09
08EL
048
c9L
Vol
c68
088
068
est
084
084
roC
97
“97
ele
Ger
089
Och
L66
698
008
Gle
oo 9 + oo
er)
a
ISEEOFL=TCH
as a a!
HoH Do aHorafofofoforfo fo
X
aa
sı
a
a!
al
(>)
a
RUN F |
9yeuoN
876
U9U9OM
9
usypoM E
Söderlund und Backman:
‘09 Ur 9IM UPpoH
"uorwIodg 91917 99 J9LMIU9 ITMOS 989UAFoTw.Iadg 9JFey
-g9] Ju wopAassne !U9SoJIM] UOA uOSSeN "uswmT
sasıssewpoddt ‘sayoıpnap unu U90I9Z uoypgueyy ATı
'cp UI 9IM UOPoH
‘cp ur 9IM U9PoH
"Msn Ip Ur oIM
"GPUT9IM uUOPoy wog pJLg 9qJpssep yoeu aydesgdnerf 19
—
VA9MSUWINT UN :OF Ur IM 18793
-un 29MIK SOJ[OTITISTOJur TONLJo AT OysSFreAH 988019
|
|
‘Er UT OIM PIIg SOyoTO]N
"uOSnApsIy9a]y9SIH A9p Syaagay uadunydawag
02‘) |s2rig |zarig |11a'Q 08 6 sc Iz | seo | zorı| 2 29
ers‘, |ureiz [200° ori | 2 |eiTe |TPL rl eezlıcgı | & 19
9yeuom
seo‘ jeraig jerofg [za #6 | os | °c9 Fre wo |oger| 2 || 872
sscg, |esrg |erXT [arg | FG | 06 IFA FETT | OTOT | 2 | 64
sso‘g, 795g Ferig org | Far | FF [#79 oa |eo|lın, | 2 | 8
120°) 6280) 2990) 912‘) re 9 z er | 160 GIOTL| & 16
sos‘g, |ra0‘g \oeT Isteig | ag | 79 EIG | oT | etz | 60T | S | 9€
ese‘() 289° T 9227 [wei | "ST F'T8 s’cg | Sy | 00% 086 D (Ge
= > aeg lange | © | TS
920 \ssz’T Isar [see | vet log [69 Teig 219g | 2 | eg |oyeuom 9
via‘, [9827 |oae‘T Joerg | OT | eg | HER | Oz En 5 | &C
erz‘o) |sartz [100° Isar | og oz |8gu [icq | u |8g9ET | & | TE
soeg 116, og‘ 1se‘g) G +06 8 s°IT ac I9EI | & 06
s08‘g |son‘f jzonfT Joe‘ | z’gT | gg [en "Er oa lcaeı| 5 | 6
soe‘g |2es°T |sos‘g Irae‘g | ST | 08 | 89 FTT | CT [OBET | & | 8$
sag tg Te erg |, | Fr | IcaaT | & | Hr |Oyeuopı q
= etz |ccHıı 5 | W
91‘) FIez s18°T |e6e‘Q) fe) LIE 577 gT er OCHT 2 GH
serg |eorz nung sarig | sg | Te [au | "ro |ccor| 5 | Fr |oyeuomr
Rom {ep}
en SHULEHLE SOBAN DENE 3 2: zn
” Se \
a El m lee ee ee
& (ge) eier © a
snwÄyyL, z8
707
10N.
ber die Thymusinvoluti
ien ü
Stud
er — [sag | For | — | — | locea| £ | 08
ER 1 a en
"JIOLIISEyN| WueT sag 7a) 060 ET re aa nz | en)
REN) seo‘) 5 ERBE STTH| 5 182.0 ERGO 2, eigene
|swig [ig | — | — |, |2gg | — | — | wo |gcoz| 2 | 9
‘OL Ur OIM | eig eg | | — ecg | er | — | — | | TE6L| Sr | 9
| 3007 120) De a DEN ee ee
| reg orig reg jasfg | Fg | Kg Ian | oore| & | ©
ı o8e‘g, |ose‘o, [792g |’ | T za | un “ag ar losse| & | 2. | er zZ
02 ULM 80855 Far jr Te 208 || UT, | ec ET eig 0ge2ı 5 | TA
-(SIIIOMSUINTIEUIT SIyaTu usdLıqn um) 9g9Mad |
upon’ UOA UOSSEN TONLITOA SydsFeran STuom gyoay | 8og rg erg ag re u. 69 eg ro loces| 5 02
ER ELTERN it ©
2 0) 27210, 08,9) B0E0 7.202] Wr A anE | 06 m mara
reg) Bag 1208°0; a OR: E69 za zT | TE OR0z | 5
"usrwmdodg A991 UASSeN Jruu
‚9sauasorunadg 9yyeygqd] Is1osFnYy SH Se 99 ur [yomog trag arg zer‘ ro "FG | HH Weg | KT | 80T P | 99 | er
ss sen art og | FOR | FL Fer He | RT OS6T. ©2209
| ‘cp pun er ur dIm pJig oqfossep uadıoz |
uosrıgn we uoyopyuey ap !uorwaodg doldıF [yezuy
9SULI9S HU ULM] UALop ur ‘uoyoeueyy [yezuy
ı uOFULIOD OUT ur an pun 9s9usForunddg ayyeygapsuom | sig er [af eig | og rg oT IE? | Hg ruoN
sta‘ |rezig |eaeq |eorig | FT | gg | 39 | TE | CT | T9ET | & | 9 N)
46
Bd. 73.
Archiv t. mikrosk. Anat.
708 Söderlund und Backman:
Häutchen über grösseren oder geringeren Teilen des Perikardiums
liegen. Ein grosser Teil des Thymuskörpers ist dann Fettgewebe.
Es tritt dies gewöhnlich deutlich schon nach einer ganz kurzen
Einwirkung der Fixierungsflüssigkeit hervor; noch besser nach
Aufhellung des Organs in Zedernholzöl. Als ziemlich bezeichnend
für derartige Stadien können Nr. 7 und 8 auf Taf. XXVII an-
gesehen werden.
Der grösseren Übersichtlichkeit wegen ist das Untersuchungs-
material (Tab. S. 704ff.) graphisch, in Altersgruppen vereinigt,
dargestellt worden (Textfig. 1). Auch die Parenchymwerte sind
hier angeführt und durch die ausgefüllten Teile der Kolonnen
bezeichnet worden. Die ganz und gar offenen Kolonnen geben
Fälle an, wo aus verschiedenen Ursachen der Parenchymwert
nicht bestimmt worden ist. Aus dieser graphischen Darstellung
geht hervor, dass die grösste Anzahl Tiere während des ersten
halben Lebensjahres, d. h. vor dem Alter, in das die Geschlechts-
reife des Kaninchens fällt, und um dasselbe herum untersucht
worden ist. Nach diesem Zeitpunkt ist der Abstand zwischen
den Altersgruppen grösser genommen worden. In mehreren
Fällen finden sich relativ grosse Variationen des Thymusgewichts
auch innerhalb derselben Gruppe. Einige dieser Variationen
hängen mit Verschiedenheiten in der allgemeinen Entwicklung
der Tiere zusammen; manche Tiere sind vom Lande her ein-
gekauft worden, wo sie in relativ grosser Freiheit und unter
günstigeren Verhältnissen als im Kaninchenkeller des Anatomischen
Instituts gelebt haben. Die ersterwähnten Kaninchen waren
selbst kräftiger und hatten eine grössere Thymus als die letzteren.
Die berechneten Durchschnittswerte des Körpergewichts
und des Gewichts des Thymuskörpers in den verschiedenen
Altersgruppen gestalten sich folgendermassen:
Gruppe I. Neugeboren, 8 Tiere
(in der Regel unmittelbar nach der Geburt, in zwei Fällen
24 Stunden nach dieser getötet).
Körpergewicht: Durchschnitt 55 gr, Min. 5l, Max. 63.
Thymus: 5 2 =e0.092 3,02
Gruppe II. 1 Woche alt, 4 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 169 gr, Min. 120, Max. 187.
Thymus: 5 0,35 „ „025,4. 20
Studien über die Thymusinvolution. 709
Gruppe III. 2 Wochen alt, 6 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 187 gr, Min. 159, Max. 204.
Thymus: P 0,46 „ sı 0,40,,.45,.005524
Gruppe IV. 3 Wochen alt, 5 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 288 gr, Min. 269, Max. 300.
Thymus: R 0,06. , ld 000.
Gruppe V. 4—6 Wochen alt, 10 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 526 gr, Min. 425, Max. 720.
Thymus: 5 KOT... : EI isn, 90:
Gruppe VI. 2—3 Monate alt, 9 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 370 gr, Min. 589, Max. 1350.
Thymus: r EC nn SD
Gruppe VII. 4 Monate alt, 4 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 1253 gr, Min. 1050, Max. 1450.
Thymus: R) 2,49 B) » 2,50, » 2,67.
Gruppe VIII. 5 Monate alt, 6 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 1339 gr, Min. 1273, Max. 1390.
Thymus: 5 2,81 a
Gruppe IX. 6 Monate alt, 7 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 932 gr, Min. 741, Max. 1075.
Thymus: 5 1.68.22, onen
Gruppe X. 7—8& Monate alt, 6 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 1509 gr, Min. 1291, Max. 1657.
Thymus: & Boa OA ar
Gruppe XI. 1 Jahr alt, 6 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 2065 gr, Min. 1700, Max. 2350.
Thymus: 5 0,98: 15 1 OBERE 520:
Gruppe XII. 2 Jahre alt, 5 Tiere.
Körpergewicht: Durchschnitt 2102 gr, Min. 1680, Max. 2760.
Thymus: 5 320506 IE er
Wir haben ausserdem vier Tiere, Nr. 77—80 in der Tabelle,
untersucht, die drei oder mehr als drei Jahre alt waren. Diese
Tiere sind indessen nicht als eine besondere Altersgruppe auf-
geführt, auch nicht bei der Konstruktion der im folgenden als
Textfiguren gegebenen Kurven berücksichtigt worden, und zwar
aus verschiedenen Gründen. Nr. 78 ist ein kastriertes Männchen
(s. weiter unten), und Nr. 79 und 80 gehören, allem nach zu
urteilen, einem von unseren anderen Tieren abweichenden Rassen-
typus an.
”
46*
710 Söderlund und Backman:
Innerhalb der einzelnen Gruppen sind die Tiere im all-
gemeinen so gewählt worden, dass, wenn möglich, mehrere Würfe:
vertreten waren.
Die Durchschnittswerte des Körpergewichts sind in der
Kurve der Textfigur 2 zusammengestellt. Obwohl eine Diskussion
dieser Kurve etwas von unserem Gegenstande abseits liegt,
glauben wir es doch nicht unterlassen zu dürfen, auf diese Frage
etwas näher einzugehen, da ausführliche Angaben in dieser Hin--
sicht uns in der Literatur nicht begegnet sind. Es geht nun
aus dem Bilde hervor, dass das hauptsächliche Wachstum des.
Kaninchens bei dem Alter von einem Jahr und bei einem Durch-
schnittsgewicht von ungefähr 2050 gr abgeschlossen ist. Während
des nächsten Jahres erfolgt eine unbedeutende Gewichtszunahme‘
bis auf 2100 gr, wohl hauptsächlich durch eine Vermehrung der‘
Fig. 2.
Körpergewicht.
Menge des Körperfettes bedingt. Nach Zurücklegung des zweiten:
Jahres dürfte eine langsame Abnahme des Körpergewichtes statt-
finden; indessen erlaubt uns unser unbedeutendes Material an
über zwei Jahre alten Tieren nicht, etwas Bestimmtes in dieser
Beziehung auszusagen. — Bemerkenswert ist, dass die sonst:
stetig steigende Kurve der Wachstumsperiode an einer Stelle-
(im sechsten Monat) durch einen schnellen und tiefen Abfall
(von 1339 auf 932 gr) unterbrochen wird. Der Umfang des-
Materials ist nicht so gross, dass nicht der Zufall hier hinein--
gespielt haben kann; es ist dies auch deshalb nicht unwahr-
scheinlich, weil die von Livon (1898) angestellten Gewichts--
untersuchungen an Meerschweinchen nicht auf eine derartige-
Gewichtsabnahme zur Zeit der Pubertät hinweisen. Eine von
H&nocque (1891) mitgeteilte Kurve über das Körpergewicht.
des Meerschweinchens zeigt indessen gleichfalls eine gewisse Ab--
nahme des Körpergewichts beim Eintritt der Pubertät. Jedoch:
Studien über die Thymusinvolution. 711
war auch hier die Anzahl der untersuchten Tiere allzu un-
bedeutend, als dass nicht der Zufall sein Spiel gehabt haben
könnte. Selbst diskutiert Henocque den Umstand nicht. Es
ist aber bemerkenswert, dass, ungeachtet die Tiere in dieser wie
in den benachbarten Gruppen aus mehreren Würfen herstammen
(die Tiere in Gruppe VIII gehören zwei verschiedenen Würfen, in
IX gleichfalls zwei, in X drei Würfen an) und unter den gleichen
äusseren Verhältnissen gelebt haben, nicht einmal das Maximal-
gewicht in Gruppe IX das Minimalgewicht in den Gruppen VIII
und X erreicht. Die Sache scheint eine Nachuntersuchung zu
verdienen, die dann natürlich durch periodische Wägungen an
denselben Individuen zu bewerkstelligen ist.
Eine die Durchschnittswerte des Thymuskörpers darstellende
Kurve findet sich in Textfigur 3 wiedergegeben. Die Kurve
Mage Sa) J
24g ie L
2ng al + b£ 4 = |
log| Bi! L —.
z A mt nl =.
08 3 | |
] — tt Il ke — 1 a
NA Te TEN 7
Fig. 3.
Durchschnittsgewicht des Thymuskörpers (obere Kurve), Durchschnittsgewicht
des reduzierten Parenchymwertes (untere Kurve).
stimmt ziemlich nahe mit den entsprechenden Kurven für die
Thymus des Menschen in Hammars (1906) oben angeführter
Arbeit überein. In beiden Fällen fällt der Gipfel in die Zeit
der Pubertät oder vielleicht genauer gleich an den Beginn des
geschlechtlichen Reifungsprozesses (s. unten).
Das bisher Gesagte bezieht sich auf die Thymus in ihrer
Gesamtheit oder auf den Thymuskörper selbst. Will man in
den Verlauf der postfötalen Entwicklung der Thymus näher ein-
dringen, ist es indessen notwendig, auf die verschiedenen Gewebe-
bestandteile Rücksicht zu nehmen, die in der Thymusdrüse ent-
halten sind. Schon nach ihrer Aufhellung in Zedernholzöl kann
man sich bei Prüfung des Präparats in durchfallendem Licht ein
Urteil über die Menge Parenchym im Verhältnis zum interstitiellen
Gewebe bilden. Zur näheren Bestimmung des Baues des Organs
712 Söderlund und Backman:
haben wir uns der von Hammar (1906) angegebenen Methode
bedient, welche auf Abzeichnung der Thymusschnitte, Ausschneider
der verschiedenen Parenchymgebiete in Wachsplatte und Wägen:
gegründet ist.
Für jede Drüse wurden sowohl Längen- als Querschnitte
bearbeitet, und die hierbei erhaltenen Durchschnittswerte der
weiteren Berechnung zugrunde gelegt. Die folgenden Werte
des spezifischen Gewichts, wie sie für die betreffenden Gewebe
des Kaninchens von Jonson (1908) bestimmt worden sind,
wurden bei den Berechnungen verwendet: für Parenchym 1,075,
für junges Bindegewebe 1,060, für älteres Bindegewebe 1,200,
für Fettgewebe 0,950.
Die Berechnungen wurden für das Mark nach der Formel
Kr m.s
ar (m+r)s+is
Gramm, m, r und i die betreffenden Werte, die bei Wägung der
aus der Wachsplatte ausgeschnittenen Gebiete für Mark, Rinde
und Interstitialgewebe erhalten wurden, s und s’ die betreffenden
spezifischen Gewichte für Parenchym und Interstitialgewebe, und
P das Gewicht des Thymuskörpers in Gramm bezeichnen. Für
die Berechnung des Rindengewichts erhält die Formel die Gestalt
— a ‚ und für die Berechnung des Gewichts des.
(m+rs+ti.s :
ae u EN TS
Interstitialgewebes g' — ee, En
Der grösste Teil unseres Materials, oder insgesamt 48 Thymus-
drüsen, ist nach der angeführten Methode behandelt worden.
Demnach ist für jeden einzelnen Fall die Menge Parenchym — das-
sog. reduzierte Parenchymgewicht (Hammar) — berechnet, und
ausserdem, soweit die Strukturverhältnisse es erlaubten — d.h.
bis zum Alter von einem Jahr — die Menge des Marks und der
Rinde besonders bestimmt worden. Bei allen diesen Gewebs-
komponenten sind schliesslich die Durchschnittswerte für die be-
treffenden Altersgruppen ausgerechnet worden. Die Einzelwerte
des reduzierten Parenchymgewichts in verschiedenen Altern finden
sich in der Tabelle auf S. 704 f. wiedergegeben; und die Durch-
schnittswerte sind graphisch in Textfigur 3 (punktierte Linie),
des Vergleichs wegen zusammen mit dem Gewicht des Thymus-
körpers selbst, dargestellt worden.
; P ausgeführt, wo g die Menge Mark in
Studien über die Thymusinvolution. 178
Wir stellen die Zahlen hier zusammen:
bei neugeborenen Tieren . . . 0,10 gr
sueWoehesalten ‘>, a EREMO: DARNTE
og Wochen.‘ x BANN OL AREN
B) 3 » BD) » ler BO,
Pa 5 » » ESEL ON,
„ 2—3 Monate alten Tieren . 1,56 „
» 4 » ” BD) . 2,30 „
” 5 P)] 2 D2] Y 2,08 ”
» 6 2) ” 2) . 1,31 ”
ES » B) » . 1,30 „
„ ungefähr 1 Jahr alten Tieren 0,58
2] 2 0,47
e R 2 Jahre
EEE 45200077 Su DEN 7
Fig. 4.
Durchschnittsgewicht der Rinde (dicke Linie), des Marks (punktierte Linie),
des interstitiellen Gewebes (feine Linie).
Auf dem Bilde sieht man, dass die beiden Kurven im grossen
und ganzen einander folgen. Erst nach vier Monaten liegen sie
in etwas grösserem Abstande voneinander, und eine Divergenz
tritt sehr deutlich nach "einem Jahr hervor. Wie zu erwarten
war, sinkt die Kurve, die das reduzierte Thymusgewicht be-
zeichnet, schnell nach der Pubertät; die Steigerung im Gewicht
des Thymuskörpers, die nach einem Jahr sich ziemlich deutlich
geltend macht, beruht offenbar nur auf einer Vermehrung der
Menge des Interstitialgewebes. Textfigur 4 zeigt in der dicken
Linie die absolute Menge der Rinde, in der punktierten die des
Marks und in der feinen Linie die des interstitiellen Gewebes
für verschiedene Alter.
714 Söderlund und Backman:
Die Zahlen sehen im einzelnen folgendermassen aus:
Mark Rinde Interst. Gewebe
Gleich nach der Geburt 0,015 0,084 0,004
Nach 1 Woche... . 7 7=:0:933 0,309 0,006
2, Wochen =. 2.0076 0.361 0,044
ee 0 ns "on
ee N 0. 10,109 SUR
„to 3 Monatene 295° 1 96100 80138
e er: ee 1.8375 016
4 RR =.08371 1.712. 0959
3 Arne Sa0278 ., 1,0290 0.299
an N. 79.296; , ‚1,001... 0,326
=. zuka ul, Jahr... mer01 45 0,485 0,400
u m2sJahrens. . . ah 0,502 0,843.
Es fällt sofort in die Augen, dass die Rinde ein ungeheures
Übergewicht über das Mark besonders während des Alters von
drei bis sechs Monaten zeigt. Sowohl Rinde als Mark erreichen
beim Alter von vier Monaten ihr Maximum, die Rinde mit einem
Gewicht von 1,875 gr, das Mark mit 0,425 er. Die schnelle
Gewichtszunahme des Thymuskörpers während der vier ersten
Lebensmonate beruht demnach auf der Zunahme des Parenchyms
in seiner Gesamtheit, zum unvergleichlich grössten Teil jedoch
auf der Zunahme der Rinde.
Nach Hammars bBerechnungen fiele das Maximum der
Rindenmenge beim Menschen bereits in das Alter von zwei Jahren
nach der Geburt. Er hat indessen ausdrücklich erklärt, dass
sein Material keine sichere Bestimmung der Menge der Rinde
zur Zeit der Pubertät erlaubte. Unmöglich scheint es nicht zu
sein, dass fortgesetzte. Untersuchungen über die Thymus beim
Menschen zeigen werden, dass auch hier das Rindenmaximum in
einen späteren Zeitpunkt als den von ihm angegebenen fällt.
Was das interstitielle Gewebe betrifft, so ersehen wir aus der-
selben Textfig. 4, dass es von dem Alter von zwei Wochen an
stetig zunimmt.
Unter Hinweis auf Tafel XXVII wollen wir in diesem Zu-
sammenhang eine kurze Übersicht über die mikroskopischen
Bilder von Thymusdrüsen verschiedenen Alters geben. Die Bilder
aus der Zeit vor der Geburt bis hinauf zum Beginn der Geschlechts-
reife (vier Monate) sind einander im grossen und ganzen ziemlich
—1
Fa
IL
Studien über die Thymusinvolution.
ähnlich. Die Hauptmasse des Organs besteht aus Parenchym,
das in ziemlich dieht aneinander liegenden Lobuli vereinigt ist.
Die einzelnen Lobuli sind durch schmale gefässführende Binde-
gewebszüge voneinander getrennt. Die Menge der Rinde über-
wiegt mit zunehmendem Alter immer mehr die des Marks
(Fig. 1—4, Taf. XXVII). Zur Zeit des Beginns der Geschlechts-
reife ist das Bild nicht in beträchtlichem Grade verändert; höchstens
weicht es insofern ab, als die Rinde, die noch deutlicher als in
jüngeren Stadien als Hauptkomponente des Parenchyms hervor-
tritt, in breiten Zügen die als kleine Flecke im Zentrum der
Läppehen liegenden Markpartien umgibt. Dieser Typus ist im
ganzen noch im Alter von fünf Monaten vorhanden (Fig. 5,
Taf. XXVII). Die Bilder aus der Zeit der volleingetretenen
Geschlechtsreife (freie Spermien), d. h. um den achten Monat
herum, werden durch eine deutliche Reduktion der Lobuli des
Parenchyms charakterisiert. Eine Umwandlung des interlobularen
Bindegewebes in Fettgewebe ist in der Regel auf diesem Stadium
noch nicht zu beobachten; man sieht aber, dass das Verhältnis
zwischen Mark und Rinde sich deutlich zugunsten des ersteren
ändert (Fig. 6, Taf. XXVII). Die Präparate von den einjährigen
Tieren zeigen im allgemeinen schmale Lobuli oder besser Parenchym-
züge, durch mächtige Schichten interstitiellen Bindegewebes von-
einander geschieden, das hier und da den Charakter von Fett-
gewebe anzunehmen beginnt. In der Regel kann man noch auf
diesem Stadium einen Unterschied zwischen Mark und Rinde be-
obachten. Letztere ist nun noch weiter reduziert (Fig. 7, Taf.XXVD).
Auf noch späterem Stadium, zwei Jahre und darüber, sieht man
das Parenchym gewöhnlich ganz schmale Züge in dem die Haupt-
masse des Organs ausmachenden Fettgewebe bilden (Fig. 8—9,
Taf. XXVII). Ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden
Parenchymkomponenten Mark und Rinde ist in der Regel im
Alter von zwei Jahren nicht zu beobachten.
Das Gewicht des Thymuskörpers wie des Parenchyms im
Verhältnis zum Körpergewicht ist gleichfalls berechnet worden;
die Ergebnisse dieser Berechnungen lassen sich folgendermassen
zusammenfassen:
Bei neugeborenen Kaninchen beträgt der Thymuskörper
1,50 Promille, das Parenchym ebenso ungefähr 1,50 Promille
des Körpergewichts;
716 Söderlund und Backman:
nach 1 Woche 2,07 bezw. 2,00 Promille des Körpergewichts
» 2 Wochen AG 9736 A N 5
‚nis: a age, ;
ae u 2,03 ” 1,90 » » »
2—3 Manaen er ker u % I
2] 4 ” 1 „I I » 1,84 » » BD)
BD) Mm) ” 1,75 ” 1,55 „ ” B2)
» 6 » 1,80 ” 1 ‚4 1 ” » »
» ee) ” 1,07 ” 0,86 » „ »
zirka‘ )Jahr #0 Are 28 h 5 a
„ 2 Jahren 0,63 0,22
Eine graphische Dar lune lea Itgebiiise findet sich
in Textfig. 5, wo die obere Kurve das relative Gewicht des Thymus-
—r
N EN
Fig. 5.
Relatives Gewicht des Thymuskörpers (obere Kurve), relatives Gewicht
des Thymusparenchyms (untere Kurve).
körpers, die untere das des Thymusparenchyms bezeichnet. Die
Figur zeigt, dass die beiden Kurven zum grossen Teil nahe bei-
einander verlaufen; die Thymus wächst schneller als der Körper
im übrigen bis zu drei Wochen nach der Geburt, wo das relative
Gewicht sein Maximum mit 3,33 Promille für den Thymuskörper
und 2,98 Promille für das Parenchym erreicht. Nach dieser Zeit
wächst das Organ im grossen und ganzen langsamer als der
Organismus in seiner Gesamtheit. Die Pubertätsvergrösserung
der Thymus tritt auch in der Kurve als ein vorübergehender
Anstieg im Alter von vier Monaten hervor. Wie ein Vergleich
mit den Textfig. 2 und 5 zeigt, wird die im Alter von sechs
Monaten hervortretende neue Zunahme des relativen Thymus-
gewichts ausschliesslich durch den vorhandenen niedrigen Betrag
des Körpergewichts in diesem Alter bedingt, während dagegen
Studien über die Thymusinvolution. 21%
der geringen Zunahme des relativen Thymusgewichts, die bis
zum Alter von zwei Jahren vorhanden ist, ein entsprechender
Anstieg in der Gewichtskurve des Thymuskörpers zur Seite steht.
In keiner der Figuren findet sich ein ähnlicher Anstieg in der
Kurve des reduzierten Parenchymwertes. Da eine Abnahme des
absoluten Körpergewichts in diesem Alter nicht eingetreten ist,
so beruht demnach diese Zunahme des relativen Thymusgewichts
im Alter von zwei Jahren ausschliesslich auf einer Zunahme der
Menge des interlobularen Fettgewebes.
Die eben angeführten Verhältnisse betreffs des relativen
Gewichts der Thymus weichen etwas von den bisher in bezug
auf denselben Punkt, aber an anderem Untersuchungsmaterial
gemachten Erfahrungen ab. Wie bereits erwähnt, trifft so nach
Goodall und Paton das Maximum der relativen Grösse der
Thymus beim Meerschweinchen — 5,4 Promille — im fötalen
Leben ein. Bei der Geburt beträgt es nach denselben Forschern
2,2 Promille und sinkt dann bis zum Eintritt der Pubertäts-
steigerung. Wieder andere Verhältnisse scheinen bezüglich des
Menschen zu herrschen. Nach Legou hat die Thymus beim
Menschen im siebenten Fötalmonat eine relative Grösse von 3,8
Promille, nach Hammar beträgt die entsprechende Zahl bei der
Geburt 4,2; während des postfötalen Lebens findet dann, wie
letzterer gezeigt hat, ein ununterbrochenes Sinken statt.
Goodall und Paton verlegen demnach das Maximum der
relativen Grösse der Thymus beim Meerschweinchen in das Fötal-
leben, nach Legou und Hammar scheint die entsprechende
Zahl für die Thymus des Menschen um den Zeitpunkt der Geburt
herum zu liegen; die Untersuchungen über die Thymus des
Kaninchens zeigen dagegen ein Maximum für die relative Grösse
des Organs erst in der Zeit von drei Wochen nach der Geburt.
Die Ursache für diese verschiedenen Verhältnisse genauer anzu-
geben, ist wohl gegenwärtig nicht möglich. Etwas direkt Über-
raschendes braucht übrigens in diesen Verschiedenheiten nicht zu
liegen, wenn man in Betracht zieht, dass der Zeitpunkt des
Abschlusses des intrauterinen Lebens keineswegs einem bestimmten
Entwicklungsgrade in der Ontogenese der verschiedenen Säuge-
tierarten entspricht. In dem Verhalten des relativen Thymus-
gewichts, wie gewisse ältere Forscher es getan haben, einen
Beweis dafür erblicken zu wollen, dass die funktionelle Bedeutung
718 Söderlund und Backman:
des Organs ausschliesslich oder überwiegend dem Fötalleben an-
gehört, ist jedenfalls nicht angängig.
Fig. 6.
Thymusdrüsen von Kaninchen verschiedenen Alters; die Drüsen sind
mit Zedernholzöl aufgehellt und bei durchfallendem Licht photographiert
worden; natürliche Grösse; s. im übrigen die Angaben auf der Tafel;
die entsprechenden Nummern in der Tabelle sind der Reihe nach
1,:17,728,-42, 51, 55, 68’und 2.
Studien über die Thymusinvolution. 719
Um eine genauere Bestimmung des Zeitpunkts der Geschlechts-
reife beim Kaninchen zu ermöglichen, haben wir ausser der Thy-
mus auch den Geschlechtsdrüsen eine besondere Untersuchung
gewidmet, und zwar vor allem bei dem Teil unseres Materials,
der einem Alter von vier Monaten bis einem Jahr entspricht.
Hoden, bezw. Ovarien wurden in Tellyesniezkyscher Flüssig-
keit fixiert, in toto in Paraffin eingebettet und in 6—12 u dicke
Schnitte zerlegt. Unsere Untersuchung galt vorzugsweise einer-
seits den Verhältnissen des interstitiellen Gewebes (der „inter-
stitiellen Drüse“, um den Ausdruck gewisser französischer Forscher
zu gebrauchen), andererseits denen der (reschlechtsprodukte.
Sowohl in Ovarien als Hoden finden sich bereits lange vor
dem Eintritt der Pubertät zahlreiche interstitielle Zellen. Weder
dem Bau, noch der Anzahl oder Anordnung nach scheinen diese
Zellen während der Pubertätsperiode eine bemerkenswerte Ver-
änderung zu zeigen. Was die „interstitielle Drüse“ speziell im
Hoden betrifitt, so geben Bouin und Ancel (1903) an, dass in
der Zeit von der Geburt bis zum Eintritt der Geschlechtsreife
ihre Zellen schneller wachsen als die Samenkanälchen selbst —
und in Übereinstimmung hiermit haben wir sie auch in frühen
Stadien kräftig entwickelt gefunden.
Was die epithelialen Elemente anbelangt, so sind bereits
frühzeitig in den Ovarien Graafsche Follikel vorhanden (s. die
Tabelle); diese werden später wohl grösser, auf ihr Aussehen
aber sichere Bestimmungen über den Eintritt der Pubertät zu
gründen, ist schwer, um nicht zu sagen, unmöglich. Erst mit
dem Auftreten der Corpora lutea stehen sichere Zeichen einge-
tretener Geschlechtsreife in den Ovarien zur Verfügung. Bei den
Hoden wieder hat man in der Spermiogenese und in dem Auf-
treten freier Spermien ein Kriterium für den Eintritt der Ge-
schlechtsreife. Es sind auch vorzugsweise die Hoden gewesen,
auf die wir angewiesen waren, wenn es galt, Schlüsse bezüglich
des Verhältnisses zwischen den in der Thymus und den Geschlechts-
drüsen stattfindenden Veränderungen zu ziehen.
Eine Prüfung von Hodenpräparaten aus verschiedenen Alters-
stufen ergiebt u. a. folgendes. Bis zum Alter von 3 Monaten
einschliesslich sind die Bilder einander sehr ähnlich. In den
Samenkanälchen sieht man auf diesen Stadien noch kein Lumen;
an der Stelle desselben findet sich ein protoplasmatisches Reti-
"720 Söderlund und Backman:
kulum mit überwiegend radiärer Faserrichtung. Die Fasern
scheinen, allem nach zu urteilen, aus Fortsätzen gewisser Zellen
des Epithels zu bestehen. Nirgends finden sich im Epithel mehr
als zwei, höchstens drei Zellschichten. Mitosen sind relativ spär-
lich; höchstens finden sich drei bis vier solche in jedem Kanal-
querschnitt. Bei dem Alter von vier Monaten ändern sich die
Bilder in höchst frappanter Weise. In einigen Kanälchen findet
man wohl auch jetzt das eben geschilderte Bild, in der grossen
Mehrzahl der Fälle hat aber die Weite der Drüsenröhren bis auf
das Doppelte ihres früheren Betrages zugenommen; die Wände
bestehen nun in der Regel aus fünf bis sechs oder mehr Schichten,
von denen die meisten in Mitose begriffen sind. Man kann so. B. in
einem Kanalquerschnitt 50— 100 Mitosen finden. Lumina sind hier
und da entstanden, dem Anschein nach durch eine Auflockerung
mit Spaltenbildung innerhalb des zentralen Protoplasmanetzes. Hier
und da in den Lumina sieht man degenerierte, von den Wänden
abgestossene Zellen. Dieselben Bilder wie das eben geschilderte
weisen die nächstfolgenden Altersstadien auf, nur dass die Zell-
teilung wenn möglich noch lebhafter zu geschehen und die
Drüsenröhren immer deutlicher als wirkliche Röhren, d. h. mit
wohlentwickelten Lumina, hervorzutreten scheinen. Erst bei
Kaninchen im Alter von 7—8 Monaten sieht man zum erstenmal
in der Altersserie, dass die Zellteilung innerhalb der Samen-
kanälchen in der Bildung von Spermien resultiert hat. Die Sper-
miogenese ist hier offenbar eingeleitet, wenn sie auch noch nicht
in derselben Ausdehnung vorsichgeht, wie es im späteren Stadium
‚der Fall ist.
Aus dem Angeführten geht hervor, dass die Geschlechts-
reife beim männlichen Kaninchen in der Zeit vom 4.—8. Lebens-
monat vorsichgeht. Es ist von grossem Interesse, hiermit die
durch die Kurven in Textfig. 3 veranschaulichten Gewichtsverhält-
nisse der Gesamtthymus und des Parenchyms zu vergleichen.
Man sieht da, dass der Zeitpunkt, wo die lebhaftere mitotische
Tätigkeit der Samenkanälchen beginnt (4. Monat), auch der ist,
in welchem der Abfall dieser Thymuskurven beginnt. Schon die
Vorbereitungen zur Spermiogenese scheinen demnach hierbei
einen bestimmenden Einfluss auszuüben. Ein entscheidender
Einfluss des wirklichen Beginns der Spermiogenese (7.—8. Monat)
‚geht dagegen kaum aus den fraglichen Kurven hervor. Betrachtet
Studien über die Thymusinvolution. 721
man wiederum von diesem Gesichtspunkt aus die Mark- und
Rindenkurven in Textfig. 4, so zeigt die Rindenkurve in dieser
Hinsicht ein mit dem des Parenchyms in seiner Gesamtheit über-
einstimmendes Verhalten. Das Mark dagegen zeigt während der
ersten Hälfte der Geschlechtsreife (4.—6. Monat) eine langsame
Abnahme; während der letzten Hälfte derselben Periode (6. bis
8. Monat) nimmt es sogar etwas zu. Erst mit dem Beginn der
Spermiogenese im Alter von acht Monaten nimmt das Mark von
0,296 gr auf 0,145 gr, d.h. auf den Betrag ab, bei dem es dann
stehen bleibt, so lange ein Unterschied zwischen Mark und Rinde
beobachtet werden kann, nämlich bis zum Alter von ungefähr
1'!—2 Jahren.
Da während der Zeit der Geschlechtsreife eine auffallende
Veränderung in der Menge oder dem Aussehen der interstitiellen
Zellen nicht stattzufinden scheint, spricht demnach Ver-
schiedenes dafür, dass wir — insofern die Ursache zu
den in der Thymus hervortretenden Veränderungen,
welche die Altersinvolution charakterisieren, in
den Hoden liegt — sie nicht in den Zwischenzellen,
sondern in dem spermiogenen Epithel zu suchen
haben.
Auch die Prüfung gewisser individueller Fälle von Ausnahme-
charakter scheint diese Auffassung zu stützen. In einem einzigen
Fall, Nr. 37, fanden sich so bei einem drei Monate alten Kaninchen
bereits die oben erwähnten, sonst erst vom vierten Monat an
auftretenden Erscheinungen in den Hodenkanälen, nämlich leb-
hafte Mitosenbildung und beginnende Entstehung von Lumina,
‘obwohl nicht in so grosser Ausdehnung wie in späteren Stadien;
und in diesem Fall wog die Thymus 2,05 gr, also mehr als bei
allen übrigen acht, der Altersstufe zwei bis drei Monate ange-
hörigen Tieren!
Von Interesse ist es auch, Nr. 60, 62 und 64 (s. die Tabelle),
d.h. die drei Männchen von den sieben bis acht Monate alten
Tieren zu prüfen. In dem Hoden von Nr. 60 findet man eine
sehr lebhafte Spermiogenese im Gange; in so gut wie allen
Kanälchen werden freie Spermien angetroffen, und rings um die
Wände der Kanälchen herum beobachtet man Spermienbildung.
Das Gleiche ist bei Nr. 62 der Fall. Der Hoden von Nr. 64
bietet dagegen ein anderes Bild. Man findet hier nur in jedem
122 Söderlund und Backman:
zweiten oder dritten Kanälchen Spermiogenese, und wo dies der
Fall ist, findet sie im allgemeinen nur auf der einen Seite des
Kanälchens statt; sehr wenig freie Spermien werden angetroffen.
Alles deutet darauf hin, dass das samenbildende Epithel im
letzteren Falle sich auf einem im Vergleich mit den beiden anderen
weniger weit vorgeschrittenen Entwicklungsstadium befindet, dass.
die Spermiogenese hier in ihrem Anfangsstadium begriffen ist.
Und in diesem letzteren Falle beträgt das Thymusgewicht 1,88 gr,
in den beiden anderen bezw. 0,94 und 0,98 gr. Ähnliche Ver-
hältnisse haben auch bei näherer Prüfung der Thymi und Testes-
von einjährigen Tieren festgestellt werden können.
Der Einfluss der Geschlechtsdrüsen auf die Thymus, wie er
experimentell von Galzolari (1898) beobachtet und durch die
Untersuchungen Hendersons (1904), Hammars (1905) u.a.
an kastrierten Tieren bestätigt worden ist, erhält also auch durch.
unsere Untersuchung über den Verlauf der Altersinvolution beim
Kaninchen eine Bestätigung. Der Zufall hat auch uns ein
kastriertes Tier (Nr. 78) in die Hände geführt, das in seiner
Weise geeignet war, diesen Umstand zu bestätigen. Die Drüse-
dieses Tieres — eines drei Jahre alten Männchens — enthielt,
wie sich herausstellte, 1,11 gr Parenchym, während die übrigen:
acht, der Altersstufe von zwei bis drei Jahren angehörigen, von
uns untersuchten Tiere eine Thymus mit durchschnittlich 0,24 gr‘
Parenchym (Max. 0,59, Min. 0,03 gr) besassen.
Zusammenfassung.
1. Der Thymuskörper wiegt beim Kaninchen im Durchschnitt
bei der Geburt 0,10 gr, in einem Alter von 1 Woche 0,35 gr,
2 Wochen 0,45 gr, 3 Wochen 0,98 gr, 4—6 Wochen 1,07 gr,
2—3 Monaten 1,70 gr, 4 Monaten 2,49 gr, 5 Monaten 2,34 gr,
6 Monaten 1,69 gr, 7—8S Monaten 1,62 gr, 1 Jahr 0,98 gr und.
2..Jahren. 1,32 gr.
2. Der reduzierte Parenchymwert beträgt im Durchschnitt:
bei neugeborenen Kaninchen 0,10 gr, im Alter von 1 Woche
0,54 gr, 2 Wochen 0,44 gr, 3 Wochen 0,56 gr, 4—6 Wochen
1,00 gr, 2—3 Monaten 1,56 gr, 4 Monaten 2,30 gr, 5 Monaten
2,08 gr, 6 Monaten 1,31 gr, 7—8 Monaten 1,30 gr, 1 Jahr
0,58 gr, 2 Jahren 0,47 gr.
Studien über die Thymusinvolution. 129
3. Der Unterschied zwischen Mark und Rinde lässt sich
normalerweise bis zum Alter von 1—1'/»s Jahren beobachten. Die
Rinde überwiegt der Menge nach, und zwar besonders während
des Alters von 3—6 Monaten. Die berechneten Mittelwerte sind: für
neugeborene Kaninchen: Rinde 0,084 gr, Mark 0,015 gr, interstit.
Gewebe 0,004 gr; für das Alter von 1 Woche betragen dieselben
Werte in derselben Reihenfolge 0,309 gr, 0,033 gr, 0,006 gr;
2 Wochen 0,361 gr, 0,076 gr, 0,044 gr; 3 Wochen 0,683 gr,
0,173 gr, 0,102 gr; 4—6 Wochen 0,769 gr, 0,232 gr, 0,107 gr;
2—3 Monaten 1,261 gr, 0,295 gr, 0,139 gr; 4 Monaten 1,875 gr,
0.425 gr, 0,167 gr; 5 Monaten 1,712 gr, 0,371’ gr, 0,259 gr;
6 Monaten 1,029 gr, 0,278 gr, 0,299 gr; 7—8 Monaten 1,001 gr,
0,296 gr, 0,526 gr; 1 Jahr 0,455 gr, 0,145 gr, 0,400 gr; 2 Jahren
0,502 gr, 0,145 gr, 0,843 gr.
4. Beim neugeborenen Kaninchen beträgt sowohl der Thymus-
körper als das Parenchym 1,50 Promille des Körpergewichts; für
das Alter von 1 Woche betragen diese Werte bezw. 2,07 und
2,00 Promille; 2 Wochen 2,46 und 2,36; 3 Wochen 3,33 und
2,98; 4—6 Wochen 2,03 und 1,90; 2—3 Monaten 1,94 und 1,79;
4 Monaten 1,99 und 1,84; 5 Monaten 1,75 und 1,55; 6 Monaten
1,50 und 1,41; 8 Monaten 1,07 und 0,56; 1 Jahr 0,47 und 0,28;
2 Jahren 0,63 und 0,22. Das Maximum des relativen Thymus-
gewichts fällt demnach beim Kaninchen in das Ende der dritten
Woche des Postfötallebens, während für das Meerschweinchen das
entsprechende Maximum während des Fötallebens und für den
Menschen um die Zeit der Geburt stattzufinden scheint.
5. Im Alter von 1 Jahr hört das hauptsächliche Wachstum
des Kaninchens auf; das durchschnittliche Gewicht beträgt dann
ungefähr 2000 gr.
6. Beim männlichen Kaninchen beginnen die Vorbereitungen
zur Spermiogenese im Alter von 4 Monaten; die Spermiogenese
selbst beginnt im Alter von 7—8 Monaten. Weder im Ovarium
noch im Testis erfährt die „interstitielle Drüse“ um die Pubertäts-
periode herum eine auffallende Veränderung.
7. Schon zu der Zeit, wo die Vorbereitungen zur Spermio-
genese beginnen, d. h. im Alter von 4 Monaten, erreicht das
absolute Gewicht sowohl des Thymuskörpers als des Parenchyms
und der beiden Komponenten desselben, des Marks und der Rinde,
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 47
724
Söderlund und Backman:
je für sich sein Maximum. Eine schnelle Abnahme des Gewichts
sowohl des Organs als des Parenchyms setzt unmittelbar nach
diesem Zeitpunkt ein; sie wird hauptsächlich durch die schnelle
Reduktion der Rinde bedingt. Im Alter von 4—8 Monaten tritt
ein auffälligeres Wachstum des interstitiellen Gewebes als Vor-
bereitung zu seinem Übergang in Fettgewebe ein.
1891.
1896.
1903.
1898.
1858.
1904.
1905.
1905.
1906.
1904.
1891.
1908.
1884.
1881.
1903.
1898.
1891.
Literaturverzeichnis.
Baum: Die Thymusdrüse des Hundes. Deutsche Zeitschr. f. Tiermedizin,
Bd. 7, H.4.
Blumreich und Jacoby: Untersuchungen über die Bedeutung der
Schilddrüse und ihrer Nebendrüsen für den Organismus. Pflügers Arch.,
Bd. 64.
Ancel et Bouin: Recherches sur le röle de la glande interstitielle
du testicule. Hypertrophie compensatrice exp@erimentale. C. r. Acad.
SCH 1.7132.21N0. 6.
Calzolari: Recherches experimentales sur un rapport probable entre
la fonction du thymus et celle des testicules. Arch. ital. de biologie,
MROERXE
Friedleben: Die Physiologie der Thymusdrüse. Frankfurt a. M.
Goodall and Paton: Contribution to the physiology of the thymus.
The Journal of Physiology, Vol. XXXI.
1. Hammar: Zur Histogenese und Involution der Thymusdrüse. Anat.
Anzeig., Bd. 27.
2. Derselbe: Über Thymusgewicht und Thymuspersistenz. Verh. d.
Anat. Gesellschaft.
Derselbe: Über Gewicht, Involution und Persistenz der Thymus im
Postfötalleben des Menschen. Archiv für Anatomie und Physiologie.
Henderson: On the relationship of the thymus to the sexual organs.
The influence of castration. Journal of Physiology, Vol. XXXI.
Henocque: Aptitudes des cobayes mäles & la reproduction. Archives
de physiologie.
Jonson: Studier öfver thymusinvolutionen. Den accidentella invo-
lutionen vid inanition. Uppsala Läkaref:s Förh., Bd. 13.
Krause: Die Anatomie des Kaninchens.
Klein: Histological notes. Quart. Journ. mier. Sc.
Legou: Quelques considerations sur le d&veloppement du foetus. Men-
surations et pesees aux differents äges. These. Paris.
Livon: Art. cobaye; Physiologie; in Richet, Dict. de Physiol., T. 3.
Minot: Senescence and Regeneration 1. Paper: On the weight of
Guinea Pig. Journ. of Physiology, Vol. XII (zit. nach Schwalbes
Jahresber.).
Studien über die Thymusinvolution.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVII.
n 2 » 7 17 » b) n
gu ar A ur
B) 4 ” 42 b n
n B) 2 n al )} »
Bit; 62° ,
ee, 68
Bl za"
GER; ee
art
—1
m
>|
—1
[0)
{er}
Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels-
nebst Bemerkungen über dessen Struktur.
Von
Professor Dr. Julius Arnold in Heidelberg.
Hierzu Tafel XXVIN.
Die Morphologie des Glykogens.
Die Untersuchung der Skelett- und Bauchmuskeln (Nr. 3) hat:
ergeben, dass das Glykogen hauptsächlich, wenn nicht ausschliess-
lich, in den Sarkosomen enthalten ist, während solches in den:
Muskelfibrillen, wenigstens in den anisotropen Abschnitten Q —
den sogenannten Myokonten — nicht nachgewiesen werden kann.
Die an der Stelle der isotropen Scheiben — J — gelegenen
transversalen Glykogengranula wurden als sarkoplastische Gebilde‘
aufgefasst; dafür sprechen ihre Beziehung zu dem intereolumnären
glykogenführenden Sarkoplasma, mit welchem sie Q umspinnende-
Netze bilden, sowie ihr vermutlich vom Kontraktionszustand
abhängiger Lagewechsel zwischen Q und der Zwischenscheibe Z;
in Folge dieses erscheinen die transversalen Granula als eine:
einfache Z verdeckende Reihe oder aber in der Form von zwei
Reihen, welche in verschiedener Entfernung von Z liegen, manch-
mal aber auch Q sich nähern dieses mehr oder weniger ver-
deckend.
Bei der supravitalen Jodräucherung (Brusthautmuskel) zeigen
zunächst nur die Sarkosomen die Glykogenreaktion; diffuse
Färbungen im Sarkoplasma treten gewöhnlich erst später auf;
die Muskelfibrillen bleiben ungefärbt und nehmen nur einen hell-
gelben Farbenton an.
Wie bei den Skelettmuskeln, so stimmen auch bei dem:
Herzmuskel die Angaben über das Verhalten des Glykogens nicht
überein; die Einen verlegen den Sitz dieses in das Sarkoplasma,
die anderen in das Myoplasma, die meisten schreiben ihm eine
diffuse Verteilung zu und beziehen das Vorkommen von Körnchen,
mögen sie diese in das erstere oder letztere verlegen, auf
Fällungsvorgänge. Es war somit eine Untersuchung des Herz--
Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 127
muskels nicht zu umgehen und eine Prüfung in der Hinsicht
erforderlich, ob und in wie fern die Anordnung des Glykogens
im Herzmuskel von derjenigen in den Skelettmuskeln abweicht.
Ich habe mich vorerst auf die Untersuchung des Frosch-
herzens beschränkt, da es mir sachgemäss erschien, zunächst bei
der gleichen Art die Anordnung des Glykogens in den Skelett-
muskeln einerseits, den Muskelfasern des Herzens andererseits
festzustellen. Ich hoffe seinerzeit über die Morphologie des
Glykogens im Herzen der Warmblüter unter besonderer Berück-
sichtigung der Purkinjeschen Fasern berichten zu können
Uebrigens darf das Froschherz nicht nur wegen seines gewöhnlich
ziemlich beträchtlichen Glykogengehaltes als Untersuchungsobjekt
‚empfohlen werden; ein weiterer Vorzug ist der, dass man dieses
in toto d. h. ohne Zerlegung in kleinere Stücke in absolutem
Alkohol härten und in Zelloidin einbetten kann.
Die Methoden waren im wesentlichen die gleichen, wie bei
den früheren Glykogenuntersuchungen. Zunächst prüfte ich das
Verhalten des frischen Herzmuskels bei der Jodräucherung.
Möglichst kleine Stückchen wurden in der Glaskammer (hohl-
geschliffenem Objektenträger) Joddämpfen ausgesetzt. Die Ergeb-
nisse waren aber weniger befriedigend wie bei den Skelettmuskeln;
es mag dies seinen Grund darin haben, dass man genötigt ist,
Zupf- oder Schnittpräparate anzufertigen; begreiflicher Weise ist
der vorsichtig von seinen Ansatzstellen abgelöste und in seiner
Form gut erhaltene Brusthautmuskel ein brauchbareres Versuchs-
objekt. Immerhin findet man auch im Herzmuskel eine bald
grössere bald kleinere Zahl von Fasern mit jodophilen Sarko-
somen, während die eigentlichen Fibrillen ungefärbt bleiben. Es
sei noch bemerkt, dass man auch an Schnitten von Präparaten,
welche in Zelloidin eingebettet und nach vorausgehender
Entwässerung mit absolutem Alkohol durch Origanumöl auf-
gehellt wurden, mittelst der Jodräucherung sehr brauchbare
Bilder erhält. Diese Methode angewendet auf das frische
Objekt, ist insofern, wie schon mehrfach hervorgehoben wurde,
von Bedeutung, als mit ihrer Hilfe nachgewiesen werden kann,
dass vorwiegend die Sarkosomen das Glykogen enthalten; diffuse
Färbungen des Sarkoplasma habe ich erst später wahrgenommen,
während die eigentlichen Muskelfibrillen auch in dieser Zeit un-
‚gefärbt bleiben. Überhaupt sollte die Anfertigung von Jod-
728 Julius Arnold:
präparaten niemals unterlassen werden; nur darf man nicht
vergessen, dass bei Anwendung von wässerigen Jodlösungen selbst
am gehärteten Objekt noch Veränderungen des Glykogens eintreten
können. Solche kommen auch an Präparaten vor, welche nach
der Bestschen Karminmethode, die ja sonst viel leistungsfähiger
ist, behandelt wurden. — Manchmal ist, wie Querschnitte durch
das Herz lehren, die Verteilung des Glykogens eine ungleich-
mässige in der Art, dass auf der einen Seite sehr wenig, auf
der anderen Seite sehr viel Glykogen in dem Herzmuskel sich
findet. Hängt man das Herz in absolutem Alkohol auf, so macht
sich diese Unregelmässigkeit, welche offenbar auf durch die
Konservierung bedingte Diffusionsströme zurückzuführen ist, viel
weniger bemerkbar. Der Befund von kleineren und grösseren
freien, d. h. nicht an Strukturbestandteile gebundenen Tropfen:
ist wohl gleichfalls auf Lösungserscheinungen zu beziehen; freie
körnige Abscheidungen und Fällungen habe ich bei richtigem
Verfahren nicht beobachtet. Bei allen diesen Vorkommnissen
spielen die wechselnden Lösungsverhältnisse des Glykogens, die:
vitalen und postvitalen autolytischen Vorgänge, die angewandten
Untersuchungsmethoden eine hervorragende Rollee Um so un-
entbehrlicher ist, wie ich in den früheren Mitteilungen immer’
wieder betont habe, die Controle am überlebenden Objekte. Wie
oben erwähnt wurde, kommen nach einiger Zeit auch an diesem
diffuse Färbungen zur Wahrnehmung; in wie weit diese als vitale,.
postvitale oder arteficille Erscheinungen aufzufassen sind, lässt
sich am konservierten Präparate nicht feststellen.
Wie in den Skelettmuskeln, so kann man auch an den
Herzmuskeln ein longitudinales und ein transversales System von:
glykogenführenden Granula unterscheiden.
Das erstere entspricht den intercolumnären Räumen und
zeigt einen durch den verschiedenen Glykogengehalt bedingten
Wechsel in der Anordnung der glykogenführenden Sarkosomen
(Fig. 1—3). Bald sind diese nur spärlich und klein, in kurzen
und vielfach unterbrochenen Reihen aufgestellt, bald sind sie:
zahlreicher, grösser, bilden lange und zuweilen breite Reihen,
sowie auf grössere Strecken hin zusammenhängende Ketten.
Manchmal sind einzelne Sarkosomen und deren Zwischenglieder
überhaupt nicht mehr zu unterscheiden. Dazwischen finden sich
kleinere und grössere freie Tropfen. Die Verbindung der Sar--
Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 129
kosomen, wenn eine solche nachweisbar ist, wird bald durch ge-
färbte bald durch ungefärbte fädige Zwischenglieder hergestellt. —
Wesentliche Unterschiede gegenüber der Anordnung in den Skelett-
muskeln wüsste ich nicht hervorzuheben. Die Gliederung der
intercolumnären Glykogensubstanzen in Sarkosomenreihen erschien
mir am Herzmuskel eher deutlicher als an den Skelettmuskeln.
Auf dem Durchschnitt habe ich eine netzförmige Anordnung des
glykogenhaltigen Sarkoplasmas nur stellenweise, dagegen zahl-
reiche dicht stehende Granula zwischen den querdurchschnittenen
Fibrillenkomplexen beobachtet.
Die Kerne sind stets frei von Glykogen, dagegen finden
sich solche Granula in dem umgebenden Sarkoplasma in grösserer
Zahl (Fig. l).
Was das transversale System der Glykogengranula an-
belangt, so zeigt auch dieses wechselnde Anordnung: bei ge-
ringerem Glykogengehalt vereinzelte Granula, deren Lage zu den
einzelnen Fibrillen und Fibrillenabschnitten schon wegen der
geringeren Breite dieser, sowie wegen der Verwechslung mit
intercolumnären Sarkosomen nicht immer mit Sicherheit zu be-
stimmen ist. Leichter wird dies bei grösserem Glykogengehalt. —
Am häufigsten nimmt man an der Stelle der Zwischenscheibe (Z)
eine bald sehr schmale, bald etwas breitere rote Linie wahr,
welche eine Zusammensetzung aus Granula namentlich dann er-
kennen lässt, wenn die letzteren weniger dicht liegen; sehr oft
erscheint sie mehr gleichartig (Fig. 3). Man erhält so den Ein-
druck, als ob Z aus Glycogengranula bestehe. An den Skelett-
muskeln konnte nachgewiesen werden, dass an der Stelle der
isotropen Substanz (J) zu beiden Seiten von 7 Reihen von
Glykogengranula sich finden, welche zuweilen dem letzteren näher
rücken und es schliesslich verdecken. Während in dem letzteren
Falle der Anschein erweckt werden kann, als ob Z Glykogen-
granula enthielte, lässt sich nachweisen, dass Z, wenn die
Glykogengranula an der Stelle von J gelegen sind, eine Glykogen-
reaktion nicht darbietet. Ich kam deshalb zu dem Schluss, dass
7 glykogenfrei ist und ein Glykogengehalt dieses durch die
Verlagerung der J-granula vorgetäuscht wird.
Bei eingehender Prüfung konnte ich auch am Herzmuskel
Fasern auffinden, bei welchen Z ungefärbt zwischen den zwei
Reihen der Glykogengranula J nachgewiesen werden konnte
730 Julius Arnold:
(Fig. 3b). Der Wechsel in der Lagerung dieser hängt offenbar
mit dem verschiedenen Kontraktionszustand zusammen. — Wie
früher hervorgehoben wurde, kommt es bei den Skelettmuskeln
sehr häufig durch eine Vereinigung der longitudinalen und
transversalen Granulasysteme zur Bildung mehr oder weniger
regelmässiger Netze, welche die Felder @ diese gewöhnlich frei-
lassend umsäumen. An den Herzmuskeln finden sich solche
Netze gleichfalls (Fig. 2c), sie scheinen aber seltener zu sein;
doch kommt dieser Verschiedenheit kaum eine Bedeutung zu,
weil sie vermutlich nur gradueller Art ist, d.h. von dem Glykogen-
gehalt abhängt. Es wurde eben betont, dass an der Stelle der
Felder @ Glykogen meistens vermisst wird; wenn das Sarko-
plasma von den Seiten her über Q sich wegschiebt, so kann ein
Glykogengehalt dieser vorgetäuscht werden.
Ob die Endothelien Glykogen führen, kann ich nicht mit Be-
stimmtheit aussagen, weil im Blut sehr oft freie Glykogentropfen
sich finden, welche dem Endothel möglicherweise sich auflagern.
Dagegen liess sich in den Leukocyten, insbesondere auch in den
eosinophilen Formen Glykogen nachweisen; doch waren diese
weniger zahlreich wie im Blut der Lebergefässe.
Es wurde erwähnt, dass der Sitz des Glykogens von den
Einen in das Myoplasma, von den Anderen in das Sarkoplasma
verlegt wird, die Meisten aber annehmen, dass seine Verteilung
eine diffuse und der Befund von Körnchen auf Fällungsvorgänge
zurückzuführen sei. — Die oben mitgeteilten Untersuchungen
haben uns zu dem Ergebnis geführt, dass in den Muskelfibrillen
Glykogen überhaupt nicht enthalten ist; die transversalen an der
Stelle der isotropen Substanz gelegenen Granula gehören dem
Sarkoplasma an; allerdings kann durch die Verlagerung dieses
das Trugbild gefärbten Myoplasmas entstehen. — Die im Sarko-
plasma gelegenen Körner als Fällungsprodukte aufzufassen, da-
gegen sprechen ausser den früher geschilderten Befunden bei der
supravitalen Jodräucherung die regelmässige Anordnung der lon-
gitudinalen und transversalen Systeme der Glykogengranula, ins-
besondere aber, wie weiter unten nachgewiesen werden soll, ihre
vollständige Übereinstimmung mit der Anordnung der Sarkosomen,
wie sie am überlebenden und nach verschiedenen Methoden con-
servierten Objekt beobachtet werden kann. Diffuse Färbungen
des Sarkoplasmas kommen vor; es wurde oben erörtert, weshalb
Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 731
die Entscheidung, ob es sich um eine vitale, postvitale, oder
arteficielle Erscheinung handelt, zur Zeit nicht möglich ist. Wer
an gelungenen Glykogenpräparaten mit den zierlichen und bei
allem Wechsel gesetzmässigen Anordnungen der longitudinalen
und transversalen Granulasysteme sich vertraut gemacht hat,
wird zu der Überzeugung gelangen, dass das Glykogen an prä-
existente Strukturbestandteile gebunden ist.
Zur Struktur des Herzmuskels.
Die Methoden der Untersuchung waren im wesentlichen die
gleichen, wie bei derjenigen der Skelettmuskeln: Konservierung in
Alkohol, Sublimatchlornatriumlösungen oder Bendascher Chrom-
osmiummischung (Nachbehandlung mit Acetum pyrolignosum und
Chromsäure etc.). Von Tinktionsmethoden kamen in Anwendung
ausser den gewöhnlichen die Eisenhämatoxylinfärbung ohne und
mit nachträglicher Tinktion durch Krystallviolettanilinöl; in
letzterem Fall müssen die durch Eisenhämatoxylin gefärbten
Objekte stark differenziert werden. Sehr brauchbar erwies sich
folgende Modifikation der Bendaschen Mitochondrienfärbung:
nach vollzogener Tinktion mit Krystallviolettanilinöl trocknet
man die Präparate ab und differenziert ohne Anwendung von
Essigsäure mit einer Mischung von Aceton-Nelkenöl (2:10), bis
die Felderzeichnung an den Muskelfasern deutlich wird. Dünne
Paraffinschnitte (2—4 «) sind unbedingt erforderlich. Ich will
nicht unterlassen, auch an dieser Stelle zu betonen, dass es sich
bei diesen Färbungen nicht um „spezifische“ handelt; vielmehr
ist ihr Ergebnis von dem Grad der Differenzierung und dem
Kontraktionszustand abhängig.
Sarkoplasma. Zunächst sei erwähnt, dass bei vitaler
Zufuhr von Methylenblau in der Muskulatur des noch lebhaft
sich kontrahierenden Froschherzens gefärbte Granula vorkommen.
Dieselben liegen zwischen den Fibrillensystemen. Ich verweise
auf meine früheren Mitteilungen (Nr. 2). Mittelst der Jodkali-
maceration lassen sich die Muskelsäulchen, später die Muskel-
fibrillen isolieren. Die Sarkosomen kommen dann sehr deutlich
zum Vorschein (Nr. 1).
Nach den an den Glykogenpräparaten erhobenen Befunden
war zu erwarten, dass in der Muskulatur des Froschherzens
das Sarkoplasma ziemlich reichlich vertreten, aber in seiner
132 Julius Arnold:
Anordnung einem ziemlich grossen Wechsel unterworfen ist. Es
fanden sich an den nach den eben erwähnten Methoden behandeltem
Objekten bald nur vereinzelte kleinere und grössere Granula, bald
Ketten und Reihen solcher, welche in den interkolumnären Räumen
lagen (Fig. 4—6). Sehr oft waren sie durch feine Fäden ver-
bunden oder es bot sich mehr das Bild von Fäden dar, welche
in regelmässigen Abständen durch Granula von wechselnder
Grösse und Färbung unterbrochen wären. Die grösseren Granula
zeigten einen mehr dunkelbraunen bis schwärzlichen, die kleineren
einen helleren Farbenton mit einer mehr oder weniger deutlichen
Beimischung von blau, wenn Krystallviolett in Anwendung’
sekommen war. Die einen Granula schienen zwischen Q, ohne
zu diesen in Beziehung zu treten, die anderen in der Höhe von
Z zu liegen, und mit diesen durch fädige Fortsätze in Ver-
bindung zu stehen (Fig. 5). Da, wie nachher berichtet werden
soll, auch die an der Stelle von Z gelegenen Gebilde nach diesen
Methoden sich färben, so entstehen netzförmige, die Muskel-
segmente (Muskelkästchen) umsäumende Figuren (Fig. 5 b).
Unregelmässigkeiten in der Anordnung dieser sind wohl auf
artefizielle Einwirkungen zurückzuführen (Fig. 5e). — Es ist
wohl nicht erforderlich, auf eine Vergleichung dieser Bilder mit
den an Glykogenpräparaten beobachteten einzugehen und ihre
Übereinstimmung ausführlicher zu erörtern; dagegen sei noch
hervorgehoben, dass eine solche auch bezüglich der Darstellungen,
welche andere von dem Verhalten des Sarkoplasmas im Herz-
muskel geben, verzeichnet werden darf. Ich verweise insbesondere
auf die diesen Gegenstand betreffenden Schilderungen Heiden-
hains.
Myofibrillen, Myokonten und Myosomen. Weder
an Alkohol-, noch an Sublimat- oder Chromosmiumpräparaten erhält
man den Eindruck von begrenzten Zellen, vielmehr den vom
Faserbündeln, welche aber keine Abgrenzung erkennen lassen.
Besonders geeignet zum Studium der Myofibrillen sind nach den
oben angegebenen Methoden gefärbte Chromosmiumobjekte. Je
nach dem Grad der Differenzierung, insbesondere aber je nach
dem Kontraktionszustand der Fasern ergeben sich sehr wechselnde
Bilder. Sehr auffallend war mir, dass man zuweilen in dem
gleichen Faserbündel verschiedene Kontraktionszustände der
Fasern wahrnehmen kann.
Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 133
Manche Fasern sind gleichmässig gefärbt und es ist eine
Gliederung an ihnen nicht zu beobachten Andere zeigen eine
regelmässige Felderung; es entstehen, durch Z begrenzt, Segmente,
welche aus dem gefärbten Q und den beiden ungefärbten J sich
zusammensetzen (Fig. 7a u.b). An Präparaten, welche nach der
modifizierten Bendaschen Methode tingiert wurden, erschienen
die Felder Q dunkelviolett, Z blau, bei der Färbung mit Eisen-
hämatoxylin und Krystallviolettanilinöl die ersteren schwarzblau,
Z graublau. Bei sehr vielen Fasern macht sich offenbar infolge
der Lockerung der Interfibrillarsubstanz an diesen Segmenten
die Neigung, in feinere Stäbchen zu zerfallen, bemerkbar; an
diesen kann man den mittleren, etwas dickeren gefärbten,
Abschnitt, welcher Q entspricht, und seine ungefärbten Fort-
sätze unterscheiden (Fig. 8). So entstehen primitive, aus J-Q-J
bestehende Fibrillensegmente.. Ob die Fibrillen an der Stelle
von Z diese kontinuierlich durchsetzen oder an dieser Stelle
durch Granula unterbrochen werden, konnte ich nicht mit Sicher-
heit feststellen. An isolierten Primitivfibrillen findet sich ent-
sprechend Z ein granulaartiges Gebilde (Fig. 8b u. c). Wie an
den Skelettmuskeln lassen sich auch an Primitivfibrillen des
Herzens metamer angeordnete Fibrillensegmente nachweisen.
Während durch ihre Anordnung in der Längsriehtung Primitiv-
fibrillen entstehen, werden durch ihre quere Verbindung Muskel-
segmente oder Muskelkästchen, durch ihr Aneinanderreihen in der
Längsrichtung Muskelsäulchen gebildet (Fig. 8). Ob diese, wie
Schlater in seiner bemerkenswerten Arbeit hervorhebt, immer
nur aus zwei Primitivfibrillen bestehen, wage ich nicht zu ent-
scheiden. Kommt es zu einer vollständigen Isolierung der
Primitivfibrillen, so ist man durch die Feinheit dieser überrascht.
Bei den stärksten Vergrösserungen stellen sie sich als dünnste
Fäden, welche in ihrem Verlauf oft nur durch den gefärbten
Abschnitt Q — den Myokont — und das granulaartige Gebilde
an der Stelle von Z zu verfolgen sind (Fig. 8d), dar. Bei stärkerer
Differenzierung kommen an der Stelle des Myokonten Granula
zum Vorschein. Bei den Skelettmuskeln gelang mir der Nachweis,
dass in den beiden Enden des Myokonten je ein distinktes
Granulum enthalten ist, nachdem schon Schlater an der
Stelle von Q das Vorkommen eines Doppelgranulums eingehend
beschrieben hatte. Die Existenz eines solchen nimmt er im
734 Julius Arnold:
Gegensatz zu Heidenhain in den Muskelfibrillen des Herzens.
(Hühnerembryo) an. Ich muss bekennen, dass ich wegen der
Kleinheit des Objekts und der Feinheit der Fibrillen beim Frosch-
herzen darüber mir nicht Gewissheit verschaffen konnte, ob die
Myokonten ein oder zwei Granula-Myosomen enthalten. Die Ent-
scheidung dieser Frage wird auch dadurch erschwert, dass bei
stärkerer Differenzierung Z sich zu entfärben beginnt und es sehr
schwierig wird, die Lage der Granula in den Fibrillensegmenten zu
bestimmen. In einzelnen Fibrillen glaube ich an der Stelle der
Myokonten zwei Granula wahrgenommen zu haben.
Ganz andere Bilder bieten andere Fasern dar. Zwischen
bald feineren bald dickeren intensiv gefärbten Scheiben, welche
an der Stelle von Z zu liegen scheinen, finden sich hellere
schwächer tingierte Abschnitte von wechselnder Dicke. Sie lassen
eine Zusammensetzung aus J-Q-J nicht erkennen (Fig. 9).
Dass diese verschiedene Erscheinung der Muskelfibrillen
der Ausdruck verschiedener Kontraktionszustände und eines der
interessanten Beispiele von funktionellem Strukturwechsel ist, liegt
auf der Hand. Den Versuch der Deutung und Bewertung in der
letzteren Hinsicht möchte ich erst unternehmen, wenn meine Er-
fahrungen durch die Untersuchung des Warmblüterherzens be-
reichert sind. Auch die Literatur soll dann eingehender berück-
sichtigt werden.
Ergebnisse.
1. Wie in den Skelettmuskeln ist auch in den Muskelfasern
des Froschherzens das Glykogen an die Sarkosomen ge-
bunden.
2. Die Muskelfibrillen des Herzens enthalten kein Glykogen.
3. Die Primitivfibrillen bestehen aus Segmenten, welche sich
aus J-Q-J zusammensetzen und durch Z begrenzt werden.
4. Durch Aneinanderreihung solcher Fibrillensegmente in
der Längsrichtung entstehen Primitivfibrillen, in der
Querrichtung Muskelkästehen oder Muskelsegmente.
d. Die gefärbten Abschnitte Q der Fibrillensegmente —
die Myokonten — enthalten Granula — Myosomen —;
ob je zwei oder nur eines ist fraglich.
6.
=]
9.
12.
(eb
Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 13
Literaturverzeichnis.
. Arnold, J.: Über feinere Struktur und Architektur der Zellen. Teil III
Muskelgewebe. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 52, 1898.
. Derselbe: Über vitale Granulafärbung in den Knorpelzellen, Muskelfasern
etc. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 55, 1901.
3. Derselbe: Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 73, 1909.
. Aschoff: Über den Glykogengehalt des Reizleitungssystems des Säuge-
tierherzens. Verhandl. d. patholog. Gesellschaft, 1908.
. Dietrich: Über die Querlinien der Herzmuskeln. Zentralbl. f. allgem.
Patholog., 1906 u. Verhandl. d. patholog. Gesellsch., 1906.
Ebner: Über die Kittlinien der Herzmuskelfasern. Sitzungsber. d.
Akadem. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Kl., Abt. III, Bd. 109, 1900.
. Fusari: Sur la structure des fibres musculaires striees. Arch. ital. d.
Biolog., Bd. 23, 1894.
. Gädzikiewiez: Über den feineren Bau des Herzens etc. Jenaer naturw.
Zeitschr., Bd. 39, 1904.
Godlewsky: Über die Entwicklung des quergestreiften Muskelgewebes.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. 60, 1902.
. Heidenhain, M.: Beiträge zur Aufklärung des wahren Wesens der
faserförmigen Differenzierungen. Anat. Anz., Bd. 16, 1899.
. Derselbe: Struktur der kontraktilen Materie. Ergebn. f. Anat. u. Entwick-
lungsgesch., Bd. VIII, 1898,99 u. Bd. X, 1901.
Derselbe: Über die Struktur des menschlichen Herzmuskels. Anat. Anz.,
Bd. 20, 1902.
. Heubner: Die Spiralwindung der Herzmuskelkerne. Deutsch. Arch. f.
klin. Medizin, Bd. 88, 1907.
. Hoche: Recherch. sur la structure des fibr. muscul. cardiag. Biblio-
graph. Anatomie, 1891.
. Holmgren, E.: Über die Sarkoplasmakörner quergestreifter Muskel-
fasern. Anat. Anz., Bd. 31, 1907.
. Hoyer: Über die Kontinuität der kontraktilen Fibrillen in den Herz-
muskelzellen. Anz. d. Akad. d. Wissensch. Krakau, math.-naturw. Kl.,
Nr. 3, 1901.
. Mac-Callam, J. B.: On the histolog. and histogen. of the heart muscle
cell. Anat. Anz., Bd. 13, 1897.
. Mader. Sur les fibres musculaires du coeur etc. ©.R. Acad. Scienc. Paris,
T.138, 1904.
. Marceau: Recherch. sur l’histolog. et le developpement compardes des
fibres Purkinje etc. ©. R. soc. biolog., T. 53, 1902.
Derselbe: Note sur la structure des fibres muscul. cardiag. chez les oiseaux,
C. R. soc. biol., T. 54, 1902,
21. Derselbe: Recherch. sur les bandes transversales scalariformes ete. ©. R.
Acad. Scienc., T. 136, 1903.
Fig.
Kulnuss Arnold:
2. Derselbe: Recherch. sur la constitution et sur la structure des fibres
1
cardiag. chez les vertebres inferieurs. C. R. Acad. Scienc. Paris,
17,,1.36.,1903.
. Derselbe: Recherch. sur la structure et le developpement compar6es des
fibres cardiag. dans la serie des vertebrös. Annal. science. natur. Ser. 8,
Zoolog., T. 19, 1903.
. Derselbe: Note sur la structure du coeur chez les Cephalopodes. Bull.
soc. d’hist. ratur. Doubs, 1904.
5. Derselbe: Recherch. sur la structure du coeur chez les mollusques etc.
Arch. d’anat. mieroscop., T. 7, 1906.
. Marchand: Über eine Geschwulst aus quergestreiften Muskelfasern mit
ungewöhnlichem Gehalt an Glykogen etc. Virch. Arch., Bd. 100, 1885.
. Moenckeberg: Über die sgt. abnormen Sehnenfäden etc. Verh. d. pathol.
Gesellsch., 1908.
. Moriga: Über die Muskulatur des Herzens. Anat. Anz., Bd. 24, 1904.
. Schlater: Histologische Untersuchungen über das Muskelgewebe. Arch.
f. mikr. Anat., Bd. 69, 1907.
. Vigier: Strukture des fibres musculaires du coeur chez les mollusques.
C.R. Acad. Scienc. Paris, T. 138, 1904.
. Vigier et Vles: Sur l’histologie du myocard chez les mollusques. ©. R.
Acad. Scienc. Paris, T. 139, 1901.
. Wiemann: The relation between the Cyto-Reticulum and the Fibrill
Bundles in the Heart ete. Americ. Journ. of Anat., Vol. 8, 1907.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVIII.
1. Alkoholpräparat. Bestsche Glykogenfärbung. — Faserbündel aus
dem Froschherzen; glykogenhaltige Sarkosomen in den interkolum-
nären Räumen; gefärbte Querlinien in der Höhe von Z.
2. Konservierung und Fixation wie bei 1. a, a, b — Muskelsäulchen,
deren Ränder mit glykogenhaltigen Sarkosomen besetzt sind; die
Mehrzahl dieser ist in der Höhe von Z gelegen; Q ungefärbt.
c — Muskelsäulchen von einem glykogenhaltigen Netz umsponnen.
3. Konservierung und Fixation wie bei 1; verschiedene Abstände der
roten Querlinien je nach dem Kontraktionszustand; bei b sind zu
beiden Seiten des ungefärbten Z rote Querlinien gelegen.
4. Konservierung nach der Bendaschen Mitochondrienmethode, Tink-
tion mit Eisenhämatoxylin. Zwischen den Fasern Reihen gefärbter
Sarkosomen von wechselnder Grösse; stellenweise schwarze Quer-
linien.
5. Konservierung und Tinktion wie bei 4. Bei a eine durch Fäden
verbundene Sarkosomenreihe, von welcher quere Fortsätze abtreten.
Bei b von einem schwarzen Netz umsponnenes Muskelsäulchen. Bei c
Verschiebung des Netzes.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
6.
1
10.
-1
S°
-1
Zur Morphologie des Glykosens des Herzmuskels.
s yKOogs
Konservierung und Tinktion wie bei 4. a — Muskelsäulchen mit
aufgelagerten Sarkosomen. b = Muskelsäulchen mit schwarzen in
der Höhe von Z gelegenen Querlinien.
Konservierungnach der Bendascher Mitochondrienmethode, Tinktion
mit Krystallviolett-Anilinöl, Differenzierung mit Aceton-Nelkenöl. Bei
a der mittlere Abschnitt des Fibrillensegmentes gefärbt, J ungefärbt,
Z graublau tingiert. Bei b die mittleren Abschnitte der Fibrillen-
segmente, sowie Z und einzelne Sarkosomen gefärbt.
Konservierung und Tinktion wie bei 7. An der Stelle der mittleren
Abschnitte der Fibrillensegmente Stäbchen-(Myokonten), Z graublau
gefärbt. — gefärbten Myokonten; an der Stelle von Z gefärbte
granulaartige Gebilde. c = isolierten Fibrillen mit gefärbten Myo-
konten und Z-granula. d — isolierten Fibrillen mit Granula: (Myo-
somen und Z-granula) —; die Lagen der einzelnen Granula sind
nicht mit Sicherheit zu bestimmen.
Konservierung und Tinktion wie bei 7. a, b, e = verschiedenen
Kontraktionszuständen der Muskelsäulchen.
Konservierung und Tinktion wie bei 4; Kern mit Karyosomen und
Netzfäden.
—1
>
Rn
Erwiderung auf Franz Weidenreichs „Bemerkungen“ zu
meiner Arbeit:
„Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen“.
(Archiv für mikroskop. Anatomie und Entwicklungsgeschichte, 72. Bd.)
Von
Privatdozent Dr. P. Schmidt, Leipzig.
In der genannten Arbeit habe ich mich mit der Entstehung
und Bedeutung der Polychromatophilie und derbasophilen Körnelung
der roten Blutkörperchen beschäftigt und habe meinen schon seit
1902 vertretenen Regenerationsstandpunkt gegenüber Weiden-
reich verteidigt, der in einer neueren Arbeit die Grawitzsche
Degenerations-Ansicht warm verfochten hat. Ich konnte erwarten,
dass Weidenreich meine gegen seine Ansichten vorgebrachten
Einwendungen einer sachlichen Kritik unterzogen hätte; statt
einer solchen finde ich fast nur allgemein gehaltene Bemerkungen.
Er begründet seinen Verzicht auf eine Kritik mit der Be-
hauptung, die strittige Frage wäre durch seine eigenen früheren
und neueren Arbeiten anderer Autoren entschieden.
Was zunächst seine erwähnten früheren Untersuchungen
anlangt !), so bieten sie zur Klärung der Frage, wie ich mich
überzeugt habe, nichts Wesentliches, was nicht schon längst von
anderen, hauptsächlich von E. Grawitz und seinen Schülern
vorgebracht wäre.
Wenn Weidenreich unter anderem sich auch auf Fritz
Schaudinn beruft, so muss dieser Versuch, seine Sache mit
den Ansichten eines unsrer grössten Protozoologen zu stützen,
als völlig verfehlt betrachtet werden. Auf Seite 92 der erst-
genannten früheren Arbeit sagt Weidenreich: „Aus meinen
Ausführungen ergibt sich, dass wir jedenfalls berechtigt sind, die
basophile Körnelung grösstenteils wohl mit den Granulationen
gleichzustellen, die ohne oder bei vitaler Färbung in den Blut-
körperchen beobachtet wurden, und die als Ausscheidungen, als
ein Zeichen des Absterbens der Zellen aufzufassen sind. Gerade
!) Die roten Blutkörperchen I. u. II. Ergebnisse der Anatomie und
Entwicklungsgeschichte XIII. u. XVI. Bd.
Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen. Tas
die Untersuchungen Schaudinns(1903)bieten für diese Annahme
eine gute Stütze; er konnte an frischen Objekten in den von
Malariaparasiten infizierten Blutkörperchen Granulationen erkennen,
die am Trockenpräparat basophilen Charakter zeigten. Allerdings
sieht er in ihnen Ausfällungen von Kernsubstanz (!! Verf.), die,
wie er glaubt, im normalen kernlosen Körperchen gleichmässig
verteilt waren und bei der Schädigung durch die Parasiten aus-
gefüllt wurden; aber Schaudinn hat sich dabei auch durch
die färberische Gleichheit zu viel leiten lassen. Ich glaube viel-
mehr, dass auch in diesen Fällen die Vorliebe für basische Farb-
stoffe auf dem Lecithin- oder Cholestearingehalte der Granulationen
beruht.“ — Fritz Schaudinn hat die Granulationen also de
facto für Kernresiduen gehalten, und hat seine guten Gründe
gehabt, sie nicht aus dem Protoplasma durch Degeneration ent-
stehen zu lassen, wie ich aus öfterer persönlicher Unterredung mit
ihm weiss. Bemerkenswert ist, dass Weidenreich keinen einzigen
Grund dafür vorbringen kann, dass Lecithin und Cholestearin die:
Basophilie der Körner bedingen. Zudem sind Leeithin und
Cholestearin in Alkohol leicht löslich, während doch die basophilen
Körner auch nach tagelanger Alkoholfixierung in unveränderter
Stärke basophil bleiben.
Wern Weidenreich den „Klinikern“ vorwirft, ') dass sie
nur mit der Trocknungsmethode arbeiteten, nichts anderes von
diesen Körnchen zu sagen wüssten, als dass sie eben basophil
sind, dass sie z. B. über ihr chemisches Verhalten etc. noch keine
Angaben gemacht hätten, so hat Weidenreich ganz übersehen,
dass nicht nur die Kliniker, sondern auch er selbst von ihrem
chemischen Verhalten nichts sagen konnten, weil nichts über die
chemische Zusammensetzung der Körner bekannt ist.
Den Tatsachen nicht entsprechend ist die weitere Bemerkung
Weidenreichs, dass auch durch neuere Arbeiten anderer
Autoren die Frage in seinem Sinn entschieden wäre. Gerade
das Gegenteil ist der Fall. Ich mache Herrn Weidenreich
auf folgende neuere Arbeiten anderer Autoren aufmerksam, die
ihm entgangen zu sein scheinen:
1. Esser: Blutbefund bei Barlowscher Krankheit, Vortrag
gehalten den 20. Nov. 1907 vor der rheinisch - westfäl.
Gesellschaft für innere Medizin und Nervenheilkunde.
!) Ergebnisse der Anatomie u. Entwicklungsgeschichte Bd. 13, 1903, S. 93.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 48
740 P. Schmidt:
2. 0. Naegeli: Über basophile Granulat. der Erythrozyten
bei Embryonen. Fol. haematol. 1908; V. Bd. Nr. 6.
3. Blumenthal und Morawitz: Experiment. Unter-
suchungen über posthämorrhagische Anämien und ihre
Beziehungen zur aplastischen Anämie. Deutsches Archiv
für klin. Medizin 92. Bd. 1908.
4. David: Über Farbstoff- und Fisengehalt des Blutes.
Deutsches Archiv für klin. Medizin 94. Bd. 5. Heft 1908.
Besonders hervorheben möchte ich, dass A. Pappenheim
in einer neueren Arbeit: „Zur Kenntnis und Würdigung der
Methylgrün-Pyronin-Reaktion“ (Folia haematol., VI. Bd. 1908)
die Existenz einer basophilen Kernsubstanz ausser dem basophilen
-Chromatin färberisch festgestellt hat und durchaus der Regene-
rationsauffassung zuneigt!).
Wenn J. Jolly mit Weidenreich „bis ins einzelne“
übereinstimmt, so beweist das nur, dass er denselben Irrtümern
anheimgefallen ist wie Weidenreich.
Ich muss auf einige Punkte der Weidenreichschen
Bemerkungen etwas näher eingehen.
Wie kann Weidenreich behaupten, dass ich auch da
gegen ihn „polemisiere“, wo wir einer Meinung sind? z.B. in
Bezug auf die nahen Beziehungen zwischen Polychromatophilie
und basophiler Körnelung. An welcher Stelle habe ich gegen
diese Annahme Stellung genommen? Wie aus meinen früheren
und auch noch aus meiner letzten Arbeit klar hervorgeht, habe
ich stets behauptet, dass beide Erscheinungen genetisch zusammen
gehören. Ich wende mich ausschliesslich gegen seine
Ansicht von der degenerativen Herkunft der Körner
und der Polychromasie aus dem Plasma.
Ferner bitte ich Weidenreich, mir sagen zu wollen,
wo ich behauptet habe, die mitotischen Erythroblasten seien in
der Degeneration begriffen. Ich habe behauptet und behaupte
es noch heute, dass während der Mitose der Austritt von
Kernsubstanz in das Plasma erleichtert ist. Des weiteren habe
ich schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Körner in
vielen Fällen dem Kern wie Warzen aufsitzen, und dass man
da, wo sie sich ablösen, oft kleine Substanzverluste des Kernes
!) Allerdings lässt Pappenheim die Frage offen, ob die Körner
plasmatischen oder karyogenen Ursprungs sind.
Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen. 741
beobachtet, wodurch eine „Degeneration“ des Kernes zunächst
noch nicht behauptet wird, wenn sie damit vielleicht auch de
facto eingeleitet wird. Dieses Bild haben wir hier im Institut
wiederholt gesehen. Erst einmal vom Kern losgelöst, haben die
Körner eine Tendenz nach der Peripherie zu gehen, wo sie sich
zuweilen in grösserer Menge ansammeln. Weidenreich sieht
diese Erscheinung als Wirkung des geringen ‚spezifischen Gewichts
der Körner gegenüber dem des Endosomas an.') Die Annahme
einer solchen Bewegung der Körnchen infolge des geringeren
spezifischen Gewichts ist eine durch nichts gerechtfertigte Hypothese.
Es ist sogar höchst unwahrscheinlich, dass in dem zähflüssigen
Hämoglobin der „Auftrieb“ die Körner zur Peripherie bringen
sollte, zumal die Blutkörperchen doch in steter Rotation be-
griffen sind.
Der Fall, dass man gekörnte Elemente ohne ein einziges
kernhaltiges in der Zirkulation und selbst ohne gekörnte Elemente
im Marke findet, ist in meinen früheren Arbeiten wiederholt be-
sprochen worden. Ich brauche auf diesen Einwand Weiden-
reichs hier nicht nochmals einzugehen.
An einer andern Stelle seiner „Bemerkungen“ schreibt
Weidenreich: „Ausserdem haben Pappenheim und Löwit
das normale Vorkommen beim Meerschweinchen durchaus be-
stätigt und stimmen in den Hauptpunkten mit mir überein.“
Ich muss hier wiederum fragen: wo habe ich das normale
Vorkommen der Körnelung beim Meerschweinchen geleugnet? Ich
habe gerade diese positiven Befunde als einer der ersten mit-
erhoben?) und in meiner letzten Arbeit das Resultat der Unter-
suchung von 101 gesunden Meerschweinchen mitgeteilt, von denen
42°/o basophile Körnelung zeigten. Ich habe lediglich ein „ausser-
ordentlich zahlreiches“ Vorkommen im einzelnen Tier be-
stritten oder doch nur für eine kleine Zahl der Tiere zugegeben
(2 bei 101 Tieren).
Wenn sich schliesslich Weidenreich auf S. Askanazy’)
beruft, der ursprünglich die basophilen Körner vom Kern ableitete,
') Weidenreich, Studien über das Blut, IV. S.431. Archiv für
mikroskop. Anatomie und Entwicklungsgeschichte 69. Bd.
°) Siehe meine experimentellen Beiträge zur Pathologie des Blutes.
Gust Fischer, Jena 1902.
’) 8. Askanazy, über die Körnung der roten Blutkörperchen bei
anäm. Zuständen. Zeitschrift f. klinische Medizin, 64. Bd., 1907.
48*
742 P. Schmidt:
sie. jetzt aber aus dem Plasma entstehen lässt, so möchte ich
hinzufügen, dass Askanazys Standpunkt trotzdem keineswegs
mit dem Weidenreichs identisch ist, wie es Weidenreich
hinzustellen sucht. Askanazy betont mit klaren Worten,
dass er nach wie vor auf dem Regenerationsstand-
punkt stünde.
Bemerken möchte ich noch, dass Askanazy meiner in meinem
„beitrag zur Frage der Blutregeneration“ (Münchener Med. Wochen-
schrift 1903 Nr. 13) ausgesprochenen Ansicht beipflicht, dass in
den Fällen, wo man die gekörnten Elemente nur in der Zirku-
lation, nicht im Marke fand, die Substanz der Körner im Marke
in gelöstem Zustande vorhanden wäre und in der Zirkulation unter
den veränderten chemischen und physikalischen Verhältnissen
erst ausgefällt werden könnte. Neuere Versuche haben mich in
dieser Auffassung noch bestärkt. Es zeigte sich auch bei meinen
neuen Versuchen, dass die basophilen Körner unter dem Einflusse
von Säureeinspritzungen grossenteils verschwinden und dass die
Zahl der polychromatischen roten Elemente zunimmt. Diese Er-
scheinung der Auflösung der Körner und der Umwandlung der
gekörnten Elemente zu polychromatischen tritt auch post morten
nach 1—2 Tagen ein, wohl unter dem Einflusse der Verminderung
der Alkaleszenz des Blutes. Als ein weiteres, neues Argument
für die Richtigkeit meiner Auffassung, dass Polychromasie durch
Beimischung von Kernsubstanzen entsteht, möchte ich eine
Beobachtung hier mitteilen, die ich wiederholt an mit Blei ver-
gifteten Hühnern machen konnte. Ich konnte feststellen, dass fast
alle polychromatischen roten Blutkörperchen Kernveränderungen
aufwiesen, die in einer Vergrösserung der Kerne mit deutlicher
Lückenbildung zwischen den Chromatinbrocken bestanden. Die
Kerne dieser polychromatischen roten Elemente machten den
Eindruck, als ob sie aufgequollen und in ihrer Struktur geschädigt
wären. Dieselbe Erscheinung kann man bei kadaverösem Hühner-
blut beobachten. — Hämoglobinarmut war nicht die Ursache dieses
Phänomens, wie ich mich experimentell durch Hämoglobinent-
ziehung mittels schwacher Säuren und nachfolgender Färbung
überzeugen konnte.
Zum Schlusse weist Weidenreich auf einen Passus meiner
Arbeit hin, der für mich „bezeichnend‘“ sein soll. Ich soll im
Anfang sagen: „Es ist nicht wahrscheinlich, dass bei dem
Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen. 143
schonenden Ausstreichen in dicker Schicht und der Fixierung nach
Weidenreich die Kerne in grösserer Zahl artifiziell ausschlüpfen
sollten.‘‘ Am Schlusse soll ich dagegen die Methode der Fixierung
mit Osmiumsäure als „unsicher und ungeeignet‘ bezeichnen.
Weidenreich hat leider versäumt, mich so ausführlich
zu zitieren, wie es zum Verständnis der Sache nötig gewesen
wäre. Dann würden die Leser dieses Archivs erkannt haben, dass
es sich bei meiner Kritik der Methode um zwei total
verschiedene Dinge handelt: das eine Mal um die
Erhaltung der Form der Blutkörperchen in toto,
das andere Mal um die Färbung hauptsächlich von
Granulationen nach Giemsa. Ich kann kaum annehmen,
dass Weidenreich diese Unterscheidung, die klar und deut-
lich in meinen Worten ausgesprochen ist, entgangen sein sollte.
Meine Ansicht ist nach wie vor dieselbe, dass die Fixierung der
Blutausstriche mit Osmiumsäuredämpfen für die Erhaltung der
Form der Blutkörperchen recht gut sein mag, dass sie sich aber
zur Differenzierung von Granulationen mit Gierasafärbung, um die
es sich hier ja hauptsächlich handelt, überhaupt nicht
eignet. Herr Giemsa hat mir darin vollkommen beigestimmt.
Ich darf die Entscheidung, ob die basophilen Körner re-
generativen oder degenerativen, karyogenen oder plasmatischen
Ursprungs sind, unparteiischer Kritik überlassen; durch Weiden-
reichs Diskussion ist sie noch nicht gegeben.
Zur Frage der Epithelmetaplasie im embryonalen
Osophagus.
Von
Professor E. Neumann, Königsberg.
Als ich im Jahre 1876 die Beobachtung machte !), dass das
Epithel des menschlichen Ösophagus in gewissen Perioden der
embryonalen Entwicklung die Beschaffenheit eines geschichteten
Flimmerepithels besitzt, gelang es mir zugleich nachzuweisen, dass
daselbst gleichzeitig auch Epithelformationen vorkommen, welche
auf eine Umwandlung der Flimmerzellen in das erst in späterer
Zeit auftretende typische Plattenepithel der Speiseröhre hinwiesen ;
ich fand nämlich mit Flimmerhaaren ausgestattete Zellen, welche
nicht die gewöhnliche zylindrische Gestalt der Flimmerepithelien
zeigten, sondern vielmehr kubisch-polyedrisch oder abgeplattet
waren und sich der Form von Plattenepithelien mehr oder weniger
näherten. In einer späteren Mitteilung?) habe ich diese von mir
als Übergangsformen gedeuteten Zellen nochmals genauer be-
schrieben und zugleich einige skizzenhafte Abbildungen derselben
gegeben.
Es kann wohl kaum zweifelhaft sein, dass dieser Befund
für die Entwicklungsgeschichte des Speiseröhrenepithels von Be-
deutung ist und Beachtung verdient, trotzdem scheint ihm Ver-
gessenheit zu drohen. Wenigstens finde ich ihn in der vor kurzem
erschienenen Schrift von Hermann Schridde „Die Entwick-
lungsgeschichte des menschlichen Speiseröhrenepithels und ihre
Bedeutung für die Metaplasielehre* Wiesbaden 1907 mit keinem
Worte erwähnt, obwohl hier sehr ausführliche Beschreibungen
des Fpithels in den verschiedenen Stadien des embryonalen Lebens
gegeben werden. Da der Verfasser, wie aus seinen Literatur-
angaben hervorgeht, meine beiden Arbeiten kennt, so erscheint
es ausgeschlossen, dass er die in ihnen enthaltenen Angaben über
die Existenz von Übergangsformen zwischen Flimmer- und Platten-
!) E. Neumann: Flimmerepithel im embryonalen Ösophagus. Arch.
f. mikr. Anat., Bd. 12, 1876.
?) Derselbe: Metaplasie des fötalen ÖOsophagusepithels. Fortschritte
d. Medizin, 1897, Nr. 10.
Epithelmetaplasie im embryonalen Ösophagus. 745
epithel übersehen hat, und ich muss annehmen, dass er dieselben —
wozu ihn seine Untersuchungen nicht im mindesten berechtigen
dürften — beanstandet und einer Berücksichtigung nicht würdigt.
Dies veranlasst mich, nochmals mit einigen Worten auf den
Gegenstand zurückzukommen.
Meine Beobachtungen stammen aus einer Zeit, in welcher
man des Glaubens war, dass sich die Formverhältnisse von Zellen
am besten erkennen lassen, wenn man sie in isoliertem Zustande
darstellt, und man bediente sich hierzu mazerierend wirkender
Flüssigkeiten, von denen es bekannt war, dass sie die Struktur
und namentlich auch die Form der Zellen nicht wesentlich ver-
ändern. Ein solches Mittel bot sich in der bekannten, von
Heinrich Müller herrührenden sogenannten Müllerschen
Flüssigkeit dar, deren Anwendung zu dem genannten Zweck daher
sehr verbreitet war und mit deren Hilfe auch ich zu meinen
Resultaten am embryonalen Ösophagus gelangte. Ein in Müller-
scher Flüssigkeit mazeriertes Epithel löst sich in seine einzelnen
Elemente auf, welche sich in reicher Auswahl in jedem durch
Abschaben von der Oberfläche hergestellten mikroskopischen
Präparate dem Auge des Beobachters darbieten, ihre Umrisse
treten infolge einer gewissen, gleichzeitig bewirkten Erstarrung
ihres Protoplasmas schärfer als in frischem Zustande hervor und
ihre körperliche Form lässt sich um so leichter beurteilen, da sie
durch eine jede kleine Flüssigkeitsströmung in Bewegung und zwar
vielfach in eine rotierende Bewegung versetzt werden, sodass sie
die verschiedensten Lagen annehmen und gewissermaßen von allen
Seiten betrachtet werden können. Dass diese Vorteile bei Mikrotom-
schnitten verloren gehen, liegt auf der Hand. Befindet sich eine
Zelle in toto im Schnitte, so sieht man doch nur das Bild, welches
sie in einer bestimmt fixierten Stellung zeigt; ist sie aber an-
geschnitten oder ein Segment aus ihr herausgeschnitten, so ist
man ebensowenig imstande, sich eine richtige Vorstellung von der
ganzen Zelle zu bilden, wie man aus Brotschnitten auf Form und
Grösse des Brotes schliessen kann; je feiner die Schnitte sind,
um so schwieriger wird es, sich die Zellform aus ihnen zu
konstruieren und desto grösser ist die Gefahr einer Täuschung
darüber.!)
') Von der durch das Plattenmodellierverfahren gegebenen Aushilfe
sehe ich ab, da Schridde nicht angibt, davon Gebrauch gemacht zu haben.
