Skip to main content

Full text of "Archiv für mikroskopische Anatomie"

See other formats


Se 


mM 


00857 


{8 
nr 
3 
} 


en ee Eu KR 


Archiv 


für 


Mikroskopische Anatomie 


und 


Entwicklungsgeschichte 


herausgegeben 


von 


O. Hertwig und W. Waldeyer 


in Berlin. 


Fortsetzung von Max Schultze’s Archiv für mikroskopische Anatomie 


Dreiundsiebzigster Band 


Mit 39 Tafeln und 44 Textfiguren 


Bonn 
Verlag von Friedrich Cohen 
190% 


ni 


4 
Te: 


t 


NREE Pa: A 


Inhalt. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. Von J. Aug. Hammar, Upsala. 
(Aus dem anatomischen Institut in Upsala.) Hierzu Tafel I—IH 
und 10 Textfiguren i 20 3 

Über die Genese des Chordaknorpels der Urodelen und die Natur des 
Chordagewebes. Von Dr. med. Friedrich Krauss in Charlotten- 
burg. (Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Universität 
Berlin.) Hierzu Tafel IV—VI A: 

Untersuchungen über die Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei 
Vögeln. Das lockere Bindegewebe des Hühnchens im fetalen 
Leben. Von Dr. med. Wera Dantschakoff. (Aus dem histo- 
logischen Institut der Kaiserlichen Universität zu Moskau.) Hierzu 
Tafel VII und VIII 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. II. Die Medulla oblongata von 
Phocaena communis (Cuv.) Less. und Balaenoptera rostrata Fabr. 
Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Morphologie der Oblongata 
der Säuger. (Erste Hälfte) Von Bernhard Rawitz, Berlin. 
(Aus dem pathologischen Museum der Universität Berlin.) Hierzu 
Tafel IX und X 


Bemerkungen zu dem Aufsatze P. Schmidts: „Über Jugendstadien der 
roten Blutkörperchen.“ Von Franz Weidenreich 

Zur Morphologie des Muskelglykogens und zur Struktur der quer- 
gestreiften Muskelfaser. Von Professor Dr. Julius Arnold in 
Heidelberg. Hierzu Tafel XI und XI 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. Von Dr. Otfried 
OÖ. Fellner in Wien 


Das Zentralnervensystem der Öetaceen. II. Die Medulla oblongata von 
Phocaena communis (Cuv.) Less. und Balaenoptera rostrata Fahr. 
Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Morphologie der Oblongata 
der Säuger. (Zweite Hälfte) Von Bernhard Rawitz, Berlin. 
(Aus dem pathologischen Museum der Universität Berlin.) Hierzu 
Tafel XII—XV 


Studien über die Thymusinvolution. Die akzidentelle Involution bei 
Hunger. Von Arvid Jonson. (Aus dem anatomischen Institut 
der Universität zu Upsala.) Hierzu Taf. XVI, XVII u.11 Textfiguren 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. I. Die frühesten Ent- 
wicklungsstadien der Blut- und Bindegewebszellen beim Säugetier- 
embryo, bis zum Anfang der Blutbildung in der Leber. Von 
Dr. Alexander Maximow, Professor der Histologie und Em- 
bryologie an der Kaiserlichen Medizinischen Militär-Akademie zu 
St. Petersburg. Hierzu Tafel XVIII-XX 


Seite 


69 


117 


306 


390 


444 


IV 


Die Entstehung des Knochengewebes und des Zahnbeins. Ein Beitrag 
zur Lehre von der Bildung der Grundsubstanzen. Von J. Disse, 
Marburg. Hierzu Tafel XXI und XXI . 


Das Nervensystem von Ammocoetes. I. Das Rückenmark. Von 
D. Tretjakoff. (Aus dem anatom.-histologischen Laboratorium 
d. Universität St. Petersburg. Vorstand: Prof. Dr. A. S. Dogiel.) 
Hierzu Tafel XXIII—XXV 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. Von A.N. 
Mislawsky, Prosektorgehilfe am histologischen Laboratorium 
zu Kasan. Hierzu Tafel XXVI . A 

Studien über die Thymusinvolution. Die Altersveränderungen der Thymus- 
drüse beim Kaninchen. Von G. Söderlund und A. Backman. 
(Aus dem anatomischen Institut der Universität zu Upsala.) Hierzu 
Tafel XXVII und 6 Textfiguren . IRRE: 8 

Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels nebst Bemerkungen 
über dessen Struktur. Von Professor Dr. Julius Arnold in 
Heidelberg. Hierzu aa 2... Weser 


Erwiderung auf Franz Weidenreichs „Bemerkungen“ zu meiner 
Arbeit: „Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen“. Von 
Privatdozent Dr. P. Schmidt, Leipzig . 


Zur Frage der Epithelmetaplasie im embryonalen Ösophagus. Von 
Professor E. Neumann, Königsberg 


Zur Kenntnis des Gartnerschen (oder Wolffschen) Ganges besonders in 
der Vagina und dem Hymen des Menschen. Von Professor 
Dr. Robert Meyer. (Aus dem Laboratorium der Clarite- 
Frauenklinik zu Berlin.) Hierzu Tafel XXIX und XXX 


Zur Morphologie und morphologischen Stellung der ungranulierten 
Leucocyten — Lymphocyten — des Blutes und der Lymphe. 
VI. Fortsetzung der „Studien über das Blut und die blutbildenden 
und -zerstörenden Organe“. Von Franz Weidenreich. (Aus 
dem anatom. Institut in Strassburg.) Hierzu Taf. XXXI—XXXIII 


Leuchtende Ophiopsilen. Von Dr. Emanuel Trojan, Assistenten am 
zoologischen Institute der k. k. Deutschen Universität in Prag. 
(Aus dem zoologischen Institute der K. k. Deutschen Universität 
in Prag.) Hierzu Tafel XXXIV 


Analyse der Reifungs- und Befruchtungsprozesse des Eies von Cymbulia 
Peronii nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung der 
Strahlung neben den Kernen und über die Kopulationsbahn der 
Vorkerne. Von A. Nekrassoff, Moskau. Hierzu Tafel XXXV 
bis XXXIX und 17 Textfiguren . 


563 


607 


681 


699 


138 


44 


51 


193 


883 


913 


Aus dem anatomischen Institut in Upsala. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 
Von 


J. Aug. Hammar, Upsala. 


Hierzu Tafel I—III und 10 Textfiguren. 


Inhalt. 
. Material und Methoden. 
. Bau des ausgebildeten, nicht involvierten Organs. 
. Zur Kritik der myoiden Zellen. 
. Die Histogenese. 
. Die Altersinvolution. 
6. Einiges über die accidentelle Involution. 


ou mw Hm 


1. Material und Methoden. 


Da ich die Abschnitte über den Bau, die Histogenese und 
die Altersinvolution jede für sich mit einer Literaturübersicht 
einleite, kann ich hier sogleich zu einer Darlegung des benutzten 
Materials übergehen: 

Mit Rücksicht auf die accidentelle Involution wurden in 
der Regel nur frisch eingefangene Tiere der Beschreibung des 
normalen Baues zugrunde gelegt. Die Fische wurden meistens 
sowohl gemessen als gewogen; eine ausführliche Aufzählung der 
benutzten Stadien scheint mir allerdings nicht nötig, sondern ich 
beschränke mich darauf, eine mehr summarische Übersicht meines 
Materials zu geben. Untersucht wurden Reihen von: 

Anguilla vulgaris Turt (14 Grössen von 70—670 mm) 
Centronotus gunnellus L. (11 Grössen von 30—210 mm) 
Uyprinus carassius L. (23 Grössen von 9,4—190 mm) 
Esox lucius L. (17 Grössen von 65—660 mm) 
Gasterosteus aculeatus L. (4 Grössen von 12,9—34,5 mm) 
Gobius niger L. (18 Grössen von 12—142 mm) 

Labrus rupestris L. (37 Grössen von 9— 160 mm) 


Phoxinus aphya L. (6 Grössen von S—49 mm) 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 11 


186) 


). Aug. Hammar: 


Salmo salar L. Stadien von 49 Tagen bis 105 Tagen mit 
48stündigem Intervall, ausserdem einige ältere Individuen 
im ersten bis dritten Lebensjahre (Altersbestimmung von 
Dr. J. Arwidsson) 


Siphonostoma typhle L. (50 Grössen von Larven von 9 mm 
Länge bis Individuen von 375 mm) 
Zoarces viviparus L. (25 Grössen von 40 mm bis 300 mm). 


Ausserdem mehr vereinzelte Exemplare von: 
Aspius alburnus L. 
Cottus gobio L. 
Cottus scorpius L. 
Gobio fluviatilis Flem. 
Leueisceus rutilus L. 
Lota vulgaris Jen. 
Osmerus eperlanus L. 
Perca fluviatilis L. 
Pleuronectes flesus L. 


Die allermeisten der Meerfische wurden im Sommer 1906 
bei einem Aufenthalt an der zoologischen Station Kristineberg 
eingesammelt. Eine komplettierende Sendung konservierter Fische 
habe ich später von der Station empfangen. Für das liebens- 
würdige Entgegenkommen, das mir hierbei vom Direktor der 
Station Herrn Professor Hj. Th&el und vom Vorsteher Herrn 
Dr. Hj. Östergren bewiesen worden ist, bin ich den verehrten 
Herren zu grossem Dank verpflichtet. 