746 E. Neumann:
Es ist dies alles so selbstverständlich, dass es schwer zu
begreifen ist, wie Schridde, welcher sich ausschliesslich auf
Mikrotomschnitte verliess — wenigstens deutet nichts darauf hin,
dass er auch andere Untersuchungsmethoden benutzt hat — auf
Grund seiner Untersuchungen zu der Meinung gelangen konnte, dass
meine, auf Beobachtungen an den durch Müllersche Flüssigkeit
isolierten Epithelzellen beruhenden Angaben durch seine Präparate
hinfällig würden, sodass er sie ohne weiteres stillschweigend ab-
lehnte. Durch seine nur 2 « dicken, senkrecht zur Oberfläche
geführten Schnitte mussten notwendig die grossen, parallel zur
Oberfläche abgeplatteten, mit Cilien versehenen Zellen, welche ich
als Übergangsformen beschrieben habe, in drei, vier und mehr
Stücke zerlegt werden, deren Gestalt für die Beurteilung des
ganzen Zellkörpers nicht maßgebend sein konnte; als solche Zell-
bruchstücke sind offenbar viele der von ihm beschriebenen „drei-
eckigen“ „zusammengeschrumpften“ „kleinen, unregelmässigen,
hie und da rundlichtn“ Zellen mit „pyknotischem“ oder „kaum
sichtbaren“ Kern — auf den Abbildungen sieht man sogar kleine,
ganz kernlose Gebilde — zu betrachten und sie können daher
nicht als im Widerspruch mit der von mir gegebenen Beschreibung
der isolierten Zellen stehend, bezeichnet werden.
Wenn demnach meine Behauptung, dass im Verlaufe der
embryonalen Entwicklung eine kontinuierliche Reihe von Über-
sangsformen zwischen Flimmer- und Plattenepithel auftritt, zu
techt bestehen bleibt, so werden wir auch nur unter Berück-
sichtigung dieser Tatsache ein richtiges Verständnis der sich am
Epithel abspielenden Vorgänge, welche schliesslich zu einem voll-
ständigen Umbau desselben führen, gewinnen können. Die
Darstellung, welche Schridde in der angeführten Schrift gibt,
kann ebensowenig befriedigen, als die noch vor wenigen Jahren ')
von ihm mit grosser Entschiedenheit verteidigte, ganz entgegen-
gesetzte Lehre, dass das Flimmerepithel des Ösophagus durch
das von der Mund-Rachenhöhle aus nach abwärts sich aus-
breitende ektodermale Plattenepithel allmählich verdrängt werde,
da sie sich ebenso, wie letztere, über einen Befund, welcher
ein wesentliches Glied in der Reihe der zu beobachtenden
!) Schridde: Über Magenschleimhautinseln etc. im obersten Ösophagus-
abschnitt. Virchows Archiv, Bd. 175, 1904.
Epithelmetaplasie im embryonalen Ösophagus. 747
morphologischen Veränderungen bildet, einfach hinwegsetzt und
keine Erklärung für denselben liefert.
Nach Schriddes neugewonnener Überzeugung beruht die
Umwandlung des Epithels im Prinzip darauf, dass von gewissen
persistierenden Stammzellen aus in einer früheren Embryonal-
periode Flimmerepithelien erzeugt werden und dass im weiteren
Verlauf, nachdem letztere durch Abstossung eliminiert worden,
als Produkte derselben Stammzellen eine davon gänzlich ver-
schiedene Zellgeneration „mit scharf differenten, morphologischen
Charakteren“, nämlich das Plattenepithel, auftritt. Eine ganz
ähnliche Auffassung hatte bereits früher Schaffer!) aus-
gesprochen, auch nach ihm „werden die Flimmerzellen bei der
Metamorphose ausgestossen und durch nachwachsendes Platten-
epithel ersetzt“, doch hatte Schaffer, obwohl er, wie Schridde,
nur an Schnitten untersucht zu haben scheint, die zur Abplattung
tendierenden Formveränderungen der Flimmerepithelien richtig
erkannt, ohne Wert auf sie zu legen.
Als Hauptbeweis gilt beiden Beobachtern der Umstand,
dass sie sich öfters von der Ausstossung einiger Flimmerzellen
überzeugen konnten, sie sahen, dass mitunter diese Zellen mit
der oberen Hälfte aus dem übrigen Epithel hervorragten und in
Lücken desselben steckten „wie ein gelockerter Zahn in seiner
Alveole“ (Schaffer), sie sahen andere Zellen, die, gänzlich aus
dem Zellverbande ausgelöst, frei der Oberfläche auflagen. Diese an
sich richtige Beobachtung hat indessen nur einen sehr zweifelhaften
Wert für die im Rede stehende Frage, denn es ist ja bekannt,
dass auf jeder freien Epitheloberfläche eine Desquamation einzelner
Elemente zu erfolgen pflegt und dass dieser Verlust durch das
Nachrücken anderer Zellen gedeckt wird; es ist also von vorn-
herein anzunehmen, dass dieser Vorgang ebenso wie in anderen
Organen, sich auch im Ösophagus zu jener Zeit, in welcher er
eine Flimmerepitheldecke trägt, vollzieht. Daraus folgt aber
keineswegs, dass mit sämtlichen Flimmerzellen auf diese Weise
aufgeräumt wird und Tabula rasa entsteht, vielmehr schliessen
jene Beobachtungen es durchaus nicht aus, dass der grösste
Teil der Flimmerepithelien an ihrer Bildungstätte verbleibt und
die Metamorphose zu Pflasterepithelien durchmacht, indem die
3) J. Schaffer: Die oberen kardialen Ösophagusdrüsen und ihre
Entstehung. Virchows Archiv, Bd. 177, 1904.
148 E. Neumann:
Zellen dabei vorübergehend die von mir beschriebenen Übergangs-
formen annehmen.
Andererseits will ich jedoch hervorheben, dass eine Möglich-
keit vorliegt, welche ich früher ausser acht gelassen habe, und
dass die Übergangsformen auch eine andere Deutung zulassen.
Es wird nämlich in Erwägung zu ziehen sein, dass eine kontinujer-
liche Reihe von Zwischenstufen zwischen beiden Epithelarten nicht
nur durch eine allmähliche Transformation der Flimmerzellen,
sondern auch dadurch zustande kommen kann, dass ein beständiger
Ersatz derselben durch andere stattfindet, allerdings in der Voraus-
setzung, dass die neuen Zellgenerationen einen allmählich sich
verändernden Typus annehmen; die Übergangszellen werden als-
dann nicht die ontogenetischen Entwicklungsstadien einer
ursprünglich vorhandenen Flimmerzelle, sondern vielmehr die
Produkte der phylogenetischen Entwicklung gewisser Stamm-
zellen darstellen, eine jede Übergangszelle wäre als das End-
stadium der Entwicklung zu betrachten, zu welchem die
aufeinander folgenden Zellgenerationen gelangen, wenn sie an
die Oberfläche herantreten: in den früheren Perioden würde die
Entwicklung der jungen Zellen zu der Bildung von Flimmer-
zellen, in den späteren zu der Existenz von flimmerlosen, ab-
geplatteten Zellen, in dem dazwischen liegenden Zeitraum aber
zu den Übergangsformen führen, ohne dass zu irgend einer Zeit
ein direkter Übergang von Flimmer- zu Plattenepithel statt-
findet. Das gleichzeitige Vorkommen der verschiedensten Über-
gangsformen in demselben embryonalen Ösophagus würde auch
bei dieser Annahme leicht daraus abzuleiten sein, dass die Vor-
gänge im Epithel nicht in allen Teilen der Ösophagusschleimhaut
gleichmässig beginnen und daher auch nicht gleichmässig vor-
schreiten, wie von allen Beobachtern übereinstimmend festgestellt
worden ist.
Mit dieser Hypothese, welche mit der Schaffer-Schridde-
schen Auffassung darin zusammentrifft, dass sie ebenfalls auf
verschiedene, aufeinander folgende Zellgenerationen rekurriert,
aber „die scharf differenten, morphologischen Charaktere“
(Schridde) der einzelnen Generationen als den Tatsachen
widersprechend und deshalb irrtümlich zurückweist, würden, wie
mir scheint, alle bisher beobachteten Erscheinungen ebenso in
Einklang stehen, wie mit meiner früheren Annahme einer ein-
Epithelmetaplasie im embryonalen Ösophagus. 749
fachen Umbildung der Flimmerzellen zu Plattenepithel. Weitere
Untersuchungen werden darüber zu entscheiden haben, ob nicht
letzterer doch vielleicht der Vorzug gebührt. Jedenfalls wird
man in dem einen wie in dem anderen Falle von einer „Meta-
plasie“ des Ösophagusepithels sprechen dürfen, wenn es überhaupt
eines solchen Kunstausdruckes, welcher leicht zu Missverständ-
nissen führt, bedarf.
Februar 1909.
eh . iR PR N 0 2
[PR
# Y
Mi
er a le. IKeR,
nee ne
| | a VORGE ru ER |
"a Ne ‚Bellaunastat m ER, BL.
NR dad U. wu Ne
BL Jutldyg ee tal a
ER SA RE aa er ARE. ara) Rabanı
sa STREET. BE TERN Ra E
SAP REN?" UN mtorof Bi. vg werten Et... ü
= a 5 j 2 sn Fuß fi to { ?
j INT EEW FR j vd en 1 METER, , ©.
u no a
2
er Ki
kl
& 2 >
BI E )
Flak:
2
7 FE,
, Ban
“, Pr
zu, ” Y Pi
A
As Mi air
ur en : PER E
Mur PETE 5 h Br 2. N
KO SR N
Kalt 1 u a REN RL P
ar Hesse Be ENDEN. 4
|
ot
_
Aus dem Laboratorium der Charit&-Frauenklinik zu Berlin.
Zur Kenntnis des Gartnerschen (oder Wolifschen)
Ganges besonders in der Vagina und dem Hymen
des Menschen.
Von
Professor Dr. Robert Meyer.
Hierzu Tafel XXIX und XXX.
Inhalt.
I. Kurze Zusammenfassung der Befunde von Resten des Gartner-
schen Kanals im Ligamentum latum und im Uterus . .... 1
ll. Der Gartnersche Gang in der Vagina und im Hymen . . . . 756
Einzelbeschreibung der Fälle von grosser Längenausdehnung des
Gartner und soleher mit besonderer Epithelbeschaffenheit.
Persistente Gartnersche Gänge mit gleichzeitigen anderen
Abnormitäten.
Gartnersche Kanäle bei doppelten Genitalien.
Häufigkeit der Befunde. .. . . . ER STR FITRE SENT 30109
Der Verlauf des Gartnerschen Gent 1 ah BEREOSTEERE 7002
Gestalt und Lumen des Kanals . . EEE 2 710,
Das Epithel des Gartnerschen Kanals . 7. m. men RE
Die Tunica des Gartnerschen Kanals .. .. sl
Der Gartner als Zeuge der Entwicklung des w eihlichens eos.
kanals, insbesondere der Vaoma 2 Ders a. er 82
Allgemeine Bemerkungen über Persistenz . . ...2.2......78
Abnormitäten und Pathologie des Gartner . . 2. 2 2 .2..2..2..2087
I. Kurze Zusammenfassung der Befunde von Resten
des Gartnerschen Kanales im Ligamentum latum
und im Uterus.
Über meine Befunde des Gartnerschen Ganges im
Ligamentum latum und im Uterus des Menschen habe ich an
mehreren Stellen ') berichtet. insbesondere in der unter Nr. 9
8 Über die Genese der Cystadenome und Adenomyome des Uterus.
Mit Demonstrationen. Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 37, Heft 2, 1897.
2. Über Drüsen, Cysten u. Adenome im Myometrium bei Erwachsenen.
I. Der Gartnersche Gang. Ebenda. Bd. 42, Heft 3
Archiy f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 49
752 Robert Meyer:
genannten Monographie und bei Erwachsenen unter Nr. 2. Ich
werde deshalb hieraus das Bekannte nur in kürzestem Auszuge
vorausschicken und noch einige Ergänzungen hinzufügen.
Der Gartner (Wolffscher Gang) verläuft vom Epoophoron
her durch das Ligamentum latum zunächst parallel zur Tube,
dann mehr schräg als Basis eines Dreieckes, deren gegenüber-
liegender Winkel vom uterinen Tubenteil und vom Uterus corpus
gebildet wird. Erst ungefähr in der Höhe des inneren Mutter-
mundes senkt sich der Gang in die Uterussubstanz, nähert sich,
durch die Muskelschichten abwärts verlaufend, allmählich medial-
wärts der Schleimhaut, ohne diese bei Feten zu erreichen und
steigt aus dem oberen Teil der Portio in das seitliche Vaginal-
gewölbe, um dann in der seitlichen Vaginalwand kaudalwärts zu
verlaufen.
Der Gartner ist nur äusserst selten in ganzer Ausdehnung
vorhanden; bei Embryonen des ersten Monats ist er regelmässig
3. Über Drüsen der Vagina und Vulva bei Feten und Neugeborenen.
Ebenda. Bd. 46, Heft 1.
4. Einmündung des linken Ureters in eine Uterovaginalcyste des W olff-
schen Ganges. Ebenda. Bd. 47, Heft 3.
. Eine unbekannte Art von Adenomyom des Uterus mit einer kritischen
Besprechung der Urnierenhypothese v. Recklinghausens. Ebenda.
Bd. 49, Heft 3.
6. Demonstration eines zweiten Falles von Adenom und Karzinom des
Gartnerschen Ganges. Ebenda. Bd. 58.
7. Beitrag zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges beim Menschen.
Ebenda. Bd. 59, S. 234.
. Über einen Fall von teilweiser Verdoppelung des Wolffschen Ganges
bei einem neugeborenen Mädchen. Ebenda. Bd. 46, Heft 1.
9. Über epitheliale Gebilde im Myometrium des fetalen und kindlichen
Uterus. Berlin 1899. (Von dieser Monographie bin ich gern bereit,
den Institutsbibliotheken Gratisexemplare abzugeben.)
10. Über Adenom- und Karzinombildung an der Ampulle des Gartner-
schen Ganges. Virch. Arch. f. path. Anat. Bd. 174, S. 270. 1903.
11. Über embryonale Gewebseinschlüsse in den weiblichen Genitalien usw.
Lubarsch-Ostertag, Ergebn. d. allg. Path. Bd. IX, Heft 2, 1904.
12. Zur Kenntnis der kranialen und kaudalen Reste des Wolffschen
(Gartnerschen) Ganges beim Weibe etc. Zentralbl. f. Gyn. 1907, Nr. 7.
13. Demonstration zur normalen und pathologischen Anatomie des Gartner-
schen Ganges beim Menschen. Vers. Deut. Naturf. u. Ärzte in Cöln
1908. (Abteil. f. Gynäk. u. Geb.)
14. Abnormitäten am Gartnerschen Gange (Demonstration). Zeitschr.
f. Geburtsh. u. Gyn. Bd. 62, S. 635. 1908.
(bit
je 2}
—1
or
©
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges.
ununterbrochen bis zur Einmündung am Müllerschen Hügel
nachweisbar. Später erleidet er Unterbrechungen und zwar
zumeist im Ligamentum latum bezw. Parametrium und im
mittleren Teile der Vagina. Bis zum Ende des dritten Monats
findet man sozusagen ausnahmslos Reste des Kanales im Uterus
oder Vagina oder Hymen. Erst vom vierten Monat ab mehren
sich die Fälle, in denen gar keine Reste vorhanden sind; immer-
hin findet man bei Neugeborenen und Kindern fast in '/a bis '/s
der Fälle noch kleinere oder grössere Reste der Kanäle und
auch beim Erwachsenen sind sie nicht seltener.
Ich fand unter Zugrundelegung meines früher publizierten
Materials, das sich freilich inzwischen vermehrt hat, Überreste
des Gartnerschen Ganges im Uterus:
bei Feten von 2—3 Monaten unter 12 Fällen 12mal 100 °o
bei Feten „ 4-6 F HILL ON War er 6mal 28,5°0
bei Feten „ 7—9 H ACTION 1lmal 16,4°jo
postfetal bei Kindern ERLEBT 3mal 16,6 °/o
also bei Feten von 4—9 Monaten zusammen 19,3%
bei diesen und postfetal bei Kindern zusammen 18,5 0
bei Erwachsenen unter 54 Fällen 12 mal, also in 22,20
Die Einteilung in drei Altersklassen habe ich vorgenommen,
weil man in der ersten Klasse bis zu annähernd 3 Monaten
sozusagen immer noch Reste des Gartner im Uterus findet,
während im 4. Monate solche bereits öfters fehlen. Bei Feten
bis zu 50 mm Länge sind die Reste meist sehr erheblich.
Bei Feten von 7 Monaten und darüber hat der ampullär
erweiterte Teil des Kanals in der Cervix uteri stets Ausstülpungen
und schlauchartige Verzweigungen. Diese fertige organartige
Ausbildung des Gartner hat mich veranlasst, die älteren Feten
abzugrenzen, die Ausbildung der Ampulle beginnt jedoch schon
früher.
Im Ligamentum latum findet man, abgesehen von einem
Ductus des Epoophoron, Reste des Ganges näher dem Uterus
gelegen, in ca. 15 °/o der Fälle meistens mit einer mehrschichtigen
muskulösen Tunica, deren Stärke zugleich mit der Weite des
Lumens nach dem Uterus hin zunimmt. Gewöhnlich sind diese
Reste kurz, nur einmal fand ich den Gartner ununterbrochen
vom Epoophoron bis in das Parametrium nahe an dem Uterus
bei einem vierjährigen Mädchen; Klein gibt an, den Gartner
49*
154 Robert Meyer:
vom Epoophoron durch den Uterus und Vagina bis zum Hymen
ununterbrochen gesehen zu haben. Gewöhnlich oder fast aus-
nahmslos erleidet der Kanal zwischen Epoophoron und Uterus
eine Unterbrechung. Der Kanal verläuft, wenn er auf längerer
Strecke im Ligamentum latum persistiert, leicht geschlängelt,
auch korkzieherartig gewunden; in einem Ausnahmefalle fand
ich im Parametrium nahe dem Uterus einer Neugeborenen sogar
einen zu einem wahren Knäuel gewundenen Teil des Kanals.
Meist findet man näher dem Uterus kurze Bruchstücke des
Kanals, die nicht selten cystisch dilatiert werden, und deren
Wand dann, wie gesagt, stark hypertrophiert. Sehr selten sind
auch kurze seitliche Abzweigungen in diesem Teile des Kanales. —
In einem Falle fand ich eine Verdoppelung des Kanales mit
parallelem Verlauf aus dem Ligamentum latum bis in die Nähe
: des Uterus, wo sie sich vereinigen, um mit gemeinsamen dilatierten
Lumen in den äusseren Uterusschichten zu enden. Die Gänge
verlaufen unmittelbar nebeneinander, der engere etwas mehr
dorsal, jeder mit eigener Tunica, welche nur im oberen und
unteren Teile verschmelzen.
Bei Neugeborenen ist gewöhnlich das Lumen und Epithel
des Kanals im Parametrium normal, bei Erwachsenen findet sich
pathologischerweise eine stärkere papilläre Wucherung. Auch
adenomyomatöse Wucherung im Parametrium lässt sich kaum
anders als auf den Gartner zurückführen.
In den Uterus gelangt der Gang, wie gesagt, meist zirka
in Höhe des inneren Muttermundes. Ausnahmsweise fand ich
ihn bei einer Erwachsenen einseitig aussen in der Seitenwand
schon vom Fundus uteri ab bis in die Portio mit einem kurzen
Querkanälchen im Corpus uteri bis in das Parametrium hinein,
vielleicht eine Ureteranlage, wie sie Schreiner bei Vögeln
nachgewiesen.
Die Angabe Beigels, dass der Gartner oftmals das
Corpus uteri von oben bis unten durchzieht, ist sicher falsch,
wie ich in der genannten Monographie nachgewiesen habe, findet
sich aber immer noch in den Lehrbüchern. Ich glaube nicht,
dass man sich den Beweisgründen, welche ich gegen Beigel
angeführt habe, entziehen kann.
Nur bei einer Missbildung fand ich eine seltene Ausnahme;
in diesem Falle hat der Wolffsche Gang nicht den Anschluss
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 755
an den Sinus urogenitalis erreicht, er endet unten blind, infolge-
dessen bewahrt der Ureter seine Einmündung in den W olffschen
Gang und der durch Harn cystisch dilatierte Kanal erstreckt
sich durch die ganze Seitenwand der Vagina und des Uterus, in
welchen er parallel mit der Tube als enger Kanal gelangt. Auf
der anderen Seite mündet der Gartner und der Ureter normal
aus. — Also die normale Eintrittsstelle des Gartner befindet
sich zirka am inneren Muttermund, meist etwas darüber.
Im Uterus selbst liegt die wichtigste Stelle des Gartner,
seine Ampulle, homolog der Ampulle des Vas deferens; sie fehlt
niemals, wenn der Gartner in der Cervix uteri persistiert. —
Diese Ampulle liegt hauptsächlich im unteren Teile der Cervix
supravaginalis und im oberen Teile der Portio in den mittleren
und inneren Partien der Seitenwand und erstreckt sich auch bis
in das Vaginalgewölbe und in den obersten Teil der seitlichen
Vaginalwand.
Die Dilatation des Kanals in der Cervix uteri beginnt
manchmal schon im zweiten Fetalmonate; bei Feten von 4 und
5 Monaten ist sie stets deutlich. Erst vom achten Fetalmonate
ab ist die Ampulle mit Ausstülpungen und Verzweigungen ver-
sehen und als ausgebildet zu betrachten.
Beim Eintritt aus dem Parametrium ziemlich genau in der
Mitte der Uterusseitenwand hat der Kanal noch ein enges
zylindrisches Lumen und eine hauptsächlich zirkuläre Tunica.
Je weiter unten in der Üervix, desto mehr medial liegen die
Reste des Gartner, bis in die inneren Muskelschichten und
ausnahmsweise sogar bis in die Schleimhaut, wie ich das z.B.
auch kongenital beobachtet habe. Der Hauptsache nach liegt
die Ampulle des Gartner zumeist in den mittleren Muskelschichten
der ÜCervixseitenwand. Erst in den oberen Teil der Portio
vaginalis gelangt, wendet sich der Gang, nicht ohne zuweilen
einen mehr oder weniger tiefen Abstecher in der Portio zu
hinterlassen, wieder lateral schrägaufwärts zum seitlichen Laquear
vaginae. Die Verzweigungen können sich aus der Seitenwand
der Üervix auch in die Vorder- und Hinterwand erstrecken.
Das Lumen der Ampulle nimmt nach unten allmählich zu
und wird erst beim Übergang zur Vagina enger; es ist in der
Wand der Üervix uteri scheidenförmig und stellt sich auf Quer-
schnitten als ein dorsoventral gerichteter Schlitz mit Krümmung
756 Robert Meyer:
über die mediale Wand dar. Die „federbartartig“, zuweilen auch
„wurzelstockartig“ angeordneten Ausstülpungen gehen meist von
der vorderen und hinteren Kante des Lumen ab. Aus diesen
Ausstülpungen gehen nicht selten schlauchförmige Ausläufer
hervor; die Endausläufer sind oftmals wenige enge geschlängelte
Kanälchen, welche in stärkerer Ausbildung zuweilen büschelartig
durcheinander gewunden erscheinen.
Das Epithel ist einschichtig im Hauptkanal der Ampulle
am höchsten; in den schlauchartigen Verzweigungen ist die
Epithelhöhe proportional dem Lumen, in den engsten gewundenen
Röhren am niedrigsten.
Die Tunica muscularis wird mit zunehmender Weite
der Ampulle kaudalwärts immer undeutlicher; während beim Ein-
tritt in den Uterus und in diesem zunächst noch eine breite
innere zirkuläre und äussere longitudinale Muskelschicht gefunden
wird, sieht man längs der Ampulle des Gartner nur zuweilen
eine deutliche längsverlaufende Muskulatur, welche jedoch durch
Bindegewebe in zahlreiche einzelne Bündel geteilt wird.
Spindelzelliges Stroma längs der Ampulle unter Freilassung
der Verzweigungen ist typisch; es unterscheidet sich von dem
Stroma der Uterusschleimhaut durch geringere Zelldichte, also
grösseren Faserreichtum und geringere Beimengung von runden
Zellen.
Nur einmal fand ich bei einem Anencephalus von 7 Monaten
die Ampulle des Gartner abnormerweise ganz gefüllt mit
schmalen Leisten und Papillen, während Ausstülpungen fehlten.
Bei den Erwachsenen ist die kraniokaudale Längen-
ausdehnung der Kanalreste weniger erheblich, dagegen zeichnen
sich diese oft durch starke Zunahme der schlauchförmigen Ver-
zweigungen aus: diese nehmen zuweilen einen adenomatösen
und adenomyomatösen Charakter an und in zwei Fällen kam
es zur Bildung von Adenocarcinomen.
Alle diese Befunde sind in den oben zitierten Arbeiten
genauer beschrieben.
II. Der Gartnersche Gang in der Vagina
und im Hymen.
Im Nachfolgenden möchte ich meine Befunde von Resten
des Gartnerschen Ganges in der Vagina und dem Hymen
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 757
namentlich von älteren Feten und Neugeborenen schildern, welche
ich zum Teil schon demonstriert habe (Zeitschr. f. Geb. u. Gyn.,
Bd. 37, H. 2 und 46, H. 1 und Vers. Deut. Naturf. u. Ärzte zu
Cöln 1908). Die Literatur des Gegenstandes habe ich schon
mehrmals behandelt (s. z. B. Zentr. f. Gyn. 1907, Nr. 7); ich werde
sie daher nur, wenn notwendig, streifen.
Meine Untersuchungen erstrecken sich über alle Alters-
klassen; über die Embryonen des ersten Fetalmonates zu
berichten, liegt jedoch nicht in meiner Absicht; die bekannten
Lageverhältnisse der Wolffschen zu den Müllerschen Gängen
sollen nur soweit erwähnt werden, als es zum Verständnis der
Lage der Gartnerschen Gangreste nötig erscheint.
Die Untersuchungen wurden an Serienschnitten vorgenommen,
doch wurden von den älteren Feten (ab 4. Monat) nur aus-
gewählte Schnitte aufbewahrt. — Die Urethra wurde auch bei
den älteren Feten im Zusammenhang mit der Vagina geschnitten,
um das Verhalten der Paraurethralgänge zu untersuchen.
Ich werde nur einige Protokolle auszugsweise geben, weil
ich eine ausführliche Beschreibung jedes einzelnen Falles wegen
der häufigen Wiederholung für überflüssig halte; zunächst folgen
Fälle von grosser Längenausdehnung des Gartner und mit
besonderer Epithelbeschaffenheit, sodann solche, die mit gleich-
zeitigen anderen Abnormitäten verbunden sind und schliesslich
Fälle von persistentem Gartner bei doppelten Genitalien.
Fetus von acht Monaten (153). Gartner rechts. Übergang der
Ampulle von der Portio zur Vagina bis in deren unteres Ende.
Links Bruchstücke in der Cervix, ferner vom Vaginalgewölbe
durch die ganze Vagina bis zur Mündung im Hymen.
Über den Verlauf der in der Überschrift gekennzeichneten Reste der
Gartnerschen Kanäle ist nicht viel zu bemerken. Die Kanäle verlaufen
zunächst mitten in den Seitenwänden der Vagina sowohl in der Mitte der
sagittalen Richtung, als auch mitten in der Wanddicke (1—2 mm); nur im
untersten Teile der Vagina liegt der Kanal nicht absolut, wohl aber relativ
der Schleimhaut näher, da hier der quergestreifte Konstriktor die Wand
verdickt. Kurz vor dem Ende der Vagina findet der linke Kanal sein Ende
und hier haben sich beide Kanäle bereits erheblich mehr der Hinterwand
der Vagina genähert; der rechte Kanal rückt aber noch weiter dorsalwärts,
um dann an der Basis des Hymens gänzlich von hinten her in dieses einzu-
treten. Der Kanal verläuft dann im Hymen ventralwärts, liegt dem vesti-
bularen Plattenepithel des Hymen an einigen Stellen fast unmittelbar an
758 Robert Meyer:
und mündet nahe dem freien Hymenalrande nach aussen. Die Form der
Kanäle ist sehr wechselnd, von der Portio her zieht der rechte Kanal in das
Vaginalgewölbe als breiter Schlitz (Ampulle) mit kleinen schlauchförmigen
Ausstülpungen; auch links stellt der Kanal im Vaginalgewölbe auf dem
Querschnitt einen ausgedehnten Schlitz von sehr wechselnder Form dar.
Die Kanäle behalten nun im oberen Teil der Vagina die Scheidenform bei,
sehen also auf dem Querschnitte schlitzförmig aus, wobei der Schlitz anfangs
sagittal gestellt weiterhin frontale Richtung annimmt, und zwar nur weil er
mit dem umgebenden vaginalen Muskelbindegewebe in eine frontal gestellte
Falte der Wand zu liegen kommt. In der Mitte der Vagina und im unteren
Abschnitt wird die Form des Kanals mehr zylindrisch und enger (der rechte
weniger eng); von einer regelmässigen Form kann hier nicht gesprochen
werden, auch wechselt das Kaliber; im ganzen handelt es sich jedoch um
einen engen Kanal, da auch im untersten Teil der Vagina nicht, wie öfters
beobachtet, eine besondere Zunahme des Umfanges vorliegt. Auch im Hymen
ist der linke Kanal eng bis zur Mündung.
Eine nennenswerte eigene Wandung besitzen die Kanäle nicht; mässig
zellreiches Bindegewebe und längs verlaufende Muskelfasern begleiten den
rechten Kanal in seinem obersten ampullären Teil bis in das Vaginalgewölbe,
ohne sich scharf von der Umgebung abzusetzen. Bald wird der Zellmantel
kernärmer, umhüllt das schlitzförmige Lumen mit zirkulären Fasern und
verliert sich im zweiten Drittel Vagina völlig. — Das Epithel der Kanäle
ist oben einreihig zylindrisch, wird im oberen Drittel der Vagina im ganzen
etwas kleiner, also in allen Dimensionen, bleibt jedoch einreihig zylindrisch;
in der unteren Hälfte der Vagina wird das Epithel ganz unregelmässig
mehrschichtig (zwei- bis vierschichtig), wobei die untere zylindrische Zelllage
durch intensivere Färbung sich auszeichnet, während das übrige Epithel
hellere Kerne und Zellleiber hat. Die Form der Epithelien wird unregel-
mässig und erst im Hymen wird das Epithel des linken Kanales einschichtig
zylindrisch. Das stellenweise dicht angelagerte vielschichtige hymenale
Vestibularepithel beeinflusst das Epithel des Gartner gar nicht.
Fetus von kaum sieben Monaten (136). Rechter Gartner vom
Parametrium bis in den Uterus, Unterbrechung bis zur Portio;
Verlauf aus der Portio in die Vagina, zweite Unterbrechung;
Verlauf in der Vaginalwand dicht unterhalb der Portio mit
kurzer Unterbrechung im mittleren Drittel der Vagina bis zur
Mündung im Suleus nymphohymenalis. Linker Gartner vom
Parametrium durch Cervix und Vagina in ununterbrochenem
Verlaufe bis zur Mündung im Suleus nymphohymenalis.
Oberhalb des inneren Muttermundes zeigt sich beiderseits nahe dem
Uterus ein blinder Gartnerscher Gang im Parametrium.
Der linke Gartnersche Gang dringt etwas oberhalb des inneren
Muttermundes in den Uterus, wird hier sogleich Kanalisiert; das anfangs
zylindrische Lumen erweitert sich bald scheidenförmig und erhält Ausstülpungen
und schlauchförmige Verzweigungen (Drüsen), welche nur vorn und hinten
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 759
an der Kante abgehen. Epithel einschichtig; zylindrisch im Hauptkanal, in
den Schläuchen kubisch und niedrig zylindrisch. — Der Kanal rückt der
Schleimhaut ständig näher und verläuft im unteren Teil des supravaginalen
Cervicalabschnittes bis in den obersten Teil der Portio in der innersten
Muskelschicht; erst hier entfernt er sich ein wenig mehr lateral, er steigt
in die Portio ein wenig hinab und dann fast scharf geknickt nur ein wenig
aufwärts lateral fast horizontal bis ins Scheidengewölbe; er erleidet an dem
Winkel, wo der absteigende Ast in den aufsteigenden übergeht, eine Ver-
engung und Abnahme der Verzweigungen; der aufsteigende Teil ist aber
wieder etwas weiter und stärker verzweigt; hier sieht man richtige Drüsen,
die sich von einzelnen grösseren Verzweigungen durch ihr enges Kaliber und
niedrigeres Epithel auszeichnen. Die Verzweigungen erfolgen nach allen
Seiten: nur in dem Scheidengewölbe selbst werden sie geringer, gehen nur
nach oben und fehlen in der Scheidenwand selbst gänzlich.
In der Scheide behält der linke Gartnersche Gang sein scheiden-
förmiges Lumen (von vorn nach hinten auf dem Querschnitt am weitesten)
(0,15 : 0,45 im Querschnitt), jedoch wird dasselbe allmählich nach unten hin
enger; in der Mitte der Vagina erreicht er ein Lumen von 0,07 : 0,014 im
Querschnitt, dann schwankt das Lumen und ist in der unteren Hälfte der
Vagina zunächt viel enger bis zur geringsten Weite von 0,03: 0,09, und
erst im untersten Teile wird der Kanal wieder weiter.
Auch der rechte Gartner dringt etwa in Höhe des inneren Mutter-
mundes in den Uterus, zeigt hier ein enges Lumen und erleidet dann sogleich
eine Unterbrechung bis zur Portio; erst im obersten Teil der Portio erscheint
er wieder an der Grenze der inneren und mittleren Schichten als Schlitz auf
dem Querschnitt von vorn nach hinten und zieht fast horizontal nur wenig
aufwärts geraden Wegs zum Scheidengewölbe (Pr. 22 und 23): hier bildet
er einen engen Kanal mit einigen kleinen Abzweigungen und wenigen mehr-
schichtigen Knospen, deren noch weiter unten gedacht wird.
Der Gartnersche Gang wird dann schon beim Übergang auf das
Laquear bedeutend weiter und mehrschichtig und hat von hier ab keine Ver-
zweigungen mehr. In der Scheidenwand angelangt, verläuft er nur eine ganz
kurze Strecke abwärts und erleidet wiederum eine Unterbrechung; in Höhe
etwas unterhalb des äusseren Muttermundes erscheint er bereits wieder, und
zwar wiederum als mehrschichtiger, epithelialer Kanal, welcher bald im
oberen Drittel der Vagina ein bedeutendes Querfeld einnimmt (von vorn nach
hinten mehr wie 1 mm und von rechts und links gemessen bis zu 0,75),
sodass er im oberen Drittel der Vagina makroskopisch auffällt. In gleicher
Höhe mit dem linken Gartnerschen Gang wird dann der rechte allmählich
enger und unterhalb der Mitte der Vagina, wo der linke seine grösste Enge
besitzt, verschwindet der rechte für eine kurze Strecke. Im untersten Drittel
ist er wieder vorhanden und bildet zunächst auf dem Querschnitt einen
Schlitz, welcher nicht von vorn nach hinten, sondern von rechts nach links
gerichtet ist. Im untersten Teil werden beide Gartnersche Gänge wieder
etwas weiter, aber nicht so bedeutend, wie im obersten Teile, sie messen
hier auf dem Querschnitt 0,15 : 0,345 und 0,2 : 0,45.
760 Robert Meyer:
Beide Gartnersche Gänge münden in der Furche zwischen Hymen
und Nymphe an der tiefsten Stelle dieser Furche (von aussen gesehen), und
zwar so, dass der Gartnersche Gang als ein Schlitz (von 0,6 links und.
0,3 rechts) sich nicht genau quer, sondern etwas schräg über die ganze
Breite der genannten Furche in das Epithel hereinsenkt. Es wird hierbei
sowohl das äussere Hymenalblatt als das Epithel der Nymphe gleichmässig
von dem Wolffschen Gang durchbrochen. Die Gartnerschen Gänge ver-
laufen im oberen Drittel der Vagina zunächst ziemlich genau seitlich, in
dem mittleren Drittel etwas mehr vorne, schliesslich aber im untersten
Drittel wieder seitlich, schliesslich mehr hinten; ihre Mündung erfolgt eben-
falls hinten, besonders der rechte Gartnersche Gang mündet im hintersten
Drittel der Seitenwand. — Beide Gartnersche Gänge halten sich von
oben bis unten meist in gleicher Entfernung von dem Epithel der Vagina
(nämlich 0,18—0,45 mm), wobei die Faltenbildung der Vaginalschleimhaut
hauptsächlich die Distanz beeinflusst.
Während nun der linke Gartnersche Gang in seinem ununter-
brochenen Verlauf von dem inneren Muttermund bis nahe an sein Ende ein
einschichtiges normales Epithel aufweist, ist das Epithel des untersten Endes
und das Epithel des ganzen rechten Ganges mehrschichtig und von wechselndem.
eigenartigem Aussehen, welches eine Beschreibung erfördert.
Die Mehrschichtigkeit ist in den untersten Enden der beiden Gartner-
schen Gänge am unbedeutendsten; hier ist streckenweise besonders nahe der
Mündung wenigstens an einer Wand noch einschichtiges Epithel vorhanden.
ebenso ist in dem vierten Stück des rechten Gartnerschen Ganges einmal
eine kurze Strecke wenigstens auf einer Seite einschichtig, und zwar dort,
wo der Schlitz auf dem Querschnitt, wie oben beschrieben, von rechts nach
links gerichtet ist. Die Mehrschichtigkeit beginnt am rechten Gartnerschen
Gang, bereits in der Portio selbst mit der oben geschilderten Zunahme des
(uerschnittes geht die Mehrschichtigkeit proportional, sodass in dem dritten
Stück des Ganges mit dem grössten Umfang die stärkste Vielschichtigkeit
erreicht wird; das Lumen wächst ungefähr in gleichem Mafse wie der ganze
Querschnitt, steht jedoch hinter dem letzteren bedeutend zurück: das Lumen
des rechten entspricht so ziemlich dem des linken Ganges an allen Stellen
und der grössere Querschnitt des ersteren ist nur auf sein vielschichtiges
Epithel zurückzuführen. — Der äussere Kontur des Ganges ist stellenweise
im Querschnitt gebuchtet mit scharfen Einsprüngen. Während im untersten
(vierten) Teil nur zwei bis vier Reihen Epithelzellen und auch das nicht
ringsherum gleichmässig stark angeordnet erscheinen, sind im Laquear (Teil 2)
die Zellen 5—-8fach und im dritten Teil 12—-20 fach.
Die Zellproliferation ist im Beginne, wie gesagt, manchmal nur auf
eine Wand oder einen Teil einer Wand beschränkt und hier ist das Epithel
noch zylindrisch schmal und hoch. Bald jedoch wird es meist vom Lumen
her beginnend in grossleibige, unregelmässig gestaltete Zellen umgewandelt,
welche je grösser, desto chromatinärmer werden; das Protoplasma wird ganz
hell, die Kerne werden gross, meist rundlich, füllen aber kaum die Hälfte
der Zellen aus, sie enthalten nur einzelne grössere Chromatinkörner.
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 761
Die unterste basale Epithelreihe erhält sich stellenweise besser, aber
ie vielschichtiger das Epithel, desto mehr nimmt im allgemeinen auch die
basale Reihe an der Umwandlung teil; meist ist sie aber noch deutlich zu
erkennen, vor allem durch einen dunkleren schlanken Kern und geringere
Zellgrösse, zuweilen erstrecken sich die basalen Zellen als schmaler Streifen
zwischen den anderen bis nahe an das Lumen des Kanals; diese Einsprünge
entsprechen den Einbuchtungen der äusseren Konturen. — Es finden sich
jedoch auch Stellen von nur zwei- bis dreischichtigem Epithel, in welchen
die basale Zellreihe bereits völlig in das grosse blassere Epithel verwandelt
worden ist. — Stellenweise sind die äusseren Konturen eingebuchtet, der
Kontur des Lumen entspricht nur vollkommen den äusseren; in den ersten
Stadien der Epithelproliferation am wenigsten; hier finden sich zwischen
einzelnen Epithelhügeln Buchten, welche nur ein- oder zweireihiges Epithel
nach aussen zu besitzen. Die von mehreren Seiten vorspringenden Epithel-
hügel umfassen sogar diese Buchten häufig von allen Seiten und schliessen
auf diese Weise einen Hohlraum ein, in welchem nur abgestossene Zellen
und Detritus liegen. Wir finden dann auf dem Querschnitt einen ungleichen
mehrschichtigen Epithelsaum mit Vakuolen, welche zuweilen von nur einer
basalen Zellschicht, manchmal auch von mehreren Zelllagen nach aussen
begrenzt sind. Die Entstehung der Vakuolen infolge Überwucherung der
Buchten durch mehrseitige Zellhügel ergibt sich einerseits aus dem Neben-
einander der Bilder, andererseits ist eine sekundäre Entstehung durch
Vakuolisierung vorher solider Zellhaufen auszuschliessen, da die Vakuolen
nur in den Anfangsstadien der ungleichen und geringen Mehrschichtigkeit
vorkommen, während die Partien mit grosser Vielschichtigkeit keine Vakuolen
haben; wir finden also diese Vakuolen hauptsächlich in den untersten Teilen
der beiden Gartnerschen Gänge, ferner auch in der Portio beim Übergang
zum Laquear (im allgemeinen an den Stellen, wo das einfache Epithel in
mehrschichtiges übergeht). Hier bilden die Vakuolen auf manchen Quer-
schnitten des Gartnerschen Ganges einen Kranz ringsum. Der Übergang
auf das Epithel in der Furche zwischen Hymen und der Nymphe vollzieht
sich so, dass das hier meist einschichtige, niedrig zylindrische Epithel des
Gartner zwischen das Basalepithel der Furche eingeschoben ist, und
zwischen den Plattenepithelien dieser Furche bleibt in den tieferen Lagen
ein breiter Spalt, in welchem abgestossene, schollige Epithelien liegen ;
dieser Spalt im Plattenepithel des nymphohymenalen Suleus ist von meist
einschichtigem flachen Epithel (grossen Endothel ähnlich) bekleidet, welches
in das Epithel des Gartnerschen Ganges übergeht; aber auch hier noch
proliferiertt das Gartnersche Gang-Epithel zu einzelnen Hügeln; näher
der äusseren Oberfläche zu wird der Spalt in dem nymphohymenalen Sulcus
enger und ist mit Plattenepithel umschichtet. — Der Inhalt des Haupt-
lumens sowie auch der Vakuolen besteht aus grossen scholligen Zellen und
Detritus.
Die Tunica des Gartnerschen Ganges in der Cervix ist im ganzen
schwächer als bei den Neugeborenen und Kindern; hauptsächlich ist der
Mangel an zirkulärer Muskulatur auffallend, während die longitudinale
762 Robert Meyer:
ziemlich normal ist. Das spindelzellige Bindegewebe zunächst dem Epithel
ist ebenfalls nicht reichlich, nur im untersten Teil nahe der Portio und in
dieser selbst ist es in breiterer Schicht am Hauptstamm angeordnet, dagegen
verliert sich hier die Tunica masculosa mehr und mehr. Die Verzweigungen
liegen zum grossen Teil nur in Muskulatur eingebettet.
In dem Laquear Vaginale ist die bindegewebige zirkuläre Tunica des
linken Ganges noch nennenswert; auch begleitet eine stark mit Fasern
durchsetzte äussere longitudinale Muskelbindegewebstunica den Gartnerschen
Gang durch die ganze obere Hälfte der Vagina, mit seiner zunehmenden
Enge in der Mitte der Vagina verschwindet jedoch die Tunica und auch im
untersten Teile ist sie kaum angedeutet. — An den Bruchstücken des
rechten Wolffschen Ganges ist das Verhalten der Bindegewebsmenge so
ziemlich dasselbe wie links, nur überwiegt hier rechts das zirkuläre spindlige
Bindegewebe im oberen (dritten) Teil bedeutend, während die äussere Längs-
tunica schwach ist. — In dem untersten Teile ist ebenfalls von einer Tunica
keine Rede mehr.
Um die Mündung beider Gartner-Gänge herum finden sich sowohl
an dem äusseren Hymenalblatt, als an dem inneren Blatt der Nymphe einzelne
kleinste Drüsen, welche zum Teil scheinbar dem Epithel des Gartnerschen
(sanges angehören und noch unterhalb des basalen Epithels des Hymen
liegen; auffallend ist nur, dass sich diese kleinen Drüsen gerade in der
Umgebung beiderseits der Gartnerschen Gang-Mündung finden.
Neugeborenes Mädchen (148). Mesodermale Gewebseinlage-
rungen in dem oberen Teil der linken Vaginalwand. Linker
Gartner in der unteren Hälfte der Vagina bis zur Mündung
nahe dem freien Hymenalrande ununterbrochen. Rechter
Gartner in der ganzen Vaginalwand mit einer einzigen Unter-
brechung im dorsalen Teile des Hymens; Mündung wie links.
Die mesodermale Gewebseinlagerung im oberen Teil der linken
Vaginalwand ist von mir an anderm Ort beschrieben worden. Der rechte
Gartnersche Kanal beginnt im oberen Teile der Vagina etwas tiefer als
die mesodermale Einlagerung. Sein Lumen ist erst ein einfacher Schlitz
(15 Schnitte lang), dann wird der Querschnitt des Lumens etwas unregel-
mässig und in sehr geringem Grade verzweigt mit Ansätzen von kurzen,
schlauchartigen Ausstülpungen (16 Schnitte); dann wiederum ist der Kanal
auf dem Querschnitt ein einfacher und ganz kurzer, schmaler Schlitz.
Der linke Gang erscheint erst zwölf Schnitte unterhalb des untersten
Endes der mesodermalen Gewebseinlagerung in normaler Gestalt als einfaches
schlitzförmiges Lumen ohne Verzweigung in der Seitenwand, etwas hinten
zwar, was jedoch durch eine schiefe Stellung des Vaginallumens bedingt
wird. Von hier aus lassen sich beide Gartnerschen Gänge zusammen be-
sprechen; beide verlaufen in der Seitenwand abwärts und geraten allmählich
im unteren Drittel der Scheide immer mehr nach hinten, der rechte besonders
weit nach hinten; am untersten Ende der Scheide erreichen die beiden Gartner-
schen Gänge den weitesten Stand nach hinten (der rechte Gartnersche
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 763
Gang liegt an der Grenze von Seiten- und Hinterwand der Scheide); dann
verlaufen sie in den Seitenteilen des Hymen zum vorderen freien Rande
desselben. — Hierbei ist eine Verschiedenheit vorhanden. Der rechte Gartner-
sche Gang erleidet im hinteren Teile des Hymen eine Unterbrechung; in der
Mitte etwa (von vorn nach hinten) erscheint er wieder, zieht eine kurze
Strecke nach vorn und senkt sich in einen Plattenepithelkolben, welcher
vom äusseren Blatt des Hymen nahe seinem freien Rande ausgeht. Der
Gartnersche Gang liegt zuerst als Spalt an der lateralen Seite dieses
Kolbens, sodass die laterale Seite des Gartnerschen Ganges Zylinderepithel
hat und die mediale Plattenepithel; das Gartnersche Gang-Epithel geht
aber, flacher werdend, endothelartig auf die Oberfläche des Plattenepithels
über und verliert sich erst in weiteren Schnitten.
Der Gartnersche Gang dringt dann als Spalt zwischen den Platten-
epithelien ohne eigenes Epithel zur Oberfläche.
Der linke Gartnersche Gang ist (auf Flachschnitten durch den
Hymen) in seinem Verlauf von vorn nach hinten fast in ganzer Länge
getroffen (s. Fig. 6).
Die Mündung erfolgt seitlich und ziemlich weit vorne nahe dem
freien Rande des Hymen spaltförmig auf die Oberfläche; der enge Spalt
verläuft durch das Plattenepithel und ist mit flachen langen Zellen bekleidet:
diese endothelartige Zellbekleidung beginnt auf der lateralen Seite des
Gartnerschen Ganges bereits im hymenalen Bindegewebe, während an der
medialen und an der oberen Seite ein allerdings nur unbedeutender Epithel-
kolben vom Plattenepithel des äusseren Hymenblattes entlang liegt.
Das Epithel der Gartnerschen Gänge ist im oberen Teil zylindrisch,
meist einschichtig; die Kerne sind zum Teil länglich, pallisadenartig angeordnet,
meist aber oval. — An manchen Stellen ist noch eine zweite basale Zell-
reihe vorhanden, deren Zellen kubisch und mit kleineren rundlichen Kernen
versehen sind. — Im unteren Drittel der Scheide wird das Epithel der
Gartnerschen Gänge unregelmässig mehrschichtig; unregelmässig insofern,
als die Höhe der Schichtung nicht nur auf verschiedenen Schnitten, sondern
auch auf einem und demselben Querschnitte sehr wechselt: es kommen
sogar einschichtige und mehrschichtige Stellen im schroffen Übergange
nebeneinander vor. Die Zellen der mehrschichtigen Partien sind grösser,
teils noch zylindrisch, teils unregelmässig aufgetrieben; je grösser die Zellen
sind, desto chromatinärmer sind sie; die Zellleiber bestehen dann aus ganz
blassen Protoplasmafäden; die Kerne sind ebenfalls rundlich und oval auf-
getrieben, enthalten nur einzelne kleine Chromatinkörner. Stets ist die
oberste Zellreihe am grössten und hellsten. — An manchen Stellen ist eine
unterste Reihe kubischer chromatinreicher Zellen vorhanden als Basis
mehrerer Reihen grösserer blasser Zellen. Diese Basalreihe geht zuweilen
allein weiter, indem die oberen Schichten allmählich oder auch plötzlich
aufhören. — Der stärkste Grad der Mehrschichtigkeit (4—5 Zellreihen)
und die grösste Verbreitung derselben wird im untersten Teil der Scheide
erreicht, jedoch kommen auch hier noch, wenn auch nur sehr unbedeutende
Stellen mit einschichtigem Epithel vor. An den mehrschichtigen Partien
764 Robert Meyer:
ist das Lumen grösser als oben. Schmale Kerne zwischen Zellen an
einer Stelle.
Linker Gartnerscher Gang. Im Hymen jedoch wird das Lumen
wieder enger und ebenso wird die Mehrschichtigkeit wieder geringer und
unregelmässiger; die Zellen stehen ihrem Aussehen nach in der Mitte zwischen
dem normalen zylindrischen und dem grossen hellen Epithel; ausserdem
liegen hier vielfach schmale, längliche, unregelmässige Kerne zwischen den
übrigen Zellen.
Je näher der Mündung, desto enger wird der Kanal, die Zellen
werden einreihig, anfangs zylindrisch, dann immer niedriger und dicht vor
der Mündung flach endothelial wie oben beschrieben. — In den untersten
Teilen der Gartnerschen Gänge finden sich sehr viele abgestossene Kerne
und Zellen.
Fetus von 14 cm Kopf-Fuss-Länge im vierten Monat (200).
Knochenherdim Uterus. LinkerGartner ein TeilamEpoophoron,
ein zweites Stück vom Parametrium bis in Cervix uteri, ein
drittes Bruchstück in Vagina. Rechter Gartner am Epoophoron,
ein zweites Stück im Parametrium bis in den Uterus, dritter
Teil vom unteren Teil des Uterus durch die ganze Vagina un-
unterbrochen bis in den Sinus urogenitalis.
Von den Wolffschen Gängen sind folgende Reste vorhanden: zu-
nächst ein Teil am Epoophoron beiderseits, ebenso ein zweiter Abschnitt im
Parametrium an den Seitenkanten des Uterus bereits in mittlerer Höhe des
Corpus; beide Kanäle treten etwas oberhalb der Cervix in den Uterus ein.
Von hier ab ist das Verhalten verschieden; der linke Kanal durchläuft den
oberen Teil der Cervix und bildet eine grosse Ampulle, d.h. einen nach unten
zunehmend stark dilatierten Abschnitt, welcher auf dem Querschnitt scheiden-
förmig, mit der Längsrichtung von vorn nach hinten in der Cervixseitenwand
gelagert ist. Der linke Gang endigt dann bereits im oberen Teil der Cervix
und nur ein kurzes Bruchstück tritt etwa in mittlerer Höhe der Vagina in
der Seitenwand auf.
Der rechte Kanal erleidet, wie bemerkt, bereits nach seinem Eintritt
in den Uterus eine Unterbrechung und erscheint erst wieder unmittelbar
unterhalb der osteoiden Partie im unteren Teil der Cervix etwa da, wo die
(später zur Ausbildung gelangende) Portio beginnen würde. Hier ist das
nicht annähernd so stark wie am linken Kanal dilatierte Lumen schlitzförmig
von rechts nach links gerichtet, wie es der Übergangsstelle des Gartner
aus der Cervix in die Vagina zu entsprechen pflegt. Von hier aus verläuft
der Kanal in der Seitenwand der Scheide mit meist engem Lumen ununter-
brochen abwärts; er liegt in der Mitte der Seitenwand und verläuft erst am
Ende der Vagina etwa horizontal eine ziemliche Strecke nach vorn, um dann
in den Sinus urogenitalis zu münden.
Ein Hymen ist zwar schon einigermassen ausgebildet, aber nicht
günstige zu sehen, ihm entspricht die horizontal nach der ventralen Seite
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 765
verlaufende Strecke des Gartner. Hier liegt er dem vaginalen (hymenalen)
Epithel näher, als weiter oben.
Über den Bau ist nicht viel zu bemerken; im oberen Teil der Vagina,
welcher noch ziemlich geschlossen ist und ein undifferenziertes Epithel hat,
besitzt der Gartner ein hohes zylindrisches Epithel mit länglich ovalen
Kernen und ein deutliches Lumen, im übrigen Verlaufe, besonders im unteren
Vaginalabschnitte, dessen Plattenepithel und Lumen gut entwickelt ist, zeigt
der Gartner kleine mehr kubische einreihige Epithelbekleidung mit mehr
rundlichen Kernen und ein sehr enges Lumen. Hervorzuheben ist, dass sich
das vestibuiare Epithel trichterförmig dem Gartner entgegen einstülpt. Auf
der korrespondierenden Stelle linkerseits befindet sich eine gleiche trichter-
törmige Plattenepitheleinsenkung, welche mit einem kurzen, engen Kanal
von einschichtigem kubischen Epithel endigt; wahrscheinlich die Mündung
des linken Gartner.
Fall 143. Fetus von 7 Monaten. Rechter Gartner nahe dem
Uteruscorpusim Parametrium bis in den oberen Teil der Cervix.
Unterbrechung bis zum obersten Teil der Vagina, von hier
Verlauf in der ganzen Vaginalwand bis zur Mündung am freien
Hymenalrande mit kurzer Unterbrechung im obersten Teil
der Vagina. — Bruchstück des linken Gartner im oberen Teil
der Cervix.
Der Uterus klein liegt der unteren Blasenhälfte dicht angeschmiegt;
das Corpus misst von der Foss vesicouterina bis zum Scheitel nur ca. 5 mm;
der ganze Uterus ca. 17 mm, die Tuben leicht geschlängelt 10—11 mm.
Övarien ca. 8 mm lang; rechte Adnexe etwas kleiner.
Die Lig. lat., Mesosalp. Mesovar., auch die Lig. infund. ovar. bezw. inf.
pelv. sind nur andeutungsweise vorhanden; die Adnexe inserieren äusserst
knapp an der vorderen und seitlichen Beckenwand; fast ausschliesslich an
der vorderen, und zwar inserieren die Tuben zur grösseren Hälfte an der
Blase; auch die Lig. rotund. sind nur schwach angedeutet. Kleine Labien
sehr klein. Clitoris dito. Hymen überragt bürzelförmig die hintere Kommissur.
Douglas ausserordentlich tief. Auf dem linken Ureter eine peritoneale rauhe
knotige Hervorragung, welche sich medial unten auf die Art. hypogustr.
fortsetzt; rechts ein submiliares Knötchen peritoneal auf dem Ureter; beide
Ureteren ziehen als freier Rand das Becken begrenzend zur Blase; da der
Uterus fundus sehr tief liegt und schief steht, Portio rechts, Fundus links,
so tritt der linke Ureter nur ca.5 mm unter der Tube in die Blase.
Die Nymphen sind rudimentär; sie sind nur im vorderen Teile vor-
handen; der Hymen wird nicht von ihnen bedeckt, sondern liegt fast aus-
schliesslich zwischen den grossen Labien.
Das Corpus uteri ist mit der Blase vollständig verwachsen; ebenso
sind die beiden Mesosalpingen an den Seiten der Blase (bezw. die Ampulle
an der venae unbilieales) befestigt. Epoophoron beiderseits an den Ampullen.
Rechts findet sich im Parametrium nahe dem Uteruscorpus ein Gartner-
scher Gang, welcher etwas oberhalb des inneren Muttermundes in den Uterus
766 Robert Meyer:
eintritt und im oberen Teil der Cervix etwas ampullär erweitert mit stern-
förmigem Querschnitt endigt. Im oberen Teil der Cervix findet sich auch
ein kurzes Bruchstück des linken Gartnerschen Ganges.
Alte Thromben finden sich an verschiedenen Stellen subserös im Becken.
Kurz unterhalb des äusseren Muttermundes beginnt in der rechten
Seitenwand der Vagina ziemlich genau seitlich der Gartnersche Gang als
ein mit kleinen Verzweigungen versehener Kanal; die Verzweigungen hören
aber sehr schnell auf und der Kanal hat auf dem Querschnitt ein ovales
Lumen, welches je nach seiner Lage zwischen zwei Längsfalten oder von
der Höhe einer solchen quer oder längs steht. b
So zieht der Gartnersche Gang mit einschichtigem Epithel und
leichter zirkulärer Tunica (von Spindelzellen mit Fibrillen) abwärts in der
Muskulatur der Vagina, immer näher dem Epithel als dem paravaginalen
Gewebe und rückt in der unteren Hälfte der Vagina immer mehr nach
hinten. — Im untersten Teil der Vagina liegt er zwar stets noch in der
Seitenwand, aber fast ganz hinten und wird sehr eng; er erleidet eine
Unterbrechung durch fünf Schnitte, erscheint dann wiederum im untersten
Teil der Vagina eng und weit hinten in der Seitenwand, zieht dann fast
horizontal nach vorne und dabei abwärts in den Hymen. Im Hymen selbst
verläuft er unter grosser Querschnittszunahme und schliesslich unter ceystischer
Erweiterung ganz nach vorne zum freien Rand (halbmondförmiger Hymen)
des Hymen; die starke cystische Erweiterung liegt kurz vor seiner Aus-
mündung auf die Oberfläche. Besonders merkmürdig ist, dass während
seines Verlaufs durch den Hymen der Gartnersche Gang auf der einen
Seite sein gewöhnliches Epithel hat, einreihig, zylindrisch, dagegen auf der
anderen Seite, nämlich der lateralen, von einem dicken Plattenepithelstrang
in ganzer Länge begleitet wird, welcher weder mit dem äusseren noch dem
inneren Hymenalblatt zusammenhängt, sondern frei im hymenalen Binde-
gewebe liegt, sich näher der Mündung des Gartnerschen Ganges ver-
schmälert und bei der cystischen Erweiterung allmählich aufhört; diese
cystische Erweiterung ist kurz vor der Einmündung rings von dem zylindrischen
Epithel des Gartnerschen Ganges bedeckt; Ausläufer des Plattenepithels
auf der lateralen Seite erreichen nicht das Plattenepithel des Hymenal-
randes. — Es ist nicht ganz klar, wie dieser Plattenepithelstrang am
Gartnerschen Gang aufzufassen ist. — Ist er ein Fortsatz des Hymenal-
epithels, welcher sich nachträglich am Gartnerschen Gang entlang gebildet
hat und infolge der cystischen Erweiterung des Gartnerschen Ganges
abgetrennt wurde, oder ist er durch frühzeitige embryonale Verklebung mit
dem Epithel des Sinus urogenitalis und spätere Abtrennung entstanden, oder
schliesslich liegt vielleicht eine Umwandlung des Gartnerschen Gang-
Epithels in Plattenepithel vor?
Die letztere Möglichkeit ist am wahrscheinlichsten, da sowohl am
zylindrischen Epithel des eystischen Endes einzelne Stellen in Plattenepithel
umgewandelt sind, ferner auch an dem Plattenepithel der lateralen Wand
kurze Strecken von einreihigem Epithel unterbrochen sind. — Ganz sicher
ist die Sache indes nicht. Die Ausmündung erfolgt mit einer trichter-
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. v4
formigen Mulde auf der Oberfläche des Plattenepithels; aus der Mulde
ergiessen sich hyaline Tröpfehen nach aussen. — Zwischen den Platten-
epithelzellen des Hymens besitzt der Kanal keine eigene Zellbekleidung mehr,
sein Epithel reicht nur bis an die basale Schicht des Hymenepithels.
Uterus bilocularis cum vagina septa eines neugeborenen
Mädchens (248). Verlauf der Gartnerschen Kanäle rechts von
der Cervix dicht über dem Vaginalansatz und links vom
Scheidengewölbe ab ununterbrochen bis zum Vestibulum.
(Defekt des Hymen.)
Uterus äusserlich von normaler Gestalt bis auf eine auffallend starke
Portio und einen leicht gesattelten Scheitel und je eine leichte sagittale
Furche in der Medianlinie der vorderen und hinteren Wand. Das Septum
ist im Corpus uteri 2—3 mm dick, in der Cervix nur ca. 1 mm; erst in der
Portio wird es wieder etwas dicker. Die beiden Portiones sind kurz; die
Vaginen oben weit, im mittleren Teil enger und dünnwandiger, im unteren
Teil wieder geräumiger. Die Vaginen, bis zum Vestibulum getrennt, ver-
einigen sich erst in Höhe der Einmündung der W olffschen Gänge, also am
Vestibulum selbst. Hymen fehlt völlig. Der rechte Gartnersche Gang
beginnt in der Cervix kurz oberhalb des Vaginalgewölbes.
Der rechte Wolffsche Gang beginnt in der Öervix kurz ober-
halb des Vaginalgewölbes als eine in der Form unregelmässige Ampulle, zieht
fast horizontal im Scheidengewölbe lateralwärts in die Scheidenwand, wird
hier relativ sehr weit und etwas verzweigt und zieht in die seitliche Wand
als länglicher Schlitz abwärts; da wo die Vagina enger wird, wird er eben-
falls enger; im untersten Teil wird er weiter, bleibt in der Mitte der seit-
lichen Vaginalwand und dann nach vorn zur Mündung in den Sinus urogeni-
talis. Im untersten Teil mehrschichtiges Epithel.
Der linke Gartnersche Gang beginnt im Scheiden-
gewölbe und verläuft ebenfalls ununterbrochen bis zum
Sinus; aber er ist durchwegs enger und liegt schon im untersten Teil der
Scheide hinten in der Hinterwand seitlich und verläuft von dort in einem
Sehnitt bis zur Mündung. — Das Präparat ist nicht gut genug konserviert,
um über das Epithel des Gartner besondere Mitteilung zu gestatten. Die
nähere Umgebung der Kanäle bietet auch keine Besonderheiten dar.
Uterus unicornis dexter mit linksseitig rudimentärem Horn
und Defekt der rechten Niere. Beide Wolffsche Gänge vom
Epoophoron durch Cervix uteri und Vagina mit kurzen Unter-
brechungen. Ende in der Vorderwand der Vagina bezw. im
vesicovaginalen Bindegewebe.
14 Tage altes Kind (Sign. Heyder) mit Symblepharie mit rudimentären
Augäpfeln, Syndaktylie an Händen und Füssen. Penisähnliche (litoris mehr
als 1 cm lang. Nymphen und grosse Labien rudimentär. Introitus Vaginae
fehlt: Urethraleingang weit. Blase und Mastdarm normal. Eine kleine Portio
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 50
768 Robert Meyer:
ragt mit schlitzförmigem Muttermund in ein durch Schleim ausgedehntes
Vaginalgewölbe. — Die Vagina endigt blind noch '/s cm oberhalb des
Blasenhalses. Ovarion normal.
Rechts erstreckt sich das Epoophoron innerhalb der Mesosalpinx und
des Mesovarium längs der lateralen Hälfte des Ovarium in guter Ausbildung.
Die mehr medial gelegenen Schläuche sind enger und vereinigen sich spitz-
winklig zu einem engen Wolffschen Gange, welcher leicht geschlängelt
dicht unter der medialen Tubenhälfte verläuft, sodass die Muskulatur des
Wolffschen Ganges und die der Tube an mehreren Stellen zusammen-
stossen. Hier zeigt der Wolffsche Gang eine Erweiterung und stern-
förmige Ausstrahlung von Schläuchen, welche wahrscheinlich als Urnieren-
kanäle (Paroophoronreste) zu deuten sind. Vom Übergang der Tube zum
Uterushorn an liegt der Wolffsche Gang eine Strecke nicht unmittelbar
am Uterus, sondern durch eine Gefässschicht von ihm getrennt im Parametrium,
bald aber nähert er sich dem Uterus und liegt in der unteren Hälfte des
Uterus zunächst an der Uteruskante, dringt bald in die seitliche Uterus-
kante ein und nähert sich schnell im weiteren Verlaufe nach abwärts
medialwärts dem Lumen des Uterushornes und zieht in nächster Nähe der
Schleimhaut in der Seitenwand des Hornes abwärts. Nach oberhalb der
Vereinigung beider Hörner erleidet er eine Unterbrechung.
In diesem oberen Teile hat der Gang im Lig. latum und Parametrium
hauptsächlich longitudinale Muskelfasern innen und im oberen Teile auch
konzentrische zirkuläre Fasern aussen.
Nach der Unterbrechung erscheint der Kanal im unteren Teil der
Gervix wieder. In der Cervix finden sich einzelne zerstreute Verzweigungen
seiner Ampulle in den mittleren Muskelschichten der Vorderwand; der
Kanal selbst verengt sich sehr schnell und dringt durch die Muskulatur der
Vorderwand der Portio (vorderes Scheidengewölbe fehlt) in gleicher Höhe
wie der linke Wolffsche Gang aus dem Uterus heraus und bewegt sich
medial abwärts in dem paravaginalen Gewebe hinter der Blase. Links
auf der Seite des rudimentären Hornes (welches nur im Tubenwinkel ein
Lumen hat und dann blind ist) vereinigen sich mehrere enge Epoophoron-
kanälchen unter spitzem Winkel zum Wolffschen Gange, welcher in
der Mesosalpinx noch vor dem lateralen Ende des Ovariums mit einem
etwas erweiterten Teil unter starker muskulöser Umhüllung blind endet. —
Im unteren Teile des rudimentären Hornes ca. 5 mm oberhalb der Vereinigungs-
stelle mit dem rechten Horne tritt in die Seitenwand ein enger, auf dem
Längsschnitt leicht geschlängelt erscheinender Kanal; allmählich dringt er
tiefer in die Substanz des Hornes und liegt noch oberhalb der Vereinigung
der Hörner ziemlich zentrisch im Nebenhorn. Der Kanal hat einschichtiges
niedriges zylindrisches, weiter unten mehr kubisches Epithel und innerhalb
des Nebenhornes eine eigene Tunica aus einer inneren schmalen Längs-
schicht, einer etwas breiteren zirkulären Mittelschicht und einer äusseren
Längsschicht, welche allmählich in die übrige Muskulatur des Nebenhornes
übergeht. Im untersten Teile des Hornes verliert sich die zirkuläre
Muskulatur und der Gang behält zwei Längsschichten, von denen die innere
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 769
wesentlich heller bindegewebsreicher ist: mit dieser Tunica geht der Kanal
in das rechte Horn über, während die übrige Muskulatur des Nebenhornes
an der medialen Seite des rechten Hornes endigt oder doch nur oberflächlich
mit ihr verbunden ist. Jetzt erweitert sich der Kanal sehr schnell degen-
scheidenförmig, auf dem Querschnitt also schlitzförmig (Längsrichtung des
Schlitzes von vorn nach hinten) und hat ein etwas höheres Zylinderepithel
und dichtes spindelzelliges Stroma. Die vordere und hintere Kante des
Kanals sind nur in ganz geringem Grade gegabelt; es handelt sich also um
eine nur rudimentär ausgebildete Ampulle des Kanals. Die Muskelumhüllung
des Kanals, meist längs gerichtet, geht ganz diffus in die Uterus-
muskulatur über.
In der Höhe des seitlichen Scheidengewölbes wird der Kanal plötzlich
wieder enger und erhält einen annähernd zylindrischen Mantel, in welchem
eine äussere Längs-, eine innere zirkuläre und stellenweise auch eine innerste
Längsschicht sichtbar wird. Der Wolffsche Gang geht nun in der Wand
des Vaginalgewölbes zur seitlichen Vaginalwand und zwar ein wenig mehr
vorne (ventral); er wendet sich weiter abwärts bald ganz der Vorderwand
zu, sodass er schliesslich von dem rechten Wolffschen Gang kaum 1 mm
Distanz hat.
Nun verläuft der rechte Wolffsche Gang mehr in der Aussenschicht
der Vagina und sein unterstes Ende zwischen Vaginalwand und Blase,
während der linke mehr in den mittleren Schichten der Vorderwand liegt.
Noch kurz oberhalb des blinden Endes der Vagina verschwinden die beiden
Wolffschen Gänge spurlos.
Beide Gänge erleiden, das sei der Vollständigkeit wegen noch angeführt,
in dem eben beschriebenen Verlauf in der Vagina eine kurze Unterbrechung
des Lumens, während der Muskelstrang, besonders der rechte, bis zum
Ende gut ausgebildet bleibt.
Häufigkeit der Befunde.
Zur Bestimmung der Häufigkeit von Überresten des Gartner-
schen Ganges bediene ich mich nur solcher Fälle, in denen Uterus,
Vagina und Vulva untersucht wurden. Ich fand Überreste der
Wolffschen Gänge in der Vagina einschliesslich Hymen (bzw.
Müllerscher Hügel):
1. bei Feten von 2—3 Monaten unter 17 Fällen 16 mal = 94°/o
Da 3 „ 4—6 5 uln2O es Sr 40
Ace 2 „ 1 Monaten und Neu-
geborenen unter . . . 3a BA 3
4. bei Uterus bicorn. non MR: an Hark ee 4 4170090
Bei Feten der ersten zwei Monate, besonders bis zu ca. 30 mm
grösster Länge, pflegt der Wolffsche Gang vom Epoophoron bis
zum M üllerschen Hügel noch ununterbrochen vorhanden zu sein.
50*
770 Robert Meyer:
Zu diesen Zahlen ist kurz folgendes zu bemerken. Die Ein-
teilung in vier Gruppen ist nicht ganz willkürlich gewählt; sie
schliesst sich vielmehr an die bei Feten im Uterus gefundenen
Überreste des Wolffschen Ganges an. In der ersten Gruppe
bei Feten bis zu drei Monaten finden sich fast stets bedeutende
Überreste der Gänge; bis zum Ende des zweiten Monats sind die
Gänge sogar fast immer ununterbrochen vollständig. Im dritten
Monat sind sie jedoch meist schon unterbrochen; am Ende des
dritten Monats sind schon grössere Lücken vorhanden und in
vereinzelten Fällen kann schon jede Spur der Gänge in der Vagina
und auch im Uterus fehlen. Bei einem einzigen Fetus freilich
nur habe ich in diesem Alter keine Spur mehr gefunden.
In der zweiten Gruppe sinkt das Prozentverhältnis schnell
auf 40; ja bei Feten von 6 Monaten sind schon viel seltener
Überreste der Kanäle auffindbar. Dennoch mögen sie in dieser
zweiten Gruppe rangieren, weil bei der nächsten Klasse mit dem
schnellen Wachstum des ganzen Genitalsystems der Wolffsche
Gang ebenfalls ein starkes Längenwachstum mitmachen muss, und
zugleich in ein gewisses Stadium der Reife kommt, welches sich
in der Cervix durch Ausbildung der Verzweigungen an der
Ampulle kundgibt. — Nur von dieser dritten Gruppe kann man
auch einen ungefähren Schluss auf die Persistenz des W olffschen
(sanges im postfetalen Leben gestatten. Die Fälle von Uterus
bicornis, bei denen wir den Gartner doppelt so häufig fanden als
sonst, und zwar immer in sehr grosser Längenausdehnung, habe
ich abgetrennt, weil hieran offenbar ein anderer Maßstab zu legen
ist als an die normalen Uteri; würden wir sie hinzurechnen, so
würden anstatt 28°o nunmehr 33 °o zu setzen sein. Freilich
darf man kein grosses Gewicht auf solche Exempel legen, da das
Resultat der Untersuchungen doch sehr von der Zahl der Fälle
und von Zufällen beeinflusst wird. So habe ich früher bei älteren
Feten den Wolffschen Gang nur in 16,4 °o im Uterus gefunden
und in dieser neneren Untersuchungsreihe dagegen in 31 %o, ja
wenn ich die Uteri bicornes einrechne, sogar in 36 %o.
Die Reste des Kanales kommen, wenn wir jetzt nur von den
Fällen mit positiven Befunden sprechen, im Hymen annähernd
ebenso häufig vor, wie im gesamten übrigen Bereich der Vagina,
bei der ersten Altersklasse fehlt in einem Fall im Hymen und
ın einem anderen Falle in der Vagina jede Spur des Wolffschen
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. Ind
Kanals und ebenso verhielt sich die dritte Altersklasse, während
bei der zweiten nur einmal in der Vagina, dagegen dreimal im
Hymen der Kanal vermisst wurde.
Allerdings lässt es sich gerade in dieser Zeit des Fetallebens
am schwersten erkennen, ob gewisse Buchten und Schläuche im
Hymen dem Wolff angehören, wenn sie nicht mit dem Gang in
der Vagina zusammen hängen, wovon wir noch weiter unten zu
sprechen haben werden.
Unter Verrechnung der Doppelseitigkeit scheinen bei den
beiden älteren Klassen also vom dritten Monat aufwärts
Kanalreste im obersten Drittel der Vagina einschliesslich Vaginal-
gewölbe und Hymen etwas häufiger vorzukommen, nämlich im
obersten Drittel 23 mal, im untersten Teil der Vagina 18, im Hymen
21 mal, dagegen in dem mittleren Teil der Vagina nur 15 mal.
Der Unterschied der mittleren Partie von der untersten und
obersten wird sehr viel auffälliger, wenn man in Betracht zieht,
dass erstere nur in solchen Fällen beteiligt war, wenn der Wolff-
sche Kanal längere Strecken durchzog. Von kürzeren Strecken
des Kanals durchzogen, war nämlich die oberste Partie der Vagina
7 mal und die unterste bzw. der Hymen 9 mal, die mittleren
Partien der Scheide für sich allein kein einziges Mal. — Daraus
geht also noch deutlicher hervor, dass in der mittleren Scheiden-
partie der Wolffsche Kanal am häufigsten gänzlich verschwindet.
Die Uteri bicornes sind hier wegen ihrer zum Teil ungewöhn-
lichen Verhältnisse nicht mit eingerechnet worden. Ununterbrochen
von der Cervix bis zur Mündung im Hymen fand sich der Kanal
bei einem Fetus im vierten Monat und einem Neugeborenen rechts-
seitig, bei einem viermonatlichen Fetus linksseitig, bei einem
von acht Monaten rechts und links, bei einem Fall von Uterus
seputus et vagina septa rechtsseitig und bei einer Missbildung
mit Uterovaginalcyste des einen Gartner doppelseitig (Hymen
fehlte.)
Im ersten Monat ist wie gesagt der ununterbrochene Verlauf
vom Epoophoron bis zum Müllerschen Hügel die Regel; das
gleiche habe ich auch noch bei Feten von 5 cm grösster Länge,
niemals in späterem Alter gefunden. Der grösste Teil der Vagina
bis in den Hymen wird ausser den oben genannten Fällen vom
Gartner durchzogen, meist mit einigen Unterbrechungen sechs-
mal und zweimal bei Uterus bicornis.
|
—1
[80]
Robert Meyer:
Der Verlauf des Gartnerschen Ganges.
Es muss als bekannt vorausgeschickt werden, dass zu An-
fang die Müllerschen Gänge unmittelbar dem Wolffschen
Gange anliegen, und dass die vier Kanäle meist in einer durch
den Genitalstrang gedachten Frontalebene verlaufen, sodass man
sie auf Querschnitten in einer Linie von rechts nach links liegen
sieht. Wenn also die Wolffschen Gänge später nicht immer und
überall in der Mitte der Vaginalwände liegen, so liegt das meist an
den weiteren Wachstumsverschiebungen. Das Vaginallumen wächst
bedeutend und dehnt sich nach dorsal- nnd ventralwärts aus,
meist so, dass die Wolffschen Kanäle ziemlich genau in der
Mitte der Seitenwände (Fig. 2, 4, 5) verlaufen, nur im untersten
Teile ist das nicht der Fall, hier findet man meistens die Kanäle
weiter dorsal in den Seitenwänden, sogar oft genug sehr weit dorsal
in der Seitenwand der Vagina (Fig. 2). Dies beruht indes nicht
auf sekundären Verschiebungen, sondern darauf, dass von vorn-
herein die Müllerschen Gänge nicht genau zwischen den Wolff-
schen Gängen in den Canalis urogenitalis einmünden können und
zwar aus dem Grunde, weil die Müllerschen Gänge an ihrem
kaudalen Ende frühzeitig so an Umfang wachsen (Fig. 8), dass
sie einen grösseren Raum beanspruchen. Links und rechts werden
sie von den Wolffschen Gängen in ihrem Ausdehnungsbestreben
gehemmt und müssen sich demnach ventral oder dorsal von letzteren
mit ihrer Hauptmasse dem Canalis urogenitalis zuwenden. Fast
immer wählen sie den Weg ventral vor den Wolffschen Gängen.
weil diese hier wie bekannt mit einem kaudalwärts gerichteten Bogen
(Mihälkovies Allantoisschenkel), in dorsoventraler Richtung
zum Urogenitalkanal verlaufen und weil an der kranioventralen
Konkavität des Bogens der geringste Widerstand geleistet wird.
Auf diese Weise kommt demnach der Wolffsche Gang ganz unten
in dem kaudalen Teil der Vagina mehr oder weniger weit dorsal
in die Seitenwand zu liegen, um erst von hier aus in dem
Hymen ventralwärts zu verlaufen (Fig. 6). Der Bogenteil des
Wolffschen Ganges wird also in den Hymen aufgenommen. —
Nur dort, wo die Wolffschen Kanäle, was ausnahmsweise vor-
kommt, nicht im Bogen, sondern mehr gestreckt in den Sinus
münden, können die Müllerschen Kanäle auch dorsokaudal von
den der Wolffschen Kanäle zum Sinus gelangen, sodass dann
späterhin die letzteren ganz ausnahmsweise auch in ihren unteren
—I
ws
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges.
Partien mehr ventral in der Seitenwand erscheinen können. Eben-
so nur ausnahmsweise dehnen sich die kaudalen Enden der
Müllerschen Kanäle schon beim Fetus von 30 mm Länge durch
starke Zunahme ihres Umfanges zugleich nach ventral und dorsal
derart aus, dass die Wolffschen Gänge in dem mittleren Teil
der Vaginalwand liegen. Hieraus erklären sich also die verschiedenen
definitiven Lagen des Wolffschen (Gartner) Gangs an seiner
Eintrittsstelle von der Vagina her in den Hymen, welche wie gesagt
in den meisten Fällen seitlich dorsal zu suchen ist (Fig. 2 u. 6).
Auch im übrigen Bereich der Vagina kommen kleinere meist
unbedeutendere Schwankungen der Lage vor. Ausser bei Miss-
bildungen freilich liegt der Wolffsche Kanal stets in der Seiten-
wand, nur nicht stets genau in deren Mitte. So kann man be-
sonders im oberen Drittel der Vagina manchmal die Kanäle seit-
lich mehr vorne finden; dieses ist schon bei Feten von ca. 30 mm
Länge zu beobachten. Auch im mittleren Drittel der Vagina kommt
das ausnahmsweise vor. Zuweilen steht das Vaginallumen auch
schief, insofern die vordere und hintere Wand nicht in der Quer-
achse des Beckens, sondern schief zu ihr liegen. In solchen Fällen
von Schiefstellung des Vaginallumens, welche zuweilen auf kürzere
Strecken vorkommt, findet man in den Seitenwänden den einen
Wolffschen Gang mehr hinten, den andern mehr vorn. Auch
dieses kann man schon bei jüngeren Feten bisweilen beobachten. —
Durch diese Ausnahmen, welche zudem nur geringe Schwankungen
abgeben, wird jedoch die Regel nur bestätigt, dass in der normalen
Vagina die Kanäle mitten in der Seitenwand verlaufen und frühestens
im unteren Drittel mehr und mehr dorsalwärts rücken, um von
hier aus in einem Bogen ventralwärts zu laufen. Der Bogen ist
mit der Konvexität bei jüngeren Feten (v. Mihalkovics Allantois-
schenkel des Wolffschen Ganges) nach kaudal und lateral ge-
richtet, lateral, weil die an Umfang wachsenden Enden der Müller-
schen Kanäle die an ihren Mündungen fixierten Wolffschen
Kanäle seitwärts drängen (s. Fig. 7). Bei älteren Feten sieht man
noch eine deutliche Konvexität kaudalwärts an der Übergangsstelle
von der Vagina zum Hymen; der weitere Verlauf ist individuell
verschieden je nach der Wölbung des Hymen. Man kann unter
günstigen Umständen den Kanal fast in seinem ganzen Verlauf
durch den Hymen auf einem oder wenigen Flachschnitten treffen
(s. Fig. 6).
774 Robert Meyer:
Die Ausmündung erfolgt bei jungen Feten bis zu zwei Monaten
meist schräg durch das Sinusepithel hindurch, schräg von lateral
nach medial; so schräg manchmal, dass die Mündungsstelle lateral
klappenartig verdeckt ist (s. Fig. 19). Diese schräge Durchbohrung
des Sinusepithels kommt erst nachträglich zustande durch die
Auseinanderzerrung der Wolffschen Gänge infolge schneller Aus-
dehnung der Müllerschen Kanäle. Je nachdem nun die Müller-
schen Kanäle ihre Ausmündung mehr ventral oder dorsal. oder
genau zwischen den Wolffschen finden, erscheinen bei älteren
Feten die Wolffschen Mündungen mehr hinten oder mehr vorn
im Hymen.
Die Mündungsstelle liegt bei älteren Feten oft ganz nahe
dem freien Rande des Hymen am Aussenblatte des letzteren;
jedoch ist es keine Seltenheit, wenn der Kanal näher der Hymen-
basis, d.h. also mehr lateral näher dem Sulcus nymphohymenalis
mündet und in einem Falle ergiesst er sich sogar direkt von
oben her in den Suleus nymphohymenalis, d.h. also an der Über-
gangsstelle des Hymen auf die Nymphe.
Es lässt sich hieraus nur erkennen, dass die Wolffschen
Kanäle entweder von vornherein individuell weit voneinander
münden, oder dass ihre Mündungen durch den Müller sekundär
individuell verschieden weit auseinander gedrängt werden. Das
erstere ist in der Tat bei Embryonen nachweisbar (vgl. Fig.7 u. 8).
Jedenfalls hängt in erster Linie von der ursprünglichen Distanz
der beiden Wolffschen Mündungen ihre definitive Stellung am
Hymen ab: war ihre ursprüngliche Distanz bedeutend, so liegt
die definitive Mündung mehr lateral, also näher dem Sulecus
nymphohymenalis; war sie hingegen anfangs gering, so erfolgt
die Mündung mehr medial auf dem Dach des Hymen und deshalb
näher dem freien Rande, entsprechend seinem halbmondförmigen
Kontour.
Die Paraurethralgänge wurden stets gänzlich unabhängig
von den Gartnerschen Gängen gefunden, sie verlaufen seitlich
und dorsal von dem Urethrallumen, in die Urethralwand selbst
eingeschlossen in sehr verschieden grosser Zahl. Zwei grössere
von ihnen, zuweilen auch drei oder vier münden am weitesten
kaudal, bei Feten meist in die Urethra selbst, seltener wie bei
Erwachsenen seitlich neben dem Urethrallumen oder hinter ihm
(Fig. 4). Die Kanäle haben bei den älteren Feten ein mehr-
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 73
schichtiges Epithel, welches dem der Urethra gleicht; an ihren
oberen Enden findet man nicht selten Verzweigungen und kleine
schleimhaltige Drüsen. Irgend eine Ähnlichkeit ist mit den
Gartnerschen Kanälen also weder histologisch noch topographisch
zu finden und dies gleichzeitige unabhängige Vorkommen beider
(rangsysteme in sämtlichen Fällen von Persistenz des Gartner im
unteren Abschnitt überhebt uns der Mühe, auf die irrige Ansicht
‚früherer Autoren einzugehen, welche die Paraurethralgänge für
den Gartner hielten. Über die Bedeutung der Paraurethralgänge
siehe unten.
Die Wolffschen Kanäle liegen bei älteren Feten in ihrem
ganzen Verlauf durch die Scheide meist etwas näher dem Epithel
der Vagina, als dem paravaginalen Gewebe; schon im zweiten Monat
des Fetallebens kann man hier eine Verschiedenheit zwischen dem
späteren Uterusgebiet und dem der Vagina eintreten sehen. Bei
Feten von ca. 30—40 mm Länge sieht man bereits im Uterusgebiet
des Genitalstranges eine nicht unbeträchtliche, wenn auch individuell
je nach der Ausdehnung der Kanäle verschieden breite binde-
gewebige Trennungsschicht zwischen den W olffschen und Müller-
schen Gängen; erst im Querschnittsniveau unterhalb der Ureteren-
mündung in die Blase nähern sich die Gänge bedeutend und
sind nur durch eine sehr dünne bindegewebige Schicht, anfangs
nur von einer Zellbreite, getrennt. Natürlich nähern sich die
Gänge nicht wörtlich genommen, sondern sie entfernen sich
weniger weit voneinander. Die Distanz der beiden Wolffschen
Gänge voneinander wächst zwar ebenfalls, aber gleichzeitig wächst
auch das Vaginallumen entsprechend in die Quere.
Im Hymen liegt der Kanal meist ziemlich gleichweit von
dem äusseren und inneren epithelialen Blatte entfernt bis in die
Nähe der Mündung.
Bei einer Erwachsenen hatte ich in der Mackenrodtschen
Klinik Gelegenheit, am freien Hymenalrande die Öffnung eines
Kanales zu sehen, der sich nach hinten zu etwa I cm lang sondieren
liess; es handelte sich um eine Patientin mit Defekt der hinteren
Urethralwand und Spalte des Blasenhalses. Die öfters gemachte
Beobachtung, dass der Gartner bei Hemmungsbildungen ver-
schiedener Art mit Vorliebe persistiert, fordert auf, in solchen
Fällen auf seine Mündung bei der Erwachsenen öfters zu achten.
776 Robert Meyer:
Es sei bemerkt, dass die Gartnerschen Kanäle unterhalb
ihrer Ampulle homolog den Ductus ejaculatorii des Mannes sind
und sich vor diesen durch eine viel bedeutendere Länge auszeichnen,
vorausgesetzt. dass sie ununterbrochen persistieren.
Gestalt und Lumen des Kanals.
Ursprünglich ist das Lumen des Wolffschen Kanals im
ganzen Bereich der späteren Vagina zylindrisch, auf dem Quer-
schnitt also rund und sehr eng, bald aber erweitert sich der Kanal
besonders im unteren Teil und zwar ist er schon bei Feten von
2,8—5,0 cm dilatiert; das im Bogen zur Mündung verlaufende
unterste Ende hingegen bleibt bei kleinen Feten meist etwas enger.
Die grösste dauernde Erweiterung erfährt der Kanal, wie
beschrieben, in der Cervix uteri, diese der Ampulle des vas deferens
homologe Stelle, also kurz die „Ampulle“, erstreckt sich in das
Vaginalgewölbe (s. Fig. 9) und zuweilen auch bis in die oberste
Partie der vaginalen Seitenwand abwärts.
Bei kleinen Embryonen kann man freilich nicht genau die
Grenze zwischen Vagina und Cervix angeben. Die Ampulle ist
zuerst, wie oben geschildert, nur als eine zylindrische Erweiterung
des Kanals kenntlich und wird ausnahmsweise schon bei Feten
des zweiten Monats gefunden. Später wird unter dem Einfluss
des straffer werdenden Bindegewebes die Form der Ampulle mehr
scheidenförmig mit unregelmässigen Konturen, auf dem Querschnitt
also mehr schlitzförmig, wie man bei Feten bereits des vierten
Monats deutlich sehen kann.
Auch in dem obersten Teil der Vagina tritt diese Form-
veränderung in geringerem Grade ebenso frühzeitig auf und im
fünften Monat machen sich zuweilen schon Andeutungen von
Ausstülpungen, kleine Ausbuchtungen bemerkbar. Im siebten
Monat ist die Ausdehnung der Ampulle bereits viel erheblicher
und ebenso wie in der Üervix sind in diesem Alter auch im obersten
Teil der Vagina, wenn auch im geringeren Grade, fast immer Aus-
stülpungen vorhanden. Die Form und Ausdehnung des Lumens
ist freilich sehr verschieden, meist aber lässt sich als Hauptkanal
auf Querschnitten ein länglicher von vorn nach hinten gerichteter
Schlitz unterscheiden, von welchem einzelne unregelmässige Aus-
stülpungen abgehen (s. Fig. 10).
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 777
Auch im weiteren Verlauf nach unten nimmt der Kanal bei
älteren Feten, wenn er nur einigermassen sich ausdehnt, durch
die konzentrischen Bahnen des vaginalen Bindegewebes gezwungen,
Scheidenform an und liegt dann als Schlitz auf dem Querschnitt
meist von vorn nach hinten gerichtet; wenn jedoch die betreffende
Partie der Vaginalwand sich als Falte in das Vaginallumen erhebt,
so wird mit der Umwandlung der konzentrischen Faserrichtung
des Bindegewebes in radiäre Bahnen auch der Wolffsche Kanal
in diese Stellung gezwungen, sodass auf dem (@uerschnitt der
Schlitz von rechts nach links gerichtet ist. Mit kurzen Worten,
die Gestalt und Richtung des Lumens hängt ganz mechanisch
von dem Druck und der Richtung des umgebenden Bindegewebes
ab. Ausstülpungen kommen normalerweise in der Vagina, ausser
im obersten Teil nicht vor.
Uystische Erweiterung des Kanals habe ich bei einem sieben-
monatlichen Fetus im Hymen gesehen, obgleich eine deutliche
Ausmündung vorhanden ist (Fet. 143). Die durch Epithelpro-
liferation bedingten Erweiterungen des Kanals werden wir noch
unten besprechen.
Ebenso wie die einzelnen Fälle hinsichtlich des Kalibers
voneinander verschieden sind, so kommen auch in Fällen mit
doppelseitigem Wolffschen Kanal starke Unterschiede beider
Seiten vor (Fet. 248).
Die Mündung der Wolffschen Gänge bei jungen Feten
haben wir schon oben erwähnt, sie ist meist eng und erfolgt
mehr weniger schräg durch das Epithel des Canalis urogenitalis
(Sinusepithel) hindurch. Bei älteren Feten ist das „Sinusepithel“,
welches den Hymen aussen bekleidet, sehr viel mächtiger, die
Mündung ist dadurch erschwert und wird leicht verlegt oder am
gehärteten Präparat schwer nachweisbar; hier hilft nur die Ver-
folgung an Serienschnitten, wenn der Spalt im Piattenepithel des
Hymen nicht noch von eigenem Epithel des Wolffschen Ganges
bedeckt ist. Meist ist die Mündung eng, lang schlitzförmig, aus-
nahmsweise auch trichterförmig, nämlich aussen weiter als innen
(Fig. 11, Sign. 145 und 175). In einem Falle (Sign. 136) mündet
der Kanal in den Suleus nymphohymenalis ebenfalls als enger
langer Schlitz.
778 Robert Meyer:
Das Epithel des Gartnerschen Kanals.
Das Epithel des Kanals ist anfangs einschichtig, zylindrisch
mit ovalem Kerne und bleibt nicht selten dauernd so im ganzen
Verlauf der Vagina (Fig. 12), nur im Hymen ist bei älteren
Feten das einschichtige zylindrische Epithel geradezu selten. Es
gibt kein normales Organ, in welchem das Epithel solchen
Schwankungen unterläge, wie im Wolffschen Gange in der
Vagina und im Hymen. Einschichtiges, mehrschichtiges, viel-
schichtiges, hochzylindrisches, kubisches und plattes Epithel und
vielgestaltige Übergangsformen finden sich nicht selten in ein
und demselben Kanal manchmal schroff nebeneinander, zuweilen
auch im allmählichen Übergange.
Die Umwandlung in vielschichtiges Epithel findet sich vor-
nehmlich im untersten Drittel der Vagina, aber auch nicht selten
weiter oben und in einem Falle (Sign. 136) ist der eine Kanal
nicht nur in der ganzen Vagina, sondern noch in der Portio
mehr- und vielschichtig, während der andere Kanal desselben
Falles nur im untersten Teil der Scheide mehrschichtiges Epithel,
sonst überall einreihig zylindrisches aufweist.
Die Mehrschichtung ist manchmal in ein und demselben
Kanale einseitig früher ausgebildet (Fig. 13), meist jedoch all-
seitig zu finden, wenn auch ungleich: der Epithelsaum ist infolge-
dessen oft unregelmässig wellig, zuweilen sogar geradezu papillär.
Diese Mehrschichtung beginnt schon zuweilen (s. Fig. 14)
im fünften Monat: so sehen wir in einem Fall (Sign. 149) an
einem kleinen Rest des Wolffschen Kanals im oberen Teil der
Vagina mehrschichtiges Epithel, deren unterste Lage aus dunk-
leren flachen Zellen besteht, während die anderen drei bis vier
Reihen kubisch, zum Teil zylindrisch sind. Bei einem anderen
Fetus im sechsten Monat dagegen ist ebenfalls im obersten Teil
der Scheide das Epithel des Wolffschen Kanals in der untersten
Reihe zylindrisch mit schlankem dunklem Kern, während die übrigen
Reihen aus Blasenepithel ähnlichen Übergangszellen bestehen.
Auch bei den älteren Feten und Neugeborenen zeichnet sich
oft die äusserste Zellreihe durch zylindrisches Format und inten-
sivere Färbung aus, besonders der ovalen manchmal pallisaden-
förmigen Kerne, während die übrigen Zellreihen zum Teil
zwar auch zylindrisch, meist jedoch unregelmässigere Zellformen,
Übergangsformen haben; auch sind in den oberen Zellreihen,
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 779
zuweilen auch in der untersten Reihe, die Zellen gross und blass
mit rundlichen grossen Kernen und einzelnen Chromatinkörnern.
Je vielschichtiger, desto stärker die Umwandlung der Zellen in
diese grossen blassen Zellformen. Auch Vakuolen kommen im
vielschichtigen Epithel vor (Sign. 136). Diese Vakuolenbildung
scheint aber mehr durch Überbrückung seitens unregelmässig
in das Lumen vorwachsender Vorsprünge, als durch sekundäre
Vakuolisierung zu entstehen. Solche von grossen dem sogenannten
Übergangsepithel ähnlichen Zellen bekleideten Abschnitte des
Gartner (s. Fig. 15) erinnern zuweilen lebhaft an den Ureter
und können wohl mit ihm verwechselt werden; hier kann nur
der Verlauf des Kanals im weiteren Verfolg differentialdiagnostisch
entscheiden; auch hat der Ureter seine eigene starke Wandung.
Besonderer Erwähnung bedarf das Epithel an der Mündung
des Kanals. Wir sahen schon bei Feten des zweiten Monats
deutlich das mehrschichtige Epithel des Canalis urogenitalis
von dem der Wolffschen Kanäle durchbrochen (Fig. 7 u. 8),
wobei sich das Epithel der letzteren direkt dem ersteren anlegt.
Lateral von der Mündung der Kanäle pflegt das Sinusepithel
mehrschichtig zu sein, während es medial meist einschichtig bleibt
infolge einer Spannung, welche diese als Müllerscher Hügel
bekannte, vorspringende Partie durch die vordrängenden Wolff-
schen und Müllerschen Kanäle erleidet. Zuweilen ist nur die
laterale Wand des Wolffschen Ganges an seiner Mündung im
Plattenepithel des Canalis urogenitalis von seinem eigenen Epithel
bekleidet, während an der medialen Seite das Eigenepithel fehlt.
Bei älteren Feten findet man die Epithelverhältnisse an der
Mündung recht verschieden; in einzelnen Fällen bleibt das ur-
sprüngliche Grenzverhältnis bestehen. Der Wolffsche Kanal
tritt unvermittelt an das Plattenepithel des Vestibulum heran,
durchdringt es in Schlitzform, wobei das Wolffsche Epithel in
diesem Schlitz direkt dem Plattenepithel aufliegt.
In Längsschnitten durch die Mündungsstelle ist dies leicht
ersichtlich (Fig. 16), aber in Querschnitten ist das meist schwer
zu sehen. Erstens flacht sich nämlich das Wolffsche Epithel
bis zu Endothelformen ab und sodann wird es sehr leicht abge-
stossen; in einzelnen Fällen sicher postmortal, in anderen aber
auch wohl schon vorher, da auch das Plattenepithel in der Mündung
oft in Abstossung begriffen ist (Fig. 17).
780 Robert Meyer:
In einer zweiten Reihe von Fällen tritt der Gartnersche
Kanal nicht unvermittelt an das Vestibularepithel heran, sondern
letzteres sendet einen Zapfen in die Tiefe, welcher den Kanal
entweder auf allen oder mehreren Seiten oder nur auf einer
Seite begleitet. Aber hier kommt es leicht zu der Täuschung,
als ob das Plattenepithel einen Teil des Wolffschen Kanals direkt
auskleide, während bei einigen Objekten mit Sicherheit zu er-
kennen ist, dass das Epithel des Kanals dem Plattenepithel aufliegt.
Endlich gibt es auch einzelne Fälle, in welchen die trichter-
förmige Mündung gänzlich mit dem hymenalen Plattenepithel
ausgekleidet ist, in denen sich also das vestibulare Epithel nicht
aussen um den Wolffschen Gang als eine Art Umhüllung an-
legt, sondern inwendig im Kanal liegt. An einzelnen Stellen
sieht man dann, wie aus der beigegebenen Abbildung ersichtlich,
in der äussersten Epithelreihe noch Reste des Wolffschen
Epithels, während das basale Epithel an den übrigen Stellen dem
hymenalen gleicht (siehe Fig. 18).
Diese Veränderungen an der Mündung des Wolffschen
Kanals bei älteren Feten bedürfen einer Erklärung. G. Klein,
welcher in seinen zwei Fällen von Einmündung des Gartner-
schen Ganges im Hymen lateral einschichtiges, dagegen medial
vielschichtiges Epitbel in der Mündung fand, also ein Verhältnis,
wie es schon bei unseren jungen Feten (siehe Fig. 7 und 8)
zu beobachten ist, schloss hieraus auf die Abspaltung des Müller-
schen Ganges aus dem Wolffschen. Diese Hypothese hat auch
in ihren übrigen Beweismomenten versagt, wie ich bereits früher
(l. ec.) besprochen habe, und durch die hymenalen Plattenepithel-
befunde am Wolffschen Gang wird sie ebenfalls nicht gestützt,
denn es handelt sich gewiss nicht um eine Verwandlung des ein-
fachen W olffschen Epithels in mehrschichtiges, wie im übrigen
Bereiche des Kanals, sondern um hymenales also vestibulares,
vom Canalis urogenitalis abstammendes Plattenepithel. Der
Unterschied beider Epithelarten ist geradezu schroff; wir sehen
ausserdem beide Arten, nämlich das mehrschichtige Wolffsche
und das vestibulare Epithel nebeneinander und sehen ferner, wie
das Wolffsche Epithel auf das hymenale sich auflegt und durch
das letztere hindurchzieht (Fig. 16 u. 17).
Wir brauchen nur daran zu erinnern, dass überall, wo zwei
Epithelarten aufeinander stossen, ähnliche Unregelmässigkeiten
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 751
vorkommen. — Das Herunterwachsen des entodermalen Platten-
epithels aussen unter dem Wolffschen Epithel wird wahrschein-
lich begünstigt durch Wachstumsdifferenzen an der Mündung
zwischen dem physiologisch überflüssigen Wolffschen Epithel
und dem im starken Längenwachstum begriffenen Bindegewebe
des Hymens.
Findet sich ausnahmsweise das vestibulare Plattenepithel
über eine längere Strecke im Mündungstrichter, so ist entweder
das Wolffsche Epithel innen im Trichter verloren gegangen,
was sich bei der physiologischen Epithelabschilferung schon früh-
zeitig ereignen kann, oder das Plattenepithel ist von der Mündung
her noch weiter in den Kanal vorgedrungen und hat das Wolff-
sche Epithel ersetzt, oder schliesslich die ursprüngliche Mündung
ist verlängert worden durch das Längenwachstum des Hymen
Dieses ist wohl denkbar, wenn der Wolffsche Kanal Sekret aus-
stösst, sodass seine Öffnung nicht verlegt werden kann. Der
Kanal würde also in diesem Falle sozusagen ein neues vestibulares
Mundstück erhalten.
Die einseitige, nämlich mediale Wandbekleidung der Mündung
des Gartner mit Hymenalepithel, wie sie in der Tat manchmal
vorkommt, erklärt sich auch einfach aus den in Fig. 7 und 8
abgebildeten Befunden beim kleineren Fetus. Durch die seitliche
Auseinanderdrängung der Mündungstellen infolge der Ausdehnung
des kaudalen Vaginalendes durchbohren die Wolffschen Kanäle
das (später hymenale) Sinusepithel mehr schräg von lateral her;
die laterale Wand der Kanäle wird dabei dem Sinusepithel quasi
überlagert. Möglicherweise könnte hieraus eine dauernde Aus-
kleidung der medialen Wand des Kanales mit Hymenalepithel an
seiner Mündung resultieren.
Die Tunica des Gartnerschen Kanals.
Überall, wo ein Lumen sich dilatiert, werden die umgebenden
Bindegewebs- oder Muskelzüge in das Gefolge der Konturen, also
meist in zirkuläre, konzentrische Züge geordnet. Derartige
Mäntel bedeuten keine Eigenhüllen von Haus aus, sondern sind
nachträglich der Umgebung entlehnt. Eine nennenswerte Tunica
im Verlaufe durch Vagina und Hymen besitzt der Wolffsche
Kanal nur selten und im geringen Maße. Wohl sieht man schon
gelegentlich bei Feten des dritten Monats eine durch stärkere
782 Robert Meyer:
Kernfärbung ausgezeichnete dichte Zellreihe an einzelnen Stellen
den epithelialen Kanal umspinnen, an anderen hingegen weniger
oder gar keine eigene Tunica (vgl. Fig. 12, 13, 14 u. 15).
Ebenso ist es bei älteren Feten; hier ist ebenfalls die
Tunica meist nur stellenweise vorhanden oder eben angedeutet;
eine leichte Tunica findet sich z. B. bei einem siebenmonatlichen
Fetus (Sign. 145). In Figur 12 ist die Tunica dieses Falles
an der Stelle ihrer stärksten Ausbildung wiedergegeben, sie
besteht im wesentlichen aus zirkulären Spindelzellen, welche im
Vergleich zur Umgebung etwas dichter angeordnet sind. Man
sieht, diese Tunica ist unbedeutend und doch handelt es sich
hier um einen der wenigen Fälle, in welchem eine beachtens-
werte Tunica auf grösseren Strecken in der Vagina zu finden war.
In einem anderen Falle ist sogar ausser einer inneren
zirkulären noch eine longitudinale Aussenschicht an einzelnen
Strecken wahrnehmbar, wodurch sich die Tunica als Eigentum
des Kanals noch besser legitimiert, aber die Regelmässigkeit in
der Anordnung lässt auch hier zu wünschen übrig und im
ganzen unteren Bereich der Vagina fehlt dem Kanal die Tunica.
Man kann also sagen, dass im allgemeinen eine nennens-
werte Tunica in der Vagina des Kanals fehlt und wo eine solche
im oberen Teil der Vagina vorhanden ist, sie aus wenigen Lagen
zirkulärer Spindelzellen mit reichlich faserigem Zwischengewebe
besteht. — Die Tunica ist gewöhnlich der Weite des Kanals
angemessen; kleine, wenig umfangreiche Reste haben überhaupt
keine Tunica.
Der Gartner als Zeuge der Entwicklung des weib-
lichen Urogenitalkanales, insbesondere der Vagina.
Aus meinen Befunden geht ohne weiteres klar hervor,
dass die Mündungen des Gartnerschen (Wolffschen) Kanales
ihre ursprüngliche Stelle am Müllerschen Hügel, also neben
der Ausmündungsstelle der Vagina bewahren: trotzdem im vierten
Fetalmonate durch das Längenwachstum der Vagina und die
Umwandlung des Canalis urogenitalis in das Vestibulum der
Müllersche Hügel beim Weibe als solcher mehr zurücktritt,
sodass die Mündungsstellen der Urogenitalgänge nicht immer
bürzelförmig vorspringen, so bleiben doch diese Mündungsstellen
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 185
(Wolffsche und Müllersche) unmittelbar nebeneinander liegen;
ebenso wie beim Manne die Mündungen der Ductus ejaculatorii
und der Utrieulus prostatieus.
Demnach wird der Müllersche Hügel, trotzdem er nicht
wie beim Manne bürzelförmig bestehen bleibt, in seinem Zusammen-
hange erhalten und wird zum Hymen, wie schon v.Mihälkovics
hervorhebt; wo der Hymen nicht zirkuläre Form hat, sondern
nur eine semilunare Klappe bildet, da ist die ventrale Partie des
Müllerschen Hügels zur Bildung des Vestibulum ventral vor
der Hymenalöffnung verwendet.
Zugleich geht mit Gewissheit daraus hervor, dass die
Vagina räumlich betrachtet aus den Müllerschen Kanälen ent-
stehen muss, sodass alle Hypothesen (noch neuerdings Retterer,
Bolk) über die Entstehung der unteren Hälfte der Vagina durch
frontale Aufteilung des Sinus urogenitalis wenigstens für den
Menschen hinfällig sind. Wenn diese Hypothese richtig wäre,
so dürften nämlich die Gartnerschen Kanäle nur bis in den
oberen Teil der Vagina hinabreichen und müssten hier in diese
einmünden und solchermassen die Grenze zwischen dem aus
Müllerschem Epithel hervorgegangenen oberen und dem aus
dem Sinus urogenitalis entstandenen unteren Vaginalabschnitte
markieren.
Einzelne Literaturangaben über vaginale Ausmündung der
(Gartnerschen Gänge (es findet sich eine Zusammenstellung
der Literatur bei Polidor, Des canaux de Gartner etc. These.
Bordeaux 1901) beruhen auf klinischen Beobachtungen und sind
sämtlich gänzlich unbrauchbar. Immerhin wäre eine sekundäre
Kommunikation eystisch dilatierter Gartnerscher Kanäle durch
Perforation in das Lumen des Uterovaginalkanals nicht unmöglich.
Nur bei Hemmungsbildungen verbleibt gelegentlich die Ein-
mündung der Vagina in den Sinus urogenitalis. In einem solchen
Falle (Zeitschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 47, Heft 3) fehlte der Hymen,
und die Gartnerschen Kanäle verliefen aus dem Uterus durch
die Vagina ununterbrochen bis zur Stelle der vaginalen Ein-
mündung in den Sinus. Der eine Gartner endete blind, der
andere mündete unmittelbar neben dem Rande der schlitzförmigen
Vaginalöffnung.
In diesem Falle fehlte nur ein kleiner Abschnitt von der
normalen Länge der Vagina. — Die Gartnerschen (Wolffschen)
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 51
754 Robert Meyer:
Kanäle münden also unter allen Umständen und zu allen Zeiten,
wenn nicht etwa pathologische Gewebsverschiebungen ietwa Ent-
zündungen) vorkommen, neben der Vagina, normalerweise an
oder seltener neben dem Hymen. — Die Mündungsstelle des
(sartner ist die gegebene Marke, die normale Entwicklung der
Vagina in ihrer ganzen Länge aus den Müllerschen Gängen
völlig sicher zu stellen und deshalb wäre es von Werte, von
diesem (Gesichtspunkte aus vergleichende Untersuchungen bei
Tieren vorzunehmen. Freilich darf man nicht die paraurethralen
Gänge (Skene) oder Abnormitäten der Ureteren heranziehen,
sondern muss Fälle ausfindig machen, in denen wie bei unseren
Fällen die Kanäle zum Teil mindestens von der Ampulle aus
verfolgt werden können. Nochmals sei hervorgehoben, dass ich
ebenso wie v. Ackeren und Klein die paraurethralen Kanäle
stets absolut unabhängig von den Gartnerschen Kanälen traf.
Die Mündung der sogenannten Skeneschen Gänge erfolgt bei
Feten meist in dem unteren Teil der Harnröhre, bei Erwachsenen
auch neben der Urethralmündung; die gleichzeitige Verfolgung
dieser beiden verschiedenen Kanalsysteme (Gartner und Skene)
in völliger Unabhängigkeit voneinander auf Serienschnitten macht
jede Spekulation überflüssig. — Das unterste Ende der weiblichen
Urethra, hinter welcher Vagina und Gartner münden, also das
Orificum urethrae entspricht offensichtlich der Stelle, an welcher
oder hinter welcher die Genitalkanäle in den Oanalis oder Sinus
urogenitalis ursprünglich münden. Der Sinus urogenitalis weitet
sich also, wie das allgemein angenommen wird, zum Vestibulum
auf und zwar aufwärts bis zur Stelle, wo die Genitalkanäle und
die Urethra einmünden; die Umgebung der weiblichen Urethral-
mündung und der untere Teil der weiblichen Urethra selbst
entspricht also topographisch vollkommen der pars prostatica
der männlichen Urethra, sodass die Homologie der peri- und
paraurethralen Kanäle mit der Prostata topographisch völlig
begründet ist. Die Länge der weiblichen prostatischen Kanäle
ebenso wie die Länge der weiblichen Ductus ejaculatorii (des
Gartner) im Vergleich mit den homologen Teilen des Mannes
erklärt sich durch das stärkere kaudale Längenwachstum des
weiblichen Urogenitalsystems (Vagina, Urethra prostatica).
An anderer Stelle (Vers. Deut. Naturf. und Ärzte zu Cöln
1908) habe ich demonstriert, dass bei beiden Geschlechtern zwar
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 785
in gleicher Weise die Müllerschen Kanäle zu allen Zeiten der
Entwicklung zwischen den Wolffschen Kanälen ausmünden,
sodass wie beim Weibe die Vagina, so auch beim Manne der
Utrieulus prostaticus dem Raume nach aus den Müllerschen
Kanälen entstehen muss. Dennoch besteht ein bedeutsamer
Unterschied zwischen beiden Geschlechtern, insofern beim männ-
lichen das den Müllerschen Hügel bekleidende Epithel des
Canalis urogenitalis in den Utriculus eindringt und besonders
dessen kaudalen Teil mit zylindrischem Epithel überzieht und
später typische prostatische Drüsen darin bildet, sodass der
Utriculus prostaticus nur räumlich seiner ganzen Länge nach
aus den Müllerschen Kanälen entsteht. Beim weiblichen Ge-
schlechte habe ich eine derartige Auskleidung der Vagina mit
prostatischem) Epithel des Canalis urogenitalis zu keiner Zeit
der Entwicklung angetroffen und kann daher die Entwicklung der
Vagina nicht nur räumlich, wie oben gezeigt, sondern auch dem
Material, insbesondere dem Fpithel nach nur aus den Müller-
schen Kanälen beim Menschen ableiten.
Es geht überdies, nebenbei bemerkt, aus einigen Fällen
von rudimentärer Vagina, in welchen der eine von den beiden
Müllerschen Gängen oder beide den Canalis urogenitalis über-
haupt nicht erreichen, mit Sicherheit hervor, dass das Müllersche
Epithel sich in das vaginale Plattenepithel umwandelt.
Allgemeine Bemerkungen über Persistenz.
Viel auffälliger als die Länge der Paraurethralgänge, ist der
nicht seltene Befund, dass die Gartnerschen Kanäle das kolossale
Längenwachstum der Vagina mitmachen. Dieses korrelative Mit-
wachsen der meist rudimentären Reste des Gartner hat Kocks
als gesetzmässig hinstellen wollen, indem er von der falschen
Voraussetzung ausging, dass die Skeneschen Kanäle die Über-
reste der Wolffschen Kanäle seien. Das korrelative Wachstum
ist aber etwas Selbstverständliches für die physiologisch mit-
wachsenden Teile, und daher für die weibliche Prostata nichts
anderes, als für die Urethra selbst. Dagegen ist das korrelative
Längenwachstum der weiblichen Ductus ejaculatorii nicht gesetz-
mässig, sondern wie die Zahl der Befunde lehrt, eine Ausnahme
und es erweckt den Anschein, als ob gerade das starke Längen-
51*
786 Robert Meyer:
wachstum des Genitalkanals im allgemeinen eine ausgedehnte
Persistenz verhinderte. Es wäre das ja auch nicht mehr als
natürlich, wenn man voraussetzt, dass die zur funktionellen
Untätigkeit verurteilten fetalen Organreste von Haus aus eine
gewisse Wachstumsschwäche haben. Tatsächlich kommt beim
Manne die Persistenz von Resten des Müllerschen Ganges meist
nur im kranialen und kaudalen Teile vor (Morgagnis ungestielte
Hydatide und Utriculus prostaticus), während der dazwischen
liegende Teil längs der Vasa deferentia verschwindet. Dieser
Teil des Wolffschen Ganges macht ein sehr starkes, Längen-
wachstum durch, während das Fimbrienende der Tube beim
Manne weniger gedehnt wird und der Utriculus prostaticus
(Vagina masculina) im Vergleich zur weiblichen Vagina sehr
kurz bleibt.
Auch beim Weibe finden sich Prädilektionsstellen für die
persistenten Reste des Gartner, nämlich in erster Linie am
Epoophoron, sodann die Ampulle und schliesslich die Reste im
untersten Teile der Vagina und im Hymen. Für die Persistenz
des Ductus Epoophori und für die der Ampulle käme in Betracht,
dass diese Teile entsprechend ihrer wichtigeren funktionellen
Inanspruchnahme in der Palingenese eine grössere Wachstums-
begabung bewahren. Warum jedoch der kaudalste Teil der
Wolffschen Gänge leichter persistiert, als der Teil im mittleren
Vaginalabschnitt oder der im Parametrium gelegene, das ist
schwer zu entscheiden. Vielleicht ist das stärkere Längenwachs-
tum für den Schwund der Kanäle in den beiden letztgenannten
Abschnitten massgebend.
Jedenfalls scheint mir von den beiden genannten Momenten
von grösserer Bedeutung für die Persistenz der fetalen Organ-
reste die grössere funktionelle Bedeutung der einzelnen homologen
Teile beim Manne. Das Längenwachstum dagegen fördert nicht
auf korrelativem Wege, sondern hemmt eher die Persistenz der
fetalen Organreste.
Einzelne Autoren (Herbst u. a.) nehmen an, dass die Keim-
drüse die Entwicklung der heterosexuellen Geschlechtsanlagen
hemme: man könnte demnach glauben, dass in Fällen mit stärkerer
Persistenz des Gartner diese Hemmung versagt habe. In den
von mir untersuchten Fällen waren jedoch die Ovarien völlig
normal ausgebildet. — Die auffällige Tatsache, dass bei rudimen-
—
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges.
tären Genitalien, insbesondere bei Uterus unicornis, der Gartner
besonders hohe Grade der Ausbildung erreicht, lässt sich auch
nicht ohne weiteres auf Perversion der Sexualdrüsen beziehen,
da die hochgradige Persistenz auch bei normalen Genitalien und
auch bei anderen Missbildungen vorkommt und mit vielen Ab-
normitäten auch aussersexueller Organe oft verbunden ist.
Mir scheinen vielmehr allgemeinere Einflüsse den Reiz zur
Persistenz der fetalen Organreste abzugeben, weil ich zugleich
mit der grösseren Organpersistenz bei beiden Geschlechtern häufig
eine starke, manchmal ungewöhnlich starke Ausbildung aller
accessorischen Geschlechtsdrüsen vergesellschaftet finde. Ob hier
nun Variationen im Keime bedingt sind, vielleicht unter Sum-
mierung gleichartiger ererbter Potenzen beider Eltern, oder ob
hier auch besondere Stoffwechselprodukte (wie Halban für die
Prostata meint) bei der plazentaren Ernährung mitwirken, kann
nicht näher erörtert werden.
Abnormitäten und Pathologie des Gartner.
Unter den Abnormitäten des Wolffschen Kanals kann man
hauptsächlich nur von denen der Gestalt und des Verlaufs sprechen,
denn die Abnormitäten des Baues, insbesondere die starke Viel-
schichtigkeit des Epithels gehen derartig schrittweise von Fall
zu Fall, dass man eine Grenze des Normalen kaum angeben kann.
Wichtig für die Pathologie ist zu wissen, dass vielschichtiges
Epithel, ja auch Plattenepithel in Resten des Kanals in der
Vagina bei Erwachsenen vorkommt. Einen derartigen Fall mit
sehr wechselndem Epithel hat Vassmer beschrieben und ich
selbst besitze einen Fall, in welchem unbedeutende Reste des
Kanals zum Teil einschichtiges Epithel, an anderen Stellen ge-
schichtetes Plattenepithel zeigen in einer Vagina, welche von der
Portio aus durch Careinom stark zerstört ist. Auch habe ich
eme ÜOyste der vaginalen Vorderwand mit einschichtigem Epithel
gesehen, welches stellenweise in mehrschichtige Plattenepithel-
haufen übergeht. : Ob hier eine Cyste des Gartner vorliegt, lässt
sich nicht genau sagen. |
| Die Abnormitäten des Verlaufes können primäre und
sekundäre sein; einen Fall habe ich früher beschrieben, welcher
besonderes Interesse zu entwicklungsgeschichtlicher und in
788 Robert Meyer:
Ä
klinischer Beziehung verdient. Es handelt sich um einen höchst-
wahrscheinlich von vornherein blind endigenden Wolffschen
Kanal, welcher also die Kloake vermutlich nicht ganz erreicht
hat. Infolgedessen blieb die Uretermündung am Woltffschen
Kanal, sodass dieser durch die Nierensekretion in Vaginal- und
Uteruswand in eine Cyste verwandelt wurde. Im unteren Teil
verläuft dieser eystische W olffsche Kanal in der vorderen Vaginal-
wand und es ist anzunehmen, dass zwischen den beiden Wolff-
schen Kanälen nicht genügend Raum zur Mündung beider
Müllerscher Kanäle übrig blieb. ') Das abnorm enge Zusammen-
liegen der beiden Wolffschen Mündungen habe ich einmal bei
einem Fetus von 30 mm Länge gesehen, sodass die Müllerschen
Gänge sich weiter nach hinten bequemen mussten; in solchen
Fällen kann also ausnahmsweise der Gartner aus der Vaginal-
wand in gestreckter Richtung mehr vorn in den Hymen münden,
ohne ihn erst in dorsoventraler Richtung zu durchziehen.
In einem Falle von Uterus unicornis mit rudimentärem
Nebenhorn (Sign. H. R.) zieht der linke Wolffsche Gang in der
Seitenwand der Vagina oben allmählich weiter nach vorn und
schliesslich ganz in die Vorderwand, der rechte Wolffsche Kanal
aber zieht bereits aus der Portiovorderwand in die vaginale Vorder-
wand, sodass beide Kanäle schliesslich kaum 1 mm Distanz
haben. Diese abnorme Nachbarschaft kann nur primär sein,
und wenn beim ausgetragenen Kind die Distanz kaum 1 mm
beträgt, so wird im zweiten Fetalmonat gewiss kein Zwischen-
raum für die Müllerschen Kanäle übrig geblieben sein.
Als eine sekundäre Verlaufsstörung wäre eine Kommunikation
der Wolffschen Kanäle mit dem Uterus oder Scheidenlumen
anzusehen; bei einem Fetus von 19 cm (Sign. 154) liegt das
Epithel eines Wolffschen Kanals an einer Stelle dem Scheiden-
epithel unmittelbar an, sodass eine Kommunikation, wenn sie noch
nicht bestanden hat, vielleicht später eingetreten sein würde. Über
und unter dieser Stelle verläuft der Kanal in der normalen Ent-
fernung vom Vaginallumen.
v. Reeklinghausen erwähnt bekanntlich auch eine Ein-
mündung des Gartner in die Cervix uteri. — Die klinische
') Einen ähnlichen Fall hat früher schon Tan gl] bei einer Erwachsenen
beschrieben und kürzlich fand ich bei einem männlichen Fetus im dritten
Monat das gleiche.
rr = a Y -Q
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges 139
Diagnose solcher Fälle ist, wie oben erwähnt, ohne anatomische
Bestätigung wertlos; jedoch liesse sich sehr wohl das Fehlen
der Einmündung eines Ureters in die Blase nachweisen und
daraus eventuell die Einmündung des Ureters in einen cystischen
Wolffschen Gang erschliessen, der vielleicht auch in die Vagina
perforieren kann.
Eine besondere Bedeutung, ausser die der Üystenbildung.
scheint der Gartner in der Vagina und dem Hymen nicht zu
haben für die Pathologie dieser Organe. Die Vielschichtigkeit
des Epithels könnte bei Erwachsenen zur Diagnose auf eine
maligne Neubildung führen: so berichtet Leisewitz (Zeitschr.
f. Geb. u. Gyn., Bd. 53) über einen Gartnerschen Gang im
„paravaginalen Gewebe“ mit drüsigen Verästelungen und
vielschichtigem Epithel. Der Uterus wurde daraufhin exstirpiert.
Eine im hinteren Scheidengewölbe befindliche Oyste rechnet er
wohl nicht mit Recht zum Gartner.
Kanäle, Cysten usw. im paravaginalen Gewebe werden
zuweilen mit Unrecht auf den Gartner zurückgeführt. Die
Gartnerschen Kanäle verlaufen stets in der Vaginalwand selbst,
wie oben geschildert, niemals im paravaginalen (Gewebe.
Careinom könnte allenfalls im obersten Teil der Scheide
und im Vaginalgewölbe aus den Verzweigungen der Ampulle
entstehen. In einem der beiden von mir beschriebenen Carcinom-
fälle des Gartner in der Üervix war der Gartner auch im
obersten Teil der Scheide adenomatös gewuchert (siehe Fig. 18),
worauf ich hier nicht näher eingehen werde.
790
Robert Meycr:
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIX u. XXX.
Fie.
Fig.
Fig.
Fig.
ie. 1B.
Ampulle des Gartnerschen L.p. — Laguear posterius vaginae
Ganges M.G.= Müllersche Gänge
Gervix uteri P. = Parametrium
Clitoris Par. — Paraurethrale Gänge
Canalis urogenitalis U — Urethra
Drüsen der Ampulle Ver r— Vagina
Gartnerscher Gang, G.d. Va. = Vaginalepithel
und G. s. — rechter und Ve. = Vestibularepithel
linker Gartner W.G.= Wolffsche Gänge
Hymenales Bindegewebe d. — dorsal
Hymenales Epithel V. — ventral
Laquear anterius vaginae Gl.B.—= Bartholinsche Drüse.
Schematischer Frontalschnitt durch Uterus und Vagina. Der
Gartnersche Kanal als punktierte Linie gezeichnet im normalen
Verlauf vom Epoophoron durch das Ligamentum latum, Parametrium
in den Uterus zirka in Höhe des inneren Muttermundes mit einer
ampullareren Erweiterung in der Cervix, von dort durch das seit-
liche Laquear vaginae in der Vaginalwand bis in den Hymen.
Sehr seltener Verlauf des Gartnerschen Kanales durch Corpus
uteri einer Erwachsenen, mit einer seitlichen Abzweigung in
das Parametrium.
Schematischer Sagittalschnitt durch Portio vaginalis uteri, Vagina
und Hymen. Die punktierte Linie deutet den Verlauf des Gartner-
schen Ganges an. Die Ampulle reicht bis in den obersten Teil der
Vagina. Der Kanal verläuft abwärts in der Mitte der Seitenwand:
erst kaudal tritt er mehr dorsal in den Hymen.
(Querschnitt durch oberes Drittel der Vagina vom zirka sieben-
monatlichen Fetus. Linker Gartner mit einschichtigem, rechter
Gartner mit mehrschichtigem Epithel. Leitz 1*, Ok. 0.
Querschnitt durch untere Hälfte der Vagina von einem acht-
monatlichen Fetus. Urethra mit drei paraurethralen Gängen
im Querschnitt. Gartnerscher Kanal rechts und links. Zeichen-
camera. zirka 12 fach vergrössert.
Schrägschnitt durch den kaudalen dorsalen Teil der Vagina und
ventralen Teil des Hymen und Vestibulum (praehymenale). Gartner
weit dorsal in der Vagina kurz vor seinem Eintritt in den Hymen
bei einem Fetus von acht Monaten. Zeichencamera, zirka
12fach vergrössert.
Schrägschnitt durch untersten Teil der Vagina, vordere und seit-
liche Teile des Hymens und des Vestibulum. Der linke Gartnersche
Kanal, der Länge nach in einem Schnitte getroffen, durchzieht den
Hymen dorsoventralwärts und mündet am freien Hymenalrande.
Fig.
Fig.
Fig.
Fie.
Fig.
10.
iljk:
1.
ig. 14.
16.
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. nal
Das vestibulare Epithel des äusseren Hymenalblattes senkt sich
etwas trichterförmig an der Mündung des Gartner ein: von einer
Neugeborenen. Leitz, Lupe 1, Zeichenokular.
Schnitt durch Müllerschen Hügel, Mündung der weit auseinander-
liegenden Wolffschen Gänge in den Canalis urogenitalis, und
kaudalen Teil der noch nicht völlig vereinigten Müllerschen Gänge.
Die laterale Wand der Wolffschen Gänge hat auch beim Passieren
durch das Epithel des Canalis urogenitalis deutlich eigenes Epithel,
während an der medialen Wand des Kanales der Übergang des
Epithels auf das des Müllerschen Hügels allmählicher und weniger
deutlich ist. Fetus 30 mm grösster Länge (233, 43). Leitz 5, Ok. 1.
Schnitt durch Müllerschen Hügel, kaudales blindes Ende der
Müllerschen Gänge, dicht nebeneinanderliegende Mündungen der
Wolffschen Gänge in den Canalis urogenitalis. Das Epithel der
Wolffschen Gänge setzt sich lateral scharf durch das Epithel des
Canalis urogenitalis bis zur Mündung durch, während medial der
Übergang auf das Epithel des Müllerschen Hügels weniger deutlich
ist. Fetus von 29 mm grösster Länge (247, 34). Leitz 5, Ok. 1.
Querschnitt durch die Cervix uteri am Übergang zur Portio vaginalis
und zum Scheidengewölbe. Der Gartnersche Kanal noch am-
pullarer erweitert, zieht aus der Cervix in die Scheide. Fetus von
sieben Monaten. Leitz, Lupe 1, Zeichenokular.
Querschnitt durch Ampulle und Verzweigungen des Gartnerschen
Ganges im obersten Teil der Vaginalwand von einer Neugeborenen.
Zeiss, A.-A., Ok. 3.
Flachschnitt durch Vulva, schief durch Introitus Vaginae, Hymen
und Vestibulum, Bartholinsche Drüsen, Glans clitoridis. Rechter
Gartnerscher Gang im Hymen mündet an dessen freiem Rande
vorne. Fetus 4'!/» Monat (149, 16). Leitz, Lupe 1, Zeichenokular.
Querschnitt durch Gartnerschen Kanal im mittleren Teile der
Vagina mit normalem Epithel und besonders starker eigener Tunica.
Fetus von sieben Monaten. Leitz, Obj. 6, Ok. 1.
Querschnitt durch Gartnerschen Kanal in der unteren Hälfte der
Vagina mit stellenweise mehrschichtigem zylindrischen Epithel von
einer Neugeborenen. Zeiss, A.-A., Ok. 3.
Querschnitt durch Gartnerschen Gang im oberen Teil der Vaginal-
wand, basales flaches Epithel nur streckenweise, darüber mehrere
Reihen kubischer und zylindrischer Zellen. Fetus von 4!/» Monat.
Leitz 6, Ok. 1.
Querschnitt durch Gartnerschen Gang mit ungewöhnlich starker
ureterähnlicher Epithelschichtung aus dem oberen Teil der Vaginal-
wand. Fetus von sieben Monaten. Zeiss, C., OR. 2.
Längsschnitt durch die Ausmündung des Gartner im Hymen; das
Epithel des Gartnerschen Ganges teilweise in Abstossung begriffen
792 Robert Meyer: Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges.
durchzieht in Gestalt flacher Zellen das Hymenalepithel. Innerhalb
des hymenalen Bindegewebes ist das Epithel des Gartnerschen
Kanales einschichtig zylindrisch.h Aus der Vulva einer Neu-
geborenen. Zeiss, A.-A., Ok. 4.
Fig. 17. Querschnitt etwas schräg durch den Gartnerschen Kanal dicht
vor seiner Mündung; an der Berührungsstelle mit dem Platten-
epithel des Hymen wird das Epithel des Gartner niedrig und ist
zum Teil abgestossen; das Epithel des Gartner ist an der freien
Seite abwechselnd ein- und mehrschichtig zylindrisch. Fetus von
knapp sieben Monaten. Zeiss, D., Ok. 1.
Fig. 15. Adenomatöse Hyperplasie des Gartner mit eigener Tunica im
obersten Teile der Vaginalwand einer Erwachsenen (bei Carcinom
des Gartner in der Cervix uteri). Querschnitt durch Vagina der
Erwachsenen. Leitz 1*, Ok.3.
795
Aus dem anatomischen Institut in Strassburg.
Zur Morphologie und morphologischen Stellung
der ungranulierten Leucocyten — Lymphocyten —
des Blutes und der Lymphe.
VI. Fortsetzung der „Studien über das Blut und die blutbildenden
und =zerstörenden Organe‘.
Von
Franz Weidenreich.
Hierzu Tafel XXXI-XXXII.
Inhaltsverzeichnis:
Seite
Einleitung . .... Er oa: free a a 7
ee eansemechodenl a a le
A. Literatur und Kritik.
I. Ältere Angaben über Lymphzellen und die Entstehung
des Lymphocytenbegriffes . . . . ATI. Blarc
Il. Begriff der „Grossen mononukleären Dencaerteit ul der
Übersee en ORT Ä .. 8083
III. Besondere morphologische Charakters der here
Leucocyten AIRRE 3 ES)
B. Morphologie der ernlierten Ienealgken _ sten —
des Blutes und der Lymphe.
1:.iDie. Zellen, des. Blutes sd BF: Meer Irre,
II. Die Zellen der Lymphe . . . 8325
III. Vergleich der Blut- und Ly tagkeellen Bad re enden
der Kleinen und grossen Formen zueinander. . . . .. 827
C. Morphologische Bewertung und Ableitung der Lymphocyten.
I. Die sogenannten „Grossen Lymphocyten® . . ......80
Il: Die Bedeutung der grossen Lymphocytenformen . . . . 833
III. Die freien Zellen der serösen Höhlen . . . . 543
IV. Die Lymphocyten des Bindegewebes und die Elssmezellen 348
V. Zusammenfassung . . . BEN FORTE LER RR ARTE
D. Die Beziehungen der ahocyten zueinander und zu den
granulierten Leucocyten.
I. Die Beziehungen der Lymphocyten zueinander . . . . . 859
II. Umwandlung der Lymphocyten in granulierte Leucocyten S61
III. Undifferenzierte Knochenmarkszellen und Lymphocyten . 863
IV.-Örtliche Differenzierung .... .. v2. Enn Nas
V.OntogenetischerBetrachtungen 2 a
Biteraturverzeichnis HU MH. MM NASSEN RER ER NERG
Kiourenerklär mer nalen Yes: aba al IR EN ET
794 Franz Weidenreich:
Vor kurzem habe ich an dieser Stelle eine Abhandlung (86)
veröffentlicht, in der ich mich mit den eranulierten Leucocyten
des Blutes beschäftigte. Welche Zellformen unter diesem Namen
zu verstehen sind, kann keinen Augenblick zweifelhaft sein. Sehr
viel schwieriger ist es dagegen, wenn man sich über die anderen
farblosen Elemente des Blutes verständigen will, für die leider
nicht einmal mehr eine klare und unzweideutige Benennung in
Anspruch genommen werden kann. Eine grössere Verwirrung,
als sie zurzeit auf diesem (Gebiete der Hämatologie allein in
Fragen der Nomenklatur herrscht, ist sonst in der Biologie kaum
vorhanden; einen bestimmten Namen anzuwenden, ist fast un-
möglich, weil nahezu jeder unter einem solchen Namen etwas
anderes verstanden wissen will, so dass hier tatsächlich der selt-
same Fall vorliegt, dass ein Name nicht das Objekt benennt und
seine Unterscheidung ermöglicht, sondern gerade umgekehrt zur
Verwischung des Begriffes beiträgt. Geht man den Gründen
dieser Erscheinung nach, so findet man, dass die Schuld auf Seiten
der „Hämatologen“ oder wenigstens mancher Hämatologen liegt,
die mit dem Namen nicht rein morphologische Begriffe verbunden
haben, sondern auch ganz bestimmte genetische und besonders
auch pathologisch- anatomische Vorstellungen damit verknüpften,
die sich aber wieder kaum bei zwei Autoren unter der recht
beträchtlichen Zahl vollständig deckten. Dabei sind sehr viele
dieser Benennungen oft so kompliziert. dass es selbst für den
mit der Sache einigermassen Vertrauten schwer hält, eine klare
Vorstellung von der bezeichneten Zellform zu gewinnen. Zellen,
die z. B. der eine Autor als „Iymphoide Leucocyten“ bezeichnet,
nennt der andere „leucocytoide Lymphocyten“ und versteht unter
jenem Namen wieder eine ganz andere Zellform. Da gibt es
Proto-, Pseudo- und Metalymphocyten, Mikro- und Makrolympho-
cyten, grosse Lymphocyten und Grossiymphocyten, myeloide
Lymphoblasten und Iymphoide Myeloblasten, Lymphoidocyten,
Leucolymphocyten und Lympholeucocyten, und zu diesen Haupt-
wörtern kommt womöglich noch eine Reihe von näher beschrei-
benden Adjektiven, bis wir zum „myeloiden schmalleibigen
myeloblastischen Iymphoiden Myelocyten“ gelangen. Abhand-
lungen, in denen mit solchen Begriffen gearbeitet wird, erwecken
dadurch bei dem Fernerstehenden den Eindruck, als handle es
sich hier um eine besonders schwierige Geheimwissenschaft.
Die ungranulierten Leucocyten. 195
Wer unbefangen an die Untersuchung der ungranulierten
Elemente des Blutes herantritt, befindet sich aus diesen Gründen
in einer schwierigen Lage: neue Benennungen anzuwenden, hiesse
die Konfusion nur vergrössern, ganz abgesehen davon, dass es
bei der Reichhaltigkeit der schon bestehenden Ausdrücke schwer
fallen dürfte, in einer der üblichen Sprachen neue Bezeichnungen
ausfindig zu machen. Ich kehre deswegen zu der Einteilung der
alten Anatomen zurück und fasse alle die farblosen Zellen des
Blutes, die nicht durch eine deutliche Granulation ausgezeichnet
sind, zunächst einmal unter dem Namen der ungranulierten Leuco-
eyten zusammen; allerdings ergibt sich auch da eine Schwierig-
keit, insofern nämlich in den letzten Jahren von verschiedenen
Seiten auch in den Zellen, die man früher als ungranuliert ansah,
verschiedene Körnelungen nachgewiesen wurden, über deren Be-
deutung im Laufe dieser Abhandlung noch zu sprechen sein wird.
Hierbei handelt es sich aber doch um eine Granulierung, die in
wesentlichen Punkten von der der allgemein als granuliert be-
zeichneten Leucoeyten abweicht und die vor allem an der leben-
den Zelle nicht ohne weiteres sichtbar ist. Daher dürfte die von
mir angewandte vorläufige Benennung doch gerechtfertigt sein.
Es ist eigentlich selbstverständlich. dass sich eine Unter-
suchung der ungranulierten Zellelemente des Blutes nicht auf
das Blut allein beschränken darf und kann, sondern auch die
Lymphe, eine der Hauptquellen dieser Formen, und weiterhin
auch die Iymphoiden Organe heranziehen muss. Ferner sind die
zelligen Elemente der mit den Lymphbahnen in engem Zusammen-
hang stehenden serösen Höhlen zu berücksichtigen, Objekte, die
bisher stark vernachlässigt wurden. Auf alle diese Zellen habe
ich meine Untersuchung ausgedehnt und werde sie in dieser
Abhandlung näher schildern, nur die Zellen der serösen Höhlen
bleiben noch einer spezielleren Betrachtung vorbehalten, die von
meinem Schüler. Herrn cand. med. Schott, in einem der nächsten
Hefte dieser Zeitschrift gegeben werden wird: ich werde aber
einstweilen schon auf diese Arbeit wiederholt verweisen müssen.
Untersuchungsmethoden.
Zur Darstellung der freien zelligen Elemente des Blutes.
der Lymphe und der serösen Höhlen bediente ich mich vor allem
der in der vorhergehenden Abhandlung (86) geschilderten Agar-
796 Franz Weidenreich:
Methode mit nachfolgender Giemsa-Färbung, auch fand die
Osmium- und Formoldampffixation (82) Anwendung, ebenso zu
Kontrollzwecken die üblichen Trockenmethoden und Blutfärbungen.
Die Gewinnung der Lymphe geschah in der Weise, dass
entweder beim lebenden Tiere der Ductus thoracieus an der Ein-
mündungsstelle in den Venenwinkel freigelegt und die Flüssigkeit
mit einer feinen in das Lymphgefäss eingestochenen Glaskapillare
aufgesogen wurde, oder aber durch Aufsuchen des Duetus thora-
cicus im oberen Teile des Mediastinums beim frisch getöteten
Tiere. Das letztere Verfahren ist einfacher und gelingt auch
leicht bei kleineren Tiergattungen; nur hat man darauf zu achten,
dass beim Öffnen der linken Pleurahöhle kein grösseres Gefäss
verletzt wird. Die linke Lunge wird nach der rechten Seite ge-
wälzt und etwa eingedrungenes Blut sorgfältig mit kleinen Watte-
bäuschen aufgetupft. Der Ductus thoracicus ıst dann im mittleren
und oberen Teile des Mediastinums als weisslicher Strang leicht
kenntlich: mit einer eingestochenen Glaskapillare kann die Lymphe
in grossen Mengen rein und ohne Schwierigkeit gewonnen werden.
Die Zellen der serösen Höhlen sind gleichfalls durch Ent-
nahme der Flüssigkeit mit Glaskapillaren unschwer zu erhalten.
Will man das Tier am Leben lassen, so sticht man, bei Ent-
nahme aus der Bauchhöhle, unter Befolgung streng aseptischer
Kautelen erst mit einer starken Injektionsnadel vor und führt
durch die so geschaffene Öffnung die Glaskapillare ein; die Wunde
schliesst man mit Jodoform-Kollodium. Die Pleural- und Peri-
kardialflüssigkeit kann in der gleichen Weise gewonnen werden ;
sicherer ist es hier aber, das Tier zu töten und die entsprechen-
dien Höhlen vorsichtig freizulegen.
Die Iymphoiden Gebilde des Netzes wurden im normalen
und im künstlich entzündeten Zustande in der Weise untersucht,
dass die Netzteile nach der Maximowschen Methode (39) auf
die abgeschnittenen Hälse eines Reagensglases aufgespannt und
in absolutem Alkohol fixiert wurden; die Färbung dieser Flächen-
präparate geschah je nach dem Zwecke mit der Giemsaschen
Lösung oder mit anderen Farben. Lymphdrüsen, Milz, Blutlymph-
drüsen und Knochenmark wurden in Zenkerscher Flüssigkeit
oder in Sublimat-Formolgemischen fixiert und die Schnitte mit
Hämalaun, Orange und Rubin-S oder mit Triacidlösungen gefärbt.
Die ungranulierten Leucocyten. et
Von spezielleren Darstellungsmethoden sei hier nur noch
die vitale Färbung hervorgehoben, die ich nach den Angaben von
Rosin und Biebergeil (59) mit sehr gutem Erfolg ausführte;
vor allem fand ich in der vitalen Färbung mit Methylviolett ein
‚ausgezeichnetes Mittel zum Nachweis der Nukleolen.
A. Literatur und Kritik.
I. Ältere Angaben über Lymphzellen und die Ent-
stehung des Lymphocvytenbegriffs.
In älteren anatomischen Abhandlungen oder Lehrbüchern
werden nach dem Vorgange von Wharton Jones (32) im
strömenden Blute die fein- und grobgekörnten Leucocyten zu-
nächst von den ungranulierten unterschieden. Die letzteren werden
wieder in weitere Formen getrennt, und zwar einfach in kleinere
und grössere Elemente. So beschreibt M. Schultze (71) kleinste
Formen, deren Grösse die der roten Blutkörperchen nicht erreicht,
oft sogar ansehnlich geringer bleibt: „Es sind kugelige Zellen
mit sehr zarter äusserer Begrenzung ..... mit einem grossen,
kugeligen Kern, umgeben von einer sehr geringen Menge von
Protoplasma: die kleinsten dieser Körperchen besitzen einen Durch-
messer von 5 «. Im Protoplasma fehlen einzelne erkennbare
Körnchen meist, es ist nur eine leichte Trübung, die eine An-
deutung von körniger Beschaffenheit gibt. Diesen Formen reihen
sich grössere an, die den Durchmesser der gewöhnlichen farbigen
Körperchen besitzen oder noch etwas unter denselben bleiben: ihr
Protoplasma ist in ansehnlicherer Menge vorhanden“. Koelliker (33)
gibt an, dass die farblosen Blutkörperchen aus dem Chylus stammen,
sie können daher auch Chylus- oder Lymphkörperchen des Blutes
heissen; sie sind zum Teil einkernig und stimmen mit den
kleinen zelligen Elementen des Chylus vollkommen überein etc.
Ranvier (54) fasst sich in der Frage der Säugerleucocyten sehr
kurz und erklärt einfach: „Les globules blanes sont absolument
semblables par leur aspect et leurs proprietes aux cellules Iympha-
tiques.“ Auch Toldt (74) äussert sich in gleichem Sinne: „Die
tarblosen Blutzellen unterscheiden sich nach ihren morphologischen
Charakteren in nichts von den Lymphzellen und sind offenbar
mit ihnen identisch, da sich ja die Lymphe samt ihren geformten
Bestandteilen in den venösen Blutstrom ergiesst“.
798 Franz Weidenreich:
Hier wird also allgemein auf die Identität zwischen den
farblosen Blutkörperchen und den Zellen des Chylus oder der
Lymphe hingewiesen. Die zelligen Elemente dieser Flüssigkeit
werden dann aber ausführlicher geschildert. Koelliker (33)
sagt: Die Chylus- oder Lymphkörperchen sind runde blasse Zellen
von der Grösse von 5,6—12 u, die einen meist nur undeutlich
durchscheinenden, gleichartigen, leicht glänzenden runden Kern
enthalten; die Grösse der Zellen sei nach den Orten verschieden,
in den Anfängen der Chylusgefässe sind die Elemente meist klein
(4,5—6,8 «), das Protoplasma die kleinen Kerne oft eng umgebend:
nach dem Passieren der Mesenterialdrüsen sind die Zellen zahl-
reicher und grösser, so dass sich in den grösseren Lymphstämmen
neben den kleineren Formen auch viele grössere (bis zu 12 «)
finden. Ranvier (54) hebt hervor, dass zwischen der Lymphe des
Frosches und der der Säuger ein wesentlicher Unterschied be-
stünde, die Lymphzellen des Frosches variierten in der Grösse
wenig, während bei den Säugern die Grössenunterschiede viel
beträchtlicher seien. Dann fährt der Autor fort: „Une goutte de
Ivmphe prise dans le canal thoracique d’un chien a jeun montre
des cellules dont le diametre varie entre 5 et 12 u; ces cellules
sont generalement speriques ou munies d’excroissances tres-petites.
Dans les cavites sereuses, les dimensions des cellules Iymphatiques
different encore plus que dans le canal thoracique; elles vont
depuis 5 jusqu’a 20 «*. Toldt (74) sagt von den Lymphzellen
folgendes: „Ihre Grösse, sowie ihr äusseres Aussehen ist ziemlich
ınannigfaltig. Von den grössten Zellen bis zu 14 « Durchmesser
eibt es die verschiedenartigsten Übergänge zu den ganz kleinen,
kaum 4—5 « messenden Zellen, an denen es nur schwer gelingt,
um den Kern herum eine dünne Zone von Protoplasma nachzu-
weisen: in dem Inhalte kleiner Lymphgefässe trifft man meist
spärliche, kleinere, in den Hauptstämmen aber zahlreiche, fast
ausschliesslich grosse Zellen; der Umstand, dass man sie stets
reichlicher dort gefunden hat, wo die Lymphe bereits Lymph-
knoten passiert hat, deutet darauf hin, dass sie aus denselben
entstammen“.
Aus diesen Angaben der älteren Autoren geht also hervor,
dass die Leucocyten des Blutes einfach als der Lymphe und den
Lymphdrüsen entstammende Lymphkörperchen betrachtet wurden.
Gegen die Annahme einer absoluten morphologischen Überein-
Die ungranulierten Leucocyten. 298
stimmung hat sich, soviel ich sehe, zuerst Virchow (76) gewandt:
er findet Unterschiede zwischen den Elementen der Lymphe und
dies Blutes, benutzt aber diese Differenzen keineswegs, um die
Zellformen senetisch zu trennen, sondern meint, dass die von
ihm konstatierte Verschiedenheit zwischen den Zellen der Lymphe
und den farblosen Elementen des Blutes bedingt sei durch die
Einwirkung des geänderten Mediums. Er sagt darüber wörtlich:
Wenn eine Lymphdrüsenzelle (Parenchymzelle) zu einem Lymph-
körperchen (Flüssigkeitszelle) wird, so verändert sie sich, und
wenn ein Lymphkörperchen zu eimem farblosen Blutkörperchen
wird, so verändert es sich wiederum. Nach Virchow sind die
Parenchymzellen der Lymphdrüsen unter sich ziemlich verschieden.
doch besitzen sie alle einen verhältnismässig grossen, mit einem
oder mehreren Kernkörperchen versehenen Kern; die Kerne sind
von Zellkörpern umhüllt, doch sind diese oft so klein, dass sie
nur schmale Säume darstellen, so erscheint der Kern unverhältnis-
mässig gross; daneben finden sich aber auch grössere Elemente
mit stärker entwickeltem Leib. Nur diese letztere Form stimme
einigermassen mit den Zellen der Lymphe überein, diese seien
verhältnismässig grosse, überwiegend einkernige Zellen, deren
grosser Kern einen oder mehrere Nukleoli zeige. Die farblosen
Blutkörperchen unterscheiden sich dadurch von den Zellen der
Lymphe, dass sie mehrere glatte Kerne ohne Kernkörperchen
besässen.
Die Untersuchungen Ehrlichs (14). vor allem die durch
ihn eingeführte Färbetechnik, haben späterhin dazu geführt, die
von Wharton Jones und M. Sehultze beschriebenen granu-
lierten Leucoeytenformen des Blutes von den uneranulierten
Elementen genetisch zu trennen und den Ort ihrer Entstehung
ins Knochenmark zu verlegen. In den älteren Arbeiten Ehrlichs
findet man wenig Beweispunkte für die Berechtigung dieser
Trennung angegeben; erst in seiner zusammenfassenden Dar-
stellung, der „Anämie“ (15), entwickelt er seine Theorien aus-
führlicher. Dagegen finde ich in einer Arbeit eines Schülers
Ehrlichs, M. Einhorns (16), schon frühe die Blutleucoeyten
scharf voneinander getrennt: da das dort Gesagte für meine Aus-
führungen von wesentlicher Bedeutung ist, muss ich auf jene
Angaben näher eingehen. Es heisst da: „Man unterscheidet im
Blute folgende Elemente, die man in drei Gruppen einteilen kann:
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 73. 52
s00 Franz Weidenreich:
I. Mvelogen: Eosinophile;
Il. Lymphogen: a) kleine, b) grosse Lymphoeyten:
III. Unbestimmt (Milz, Knochenmark): a) grosse Mono-
nukleäre, b) Übergangsformen, ec) Polynukleäre.
Die Lymphogengruppe enthält: 1. kleine, den roten Blutkörper-
chen an Grösse nachstehende Elemente, deren Leib von einem
verhältnismässig grossen Kern eingenommen wird, sodass das
Protoplasma zuweilen kaum zu sehen ist; sie gleichen ihrem
Aussehen nach vollkommen den Lymphzellen (!), 2. Körper, die
etwas grösser sind, deren runder Kern zwar etwas grösser, aber
doch dem eben geschilderten vollkommen ähnlich ist; während
jedoch dort der Zellleib vom Kern fast ganz ausgefüllt wird, ist
hier ein mehr oder weniger grosser Plasmasaum vorhanden. Diese
beiden geschilderten Formen, von denen die letztere nur eine
weitere Entwicklung der ersten darstellt, — da man mit Leichtig-
keit die Übergänge beobachten kann, -— entstehen, wie dies
Virchow nachgewiesen hat, im den Lymphdrüsen. Man hat
diese Gruppe daher mit Recht mit dem Namen ihres Ent-
stehungsortes belegt und sie Lymphocyten genannt; wir
unterscheiden die sub 1. beschriebene Unterabteilung als „kleine“
und die sub 2. als „grosse“ Lymphoevten.“
Es ist nun besonders interessant, in welcher Form diese
Teilnng der weissen Blutkörperchen durch Ehrlich begründet
wird. In seiner „Anämie“ (15) bezeichnet Ehrlich wiederholt
Virchow als den, der den Lymphocytenbegriff aufgestellt habe;
hier fimden sich folgende Ausführungen: „Dass die Lymphoeyten
des Blutes vollkommen mit denen der Lymphdrüsen, bezw. des
sonstigen Iymphatischen Apparates identisch sind, und zwar sowohl
die kleinen als die grösseren (!) Zellformen, ist seit Virchows
Aufstellung des Lymphocytenbegriffes unbestritten und geht für
jedermann aus der vollkommenen Übereinstimmung im allgemeinen
morphologischen Charakter, in den färberischen Eigenschaften des
Protoplasmas und des Kernes und der Abwesenheit der Granula-
tionen hervor. Dafür, dass die Lymphocyten des Blutes nun
auch wirklich dem Iymphatischen Apparat entstammen, sprechen
reichliche klinische Erfahrungen. Ehrlich hat schon früher
darauf aufmerksam gemacht, dass dann, wenn ausgedehnte Partien
des Lymphdrüsensystems durch Neubildungen und ähnliches
ausgeschaltet sind, die Zahl der Lymphocyten ganz erheblich
Die ungranulierten Leucocyten. sol
vermindert sein kann. Diese Erfahrungen sind seitdem von ver-
schiedenen Autoren bestätigt worden.“ In dem gleichen Werke
gibt nun Ehrlich eine Einteilung der weissen Blutkörperchen
des normalen Blutes des erwachsenen Menschen und bezeichnet
als erste Gruppe kurzweg die „Lymphoeyten*. Er schildert sie
aber als kleine, im der Regel den roten Blutkörperchen an
Grösse nahestehende Zellen, deren Leib von einem grossen, runden
homogen gefärbten, konzentrisch gelagerten (soll wohl „zentral
gelagerten“ heissen) Kern eingenommen ist, während das Plasma
als ein schmaler Saum den Kern konzentrisch umschliesst. Es
folgen dann noch einige weitere Angaben, auf die ich später
zurückkommen werde; aber über Grössendifferenzen wird nur
wenig gesagt und an einer Stelle heisst es: „Für gewöhnlich sind
die Zellen im Blute des gesunden Erwachsenen durch ihre Klein-
heit, die der der roten Blutkörperchen nahesteht, ausgezeichnet;
dagegen findet man schon im Blute der Kinder unter ganz
normalen Verhältnissen grössere Formen und bei Iymphatischer
Leukämie ganz besonders grosse Formen“. Die Abbildungen. die
dieser Beschreibung normaler Blutzellen beigegeben werden,
stellen „grosse* und „grössere“ Lymphocyten dar, entstammen
aber laut Bezeichnung einem Präparate von chronischer Iympha-
tischer Leukämie!
Aus den hier mitgeteilten Ausführungen geht hervor. dass
Ehrlich Virchow die Aufstellung des Lymphocytenbegriftes
zuschreibt. Virchow hat aber die Zellen der Lymphe aus-
drücklich als Lymphkörperchen bezeichnet und schildert sie
genau so, wie die gleichzeitigen anatomischen Autoren, die ich
oben zitierte; darnach unterscheidet er kleine und grosse
Klemente, von denen gerade die letzteren in der Lymphe be-
sonders hervorträten. Dass diese Zellen in den Lymphdrüsen
entstehen, hält Virchew für sicher, ebenso dass sie ins Blut
gelangen; nur glaubt er, dass sie sich dort unter der Einwirkung
des Mediums weiter verändern und zu polynukleären Elementen
würden. Es findet sich also bei Virchow weder der Ausdruck
Lymphoeyt für eine ganz bestimmte Grösse, noch eine scharfe
Trennung nach dem Orte der Entstehung, auch Virchow leitet
die weissen Blutkörperchen ohne Unterschied aus der Lymphe und
den Lymphdrüsen ab. Erst Ehrlichs Schüler Einhorn stellte
eine Iymphogene, eine myelogene und eine genetisch unbestimmte
52*
s02 Franz Weidenreich:
Gruppe auf; die Iymphogene entstammt darnach allein der Lymphe
und dem Iymphatischen System, ihre Zellen werden deswegen allein
als Lymphocyten bezeichnet und ausdrücklich in kleine
und grosse getrennt. Ehrlich hat späterhin diesen Namen
beibehalten, aber die Trennung in kleine und grosse Formen
nicht mehr betont; Lymphocyten, so heisst es plötzlich in
der „Anämie“, sind kleine Zellen, im Blute von Kindern und
bei Blutkrankheiten kommen grössere Formen vor. Alle anderen
Blutelemente stammen aber nach der Einhorn-Ehrlichschen
Aufstellung nicht aus der Lymphe, gleichviel ob sie granuliert
oder ungranuliert sind, sondern aus dem Knochenmark und zum
Teil aus der Milz. Ursprünglich wurden aber, wie bei Einhorn
zu lesen ist, die Zellelemente als Lymphocyten bezeichnet, die
man früher Lymphkörperehen benannt hatte, also kurzweg die
sämtlichen Zellen der Lymphe, die ihrerseits den Lymphdrüsen
entstammen ohne Unterschied ihrer Grösse, die nach den oben-
zitierten Angaben der anatomischen Autoren zwischen 5 und 14 #
schwankt. Es scheint also, dass Ehrlich bei seiner Festsetzung
dies Lymphocytenbegriffs die Lymphe auf die Natur ihrer Zellen
und deren morphologische Charaktere gar nicht weiter unter-
suchte, noch in die anatomische Literatur Einsicht genommen hat.
Wenigstens habe ich nirgends bei Ehrlich eine Beschreibung
spezieller Lymphelemente auffinden können: dass nur die kleinen
Zellen des Blutes, die von ihm mit dem Namen der Lymphoeyten
belegt wurden, auch wirklich mit den Lymphkörperchen der älteren
Autoren in ihrer Gesamtheit identisch seien, das folgerte Ehrlich
oftenbar nicht aus einer vergleichenden Untersuchung von Blut
Lymphe, sondern erschloss es, wie er ausdrücklich hervorhebt,
aus klinischen Erfahrungen. Es ist nötig das festzustellen. denn
nur go wird verständlich, wie es kommen konnte, dass durch die
Ehrlichsche Einteilung nur ein Teil der Lymphelemente als
Lymphocyten bezeichnet werden konnte, während eine morpho-
logisch und physiologisch ausserordentlich wesentliche und wichtige
Form von Lymphzellen völlig von den „Lymphocyten* getrennt
und zur Bedeutungslosigkeit und zweifelhafter Herkunft verurteilt
wurde.
Während also ursprünglich unter dem Namen der Lymph-
zellen kleine und grosse Elemente verstanden wurden, hat Ehrlich
durch seine unbestimmte Ansdrucksweise in seiner „Anämie“ und
Die ungranulierten Leucocyten. 503
vor allem durch die spätere Aufstellung, dass die grösseren Formen
nicht ein Bestandteil des normalen Blutes des erwachsenen Menschen
wären, sondern sich nur bei Kindern und gewissen Blutkrank-
heiten fänden, dazu wesentlich beigetragen, dass viele von nun an
unter „Lymphocyten“ nur die kleinsten Zellelemente des
Blutes verstanden. Auch in den neuesten Lehrbüchern kehrt
diese Anschauung wieder: so sagt Türk (75): „Die Lymphoeyten
stellen den einfachsten und kleinsten Zelltypus des kreisenden
Blutes dar, sie sind einkernige Elemente mit einem Durchmesser
von 6—9 u.“ Bei Nägeli (46) heisst es: „Die Lymphocyten
haben etwa die Grösse der roten Blutkörperchen. Der rundliche
oder ovale, oft an einer Seite seicht eingekerbte Kern füllt die
Zelle zum grössten Teil aus, sodass nur ein schmales Protoplasma-
band übrig bleibt.“ Die grösseren älteren Formen, heisst es an
einer anderen Stelle, sind die Makrophagen; doch wird nicht
erwähnt, ob diese Zellen von dem Autor als normale Blut-
bestandteile aufgefasst werden. Unter der Einwirkung dieser
klinischen Vorstellungen wurde der ältere Lymphkörperchenbegrift
auch aus den anatomischen Lehrbüchern verdrängt; v. Ebner (13)
sagt: „Die kleinsten Leueoeyten, die Lymphoeyten oder Lymph-
körperchen im engeren Sinne, haben eine meist fast kugelige
Form und einen Durchmesser von 4, 5—7,5 «, im Mittel etwa
6 « und sind den kleinen Rundzellen in den Maschen des
adenoiden Gewebes der Lymphknoten sehr ähnlich.“ Allerdings
spricht Ebner auch von „grossen Lymphoevten“, deren Durch-
messer 10 « und darüber betragen könne, doch wird ihre Beziehung
zu den „kleinsten Leucoeyten, den Lymphoeyten*“, ebensowenig
erörtert wie die zu den anderen Leucoeytenformen.
ll. Begriff der „Grossen mononukleären Leucocyten*“
und „Ubergangsformen“.
Nun hat aber der Lymphocytenbegriff in der Folge noch
eine wesentliche Änderung erfahren müssen. Zum besseren Ver-
ständnis dieser Frage ist es nötig, die Ehrlichsche Einteilung
der weissen Blutkörperchen überhaupt besonders ins Auge zu fassen.
Was Ehrlich unter Lymphocyten verstanden wissen will, ist be-
reits gesagt worden; auf seine Abgrenzung der granulierten Leuco-
evten und ihre Trennung in die polynukleären oder neutrophilen,
in die eosinophilen und in die Mastzellen brauche ich hier nicht
804 Franz Weidenreich:
weiter einzugehen ; die morphologischen Charaktere dieser Elemente
sind von mir in der vorausgehenden Mitteilung dieser Studien (86)
genauer umschrieben worden, sodass der Zellbegriff genügend
fixiert erscheint. Es bleiben demnach von der Ehrlichschen
Einteilung nur noch zwei Formen übrig, deren morphologische
Charaktere und deren Bewertung der weiteren Untersuchung
bedürfen. Diese Elemente sind: 1. die „Grossen mononukleären
Leucoeyten“ und 2. die „Übergangsformen“. Von jenen sagt
Ehrlich (15) in seiner „Anämie“: „Streng von den Lymphocyten
zu trennen ist die zweite Gruppe (der weissen Blutkörperchen):
die „Grossen mononukleären Leucocyten“. Es sind dies voluminöse
Zellen von zirka zwei- bis dreifacher Grösse der Erythrocyten,
die einen grossen ovalen, meist exzentrisch gelagerten und schwach
färbbaren Kern, dabei ein relativ mächtiges Protoplasma besitzen.
Letzteres ist frei von Granulationen, schwach basophil, und zwar
im Gegensatz zu dem Lymphocytenprotoplasma schwächer als
der Kern. Ihre Trennung von den Lymphocyten ist darın
begründet, dass sie in ihrer ganzen Erscheinungsform durchaus
von diesem Typus abweichen und Übergänge zwischen beiden
nicht zu beobachten sind. Aus welchen blutbildenden Organen
diese Zellform stammt, ob aus Milz oder Knochenmark, ist bis
jetzt nicht zu entscheiden, wenn auch viele Gründe dafür sprechen,
als ihren Ursprungsort das letztere anzusehen.“ Leider hat
Ehrlich Abbildungen nicht gegeben und aus seiner Beschreibung
geht auch nicht hervor, ob überhaupt die Lymphe auf das Vor-
kommen dieser Zellen untersucht worden ist: Ehrlich trennt
die Zellen scharf von den Lymphoeyten, den eigentlichen Lymph-
körperchen; ob sie nicht aber trotzdem Lymphkörperchen sind
und aus der Lymphe und den Lymphdrüsen stammen, das wäre
doch durch eine Untersuchung der Lymphe mit Leichtigkeit
festzustellen gewesen, anstatt „klinische Erfahrungen“ an Stelle
von anatomischen Beobachtungen anscheinend auch hier wieder
reden zu lassen.
Die „Übergangsformen“ charakterisiert Ehrlich folgender-
massen: „Es sind dies Gebilde vom Habitus der vorhergehenden,
durch grosse Einbuchtungen des Kernes unterschieden, die ihm
häufig die Form eines Zwerchsackes verleihen, ferner durch eine
etwas grössere Affinität des Kernes zu den Kernfarbstoffen, sowie
durch das Auftreten spärlicher neutrophiler Granulationen im
Die ungranulierten Leucocyten. S05
Plasma.“ Nach der ursprünglichen Ansicht Ehrlichs sollten
sich die grossen mononukleären Leueocyten innerhalb des Blutes
in die Übergangsformen und diese wieder in die neutrophilen
Leucocyten umwandeln; darnach wären also im Ehrlichschen
Schema die beiden Formen die direkten Vorstuten der fein-
eranulierten Leucocyten, und da Ehrlich genetisch die Lympho-
eyten vollständig aus dieser Entwicklungsreihe ausschloss, musste
er auch diese ungranulierten Elemente des Blutes „streng von
den Lymphocyten“ trennen.
Diese Einteilung Ehrlichs hat Pappenheim (47) ın
einer eingehenden Untersuchung, allerdings mit mehr kritisch-
literarischem Charakter, zu ändern versucht; auch er zieht wie
Ehrlich zunächst einen Strich zwischen Lymphocyten und
eranulierten Leucocyten, aber mit dem Unterschiede, dass er die
„Grossen mononukleären Leueoeyten“ und die „Übergangsformen“
nicht der Reihe der neutrophilen Leucocyten, sondern einfach
den Lymphocyten zurechnet, sodass diese Gruppe lediglich um
zwei Zellformen erweitert und jene um den gleichen Betrag
gekürzt wird. Natürlich muss nun aber Pappenheim, um
doch innerhalb des Ehrlichschen Schemas zu bleiben, eine
Verbindung zwischen den „Übergangsformen“ und den neutrophilen
Leucocyten leugnen. Das geschieht in der Tat; nach Pappen-
heim sind die grossen mononukleären Leucocyten und die
Übergangsformen nichts anderes als ältere Individuen Iympho-
cytären Charakters, die einer weiteren Entwicklung unfähig seien.
Das Endschicksal der Lymphocyten sieht der Autor im den
sogenannten Riederschen Lymphozyten, das sind Zellformen,
die Rieder (57) in einem Falle von Iymphatischer Leukämie
beobachtete und die durch eine starke Lappung des Kernes bei
Abwesenheit von Granulationen im Plasma charakterisiert sind.
Pappenheim drückt sich kurz und bündig dahin aus, dass er
sagt: „Die jungen Lymphoeyten werden also nur zu alten Lympho-
eyten (Riederschen Lymphocyten), nachdem sie vorher als
/wischenformen das Stadium der „unimukleären Leucocyten“ (das
sind die grossen mononukleären Leucoeyten Ehrlichs) und der
„Übergangsformen“ durchlaufen haben.“ Diese Umordnung, die
hier Pappenheim vornahm, scheint auf den ersten Blick nicht
schwierig; der Autor sagt selbst: „Somit ist eigentlich kein
Novum eingeführt worden, sondern nur ein tatsächlich Vor-
506 Franz Weidenreich:
handenes, die Riederschen Zellen und grossen Mononukleären,
auf Grund von Analogien entsprechend umgedeutet und
anders eingeordnet worden.“ Und das ist wirklich so, aus
theoretischen Ableitungen, „auf Grund von Analogien“ mit den
eranulierten Leucocyten, aber nicht auf Grund einer eingehenden,
durch nicht schematisierte Abbildungen belegte, morphologische
und genetische Untersuchung geschah diese Neueinteilung, und
doch müssten sich im Grunde hier die tatsächlichen Beobachtungen
aufs direkteste widersprechen. Ehrlich nämlich fand Übergänge
zwischen seinen „grossen mononukleären Leucoeyten“, „Übergangs-
formen“ und neutrophilen Leucoeyten, aber keine zwischen den
Lymphocyten und diesen Zellen, Ehrlich behauptete, dass jene
fraglichen Zellformen nicht aus der Lymphe und den Lymph-
drüsen, sondern wahrscheinlich aus dem Knochenmark stammten,
und nun findet Pappenheim gerade die von Ehrlich ver-
missten Übergänge zwischen Lymphocyten einerseits und den
„mononukleären Leucocyten“ und „Übergangsformen“ anderer-
seits, und die von Ehrlich gefundenen Übergänge zwischen
den „Übergangsformen“ und den neutrophilen Leucoeyten findet
er wieder nicht. Dieser doch tatsächlich sehr schroffe Gegensatz
wird von Pappenheim in recht einfacher Weise überwunden:
Ehrlich habe hier nämlich gegen sein Prinzip verstossen
und falscherweise statt „chemisch-tinktorielle“ morphologische (!)
Gesichtspunkte gelten lassen; wenn man die Trockenpräparate
des Blutes nicht mit Hämatoxylin-Eosin, sondern mit Methylen-
blau- und Methylgrün-Pyronin färbe, werde der Unterschied
zwischen den Zellformen auf der einen Seite verwischt und auf
der anderen Seite deutlicher. Pappenheim sagt: Andererseits
meine ich, dass die Willkürlichkeit, die darin liegen könnte,
zwei ihrem Cytoplasma nach chemisch und tinktoriell ähnliche
Zellformen für zusammengehörig zu halten, immer noch eine
geringere ist, als die andere, bloss wegen gewisser äÄusser-
licher, morphologischer Ähnlichkeiten (!) eine Um-
wandlung von basophilen, körnchenfreien Zellen zu körnchen-
führenden, oxyphilen Zellen anzunehmen ete.“ Dabei wird der
gerade von Pappenheim perhorreszierte Übergang doch von
ihm selbst und der gesamten Ehrlichschen Schule für die
Knochenmarkselemente ohne weiteres angenommen. Jedenfalls
geht aus Pappenheims Ausführungen hervor, dass für ihn
Die ungranulierten Leucocyten. Ss07
nicht morphologische Gesichtspunkte bei seiner Einteilung be-
stimmend waren, sondern färberische und Analogieschlüsse, aber
eine eingehende Vergleichung der Zellformen der Lymphe und
des Blutes hat er ebensowenig vorgenommen wie Ehrlich.
Innerhalb der Anhängerschaft Ehrlichs ist in dieser Frage
eine Spaltung eingetreten. Türk (75) ist der Ansicht, dass die
erossen mononukleären Leucoceyten Ehrlichs im normalen Blute
von den Lymphoeyten scharf zu trennen sind. „Der Umstand*,
sagt Türk, „dass minder erfahrene Beobachter die älteren,
erösseren und schlechter färbbaren Lymphoeyten nicht ungern mit
unseren Zellen verwechseln, kann doch kein genügender Grund
sein, um sie gegen alle sonstigen Erfahrungen als zusammen-
gehörig zu betrachten und anzunehmen, dass sie direkt aus den
Lymphoeyten durch weiteres Wachstum hervorgehen.“ Die „Über-
gangsformen“ sieht Türk als Endstadien der Entwicklung der
„grossen mononukleären Leucocyten“ an, unterscheidet sich also
dadurch von Ehrlich, dass er eine Weiterentwicklung zu den
eranulierten Leucoeyten leugnet und die Zellen zu Grunde gehen
lässt, dementsprechend rechnet er die „Übergangsformen“ einfach
den „grossen mononukleären Leucoeyten“ zu. Auch Nägeli (46)
tasst die beiden Zellformen zusammen und leugnet das Vorkommen
von Übergängen zwischen ihnen und den Lymphocyten: ebenso
wie Türk leugnet er auch einen Übergang zu den neutrophilen
Leucocyten, allerdings nicht völlig, nur selten und wohl nur unter
pathologischen Verhältnissen seien einigermassen überzeugende
Übergänge zu entdecken. Was die Bedeutung der Zellen angeht,
weiss Türk, der sie ja sowohl von den Lymphocyten wie von
den granulierten Leucoeyten trennt, natürlich nichts rechtes mit
ihnen anzufangen und kommt daher auf den Gedanken, dass
„diese eigentümlichen Zellen die Produkte eines rudimentären
Leucoceytenbildungssystems seien, das jedenfalls dem myeloiden
System nahe stehe und es ihm gleich tun möchte“, aber nicht
könne. Er schreibt den Zellen also eine Art Grössenwahn zu
und Nägeli findet gar noch, dass Türks Gedanke eine glück-
liche Lösung wäre, fügt aber hinzu, dass keine Klarheit bestünde
und die fraglichen Zellen die „Bete noire der Hämatologie“ seien.
Wieder anders ist der Standpunkt anderer klinischer Häma-
tologen. Schleip (63) stellt sich in der Frage der „Übergangs-
formen“ auf die Seite Pappenheims, die „grossen mononukleären
SOS Franz Weidenreich:
Leucoceyten“ erwähnt er aber überhaupt nicht, sondern scheint
sie den Lymphoeyten und den „Übergangsformen“ zuzuzählen.
Grawitz (25) endlich, der gleichfalls die mononukleären Leuco-
cyten Ehrlichs als Sondergruppe nieht anerkennt, betrachtet
die Übergangsformen als wirkliche Übergangsbilder zwischen den
Lymphocyten einerseits und den polynukleären granulierten Leuco-
cyten andrerseits.
Ich begnüge mich mit dem Aufzählen dieser verschiedenen
Angaben und darf mir wohl eine noch eingehendere Literatur-
berücksichtigung ersparen. Es existieren also über die Beziehungen
der Lymphocyten, „grossen mononukleären Leucocyten“, „Über-
gangsformen“, und granulierten Leucoeyten zueinander für das
normale Blut folgende Ansichten:
Einhorn, Ehrlich: Pappenheim!), Schleip:
Lvmphoe. Gr. monon. Leucoc. Lymphocyten | Neutr. Leuc.
| |
Übergangsformen Monon. L.
| |
—_— =
Polyn. (neutr.) L. | Übergangsformen)
Türk Naselsz Grawitz:
Lymphoe. Gr. mononukl. L. | Neutr. L. Lymphoeyten
n | | )
UÜbergangsiormen | ee r
| Ubergangsformen
| |
_— —
| — m
| Neutr. Leucoecyt.
Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich also, dass Pappen-
heim den Lymphocytenbegriff viel weiter als Ehrlich fasste,
indem er die „grossen mononukleären Leucocyten“ und die
„Übergangsformen“ Ehrlichs dem Lymphocytensystem zu-
rechnete und sie einfach als weitere Umbildungsformen der
Lymphoevten auffasste. Während Einhorn-Ehrlich ursprüng-
lich im normalen Blut kleine und grosse Lymphocyten unter-
schieden, verschwanden späterhin bei Ehrlich (15) die grossen
Lymphocyten als normale Blutbestandteile. Pappenheim (47)
aber nimmt den Begriff des grossen Lymphocyten wieder auf:
ı) Dass nach Pappenheim auch zwischen Lymphocyten und granu-
lierten Leucoeyten Beziehungen bestehen, kann bei dieser Zusammenstellung
zunächst ausser Betracht bleiben.
Die ungranulierten Leucocyten. s09
diese Zellen seien identisch mit den teilungsreifen Keimzentrums-
zellen der Sekundärknötchen der Lymphdrüsen, kreisten aber für
gewöhnlich nicht als Lymphkörperchen im Blute. Zwischen kleinen
und grossen Lymphocyten bestünden aber im wesentlichen nur
(rrössenunterschiede hinsichtlich der Zellleiber und der Kerne:
die grossen Lymphocyten seien aber nicht etwa eine Entwicklungs-
stufe der kleinen, sondern stellten selbst den Ausgangspunkt der
Entwicklungsreihe dar, das gleiche gelte aber auch für die kleinen
Lymphoeyten. Für die grossen Lymphocyten führt nun nach
Pappenheim (48) die Entwicklungsreihe über den „grossen
mononukleären Leucoeyten“ zur „Übergangsform“, die das End-
stadium repräsentiere, für den kleinen Lymphocyten über den
„kleinen mononukleären Leucocyten“ zum „Riederschen Lympho-
eyten“. Die kleinen Lymphoeyten sollen durch mitotische Teilung:
aus den grossen hervorgehen. Dieses ausserordentlich komplizierte
Schema hat schon deswegen wenig Wahrscheinlichkeit für sich.
weil im normalen Blute die präsumierten Endglieder der Klein-
Lymphoeytenreihe, nämlich die „kleinen mononukleären Leucoeyten“
und die „Riederschen Lymphocyten“ überhaupt nicht vorkommen
und gerade umgekehrt ist es bei der Gross-Lymphocytenreihe.
In der Tat hat auch dieser Aufbau Pappenheims wenig An-
hänger gefunden. Aber Pappenheim unterscheidet noch weiter
die grossen und die kleinen Lymphocyten, die für ihn zu fest-
stehenden histologischen Begriffen geworden sind, wieder nach
der Grösse, sodass es eigentlich grosse „grosse Lymphocyten“ und
kleine „grosse Lymphocyten“ und grosse „kleine Lymphocyten“
und kleine „kleine Lymphoceyten“ geben müsste.
Aus den hier mitgeteilten Literaturangaben folgt also, dass
die klinischen Hämatologen unter Lymphocyten des normalen
Blutes nur die kleinen Zellen mit verhältnismässig grossem kuge-
ligen Kern und schmalem Plasmasaum verstanden wissen wollen.
Nur Pappenheim bezeichnet auch die grossen mononukleären
Leueoeyten und die Übergangsformen mit diesem Namen, sieht
aber in ihnen weitere Entwicklungsstadien der im normalen Blute
angeblich tehlenden „grossen Lymphocyten“. Unter letzterer
Zellform wird jetzt wohl allgemein die eigentliche Keimzentrums-
zelle der Lymphknötchen verstanden. aus der auf dem Wege der
810 Franz Weidenreich:
Mitose die kleinen Lymphoeyten hervorgehen: dieses Zellelement
soll aber nur bei Kindern oder unter besonderen pathologischen
Umständen in die Zirkulation gelangen.
II. Besondere morphologische Charaktere der
ungranulierten Leucocyten.
Ich möchte nun zunächst hier eine Schilderung der bisher
erwähnten ungranulierten Leucocytenformen geben, wie ich sie in
dien verschiedenen hämatologischen Lehrbüchern finde. Ehrlichs
Beschreibung habe ich zum Teil bereits zitiert.
a) Grosse Lymphocyten.
Nach Einhorn (16) sind das Zellen. die etwas grösser
sind als die roten Blutkörperchen, der Kern ist grösser als der
der kleinen Lymphoeyten, aber sonst ihm vollkommen ähnlich.
Um den Kern ist stets ein mehr oder wenig grosser Plasmasaum
vorhanden.
Ehrlich (15) trennt wohl in seinem System grosse und
kleine Lymphoeyten voneinander und leugnet das Vorkommen der
ersteren im normalen Blut. Trotzdem gibt er bei der Schilderung
der normalen Blutelemente nur Abbildungen von „grossen Lympho-
eyten“ und die Beschreibung hat grosse und kleine Formen zur
Grundlage. Einige seiner Angaben wurden schon oben erwähnt.
Ausserdem sei noch folgendes hervorgehoben: Zwischen Kern und
Plasma finde man häufig einen schmalen, wohl auf artifizieller
Retraktion beruhenden Hof. Kern und Plasma sind basophil.
doch ist die Affinität zu den basischen Farbstoften beim Plasma
stärker als beim Kern. Dieser hat häufig ein bis zwei Nukleoli
mit einer relativ dicken kräftig gefärbten Membran. Der Kontur,
namentlich der grösseren Formen, ist gewöhnlich nicht ganz glatt,
sondern etwas aufgefasert, zackig, höckerig. Bei ganz grossen
Formen können sich Teile des peripheren Saums abschnüren.
Türk (75), der die grossen Lymphocyten ausdrücklich für
normaler Weise sesshafte fixe Gewebselemente des adenoiden
Gewebes erklärt, die nur im pathologischen Blute vorkämen,
schildert diese Zellen in folgender Weise: Sie sind um ein be-
trächtliches grösser als der normale Lymphocyt des zirkulierenden
Blutes und erreichen etwa den Durchmesser der polymorphkernigen
Zellen. Sie besitzen einen grossen, runden, chromatinarmen Kern
und ein schmales, schwach basophiles Protoplasma. Sie unter-
Die ungranulierten Leucocyten. sıll
scheiden sich also von den kleinen Lymphocyten nur durch ihre
Grösse und durch die auffällige Chromatinarmut ihres Kernes bei
sonstiger Beibehaltung des Zellcharakters. Als Veränderungen
der Kernform, die vorkommen, werden kleine Einschnitte des
Kernes und tiefgreifende Lappungen beschrieben.
Pappenheim (48) erklärt den Typus des grossen Lympho-
eyten für ziemlich charakteristisch. Er ist dem des kleinen
ähnlich, hat einen relativ grossen, runden Kern mit konstant.
vorhandenem Nukleolus und lockerer Chromatinstruktur; der
Plasmarand sei schmal nnd schmächtig.
Nägeli (46) bezeichnet die grossen Lymphocyten als sehr
grosse rundkernige Lymphocyten:; sie haben zumeist schmales
Protoplasma, runde, sehr grosse, aber ungemein chromatinarme
Kerne und sehr deutliche Nukleolen; ab und zu trifft man Um-
bildungen der Kerne, die nur in sehr tiefen Einkerbungen bestehen,
aber nicht zur Lappung wie bei den granulierten Leucoevten führen.
b) Kleine Lymphocyten.
Das morphologische Bild dieser Zellformen wurde schon oben
geschildert. Hier seien noch einige nicht erwähnte Besonderheiten
hervorgehoben. Nägeli (46) gibt an, dass der Kern nicht immer
absolut rund sei, sondern auch oval und oft an einer Seite seicht
eingekerbt. Türk (75) findet ihn häufig länglich, hie und da
auch flach nierenförmig oder an einem Längsrande winklig ein-
gezogen. Das Vorhandensein von Kernkörperchen wird von fast
allen Autoren notiert. Was das Protoplasma angeht, so haben
Michaelis und Wolff (38) bei Anwendung von Azurfärbung
„azurophile“ Granula in ihm beschrieben: es handelt sich hierbei
um rotviolette Körnchen von wechselnder Zahl und Grösse, die
gelegentlich in Lymphocyten angetroffen werden. Mit einer be-
sonderen Modifikation der Altmannschen Fixation und Färbung
hat ferner Schridde (64, 65) in ihrem Protoplasma Körner
nachgewiesen, die plump stäbehenförmig aussehen. etwas grösser
als die Granula der feingranulierten Leucoevten und eng an den
Kern angelagert sind.
c) Grosse mononukleäre Leucocyten.
Welche Zellformen Ehrlich unter diesem Namen verstanden
hat, ist bereits angegeben worden, ebenso habe ich die Tatsache
registriert, dass manche Autoren diese Zellen überhaupt nicht als
812 Franz Weidenreich:
eine besondere Form gelten lassen, sondern sie mit zu den „Über-
gangsiormen“ rechnen.
Türk (75) entwirft von ihnen folgendes Bild: Sie gehören
zu den grössten Zellformen des normalen menschlichen Blutes
und messen zumeist etwa 12—15 u: sie sind charakterisiert
durch einen grossen einfachen, aber wenig scharf abgegrenzten
und ausgesprochen chromatinarmen Kern und durch ein ebenfalls
ziemlich breites, wechselnd grosses, schwach basophiles, ungranu-
liertes Protoplasma. Der Umriss des Kernes ist kein durchaus
regelmässiger, sondern er erscheint ein wenig abgeplattet oder
gebuchtet: Kernkörperchen lassen sich nicht oder nur sehr selten
nachweisen. Die Zellen haben die Fähigkeit, sich im strömenden
Blute in eine gelapptkernige Zellform umzuwandeln, dabei bleibt
der Kern plump und chromatinarm:; im Protoplasma treten dabei
feinste Stäubehen auf, die als die ersten Anfänge einer fein-
körnigen Granulation gedeutet werden müssen: ihrer färberischen
Reaktion nach nähere sich diese Granulation am meisten der neutro-
philen, ist aber durch ein wesentliches Überwiegen der basophilen
Komponente von der reifen neutrophilen Körnelung verschieden.
Pappenheim (48) macht folgende Angaben: Der Kern der
grossen mononukleären Leucoeyten einschliesslich der Übergangs-
zelle ist selten, eigentlich nie, ganz rund und weniger distinkt
konturiert wie der nukleinreiche der kleinen Lymphoeyten; die
Färbbarkeit ist gering, die Gerüststruktur locker. Liegt der
Kern zentral, dann erscheint das Protoplasma relativ schmal;
liegt er exzentrisch, so ist das Plasma am entgegengesetzten Pol
relativ mächtig und voluminös. Der Kern verändert sich in seiner
Form, doch bleibt die Polymorphose auf der Stufe der Zwerch-
sackbildung, der Bohnen- oder Nierenform stehen.
Nägeli (46) charakterisiert die Zellen wie folgt: Die
grossen mononukleären Zellen sind grosse Gebilde (12—20 4),
sehr leicht quetsch- und lädierbar:; sie haben einen chromatin-
armen, daher bei Färbungen blassen Kern, der sehr plump aussieht
und unregelmässige Kontur infolge verschiedener Einbuchtungen
aufweist. Das Protoplasma ist breit und an einzelnen Stellen
stärker entwickelt, ein basophiles Retikulum (7) ist vorhanden.
Nukleolen sind sehr selten. Azurgranula kommen vor. Mit sehr
gutem Triacid lassen sich in pathologischen Fällen neutrophile
(ranula nachweisen.
Die ungranulierten Leucocyten. 515
d) Übergangsformen.
Ehrlichs Schilderung dieser Zellen habe ich schon ange-
geben. Türk (75) sagt von ihnen: Es hat gar keinen Zweck,
sie als gesonderte Zellform zu führen: ihre Zusammengehörigkeit
mit den grossen mononukleären Leueoevten ist so in die Augen
springend,. dass man den Tatsachen Gewalt antun müsste, um sie
voneinander zu trennen.
Pappenheim (45) sieht in diesen Zellen nur grosse MIoNOo-
nukleäre Leucocyten, deren Kern stärker gebuchtet ist: ihr
Protoplasma sei stets basophil und absolut frei von neutrophiler
Granulation.
Schleip (63). der die „grossen mononukleären Leuco-
eyten* mit unter den „Übergangsformen“ versteht, schildert diese
folgendermassen: die Zellen sind grösser als die neutrophilen
Leueoevten:; der Kern ist stets hell. chromatinarm, selten rund
mit Einbuchtungen und Einschnürungen, häufig hufeisenförmig,
zwei- und dreigelappt. Das Protoplasma ist schwach basophil und
zeigt eine verschieden stark ausgesprochene neutrophile Körnelung.
Grawitz (25) unterscheidet nicht zwischen „grossen Mono-
nukleären Leucoeyten“ und „Übergangsformen“. Diese sind nach
ihm grosse Elemente; der Kern zeigt alle Übergänge von einer
grossen rundlichen Form mit beginnender Einbuchtung zur ge-
lappten und Hufeisen-Form, die rundlichen Formen tingieren sich
nur sehr schwach mit basischen Farbstoffen. Das Protoplasma
ist basophil; die Granula, die zum Teil sich basophil. zum Teil
„azurophil“ färben, nehmen bei reichlicherer Anwesenheit einen
den neutrophilen Granula ähnlichen schwachen Farbton an.
Nägeli (46) spricht von den „sogenannten“ Übergangs-
formen, da er sie den grossen mononukleären Leucoeyten zu-
rechnet. Sie sind aber kleiner als diese und haben einen stärker
gelappten und dunkel gefärbten Kern. Sehr feine neutrophile
(Granula können sofort nachgewiesen werden.
Ich habe hier eine Reihe von Citaten gegeben, die gestatten,
sich ein Bild von den Zellen zu machen, die ich zusammenfassend
zunächst einfach als ungranulierte Leucoeyten bezeichnet habe.
Sie gehen in der Literatur unter dem Namen der „grossen“ und
kleinen Lymphocyten. der „grossen mononukleären Leueoeyten“
s14 Franz Weidenreich:
und der „Übergangsformen“. Letztere beiden Formen, die Ehrlich
getrennt beschrieb, werden in neuerer Zeit nicht mehr unter-
schieden und demgemäss fehlt in den hämatologischen Lehrbüchern
bald die eine, bald die andere Bezeichnung.
Fasse ich kurz die Charakteristika zusammen, so ergibt sich,
dass unter den Lymphocyten schlechthin die kleinsten Zellelemente
verstanden werden, ausgezeichnet durch einen grossen rundlichen
Kern und einen schmalen Plasmasaum. Als „grosse Lymphoeyten“
werden grössere Zellen bezeichnet, die sonst im allgemeinen
Habitus mit den kleinen Formen übereinstimmen. Die „grossen
mononukleären Leueoeyten“ und „Übergangsformen“ sind grosse
Zellelemente mit mehr eingebuchteten, chromatinärmeren Kernen
und einem breiten Plasmahof; während die einen das Vorkommen
feiner Granula mit neutrophilem Färbungscharakter behaupten,
wird es von anderer Seite auf das entschiedenste bestritten.
Aus diesen Charakteristika geht hervor, dass die fraglichen
Zellen, mag auch die Abgrenzung untereinander Schwierigkeiten
machen, jedenfalls leicht von den ausgesprochen granulierten
Leucocyten, wie ich sie in der vorhergehenden Mitteilung (86)
beschrieben habe, unterschieden werden können.
B. Morphologie der ungranulierten Leucocyten
— Lymphocyten — des Blutes und der Lymphe.
Bei der Beschreibung der Zellelemente, die ich hier, im
Gegensatz zu den eigentlich granulierten Leucocyten, der Ein-
fachheit halber zunächst als ungranulierte Leucoeyten bezeichnet
habe, kann ein doppelter Weg eingeschlagen werden. Entweder
nämlich hält man sich an die Klassifizierung. die die momentan
herrschende Schule Ehrlichs gegeben hat, oder aber man lässt
(diese zunächst unbeachtet und betrachtet die fraglichen Formen
ohne jede Berücksichtigung einer Gruppierungstendenz. Da ich
im Folgenden zeigen werde, dass die übliche Klassifizierung mit
den tatsächlichen Befunden nicht in Einklang zu bringen ist
scheint es mir angezeigt, den letzteren Modus zu befolgen.
,
Ich lasse nun zunächst eine detailliertere Schilderung all
dieser Formen folgen. wie sie sich im normalen strömenden Blute
finden. Untersucht wurde von mir das Blut des Menschen, ferner
Hund, Katze, Kaninchen, Meerschweinchen und Ratte. Wo es
Die ungranulierten Leucocyten. S15
nicht besonders hervorgehoben wird, liegt der Beschreibung
normales menschliches Blut vom Erwachsenen zu Grunde.
I. Die Zellen des Blutes.
l. Kleine Formen.
(Lymphoeyten Ehrlichscher Nomenklatur.)
Am zweckmässigsten geht man dabei von den am häufigsten
im Blute vorkommenden (ca. 20 °/o aller Leucocyten) kleinsten Zell-
formen aus, wie ich sie in den Fig. 1 und 2 wiedergegeben habe.
In der allgemeinen Zellgrösse hat man diese Elemente mit den
roten Blutkörperchen verglichen: selbstverständlich kommt es
aber darauf an, ob die Messung an frischen, in dem Unter-
suchungsmedium schwimmenden, kugeligen Formen oder an
fixierten, am Deckglase festhaftenden und mehr oder weniger
ausgebreiteten Zellen vorgenommen wurde. Während im ersteren
Falle die Zellgrösse der der Erythrocyten gleich ist oder ein
wenig nachsteht, übertrifft sie im letzteren das Maß derselben in
wechselndem Grade. Bei der von mir angewandten Methode sind
diese Zellen durchweg ein wenig grösser; immerhin aber bleiben
sie beträchtlich kleiner als etwa die granulierten Leucocyten.
Was die Formen besonders kennzeichnet, ist das Verhältnis
des Kernes zum Protoplasma; der Kern liegt im allgemeinen
zentral und nimmt weitaus den grössten Teil der Zelle ein,
während das Plasma als mehr oder weniger schmaler Hof peripher
allseitig den Kern umgibt. (Fig. 1.) Der Kern macht meist
einen runden d.h. kugeligen Eindruck; vollständig gleichmässig
abgerundet ist aber der Kontur ausserordentlich selten, fast stets
sieht man Unregelmässigkeiten in Gestalt von Vorbuckelungen.
Nicht gar selten ist aber der Kern auch einseitig eingedellt und
bietet dann einen gedrungen bohnenförmigen Anblick (Fig. 1a, h).
Bei allen Fixations- und Färbemethoden tingiert er sich sehr
stark mit den Kernfarbstoften, nie aber erscheint er dabei völlig
gleichmässig strukturiert, sondern es wechseln hellere mit dunk-
leren Partien überall ab; an gut geglückten Präparaten tritt
ein ziemlich dichtes chromatisches Gerüstwerk deutlich hervor
(Fig. la, d, g), die in den Maschen dieses Gitters gelegenen
Partien werden als hellere Flecken bemerkbar; sie sind um so
heller, je näher der Oberfläche sie liegen. Man darf diese Stellen
nicht mit Nukleolen verwechseln, wie das in der Tat vielfach
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73, 53
816 Franz Weidenreich:
vorgekommen ist (Fig. lc, f); Kernkörperchen treten bei den
üblichen Darstellungsmethoden überhaupt nicht deutlich hervor.
Ein sehr gutes Mittel diese sichtbar zu machen, ist die Behand-
lung frischen Blutes mit Methylviolett nach der vitalen Färbungs-
methode von Rosin und Bibergeil (59); durch die Einwirkung
der Farbe quillt der Plamahof auf, sodass die Zelle im ganzen
etwas grösser aussieht; im Kern (Fig. 5a, ce) werden die Nukle-
olen als mehr oder weniger rundliche, homogene Flecken, die
durch eine stark gefärbte Zone in charakteristischer Weise vom
Kern abgegrenzt werden, ausserordentlich deutlich; ihre Zahl
schwankt, vielfach findet man Zellen mit nur einem Kernkörper-
chen, manchmal mit zwei und mehr.
Auf die Anordnung des Plasmas zum Kern ist schon oben
hingewiesen worden. Innerhalb des Plasmamantels selbst lassen
sich wieder, wenigstens in den meisten Fällen, zwei Zonen unter-
scheiden: eine innere den Kern unmittelbar begrenzende und
eine periphere äussere, beide vielleicht zweckmässig als Endo-
und Exoplasma bezeichnet. Das Endoplasma ist heller und weniger
dicht, manchmal auch anscheinend etwas homogener; es umgibt
den Kern als wechselnd breiten Hof und setzt sich meist sehr
scharf von dem Exoplasma ab. Das Fxoplasma ist dunkler und
diehter und gleichfalls von variierender Ausdehnung; es schliesst
die Zelle allenthalben nach aussen hin ab, besonders werden die
Pseudopodien aus ihm gebildet (Fig. 1d, e, g). An der Grenze
zwischen beiden Zonen sieht man nicht selten Ausbuchtungen
oder fingerförmige Fortsätze des Endoplasmas in das Exoplasma
sich erstrecken (Fig. 1g, i) oder man findet abgeschnürte kleine
Flecken endoplasmatischen Charakters wie Inseln im Exoplasma
liegen (Fig. 1h); ich glaube nicht fehl zu gehen in der Annahme,
dass wir es hierbei mit dem Ausdruck eines Substanz-Austauschs
zu tun haben oder mit sekretorischen Erscheinungen; dass man
die skizzierten Vorgänge nicht an allen Zellen findet, dürfte eher
zugunsten dieser Annahme sprechen. Die ganze Art der Er-
scheinung, vor allem auch die Beziehungen des Endo- zum
Exoplasma und die Tatsache, dass ähnliche Differenzierungen des
Plasmas auch bei den granulierten Leucoeyten vorkommen, wo
ich sie früher (86) beschrieben habe, sprechen dafür, dass wir es
hier mit wirklichen Strukturen zu tun haben und dass das Endo-
plasma nicht als „Retraktionshof* zu deuten ist. wie Ehrlich
Die ungranulierten Leucoeyten. s17
(s. 0.), der die hellere Zone um den Kern schon gesehen hat,
vermutet.