Herr Dr. J. Arwidsson hat mit der grössten Liebens- 
würdigkeit sowohl die Beschaffung der Lachseier wie anderen 
Materials besorgt, wofür auch ihm mein aufrichtigster Dank 
gebührt. Auch einige jüngere Kollegen und Schüler haben mir 
bei der Materialbeschaffung eine sehr dankenswerte Hilfe geleistet. 

Die Fixierung des Materials geschah vorzugsweise in 
Kaliumbichromat-Eisessig (Tellyesniczkyscher Flüssigkeit) 
und Flemmingschem Gemisch, die sich betreffs anderen Thymus- 
materials am vorteilhaftesten erwiesen hatten und auch hier gut 
bewährten. In einzelnen Fällen kam auch Fixierung mit Formol, 
bezw. Formolspiritus zur Anwendung. Aus Gründen — Hervor- 
rufung von verzerrten Zellenformen und Verklebungen — die 
anderorts (Hammar 1907, pag. 85) schon angeführt worden 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 3 


sind, habe ich die Verwendung von Sublimatmischungen auch 
hier vermieden. 

Nach dem Paraffineinbetten wurden von den meisten 
"Thymi komplette Schnittreihen von 3—12 u Dicke angefertigt; 
von anderen wiederum nur Gruppen von Schnitten an verschiedenen 
Stellen des Organs herausgegriften. 

Unter den angewandten Färbungen verdienen als besonders 
brauchbar hervorgehoben zu werden, neben Hämatoxylin-Eosin- 
färbung, Bendas Krystallviolett, die Mallorysche Färbung mit 
Säurefuchsin-Orange-Anilinblau, — welche ausser der Bindegewebs- 
differenzierung manche schöne Differenzierung auch im Innern 
des Parenchyms bewirkt — und, nach Flemming - Fixierung, 
Safranin allein oder mit nachfolgender Lichtgrünbehandlung, 
endlich Flemmings Dreifarbenverfahren. Beim Einschluss 
wurde in der letzten Zeit das von Gilson angegebene Euparal 
nicht ohne Vorteil benutzt. 

Um eine richtige Vorstellung von der Form und den 
relativen Gewichtsverhältnissen des Organs zu gewinnen, wurden 
in recht grossem Maßstabe Plattenmodelle des ganzen Organs 
angefertigt. Die Zahl der betreffenden Modelle beträgt zwischen 
250— 300. 

Über Berechnungen, die zwecks der Beantwortung spezieller 
Fragen angestellt wurden, wird unten näher berichtet. 


2. Bau des erwachsenen, nicht involvierten Organes. 


Bekanntlich war es Stannius, welcher zuerst die Aufmerksamkeit 
auf das Vorkommen einer Thymus bei den Knochenfischen lenkte. Er 
beschrieb sie 1850 beim Dorsch als „ein längliches, bisweilen fast hufeisen- 
förmig gekrümmtes, oder wenigstens ein Kreissegment bildendes Organ“ in 
der Gegend der häutigen Kommissur, welche den Kiemendeckel mit dem 
Schultergürtel verbindet. Die Drüse fand er in einer bindegewebigen Hülle 
eingeschlossen, ihr Parenchym von graurötlicher Farbe mit einer durch 
oberflächlich vorragende rundliche Acini bedingten höckerigen Oberfläche. 
Durch ihre ganze Länge erstreckt sich eine einfache, ziemlich weite Höhle, 
die eine zähe, klebrige, durch reichlich eingesprengte Pigmentzellen etwas 
bräunlich gefärbte Flüssigkeit enthielt. In dieser „Flüssigkeit“, die sich 
wohl als das bei nicht ganz frischem Material leicht zerfliessende Parenchym, 
vor allem die Rinde erkennen lässt, fand er kleine, runde Zellenkerne in 
ungeheurer Menge, spärlicher zwei- bis sechsmal so grosse runde, blasse 
Zellen mit mehrfachen Kernen, ausserdem Pigmentzellen und Fettkugeln. 
Konzentrische Hassallsche Körperchen konnte er nicht antreffen. 

1* 


4 J. Aug. Hammar: 


Mit kleinen Variationen in der Lage und dem Aussehen liess siclr 
das Organ wiederfinden auch bei Lota vulgaris, Pleuronectes platessa und 
flesus und Rhombus maximus, bei Lophius piscatorius, wo es von enormer 
Grösse war, und bei Zoarces viviparus, wo er es sehr klein, blass und 
weisslick fand; bei anderen, z. B. den Cyprinoiden, suchte er es vergebens. 

Leydig (1853) bezeichnet, in Anlehnung an Befunde am Stör 
und unter Hinweis auf vorhandene Ähnlichkeiten in der Lage und im 
Bau, die bei gewissen Teleostiern (Zeus faber) vor dem Schultergürtel vor- 
kommenden Follieuli branchialis als ein Äquivalent der Thymus. Hassallsche 
Körperchen schienen ihm bei den Fischen zu fehlen. 

Afanassiew (1877) tritt der Leydigschen Auffassung bei. Es scheint 
ihm, dass die fraglichen follikulären Gebilde als Thymus in ihrer einfachsten 
Form angesehen werden können. Eine zusammenhängende Darstellung des 
Baues der Fischthymus gibt der Autor nicht, und wo er mehr vorüber- 
gehende Bemerkungen über sie fallen lässt, ist es meistens nicht ersichtlich, 
ob sie auf die Teleostier- oder die Selachierthymus zielen; nicht selten 
scheint das letztere der Fall zu sein. 

Er beschreibt eine Zusammensetzung der Fischthymus aus Follikeln, 
die selten zusammenfliessen, da interfollikuläres Bindegewebe in grösserer 
Menge vorhanden ist. Die Follikel bestehen aus Retikulum und in dessen 
Maschen eingelagerten Lymphelementen. 


Maurer (1886) betont anlässlich der Darstellung der 'Thymus- 
entwicklung der Teleostier, dass eine Abschnürung des Organs vom Mutter- 
boden, d. h. dem Kiemenhöhlenepithel, niemals stattfindet. Da er aber 
andererorts von einer die Thymus überkleidenden oder ihr fest anliegenden, 
resp. mit ihr verwachsenen Schleimhaut, und von Versuchen, diese Schleimhaut 
abzupräparieren, spricht, so bekommt man aus seiner Darstellung keine 
einheitliche Vorstellung von den fraglichen Strukturverhältnissen. 


Auf jüngeren Stufen fand er das Organ als ein spindeliges Gebilde 
dorsal von den Kiemenspalten. Bei älteren Individuen war seine Lage eine 
je nach der Spezies etwas wechselnde. Bei Forelle, Hecht und Leueiscus 
lag es dicht hinter der Ansatzstelle der Kiemenbogen an die Basis cranii. 
Bei Cyprinus carpio und Rhodeus amarus erstreckte sie sich als ein solider, 
mächtiger Zapfen nach oben und lagerte dabei nicht mehr hinter dem Gehör- 
organ, sondern lateralvonihm. Bei Zoarces viviparus und Gasterosteus aculeatus 
hatte die Thymus eine im ganzen kubische Gestalt und lag hinter der 
Gehörkapsel. Besonders gross war sie bei Cottus gobio (2,5 em Länge); sie 
hatte hier die grösste Höhe hinter dem Gehörbläschen, erstreckte sich aber mit 
einer niedrigeren Verlängerung lateralwärts von ihr bis zum ersten Kiemenbogen. 


Die Struktur des erwachsenen Organs wird von Maurer unter Zu- 
grundelegung der Thymus einer Forelle von 18—20 cm Körperlänge ge- 
schildert. Der bindegewebige Überzug der tiefen Thymusfläche besteht aus 
Fasern, die durch fünf bis sechs zwischengelagerte Reihen Iymphoider Zellen 
auseinander gedrängt sind; er wird als Bildungsherd von Lymphzellen auf- 
gefasst. Von dieser „Kapsel“ treten Blutgefässe zur Thymus hinzu; die 
Wandung der Gefässe ist ebenfalls von Iymphoiden Zellen dicht durchsetzt. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 5 


Die eigentliche Thymus beginnt mit einer Membran, „welche direkt 
in die Membrana propria übergeht, die das Kiemenschleimhautepithel gegen 
das subkutane Bindegewebe abgrenzt“. Auf die Membran folgt eine breite 
Zone von grossen blassen Epithelzellen mit einzelnen zwischenlagernden 
Iymphoiden Zellen. Nach dem Innern der Thymus zu werden die Epithelien 
durch bindegewebige Teile mehr auseinandergedrängt. Sie liegen dann teils 
einzeln, teils in Gruppen zusammen. Die einzelnen sind meist sehr gross, 
ihr Kern ist kugelig und kaum gefärbt, ihr Plasmaleib konzentrisch gestreift. 
Die in Gruppen zusammenlagernden bilden teils unregelmässige Zellenkomplexe, 
teils — aber zum geringsten Teil — formieren sie konzentrische Körper. 

Danach folgt eine Zone aus wirklichen Lymphfollikeln von ganz ver- 
schiedener Grösse und unregelmässiger, meist rundlicher Gestalt. Die Follikel 
grenzen endlich an eine überziehende Schicht Epithelzellen, zwischen denen 
Iymphoide Zellen eingestreut liegen, so dass die Epithelien in den tieferen 
Lagen vielfach auseinandergedrängt sind. 

In einer vorläufigen Mitteilung gibt Schaffer (1893) einige Ergebnisse 
seiner Untersuchungen über die Fischthymus, welche, was die Teleostier 
angeht, Scomber, Scorpaena und Lophius piscatorius betrafen. Von letzt- 
genannter Spezies stand ihm eine geschlossene Thymusserie, Individuen von 
8'!/a—112 em Körperlänge entnommen, zur Verfügung. Seine Schilderung 
scheint sich nur auf Lophius zu beziehen. Es heisst (p. 340): „Die Thymus 
liegt abgerückt von ihrer ursprünglichen Bildungsstätte leicht auffindbar 
auf der dorsalen Fläche des Schultergürtels mit ihrem distalen, nach aussen 
und vorne gerichteten Ende auf dem Os claviculare in der Spitze eines Drei- 
eckes, dessen vorderer Schenkel von einem drehrunden, vom Radiocarpal- 
gelenk zum Hinterhauptsende ziehenden Muskel (Hebemuskel des Schulter- 
gürtels,) dessen hinterer Schenkel von einem säbelförmig nach hinten 
gekrümmten Knochenfortsatz der Clavicula gebildet wird. Der erwähnte 
Muskel trennt sie von den Kiemen, während sie medianwärts vom Os scapulare 
begrenzt wird“. 

Der histologische Bau des Organs zeigte eine innige Verbindung von 
epithelialen und Iymphoiden Zellen. Er fand das hellere, an Iymphoiden 
Zellen ärmere Gewebe vielfach unter der umhüllenden Bindegewebskapsel 
gelegen. „Es fehlt demnach der Gegensatz zwischen Mark und Rinde; das 
Iymphoide Gewebe ist vielmehr als unregelmässiges Strangsystem zwischen 
den Inseln des epitheloiden Gewebes verteilt. Von der bindegewebigen 
Kapsel abzweigend, durchziehen ausserdem noch stärkere trabekelartige 
Stützbalken das Innere, in welchem oft wandungslose Räume ein- 
gegraben erscheinen.“ Konzentrische Körperchen fehlten, dagegen wurden 
teils grosse Becherzellen, die ihren Schleim in „eigentümliche kavernöse 
Räume“ ergossen, teils „Sarkolyten* in den verschiedensten Stadien des Zerfalls 
angetroffen. 

Auch Prymak (1902) betont den unmittelbaren Zusammenhang der 
Thymusanlage mit dem Epithel der dorsalen Kiemenhöhlenwand, fügt aber 
hinzu: „Die Schleimhaut besteht hier bloss aus einer einzigen Schicht von 
abgeplatteten oder kubischen Epithelzellen, die direkt in die lockere Rinden- 
substanz der Thymus übergehen‘. 


6 J. Aug. Hammar: 


Es ist streng genommen nicht recht möglich, die fragliche 
Periode der Lebensgeschichte des Organs scharf abzugrenzen. 
Gegen die eigentliche Entwicklungsperiode bietet das Hervor- 
treten einer deutlichen Markschicht allerdings einen einigermassen 
festen Anhaltspunkt, indem erst mit der Ausbildung des Markes 
der allgemeine Strukturtypus des Organs zustande gekommen. 


thym. 


Figur 1. 


ihym. 


Figur .2. 
Oberflächenbilder der Thymus (thym.). 


Fig. 1 von Esox lucius; halbe natürliche Grösse. 
Fig. 2 von Leueiscus rutilus; natürliche Grösse. 


ist. Die Periode bis zum Abschluss dieser Markbildung soll den 
Gegenstand des nächstfolgenden Abschnittes dieses Aufsatzes bilden. 

Schwieriger ist die Abgrenzung gegen die Periode der Alters- 
involution. Dieser Involutionsprozess tritt so allmählich ein, 
‚und seine ersten strukturellen Zeichen sind so wenig augenfällig, 
dass es oft schwer fällt, auf Grundlage des mikroskopischen 
Bildes allein eine Entscheidung darüber zu treffen, ob die Alters- 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. li 


involution schon begonnen hat oder nicht. Die Gewichtsverhältnisse 
geben diesbezüglich einen wertvollen Aufschluss, wovon unten in 
Abschnitt 5 näher gehandelt wird; der Zeitpunkt der beginnenden 
Involution gibt sich u. a. durch den Abfall der Gewichtskurve zu 
erkennen. 

Es ist also der Zeitraum von der Entstehung des Markes 
bis zu der durch die Altersinvolution bewirkten Rarefizierung 
des Parenchyms, den ich hier zunächst zu besprechen habe. 


thym. 


thym. 


Figur 4. 
Oberflächenbilder der Thymus (thym.). 


Fig. 3 von Perca fluviatilis; natürliche Grösse. 
Fig. 4 von Siphonostoma typhle; doppelte natürliche Grösse. 


Die allgemeinen Formverhältnisse. 


Die Thymus der Knochenfische erscheint gewöhnlich am frisch 
getöteten Tier als ein weisslicher länglicher, meistens ein wenig 
prominenter Fleck am hintersten Teil der Innenwand der Kiemen- 
höhle dicht an der Übergangsfalte zum Kiemendeckel (Text- 
figur 1—4). Bei gewissen Arten, wie z. B. Anguilla vulgaris und 


6) J. Aug. Hammar: 


Labrus rupestris, ist das Organ ohne weiteres sichtbar, bei anderen, 
wie z. B. Zoarces, tritt es erst ganz deutlich hervor, wenn man 
Tellyesniczkysche Flüssigkeit mit einer Pipette aufträufelt 
und ein paar Minuten einwirken lässt. 

Was nun die Teleostierthymus vor allem charakterisiert, 
ist der im mikroskopischen Durchschnitte meistens gleich hervor- 
tretende Umstand, dass das Organ einen integrieren- 
den Teil des Oberflächenepithels der Kiemenhöhle 
ausmacht und lediglich eine strukturelle Modifi- 
kation dieses Epithels darstellt. Dieses Verhältnis dauert 
bei den meisten untersuchten Spezies das ganze Leben hindurch 
fort; bei einzelnen Spezies wird es durch eine verhältnismässig 
spät einsetzende unvollständige oder vollständige Abtrennung von 
der Oberfläche modifiziert. 

Da die bisherigen Angaben über die Formen- und Lageruhgs- 
verhältnisse des Organs bei den Teleostiern ziemlich dürftig sind, 
lasse ich hier zunächst eine an der Hand von Schnittreihen und 
Plattenmodellen gemachte Schilderung der untersuchten Arten 
folgen. y 

Bei Anguilla vulgaris (Taf. I, Fig. 1) tritt die Thymus schon 
am frischen Material als ein niedriger länglicher Wulst von weisslicher Farbe 
hervor. Sie liegt dem oberen Rande des Kiemendeckels gegenüber an der 
inneren Wand der Kiemenhöhle ; vorn schmal, nimmt sie nach hinten allmählich 
ein wenig an Breite zu. Ihr vorderes Ende beginnt oberhalb des kaudalen 
Randes des ersten echten Kiemenbogens; das hintere Ende erreicht nicht 
ganz den verwachsenen hinteren Rand des Kiemendeckels. Die Thymus liegt 
ganz und.gar ventro-kaudalwärts vom Gehörorgan ohne mit ihm in Berührung 
zu kommen. Im Querschnitt zeigt sie in ihrer grössten Länge eine drei- 
seitige Form mit einer freien lateralen Fläche, einer medialen und einer 
oberen, die beiden letzteren dem Bindegewebe zugewendet. Die obere Seite 
des Organs ist gewölbt und ragt etwas höher hinauf als die das Dach der 
Kiemenhöhle bildende Übergangsfalte zum Kiemendeckel. Etwa in seiner 
hinteren Hälfte wird das Organ durch eine in die mediale Fläche tief ein- 
schneidende gefässführende Bindegewebsleiste unvollständig in zwei längliche 
Lappen geteilt. Diese Leiste bildet eine Art Hilus, von wo aus die meisten, 
obwohl durchaus nicht alle Gefässe in das Organ eindringen und sich ebenda 
verbreiten. 

Die Thymus von Aspius alburnus bildet eine vorn schmälere, 
hinten breitere plattenförmige Verdickung des Kiemenhöhlenepithels, die sich 
von der Gegend oberhalb des ersten echten Kiemenbogens bis zum hinteren 
Rand des Kiemendeckels erstreckt. Oberhalb des zweiten Kiemenbogens 
erfährt diese Platte etwa an ihrer Mitte eine zapfenförmige Verdickung in 
die Tiefe. Dieser Thymuszapfen, der bei grösseren Tieren länger ist als bei 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 5) 


kleinen, fügt sich in eine zwischen dem äusseren Bogengang und dem Vesti- 
bulum befindliche Nische ein. Durch einen an seiner latero-kaudalen Fläche 
schräg vorbeiziehenden Muskel wird seine Basis an der genannten Seite 
rinnenförmig ausgehöhlt. 


Bei Gentronotus gunnellus (Taf. I, Fig. 2) treten uns in sofern 
Ausnahmeverhältnisse entgegen, als die Längsachse des fast spindeligen 
Organs hier vertikal steht. Dabei nimmt es auf einer kurzen Strecke 
nicht nur einen dorsalen Streifen, sondern die ganze obere Hälfte der medialen 
Wand der Kiemenhöhle ein. Seine Lage ist fast ausschliesslich hinter der 
Kiemenbogenregion, nur sein vorderster Teil schiebt sich eine kurze Strecke 
oberhalb des letzten Bogens nach vorn. 