Ausser den hier mitgeteilten Besonderheiten sind nun
innerhalb des Protoplasmas granuläre Bildungen verschiedener
Art beschrieben worden. Bei der gewöhnlichen Trockenmethode
oder bei Anwendung des Agarverfahrens mit nachfolgender
Giemsa-Färbung sieht man in einzelnen Zellen jene „azurophilen*“
(sranulationen, auf die Michaelis und Wolff (38) zuerst
aufmerksam gemacht haben; es handelt sich hierbei um meist
kleine, an Grösse allerdings variierende Körnchen, die ich in
manchen Fällen mehr im Gebiete des Endoplasmas fand (Fig. 1f),
ohne dass sie aber auf dieses beschränkt sind. Die Granula
sind an Zahl gering, verglichen mit der Körmelung der eigent-
lichen granulierten Leucocyten, und liegen ziemlich zerstreut
(Fig. 1ec,f). Eine andere Granulierung tritt hervor, wenn man
mit vitalen Farbstoffen färbt; diese Körnelung ist schon von
Arnold (1) und Rosin und Bibergeil (60) beschrieben und
im Bilde wiedergegeben worden. Färbt man mit Neutralrot, so
treten — und zwar in allen Zellen — bald mehr oder weniger
grobe Granula hervor, die allmählich immer grösser werden und
zusammenzufliessen scheinen (Fig. 4a); bei Anwendung von Methyl-
violett werden sie weniger distinkt dargestellt und machen mehr
einen verschwommenen Eindruck (Fig. 5a,ec). Endlich hat noch
Schridde (64, 65) eine besondere Form von Granulationen
beschrieben, die mit der von ihm modifizierten Altmannschen
Methode der Granuladarstellung in allen diesen Zellen sichtbar
gemacht werden kann; das nähere über diese Körnelung habe
ich oben angegeben. Was nun die Bewertung der drei genannten
Protoplasmaeinlagerungen angeht, so sind sie, wie ich glaube,
verschieden zu beurteilen. Die „azurophilen“ Granula halte ich
für richtige endogene Protoplasmadifferenzierungen, die möglicher-
weise der Ausdruck bestimmter sekretorischer Prozesse sind,
eine Auffassung, die auch von anderen, wie Ferrata (18, 19),
geteilt wird; doch spricht die Unregelmässigkeit, mit der sie vor-
kommen, dafür, dass es sich hierbei um keine prinzipiell bestimmende
Granulierung "handelt, wie etwa bei den feingekörnten Leucocyten ;
sie als den Ausdruck degenerativer Umsetzungen anzusehen, wie
Türk (75) will, ist keinerlei Grund vorhanden. Die vital
darstellbare Granulierung deute ich als Plasmaausfällung, die
H3*
s18 Franz Weidenreich:
durch die Einwirkung des Reagens entstanden ist, ob ihr eine
wirkliche, sonst nicht sichtbare Granulierung des Plasmas, etwa
besondere Plasmaorgane, zugrunde liegen, ist schwer zu sagen:
jedenfalls handelt es sich dabei aber nicht um eine diesen Zellen
eigentümliche Bildung, sondern um eine weit verbreitete fast
allgemeine Erscheinung des Protoplasmas der Körperzellen und
ist dementsprechend auch hier zu bewerten. Die von Schridde
beschriebene Granulierung möchte ich der eben genannten an
die Seite stellen, ohne aber damit behaupten zu wollen, dass beide
etwa identisch wären; auch sie entsteht unter der Einwirkung
der Reagentien und ist deswegen als besondere Ausfällungsform
zu betrachten. Dass man in ihr Granula zu sehen hätte, die
in der lebenden Zelle schon distinkt vorgebildet und von der
Umgebung verschieden wären, dagegen spricht die Tatsache, dass
die Körnelung im (Gregensatz zu der der bekannten granulierten
Leucocyten am frischen Objekt nicht sichtbar ist und vor allem
auch, dass sie nicht im Negativ dargestellt werden kann; d.h. bei
Anwendungen von Farbstoffen, die die Granula nicht tingieren,
werden sie nicht als deutliche Aussparungen im Plasmaleib
bemerkbar. Damit soll die Körnelung nicht direkt als ein Kunst-
produkt bezeichnet werden, möglicherweise liegt ihr eine besondere
Protoplasmastruktur zugrunde, die aber dann erst bei Anwendung
bestimmter Mittel distinkt als Granulierung hervortritt. Aus
dem Gesagten ergibt sich, dass es sich bei den geschilderten
Plasmaeinlagerungen um morphologisch andere Dinge handelt,
als bei den Granula der fein- und grobgekörnten Leucocyten
und der Mastleucocyten; da jene Granula nur mit besonderen
Methoden deutlich gemacht werden können und jedenfalls am
frischen Objekt nicht sichtbar sind, ist es auch gestattet, diese
Zellelemente im Gegensatz zu jenen Leucocyten als ungranuliert
zu bezeichnen.
Was die Zentren betrifft. so liegen sie, soweit sie überhaupt
sichtbar sind und nicht durch den Kern verdeckt werden, inner-
halb des Endoplasmas und in unmittelbarer Nähe des Kernes
(Fig. 1b, d, h; Fig. 2b). Stets fand ich zwei Mikrozentren von
ungefähr gleicher Grösse, die in einen helleren, ovalen Hof ein-
gebettet sind: in einem Falle (Fig. 1b) waren sie durch eine
Brücke verbunden. Meistens ist es leicht, die Mikrozentren
von der „azurophilen“ Granulation zu unterscheiden, da diese
Die ungranulierten Leucocyten. 819
sewöhnlich eines Hofs entbehrt: unter Umständen (Fig. 1e)
kann es aber unmöglich sein, die Unterscheidung durchzuführen.
Bei der Vitalfärbung mit Methylviolett werden die Mikrozentren
gleichfalls gefärbt (Fig. 5), doch treten dabei bald auch andere
Granula auf.
Auf die Frage der amöboiden Beweglichkeit der Zellen
werde ich später zu sprechen kommen.
2. Grosse Formen.
(„Grosse mononukleäre Leueoeyten“ und „Übergangsformen“
Ehrlichscher Nomenklatur.)
In sehr viel geringerer Zahl (ca. 5°/o der Leucoeyten),
aber immer noch leicht in mehreren Exemplaren in jedem
Präparate normalen Blutes auffindbar, kommen die grossen
Formen der ungranulierten Leucocyten vor. Sie sind zunächst
dadurch gekennzeichnet, dass ihre allgemeine Zellengrösse nicht
nur die der granulierten Leucocyten erreicht, sondern vielfach
übertrifft; weiterhin sind diese Zellen dadurch charakterisiert,
dass sowohl der Kern als auch das Plasma eine beträchtliche
Grösse erreichen, wobei aber das Verhältnis zwischen diesen beiden
Zellbestandteilen im Gegensatz zu den kleinen Formen mehr
zugunsten des Protoplasmas verschoben erscheint (Fig. 3).
Der Kern hat stets und durchaus kompakten Charakter,
d. h. er stellt ein einheitliches, zusammenhängendes Ganzes dar
und ist niemals gelappt in der Form, wie man sie bei den
granulierten Leucoceyten als Regel findet. Seine Gesamtform ist
wechselnd, bald ist er mehr rundlich, d. h. in allen Dimensionen
gleich (Fig 3a), bald mehr in die Länge gezogen (Fig. 3b); die
am häufigsten wiederkehrende Form ist aber die Bohnen- oder
Nierenform (Fig. 3e, f, h), wovon es aber auch wieder kleine
Abweichungen gibt, wie z.B. bei g (Fig. 3). Was die Struktur
des Kernes angeht, so zeigt sie in gut gelungenen Präparaten
nach den von mir angewandten Methoden dasselbe Bild, wie ich
es für die kleinen Formen geschildert habe, nur scheint das
Chromatingerüst ein wenig lockerer (Fig. 3d, e: cf. Fig. la, d, g).
Die Angaben mancher Autoren, dass der Kern besonders chromatin-
arm, weil schwach färbbar, wäre, vermag ich nicht zu bestätigen;
wie ein Blick auf die Fig. 3, 6, 9 12 lehrt, kann von einer aus-
gesprochenen Chromatinarmut der grossen Formen gar keine
s20 Franz Weidenreich:
Rede sein. Diese in fast allen Lehrbüchern wiedergegebene
Ansicht gründet sich darauf, dass im üblichen Blut-Trocken-
präparat und bei Anwendung der gewöhnlichen Färbemittel in
der Tat der Kern die Farbe schlecht annimmt. Man kann sich
an den mit der Agarmethode dargestellten Präparaten über-
zeugen, dass es wohl physikalische, allerdings nicht näher zu
bestimmende Gründe sein müssen, die die gelegentlich auf-
tretende schwere Färbbarkeit bedingen: in den Randpartien eines
derartigen Präparates, wo die Osmiumsäure länger und intensiver
einwirkt, ist der Kern oft im Gegensatz zum Protoplasma kaum
tingiert, während daneben liegende kleine Formen normale
Färbbarkeit zeigen; in den zentralen Partien des Präparates
merkt man aber in der Tinktionsfähigkeit nicht den geringsten
Unterschied zwischen beiden Zellelementen ; ich habe in Fig. 13
eine derartige, allerdings aus der Lymphe des Kaninchens
stammende Zelle wiedergegeben, die der Randpartie entstammt
und das Verhalten von Kern und Plasma der Farbe gegenüber
deutlich zeigt. Wäre diese bei mancher Methode zu beobachtende
geringe Färbbarkeit durch einen besonderen Mangel an Chromatin
bedingt, so müsste das auch bei den von mir benutzten
Darstellungsverfahren und an allen Stellen des Präparates
konstatierbar sein: die in Fig. 3d, e wiedergegebenen Zellen
beweisen aber wohl zur Genüge, dass man von einer besonderen
Chromatinarmut nicht sprechen kann.
Die Lage des Kernes innerhalb der Zelle ist wechselnd:
neben solchen Formen, bei denen er eine mehr zentrale Lage
einnimmt (Fig. 3 a. b, d, g), trifft man auch solche mit ausge-
sprochen exzentrischer Lagerung (Fig. 3 ec, f, h).
In bezug auf Vorkommen, Form und Erscheinungsart der
Nukleolen gilt genau dasselbe wie für die kleinen Formen, so
dass ich mich neben einem Hinweis auf Fig. 5b, d mit dem dort
(esagten begnügen kann.
Das Protoplasma, das ziemlich reichlich vorhanden ist, lässt
eine deutliche Differenzierung in Endo- und Exoplasma wie bei
den kleinen Formen nicht erkennen, gelegentliche Andeutungen
finden sich aber (Fig. 3 a, b). Seiner Struktur nach ist es nicht
homogen und anscheinend wabiger oder schwammiger gebaut als
bei den kleinen Formen. Was die Granulierung angeht, so kommen
auch hier ab und zu die „azurophilen“ Granulationen vor (Fig. 3 c),
Die ungranulierten Leucocyten. 821
sie unterscheiden sieh nicht von denen der kleinen Formen; bei
Anwendung vitaler Farbstoffe, so bei Neutralrot (Fig. 4b) und
Methylviolett (Fig. 5 b, d), treten gefärbte Körnelungen auf, die
gleichfalls mit denen der kleinen Formen vollständig überein-
stimmen: das gleiche gilt für die Schriddesche Granulierung.
Auf eine besonders eigentümliche Art von Einlagerung im
Plasma. die aber bis jetzt nur beim Meerschweinchen in charakte-
ristischer Form gesehen wurde, hat zuerst Kurloff aufmerksam
gemacht. Seine Angaben hierüber lauten nach Ehrlich (15):
Im Protoplasma findet sich ein rundliches kernähnliches Gebilde,
das sich auch mit Kernfarbstoffen anfärbt und möglicherweise ın
ddas Gebiet des Nebenkerns zu rechnen ist; man hat den Eindruck,
dass es sich um eine Vakuole handelt, die mit Sekretstoff aus-
gefüllt ist; zunächst erscheinen die Gebilde als einzelne mit dem
Zellkern in keinem Zusammenhang stehende punktförmige Kerne
im Plasma, allmählich vergrössern sie sich und gewinnen einen
bedeutenden Umfang: wenn sie die Grösse des Zellkerns erreicht
haben, scheinen sie die Plasmahülle der Zelle zu durchbrechen
und die Zelle zu verlassen. In neuerer Zeit hat Cesaris-
Demel (9) mit Hilfe der vitalen Färbemethoden diese Körper
näher untersucht; sie erscheinen dabei je nach der angewandten
Farbe in einem verschiedenen Bild, bald sind sie homogen, bald
enthalten sie eine Menge kleiner Kügelchen oder einzelne grössere
oder auch fadenförmige Gebilde; bei Anwendung von Neutralrot
tritt in der Mitte des Körpers ein besonders grosses intensiv
‚gefärbtes Korn auf. ‘Im übrigen genügt es, auf die Abbildungen
(Taf. XIII) zu verweisen, die der Autor gibt. Mit den gleichen
Gebilden hat sich dann Ferrata (18, 19) beschäftigt; auch er
bringt sie in Beziehung zum Kern und hält sie für identisch mit
den beim Menschen in den gleichen Zellen vorkommenden
„azurophilen* Granula: auf des Autors Bewertung der Körper
für die Klassifizierung der Zellen wird noch zurückzukommen
sein. Meine eigenen Untersuchungen haben kein Ergebnis gehabt,
das von der Schilderung der Autoren, soweit der einfache Befund
in Frage kommt, wesentlich abwiche. Bei Zusatz von Neutralrot
zum Meerschweinchenblut kann man sich sehr gut vom Vor-
handensein der eigentümlichen Bildungen überzeugen. Sehr schön
sind sie aber auch sichtbar zu machen mit der Osmiumdampf-
Fixation oder der Agarmethode. Ihre Entwicklung habe ich in
s22 Franz Weidenreich»
Fig. 6 a, b, e wiedergegeben; sie treten zuerst einzeln oder zu
zweien, selten zu mehr im Plasma als anscheinend homogene
Körper auf (a). Dann wachsen sie zu grösseren Kugeln heran,
indem sie den Kern vollständig an den Rand drängen (b);
interessant ist dabei, dass auch die Sphäre mit den Mikrozentren
von ihrem ursprünglichen Platz weichen muss (b, ce). Sind ge-
trennte Körper vorhanden gewesen, so fliessen sie zuletzt zu einem
grossen Gebilde zusammen, das dann neben dem Kern die Haupt-
masse der Zelle ausmacht, während das eigentliche Protoplasma
den Körper nur noch mit einem dünnen Saum umgibt (ec). Das
(ebilde selbst erscheint dann nicht mehr homogen, sondern es
treten in ihm Flecken oder vakuolenartige Differenzierungen auf,
die eine randständige Lage einnehmen (ce). Bei Anwendung der
Agarmethode ergibt sich im wesentlichen dasselbe Bild (Fig. 6d,e, f);
manchmal sah ich hier aber auch an Stelle des Körpers einen
zusammengedrängten Haufen gröberer und feinerer Granula (f).
Was die Bedeutung des Gebildes angeht, so möchte auch ich
mich der Auffassung der meisten Autoren anschliessen, dass es
sich hier um emen Sekretionsvorgang handelt, über dessen Natur
allerdings wenig zu sagen ist; das wechselnde Bild, das bei Vital-
färbungen auftritt, beruht jedenfalls auf der besonderen ausfällenden
Wirkung des jeweils zur Anwendung gelangenden Reagens. Von
einer Mitbeteilung des Kernes, für die besonders auch Ciaccio (10)
eintritt. konnte ich mich bis jetzt nicht überzeugen. Es ist jeden-
falls auffällig, dass die eigentümliche Plasmaeinlagerung bisher
nur bei den Zellen des Meerschweinchens in dieser Form gefunden
wurde, wenigstens kommt beim Menschen und den anderen ge-
wöhnlich untersuchten Tieren nichts gleiches vor. Ferrata (20, 21)
nimmt zwar an, dass die „azurophilen“ Granula jenen Körpern
entsprechen, er sieht in beiden Arten Plasmosomen und identifiziert
sie so ohne weiteres. Jch vermag dem Autor hierin nicht zu
folgen und sehe den Beweis, ebenso wie Pappenheim (50).
nicht für erbracht an. In beiden Fällen scheint es sich wohl um
sekretorische Prozesse zu handeln, jedenfalls verlaufen sie aber
morphologisch durchaus nicht unter demselben Bilde, und ob sie
physiologisch gleichwertig sind, wissen wir nicht; färberische
Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten beweisen hierfür nichts,
weil dafür ja auch gleiche physikalische Umstände massgebend
sein können.
Die ungranulierten Leucocyten. 823
Die Zentren der grossen Formen liegen genau wie bei den
kleinen in unmittelbarer Nähe des Kernes (Fig. 3 und 5 b, d)
und bestehen aus einer deutlichen Sphäre und meist zwei, gelegent-
lich aber auch aus drei (d, f) Mikrozentren: eine Verbindung
durch eine Zentralbrücke kommt auch hier vor (f). Findet sich
der Kern mehr in der Mitte der Zelle, so liegt natürlich das
Zentrum exzentrisch (a, b); bei exzentrischer Lagerung des Kernes
rückt es mehr nach der Zellmitte. Bei bohnenförmigen Kernen
tritft man es stets in der Kernausbuchtung (Fig. 3 e, f, h und
Fig. 5 b. d). Über seine Verdrängung durch die Plasmaem-
lagerungen beim Meerschweinchen habe ich das nähere schon
oben angegeben.
Dass die grossen Formen amöboider Bewegung fähig sind,
war im Gegensatz zu den kleinen nie bestritten. Schon bei An-
wendung der Osmiumdampffixation sieht man an den Zellen Fort-
sätze des Plasmas, deren Pseudopodien-Natur nicht zweifelhaft
ist (Fig. 3 ec, f, eg, h). Besonders schön lassen sich aber die Be-
wegungsphasen bei der Fixation durch die Agarmethode festhalten:
die Bilder e und d geben davon eine sehr gute Vorstellung. Dass
auch hier der Kern, ähnlich wie bei den granulierten Leueocyten,
von der Plasmabewegung ganz oder in einzelnen Teilen beeinflusst
wird, lehrt, was die Form im ganzen angeht, die Abbildung d:
dass starke Pseudopodienbildung in bestimmter Richtung ein Aus-
fliessen der nächstgelegenen Kernteile herbeiführt, geht aus e
hervor; die entsprechende Strömungsrichtung von Plasma und
Kern ist durch den Pfeil angedeutet. Niemals aber treten dabei
Formen auf, wie wir sie bei den granulierten Leucocyten finden
und wie ich sie eingehend in der letzten Abhandlung (86) ge-
schildert habe. Wie auch der Kern sich gestalten mag, er behält
stets den kompakten Charakter bei und ist nie gelappt.
Ich werde späterhin noch auf diese Frage zurückkommen.
Nach der hier gegebenen Schilderung der morphologischen
Charaktere stellen die kleinen und die grossen Formen der un-
eranulierten Leuceocyten gut umschriebene und unterscheidbare
Zelltypen vor, wenigstens soweit ihre Unterscheidung von anderen,
speziell den granulierten Leueoevtenformen in Frage kommt. Die
s24 Franz Weidenreich:
kleinen Formen sind schon durch die Grössenverhältnisse und
die Beziehung von Kern und Plasma genügend gekennzeichnet.
Die grossen Elemente können mit den ausgesprochenen Formen
der granulierten Leucoceyten überhaupt nicht verwechselt werden,
hiervor schützt nicht nur das Fehlen der Körnelung (oder deren
Charakter), sondern auch die Kernform, die stets kompakt bleibt.
Nun gibt es ja allerdings auch kompakt-kernige granulierte
Leucocyten im normalen Blut. Vergleicht man aber beide Arten
miteinander, so ergeben sich die Unterschiede ohne weiteres
(ef. Fig. 3 mit den Fig. 1, 2, 3, 11a auf Taf. VIII meiner vorher-
gehenden Arbeit). Der Kern liegt bei den granulierten Elementen
stets sehr stark exzentrisch und die Zentren finden sieh in
grösserem Abstand vom Kern und mehr in der Mitte der Zelle.
Dazu kommt noch das Verhalten des Plasmas, besonders in seinen
(Granulationen. Was nun die Beziehungen der kleinen zu den
grossen Formen angeht, so wird hier von Ehrlich und seiner
Schule jeder Zusammenhang bestritten: auch *"Pappenheim
steht hier auf dem Standpunkt, dass keine direkten Beziehungen
bestehen, indem er die von mir geschilderten grossen Formen
von besonderen „grossen Lymphocyten* ableitet, in den kleinen
aber den eigenen Zelltypus der „kleinen Lymphoeyten* sieht.
Wenn man eine grosse Anzahl beider Formen durchmustert, so
gelangt man bald zu dem Resultat, dass eine scharfe Trennung
absolut unmöglich ist; man trifft Zellen genug, die in Grösse,
in bezug auf das Verhältnis von Kern und Plasma und in ihren
sonstigen morphologischen Charakteren durchaus eine Mittelstellung
einnehmen und die man sowohl den kleinen wie den grossen
Formen zurechnen kann. Ich habe in Fig. 27 auf Taf. XXXII eine
Reihe von Zellen in ihren Kern- und Grenzkonturen wieder-
gegeben, die ohne weiteres die Kontinuität zwischen den kleinen
und den grossen Formen erkennen lassen und zwar nicht nur in
der allgemeinen Zellgrösse, sondern auch vor allem in der Kor-
relation zwischen Kern und Plasma. Ich werde aber auf diese
Frage noch eingehender zurückzukommen haben.
Einen besseren Einblick in die Bedeutung der beschriebenen
Zellformen und ihre Beziehungen zueinander erhält man. wenn
man die Untersuchung nicht auf das Blut beschränkt, sondern
sich einmal die Hauptquelle ansieht, aus der die farblosen Blut-
elemente notorisch in das Blut gelangen, und das ist die Lymphe.
Die ungranulierten Leucocyten. 825
I. Die Zellen der Lymphe.
Bei einer Untersuchung der zelligen Elemente der Lymphe
betritt man fast ein neues Gebiet; die Angaben der älteren
Anatomen, auf die ich oben hinwies, basieren fast durchweg auf
wenig zureichenden Methoden und sind deswegen nicht ohne
weiteres verwertbar; von klinischer Seite, speziell von Ehrlich
und seiner Schule aber, existieren meines Wissens hierüber über-
haupt keine Untersuchungen. Und doch ist klar, dass man ein
Urteil über die Auffassung und Bewertung der Zellelemente, die
man früher als Lymphkörperchen und dann als Lymphoeyten be-
zeichnet hat, nur gewinnen kann, wenn man die Lymphe unter-
sucht. die sie ja in grossen Mengen erst in das Blut einschwemmt.
Mit den oben angegebenen Methoden habe ich nun eine Reihe
von Tieren: Meerschweinchen, Kaninchen, Katze, Hund und einen
Macacus untersucht, und dabei einen im grossen und ganzen
übereinstimmenden Befund erheben können. Den folgenden Aus-
führungen liegt im wesentlichen der Befund am Kaninchen
zugrunde.
Zunächst fällt auf, dass der Gehalt an Zellen auch bei der
gleichen Tierart wechselt, und zwar so, dass man einmal ausser-
ordentliche Mengen findet, ein andermal wieder sehr wenig. Stets
aber überwiegen die ungranulierten Elemente um ein beträcht-
liches, ja manchmal fällt es schwer, granulierte Leucocyten in
einem Präparate zu finden. Was aber nun die ungranulierten
Elemente angeht, so trifft man sowohl kleine wie grosse Formen,
erstere in überwiegender Menge, letztere aber auch in recht
beträchtlicher Zahl, nach ungefährer Schätzung etwa zu 20%.
Die kleinen Formen zeigen in ihren morphologischen Charakteren
vollständige Übereinstimmung mit den entsprechenden Zellen des
Blutes, sodass ich es mir versagen kann, nochmals näher darauf
einzugehen. Ich verweise auf die Fig. 9a—d und 7a, b für die
Lymphelemente und Fig. 1 für das Blut, allerdings stammen erstere
vom Kaninchen, letztere vom Menschen.
Ein anderer Punkt soll aber zunächst hier seine Erörterung
finden. Ehrlich (15) hat wohl in Anlehnung an M. Schultze (71)
die Behauptung aufgestellt, dass die kleinen Formen nicht amöboid
beweglich und weiterhin auch nicht emigrationsfähig seien. Ich
habe schon früher (50) darau“ hingewiesen, dass diese Annahme
526 Franz Weidenreich:
den Tatsachen keineswegs entspricht; und dass speziell die so-
genannten Lymphoceyten die Grefässwände passieren, dafür habe
ich Belege aus der anatomischen Literatur und den Abbildungen
in den Lehrbüchern der Histologie erbracht. Ich selbst habe
auch schon früher solche Zellen im Durchtritt durch die Gefässe
der Blutlymphdrüsen (79) und der Milz — hierfür auch beim
Menschen — (77) dargestellt. Inzwischen haben sich eine ganze
Reihe von Autoren, auch Anhänger Ehrlichs, davon überzeugt,
dass die amöboide Beweglichkeit nicht gut abstreitbar ist. Bei
der Anwendung der Agarmethode gelingt es nun ohne weiteres,
solche in Bewegung befindliche Formen in ihrer augenblicklichen
Phase zu fixieren: ich gebe in Fig. 7 eine Reihe derartiger Zellen
der Lymphe wieder. Interessant ist dabei besonders das Ver-
halten des Kerns; im nahezu allen Figuren zeigt sich, dass der
Kern fast sklavisch den Bewegungen des Plasmas folgt, sodass
Kernkontur und Zellkontur auch bei stärkster Bewegungs-
erscheinung fast völlig miteinander übereinstimmen. Sobald aber
die Zelle wieder in die Ruheform zurückkehrt, nimmt auch der
Kern wieder seine rundliche oder besser kugelige Forın an. Niemals
tritt hier eine bleibende Lappung auf, sodass auch diese Beob-
achtungen an den ungranulierten Zellen zugunsten meiner in der
letzten Abhandlung (86) vorgetragenen Ansichten über die Kern-
form der granulierten Elemente sprechen. Es sei hier nun noch
nachgeholt, dass auch die kleinen Formen des menschlichen Blutes
bei der Agarmethode die gleiche Bewegung zeigen, in Fig. 2a
und b habe ich zwei solcher Zellen in der charakteristischen
Bewegungsform wiedergegeben. Meine Befunde stimmen also auch
hinsichtlich des Verhaltens des Kernes mit denen überein, die
Askanazy (2) an den Lymphocyten menschlicher Lymphdrusen
erheben konnte.
Was nun die grossen Elemente angeht, so zeigen auch sie
dasselbe Bild, das wir schon vom Blute her kennen. Die Zellen
erreichen gelegentlich recht grosse Dimensionen (Fig. 91), zeigen
aber sonst das übliche Maß (Fig. 9f, g, h); auch das Verhältnis
zwischen Kern und Plasma ist das bekannte. Die Form des
Kernes ist entweder eine mehr rundlich-kugelige (Fig. 10) oder
eine rein nierenförmige (Fig. 9 f—i) oder aber der Kern zeigt
höckerartige Unebenheiten oder grössere Fortsätze, wie ich sie
in Fig. 12 dargestellt habe. Ich habe schon darauf hingewiesen,
Die ungranulierten Leucocyten. 827
dass dasselbe auch bei den entsprechenden Elementen des Blutes
vorkommt (Fig. 3b, e, g), und die Fortsätze als den Ausdruck einer
Bewegungserscheinung gedentet (Fig. 3e); dass auch für die
Zellen der Lymphe dieselben Ursachen verantwortlich zu machen
sind, folgt aus einer Betrachtung der Fig. 12b, die eine Zelle in
Bewegung wiedergibt, wobei der Kern dem Plasma folgend, die
charakteristischen Fortsätze ausfliessen lässt. Niemals tritt aber
auch hier eine Lappung des Kernes auf, wie sie bei den granulierten
Leucocevten die Regel ist; die Kerne behalten den kompakten
Charakter bei. Dass sie manchmal schwer tingierbar sind, aber
trotzdem nicht als chromatinarn bezeichnet werden können, hob
ich schon hervor: ich verweise hierfür nochmals auf Fig. 13 und
das, was ich bei Besprechung derselben gesagt habe. Das Proto-
plasma zeigt manchmal auch hier die beiden Zonen (Fig. 10a, b),
auch sonst gilt für seine Struktur das gleiche wie für die Blut-
zellen. Interessant ist, dass beim Kaninchen, wenn auch nicht
gerade häufig, Granulationen vorkommen, die als „azurophile“
anzusprechen sein dürften; ich gebe zwei derartige Zellen in
Fig. 14 wieder; bei Giemsa-Färbung nehmen sie zum Teil
eine hellere rötliche, zum Teil eine dunklere blaue Farbe an.
Dass es sich hier nicht um richtige granulierte Leucocyten handelt,
also weder um pseudoeosinophile, noch um eosinophile, noch um
Mastleucocyten, brauche ich wohl nicht ausdrücklich zu versichern :
derartige Zellen und Granulationen sehen ganz anders aus.
II. Vergleich der Blut- und Lymphzellen und
die Beziehungen der kleinen und grossen Formen
zueinander.
Aus den hier mitgeteilten Befunden ergibt sich also, dass
wir die beiden Formen der Blutleucoeyten mit genau den gleichen
Charakteren in der Lymphe wiederfinden. Dass sie identisch sind,
braucht nicht erst bewiesen zu werden, denn es ist wohl klar, dass
die Zellelemente, die dem Ductus thoraeicus an seiner Einmündung
in das Venensystem entnommen werden, im nächsten Augenblicke
im Blute gefunden werden müssen: von allen farblosen Zellen
des Blutes können ihnen aber nur die oben beschriebenen Elemente
entsprechen. Vor einiger Zeit hat einmal Schridde (64) be-
hauptet, dass „die Lymphoeyten des Blutes (das sind natürlich
die von mir mit einem indifferenten Namen als kleine Formen
s25 Franz Weidenreich:
bezeichneten Elemente) auf der einen Seite und die Zellen der
Lymphfollikel und die im perivaskulären Gewebe gelagerten
Lymphoeyten (also auch die Elemente der Lymphe) auf der anderen
Seite morphologisch vollkommen differente Zellarten seien“, und
das deswegen. weil mit seiner schon besprochenen Methode der
Granuladarstellung die Granula in der Farbennuance etwas von-
einander abweichen und „nur Zellen der gleichen Art die gleichen
spezifischen Zellkörner besitzen“. Schridde (65) hat bald er-
kannt, dass er hier doch in der Wertschätzung des färberischen
Charakters der Granulation und der Granulation überhaupt zu
weit gegangen ist, und ist inzwischen von dieser Ansicht ab-
gekommen; aber bezeichnend ist es doch, dass unter dem Zwange
des Ehrlichschen Dogmas einfache anatomische Tatsachen wie
die des Übergangs der Lymphzellen in das Blut mit einer an-
geblich zu konstatierenden Färbungsdifferenz einer erst durch
besondere Methoden darstellbaren Granulation kurzer Hand als
widerlegt angesehen werden konnten.
Demnach kommen wir zu dem Ergebnis, dass sowohl die
kleinen wie diegrossen ungranuliertenZellelemente
dem Blute durch die Lymphe zugeführt werden — ob
ausschliesslich, kann vorerst ausser Betracht bleiben. Diese
Zellformen sind es also, die von den älteren oben zitierten
Anatomen und besonders auch von Virchow als Lymph-
körperehen beschrieben wurden, und es ist daher durch nichts
gerechtfertigt und absolut unrichtig, zu behaupten, dass nur die
kleinen Formen Iymphogenen Ursprungs seien und die grossen
ungranulierten Elemente („grosse mononukleäre Leucocyten“ und
„Übergangsformen“) nicht den Lymphdrüsen, sondern nur der
Milz!) oder dem Knochenmark entstammen. Aus dem gleichen
Grunde widerspricht es den einfachsten anatomischen Tatsachen,
die kleinen Formen allein als „Lymphocyten“ zu bezeichnen. Dieser
Name wurde ursprünglich für die Zellen der Lymphe gebraucht, und
da in ihr die grossen Formen genau so wie im Blute vorkommen,
so hat man auch auf sie jene Bezeichnung auszudehnen. Dass
sie auch aus Milz und Knochenmark in das Blut gelangen können,
soll nicht bestritten werden; dasselbe gilt aber auch anerkannter-
!, Da die Milz keine Lymphgefässe als Ausführwege besitzt (77),
können die grossen Elemente natürlich nicht aus diesem Organ her in den
Ductus thoracicus gelangen.
Die ungranulierten Leucocyten. 820
massen für die kleinen Formen, die „Lymphoeyten“ Ehrlichs.
sine derartige engere Zusammenstellung der kleinen und der
grossen Formen ist aber auch morphologisch durchaus gerecht-
fertigt, da es absolut unmöglich ist, eine scharfe Grenze zwischen
beiden zu ziehen. Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht,
dass für das Blut eine kontinuierliche Reihe von den kleinen
Formen über solche, die eine Mittelstellung einnehmen, zu den
grossen führt, und eine entsprechende Zusammenstellung in Fig. 27
auf Taf. AXXIII gegeben. Noch deutlicher treten diese Beziehungen
bei der Untersuchung der Lymphe hervor: in Fig. 9 habe ich
eine solche Reihe abgebildet — die Zellen sind aus einem Präparat
zusammengestellt —; man erkennt die typischen kleinen Formen
a und b auf der einen und die grossen Formen g—i auf der
anderen Seite, beide sind aber durch kontinuierliche Übergänge
(e—t) verbunden. Wer einen derartigen Beweis nicht gelten
lassen will und die kleinen und die grossen Formen als durchaus
unabhängige und besondere Zellarten betrachtet, der müsste folge-
richtig auch jede der in Fig. 9 oder auf Taf. XXXIII wieder-
gegebenen Zellen als eine eigene Zellart ansehen. Wo hört hier
dann der „Lymphoeyt“ auf und wo fängt der „grosse mononukleäre
Leueocyt“ an?
Aus dieser Betrachtung ergibt sich also zunächst, dass
kleine und grosse Formen derungranulierten Leuco-
eyten zusammengehören, da sie durch eine kontinuierliche
Reihe morphologisch entsprechender Mittelformen in Blut und
Lymphe verbunden sind und dass sie beide zusammen unter
den Begriff der Lymphkörperchen oder Lymphzellen
der älteren Autoren fallen; Virchow (76), auf den sich
Ehrlich besonders bei Aufstellung seines Lymphocytenbegritfs
beruft, unterschied ganz richtig in der Lymphe kleine und grosse
Zellen — ja er hebt sogar gerade die letzteren besonders hervor —
und beide Elemente leitet er aus den Lymphdrüsen ab. Darum
entbehrt auch die ausschliessliche Bezeichnung der
kleinen Formen als „Lymphocyten“ jeder historischen
und anatomischen Berechtigung. Ebenso entspricht es
aber auch nicht den Tatsachen, die grossen Formen von den
kleinen völlig zu trennen und sie mit den granulierten Leuco-
cyten ohne weiteres zusammenzustellen; auf Grund meiner Unter-
suchungen des Blutes und der Lymphe scheint es mir sehr fraglich,
s30 Franz Weidenreich:
ob wirkliche typische Übergänge zwischen den ungranulierten
und den granulierten Formen unter normalen Verhältnissen
in der Zirkulation vorkommen, ohne selbstverständlich damit
solche Beziehungen überhaupt leugnen zu wollen. Die grossen
Formen wieder, was Ehrlich (15) getan hat, in „grosse mono-
nukleäre Leucoeyten“ und „Übergangsformen“ zu trennen, ist
keinerlei Grund vorhanden; wie die Literaturübersicht erkennen
lässt, wird diese Unterscheidung auch von den neueren klinischen
Autoren nicht mehr aufrecht erhalten. Ebensowenig entspricht
die Türksche (75) Auffassung, wonach die grossen Formen nicht
nur den granulierten Elementen, sondern auch den kleinen Formen
gegenüber eine Gruppe für sich bilden sollen, den tatsächlichen
anatomischen Befunden. Nun hat ja schon Pappenheim (47)
früher die grossen Formen mit den kleinen als Lymphocyten zu-
sammengefasst und sie den granulierten Elementen gegenüber-
gestellt, aber nicht etwa weil sie morphologisch und genetisch
zusammengehören, sondern weil sie sich „chemisch-tinktoriell*
gleich verhalten, Pappenheim lehnt es sogar ausdrücklich ab,
morphologische Gesichtspunkte heranzuziehen, weil diese seiner
Ansicht nach falscherweise zu einer Zusammenstellung mit den
granulierten Leucocyten führten. In der Sache hat also Pappen-
heim Ehrlich gegenüber Recht, wenn auch seine Argumentation
nicht anzuerkennen ist. Nun bleibt aber doch noch ein scharfer
Gegensatz zu den Auffassungen dieses Autors bestehen. Pappen-
heim stellt nämlich kleine und grosse Formen nur in eine Gruppe
zusammen und sieht in jeder den Repräsentanten einer bestimmten
Zellreihe, die nur in ihrem ersten Gliede genetisch verknüpft sei,
sodass eine direkte Beziehung zwischen kleinen und grossen Formen
auch von ihm geleugnet wird. Dass in Wirklichkeit eine kon-
tinuierliche Reihe von Übergängen festzustellen ist, spricht schon
gegen eine derartige Auffassung; es gibt aber noch andere Gründe,
auf die noch zurückzukommen sein wird.
C. Morphologische Bewertung und Ableitung
der Lymphocyten.
I. Die sogenannten „grossen Lymphozyten“.
Bei meinen bisherigen Betrachtungen habe ich eine Zellform
nicht berücksichtigt, die in der Hämatologie eine grosse Rolle
spielt und auf die ich schon bei der Literaturbesprechung hinge-
Die ungranulierten Leucocyten. 831
wiesen habe, nämlich den sogenannten „grossen Lymphoeyten“,
die Mutterzelle der Lymphoeyten, die Keimzentrumszelle der
Sekundärknötchen. Nach den Angaben der klinischen Autoren
(s. o.) soll diese Zelle normalerweise in der Zirkulation fehlen
und nur bei Kindern oder bei bestimmten Krankheiten vor-
kommen. Die morphologischen Charaktere dieser Zelle gab ich
schon in der Literaturübersicht. In Ehrlichs „Anämie“ (15) sind
die Zellen abgebildet und bei Besprechung der normal vorkommen-
den Lymphoeyten Ehrlichscher Nomenklatur ist wiederholt auf
diese Abbildungen verwiesen worden. Hält man sich aber an diese
oder überhaupt an die Beschreibungen, die man vielfach von dieser
Form findet, so kommt man zu dem Ergebnis, dass man es hier
mit einer Zelle zu tun hat, wie man sie in jedem Blut und jeder
Lymphe finden kann. Ehrlichs Abbildungen zeigen im wesent-
lichen kein anderes morphologisches Bild wie meine Fig. 1 und
und 5a, b auch. Dabei muss ich den Klinikern einen wichtigen
Punkt zu bedenken geben. Sie untersuchen das Blut bei einer
Blutkrankheit z. B. bei einer akuten Iymphatischen Leukämie, und
finden dabei Zellformen, die vielleicht in einigem vom gewohnten
Bilde der unter normalen Verhältnissen im Blute vorkommenden
Lymphoeyten abweichen. Nun wird folgendermassen argumentiert:
hier ist eine Zelle, wie sie normalerweise vermisst wird; weil man
vielleicht gleichzeitig Mitosen findet, wird sie als die Mutterzelle
und die Keimzentrumszelle angesprochen und dann das unge-
wohnte morphologische Bild genau und für immer als Art-Schema
festgelegt. Wenn nun im normalen Blute Zellen mit genau den
gleichen Charakteren vielleicht nicht angetroffen werden, so
schliesst man ohne weiteres, dass die Mutterzellen der Lympho-
eyten normalerweise in der Zirkulation fehlen. Dass das ein
Trugschluss ist, merkt man anscheinend nicht: man übersieht
aber dabei doch den Umstand, dass der pathologische Zustand
das Aussehen der Zellen so verändern kann, dass der Zellhabitus
vom normalen abweicht. Kann nicht die mitotischer Teilung
fähige Mutterzelle der Lymphocyten unter normalen Bedingungen
etwas anders aussehen als der teilungsfähige Lymphocyt der
Iymphatischen Leukämie? Wissen wir denn nicht, dass eine
Epithelzelle in karzinomatöser Entartung ihr Aussehen so ändern
kann, dass sie von dem typischen Bilde vollständig abweicht?
Keinem Pathologen wird es aber einfallen, aus der Karzinomzelle
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 54
Franz Weidenreich:
das Bild der normalen Epithelzelle abzuleiten: in der klinischen
Hämatologie scheinen das aber manche Autoren für erlaubt zu
halten !
Was nun das Bild des „grossen Lymphocyten* angeht, so
hat Pappenheim (48) davon genauere Abbildungen als Ehrlich
gegeben, auch Nägeli (46) stellt ihn in seiner Fig. 4 auf Taf. IV
dar. Nach der Schilderung des erstgenannten Autors ist er aus-
gezeichnet durch einen relativ grossen runden Kern, inmitten
eines im ganzen schmalen Plasmaleibs, und einen konstant vor-
handenen Nukleolus;: auf Taf. II unter | ist die Zelle wieder-
gegeben. Untersucht man Blut und Lymphe auf solche Zellen,
so findet man wohl im Blute und der Lymphe jedes Menschen
oder Tieres Elemente, die in allen Punkten die geforderten
inorphologischen Charaktere erfüllen, wenn sie auch nicht gerade
häufig sind. Ganz abgesehen von der Frage, ob dies wirklich
die Mutterzellen der Lymphoecyten sind, muss zuerst das morpho-
logische Bild genauer kritisiert werden. Ich habe in Fig. 10
drei Zellen aus der Lymphe des Kaninchens wiedergegeben, die
genau mit den Pappenheimschen Abbildungen übereinstimmen,
so dass wir es hier mit den „grossen Lymphocyten“ der Autoren
zu tun hätten. Vergleicht man sie nun mit den gewöhnlichen
kleinen und grossen Formen, so sieht man, dass sie in Ihrem
allgemeinen Habitus, in Kern- und Plasmastruktur kaum von
diesen sich unterscheiden, mit zwei Ausnahmen, nämlich in der
Kernform und dem „konstanten Nukleolus“. Die Kerne werden
als rund beschrieben und fast in Kreisform abgebildet. Gerade
solche kreisrunde Kerne, wie sie hier offenbar für charakteristisch
gehalten werden, sind im der Tat nicht ganz häufig. Aber abge-
sehen davon, dass die Mutterzelle der Lymphoeyten, die Keim-
zentrumszelle, wie jeder Schnitt durch ein Lymphdrüsenkeim-
zentrum lehrt (Fig. 26 auf Taf. XXXII) und wie die Abbildungen in
den histologischen Lehrbüchern auch zeigen (cf. v. Ebner-
Kölliker, Bd. III, Fig. 1325), keineswegs kreisrund sind oder
sich in ihrer Form von der der gewöhnlichen grösseren Zellen der
Lymphe wesentlich unterscheiden, ist einem derartigen Kriterium
bei der notorischen Plastizität des Kernes nicht der geringste
Wert beizumessen:; dazu kommt, dass bei Trockenpräparaten es
doch sehr darauf ankommt, welche Seite die Zelle und der Kern
dem Beschauer zukehrt. Ein nierenförmiger Kern, wie ich ihn
Die ungranulierten Leucocyten. 833
in den Fig. 3c oder 9e und f abgebildet habe, wird natürlich
rund erscheinen, wenn seine Konvexität oder die Ausbuchtung
direkt nach oben gerichtet ist: und zufällig kann er sich auch
einmal von dieser Seite präsentieren. Nun noch das zweite
Kriterium, der „konstante Nukleolus“. Wie ich schon oben hervor-
gehoben habe, ist in weitaus den meisten ungranulierten Zellen
von Blut und Lymphe (Fig. 5) ein Nukleolus nachzuweisen, mit
diesem Unterscheidungsmerkmal an und für sich ist also noch
weniger anzufangen; denn dann wären ja alle Zellen mit Nukleolus
„grosse Lymphocyten“. Aber aus der Wiedergabe der Zellen geht
hervor, dass man eine besondere grössere helle Stelle im Kern
als Nukleolus bezeichnet; das ist besonders gut bei a und e in
der Fig. 10 zu sehen. Handelt es sich aber hierbei um wirkliche
echte Nukleolen? Ich hob schon hervor, dass in Trockenpräparaten
Lücken im Chromatingerüst des Kernes, namentlich in den ober-
tlächlichen Teilen, als helle Stellen bemerkbar werden (Fig. Le, f).
Solche helle Stellen können nun auch noch eine ganz andere
Bedeutung haben. Durchmustert man eine grössere Anzahl von
Präparaten der Lymphe, so findet man Kerne, die ganz oder
teilweise durchlocht erscheinen (Fig. 22a. d); in Wirklichkeit
handelt es sich aber hierbei nicht um eine Durchlochung, sondern
um Kerne mit stärkerer und vor allem tieferer Einbuchtung
{Fig. 22c), die gerade so liegen, dass sie diese Eindellung nach
oben kehren (Fig. 22b, e). Vergleicht man solche Zellen mit
den angeblich mit einem besonders deutlichen Nukleolus ver-
sehenen, so zeigt sich, dass kein Unterschied besteht. Sonach
bestreite ich, dass die mitotischer Teilung fähige Mutterzelle der
Lymphocyten, die sogenannte Keimzentrumszelle, oder der
„grosse Lymphocyt“ der Autoren, sollte sie sich überhaupt in
der Zirkulation finden, durch die ihr zugeschriebenen Merkmale
besonders gekennzeichnet ist; das, was dafür ausgegeben wird,
sind Zellen wie die anderen auch, grössere Lymphkörperchen oder
Lymphzellen.
I. Die Bedeutung der grossen Lymphocytenformen.
Eine weitere Klärung der ganzen Frage nach der Bedeutung
der grossen Formen der ungranulierten Leucoeyten folgt aber
noch aus einem sehr wesentlichen Befund. Fast in jeder Lymphe,
besonders zahlreich aber beim Kaninchen, findet man Zellen, die
D4*
Ss34 Franz Weidenreich:
sich in Mitose befinden, eine Tatsache, die bisher ebenso
unbekannt geblieben ist, wie die Lymphe überhaupt. Die Mitosen
sind hier so leicht nachweisbar, dass man die Lymphe sehr gut
zu Kurszwecken verwenden könnte, um Mitosen an Säugetier-
zellen zu demonstrieren. Alle Phasen sind vertreten; aus ihrer
Zahl gebe ich hier in Fig. 11 einen Mutterstern (a) und einen
Tochterstern (b) wieder. Es fragt sich natürlich nun zunächst,
welche Zellen sich hier in Teilung befinden. Dass es ungranulierte
sind, folgt ohne weiteres aus dem Mangel jeder Granulation: dass
es keine kleinen Formen sein können, geht ebenso sicher aus der
Zellengrösse und vor allem der Menge des Protoplasmas hervor-
Es bleiben also nur die grossen Formen übrige. Nun könnte
man vielleicht einwenden, dass das Mitosen der „grossen Lympho-
cyten“ seien, die aber dann allerdings wieder unter normalen
Verhältnissen nicht vorkommen dürften. Allem auch dies trifft
nicht zu, denn diese „grossen Lymphocyten“ der Autoren haben
im ruhenden Zustand gerade runde Kerne, während die Anfangs-
stadien der Mitose, das beginnende Knäuelstadium, vielfach
erkennen lässt, dass hier der ruhende Kern eine Nierenform
gehabt haben muss (Fig. Ile). Abgesehen davon sind die für
„grosse Lymphocyten“ ausgegebenen Zellbilder sehr spärlich vor-
handen, während Mitosen in den eleichen Präparaten unter
Umständen in Menge anzutreffen sind. Ich brauche nun wohl
nieht erst zu beweisen, dass auch Zellen mit eingebuchteten
Kernen, wie sie die Mehrzahl der grossen Formen der ungranulierten
Leucocyten besitzen, mitotischer Teilung fähig sind. Diese Tat-
sache ist schon seit Flemmings (22) Untersuchungen bekannt:
er sagt darüber: „Unter dieselbe Rubrik fallen Kerne von. den
eingeschnürten Formen, wie hier einer in Fig. C, 1 dargestellt
ist, die man in den verschiedensten Geweben antreffen kann ...
Solche Einbuchtungen kommen auch an Kernen vor, die schon
in Knäuelform der Teilung stehen (Fig. C unten, d).“ Also auch
Flemming hat solche eingebuchtete Kerne — seine Figuren
zeigen die gleiche Form wie die fraglichen Lymphzellen —
direkt in Mitose übergehen sehen. Stöhr (73) bildet in seinem
Lehrbuch der Histologie als Anfangsstadium einer Mitose einen
dichten Knäuel mit typischer bohnenförmiger Anordnung (siehe
seine Fig. 14) ab und endlich habe ich schon in der vorher-
gehenden Arbeit (86) auf zwei weitere Belege in der Literatur
Die ungranulierten Leucocyten.
hingewiesen, auf Zellen des Knochenmarks und des Netzes, die
im Knäuelstadium noch die ursprüngliche Nierenform erkennen
lassen (Blumenthal [6], Tafel I, Fig. 17, 20; Renaut [55],
Tafel XV, Fig. 4, 5). Zudem zeigt die von mir wiedergegebene
Zelle (e) in Fig. 11 das gleiche Bild. Ich bin auch der Ansicht,
ddass Zellen mit Kernformen, wie ich sie in der Fig. 12 abgebildet
habe, sich gleichfalls noch auf indirektem Wege teilen können:
denn diese Formen sind nur der Ausdruck einer augenblicklichen
Bewegungsphase des Kernes (cf. Fig. 12b und 3e). Daraus folgt
also, dass sicher die grossen Formen der ungranulierten
Leucoeyten teilungsfähige Elemente sind und dass diese
Teilung noch in der Zirkulation vor sich geht.
Mit der Feststellung dieser Tatsche erscheinen aber die
Zellen in einer neuen Beleuchtung. Es ist klar, dass die Türk-
Nägelische Ansicht (siehe oben), wonach die grossen Formen
der ungranulierten Leueoceyten des normalen Blutes die Produkte
eines „rudimentären“ Leucocytenbildungssystems darstellen sollen,
weiter nicht ernstlich diskutierbar ist, denn warum sollten
rudimentäre Zellen sich noch in Mengen in der Zirkulation teilen,
während das bei nicht rudimentären nicht der Fall ist? Auch
Ehrliehs ursprüngliche Ansicht über die Natur dieser Zellen
stünde in einem bösen Widerspruch zu seinen eigenen sonstigen
Theorien; denn wären die Zellen wirklich die ungranulierten
Vorformen der granulierten Leucocyten, so würden diese ja aus
der Lymphe, wo sie sich mitotisch vermehren, und nicht aus
dem Knochenmark stammen. Auch Pappenheims Theorie
(siehe oben) ist nicht weiter haltbar, denn er sieht in den
grossen Zellen besondere Entwicklungsstadien der sogenannten
grossen Lymphocyten und zwar die nicht mehr weiter ent-
wicklungsfähigen Endglieder. Wie verträgt sich aber damit die
Tatsache ihrer reichliehen mitotischen Vermehrung?
In Wirklichkeit ist die Lösung der ganzen Frage eine sehr
einfache. Wir wissen — das ist allgemein anerkannt —, dass
die kleinen Formen der Lymphzellen, also die Lymphocyten
Ehrlichscher Nomenklatur, in den Iymphoiden Organen ent-
stehen, wo sie nach den klassischen Untersuchungen Flemmings
(23) hauptsächlich in den Keimzentren der Sekundärknötchen
gebildet werden: ihre Mutterzellen sind aber grössere Zell-
elemente, die sogenannten Keimzentrumszellen, die sehr zahlreich
S36 Franz Weidenreich:
in Mitose getroffen werden. Ebenso bekannt ist aber auch, dass
die Neubildung von Zellen in den Lymphdrüsen nicht etwa aus-
schliesslich auf die Keimzentren beschränkt ist, sie findet viel-
mehr dort nur im erhöhten Maße statt; davon kann man sich
an jedem Lymphdrüsenpräparat überzeugen. In diesem Sinne
spricht sich auch v. Ebner (13) aus, er sagt: „Zwar finden
sich Mitosen auch da und dort überall im adenoiden Gewebe,
sowie auch in den Lymphbahnen;!) allein in den Sekundär-
knötchen sind sie besonders zahlreich und es muss daher
angenommen werden, dass hier die Neubildung von Zellen in
erhöhtem Maße stattfindet.“ Stöhr (73) sagt: „Auch in den
Marksträngen erfolgt eine Vermehrung der Zellen, jedoch in viel
geringerem Maße als in den Keimzentren.“ Grössere Zellen
also, die sich mitotisch teilen und aus denen die kleinen hervor-
gehen, finden sich in allen Teilen der Lymphdrüsen, wie Ebner
hervorhebt, auch in den Lymphbahnen und, wie meine Unter-
suchungen zeigen, auch noch in der Lymphflüssigkeit selbst. Es
ist nun klar, dass die Teilungsprodukte, die aus den zirkulierenden
Mitosen hervorgehen, zunächst kleinere Elemente sind, dass also
aus den grossen Formen kleinere Lymphzellen entstehen. Dem-
nach sind die grossen Zellen auch hier die Mutterzellen der
kleinen; dann sind sie aber identisch mit dem, was man in der
Lymphdrüse als Keimzentrumszelle bezeichnet hat, und somit ist
das Endresultat die Erkenntnis, dass die Lymphe noch genau
die gleichen Elemente enthält wie die lymphoiden
Organe selbst; aus der Tatsache, dass die grossen
Formen der Lymphzellen teilungsfähige Mutter-
zellen sind, also Keimzentrumszellen, erklärt sich
auch, dass die grossen Formen den kleinen numerisch nachstehen,
genau so wie man es auch bei den Lymphdrüsen findet.
Ich will dies nun noch weiter ausführen. Zur Demon-
stration der Zellen der Lymphdrüse gebe ich zunächst in Fig. 23
einen Schnitt wieder, der eine Partie aus einem Lymphraum einer
Blutlymphdrüse der Ratte darstellt. Neben stark differenzierten
Retikulumzellen (r) sieht man grosse protoplasmareiche Zellen,
die sich noch an der Bildung des Retikulums beteiligen (e);
besser als hier kommen diese Beziehungen an einer anderen
Darstellung heraus, die ich früher einmal gegeben habe und auf
') Im Original nicht gesperrt.
Die ungranulierten Leucocyten 837
die ich nochmals verweisen möchte (79; Taf. IV, Fig. 32). Daneben
findet man aber zahlreiche grosse Zellen, die vollständig frei liegen
(el) und durch folgende Besonderheiten gekennzeichnet sind:
grossen runden, ovalen oder bohnenförmigen Kern mit lockerem
Chromatingerüst und deutlichem Nukleolus ') und schmälerem oder
breiterem protoplasmatischen Hof, der sich mit basischen Farb-
stoffen färbt, jedoch auch sauere wie Fuchsin-S annimmt (ef.
Pappenheim [öl]. In grosser Zahl sind auch die kleinen
charakteristischen „Lymphoeyten“ Ehrlichscher Nomenklatur
vertreten (kl), deren morphologische Kennzeichen genügend be-
kannt sind. Zwischen den grossen und den kleinen Formen gibt
es aber eine Reihe von Elementen, die sowohl in der allgemeinen
Zellengrösse wie auch in Kern und Plasma die Mitte halten (ml).
Also es zeigt sich, dass auch in den Lymphdrüsen selbst genau
die gleichen Elemente wie in der zirkulierenden Lymphe nach-
weisbar sind und dass auch hier eine kontinuierliche Reihe von
den kleinen zu den grossen Formen führt. Das gilt aber nicht
nur für die Lymphräume der Lymphdrüsen, sondern auch für das
adenoide Gewebe, für die Sekundärknötchen und Markstränge
selbst. Die grossen Formen sind die mitotischer Teilung fähigen
Mutterformen der kleinen, also mit den Keimzentrumszellen iden-
tisch. Nun scheint auf den ersten Blick doch ein Unterschied
zu bestehen, wenn man nämlich eine ganze Gruppe von Keim-
zentrumszellen der Sekundärknötchen mit einer Gruppe der
grossen Zellen der Lymphbahnen vergleicht. Diese Verschiedenheit
bezieht sich hauptsächlich auf die Kerngrösse und das Verhältnis
des Kernes zum Protoplasma (vgl. die Zellen des Keimzentrums
der Fig. 26 mit den grossen freien Elementen der Lymphsinus
in Fig. 23). Hier haben wir es aber mit einer Differenz zu tun,
die ausschliesslich funktioneller Natur ist. Die Keimzentrums-
zellen der Sekundärknötehen sind ja gerade dadurch vor den
anderen ausgezeichnet, dass die Teilungsvorgänge sich in ihnen
besonders energisch abspielen. Nun wissen wir aber durch die
Untersuchungen R. Hertwigs (27, 28), dass es ein „Teilungs-
') Ich kann im Rahmen dieser Arbeit auf die interessante Frage der
Nukleolen nicht eingehen und gedenke bald in einer eigenen Abhandlung
darauf zurückzukommen. Manches, was an Schnitten als Nukleolus imponiert,
ist nichts anderes als eine schmale und tiefe Eindellung des Kernes, wie ich
es in Fig. 22 dargestellt habe.
338 Franz Weidenreich:
wachstum“ des Kernes gibt, das der Mitose vorausgeht und ein
Anwachsen des Kernes bis zur doppelten Grösse zur Folge hat,
wodurch speziell auch das Verhältnis des Kernes zum Plasma
geändert wird. Andrerseits spielen sich in den grossen Zellen
der Lymphsinus in hervorragendem Grade phagocytäre Prozesse
ab. wie ich das schon früher eingehend geschildert habe (78):
in den Blutlymphdrüsen kann die Phagocytose dieser Zellen ganz
exorbitant sein; in Fig. 24 habe ich eine solche Zelle wieder-
gegeben, die eine ganze Reihe von roten Blutkörperchen aufge-
nommen hat. Die Verarbeitung solcher phagocytierter Stoffe führt
zu einer starken Vermehrung des Plasmas („Funktionswachstum‘“
Hertwigs), ja unter Umständen zur Bildung einkerniger Riesen-
zellen, wie ich sie gleichfalls in der eben zitierten Abhandlung
beschrieb. Es ergibt sich also, dass in den Keimzentren mit der
besonderen augenblicklichen Beanspruchung des Kernes die Kern-
substanzen (Teilungswachstum) und in den Lymphsinus durch die
besondere Beanspruchung des Protoplasmas die Plasmasubstanzen
(Funktionswachstum) vermehrt sind, d. h. im ersteren Falle ist
der Kern voluminöser und im letzteren Falle das Plasma; es
entspricht demnach dieses Verhalten vollständig dem R. Hertwig-
schen Gesetz der „Kernplasmarelation“. Die Unterschiede sind
natürlich nur in den beiden Extremen besonders auffallend; daher
findet man an beiden Örtlichkeiten auch Zellen, die sich absolut
nicht voneinander unterscheiden (cf. Fig. 26a, e mit Fig. 23 gl).
Auf solche Verschiedenheiten hat übrigens schon Flemming (24)
hingewiesen, ohne ihnen eine prinzipielle Bedeutung beizumessen :
er sagt darüber: „Ich muss daran festhalten, dass Leucocyten-
kerne je nach dem Zustand der Stellen sehr variable Gebilde sind,
und dass sie, wenn jene sich durch Wachstum vergrössern, dies
ebenfalls tun und damit einen lockeren Bau erhalten können.“
Was die Nukleolen in den Zellen der Keimzentren angeht, so
eilt für diese dasselbe, was ich oben schon sagte; auch hier
handelt es sich vielfach um tiefere Eindellungen, wie z. B. bei e
und d (Fig. 26), was sich mit Hilfe der Mikrometerschraube ohne
weiteres feststellen lässt. Die hervorgehobenen Zell- und Kernver-
schiedenheiten sind also lediglich durch den augenblicklichen
Funktionszustand bedingt und finden sich, wie eine Betrach-
tung der Fig. 27 und der Fig. 9 lehrt, ebenso wie in den Lymph-
organen auch in der Lymphe und im Blute selbst. Sie können
Die ungranulierten Leucocyten. 839
darum an der Auffassung der sich mitotisch teilenden Elemente
als Keimzentrumszellen nichts ändern.
Eine andere Deutung als die hier gegebene ist schlechter-
dings auch unmöglich. Die freien in der Zirkulation und den
Lymphbahnen befindlichen Zellen können selbstverständlich keine
sogenannten Retikulum- oder „Endothelzellen“ sein und ebenso-
wenig können die entstehenden Tochterzellen als solche bezeichnet
werden. In den Lymphdrüsen hat man ja nun diese Gerüstzellen
den eigentlichen leucoeytären, frei in den Maschen liegenden
Elementen gegenübergestellt; andere Zellformen sind nicht be-
kannt. Wir wissen heute, dass Retikulum- und „Endothel“-
zellen morphologisch und genetisch identische Elemente sind —
ich verweise auf meine Untersuchungen über die Blutlymphdrüsen
und die neuere Literatur, die ich dort zusammengestellt habe
(79, S. 42 u. ff.) — wir wissen ferner, dass gerade die sogenannten
„Endothelien“ der Lymphbahnen sich loslösen können, um dann
frei in der Lymphbahn zu liegen. Andrerseit steht fest, dass
die sogenannten Keimzentrumszellen keine fixierten Elemente in
dem Sinne sind, dass sie oder ihr Auftreten an eine bestimmte
Örtlichkeit innerhalb des adenoiden Gewebes gebunden ist: es
ist bekannt, dass Keimzentren entstehen und vergehen können
und dort, wo sie im adenoiden Gewebe neu auftreten, müssen sie
aus den Gerüstzellen oder aus den in ihren Maschen liegenden
Zellen ihre Entwicklung nehmen. Wir kämen damit auf die alte
Frage zurück, ob die in den Keimzentren gefundenen Mitosen
freien Zellen, also sogenannten Leucoeyten, angehören oder nicht
vetikulum- und „Endothelzellen“, wie das Baumgarten (4)
und Ribbert (56) seinerzeit gegenüber Flemming behauptet
haben. Gerade dies kann uns im vorliegenden Falle aber gleich-
gültig sein, denn freie in den Lymphbahnen befindliche Mitosen
können sicher nicht dem Retikulum oder dem Endothel angehören,
sondern den Zellen, die man eben in den Lymphdrüsen, weil sie
frei liegen, als Leucocyten bezeichnet hat. Dass die Keim-
zentrumszellen ın Mitose sicher auch freiliegend getroffen werden,
das hat schon Flemming (23, 24) hervorgehoben und v. Ebner
(13) bestätigt. Flemming (24) selbst hat sich gerade in dieser
Frage wörtlich folgendermassen geäussert: „Gesetzt auch, es würde
durch weitere Forschung der Beweis beigebracht, dass in den
Iymphatischen Drüsen die fixen Zellen einen ständigen Mutterboden
s40 Franz Weidenreich:
für die Lymphzellen abgeben, indem sie durch Mitose solche er-
erzeugen: so würde doch zuzugeben sein, dass ihre frei gewordenen
Töchter auf ihrem ferneren Lebenswege die Fähigkeit zur Ver-
mehrung auf gleiche Art behalten und ausgedehnten Gebrauch
davon machen können.“ Von welcher Seite man also auch die
Zellen. die in der Lymphe sich in Mitose befinden, betrachten
mag, man kann zu keinem anderen Ergebnis kommen, als zu
dem, dass es ungranulierte ‚Leucoeyten sind und die-
selben Elemente, die man in den Lymphdrüsen, aus denen
sie stammen, als Keimzentrumszellen bezeichnet hat.
Es kann darum hier durchaus ununtersucht bleiben, ob die
bei pathologischen Prozessen im Blute auftretenden Lymphoeyten-
formen, die von den Klinikern als „grosse Lymphocyten“ be-
zeichnet werden und die man mit den Keimzentrumszellen der
Lymphdrüsen identifiziert, wirklich in ihrem morphologischen
Habitus von den entsprechenden Formen des normalen Blutes in
etwas abweichen (ganz runde und grosse Kerne ete.) und warum
dies dann der Fall ist; denn es wäre eben erst zu beweisen, dass
das Zellbild bei derartigen Prozessen genau das gleiche sein
muss, wie unter normalen Verhältnissen '). Das ist aber jeden-
falls als feststehend zu betrachten, dass normalerweise die in
der Zirkulation befindlichen Mutterzellen der Lymphoeyten, die
Keimzentrumszellen, die von mir beschriebenen morphologischen
Charaktere aufweisen. Für das Studium der normalen Ver-
hältnisse hat man sich daran zu halten; jedenfalls kann nicht
aus den Befunden bei notorisch pathologischen Prozessen ein
anderes Bild rekonstruiert und diese Rekonstruktion als der
normale Zelltypus ausgegeben werden, von dem man zudem noch
annimmt, dass er überhaupt in der Zirkulation unter normalen
Verhältnissen fehle.
Ich bin bisher auf die Frage nicht weiter eingegangen, ob
sich der Befund an den Zellen der Lymphe direkt auf das Blut
übertragen lässt. Skeptiker können den Einwand machen, dass
speziell die in Mitose befindlichen Zellen gar nicht in das Blut
gelangen. Nun ist selbstverständlich, dass Elemente, die man
!) Bei überstürzter lebhafter Zellneubildung könnten alle Kerne im
Verhältnis zum Protoplasma besonders voluminös werden, wie ich dies oben
für die Keimzentrumszellen der Sekundärknötchen auf Grund des R. Hert-
wigschen Gesetzes der Kernplasmarelation näher ausführte.
Die ungranulierten Leucocyten. S41
dem Ductus thoracicus im oberen Teile des Mediastinums oder
unmittelbar an seiner Einmüdung in das Venensystem entnimmt,
auch unbedingt im Blute angetroffen werden müssen. Allerdings
ist dabei auffallend, dass im Blute selbst normalerweise Leuco-
cyten-Mitosen mit einer Ausnahme bisher nicht beschrieben worden
sind. Auch ich habe trotz unzähliger Präparate nie Mitosen im
Blut gefunden, und selbst dann nicht, wenn sie sich in der
Lymphe reichlich fanden. Der Grund hierfür ist offenbar darin
zu suchen, dass eben durch die Vermischung der Lymphe mit
dem Blute eine ausserordentliche Verteilung der Elemente in der
gesamten Zirkulation eintritt, so dass es als ein ganz besonderer
Zufall bezeichnet werden muss. wenn man Mitosen in dem kleinen
Tröpfehen Blut findet, das man entnimmt; zweitens aber ist es
durchaus nicht unmöglich, dass die doch etwas andere Zusammen-
setzung der Blutflüssigkeit auf den Ablauf der Mitose so be-
schleunigend einwirkt, dass sie schon abgelaufen ist, bis die Zelle
in das Uapillarsystem gelangt, das das Blut zur Untersuchung
liefert. Es scheint aber doch, dass bei der Untersuchung von
Blut in grösseren Mengen Mitosen verhältnismässig zahlreich ge-
funden werden. Spronck (72) hat das Blut in besonderer
Weise fixiert und geschnitten und in derartigen Präparaten will
er 0,2°/o der Leucocyten in Mitose gesehen haben. Ich habe
schon in der vorhergehenden Abhandlung (86) angegeben, warum
ich diesen Zahlenangaben etwas skeptisch gegenüberstehe; dass
aber Mitosen auch im Blute vorkommen müssen, ist nach dem
Befund der Lymphe sicher; ebenso sicher ist aber, dass sie dort
wie auch in der Lymphe nach Zahl und Umständen wechseln
können. Diese teilungsfähigen Elementeentsprechen
aber, wie ich oben schon eingehend auseinandergesetzt habe, den
grossen Formen der ungranulierten Leucocyten,
also den „grossen mononukleären Leucocyten“ oder den „Über-
gangsformen“ der Autoren. Es ist demnach auch kein Grund
vorhanden, Bezeichnungen wie „grosse mononukleäre
Leucocyten“ oder „Übergangsformen“ oder „grosse
Lymphocvten“ für die in Rede stehenden Zellen bei-
zubehalten; sie sind vielmehr mit den kleinen Formen
zusammen als Lymphocyten im ursprünglichen Sinne
des Wortes zu bezeichnen und da sie als die besonders teilungs-
fähigen Elemente und zweifelsohne als die Mutterzellen der
842 Franz Weidenreich:
kleinen zu betrachten sind, stünde nichts im Wege, sie als
„Lymphoblasten“ zu benennen; besser ist es vielleicht aber,
einfach von kleinen und grossen Lymphocyten zu
sprechen, wobei es dem Gutdünken des einzelnen überlassen
bleiben kann, wohin er die mittleren Formen rechnen will und
zwar deswegen, weil alle zu einer Gruppe gehören und prinzipiell
kein Unterschied besteht. Es gilt hier, was Jolly (30) als das
Ergebnis seiner Untersuchungen einmal gesagt hat: „La distinc-
tion des differents types de globules blanes est justifide, quand
on se place au simple point de vue morphologique et qu’on
envisage les formes les plus nettement differenciees. Neanmoins
ces elements font partie de la meme famille.“
Zu der Überzeugung, dass die ungranulierten Leueocyten
des Blutes in der von mir skizzierten Weise zu deuten sind,
kamen auch schon früher andere Untersucher. Besonders hat
sich in diesem Sinne Benda (5) ausgesprochen; er sagt: „Jeden-
falls scheint mir, dass eine Scheidung der grossen Lymphocyten
und einkernigen Leucocyten nicht streng durchzuführen ist,
sondern dass beide den Keimzentrumszellen oder... den teilungs-
reifen Zellen entsprechen“. Auch Löwit (34) teilt meine An-
sicht, der ich ja in einer früheren Abhandlung (80) bereits Aus-
druck gegeben habe: der Autor spricht von den „GrossIymphocyten“
oder den „indifferenten Stammzellen“ und sagt darüber: „Sie
sind auf Ausstrichpräparaten von Milz und Lymphdrüsen in der
HNeselinnitiaa, nachweisbar. Auch im Blute der untersuchten
Regionen kommen solche Stammzellen, wenn auch nur vereinzelt,
vor, im peripheren Blute sind sie noch seltener; hier sind es, wie
schon Weidenreich betont hat, die mononukleären grossen
Leucoceyten und die sogenannten Übergangszellen, insofern beide
homogen sind, welche in innigster Beziehung zu den Stammzellen
stehen“. Durch meinen jetzigen Nachweis der Mitosen sind nicht
nur die „innigen Beziehungen“, sondern ist auch die Identität
erwiesen. Auch sei daran erinnert, dass Grawitz (25) die
„Übergangsformen“ in ähnlichem Sinne beurteilt, allerdings habe
ich mich bisher nicht mit genügender Sicherheit überzeugen
können, dass sich in der Zirkulation und unter normalen Ver-
hältnissen wirkliche Übergänge zwischen ihnen und den typischen
fein- oder grobgranulierten Leucocyten finden. Ich leugne Be-
ziehungen zwischen den Zellformen ja keineswegs und speziell
Die ungranulierten Leucocyten. 843
nicht die Möglichkeit zur Differenzierung der Lymphocyten in
sranulierte Formen, nur glaube ich nicht, dass im normalen Blute
den Übergang zweifelsfrei dokumentierende Zellformen nach-
weisbar sind.
IT Die ftrexwen zellen der serösen Höhlen
Das Bild, das wir bisher von den Lymphocyten und ihrer
Bewertung gewonnen haben, ist kein vollständiges. Wie ich in
der vorhergehenden Abhandlung (86) das Schicksal der granulierten
Leucocyten, das sich ja zum Teil ausserhalb der Blut- und Lymph-
bahn erfüllt, weiter verfolgt habe, so dünkt es mir auch hier
nötig, das Verhalten der Lymphocyten im Gewebe oder überhaupt
ausserhalb der eigentlichen Lymph- und Blutbahn näher zu unter-
suchen. Besonders wertvoll für die Beurteilung einer Reihe von
Fragen erwies sich dabei die Untersuchung der serösen Höhlen,
besonders der Bauchhöhle. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen,
die auf meine Veranlassung und unter meiner Kontrolle von
meinem Schüler Schott vorgenommen worden sind, werden von
diesem selbst in kurzem veröffentlicht werden, so dass ich mich
auf die Mitteilung der uns hier besonders interessierenden Befunde
beschränken kann.
Bekanntlich findet man in den serösen Höhlen unter normalen
3edingungen stets geringe Mengen von Flüssigkeit, in der zellige
Elemente suspendiert sind. Unter diesen Zellen fallen besonders
grosse Formen auf, die durch einen grossen Kern und einen
grossen Plasmaleib gekennzeichnet werden. Diese Zellen — über
Literatur vergl. die Schottsche Arbeit — sind von vielen
Autoren als losgelöste, degenerierende Wandepithelien gedeutet
worden. Wesentlich ist, dass bei manchen Tieren neben diesen
Zellen noch grobgranulierte vorkommen, so beim Meerschweinchen,
Mastzellen bei der Ratte, während beim Kaninchen jene grossen
Elemente dominieren und daneben nur spärliche kleine Lympho-
eyten auffindbar sind. Erregt man nun durch Einspritzung irgend
eines korpuskulären Stoffes eine Entzündung, so treten zunächst
in grossen Mengen feingranulierte Leucocyten im Exsudat auf,
die nachweislich aus den Blutgefässen emigrieren. Diese einge-
wanderten Elemente gehen aber, wie ich in der vorhergehenden
Abhandlung (86) schon beschrieb, sehr rasch zugrunde, indem sie
entweder in der Flüssigkeit zerfallen oder aber von grossen un-
344 Franz Weidenreich:
granulierten Zellen mit grossem Kern und grossem Plasmaleib
phagocytiert werden. Man hat diese Elemente, von denen ich
einen im Zustande der Phagoeytose in der vorhergehenden Arbeit
abgebildet habe (Taf. XII, Fig. 32), mit Metschnikoff als
Makrophagen bezeichnet. Sehr viele Untersucher vertreten nun
die Ansicht, dass diese Makrophagen aus dem Blute stammen,
aus dem sie auf den Entzündungsreiz hin emigrieren sollen; in
diesem Falle werden sie von den Lymphocyten abgeleitet. Aus
unseren eigenen Untersuchungen hat sich aber ergeben, dass diese
Auffassung nur zum Teil berechtigt ist; tatsächlich wandern auch
Lymphoeyten wie bei jeder Entzündung aus den Gefässen aus
und gelangen in das Exsudat:; allein ein grosser, wenn nicht der
grösste Teil jener Makrophagen sind anderer Provenienz. Es hat
sich nämlich zunächst einmal gezeigt, dass jene angeblichen ab-
gestossenen degenerierenden Wandepithelien, die sich bei all
diesen Vorgängen gar nicht beteiligen sollen, ausserordentlich
lebensfähige Zellemente sind. Weder im Kern noch im Plasma-
leib lassen sich bei geeigneten Fixations- und Färbungsmethoden,
so besonders bei Osmiumagarfixation, degenerative Veränderungen
irgend welcher Art nachweisen; ferner aber findet man unter
ganz normalen Verhältnissen bei gesundem Tier und Fehlen jeder
entzündlichen Erscheinung nicht nur deutliche phagocytäre Ein-
schlüsse in ihnen, sondern ausgesprochene mitotische Teilungs-
vorgänge. Die Untersuchung des Netzes hat nun ergeben —
ich habe darüber schon vorläufig (83) berichtet —, dass diese
grossen Zellformen lebensfähige losgelöste Netzelemente sind und
dass ihre genauere Analyse dazu führt, sie als ursprüngliche fixe
Zellen, als „Fibroblasten“ oder „Endothelien“ zu bezeichnen,
zwischen denen, wie ich schon an anderer Stelle (85) ausführte,
als identischen Elementen gleichfalls keine Unterscheidung möglich
ist. Bei entzündlichen Reizen kommt es auf mitotischem Wege
zu einer starken Vermehrung all dieser Zellen, die dann auch in
erhöhtem Maße in die Peritonealflüssigkeit gelangen; ihre phago-
cytäre Tätigkeit ist auch im Netz eine ausserordentliche. Die
Makrophagen sind also nach diesen Untersuchungen mindestens
zum Teil als sessile oder losgelöste Netzzellen („Endothelien“ )
zu deuten.
Es ergibt sich daraus nun eine wesentliche und interessante
Gegenüberstellune. Betrachtet man die seröse Höhle z. B. die
Die ungranulierten Leucocyten. 845
Peritonealhöhle als einen Lymphraum, eine Anschauung, die ja
wohl allgemein akzeptiert ist, und das Netz als ein Iymphoides
Organ, als einen in der Fläche entfalteten Iymphoiden Apparat, wie
ich es auf Grund seiner morphologischen Beschaffenheit und seiner
physiologischen Leistung nannte (83), so werden die Zellen der
serösen Höhlen in ihrer Bedeutung noch weiter verständlich. Wie
ich oben auseinandersetzte, ist ja die sogenannte Keimzentrums-
zelle der Lymphdrüsen auch nichts anderes als eine sessile oder
losgelöste „Endothelzelle* der Lymphsinus oder des eigentlichen
Iymphoiden Gewebes; auch bei den Lymphdrüsen sind Retikulum-
zellen und „Endothelien“ gleichwertige Begriffe. Ich habe ferner
gezeigt, dass die Keimzentrumszelle in teilungsfähigem Zustand
in die Lymphflüssigkeit selbst und weiter in das Blut gelangt
und dass sie mit den kleinen Lymphocytenformen durch eine
kontinuierliche Reihe verbunden ist. Genau das gleiche Verhalten
ist aber auch für die normalen grossen Zellen der serösen Höhlen
zu konstatieren: auch sie entstammen einem Iymphoiden Apparat,
dem Netz, und gelangen von da in den Lymphraum der Peritoneal-
höhle, von hier aus aber werden sie — zahlreiche Befunde be-
weisen das — in den Duetus thoracicus eingeschwemmt, wo sie
unter dem Bilde der grossen Formen erscheinen, und schliesslich
geht der Weg natürlich weiter in das Blut. Ich habe schon darauf
aufmerksam gemacht, dass diese grossen Zellen der Bauchhöhle
besonders durch ihre hochgradigen phagocytären Eigenschaften
auffallen, sie teilen diese Eigenschaften nicht nur mit den sessilen
Netzelementen, von denen sie ja abstammen, sondern auch mit
den „Endothelien“* der Lymphbahnen, die darin ausserordent-
liches zu leisten vermögen (ef. das oben hierüber Gesagte, ferner
meine Abhandlung über Blutlymphdrüsen |79| und Fig. 24) und
besonders auch, was ich noch ausdrücklich hervorheben möchte,
mit den typischen Keimzentrumszellen der Sekundärknötchen der
Lymphdrüsen, die nach Flemming (25) zum Teil eigentümliche
tingible Körper enthalten, nach den übereinstimmenden Unter-
suchungen der letzten Jahre Reste phagoeitierter Zellen. Daraus
folgt, dass die Iymphocytären Zellelemente des Blutes gleichfalls
hochgradige phagocytäre Eigenschaften besitzen müssen: eine
längst bekannte und anerkannte Tatsache; ihr verdanken gerade
diese Blutelemente den Namen der Makrophagen (siehe Helly [26]).
Unter normalen Verhältnissen werden diese Eigenschaften aber
Ss46 Franz Weidenreich:
nur ausserhalb der Blutbahn entfaltet. Es ist nun interessant,
dass in neuerer Zeit Fälle beschrieben worden sind. in denen
ganz enorme Phagocytose in den Iymphocytären Elementen des
Blutes und zwar in der Zirkulation bei bestimmten Krankheiten
beobachtet wurde. Besonders genau und durch sehr schöne
photographische Wiedergabe der betreffenden Zellen belegt ist
ein Fall von Rowley (61) beschrieben worden; diese Blutbilder
erinnern auffallend an die, die man von Peritonealexsudaten er-
halten kann.
Ich hob schon hervor, dass normalerweise in den serösen
Höhlen auch kleine Zellformen, die in ihrem morphologischen
Charakter vollständig den Lymphocyten Ehrlichs entsprechen.
neben jenen grossen Elementen (besonders in der Bauchhöhle)
vorkommen, eine Tatsache, die sich gleichfalls den mitgeteilten
Übereinstimmungen zwischen Lymphe und dem Inhalt seröser
Höhlen einfügt. Noch deutlicher treten aber die Beziehungen
zwischen kleinen und grossen Formen bei experimentellen Ein-
griffen hervor. Wenn der künstlich gesetzte Reiz längere Zeit
hindurch regelmässig wiederkehrt, so bleibt schliesslich die Reaktion
von seiten des Blutes aus, d. h. die Einwanderung feingranulierter
Leucocyten aus den Gefässen hört auf, und an ihre Stelle tritt
eine ganz kolossale Vermehrung der unter normalen Bedingungen
vorhandenen Zellelemente, besonders der kleinen und der grossen
Iymphocytären Formen. Diese Vermehrung ist nicht nur zurück-
zuführen auf eine gesteigerte Proliferation der Netzelemente,
sondern vor allem auch auf eine mitotische Teilung der Exsudat-
zellen selbst. Dabei zeigt sich, dass nicht nur die grossen,
sondern auch die mittleren und die kleineren Zellformen beteiligt
sind. Ich habe hier sechs dieser Zelien in Mitose wiedergegeben
(Fig. S): alle sind bei gleicher Vergrösserung aufgenommen, sodass
ein Vergleich der Zellen untereinander die Grössendifferenzen ohne
weiteres deutlich macht. Allerdings ist bei einem Vergleich der
Grössen mit den Elementen der Lymphe, speziell mit Fig. 11, zu
berücksichtigen, dass die Zellen der Fig. S bei stärkerer Ver-
grösserung (Okular 8) aufgenommen wurden als jene (Okular 6).
Aber abgesehen von diesen Mitosen lässt sich in dem Exsudat
auch die gleiche kontinuierliche Zellreihe, die von den kleinen
zu den grossen Formen führt, nachweisen, wie das in der Lymphe
und im Blut der Fall ist.
Die ungranulierten Leucocyten. 847
Die Bedeutung der Befunde an den Zellen der serösen Höhlen,
speziell der Bauchhöhle, liegt nicht nur darin, dass sie weitere Belege
für die Auffassung dieser häume als weite Lymphräume beigebracht
haben, sondern vor allem auch in dem Nachweis der Gleichwertig-
keit der freien Zellen und der Netzelemente mit den Zellen der
Lymphe und der Lymphdrüsen; sie lehren uns, dass die Elemente,
die wir ihrer Provenienz entsprechend Lymphzellen
oder Lymphocyten nennen, nicht nur aus den Organen
stammen, die wir als Lymphdrüsen zu bezeichnen pflegen,
sondern auch aus einem kewebe, dem im wesentlichen eine
rein bindegewebige Natur zugesprochen wurde Es er-
scheint also hier Bindegewebe als Produktionsort lympho-
eytärer Elemente, also als Iymphoides Gewebe. Abgesehen
von der physiologischen Wirkung des Netzes, die von Rose (58)
neuerdings näher dargelegt wurde, zum Teil auf Grund von
Ergebnissen der hier besprochenen Untersuchungen, wird sein
Iymphoider Charakter vor allem auch noch durch die Anwesenheit
der Taches laiteuses Ranviers dokumentiert: ihr Fehlen bei
manchen Tieren wird dadurch verständlich. dass eben das Gesamt-
netz in allen seinen Teilen Iymphoid ist, ohne dass es hier zur
Ausbildung besonderer Iymphocytärer Zellhaufen kommt. Gegen
die Bezeichnung des Netzes als Iymphoides Organ hat sich in der
Diskussion zu meinem oben zitierten Vortrag (83) Schridde
gewandt mit der Motivierung, dass das Netz auch „perivaskuläres
blutbildendes (rewebe“ besitze. Der Einwand ist nicht recht
verständlich: denn perivaskuläres Gewebe ist vielfach Iymphoid
z. B. in der Milz, wo bekanntlich die Arterien von einer Iym-
phoiden Scheide umgeben sind. Legt Schridde aber den Ton
auf Blutbildung, so ist zu erwidern, dass weisse Blutkörperchen
ja im Netz gebildet werden und zwar nicht nur der Iymphocytäre
Teil derselben. sondern wie ich gezeigt habe, unter Umständen
auch granulierte Leucocyten (87). Soll aber mit der Bezeichnung
Blutbildung nur die Bildung der roten Blutkörperchen gemeint
sein. so sei daran erinnert. dass diese Bildung beim erwachsenen
Tier im Netz ebensowenig wie in den Lymphdrüsen und in der
embryonalen Periode hier ebensogut wie dort vor sich geht. Der
Einwand Schriddes hat also keinerlei Berechtigung.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73.
ot
SL
Ss48 Franz Weidenreich:
IV. Die Lymphocyten des Bindegewebes und die
Plasmazellen.
Eine weitere Klärung über Wesen und Bedeutung der
Lymphocyten in dem von mir gebrauchten Sinne gibt das
Studium ihres Verhaltens innerhalb des Bindegewebes unter
normalen Bedingungen und bei entzündlichen Prozessen. Durch
die Forschungen der letzten Jahre, besonders durch die ein-
gehenden Untersuchungen Maximows (39, 40) ist die Erkenntnis
der Tatsache gesichert worden, dass die aus dem Blute stammen-
den Iymphocytären Elemente bei den entzündlichen Prozessen
eine Hauptrolle spielen, dass diese aber wieder von der der
granulierten Leucocyten verschieden ist. Hauptsächlich aber
zeigte Maximow, dass die kleinen Formen d. h. die Lympho-
eyten Ehrlichscher Nomenklatur und die grossen Formen als
eine Zellart aufzufassen sind. Er äusserst sich hierüber folgender-
massen: „Wo ist denn die Quelle der Rundzellen zu suchen? Sie
müssen unbedingt aus dem Blute stammen: es sind die gewöhn-
lichen einkernigen Leucoeyten des letzteren, sowohl die kleineren
Formen, die Lymphoeyten, als auch die grösseren, die eigentlichen
mononukleären Leucocyten. Dieselben sind der selbständigen Be-
wegung fähig und emigrieren unter dem Einfluss des entzünd-
lichen Reizes aus den Gefässen. Sobald sie in die Maschen des
Bindegewebes gelangen, fangen sie sofort an sich weiter in pro-
gvessivem Sinne zu entwickeln; der kleine Lymphocyt wird zum
mononukleären Leucocyt, der letztere, auf diese Weise ausserhalb
des Grefässsystems entstanden, oder direkt aus dem Blute als
solcher gekommen, entwickelt und vergrössert sich weiter, es
kommen aus dem Blute immer neue Zellen hinzu, und das Ge-
webe wird auf solche Weise mit kolossalen Mengen von ein-
kernigen Rundzellen überschwemmt, die ein ausserordentlich
lebenskräftiges Zellmaterial vorstellen.“ Für alle diese Zellen
schlug Maximow die Bezeichnung „Polyblasten“ vor. Sie ent-
wickeln vor allem eine hochgradige phagocytäre Tätigkeit, indem
sie nicht nur die gleichfalls emigrierten granulierten Leucocyten in
sich aufnehmen, sondern auch die eingeschmolzenen und zerfallen-
den Gewebselemente. Durch mitotische Teilung tritt aber auch im
(sewebe eine autochthone Vermehrung ein. Zwischen den kleinen
Formen und den grossen bestehen kontinuierliche Reihen. Nach
Maximows Untersuchungen wächst also die kleine Form ausser-
Die ungranulierten Leucoeyten. 549
halb der Blutbahn zur grossen heran, sie werden samt und
sonders zu „Makrophagen“ und stellen sehr lebenskräftige, teilungs-
fähige Elemente dar; das gleiche gilt aber auch für die schon
im Blute vorhandenen emigrierenden grossen Formen, die „grossen
mononukleären Leueoeyten“ oder „Übergangsformen“ der Autoren,
die deswegen von Maximow überhaupt nicht besonders unter-
schieden, sondern mit den anderen zusammen als Lymphocyten
bezeichnet werden. Zu einem ähnlichen Resultate kommt auf
Grund des Studiums experimenteller Entzündung Helly (26):
die Ableitung der Makrophagen von den Lymphoeyten scheint
durch Befunde gleicher Zellen im Blute der Versuchstiere sicher-
gestellt, beide Zellformen sind dort dureh Übergänge verbunden.
Gleichzeitig hat R. Blumenthal (6) experimentell gezeigt, dass
die kleinen Lymphoeytenformen bei Einführung von Dottermaterial
in den Tierleib rasch zu grossen Formen heranwachsen.
Ich kann die Angaben dieser Autoren auf Grund experimen-
teller Untersuchungen, speziell des Netzes, nur bestätigen. Es
unterliegt keinem Zweifel, dass die Lymphocyten des Blutes
jeder Grösse bei entsprechender Reizwirkung auswandern
und im Gewebe zu Makrophagen werden, nur bin ich
der Meinung, dass das Gewebe selbst sich auch bei der Bildung
dieser Elemente beteiligt. Auch Maximow nimmt an, dass
dauernd im Bindegewebe Zellen vorhanden sind, die in ihren
morphologischen Charakteren durchaus den Lymphocyten des
Blutes entsprechen und die er als „ruhende Wanderzellen“ be-
zeichnet hat. Man kann nun annehmen, dass diese Zellen einmal
aus dem Blute oder der Lymphbahn ausgewandert sind oder dass
sie sich seit der ersten Entwicklung im Gewebe befanden. Zu
der letzteren Auffassung neigt Marchand (35). Dieser Autor
nimmt an, dass die Blutgefässe regelmässig von einer Anzahl
Zellen begleitet werden, die die Fähigkeit besitzen, Elemente von
der Beschaffenheit der Lymphocyten Ehrlichscher Nomenklatur
und der grossen ungranulierten Formen des Blutes zu produzieren,
und dass ferner die Möglichkeit vorhanden ist, dass diese Zellen
in die Blutbahn gelangen und auf diese Weise „wirkliche
Leueoeyten“ bilden ; die fraglichen perivasculären Zellen wuchern
bei Entzündungen und bringen grosse bewegliche Phagoeyten,
Makrophagen, hervor, aus denen wieder kleine den Lymphocyten
gleichende Zellen hervorgehen. Die ganze Gruppe dieser Zellen
s50 Franz Weidenreich:
bezeichnet Marchand als „leukocytoide“ und rechnet dazu unter
anderem auch die grossen Zellen der serösen Höhlen. Ich habe
schon oben bei der Besprechung der letzteren Zellen darauf hin-
gewiesen, dass diese nicht allein aus dem Blute stammen, sondern
nachweisbar im Netz von sessilen Elementen ableitbar sind.
Allerdings habe ich mich nicht davon überzeugen können, ich
verweise hierfür wieder auf die Schottsche Abhandlung, dass
dort eine besondere von den anderen Bindegewebselementen
unterscheidbare perivasculäre Zellart vorkommt. Die Bildung der
Makrophagen ist nämlich keineswegs auf die Gefässumgebung
beschränkt. sondern findet in weiten Gebieten des Netzes statt,
wo Gefässe, auch Kapillaren, vollständig fehlen; ich habe diese
Dinge bereits an anderer Stelle (85) besprochen. Über die Be-
ziehungen der „leucocytoiden“ Zellen zu den Bindegewebszellen
spricht sich Marchand nicht mit Bestimmtheit aus, er meint
nur, dass eine „Verallgemeinerung“ der Herleitung der „Leuco-
cytoiden“ von den Bindegewebszellen unzulässig sei; eine Be-
teiligung der Deckzellen des Netzes wird nicht direkt in Abrede
gestellt; es wurde von ihm beobachtet, dass sie sich in stern-
förmig verästelte und langgestreckte Zellen umwandeln, auch dass
sie kontraktil werden und ihre ursprüngliche Stelle verlassen.
Ich will hier auf die Frage der Beziehungen zu den
Bindegewebszellen nicht weiter eingehen, aber jedenfalls können
Iymphocytäre Elemente, die weiterhin in die Lymph- und
Blutbahn gelangen, auch im Bindegewebe produziert
werden. Es bleibt nur zu entscheiden, ob das Bindegewebe
ganz allgemein diese Fähigkeit besitzt oder ob der Prozess nicht
auch hier an bestimmte Örtlichkeiten gebunden ist. Marchands
Untersuchungen sind zum Teil auch am Netz vorgenommen
worden, basieren aber auch auf Erfahrungen, die an anderen
Lokalitäten gewonnen wurden. Maximow, der speziell das
intermuskuläre Bindegewebe untersuchte, schlägt die Mitbe-
teiligung autochthon im Gewebe gebildeter Lymphocyten gering
an, wenigstens im Verhältnis zu den emigrierenden. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass die Anwesenheit seiner entwicklungs-
fähigen ruhenden Wanderzellen überall im Bindegewebe kon-
statiert ist; damit ist aber auch die Möglichkeit der Neubildung
Iymphoider Elemente unabhängig von Blut- und Lymphbalın
gegeben. Wo diese in grösseren Mengen stattfindet, bezeichnet
Bit
—
Die ungranulierten Leucocyten. 35
man solche Stellen als Lymphknötchen oder als Rundzellenhaufen.
Derartige Bildungen finden sich normalerweise besonders im
Schleimhautgebiet des Verdauungs- und Respirationstraktus, unter
pathologischen Umständen sind sie eine bekannte weit verbreitete
Erscheinung. Die Möglichkeit von Lymphocytenpro-
duktion ist also dem Bindegewebe in weitem Umfang
gegeben.
Plasmazellen.
Bestimmte Zellformen, die hierbei aufzutreten pflegen, hat
man mit dem Namen der „Plasmazellen* belegt. Ich möchte
nicht auf die Literatur eingehen, die über diese Zellformen vor-
handen ist, noch mich in eine eingehende Erörterung der Ansichten
einlassen, die je über die Natur dieser Elemente geäussert worden
sind. Eine gute Zusammenstellung all dessen hat unlängst
Pappenheim (49) gegeben; auf diese sei hiermit verwiesen.
Die Elemente, die man heute fast allgemein als Plasmazellen
bezeichnet, wurden zuerst genauer von Marschalko (37) um-
schrieben. Es sind rundliche oder ovale Zellen mit einem runden,
meist exzentrisch gelegenen Kern, dessen Chromatin, wie
Maximow (39, 41) beschreibt, in groben, sehr dunklen, eckigen,
an der Innenfläche der Membran in gleichmässigen Abständen
voneinander liegenden Körnern angeordnet ist; der Plasmaleib
ist sehr stark färbbar und macht nach Marschalko einen
„krümeligen“ Eindruck; nahe am Kern findet sich ein heller
gefärbter Hof, in dem, wie Maximow (39) gezeigt hat, die
Zentren liegen. Neuerdings vertreten die meisten Autoren die
Ansicht. dass die Plasmazellen besonders umgeformte Lympho-
cyten seien; Meinungsverschiedenheit besteht eigentlich nur noch
darin, ob es sich dabei um emigrierte oder um autochthon im
Gewebe gebildete Elemente handelt.
Wenn nun auch die Plasmazellen hauptsächlich im ent-
zündeten Gewebe eine Rolle spielen, so fehlen sie doch keineswegs
völlig unter normalen Verhältnissen; besonders zahlreich kann
man sie, was schon Maximow (41) hervorhob, manchmal im
Netz des Kaninchens finden. Wie das Übersichtsbild, das ich
in Fig. 15 wiedergebe und das Netzpartien eines gesunden
Kaninchens darstellt, lehrt, trifft man hier die Zellen haupt-
sächlich und in besonders diehten Mengen in der unmittelbaren
Umgebung der Gefässe; dass es sich dabei um typische Plasma-
352 Franz Weidenreich:
zellen handelt, geht aus Fig. 15 hervor, in der ich eine Gruppe
solcher Elemente wiedergebe, die alle die oben als charakteristisch
hervorgehobenen morphologischen Merkmale in vollkommenster
Weise erkennen lassen. Ich will gleich betonen, dass ich auf
Grund häufig gemachter Beobachtungen zu der Auffassung
gelangt bin, dass es sich bei diesen Anhäufungen im normalen
Gewebe nicht um aus der Blutbahn emigrierte Lymphocyten
handeln kann, weil für eine ausschliessliche Auswanderung eines
Zellelementes kein Gund ersichtlich ist und weil zudem Mitosen
in den Zellen ab und zu angetroffen werden (Fig. 20). Damit
soll keineswegs aber gesagt sein, dass nicht auch Plasmazellen
aus emigrierten Lymphocyten entstehen können, jedenfalls gibt
es aber auch Plasmazellenhaufen, die an Ort und Stelle gebildet
sind. Darüber kann ja kaum ein Zweifel aufkommen, dass die
Lymphoeyten in engster Beziehung zu ihnen stehen. Man sieht
stets Formen, die noch alle Charaktere kleiner Lymphoeyten
zeigen (Fig. 1Sa, b), aber schon die besondere Vorliebe des
Plasmas zu basischen Farbstoffen erkennen lassen. Bei ent-
zündlichen Prozessen der Bauchhöhle treten Plasmazellen auch
im Exsudat auf und zwar dann, wenn der Organismus sich an
den entzündlichen Reiz gewöhnt hat, was sich besonders in
dem ausserordentlich starken Auftreten Iymphoeytärer Elemente
dokumentiert. In solchen Fällen findet man stets Zellen, die
in ihrem Gesamthabitus durchaus den Lymphocyten entsprechen,
sich aber von ihnen auffallend durch die ganz intensive basophile
Färbung ihres Plasmaleibes unterscheiden, vielfach lässt sich auch
der hellere Hof nachweisen. In Fig. 21 gebe ich solche Elemente
wieder; der Hof ist besonders bei e und e deutlich, an der
letzteren Zelle liegt in ihm das Diplosomenpaar. Neben den
ausgesprochenen Formen fehlen die Übergänge nicht, in a ist
eine solche Zelle abgebildet, der periphere Teil des Plasmas zeigt
bereits die charakteristische Färbung. Allerdings ist bei all
diesen Zellen auffallend, dass der Kern nicht rundlich, sondern
deutlich bohnenförmig ist, das gleiche Verhalten weisen aber in
diesen Exsudaten auch die meisten kleinen Lymphocyten auf:
man trifft sie auch bei typischen Plasmazellen im Gewebe, wie
folgende Bilder beweisen: Fig. 16a, 1Sc, d und 19e.
Identifiziert man also — und an der Berechtigung hierzu
kann kein Zweifel bestehen — die Plasmazellen mit den Lympho-
Die ungranulierten Leucoeyten. 5553
cyten, so muss man unter ihnen wieder die gleichen verschiedenen
Formen feststellen können, die man auch bei den Lymphocyten
findet. Das ist nun in der Tat der Fall. Zunächst findet man sehr
kleine (Fig. 18d) neben sehr grossen Formen (Fig. 19d); auch die
Kerngrösse variiert beträchtlich (cf. Fig. 1Sd mit Fig. 19c). Was
aber besonders interessant ist, ist die Variation der Kernform.