Die Thymus von Cottus gobio bildet hauptsächlich eine leisten- 
förmige Verdickung dicht an der Übergangsfalte im Gebiete hinten und oben 
vom letzten Kiemenbogen. Die Leiste ist in ihrer vorderen Hälfte, wo sie 
von dem Hebemuskel des Kiemendeckels überdeckt wird, niedrig; am hinteren 
Rande dieses Muskels erhebt sie sich plötzlich, fast kielförmig in das Binde- 
gewebe dringend. 


Bei Cottus scorpius (Taf. I, Fig. 3A und 3B) erstreckt sich die 
Thymus unter sonst ähnlicher Lage wie bei ©. gobio oberhalb der Basis der 
zwei letzten Kiemenbogen. Die Verdickung des Epithels ist hier gleich- 
mässiger, so dass sie in der Entstehung eines fast spindeligen Organs, dessen 
breiteste Stelle allerdings etwas hinter der Mitte liegt, resultiert. 


Bei Cyprinus carassius (Taf. I, Fig. 4, A—C) erstreckt sich die 
Thymus oberhalb des ganzen Kiemengebiets von der ersten bis hinter die 
vierte Kiemenspalte. Sie besteht aus einer dreiseitigen Platte, die vorn 
schmal, hinten breiter ist und von deren Mitte im Niveau des dritten Kiemen- 
bogens eine Verdickung in die Tiefe dringt. Diese verdickte Partie zeigt 
bei Individuen verschiedener Grösse verschiedene Formenverhältnisse, auch 
bietet das ganze Organ bei verschiedenen Altern verschiedene Beziehungen 
zu dem Oberflächenepithel dar. 


Die Form ist bei ganz kleinen Individuen (bis zu einer Totallänge von 
14 mm) (Fig. 4A) am Querdurchschnitte eine rundliche bis eine aufgerichtet 
ovale; das Organ liegt mit seiner tiefen oberen Fläche dem Labyrinthen- 
knorpel schon dicht an. Von 15 mm Körperlänge an ist die Gestalt noch 
mehr verlängert, zapfenförmig. Dieser Zapfen liegt nun in einer Vertiefung 
zwischen dem äusseren Bogengang und dem Vorhof. Indem letztere im Laufe 
der Entwicklung immer tiefer und geräumiger wird, verändert sich auch die 
Form des Thymuszapfens, so dass er schon bei Tieren von 23 mm Körper- 
länge (Fig. 4B) eine kurze Kolbenform angenommen hat und etwa von 63 mm 
ab eine keulenähnliche Gestalt zeigt. Das Organ besteht somit in diesen 
etwas späteren Altersstadien aus einer oberflächlich ausgebreiteten Platte 
und der von ihrer Mitte in die Tiefe dringenden zapfen-, kolben- bis keulen- 
förmigen Verlängerung; derselbe rundliche Kiemenmuskel wie bei Aspius 
zieht an der latero-kaudalen Fläche ihrer Basis vorbei und bedingt hier einen 
recht tiefen rinnenförmigen Eindruck. 


10 J):: Ang: Hammmarr: 


Die Thymusplatte ist relativ lange lediglich eine Verdickung des 
Oberflächenepithels. Etwa von der Körperlänge von 20 mm ab (Fig. 4B 
und ©) beginnt sich aber eine dünne Bindegewebsschicht parallel der 
Oberfläche einzuschieben, wodurch die Randschicht der Thymus als ein 
Oberflächenepithel vom übrigen Organ abgetrennt wird. Diese Abtrennung 
erfolgt ganz allmählich, geht bald (und, nach meiner Erfahrung zu urteilen, 
am gewöhnlichsten) hauptsächlich von der medianen Seite, bald hauptsächlich 
von der lateralen Seite aus. Stets wird aber der kraniale Abschnitt der 
Thymusplatte früher als der kaudale von der Oberfläche abgetrennt. Ich 
habe die Abtrennung des kranialen Teils schon bei einer Körpergrösse von 
23 mm vollführt gefunden. Kaudal kann der Zusammenhang weit länger 
bestehen bleiben. In der Lösungsperiode scheint die Verbindung mit dem 
Oberflächenepithel durch kurze Parenchymstränge oder Parenchymbrücken, 
zwischen denen gefässführende Bindegewebszüge verlaufen, vermittelt zu werden. 
Die vollständige Lösung erfolgt bei individuell wechselnder Zeit: einerseits 
habe ich sie schon bei einem Tier von 23 mm gefunden, andererseits habe 
ich eine kaudale Verbindung mit dem Oberflächenepithel noch bei einem von 
42 mm erhalten gesehen. f 

Jedenfalls muss es betont werden, dass diese Abtrennung des Organs 
von der Oberfläche erst zu einem Zeitpunkt vor sich geht, wo die histolo- 
gische Differenzierung des Parenchyms in Randschicht, Rinde und Mark schon 
lange vollzogen ist. Der Vorgang ist demnach ein sekundärer, welcher mit 
der Histogenese des Organs nichts zu schaffen hat. ‘Letztere vollzieht sich 
bei Cyprinus wie bei den übrigen untersuchten Teleostiern in einer mit dem 
Oberflächenepithel zusammengehörigen Gewebsmasse. 


Sehr häufig, wenngleich nicht ganz konstant, habe ich bei kleinen 
Individuen eine recht unscheinbare, aber ziemlich zirkumskripte Lymphozyten- 
infiltration des Oberflächenepithels am vordersten Ende der Kiemenhöhle ange- 
troffen. Sie sitzt an der medialen Wand, hat keinen Zusammenhang mit der 
eigentlichen Thymus und zeigt keine Teilung in Rinde und Mark; myoide 
Zellen oder dergl. sind auch nicht in ihr wahrzunehmen. Ob hier ein rudimen- 
täres Thymussegment vorliegt, dürfte nur durch Verfolgung des Entwicklungs- 
verlaufes sicher zu entscheiden sein, scheint aber nicht ganz ausgeschlossen. 

Bei Esox lucius (Textfig. I, Taf.1, Fig. 5A und B) hat die Thymus 
ebenfalls eine dreiseitige Form von der Oberfläche gesehen. Ihr schmales 
Vorderende beginnt oberhalb des ersten Kiemenbogens, wo eine blindschlauch- 
ähnliche Ausbuchtung der Kiemenhöhle ihr entlang zieht. Sein Hinterende 
deckt der hintere Rand des Kiemendeckels. Der Durchschnitt ist linsen- 
förmig, am vorderen Ende allerdings mit der Andeutung einer zapfenförmigen 
Verlängerung in die Tiefe. 

Die Thymus von Gasterosteus aculeatus (Taf. I, Fig. 6) erstreckt 
sich vom Ansatze des zweitletzten Kiemenbogens fast bis zum hinteren Rande 
des Kiemendeckels. Sie liegt grösstenteils hinter der Labyrinthenregion in 
der Nähe des Vorderendes der Niere. Bei dem jüngsten der untersuchten 
Individuen (12,9 mm) stellt das Organ noch eine linsenförmige Verdickung 
des Oberflächenepithels dar. In den übrigen der untersuchten Stadien zeigt. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 11 


sie die Form eines abgeplatteten Ovoids mit schmälerem vorderen und breiterem 
hinteren Ende. In den älteren Stadien ist ihre Gestalt etwas mehr lang- 
gezogen und gleichbreit als in den jüngeren. Etwa den mittleren zwei Vierteln 
ihrer latero-ventralen Fläche entlang steht sie mit dem Epithel der Über- 
gangsfalte zum Kiemendeckel in ziemlich schmaler Verbindung. Dieselbe 
hat die Gestalt eines längsverlaufenden Streifens, sieht aber am Querschnitte 
wie ein schmaler Stiel aus. Die absolute Ausdehnung des Verbindungs- 
streifens ist grösser in den grösseren der untersuchten Individuen als in den 
kleineren, und es kann deshalb fraglich erscheinen, ob diese Stielung zur 
wirklichen Abschnürung führt. An ihrer medio-dorsalen Fläche erhält die 
Thymus zwei ziemlich tiefe rinnenförmige Eindrücke; sie werden durch zwei 
dorso-ventral verlaufende Muskeln hervorgerufen, von denen der vordere in 
das Vorderende des Organs einschneidende dem nächstletzten Kiemenbogen 
angehört, der hintere rückwärts vom letzten Bogen zum Schultergürtel zieht. 

Das einzige von mir untersuchte Exemplar von Gobio gobio maß 
54 mm in der Länge. Die Thymus zeigt hier eine recht eingehende Ähn- 
lichkeit mit den auf den mittleren Altersstufen von Cyprinus carassius ge- 
fundenen Verhältnissen. Eine längliche Thymusplatte zieht auch hier ober- 
halb des ganzen Thymusgebietes, und von ihr geht im Bereiche der zweiten 
Kiemenspalte eine kolbenförmige Verlängerung aus, die auch hier in die 
Vertiefung zwischen Vestibulum und äusserem Bogengang eingelagert ist. 
Derselbe Muskel zieht an der lateralen und kaudalen Fläche des Organs 
vorbei. Nur ist eine Andeutung zu einer stattfindenden Abschnürung von 
der Oberfläche nicht anzutreffen, sondern das Organ stellt sich als ein inte- 
grierender Teil des Kiemenhöhlenepithels dar. 