Zunächst findet man sehr zahlreich direkte Kernteilungen: Zellen
mit eingeschnürten Kernen, wie in Fig. 19b und 18e, die über-
leiten zu Zellen mit zwei völlig getrennten Kernstücken, die
entweder an Grösse gleich (Fig. 19a) oder ungleich (Fig. 19e)
sind, dabei aber nie Zeichen degenerativer pyknotischer Vor-
gänge erkennen lassen; ob es dabei auch zu einer Zellteilung
kommen kann, konnte ich nicht mit Sicherheit entscheiden. Aber
auch sonst weicht die Kernform von der als charakteristisch
angegebenen runden sehr vielfach ab. Auf die Bohnenform habe
ich schon oben aufmerksam gemacht und in Fig. 16 habe ich
eine Gruppe wiedergegeben, die schon ziemlich unregelmässige
Kerne zeigt. Es ist merkwürdig, dass in diesen Fällen meist
der helle rundliche Hof des Plasmas fehlt, ohne dass dieses aber
seine charakteristische Farbenvorliebe oder die eigentümlich
körnig-krümelige Beschaffenheit eingebüsst hätte An manchen
Stellen der Zellhaufen erreicht der Kern einen besonders hohen
Grad von Vielgestaltigkeit, stets ist er dabei auch besonders
gross. Eine Gruppe solcher Zellen habe ich in Fig. 17 wieder-
gegeben. Man erkennt daran ohne weiteres, dass auch der Zell-
kontur ausserordentlich unregelmässig ist und es zeigt sich, dass
hier runde Kern- und runde Zellkontur zusammenfällt (a). Der
unregelmässige Zellkontur ist ganz offensichtlich als der Aus-
druck amöboider Bewegung der Plasmazellen zu deuten, deren
Wanderungsfähigkeit schon von Maximow (39) und Schridde (66)
nachgewiesen wurde. Ich habe nun aber bei Besprechung der
grossen Formen der Lymphocyten des Blutes und der Lymphe
schon darauf hingewiesen, dass auch hier Kernformen vorkommen,
die als Ausdruck einer Bewegungsphase gedeutet werden müssen
und verweise auf Fig. 3, besonders e, und Fig. 12, besonders b.
Stets findet man in den Gruppen von Plasmazellen, in denen die
;ewegung an Zell- und Kernform ersichtlich ist, abgetrennte
Teile des Zellplasmas in grösseren oder geringeren Mengen; in
Fig. 17 habe ich diese Plasmaklümpchen mit pl bezeichnet. Man
s54 Franz Weidenreich:
muss sich vorstellen, dass sie in der Weise entstehen, dass sich
ausgestreckte Pseudopodien loslösen (Fig. 17b). Solche abgetrennte
Plasmateile finden sich auch da, wo die Bewegung keine so
intensive ist, dass sie zu weitgehenden Formveränderungen von
Kern und Zellen führt: ich habe dies in Fig. 16 bei b und e
dargestellt.
Dem Bilde der Plasmazellen, wie es allmählich als typisch
festgelegt worden ist, entsprechen allein nur die in Fig. 18
wiedergegebenen Zellformen. Aber die Frage bleibt. ob diese
enge Begrenzung zulässig und gerechtfertigt ist; schon Maximow
(39) hat darauf aufmerksam gemacht, dass es Zellformen gäbe,
die „sich einerseits dem Habitus eines gewöhnlichen Polyblasten,
andererseits dem einer echten Plasmazelle nähern“ (S. 148 u. f.),
Pappenheim (49) vertritt die Ansicht. dass Plasmazellen auch
aus „grossen Iymphoblastischen Lymphocvten“ entstehen könnten,
und Schridde (68) ist der gleichen Meinung, indem er aus den
„Lymphoblasten“ des Iymphoiden (Gewebes Zellen hervorgehen
lässt, die er als „Iymphoblastische Plasmazellen“ bezeichnet.
Nun ist klar, dass das Wesentliche an der Plasmazelle die
Eigenschaft ausmacht, die ihr ihren Namen gab, das Plasma, und
dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich besonders mit
basischen Farbstoffen intensiv färbt, daneben aber jene Be-
schaffenheit aufweist, die Marschalko als „krümelig“ charak-
terisiert hat. Zwar erhob Maximow gegen diese Bezeichnung
bedenken und spricht von einer „typischen unregelmässigen
tleckigen Beschaffenheit, die durch die Anordnung des sich in-
tensiv färbenden Granoplasma in dem retikulären protoplasma-
tischen Gerüstwerk zustande komme“. In der Tat ist das Plasma
dadurch charakterisiert, dass die stark färbbare Substanz aus
ausserordentlich kleinen und gleichmässigen, aber doch wieder
nicht ganz distinkt hervortretenden Körnern zu bestehen scheint,
die in einer helleren Grundmasse in wechselnder Anordnung ein-
gebettet sind. Besser als alle Beschreibungen zeigt das eine Be-
trachtung der Fig. 16—20. Der Ausdruck „krümelig“ scheint
mir aber das Bild doch noch am kürzesten und treffendsten zu
charakterisieren. Hervorheben möchte ich noch, dass diese
körnige Beschaffenheit nicht direkt identifiziert werden kann mit
der von Schridde (64) mit seiner besonderen Methode dar-
gestellten Granulierung; diese Schriddeschen Granula sind viel
Die ungranulierten Leucocyten. 855
gröber, distinkter und weniger zahlreich ; wie sie zu beurteilen
sein dürften, habe ich schon bei der Besprechung der ähnlichen
Lymphocytengranula erörtert. Nun ist diese Eigenschaft des
Plasmas nicht etwa nur auf die Zellelemente beschränkt. die
den kleinen runden sogenannten Lymphocytenkern besitzen, sondern
auch an solchen Zellen nachweisbar, die jene besonderen Kern-
und Plasmaformen haben, die ich oben beschrieb (Fig. 16 und 17);
gerade durch diese Beschaffenheit des Plasma unterscheiden sich
diese Zellen aber wieder von den gewöhnlichen grossen Formen
der Lymphocyten oder den „ruhenden Wanderzellen“ oder den
„Polyblasten“. Andrerseits bestehen kontinuierliche Übergänge
auch in der Entwicklung der Kernform zwischen den als typisch
bezeichneten Plasmazellen und den unregelmässigen Formen, wie
ein Vergleich der Fig. 16 bis 19 untereinander ohne weiteres lehrt.
Aus dieser Betrachtung ergibt sich, dass man vollkommen
berechtigt ist, in den Plasmazellen Lymphocyten zu
sehen; wie aber die Lymphoceyten nicht erschöpft sind mit jener
kleinen Form, die seit Ehrlich ausschliesslich mit diesem Namen
belegt wird, sondern auch die grossen Zellen umfassen, die ich
in Blut und Lymphe eingehend geschildert habe und die in der
Literatur unter dem Namen der „grossen mononukleären Leuco-
eyten“ oder der „Übergangsformen“ bekannt sind, so ist auch
der Begriff der Plasmazelle nicht zu beschränken auf die
Zellelemente, die in ihrem Kernbild nur den kleinen Lympho-
eyten Ehrlichscher Nomenklatur entsprechen, sondern auf all
die Formen auszudehnen, die durch die gleiche charak-
teristische Beschaffenheit des Plasmas gekennzeichnet
sind. Plamazellen sind also besonders modifizierte
LymphocytenindesWortes weiterer, ursprünglicher
und korrekterer Bedeutung. Dementsprechend ist es ein
müssiger Streit, ob man sie auf emigrierte d. h. aus der Blutbahn
ausgewanderte Lymphocyten zurückführt oder aber autochthon
aus Lymphocyten entstehen lässt, die im Gewebe selbst lokalisiert
sind; ohne Zweifel sind beide Möglichkeiten gegeben. Was speziell
das Netz angeht, so ist ja bekannt, dass hier, wenigstens bei
manchen Tieren, meist Iymphocytäre Zellhaufen vorkommen, die
Ranvier als Taches laiteuses bezeichnet hat: auch sonst findet
man hier solche Zellansammlungen gelegentlich und unter nor-
malen Verhältnissen in der Begleitung der Gefässe; Plasmazellen,
s56 Franz Weidenreich:
die die gleiche Anordnung zeigen, sind daher wohl mit Recht
als Elemente anzusehen, die an Ort und Stelle entstanden sind.
Die hier vorgetragene Ansicht stellt aber nun auch wieder eine
wenigstens gewisse Vermittlung dar mit der Auffassung jener
Autoren, die die Plasmazellen von sessilen Gewebselementen ab-
leiten und sich dabei auf die Beobachtung kontinuierlicher Über-
gangsformen berufen, wie dies (’ajal (8) getan hat. Ich habe
zwar unter normalen Verhältnissen niemals Bilder gesehen, die
eine derartige direkte Ableitung gestatteten; allein so gut die
grossen Formen der Lymphocyten aus fixen Elementen entstehen,
eben so gut ist das wohl auch für die grösseren Plasmazellformen
möglich. An der Auffassung der ganzen Frage ändert das nichts,
die Plasmazellen teilen eben diese Ableitbarkeit wieder mit den
Lymphocyten. Eine Unterscheidung zwischen histiogenen und
Iymphocytären Plasmazellen, die Pappenheim (49) ihrer Her-
kunft entsprechend macht, möchte ich aber nicht befürworten,
da sie weder durchführbar ist, noch auch bei den Lymphocyten
zur Anwendung gelangen kann. In der Sache selbst stimme ich
aber diesem Autor, wie aus meinen Ausführungen hervorgeht, bei.
Die Frage nach der eigentlichen Bedeutung der Plasma-
zellen ist natürlich auch mit diesen Feststellungen noch nicht
gelöst. Wir wissen jedenfalls das eine, dass die eigentümliche und
charakteristische Protoplasmabeschaffenheit allen Iymphoeytären
Elementen zukommen kann. Dass der Erwerb dieser Plasma-
struktur kein degenerativer Zellprozess ist, wie manche Autoren
annehmen möchten, geht schon daraus hervor, dass sich die
Plasmazellen durch Mitose vermehren können und zwar nicht
nur die kleinen (Fig. 20a, b), sondern auch die grossen Formen
(Fig. 20 ec). Dass Plasmazellen als solche zugrunde gehen, ist
andererseits nicht zweifelhaft; sie werden nicht nur von Makro-
phagen aufgenommen, sondern verklumpen auch zu eigentümlichen
Körperchen, über die eine eigene Literatur besteht (Fabian, [17]).
All dies sind Dinge, die auch bei Lymphocyten vorkommen.
Wiehtig ist noch die Frage, ob die Plasmazellen als besonders
differenzierte und in dieser Form bleibende Elemente aufzufassen
sind, oder ob nicht eine Rückkehr in den alten einfachen Lym-
phocyten-Zustand möglich ist. Aus der schwankenden Zahl und
der Örtlichkeit ihres Vorkommens, aus der Tatsache, dass die
Plasmabesonderheit allen Iymphocytären Elementen zukommen
IT
I 5
0,0
Die ungranulierten Leucocyten. \
kann, vor allem aber aus den deutlich zu beobachtenden Ab-
lösungen plasmatischer Teile möchte ich doch eher schliessen,
dass die Plamazellen lediglich der Ausdruck einer
besonderen, vorübergehenden und nur von be-
stimmten Umständen abhängigen Lymphocyten-
funktion sind und nicht einseitig und dauernd
differenzierte Elemente. Ich gebe aber zu, dass diese
Annahme bis jetzt nicht absolut beweisbar ist. Die Ablösung
von Plasmateilen in das Gewebe scheint dafür zu sprechen, dass
im Plasma der Zellen Stoffe produziert werden, die zur Abgabe
an die Umgebung bestimmt sind. Die eigentümliche Körnelung
wär darnach der Ausdruck einer besonderen sekretorischen Plasma-
tätigkeit. Warum diese aber einsetzt und welche spezielle Be-
deutung ihr zuzusprechen ist, bleibt vorerst noch zu eruieren.
V. Zusammenfassung.
Fasse ich nun kurz zusammen, was meine Untersuchungen
bisher ergeben haben, so lässt sich folgendes sagen: In Blut und
Lymphe kommen stets lebenskräftige und teilungsfähige grosse
ungranulierte Zellformen vor, die nicht nur nach ihren morpho-
logischen Charakteren, sondern auch nach dem Orte ihrer Herkunft
als Lymphocyten zu bezeichnen sind, sie sind identisch mit den
als „grossen mononukleären Leucocyten“, „Übergangsformen“
oder „grossen Lymphocyten“ beschriebenen Elementen. Sie sind
ferner identisch mit den grossen teilungsfähigen Zellen der
Iymphoiden Organe, die man nach der Stelle ihres häufigsten
Vorkommens auch wohl als Keimzentrumszellen bezeichnet hat.
Neben diesen grossen Formen finden sich in Blut und Lymphe
die bekannten kleinen, für die man seit Ehrlich fälschlich die
Benennung als Lymphocyten reserviert hatte. Kleine und grosse
Formen sind durch kontinuierliche stets in der Zirkulation, in
Blut und Lymphe, nachweisbare Mittelformen miteinander ver-
bunden. Alle diese Elemente stammen aber nicht nur aus den
speziell als Lymphdrüsen bezeichneten Organen, sondern auch aus
all den Gewebsdifferenzierungen, die man wegen ihrer Struktur
und ihres Zellcharakters schon längst als Iymphoid bezeichnet
hat, vor allem auch aus den eigentlichen Iymphoiden Zellhaufen
des Bindegewebes, insbesondere mancher Schleimhäute und dem
858 Franz Weidenreich:
Netz. Das gesamte Bindegewebe beherbergt dauernd, wenn auch
an Zahl und Lokalitäten wechselnd. Iymphoide Zellelemente, die
Maximow (39) zusammenfassend als „ruhende Wanderzellen“
oder „Polyblasten“ bezeichnete. Die nahen Beziehungen, die die
freien Lymphocyten in den Lymphdrüsen zu den fixen oder
sessilen (sewebselementen (Retikulumzellen oder „Endothelien“)
zeigen, treten auch im übrigen Bindegewebe hervor, besonders
deutlich im Netz und an den Deckzellen der serösen Höhlen,
welch letztere stets freie lebenskräftige und mitotischer Teilung
fähige Lymphocyten produzieren können. Das, was man als
„Plasmazellen“ bezeichnet hat, sind Lymphocyten aller Grössen
und jeder Provenienz, die durch eine besondere eigentümliche
Beschaffenheit ihres Plasmas gekennzeichnet sind; wahrscheinlich
handelt es sich dabei um den Ausdruck einer vorübergehenden
besonderen sekretorischen Tätigkeit mit Abgabe plasmatischer
Teile an die Umgebung.
Wenn ich die Lymphocyten in nahe Beziehung zu den als
Endothelien bezeichneten Elementen gebracht habe, so soll damit
keineswegs gesagt sein, dass ich irgendwie die Anschauungen
für berechtigt halte, die Patella (53) in einer Reihe von
Abhandlungen vertreten hat. Nach diesem Autor wären die
wahren Lymphocyten — die wirklichen Abkömmlinge des Iym-
phoiden Gewebes — im normalen Blut sehr spärlich und durch
äusserste Kleinheit (4 bis 5 « Durchmesser) charakterisiert; alle
anderen ungranulierten Zellformen des Blutes und der Lymphe
und zwar speziell die grossen seien abgestossene Gefässendothelien
mit deutlichen Merkmalen der Zellnekrose; die kleineren Formen,
mit Ausnahme der oben erwähnten allerkleinsten, seien mit ihren
pyknotischen Kernen das Endprodukt dieser Zelldegeneration.
Dass diese Ansichten, die offensichtlich auf Grund einer sehr
mangelhaften Methodik gewonnen wurden, unhaltbar sind, ist
schon von anderen, so besonders von Ferrata (18), gezeigt
worden. Die von mir hier reproduzierten Bilder der fraglichen
Elemente aus Blut und Lymphe lehren ohne weiteres, dass sie
von keinerlei nekrotischen Veränderungen befallen sind; durch
den Nachweis der Mitosen gerade in den grossen Zellen wird
dies über jeden Zweifel hinausgerückt. „Endothelierf“ können sie
in gewissem Sinne nach ihrer Herkunft trotzdem sein, aber, wie
ich im vorhergehenden ausgeführt habe, in dem gleichen Sinne,
Die ungranulierten Leucoeyten. 859
der für die freien Elemente des Iymphoiden Gewebes überhaupt
eilt. Die Endothelien der typischen Blut- und Lymphgefässe
sind jedenfalls einseitig differenzierte Elemente, von denen sich
weder die in Wahrheit überhaupt nicht vorhandenen nekrotischen
Formen noch die teilungsfähigen freien Zellen des Blutes oder
der Lymphe ableiten lassen.
D. Die Beziehungen der Lymphocyten zu einander
und zu den granulierten Leucocyten.
‘s bleiben nun noch zwei Hauptfragen zu erörtern, nämlich
die Beziehungen der kleinen und grossen Lymphocytenformen
zu einander und die Beziehungen der Lymphocvten im ganzen zu
den anderen Formen der weissen Blutkörperchen, zu den granu-
lierten Leucocyten.
I. Die Beziehungen der Lymphocyten zueinander.
Ein Zweifel darüber, dass die kleinen Lymphoeyten Ehrlich-
scher Nomenklatur die Abkömmlinge der grossen Formen sind,
wenigstens soweit die lymphoiden Organe und speziell die Lymph-
drüsen in Frage kommen, ist nicht möglich. Es ist bereits durch
Flemmings (23) klassische Untersuchungen festgestellt worden,
dass die grossen Zellen der Keimzentren sich teilen; die Teilungs-
produkte werden nach der Peripherie des Keimzentrums gedrängt,
wo sie als kleinere Elemente sich anhäufen. Auch abgesehen
von den eigentlichen Keimzentren lässt sich zeigen, dass überall
in Marksträngen und Lymphbahnen aus der mitotischen Teilung
der grossen Formen die kleinen entstehen. Dasselbe gilt aber
in vollem Umfange auch für die Lymphe selbst; auch hier teilen
sich die grossen Elemente. auch hier gehen aus ihnen kleine
hervor. Die so gebildeten kleinen Formen sind nun selbst wieder
mitotischer Teilung fähig (Fig. Se, f), allerdings in geringerem
Maße: man trifit solche Mitosen gelegentlich auch im Iymphoiden
Gewebe — in der Lymphe selbst konnte ich bis jetzt keine
beobachten — und auch ihr Vorkommen in den kleinen Plasma-
zellen (Fig. 20a, b) beweist die Teilungsmöglichkeit. Immerhin
tritt die selbständige Vermehrung zurück hinter der Bildung aus
grossen Formen. Nun haben aber die Untersuchungen der letzten
Jahre, besonders die Maximows, Hellys und R. Blumen-
thals den Beweis erbracht (siehe oben), dass die kleinen Formen
S60 Franz Weidenreich:
selbst wieder zu grossen werden können. Auf Grund meiner
eigenen Beobachtungen schliesse ich mich dieser Auffassung voll-
ständig an; die in Blut und Lymphe vorkommenden Zellformen
mittlerer Grösse sind in keinem anderen Sinne deutbar, wenn
man nicht umgekehrt die grossen Formen direkt zu kleinen
werden lässt. Ob dies vorkommt, ist schwer zu sagen: Beob-
achtungen. die in diesem Sinne sprechen, liegen bis jetzt nicht
vor, dagegen kann man bei entzündlichen Prozessen an den aus
den Gefässen austretenden kleinen Elementen das Heranwachsen
zu den grossen verfolgen. Jedenfalls können aber die kleinen
Elemente wieder zu grossen sich umwandeln; die in
Blut und Lymphe stets vorhandenen Mittelformen sind als
Stadien dieser Entwicklung aufzufassen, die Fähigkeit
zur mitotischen Teilung scheint in jedem Stadium gegeben
iulaskesen or
Wenn die kleinen Elemente also durch Teilung aus den
grossen hervorgehen und ‚andererseits durch Vergrösserung ihres
Plasmaleibes und Kernes wieder zu grossen heranwachsen können,
ist die Frage berechtigt, warum überhaupt die kleinen Formen
entstehen. Hier haben wir uns wieder an das schon oben
herangezogene R. Hertwigsche Gesetz (27, 25) der „Kernplasma-
relation“ zu erinnern. Durch die fortgesetzte Teilung der grossen
Zellen, der Keimzentrumszellen, entstehen kleine protoplasma-
arme Formen mit kleinen verdichteten Kernen; es spielen sich
also hier ähnliche Vorgänge ab, wie wir sie, abgesehen von der
Chromatinreduktion bei der Bildung der Spermien aus den
Spermatogonien, schon lange kennen und wie sie neuerdings
Marcus (36) für die Ableitung der kleinen Thymuselemente
aus den grossen der ursprünglichen Epithelanlage geltend gemacht
hat. Mit dem allmählichen Grösserwerden des Plasmaleibs durch
nutritive Vorgänge wächst auch der Kern wieder zur alten Grösse
heran. Die kleine Lymphocytenform ist demnach nur der
Effekt einer besonders lebhaften artproduktiven
Zelltätigkeit; teleologisch betrachtet, erleichtert zweifelsohne
das Auftreten solcher kleineren Formen die Verbreitung der
Zellelemente im Organismus, nicht nur in der Blut- und Lymph-
bahn, sondern vor allem auch im Gewebe; günstige Ernährungs-
bedingungen lassen die Zellen wieder überall zu grossen Formen
heranwachsen. Auf die von manchen Autoren geäusserten Auf-
Die ungranulierten Leucocyten. Ss6l
fassungen der kleinen Lymphocytenformen brauche ich hier wohl
nicht mehr weiter einzugehen, da sie sich durch den geführten
Nachweis der engen Zusammengehörigkeit der verschiedenen
(rössenformen erübrigen und meist auf der falschen Voraus-
setzung beruhen, dass die kleinen Elemente eine bestimmt
differenzierte und nicht weiter entwickelbare Zellart darstellen.
I. Umwandlung der Lymphocyten in granulierte
Leucoeyten.
Kehren wir zur Betrachtung des Blutes zurück, so habe
ich feststellen können, dass in der Zirkulation Übergänge zwischen
den als Lymphocyten zusammengefassten ungranulierten Elementen
einerseits und den granulierten Leucocyten andererseits nicht
mit absoluter Sicherheit nachweisbar sind. Damit soll aber
keineswegs gesagt sein, dass nicht doch enge Beziehungen
zwischen beiden Arten bestehen. Zunächst gilt die Leugnung
von Verbindungsformen nicht für die sogenannten Mastleueocyten,
wie wir sie beim Menschen — unter normalen Verhältnissen
allerdings nur sehr spärlich — finden. Dass gerade diese Zellen
als besondere eigentümliche Degenerationsformen der Lympho-
cyten aufzufassen sind, habe ich schon früher an anderer Stelle (55)
und auch in der vorhergehenden Abhandlung (86) nachgewiesen;
ich verweise auf die entsprechenden Abbildungen (85; Taf. II,
Fig. 1, 3, 4 und 86; Taf. XII, Fig. 29—30). Da diese Zellen
normalerweise eine untergeordnete Bedeutung haben, kann man
davon absehen, sie immer besonders hervorzuheben; selbst-
verständlich findet man in diesem Falle Übergangsformen in der
Zirkulation. Diese fehlen aber für die fein- und grobgranulierten
Elemente. Damit ist keineswegs gesagt, dass Umwandlungen
der Lymphocyten überhaupt nicht vorkommen. Ich habe schon
wiederholt gezeigt, dass Lymphocyten zu typischen granulierten
Leucocyten werden können und zwar zu fein- und grobgekörnten.
Das erstere lässt sich jederzeit an den Speichelkörperchen
demonstrieren (84); ich wies nach, dass aus dem typischen
Iymphoiden Gewebe der Schlundringschleimhaut, besonders der
Tonsillen, Lymphocyten in den Speichel gelangen, die nicht nur
die typischen sogenannten neutrophilen Granula der feingranulierten
Leucoceyten enthalten, sondern dass dabei auch der ursprünglieli
kompakte Kern jene Umformung in den gelappten Zustand erfährt,
Ss62 Franz Weidenreich:
der für diese Leucocyten charakteristisch ist und in der vorher-
»ehenden Abhandlung (86) von mir eingehend gewürdigt wurde.)
Andererseits habe ich gleichfalls schon früher (78) gezeigt — und
diese Beobachtungen sind inzwischen von den verschiedensten
Seiten bestätigt worden, — dass in den Blutlymphdrüsen mancher
Tiere, besonders des Schafes und der Ratte, aus typischen
Lymphocyten des Iymphoiden (Gewebes grobgranulierte (eosinophile)
Leucoeyten gebildet werden;?) in neuerer Zeit gelang es mir
'‘ Ich war inzwischen in der Lage, Tonsille und Schlundschleimhaut
eines 18jährigen Hingerichteten zu untersuchen. Auch an Schnittpräparaten
konnte ich mich davon überzeugen, dass die Speichelkörperchen, wie es
seinerzeit Stöhr nachwies, durchgewanderte Lymphocyten sind und dass
‚sie auf diesem Wege sich nicht nur mit der neutrophilen Granulierung
beladen, sondern auch in ihrem Kern die charakteristischen Umänderungen
aus der kompakten in die gelappte Form erkennen lassen. Stellenweise kann
ein direkter Einbruch solcher Zellen in die Mundhöhle festgestellt werden. —
Vor kurzem haben Kämmerer und E. Meyer (Fol. hämat., Bd. VII, H. 2,
1909) demgegenüber behauptet, dass die gewöhnlichen gelapptkernigen Speichel-
körperchen neutrophile Blutleucocyten seien und die kompaktkernige Form
ein Degenerationsprodukt der gelapptkernigen; eine Nachuntersuchung haben
die Autoren überhaupt nicht vorgenommen und damit aufs neue gezeigt,
dass manche klinische „Hämatologen* immer noch der Ansicht sind, aus
theoretischer Voreingenommenheit heraus anatomische Tatsachen ignorieren
zu dürfen, wie hier die, dass die Speichelkörperchen ja überhaupt nicht aus
dem Blute, sondern aus dem Iymphoiden Gewebe der Tonsillen ete. stammen.
Man sollte erwarten dürfen, dass jeder, der sich ein Urteil erlaubt über die
Untersuchungen eines anderen, sie wenigstens nachprüft und sich zunächst
mit der anatomischen Grundlage der Frage vertraut macht, deren Kenntnis
schon jedes Kompendium der Anatomie vermittelt.
?) Auch hiergegen erheben Kämmerer und E. Meyer (l. c.) Einspruch;
natürlich auch hier ohne sich der Mühe zu unterziehen, meine Untersuchungen
nachzuprüfen. Weil sie fanden, dass Makrophagen im Brutschrank (!) auf-
genommene Erythrocyten nicht zu eosinophilen Granulationen verarbeiteten,
schliessen sie, dass die eosinophilen Granulationen überhaupt nicht aus
aufgenommenen Hämoglobin- oder Erythrocytentrümmern bestehen könnten.
Auch hierin zeigt sich die mangelnde Orientierung der Autoren über die
strittige Frage; ich habe natürlich nie behauptet, dass jeder und unter allen
Umständen von einem Lymphocyten aufgenommene Erythrocyt zu eosino-
philen Granula zerfallen müsse, sondern schon in meiner ersten Arbeit über
diesen Gegenstand (78), die den Autoren ebenso unbekannt zu sein scheint
wie meine letzte experimentelle (87), auf den doppelten Modus der Erythrocyten-
verarbeitung aufmerksam gemacht. Die Einwände der beiden Autoren sind daher
hier ebensowenig ernst zu nehmen wie bei den Speichelkörperchen und beweisen
nur aufs neue, mit welcher Nonchalance hämatologische Fragen oft von klinischer
Seite behandelt und mühsame anatomische Untersuchungen ignoriert werden.
Die ungranulierten Leucocyten. 565
zusammen mit Schott (57) auch experimentell die Bildung
solcher Zellen auszulösen und zwar an den Iymphoiden Zellhaufen
des Netzes, den Ranvierschen Taches laiteuses.. Gerade im
letzteren Falle liess sich zeigen, dass die typischen kleinen Lympho-
cyten Ehrlichscher Nomenklatur mit ihrem charakteristischen
Kern ebensogut zu eosinophilen Leucocyten werden können, wie
die mittleren und grossen Formen; ich habe die betreffenden
Präparate auf der Berliner Anatomenversammlung (87; S. 305)
demonstriert und werde sie in der ausführlichen Darstellung
abbilden. Nach diesen Beobachtungen unterliegt es nicht
dem geringsten Zweifel mehr, dass Lymphocyten,
gleichgültig von welcher augenblicklichen Zell-
erösse, zu typischen granulierten Leucocyten werden
können. Nachdem so der positive Beweis erbracht ist, fällt
denen, die die Möglichkeit dieser Umformung noch bestreiten, die
Aufgabe zu, die behauptete Unmöglichkeit durch anatomische Unter-
suchungen nachzuweisen, anstatt sie an Stelle von Spekulationen
auf Grund pathologischer Blutbefunde und unter Ignorierung
normal-anatomischer Tatsachen erschliessen zu wollen.
II. Undifferenzierte Knochenmarkszellen und
Lymphocyten.
Nun ist es ja andererseits auch nicht zweifelhaft, dass die
fein- und grobgranulierten Leucocyten sich auch aus Knochen-
markszellen ableiten lassen, die im Knochenmark als ungranulierte
Elemente eine charakteristische Zellform darstellen und als
„Myeloblast“. „Iymphoide Markzelle“ ete. bezeichnet werden. Die
Anhänger der Lehre, dass granulierte Leucocyten und Lympho-
eyten nichts miteinander zu tun haben, behaupten dementsprechend,
dass diese undifferenzierte Knochenmarkszelle, die nur unter
pathologischen Bedingungen in die Zirkulation gelange, nichts zu
tun hätte mit der Mutterform der Lymphocyten, dem sogenannten
„grossen Lymphocyten“, und dass beide morphologisch durchaus
differente Elemente wären. Es ist nın nicht uninteressant, einmal
dieser Beweisführung nachzugehen. Türk (75), der sich ledig-
lich auf die Untersuchung der Zellformen in der Zirkulation
stützt, findet allerdings keine bemerkenswerten Unterschiede
zwischen den beiden Mutterformen, so dass man der isolierten
Zelle nicht ansehen könne, welcher Art sie angehöre: trotzdem
Archiv f. wikrosk. Anat. Bd.73. 56
64 Franz Weidenreich:
seien beide Zellformen zu trennen, denn aus der einen würden
granulierte Leucocyten, aus der anderen Lymphocyten. Damit
ist vollständig zugegeben, dass es eine einheitliche Zellform gibt
mit der Differenzierungsmöglichkeit nach zwei Richtungen; wegen
dieser Möglichkeit die undifferenzierte Form aber in zwei absolut
verschiedene Arten trennen zu wollen, wäre genau so berechtigt,
als wenn man zweierlei genetisch verschiedene Arten von Zellen
des Stratum Malpighi der Epidermis annehmen wollte, von denen
die eine zur Zelle des Stratum corneums und die andere zur
Haarrindenzelle wird. Man sieht: Überträgt man einmal solche
Vorstellungen hämatologischer Natur in das Gebiet gewöhnlicher
(rewebshistologie, so wird ihre Unhaltbarkeit ohne weiteres ein-
leuchtend. Andere Autoren haben geglaubt, einen morphologischen
Unterschied zwischen jenen Knochenmark- und Lymphzellen im
Verhalten der Kernkörperchen zu finden. Nägeli (45) behauptete
früher, dass die ersteren überhaupt keinen Nukleolus und die
letzteren nur einen besässen, jetzt (46) ist er der Änsicht, dass
jene 2—4 und diese 1—2 hätten. Der Autor sieht aber doch selbst
ein, dass die Unterscheidung schwierig ist und sagt: „Gewiss ist es
in vielen Fällen sehr schwer und bei den meisten Färbungen ganz
unmöglich, mit Sicherheit eine Zelle als Myeloblasten anzusprechen,
obwohl der Geübte gewöhnlich (!) doch nicht lange im Zweifel
bleibt. Man muss eben durch bestimmte Färbungen die Stärke
der basischen Affinität des Kernes und die Nukleolenverhältnisse (!)
feststellen“. Vorausgesetzt, dass die Angaben über die Zahl der
Nukleolen überhaupt stimmen würden, so wäre darnach eine
Unterscheidung doch nur dann möglich, wenn in einem Falle
einer und in dem anderen drei oder vier vorhanden wären: wie
aber, wenn sich in jeder Zelle nur zwei finden? Nun hat noch
Schridde (67, 68) eine Reihe von angeblichen Unterscheidungs-
ınerkmalen herangezogen, von denen ich nur die hervorhebe, die
wirklich als prinzipielle bezeichnet werden. Die Knochenmarks-
zelle, der Myeloblast, besitze ein massigeres und stärker basophiles
Plasma bei feinwabiger Struktur als die Lymphzelle, der Lympho-
blast; diese enthalte Schriddesche Granula, jene nicht. Der
Kern der Myeloblasten habe eine zarte Membran und ein zierliches
CUhromatinnetz, der der Lymphoblasten eine dicke Membran und
plumpere Chromatinfäden. Die Kernkörperchen, in deren Zahl der
Autor im Gegensatz zu Nägeli keine Unterschiede fand, sollen sich
Die ungranulierten Leucocyten. 365
nur durch ihre grössere oder geringere Färbbarkeit unterscheiden.
Dass nun die Zahl der Kernkörperchen als arttrennendes Mittel hier
überhaupt nicht in Frage kommen kann, ist selbstverständlich ;
wir wissen schon längst durch die Untersuchungen Auerbachs (3),
dass die Zahl dieser Gebilde sich physiologisch ändert und
periodischen Schwankungen unterworfen ist; speziell für die hier
in Frage kommenden Zellen hat neuerdings Butterfield (7)
gezeigt, dass es Myelocyten mit nur einem und Lymphoblasten
mit fünf Nukleolen gibt. Zudem bildet Schridde (65) Myelo-
blasten mit einem und Lymphoblasten mit sechs Kernkörperchen
ab; man sieht also, welch geringer Wert derartigen Angaben
zukommt. Auch die von diesem Autor angegebenen Merkmale
sind nicht anders zu bewerten. Dickere Kernmembranen, plumperes
Uhromatingerüst und stärkere Färbbarkeit des Plasmas sind Dinge,
die sehr wesentlich von der Fixation der Stücke und der Intensität
der Färbung der Präparate abhängen können: bei starker Färbung
kann das Plasma eben stärker gefärbt aussehen als bei schwacher
oder bei Überfixation und dasselbe gilt für das Chromatin. Wenn
man die von Schridde (68) reproduzierten Bilder unbefangen
betrachtet (Taf. XI, Fig. 1—4), wird man kaum mit Bestimmtheit
sagen können, welche Zellen „Myeloblasten“ und welche „Lympho-
blasten“ sind, obwohl doch sicher gerade die jeweils für charakte-
ristisch gehaltenen Zellen abgebildet worden sind. Was aber
die Schriddesche Plasmagranulierung angeht, die in den einen
Zellen fehlten und in den anderen vorhanden sein soll, so kann ich
auch darin kein artunterscheidendes Merkmal erblicken, da
Granula und erst recht solche, die in der frischen lebenden Zelle
gar nicht vorhanden sind, bei notorisch gleichen Zellen in dem
einen Falle vorkommen und in dem anderen fehlen können: ich
erinnere nur an die „azurophile* Körnelung der Lymphoeyten,
die in ihrem Verhalten doch ausserordentlich variiert, ohne dass
deswegen bis jetzt jemand — auch nicht solche, die jedem Plasma-
körnchen eine ganz besondere Bedeutung zusprechen — auf den
(Gedanken verfallen wäre, die Lymphocyten in die verschiedenen
Arten der „azurophil granulierten*“ und der „nicht azurophil
granulierten“ zu trennen. Aus den gleichen Gründen muss ich
auch den neuerdings von Ferrata (19—21) gemachten Versuch,
Lymphoeyten und granulierte Leucocyten als artverschieden gegen-
über zu stellen, weil in ersteren eben die genannten Granula
»6*
S66 Franz Weidenreich:
gelegentlich vorkommen und in letzteren angeblich nicht, als
verfehlt bezeichnen. Der Autor sieht in diesen Körnern den
Ausdruck von Stoffwechsel- oder Sekretionsvorgängen; selbst die
Richtigkeit dieser Auffassung zugegeben, kann sie unmöglich in
dem gewollten Sinne beweisend sein; denn jedes Lehrbuch der
Entwicklungsgeschichte enthält Beispiele genug dafür, dass in
einer noch undifferenzierten Zelle solche Vorgänge sich abspielen
können: es ist daher vollständig willkürlich, deswegen eine Zelle
als definitiv und einseitig differenziert zu erklären, namenlich
dann noch, wenn die als so charakteristisch ausgegebene Eigenschaft
nicht einmal allen Zellen der zweifellos gleichen Art zukommt.
Aus dieser Zusammenstellung und Betrachtung ergibt sich
also, dass bis heute weder an Organ-, noch an Blut- und Lymph-
präparaten irgend ein nennenswerter und wirklich fundamentaler
morphologischer Unterschied zwischen der undifferenzierten
Knochenmarkszelle und der teilungsfähigen Lymphzelle fest-
gestellt werden konnte: ja manche Autoren, die nach solchen
suchen und Theorien darauf gründen, sprechen es direkt aus,
dass selbst unter Berücksichtigung der von ihnen als beweisend
gehaltenen Kriterien oft eine Trennung und Diagnostizierung in
dem einen oder anderen Sinne unmöglich ist. Es zeigt also die
noch undifferenzierte Knochenmarkszelle den
gleichen morphologischen Charakter wie die
Lymphzelle, die Keimzentrumszelle; aus jener gehen
fein- und grobgranulierte Leucocyten im Knochenmark nachweis-
lich hervor, aber auch bei der Lymphzelle ist, wie ich zeigte,
die gleiche Umwandlung möglich. Morphologisch gleiche Elemente
mit genau der gleichen Differenzierungsmöglichkeit sind aber als
gleichwertig oder identisch oder als ein und derselbe Zelltypus
zu bezeichnen, selbst wenn sie ihrem Vorkommen nach örtlich
getrennt sind. Ich habe nun nachgewiesen, dass die inBlut und
Lymphe normalerweise vorkommenden grossen
ungranulierten Formen als teilungsfähige Lymph-
zellen oder als Keimzentrumszellen zu bezeichnen sind und
demnach müssten sie auch als weiter entwicklungsfähige
undifferenzierte Knochenmarkszellen, wenn dieser
Ausdruck dann gestattet ist, angesprochen werden.
Nun finde ich hierin merkwürdigerweise einen Bundesgenossen
in einem Autor, der sonst entschieden die Gleichwertigkeit beider
Die ungranulierten Leueocyten. 567
Elemente bestreitet. K. Ziegler (88) behauptet, dass immer
dann, wenn im Iymphoiden Gewebe, in Lymphdrüsen oder in der
Milz granulierte Leucocyten entstünden, dies darauf zurückzu-
führen sei, dass sich eben die „grosse, ungranulierte, basophile,
einkernige Zelle des Rnochenmarks, die Ersatz- und Stammzelle
des myeloiden Apparates im postembryonalen Gewebe“ normaler-
weise im zirkulierenden Blute finde und dann erst in jenen
Organen lokalisieren müsse, dass aber die eigentliche Lymphzelle
einer Umwandlung in granulierte Formen unfähig wäre: jene
Knochenmarkszelle sei aber die „grosse mononukleäre Zeile“ des
normalen Blutes. Also: die Entwicklungsfähigkeit der von mir im
normalen Blute beschriebenen grossen ungranulierten Formen zu
sranulierten Leucocyten wird im Prinzip von Ziegler nicht
bestritten, nur behauptet er, dass diese Zelle aus dem Knochen-
mark stamme. Die einfache Untersuchung der Lymphe hätte dem
Autor zeigen müssen, dass diese grossen teilungsfähigen Elemente
jedenfalls in der Hauptsache dem Blut durch die Lymphe zu-
geführt werden und dass sie weiter nachweislich aus den Iymphoiden
Organen kommen, dass sie also jedenfalls auch mit den teilungs-
fähigen undifferenzierten Lymphzellen zu identifizieren sind. Damit
wird aber die ganze Auffassung Zieglers hinfällig. Ziegler
macht nämlich die Möglichkeit der Differenzierung in granulierte
Leucocyten nicht abhängig vom morphologischen Charakter: denn
gerade die Zelle, die andere Autoren als Lymphzelle bezeichnen
und auf Grund solcher Kennzeichen von der angeblich durchaus
verschiedenen undifferenzierten Knochenmarkszelle trennen, wird
von dem Autor ohne weiteres mit dieser letzteren identifiziert.
Für Ziegler ist die Herkunft der Zelle massgebend, und diese
verlegt er ausschliesslich ins Knochenmark. Dass das sicherlich
mit den anatomischen Befunden nicht in Einklang zu bringen ist,
glaube ich in dieser Abhandlung genügend bewiesen zu haben.
Im strömenden Blut kommt also unter normalen Verhält-
nissen eine undifferenzierte, teilungsfähige Zellform vor, die man
auch im Knochenmark als solche findet, aber ebensogut wie aus
diesem Gewebe auch aus dem Ivmphoiden in das Blut gelangt.
Dieses Zellelement ist nun nach meinen Darlegungen nicht allein
jene Form der Autoren, die man als „grossen Lymphocyt“ be-
zeichnet hat, sondern alle grossen Formen der ungranulierten
Leucocyten des Blutes, also auch die sogenannten „grossen mono-
S65 Franz Weidenreich:
nukleären Leucoeyten“ und die „Übergangsformen“ sind hierzu
zu rechnen; auch die kleinen Zellen, die Lymphocyten Ehrlich-
scher Nomenklatur, sind fortbildungsfähige Elemente, indem sie
sich entweder direkt — natürlich unter gleichzeitiger Zellver-
grösserung — in granulierte Leucocyten umwandeln oder erst zu
grossen Formen heranwachsen; sie sind ja lediglich durch fort-
gesetzte Teilung aus den grossen hervorgegangen. Demnach
sind alle, ihrer Herkunft nach und ohne Rücksicht
auf die augenblickliche Zellgrösse, als Lympho-
eyten zu bezeichnenden Elemente weiter entwick-
lungsfähig und können zu granulierten Leuco-
cyten werden. Die Lymphocyten sind also den un-
differenzierten Knochenmarkszellen gleichwertig.
Einen ausgezeichneten Beweis in dieser Richtung hat nun
noch Maximow (42) auch auf experimentellem Wege geliefert.
Es war bekannt, dass bei Kaninchen nach Unterbindung der
Nierenarterien in der Niere Knochengewebe auftritt. Maximow
fand nun, dass es hierbei auch zur Bildung von Knochenmark
komme und konnte feststellen, aus welchen Elementen des zirku-
lierenden Blutes das typische Knochenmarkgewebe seine Entstehung
nimmt: Kleinere und grössere Lymphocyten wachsen zu typischen
grossen Lymphocyten heran; ein Teil von diesen fängt an, feine
Körnchen im Protoplasma auszuarbeiten und verwandelt sich so
in grosse pseudoeosinophile kompakt-kernige Leucocyten (Myelo-
cyten), die sich dann weiter auch selbständig durch Mitose ver-
mehren; aus all diesen Zellen gehen dann die gelappt-kernigen
Leucocyten hervor. Gerade beim Kaninchen konnte ich nun sehr
schön zeigen, dass die Lymphocyten in ihren verschiedenen
(rössenformen auch aus der Lymphe und den Iymphoiden Organen
stammen; das Experiment Maximows lehrt also, dass unter
besonderen örtlichen Verhältnissen, wie sie offenbar durch die
Bildung des Knochengewebes in der Niere gegeben sind, Zellen,
die ihrer Provenienz und ihrem morphologischen Charakter nach
zunächst auf die Iymphoiden Organe zurückzuführen sind, also
Lymphoecyten, sich in typische, anfänglich selbst wieder mitotischer
Teilung fähige granulierte Elemente umwandeln können.
IV. Örtliche Differenzierung.
Wie auch aus diesem Experiment hervorgeht, scheint die
Umbildung der Lymphocyten in granulierte Formen an bestimmte
Die ungranulierten Leucocyten. 569
Örtlichkeiten gebunden. Offenbar müssen eben zur Ausbildung
der (rranula bestimmte Voraussetzungen vorhanden sein. Gerade
an den eosinophilen Leucocyten konnte ich den Beweis (78, 87)
erbringen, dass zu ihrer Entstehung aus Lymphocyten ein eigen-
tümlich granulärer Zerfall der Erythrocyten Voraussetzung ist.
Im Knochenmark, in der Milz — besonders des Pferdes — in
den Lymphdrüsen und speziell in den Blutlymphdrüsen sind
normalerweise mehr oder weniger diese Bedingungen vorhanden;
schafft man auf dem Wege des Experimentes die gleichen Be-
dingungen auch an anderen Örtlichkeiten, z. B. im Netz, so wandeln
sich auch dort die Lymphocyten in eosinophile Leucocyten um.
Für die feingranulierten Leucocvten gilt dasselbe; wenn auch
die, Bedingungen, unter denen sie entstehen, noch unbekannt
sind. In besonders hohem Maße sind sie jedenfalls im Knochen-
mark gegeben, weniger anscheinend in den Lymphdrüsen. Aus
der Tatsache, dass nur ausserordentlich spärliche granulierte
Elemente dem Blute durch die Lymphe zugeführt werden, darf
natürlich nicht etwa geschlossen werden, dass in den Iymphoiden
Organen überhaupt keine entstehen. Alles was z. B. in der Milz
gebildet wird, gelangt direkt ins Blut, da, wie ich früher (77)
zeigen konnte, dieses Organ keine als Ausführwege von Zellen
in Betracht kommende Lymphgefässe besitzt'). Ferner ist zu
berücksichtigen, dass oft ein sehr grosser Teil der in den
Ivmphoiden Organen gebildeten granulierten Leucocyten in diesen
selbst wieder zerstört wird, wie ich dies für die eosinophilen
Leucoceyten in den Blutlymphdrüsen nachgewiesen habe (78).
Hauptsächlich aber bleibt zu bedenken, dass ja nichts die in
solchen Organen gebildeten granulierten Leucocyten hindert,
direkt durch die Gefässwand hindurch in die Blutcapillaren der
Organe einzuwandern und so direkt in das Blut zu gelangen: auf
die Tatsache der direkten Auswanderung in das umgebende Ge-
webe habe ich schon früher aufmerksam gemacht. Mit der
Annahme, dass zur Umwandlung der Lymphocyten in granulierte
') Die Annahme Ehrlichs, dass die Milz überhaupt keine farb-
losen Blutelemente in die Zirkulation bringe, wird durch den schon von
den alten Anatomen gebrachten Nachweis widerlegt, dass das Milzvenen-
blut ca. ?Omal soviel Leucocyten enthält als das Milzarterienblut, eine Tat-
sache, die auch ich (77) konstatieren konnte und wieder neuerdings von
Löwit (34) bestätigt worden ist.
s70 Franz Weidenreich:
Leucoceyten bestimmte Voraussetzungen nötig sind, die nicht
überall und jederzeit gegeben zu sein brauchen, werden auch die
experimentellen Ergebnisse R. Blumenthals (6) verständlich.
Der Autor spritzte Tieren Dottermaterial in die Bauchhöhle und
beobachtete nun in allen Iymphoiden Organen eine Zunahme der
Lymphoeyten, ohne entsprechende Vermehrung der granulierten
Leucocyten im Blute und daraus schliesst er, dass beide nichts
miteinander zu tun haben, weil bei einer Umformung auch die
sranulierten Leucocyten vermehrt sein müssten. Es ist klar,
dass diese Schlussfolgerung trügerisch ist; indem Blumenthal
experimentell Nährmaterial dem Körper zuführte, erhöhte er die
allgemeine Produktionsfähigkeit der Keimzentrumszellen, erhielt
also eine Vermehrung der Lymphocyten. Aber die besonderen
Bedingungen, die zu einer vermehrten Umwandlung der Lympho-
eyten in die granulierten Leucocyten nötig sind, wurden durch
das Experiment nicht geschaffen und deswegen trat eben keine
Vermehrung der granulierten Elemente ein.
Wie ich schon oben hervorgehoben habe, lassen sich keine
strikten Beweise dafür erbringen, dass die Umwandlung der
Iymphocytären Elemente in granulierte unter normalen Verhält-
nissen in der Zirkulation stattfindet. Eine derartige Annahme
ist nicht nur von den älteren Untersuchern wie M. Schultze (71)
gemacht worden, auch Ehrlich (15) selbst hat eine solche Ent-
wicklung für möglich gehalten. Nach ihm sollten die sogenannten
„grossen mononukleären Leucoeyten“ neutrophile Granula aus-
arbeiten und so zu „Übergangsformen“ werden, die ihrerseits
wieder zu den typischen gelappt-kernigen granulierten Leuco-
eyten überleiteten. Diese angebliche Beobachtung war für ihn
ja überhaupt der Grund, jene Zellformen von den eigentlichen
und seiner Ansicht nach in der gleichen Richtung entwicklungs-
unfähigen kleinen Lymphocyten zu trennen. Grawitz (25)
stimmt in diesem Punkte mit Ehrlich überein, während
Pappenheim (47) das Vorkommen von Zellformen, die als
Übergänge zu deuten wären, entschieden leugnet. Ich muss mich
in dieser Frage dem letztgenannten Autor anschliessen; die
sranulierten Leucocyten — von den Mastleucocyten ist natür-
lich aus den: oben erörterten Gründen über deren Natur
hierbei ganz abzusehen — weisen ein durch ihre Kernform
besonders charakterisiertes Stadium auf, das als Ausgangs-
Die ungranulierten Leucocyten. Ss7l
punkt der Entwicklungsreihe zu gelten hat; speziell bei den
feingranulierten oder neutrophilen Leucocyten ist diese Form
sut von anderen unterscheidbar und von mir in der
vorhergehenden Abhandlung genau beschrieben und abgebildet
worden (86; Taf. VIII, Fig. 1—3). Es ist selbstverständlich,
dass für den Fall des Vorkommens von Übergängen zwischen
Lymphoeyten und granulierten Leucoeyten als Übergangsformen
nur solche Zellelemente gedeutet werden dürfen, die zwischen
die kleinen oder die grossen Formen der Lymphocyten (Fig. 1. 3)
einerseits und jene kompakt-kernige undeutlich zum Teil basophil,
zum Teil neutrophil granulierte Form andererseits in ihren
morphologischen Charakteren einzureihen wären. Solche Zellen
finden sich anerkanntermassen unter pathologischen Bedingungen
in der Zirkulation, nur dass sie dann von manchen Autoren als
ausschliessliches Knochenmarkselement gedeutet werden, eine
Annahme, die ich schon oben als irrtümlich nachgewiesen habe.
Jedenfalls habe ich aber im normalen Blute bis jetzt keine
Zellen auffinden können, die man in gleicher Weise als Übergangs-
elemente auffassen könnte — es ist denkbar, dass sie ausser-
ordentlich selten sind; — die Zellen jedoch, die bisher von
manchen Autoren so gedeutet wurden und deren Zahl darnach
eine verhältnismässig beträchtliche sein müsste (ca. 2°/o). sind
sicher nicht als wirkliche Übergangszellen zu bezeichnen. Ich
betone dabei nochmals, dass ich eine Umwandlung selbst nicht
nur für möglich, sondern für absolut erwiesen halte, nur vollzieht
sie sich normalerweise überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in
evidentem Maße in der Zirkulation.
V-Ontogenetische Betrachtungen.
Weiteren Aufschluss über die Beziehungen der ungranulierten
Leucoeytenformen zu den granulierten liefert das Ergebnis der
Entwicklungsgeschichte. Schon’Saxer (62) hat nachgewiesen.
dass die zuerst mit Bestimmtheit als weisse Blutkörperchen
unterscheidbaren Elemente im Gewebe kompakt-kernige, un-
granulierte Formen sind, die zum Teil, aber erst in späteren
Entwicklungsstadien, sich in granulierte Formen umwandeln.
Jolly und Acuna (31) haben dann gezeigt, dass in frühen
Stadien in der Zirkulation nur kompakt-kernige Elemente vor-
kommen und zwar kleinere Zellen mit Lymphocytencharakter
372 Franz Weidenreich:
Ehrlichscher Nomenklatur und grosse ungranulierte, den
Knochenmarkszellen ähnliche Formen; gelappt-kernige granulierte
Elemente treten in der Zirkulation erst später auf. Nun wurde bisher
auf Grund der Angaben der meisten Autoren angenommen, dass
in der allerersten Entwicklung der Blutelemente in der Zirkulation
oder besser intravaskulär nur hämoglobinhaltige Zellen und
dementsprechend keine farblosen, also Leucocyten, vorkämen.
Maximow (43, 44) hat nun neuerdings den Nachweis geliefert,
dass es sich hierbei um einen Irrtum handelt; alle Zellen
der Blutinseln sind anfänglich basophil und hämoglobinlos, aber
nur ein Teil arbeitet in seinem Plasmaleib Blutfarbstoff aus und
wird so zu den ersten Erythrocyten, während ein kleinerer Teil
seinen Zellhabitus im ganzen behält und nun in seinem morpho-
logischen Charakter den Zellen völlig entspricht, die man späterhin
als „grosse Lymphocyten“ bezeichnet hat, so dass also von der
ersten Differenzierung der Blutelemente an auch in der Zirkulation
ungranulierte Leucocyten vorkommen. Erst in sehr viel späteren
Entwicklungsstadien treten die granulierten gelapptkernigen Leuco-
cyten auf. Die gleichen Befunde, die Maximow an Säuge-
tieren machte, konnte Dantschakoff (11) beim Hühnchen
erheben. Fast gleichzeitig mit diesen wichtigen Arbeiten erschienen
Abhandlungen Schriddes (69, 70), der die Anwesenheit farb-
loser Elemente in den frühen Entwicklungsstadien und besonders
in der Zirkulation leugnet und das erste Auftreten dieser Elemente
in das extravaskuläre Gewebe der Leber verlegt. Nach
Schridde (69) sollen sich aus dem undifferenzierten Gewebe
der „Gefässwandzellen“ Erythroblasten, Myeloblasten und
tiesenzellen entwickeln; dagegen seien Lymphocyten in diesem
Stadium noch nirgends zu finden; daraus ergebe sich die
„absolute Verschiedenheit des myeloischen und lymphatischen
Parenchyms.“ Abgesehen davon, dass nach den positiven Befunden
Maximows und Dantschakoff — ich konnte mich an den
betreffenden ganz ausgezeichneten, auf der Berliner Anatomen-
versammlung demonstrierten Präparaten selbst davon überzeugen,
dass das Vorkommen von Leucocyten in der Form ungranulierter
basophiler Elemente von Iymphocytärem Charakter schon in den
allerfrühesten Entwicklungsstadien und zwar auch in der Zirku-
lation als absolut sicher erwiesen zu gelten hat — die tatsäch-
lichen Angaben Schriddes nicht richtig sind, muss ich es als
Die ungranulierten Leucocyten. 873
eine durchaus ungerechtfertigte Annahme bezeichnen, wenn
Schridde jene indifferenten Zellen der Leberanlage „Myelo-
blasten“ nennt und damit den Anschein erweckt, dass es sich
hier um Elemente handelt, die den Lymphocyten gegenüber zu
stellen sind. Da nach Schriddes Angaben in diesen Stadien
von Knochenmark natürlich noch keine Rede sein kann, da auch
bei dem zugestandenen Fehlen jeder granulierten Elemente etwa
aus der Umwandlung der indifferenten Form in granulierte der
angebliche Knochenmarkscharakter nicht abzuleiten ist und da
der Autor auch keinerlei morphologische Besonderheiten für jene
behauptete Deutung geltend macht, so kann ich in dem Vorgehen
Schriddes nur den Versuch sehen, durch eine vorausgenommene
bestimmte Namengebung sich den Beweis zu ersparen, dass diese
Benennung überhaupt berechtigt ist. Denn auch wegen des topo-
graphisch gemeinsamen Vorkommens der fraglichen ungranulierten
farblosen Zellen mit den Erythroblasten kann jenes Lebergewebe
nicht dem späteren Knochenmarksgewebe gleichgesetzt werden,
und zwar deswegen, weil diese Zusammengehörigkeit für die
embryonalen Verhältnisse überhaupt charakteristisch ist und sich
dementsprechend auch im späteren rein Iymphoiden Gewebe findet.
So hat doch schon Saxer (62) gezeigt, dass in den embryonalen
Lymphdrüsen auch Erythroblasten vorkommen, die sich dort ver-
mehren, wir kennen ferner durch Saxer die Tatsache, dass sich
gleichartige Herde auch zerstreut im Bindegewebe finden, worauf
in neuerer Zeit wieder Pardi (52) aufmerksam gemacht hat.
Diese Angaben haben durch Maximow (43) eine erneute
Bestätigung erfahren, sodass auch in diesem Punkte die
Schriddesche Annahme durch die tatsächlichen Verhältnisse
nicht gestützt wird. Was endlich die Charakterisierung jener
Zellen des embryonalen Lebergewebes als „Gefässwandzellen“
angeht, so habe ich selbst (81) schon vor Schridde in Anlehnung
an Howell (29) diesen Vergleich mit den Blutinselzellen gezogen
und auch auf das Knochenmark übertragen; ich wollte damit zum
Ausdruck bringen, dass hier undifferenzierte Zellelemente sich
finden, die den ebenfalls noch undifferenzierten Wandzellen der
Blutinseln gleichwertig sind, insofern aus ihnen rote und weisse
Blutkörperchen hervorgehen. Diese weissen Blutkörperchen sind
aber keineswegs — und darauf kommt es an -- als ausschliesslich
granulierte Elemente oder als deren gleichfalls schon einseitig
874 Franz Weidenreich:
differenzierte Mutterzellen zu betrachten. Dagegen sprechen einmal
die Befunde Maximows und der anderen obengenannten Autoren
über das Verhalten des blutbildenden Gewebes überhaupt, dann
aber auch die Tatsache, dass gerade in den Lymphdrüsen, wie ich
oben eingehend auseinandersetzte, die eigentlichen Mutterzellen
der Lymphocyten, die Keimzentrumszellen, schon längst als Ge-
fässwandzellen oder „Endothelien“* der Lymphräume und -bahnen
gedeutet worden sind. Besonders deutlich tritt dieses Verhalten
auch in den Blutlymphdrüsen hervor; ich habe gezeigt, dass in
den Blutlymphdrüsen des Schafes primitive Blutstrassen innerhalb
des eigentlichen Ivmphoiden Gewebes vorkommen ohne ausge-
sprochene Wandbegrenzung gegenüber dem umgebenden Ivmphoiden
Gewebe, das sich in Retikulum- oder Endothelzellen und freie
Lymphocyten sondert: in den gleichen Organen der Ratte nehmen
diese Bildungen einen deutlicheren Gefässcharakter an, insofern
die Endothelien hier einen kontinuierlichen, mehrschichtigen Belag
bilden. Wie aus der Fig. 25 hervorgeht, bestehen diese (sefäss-
wandzellen aus grossen protoplasmareichen Elementen (e), die in
ihrem morphologischen Habitus, besonders auch in ihrem Kern,
durchaus an die in Fig. 23 wiedergegebenen Zellen der Lymph-
bahnen oder an die Keimzentrumszellen der Sekundärfollikel
(Fig. 26) erinnern. Andererseits unterscheiden sie sich nicht
von den frei in den betreffenden Gefässabschnitten liegenden
grossen Formen der Lymphoeyten (Fig. 251). Also (Grefässwand-
zellen in dem von mir ursprünglich gebrauchten und nun von
Schridde akzeptierten Sinne sind auch die grossen Formen der
Lymphocyten; denn die Blutlymphdrüsen, besonders die der Ratte,
sind nach der Art der dort gebildeten Zellelemente und bei dem
Fehlen jeglichen Erythrocyten-bildenden Gewebes zweifelsohne
typische Iymphoide Organe, sie enthalten demnach sicher
„Iymphatisches“ und kein „myeloblastisches Parenchym“. Die
einseitige morphologische Bewertung der Knochenmarkszelle als
„Gefässwandzelle“ und damit auch ihre Sonderstellung den
Lymphzellen gegenüber entbehrt demnach jeder Berechtigung.
Die Entwicklungsgeschichte lehrt also nach den Unter-
suchungen Saxers, Maximows und Dantschakoffs bei gleich-
zeitiger völliger Widerlegung der Schriddeschen Angaben, dass
sowohl in der Zirkulation wie im Gewebe von der
ersten Entwicklung der Blutelemente an farblose
Die ungranulierten Leucoeyten. 375
Zellen mit den Charakteren vorkommen, die im
späterenLebendieLymphocyten aufweisen; granu-
lierte Leucocyten treten anerkanntermassen erst viel später auf.
Es ist durch nichts gerechtfertigt, diese primitive Form aus-
schliesslich mit der späteren Knochenmarkszelle zu identi-
fizieren und ihr damit von vorherein den Charakter eines schon
einseitig differenzierten Gewebselementes beizulegen. Vielmehr
ergibt sich die Notwendigkeit in dieser primitiven Zellform
ein Element zu sehen, das sich im embryonalen Leben
allenthalben im (rewebe, hauptsächlich aber in besonderen Organen
nach der Richtung der granulierten Leucocyten ent-
wickeln kann. Diese Entwicklungsmöglichkeit be-
hält die Zelle auch noch im späteren Leben, wenn
auch eine gewisse Beschränkung je nach der Örtlichkeit an-
genommen werden mag.
Wir haben also in denLymphocyten auch die Vor-
stufendergranulierten Leucocyten zu sehen, sodass
alle farblosen Elemente einen einheitlichen Ur-
sprung haben; diese Theorie über die Ableitung der farblosen
Blutkörperchen, die ich (80) als die „monophyletische“ be-
zeichnet habe, steht allein mit den morphologischen
Tatsachen, die das Ergebnis der Untersuchungen des normalen
Organismus sind, in völligem Einklang, während die
„polyphyletische“ Theorie, die die weissen Blutkörperchen in eine
Reihe spezial difterenzierter und morphologisch und genetisch
streng voneinander isolierter und unabhängiger Zellarten aus-
einanderreisst, ebensosehr allen anatomischen Tatsachen wider-
streitet. Trotz des Widerspruches, der sich einstweilen noch —
namentlich in klinischen Kreisen — dagegen geltend macht, wird
daher die monophyletische Theorie schliesslich als die richtige
anerkannt werden müssen; dann nämlich, wenn man einmal sich
bereit finden wird, vorurteilslos zu prüfen und zu versuchen, die
klinischen Beobachtungen an der Hand der Ergebnisse der
normalen Histologie zu verstehen, anstatt umgekehrt aus
Befunden eines Tröpfehens pathologisch veränderten Blutes unter
gleichzeitiger Ignorierung widersprechender normal-anatomischer
Tatsachen das normale Geschehen im Gesamtorganismus erraten
zu wollen.
Franz Weidenreich:
Literaturverzeichnis.
Arnold, J.: Zur Morphologie und Biologie der Zellen des Knochenmarks.
Virchows Archiv, Bd. 140, 1895.
Askanazy. M.: Über amöboide Beweglichkeit der Lymphocyten.
Zentralbl. f. allgem. Pathol. u. pathol. Anat., Bd. 16, 1905.
3. Auerbach, L.: Organologische Studien. 1874.
SL
18.
19.
Baumgarten, P.: Experimentelle und pathologisch-anatomische Unter-
suchungen über Tuberkulose. Zeitschr. f. klin. Mediz., Bd. 9, 1885.
Benda, ©.: Über den Bau der blutbildenden Organe und die Regene-
ration der Blutelemente beim Menschen. Verh. d. Physiol. Gesell. z. Berlin,
Jahrg. 1895 —%.
. Blumenthal, R.: Recherches experimentales sur la genese des cellules
sanguines et des modifications fonetionnelles des organes h&matopoietiques.
Trav. d. Labor. d. Physiol. Instituts Solvay, Bd. 6, 1904.
Butterfield, E.E.: Über die ungranulierten Vorstufen der Myelocyten
und ihre Bildung in Milz, Leber und Lymphdrüsen. Deutsch. Arch. f.
klin. Mediz.. Bd. 92, 1908
Cajal, R. S.: Quelques antecedents historiques ignores sur les Plasma-
zellen. Anat. Anz., Bd. 29, 1906.
Cesaris-Demel, A.: Sulla particolare struttura di alcuni grossi leuco-
citi mononucleati della cavia colorati a fresco. Arch. p. 1. Scienze Mediche,
Bd. 29, 1905.
Ciaceio, ©.: Ricerche sui mononucleati a corpo incluso della cavia.
Anat. Anz., Bd. 30, 1907.
. Dantschakoff, W.: Über das erste Auftreten der Blutelemente im
Hühnerembryo. Fol. hämatol., Bd. IV, Suppl.-Bd., 1907.
Dieselbe: Über die Blutbildung im Dottersack des Hühnchens. Verh. d.
Anatom. Gesell., 22. Vers., Berlin 1908.
Ebner, V.v.: A. Köllikers Handbuch der Gewebelehre des Menschen,
6. Aufl., Bd. 3, 1902.
Ehrlich, P.: Farbenanalytische Untersuchungen zur Histologie und
Klinik des Blutes, I. Teil, 1891.
5. Derselbe und Lazarus, A.: Die Anämie. Nothnagels Spez. Pathol.
u. Ther., Bd. 8, 1898.
. Einhorn, M.: Über das Verhalten der Lymphocyten zu den weissen
Blutkörperchen. Inaug.-Dissert., Berlin 1884.
. Fabian, E.: Zur Frage der Entstehung Russelscher Körperchen in
Plasmazellen (Unnas hyaline Degeneration der Plasmazellen). Zentralbl.
f. allg. Pathol. u. pathol. Anat., Bd. 18, 1907.
Ferrata, A.: Sui globuli bianchi mononucleati. Arch. p. 1. Scienze
Mediche, Bd. 30, 1906.
Derselbe: Über die plasmosomischen Körper und über eine metachro-
matische Färbung der uninukleären Leucocyten im Blut und in den
blutbildenden Organen. Virchows Archiv, Bd. 187, 1907.
3.
32.
4.
Die ungranulierten Leucoeyten. 877
Derselbe: Über die Klassifizierung der Leucocyten des Blutes. Fol.
hämatol., Bd. V, 1908.
Derselbe: Können die polynukleären Leucocyten auch von den uni-
nukleären des Blutes abstammen ? Fol. hämatol., Bd. VI, 1908.
Flemming, W.: Zellsubstanz, Kern und Zellteilung. Leipzig 1882.
Derselbe: Studien über Regeneration der Gewebe. I. Die Zellvermehrung
in den Lymphdrüsen und verwandten Organen und ihr Einfluss auf deren
Bau. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 24, 18°5.
Derselbe: Über Teilung und Kernformen bei Leucocyten und über deren
Attraktionssphären. Ebenda, Bd. 37, 1891.
Grawitz, E.: Klinische Pathologie des Blutes, 3. Aufl., 1906.
Helly, K.: Zur Morphologie der Exsudatzellen und zur Spezifität der
weissen Blutkörperchen. Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., Bd. 37,
JS, JR
. Hertwig, R.: Über Korrelation von Zell- und Kerngrösse und ihre -
Bedeutung für die geschlechtliche Differenzierung und die Teilung der
Zelle. Biolog. Zentralbl., Bd. 23, 1903.
. Derselbe: Über das Wechselverhältnis von Kern und Protoplasma.
Sitzungsber. d. Gesell. f. Morphol. in München, Bd. 18, 1902.
Howell, W. H.: The life-history of the formed elements of the blood,
especially the red blood corpuscles. Journ. of Morphol., Bd. 4, 1891.
Jolly, J.: Recherches sur la valeur morphologique et la signification
des differents types de globules blancs. Arch. d., Med. exper. et d’Anat.
pathol.. Bd. 10, 1898.
Derselbe un! Acuna, M.: Les leucocytes du sang chez les embryons
des mammiferes. Arch. d’Anat. mierosc., Bd. 7, 1905.
Jones Wharton, T.: The blood-corpuscle considered in its different
phases of development in the animal series. Memoir I. -— Vertebrata.
Philosoph. Transact. of the R. Soc. London, Part II, 1846.
Kölliker, A.: Handbuch der Gewebelehre des Menschen, 5. Aufl., 1367.
Löwit, M.: Die Entstehung der polynukleären Leucocyten. Fol. hämatol.,
Bd. 4, 1907.
Marchand, F.: Der Prozess der Wundheilung mit Einschluss der Trans-
plantation. Deutsche Chirurgie, Lief. 16, 1901.
Marcus, H.: Beiträge zur Kenntnis der Gymnophionen. I. Über das
Schlundspaltengebiet. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 71, 1908.
Marschalkö, Th. v.: Zur Plasmazellenfrage. Zentralbl. f. allg. Pathol.
u. pathol. Anat., Bd. 10, 1899.
Michaelis, L. und Wolff, A.: Über Granula in Lymphocyten.
Virchows Archiv, Bd. 167, 1902.
. Maximow, A.: Experimentelle Untersuchungen über die entzündliche
Neubildung von Bindegewebe. Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol.,
5. Suppl.-Bd., 1902.
Derselbe: Beiträge zur Histologie der eitrigen Entzündung. Ebenda,
Bd. 38, 1905.
60.
Franz Weidenreich:
Derselbe: Über die Zellformen des lockeren Bindegewebes. Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 67, 1906.
. Derselbe: Experimentelle Untersuchungen zur postfetalen Histogenese
des myeloiden Gewebes. Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., Bd. 41,
1907.
Derselbe: Über die Entwicklung der Blut- und Bindegewebszellen beim
Säugetierembryo. Fol. hämatol., Bd. 4, 1907.
. Derselbe: Über embryonale Entwicklung der Blut- und Bindegewebszellen
bei den Säugetieren. Verh. d. Anat. Gesell., 22. Vers., Berlin 1908.
Nägeli, O.: Über rotes Knochenmark und Myeloblasten. Deutsche
Mediz. Wochenschr., Nr. 18, 1900.
Derselbe: Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. I. Hälfte. 1907.
. Pappenheim, A.: Von den gegenseitigen Beziehungen der farblosen
Blutzellen zueinander. I. u. Il. Teil. Virchows Archiv, Bd. 159 u. 160,
1900.
Derselbe: Atlas der menschlichen Blutzellen. I. Lief., Jena 1905.
. Derselbe: Unsere derzeitigen Anschauungen über Natur, Herkunft und
Abstammung der Plasmazellen und über die Entwicklung der Plasma-
zellfrage. Fol. hämatol., Bd. 4, Suppl.-Bd., 1907.
. Derselbe: Bemerkungen zu vorstehendem Artikel von Ferrata. Ebenda.
Bd. 6, 1908.
Derselbe: Zur Kenntnis und Würdigung der Methylgrün-Pyronin-Reaktion.
Ebenda, Bd. 6, 1908.
Pardi, F.: Eritrociti nucleati (eritroblasti) ed anucleati, leucoblasti e
cellule giganti (megacariociti) nel grande omento del coniglio. Arch.
ital. di Anat. e di Embriol., Bd. 4, 1905.
Patella, V.: I leucociti non granulosi del sangue, loro genesi e signi-
ficato. Siena 1906. (Zit.n.d. Ref. Ferratas (18) u. Pardis in Ergebn.
d. Anat. u. Entw., Bd. XVI, 1906, S. 854, 19.7.)
Ranvier, L.: Trait€e technique d’histologie. 1875.
. Renaut, J.: Les cellules connectives rhagiocrines. Arch. d’Anat. mier.,
Bd. 3; 19072
. Ribbert, H.: Über Regeneration und Entzündung der Lymphdrüsen.
Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., Bd. 6, 1889.
Rieder, H.: Atlas der klinischen Mikroskopie des Blutes, 1893.
Rose, C.: Das Verhalten des grossen Netzes nach intraperitonealen
Injektionen körniger Stoffe. Inaug.-Dissert., Strassburg 1907.
Rosin, H. und Bibergeil, E.: Über vitale Blutfärbung und deren
Ergebnisse bei Erythrocyten und Blutplättchen. Zeitschr. f. klin. Mediz.,
Bd. 54, 1904.
Dieselben: Das Verhalten der Leucocyten bei der vitalen Blutfärbung.
Virchows Arch., Bd. 178, 1904.
Rowley, M. W.: A fatal anaemia with enormous numbers of eirculating
phagocytes. Journ. of experim. Medie., Bd. 10, 1908.
2. Saxer, Fr.: Über die Entwicklung und den Bau der normalen Lymph-
drüsen und die Entstehung der roten und weissen Blutkörperchen. Anat.
Hefte, Bd. 6, 1896.
. . Herd
Die ungranulierten Leucoeyten. 579
Schleip, K.: Atlas der Blutkrankheiten ete., Berlin 1907.
Schridde, H.: Beiträge zur Lehre von den Zellkörnelungen. Die
Körnelungen der Plasmazellen. Anatom. Hefte, Bd. 28, 1905.
Derselbe: Die Körnelungen der Lymphocyten des Blutes. Münch. Mediz.
Wochenschr., Nr. 26, 1905.
Derselbe: Über die Wanderungsfähiekeit der Plasmazellen. Verh. d.
Deutsch. patholog. Gesell., 16. Tagg., Stuttgart 1906.
Derselbe: Über Myeloblasten und Lymphoblasten. Verh. d. Kongr. f. inn.
Mediz., XXIII. Kongr., München 1906.
Derselbe: Myeloblasten, Lymphoblasten und Iymphoblastische Plasma-
zellen. Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., Bd. 41, 1907.
Derselbe: Die Entstehung der ersten embryonalen Blutzellen des Menschen.
Deutsche mediz. Wochenschr., Nr. 3, Sitzungsber. d. Naturforsch. Gesell.
Freiburg, 1908. a
Derselbe: Die Entstehung der ersten embryonalen Blutzellen des Menschen.
Verh. d. Deutsch. pathol. Gesell., 11. Tagg., Dresden 1907.
Schultze, M.: Ein heizbarer Objekttisch und seine Verwendung bei
Untersuchungen des Blutes. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 1, 1865.
Spronck, Ü©. H. H.: Over Regeneratie en Hyperplasie van Leucocyten
in het circuleerend Bloed. Weekbl. v. h. Nederl. Tijdschr. v. Geneesk.
eD., Nr. 20, 138%
Stöhr, Ph.: Lehrbuch der Histologie ete., 12. Aufl., 1906.
Toldt, K.: Lehrbuch der Gewebelehre etc., 2. Aufl.. 1884.
Türk, W.: Vorlesungen über klinische Hämatologie. I. Teil. Wien 1904.
Virchow, R: Die Cellularpathologie ete. Vorlesungen über Pathologie,
Bd. I, 4. Aufl., 1871.
Weidenreich, Fr.: Das Gefässsystem der menschlichen Milz. Arch.
f. mikr. Anat., Bd. 58, 1901.
Derselbe: Über Blutlymphdrüsen ete. Anat. Anz., Bd. 20, 1901.
Derselbe: Bau und morphologische Stellung der Blutlymphdrüsen. II. Fort-
setzung der „Studien über das Blut ete.“. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 65, 1904.
Derselbe: Über die Entstehung der weissen Blutkörperchen im postfetalen
Leben. Verh. d. Anat. Gesell., 19. Vers., Genf 1905.
Derselbe: Die roten Blutkörperchen II. Ergebn. d. Anat. u. Entwickl.,
Bd. XIV: 1904, 1902.
Derselbe: Eine neue einfache Methode zur Darstellung von Blut-Trocken-
präparaten. Fol. hämatol., Bd. 3, 1906.
Derselbe: Über die zelligen Elemente der Lymphe und der serösen Höhlen.
Verh. d. Anat. Gesell.. 21. Vers., Würzburg 1907.
Derselbe: Über Speichelkörperchen. Ein Übergang von Lymphocyten in
neutrophile Leucocyten. Fol. hämatol., Bd. 5, 1908
Derselbe: Zur Kenntnis der Zellen mit basophilen Granulationen im Blut
und Bindegewebe. Ebenda.
Derselbe: Beiträge zur Kenntnis der granulierten Leucocyten. V. Fort-
setzung der „Studien über das Blut ete.“. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 72,
1908.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73.
1
bi
s80 Franz Weidenreich:
87. Derselbe: Morphologische und experimentelle Untersuchungen über Ent-
stehung und Bedeutung der eosinophilen Leucocyten. Verh. d. Anat.
Gesell., 22. Vers., Berlin 1908.
88. Ziegler, K.: Über die Beziehung zwischen myeloider Umwandlung und
myeloider Leukämie und die Bedeutung der grossen mononukleären, un-
granulierten Zelle. Fol. hämatol., Bd. 6, 1908.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXI—XXXII.
Wo nicht ausdrücklich eine andere Darstellungsmethode angegeben ist,
sind die Zellen mit der von mir in der vorhergehenden (86) Mitteilung näher
beschriebenen Agarmethode dargestellt worden, und mit der Giemsaschen
Lösung für Romanowsky-Färbung gefärbt. Soweit kein anderer Vermerk
sich findet, sind die Figuren mit Zeiss’ Apochromat 2 mm auf Objekttischhöhe
gezeichnet. Die Okularvergrösserung ist bei jeder Figur besonders notiert.
Tafel XXX1.
Fig. 1. Lymphocyten (kleine) aus dem normalen Blute des erwachsenen
Menschen. Ok.6. b,c,e,f,i sind mit Osmiumdampf fixiert. In c
und f sogenannte azurophile Granula.
Fig. 2. Lymphocyten (kleine) aus dem normalen Blute des erwachsenen
Menschen. In amöboider Bewegung fixiert. Ok. 6.
Fig. 3. Sogenannte „grosse mononukleäre Leucocyten“ (Ehrlich) und
„Übergangsformen“. a—c und f—h sind mit Osmiumdampf-Fixation
dargestellt. Ok. 6. Aus dem normalen Blut des erwachsenen
Menschen. d und e (Agarmethode) in amöboider Bewegung fixiert.
In c „azurophile“ Granula.
Fig. 4. Lymphocyt (a) und „grosser mononukleärer Leucocyt“ (b) aus dem
Blute des erwachsenen normalen Menschen. Nach der Methode von
Rosin und Bibergeil vital mit Neutralrot gefärbt. Ok. 8.
Fig. 5. Lymphocyten (a, ec) und „grosse mononukleäre Leucocyten“ wie
Fig. 4. Vital mit Methylviolett gefärbt. Ok. 8.
Fig. 6. Lymphocyten und „grosse mononukleäre Leucocyten“ aus dem Blute
des normalen erwachsenen Meerschweinchen. a,b, c mit Osmium-
dampf-Fixation; d, e, f mit der Agarmethode dargestellt. Ok. 6.
In allen „plasmosomische Körper“ (Kurloff und Cesaris-Demel),
Fig. 7. Lymphkörperchen (kleine Lymphocyten) aus dem Ductus thoracicus
des normalen ausgewachsenen Kaninchens. Sämtlich in amöboider
Bewegung fixiert. Ok. 6.
Fig. 8. Ungranulierte freie Zellen (Lymphocyten, Makrophagen, Endo-
thelien) aus dem aseptisch durch lang fortgesetzte Einspritzung
artfremder Erythrocyten (Ratte) erzeugten Peritonealexsudat des
ausgewachsenen Meerschweinchens. Mitosen. Alle bei gleicher
Vergrösserung (Ok. 8) aufgenommen.
Fig.
Fig.
Sh
ig. 10.
Bulle
u:
1019 g
Bd,
zul:
16—
19.
.. 20.
ig. 21.
. 22.
. 23.
. 24.
Zr
Die ungranulierten Leucocyten. ss1
Lymphkörperchen (kleine Lymphocyten und ihre Entwicklungs-
stadien zu grösseren Formen), der allmählich zunehmenden Grösse
nach geordnet, aus dem Ductus thoracicus des normalen ausge-
wachsenen Kaninchens. Alle bei gleicher Vergrösserung mit Ok. 6
aufgenommen.
Lymphkörperchen, sogenannte grosse Lymphocyten, aus dem Ductus
thoracicus des normalen ausgewachsenen Kaninchens. Ok. 6.
Lymphkörperchen in Mitose aus dem Ductus thoracicus des normalen
ausgewachsenen Kaninchens. Ok. 6. a — Monaster, b — Diaster,
c — beginnendes Knäuelstadium.
Lymphkörperchen mit „Kernpolymorphose“ ebendaher. Ok. 6. b in
amöboider Bewegung fixiert,
Lymphkörperchen ebendaher. Ok. 6. Stark überosmiert, daher
stärkere „Basophilie“ des Protoplasmas als des Kerns.
Lymphkörperchen ebendaher. Im Plasma „azurophile“ (?, Granula.
Ok. 6.
Tafel XXXI.
Flächenbild einer Partie des Netzes vom Kaninchen. Nach
Maximows Methode mit absolutem Alkohol fixiert. Apochr.
16 mm, Ok. 4. Plasmazellen in Haufen die Gefässe umgebend.
18. Gruppen von Plasmazellen verschiedener Grösse und mit ver-
schiedenen Kernformen. Methode wie bei Fig. 15. Ok. 6.
Einzelne Plasmazellen aus dem Kaninchennetz zur Veranschau-
lichung der Grössen- und Kernvariation. Methode wie bei Fig. 15.
Alle bei gleicher Vergrösserung mit Ok. 6 dargestellt.
Plasmazellen aus dem Kaninchennetz in Mitose. Methode wie bei
Fig. 15. Alle bei gleicher Vergrösserung aufgenommen. Ok. 6.
a — Monaster, b = Diaster, ce = Knäuelstadium.
Ungranulierte freie Zellen (Plasmazellen) aus dem wie oben (Fig. 8)
erzeugten Peritonealexsudat des Meerschweinchens. Agarmethode.
Ok. 6.
Lymphkörperchen aus dem Ductus thoracicus des normalen aus-
gewachsenen Kaninchens. Agarmethode. Beziehungen des Proto-
plasmas zum Kern, Nukleolen? Ok. 6.
Partie aus dem Lymphsinus einer Blutlymphdrüse der Ratte.
Schnittpräparat, Dicke: 5 «. Fixation: Zenkersche Flüssigkeit;
Färbung: Hämalaun, Orange, Rubin-S. Ok. 6. Freie Lymph-
körperchen und „fixe“ Zellen („Endothel“- und Retikulumzellen).
Makrophage aus dem Lymphsinus einer Blutlymphdrüse der Ratte
mit phagocytierten Erythrocyten. Methode der Darstellung wie
bei Fig. 23. Ok. 8.
Sogenannter Blutkanal aus der Blutlymphdrüse der Ratte, zur
Demonstration der Endothelien. Methode der Darstellung wie bei
Fig. 23. .ORi6.
HT
Franz Weidenreich: Die ungranulierten Leucocyten.
Keimzentrumszellen und Lymphocyten aus dem Keimzentrum eines
Sckundärknötchens der Ratten-Blutlymphdrüse. Methode der Dar-
stellung wie bei Fig. 23. Ok. 6.
Tafel XXXII.
Lymphocyten in Zell- und Kernumrissen aus dem Blute des nor-
malen erwachsenen Menschen, zur Demonstration der allmählich
zunehmenden Kern- und Zellengrösse. Ok. 6.
Aus dem Zoologischen Institute der k. k. Deutschen Universität in Prag.
Leuchtende Ophiopsilen.
Von
Dr. Emanuel Trojan,
Assistenten am Zoologischen Institute der k. k. Deutschen Universität in Prag.
Hierzu Tafel XXXIV.
Ausgeführt mit Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung deutscher
Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen.
Vor kurzem veröffentlichte ich (08) im Biologischen Zentral-
blatte eine Mitteilung über „Das Leuchten der Schlangensterne“.
Den Kernpunkt derselben bildete die Behauptung, dass das
Leuchten der Ophiuriden ein intrazellulärer Vorgang sei. Ich
erschloss diese Tatsache insbesondere physiologischen Experimenten
und vergleichenden Studien. Nachdem ich nunmehr meine histo-
logischen Untersuchungen an zwei interessanten Vertretern jener
Tiergruppe und zwar ÖOphiopsila annulosa Sars und Ophiopsila
aranea Forb. ganz abgeschlossen habe, kann ich im Zusammen-
hange ein neues Kapitel zur tierischen Luminiszens liefern.
Historisches.
Die Tatsache, dass es unter den Ophiuriden einige gibt,
die eigenes Leuchtvermögen besitzen, ist für Zoologen nicht neu.
Vor mehr als 100 Jahren berichtet Viviani (1805) meines Wissens
als erster über einen Schlangenstern, Asterias noctiluca (heutzu-
tage Amphiura squamata genannt), folgendes: „Species haec
radiatae instar stellae scintillas in marinis aquis excitasse, quas
electrico fluido adscripserunt, admodum probabile est“. Aus-
führlicheres darüber entnehmen wir Quatrefages (1843, S. 188):
„Ce, que nous venons de dire des Annelides s’applique egalement
aux Ophyures. En efiet, les bras de ces dernieres sont composes
de petites pieces calcaires articuldes les unes au bout des autres
comme les vertebres de la queue d’un Lezard. La matiere
vivante qui les recouvre n'est pas seulement une substance
homogene, une pulpe animal comme quelques auteurs l’ont admis;
584 Emanuel Trojan:
on y distingue diverses couches tegumentaires, et les pieces
solides sont jointes entre elles par de veritables faisceaux
musculaires dont le microscope nous permet de distinguer les
fibres. C’est sur ces points seulement que ce manifeste la phos-
phorescence; elle s’y montre par etincelles; les stries qu’elle
semble former ont la m&me direction que les fibres; elle
n’apparait que lorsque le bras est en mouvement: des que
l’animal reste en repos, on distingue plus aucun une trace, alors
meme qu’on irrite ces memes parties. Nous croyons done pouvoir
assurer quiei, comme chez les Annelides, la lumiere se produit
sur des partis musculaires pendant la contraction seulement, hors
du contact de l’air, et independamment de tout seceretion pro-
prement dite.“ Grube (1864) sah Ophiopsila aranea zuerst
leuchten. Dem italienischen Forscher Panceri (1878), der sich
mit Vorliebe mit dem Studium leuchtender Tiere befasste, ent-
ging das Leuchten von Amphiura squamata nicht. Er wusste
bereits, dass das Leuchten an der Basis der Füsschen des Tieres
stattfindet, doch gelang es ihm nicht, irgendwelche Leuchtorgane
daselbst zu finden. Seit Panceri wiederholen sich die Angaben
über leuchtende Echinodermen öfters. Me. Intosh (1885)
berichtet, dass Wywille Thompson auf der „Porcupina“
Ophiocantha spinulosa leuchten gesehen hat, während er selbst
an Ophiotrix fragilis die interessante Entdeckung machte, dass
diese Tiere, nur solange sie jung sind und in grösseren Tiefen
leben, leuchten, später aber, da sie sich nur in den oberen
Zonen des Meeres aufhalten, das Leuchtvermögen ganz einbüssen.
Dr. Lo Bianco (1899) erkannte in Ophiopsila annulosa einen
überaus herrlich leuchtenden Schlangenstern. In den letzten
Jahren war es Molisch (1904), der auf das Lichtphänomen von
Amphiura squamata aufmerksam machte und die Zoologen er-
munterte, der Sache weiter nachzugehen. Ich weiss nicht, ob
es dieser Aufmunterung oder dem Zufall zuzuschreiben ist, dass
die Erforschung des Leuchtens der Schlangensterne von nicht
weniger als vier Seiten in Angriff genommen wurde Mangold
(1907) vermehrte die Zahl der als leuchtend bereits bekannten
Schlangensterne um einen neuen, Amphiura filiformis und teilte
uns seine an diesem ÖOphiuriden, sowie an ÖOphiopsila annulosa
und aranea, ferner an Amphiura squamata gediegen durchge-
führten physiologischen Untersuchungen mit. Frl. Sterzinger
Leuchtende Ophiopsilen. 559
(1907) lieferte einen Beitrag „Über das Leuchten von Amphiura
squamata Sars“. Diese Arbeit veranlasste Reichensperger
(1908) und mich (1908) zu vorläufigen Mitteilungen, die in ihren
Resultaten einander ziemlich deckten, mit der Arbeit von Frl.
Sterzinger aber in schroffem Widerspruche standen. Während
nämlich jene Verfasserin das Leuchten des Schlangensternes
Amphiura squamata für einen extrazellulären Vorgang erklärte,
behauptete ich, dass die Luminiszens der Ophiuriden überhaupt
intrazellulär vor sich gehe. Auch Reichensperger war der-
selben Meinung und verfocht sie auf Grund seiner histologischen
Untersuchungen, deren Resultate in Kürze folgende sind: Bei
Amphiura filiformis, welche leuchtet, fand jener Autor typische
Drüsenzellen, die bei der naheverwandten Art Amphiura Chiajei,
die niemals leuchtet, nicht vorkommen. Diese Tatsache spräche
dafür, jene Drüsenzellen als Träger der Leuchtsubstanz anzu-
nehmen, wenn nicht ein anderer Befund desselben Forschers
einigen Zweifel aufkommen liesse. Es ist nämlich Reichens-
perger nicht gelungen, jene Elemente in der leuchtenden
Ophiopsila aranea nachzuweisen, während sie in der ebenfalls
leuchtenden, naheverwandten Ophiopsila annulosa wieder vor-
kommen. Ein einwandfreier Beweis, dass jene Drüsenzellen tat-
sächlich Leuchtzellen sind, liess sich weder nach Reichens-
pergers vorläufiger Mitteilung noch nach seiner kürzlich
erschienenen ausführlichen Arbeit (1908b) durchführen, da die
mutmasslichen Leuchtzellen einmal in plhosphoreszierenden
Ophiuriden gefunden wurden, das anderemal nicht, bei einem
Schlangenstern sowohl an leuchtenden wie nicht leuchtenden
Körperteilen. Ich glaube, dass durch meine Untersuchungen die
bisherigen Mutmassungen einen sicheren Boden gewinnen und
dass jeder Zweifel über die Träger der Luminiszens beseitigt
wird. Dass meine Resultate hinsichtlich der Ophiopsila annulosa
mit denen Reichenspergers abgesehen von einigen Differenzen
untergeordneter Natur doch dem Wesen nach im Einklange
stehen, kann für die Lösung des Problemes nur als höchst
erfreulich bezeichnet werden. Ganz besonders erscheint die
Richtigkeit der Lösung durch meine Befunde an ÖOphiopsila
aranea verbürgt, da Reichenspergers Untersuchungan an
diesem Schlangensterne stets mit negativen Resultaten endigten,
bei mir aber von positivem Erfolge begleitet waren. Den Grund
336 Emanuel Trojan:
des Gelingens schreibe ich einzig der technischen Behandlung
zu, die von der Reichenspergers allerdings etwas abweicht.
Sie soll in dem darauffolgenden Kapitel näher erörtert werden.
Technisches.
Zum Fixieren der Schlangensterne wurden nicht weniger
als fünf Flüssigkeiten erprobt und zwar starker Alkohol, Osmium-
säure, Uhromsäure, Kaliumbichromat-Formol und Formol allein.
Kaliumbichromat-Formol und Chromsäure erwiesen sich als total
unbrauchbar, da sie das Material eher mazerierten als fixierten.
Von den übrigen drei Fixierungsflüssigkeiten sind starker Alkohol
und Osmiumsäure dem Formol vorzuziehen. Alkohol hat überdies
den. Vorteil, dass er die Tiere augenblicklich tötet, sie im
Leuchten nicht erschöpft, so dass an dem fixierten Material
ziemlich viel von den leuchtenden Elementen übrig bleibt,
wodurch die histologischen Untersuchungen eine wesentliche
Erleichterung erfahren. Die grösste Schwierigkeit bei diesen
Studien liegt nach meinen Erfahrungen im Entfernen des Kalkes,
mit dem die Tiere überaus reichlich inkrustiert sind. Hat man
den richtigen Moment getroffen, wann die Entkalkung weder zu
weit gediehen, noch zu wenig vorgeschritten ist, dann ist alles
gewonnen. Ein Maß für die Entkalkungsflüssigkeit und die Zeit
des Entkalkungsprozesses genau anzugeben, ist nicht möglich,
da beides mit der Grösse des Objektes wechselt. Am besten
fand ich folgendes Verfahren: Ich setzte dem starken Alkohol,
in dem die Tiere fixiert, beziehungsweise konserviert waren,
einige Tropfen Essigsäure hinzu und vermied so die langwierige
Manipulation des Übertragens durch fallenden Alkohol zur
wässerigen Entkalkungsflüssigkeit und zurück; so hätte nämlich
mit Rücksicht auf die Feinheit der Objekte unbedingt vor-
gegangen werden müssen, sollten Schrumpfungen oder Quellungen
vermieden werden. Von Zeit zu Zeit schnitt ich ein Stückchen
des in der Entkalkungstlüssigkeit liegenden Ophiuridenarmes ab
und erprobte an diesem zwischen den Fingern, ob der Prozess
fortgesetzt oder aufgehalten werden sollte. Verspürte ich kaum
noch einen Widerstand in der Achse des Armes, so war ich
dem gewünschten Ziele nahe. Ein längeres Verweilen in Alkohol-
Essigsäure war stets von schädlichem Einflusse. Die sonst beim
Leuchtende Ophiopsilen. 587
Entkalken bewährte Salpetersäure lieferte hier keine brauch-
baren Resultate.
Eingebettet und geschnitten wurde in Oelloidin und Paraffin.
Bei Ophiopsila annulosa, die nur in grossen Exemplaren zur
Untersuchung kam, bewährte sich die Celloidineinbettung gut:
es liegen die Verhältnisse bei diesem Schlangensterne ziemlich
klar, so dass es ganz besonders feiner Schnitte nicht bedarf.
Bei Ophiopsila aranea schlug dagegen die Celloidinmethode voll-
ständig fehl. Trotz gut erhaltenen Materials konnte ich bei
diesem Ophiuriden zu keinem Resultate gelangen. Die Ursache
ist wohl darin zu suchen, dass man bei Celloidinschnitten niemals
jene Feinheit erzielt wie bei Paraffinschnitten. Ich wandte mich
nach zahlreichen vergeblichen Versuchen zur Paraffineinbettung
und zerlegte die Präparate in Schnitte, deren Dieke höchstens
2 u betrug. Auf diese Weise kam ich zu Resultaten, die sich
den bei Ophiopsila annulosa gewonnenen ebenbürtig zur Seite
stellten, ja ich kann sagen, dieselben zu meiner Überraschung
übertrafen.
Von Farbstoffen wurden folgende verwendet: Hämatoxylin
nach Delafield, Eisenhämatoxylin, Hämatoxylin-Pikrinsäure-
Säurefuchsin, Muchämatein. Mueikarmin und Thionin. Alle mit
Ausnahme des Mucikarmins leisteten vortreffliche Dienste, nament-
lich das Thionin. Ich verfuhr mit diesem Farbstoffe also:
Destilliertem Wasser wurden vom Thionin pur. conc. wässrig
(Grübler, Leipzig) nur soviele Tropfen beigesetzt, dass die
Lösung einen ganz flauen Farbenton von blau verriet: die zu
färbenden Schnitte wurden hierin über Nacht gelassen. Sie
waren dann derart gefärbt, dass man bei der Behandlung durch
die Alkoholreihe aufwärts aus Besorgnis, der Farbstoff könnte
etwa extrahiert werden, durchaus keine Eile hatte. Diese Tinktion
lieferte tadellose Bilder; nur schade, dass sie sich nicht lange hält.
Ophiopsila annulosa (Sars).
Die erste ausführliche Beschreibung dieses Tieres lieferte
meines Wissens Sars (1857) in seinem Werke „Middelhavest
Litoral Fauna“ allerdings führte er es unter einem anderen
Namen, nämlich Ophianoplus annulosus, an. Bei Brady und
wobertson (1569) wird dasselbe Tier unter den Ophiopsilen
genannt. Erwähnt seien ferner hier die Angaben Lymans (1882)
tafofo) Emanuel Trojan:
und Lo Biancos (1889), die Ophiopsila annulosa betreffen.
Vorzügliche Beiträge zur Kenntnis dieses Tieres lieferten endlich
Mangold (1907) und Reichensperger (1908a) anlässlich
ihrer Untersuchungen über den Wimperapparat der Ophiopsilen.
Allen diesen Berichten sei zusammenfassend hier folgendes ent-
nommen: ÖOphiopsila annulosa ist ein im Indisch-pazifischen und
Atlantischen Ozean, im Mittelmeer, selten auch im Golfe von
Neapel vorkommender Schlangenstern. Während die Unterseite
des Tieres immer gelblichweiss ist, variiert die Farbe der Ober-
seite von hell- bis dunkelbraun. Stets wechseln hier lichte
Querbinden mit dunkleren ab. Die Länge der äusserst fein
ausgezogenen Arme ist nicht unbedeutend und kann bis 1,5 dm
betragen. Die Scheibe ist dick und erinnert einigermassen an
den Spinnenleib. Von besonderem Interesse für die vorliegende
Arbeit ist der Bau der Arme und es sei deshalb auf denselben
hier näher eingegangen (hierzu Taf. XXXIV, Fig. 1).
Ein jeder der fünf Arme setzt in beträchtlicher Dicke von
der Scheibe ab, wird allmählich dünner, so dass sein Ende als
fadenförmig bezeichnet werden kann. Man erkennt, dass er aus
einer grossen Anzahl von Gliederstücken besteht, die nach Art der
Wirbel beweglich sind. ‚Jeder dieser Abschnitte besteht aus Hart-
und Weichteilen. Von den ersteren ist vor allem der Zentral-
körper (z) zu nennen; er dient der Insertion kräftiger Muskeln
(m), denen die Beweglichkeit der ganzen Arme zuzuschreiben
ist. Der Mantel des Gliedes wird von vier, beziehungsweise drei
Platten gebildet. Von diesen ist die Ventralplatte (v) und die
beiden Lateralplatten (1) stets, die Dorsalplatte (d) dagegen nicht
immer vorhanden. Am besten ist diese letztere wohl in der
Nähe der Scheibe entwickelt. Mit der Dieke der Arme nimmt
ihre Breite allmählich ab, ja gegen die Spitze erkennt man, dass
sie von den Lateralplatten, die hier ganz zusammenstossen, all-
mählich total verdrängt wird. Dieses eben beschriebene Skelett
besitzt auch Anhänge in Form von Stacheln zweierlei Art, be-
wegliche und unbewegliche. Die ersteren können wiederum
unbewimpert oder bewimpert sein. Beweglich und zumeist unbe-
wimpert sind die Lateralstacheln (la); sie sitzen mittelst Gelenke
den Lateralplatten an. Bei den proximalen, also ältesten Gliedern,
kann man bis elf, bei den distalen, den jüngsten, nur je zwei
solcher Stacheln zählen. Der Gelenksapparat, mit Muskeln und
Leuchtende Ophiopsilen. 859
Ligamenten ausgestattet, ermöglicht eine laterale Bewegung.