Die allgemeine Form der Thymus von Gobius niger ist, von der 
Oberfläche gesehen, dreiseitig mit vorderer Spitze. Im Querdurchschnitte 
ist die Form linsenähnlich ; indem bald nur die äussere Fläche stark gewölbt 
ist, bald auch die innere eine konvexe Kontur zeigt, weist das Querschnitts- 
bild im einzelnen nicht unerhebliche Variationen von einer plankonvexen 
bis zu einer bikonvexen Form auf. Am vorderen Ende greift das Organ nicht 
selten auf die Übergangsfalte und sogar auf die Basis des Kiemendeckels 
über. Das Vorderende liegt oberhalb der Basis des letzten Kiemenbogens 
und steckt bei etwas älteren Individuen nicht selten in einer blindsackartigen 
Verlängerung der Kiemenhöhle. Nach hinten erreicht das Organ den hinteren 
Rand des Kiemendeckels nicht ganz. Die Niere beginnt hier etwa in der- 
selben Querschnittebene, wo die Thymus aufhört. 

Bei Labrus rupestris (Taf. I, Fig. 7) hat die Thymus fast dieselbe 
dreiseitige allgemeine Gestaltung mit linsenförmigem Querschnitte wie bei 
Gobius. Das zugespitzte Vorderende liegt aber oberhalb des dorsalen An- 
satzes des zweiten Kiemenbogens. Rückwärts reicht das Organ nicht unbe- 
deutend über das Vorderende der Niere hinaus. An der Basis sämtlicher 
echter Kiemenbogen kommen nicht selten selbständige Lymphozyteninfiltra- 
tionen kleineren Umfangs vor, ohne dass sichere Anhaltspunkte für ihre Be- 
urteilung als der Thymus angehörig vorliegen. 

Leuciscus rutilus (Textfig. 2) zeigt Thymusverhältnisse, welche 
mit denen des Cyprinus carassius grosse Analogien zeigen: eine längliche, 


12 J. Aug. Hammar: 


vorn sich verschmälernde Thymusplatte, die sich oberhalb des ganzen Kiemen- 
bogengebietes erstreckt, und von welcher ein je nach der Grösse des unter- 
suchten Tieres kürzerer oder längerer Thymuszapfen in der Gegend des 
zweiten Bogens abgeht. Dieser Zapfen hat fast dieselben Lagebeziehungen zu 
der Umgebung, vor allem zum Labyrinth, wie bei Öyprinus. Eine Abschnürung 
von der Oberfläche scheint allerdings nicht vorzukommen; wenigstens fehlen 
noch beim Individuum von 150 mm Anzeichen eines solchen Prozesses ganz 
und gar. 

Die Thymus von Lota vulgaris zeigt etwa dieselbe dreiseitige Form 
wie die von Esox; nur ist sie etwas mehr in die Länge gezogen; der hinterste 
Teil ist hier der diekste. Ihr vorderes Ende liegt oberhalb des Ansatzes des 
zweiten Kiemenbogens, das hintere in der Gegend des hinteren Kiemendeckel- 
randes. 

Bei den (relativ grossen) Exemplaren von Osmerus eperlanus, 
die ich untersucht habe, habe ich die Thymus nur schwach ausgebildet und 
gegen das umgebende Epithel recht unscharf abgegrenzt gefunden. Sie bildet 
eine schwach linsenförmige Verdickung des Oberflächenepithels an der medialen 
Wand der Kiemenhöhle oberhalb der Kiemenbogen, von wo aus sie auf die 
Übergangsfalte zum Kiemendeckel übergreift. 


Bei Perca fluviatilis (Textfig. 3) hat die Thymus die Gestalt einer 
länglich ovalen, linsenförmigen Platte, die oberhalb des ganzen Kiemengebietes 
liegt und gleichwie bei Esox lucius und Gobius niger mit dem Vorderende 
längs einer taschenförmigen Verlängerung der Kiemenhöhle einher zieht. 

Dieselben Verhältnisse wie bei Leuciscus rutilus findet man auch bei 
Phoxinus aphya. Je nach der Grösse des Tieres hat die Verlängerung 
in die Tiefe Zapfen- oder Kolbenform. Anzeichen einer stattfindenden Ab- 
schnürung sind in der untersuchten Reihe auch hier nicht zu finden. 


Von Pleuronectes flesus habe ich die Thymus nicht rekonstruiert, 
da die mir zur Verfügung stehenden Exemplare nicht ganz unbeschädigt 
waren. Nach den vorhandenen Schnitten zu urteilen, handelt es sich um 
ein Organ, das dem unten beschriebenen von Zoarces viviparus recht sehr 
ähnelt. Mit der ein wenig eingeschnürten Basis von der Oberfläche aus- 
gehend, ragt es als ein plumper Zapfen in die Tiefe. Seine vordere Grenze 
liegt oberhalb des zweitletzten Kiemenbogens. 

Die plattenförmige Thymus des Salmo salar bietet insofern 
eigenartige Verhältnisse dar, als sie allein in meinem ganzen Untersuchungs- 
material eine Art Segmentierung zeigt. Das Organ erstreckt sich oberhalb 
des ganzen Kiemenbogengebiets vom ersten bis hinter den letzten Bogen. 
Es beschränkt sich aber die Thymuswandlung des Epithels nicht auf das 
Gebiet oberhalb der Bogen, sondern sie greift an jeder Kiemenspalte weiter 
ventralwärts auf die mediale Wand der fast sagittal gestellten Spalte über, 
in der Form einer wulstförmigen Verdickung. Es besteht also das Organ 
aus fünf schräg verlaufenden Wülsten, von denen der erste vor- und oberhalb 
des ersten Bogens, der letzte hinter dem letzten liegt. Diese Wülste nehmen 
von vorn nach hinten an Mächtigkeit zu. sodass die grösste Masse des 
Organs nach oben und hinten vom letzten Kiemenbogen liegt; sie sind in 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 13 


der Regel derart miteinander verschmolzen, dass sie eine einheitliche Platte 
bilden, aus welcher sie reliefartig hervortreten. Nur der erste hat eine 
grössere Selbständigkeit und tritt bisweilen fast ganz getrennt hervor. 

Die hier beschriebene Anordnung scheint während der eigentlichen 
Entwicklungsperiode am deutlichsten zu sein, ist aber noch im 2. Lebens- 
jahre wiederzufinden. 

Bei Siphonostoma typhle (Textfig. 4, Taf. I, Fig. 9) hat die Thymus 
die Totalgestalt einer bald ovalen, bald länglichen bikonvexen Linse, deren 
etwas schmäleres und dickeres Vorderende sich oberhalb des Ansatzes der 
zwei letzten Kiemenbogen erstreckt, während das breitere und dünnere 
Hinterende den verwachsenen Hinterrand des Kiemendeckels fast erreicht. 
Das Organ liegt bei etwas grösseren Tieren in seiner grössten Ausdehnung 
nicht ganz an der Übergangsfalte zum Kiemendeckel, sondern etwas mehr 
ventralwärts gleich oberhalb der Mitte der medianen Wand der Kiemenhöhle. 

Die Thymus von Zoarces viviparus (Taf. I, Fig. 10) besteht aus 
einer oberflächlichen, fast gleichseitig dreieckigen Platte mit einer Spitze nach 
vorn. Von dieser Platte ist nur eine schmale Kantpartie dünn, während von 
ihrem zentralen grösseren Abschnitt ein rundlicher, ziemlich plumper Zapfen 
in die Tiefe zieht. Das Organ findet sich an der medialen Wand der 
Kiemenhöhle, dicht an der Umschlagsfalte zu dem Kiemendeckel; mit etwa 
der Hälfte seiner Masse liegt es rückwärts vom letzten Kiemenbogen, dessen 
vorderen Rand es nach vorn nicht überragt. Kaudoventral vom Gehörorgan 
gelegen, kommt die Thymus mit diesem nicht in Berührung. Eine 
Abtrennung von dem Oberflächenepithel scheint auch bei älteren Individuen 
nicht vorzukommen. 

Wenn man diese recht wechselnden Thymusformen über- 
blickt, so scheint es mir, dass sie sich alle doch auf eine 
gemeinsame Grundform zurückführen lassen, nämlich die bei 
Esox, Gobius, Labrus, Lota, Pereca und Siphonostoma mehr oder 
weniger ausgeprägt vorkommende Linsenform, deren Umkreis, 
offenbar in Anpassung an die vorhandenen Raumverhältnisse 
vorn mehr spitz ausläuft, hinten sich verbreitert und also im 
Grossen und Ganzen dreiseitig ist. Auf diese dreiseitige Linsen- 
form lassen sich offenbar sowohl die in der Länge stark aus- 
gedehnten Formen bei Anguilla und Cottus scorpius, wie die in 
der Längsrichtung des Tieres wenig ausgedehnte, in vertikaler 
Richtung aber stark ausgezogene Form des Centronotus zurück- 
führen. Auch die platte ovoide Form des Gasterosteusorgans 
ist offenbar durch Abschnüren aus einer solchen vorn schmäleren, 
hinten breiteren Plakode hervorgegangen. Sogar die Thymus- 
drüsen von Aspius, Cyprinus, Gobio, Leuciscus und Phoxinus, die 
durch das Vorkommen einer zapfeft- bis keulenförmigen Ver- 
längerung in die Tiefe einen Typus für sich bilden, an den 


14 J. Aug. Hammar: 


einigermassen auch Pleuronectes und Zoarces sich anfügen lassen, 
sind offenbar durch ein sekundäres Einwuchern eines Teils der 
Plakode in die Tiefe entstanden. 