Die Länge der Lateralstacheln nimmt mit ihrer Entfernung von
den Dorsalplatten zu: sie sind breit und stark pigmentiert. Auf
ihren histologischen Bau soll weiter unten eingegangen werden.
Beweglich und stets bewimpert sind die sogenannten Wimper-
stacheln (w). Sie sind gewissermassen die untersten Lateralstacheln
und kommen in der Zweizahl bloss den ältesten Armgliedern zu;
in den distalen Teilen fehlen sie ganz. Vermöge der gelenkigen
Verbindung mit ihrer Unterlage, den Seitenplatten, können sie
ausgezeichnet bewegt werden. In der Ruhelage liegen sie ge-
kreuzt schief über der ventralen Armrinne. Sie sind breit und
etwas flachgedrückt. Den Namen Wimperstacheln führen sie,
weil auf ihren Schmalseiten Wimperschnüre verlaufen, die über-
dies durch eine Querwimperschnur in der Armrinne mit denen
des gegenüberliegenden Stachels in Verbindung stehen.
Es erübrigt nun die Erwähnung der unbeweglichen Skelett-
anhänge; als solche bezeichnet man die Tentakelschuppen (t).
Das sind kurze, stumpf kegelförmige Fortsätze der Seitenplatten
zwischen den Wimper- und den untersten Seitenstacheln. Sie
sind ebenso wie die Wimperstacheln bloss auf die proximalen
Armteile beschränkt. Mangold (1907, S. 616) behauptet, die
Tentakelschuppen seien beweglich; Reichensperger (1908,
S. 90) widerlegt dies. Ich kann dem letzteren Autor nur bei-
pflichten, da es mir niemals gelungen ist, einen Gelenksapparat
mit Muskeln und Ligamenten an den Tentakelschuppen auf-
zufinden.
Dank den ausgezeichneten Untersuchungen Reichen-
spergers (1908 a) wissen wir nunmehr, dass alle drei der
Skelettanhänge einer Natur sind. Die Bewimperung ist nämlich
nicht ausschliesslich auf die Wimperstacheln beschränkt, sondern
wurde von jenem Autor auch auf Lateralstacheln und Tentakel-
schuppen vorgefunden; überdies gehen die Wimperstacheln in
den distalen Teilen der Arme in die Lateralstacheln unmittel-
bar über.
Von den weichen Teilen der Arme will ich hier ausser den
bereits genannten Muskeln anführen (Taf. XXXIV, Fig. 1): den
Radialkanal des Wassergefässsystemes (r), die Füsschen (f), die
radiären Nerven des ekto- (ne) und hyponeuralen (nh) Nerven-
systemes und das radiäre Blutgefäss (b).. Den Zusammenhang
590 Emanuel Trojan:
aller Organe stellt mehr oder weniger entwickeltes Bindegewebe
her. Von freien Hohlräumen werden angetroffen: der Epineural-
kanal (ep), der radiäre Pseudohämalkanal (ph) und das eigent-
liche Cölom (ec).
Das hier über Ophiopsila annulosa Gesagte kann zugleich
für Ophiopsila aranea im grossen und ganzen seine Geltung be-
halten; geringe Unterschiede erweisen sich bloss in der Färbung,
Grösse und dem Wimperapparat.
Das Leuchten.
Es liegt in der Natur der Sache, dass wir zunächst fragen,
welche Stellen des Körpers der Schlangensterne Licht ausstrahlen.
Eine sichere Antwort auf diese Frage zu geben ist bei weitem
nicht so leicht als es etwa erscheinen mag. Ich habe bereits
früher (1908, S. 347) auf die grossen Schwierigkeiten hingewiesen,
mit denen man zu kämpfen hat, wenn man die leuchtenden Teile
eines solchen Ophiuriden genau bestimmen will. Im Finstern
arbeitend hat man das betreffende Objekt nicht immer gleich
eingestellt; und wenn schon, dann entschwindet es alsbald aus
dem Gesichtsfelde. Im günstigsten Falle sieht man, sei es nun
mit der Lupe oder bei schwacher Vergrösserung im Mikroskop,
ein Gewirr von lebhaft sich bewegenden Stacheln und Füsschen,
die ohne Unterschied samt dem Arme, an dem sie haften, durch-
glüht erscheinen. Wenn dennoch Versuche gemacht worden sind,
alle jene Schwierigkeiten zu überwinden, verdienen sie volle An-
erkennung, sofern natürlich die Richtigkeit allfälliger Angaben
nachgewiesen wird. Leider trifft dies bis jetzt nicht in allen
Fällen zu. So behauptet Mangold, dass bei Amphiura squamata
die proximalen Teile der Basalplatten der Stacheln leuchten,
während Frl. Sterzinger die apikalen Enden der Füsschen
leuchten gesehen haben will. Reichensperger bestätigt als
Augenzeuge den Befund Mangolds, kann aber auf Grund
histologischer Untersuchungen keinen Beweis für die Richtigkeit
obiger Behauptung erbringen und betrachtet im Schlussworte
seiner Arbeit die Luminiszens von Amphiura squamata als eine
ungelöste Frage. Ein anderer Fall betrifft die Angabe Mangolds
und Reichenspergers hinsichtlich Ophiopsila annulosa. Beide
Autoren sahen die Lateralplatten dieses Schlangensternes leuchten.
Ich habe in Reichenspergers (1908 b) Publikation vergeblich
Leuchtende Ophiopsilen. sy1
nach jener Stelle gesucht, wo er auf Grund histologischer Tat-
sachen die obige Angabe bestätigen würde. Andere Differenzen
zwischen meinen Untersuchungen und Mangolds Angaben werde
ich an einer anderen Stelle bringen. Deshalb bleibe ich auch
in dieser meiner Abhandlung bei der früheren Behauptung, dass
eine sichere Angabe über den wahren Sitz des Lichtes an lebenden
Öphiopsilen unmöglich ist und falls sie doch geschieht, mir nicht
immer verlässlich erscheint. Mit Sicherheit lässt sich nur feststellen,
dass bei den beiden Ophiopsila-Arten die Scheibe und dorsalen
Streifen an den Armen nicht leuchten; zum Glück ist aber das
sonst ausgestrahlte Licht namentlich bei Ophiopsila annulosa so
ausgiebiß, dass dem, der sich mit diesen Studien befasst, Hoffnung
erwächst, bei der histologischen Untersuchung auf deutliche
Elemente zu stossen, die der Scheibe und den dorsalen Streifen
der Arme fehlen müssten.
bevor ich aber auf die Träger der Luminiszens eingehe,
mögen hier einige Details, die sich auf die Haut der Ophiuriden
beziehen, vorausgeschickt werden: die Haut der Füsschen bleibt
hierbei unberücksichtigt.
An feinen Querschnitten durch den Arm einer gut kon-
servierten Ophiopsila erkennt man als äussersten Saum ein sehr
zartes Häutchen, das, da ohne jedwede Struktur oder welche
Zellkerne, als Cutieula anzusprechen ist. Unter derselben liegt
eine feinkörnige Substanz mit zahlreichen Zellkernen. Zellgrenzen
fehlen in ihr; es sollen aber solche nach Hamann (1901, S. 784)
an Jungen Tieren zu sehen sein. Es handelt sich hier um die
Epidermis, die anfangs als einschichtiges Epithel aus kubischen
Zellen besteht, später das oben erwähnte Aussehen erlangt. Ohne
jedwede Grenze schliesst dann an diese nach innen zu die mächtig
entwickelte Lederhaut und Bindesubstanzschicht an. Sie bildet
ein Netzwerk, in dessen Knotenpunkten Kerne der Bildungszellen
zumeist ohne Zellkörper angetroffen werden. In den Maschen
des Netzwerkes lagert die verkalkte Grundsubstanz. Im Inneren
der Stacheln liegen die Verhältnisse so, dass die Bindesubstanz
in der Längsachse stets unverkalkt bleibt und als dicker Strang
hier gegen die Spitze des Stachels verläuft. Sie gibt radiäre
Faserstränge ab, die der Peripherie des Stachels wie die Speichen
eines Rades zustreben und dort, allerdings mitunter auch früher
schon, durch Querfaserstränge miteinander in Verbindung stehen.
892 Emanuel Trojan:
Dadurch entsteht ein Netzwerk, das der Verkalkung anheimfällt.
Die Achse des Stachels bleibt unverkalkt; hier verläuft auch der
Stachelnerv.
Es kommt in der Regel vor, dass man an einem Arm-
querschnitte die Stacheln in verschiedenen Zonen schneidet, da
sie ja verschieden dick sind. Auf Oberflächenschnitten der Lateral-
stacheln zeigen sich nun, namentlich schön bei Thioninfärbung,
kreisrunde Flecke; sie sind in Längsreihen angeordnet. Auf ganz
dünnen Flächenschnitten löst sich ein jeder solcher dunkle Fleck
in einen oder mehrere zentrale Teile mit homogenem Inhalte
und eine grosse Anzahl peripher gelagerter feiner Körnchen auf.
Man wäre verleitet, den zentralen Teil für eine Zelle von kuge-
liger, beziehungsweise birnförmiger Gestalt zu halten. Die Suche
nach einem Kerne dieser vermeintlichen Zellen bleibt jedoch
resultatlos. Eine bessere Aufklärung über diese (Gebilde liefern
Längsschnitte durch den Stachel, am besten der Medianschnitt
selbst, ferner auch Querschnitte. Man sieht an solchen Präparaten,
dass man es mit pilzhutähnlichen Gebilden zu tun hat, wie solche
die Mikrophotographien Fig. 2 und 3 wiedergeben. Nicht alle
sind aber von solcher Ausbildung; der Umfang des Hutes wechselt
nämlich verschieden und so kommt es vor, dass andere gestielten
Köpfchen gleichen. Auch an diesen erkennt man den homogenen,
stark tingierten zentralen Teil und in seiner Umgebung zahl-
reiche Körnchen, die zur Oberfläche emporsteigen. Ausser diesen
hutpilz- und köpfchenförmigen Bildungen lassen sich zahlreiche
schwach keulenförmige unterscheiden, deren Inhalt schleimig-
körnig ist; sie sind nicht so gut tingierbar wie die früheren.
Von allen diesen Gebilden ziehen Fortsätze nach der Achse des
Stachels hin; es ist aber nicht möglich, die einen oder anderen
bis zu ihrem Ursprunge zu verfolgen. Dagegen sieht man,
dass im Inneren des Stachels eine grosse Anzahl von Zellen liegt
(Fig. 6 dk. ds, dsk), die ihrem Inhalte und ihrer Tinktionsfähig-
keit nach mit den oben geschilderten Gebilden im Einklange
stehen. Die Gestalt dieser Zellen ist sehr verschieden; im all-
gemeinen aber lässt sich sagen, dass sie langgestreckt sind und
zwischen einer Länge von 0,01—0,06 mm variieren, dass sie
ferner zur Längsachse des Stachels parallel liegen und gegen die
Spitze desselben einen Fortsatz entsenden. Ihre Kerne sind
ziemlich gross, 4—7 u. Was nun den Zellinhalt anbelangt, so
Leuchtende Ophiopsilen. 893
sind drei Haupttypen von Zellen zu vermerken: 1. solche mit
rein homogenem schleimigen Inhalt (Fig. 6 ds), 2. solche mit
einem schleimig-körnigen (Fig. 6 dsk) und 3. solche mit einem
feinkörnigen (Fig. 6 dk). Dem Zellinhalte entspricht auch der
ihres langen Ausläufers. Es ist mir niemals gelungen, diese
Zellen mit den pilzhutförmigen oder anderen Bildungen unter
der Stacheloberfläche im Zusammenhange zu sehen, was mir
jedoch bei dem komplizierten Gerüst eines Stachels leicht er-
klärlich erscheint. Solange nämlich der Ausläufer der Zellen in
dem zentralen unverkalkten Teile des Stachels verläuft, findet
er kein Hindernis, sobald er aber zur Oberfläche abbiegt, muss
er sich durch die unverkalkten Lücken des Gerüstes in zalıl-
reichen Windungen hindurchschlängeln und es ist daher unmöglich,
seinen Verlauf hier zusammenhängend zu ermitteln. Dessen-
ungeachtet aber glaube ich, dass sicher ein Zusammenhang
zwischen den inneren Zellen und den oben beschriebenen Ge-
bilden besteht. Die bisher mitgeteilten Befunde zwingen mich
zu folgender Annahme: Jene länglichen Zellen in dem unver-
kalkten zentralen Teile der Stacheln von Öphiopsila annulosa
sind bei ihrer mannigfachen Ausbildung einer Natur, und zwar
Drüsenzellen. Sie befinden sich in verschiedenen Altersstadien.
Als die jüngsten unter ihnen betrachte ich die mit feinkörnigem
Inhalte (Fig. 6 dk, Fig. 11); sie befinden sich in jenem Zustande,
den wir bei Drüsenzellen die Regenerationsphase zu bezeichnen
pflegen. Für diese ist es eben bezeichnend, dass feinste schwach
sich färbende Körnchen den Zellleib erfüllen. Für älter, in der
sogenannten Reifungsphase stehend, halte ich jene Drüsenzellen,
in denen grössere Körner und etwas Schleim zu sehen ist
(Fig. 6 dsk, Fig. 9); sie übertreffen die ersteren bedeutend an
Volumen. Die Entleerungsphase, also das älteste Stadium der
Drüsenzellen dünkt mich an allen solchen erkenntlich zu sein,
deren Inhalt ein homogener Schleim von starker Tinktionsfähig-
keit ist (Fig. 6 ds); oft verraten verquollene Sekretkörner,
weniger zahlreich, dafür ziemlich gross und Vakuolen den Beginn
dieses Stadiums (Fig. 10). Die Form solcher Zellen ist höchst
unregelmässig. Der Inhalt der Drüsenzellen fliesst auf langem
Wege im zentralen Teile des Stachels und wendet sich dann zur
Oberfläche. Es hat den Anschein, dass die Menge des produzierten
Schleimes eine geringere oder grössere sein kann. Im letzteren
594 Emanuel Trojan:
Falle muss es, da ich mit Ausnahme feinster Poren in wenigen
Fällen grössere Ausführungsöffnungen überhaupt nicht gefunden
habe, zu Stauungen unter der Haut kommen. Schliesslich dürfte
auch der Schleim als solcher das Tier nicht verlassen; er liefert,
wie die mikroskopischen Präparate zeigen, eine Menge kleiner
Körnchen, die der Oberfläche zustreben, um nach.aussen zu ge-
langen (Fig. 6 k).
Was mag wohl Veranlassung zu der mitunter recht leb-
haften Tätigkeit dieser Drüsenzellen geben? Die Funktion der
Drüsenzellen pflegen wir sonst dem direkten Einftlusse der Nerven
zuzuschreiben und so erwächst nunmehr die Frage, welcher Art
die nervösen Verhältnisse im Stachel sind. Es ist bereits oben
erwähnt worden, dass ein Nerv das Innere des Stachels durch-
zieht. Wenn wir die Stärke des Nerven mit der Grösse des
Stachels vergleichen, so können wir aus Überlegung folgern, dass
ihm eine grosse Rolle zufallen muss. Histologische Präparate
zeigen, zu welch feiner Auflösung des Nerven es im Stachel
kommt. Man sieht zuweilen in der Nähe des Nerven, also dort,
wo jene Drüsenzellen liegen, ein Gewirr von feinsten Fasern;
wie sie mit den Zellen in Verbindung treten, konnte ich leider
nicht feststellen. Auch in dem Stiel der oben erwähnten
Stauungsformen sieht man Nerven emporsteigen und sich reich-
lich verzweigen. Es ist daher anzunehmen, dass auch bei diesen
Drüsenzellen der chemische Umsatz unter unmittelbarer Ein-
wirkung des Nerven steht. Ein solcher Umsatz könnte von einer
Strahlung begleitet sein und da das Tier im gereizten Zustande
mit dem Aufleuchten antwortet, dürften wir in den vorliegenden
Elementen Leuchtzellen sehen. Wenn diese Annahme richtig
ist, dann müssten diese Drüsenzellen an Stellen, wo das Tier
nach meinen, Mangolds und Reichenspergers Beobach-
tungen niemals leuchtete, fehlen. Tatsächlich fand ich dort
keine Spur von ihnen vor, Dagegen traf ich auf anderen sicherlich
leuchtenden Stellen Verhältnisse an, die mir mit den bisher
beschriebenen nicht im Einklange zu stehen schienen. Im
untersten Teile der Lateralplatten liegen auf der der Scheibe
zugekehrten Seite die Tentakelschuppen. Diese weisen bei ge-
lungener Thioninfärbung (Fig. 12) von ihrer Basis bis zur Spitze
eine grosse Anzahl von Drüsenzellen verschiedener Form auf;
rundliche herrschen vor, birnförmige sind unter ihnen seltener.
Leuchtende Ophoipsilen. 895
Ihre Grösse steht denen in den Lateralstacheln nach. Was
jedoch diesen Zellen ganz abgeht, sind die langen Ausführungs-
kanäle: solche sind allerdings hier gar nicht nötig, da die Lage
dieser Drüsenzellen eine ganz oberflächliche ist. Dem Zellinhalte
nach konnte ich wieder alle drei Arten unterscheiden. Ich fand
auch, dass eine schmale Zone solcher Zellen von der Basis der
Tentakelschuppen dorsalwärts auf den Lateralplatten bis zu den
Dorsalplatten dahinzieht. Alle diese Zellen sind wohl mit den
Drüsenzellen der Lateralstacheln identisch.
Auf Querschnitten, welche die Ventralrinne zwischen je zwei
l"limmer-Querreihen treffen, die wie oben erwähnt, von Flimmer-
stacheln der einen Seite zu denen der anderen ziehen, werden
keulenförmige, mit dem verdickten Ende nach aussen gerichtete
Schleimmassen angetroffen; sie machen oft den Eindruck von
Zellen, doch der Kernmangel schliesst die Richtigkeit einer
solchen Annahme aus. Es bedarf vieler Mühe und höchst
gelungener Präparate, um die Herkunft dieser Sekretmassen zu
entdecken. In dem unverkalkten Netzwerk der Ventralplatten
(Fig. 8) findet man lange, schlauchförmige Gebilde mit schleimig-
körnigem Inhalte. Sie sind mitunter sehr lang, denn tief in
den Ventralplatten beginnend, nehmen sie nicht immer den
kürzesten Weg zur Oberfläche. Eine merkliche basale Verdickung,
wie sie bei den Drüsenzellen der Lateralplatten vorkommt, traf
ich hier nicht an. Der plattgedrückte, längliche Kern liegt der
Zellwand an. Oftenbar sind die homogenen Schleimmassen unter
der Cuticula Stauungsformen des von den langen Drüsenzellen
gelieferten Schleimes ganz analog denen in den Lateralstacheln.
Endlich habe ich in den unverkalkten Teilen der Flimmer-
stacheln Drüsenzellen gefunden, die mit denen der Lateralstacheln
ganz übereinstimmen.
Drüsenzellen in den Skelettteilen der Ophiuriden gehören,
wie man aus der spärlichen einschlägigen Literatur ersehen
kann, zu grossen Seltenheiten. Hamann (1889) beschreibt
eigenartige Drüsenzellen in den Keulenstacheln von Ophiomastix
annulosa; sie sollen stark glänzend und mit lichtbrechenden
Körnchen angefüllt sein. „Basalwärts verjüngen sich die Zellen,
hier liegt ein eiförmiger Kern, unterhalb dessen sich die Zelle
in einen Fortsatz verlängert, der oft kleine Varikositäten zeigt.“
(Zitiert nach Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs,
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 58
S96 Emanuel Trojan:
Echinodermen, 3. Buch, S. 783.) Cu¬ (1891) beschreibt
Reservestofi- und Exkretionszellen in der Bindesubstanzschicht
der Echinodermen. Ich habe diese Elemente in meinen Präparaten
auch angetroffen: eine Vertauschung mit den vorliegenden Drüsen-
zellen ist aber wegen des total verschiedenen mikrochemischen
Verhaltens ausgeschlossen. In der jüngsten” Zeit befasste sich
Dr. Reichensperger (1908b) mit den Drüsengebilden der
Ophiuriden. Wie ich der ausführlichen Arbeit dieses Autors
entnehme, erkannte er die hier beschriebenen Drüsenzellen von
Ophiopsila annulosa zum Teil richtig. Was zunächst die Lateral-
stacheln betrifft, herrscht zwischen meinen und seinen Befunden
nicht voller Einklang; ich vermisse bei Reichensperger
jedwede Erwähnung der so typischen pilzhut- und knopfartigen
Stauungsformen, die sowohl an Längs- als auch Querschnitten
durch die Lateralstacheln angetroffen werden. Wohl ist es richtig,
wie jener Autor bemerkt, dass die Ausläufer der Drüsenzellen
vor dem Erreichen der Oberfläche des Stachels sich etwas ver-
dicken; doch nach seiner Darstellung ist diese Verdickung von
unmerklicher Dimension. Mir scheint aber gerade das Vorkommen
grösserer Stauungsformen für das Leuchten eines Schlangen-
sternes von grossem Werte zu sein; doch darauf werde ich
später näher eingehen. „Auf der Ventralseite,“ schreibt Reichen-
sperger (1908, S. 310), „bezw. in den eigentlichen Ventralplatten
suchte ich nach solchen Drüsenzellen“ (wie nämlich in den
Lateralstacheln), „späterhin konnte ich sie aber jedesmal mühelos
feststellen. Jedoch sind sie nur in geringer Anzahl vorhanden
und auf einen Teil des Zwischenraumes von je zwei ventralen
Wimperschnüren beschränkt. Sie halten sich hier ziemlich ober-
tlächlich und dringen nur wenig in das Bindegewebe ein; die
Ausläufer sind kurz und äusserst fein, haben aber im Epithel
die gewöhnliche Verdiekung.“ Ich bin nun, wie oben erwähnt,
zu einer anderen Anschauung betreffend die Verhältnisse in den
Ventralplatten gekommen und glaube, dass jener Autor die im
Innern der Platten gelegenen eigentlichen Zellkörper übersehen
hat, dazumal ihre Auffindung äusserst schwer ist und daher
selten gelingt. Die oben zitierten Worte Reichenspergers
passen nach meinen Befunden vielmehr auf die Drüsenzellen der
Tentakelschuppen, von denen er aber überhaupt nichts erwähnt.
Darin pflichte ich ihm vollkommen bei, dass die vorliegenden
Leuchtende Ophiopsilen. s97
Drüsenzellen ob ihres zuweilen körnigen Inhaltes keineswegs mit
etwaigen Pigmentzellen vertauscht werden könnten und möchte
diesbezüglich noch den Umstand insbesondere hervorheben, dass
gerade dort, wo die Pigmentierung des Tieres am stärksten ist,
d. i. auf der Dorsalseite der Arme, überhaupt keines von diesen
Gebilden angetroffen wird; bekanntlich leuchten auch die Dorsal-
platten dieses Schlangensternes niemals.
Ebensowenig wie hier und auf der Scheibe konnte ich
auch bei einigen überhaupt nicht leuchtenden Ophiuridenarten,
die ich der Kontrolle halber mit untersuchte, die obigen Drüsen-
zellen nachweisen. Doch negative Resultate hielt ich nicht für
hinreichend, um jene Drüsenzellen für Leuchtzellen zu erklären;
mit guter Überzeugung glaubte ich dies erst dann tun zu
können, wenn ich die fraglichen Gebilde bei der naheverwandten
Art, Ophiopsila aranea, die auch leuchtet, wiederfände, was
bisher noch nicht gelungen war.
Ophiopsila aranea Fork.
zeigt im wesentlichen die Merkmale der Gattung wie die oben
beschriebene Ophiopsila annulosa, der sie in der Grösse um vieles
nachsteht. Die grössten Exemplare, die ich zu untersuchen hatte,
erreichten die Armlänge von kaum 3 cm. Die Arme des Tieres
sind sehr schlank, die Stacheln klein und zart. Eine ausführliche
Beschreibung dieses Schlangensternes kann ich mir im Hinblicke
auf die von Ophiopsila annulosa gegebene ersparen. Es ist bereits
oben erwähnt worden, dass dieser Ophiuride zum erstenmale von
Grube (1864) leuchten gesehen wurde. Über meine Beobachtungen
an diesem leuchtenden Schlangenstern habe ich seinerzeit im
Biologischen Zentralblatt geschrieben. Ausführlich eingehen muss
ich an dieser Stelle auf das, was Mangold und Reichen-
sperger bisher über das Leuchten dieses Tieres berichtet haben,
weil die Resultate meiner Untersuchungen mit denen jener
Autoren in schroffem Widerspruche stehen. Mangold (l. e.),
der sich viel Mühe nahm, um die leuchtenden Stellen bei
Ophiuriden genau zu bestimmen, schreibt über Ophiopsila aranea
folgendes: „Ich fand bei aranea noch deutlicher wie bei annulosa,
dass von den Seitenplatten in jedem Wirbel nur die der Scheibe
des Tieres zugewendete Hälfte, welche den Stacheln zur Basis
dient, zum Leuchten befähigt ist (Fig. S und Sa). Ferner leuchtet
98*
598 Emanuel Trojan:
auch hier die Ventralplatte und die äussersten Armspitzen.
während bemerkenswerterweise ausser an den auch bei annulosa
nicht leuchtenden Teilen, wie Rückenplatten, Füsschen und
Scheibe, auch an den Stacheln — Seitenstacheln wie Flimmer-
stacheln, welche auch hier vorhanden sind — trotz häufiger
Beobachtung niemals eine Luminiszens bemerkt werden konnte.
Dadurch ist auch der Leuchteffekt erheblich geringer als bei
annulosa.“ Mangold ist geneigt, dieses reduzierte Leuchtvermögen
als Artunterschied zwischen Ophiopsila annulosa und aranea auf-
zufassen, wie ein ähnlicher schöner bei zwei gleich aussehenden
Amphiuren beobachtet werden kann; Amphiura filiformis leuchtet,
Amphiura Chiajei leuchtet nicht. Essollen also, um es kurz zusammen-
zufassen, bei O. aranea nur die Ventralplatten, teilweise auch die
Lateralplatten und die Armspitzen leuchten. Reichensperger,
der als Augenzeuge diese Angabe Mangolds bestätigt, schreibt
in seiner vorläufigen Mitteilung (190Sa), dass es ihm nicht ge-
lungen sei, irgendwelche Elemente bei diesem Tiere nachzu-
weisen, die man als die Träger der Luminiszens ansprechen
könnte. Und doch sollte man glauben, dass wenn die Angaben
Mangolds richtig sind, die oben als leuchtend bezeichneten
Stellen solche enthalten müssten. Auch die ausführliche Arbeit
des letzteren Autors (1908Sb) bringt hierin keinen Aufschluss.
„Sehen wir“, heisst es dort, „uns nun einen Querschnitt durch
den Arm der verwandten Ophiopsila aranea an, so fällt uns
sogleich das gänzliche Fehlen der bei annulosa beschriebenen
Zellen in sämtlichen Stacheln auf; weder Lateral- noch Wimper-
stacheln zeigen eine Spur derselben. Auch in den Ventralplatten
sind keinerlei ähnliche Gebilde vorhanden. Um ganz sicher zu
gehen, habe ich Schnitte durch Armstücke beider Ophiopsilen
verglichen, die nach Dauer der Fixierung und Färbung genau in
gleicher Weise behandelt waren. Stets trifft man die Zellen bei
annulosa an, während sie bei aranea nicht vorhanden sind. Mit
unzweifelhafter Gewissheit habe ich auch in den von Mangold
als allein leuchtend angegebenen Lateralplatten von Ophiopsila
aranea die oben beschriebenen Gebilde nicht nachweisen können.
Es wird die Untersuchung durch die geringe Grösse des Objektes
und vor allem durch die Menge und Dichtigkeit des hier vor-
handenen schwarzbraunen Pigmentes sehr erschwert und vorläufig
muss ich die Frage noch als ungelöst betrachten, ob derartige
Leuchtende Ophiopsilen. 599
drüsige Zellen bei aranea vorhanden sind.“ (Es fiel mir bei
diesen Zeilen auf, dass Mangold die Lateralplatten allein als
leuchtend angegeben haben soll, während er, wie dem obigen
Zitat zu entnehmen ist, auch die Ventralplatten und die Arm-
spitzen leuchten sah.)
Mit Resultaten wie bei Reichensperger endeten meine
Untersuchungen an dem Material, das ich mir selbst von Neapel
mit nach Hause gebracht hatte. Deshalb liess ich mir neues
Material nachsenden. Doch auch mit diesem hatte ich wenig
Glück. Vor der Mühe nicht zurückscheuend, bat ich heuer
Dr. Lo Bianco abermals um eine neue Sendung, die mir endlich
die Lösung der schwierigen Aufgabe gestattete.
Die Verhältnisse bei diesem kleinen Schlangensterne sind
von denen bei Ophiopsila annulosa nicht wesentlich verschieden.
Allerdings fehlt es an Differenzen nicht. Die Lateralstacheln
sind insgesamt im Besitze derselben Elemente wie die von
annulosa. Im Inneren, nahe dem axial verlaufenden Stachel-
nerven finden sich Drüsenzellen aller drei Arten. Ihre Grösse
ist entsprechend der des Stachels eine viel geringere als bei
annulosa: die grössten messen höchstens 0,03 mm in der Länge,
also gerade die Hälfte jener. Die Ausführungskanäle bieten ein
ganz anderes Bild als dort. An Querschnitten durch die Lateral-
stacheln (Fig. 7) fiel es mir zunächst auf, dass die Oberseite des
Stachels anders aussieht als die Unterseite. Kleine Höcker er-
heben sich daselbst über die Oberfläche, wogegen die Unterseite
glatt ist. Im Inneren der Höcker sieht man stets eine ganze
Gruppe von Ausführungskanälen (Fig. 4, 5 und 7). Sehr feine gut
gefärbte Schnitte zeigen dies wunderschön. Zu Stauungen des
Sekretes wie bei annulosa kommt es hier niemals; wohl bemerkt
man hie und da (an meiner Mikrophotographie Fig. 5 an zweien
der Ausführungskanäle) eine mässige Erweiterung, doch ist eine
solche nicht allzu häufig. Ein jeder Kanal besitzt in der Kutikula
einen deutlichen Ausführungsporus. Wenn ich auch Bilder von
solcher Deutlichkeit und Schönheit wie in den Lateralstacheln
anderswo bei Ophiopsila aranea nicht angetroffen habe. so konnte
ich dennoch mit Sicherheit feststellen, dass die Verhältnisse hin-
sichtlich der Drüsenzellen in den Tentakelschuppen, Wimper-
stacheln und Lateralplatten ähnliche sind wie bei Ophiopsila
annulosa; der einzige Unterschied besteht darin, dass jene Zell-
900 Emanuel Trojan:
elemente bei ihrer Kleinheit micht so reichlich auftreten wie dort.
Mit den Ventralplatten der Ophiopsila aranea konnte ich zu
keinen positiven Resultaten kommen und da ich mir der Schwierig-
keiten, die sich mir schon bei dem Studium dieses Teiles an der
viel grösseren annulosa in den Weg stellten, wohl bewusst war,
gab ich die weiteren Untersuchungen auf. Ich glaube aber bei
der Übereinstimmung von Lateralstacheln und Tentakelschuppen,
ferner den Lateralplatten, auch eine solche hinsichtlich derVentral-
platten annehmen zu dürfen. Die Dorsalseite der Arme und die
Scheibe weisen keine Drüsenzellen auf.
Sind wir nun berechtigt, die auch bei diesem leuchtenden
Schlangensterne nachgewiesenen Drüsenzellen als Leuchtzellen zu
bezeichnen? Einem Einwande muss hier noch Platz gegeben
werden, nämlich dem, dass ich die mutmasslichen Leuchtzellen auch
dort nachgewiesen habe, wo Mangold das Tier nicht leuchten
sah. Ich habe bereits oben auf die Schwierigkeit der Behandlung
des lebenden Materials hingewiesen und glaube, dass jener Autor
bei der Untersuchung dieses Schlangensternes manches übersehen
hat. Dass das Leuchten von Ophiopsila annulosa ein schwächeres
ist als das von aranea, sah ich selbst an lebendem Material und
würde auch nichts gegen die Ansicht Mangolds einwenden,
diesen verschiedenen Grad des Leuchtvermögens als Artunterschied
aufzufassen. Doch darin bin ich mit ihm nicht einig, wenn er
das reduzierte Licht auf die beschränkte Zahl von leuchtenden
Körperstellen zurückführt. Auf Grund meiner histologischen
Präparate habe ich die Überzeugung gewonnen, dass der wahre
Grund in der geringen Ausbildung der Leuchtzellen liegt.
Wenn wir nunmehr bedenken, dass jene eigenartigen
Drüsenzellen bei leuchtenden Schlangensternen vorkommen, bei
nicht leuchtenden aber keineswegs, ebensowenig an Körperstellen
der ersteren, die mit Bestimmtheit als nicht leuchtend bezeichnet
wurden, so können wir sie mit vollem Rechte als Leuchtzellen
ansprechen.
Allgemeiner Teil.
Das’Beuchten.
Wer je die berühmte Ignorabimus-Rede Du Bois Reymonds
gelesen hat, wird sich wohl des Ausspruches erinnern, „dass
Muskelzusammenziehung, Absonderung in der Drüse, Schlag des
Leuchtende Ophiopsilen. 901
elektrischen, Leuchten des Leuchtorgans, Flimmerbewegung,
Wachstum und ÜChemismus der Pflanzenzelle bis jetzt noch
hoffnungslos dunkle Vorgänge sind“. Ich glaube, wenn jener
berühmte Forscher seinen Ausspruch nicht bloss auf das Leuchten
des Leuchtorgans, sondern vom Organismenlicht allgemein ge-
braucht hätte, er hätte auch dann volles Recht behalten; denn
obgleich seit dem Tage jener Rede einige Jahre verflossen sind,
stehen unsere Kenntnisse vom Wesen der Luminiszens nicht um
vieles besser als ehedem. Und das, was wir an leuchtenden
Tieren bis jetzt entdeckt haben, hat mehr vom Standpunkt der
Histologie grossen Wert, die Physiologie des Leuchtens aber
bleibt immer weit zurück. Und doch gibt es keinen Forscher
auf diesem Spezialgebiete, der nicht auf Grund seiner histologischen
Studien auch Betrachtungen physiologischer Natur anstellen
würde; indessen gehören diese letzteren bisher in das Reich der
Hypothese und haben demzufolge nach dem jeweiligen Stande
der Physik und Chemie schon manchen Wandel erfahren. Nur
bis zu einem gewissen Grade gestattet uns die histologische
Forschung, vorausgesetzt, dass sie gelungen ist, im Verein mit
physiologischen Experimenten in das Gebiet der tierischen
Luminiszens einzudringen.
Wenn wir die zahlreichen Entdeckungen, die sich auf
leuchtende Tiere beziehen, überblicken, so gilt es zunächst
zwei Gruppen zu machen, von denen die eine leuchtende
Protozoen, die andere leuchtende Metazoen umfasst. Vom
Leuchten der Protozoen lässt sich am wenigsten sagen. Wir
wissen, dass das Plasma der Einzelligen eine ganze Reihe von
Funktionen ohne besondere Ausbildung etwaiger Organe oder
gar Organsysteme zu verrichten imstande ist; wie es dies ver-
mag, ist allerdings ein Rätsel für uns. Wenn zu den Funktionen
gewöhnlicher Art wie Bewegung, Reizbarkeit, Nahrungsaufnahme,
Atmung, Verdauung und anderen mehr bei einigen Urtieren noch
die Luminiszens hinzukommt, so bildet sie für uns genau so
ein Rätsel, wie all das andere, was wir an den Einzelligen
erleben. Bloss die sichere Feststellung, ob ein Urtier leuchtet,
kann schon als Verdienst angerechnet werden. Und dass man
es auch in dieser Richtung noch gar nicht weit gebracht hat,
beweist einerseits die geringe Zahl der Urtiere, die als leuchtend
angeführt werden, andererseits der stete Streit und Zweifel, ob
902 Emanuel Trojan:
diese Tiere auch tatsächlich leuchten. Das eine steht aber
sicher, dass das Leuchten der Urtiere intermittierend ist, sich
also von dem der ebenfalls einzelligen Leuchtbakterien, die
Tage, Wochen, Monate, ja Jahre lang zu leuchten vermögen,
wesentlich unterscheidet. Dieser Unterschied ist von weittragender
Bedeutung. Molisch (1904) schreibt hierüber also: „Wenn
wir von den Peridineen absehen, so leuchten die Pflanzen stets
andauernd. Darin liegt ein auffaillender Unterschied gegenüber
dem Leuchten der meisten Tiere. Es gibt zwar unter den
Tieren solche, welche ein gleichförmiges, längere Zeit andauerndes
Licht ausstrahlen wie manche Lampyrisarten, allein im allgemeinen
ist die Lichtentwicklung bei den Tieren nur auf relativ kurze
Zeit, auf Minuten oder Sekunden beschränkt...“ Ich kann es
nicht unterdrücken, an dieser Stelle einer Vermutung Ausdruck
zu verleihen, dass im Laufe der Jahre eine stattliche Anzahl
von Tieren bekannt werden wird, die ein konstantes Licht auch
durch längere Zeiträume als Minuten ausstrahlen. Dies gilt
heute bereits ausser den Lampyrisarten von einigen leuchtenden
Käfern der Tropen, wahrscheinlich von Tiefseecephalopoden und
sicherlich von einigen leuchtenden Fischen. Namentlich die
letzteren sind in dieser Hinsicht von grossem Interesse. Brauer
sprach bereits vor vier Jahren die Vermutung aus, dass den
leuchtenden Fischen ein konstantes Leuchtvermögen zukomme.
Experimentell konnte dies aus dem Grunde nicht nachgewiesen
werden, da die Tiefseefische stets halb oder ganz tot in die
Hände der Forscher kamen. Nun war es Steche (1907) vor-
behalten, in der Nähe der Banda-Inseln zwei leuchtende Oberflächen-
fische, Photoblepharon palpebratus und Heterophthalmus katoptron
zu finden, an denen die Brauersche Vermutung verwirklicht
erscheint. Die Leuchtorgane dieser Fische leuchten beständig,
sofern sie nicht bei dem einen, dem letzteren, durch Muskelzug
um ihre eigene Achse derart gedreht werden, dass die licht-
ausstrahlende Seite nach innen zu liegen kommt, oder dem
anderen, dem ersteren, durch augenlidähnliche Hautfalten ganz
verdeckt werden. Die Muskelvorrichtung und die Hautfalten
funktionieren ganz willkürlich und sobald daher die Leucht-
organe dem Tiere auf operativem Wege genommen werden,
leuchten sie Stunden lang ohne Unterbrechung fort. Die Ein-
geborenen wissen sich dies zunutze zu machen und fangen mit
Leuchtende Ophiopsilen. 903
Hilfe dieser leuchtenden Köder andere Fische aus grossen
Tiefen. Natürlich hört endlich die Luminiszens dieser Leucht-
organe auf, aber nur deshalb, weil die Bedingungen nach der
Exstirpation für sie die ungünstigsten sind. Es ist auf Grund
dieser Entdeckung Steches mit grösster Wahrscheinlichkeit
anzunehmen, dass alle Leuchtorgane der Fische, an denen weder
eigene Muskelvorrichtungen, noch augenlidähnliche Hautfalten
vorhanden sind, auch ein konstantes Licht von sich geben.
Doch kehren wir zu der Erwägung zurück, die wir an die
Differenz im Leuchten der einzelligen Tiere und Pflanzen knüpfen
wollten. Molisch hat mit aller Sicherheit nachgewiesen, dass
die Luminiszens der Leuchtbakterien ein intrazellulärer Vorgang
sei, der keine Abscheidung von irgendwelchem Sekret zur Folge
habe. Wenn wir sehen, dass Noctiluca, Thalassicola und andere
Protozoen gereizt einigemal aufleuchten, dann aber geraume
Zeit dazu nicht gebracht werden können, erst nach einer
gewissen Ruhepause, liegt es da nicht nahe anzunehmen, dass
hier das Leuchten auf Kosten gewisser Stoffe vor sich gehe,
solange diese im Vorrate vorhanden sind, dass es aber sofort
aufhört, sobald dieser Vorrat erschöpft ist und dann auf sich
warten lässt, bis ein neuer sich wiederum angesammelt hat”
Was geschieht dann mit den verbrauchten Stoffen? Solche und
ähnliche Fragen drängen sich uns auf. Ich glaube, es kostete
viele und vielleicht auch vergebliche Mühe, die Antwort in
Untersuchungen bei Protozoen zu suchen, um von dieser Seite
der Lösung des Problems tierischer Luminiszens näher zu rücken.
Sehen wir daher nach, wie weit die Forschung hierin bei den
Metazoen gekommen Ist.
Es ist bekannt, dass mit der phylogenetischen Entwicklung
vom Ein- zum Mehrzelligen die Aufgaben, die auf der Zelle
des Urtieres lasten, auf verschiedene Zellen aufgeteilt wurden.
Diese waren die Grundlagen für Organe und ÖOrgansysteme,
Wenn wir nun sehen, dass schon gewissen Einzelligen das Ver-
mögen des Leuchtens innewohnt, so hindert uns nichts daran,
den Schluss zu ziehen, dass auch für diese Funktion im Laufe
der phylogenetischen Entwicklung besondere Einrichtungen ge-
troffen werden mussten. Dies scheint auch tatsächlich geschehen
zu sein. Die Lichtfunktion ist besonderen Zellen, den Leucht-
zellen und Zellgruppen, den Leuchtorganen zugefallen.
904 Emanuel Trojan:
Die Antwort auf die Frage, welcher Natur diese spezifischen
Zellen beziehungsweise Zellgruppen sind, kann nach dem heutigen
Stande der Forschung ganz bestimmt gegeben werden. Es handelt
sich in allen bisher untersuchten Fällen um Drüsenzellen, bei
höherer Entwicklung direkt um Drüsen. Diese Anschauung hat
wohi manchen Gegner, doch findet sie heutzutage viel mehr An-
hänger als ehedem. Es ist ja allerdings richtig, dass man sich
dort für berechtigt glaubt, von Drüsenzellen und Drüsen zu
sprechen, wo Ausführungskanäle und ausgeschiedenes Sekret nach-
gewiesen werden können. So wird niemand an der sekretorischen
Luminiszens zweifeln, wenn er leuchtenden Schleim von gewissen
Goelenteraten, Polychaeten, Crustaceen, Myriopoden, Mollusken
und Tunicaten abwischen kann, der auch fern von seinem Urheber
weiter leuchtet. Wie soll man aber von Drüsen sprechen, wenn
weder das eine, noch das andere oben angeführte Merkmal sich
auffinden lässt, so z. B. bei den Leuchtorganen der Leuchtkäfer
und Fische. Bei den letzteren hat man lange nach Ausführungs-
kanälen der Leuchtorgane vergeblich gesucht und deshalb auch
die Drüsennatur derselben nur mit einiger Skepsis zugegeben.
Indessen ist es Brauer (1904) gelungen, den Beweis für die
Drüsennatur der Leuchtorgane der Fische zu erbringen. Er
fand nämlich bei den Onchocephaliden und Ceratiiden Leucht-
organe, die offene Ausführungskanäle besitzen, sonst aber im Baue
mit solchen ohne Ausführungsgänge ziemlich übereinstimmen.
Es ist über jeden Zweifel erhaben, dass die letzteren aus den
ersteren hervorgegangen und daher auch echte Drüsen sind.
An den Leuchtorganen der Lampyriden und der meisten
Fische erkennen wir, dass die Luminiszens an keinem abge-
schiedenen Sekrete vor sich gehe, sondern direkt im Innern ge-
wisser Zellen zustande kommen muss. Das ist ein analoger Fall
zu der Luminiszens der Leuchtbakterien, die wir als intra-
zelluläre bezeichnen zum Unterschiede von jener, die an abge-
schiedenen Sekreten ausserhalb der Drüsenzellen vor sich geht
und die Bezeichnung extrazelluläre erhalten hat. Der Chemismus
des Leuchtprozesses ist weder hier noch dort bekannt. Am
ehesten zusagend erscheint die Photogentheorie, welche Molisch
(1904) vertritt. Das Leuchten soll nach der Ansicht dieses
Forschers bei dem chemischen Umsatze des hypothetischen
Leuchtstoffes, des sogenannten Photogens, erfolgen. Dieses ist
Leuchtende Ophiopsilen. 905
an und für sich offenbar höchst labiler Natur und da es über-
haupt nur in geringen Mengen vorhanden ist, schlagen alle Ver-
suche, es frei darzustellen, fehl. Molisch gibt aber die
Hoffnung nicht auf, dass dies endlich doch gelingen werde, wie
einst mit der Zymase.
Ist das Leuchten der Schlangensterne ein intra- oder extra-
zelluläres? Wenn ich die intrazelluläre Luminiszens so, wie
bisher üblich, definieren wollte, d.h. dass sie an einem Sekret
vor sich gehe, jedoch an einem im Inneren des Tieres ver-
bleibenden, so würde ich kaum des Wortes Bedeutung gerecht
werden und überdies gegen die Resultate meiner eigenen Unter-
suchungen sprechen. Intrazellulär sollte meiner Ansicht nach
bedeuten: innerhalb der Zelle sich abspielend und nicht inner-
halb des Tieres verbleibend. Reichensperger gebraucht diese
letztere Bedeutung. Sollte nun aber jemand, der seine Resultate
und die meinigen liest und die dazu gehörigen Darstellungen
betrachtet, glauben, dass alle jene Drüsenzellen Ausläufer umsonst
aussenden, mitunter solche von staunenswerter Länge, um nur
zur Oberfläche gelangen, ja dass sie selbst die Cutieula durch-
brechen? Reichensperger gibt selbst zu, dass es jedenfalls
zur Abscheidung einer Substanz kommen müsse, doch scheint
er nicht recht hiervon überzeugt zu sein, da er „bei Ophiopsila
nur zweimal, bei Amphiura nicht viel häufiger, äusserst spärliche
Restchen von Sekret in der Nähe der Ausführungsgänge der
Leuchtdrüsen auf der Citucula“ vorfand. Ich kann nun sagen,
dass ich und zwar gerade bei Ophiopsila mehr Glück hatte auf
eine wirkliche, ziemlich reiche Exkretion zu stossen, ausnahmslos
bei allen jenen keulen- bis kugelförmig aufgetriebenen Ausläufern,
die nicht die Oberfläche des Tieres erreichten. Es erfolgt also
tatsächlich eine Abscheidung, offenbar mehr oder weniger, je
nach dem Grade der Luminiszens: ich unterschätze sie nicht und
betrachte das Exkret direkt als verbrauchte Leuchtsubstanz,
nicht aber als einen Überschuss derselben. Es verbleibt also
meiner Ansicht nach das Sekret der Drüsenzellen weder im
Inneren derselben noch im Inneren der Tiere. Deshalb aber
will ich der intrazellulären Luminiszens, wie sie in der Tat bei
den ÖOphiuriden vorkommt, keinen Abbruch tun; war ich doch
seit ehedem dieser Ansicht und habe sie auch in meiner vor-
läufigen Mitteilung zu verfechten gewusst. Auf Grund meiner
906 Emanuel Trojan:
bisherigen Untersuchungen liegen die Verhältnisse also: Die
Träger des Leuchtvermögens der Schlangensterne sind sicherlich
Drüsenzellen. Diese gehören teils dem epithelialen Zellverbande
an oder sind weit unter das Epithel versenkt. Eine solche Zelle
für sich betrachtet mag etwa folgenden Entwicklungsgang nehmen.
Mit dem Regenerationsstadium beginnend reift sie unter stetem
Wachstum heran. Allmählich an Volumen zunehmend bildet sie
einen Fortsatz aus, dessen Ziel die Oberfläche des Tieres ist.
Dieser Fortsatz hat ebenso wie der Zellleib vornehmlich körnigen
Inhalt. Ich nehme an, dass er, wenn kein besonderer Reiz erfolgt,
die Oberfläche des Tieres erreicht, ohne jedoch zu leuchten. Bei
der reichlichen Zufuhr, die er seitens der stets wachsenden
Mutterzelle bekommt, kann er sich hier, wo das Gewebe nach-
giebiger ist als in den mit Kalk in krustierten tieferen Teilen,
erweitern, nimmt eine keulen-, kugel- oder pilzhutförmige Gestalt
an. So ist gewissermassen ein grosser Vorrat von entzündbarem
Leuchtstoff aufgestapelt, der auf einen Impuls wartet. Dieser
erfolgt seitens der Nerven infolge äusserer Reize mechanischer
oder chemischer Art. In einem solchen Moment, stelle ich mir
vor, setzt sich der körnige Inhalt in der Zelle und ihrem Aus-
läufer in einen schleimigen um und leuchtet. Für die Richtigkeit
dieser Anschauung sprechen auch histologische Befunde. Meine
und Mangolds Versuche an lebendem Material haben dargetan,
dass die Schlangensterne nur im gereizten Zustande leuchten,
namentlich schön unter dem Einflusse der scharfen Fixierungs-
mittel vor dem Tode. Dies zeugt gewiss davon, dass die grösste
Zahl der Drüsenzellen in voller Tätigkeit sich befindet. Wie
sieht nun die Mehrzahl dieser Zellen in den mikroskopischen
Schnitten aus? Die meisten sind teilweise oder total von homo-
genem Schleim erfüllt. Wenn schon vor dieser Art Entladung
etwas mehr von dem Leuchtstoffe unter der Oberfläche angehäuft
war. so nimmt das Volumen dieser Menge einesteils deshalb, weil
der Umsatz vom körnigen Zustande in den schleimigen an und
für sich eine Volumzunahme bedeutet, andererseits deshalb, weil
bei fortgesetztem Reize immer mehr von dem Stoffe nachfliessen
wird, natürlich zu. Daher die verschiedenen Stauungsformen.
Ich habe bereits oben darauf hingewiesen, dass bezüglich des
Inhaltes im Zellleib und dessen Fortsatz stets gleiche Zustände
obwalten: somit geht auch jener chemische Umsatz, der von der
Leuchtende Ophiopsilen. 907
Luminiszens begleitet sein dürfte, in der ganzen Zelle vor sich;
und das nenne ich intrazellulär. Dass der Leuchteffekt durch
solche Verhältnisse bedeutend gesteigert wird, ist leicht einzu-
sehen. Mit dem Leuchten setzt erst die Exkretion nach aussen
in Form einer Unzahl feiner Körnchen, in die sich der Leucht-
stoff verwandelt, ein. Diese Exkretion ändert an dem Wesen der
intrazellulären Luminiszens gar nichts, da sich jene Körnchen
bereits ausserhalb der Zelle befinden und gewiss nicht mehr
leuchten; daher misslingen auch alle Versuche, Leuchtsubstanz
von der Oberfläche der Tiere abzuwischen oder auf irgend eine
Weise überhaupt zu isolieren. Für die Drüsenzellen der Tentakel-
schuppen erfährt diese meine Erklärung des Leuchtprozesses nur
die Modifikation, dass der Vorrat an Leuchtstoff hier nicht wie
bei den Leuchtzellen der Stacheln und Ventralplatten durch einen
langen Kanal von der Mutterzelle getrennt ist, sondern seinen Platz
im Innern derselben einnimmt. Alles andere bleibt sich gleich.
Es ist meiner Meinung nach bei dieser spezifischen Art
intrazellulären Leuchtens geboten, die beiden Zustände der
Sekretion und Exkretion voneinander zu unterscheiden. Die
erstere beruht in der Erzeugung brauchbaren Leuchtstoffes, die
letztere in der Abgabe unbrauchbarer Zerfallsprodukte desselben.
An der Grenze dieser zwei Phasen vollzieht sich die Luminiszens.
Was aber die Definition intrazellulären Leuchtens überhaudt
anbelangt, so ist es am besten, von der Exkretion ganz Abstand
zu nehmen und zu konstatieren, dass dieses nur innerhalb gewisser
Zellen vor sich gehe; muss man doch ohnedies in den meisten
Fällen auf irgendwelche Abscheidung nach aussen überhaupt ver-
ziehten.
Man neigt heutzutage zu der Ansicht Giesbrechts (1895)
hin, dass nicht das lebende Plasma der Drüsenzellen, sondern
das von diesem ausgeschiedene tote Sekret leuchte. Wie weit
soll man dieser Anschauung in unserem Falle Raum geben? Es
ist wohl schwer zu sagen, wo das Leben in einer Drüsenzelle
aufhört und der Tod beginnt, keinesfalls aber möchte ich die
Phase, der ich das Leuchten hier zuspreche, dem Tode einräumen.
Ich glaube dies auf Grund der zahlreichen Experimente, die mit
lebendem Material ausgeführt wurden, tun zu dürfen. Es zeigte
sich allemal, dass die Luminiszens der Schlangensterne unter dem
direkten Einflusse des Nervensystems steht. Ich brauche dies-
908 Emanuel Trojan:
bezüglich auf meine vorläufige Mitteilung und meine histologischen
Befunde (S. 393) hinzuweisen, um eine Wiederholung zu ver-
meiden. Auch Mangold (1907) ist von dieser Tatsache über-
zeugt, denn er schreibt: „Die Fortleitung des Leuchtreizes erfolgt
allein durch die längs der Ventralseite der Arme verlaufenden
radialen Nervenstränge und von einem Arm zum andern durch
den Nervenring, der in der Körperscheibe den Schlund umgibt.
Durchtrennt man einen Radialnerven in der Nähe der Armbasis
durch Nadelstiche — auf Neurotomie mit dem Messer erfolgt
meist Autotomie des operierten Armes —, so bringt ein dem
neurotomierten Arme applizierter Reiz nur noch in diesem bis
zur Operationsstelle das Leuchten hervor, während am unver-
letzten Tiere unter sonst gleichen Bedingungen stets auch in den
anderen Armen reflektorisch ein Leuchten erfolgt. Im gereizten
Arme breitet sich der Leuchtreflex sowohl zentralwärts wie auch
nach der Armspitze hin aus.“ „Auch bei der Reizung der Haut
des Scheibenrückens tritt zugleich mit einer Dorsalkrümmung
der Armenden das Leuchten in allen Armen auf, im neurotomierten
jedoch bleibt jenseits der ÖOperationsstelle jede Erregung aus.“
Und weiter unten heisst es: „Der Vorgang der Luminiszens
steht also unter nervösem Einflusse und kann reflektorisch her-
vorgebracht werden“. Wäre es wohl möglich, frage ich nun,
dass Nervenimpulse einer toten Substanz ein so herrliches
Phänomen wie das des Leuchtens, abgewinnen könnten? Das
glaube ich nicht. „Jener leuchtende Stoff in unserem Falle ist
gewiss nicht tot, sondern erst sein körniges Endprodukt, das
nach aussen befördert wird. Noch mehr widerstrebt es meiner
Meinung, bei den meisten Leuchtorganen der Insekten, Cephalo-
poden und Fische, welche die Exkretion ganz aufgegeben haben,
von der Luminiszens eines toten Sekretes zu sprechen. Es ist doch
denkbar, dass dort gewisse Atomgruppen, die vielleicht leuchten,
sich durch den Leuchtprozess in ihre Elemente auflösen, die von
neuem in den Lebenskreislauf der Zelle treten. In Fällen extra-
zellulärer Luminiszens möge wohl Giesbrechts Ansicht ihre
Geltung behalten, doch das intrazelluläre Leuchten bei Tieren
möchte ich wie einst Molisch für Pflanzen „als ein Lebens-
licht im wahren Sinne des Wortes“ bezeichnen.
Der biologische Wert des Leuchtens von Ophiopsila annulosa
und aranea ist für uns bis heute ein Rätsel. Für die Annahme,
Leuchtende Ophiopsilen. 909
dass das Aufleuchten die Feinde der Tiere abschrecken sollte,
ist wenig Grund vorhanden, wenn man bedenkt, dass die ärgsten
Feinde eines Ophiuriden vornehmlich Echinodermen sind, auf
die ein solcher Lichteffekt wohl wenig Einfluss haben könnte.
Überdies hat auch Mangold (1907, S. 622) gezeigt, dass, wenn
die Ophiopsilen von gefrässigen Echinodermen angefallen werden,
sich diese um das Leuchten gar nicht kümmern. Die einzige
tettung einer Ophiopsila besteht darin, dass sie den vom Feinde
ergriffenen Arm abwirft und flüchtet. Indessen frisst der Feind
den weiter leuchtenden, sich krümmenden Arm ruhig auf. Auch
verhalten sich die Ophiopsilen gegen ihre verschiedenen Feinde
nicht gleich; es kommt vor, dass sie bei der Berührung mit
manchem überhaupt nicht aufleuchten. Auch aus einem anderen
Grunde muss die Annahme des Lichtes als Schreckmittel fallen
gelassen werden. Sämtliche Verfolger der Tiere sind positiv
heliotropisch; das Leuchten würde also gerade den verkehrten
Zweck erfüllen, statt des Abschreckens das Heranlocken von
Feinden bewirken. Allerdings könnte man nun daran denken,
dass weniger Feinde als eine grosse Zahl von kleinen Tieren,
die nach dem Lichte hinziehen, in die Nähe der Ophiopsilen
geraten und ihnen zum Opfer fallen. Demgegenüber muss aber
betont werden, dass die beiden Schlangensterne ungereizt nicht
leuchten. Überdies teilte mir Dr. Lo Bianco mit, dass beide
Arten sich an solchen Stellen aufhalten. die von Tageslicht ganz
durchleuchtet sind: dort vergraben sie sich im Sande.
Sollte also das Leuchten für diese Ophiuriden keinen
biologischen Zweck haben? Es würde mir schwer fallen, diese
Frage bejahend zu beantworten. Ich bin vielmehr der Ansicht,
dass wir zu wenig von dem Sinnesleben der Tiere wissen. Wer
weiss, welcher chemische Reiz mit dem Leuchten eines Schlangen-
sternes Hand in Hand geht und welche Wirkung er auf andere
Tiere oder vielleicht Artgenossen ausübt ?
Zusammenfassung.
Wenn ich die Resultate meiner Untersuchungen zusammen-
fasse, so lauten sie:
1. Die Träger der Luminiszens von Ophiopsila annulosa und
aranea sind Drüsenzellen (Leuchtzellen).
10
1869.
1904.
1900.
1891.
1895.
1864.
1889.
1901.
1905.
1899.
1907.
1885.
1904.
1907.
Emanuel Trojan:
2. Das Leuchten wird durch Stauungsformen, namentlich
bei Ophiopsila annulosa erhöht.
Die Luminiszens ist intrazellulär.
Sekretion und Exkretion halten sich das Gleichgewicht.
Das Leuchten steht unter direktem Einflusse des Nerven-
systems.
or m 0
Literaturverzeichnis.
Brady, G. and D. Robertsen: Notes of a week’s Dredging in
the West of Ireland. With 5 Pl. in: Ann. Mag. Nat. Hist., 4. Ser.,
Vol. 3, p. 353—374.
Brauer, A.: Über die Leuchtorgane der Knochenfische. Verh. deutsch.
Zool. Ges., S. 16—55.
Chiarini, B.: Richerche sulla struttra degli organi fosforescenti
dei pesci. Milano.
Cuenot, L.: Etudes anatomiques et morphologiques sur les Ophiures.
Arch. Zool. Exp., Ser. 2, T. 2.
Giesbrecht, W.: Mitteilungen über Copepoden. Über das Leuchten
der pelagischen Copepoden und das tierische Leuchten im allgemeinen.
Mitt. Stat. Neapel, Bd. XI, S. 648—689.
Grube: Die Insel Lussin und ihre Meeresfauna. Breslau.
Hamann, O.: Anatomie und Histologie der Ophiuren und Crinoiden.
Jen. Zeitschr., Bd. XXIII, Zugleich Heft 4 der Beiträge.
Derselbe: Ophiuroiden aus Bronns Klassen und Ordnungen. Liefe-
rungen 29—40.
von Lendenfeld: The Radiating Organs of the Deepsea Fishes.
Mem. Mus. Harvard Coll., Vol. XXX, S. 165—207. Mit 11 Taf.
Lo Bianco: Notizie biologiche. Mitt. Stat. Neapel, Bd. XIII.
Mangold, E.: Leuchtende Schlangensterne und die Flimmerbewegung
bei Ophiopsila. Arch. ges. Physiol., Pflüger, Bd. OXVII, S.613—640.
Me. Intosh: Opening Address of the phosphorescence of marine
animals. Nature XXXII, p. 476—480.
Molisch, H.: Leuchtende Pflanzen. Eine physiologische Studie.
Jena. 2 Taf., 14 Textfig., 168 S.
. Panceri, P.: La luce e gli organi luminosi di alcuni annelidi. Atti.
Acc. Napoli.
de Quatrefages, A.: Note sur une nouveau de phosphorescence etc.
Ann. Sci. nat. Paris, Ser. II, T. XIX.
Reichensperger, A.: Zur Kenntnis der Gattung Ophiopsila. Zeit-
schrift wiss. Zoologie, Bd. LXXXIX, H. 1.
Leuchtende Ophiopsilen. grt
1908a. Derselbe: Über Leuchten von Schlangensternen. (Vorl. Mitt.) Biolog.
Zentralbl. XXVIII, No. 5.
1908b. Derselbe: Die Drüsengebilde der Ophiuren. Zeitschr. wiss. Zoologie,
Bd. XCI, H.2. Mit 2 Taf. u. 5 Textfig., S. 304—350.
1857. Sars, M.: Bidrag til kundshaben om Middelhavest Littoral-Fauna.
Mit 4 Taf., Nyt. Magaz. f. Naturvid., Bd. 9, S. 110—164.
1907. Steche, Ü.: Leuchtende Öberflächenfische aus dem malayischen
Archipel. Verh. deutsch. Zool. Ges.
1907. Sterzinger, J.: Über das Leuchten von Amphiura squamata Sars.
Zeitschr. wiss. Zoologie, Bd. LXXXVII, S. 357—382, 2 Taf.
1908. Trojan, E.: Das Leuchten der Schlangensterne. Biolog. Zentralbl.,
Bd. XXVIIL, S. 343—353.
1905. Viviani, D.: Phosphorescentia maris. Genova.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXIV.
Allgemein gültige Bezeichnungen.
b = radiäres Blutgefäss. nh — radiärer Nerv des hyponeuralen
ce = Coelom. Nervensystems.
dl = Dorsalplatte. = Pigment.
dk, ds, dsk — Leuchtzellen. ph — Pseudohämalkanal.
u Hpineuralkangl. r = Radialkanal des Wassergefäss-
f = Füsschen. Ten
k = Körnchen. 3 ;
] = Lateralplatten. t = Tentakelschuppe.
la — Lateralstacheln. v = Ventralplatte.
ne — radiärer Nerv des eetoneuralen zZ == Zentralkörper.
Nervensystems.
Fig. 1. Querschnitt durch einen Arm von ÖOphiopsila annulosa. Vergr. 40.
Fig. 2. Querschnitt durch eine pilzhutförmige Stauungsform der Leucht-
drüsen-Ausführungskanäle von Ophiopsila annulosa. Mikrophoto-
graphie. Vergr. 400.
Fig. 3. Querschnitt durch einen Lateralstachel von Ophiopsila annulosa.
Mikrophotographie. Vergr. 200.
Fig. 4. Öberflächenschnitt von der Dorsalseite eines Lateralstachels von
Ophiopsila aranea mit Gruppen quergeschnittener Ausführungs-
kanäle. Mikrophotographie. Vergr. 400.
Fig. 5. Längsschnitt durch einen Lateralstachel von Ophiopsila aranea mit
dem Medianschnitt eines Hügels mit Ausführungskanälen ; im Innern
des Stachels Leuchtdrüsen. Mikrophotographie. Vergr. 400.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73. 59
912
Fig. 6.
Fi: 077.
Fig. 8.
Hig.-,9:
Fig. 10.
Fig. 11.
Fig. 12.
Emanuel Trojan: Leuchtende Ophiopsilen.
Paratangentialschnitt durch einen Stachel von Ophiopsila annulosa.
Verer. 200.
Querschnitt durch einen Lateralstachel von Ophiopsila aranea.
Vergr. 400.
Querschnitt durch eine Ventralplatte von Öphiopsila annulosa.
Vergr. 400.
Leuchtzelle in der Reifungsphase. Vergr. 1200.
Leuchtzelle in der Entleerungsphase. Vergr. 1200.
Leuchtzelle in der Regenerationsphase. Vergr. 1200.
Oberflächenschnitt von einer Tentakelschuppe von Ophiopsila annu-
losa. Vergr. 400.
913
Analyse der Reifungs- und Befruchtungsprozesse
des Eies von Cymbulia Peronii
nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung der Strahlung
neben den Kernen und über die Kopulationsbahn der Vorkerne.
Von
A. Nekrassoff, Moskau.
Hierzu Tafel XXXV—XXXIX und 17 Textfiguren.
Inhalt.
Einleitung.
I. Die Untersuchungsmethode.
II. Spezieller Teil:
Frühe Prophase der ersten Reifungsspindel.
Späte „ n 2 r
Metaphase E 5 x
Frühe Anaphase „ e 5
Späte e : 5 e
Telophase a 5 e
Prophase der zweiten Reifungsspindel.
Metaphase „
Anaphase „ a P
Telophase „ 5 -
Annäherung der Geschlechtskerne.
Stadium des Wachsens der Geschlechtskerne.
Stadium der inneren Differenzierung der Geschlechtskerne.
Prophase der ersten Furchungsspindel.
Metaphase „ }
III. Allgemeiner Teil:
1. Die Entstehung der Strahlung neben den Kernen.
2. Der Zerfall der Strahlung und die Entstehung derselben in
der zweiten Reifungsspindel.
3. Kopulationsbahn der Geschlechtskerne.
4. Die Permanenz der Zentrosomen und die Befruchtung.
Literaturverzeichnis.
Erklärung der Abbildungen.
59*
914 A. Nekrassoff:
Die Analyse der Vorgänge während der Reifung des Eies
und seiner Befruchtung bezweckt zweierlei:
I. klarzustellen, welchen Umwandlungen das Sperrmatozoon
im Eie unterliegt, welche Veränderungen ersteres im letzteren
hervorruft und auf diese Weise die Hauptmomente der Ver-
schmelzung der beiden Geschlechtszellen festzustellen (das Problem
der Befruchtung);
II. festzustellen, was das Studium dieser Vorgänge zum
Urteil über eine Reihe von Fragen beiträgt, welche von der
Zytologie gestellt werden (zytologische Probleme). Diejenigen
Fragen, welche das grösste Interesse für mich hatten, hat
Conklin folgendermassen zusammengefasst (02): „The nature
and metamorphosis of the centrosome and central spindle, the
origin and fate of the amphiaster, the characteristics and history
of the attractionsphere, the existence or non-existence of a specific
substance (Archoplasm, Kinoplasm etc.) whose primary function
is the division of the cell....the interrelation of nucleus and
cytoplasm during the various phases of division, the phenomena
and significance of the movements of the cells and cell constituents
and the chemical, physical and physiological principles involved
in the division of nucleus and cell body.“
Für den einen wie den anderen Zweck ist es wichtig, dass
die im Ei vor sich gehenden Prozesse in ihrem ununter-
brochenen Zusammenhange dargestellt werden. Nur unter
dieser Bedingung können wir uns darüber klar werden, welche
Prozesse im Innern des Eies Veränderungen in den Elementen
des Spermatozoon hervorrufen und welche nicht; und umgekehrt,
welche Veränderungen in den Elementen des Spermatozoon ihren
Einfluss auf das Ei und dessen Bestandteile ausüben. Der
ununterbrochene Zusammenhang des Bildes ist auch wichtig für
die zytologischen Zwecke. Die Elemente der Zelle erleiden
beständig Veränderungen. Um die Bedeutung irgend eines
Elementes in der Zelle zu einem gegebenen Moment zu bestimmen,
muss man dessen vorausgegangenen und nachfolgenden Zustand
kennen. Die Transformation eines Elementes steht ausserdem
im Zusammenhang mit den Veränderungen, welche zur selben
Zeit auch die übrigen Elemente erleiden. Daher ist es wichtig,
den gleichzeitigen Verlauf der Veränderungen aller Elemente der
Zelle, die der Beobachtung zugänglich sind, vor Augen zu haben.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 915
Durch diese Erwägungen werden die Grenzen und der
Plan meiner Arbeit bestimmt. Fine ununterbrochene Reihe von
aufeinanderfolgenden Stadien ohne Lücken wurde von mir ge-
sammelt, angefangen von der Prophasis der ersten Reifungsspindel
(Fig. 2).') Ich beginne die Beschreibung der Reifungsprozesse
und der Befruchtung von Cymbulia Peronii mit diesem
Stadium und setze dieselbe in chronologischer Reihenfolge bis
zum Stadium der Metaphase der ersten Furchungsspindel fort.
Dabei ist es unser Bestreben, die Elemente nicht getrennt
voneinander zu betrachten, sondern in ihrer zeitlichen und
räumlichen Beziehung (in einem gegebenen Moment, inmitten
der anderen Elemente). Diese Beschreibung bildet den Inhalt
des speziellen Teils. Den allgemeinen Teil der Arbeit bilden,
als Resultat der Analyse der beobachteten Prozesse bei COymbulia
Peronii, meine Betrachtungen über die morphologischen Be-
dingungen der Entstehung und des Zerfalls der Strahlenfiguren.
Sie werfen, wie mir scheint, einiges Licht auf die Ursache der
Annäherung der Geschlechtskerne, der sogenannten „Kopulations-
bahn“, deren morphologisches Bild bei Cymbulia Peronii
ich mich bemühte im speziellen Teil so klar und voll wie
möglich zu entwerfen. Deshalb betrachte ich diese Frage, deren
Entscheidung von allen für schwer gehalten wird (siehe z. B.
Kostanecki [06] S. 406), besonders ausführlich. Endlich gebe
ich in Kürze die Schlüsse wieder, zu welchen ich in der Frage
von der relativen Bedeutung der Elemente der beiden Geschlechts-
zellen zur ferneren Entwicklung des Organismus gelangt bin.
Über die Reifung und Befruchtung von Cymbulia Peronii
finden sich Angaben in den alten Arbeiten von Fol (75) und
O0. Hertwig (78 und 85). Als Objekt diente letzterem auch
die der Cymbulia nahestehiende Form Tiedemannia
Napolitana, aber alle von ihm beobachteten Tatsachen sind
bei beiden Formen identisch. Beide Forscher machten ihre
Beobachtungen an ganzen und lebenden Eiern. Fol bearbeitete
sie ausserdem mit Essigsäure. Ferner wies ich bei der Be-
schreibung der Vorgänge auf alles hin, was schon diese beiden
Forscher feststellten.
!) Das Fehlen des Stadiums, welches unmittelbar dem Stadium der
Fig. 2 vorausgeht, bildet einen sehr bedeutenden Mangel des tatsächlichen
Teils meiner Arbeit.
916 A. Nekrassoff:
I. Die Untersuchungsmethode.
Ich benutzte keinerlei neue Methoden der Fixierung, Ein-
bettung und Färbung. Ich fand, dass von den verschiedenen
Fixierungsarten sich eine Mischung von in zwei Teilen Wasser
gelöstem konzentriertem Sublimat mit Essigsäure im Verhältnis
von 3:1 als die geeignetste erwies. Flüssigkeiten, welche Osmium-
säure enthielten, erwiesen sich für meine Objekte als untauglich.
Die Einbettung war eine zwiefache, in Paraffin-Zelloidin. !)
Die Hauptfärbungsmethode bestand in Hämatoxylin-Eisenalaun
nach Heidenhain. Die vorausgehende Färbung mit Bordeaux-
rot und eine Ergänzungsfärbung mit Kongo ergaben keinerlei
Vorteile, wenn sie die Bilder auch nicht verdarben, welche mit
der gewöhnlichen Methode von Heidenhain erlangt wurden.
Um die Zentrosomen in der Telophase der ersten Reifungs-
spindel sichtbar zu machen, wenn die Chromosomen sich dicht
um die Zentrosomen gruppieren und diese verdecken, wurde mit
Erfolg die spezielle Färbungsmethode für Zentrosomen von
Heidenhain angewandt, wie er sie in der Zeitschr. f. wissensch.
Mikr. 1896, Bd. 13 angibt. Hierbei wurden die Chromosomen sehr
schwach gefärbt und die Zentriole des Zentrosoms war durch
die Chromosomen hindurch als bestimmtes Körperchen sichtbar,
das von einer regelmässigen Scheibe des Zentroplasma umgeben
war. Gute Resultate lieferte ebenfalls die Färbung mit Delafields
Hämatoxylin, obwohl das Bild nicht so elektiv war, wie bei
Bearbeitung mit Heidenhains Eisenhämatoxylin. Ausserdem
wandte ich auch andere Färbungsmethoden (Hämalaun, Safranin-
Lichtgrün und andere) an.
Das Material sammelte ich auf der Russischen zoologischen
Station in Villefranche-sur-mer, während der Monate
der Eiablage, das heisst im April und Mai. Dieses bot keine
grossen Schwierigkeiten, wenn die Tiere nur gefangen waren.
Leider ist der Fang der Tiere offenbar sehr von Wind und
Wetter abhängig. Es gab Wochen, in denen in der Bucht nicht
!) Dieses Einbetten vereinigt, zum Gegensatz von Rawitzs Meinung (07),
die guten Eigenschaften der beiden Methoden, und schliesst die Mängel jeder
einzelnen aus. Der Dotter krümelt nicht aus, wie es beim Einbetten in
Paraffın allein oft der Fall ist, und es können sehr feine Schnitte, bis zu
3 «u, erzielt werden.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 97
eine einzige Cymbulia vorkam. Ein besonderes Missgeschick
in dieser Beziehung waltete während meiner Anwesenheit in
Messina im April und Anfang Mai 1906, wo ich, mich an
Fols Angaben haltend, ein reiches Material für Cymbulia zu
sammeln hofite. Trotz der eifrigsten Bemühungen wurden
Uymbulia nur zweimal gefangen. Es ist möglich, dass dieser
Umstand mit dem kalten Wetter und den häufigen Siroccowinden
jenes Frühlings im Zusammenhang stand. Es war zur Zeit der
starken Vesuveruptionen. Die gefangenen Tiere wurden in grosse
Kristallisatoren gebracht, in denen das Seewasser sorgfältig
zweimal täglich gewechselt wurde. In solchen Kristallisatoren
lebten die zarten Tiere zwei bis drei Tage. Die Eiablage begann
schon am selben Tage, an dem die Tiere gefangen waren, oder
in der folgenden Nacht, oder dem darauffolgenden Tage. Die
gewöhnlichste Zeit der Eiablage waren die Stunden von 2—3 Uhr
nachts, oder (seltener) von 12—3 Uhr tags.) Die Eier werden
in langen Ketten abgelegt, deren Glieder einzelne Päckchen
darstellen, von denen jedes einige Dutzende von Eiern enthält.
Alle Eier ein und derselben Kette befinden sich mit geringen
Schwankungen in demselben Stadium; um also ununterbrochen
den ganzen Prozess der Reifungsteilungen und Befruchtung zu
verfolgen, war es genügend, alle 2—3 Minuten von der Kette
einige Päckchen abzuschneiden, sie zu fixieren und in bestimmter
teihenfolge aufzubewahren. Im Moment der Ablage durchlaufen
dıe Eier ein Stadium, das ich das Stadium der späten Prophase
der ersten Reifungsspindel nenne, die der Fig. 5 entspricht.
Die aufeinanderfolgenden Stadien, welche die Eier im Innern
des Tieres in den Geschlechtswegen durchlaufen, sind eben aus dem-
selben Grunde, welcher die Verfolgung der aufeinanderfolgenden
Stadien bei den abgelegten Eiern so leicht macht, schwierig zu
sammeln — alle reifen Eier (d.h. diejenigen, welche ihre maximale
Grösse erreicht haben) befinden sich in ein und demselben Stadium.
Unter diesen reifen Eiern fand ich bei den von mir geöffneten
Tieren immer nur das Stadium Fig. 2 mit dem schon einge-
drungenen Spermatozoon und gut entwickelten Zentrosomen der
ersten Reifungsspindel. So gelang es mir denn nicht, das wichtige
') Fol weist darauf hin, dass Oymbulia in Messina zu jeder Tages-
zeit die Eier ablegte.
918 A. SNre/kriarssott:
Stadium des Moments des Eindringens des Spermatozoon und
des ersten Auftretens dieser Zentrosomen zu erhalten.
Ausserdem wurden alle diese Prozesse von mir auch an
lebenden abgelegten Eiern kontrolliert.
II. Spezieller Teil.
Die frühe Prophase der ersten Reifungsspindel.
Fig. 2 stellt das Stadium des schon befruchteten, aber noch nicht
abgelegten, d. h. noch in den Ausführgängen befindlichen Eies
dar. Seine Form ist eine polygonale in Abhängigkeit von dem
Drucke, den die Eier aufeinander ausüben, während sie sich in
denselben befinden.
In diesem Stadium kann man am Eie unterscheiden:
I. zwei Zentrosphären (mit diesem Ausdrucke bezeichne ich
nach Vejdovsky und Mrazek (03, S. 407) die Gesamtheit der
Elemente, die weiter unten unter den Buchstaben a, b, ce, d auf-
gezählt sind); sie bestehen aus
a) den Zentriolen,
b) den Zentrosomen (nach Boveri), die sie umschliessen !),
c) den Sphären, besonderen Zonen, um die Zentrosomen
herum, wo die einzelnen Strahlen nur mit grosser Mühe
unterschieden werden können,
d) den wenigen Strahlen, die in der Richtung vom Zentrosom
zum Innertum des Kernes gehen.
In diesem Stadium stellt das Zentrosom eine Zone vor, die
heller ist, als die dasselbe umgebende Sphäre. In seinem Zentrum
befinden sich eine oder mehrere dicht aneinanderliegende
Zentriolen. Ihre unregelmässige Gestalt ist für das gegebene
Stadium sehr typisch. Dieser Umstand hängt nicht vom Misslingen
der Färbung ab, da ich an ein und denselben Präparaten ver-
schiedene Färbungsarten anwandte und dasselbe Resultat erhielt.
Dieses ist um so interessanter, als die Zentriolen der Stadien
!) Beiläufig mache ich hier die Bemerkung, dass der Ausdruck „Zentro-
plasma“ ferner von mir so gebracht wurde, wie Boveri (01) ihn anfangs
verstand, d.h. zur Benennung derjenigen Substanz, des Plasma, woraus das
Zentrosom besteht und nicht in dem Sinne, den ihm Vejdovsky später
(03, 07) beilegte.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 919
der späten Anaphase und Telophase, zuweilen auch der Metaphase
der ersten Reifungsspindel, im Gegensatz zu den Zentriolen der
frühen Prophase sehr akkurate kleine Körperchen darstellen, und
nie mehr als in der Zweizahl auftreten. Um ein solches Zentro-
som ohne jegliche Spur irgend einer Membran bildet sich die
Sphäre wie ein unregelmässiger Stern, der etwas dunkler ist als
das Zytoplasma.
Il. Den Kern, in dem man unterscheiden kann:
a) die Chromosomen,
b) einen grossen Nukleolus,
c) das Achromatinnetz des Kernes,
d) durch Heidenhains Eisenhämatoxylin dunkel färbbare
rundliche Körper, offenbar in den Netzknoten.
Wie sich die Chromosomen der ersten Reifungsspindel vor
dem Stadium bilden, das auf Fig. 2 dargestellt ist, ist mir unbe-
kannt. In diesem Stadium liegen in allen Eiern ohne Ausnahme
im ganzen Eileiter die Chromosomen in Ringen oder Halbringen
um die beiden Zentrosomen im Gebiet des hellen Kernsaftes,
fast auf der Grenze desselben mit den Sphären. Scheinbar bilden
ihren Grundtypus zwei biskuitförmige Körperchen, die einander
mit ihrer Längsachse dicht anliegen. Das Durchdringen der Strahlen
ins Innere des Kernes und die Lage der Chromosomen zuerst
am Achromatinnetz des Kernes und dann an den Fasern der ent-
stehenden Spindel bringen jene verschiedenartigen Veränderungen
hervor, welche ihre Form während des Überganges aus der
Prophase zur Metaphase erleidet und die wir in unserer vor-
läufigen Mitteilung nachwiesen (03). Längs der jungen Zentral-
spindel wird diese Veränderung der Form der Chromosomen vor
allem bemerkbar. Sie prägt sich aus: 1. dadurch, dass die beiden
an dem einen Ende gleichsam wie verlötet oder zu einem Knoten
verknüpften Zweige des Chromosoms am andern Ende auseinander-
treten; 2. dadurch, dass dasselbe sich in der Richtung der Fasern
streckt, an die es befestigt ist. Die Schwankungen in der Form
hängen in bedeutendem Maße von dem Anheftungspunkt des
Chromosoms an den Spindelfasern ab. Fig. 4 zeigt, dass der
Prozess der Veränderung der Form sich auf eine immer grössere
Zahl von Chromosomen erstreckt, nach Massgabe dessen, wie
eine immer grössere Menge von Strahlen, die von beiden Zentren
ausgehen, einander begegnend, die Spindelfasern bilden.
920 A, Nekriassotf:
In eimigen Eiern der frühen Prophase wurde folgende
interessante Anomalie beobachtet. Die Umrisse der Chromosomen
solcher Eier unterschieden sich durch nichts von denen anderer
Eier derselben Serie, aber die Chromosomen färbten sich mit
Heidenhains Hämatoxylin nicht durchgehend schwarz, sondern
hatten das Aussehen von hellen Bläschen, in deren Innerem man
schwarze Granulae und ein schwaches Lininnetz bemerken konnte
(Fig. 5). In einer Serie von Schnitten des Ausführganges (mit
einer Kette Eier in seinem Innern), die auf ein und denselben
Objektträger geklebt waren, folglich ein und derselben Bearbeitung
unterworfen waren, konnte man einzelne Eier mit diesen difieren-
zierten Chromosomen unterscheiden. Ihre Lage an verschiedenen
Stellen der Schnitte, unter einer Menge Eier mit „normalen“
Chromosomen, schloss, scheinbar, ganz die Voraussetzung aus,
dass diese Anomalie von der Bearbeitungsweise oder von der
verschiedenen Entfärbungsdauer in Abhängigkeit stehe. Dieses
war die Eigenschaft bestimmter Eier, welche ich wiederholt auf
jedem Schnitt an solchen Eiern beobachtete. Vielleicht hatten
wir es hier mit einer pathologischen Erscheinung zu tun?
Warum entwickelten sich dann in späteren Stadien alle Eier so
regelmässig?
III. Das Zytoplasma, in welchem sich unterscheiden lassen:
a) der grobkörnige Dotter,
b) der feinkörnige Dotter,
c) das Spermatozoon, das in a) den verdickteren schrauben-
förmigen Kopf (auf Fig. 2 nur der Kopf) und b) den
feinen Schwanz zerfällt!) (Fig. 3, wo ein Spermatozoon
im selben Stadium sich befindet).
Neben einigen Gruppen der abgelegten Eier fand ich in
grosser Menge Spermatozoen, die offenbar den Überschuss vor-
stellten, der übrig geblieben war, als alle Eier befruchtet waren.
Fig. 1 stellt ein solches Spermatozoon dar. Der schraubenförmige
!) Diese Teilung des Spermatozoon in Schwanz und Kopf wird hier
aus praktischen Gründen aufgeführt. Es gelang mir nicht im Innern des
Eies am Spermatozoon irgend eine Differenzierung in irgendwelche anderen
Elemente zu entdecken. Aber ohne Zweifel kann nur das Studium der
Spermatogenese die Möglichkeit einer wahren Homologie dieser Teile des
Cymbulia-Spermatozoon mit denselben anderer Tiere bieten. Pictets
Arbeit (91) ist in dieser Hinsicht ganz veraltet.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 9217
Kopf ist auf Fig. 1 etwas aufgerollt dargestellt; öfter aber werden
Exemplare gefunden mit regelmässiger gewundenen Umgängen,
die oft so enge gewunden sind, dass sie das Aussehen einer
ganzen Reihe von Ringen bieten, die auf eine gerade Achse auf-
gereiht wurden. In dem im Ei eingedrungenen Spermatozoon
(Fig. 3) wird die Zahl der Windungsumgänge viel kleiner und
der vordere Teil des Spermatozoons bedeutend dicker. Sich auf
diese Art fortbewegend, rollt das Spermatozoon im Innern des
Eies seinen Kopf auf und verdickt ihn. Diese Bewegung erfolgt,
wie es scheint, nicht auf irgend einem bestimmten Wege, zur
Zeit der frühen Prophase, da in diesem Stadium das Spermatozoon
oft auch weit vom Kern im Dotter und neben dem Kern in einer
kleinen Zytoplasmaparzelle gefunden wird, die frei von grob-
körnigem Dotter ist. Wenn wir aber die folgenden Stadien zum
Vergleich heranziehen, können wir voraussetzen, dass das Sper-
matozoon, wenn es einmal an eine von grobkörnigem Dotter freie
Stelle geraten ist (Fig. 2 und Textfig. 1), sich nicht von neuem
in das grobkörnige Dotter begibt.
IV. Die Eihülle.
Das allgemeine Bild der frühen Prophase weist darauf hin,
dass zu dieser Zeit eine energische Umbildung in den Elementen
des Eies stattfindet, da
l. der Kern stark runzelig geworden ;
2. an zwei Stellen die Hülle des Kernes geschwunden ist;
3. an diesen Stellen, gerade auf der Fortsetzungslinie der
Kernhülle die Zentrosomen erschienen sind;
4. um diese eine fast wie das Zytoplasma gefärbte Sphäre zu
sehen ist, die sternförmig in das Innere des Kernes eindringt;
5. von ihr ins Innere des Kernes schwache Strahlen führen ;
6. diese Strahlen einen Teil des Achromatinnetzes umfassen,
das sich zu Spindelfasern umbildet, die in der Nähe einer
die beiden Zentrosomen verbindenden geraden Linie liegen.
Der grössere Teil des Achromatinnetzes ist aber noch
unberührt;
7. eine Reihe dunkler Körper, die am Achromatinnetze des
Kernes sichtbar sind und die wahrscheinlich auch zur
Bildung der Spindelfasern beiträgt, da diese Körperchen
dort, wo mehr Strahlen sind, in geringerer Zahl vor-
handen sind;
922 A. Nekrassoff:
8. einige von den Chromosomen häufen sich um die Sphären
in Halbkreisen an, die anderen geraten allmählich in die
Äquatorialebene der sich neu bildenden Spindel;
9. das Feld des dotterfreien Zytoplasmas beginnt sich um
den Kern zu bilden.
Die Zentrosomen sind die Zentren dieser Umbildungsprozesse.
Zuerst bildet sich um dieselben die Sphäre, später die Strahlung.
Da die Zentrosomen, wie oben erwähnt, sich auf der durch-
brochenen Linie der Kernhülle an der Grenze des Kernes und
des Zytoplasma befinden, so ist die Teilnahme. der Elemente
beider an der Entstehung der Strahlung sehr wahrscheinlich. !)
Bei Cymbulia peronii spricht dafür indirekt gleichfalls auch:
1. die Zusammenschrumpfung des Kernes, was in dieser Phase
auch bei vielen anderen Tieren beobachtet wurde und 2. die
ringförmige Anordnung der Chromosomen im Innern des Kernes
um die Sphären.
Beide Tatsachen können als Symptome der Teilnahme der
Kernelemente an der Bildung der strahligen Produkte angesehen
werden: die erste — als Resultat des Verbrauchs des Kernsaftes
und der Störung in der Osmose des Kernes; die zweite — als
irgend eine Bewegung zu den Zentren der Strahlenbildung der
Kernkongredienten. ?)
Die späte Prophase. Dieses Stadium entspricht dem
Moment der Eiablage, wo die Eier beim Verlassen der Geschlechts-
wege Kugelform annehmen. Es wird durch ein rasches Wachsen
der Strahlen charakterisiert, welche nach allen Seiten sich ver-
!) Ferner sage ich im allgemeinen Teil meiner Arbeit, dass die Ent-
stehung der Strahlen mit deren Zentren in der nächsten Nähe des Keimbläschens
eine im Tierreich sehr verbreitete Tatsache ist.
2) Es ist interessant, diese Beobachtungen mit den Daten der Münchener
Schule R. Hertwigs in der Frage über den Ursprung der Chromidien zu
vergleichen. Die Chromatinschleifen häufen sich im Innern des Kerns an
dem Teile seiner Hülle an, wo in unmittelbarer Nähe der letzteren im Zyto-
plasma die Chromidien auftreten. Goldschmidt und Popoff erblicken
darin eine Ähnlichkeit in der Bildung der Chromidien in den Oogonien von
Paludina und Helix und derjenigen des spongiösen Zentrosoms bei
Actinosphaerium (vergl. Popoff [07], Goldschmidt und Popoff [07]
und R. Hertwig [99]). Auf diese Weise wird in diesen Fällen das Auftreten
der neuen nicht stabilen Elemente im Zytoplasma unmittelbar neben dem
Kern von einer Bewegung der Chromatinelemente zur Hülle des Kernes hin
begleitet.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 923
breiten, die Zone des grobkörnigen Dotters erreichen und, in das
Innere des Kernes eindringend, im Zentrum mit den Strahlen
der entgegengesetzten Seite sich zu einer Spindel vereinigen.
Das Lininnetz des Kernes verschwindet fast ganz, indem es
wahrscheinlich am Aufbau der Spindel teilnimmt. Die dunklen
Körperchen an demselben bleiben nur an den von der Achse der
Spindel entferntesten Stellen übrig. Ob sie sich in der Zwischen-
substanz der Fasern auflösen oder eine Umwandlung der Granulae
in die Fadensubstanz stattfindet, wie Conklin (02) meint, ist
schwer zu entscheiden. Eines kann ausser allen Zweifel gestellt
werden, dass nämlich die allmähliche Vernichtung der
Granulae'!) mit der allmählichen Entwicklung der
strahligen Bildungen im Innern des Kernes im Zu-
sammenhang steht (Fig. 2 und 4).
Der Kernsaft bleibt deutlich erkennbar hell, besonders an
den von der Spindelachse entfernteren Stellen. Einige Ver-
dunklungen desselben im Gebiet der sich bildenden Spindel (Fig. 6)
müssen vielleicht durch die Dichtigkeit der Strahlen erklärt werden,
die hier den Kern durchziehen. Der Nukleolus verkleinert sich
merklich.
Die Chromosomen streben sich in Form einer Äquatorial-
scheibe anzuordnen. In dieser Periode, wo sowohl die frühere
Verteilung des Achromatinnetzes, wie die neue der Spindelfasern
wirken, sind die Formen der Chromosomen besonders mannigfaltig.
Das dotterfreie Zytoplasma fährt in dieser Zeit fort, sich
um die Zentrosomen anzuhäufen, während der grobkörnige Dotter
') Kr. Bonnevie (05) zeichnet auf seinem Schema (Fig. 18) solche
Körnchen, die ihrer Lage nach den Körnchen jenes Teils des Kernes auf
meiner Fig. 4 entsprechen, wohin die Polstrahlen noch nicht gedrungen sind.
Man muss bemerken, dass diese Körnchen später verschwinden als die Kern-
membran und dann wird die Übereinstimmung des Bildes mit dem Schema
von Bonnevie noch grösser. Bonnevie versichert, dass diese Körnchen
sich in beiden Tochterzellen verteilen, wo sie auch resorbiert werden. Sie
bemüht sich eine Parallele zwischen solchen Bildern der Chromatinkörnchen
bei Enteroxenos und den eigentümlichen Funden Giardinas (01) bei
Dytiscus zu ziehen. (Siehe auch Bonnevies spätere Arbeit [06], Seite 351
und weiter.) Bei Öymbulia lösen sich diese Körnchen alle — falls ich die
Parallele mit den Körnchen von Enteroxenos richtig ziehe — im Stadium
der Metaphase auf. Zu Ende dieses Stadiums gibt es gar keine Körnchen
mehr. Die später erscheinenden Körnchen sind anderen Ursprungs, besonders
die in den Tochterzellen.
924 A. Nekrassoff:
sich weiter an die Peripherie begibt, der feinkörnige Dotter sich
zwischen diesen zwei Zonen lagert, indem er, soweit dieses möglich
ist, in den Zwischenraum zwischen den Strahlen eindringt.
Mit einem Wort greift der Prozess der zentripetalen Be-
wegung der einen Elemente der Eizelle, und der zentrifugalen
der andern, von einer Umformung desselben begleitet, weiter und
weiter um sich, immer grössere Partien der Eizelle umfassend.
Ausserdem bewegt sich gleichzeitig die ganze karyokinetische
Figur mit dem sich umbildenden Kern zur Peripherie hin. Der
Beginn dieser Bewegung findet gleichzeitig (weshalb ist unbekannt)
mit: a) der Eiablage im Seewasser!) und b) mit. der Veränderung
der polygonalen Form des Eies in eine Kugel statt.
Die Polstrahlen, die vom äusseren Zentrosom zur Eihülle
gehen, erreichen letztere. Hierbei rückt der Dotter vom Pol
seitwärts ab und die Eihülle wird etwas ausgestülpt, wie wenn
es vom Drucke der Strahlen bewirkt würde.
Der Spermakopf fährt fort, sich auseinander zu rollen, zu
verkürzen und zu verdicken?) (Fig. 6).
Die Metaphase (Fig. 7, 8 und 9). Dieses Stadium wird
durch folgende Eigentümlichkeiten charakterisiert:
Die Zentrosomen sind in Gestalt regelmässiger, rundlicher
Körper mit einer Zentriole?) im Innern eines jeden wieder gut
sichtbar. Die Entfernung zwischen ihnen erreicht ihr Maximum ®).
Die Länge der Strahlen erreicht ebenfalls ihr Maximum. Dabei
verengt sich die Spindel, welche vollständig ausgebildet ist,
ein wenig.
Vom Lininnetz, den dunklen Körperchen an demselben und
der Hülle des Kerns bleibt keine Spur mehr. Der Nukleolus
!) Vergleiche Foot und Strobell (05).
?) Diese Phase, die dem Moment der Eiablage entspricht, beobachtete
Fol (75). Er stellte fest, dass in derselben das Keimbläschen im lebenden
Ei fehlt (d.h. unsichtbar ist) und unterschied im Ei eine protoplasmatische
und eine Nährsubstanz. Zwischen ihnen bemerkte er eine Schicht von kleinen
lichtbrechenden Körperchen. Fol sah ebenfalls zwei Sterne — einen peripheren
und einen zentralen.
3) Zuweilen, wenn auch selten, besteht ein gewisser Unterschied in
der Grösse der Zentriolen. Die Zentriole des äusseren Zentrosoms ist zuweilen
kleiner als die des inneren (Fig. 6 und 7).
#) Bei der Vergleichung der Grösse der Kerne und Spindeln nach den
Tafelabbildungen muss-man auf die verschiedene Vergrösserung aufmerksam
sein (s. 8. 995).
Das Ei von Öymbulia Peronii. 925
wird ebenfalls sehr schnell kleiner, befindet sich, wenn die Kern-
membran gänzlich schwindet, in Gestalt eines stark verkleinerten,
mit scharfen Umrissen versehenen Körperchens, das vollkommen
rund ist und oft in seinem Innern kleine Vakuolen am Äquator
der Spindel (Fig. 7, Textfig. 7) aufweist und schliesslich gleich-
mässig hinschmilzt. Sein Platz am Äquator ist sehr typisch für
das Stadium der Metaphase.. Zum Ende dieses Stadiums löst er
sich gänzlich im Zytoplasma auf.
Der Kernsaft ist im Gebiet der Spindel weniger hell, da-
gegen sind aber die Zentrosomen von einem hellen Felde um-
geben, den hellen Sphären, innerhalb deren sich die Strahlen
verlieren.
Die Chromosomen bilden die Äquatorialplatte, indem sie
sich in der Richtung der Spindelfasern lagern.
Die Verteilung des dotterfreien Zytoplasma und des fein-
und grobkörnigen Dotters in Zonen erreicht sein Ende.
Auf diese Weise erreicht der Prozess, der zur Bildung der
karyokinetischen Figur führte, seinen Höhepunkt — statt des
Lininnetzes mit den dunklen Körperchen, der Kernmembran und
dem Nukleolus, die vollkommen verschwunden sind, haben sich
vollständig neue Elemente gebildet: die Zentrosphären mit ihren
Bestandteilen und die Spindel. Gleichzeitig hören die Bewegungen,
deren oben erwähnt wurde und die diese Umbildungen begleiteten,
auf — es tritt ein relatives Gleichgewichtsstadium ein. Das
Stadium der Metaphase hält ohne bemerkbare Veränderungen
über eine Stunde an, wobei der ganze Prozess der Reifungs-
teilungen und Befruchtung bis zum Beginn der Furcehung nicht
länger als drei Stunden dauert. Eine so langandauernde Periode
dieser Phase wurde mehrmals an vielen andern Objekten beobachtet.
Man hätte dieses Stadium offenbar mit vollem Recht ais das
„Ruhestadium“ bezeichnen können, und zwar mit mehr Recht, als
jenes Stadium, das gewöhnlich so benannt wird. Drüner (95)
nennt die Metaphase „Stadium der Vergrösserung der inneren
Spannung“ „in erster Linie dadurch, dass die Verbindungsfasern
zwischen Polen und Chromosomen, die Mantelfasern, sich immer
stärker anspannen“. Es wäre am richtigsten, die Metaphase als
Stadium des „relativen Gleichgewichts“ der Zellelemente zu be-
zeichnen. So wäre der zu starke Ausdruck „Ruhestadium“ ver-
mieden und eine solche Bezeichnung würde die Ursache dieses
926 A. Nekrassoff:
Gleichgewichts nicht ausschliesslich im Zustand der Spindel-
fasern suchen.
Der Kopf des Spermatozoon verkürzt sich während der
Metaphase und schwillt noch mehr an.
Fig. 1.
Die frühe Prophase der ersten Reifungsspindel.
Schnitt etwa x 500. S. — Spermakopf.
Seine korkenzieherförmige
Gestalt (Fig. 2 und 4)
verschwindet und wird
durch eine Gurken- oder
Birnenform ersetzt. Der
Schwanz schwillt eben-
falls an, d.h. er wird
etwas dicker und ver-
liert seine scharf aus-
geprägten Umrisse. In
der frühen Prophase,
wo die Polstrahlen noch
sehr klein sind, ist der
Spermakopf den Zentro-
somen oft mehr genähert
(Textfig. 1) als später-
hin. Mit dem Aus-
wachsen der Strahlen
wird das Spermatozoon in die Zone des feinkörnigen Dotters,
zwischen dem grobkörnigen Dotter und der karyokinetischen
Figur, gestossen. Ich habe nicht bemerkt, dass das Spermatozoon
irgend einen Einfluss auf den karyokinetischen Prozess im Ei
ausgeübt hätte. Im Gegenteil
bestimmt der letztere das
Feld, in dem sich das Sper-
matozoon bis zur Verwand-
lung seines Kopfes in den Kern
bewegt. Fig. 2, 4, 6 und 7
und Textfig.2, 3 und 4 zeigen
dieses Feld — die Zone des
feinkörnigen Dotters. In dieser
Zone kann das Spermatozoon
sich sowohl ganz an der Peri-
pherie des Eies, wie auch
an einem von derselben ent-
fernteren Platze befinden.
Fig. 2.
Die spätere Prophase der ersten
Reifungsspindel. Schnitt etwa x 500.
S. —= Spermakopf.
. r . .. avi
Das Ei von Cymbulia Peronii. 927
Textfig. 4 zeigt den Schnitt, der durch die Zone des feinkörnigen
Dotters und durch den grobkörnigen Dotter geht. In der ersten
Zone befindet sich der Kopf des Spermatozoon mit dem von ihm
abzehenden Schwanz; Schnittteile des Schwanzes liegen ebenfalls in
dieser Zone; der Schwanz
zieht sich hinter dem Kopf
her und kann eine sehr
gebogene (aber nicht fein-
wellenförmige) Linie (wie
das nach der Abtrennung
des Kopfes vom Schwanze
stattfindet) bilden.
Zuweilen bemerkt man den
Schwanz auf den Schnitten
mitten im grobkörnigen
Dotter, wo das Sperma-
tozoon wahrscheinlich nach
dem Eindringen ins Ei
hindurchging.
Fig. 3.
Metaphase der ersten Reifungsspindel.
Schnitt etwa x 500. S. = Spermakopf.
Von den Details der Metaphase verdienen unsere Aufmerk-
samkeit folgende drei Erscheinungen: 1. die Herkunft der Mantel-
fasern, 2. ihre Beziehung zu den Chromosomen, d.h. die Abhängigkeit
der Form der letzteren von der Anheftung an die Fasern, 3. die
Prozesse, welche zu der Zeit an den Polen des Eies stattfinden.
Fig. 4.
Spermatozoon in der Zone des feinkörnigen
Dotters. Schnitt etwa x 500. S. = Sperma-
kopf; Schw. —= abgeschnittene Teile des
Schwanzes.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73.
In der vollkommen
ausgebildeten Spindel von
Cymbulia kann man
diekere Fasern unter-
scheiden, die zu den Chro-
mosomen hinziehen (man
könnte diese Fasern
„Mantelfasern*“ nennen)
und dünnere Fäden der
Zentralspindel. Der Aus-
druck Mantelfasern wird
von mir jedoch nach Ana-
logie mit anderen Objekten
gebraucht; er begreift hier
nicht alle dieEigenschaften,
60
928 A. Nekrassoff:
die ihm gewöhnlich zugeschrieben werden, in sich. Wie gebräuch-
lich, deutet er auf die Eigenschaft der Fasern bezüglich Art, Bau
und Funktion. Das topographische Merkmal dieser Fasern ist —
ihre Lage an der Peripherie der Spindel; das morphologische —
ihre Dieke, und das physiologische — die Anziehung der Chromo-
somen zu den Polen einerseits, andererseits die Gewährung einer
Stütze an die Chromosomen, an denen entlang sie, wie auf Bahn-
schienen, sich zu den Polen hin bewegen. Bei Cymbulia ist
dieser Unterschied kein strenger: bezüglich der Dicke gibt es
offenbar Übergänge zwischen den Mantelfasern und anderen
Fäden. Die Chromosomen sind bei weitem nicht alle an der
Peripherie der Spindel gelegen, daher können auch die zu ihnen
hinziehenden dicken Fasern sich nicht an der Peripherie befinden.
Daher nenne ich hier „Mantelfasern“ die dickeren Spindelfasern,
an denen die Chromosomen sitzen.
Geht man von der Voraussetzung aus, dass die Strahlen
zentrifugal wachsen und von der sicheren Tatsache, dass die
Chromosomen in der Prophase näher zum Zentrum der Strahlen
liegen, in der Metaphase aber der Abstand zwischen ihnen und
den Zentrosomen sich stark vergrössert, so kann man zu der
Hypothese gelangen, dass die Rolle der Chromosomen in der
Bildung der Mantelfasern fast dieselbe ist, wie die des Winkel-
ried in der Schlacht bei Sempach, d. h. dass sie ein grosses
Strahlenbündel ergreifen, von deren jedes auf sie gerichtet ist,
und dieses mit sich ziehend, ihm nicht gestatten, auf einen
grösseren Raum einzuwirken. Die schematische Zeichnung gibt
am besten eine Vorstellung von diesem Vorgange. Auf der
Zeichnung Textfig. 5, I ist ein Bündel noch kurzer Strahlen A
und ein Bündel Strahlen B im Stadium der Prophase abgebildet.
Das Strahlenbündel A trifft auf seinem Wege auf das Chromo-
som und heftet sich auf die eine oder andere Weise an dasselbe
an oder reisst es mit sich. Das Bündel B bewegt sich frei. Die
Strahlen fahren bis zum Ende der Metaphase fort zu wachsen.
Das erste Faserbündel A kann nicht auseinandergehen; das
Chromosom drückt die Strahlen zusammen, wie Winkelried die
Lanzen (siehe Textfig. 5, I). In der ersten Reifungsspindel
stellten sich die Chromosomen in der Metaphase ihrer Längsachse
nach zur Achse der Spindel, und dieser Umstand muss die Fasern
eines solchen Bündels noch mehr einander nähern. Sie können
Das Ei von Üymbulia Peronii. 929
Y
sogar miteinander verschmelzen und so die Mantelfasern bilden.
Das zweite Bündel B, das durch nichts aufgehalten wird, kann
bis zur Äquatorialscheibe vordringen, ohne den Winkel zwischen
den einzelnen Strahlen zu ändern. Diese letzteren werden dann
zu den übrigen Fäden der Spindel.
Ich sehe diese Hypothese nur als eine der möglichen Voraus-
setzungen an, aber es kann sein, dass man hier eine molekulare
Anziehung annehmen muss, die zweifellos zwischen der Strahlen-
substanz und den Chromo-
somen existiert!). Wenn man et zu B 2
den Prozess der Strahlen- % Fe ?
bildungmit demNiederschlage
einer neuen Substanz aus einer
Lösung vergleicht, so kann I‘ 278
man voraussetzen, dassinfolge 9 an,
molekularer Anziehung zu den Re
Chromosomen hin Strahlen HR
besonders schnell und dicht v
längs den Linien von ihrem
Bildungszentrum (dem Zen-
trosom) zu den Chromosomen
„auskrystallisieren“ (vgl. Gurwitsch [04]). Es ist möglich, dass
dies auch die Ursache dessen ist, dass nicht selten die Strahlen,
die von den Zentrosomen zu den Chromosomen gehen, länger
sind, als die Fäden, welche beide Zentrosomen verbinden. (Siehe
z. B. die Bildung der zweiten Reifungsspindel bei Enteroxenos
nach Kr. Bonnevie [06].)
In meiner vorläufigen Mitteilung sprach ich die Vermutung
aus, die vielen anderen ähnlichen Voraussetzungen für andere
Objekte analog ist (vergl. z.B. Schockaert [02], Jannssens
Big. 5.
Schema der Bildung der Mantelfasern.
Erklärung im Text.
!, Wenn wir das Schicksal der Zellelemente und die Wechselbeziehungen
derselben untereinander aufmerksam verfolgen, können wir uns überzeugen,
dass einige von ihnen die Eigenschaft einer gewissen Kohärenz oder gegen-
seitigen Anziehung besitzen, andere aber nicht. So besitzen diese Eigenschaft
die Strahlen und Chromosomen, die Strahlen und die Kernmembran; der
Nukleolus und der Dotter werden aber von den Strahlen nicht angezogen;
der Dotter entfernt sich von den Strahlen und der Nukleolus wird aus der
karyokinetischen Figur ausgestossen und löst sich im Zytoplasma auf. Die
einander begegnenden Strahlenbündel fliessen in ununterbrochene Ströme
zusammen, die von einem Zentrosom zum anderen gehen.
60*
330 A. Nekrassoff:
und Erlington |03|) — dass nämlich die Form der Chromo-
somen der Metaphase und Prophase !) von der Art der Anheftung
derselben an die Achromatinfäden und Spindelfasern abhängt.
Unlängst erhob sich V. Häcker (07) gegen eine solche An-
schauung, teilweise deshalb, weil einige typische Figuren der
Metaphase, z. B. die Kreuzfiguren, in der Diakinese, in welcher
noch keine Spindelfasern existieren, beobachtet wurden, teilweise
aus Gründen, welche gegen die Richtigkeit der „Kontraktions-
hypothese“ im ganzen angeführt werden können. Ich bin voll-
ständig mit V. Häcker in bezug auf die Notwendigkeit einer
weniger groben und mehr physiologischen Beobachtungsmethode
einverstanden. Ich stimme gleichfalls dafür, dass die Formver-
änderungen und die Bewegungen der Chromosomen „auf ein
Wechselspiel von Attraktionen und Repulsionen einerseits zwischen
den Chromosomen untereinander, andererseits zwischen den Chromo-
somen und den Polen zurückzuführen sind“. Aber ausser diesem
Wechselspiel von Attraktionen und Repulsionen existiert gleich-
zeitig noch die Auflösung einiger Elemente und die Bildung
anderer, z. B. der Spindelfasern. Unstreitig existiert zwischen
diesen Fasern und den Chromosomen eine molekulare Anziehung;
ferner ist es zweifellos, dass die Chromosomen der Metaphase
sich nur an bestimmten Teilen an den Mantelfasern befestigen ;
endlich unterliegt es keinem Zweifel, dass auch bei ihrer ferneren
Bewegung zu den Polen (siehe weiter unten) die Chromosomen
sich den Mantelfasern entlang wie auf Bahnschienen bewegen,
wenn sich diese Schienen auch hinter denselben verändern. Ich
bin, mit einem Wort, der Ansicht, dass ausser der Wirkung der
Attraktions- und Repulsionskräfte, als ein wichtiger, die Gestalt
und Bewegung der Chromosomen bestimmender Faktor auch das
Verhalten der letzteren zu den Achromatinelementen und den
Mantelfasern in Betracht kommt. Es ist gewiss, dass ausser
diesem Faktor auch noch andere einwirken.
Die Form der Chromosomen der Metaphase hängt z. B. auch
von dem Orte in der Äquatorialplatte selbst, den das Chromosom
einnimmt, d. h. von der grösseren oder geringeren Nähe des-
selben zur Spindelperipherie ab. Nicht alle Chromosomen der
Äquatorialplatte befinden sich in gleicher Entfernung von der
1) Ich beschreibe hier nicht die verschiedenen Formen der Chromosomen,
da ihre Beschreibung schon in meiner Arbeit (03) gegeben ist.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 931
Spindelachse. Diejenigen, welche besonders weit von der Achse
entfernt sind (d. h. die äussersten an den Schnitten) besitzen
einen Haken, welcher besonders charakteristisch zur entgegen-
gesetzten Seite der Spindelachse gebogen ist (Fig. 7, S, Textfig. 6).
Solche Chromosomen sind fast immer L-förmig.
Der Unterschied der Form der Chromosomen der Metaphase
hängt ebenfalls davon ab, dass beide Zweige nicht bei allen
Chromosomen gleichzeitig auseinander treten. (Vergl. Fick [05]
S. 193 und Häcker
[07] S. 44.)
| \ı
Die Zahl der | | N
Ohromosomen ist 16.
Sie zu zählen ist nicht
schwer, da unter Ä ’
guten Beleuchtungs-
bedingungen bei
einer Vergrösserung Fig. 6.
von 2000 jedes Chro- 16 Chromosomen der Metaphase, die einer
mosom für sich deut- und derselben Spindel angehören.
lich zu sehen ist. So
zeigt Figur S einen
Schnitt, auf dem man
elf Chromosomen
zählen kann (auf der
Zeichnung nicht so \
deutlich, da die einen
Uhromosomen über Fig. 7.
den andern liegen), Idem. Ein etwas späteres Stadium.
auf dem Nachbar-
schnitt sind noch vier Chromosomen enthalten (Fig. 9) und auf
dem nächsten noch eines — das sechzehnte. Manchesmal be-
finden sich alle 16 Chromosomen auf ein und demselben Schnitt;
z. B. auf den Textfig. 6 und 7 sind solche Chromosomen einzeln
dargestellt, um die Form eines jeden besser betrachten zu können.
Auf dem Präparat erscheinen sie oft eines hinter dem anderen
(vergl. Fig. S). Die Chromosomen der Textfig. 7 gehören einem
späteren Stadium, als diejenigen der Textfig. 6, an. Man kann
sich davon dadurch überzeugen, dass die zwei Paar Tochter-
chromosomen der Textfig. 7 (5 und 12 von links) schon aus-
9323 A. Nekrassoff:
einander getreten sind, zweitens dadurch, dass in den Knoten,
welche die beiden Zweige der Chromosomen der Textfig. 6
(vergl. 1, 3, 5, 8,.13, 14, 15 von links) verbinden, viel mehr
Chromatin als in den Chromosomen der Textfig. 7 enthalten ist.
Aus diesen Zeichnungen sieht man auch, dass die Chromosomen
der Metaphase sich stark durch ihre Grösse unterscheiden: sie
enthalten Mikro- und Makrochromosomen. Ich bin geneigter, diese
Erscheirung für eine zeitliche, welche von der Verzögerung oder
Beschleunigung bei der Umbildung der einzelnen Chromosomen
abhängt, und nicht für den Ausdruck ihrer Individualität zu be-
trachten. So ist die Anzahl der Mikrochromosomen auf der
Textfig. 6 scheinbar grösser, als auf der Textfig. 7, wo das achte
Chromosom von links ausserdem noch scheinbar nur die Hälfte
des grossen Chromosoms bildet. Es wird bei der höchsten Lage
der Mikrometerschraube sichtbar.
Die Bewegung der ganzen karyokinetischen Figur zur
Peripherie in der späteren Prophase, von welcher schon oben die
Rede war, hört in der Metaphase auf. Die Ursache der Hemmung
scheint in den Polstrahlen zu liegen, welche sich der Eihülle
anschmiegen. Dieses ist daraus ersichtlich, dass die Hülle an
dieser Stelle hervortritt. Ich wollte dieses anfangs dem Umstande
zuschreiben, dass der Dotter bei der Fixation stärker zusammen-
schrumpft, als das Zytoplasma und dass daher der Platz, der
vom Dotter frei geworden, etwas aus der ganzen Masse des Eies
heraustreten müsse. Aber ein Vergleich mit späteren Stadien
und Beobachtungen an lebenden Eiern brachten mich zur
Überzeugung, dass die Ursache der Ausbuchtung nicht in der
Einwirkung der Reaktive zu suchen ist. So bleibt z. B. nach
Ausstossung des ersten Richtungskörperchens, wenn diese Zone
ebenfalls frei von Dotter ist, letztere auch nicht ausgebuchtet,
sondern verflacht sich eher (vergl. Textfig. 10, S. 937). Dabei
biegen sich die von dem äusseren Zentrosom ausgehenden Strahlen
(zur Hülle des Eies) am Pol fontänenartig aus; an ihnen er-
scheinen dunkle Körnchen, die in der Anaphase verschwinden.
Die Ursache dieser Erscheinungen liegt, wie mir scheint, in dem
Einfluss des dynamischen Zentrums, des äusseren Zentrosoms.
Das Wirkungsgebiet des inneren Zentrums ist ein viel grösseres,
als das des äusseren und muss dort das durch die Bildung der
neuen Strahlensubstanz gestörte Gleichgewicht leichter und unbe-
Das Ei von Cymbulia Peronii. 933
merkbarer wieder hergestellt werden, als um das periphere
Zentrosom. Hier können schneller andere Verhältnisse der Sub-
stanzenkonzentration und eine andere Dichtigkeit des Zytoplasma
eintreten. Als sichtbarer Ausdruck dieser Veränderungen dienen:
1. ein Niederschlag — die Körner an den Polstrahlen:
2. die fontänenartige Umbiegung der Strahlen, welche
vielleicht durch die Gesamtbewegung des Zytoplasma zur
Region von anderer Dichtigkeit hervorgerufen ist.
Ausserdem muss eine solche Annäherung des dynamischen
Herdes an die Ei-Membran an der Veränderung ihrer Oberflächen-
spannung kenntlich werden.
Die frühe Anaphase (Fig. 10, 11). Als erstes merkbares
Anzeichen der Störung des Gleichgewichts der Elemente der
Metaphase erscheint die Abtrennung der Tochterchromosomen
voneinander. In meiner vorläufigen Mitteilung (03) sprach ich
mich dahin aus, dass diese Teilung der Chromosomen der ersten
Reifungsspindel bei Öymbulia eine longitudinale ist. Gregoire
(05) aber bemerkte ganz richtig, dass solange nicht die Ent-
stehung beider Zweige der Chromosomen erforscht sei, man einen
solchen Schluss nicht ziehen könne, dass meine Beobachtungen
für eine solche Folgerung nicht genügen.
Zwischen den getrennten Tochterchromosomen bleibt ein
Teil der Spindelfasern von derselben Dicke, wie die übrigen
Teile der Spindelfasern übrig, welche die Chromosomen mit den
Sphären verbinden. (Diesen Zustand der Verbindungsfasern wollen
wir hier als „erste“ bezeichnen.)
(Gleichzeitig mit dem Auseinandertreten der Chromosomen
wird ein Teil der Eihülle zum peripheren Zentrosom hin trichter-
förmig eingestülpt. Das letztere hat oft zwei Zentriolen, während
das innere nur eins aufweist.
Danach verringert sich die Entfernung zwischen den
Zentrosomen wieder, die Spindel verkürzt sich und verbreitert
sich zu gleicher Zeit. Das periphere Zentrosom bewegt sich
nach Abtrennung der Chromosomen zur Peripherie, wobei es
sich zuweilen abflacht. Die Eihülle beginnt sich statt der Ein-
stülpung in Form eines Höckers auszustülpen, an dessen Spitze
das Zentrosom liegt. Auf Fig. 11, die diesem Stadium entspricht,
ist die Spindel etwas in der perspektivischen Verkürzung sicht-
bar, wodurch sich der Umstand erklärt, dass die Eihülle höher
934 A. Nekrassoff:
ist, alsder Höcker mit dem Zentrosom. Das innere Zentrosom bewegt
sich ebenfalls zur Peripherie hin, doch schneller als das äussere, daher
wird die Entfernung zwischen ihnen kleiner und die Spindel kürzer.
Die hellen Zonen um die Zentrosomen werden noch grösser
und im Gebiet der Spindel ist ein helles Feld schon garnicht
mehr zu bemerken, vielleicht deshalb, weil dasselbe bei Annäherung
der Zentrosomen ganz von den Spindelfasern verdunkelt wird.!)
Noch früher erscheint auch der polare Teil des Eies unmittelbar
über dem äusseren Zentrosom aufgehellt. Textfig. 8 gibt eine
Vorstellung von einem solchen
hellen Polkegel im Stadium
der Metaphase der zweiten
Reifungsspindel. Ebensolche
Kegel trifft man auch bei
der ersten Reifungsspindel
(Eie. 10 Mal
Die Verbindungsfasern
erscheinen zwischen den schon
bedeutend auseinander-
getretenen Chromosomen sehr
scharf, verdickt, leicht ge-
bogen und scheinen fest
Fig. 8. („zweiter“ Zustand der Ver-
Metaphase der zweiten Reifungsspindel. bindungsfasern). Ausserhalb
Pk.» heller 9: S. = Sperma- derselben, neben dem Äquator
kopf; Schw. — Schwanz d. Spermatozoons. der Spindel, treten zu dieser
Zeit Körnchen auf.
Die Tochterchromosomen treten auseinander, verkürzen sich
und einige von ihnen spalten sich sichtbar.
Schi
!) Gurwitsch (04) hält die „Aufhellung des karyokinetischen Feldes“
für eine charakteristische Eigenschaft jeder Karyokinese. Das Feld des so-
genannten „ruhenden“ Kernes ist jedoch ebenfalls heller als das umgebende
Zytoplasma. Der Umfang dieses hellen Gebietes, ob es nun vom Kerne oder
von der karyokinetischen Figur eingenommen ist, ist zu verschiedenen Zeiten
nicht gleichartig und die Intensität der Helligkeit ist in verschiedenen
Momenten nicht dieselbe. Man kann aber nicht sagen, dass der Umfang des
hellen Feldes oder die Intensität der Helligkeit während der Karyokinese ihr
Maximum erreichten.
Das „helle Feld“ ist unmittelbar erst mit dem Kerne und später mit
der karyokinetischen Figur verbunden und bewegt sich mit derselben zur
Das Ei von Cymbulia Peronii. 935
So wird also diese Phase dadurch charakterisiert, dass die
Spindel bei der Trennung der Chromosomen sich immer zur
Peripherie hin bewegt und da sie einem gewissen Widerstand in
der Oberflächenspannung des Eies begegnet, sich in der Achsen-
richtung abflacht. Das Resultat dieser Phase wird also 1. durch
die Bewegung der auseinandergetretenen Chromosomen zu den
Zentrosomen, 2. durch die Bewegung der Figur als Ganzes zur
Peripherie und 3. durch die Hemmung dieser Bewegung durch
die Oberflächenspannung des Eies bestimmt.
Die spätere Anaphase (Fig. 12). Während derselben
kann man die weitere Entwicklung derselben Bewegungen
beobachten.
Der Höcker, in welchen hinter dem peripheren Zentrosom
die um letzteres gruppierten Chromosomen eindringen, wächst
und tritt mehr und mehr über die Oberfläche des Kernes in
Gestalt einer hellen Blase hinaus, welche somit einschliesst:
1. das äussere Zentrosom; 2. einen Teil der von ihm ausgehenden
Strahlen; 3. das „helle Feld“, welches das Zentrosom umgibt
und 4. die Chromosomen. Das innere Zentrosom rückt noch
näher zur Peripherie und die Entfernung zwischen den beiden
Zentrosomen wird noch kleiner. Die Zentrosomen werden grösser,
indem sie die für Boveris Zentrosomen typische Form annehmen
und es lassen sich in ihnen deutlich eine oder zwei Zentriolen
unterscheiden. Die innere Zentrosphäre gestattet im Stadium
der Anaphase (auch der Metaphase) folgende Teile zu unter-
scheiden: a) eine Zentriole; b) das dieselbe umgebende helle
Zentroplasma „zone medullaire“; ce) ferner ringsherum eine vom
Zentroplasma nicht abgegrenzte dunklere Zone „zone corticale“,
und weiter d) eine hellere Sphärenzone, in der sich kaum
bemerkbare Strahlen befinden, und endlich e) die äussere Strahlen-
zone. Zum Ende der Anaphase ist ein unbedeutendes Wachstum
Peripherie. Aber im Gegensatze zu den Zellen, wo die Spindel über die
Polstrahlen dominiert, wie z. B. in den männlichen Geschlechtszellen des
Salamanders und wo der Kernsaft nach der Auflösung der Kernmembran in
Gestalt einer breiten hellen Zone übrig bleibt, in der die Spindel liegt, nach
Drüners (9) Ausdruck „wie das Schaufelrad in der Kapsel eines Ventilators‘“,
erscheinen bei Cymbulia mit ihrem gewaltigen Wachstum der Polstrahlen
nicht nur die Spindel, sondern auch die Sphären, die Zentren der Strahlen-
bildung, „aufgehellt“. Zur Zeit der Anaphase ist die Verteilung dieses hellen
Feldes in den Zentrosphären noch deutlicher.
936 A. Nekrassoff:
des Zentrosoms mit der Vernichtung der dunkleren Schicht der
Sphäre „zone corticale“, oder wenigstens mit der Verwandlung
dieser Schicht in eine dünne Membran des Zentrosoms, das hier
eine regelmässige Kugelgestalt annimmt, verbunden. Eine eben-
solche Absonderung des peripheren Zentrosoms von der sie
umgebenden Sphäre findet noch bei Beginn der Anaphase und
sogar noch während der Metaphase statt. Diese Absonderung
und der Wachstumsprozess des Zentrosoms stehen wahrscheinlich
in ursächlichem Zusammenhange mit dem Kleinerwerden der
Strahlung, welches gerade in diesem Stadium stattfindet.
Die Spindel flacht sich noch mehr ab; die Fasern zwischen
den auseinandergetretenen Chromosomen verlieren ihre Spannung,
werden leicht gebogen, indem sie miteinander anastomosieren.
An ihnen erscheinen grosse Körner und sie selbst werden stark
verkürzt und dünner (dritter Zustand der Verbindungsfasern).
Ich glaube, dass mit diesen Körnern ein Teil der die Fasern
bildenden Substanz ausgeschieden wird.
Die Chromosomen gruppieren sich noch näher um das
Zentrosom und an vielen ist eine Längsspaltung bemerkbar.
Das Spermatozoon erleidet im Stadium der Anaphase und
im Laufe der ganzen folgenden Zeit, bis zu dem Moment, wo
der Kopf sich in den männlichen Kern zu verwandeln beginnt,
keine merklichen Veränderungen. Das Gebiet seines Aufenthalts
bleibt dasselbe: die Zone des feinkörnigen Dotters.
Die Telophase (Fig. 13). Beide Bewegungen, die zentri-
petale Bewegung der Chromosomen zu den Zentrosomen hin und
die Bewegung der Spindel zur Peripherie erreichen ihren Höhepunkt.
Die Zentrosomen erreichen ihr Grössenmaximum; in ihnen
können zwei (seltener eine) Zentriolen unterschieden werden. Um
das innere Zentrosom bleibt die Sphäre sichtbar. Die Strahlen
verkürzen sich noch mehr; an der Stelle ihres Zerfalls treten
grosse Körner auf. Ihre Auflösung findet von der Peripherie
zum Zentrum hin statt. Die Chromosomen mit den verkürzten
Strahlen gruppieren sich dicht um das Zentrosom; sie verschmelzen
jedoch niemals miteinander. Zuweilen trennen sich ihre Hälften
vollkommen voneinander (Fig. 17).
Die Ausstülpung des Höckers findet mit der Abschnürung der
Eihülle und der vollständigen Abtrennung des Richtungskörpers, !)
') Die Abschnürung des ersten Richtungskörpers fand Fol.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 937
der ausser den oben aufgezählten Elementen noch die äussere
Hälfte des hellen Feldes der Spindel und die äussere Hälfte
der Spindelfasern enthält, ihren Abschluss. Die letzteren
büssen, wie wir sahen, auf dem Wege einen Teil ihres Inhalts
in Gestalt von Körnchen ein, während der Äquatorialteil den
Zwischenkörper bildet.
Somit nehme ich an, dass der Richtungskörper bei COymbulia
keine Zelle ist, die dem Ei analog wäre, da das Plasma desselben
nicht dem Zytoplasma der Eizelle entspricht. Die Fig. 13 (und
Fig. 29 für den zweiten Richtungskörper) gewährt den Eindruck,
als wenn nicht ein Bläschen mit Zytoplasma ausgeschieden würde,
Fig. 10.
Telophase der ersten Reifungs-
spindel. Schnitt. Vergrösserung
etwa 500.
Fig. 9.
Die Telophase der zweiten Reifungs-
spindel. Vergrösserung etwa 500.
welches die Chromosomen einschliesst, sondern die Hälfte der
Spindel mit einem Bläschen des hellen Feldes. Es hat sich
gleichsam die Hälfte des Kernes während der Karyokinese des-
selben, der eine ganze Reihe von Veränderungen erlitten hat,
ausgeschieden. Textfig. 9 und 10 und Fig. 13 heben noch mehr
hervor, dass fast der ganze, wenn nicht wirklich der ganze
Richtungskörper der Hälfte der Spindel der Telophase mit dem
in derselben befindlichen hellen Felde entspricht.
Die Chromosomen, welche in den Richtungskörper ein-
dringen, erleiden dort ein anderes Schicksal als ihre Schwester-
chromosomen in der Eizelle, vielleicht ebenfalls in Abhängigkeit
davon, dass das Plasma des Richtungskörpers eine andere Zusammen-
958 A. Nekrassoff:
setzung als das Zytoplasma hat. Sie hören auf, sich intensiv
mit Eisenhämatoxylin H. zu färben, und fliessen in eine formlose
rundliche Masse zusammen, in welcher sich nur schwer irgend
eine Differenzierung beobachten lässt.
Die Spindelfasern, welche noch die in den Richtungskörper
eingetretene Chromatinmasse mit den im Ei zurückgebliebenen
Chromosomen verbinden, schnüren sich in der Mitte ab, so dass
die ganze Spindel eine hantelförmige Gestalt annimmt. Diese
dünnen biegsamen Fasern („vierter“ Zustand der Verbindungs-
fasern) zerfallen nicht in Körner. An der Verengungsstelle
bilden sie zusammenklebend den Zwischenkörper („fünfter“ Zu-
stand der Verbindungsfasern).
Nach der Abschnürung des Richtungskörpers setzt sich
seine Bewegung noch infolge des Beharrungsvermögens ein wenig
fort und der unter dem Zwischen-
körper befindliche Teil des Eies
wird oft zu einem Höcker aus-
gezogen (Textfig. 11). Übrigens
wird dieser Höcker bald durch
die Oberflächenspannung des Eies
ausgeglichen, die oft an der Stelle
der Ausstossung des Richtungs-
körpers die Krümmung verringert,
d.h. die Oberfläche des Eies ab-
flacht (Textfig. 10).
In einem Falle konnte ich be-
Fig.+11: obachten, dass die Spindel (zweite
Telophase der ersten Reifungs Rejfungsspindel) aus irgend einem
spindel. Schnitt. Vergrösserung __ Sa =
etwa 500. Grunde in ihrer späteren Anaphase
die Oberflächenspannung der Mem-
bran nicht überwinden konnte und im Innern des Eies ihre fast
tangentiale Lage beibehielt. Die Zentriolen, besonders die des
inneren Zentrosoms, beginnen schon merklich auseinander zu
treten (Textfig. 12). Die Ursache der Anomalie ist ungewiss.
Durch das Abrücken der ganzen Spindel zur Peripherie und
die Verkürzung der Strahlen wird im Zentrum des Eies ein Raum
frei, der jetzt von Zytoplasma und dem unordentlich zerstreuten
feinkörnigen Dotter ausgefüllt wird. (Die einzelnen Körnchen
” r . .. [2
Das Ei von Cymbulia Peronii. 95°
y
des feinkörnigen Dotters verlieren hier gewöhnlich ihre typische
runde Gestalt.)
Wie in der Metaphase sehen wir auch in der Telophase
einige Prozesse sich vollenden. Während wir in der Metaphase
jedoch das völlige Verschwinden der einen Elemente und die
grösste Entwicklung der anderen beobachten, werden in der Telo-
phase der ersten Spindel nicht alle im vorhergehenden Stadium,
in der Anaphase, verkleinerten Elemente vernichtet. Die Spindel
und die Strahlen des inneren Zentrosoms bleiben noch — die
erstere in Gestalt des Zwischenkörpers — die letzteren sich ver-
kürzend und zum Teil zerfallend, bestehen. Ihre vollständige
Vernichtung wird später beobachtet, wenn der neue Prozess be-
gonnen hat.
Fig. 12.
Das Auseinandertreten der Zentrosomen der zweiten Reifungsspindel
vor Ausstossung des zweiten Richtungskörpers. Kombinierte Zeichnung
zweier aufeinanderfolgender Schnitte. Vergrösserung 1050.
Die Prophase der zweiten Reifungsspindel (Fig. 14,
15 und 16). Der Beginn dieses neuen Prozesses kann im Gebiet
des im Innern des Eies zurückgebliebenen Zentrosoms beobachtet
werden. Die Zentriolen im Innern des Zentrosoms treten aus-
einander; das Zentroplasma löst sich im hellen, jetzt schon ovalen
Felde, welches das Zentrosom umgab, auf und man kann in ihm
keinerlei bestimmte Zentrodesmose zwischen den beiden Zentriolen
unterscheiden. Die letzteren nehmen an Umfang zu, um sie
herum kondensiert sich neues Zentroplasma und sie werden so
zu neuen Zentrosomen. Das helle Feld vergrössert sich um die
Zentrosomen und schiebt die Chromosomen zusammen mit den
940 A. Nekrassoff:
ihnen fest anhaftenden Resten der alten Strahlen beiseite, sodass
die Chromosomen sich perpendikulär zur Linie, welche sie mit
dem Zentrum des Feldes verbindet, stellen.
In der Prophase der zweiten Reifungsspindel verändern sich
die Chromosomen ein wenig. Die Längsspaltung beibehaltend,
färben sie sich nicht durchgehend schwarz. Ihr peripherer Teil
ist blasser gefärbt, ihre Umrisse zerfliessen gleichsam; schwarz
färbt sich nur die Achse jeder Chromosomenhältfte (Fig. 15 und 18).
Man kann dieses, wie mir scheint, nicht als Symptome einer be-
ginnenden Aufquellung. d.h. als Anfang jenes hier ausfallenden
Stadiums, ansehen (eine solche Aufquellung des Chromosoms in
der Telophase der ersten Spindel wurde an einigen Objekten
wahrgenommen (vergl. z. B. Schockaert [02], Miss Foot und
Strobell [05] und viele andere) —, sondern als ein Zeichen des
Einflusses anderer Veränderungen, die zu dieser Zeit im Medium
vor sich gehen, in dem die Chromosomen liegen. Das Anquellen
der Chromosomen in der Telophase der zweiten Reifungsspindel
geht, wie wir weiter zeigen werden, anders vor sich als hier.
Die alten Strahlen, die dem hellen Felde zugerichtet sind,
werden schnell resorbiert, indem sie in grosse Körner zerfallen,
die Guirlanden bilden, zwischen denen das Enchylem oft grosse
Lücken bildet, grössere, als man im übrigen Zytoplasma beobachten
kann. Von jedem neuen Zentrosom beginnen neue Strahlen aus-
zuwachsen. Der Moment, in dem die Zentriolen im Richtungs-
körper auseinander zu treten beginnen, entspricht einem eben-
solchen Moment des inneren Zentrosoms. Das Auseinandertreten
dieser Zentriolen geht mit einer weit geringeren Intensität (Fig. 15)
vor sich als bei den Eizentriolen.
Ferner (Fig. 18) werden folgende Erscheinungen beobachtet:
zwischen den auseinandertretenden Zentrosomen bildet sich die
Spindel; die Strahlen wachsen schneller, als die Zentrosomen sich
voneinander entfernen. Die grossen Körner, die Reste der früheren
Strahlen, werden resorbiert, indem sie wahrscheinlich durch die
neuen Strahlen aufgesogen werden. Ein Teil der Körner bleibt
noch in geringer Zahl in der Nähe der Eiperipherie erhalten, wie
bei der ersten Reifungsspindel, und die Strahlen, an denen die
Chromosomen befestigt sind, werden ein wenig dicker.
Die Chromosomen ordnen sich, wie in der Prophase der
ersten Reifungsspindel, indem sie in die Wirkungssphäre der
Das Ei von Cymbulia Peronii. J41
Strahlen geraten, zu einer Äquatorialplatte an. Die Spindel, die
anfangs immer tangential oder schräg gelagert ist, strebt eine
radiale Stellung einzunehmen. Die ursprüngliche Lage der Spindel
hängt davon ab, welchen Winkel die die Zentriolen verbindende
Linie mit dem Eiradius bildet; dieser Winkel kann aber, wie es
scheint, ein beliebiger sein. Natürlich wird desto weniger Zeit
erforderlich sein, damit die Spindel eine radiale Stellung einnimmt,
je näher ihre Achse ursprünglich zur radialen Lage stand, und
desto eher wird sie die radiale Lage einnehmen. Sonst kann
man die Drehung der Spindel nicht in Abhängigkeit von einer
bestimmten Phase derselben stellen. Der Umstand, dass die
Drehung der Spindel während des Wachstums der Strahlen und
der Spindel vor sich geht, lässt nur einen gewissen Zusammen-
hang zwischen dem Beginn der Drehung und diesen Prozessen
voraussetzen. Aber die Fig. 19, auf der die Spindel ihre Maximai-
grösse erreicht hat und dennoch einen bedeutenden Winkel mit
dem Eiradius bildet, deutet darauf hin, dass die weitere Drehung
ausser Zusammenhang mit den Prozessen des Spindelwachstums steht.
Die Metaphase der zweiten Reifungsspindel
(Fig. 19, 20 und 21). Sie gleicht der Metaphase der ersten
Reifungsspindel, doch besteht ein kleiner Unterschied: 1. die
Länge der Spindel übertrifft nie ®/; der Länge der ersten Spindel;
2. die Form der Spindel ist etwas anders (siehe Fig. 20, 21),
dieselbe ist nicht so zugespitzt und ihre Enden sind an den Polen
stumpfer; 3. die Chromosomen der zweiten Spindel liegen in der
Metaphase perpendikulär zu den Spindelfasern, weil die neuen
Strahlen, welche von den neuen Zentrosomen ausgehen, auf die
Chromosomen in einem rechten Winkel treffen; 4. die Chromo-
somen haften mit ihren Enden oft aneinander (Fig. 19). Diese
miteinander verkitteten Chromosomen, an welche sich die Spindel-
fasern nicht nur an der Peripherie, sondern auch tiefer an ihrer
Achse anheften, bilden, sich von einer Faser zur anderen hin-
ziehend, ein oder mehrere der Länge nach gespaltene Bänder.
Sie winden sich um den Äquator der Spindel, wie im Winde
flatternde Fahnen. So halte ich denn jedes lange Band in der
Metaphase der zweiten Spindel (Fig. 19) für mehrere verkittete
Chromosomen und nicht für ein Chromosom.
Die Metaphase der zweiten Reifungsspindel ist ebenfalls
ein Stadium relativen Gleichgewichts der Elemente, aber dieser
443 A. Nekrassoff:
Gleichgewichtszustand dauert sehr kurze Zeit. Wie auch die
Metaphase der ersten Spindel, bildet sie den Abschluss mehrerer
Prozesse: 1. der Verlängerung der Spindel; 2. der Gruppierung
der Chromosomen zu einer Äquatorialplatte; 3. der Vernichtung
der grossen Körner im Zytoplasma (der Reste der Strahlen der
ersten Spindel).
Die Anaphase der zweiten Reifungsspindel
(Fig. 22, 23, 25 und 27) ist fast in jeder Beziehung der Anaphase
der ersten ähnlich und unterscheidet sich nur durch die Art der
Bewegung der Tochterchromosomen. Die gespaltenen Hälften
jedes Chromosoms entfernen sich selbständig voneinander (Fig. 20
und 21), und zwar an dem einen Ende oft stärker als am anderen,
wobei sie zuweilen auch ihre perpendikuläre Lage zur Spindel-
achse bewahren oder nur unbedeutend verändern (Fig. 22). In
der späteren Anaphase (Fig. 25) wenden sie sich um und gleiten
die Mantelfasern entlang, indem sie sich zu zwei Gruppen ver-
einigen, die zu den Zentrosomen hinstreben. Die eine von ihnen
nimmt an der Bildung des zweiten Richtungskörpers Anteil,
während die andere in der Gegend des inneren Zentrosoms ver-
bleibt. Diese Chromosomen spalten sich während ihrer Bewegung
zu den Polen hin nicht, wodurch sie sich auch von den Uhromo-
somen der ersten Reifungsspindel unterscheiden.
Das Schicksal der Verbindungsfasern zeigt jedoch eine
frappante Ähnlichkeit zwischen den Anaphasen und Telophasen
der ersten und zweiten Reifungsspindel. Bei der zweiten Reifungs-
spindel wiederholen sich wie in einem Spiegel dieselben Phasen,
die sich bei der ersteren beobachten lassen (vergl. Fig. 10 und
21, 22 für ersten Zustand der Verbindungsfasern, Fig. 11 und 23
für zweiten, Fig. 12 und 25, 27 für dritten, Fig. 13 und 29 für
vierten und Fig. 15 und 40 für fünften). ')
!) Vielleicht ist die beständige Umgestaltung der Zellelemente nirgends
so scharf ausgeprägt, wie im Schicksal der die Tochterchromosomen ver-
bindenden „Verbindungsfasern“. Gurwitsch (04) sagt von ihnen: „Die
zentralen Abschnitte der Zentralspindel zeigen entschieden, namentlich in den
Anaphasen und Telophasen der Mitosen eine bedeutende Widerstands-
fähigkeit, wahrscheinlich sogar einen gewissen Grad von Steifheit. Es wäre
sonst unerklärlich, wieso grössere Abschnitte der Zentralspindel, als zylind-
rische Stäbe, mit den Flemmingschen Zwischenkörperchen fast völlig nackt
zwischen den geteilten Zellen persistieren und sogar als Achse für die in
den Telophasen vor sich gehenden Verschiebungen der Zellen funktionieren
Das Ei von Cymbulia Peronii. 943
Die Ausscheidung des zweiten Richtungskörpers geht analog
derjenigen des ersten vor sich und gleichzeitig findet auch die
Teilung des ersten Richtungskörpers statt. Zu dieser Zeit
differenzieren sich die Chromosomen des ersten Richtungskörpers
von neuem, indem sie oft Guirlanden oder Gruppen von Chromo-
somen bilden, die sich mit den Enden ineinändergehakt haben
(Fig. 52, 53 und 54) und sich der Länge nach spalten. Hierbei
verflacht sich der Richtungskörper stark, die Chromosomen ver-
teilen sich einfach in zwei Gruppen, die nach der Teilung
des Richtungskörpers in einem jeden der Tochterkörperchen je
einen unregelmässigen Chromatinklumpen bilden (Fig. 40, 41,
42 und 47). Die Zentrosomen oder richtiger Zentriolen traf
ich auf meinen Schnitten nur in einem Falle (Fig. 28) an. Nur
mit grosser Mühe kann man hier Bildungen unterscheiden, die
schwachen, von den Zentriolen ausgehenden Strahlen gleichen.
Dagegen lässt sich zwischen den Zentriolen die Zentrodesmose
erkennen, die sich als langer Faden hinzieht. Ihr Bild erinnert
stark an das sogenannte Nucleolo-centrosoma bei der
Teilung der Protozoa, z. B. bei Euglena (vergl. Keuten [95])
und Eutreptia (Steuer [03]). Im Stadium Fig. 15, wo die
Entfernung zwischen den auseinandergetretenen Zentriolen grösser
ist, war zwischen denselben keinerlei Zentrodesmose erkennbar.
Übrigens sah ich im Richtungskörper weder Zentrosomen noch
Zentriolen in all den Phasen zwischen den Stadien Fig. 15 und 18.
können; eine wirkliche Individualisation festerer Plasmafibrillen oder Strahlen,
namentlich im Gegensatz zu den vergänglichen Gebilden der Polstrahlungen,
scheint jedenfalls für die Elemente der Zentralspindel sicher anzunehmen zu
sein.“ Aber gerade das Schicksal der zentralen Elemente der Spindel bei
Cymbulia spricht gegen eine solche Individualisation bestimmter Fasern.
Es ist hier bis zur Augenscheinlichkeit klar, dass nicht die einen oder anderen
Elemente die Eigenschaft der Festigkeit besitzen, sondern dass die wechselnde
Beschaffenheit des Mediums in verschiedenen Momenten ihnen diese Eigen-
schaft verleihen oder nehmen.
Den Verbindungsfasern kommt im Prozess der Zellteilung eine grosse
Bedeutung zu. Ich besitze augenblicklich kein vollständiges Material, um
ein Bild des Furchungsprozesses bei Cymbulia zu geben. Aber das Schicksal
der Verbindungsfasern während der Reifungsteilungen kann schon zeigen,
dass der Zustand der Äquatorialfläche der Spindel während der Anaphase
und Telophase vor der Zellteilung nicht durch die Bezeichnung als einfache
Verflüssigung des Plasmas (vergl. z. B. Teichmann [03]) ausgedrückt werden
kann, und dass die Prozesse, die hier stattfinden, viel komplizierter sind.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 61
944 A. Nekrassoff:
Hierauf tritt eine vollständige Teilung des Richtungskörpers ein
(Fig. 29 und 44).
Der zweite Richtungskörper wird an derselben Stelle aus-
geschieden, wie der erste. Der Zwischenkörper der ersten Spindel
kommt genau über der Stelle zu liegen, wo der zweite Richtungs-
körper ausgestossen werden soll oder neben demselben (Fig. 20).
Der Zwischenkörper der ersten Spindel wird zuweilen zu einer
kompakten Masse, welche den zweiten Richtungskörper mit dem
ersten, oder mit den Teilungsprodukten des ersten Richtungs-
körpers verkittet oder verbindet (Fig. 44). Der zweite Richtungs-
körper selbst teilt sich nicht und in seinem Innern konnte ich
kein Zentrosom erkennen, das in der Eizelle im Stadium der
späteren Anaphase der zweiten Spindel so deutlich zu sehen ist
(Fig. 25 und 27). Sein Chromatin bleibt fast die ganze Zeit
über in Gestalt einer nicht differenzierten verblassten Masse
bestehen (Fig. 43, 44, 40 und 41).')
Die Telophase der zweiten Reifungsspindel.
Dieses Stadium ist sehr wichtig, da es den Wendepunkt bildet,
von dem aus die Bildung zweier Kerne aus dem weiblichen und
männlichen Element beginnt — die Bildung der Vorkerne, die
später eine so überraschende Ähnlichkeit miteinander haben und
in gleichem Maße an der Anlage der karyokinetischen Figur der
ersten Furchung teilnehmen.
Der Unterschied der Telophase der zweiten Spindel von
demselben Stadium der ersten besteht in folgendem:
Telophase der ersten Spindel: Telophase der zweiten Spindel:
1. Das. Zentrosom hat die charak- 1. Das Zentrosom ist nicht rund,
teristische Form, welche Boveri sondern gleichsam zusammen-
(01) für dasselbe annahm, d.h. es gedrückt, zuweilen in Gestalt
ist ein rundlicher Körper, der eines Sternes (Fig. 29), oft dunkel;
aus dem Zentroplasma und zwei im Innern stets eine Zentriole.
Zentriolen besteht.
‚ Um das Zentrosom bildet sich 2. Die Strahlen sind dichter und
IV
ein deutliches helles Feld, wo die
einzelnen Strahlen nicht zu unter-
scheiden sind; die letzteren lassen
kommen näher an das Zentrosom
heran. Das helle Feld um letzteres
ist schwächer ausgeprägt.
sie in einiger Entfernung vom
Zentrosom wahrnehmen.
!) Fol sah die Teilung des ersten Richtungskörpers und nahm irrtüm-
licherweise an, dass der zweite Richtungskörper nicht durch Neuausscheidung
gebildet wird, sondern durch Teilung des ersten. O0. Hertwig bewies, dass
auch der zweite Richtungskörper ebenso ausgeschieden wird, wie der erste.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 945
3. Die Strahlen verkürzen sich stark 3. Die Strahlen, die während der
und zerfallen in grosse Körner. Anaphase etwas kürzer geworden
sind (im Vergleich zur Metaphase),
verlängern sich hier von neuem
bedeutend.
4. Der feinkörnige Dotter ist un- 4. Die Zone des feinkörnigen Dotters
ordentlich im Zytoplasma verteilt. wird konzentrisch zur Zone des
grobkörnigen Dotters gerückt.
>. Die Chromosomen ordnen sich an 5. Die Chromosomen werden in einen
der Grenze des hellen Feldes, dichten Haufen am Zentrosom
d. h. in einiger Entfernung vom zusammengedrängt.
Zentrosom, an.
6. Die Chromosomen nehmen die 6. Die Chromosomen beginnen an-
Gestalt derjenigen der frühen zuquellen.
Prophase der ersten Spindel an.
Mit einem Wort, im ersteren Falle wird im Innern des
Zentrosoms ein neuer Prozess von zentrifugalem Charakter für
viele Elemente der Zelle angebahnt, da auf die Telophase das
Auseinanderrücken der Zentriolen, die Erweiterung des hellen
Feldes und das zentrifugale Wachstum der neuen Strahlen, das
Abrücken der Chromosomen zum Äquator der Spindel, folgt.
In der Telophase der zweiten Spindel aber werden diese
Elemente einer anderen Metamorphose unterworfen, die von
einer zentripetalen Bewegung begleitet ist; das Zentrosom
schrumpft zusammen, die Chromosomen rücken dicht an dasselbe
heran, indem sie sich in Bläschen verwandeln. Nur die alten
Strahlen wachsen ein wenig, indem sie den feinkörnigen Dotter
wegschieben. Somit besteht in den Stadien der Anaphase und
Telophase bei der Spindel ein gewisses beständiges Verhältnis
zwischen der Vergrösserung der Strahlen und der Verkleinerung
des Zentrosoms und umgekehrt.
Aber es bestehen auch gemeinsame Züge in den Telophasen
der ersten und zweiten Spindel. Wie dort, so verengt sich die
Spindel auch hier durch eine Einschnürung des Zwischenkörpers,
wobei sie ganz bleibt und zeitweilig Hantelgestalt annimmt. Wie
dort, so zerfallen auch hier die peripheren Teile der Spindel und
die nicht in den zweiten Richtungskörper aufgenommenen Teile
der Polstrahlen, die von dem peripheren Zentrosom ausgingen,
indem sie Guirlanden aus grossen Körnern bildeten. Ebensolche
(ranulae bedecken auch die Strahlen, die vom inneren Zentrosom
zur Eimembran gehen (Fig. 29). Diese periphere Zone des
61*
946 A. Nekrassoff:
gelockerten Zytoplasma bleibt lange bestehen, bis zum Stadium
der Annäherung und des Wachstums der Geschlechtskerne
(Fig. 37 und 38).
Während der Telophase, vielleicht auch ein wenig früher,
trennt sich der Schwanz vom Kopfe des Spermatozoons. Hiernach
faltet er sich dicht wellenförmig (Fig. 26 und 29); offenbar lässt
sich dies dadurch erklären, dass die Kontraktilität des Schwanzes
durch die Gewalt überwunden wurde, mit welcher der Kopf ihn
hinter sich her zog. Abgerissen nahm der Schwanz dieses
wellenförmige Aussehen an. So zieht sich eine Schnur zusammen,
die mit schneller Bewegung über die Wasseroberfläche gezogen
und dann plötzlich aus den Händen gelassen und sich selbst
überlassen wird.
Die Annäherung der Geschlechtskerne. Drei
Erscheinungen treten fast gleichzeitig auf. 1. Die weiblichen
Chromosomen und der Spermakopf beginnen anzuquellen. 2. Die
Strahlenfigur des inneren Zentrosoms fängt an zu degenerieren
und diese Degeneration äussert sich zuerst im Zentrum und
setzt sich in zentrifugaler Richtung fort. 3. Der Spermakopf
nähert sich den weiblichen Chromosomen ; während dieser Bewegung
verwandelt sich der erstere in den Sperma- und die zweiten in
den Eikern: deshalb kann man sagen, dass die Annäherung der
Vorkerne beginnt.
1. Das Anquellen des Kopfes des Spermatozoon geschieht
gleichzeitig mit dem Anquellen der Chromosomen, die während
der Telophase der zweiten Reifungsspindel im Ei bleiben. Um
sich davon zu überzeugen, muss man nur die Fig. 27 und 29
miteinander vergleichen. Auf Fig. 27 sehen wir, dass der Sperma-
kopf noch sehr kompakt ist, während die Chromosomen schwarz
tingiert erscheinen. Auf Fig. 29 ist der Anquellungsprozess schon
in vollem Gange. Der Zeitraum zwischen diesen zwei Stadien
beträgt kaum fünf Minuten.
Als erstes Anzeichen des Anquellens des Spermakopfes
bemerkte ich zwei Vakuolen inmitten der dunkeln Chromatin-
masse (Fig. 24a). Ausser diesen Vakuolen traf ich manchmal
noch eine dritte grosse an (Fig. 24 b). Der weitere Anquellungs-
prozess äussert sich darin, dass die zentrale Vakuole grösser
wird, während die Wände um dieselbe dank den vielen Vakuolen
wie zu schäumen scheinen (Fig. 24c). Ferner wird das Wachstum
Das Ei von Cymbulia Peronii. 947
hauptsächlich an den peripheren Vakuolen wahrgenommen, während
die Wand dünner und dünner wird und das Chromatin sich in
Gestalt eines den Kernsaft durchsetzenden Netzes anordnet. Aber
noch ist die zentrale Vakuole sichtbar (Fig. 24d). Dann wird
das Netz dünner und komplizierter. Die Verfeinerung geht sehr
ungleichmässig vor sich und im Innern des Netzes bilden sich
dicke, nicht selten gerade Querbalken und Anhäufungen von
Chromatin — Chromatinnukleolen, — die durch dünne und
schwächere Bänder mit andern solcher Querbalken oder Nukleolen,
oder aber mit der Kernmembran verbunden sind. An der
Membran des Kernes selbst werden Chromatingranulae abgelagert.
Als erstes Anzeichen des Anquellens der weiblichen Chromo-
somen erscheint ihr verändertes Verhalten der Färbung gegenüber.
In ihrem Innern (und nicht von aussen, wie bei der „Interkinese“ )
werden mit Eisenhäm. Heid. schwach gefärbte Parzellen sichtbar
(Fig. 31), während das Chromatin die Form gekrümmter Figuren
von gezähnten Stäbchen (Fig. 32) oder von unregelmässigen
Körnern annimmt. Dann beginnt die Membran des Chromosoms
dort, wo sich die blassgefärbte Substanz bildete, in Gestalt einer
Kugel sich aufzublasen ; diese Auftreibungen bilden sich an den
Stellen, wo die Entfernung zwischen den vom Zentrosom aus-
gehenden Strahlen am weitesten ist. Somit besitzt das aufquellende
Chromosom einen Schnabel, der genau zum Zentrum der Strahlen
gerichtet ist, während sein verbreiterter Ballon am weitesten vom
Zentrosom entfernt ist (Fig. 33). Zweifellos bedingen die Strahlen
die Form solcher Chromosomen oder der aus ihnen zusammen-
geflossenen Kernblasen. Das wird durch Fälle bewiesen, wo nach
Abschnürung des zweiten Richtungskörperchens das Zusammen-
rücken der Eimembran die Zentralspindel zur Bildung des
Zwischenkörpers zusammenzieht. Dann ziehen sich ebensolche
Schnäbelehen in Form von Hörnchen vom aufquellenden Kern
zum Zwischenkörper (Textfig. 13). Die Ursache ist dieselbe,
d. h. die flüssigere Masse wird von den kompakteren Strahlen
oder Fasern umzogen und ihre Form wird durch die Lage der
letzteren bestimmt, durch ihre Annäherung an das Zentrosom
oder den Zwischenkörper.
Das Tempo der Anquellung des männlichen Kernes ist etwas
langsamer, als die des weiblichen. Möglicherweise wird dieser
Umstand durch die grössere Oberfläche erklärt, welche die ge-
948 A. Nekrassoff:
sonderten Bläschen des weiblichen Kernes bilden. Das langsamere
Anquellen des männlichen Kernes ist daraus ersichtlich, dass
derselbe etwas früher anzuquellen beginnt, als die weiblichen
Chromosomen, während die gleichmässige Verteilung seiner
Chromatinelemente später erfolgt (Fig. 36) und dass bei der An-
näherung der Geschlechtskerne die erste Zeit über der männliche
Kern oft schwärzer erscheint, als der weibliche.
Die Chromosomblasen quellen, wie es scheint, hauptsächlich
durch die dem Zentrosom zugewandten Wandungen an; diese
Wandungen sind näm-
lich dünner als die der
anderen Seite. Das
Zusammenfliessen der
Bläschen geht all-
mählich vor sich, da die
Blasen anwachsen und
sich um das Zentrosom
zusammendrängen; ihre
aufgetriebenen Ränder
umfassen das Zentrosom
schon von den Seiten,
sodass dasselbe auf den
Schnitten oft in der
Vertiefung des nieren-
förmigen Kernes liegt
(Fig. 37 u. 38). Nach-
Fig. 13.
Annäherung des Sperma- und Eikerns. dem sich die a
Schnitt x 1050. Links Spermakern. vollkommen genähert,
besteht der Eikern zu-
weilen noch aus gesonderten Blasen, von denen eine jede das
Derivat einiger Chromosomen darstellt, die nach dem Anquellen
zusammenfliessen (Fig. 39). Fig. 36 stellt einen einzelnen Fall
der vorzeitigen Annäherung dar, wenn der Unterschied zwischen
dem schwarzen Kern des Spermatozoon und den noch sehr kleinen
Eikernblasen noch gross ist.
II. Sobald der Spermakopf zu quellen beginnt, nimmt auch
seine Bewegung zum weiblichen Zentrosom in der Richtung der
Strahlen, die von ihm ausgehen, ihren Anfang. Diese Bewegung
erfolgt unausbleiblich, ohne Rücksicht darauf, ob der Spermakopf
Das Ei von Cymbulia Peronii. 949
vorher sich nahe an der Peripherie des Eies befand oder in
dessen Mitte (s. Textfig. 13, 14, 15 und Fig. 29, 30 und 38).
Auf dem Wege zum Zentrosom überwindet der Kern, der sich
aus dem Spermakopfe bildet, noch stärker anquellend, den
schwachen Widerstand der Strahlen und dieser Umstand bestimmt
wahrscheinlich jene amöboide Form, die er während dieser Be-
wegung annimmt. Es erscheinen eine oder zwei Ausbuchtungen,
die sich als schmale Schnäbel zum weiblichen Zentrosom hinziehen.
Die Kernmembran ist auch oft an der dem Zentrosom zugekehrten
Seite viel dünner.
Dass sich der Spermakern in Wirklichkeit nicht
zum weiblichen Kern hin bewegt, sondern zum
Strahlenzentrum, wird durch
die Bilder bestätigt, wo a) der
Spermakern, der sich durch
grössere Dicke seiner Chromatin-
wände auszeichnet, mit seinem
Schnabel gerade in das Zentrum
der weiblichen Chromosomen
hineintritt (Fig. 36) und noch
mehr, b) wo der Spermakern,
der während seiner Anquellungs-
periode in der Nähe der Ei-
peripherie sich befand, bei der oe
Annäherung zum weiblichen Kern Annan ane den vorkerne:
nicht bestrebt ist, mit dessen Schnitt X 500. Rechts Spermakern.
peripherischem Teil zusammen-
zufliessen, sondern einen langen, sich verengenden Lappen zum
Orte des weiblichen Zentrosoms entsendet (Textfig. 15).
Ob sich der Spermakopf vor seinem Anquellen und dem
Beginn seiner Bewegung zum Zentrosom hin dreht, wie es z. B.
für Toxopneustes von Wilson angeführt wird, ist schwer
zu sagen. Wenn man die Form des Spermakopfes vor dem
Stadium der Telophase der zweiten Reifungsspindel mit der nach
demselben vergleicht, kann man glauben, dass das spitzere zum
Zentrosom hin gerichtete Ende das Vorderende des Spermakopfes
sei, da in den vorhergehenden Stadien das stumpfe Ende des-
selben dem Orte des Schwanzansatzes entsprach (vergl. z. B.
Fig. 6). Doch ist es wahrscheinlicher, dass der Spermakern sich
950 A. Nekrassoff:
dem Vereinigungsort ohne Unterschied mit jedem Ende nähern
kann, da seine Form mit dem zugespitzten Schnabel nur das
Resultat des Widerstandes, welcher seiner Bewegung vom Strahlen-
reste entgegengesetzt wird, und des unregelmässigen Eintritts von
Kernsaft ins Innere des Kernes ist. Die Form des Spermakernes
wird somit nicht durch die frühere Form des Spermakopfes be-
stimmt, sondern durch das ihn umgebende Medium.
Es macht sich auch keine entgegenkommende Bewegung
des Eikernes zum Spermakern bemerkbar, da die anschwellenden
Fig. 15.
Annäherung der Vorkerne. Schnitt x 1050.
Rechts Spermakern.
weiblichen Chromosomen sich ebenso, wie der anschwellende
Spermakern, zum degenerierenden Zentrosom hin bewegen.
III. Nach Massgabe der Annäherung der Geschlechtskerne,
d. h. je nach Massgabe des Herankommens des männlichen Kernes
an das Zentrosom, degeneriert das letztere und die Strahlen mehr
und mehr. Das Zentrosom wird einfach zur Granula!) (Fig. 37),
'!) Kostanecki (|06] Seite 403) bemerkte bei Besprechung meiner
vorläufigen Mitteilung (03), dass man das Zentrosom mit den Strahlen auf
Fig. 14 (die in gegenwärtiger Arbeit auf Fig. 37 zu suchen ist) anders aus-
legen kann, als ich das tat; man könne es nämlich als Zentrosom des
Das Ei von UOymbulia Peronii. Dan
nach der wenige Strahlen hinziehen; diese Strahlen beginnen sich
zu verdünnen und miteinander zu anastomosieren, indem sie ihre
Orientierung zum Zentrosom verlieren; an Stelle der geraden
Strahlen erscheinen gebrochene (Textfig. 15, Fig. 30); endlich
verschwinden auch diese spurlos im Zytoplasma. Später als die
übrigen verschwinden ihre peripheren Enden, die in die Zone
des feinkörnigen Dotters hineinreichen, vielleicht, weil sich dort
weniger Zytoplasma befindet, in dem sie sich auflösen. Die Zentro-
somen sind von den übrigen Mikrosomen im Zytoplasma schwer
zu unterscheiden in einem Stadium, wo die Entfernung zwischen
den Geschlechtskernen sehr klein ist, ich muss aber bemerken,
dass sie in dieser zweifellos noch vorhanden sind. Hierfür spricht
auch der Umstand, dass sie als Zentren erscheinen, von denen
die Strahlen ausgehen, dass dieses stets beobachtet werden kann
und dass auf den vorhergehenden Stadien das gut erkennbare
Zentrosom stets an diesem Platze war. Schlecht sichtbar ist das
Zentrosom nur deshalb, weil es degeneriert. Ein solches Granula-
Zentrosom erscheint oft wie an die Wandung des weiblichen
Kernes geklebt, oder als ob es an zwei kurzen Strahlen am Kerne
hinge. Bei vollkommenem Aneinanderliegen der Geschlechtskerne
verschwindet jede Spur des Zentrosoms und auch die Strahlen
verschwinden.!)
Spermatozoon ansehen, da bei mir zwischen Fig. 13 (welche Fig. 29 dieser
Arbeit entspricht) und Fig. 14 einige Zwischenstadien fehlten.
Ich muss hier aber bemerken, dass ich auf Grund einer grossen Menge
von mir untersuchter Schnitte von einer ganzen Reihe aufeinanderfolgender
Stadien auch nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen
kann, dass meine erste Deutung die richtige war. Die Strahlung auf Fig. 37
(Fig. 14 der vorläufigen Mitteilung) gehört zum inneren Zentrum der zweiten
Reifungsspindel und ihr Zentrosom ist ein echtes Eizentrosom, das zu ver-
schwinden beginnt (vergl. Fig. 29, 30, 31, 32, 33 usw. und Textfig. 13, 15).
'!) Fol sah ebenfalls das Verschwinden des zentralen Sternes. Er sah
das Erscheinen eines homogenen Körpers neben dem Zentrum des Sternes,
der das Licht etwas schwächer brach, als die ihn umgebenden Partien; ferner
beobachtete er das Erscheinen zweier oder dreier anderer Körperchen oder
Bläschen neben dem ersten. Zweifellos waren das anquellende und zusammen-
geflossene Bläschen der Chromosomen und der Kern des Spermatozoons. Der
Stern verschwindet nach seinen Beobachtungen, die Körperchen quellen an
und bilden den Kopulationskern. O. Hertwig sah ebenfalls das Anquellen
der Chromosomen und schätzte das Erscheinen des männlichen Kernes ganz
richtig ein. Wenn er auch annahm, dass der Schwanz des Spermatozoon aus
dessen Kern hervorgeht und ihm bei der Befruchtung folgt, so zeichnet er
952 A. Nekrassoff:
Zwischen den Kernen und der Eiperipherie zeigt das Zyto-
plasma dort, wo die Reste der zweiten Spindel sich befanden,
eine besonders lockere Struktur mit grossen Lücken des Enchylems
und einem dunklen grobkörnigen Netz des Spongioplasmas.
Das Stadium des Wachsens der Geschlechtskerne
(Fig. 39, 40, 41 und 42). Wenn der zentripetale Prozess bereits
sein Ende erreicht hat, setzt sich der Wachstumsprozess der eng
aneinanderliegenden Geschlechtskerne noch fort. Streng genommen
findet auch hier noch ein wenig bemerkbarer zentripetaler Zu-
strom von Material, auf Kosten dessen die Kerne anwachsen, statt.
Der Kernumfang nimmt bedeutend zu, was hauptsächlich von der
Zunahme der Menge des Kernsaftes in ihnen abhängt. Übrigens
vergrössert sich das Lininnetz der Kerne und auch die Gesamt-
menge des Chromatins. Fig. 34 und 35 zeigen, dass sich das
Chromatin in gesonderten gezähnten Stäbchen an den Bläschen-
wänden ablagert, ohne dieselben vollständig zu bedecken. Ausser-
dem durchzieht ein schwaches Netz von dünnen Fäden, das von
diesen Zähnchen ausgeht, auch das Innere des Bläschens. An den
Kreuzungsstellen solcher Fäden sammelt sich immer Chromatin
und bildet einen kleinen Nukleolus. Während des weiteren Ver-
laufs des Quellungsprozesses der Bläschen beginnt das an den
Wänden abgelagerte Chromatin sich nicht nur auf eine grössere
Fläche als vorher zu verteilen, sondern es fängt an, sich in
grösserer Menge an bestimmten Stellen des inneren Netzes jedes
Bläschens anzuhäufen: so erreichen die Chromatinnukleolen eine
bedeutende Grösse (Fig. 335 und 39) und nehmen in jeder Blase
eine Lage im Zentrum derselben, oder nicht weit von demselben
ein. Die Verschmelzung der Bläschen ändert seine Lage und
das Chromatin beginnt sich auf einigen Linien des Netzes zu
verteilen, und die Nukleolen nehmen eine verlängerte Gestalt an.
Fig. 40 zeigt ein solches Stadium, wo die Nukleolen noch vor-
handen sind, einige schon verlängert, aber neben ihnen treten
auf seiner Fig. 9, Taf. XI den Schwanz als nicht dranhängend, in einiger
Entfernung vom Kerne, was vollkommen mit meinen Beobachtungen überein-
stimmt. Natürlich hatte O. Hertwig vollkommen recht, wenn er annahm,
dass der lange Faden eben den Schwanz des Spermatozoons darstellte.
Ferner beobachtete OÖ. Hertwig nach der Annäherung der Geschlechtskerne
deren Anwachsen. In den so angequollenen Kernen bemerkte er viele kleine
Nukleoli.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 955
neue Elemente auf; das sind Chromatinbänder, die oft in geraden
Linien auftreten. In solche Bänder geht allmählich das Material
aus den Nukleolen über, die zum Zeitpunkt des Erscheinens der
Furchungszentrosomen verschwinden.
Am Aufbau des Lininnetzes nehmen vielleicht die Wandungen
der zusammenfliessenden Bläschen, aber hauptsächlich diejenigen
Zweige des Chromatins teil, die, von den Chromatinnukleolen oder
den Chromatinbändern ausgehend, dünne und blassere Anastomosen
mit anderen Nukleolen und Chromatinelementen bilden.
Das körnige Plasma, ein Zerfallsprodukt der Spindel an der
Peripherie des Eies, wird allmählich resorbiert und vom übrigen
/ytoplasma assimiliert. Die Richtungskörperchen liegen oft in
einer kleinen Grube, welche die spätere Teilungsfurche der Zelle
andeutet. Unter ihnen befindet sich der Zwischenkörper. Letzterer
bildet sich dank der ringförmigen Einschnürung der Eimembran
durch Annäherung und Verkittung der Fasern nur in einer dünnen
Äquatorialfläche, von wo Faserbündel in Form von zwei Kegeln
ausgehen; der eine Kegel verläuft zur Chromatinmasse des
Richtungskörpers, der andere zum weiblichen Kern (Fig. 41).
Auf dem @uerschnitt besteht ein solcher Zwischenkörper aus
einigen dicken Bändern, von denen sich jedes aus zusammen-
geflossenen Faserbündeln bildete. Später erstreckt sich dieses
Zusammenfliessen der Fasern auf eine grössere Strecke hin, und
der Körper nimmt die Gestalt eines Stiftes an, der oft von der
einen Seite sich auf den weiblichen Kern stützt, mit dem anderen
Ende aber der Chromatinmasse des Richtungskörperchens anliegt
(Fig. 40).
Es ist möglich, dass auch das Grübchen, in dem zu dieser
Zeit die Richtungskörperchen liegen, sich dadurch bildet, dass
der zusammengedrückte Zwischenkörper den Zusammenhang weder
mit dem weiblichen Kern noch mit dem Richtungskörper verliert,
noch auch mit der Eihülle,e und sich zusammenziehend den
Richtungskörper zum Kern heranzieht. Die Kerne lagern sich
gewöhnlich so. dass der weibliche Kern näher zur Peripherie des
Eies liegt, während ihm der männliche dicht von unten und etwas
seitwärts angelagert ist, mit dem unteren Rande in die Zone des
feinkörnigen Dotters hineinragend.
Die Zone des dotterfreien Zytoplasma wächst bedeutend
an. Der Dotter rückt mehr und mehr zur vegetativen Hälfte
954 A. Nekrassoff:
des Eies hin und als Resultat erscheint eine viel schärfere
Sonderung der Zonen des dotterfreien Zytoplasma, des fein-
körnigen und grobkörnigen Dotters als vorher. Doch werden
diese Zonen nicht mehr durch sphärische Flächen voneinander
geschieden, wie vordem, sondern durch horizontale Ebenen. So
wird die „Polarität“ des Eies deutlich ausgedrückt. In der Zyto-
plasmazone wird der Schwanz des Spermatozoon resorbiert, dessen
Stücke auch noch in den folgenden Stadien, sogar an den Blasto-
meren nach vollendeter Teilung gefunden werden, aber diese
Stückchen werden immer dünner und dünner.!)
Das Stadium der inneren Differenzierung der
Kerne (Fig. 41, 42 und 45). Diese Differenzierung, die von
einem noch grösseren Wachstum der Kerne begleitet ist, besteht
in der endgültigen Bildung zweier Elemente aus dem Netze des
Kernes. Die einen färben sich intensiv, die anderen blass; die
ersteren zeigen eine Neigung, sich in dickere Stränge anzu-
ordnen, die letzteren in Guirlanden feiner Körnchen zu zerfallen.
Die ersteren sind Teile des Chromatinnetzes, das sich in ge-
sonderte Stücke teilt und bei dem Zerfall Zweige, Verdickungen,
Knoten, Krümmungen und Verdünnungen bildet (Fig. 41, 42).
Hier und da sind sie von gleichsam anklebenden Körnern
bedeckt. Einige von ihnen (Textfig. 17) zeigen (obwohl selten)
etwas wie eine schwache Spaltung. Die letzteren beginnen sich
in Rosetten zu gruppieren, die aus 4—5 Granulae bestehen;
Reihen solcher Rosetten bilden eigentümliche Guirlanden. Die
Nukleolen verschwinden. Die so vorbereiteten Kerne treten in
ein neues Stadium des Prozesses, das zur Bildung der ersten
Furchungsspindel führt.?)
Die Prophase der ersten Furchungsspindel (Fig. 45,
Textfig. 16 und 17). Der Anstoss hierzu wird von den Furchungs-
zentrosomen gegeben, die an den (zeschlechtskernen an deren
Berührungsflächen erscheinen. Bei ihrem Erscheinen werden sie
!) Diese Teilung der drei Zonen im Cymbulia-Ei hat O. Hertwig
richtig beschrieben (78). Von derselben spricht er auch in seiner anderen
Arbeit: „Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Teilung der Zelle“ (85).
Ich kann bestätigen, dass am lebender Objekt mit wunderbarer Deutlichkeit
die konjugierenden Kerne in der Zytoplasmazone zu sehen sind.
®) OÖ. Hertwig bemerkte das Verschwinden der Nukleoli und das
Auftreten von „Häufchen kleiner Körner“ an Stelle derselben.
Das Ei von Uymbulia Peronii. 955
nur durch die Granulae mit schwachen, von diesen ausgehenden
Strahlen dargestellt. Wie im Moment des Verschwindens des
weiblichen Zentrosoms dieses als Granula erscheint. die fast auf
der Wandung des Kernes sitzt, so sind
auch hier die Zentrosomen als Granulae
auf der Linie der von ihnen unter-
brochenen Eihülle zu sehen (Textfig. 16
und 17). Beide Zentrosomen erscheinen
gleichzeitig, aber an sich nicht ganz genau
gegenüberliegenden Enden der Kerne.
Dass dieses sich so verhält, beweisen
Schnittserien, wo beide Zentrosomen auf
verschiedenen Schnitten auf einer Seite Fig. 16.
des Kernes zu liegen kommen; so kommt Da Brscliemen
: 7 : h BER der Furchungszentrosomen.
z. B. auf dem Schnitte Textfig. 17 eines ER nn
Die Zeichnung ist aus zwei
der Zentrosomen auf der rechten Seite gehnitten x 500 kombiniert.
des Kernes zu liegen. Nach drei weiteren
Schnitten berührt der vierte (der das Ei nur oberflächlich traf) das
andere Zentrosom, ebenfalls rechts von dem Kernabschnitt. Dasselbe
ist in der Textfig. 17 nicht abgebildet, da es auf der Zeichnung
kig. 17.
Das Erscheinen der Furchungszentrosomen. Schnitt x 1050.
hinter dem Kern erscheinen musste, was leicht zu einer irrtümlichen
Vorstellung führen könnte, als sei es im Innern des Kernes ent-
standen. Niemals sind sie einander jedoch genähert. Ihre Lage
956 A. Nekrassoff:
ist vielleicht am besten so zu bestimmen: die beiden geraden
Linien, welche die Zentrosomen mit dem Zentrum der Kopulations-
fläche verbinden, bilden einen stumpfen Winkel. Textfig. 16 gibt
eine kombinierte Zeichnung zweier nebeneinander liegender
Schnitte, in Ebenen, die fast perpendikulär zur Eiachse liegen;
die Lage der beiden Zentrosomen ist auf dieser Zeichnung noch
anschaulicher.
Die Beobachtungen an lebenden Uymbuliaeiern sind
in dieser Zeit sehr interessant. Während des Stadiums des
Anquellens der Kerne ist das Zytoplasma äusserst durchsichtig
(der Dotter ist in dieser Periode ganz an den negativen Pol
gerückt). und die Kerne mit ihren Nukleolen sind ausgezeichnet
sichtbar. Man sieht ihr Anquellen und die kleinen Form-
veränderungen. Beim Verschwinden der Kernmembran sieht man
das Auftreten zweier Sterne (vergl. die schöne Figur 5 Taf. XI
in der Arbeit von OÖ. Hertwig, wo die Zeichnung nach einem
lebenden Objekt angefertigt wurde), die die Homogenität des
Zytoplasma nur im ersten Momente nicht stören; darauf ver-
schwindet alles.) Man erhält den Eindruck, als ob der Akt
beendet ist und der Vorhang langsam fällt. Auf diese Weise
erscheinen die Zentrosomen mit ihren Strahlen, als Zentrum der
Störung der Homogenität des Zytoplasma.°)
!) Man muss hierbei beachten, dass diese Furchungskaryokinese in
einem Medium von Zytoplasma vor sich geht, welches des Dotters entbehrt,
Dort aber, wo die Strahlen sich einen Weg zwischen den Dotterkügelchen
bahnen müssen, wo der Dotter nicht scharf vom Zytoplasma geschieden ist,
oder wo er gleichmässig über das ganze Ei verteilt ist — sieht man die
Strahlung an den lebenden Eiern gerade infolge der Auseinanderschiebung
der Dotterelemente. So ist es z. B. im Beginne der ersten Reifungsspindel
bei Cymbulia. So ist es auch in den Eiern von Pterotrachea oder
Saccocirrus papillocercus.
2) Wie Fol, so zeigt mit ihm übereinstimmend auch O. Hertwig,
dass gleichzeitig zwei Sterne auftreten und zwar an entgegengesetzten
Punkten. Folgendes sagt Fol über deren Erscheinen: „Des leur premiere
apparition, ils se mettent & croitre avec une grande rapidite, comme les
cristaux qui se forment dans une solution persaturde.* — „Je ne puis mieux
comparer cette disparition“, sagte er ferner von dem hierbei stattfindenden
Verschwinden der Kerne, die vorher ausgezeichnet am lebenden Objekt zu
sehen waren, „qu’ä celle de ces images de lanterne magique, que l’on nomme
„dissolving views.“ — „Plötzlich werden die Konturen der beiden Kerne
undeutlich“, sagt von derselben Erscheinung O. Hertwig, „und es ver-
schwinden rasch die beiden hellen vakuolenartigen Räume (d. h. Kerne), indem
Das Ei von Cymbulia Peronii. 957
Die Strahlen, welche von den Zentrosomen in das Zyto-
plasma und in den Kern ausgehen, sind von gleicher Art; diese
Tatsache verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, da sie
dafür spricht, dass sämtliche Strahlen zuerst ein und denselben
Ursprung haben. In diesem Zeitpunkt kann man noch nicht
sehen, dass das Lininnetz des Kernes sich verändert hätte oder
begonnen hätte, sich in der Richtung zu den Zentrosomen hin
umzugruppieren.
Die Zentrosomen fahren fort zu wachsen und sich mit
Zentroplasma zu umhüllen. Um dieselben herum tritt eine
Strahlung auf; die Strahlen verlängern sich und ihre Zahl ver-
mehrt sich bedeutend. Die Strahlen gehen gerade und gehen
an ihren peripheren Enden nicht in das Zellnetz über. In das
Innere des Kernes ziehen sich von den Zentrosomen sehr dichte
Bündel ziemlich blass gefärbter Strahlen; die einander berührenden
Wandungen beider Kerne verschwinden in dieser Zeit. Es ist
schwer festzustellen, dass der eine Vorgang dem anderen voraus-
geht: das Zusammenfliessen der Kerne durch Auflösung der sich
berührenden Wandungen, oder das Auftreten der Zentrosomen.
Wie es scheint, geschieht beides fast gleichzeitig. Doch seltene
Fälle des Auftretens von Zentrosomen vor Verschmelzung der
Kerne, und das Fehlen von solchen, wo die Kerne schon zusammen-
getlossen und noch keine Zentrosomen vorhanden sind, lassen
annehmen, dass dennoch die Zentrosomen früher erscheinen.
Die Kernmembran löst sich an den Stellen, wo die Strahlen
eindringen, noch mehr auf. Ausser diesen dünnen Strahlen
bemerken wir gleichzeitig im Kerne (Fig. 45) dichtere, leicht
gebogene Fasern, die mit Granulae besetzt sind und in derselben
Richtung gehen, wie die dünnen Strahlen, die aber bei weitem
nicht bis zu den Zentrosomen heranreichen. Diese gebogenen
Fasern mit den Granulae sind entschieden im Innern des Kernes
entstanden und verdanken wahrscheinlich dem Achromatinnetz
der Rosetten ihren Ursprung.
sich offenbar das umgebende Protoplasma mit dem Kernsaft mischt“. Danach
sind nur zwei Systeme von Strahlen einige Zeit zu sehen. Diese Beob-
achtungen an lebenden Objekten habe ich mehr als einmal machen können,
ich sah mehrmals das Auftreten der Zentren und kann die Richtigkeit der
Beobachtungen von Fol und OÖ. Hertwig bestätigen.
955 A. Nekrassoff:
Weiterhin (Fig. 46) fliessen die dünnen Strahlen im Innern
des Kernes zusammen und bilden die Spindel, deren Achse
anfangs, dank der oben erwähnten asymmetrischen Lagerung der
Zentrosomen, eine krumme Linie darstellt, die allmählich sich
gerade richtet. Die dicken, mit Körnern besetzten und noch
immer gebogenen Fasern aber ziehen sich an ihren Seiten
entlang. Die Enden jener dünnen Strahlen, die sich noch nicht
mit den entsprechenden Strahlen des anderen Zentrosoms vereinigt
haben, gehen in das Achromatinnetz der Rosetten, einige aber
auch in die mit Gruppen von Granulae besetzten Fasern über.
Dieses dient als indirekter Beweis dessen, dass die Rosetten-
substanz durch die Spindelfasern assimiliert wird.
Nach Massgabe des Eindringens der Strahlen in den Kern
gleichen sich die Chromatinelemente aus. Abzweigungen oder
angeklebte Körner sind an denselben gar nicht mehr zu sehen.
Die Anastomosen des Lininnetzes, von denen, wie es scheint, die
Zahnung der Chromatinelemente abhängt, lösen sich zusammen
mit den Achromatinrosetten auf. Das Chromatinknäuel bildet
nicht einen Faden, sondern, wie aus Fig. 46, 49 und 50 hervor-
zugehen scheint, mehrere Fäden, die zuweilen mit dem freien
Ende an anderen Fäden befestigt sind. Mir scheint, dass in
diesem Stadium die Enden der künftigen Chromosomen durch
schwache Auftreibungen angedeutet werden. Auf diese Weise
verspätet der Zerfall des Chromatins in einzelne Chromosomen
im Vergleich zur ersten Reifungsspindel.
Die Chromosomen stellen gleichmässige, lang ausgezogene,
mit sehr schwachen Verdiekungen an ihren Enden versehene
(Fig. 49) Haken, oft aber auch Ringe dar, und bilden, ohne in
der Mitte gebrochen zu sein, eine gebogene Figur (Fig. 51).
Im Innern der neuen Spindel befindet sich noch Kernsaft,
d. h. es bleibt eine helle Zone nach. Die Hülle der Kernes löst
sich aber vollkommen auf.
Die Metaphase der ersten Furchungsspindel
(Fig. 47 und 48). Die Achse der Spindel richtet sich gerade,
aber die letztere selbst lagert sich asymmetrisch im Zytoplasma
und eines der Zentrosomen liegt tiefer, das andere näher zur
Eiperipherie; dem ersteren steht ein grösseres Gebiet für seine
Strahlen zur Verfügung, als dem letzteren; daher ist die
Strahlung um das erstere grösser als um das letztere. Die
Das Ei von Cymbulia Peronii. 959
Strahlen erreichen in diesem Stadium eine besondere Dichtigkeit
und die Zentrosomen sind nur in Form von dunklen Flecken in
einer dunklen gelben Sphäre erkennbar.
Die Spindelfasern werden ganz glatt und besitzen keine
Granulae. Die peripheren Fasern sind ganz augenscheinlich dicker
als ihre Zentralmasse.
Die Chromosomen lagern sich in den Äquatorialscheiben
anfangs perpendikulär oder schräg zu den Spindelfasern (Fig. 42),
nehmen aber bald eine zu den letzteren parallele Stellung ein,
um sich in Tochterehromosomen zu zerteilen (Fig. 43). Die Zahl
der Chromosomen der Metaphase beträgt hier 32.
Das starke Wachstum der Strahlen verändert von neuem
die Abgrenzung der Zonen. Die das dotterfreie Zytoplasma
geren den feinkörnigen Dotter hin begrenzende Linie erscheint
auf den Schnitten wellenförmig; dasselbe lässt sich von der
Grenze zwischen grobkörnigem und feinkörnigem Dotter sagen.
Die Furehungsmetaphase findet früher ihren Abschluss, als
die Abschnürung der Eizelle beginnt.
III. Allgemeiner Teil.
1. Die Entstehung der Strahlung neben den Kernen.
Jede normale Karyokinese besitzt zwei Hauptzüge: die
Bipolarität der karyokinetischen Figur und die gesetzmässige
Teilung der Mutterchromosomen, welche zwei Gruppen von
Tochterchromosomen liefern, die jede zu ihrem Pol hinwandert.
Ein dritter Zug, den Gurwitsch (04) aufführt, das Aufhellen
des karyokinetischen Feldes, ist, wie ich schon früher erwähnte,
keine bloss für die Karyokinese charakteristische Eigenschaft.
Andere Züge aber — Grösse und Form der Chromosomen, Form
der Spindel, die grössere oder geringere Entwicklung der Pol-
strahlen, ja deren gänzliches Fehlen, die Form des Zentrosoms —
variieren bedeutend bei den verschiedenen Zellen, bei ver-
schiedenen Tieren. In Rücksicht darauf muss eine allgemeine
Theorie der Karyokinese eine Erklärung geben sowohl für die
Entstehung der Bipolarität, als auch für die Teilung der Chromo-
somen und für die Bewegung der beiden Tochtergruppen zu den
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 62
960 A. Nekrassoff:
Polen hin. Die Züge aber, die nicht allen Karyokinesen gemeinsam
sind, können ihre besonderen Ursachen haben und verlangen
eine besondere Erklärung. In der Tat würden wir, wenn ein
solcher Zug notwendigerweise als Folge aus der allgemeinen
Theorie der Karyokinese hervorgehen würde, sein Vorhandensein
bei allen Karyokinesen erwarten. Hierzu gehört z. B. das Vor-
handensein von Polstrahlen, die bei Cymbulia so schön ent-
wickelt sind.
Über deren Entstehung gibt es eine Menge Hypothesen.
Die meisten von ihnen stellen Analogien mit ähnlichen Bildungen
dar, die künstlich in dieser oder jener kolloidalen Substanz er-
halten wurden. Einige von diesen Hypothesen sehen das Auf-
treten der Strahlen als rein oder hauptsächlich physikalische
Erscheinung an. Zum Beispiel:
1. die Strahlen sind ein Ausdruck von Kraftlinien, die den
elektrostatischen analog sind; sie stehen im Zusammen-
hange mit der elektrischen Polarisation der kolloidalen
Partikelchen, die sich miteinander vereinigen (R. Lillie
[03, 05]); oder es sind Ketten von materiellen Kräften,
oder einer „bipolaren Kraft“, die der magnetischen
analog ist (vgl. Hartog |04, 05]); sie sind endlich ein
Ausdruck der hydrodynamischen Pulsationskraftlinien
(Lamb [07]);
2. die Strahlen sind Wandungen von Waben des Zytoplasma,
die sich in Linien geradestrecken, welche den Radien
nach unter dem Einfluss der Spannung, welche vom
Zentrosom ausgeht, zu letzterem hin gerichtet sind
(Bütschli, Rhumbler);
3. die Bildung von Strahlen ist identisch mit den lokalisierten
und orientierten Bildern des Gel in Kolloiden, mit dem
Übergange aus dem Zustande des Sol in Gel (vgl.
Mart. Fischer und W. Ostwald [05] und ebenso
Schläpfer [05]; der letztere weist auch auf die Ursache
dieses Überganges hin).
Andere sehen die Bildung der Strahlen als eine Er-
scheinung an, die auch mit chemischen Prozessen im
Innern der Zelle verbunden ist;
4. die Strahlen sind diffuse Ströme im Zytoplasma, die durch
den chemotaxischen Einfluss des Zentrosoms oder durch
Das Ei von Uymbulia Peronii. 961
andere physikalisch-chemische Bedingungen hervorgerufen
werden und vom Zentrosom oder zum Zentrosom gehen
oder gleichzeitig von ihm und zu demselben (erste
Hypothese Bütschlis, Giardina [02], teilweise
Vejdovsky [07]);
5. die Strahlen sind komplizierte Strukturen, die bei der
chemischen Einwirkung der Bestandteile des Kernes
(z. B. der Nukleinsäure) auf das Zytoplasma entstehen
(vel. Jenkinson [04)).
Wir kennen die physikalisch-chemischen Bedingungen, unter
denen die Transformation der Zellelemente stattfindet, sehr
wenig. Daher sind alle diese interessanten Analogien nicht im-
stande, irgend eine Sicherheit dafür zu bieten, dass auch in der
Zelle eben dieselben Prozesse vor sich gehen, wie in den von
den Autoren aufgeführten Versuchen.
Dennoch bleibt für den Morphologen noch ein Feld wohl
zu lösender Aufgaben übrig. die seine Kräfte nicht übersteigen.
Das allmähliche Fortschreiten von Veränderungen in der Zelle
in einer ununterbrochenen Reihenfolge von Bildern vor Augen
habend, kann er zu bestimmen versuchen, was für morphologische
Elemente der Zelle an der Bildung der Strahlen teilnehmen und
das Material für deren Aufbau liefern. In der Tat ist es ein
grosses Verdienst, das Feld der Untersuchungen über die Ursachen
einzuschränken, indem man dasselbe auf bestimmte Zellelemente
begrenzt. Solch eine „Begrenzung“ ist für die Kraft- und Zeit-
ersparnis des Forschers sehr wichtig und hatte in der Wissen-
schaft immer eine grosse Bedeutung. So war es ein grosser
Schritt vorwärts, als man fand, dass das Wesen der Befruchtung
in der Vereinigung des Spermatozoons mit dem Ei besteht; so
wurde das Feld der Untersuchungen eingeschränkt — die Ab-
wesenheit der Befruchtungsursache ausserhalb bestimmter Elemente
festgestellt. Es ist nur notwendig, dass eine solche Beschränkung
durch Beweise gestützt wird, die wirklich die Abwesenheit der
Ursache ausserhalb bestimmter Elemente feststellen.
In Bezug auf die morphologische Entstehung der
Strahlung wurden die verschiedensten Voraussetzungen gemacht.
Die einen hielten sie für ein Derivat des Zytoplasma, die
anderen — für dasjenige des Kernes, oder dessen Bestandteile,
z. B. des Linins und des Oxychromatins (vgl. Conklin [02]), die
62*
962 A. Nekrassoff:
dritten dachten sich denjenigen Sektor der Strahlung, der in den
Kern eindringt, als aus dem Kern und den übrigen Teil derselben
als aus dem Zytoplasma entstanden usw. Andere endlich waren
der Ansicht, dass die Strahlen eine Umordnung oder Äusserung
einer früher schon existierenden Substanz sind. („Archoplasma“
Boveris, „Kinoplasma“ Strasburgers.)
Hierbei muss beachtet werden, dass der „Aster“ besonders
im Beginne seiner Bildung eine einfache Struktur darbietet
(wenigstens bei unseren heutigen Untersuchungsmethoden). Je
einfacher die Form, desto leichter kann sie gebildet werden.
Es genügt eine schwache Veranlassung, um sie auftreten zu lassen.
Ist dem aber so, so muss man annehmen, dass die ver-
schiedensten Faktoren sie ins Leben rufen können. Schläpfer
(05) weist mit Recht darauf hin, dass die Strahlung in der Zelle
nicht bedingungslos mit dem „mitotischen“ Prozesse zusammen-
hängt. So ist die Einwirkung der Amöbe (nach Beobachtungen
von Wheeler im Ei von Myzostoma glabrum) auf das
Zytoplasma sehr der Einwirkung des Spermatozoon auf dasselbe
ähnlich.
Die zahlreichen oben angeführten Hypothesen zeigen, dass
diese einfache Form der Strahlung in verschiedenartigen Sub-
stanzen erzielt werden kann, und zwar auf verschiedenem Wege
(vgl. die Versuche von Bütschli, Rhumbler, Gallardo,
Hartog, Fischer, Jenkinson, Schläpfer und andere).
Von diesen Erwägungen ausgehend, halte ich es für sehr
wahrscheinlich, dass bei Cymbulia die Faktoren, welche die
Strahlung neben dem Kerne, d. h. in der ersten Reifungsspindel
und ersten Furchungsspindel und nicht beim Kerne, d.h. in der
zweiten Reifungsspindel hervorrufen, nicht ganz dieselben sind:
in der Tat ist in den ersten beiden Fällen der Zustand der
anderen Elemente in der Eizelle ein anderer als im dritten Falle.
Daher werde ich hier zuerst die Entstehung der Strahlung bei
Cymbulia neben den Kernen, d.h. die ersten beiden Fälle,
betrachten.
Ich habe schon auf diejenigen Gründe hingewiesen (S. 921),
welche mich veranlassen, vorauszusetzen, dass die Elemente des
Kernes und des Zytoplasma an der Entstehung der Strahlung
der ersten Reifungsspindel teilnehmen. Doch hindert uns das
Fehlen von Stadien, welche unmittelbar dem Stadium der Fig. 2
Das Ei von CÜymbulia Peronii. 963
y
vorausgehen, darüber zu urteilen, welcher Art diese Teilnahme
ist. In einer günstigeren Lage befinden wir uns in bezug auf
die Frage über den Ursprung der Polstrahlen der ersten Furchungs-
spindel. Hier konnten wir die Einzelheiten des Bildungsanfangs
der ersten Furchungsspindel und die Vorbereitung dazu verfolgen.
Wir sahen, dass der Bildung der karyokinetischen Figur das
Anwachsen der Kerne und ihre innere Differenzierung vorausgeht.
Wir sahen, dass nicht nur die Masse des Kernsaftes im Kerne
zunimmt, sondern auch die anderen Kernelemente sich differen-
zieren. Dieses kommt, wie wir zeigten, im Auftreten von Achromatin-
rosetten und des Chromatinnetzes zum Ausdruck. Die aus dem
Zstoplasma aufgenommenen Substanzen werden vom Kern nicht
einfach assimiliert, sondern treten im Innern des Kernes in irgend
andere Beziehungen zueinander. Das Anquellen der Kerne hört
mit der Zerstörung der Kernmembran an den Stellen des Auf-
tretens der Zentrosomen auf. Textfig. 16 und 17 zeigen, dass
die Zentrosomen bei ihrem Auftreten tatsächlich auf der Ver-
längerung der unterbrochenen Membranlinie erscheinen und dass
sich schwache Strahlen auch ins Innere des Kernes, ebenso wie
in das Zytoplasma, erstrecken. Fig. 45 zeigt dasselbe.
Was geschieht nun bei diesem Durchbruch der Membran ?
Welchen Ursprungs ist das Material für die Strahlen ?
Hier bieten sich uns vier Möglichkeiten:
1. die Polstrahlen stammen aus dem Kern;
2. sie sind Derivate des Zytoplasma;
3. ein Teil derselben ist ausschliesslich aus dem Kern, ein
anderer Teil ausschliesslich aus dem Zytoplasma hervor-
gegangen;
4. die Strahlen sind eine Neubildung, zu der irgendwelche
Bestandselemente des Zytoplasma und des Kernes das
Material liefern.
I. Von den Elementen des Kernes können den Polstrahlen
den Ursprung geben: 1. der Kernsaft; 2. das Linin und Oxy-
chromatin des Kernes (siehe Conklin [02] bei Crepidula),
d. h. Elemente des Kernnetzes. Der Kernsaft muss jedenfalls
verändert werden, um zu Strahlen zu werden; sonst würden die
Polstrahlen nur im Zytoplasma und nicht im Innern des Kernes
964 A. Nekrassoff:
vorhanden sein. In Wirklichkeit aber sind die Polstrahlen auch
im Innern des Kernes von Beginn des Auftretens des Asters zu
bemerken und sind leicht von dem Kernsaft zu unterscheiden.
So denke ich denn, dass wenn der Kernsaft auch an der Bildung
der Polstrahlen teilnimmt, so doch nur partiell, in Verbindung
mit anderen Zellelementen.
Was das Linin und Oxychromatin des Kernes anbelangt, so
erscheinen 1. ausserordentlich schön entwickelte Polsterne, wenn
das Lininnetz des Kernes offenbar noch unberührt ist; 2. können
die Strahlenbündel, die vom Zentrosom in den Kern gehen, nicht
mit dem Lininnetz identisch sein; es sind ihrer zu viele und sie
liegen zu dicht. Aber nach Conklins Meinung muss dieses
Lininnetz auch den Polstrahlen den Ursprung geben, die in das
Zytoplasma eindringen. So liefert denn das Lininnetz für die
einen wie die anderen Elemente zu wenig Material.
II. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Strahlen, die
sich im Zytoplasma ausbreiten, zytoplasmatischen Ursprungs sind,
gleichviel, ob es sich nun um zum Zentrosom hin gerichtete
Hyaloplasmaströme oder um geradegestreckte Wandungen der
zytoplasmatischen Alveolen, oder endlich um den Ausdruck der
zentripetalen Verdichtung des Zytoplasma handelt. Aber man
kann sich nur sehr schwer vorstellen, dass bei Cymbulia die
Strahlen, die vom Kern zum Zentrosom gehen, ebenfalls zyto-
plasmatischen Ursprungs sein sollten. Seien es Ströme des
Zytoplasma oder Verdichtungen desselben, oder unter dem Ein-
flusse der Spannung geradegestreckte Wandungen der Alveolen
— all dies ist als Bewegung zum Zentrosom hin denkbar,
während eine Bewegung des Zytoplasma innerhalb des Kernes
nur vom Zentrosom aus nach seinem Innern annehmbar ist.