Die Lage ist insofern eine fixe, als die Thymus an der 
medialen Wand der Kiemenhöhle und ihr hinterer Rand unfern 
des hinteren Randes des Kiemendeckels sich finden. In der 
Regel liegt sie dicht an der Übergangsfalte zum Kiemendeckel, 
nicht selten greift sie auf diese Falte und sogar auf den nächst- 
gelegenen Bezirk des Kiemendeckelepithels über; dies kommt 
bei verschiedenen Arten vor, scheint aber meistens nicht konstant, 
sondern durch individuelle Variationen bedingt zu sein. Nur bei 
Siphonostoma kann die Lage in der grössten Ausdehnung des 
Organs eine mehr ventrale, von der fraglichen Falte abgerücktere 
sein: dies ist aber ein sekundäres, durch Wachstumsverschiebungen 
bedingtes Verhältnis, während der Entwicklung ist die Lage wie 
bei den sonstigen untersuchten Spezies. 

Nach vorn reicht das Organ verschieden weit, in der Tat 
findet man alle Gradationen von solchen Thymi, die das ganze 
epibranchiale Gebiet einnehmen, bis zu solchen, die wie bei 
Uentronotus fast ausschliesslich hinter dem letzten Bogen liegen. 
Dass dies nicht, wie Maurer zu meinen scheint, auf einer in 
der Ontogenese stattgefundenen Reduktion des vorderen Teils 
‚des Organs zu beruhen braucht, ergibt sich aus den Verhältnissen 
bei der Entwicklung der Siphonostomathymus. Bei diesem Tier 
wird das Organ nämlich von Anfang an lediglich im Bereiche 
der zwei letzten Kiemenbogen angelegt. 

Unter allen untersuchten Arten ist es, wie schon hervor- 
gehoben, nur Salmo salar, dessen Thymus eine dem Kiemenbogen 
entsprechende Segmentierung aufweist, gleichwie die Lachsthymus 
allein auf das Gebiet der Kiemenspalten hinübergreift. 

Als eine sekundäre Modifikation ist offenbar die Abtrennung 
vom Obertlächenepithel aufzufassen, die ziemlich lange nach er- 
folgter Histogenese bei COyprinus carassius eintritt. Sie ist von 
nicht unbedeutendem Interesse, da sie zu den bei den Verte- 
braten sonst gewöhnlichen Verhältnissen einen Übergang bildet. 
Dei den übrigen Vertebraten geschieht ja die Abtrennung des für 
die Thymus bestimmten epithelialen Materials schon zu einem weit 
früheren Zeitpunkt und zwar in der Regel, ehe die Histogenese noch 
begonnen hat. Dass eine solche Abtrennung nicht bei allen Thymi 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 15 


derselben Formengruppe, zu der Uyprinus carassius gehört, vor- 
kommt, lässt sich aus den Verhältnissen bei Aspius alburnus und 
Leuciscus rutilus entnehmen, wo noch nach dem Anfange der 
Altersinvolution die Verbindung mit der Oberfläche in der ganzen 
Ausdehnung des Organs besteht. Es lässt sich vorläufig nicht 
sicher entscheiden, ob die eingehende gewebliche Trennung durch 
zwischenwucherndes Bindegewebe, welche bei Gasterosteus aculeatus 
zu finden ist, in einer völligen Isolierung ihren Abschluss findet. 

Ganz ohne Analogien auch bei den übrigen Spezies ist diese 
Abtrennung durch eindringendes Bindegewebe nicht. Auch bei 
letzteren lassen sich im gegenseitigen Verhalten von Thymus- 
und Bindegewebe Momente nachweisen, die sich als Andeutungen 
eines Abtrennungsprozesses deuten lassen. 


Subthymisches und intrathymisches Bindegewebe. 


Manchmal tritt die Grenze zwischen Epithel und Binde- 
gewebe schon am kerngefärbten Präparate deutlich hervor. Wo 
eine Infiltration des Bindegewebes durch Lymphocyten in grösserem 
Maßstabe stattgefunden hat, was nicht selten der Fall ist, kann 
die fragliche Grenze fast verwischt werden. Hebt sich dann die 
oberflächliche Schicht der Thymus — die Randschicht — wie das 
auch nicht selten vorkommt, mit deutlich epithelialem Aussehen 
von der unterliegenden kleinzelligen Rinde scharf ab, so wird 
leicht eine subepitheliale Lage des Organs vorgetäuscht. Die Ver- 
wendung geeigneter Färbungen — Hansens oder Mallorys 
Bindegewebsfärbungen — gibt aber auch unter solchen Verhält- 
nissen raschen Aufschluss. 

Es zeigt sich dann, dass das Organ auf lange Strecken ohne 
jedwede scharfe Grenze unter allmählicher Verdünnung seiner 
Randpartien in das umgebende Epithel übergeht. Da letzteres 
gewöhnlich auch mehr oder weniger mit Lymphocyten durchsetzt 
ist, fehlt es unter solchen Umständen häufig an jeder scharfen 
Organgrenze dem umgebenden Epithel gegenüber !). 


!), Eine Iymphoide Infiltration des die Thymus umgebenden Epithels ist in 
sehr wechselndem Maße zu finden. Bei gewissen Spezies wie bei Cyprinus 
carassius ist sie regelmässig und sehr ausgeprägt vorhanden, so dass eine 
scharfe Begrenzung des Organs nicht festzustellen ist. Sie greift dann auf das 
Kiemengebiet oftmals in seiner ganzen Ausdehnung über. Man könnte an 
solchen Objekten versucht sein, an die von Beard (1894) einmal ausgesprochene 


16 J. Auge. Hammar: 


Auf anderen Strecken aber schiebt sich das Bindegewebe 
unter keilförmiger Verjüngung in die Randpartie hinein, wodurch 
hier die Trennung in Oberflächenepithel und eigentliches Thymus- 
parenchym markiert wird. Die gegebenen Bilder liefern hierfür 
Beispiele in Fig. 5A u. B, Taf. I. Es finden sich demnach hier 
dieselben Verhältnisse wieder, die bei Cyprinus als erste ein- 
leitende Stadien des Abtrennungsprozesses dienen. Ein tieferes 
Eindringen der peripheren Bindegewebskeile findet aber nicht 
statt, es bleibt zeitlebens bei diesen ersten Vorbereitungen einer 
Abtrennung. 


Meistens zeigt sich das subthymische Bindegewebe an der 
Grenze gegen das Organ deutlich verdichtet zu einer Art Basal- 
membran. Nicht selten zeigt diese eine mehr oder weniger deut- 
liche Fibrillierung, und auch wo eine solche nicht zu erkennen 
ist, kann man Stellen finden, wo die sonst anscheinend homogene 
Membran durch durchtretende Zellen, meistens Lymphozyten, in 
feine Lamellen zerlegt oder sogar in Fibrillen zersplittert ist und 
dadurch ihre nicht homogene Beschaftenheit zur Anschauung bringt. 


Dem anliegenden Thymusparenchym gegenüber verhält sich 
nun das Bindegewebe und die Basalmembran verschiedentlich. 
Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse bei Siphonostoma. 
Hier ist die Grenze zwischen den beiden Geweben meistens glatt 
und eben (Taf. I, Fig. 9 und 12). Erst bei älteren Tieren, und 
zwar auch hier recht spärlich, sieht man regelmässig einzelne 
(refässe mit dünnem umgebendem Bindegewebsmantel in das 
Organ eindringen. Demgemäss ist die Verbindung zwischen Thymus 
und Bindegewebe wenig fest. Bei der Fixierung trennen sie sich 
oftmals auf längere Strecken glatt voneinander. 


3ei den meisten Spezies wiederum dringen zahlreiche gefäss- 
führende Bindegewebszüge in das Parenchym ein (Taf. Ill, Fig. 
25—27, 29). Indem sie nicht selten mit regelmässigen Zwischen- 
Vermutung zu denken, dass der Thymus die Aufgabe zukomme, einerseits 
die Kiemen gegen Bakterien zu schützen, andererseits absterbende Kiemen- 
teile phagocytotisch zu entfernen. Anzeichen einer nennenswerten Aus- 
wanderung in die Kiemenhöhle hinein sind aber auch dann nicht zu finden. 

Bei den untersuchten Meerfischen ist diese Infiltration des umgebenden 
Epithels meistens sehr geringfügig. Ob hier wirklich ein durchgehender 
Unterschied zwischen verschiedenen Arten, je nach ihrem Aufenthalt in mehr 
oder weniger reinem Wasser, vorliegt, lasse ich vorläufig unentschieden. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 17 


räumen wiederkehren, bewirken sie bisweilen eine Art unvoll- 
ständiger Teilung des basalen Parenchymgebiets in follikelähnliche 
halbrunde Bezirke. Im jüngeren Alter zeigen diese Bindegewebs- 
züge in der Regel den Charakter hoher Schleimhautpapillen. 
Jenseits der Papillenspitze kann man dann allerdings häufig die 
Gefässe nach der Oberfläche hin verfolgen. In Mallory-Präparaten 
zeigen sie sich hier mit einer feinen blauen Konturlinie an jeder 
Seite, aber ohne jede Bindegewebsadventitia. In älteren Tieren 
haben auch diese oberflächlichen Strecken der Blutbahn eine 
bindegewebige Adventitia erhalten, und es ist damit das Organ 
von einem System anastomosierenden, nicht selten gegen die Ober- 
fläche arkadenförmig umbiegender gefässführender Bindegewebs- 
stränge durchzogen. Normalerweise liegen diese arkadenförmigen 
Schlingen an der Grenze zwischen der Thymusrinde und der 
Randschicht; nur selten dringen sie in letztere ein. In diesem 
Niveau ist es, wo die Lostrennung des Organs bei Uyprinus statt- 
findet und diese Trennung wird offenbar teilweise durch eine 
Vergrösserung der fraglichen Bindegewebszüge bewirkt. Eine 
solche Vergrösserung kommt nun, wie im Abschnitte 5 näher 
beschrieben werden soll, auch bei anderen Spezies vor. Ich möchte 
auch hierin eine Analogie mit den Verhältnissen bei Cyprinus, 
gewissermassen die Einleitung einer niemals zum Abschluss 
kommenden Lostrennung des Organs von der Oberfläche erblicken. 

Im allgemeinen sind diese „Gefässkanälchen“, wie ich der 
Kürze halber diese interparenchymatösen, gefässführenden Binde- 
gewebszüge nennen will, reichlicher vorhanden in den diekeren 
zentralen Bezirken einer Thymus, als in ihren dünneren Rand- 
partien, reichlicher bei grösseren Fischarten mit voluminöserer 
Thymus, als bei kleineren Formen. Besonders reichlich habe ich 
die Vaskularisierung bei grösseren Individuen von Esox, Lota, 
Perca und Salmo gefunden. Hier sind die Gefässkanälchen oftmals 
recht reichlich verzweigt und miteinander derart verbunden, 
dass ein recht dichter, das Organ durchziehender Gefässplexus 
entsteht. 

Auch bei Anguilla kommt etwas darartiges vor. Wie schon 
oben angedeutet, geschieht aber die Verbreitung eines grossen 
Teils der Gefässkanälchen von einem leistenförmig in die Mitte 
des Organs einschneidenden Hilusbindegewebe, von dem zahlreiche 


(Gefässkanälchen fächerförmig ausgehen. In die vordere Hälfte 
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 73. 2 


15 J. Aug. Hammar: 


des Organs, wo das Hilusbindegewebe fehlt, und in die dünnen 
Randpartien dringen die Gefässkanälchen mehr vereinzelt hinein. 

In den zapfen- bis keulenförmigen Thymusdrüsen treten 
Gefässe von allen Seiten hinzu. Besonders zahlreich angehäuft 
finden sie sich aber am tiefsten Ende, von wo aus Züge axialer 
Gefässkanälchen das Organ in seiner ganzen Länge durchziehen. 

Beim Eindringen in die Gefässkanälchen behält das sub- 
thymische Bindegewebe sein charakteristisches Gefüge bei. Es 
ist in der Nähe der Gefässe locker und meistens mit zahlreichen 


Lymphozyten — auch eosinophile Zellen kommen in der Regel 
in beträchtlicher Zahl vor — durchsetzt, verdichtet sich aber an 


der Oberfläche zu einer dem Parenchym anliegenden Basalmembran, 
welche eine Fortsetzung der entsprechenden, dasOrgan abgrenzenden 
Bildung ausmacht. Nicht selten kommen zwei oder mehrere Ge- 
fässe in demselben Kanälchen vor. Sie sind meistens dünnwandig 
ohne deutlichen Unterschied im Bau. 

Im Querschnitte der Kanälchen zeigt sich das Bindegewebe 
konzentrisch um die Gefässe angeordnet, und das Kanälchen mit 
den zahlreichen in konzentrischen Zügen angeordneten Kernen 
gibt dann ein Bild, das dem der Hassallschen Körperchen 
bei den Säugern nicht ganz wnähnlich aussieht und mit diesen 
auch von Prymak (1902) verwechselt worden ist. Die Ver- 
foleung solcher Bilder an Mallory-gefärbten Schnittreihen ent- 
hüllt bald ihren wirklichen Charakter. 


Das Thymusparenchym. 


Das eigentliche Parenchym lässt am ausgebildeten, nicht 
involvierten Organe drei deutliche Strukturbezirke erkennen. 
Einer folgt genau der freien, der Kiemenhöhle zugewandten Ober- 
fläche des Organs; ein anderer liegt an der Bindegewebsgrenze 
und erstreckt sich von dort an mehr oder weniger tief in das 
Innere des Organs hinein; diese beiden in der Regel proto- 
plasmareicheren Schichten werden durch eine zwischenliegende, 
kernreichere getrennt. Sowohl in der Struktur, wie in ihrem 
Verhalten bei den Involutionsprozessen ähnelt die äusserste Schicht 
der Randschicht der übrigen Vertebratenthymus, die inter- 
mediäre der Rinde und die tiefste dem Mark. Infolge dieser 
unzweifelhaften Analogie verwende ich in angegebener Weise die 
betreffenden Benennungen. ! 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 19 


Den gleichbenannten Schichten z. B. der Säugerthymus 
homolog sind die fraglichen Schichten allerdings nicht. In jenen 
entwickelt sich ja die Randschicht aus den dem Bindegewebe am 
nächsten liegenden Retikulumzellen, das Mark aber differenziert 
sich, wo die ursprünglich hohle Thymusanlage ihre Lichtung hatte, 
d.h. der freien Oberfläche des Epithels entsprechend; also wie 
man sieht, eine Schichtung, die geradezu die entgegengesetzte 
der der Teleostierthymus ist. 

Die Randschicht hat wie die gleichgenannte Schicht 
anderer Thymi eine epitheliale Beschaffenheit, wechselt aber im 
Aussehen für verschiedene Spezies, ja sogar, wenn auch innerhalb 
engeren Grenzen, für verschiedene Individuen derselben Spezies 
nicht unwesentlich. 

Nicht selten ist sie mehrschichtig; mehrere Lagen platter 
Zellen decken einander, oder auch ist nur das oberflächlichste 
Zellenstratum platt, die unterliegenden Zellen sind dicker bis 
polygonal. Eine solche geschichtete Beschaffenheit findet man 
2. B. bei Esox und Salmo (Taf. II, Fig. 16 u. 17). Bei anderen 
Arten, z. B. Siphonostoma, ist die Schicht an dem vertikalen Durch- 
schnitte durch eine einzige Reihe platter bis kubischer Zellen 
vertreten. 

Die Randschicht mag nun ein- oder mehrschichtig sein, 
immer findet man Schleimzellen in ihr eingestreut. Ihre Zahl 
wechselt ausserordentlich individuell. Bald findet man sie nur 
ganz vereinzelt, bald bilden sie der Oberfläche entlang eine fast 
ununterbrochene Reihe. Diese Variationen scheinen in nahem 
und direktem Verhältnis zu denen zu stehen, die das die Thymus 
umgebende Epithel zeigt; wo dies reichliche Schleimzellen besitzt, 
ist gewöhnlich das Gleiche auch bei der Randschicht der Fall 
und vice versa. 

Auch die Formen und die Lage der fraglichen Zellen 
stimmen mit denen des umgebenden Epithels nahe überein. Nur 
in der Grösse stehen sie denselben gewöhnlich etwas nach. Man 
findet also beiderorts dieselben Formen von geschlossenen und 
oftenen Zellen mit Schleimkörnchen, mit netzförmigem Schleim- 
koagel im Inneren oder mit fast leerer Theca und schmalen bis 
zitronenförmigen Zellen mit dickem Protoplasmamantel und Schleim- 
körnchen im Innern. Auf die letztgenannte Form, die ich reich- 


licher im Mark angetroffen habe, komme ich noch weiter unten 
DES 


20 J. Aug. Hammar: 


zurück. Immer ist der Kern der Schleimzellen in der Rand- 
schicht basalwärts verschoben, und wo ein Stoma vorhanden ist, 
gehört es dem oberflächlichen Ende der Zelle an. 

Bei einigen Spezies (z. B. Labrus und Siphonostoma) kommen 
in der Randschicht vereinzelte grosse kubische Zellen vor, die 
durch ein dichtes, von Eosin stark färbbares Protoplasma aus- 
gezeichnet sind. Da diese Zellen in der Thymus relativ spärlich, 
in der Epithelbekleidung der Kiemen ein reichlich und regel- 
mässig vorkommender Bestandteil sind, so liegt kein Grund vor, 
sie als ein für die Thymus charakteristisches Element zu betrachten. 

Bei Esox, aber bei keiner der übrigen untersuchten Arten, 
habe ich in der Thymus und zwar vor allem, wenn auch nicht 
ausschliesslich, in der Randschicht, homogene Kügelchen an- 
getroffen, die in Homogenität, Grösse und Färbbarkeit eine 
gewisse Ähnlichkeit mit den kernlosen roten Blutkörperchen der 
Säuger darbieten. Sie färben sich mit Hämatoxylin-Eosin rot, mit 
Malloryfärbung gelb, mit Bendafärbung violett. Sie kommen 
sowohl inter- wie intrazellulär vor. An der freien Oberfläche 
der Thymus sieht man sie nicht selten als ballon- oder hantel- 
förmige Tropfen zwischen den platten Zellen hervorquellen, 
Bilder, die meistens so zahlreich und auffallend sind, dass sie 
nicht umhin können, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. 
Über ihre Bildungsart und Bedeutung weiss ich nichts näheres 
anzuführen. Für die Thymus sind sie jedenfalls auch nicht 
eigentümlich, denn sie kommen auch im umgebenden Epithel, 
wenngleich spärlicher, vor. 