Ich muss es aber entschieden ablehnen zuzugeben, dass die Pol-
strahlen ein Ausdruck von Strömen des Hyaloplasma, das zu den
Zentrosomen hinfliesst, während die Strahlen, aus denen sich die
Zentralspindel bildet, Ströme desselben Hyaloplasma, die von
den Zentrosomen aus zum Äquator der Spindel gehen, darstellen.
Trotzdem ist aber das die Deutung, die Kr. Bonnevie (06) der
Hypothese des Teilungsmechanismus zugrunde lest. Wenn in der
Tat solche Bewegungen existieren sollten, so würde sich 1. ım
irgend einem Stadium eine Umkehr der Teilchen des Hyalo-
plasma bei den Zentrosomen bemerkbar machen und müsste sich
Das Ei von Cymbulia Peronii. 965
in einer Umbiegung der Polstrahlen neben den Zentrosomen und
bei deren Übergange in die Spindelfasern zeigen; 2. die „innerste*
Zone, welche das Gebiet der zentripetalen Bewegung vom Sektor
der zentrifugalen Bewegung trennt, müsste ebenfalls scharf hervor-
treten. Nimmt man aber an, dass diese Bewegungen eine Folge
der Kräfte sind, die in den jungen Zentrosomen wirksam sind
(und Bonnevie setzt dieses gerade voraus), so erscheint die
Unhaltbarkeit dieser Hypothese noch grösser. In der Tat können
doch Teilchen ein und desselben Hyaloplasma unter der Ein-
wirkung ein und derselben radial gerichteten Kräfte nicht in
derselben Entfernung in einer Richtung angezogen, in der
anderen abgestossen werden. So erscheinen denn zwei Teile von
Bonnevies Hypothese: die Bewegung des Hyaloplasma der
Polstrahlen zu den Zentrosomen und die des Hyaloplasma von
den Zentrosomen zum Äquator der Spindel hin, nicht miteinander
übereinstimmend und die Hypothese erscheint daher logisch unbe-
gründet und unhaltbar.
Ill. Dieim Zytoplasma verlaufenden Polstrahlen könnten noch
zytoplasmatischen, die in den Kern gehenden — nuklearen Ursprungs
sein. Diese Voraussetzung hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für sich, doch spricht meiner Ansicht nach der Umstand sehr
stark gegen dieselbe, dass sowohl die einen, wie die anderen
Strahlen ursprünglich gleichartig sind. In der ersten Reifungs-
spindel wird die Substanz der künftigen Strahlen anfangs eben-
falls durch eine einheitliche Sphäre repräsentiert, die sowohl
einen Teil des Kerngebietes, wie auch einen Teil des Zytoplasma-
cebietes einnimmt.
IV. Auf diese Weise neige ich mich am ehesten der vierten
Voraussetzung zu, dass nämlich bei Cymbulia die Polstrahlung
eine Neubildung ist, d. h. nicht mit irgend welchen bestimmten
sichtbaren Elementen des vorhergehenden Stadiums identifiziert
werden kann.!)
Ob dieselbe eine Umordnung der Substanz unter dem Ein-
tlusse irgend einer bipolaren Kraft, wie die elektrostatische oder
magnetische, oder Strukturen, die durch chemische Einwirkung
') Ich verweise den Leser auf das Kapitel IX A. von Gurwitschs
Buch „Morphologie und Biologie der Zelle“, welches eine grosse Menge
Beispiele, die die Neubildung der Strahlen anzuerkennen zwingen, enthält.
966 A. Nekrassoff:
der Kernelemente auf das Zytoplasma hervorgerufen werden, vor-
stellt, oder ob die Bildung von Strahlen mit der lokalisierten
und orientierten Bildung des Gel in Kolloiden identisch ist —
ist schwer zu entscheiden. Doch muss man auch die Möglichkeit
der gemeinsamen Wirksamkeit dieser Ursachen im Auge behalten.
Meine Beobachtungen veranlassen mich, der Anschauung beizu-
stimmen, dass der Aggregatzustand der Strahlensubstanz ein
anderer ist als der des Zytoplasma und des Kernsaftes und es
ist sehr wohl möglich, dass die Strahlung auskristallisiert oder
ausfällt wie das Gel. Und setzt man die Existenz eines beson-
deren Plasma sowohl im Kernsaft wie im Zytoplasma voraus
(jedenfalls im einen wie im andern auf Grund des oben Nach-
gewiesenen), das optisch nicht unterschieden werden kann und
welches gerinnend und dichter werdend die Strahlen liefert, so
würde eine solche Voraussetzung der Theorie des Archoplasma
entsprechen. Wenn ich recht verstehe, ist dies die Annahme
Gurwitschs (04). Er erkennt in der Strahlensubstanz eine
ziemlich weitgehende Festigkeit des Aggregatzustandes an, die
dem Begriffe plastischer Bildung entspricht. Die bei der Ent-
stehung der Strahlen vor sich gehende vitale Gerinnbarkeit oder
Verdichtbarkeit bestimmter Partien des Plasma sieht Gurwitsch
für einen der wichtigen Argumente für die Existenz des Archo-
plasma an. „Die letzte Eigenschaft (vitale Gerinnbarkeit)“ sagt
er, „mit den zwei vorhin erwähnten, genügt wohl vollauf, um
einen Plasmabestandteil, sei er unter dem Namen des Archo-
plasma oder des Kinoplasma zu charakterisieren und an die
Persistenz eines solchen im Zellleib auch unter völliger optischer
Vermengung mit den andern Plasmabestandteilen festzuhalten“.
Doch ist es nötig, zur Hypothese vom Archoplasma, die hier
durch keine direkten Beobachtungen gestützt wird, seine Zuflucht
zu nehmen ?
Das Eizytoplasma kann als Sol angesehen werden (siehe
z.B. Fischer und W. Ostwald) und kann aus nicht stark
konzentrierten Kolloidenlösungen bestehen; in seinem Innern
nimmt der Kern ein gesondertes Gebiet ein, in dem ebenfalls
verschiedene Substanzen, doch in anderem Verhältnis als im Zyto-
plasma, gelöst sind. Der Austausch der Substanzen findet zwischen
dem Kern und dem Zytoplasma und zwischen dem Zytoplasma
und dem äusseren Medium statt. Zwischen dem Kern und dem
Das Ei von Cymbulia Peronii. 967
Zytoplasma wird derselbe von der Diftusion und Osmose!) begleitet.
Dieser Substanzenaustausch °) muss andere Gleichgewichtsverhält-
nisse der das Zytoplasma und den Kern bildenden Substanzen
hervorrufen, was wir anschaulich beim Wachstum und dem An-
quellen des Kernes sahen. Er kann einen Niederschlag aus der
Lösung oder das Gerinnen neuer Kombinationen von Elementen
hervorrufen, was schon an sich die Gleichgewichtsbedingungen
ändert und vom Übergänge anderer Verbindungen in die Lösung
begleitet sein kann. Die Strahlensubstanz ist, meiner Ansicht
nach, eine solche neue Kombination, vielleicht eine neue chemische
Verbindung (im Vergleich zum vorhergehenden Stadium, wo es
keine Strahlen gab) mit einem andern Aggregatzustand. Es ist
einfacher, diese Voraussetzung zu machen, als dem unsichtbar
existierenden Archoplasma ausschliesslich die Fähigkeit zu ge-
rinnen zuzuschreiben.?)
Ich will nun kurz die Schlüsse aus unserer Analyse der
Entstehung der strahligen Produkte neben dem Kerne bei
Cymbulia Peronii wiederholen :
1. vor der Bildung der Strahlen beobachten wir im Kerne
einen osmotischen Prozess;
2. das Zytoplasma einerseits und der Kernsaft anderseits
miissen daher chemisch verschieden sein;
3. die Osmose des Kernes wird von einer sichtbaren Differen-
zierung der Elemente innerhalb desselben begleitet:
') Loeb (07) weist auf die Bedeutung des Wasserverlusts seitens des
Eies hin. Doch lässt sich seine Schlussfolgerung auch auf die einzelnen
Eiteile, z. B. auf das Zytoplasma, anwenden, da der Kern bei seinem Anquellen
wahrscheinlich dem Zytoplasma Wasser entzieht. Loeb sagt folgendes:
„Der Wasserverlust ändert das chemische Gleichgewicht im Ei. Das kann
durch verschiedene Veränderung des Dissoziationsgrades der verschiedenen
Elektrolyten geschehen. Zugleich könnte sich auch die Konzentration der
Jonen HO und H verändern oder der Teilungskoeffizient der verschiedenen
Substanzen.“
?) Siehe R. Hertwig (03, 08), der die Ursache der Teilung der Zelle
in der Veränderung der Austauschsverhältnisse zwischen Kern und Zyto-
plasma sieht.
®») Vergleiche ebenfalls die Angaben Vlad. Rüzickas (06) zugunsten
dessen, dass der morphologische Metabolismus der Zellelemente auf chemische
Veränderungen in denselben zurückzuführen ist.
968 A. Nekrassoff:
4. die Bildung der Strahlen wird von einem Durchbruch der
Kernmembran begleitet;
fe!
. das Zentrum dieser Bildung befindet sich genau auf der
Linie des Durchbruchs der Membran;
6. die Strahlensubstanz ist weder ausschliesslich ein Derivat
des Kernes, noch ausschliesslich ein Derivat des Zyto-
plasma:
7. die Gleichartigkeit der Polstrahlen im Beginne ihrer
Bildung zwingt uns die Voraussetzung von der Hand zu
weisen, dass ein Teil derselben seinen Ursprung dem
Kern, ein anderer dem Zytoplasma verdankt;
DR
die Strahlen sind Neubildungen, welche aus der Wechsel-
wirkung irgend welcher Bestandteile des Kernsaftes und
des Zytoplasma an der Stelle der Membrandurehbrüche
entstehen. Es ist möglich, dass die Strahlensubstanz eine
chemisch andere Verbindung ist als das dieselbe um-
gebende Medium.
Ich erlaube mir hier eine Reihe von Daten aus der Literatur
anzuführen, die darauf hinweisen, dass die Zentrosomen der ersten
Reifungsspindel mit ihren Strahlen immer in unmittelbarer Nähe
des Kernes und offenbar in enger Abhängigkeit von demselben
auftreten. Zu diesem Schlusse führen die Untersuchungen über
die Reifung der Seeigeleier (vergl. Wilson und Mathews!),
und Teichmann); bei Würmern sind derartige Beobachtungen
ı) Wilson und Mathews (95) sagen von der Entstehung der Zentro-
somen der ersten Reifungsspindel bei Asterias Forbesi folgendes: „At
maturation the centrosomes are first accurately to be distinguished as two
(at a very early stage apparently one) deeply staining, small, but distinet and
characteristic granules Iying side by side either in the nuclear membrane or
immediately without it .... Occasionally one of these granules appears
before the other and migrates some distance from the nucleus before the
second appears. In cases where they both lie clearly outside of the nucleus,
the nuclear membrane is invariably broken behind them“.
’), Teichmann (03), der die Beziehungen zwischen den Atrosphären
und den Furchen bei Seeigeln untersuchte, gelangte zur Annahme, „dass
die Strahlung am Zentrosom unter Beihilfe des Kernes hervorgerufen
wird“.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 969
noch zahlreicher (Griffin), Foot und Strobell?), Soulier?),
Wheeler®), Kostanecki’), wobei bei Polykladen der Zu-
sammenhang des Erscheinens der Strahlen der ersten Reifungs-
spindel mit dem Kern in origineller Weise ausgedrückt ist
(Klinckowström, 4 Francotte®),- Vais..den, Strächt,
') Bei der Bildung der ersten Reifungsspindel bei Thalassema er-
scheinen (nach Griffin |99]) die Zentrosomen mit dem primitiven Aster
unmittelbar am Kerne und drücken letzteren, ohne die Hülle zu durchbrechen,
durch das Wachstum der Strahlen ein wenig ein.
®) Foot und Strobell (05) weisen ebenfalls nach, dass bei der ersten
Reifungsspindel von Allolobophora foetida die Hülle des Kernes ein
wenig unter Einwirkung der Strahlen eingedrückt wird, die von den Zentriolen
ausgehen. Man kann sagen, bemerken sie, dass die Theorie der Entstehung
der Zentriolen aus dem Kern durch die Gegenwart dieser zwei Zentriolen
fast im Innern des Keimbläschens bestätigt wird.
®) Soulier (06) beschreibt bei Serpula crater ein Stadium, in dem
die Zentrosomen mit den primitiven Strahlen der Kernhülle dicht anliegen,
welche letztere in der schwachen Vertiefung der Hülle sich aufzulösen be-
ginnt (siehe seine Textfig. 2). Er weist aber darauf hin, dass diesem Stadium
ein anderes vorausgeht, in dem die Kernhülle, in deren Nähe das eben erst
erschienene Zentrosom liegt, noch keinerlei Veränderungen erleidet. Über-
haupt betont er die Schwierigkeit, die Herkunft des Zentrosoms der ersten
Reifungsspindel zu bestimmen, indem man sich entweder dem zytoplas-
matischen Ursprung desselben, oder der Teilnahme des Nukleolus an diesem
Vorgange zuneigt.
*) Bei Myzostoma (Wheeler [97], Kostanecki [98]) erscheinen
zwei Zentrosomen sehr nahe bei der Kernhülle und bei dem Auseinander-
treten kommt jedes von ihnen auf die unterbrochene Linie der Kernhülle
zu liegen.
°) Kostanecki (98) sagt: „Bemerkenwert ist, dass die Zentrosomen
auch bei ihrer weiteren Entfernung voneinander eine solche Lage im Ver-
hältnis zum Mittelpunkt des Keimbläschens beibehalten, dass wenn man sich
die hier infolge der Entwicklung der Strahlen geschwundene Kernmembran
vervollständigt denkt, die Zentrosomen in die Kreislinie der Kernmembran
selbst, oder doch sehr nahe derselben fallen würden“,
6%) Klinekowström (97) fand bei Prostheceraeus, dass die
Zentrosomen der ersten Reifungsspindel direkt an der Kernhülle erscheinen,
„die sich bald in ihrer nächsten Umgebung auflöst“. Er neigt sogar dazu,
dass diese Zentrosomen aus dem Innern des Kernes hervorgehen auf Grund
eines von ihm einmal gesehenen Bildes eines Zentrosoms im Kerninnern.
Aber die Abbildung Ib, auf die er sich beruft, spricht nicht dafür, dass das
Zentrosom hier im Innern des Kerns sich befindet. Diese Zeichnung stellt,
wie ich glaube, einen Schnitt dar, wo es sich zwischen den Auszackungen
des Kernes im Durchbruch der Kernhülle befindet. Ähnliche Bilder beobachtete
ich auch bei ÖOymbulia Peronii. Die Zentrosomen zeichnet er mit primitiven
970 A. Nekrassoff:
Schoecekaert'), indem die Zentrosomen mit den von ihnen
abgehenden Strahlen an den Spitzen besonderer konischer Aus-
wüchse des Kernes erscheinen, die hinsichtlich ihrer Färbung dem
Kernsafte nahestehen. Bei den Trematoden und einigen andern
Würmern wird auch dieser Zusammenhang der Erscheinung der
radialen Struktur mit dem Kern sowohl auch in der Form, wie
bei den Polykladen, als auch in anderen Formen beobachtet
(Goldschmidt, Schubmann?), Gathy°). Eine ganz eigentüm-
Astern. Nach Francotte (98) aber ist das Bild des Auftretens der Reifungs-
zentrosomen von Prostheceraeus vittatus etwas komplizierter. Jedes
von ihnen erscheint auf der Spitze eines aus Fasern gebildeten Konus „ayant
pour base un triangle spherique ou la surface d’une calotte spherique limitee
sur la paroi de la v6sicule germinative encore close“. Übrigens konstatierte
er bei einer andern Turbellarie (Cyclophorus papillosus) Zentrosomen
dicht an der Hülle des Keimbläschens und das lässt annehmen, dass ein
ähnliches früheres Stadium auch bei anderen Polykladen vorkommt.
ı) Van der Stricht (98) fand bei Thysanozoon, dass das erste
Erscheinen der Sphäre „se montre au niveau de la membrane nucl&aire* in
Form von zwei Körperchen: das Keimbläschen gibt hier zwei kleine Aus-
wüchse, die mit hellem Saft gefüllt sind, der sich in Pikrinsäure ebenso gelb
färbt, wie der Kernsaft. An den Spitzen dieser Auswüchse befinden sich
die erst flachen Zentrosomen, die den Strahlen den Anfang geben. Diese
Beobachtungen wurden später von Schockaert (02) bestätigt und am selben
Objekt. So kann man denn sagen, dass bei den Polykladen das Erscheinen
der Zentrosomen mit ihren Strahlen eng mit dem Kern zusammenhängt, und
jener Kegel oder Auswuchs, dessen Spitze das Zentrum der Strahlen vorstellt,
ist bezüglich seines Verhaltens zur Färbung dem Kernsafte sehr nahe verwandt.
?), Goldschmidt (02) findet bei Polystomum integerrimum,
dass an dem Keimbläschen zuerst eine Einbuchtung auftritt, indem sich das
Plasma verdichtet, und in ihm werden die Strahlen mit dem Zentrosom
sichtbar. Goldschmidt meint, dass das Auftreten desselben in der Ein-
buchtung des Kernes leicht zu der Annahme führen könnte, dass es aus
dem Kerne entsteht, er selbst aber nimmt an, dass es im Plasma entstand.
In der Oozyte von Fasciola hepatica (Distomum hepaticum) geht
dem Auftreten der Strahlen nach Schubmann (05) eine Veränderung der
Form des Keimbläschens voraus. Es vertauscht seine runde Form gegen
eine unregelmässige. Hierbei finden zweierlei Arten von Veränderungen
statt: erstens in der Mehrzahl der Fälle wird das Keimbläschen flacher und das
Eiplasma dringt gleichzeitig in die Einbuchtung ein. Dieser Teil des Zyto-
plasmas verdichtet sich und färbt sich dunkler. Bei starker Vergrösserung
sieht man, dass das in die Vertiefung eingedrungene Plasma eine deutliche
radiale Struktur annimmt. Die zweite Form der Veränderung der Kern-
struktur besteht in einer Auftreibung des Keimbläschens auf der einen oder
anderen Seite. Auf der Spitze einer solchen Auftreibung befindet sich das
Das Ei von Cymbulia Peronii. 971
liche Art der Bildung von Polstrahlen der ersten Reifungsspindel
beschrieb Mead (97) bei Chaetopterus pergamentacea.
Nach seinen Beobachtungen erscheinen, sobald das Keimbläschen
einschrumpft, in der das letztere unmittelbar umgebenden Zone,
eine Masse winziger Aster (bis 75); hierauf fangen zwei von Ihnen
an über die anderen die Oberhand zu gewinnen und, während
die übrigen ganz verschwinden, entwickeln sich diese zwei und
am Kern treten in ihrer Nachbarschaft zwei tiefe Einbuchtungen
auf. Aber Lillie (06) wies kürzlich nach, dass Meads sekundäre
Aster flüssige Tropfen, die den Keimbläschen ihren Ursprung
verdanken, darstellen, um die eine schwache Radiation zu be-
merken ist. Die primären Aster Meads, d. h. die späteren
Aster der Reifungsspindel, bilden sich aber ebenso um dünnflüssige
Tropfen des Keimbläschens. So stellt Lillie die Teilnahme der
Kernkongredienten an der Bildung der Strahlungen auch bei
verdichtete Plasma, das auch hier eine radiale Struktur aufweist. Diese
Beobachtung Schubmanns ist in doppelter Hinsicht interessant: 1. sie zeigt,
dass es keinen prinzipiellen Unterschied gibt zwischen dem Erscheinen der
radialen Struktur auf der Spitze des Kernanwuchses (vergl. die Polykladen)
und dem Erscheinen der strahligen Produkte in der Vertiefung des Kernes,
dass wir es mit der Modifikation ein und derselben Erscheinung zu tun haben;
2. sie bestätigt die Tatsache, dass dem Erscheinen der Strahlen entweder
die Einnahme des Territoriums des Kernes durch das Eiplasma oder die des
Territoriums des Zytoplasmas durch den Kern vorausgeht, und bringt uns
dem Gedanken nahe, dass eine wechselseitige Einwirkung des Kernes und
des Zytoplasmas zur Bildung der Strahlen um den Kern erforderlich ist.
Goldschmidt (05) fand bei Zoogsonus mirus, dass die Strahlen aus
dem hellen Felde dicht an der Hülle des Keimbläschens erscheinen.
®) Gathy (00) fand bei Tubifex rivulorum, dass die Strahlung
im Zytoplasma an zwei Stellen erscheint, entweder ganz dicht neben dem
Keimbläschen, oder etwas entfernter von demselben. Im ersteren Falle
bilden die Kernteile, die den Sphären unmittelbar anliegen, hellere Kegel;
im zweiten Falle vereinigen sich die Sphären mit den Kernen durch besondere
Bänder von netzartiger Struktur (vergl. seine Fig. 7). Das allerfrüheste
Stadium mit den Astrosphären (siehe Fig. 6) weist auf eine schwache Ver-
flachung des Kernes an den Stellen hin, wo sie denselben anliegen. Was
die Entstehung der Zentrosomen bei Tubifex im Innern des Kernes, von
der Gathy spricht, anbetrifft, so kann dieselbe nicht in Betracht gezogen
werden, da diese Annahme auf einer willkürlichen und offenbar irrtümlichen
Interpretation seiner Zeichnung Fig. 11 beruht, wo die schon voll aus-
gestaltete Spindel, die mit ihren Sphären gleichsam im Innern der Kern-
hülle liegen soll, abgebildet ist; die Spindel und ein Teil des Kernes mit
der Hülle liegen, wie man annehmen mnss, in verschiedenen Ebenen.
>
—1
[SS
A. Nekrassoff:
Chaetopterus fest. Bei den Mollusken erscheinen die Pol-
strahlen der ersten Reifungsspindel, wie es scheint, auch nicht
ohne Teilnahme des Kernes (Gonklin, Bonnevie, Smallwood,
Schaposchnikoff®), der bei Acanthodoris pilosa, viele
Strahlungen neben dem Keimbläschen entstehen sah). Noch klarer
geht die Teilnahme des Kernes am Auftreten der Zentrosomen
und der Strahlung aus den Versuchen hervor, eine solche Strahlung
in Eiern verschiedener Arten auf künstlichem Wege zu erzielen.
So fand Wassiljew (02), dass bei Behandlung von Seeigeleiern
mit einer Mg Cls-Lösung neben dem Kern und gleichsam aus ihm
heraus sich Zentrosomen mit Strahlen bildeten. Fast dasselbe
Resultat erzielte Wilson (01). Unter der Einwirkung der MgÜls-
Lösung erscheint das Furchungszentrosom mit seinen Strahlen
unmittelbar an der Oberfläche des Eikerns vom Seeigel. Noch
deutlicher spricht sich zugunsten der Abhängigkeit des Erscheinens
der Strahlen vom Kerninhalt Yatsu (05) aus, welcher zur Über-
zeugung gelangt, dass unter der Einwirkung von Lösungen
ı) ÖOonklin (02) fand bei Crepidula um diese Zeit eine typische
Gezahntheit der Kernhülle und ist anzunehmen geneigt, dass die Achromatin-
elemente des Kernes das Material für den Aufbau der Polstrahlen liefern.
Bei Enteroxenos erscheinen nach Kr. Bonnevie (05) zwei Zentrosomen
„in der nächsten Umgebung des Kernes“ und sind ebenfalls von einer starken
Schrumpfung des Kernes begleitet. Ich erlaube mir daran zu zweifeln, dass
die Auffassung der Granulae, welche Kr. Bonnevie in ihrer grossen Arbeit
(06) für Zentrosomen im Stadium des ruhenden Eikernes ansieht, richtig ist.
So z.B. liegt auf Fig. 48 dieser Arbeit eine der Granulae, die der Autor für
ein Zentrosom hält, der Kernmembran auf. Solche Granulae gibt es auf
der Kernmembran auf derselben Zeichnung mehrere, und als einziges Kriterium
erscheint offenbar der Umstand, dass in der Nähe dieser Granula eine
andere im Zytoplasma liegt. Nur dort, wo uns das Zentrosom als eine
differenzierte Plasmapartie entgegentritt, wie auf Fig. 49, kann man sicher
sein, dass es wirklich Zentrosomen sind, wenn auch auf Fig. 50 durch den
Buchstaben © eher ein Dotterkügelchen als ein Zentrosom bezeichnet erscheint.
Smallwood (05) zeichnet bei Montagua Gouldii zwei Zentrosomen
der ersten Reifungsspindel mit Polstrahlen und einer jungen Spindel an der
Stelle des Kernes, wo die Membran des letzteren verschwand. Dabei er-
scheinen diese Zentrosomen genau auf der Verlängerung der Linie der übrig-
gebliebenen Kernmembran.
Nach B. Schaposchnikoff (08) bei Acanthodoris pilosa „steht
die Keimblase im Begriff sich aufzulösen, wobei um dieselbe herum Strahlungen
auftreten“. Einige von diesen Strahlungen erscheinen mit den Zentrosomen
gerade auf der Verlängerung der Kernmembran (siehe seine Zeichn. 5) und
die, aus ihren Zentren ausgehenden Strahlen scheinen gleichartig zu sein.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 378
Zentrosomen mit Strahlen nur in den kernlosen Eifragmenten
von Cerebratulus, die man nach der Bildung der ersten
Reifungsspindel erhielt, auftreten, und dass umgekehrt dieselben
fehlten, wenn man das Experiment vor dem Zerfall des Keim-
bläschens vornahm: „In all probability the intermingling of the
nuclear fluid and eytoplasm during the time of fading of the
germinal vesicle gives to the eytoplasm the aster producing power“.
Die Literaturangaben über die ringförmige Anordnung der
Chromosomen um die Sphären, welche ich als Symptome der Be-
wegung der Kernkongredienten zu den Bildungszentren der
Strahlen hin betrachte, sind verhältnismässig spärlich (vel. Griffin
[99] bei Thalassema, Coe [99] bei Cerebratulus!),
Schubmann [05]) bei Fasciola hepatica). Es finden sich
auch mehrere Literaturangaben über die Teilnahme des Kernes
an der Entstehung der Strahlung der ersten Furchungsspindel.
Ich will hier einige Beispiele ebensolcher Beobachtungen in der
Anmerkung anführen. ?) Die Entstehung der primitiven Strahlen
') Coe sagt, dass bei Cerebratulus sich die Chromosomen während
der Prophase der ersten Reifungsspindel in zwei Gruppen an die Fasern zweier
Sterne setzen, sodass die eine Gruppe dem einen Stern, die andere dem andern
angehört; zuweilen aber sammeln sich alle Chromosomen im einen Stern. Das
Resultat bleibt aber immer dasselbe — ihre Anordnung zu einer Äquatorial-
platte. Es ist richtig, versichert Coe, dass die Wanderung der Chromosomen
an den künftigen Ort des künftigen Zentrosoms schon dann stattfindet, wenn
die Kernhülle noch unberührt ist, aber seine Zeichnungen sprechen eher für
das Gegenteil: die Chromosomen sind bei den Strahlen zu sehen, wenn die
Aster schon eine bedeutende Grösse erreicht haben (siehe seine Zeichn. 21,
Taf. XXXIV).
”) So beschreibt Coe (99) bei Üerebratulus das uns bekannte Bild.
Ich führe es wörtlich an: „In nearly all of the numerous eggs, which I have
examined in this stage the nuclear membrane was already interrupted at
the two points occupied by the asters. The centrosomes then lie in such a
position that if we were to join the interrupted ends of the membrane in a
section the line would pass through the centrosome. This does not indicate
that the centrosomes have moved together but rather that the ends of the
membrane have been separated. Indeed, the asters have already begun to move
apart, but the nucleus elongated at a corresponding rate so that the asters
are always at its ends*“.
Van Janicki (07) zeichnet bei Taenia serrata die Furchungs-
zentrosomen genau an der Stelle der Unterbrechung (oder der Grenze) der
Hülle des Kopulationskernes (s. seine Zeichnung 10b, Taf. XXXIV). Die
Furchungszentrosomen mit primitiven Astern von Prosteceraeus liegen
nach Klinckowström (97) auch dicht an den Kernen, wenn sie sichtbar
74 A. Nekrassoff:
neben den Kernen steht im Zusammenhange mit dem Verlust
des Kernsaftes im „angegriffenen“ Teil des Kernes, einem
Aufhören des Turgor und einer lokalen Einschrumpfung
seiner Membran ; die letztere halten viele Autoren meiner Ansicht
nach irrtümlicherweise für das Resultat der mechanischen Ein-
wirkung der Strahlen auf den Kern. Aber ihre Zeichnungen
bestätigen bei weitem nicht immer ihre Behauptung. Als Beispiele
kann ich die entsprechenden Stadien der Prophase der ersten
Reifungsspindel bei Thalassema (Griffin [99]) und besonders
bei Cerebratulus (Coe [99]) anführen (siehe seine Fig. 3, 4, 5
und 6 Taf. IX), ebenso wie das Stadium der Prophase der ersten
Reifungsspindel bei Serpula (s. Soulier [06], Textfig. IH u. VII).
Aus dieser Übersicht, auf deren Vollständigkeit ich keinen
Anspruch erhebe, schliesse ich, dass die Bildung der Strahlen
mit ihren Zentren neben dem Kern eine weit verbreitete Tatsache
ist, welche eine gleichzeitige Teilnahme der Kernelemente und
des Zytoplasmas am Aufbau dieser Strahlen unter gewissen Be-
dingungen anzuerkennen zwingt.
2. Der Zerfall der Strahlung und die Entstehung
derselben in der zweiten Reifungsspindel.
Wir wissen aber, dass die Entstehung der neuen Strahlen
um die Tochterzentrosomen herum gewöhnlich ohne Teilnahme
des Kernes stattfindet. So entsteht z. B. die Strahlung der zweiten
Reifungsspindel bei Cymbulia Peronii. Versuchen wir auch
hier zu bestimmen, welche morphologischen Zellelemente an ihrer
werden. Schockaert (05) fand bei Thysanozoon, dass beide Furchungs-
zentrosomen auf einmal erscheinen, jedes neben einem der Kerne, mit dem
es innig verbunden ist. Ebenso entstehen dieselben bei Haminea
solitaria nach Smallwood (01, 04) im Zusammenhang mit jedem Kerne
de novo. Lillie (00) weist darauf hin, dass bei Unio beim Erscheinen der
Furchungszentrosomen dieselben beide der Berührungsstelle beider Geschlechts-
kerne dicht anliegen. Lefevre (07) findet, dass bei künstlicher Befruchtung
bei Thalassema zwei zarte Furchungsaster unmittelbar aussen an der
Kernmembran einander gegenüber auftreten. In dem Zentrum jedes Aster
ist das Zentrosom ausgezeichnet sichtbar. Es existiert keinerlei Hinweis
darauf, dass dieselben aus der Teilung eines Zentrosoms hervorgehen. Lefevre
zweifelt nicht daran, dass diese Aster mit den Zentrosomen Neubildungen
sind. Die Periode der „Ruhe“ der Kerne hält 1—2 Stunden an und es gibt
keinerlei Hinweise darauf, dass irgend ein Zusammenhang zwischen dem
Zentrosom des Eies und den Astern der Furchung besteht.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 975
Entstehung teilnehmen. Als Material für einen solchen Versuch
muss wiederum die Erforschung des Zellenzustands vor Beginne
der Strahlung dienen.
In der Anaphase der ersten Reifungsspindel (Fig. 11) sehen
wir noch sehr lange Strahlen und nur im peripheren Teil des
Äquators der Spindel und in den peripheren Teilen des hellen
Kegels, der sich über dem äusseren Zentrosom befindet, treten
grosse Körner auf: sie erscheinen hier als Produkte des Strahlen-
zerfalls. Die Verkürzung der Strahlen der ersten Reifungsspindel
eeht von der Peripherie aus und wird von der Bildung von
Guirlanden grosser Körner') begleitet, die durch Parzellen von
hier besonders lockerem Zytoplasma getrennt werden (vgl. Fig. 14
und Fig. 16). Diese Guirlanden grosser Körner, die gleichsam
den Achromatinwänden der Alveolen im Achromatinnetz angelagert
sind, sind zu sehr an gewisse Stadien gebunden, als dass man sie
für das Resultat einer misslungenen Konservierung ansehen könnte.
Mit dem Wachstum der neuen Strahlen verschwinden diese
grossen Körner im gelockerten Zytoplasma, indem sie anfangs
nur in geringer Zahl an der Peripherie des Eies zurückbleiben
(Fig. 15 und 19). Dieser Umstand erlaubt uns den Schluss, dass
das Wachstum der neuen Strahlen der zweiten Reifungsspindel
auf Kosten der Zerfallprodukte der alten Strahlen
stattfindet.
Als eine Bedingung der Bildung neuer Strahlen erscheint
mir auch die Veränderung im Zustande des zytoplasmatischen
Mediums, zZ. B. des physikalisch-chemischen Gleichgewichts der
im Zytoplasma gelösten Substanzen, welche bei der Abschnürung
des ersten Richtungskörpers zuerst an den am weitesten vom
innern Zentrosom entfernten Orten auftritt und dann sich zentri-
petal zum Zentrosom hin fortsetzt. So erkläre ich mir den all-
mählichen Zerfall der Polstrahlen von ihrem peripheren Ende
aus. Wenn nun die Welle dieser Veränderung des Zustandes
des Mediums bis zur hellen Substanz neben dem „Mutterzentrosom“
vorgeschritten ist, dann beginnt um die Zentriolen eine energische
Bildung der neuen Strahlensubstanz.
!) Auf eine analoge Erscheinung macht V. Rüzitka (07) bei den Um-
wandlungen des zentrierten Mitoms im Meerschweinchenleukozyt aufmerksam,
dabei verwandeln sich einige Radien in kleine Granulae, die zuerst in radiärer
Richtung liegen bleiben, um sich darauf unregelmässig zu verstreuen.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73, 63
976 A. Nekrassoff:
Der Prozess des Zerfalls der Polstrahlen der zweiten Reifungs-
spindel beginnt aber im Zentrum und geht in zentrifugaler
Richtung vor sich.') Hier bilden sich keine grossen Körner,
wie dies während des Zerfalls der Strahlen der ersten Spindel
der Fall war. Die Strahlen werden hier dünner und verschwinden
allmählich, aber vorher, und das ist besonders charakteristisch,
verlieren sie ihre Orientierung zum Zentrosom, indem sie brechen
und miteinander anastomosieren. Auf diese Weise erhalten wir
eine Art sehr feiner Netzstruktur (Textfig. 15). Dieser Prozess
schreitet zentrifugal fort und die Strahlen lösen sich voll-
kommen auf.?)
Wovon hängt nun aber dieser Unterschied zwischen den
Prozessen des Zerfalls der Strahlen der ersten und zweiten
Reifungsspindel ab?
Das unterscheidende Moment im Zerfall der Strahlen der
zweiten Spindel liegt darin, dass gleichzeitig mit ihm die Auf-
quellung der Chromosomen und Geschlechtskerne beginnt. Wenn
man diesem die Tatsache gegenüberstellt, die wir schon im ersten
Kapitel feststellten, dass nämlich die Strahlen später wieder an
der Grenze des Zytoplasmas und des Kernes bei der Auflösung
der Membran des letzteren, als Resultat der Wechselwirkung der
Elemente des einen wie des anderen auftreten, so gelange ich
zu folgendem hypothetischen Schlusse:
Der Zerfall der Polstrahlen der ersten Spindel — als deren
sichtbare Produkte das gelockerte Plasma und die Guirlanden von
grossen Körnern erscheinen — gab das Material zur Bildung
von neuen Strahlen der zweiten Spindel um die Zentriolen herum.
Die Zerfallprodukte der Polstrahlen der zweiten Spindel
fanden nicht Zeit, sich in ebensolcher Gestalt zu äussern, weil
!) Dieser Unterschied zwischen den Vorgängen des Zerfalls der Pol-
strahlen beider Reifungsspindeln wurde zuerst, soviel mir bekannt, durch
Mac Farland (9°) für Pleurophyllidia festgestellt.
2) Eine ähnliche Erscheinung beobachtete Coe (99) bei Cere-
bratulus. Zuerst wird dort der innere Teil der Strahlen dünner, dann
schwindet das Zentrosom, dann degenerieren die Strahlen vom Ende aus,
das dem Zentrum am nächsten liest. Die degenerierende Faser verliert ihre
Färbungsfähigkeit, wird kleiner, löst sich dann in eine Reihe von Granulae
auf, die dann noch lange erhalten bleiben. Byrnes (99) findet, dass die
hochspezialisierte Astrosphäre von Limax sich in ein Netz von Zytoplasma
auflösen kann, durch allmähliche Abschwächung der vom Fokus, d.h. dem
Zentrosom ausgehenden Spannung.
—I
|
Das Ei von Cymbulia Peronii. 2)
sie sofort zum Teil von den Chromosomen und Kernen, zum Teil
vom Zytoplasma absorbiert wurden. Somit nehme ich an, dass
die Anquellung der Kerne zum Teil auf Kosten der Zerfallprodukte
der verschwindenden Strahlensubstanz stattfindet.')
Der Zerfall der Strahlen der ersten Spindel hängt von der
Veränderung des Zustandes des Zytoplasmas ab, einer Veränderung,
die zentripetal zum Zentrosom fortschreitet.
Der Zerfall der Strahlen der zweiten Spindel hängt von der
Veränderung des Zustandes im Zentrum der Strahlen ab, einer
Veränderung, die zentrifugal vor sich geht und vom Anquellen
der Chromatinelemente begleitet wird.
3. Die Kopulationsbahn der Geschlechtskerne.
Das Aufquellen der Chromatinelemente findet, wie wir sahen,
eleichzeitig mit der Auflösung der Strahlung und der Schrumpfung
des Zentrosoms statt. Ich spreche die Vermutung aus, dass hier
nicht nur eine Gleichzeitigkeit der Prozesse vorliegt, sondern
auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen ihnen. Die Auf-
lösungsprodukte der Strahlen liefern wahrscheinlich das Material
zur Quellung der Chromosomen und des Spermakerns.
Ich behaupte ferner, dass auch die Ursache der Be-
wegung des Spermakerns zum weiblichen Kern, der
sogenannten „Kopulationsbahn“ (Roux), dieselbe ist
wie die Bewegungsursache der anquellenden Chro-
mosomen zum Strahlenzentrum.
Dieses folgt: 1. daraus, dass die anquellenden Chromosomen
sich dicht an das Zentrum der Strahlen herandrängen (vgl. be-
sonders Fig. 33), 2. dass der Spermakern in Wirklichkeit sich
nicht zum weiblichen Kern, sondern zum Strahlenzentrum hin-
bewegt (siehe S. 948), 3. dass die Form des Spermakerns, der sich
zum Zentrosom hinbewegt, trotz des Grössenunterschiedes,
täuschend derjenigen des weiblichen Chromosonis gleicht, welches
zum Strahlenzentrum vordringt (vgl. Fig. 33, 58 und Textfig. 15).
Es ist schon mehr als einmal darauf hingewiesen worden,
dass die Kopulationsbahn der Geschlechtskerne nicht nur ‘durch
die Bewegung zueinander hin bestimmt wird, sondern auch durch
!) Gewiss bin ich weit von dem Gedanken entfernt, dass ein einfaches
reciproques Verhältnis zwischen dem Strahlenzerfall und dem Anquellen der
Kerne besteht.
63*
978 A. Nekrassoff:
die Bewegung beider zu einem gewissen neutralen Punkt. All-
gemein bekannt ist die schematische Zeichnung der Bahnen der
Geschlechtskerne bei Toxopneustes (nach Wilson und
Mathews). Es ist interessant, hier hervorzuheben, dass der
Eikern nur von dem Momente an seine Bewegung beginnt, wenn
die Penetrationsbahn des Spermatozoon in die Kopulationsbahn
übergeht und diese Bewegungen von amöboiden Veränderungen
der Kernform begleitet wird. Im Jahre 1894 machte Conklin
die Voraussetzung, dass die Geschlechtskerne sich einander passiv
nähern, dank der Bildung, Anheftung und Verkürzung der
Strahlen. Kostanecki und Wierzejski (95) bestätigten
ebenfalls diese Anschauung. Bei Physa sind die Strahlen im
Moment der Annäherung der Kerne besonders gross, sobald aber
die Annäherung beendet ist, hören die Strahlen zu funktionieren
auf und verschwinden. Aber Wilson bestritt diese Anschauungs-
weise, indem er fand, 1. dass die wirklichen Kernbahnen sie nicht
bestätigen; 2. die Kopulation der Kerne auch da stattfindet, wo
es keine Strahlen gibt; 3. die Fälle von Dispermie gegen dieselbe
sprechen. Im Jahre 1902 steht Conklin schon auf einem andern
Standpunkt, indem er sagt: „Nevertheless, unless the nuclei are
actively locomotive it must still be true that they are brought
together by something outside themselves. This something must
of necessity be found in the eytoplasm (including the aster) unless
the nuclei are able of themselves to move actively. These is
every evidence that the nuclei in this as in most other cases
of movement are passive and that their movements are brought
about by the activity of the eytoplasm.“ Die Anzeichen dieser
„Aktivität“ sieht Conklin darin, dass die Migration des Sperma-
kernes von einer immer grösser werdenden Abtrennung des
Dotters vom Zytoplasma begleitet wird. So überträgt Conklin
die Ursache von der Tätigkeit der Strahlen auf die Bewegung
des Zytoplasma im Innern des Eies, wobei die Kerne passiv
transportiert werden. Wilson (02) fand, dass in ätherisierten
Seeigeleiern die Vereinigung der Geschlechtskerne, wenn auch
nicht:immer, auch ohne Bildung einer Spermastrahlung vor sich
gehen kann. Hieraus zog er den Schluss, dass auch bei einer
normalen Befruchtung die Annäherung der Geschlechtskerne nicht
unmittelbar mit derselben zusammenhängt. Am allerbesten liesse
sich die Erscheinung der Annäherung der Geschlechtskerne, wie
Das Ei von Cymbulia Peronii. 979
Wilson annimmt, dadurch erklären, dass Protoplasmaströmungen
vorhanden seien, die durch die Ätherisierung des Kernes ver-
langsamt oder sogar ganz zum Stillstande gebracht werden; aber
ein eingehendes Studium der normalen Befruchtung beim Seeigel
bestätigt diese Hypothese nicht. In der Tat wird die Bahn
des Eikerns bei normaler Befruchtung durch die Spur bezeichnet,
welche die beiseite gestossenen und hinten nach-
folgenden protoplasmatischen Granulae, die sich bei Toxo-
pneustes an lebenden Eiern mit Neutralrot tingieren lassen
und die Pigmentkörner von Arbacıa hinterlassen. Das macht
die Existenz einer allgemeinen protoplasmatischen Strömung, von
welcher die Kerne passiv mitgeführt werden, höchst unwahr-
scheinlich. So kommt denn Wilson zu dem unerfreulichen
Schluss, dass die Annäherung der Geschlechtskerne unerklärlich
bleibt. Es könnte schliesslich scheinen, dass die amöboiden Form-
veränderungen des Eikerns für die Aktivität der Kerne selbst
sprechen, doch glaubt Wilson, dass eine solche Hypothese nur
schwer auf die Bewegung des Spermakernes, der einen längeren
Weg als der Eikern zurückzulegen hat, angewandt werden kann.
Somit kann die Annäherung der Geschlechtskerne nicht
hervorgerufen werden:
l. weder durch die Anziehung der Strahlenfasern (siehe
Wilsons Einwand);
2. noch durch die allgemeine protoplasmatische Bewegung,
welche die von ihr mitgeführten Kerne passiv mitreisst
(siehe die eingehenden Beobachtungen von Wilson über
die Befruchtung von Toxopneustes und Arbacia):
3. noch durch die Aktivität der Kerne selbst. Gegen letztere
Annahme spricht die zu lange Bahn des Spermakerns
(Wilson). Ausserdem ist es unbegreiflich, warum die
Geschlechtskerne „aktiv“ sich nicht direkt zueinander,
sondern zu einem neutralen Punkt hin bewegen. Weiter
ist es notwendig, genauer zu bestimmen, worin diese
Aktivität besteht. })
!) Der Ausdruck „Aktivität“ wird gewöhnlich zur Bezeichnung einer
Tätigkeit angewandt, die von einem psychischen Willensakt begleitet wird;
wenn man aber unter „Aktivität“ bloss die Fähigkeit zur Bewegung versteht,
so ist das Wort „Aktivität“ keine Erklärung, sondern nur die Feststellung
der Tatsache der Bewegung selbst, da eine jede Bewegung offensichtlich
9S0 A. Nekrassoff:
Über die Ursache der Annäherung der Vorkerne bei
Uymbulia Peronii können wir nur nach der Analyse der
dieser Annäherung vorausgehenden und dieselbe begleitenden Er-
scheinungen urteilen. Diese Erscheinungen sind folgende:
1. die Abschnürung des zweiten Richtungskörpers ;
2. die unmittelbar nach dieser Abschnürung beginnende
Strahlen- und Zentrosomsdegeneration und die Prozesse
des Aufquellens der weiblichen Chromosomen und des
Spermakerns;
die Fortsetzung der Degeneration des Astralsystems und
die des Aufquellens der Chromatinelemente während ihrer
Bewegung zum Zentrosom hin.
©
Die Bedingungen, welche die Auflösung des Strahlensystems
in der Eizelle veranlassen, müssen eine zeitweilige Ungleich-
artigkeit des Zytoplasmamediums hervorrufen; die Zerfallsprodukte
der Strahlen müssen sich nämlich hauptsächlich im Zentrum des
Strahlensystems bilden und in diesem Zentrum kann das Zyto-
plasma also seine Dichtigkeit zeitweilig verändern. Gleichzeitig
muss natürlich das Anquellen der Chromatinelemente, das sich,
wie oben bereits erwähnt, teilweise auf Kosten der Zerfallsprodukte
der Strahlen vollzieht, auch deren spezifisches Gewicht verändern.
Das Zusammenwirken dieser Faktoren erzeugt meiner An-
sicht nach die Bewegung der anquellenden Chromosomen und des
Spermakerns bei Cymbulia zum erlöschenden Zentrosom, als
dem Orte des geringsten Druckes hin. Es ist bekannt, dass die
anquellenden Chromosomen der Telophase fast bei jeder Karyo-
kinese die Stelle einnehmen, wo sich das Zentrosom mit seinen
Strahlen befand. Der Spermakopf verhält sich bei Cymbulia
hier ebenso, wie jede der anquellenden weiblichen Chromosomen.
Ob wir es, ausser den oben erwähnten Ursachen, noch mit einer
Chaemotaxis zu tun haben, Kann ich nicht sagen. Jedenfalls
kann bei Cymbulia von keiner Attraktion des Spermakerns
durch die Verkürzung der Strahlen die Rede sein, da eine solche
nicht ohne die Bewegungs-„Fähigkeit“ des sich bewegenden Gegenstandes
stattfinden kann. Versteht man aber unter „Aktivität“ eine solche Handlung,
wo die Reaktion auf einen äusseren Stimulus über die Grenzen einer ge-
wöhnlichen physikalisch-chemischen Reaktion hinausgeht, so ist die Erklärung
durch „Aktivität“ wiederum keine Erklärung, sondern die Feststellung unserer
Unkenntnis der Ursache.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 981
Verkürzung nicht vorhanden ist. Die Strahlen werden nur durch-
sichtiger, dünner und bilden bald darauf ein dünnes Netz neben
dem Zentrosom.
Wollen wir unsere Schlussfolgerung wiederholen. Die De-
seneration der Astralfiguren ist besonders stark
im Strahlenzentrum; sie fördert das Anquellen des
Eikerns und Spermakerns und verändert die Dich-
tigkeit des Strahlenzentrums. Das Anquellen der
Chromosomen und desKerns ruft dureh Veränderung
ihres spezifischen Gewichts deren Bewegung zum
Zentrosom hin hervor, welche mit der Kopulation
der Kerne endet.
Folgende Beobachtung bestätigt diese These. In der grossen
Menge der von mir durchgesehenen Eier dieser Stadien sah ich
kein einziges Mal auch nur einen nicht angequollenen Sperma-
kopf ausserhalb der Zone des feinkörnigen Dotters. In der Zone
des letzteren sah ich aber wohl zuweilen einen eben im Beginne
der Anquellung begriffenen Kern. Die angequollenen Spermakerne
werden aber im Zytoplasma nur auf dem Wege zum Zentrosom
und neben demselben angetroffen, und — das kann als allgemeine
Regel gelten — je mehr sie dem Zentrosom genähert sind, desto
mehr quellen die Kerne an.
Dass die Chromosomen und der Spermakern auf Kosten der
Zerfallsprodukte der Strahlen anquellen, ist zweifellos eine Hypo-
these. Es ist aber Tatsache, dass sie sich (beiUCymbulia) beim
Anquellen zum Zentrum der zerfallenden Strahlen hin bewegen,
was, wie ich vermute, auch bei vielen anderen Tieren nach-
gewiesen werden wird. Schon jetzt kann ich hier einige Beispiele
anführen.
Bei Cerebratulus (Coe [99]) streben die anschwellenden
Chromosomen zum Orte des Zerfalls des ehemaligen Strahlen-
zentrums (d. h. zu der Bildung, die Coe „Zentrosphäre“ nennt)
hin und bauen sich auch die neuen Zentren auf Kosten der zer-
fallenden Strahlen auf, da dasselbe um diese Zeit das Bildungs-
zentrum der Strahlen darstellt und nicht das Zentrum ihrer
Degeneration. Coe sagt von den Bläschen des weiblichen Kerns,
dass sie anschwellend „occupy the position formerly held by the
centrosome, so that the aster-fibres at the time radiate in all
directions from the clusters of chromosomal vesicles“, und in
982 A. Nekrassoff:
betreff des Spermakerns „its path is likewise towards the point,
where the egg-nucleus is to form later“.
Smallwood (01) sagt aber, dass bei Bulla solitaria,
wenn die Chromosomen der zweiten Reifungsspindel die Form
von Bläschen anzunehmen beginnen, der Spermakopf, welcher aus
einem oder mehreren Bläschen besteht, sich schnell dem inneren
Pol der zweiten Reifungsspindel nähert.
Soulier (06) weist in seiner Arbeit darauf hin, dass bei
der Befruchtung von Serpula, ungeachtet des Vorhandenseins
einer prächtig ausgebildeten Spermaaster, der Spermakern sich in
der Richtung zum Eikern hin bewegt. der letztere demselben
aber gewöhnlich nur sehr schwach entgegenrückt: „En general
le pronucleus femelle modifie tres peu la position qu’il occupe
dans la region peripherique et ne s’avance que faiblement au
devant du pronucleus mäle; l’union a lieu vers le milieu du rayon
de l’oeuf occup& primitivement par le pronucl&us femelle.“ Diese
fein beobachtete schwache Vorwärtsbewegung, die der Forscher
bemerkte, ist meiner Ansicht nach die Bewegung zum Orte des
ehemaligen Oozentrum.
So stelle ich für alle ähnlichen Objekte folgende These auf:
„Die Kopulationsbahn der Geschlechtskerne wird
durch. dieselbe Ursache bedingt, welche auch die
Bewegung der Chromosomen zum Zentrosom in der
Telophase bestimmt; diese Bahn ist nicht die Be-
wegung der Kerne zueinander, sondern ihre Bewegung
zum Zentrum des erlöschenden Strahlensystems des
weiblichen Zentrosoms; sie steht mit dem Anquellen
dieser Kerne, welches schnell nach der Abschnürung
des zweiten Richtungskörperchens erfolgt, im Zu-
sammenhang.“
4. Die Permanenz der Zentrosomen und die
Befruchtung.
Die Hypothese der Permanenz der Zentrosomen beruht auf
der fortwährend wiederholten Beobachtung, dass bei der Teilung
der Zellen die Bildung neuer Teilungszentren gewöhnlich durch
Auseinandergehen der Tochterzentriolen stattfindet. Doch gibt
es Fälle (wie bei der Entstehung der Furchungszentrosomen bei
Cymbulia), wo die neuen Zentren sich scheinbar ohne Mit-
Das Ei von Cymbulia Peronii. 9853
wirkung des früheren Zentrosoms bilden und in solchen Fällen
muss entschieden werden, ob wir es hier mit einem gewöhnlichen
Prozess, der auf irgend eine Weise unserer Beobachtung entging,
oder mit einer tatsächlichen Entstehung des Zentrosoms „de novo“
zu tun haben.
Die Frage von der Permanenz der Zentrosomen ist eine der
schwersten in der Zytologie. Man kann sagen, dass sie mit Hilfe
der jetzigen analytischen Mittel nicht mit voller Sicherheit gelöst
werden kann. Hier kann nur mit grösserer oder geringerer
Wahrscheinlichkeit von dieser Permanenz gesprochen werden.
Jedenfalls ist es interessant, dass die meisten Forscher der letzten
Zeit diese Permanenz nur den Zentriolen zuschreiben, d. h. dem-
jenigen Korn, dem Granula, von dessen Form und Struktur wir
gewöhnlich keinerlei Aussagen zu machen imstande sind und
welches wir von den übrigen Mikrosomen im Zytoplasma nur
während seiner „Tätigkeit“, d. h. im Zusammenhang mit der
Strahlung oder Sphäre unterscheiden können. Im „Ruhezustand“
können wir sehr oft die Zentriolen gar nicht finden, besonders
in den Oozyten, und auch nicht mit völliger Bestimmtheit beweisen,
dass einzelne Granulae im Zytoplasma in der Tat Zentriolen sind.
Die Anhänger der Permanenz des Zentrosoms, ebenso wie die
Anhänger der Beständigkeit des Archoplasma, lassen sich nicht
überzeugen, wenn man ihnen die Abwesenheit ihrer „permanenten“
Bildungen in den Objekten nachweist. Ihre Antwort auf solche
Beweise lautet: die Mangelhaftigkeit unserer analytischen Mittel
wäre daran schuld. Diese Mangelhaftigkeit hindert jedoch nicht
die meisten von ihnen, zu behaupten, dass das Eizentrosom, nach
3overis Befruchtungstheorie, wirklich „vernichtet wird“.
(Gegen die Permanenz der Zentrosomen sprechen stark
Wilsons Versuche mit den künstlichen „Zytaster“. Wilson
fand, dass die künstlichen Zytaster, die in grosser Menge bei
Einwirkung von MgCls im Plasma der Seeigeleier auftreten,
Zentrosomen besitzen können, die von „echten“ Zentrosomen ihrer
Struktur und den Strukturverhältnissen zur Strahlung nach nicht
zu unterscheiden sind, dass sie an der Kernteilung teilnehmen
können, dass sie Zytoplasmapartien absondern können und dass
ihre Zentren sich wie echte Zentriolen !) teilen können. Somit
!) Dieser Punkt ist sehr wichtig, daBoveri vor Wilsons Versuch
zu beweisen suchte, dass die Fähigkeit sich in zwei zu teilen, nur echte
984 A.Nekrassoff:
sind die Zentralkörper der Zytaster echte Zentrosomen, die im
Zytoplasma gebildet werden !).
Nach diesen Versuchen Wilsons fällt die Notwendigkeit,
schon die Furchungszentrosomen als Derivate irgend welcher
anderen Zentrosomen anzusehen, weg. Daher soll die unmittel-
bare Beobachtung des Schicksals der Zentrosomen während der
verschiedenen Prozesse in der Eizelle uns nachweisen, ob wir es
bei Cymbulia mit tatsächlicher Neubildung der Furchungs-
zentrosomen oder nur mit einem scheinbaren Prozesse zu tun
haben. Wie ich schon in meiner vorläufigen Mitteilung bemerkte,
„kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Furchungs-
zentrosomen bei Uymbulia de novo entstehen, wenn man die
Prozesse, welche sich in den Kernen und dem Zytoplasma während
der Annäherung der Geschlechtskerne aneinander, während ihres
Wachstums und während der Bildung der Furchungsspindel ab-
spielen, schrittweise verfolgt“.
So wird das Befruchtungsproblem, welches wir in der Ein-
leitung zu unserer Arbeit formuliert haben, für Cymbulia auf
folgende Weise gelöst:
1. Die Furchungszentrosomen stammen nicht von den Sperma-
zentrosomen ab, wie es für viele andere Objekte fest-
gestellt wurde, sie entstehen wahrscheinlich de novo.
2. Die Einwirkung der Elemente des Spermatozoon auf die
Reifungs- und Teilungsprozesse in der Eizelle äussert
sich nicht wahrnehmbar.
3. Das Eizytoplasma wirkt auf den Spermakopf ein, welcher
durch das Verkürzen und Aufrollen seine Form verändert,
nach der Abschnürung des zweiten Richtungskörpers an-
quillt und durch das Zentrum des degenerierenden
Zentrosomen besitzen. Nachdem Wilson festgestellt hatte, dass den künst-
lichen Zentrosomen dieselbe Fähigkeit zukommt, scheint es nicht wunderbar,
dass die Zentrosomen oder Zentriolen der zweiten Reifungsspindel, obwohl
sie dem Untergange geweiht sind, sich verdoppeln (vergl. Griffin, Coe,
Kostanecki und Vierzejski, Soulier), ebenso wie das Zentrosom
des Spermatozoon.
') Petrunkewitschs (04) Annahme, dass die Zytaster mit ihren
Zentrosomen Produkte der Teilung des echten Eizentrosoms seien, wird, wie
das Wilson nachwies (04), zweifellos durch die Beweise nicht bestätigt,
die Petrunkewitsch in seiner Arbeit gibt. Jedenfalls reichen sie nicht
aus, um Wilsons Schlüsse zu widerlegen.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 985
y
weiblichen Strahlensystems, ebenso wie die anquellenden
weiblichen Chromosomen, angezogen wird.
4. Nach der Vereinigung der Geschlechtskerne verhält sich
der Spermakern wie die Hälfte des Kernes gewöhnlicher
Zellen; er nimmt in gleichem Maße, wie auch der Ei-
kern, an der Bildung der achromatischen Figur der
Karyokinese teil und gibt die halbe Anzahl der Chromo-
somen für die erste Furchungsspindel.
5. Der Schwanz des Spermatozoon wird allmählich durch
das Zytoplasma assimiliert.
So stehen die Resultate unserer Analyse der Reifungs- und
Betruchtungsprozesse bei Uymbulia mit Boveris Befruchtungs-
theorie im Widerspruch. Wenn man aber als Ausgangspunkt
die Fälle nimmt, wo. wie bei Chaetopterus, dem Axolotl,
Amphioxus oder Serpula, Boveris Theorie fraglos durch
Tatsachen bestätigt wird, kann man durch eine Reihe unmerk-
licher Übergänge zu andern Fällen gelangen, die, wie bei Uym-
bulia, scheinbar im scharfen Widerspruch mit der Theorie
stehen !), und man kann so zu der Behauptung gelangen, dass
') Kostanecki (06) sammelte sorgfältig alle Befruchtungsfälle, die
genau mit dem Schema Boveris (Seite 401—409) übereinstimmen. Bei
Askaris (Boveri [90], Erlanger, Kostaneckiund Siedlecki
und andere), Amphioxus (Sobotta [97]), dm Axolotl (Jenkinson
[04] und Fick), Bufo (Helen Dean King [Ol], Branchipus
(Brauer [9], Asplanchna (v. Erlanger), Ophryotrocha
(Korschelt [9], Chaetopterus (Mead [9], Gonothyrea
loveni (Wulfert [02], Myzostoma (Kostanecki [06]) und
Mactra (Kostanecki [04)).
Bei anderen Objekten stellen die Beobachtungen die Gegenwart des
Spermazentrosoms und der Spermastrahlung und ferner ihr mehr oder minder
völliges Verschwinden fest. Die Furchungszentrosomen aber erscheinen mit
ihren Strahlen später, öfters ohne Bezug zur Spermastrahlung. Bei Pleuro-
phylidia (Mac-Farland [9)) Unio (Lillie [00)), Lymnaea
(Linville [00])), Allolobophora (Foot und Strobell [03]),
Prosteceraeus (Klinckowström [97]). bei Arericola (Child), bei
Thysanozoon(Schockaert [02]), Strongylus filaria (Struck-
man [05]), Bulla solitaria (Smallwood [O1], Crepidula
(Conklin [02], Zirphaea (Griffin [9]), kei Cavia Cobaya
(Lams und Doorme [07)), bei Cerebratulus (Coe [99] und
Kostanecki [02]).
Bei den dritten gibt es keine Hinweise für die Existenz des Sperma-
zentrum. Bei Fasciola hepatica, Zoogonus mirus, Polystomum
986 A. Nekrassoff:
bei Cymbulia und ähnlichen anderen Objekten unsichtbar das
geschieht, was bei Amphioxus und anderen sichtbar vor sich
geht. So eben denken Boveri und sein Anhänger Kostanecki:
„Ich glaube“, sagt der letztere (06, S. 407), „dass, bevor wir
uns entscheiden in einer so fundamentalen Frage einen prinzipiellen
Unterschied bei verschiedenen Tieren festzustellen, wir jedenfalls
bei neuen anscheinend abweichenden Befunden vor allem ver-
pflichtet sind, dieselben mit den Befunden bei anderen Tieren,
namentlich wenn bei diesen unzweifelhaft festgestellte Tatsachen
vorliegen, zu vergleichen und zu prüfen, ob die scheinbaren Ab-
weichungen sich nicht etwa nur als Modifikationen, Variationen
eines prinzipiell identischen Vorganges herausstellen und ob wir
sie nicht unter ein allgemein gültiges, ‚einheitliches Gesetz sub-
sumieren können“.
Kostanecki hat recht, wenn er sagt, dass die Allmählich-
keit in den Übergängen zwischen den verschiedenen Typen der
Befruchtung den Gedanken an einen prinzipiellen Unterschied
zwischen diesen verschiedenen Typen nicht aufkommen lässt.
Und in der Tat liegt vom Standpunkt der Anhänger der Permanenz
des Zentrosoms — des „Organs“ der Teilung — ein tiefgehender
Unterschied zwischen dem Entstehen der Furchungszentrosomen
de novo und dem Entstehen derselben aus dem Spermazentrosom.
Dieser „prinzipielle“ Unterschied schwindet aber. wenn man die
Hypothese der Permanenz der Zentrosomen ablehnt, ich wies schon
darauf hin, wie sehr der Glaube an diese Hypothese durch die
Versuche mit künstlichen Zentrosomen untergraben ist. Wenn
aber das Zentrosom als temporäres Zentrum angesehen wird, so
fallen viele Schwierigkeiten fort. Davon werde ich in meiner
anderen Arbeit ausführlicher sprechen. Hier will ich nur ein
Schema meiner Auffassung der Befruchtungsprozesse geben.
sewöhnlich bildet das „Mittelstück“ des Spermatozoon oder
ein Teil dieses „Mittelstückes“, auf das Eizytoplasma einwirkend,
in demselben ein Aster, der, wie jedes Astralsystem im Zyto-
plasma (vgl. die künstlichen Zytaster Wilsons und die Fälle der
(Schubmann [05l, Goldschmidt [05] und nach dem letzteren
Kathariner), bei Cymbulia Peronii, bei Mus Musculus
(Lams und Doorme [07]), bi Theridium (Th. Montgomery [07]).
Bei den vierten finden wir nur sehr zweifelhafte Hinweise: Limax
(Byrnes [99], Enteroxenos (Kr. Bonnevie [06)).
Das Ei von Cymbulia Peronii. 987
Verdoppelung der Zentrosomen der zweiten Reifungsspindel), einen
Amphiaster bilden kann. Ein solches Astralsystem des Sperma-
tozoon kann ebensogut auch gar nicht auftreten.
Das Astralsystem der Furchung entwickelt sich entweder
ganz de novo neben den Kernen, besonders dort, wo die Periode
des Anquellens lange anhält (Öymbulia), oder aber es nimmt
an der Entwicklung dieses Systems das schon im Zerfall be-
gritfene Astralsystem des Spermatozoon teil, genau ebenso, wie
zur Bildung der Strahlen der zweiten Reifungsspindel die zer-
fallenden Strahlen der ersten Spindel das Material liefern.!)
Hierbei können die Zentren des männlichen Systems unmittelbar
zu Furchungszentren werden.
Boveri sagt in seinen „Zellenstudien“ VI (07): „Wer an
günstigen Objekten den Zyklus der Zytozentren von einer Zellen-
generation zur nächsten Schritt für Schritt zu verfolgen ver-
mochte, den kann die Tatsache, dass Zentrosomen unter gewissen
Bedingungen neu entstehen, nicht daran irre machen, dass diese
Gebilde im typischen Verlauf sich aus schon vorhandenen durch
Teilung ableiten“. Ich kann sagen, dass ich an einem prächtigen
zytologischen Objekt, am Ei von Oymbulia Peronii, den Zyklus
der Zytozentren von einer Zellengeneration zur andern Schritt
für Schritt verfolgt habe — von der Oozyte der ersten Ordnung
bis zur Oozyte der zweiten Ordnung — und dass ich sah, dass
dieser Zyklus (der Entstehung der Zentrosomen der zweiten
Reifungsspindel) fast vollkommen dem Zyklus der Zytozentren
>overis entspricht, und eben deshalb, weil er hier so klar
und vollständig ist, erscheint es mir wunderbar, dass ein so klarer
und voller Zyklus bei der Bildung der Furchungszentrosomen bei
derselben Cymbulia Peronii gänzlich fehlt. Wenn das Zentro-
som wirklich ein selbständiges permanentes Organ mit einem
beständigen Zyklus wäre, so müsste man eine Wiederholung dieses
!) Es ist möglich, dass das nämliche System die Zerfallsprodukte der
Strahlen des weiblichen Systems dort als Material benützt, wo es eine hohe
Entwicklung erreicht. — Vergleiche folgende Bemerkung von Mead (97):
„I believe that the rays of the female aster, which were so strongly developed
in the earlier stages of the reconstitution of the pronucleus, become resolved
into a cytoplasmie network, which in part may be incorporated into the
system of rays belonging to the male amphiaster“.
985 A. Nekrassoff:
Zyklus bei jeder Zellteilung erwarten, wie dieses z. B. bei den
zyklischen Verwandlungen der Kerne und Chromosomen stattfindet.
Zum Schlusse halte ich es für meine Pflicht, aller der
Personen dankend zu erwähnen, die mir bei der Ausführung
dieser Arbeit behilflich waren: dem Herrn Professor N. J. Zograff,
der dieselbe mit stetigem Interesse verfolgte und bei meiner Reise
ins Ausland bereitwilligst behilflich war: dem Direktor des
russischen Zoologischen Laboratoriums in Villefranche - sur - mer,
Herrn Dr. M. M. Davidoff, der meine Arbeiten in ihren ersten
Anfängen und bei ersten schweren Schritten leitete und mir die
besten Methoden der Fixierung und des Einbettens empfahl und
die Redaktion meiner vorläufigen Mitteilung übernahm: dem Herrn
Direktor des Laboratoriums in Villefranche -sur- mer, Professor
A. A. Korotneff und dem Herrn Direktor des Zoologischen
Kabinetts der Universität Messina, Dr. Sanzo, die meiner Arbeit
stets, ebenso wie mir, aufs liebenswürdigste entgegenkamen und stets
mit Rat behilflich zu sein bereit waren; Herrn W.D. Lepeschkin,
der mir in liebenswürdigster Weise die Möglichkeit bot, in seinem
Laboratorium zu arbeiten und mir oftmals sehr wertvolle Rat-
schläge erteilte; die Hinweise bezüglich der Methode seitens des
Herrn Privatdozenten N. K. Koltzoff waren mir ebenfalls von
grossem Nutzen. Allen den genannten Herren sage ich hiermit
nochmals meinen aufrichtigen Dank.
Literaturverzeichnis.
Bonnevie, Kr, 1905: Das Verhalten des Chromatins in den Keimzellen
von Enteroxenos Oestergreni. Anat. Anzeiger, Bd. XXVI.
Derselbe, 1906: Untersuchungen über Keimzellen. Jen. Zeitschr., Bd. XLI.
Boveri, Th., 1890: Zellenstudien III. Jen. Zeitschr., Bd. XXIV.
Derselbe, 1901: Zellenstudien IV. Jen. Zeitschr., Bd. XXXV.
Derselbe, 1902: Das Problem der Befruchtung. Jena.
Derselbe, 1907: Zellenstudien VI. Die Entwicklung dispermer Seeigeleier. Jena.
Brauer, 1892: Über das EivonBranchipus grubii von der Bildung
bis zur Ablage. Abhandl. Akad. Wiss., Berlin.
Byrnes, E.F. 1899: The Maturation and Fertilization of the Egg of
Limax. Journal of Morph., XVI.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 989
Coe, W.R., 1899: The Maturation and Fertilization of the Egg of Cere-
bratulus. Zool. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ontog., Bd. XII.
Conklin, E.G., 1902: Karyokinesis and Cytokinesis in the Maturation,
Fertilization and Oleavage of Crepidula and other Gasteropoda.
Journ. of the Acad. of Nat. Sc. of Philadelphia, Vol. II.
Derselbe, 1904: Experiments on the Origin of the Üleavage-centrosomes.
Univers. of Pennsylvan. Contributions from the Zool. Labor., Vol. XI.
Drüner, W., 1895: Studien über den Mechanismus der Zellteilung. Jen.
Zeitschr., Bd. XXIX.
Fick, R., 1893: Über die Reifung und Befruchtung des Axolotleies. Zeit-
schrift f. wiss. Zool., Bd. LVI.
Derselbe, 1905: Betrachtungen über die Chromosomen, ihre Individualität,
Reduktion und Vererbung. Arch. f. Anat. u. Phys., Suppl.-Bd., An. Abt.
Fischer, 1899: Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Jena.
Fischer, M.u.Ostwald, W., 1905: Zur physikalisch-chemischen Theorie
der Befruchtung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., V. 106.
Fol, H., 1875: Etudes sur le developpement des Mollusques Pteropodes.
Arch. de Zool. Exper. et Gen., T. IV.
Foot, K. u. Strobell, E., 1903: The spermacentrosome and aster of
Allolobophora foetida. Americ. Journ. of Anatomy, Vol. IV.
Dieselben, 1905: Prophases and Metaphase of the first Maturation spindle of
Allolobophora foetida. Americ. Journ. of Anatomy, Vol. I.
Francotte, P., 1898: Recherches sur la maturation, la fecondation et les
segmentation chez les Polyclades. Arch. de Zool. Exper. et Gen., Vol. VI.
Gathy. 1900: Contribution & l’&tude du developpement de l’oeuf et de la
fecondation chez les Annelides (Tubifex rivulorum et Clepsine
complanata). La Üellule, XVII.
Giardina, 1901: Origine dell’ovocyte e delle cellule nutriei nel Dytiscus.
Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Phys, Bd. XVII.
Derselbe, 1902: Note sul meccanismo delle fecondazione e della devisione
cellulare studiato prineipalmente in uova di echini. Anat. Anzeiger,
Bd. XXI.
Goldschmidt, R., 1902: Untersuchungen über die Eireifung, Befruchtung
und Zellteilung bei Polystomum integerrimum. Zeitschr. f. wiss.
Zool., Bd. LXXI.
Derselbe, 1905: Eireifung, Befruchtung und Embryonalentwickelung des
Zoogonus mirus. Zool. Jahrb., Bd. XXI.
Goldschmidt und Popoff, M., 1907: Die Karyokinese der Protozoen
und der Chromidialapparat der Protozoen und Metazoenzellen. Arch.
f. Protistenkunde, Bd. VII.
Gregoire, V., 1905: Les resultats acquis sur les einöses de Maturation
dans les deux regnes. I. La Cellule, XXI.
Griffin, B., 1899: Studies on the Maturation, Fertilization and Oleavage
of Thalassema and Zirphaea. Journ. of Morph., Vol. XV.
Gurwitsch, A., 1904: Morphologie und Biologie der Zelle. Jena.
990 A. Nekrassoff:
Häcker, V., 1907: Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger.
Ergebn. und Fortschr. der Zoologie, Bd.1, H. 1.
Hartog, M., 1905: Die Doppelkraft der teilenden Zellen. Biol. Zentralbl.,
Bd. XXV.
Derselbe, 1904: Des chaines de force et d’un nouveau modele magnetique
des mitoses cellulaires. Compt. rend. des Seances de l’Acad. des Sc.,
Bd. 138.
Hertwig, O., 1878: Beiträge zur Kenntnis der Bildung, Befruchtung und
Teilung des tierischen Eies. Morph. Jahrb., Bd. IV.
Derselbe, 1885: Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Teilung der
Zelle. Jen. Zeitschr., Bd. XVIH.
Hertwig, R., 1899: Über Kernteilung, Richtungskörperbildung und Be-
fruchtung von Actinosphaerium Eichhorni. Abh. der math.-phys.
Kl. d. Bayer. Ak. d. Wiss., XIX.
Derselbe, 1903: Über Korrelation von Zell- und Kerngrösse und ihre Bedeutung
für die geschlechtliche Differenzierung und die Teilung der Zelle. Biol.
Zentralbl., XXIH.
Derselbe, 1908: Über neue Probleme der Zellenlehre. Arch. f. Zellforschung,
Bd-T, HT.
v. Janicki, C., 1907: Über die Embryonalentwicklung von Taenia serrata.
Zeitschr. f. wiss. Zoologie, LXXXVII.
Jannsens, J. u. Erlington, G., 1903: L’el&ment nucleinien pendant
les divisions de maturation dans l’oeuf de l’Aplysia punctata. La
Cellule, XXI.
Jenkinson, M., 1904: Observations on the Maturation and Fertilization
of the Egg of the Axolotl. Quart. Journal of Mier. Se., V. XLVII.
Keuten, J., 1895: Die Kernteilung von Englena viridis. Zeitschr.
f. wiss. Zool., LX.
King, H.D., 1901: The Maturation and Fertilization of the Egg of Bufo
lentigonosus. Journ. of Morph., Vol. XVII.
Klinekowström, 1897: Beiträge zur Kenntnis der Eireife und Be-
fruchtung bei Prosteceraeus. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLVIH.
Korschelt, E., 1895: Über Kernteilung, Eireifung und Befruchtung bei
Ophryotrocha puerilis. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. LX.
Kostanecki,K. u. Verzejski, 18%: Über das Verhalten der sogen.
achromatischen Substanzen im befruchteten Ei. Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. XLV1.
Kostanecki,K.u. Siedlecki, 1897: Über das Verhalten der Zentro-
somen zum Protoplasma. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLVII.
Kostanecki, K., 1904: Cytologische Studien an parthenogenetisch sich
entwickelnden Eiern von Mactra.
Derselbe, 1906: Über die Herkunft der Teilungszentren der ersten Furchungs-
spindel im befruchteten Ei. Arch. f. mikr. Anat., Bd. LXVII.
Derselbe, 1898: Die Befruchtung des Eies von Myzostoma Glabrum.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. LI.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 991
Lamb, A., 1907: A new Explanation of the Mechanics of Mitosis. The
Journ. of Exper. Zoology, Vol. V.
Lams,H. et Doorme, J., 1907: Nouvelles recherches sur la maturation
et la f&condation de l’oeuf des Mammiferes. Arch. de Biol., XXIII.
Lefevre, 1907: Artificial Parthenogenesis in Thalassema mellita.
Journ. of exper. Zool., Vol. IV.
Lillie, Fr. R., 1900: Organization of the Egg of Unio. Journ. of Morph.,
Vol. XVII.
Lillie, R., 1905: The Physiology of Cell-Division. The Amer. Journ. of
Physiology, Vol. XV.
Lillie, Fr. R., 1906: Observations and Experiments concerning the ele-
mentary Phenomena of Embryonic development in Chaeptopterus.
Journ. of exper. Zool., Vol. III.
Linville, 1900: Maturation and Fertilization in Pulmonate Gasteropoda.
Bull. of the Mus. of Comp. Zool. of Harw. Coll., XXXV.
Loeb, J., 1906: Untersuchungen über künstliche Parthenogenese.
Mac Farland, 1897: Cellulare Studien an Molluskeneiern. Zool. Jahrb.,
Abt. f. An. u. Ontog., X.
Mead, 1897: The Origin and Behaviour of the Centrosomes in the Annelide
Egg. Journ. of Morph., XIV.
Montgomery, Th. 1907: On the Maturation, Mitoses, and Fertilization
of the Egg of Theridium. Zool. Jahrb., Abt. f. An. u. Ont., XXV.
Nekrassoff, A., 1903: Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung
des Eies von Cymbulia Peronii. Anat. Anz., Bd. XXIV.
Petrunkewitsch, A., 1906: Künstliche Parthenogenese. Zool. Jahrb.,
Supnl. VII.
Pietet, 1891: Recherches sur la spermatogenese chez quelques Invertebr&s
de la Mediterrane. Mitt. a. d. Zool. Station Neapel, Bd. X.
Popoff, M., 1907: Eibildung bei Paludina vivipara und Chromidien
bei Paludina und Helix. Arch. f. mikr. Anat., Bd. LXX.
Rawitz, B., 1907: Lehrbuch der mikroskopischen Technik. Leipzig.
Rhumbler, 1896: Versuch einer mechanischen Erklärung der indirekten
Zell- und Kernteilung. Arch. f. Entwicklungsmech., Bd. III.
Derselbe, 1903: Mechanische Erklärung der Ähnlichkeit zwischen magnetischen
Kraftliniensystemen und Zellteilungsfiguren. Arch. f. Entwicklungmech.,
Ba. XVI.
Rüzitka, V1., 1906: Der morphologische Metabolismus des lebenden Proto-
plasmas. Arch. f. Entwicklungsmech., XXI.
Derselbe, 1907: Struktur und Plasma. Ergebnisse der Anatomie und Ent-
wicklungsgeschichte, Bd. XVI.
Schläpfer, 1905: Eine physikalische Erklärung der achromatischen Spindel-
figur und der Wanderung der Chromatinschleifen bei der indirekten
Zellteilung. Arch. f. Entwicklungsmech., XIX.
Schaposchnikoff, B., 1908: Polyzentrische Mitosen bei der Eireifung
von Acanthodoris pilosa. Anat. Anz., Bd. XXXII.
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73. 64
992 AraNKeikarjansıs oo tf.:
Schockaert, R., 1902: L’ovogenese chez le Thysanozoon Brocchi.
La Cellule, T. XX.
Derselbe, 1905: Fe&condation et Segmentation chez le Thysanozoon
Brocchi. La Cellule, T.XX.
Schubmann, W., 1905: Über die Eibildung und Embryonalentwicklung
von Fasciola hepatica. Zool. Jahrb., XXI.
Smallwood, W., 1901: The Öentrosome in the Maturation and Fertilization
of Bulla solitaria. Biol. Bull., Vol. II.
Derselbe, 1904: The Maturation, Fertilization and early Üleavage of
Haminea solitaria. Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coll. Zitiert
nach einem Referat im Zool. Zentr. 1905.
Derselbe, 1905: Some Öbservations on the Chromosome-Vesicles in the
Maturation of Nudibranchs. Morph. Jahrb., XXXII.
Sobotta, J., 1895: Die Befruchtung und Furchung des Eies der Maus.
Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLV.
Derselbe, 1897: Die Reifung und Befruchtung des Eies von Amphioxus
lanceolatus. Arch. f. mikr. An., Bd. L.
Soulier, A., 1906: La fecondation chez la Serpule. Arch. de Zool. Exp.
et Gen., T. V, No. 3.
Steuer, A., 1903: Über eine Euglenoide (Eutreptia) aus dem Canale
Grande von Triest. Arch. f. Protistenk., Bd. III.
Struckmann, Chr., 1905: Eibildung, Samenbildung und Befruchtung von
Strongylus plaria. Zool. Jahrb., Abt. f. An. u. Ont,, XXVI.
Teichmann, E. 1903: Über die Beziehung zwischen Astrosphären und
Furchen. Arch. f. Entwicklungsmech., XVI.
Van der Stricht, 1898: La formation de deux globules polaires et
l’apparition des spermocentres dans l’oeuf de Thysanozoon brocchi.
Arch. de Biol., XV.
Vejdovsky, F., 1907: Neue Untersuchungen über die Reifung und Be-
fruchtung. Prag.
Derselbe und Mrazek, 1903: Umbildung des Cytoplasma während der Be-
fruchtung und Zellteilung. Arch. f. mikr. Anat., XLH.
Wassiljeff, 1902: Über künstliche Parthenogenesis des Seeigeleies.
Biol. Zentralbl.
Wheeler, 1897: The Maturation, Fecundation and early Cleavage of
Mysostoma glabrum. Arch. de Biol., Vol. XV.
Wilson and Mathews, 1895: Maturation, Fertilization and Polarity in
the Echinoderm Egg. Journ. of Morphol., X.
Wilson, E., 1900: The Cell in Development and Inheritance.
Derselbe, 1901: Experimental Studien in Cytology I. Arch. f. Entwicklungs-
mech., Bd. XH.
Derselbe, 1902: Experimental Studien in Cytology II. Arch. f. Entwicklungs-
mech., Bd. XIII.
Derselbe, 1904: Cytasters and Üentrosomes in artificial Parthenogenesis.
Zool. Anz., XXVI.
Das Ei von Cymbulia Peronii. 993
Wulfert, 1902: Die Embryonalentwicklung von Gonothyrea eoveni.
Zeitschr. f. wiss. Zool., LXXI.
Yatsu, N, 1905: The Formation of Üentrosomes in enucleated Egg-
fragments. The Journ. of Exper. Zool., Vol. II.
Ziegler, H. E., 1898: Experimentelle Studien über die Zellteilung. Arch.
f. Entwicklungsmech., VI.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXV-XXXIX.
Alle Zeichnungen wurden mit Hilfe des Zeichenapparates angefertigt
und der bequemeren Vergleichung wegen zuerst nur mit zwei Vergrösserungen:
a) bei einer 1050 maligen (Zeiss-Objekt. homog. Immers. 2 mm, Apert. 1,30,
Okular VIII) und b) bei einer 2000 maligen (Zeiss-Objekt. homog. Immers.
2 mm, Apert. 1,50, Okular XVIII). Leider sind mehrere Zeichnungen auf
den Tafeln verkleinert. Deshalb ist es nötig bei der Vergleichung der Grösse
der Spindeln und Kerne die Aufmerksamkeit auf die Bezeichnung der Ver-
grösserung zu richten.
Fig. 1. Freies Spermatozoon. x 2000.
Fig. 2. Frühe Prophase der ersten Reifungsspindel. Eine aus drei auf-
einanderfolgenden Schnitten komplizierte Zeichnung. Zwei Zentro-
somen in den Unterbrechungszentren der Eimembran: ein Klareres
oben, ein zweites unten. Nukleolus in der rechten Kernhälfte.
Unter dem Kern unten ein Abschnitt des Spermakopfes.. x 790.
Fig. 3. Spermatozoon im Innern des Eies (frühe Prophase der ersten
Reifungsspindel. x 2000.
Fig. 4. Späte Prophase. Eine aus zwei aufeinanderfolgenden Schnitten
kombinierte Zeichnung. Links von der Spindel der Abschnitt eines
Spermakopfs.° x 790.
„Ungewöhnliche* Chromosomen der Prophase. x 2000.
Fig. 6. Späte Prophase. Eine aus zwei aufeinanderfolgenden Schnitten
kombinierte Zeichnung. Rechts von der Spindel der Durchschnitt
eines Spermakopfs mit von ihm ausgehendem Schwanzanfang.
a el
Metaphase. Schnitt. Unten Schnitt durch einen Spermakopf mit
von ihm ausgehendem Schwanz. Rechts von der Äquatorialscheibe
der Nukleolus. x 7%.
Fig. 8. Metaphase. Schnitt x 1540.
Fig. 9. Chromosomen der Metaphase. Aus einem dem vorhergehenden
benachbarten Schnitte. x 2000.
Fig. 10. Frühe Anaphase. Schnitt X 1340.
Fig. 11. Anaphase. Aus zwei aufeinanderfolgenden Schnitten kombinierte
Zeichnung. x 1600.
Fig. 12. Späte Anaphase. Schnitt x 2000.
Fig. 13. Telophase. Schnitt x 2000.
>
bi
Fig.
=]
64*
A. Nekrassoff: Das Ei von Cymbulia Peronii.
. 14. Telophase. Auseinandertreten der Zentriolen. Schnitt X 2000.
o. 15. Auseinandertreten der Zentrosomen der zweiten Reifungsspindel.
Schnitt x 2000.
. 16. Auseinandertreten der Zentrosomen der zweiten Reifungsspindel
Der Schnitt ist schräg zur Eiachse geführt. x 2000.
17. Die Chromosomen der Prophase der zweiten Reifungsspindel. Schnitt
x 2000.
. 18. Späte Prophase der zweiten Reifungsspindel. Schnitt x 2000.
.19 u. 20. Metaphase „ 5 % > „ 1500.
-21. Auseinandertreten der Chromosomen der zweiten Spindel. Schnitt
x 1630.
. 22 u.23. Anaphase der zweiten Reifungsspindel. Schnitte X 1590 u.x 2000.
‚24. Anquellen des Spermakopfs. Schnitt X 1500.
.25. Späte Anaphase der zweiten Reifungsspindel. Schnitt x 2000.
. 26. Schnitt durch einen Teil des Schwanzes eines Spermatozoon. x 2000.
. 27. Telophase der zweiten Reifungsspindel. Eine aus zwei aufeinander-
folgenden Schnitten kombinierte Zeichnung. Unten der Querschnitt
eines Spermakopfes und rechts ein Abschnitt des Schwanzes. x 1050.
. 28. Beginn der Teilung des ersten Richtungskörperchens. Schnitt x 2000.
o. 29. Anquellen der weiblichen Chromosomen und des Spermatozoon.
Aus drei aufeinanderfolgenden Schnitten kombinierte Zeichnung.
Rechts ein Abschnitt des Schwanzes. x 1050.
30. Weiteres Anquellen und Annäherung der Geschlechtskerne. Schnitt
x IR.
31-35. Verschiedene Stadien des Anquellens der weiblichen Chromo-
somen. Schnitt x 2000.
36. Zu frühe Annäherung des Spermakerns und Bläschen der weiblichen
Chromosomen. Schnitt x 2000.
ice. 37 u. 38. Annäherung des männlichen und weiblichen Kernes. Der
weibliche Kern befindet sich oben, der männliche unten. Erlöschen
des weiblichen Zentrosoms. Schnitte X 1510 und x 2000.
. 39. Anquellen des weiblichen Kerns. Schnitt x 2000.
40 u. 41, Stadium des Wachstums und der inneren Differenzierung der
Kerne. Schnitte x 2000 und x 1050.
. 42, Stadium der Differenzierung der Geschlechtskerne. Schnitt x 2000.
. 43 u. 44. 7Zwischenkörper. Schnitt x 2000.
g. 45. Auftreten der Furchungszentrosomen. Eine aus zwei aufeinander-
folgenden Schnitten kombinierte Zeichnung. X 2000.
46. Bildung der ersten Furchungsspindel. Aus zwei aufeinanderfolgenden
Schnitten kombinierte Zeichnung. X 2000.
ig. 47. Metaphase der ersten Furchungsspindel. Schnitt x 770.
io. 48. Frühe Anaphase der ersten Furchungsspindel. Schnitt x 2000.
io. 49 u. 50. Chromatinknäuel der ersten Furchungsspindel. Schnitt X 2000.
ic. 51. Chromosomen der ersten ‚Furchungsspindel. Schnitt X 2000.
. 52, 53 u. 54. Chromatin in den Richtungskörperchen. x 2000.
Archiv Emikroskop Anatomie Ba.LXNI.
\ - Thym
Thym
Thym--\
Thym-
Acc
Archiv Kmikroskop. Anatomie Ba.LXNIN.
Taf.
N
}
|
31
bi
Archiv £ mikroskop. Anatomie Ba.ENNXLL.
IS: Ip:
ET ws SE
ES S BER:
ba
ES
(3)
DER
DZ a ©)
EN t
eo AL
Ars,
x Se Dat
DD
Archiv Emikroskop. Anatomie. Ba. XXI,
Werner sWinten Franke vÄl.
Archiv Kmikroskop. Anatomie. BA.LXXI.
n— x
Taf v.
"mn.
Arch Fmikroskop. Anatomie BA.LXNM.
Taf v1.
27 28 s 29
2
© 10
En
Di
Sinsel & 00. G. m. b.H. Leipzig-Oetzsch.
Wera Dantschakoff.
Archiv f.mikroskop. Anatomie. Bd.LXXHl.
Wera Dentschakoff. Sinsel & Co. G. m.b.H. Leipzig-Oetzach.
N TRIERER N NS ER
r oe Re
Er
{
.
2
S
4
, A:
“ y
»
>
. 3
m,
.
I
L
is — | u a Zus 1
Taf ıx.
MK
1
|
„AS
GBR
7 BR
13
BK
Na
AT
Archär Emikroskop. Anatomie. Ba.LXNIN.
ww
Archiv Kmikroskop. Anatomie. Ba. IX.
Werner aWinter Frankfurt Ya
En
Taf.
| u
ERBE
| > a | a
a x
Ks
NS
10
Archiv £mikroskop. Anatomie. BALNXI.
irt
z Frankfü
& Winter,
Werner &
.
-
Bi ZU 2 u ln Te TE Zn Zn U nn Br a m Bd nn in u - ” u
/
TafExn.
Archiv Emikroskop. Anatomie. Bd LXXM.
16
(ex
m
lrtt rt Hr
I, UWE
HONBHNRAUSSEN
Y IR
S
N
m
en er he ee
d
Sue ges sun ser eine
nr
[Beate uf gen u 4 Jan per Sa rede er — le et
b
s JeIeTersIsSsz2igl
Qu EBEN E3] EaiEIIE A) a] 57
Sa
: Ba wW mama
20
b
A
2
l “
R ——;
“>
.
un 1
j
,
! 7 „<
“ «
ı . A
“ w
’ — .
D >. En -
SH:
- w
ie
r a
) Bi
BIT hen
Archiv Emikroskop. Anatomie. BaINXUr.
Tax.
sr
Eee ee ec Denn
De u 2a en 7 a wu >
2 ed
/
b
}
}
>
4
En
a
Taf XIV.
Archiv Emikroskop Anatomie. Ba. MU.
r
w ww. 02 Zu Banana aa ı
Archiv Kmikroskop. Anatomie. BALNX.
r—
|
|
Kaud
Taf XV.
|
Kaud\
|
|
|
|
,
%
i
| .
}
}
TE TOR,
u N
COLEtErt?r =
Sul nr
{8 HD 2 N
dur br BiK
ie . .% “
N
{ \ r My Ye)
Mer Ri
u (x » ‚&
{ u] ı%
en, N ’
WOLLT,
EL
RR
EOuneeet
Archiv f. mikroskop. Anatomie.
LXXM.
NIT Ih Ä
E N, Q, am
n2 20. Trymus Q.o2gm
Inanit. 2 IE
N® 22. Trumus |,+ am
Nutrit, Y— Ya
.Nel6 Trymus Aıgm f
Kontrall, Ei
1
N® 18. mus O.oY mn
Inn
#
N? 21. Thumus 0,07 am
Inamıt, Bl, A
Nutrit '%, = Ye
>
NE 29. Thymus a
manıt: np u
Nutrit .%- % Je
Lichtdruck von Sinsel & Co., G. m. b. H., Oetzsch-Leipzig.
Chromodruck Sinsel & Co., G. m. b. H., Leipzig - Oetzsch,
TakXWHr.
nn
Arnlı
f
pen
ımız
iz Mir
pEız
Mz' S
4
%
Taß.NıX.
VI.
Irchiv Emikroskop. Inatomwe. Be.LN
16
linz
Salz
Nlz.
17
iz
Mz
Wz—-
AZ
Mz
Ylz
Mz
Archiv Emikroskop, Anatomie. bd.LXNXIH.
Tuf XX.
lb
op!
nn,
YA.
=
«
Archiv Fmikroskop. Anatomie. ba LX
Taf xx.
Br
ec,
5
z
«Winter Frankfurt "DI
F
| f
,
y
\
} 2 ee
{ x N
+ 5
2
2 e;
{
x
429322
SUIRZ«
or IE, x
u BEN
.} \ „ ik
1a uns 1 {
r % ; j
% \ A R f n
t. I) >
EDER { }
BAER N 5 on . Fu 2
Archiv £ mikroskop. Anatomie. bd.LXXIM.
Werner k Winter Frankfure®M.
Archiv Emikroskop. lnatomie. BALNXU
2 2 BE i ö h Taf XXI.
‚Imehiv Amikroskop. Anatomie. BANN.
Tuf.XXD
Ä
Archiv Emikroskop. Anatomie. bBA.LXNT.
2 & Ar Tal XXV
r
- .
3
E. | |
a
>
Are 4
“ *
Be,
ie - F
ei" \ Y
5 an =
Pr; x
us . v
5 N x
Wi ; *
y ’
Es
. .
“
‘
#
D
.
' . [4 “
ku | ’
‘ -
‘
Se \
| “
3 *
.
7
v
! J
2 g L ”
5 2
"
s
.
3 D | i un
i x j N
r 4 le
v
R X —
» nn 7 Mh
2 ” N - v
h . . “ 1 Dr er
w . r u . wir r
7 Y 2 * = —r uno
f' . Cake nn >
v Tr «
a, ’ ae > = . 0
br ie ,. x u P wz
en u = = ‘ Rn [ DENN —e%
Gay 52
ne u ee
Archiv £mikroskop. Anatomie. Ba.LXXIN.
TaEXXT.
Werner «Winter, Frankfurt®
j 1 PAR a Un
£ Rs 7 m Al
Eu 8 # Te ION;
Er U In
ar Ir
h i
al
Archiv Knukroskop. Anatomie. ba.uAXM. \ a: Taf xxv.
(5 Monate; 2,70. 9)
[2 Wochen; 0.529.)
[8 Monate; 0.98 g.]
[5 Wochen; 100.9.)
BD
X 1270989.)
Taf XXV.
chiv Emikroskop, Anatomie. BaIXMU.
1,
uU
i Ian! AU
DI NRTAV EL) une hi)ıla
.„.-„...—. a,0+0.00 um
re CEST N th PIYE IT a ggaanla ie
Ailaenıenn rar AU. pie
Ban ltmnge, al
a geneetttetetetttl
> Ss MRUNMULUNUAUTUUN
Es ANBHAUSSRAUHCHRN UNE IN
SD uowonpssguynannsen
DEE HER ETSENEHTERRRN
= 0 0 at 0 480 rn
“ 50000
aeIeNtAINR| it
.)
= mM
EN ER TER ERe 2 Fr a re |
DD THTTTEDTEIELETLETTARTTTETTRELHNLONERN
-
.-.. .# “= mm me.
van h tt ges des Hassan
DS
NIX.
P
Taf x
Archiv Kmukroskon. Anatomie. Ba. EXNT.
... un
Se, N
=
2
Er
p? Ri F Bj 2 a
Ircnv Kmikroskon. Anatomie. Ba.LXXN. u. Tat. XXX.
fr 14
r
|
“
rn
#
TarXxxı.
Irchiv Emuikroskon. Anatomie BaA.LNNT.
| b
Archiv Emikroskon. Anatomie. Ba.LAN.
be
2.
PN
„ R
ME;
oe
I }
‚Irchiv Emikroskop. Anatomie. baALXNIT. N TukXEx,
I
N
Werner «hinter Frankfurt "iS.
|
Tu
Dias ned a Be ı
EEE RE ER WERTE A
E53:
N Er
BED Ti
Archiv Emikroskon. Anatomie. BALXNT.
en 2
REHL
29,
and
Pr ie e “ ' 3 . ”
R j; { 6 S ‘ \ IN» 24
en a N
ö X Br ' 2
SE CE ..;
ar,
TOR AN XIV.
]
r
Tar XXX
‚Irchiv Kmikroskon. »natomie. BA.LXNN.
rn Sa “ = Br; El Sn En 2 3 cu Zn Ze ı EEE a A en €
k BG £
BI
| /
I
» i -
Rs a {
4
N h &
Y ; ” j
R E23
’
nr Sr
; \
.
Le c x . 5 er
PEN „ Y -
Sen \
{ zZ
f {
ı r . P N
N 4 ”
A » 7
Fi £ 4
5
; N,
-
ZzE.2
NAVI.
Tal
Archiv Emikroskon. Anatomie. BA.LKXNIT.
BE, „2 “ u
SEES
“
ig .
= \
1
pr
}
f] 0
J}
Fi
x - I B
« 1
* = 5
Een
r# DEI n -
oz Ber L L 2
An Da =, so =
= Sl: N)
EL nee
SENAT une er
- u un
as = > un
Archiv Emikroskon. Anatomie. BALXNIT.
Es n
Dee un
DC WER 2 ee
2,” y a n
I
“
Archiv Emuikroskop. Anatomie. BANN. . =
3 = e Rt Be . 2 ae 3 x I h > Taf: XXXV.
_———
ES
r
*
*
*
.
.
D
-
-
r
»
‘
. x
j 4
. 7 Y
x u
E
—
4
4 * m ‚Ss }
= 7 URS Na
Ber. N\ 78 \
e % Ey Be SI,
© DZ
OD
1792794439
1 x
+ * “
Ge
j
Bi
ji
| IR.
Ri N >;
v
”
ww
eo bs
en
BE TERRE
TE
IE
. Im > ne es
> a We Fe
>
en Ah
A
\
Ne
Erg
HukeN "a ir
rain,
En