Endlich habe ich in der Randschicht der Thymus von 
Gobius grobkörnige, drüsenartige Zellen in wechselnder Zahl 
angetroffen. Bald sind sie geschlossen, bald sind sie nach der 
Art der Becherzellen am oberflächlichen Ende offen. Die Körnchen 
sind ausgeprägt acidophil, und die Zellen unterscheiden sich 
schon dadurch von den Schleimzellen, die auch in dieser Thymus 
regelmässige Vorkommnisse sind. Auch sie sind der Thymus 
nicht ausschliesslich angehörig, sondern im umgebenden Kiemen- 
höhlenepithel gleichfalls anzutreffen. 

Bemerkenswert ist die geringe Zahl der in der Randschicht 
vorkommenden Lymphozyten. Fast niemals habe ich Bilder 
angetroffen, die auf ein Durchwandern solcher Zellen und ein 
Austreten in die Kiemenhöhle hindeuten. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 21 


Das epitheliale Aussehen der Randschicht, insbesondere wo 
sie durch eine kontinuierliche Reihe von Schleimzellen eine 
direkte Fortsetzung des gleich gebauten Epithels der Umgebung 
bildet, ladet in vielen Fällen beim ersten Anblicke geradezu 
dazu ein, jene Schicht als die alleinige Fortsetzung dieses Epithels 
und die Rinde und das Mark als ein subepitheliales Gewebe zu 
betrachten. Das Studium eines bindegewebsgefärbten Präparates 
lässt aber unschwer erkennen, dass die Grenze zwischen Epithel 
und Bindegewebe tiefer zu suchen ist. Geht man mit stärkeren 
Vergrösserungen den Bildern nach, so gelingt es ferner, an der 
Grenze zwischen Randschicht und Rinde geeignete Stellen zu 
finden, wo man von Zellen jener Schicht Ausläufer in diese 
eindringen sieht, die sich mit den Fortsätzen der Retikulumzellen 
der Rinde verbinden, die Einheitlichkeit der beiden Schichten 
also dokumentierend. 

An der genannten Grenze biegen, wie schon oben gesagt wurde, 
die Gefässkanälchen gewöhnlich aus ihrer aufsteigenden Richtung 
in eine der Oberfläche parallele ein. Zwar sieht man nicht ganz 
selten solche Kanälchen, die ganz in der Randschicht liegen, aber 
fast immer scheint es sich dann um Involutionsvorgänge zu 
handeln, durch welche die Randschicht eine Verdickung erfahren hat. 

Die Rinde nimmt je nach der Form des Organs 
ein verschiedenes Gebiet ein (Taf. I, Fig. 1—12). Wo das 
Organ linsenförmig ist, fehlt es an seinen Randpartien meistens 
gänzlich an Mark; die Rinde erstreckt sich also hier bis an das 
Bindegewebe und ist relativ dick. Im Zentrum nimmt das Mark 
einen Bezirk wechselnder Dicke ein; nicht selten wölbt es sich 
über die Bindegewebsgrenze kuppelförmig hinaus. Die Rinde 
wird hierdurch in der Mitte des Organs verhältnismässig dünn. 

Wo das Organ etwas voluminöser ist, zeigen die Rinde und 
das Mark eine prinzipiell gleichartige Verteilung, indem letzteres 
von dem tiefsten Ende des Organs mehr oder weniger weit nach 
seiner Mitte hin vordringt, an drei Seiten von der Rinde umgeben 
(Taf. I, Fig. 6, 7 und 10). 

Nur wo die Thymus stark in die Tiefe gewachsen ist und 
eine Kolben- bis Keulenform angenommen hat, gestalten sich 
diese Verhältnisse etwas komplizierter. Wie die nach Cyprinus 
gezeichneten Bilder Taf. I, Fig. 4B und C an die Hand geben, 
ist die Rinde vorzugsweise an den beiden Enden des Organs 


22 J. Aug. Hammiar: 


angehäuft, und aus ihr besteht auch der plattenförmige TeiF 
desselben, während das Mark der mittleren Strecke angehört. 
Es nimmt aber diese Strecke nicht in ihrer ganzen Dicke ein, 
sondern dringt an der kaudalen und medialen Seite ein, an der 
kranialen und lateralen Fläche eine dünne Rindenschicht übrig 
lassend, welche also eine Verbindung zwischen den mächtigeren- 
endständigen Rindenpartien bildet. 


Im Bau stimmt die Rinde mit der der höheren Vertebraten 
recht genau überein. Es kommt auch hier ein zelluläres Retikulum 
vor, in dessen Maschen Lymphozyten meistens in grosser Menge 
eingelagert sind. Manchmal sind die Lymphozyten so zahlreich 
und die Retikulumfasern so fein, dass vom ganzen Rindenretikulum 
hauptsächlich die ovalen, relativ chromatinarmen Kerne mit 
nächstumgebendem Protoplasma zu sehen sind; dies ist .z. B. das 
regelmässige Verhältnis bei Siphonostoma. Es ist aber nur nötig, 
dass eine accidentelle Involution hinzugekommen ist, wodurch 
die Lymphozytenzahl reduziert wurde, um das Rindenretikulum 
blosszulegen. Auch an schwierigen Objekten wie das genannte, 
pflegt übrigens an den dünneren Rändern des. Organs, wo das 
Retikulum nicht so stark distendiert ist, und wo ein Übergang 
zum gewöhnlichen, wenn auch manchmal lIymphozyten in- 
filtrierten Epithel sich vollzieht, das Wahrnehmen der Retikulum- 
zellen in ihrer ganzen Ausdehnung an dünnen Schnitten ohne 
Mühe zu gelingen. 


Bei anderen Spezies — und hier sind Salmo (Taf. II, Fig. 16. 
und 17), Zoarces und vor allem Centronotus zu nennen — ist das 
Rindenretikulum mehr grobfaserig, so dass es an dünnen Schnitten 
unschwer durch die ganze Rinde zu verfolgen ist, und auch sein 
Zusammenhang einerseits mit den Zellen der Randschicht, anderer- 
seits mit dem Retikulum des Marks sich ohne weiteres fest- 
stellen lässt. 


In ganz jungen Stadien haben die Retikulumzellen einen 
rein protoplasmatischen Charakter. Wie im Marke, tritt aber 
früher oder später eine eigentümliche Faserdifferenzierung in 
ihrem Protoplasma auf. Da dieselbe mit der des Markes nahe 
übereinstimmt, und da sie im Marke dem Studium meistens viel 
zugänglicher ist, so verschiebe ich die Beschreibung, bis von dem. 
Mark gehandelt werden wird. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 23 


Die Lymphozyten der Teleostierthymus sind sehr klein und 
protoplasmaarm. Ihr Kern zeigt bisweilen eine eigentümliche und 
charakteristische Anordnung des reichlich vorhandenen Chromatins. 
Es findet sich meistens eine zentrale Chromatinanhäufung; von 
ihr geht eine Anzahl speichenförmiger Chromatintrabekel bis zur 
Kernmembran, wodurch der Kern ein durchlöchertes, radähnliches 
Aussehen gewinnt. Von den für die Menschenlymphozyten be- 
schriebenen Radkernen unterscheiden sich diese durch die grazi- 
lere Gestaltung der Chromatinzüge. Besonders deutlich habe ich 
diese Kernstruktur in Lymphozyten von Anguilla gefunden. 

Wie ich früher (1905) für die Vogelthymus beschrieben 
habe, findet man auch bei den Teleostiern. fast regelmässig eine 
wechselnde Zahl „tingibler Körperchen“ um gewisse Retikulum- 
kerne der Rinde angehäuft. Sie zeigen dieselben verschiedenen 
Stadien herabgesetzter Färbbarkeit und fortschreitender Auflösung, 
wie Rudberg (1907, pag. 159—40) für die Röntgeninvolution 
der Thymus beschrieben hat. Im Lichte seiner Erfahrungen 
dürften diese Bilder mit einer gewissen Sicherheit dahin zu deuten 
sein, dass es sich um Trümmer von Lymphozytenkernen handelt, 
welche in die Retikulumzellen aufgenommen worden sind und dort 
aufgelöst werden. 

In diesem Zusammenhange sind auch einige in den nach 
jenda gefärbten Präparaten fast regelmässig vorkommende 
Bilder erwähnenswert. Es wird in solchen Präparaten eine 
grössere oder kleinere Zahl der Lymphozyten dadurch hervor- 
gehoben, dass ihr Protoplasma eine ganz feine und dichte Körne- 
lung aufweist. Das Protoplasma bildet dann im Bilde einen ganz 
schmalen dunklen Ring um den meistens schwächer als normal 
gefärbten Kern herum. Auch bei anderen Tinktionen zeichnen 
sich die betreffenden Kerne durch schwächere Färbung aus. Die 
Menge der also modifizierten Lymphozyten steht in einer direkten 
velation zur Zahl verhandener tingibler Körperchen. Es will 
mir scheinen, als ob diese Bilder die Einleitungsstadien desselben 
Prozesses wären, der später in den Zerfall der Lymphozyten und 
die Bildung und Auflösung tingibler Körperchen ausläuft. 

Das Mark. Das charakteristische Merkmal des Marks ist 
hier wie immer die Hypertrophie der Retikulumzellen. Mit der 
Vergrösserung ihres Volums sind die Retikulumzellen des Marks 
einander näher gerückt. Meistens liegen sie allerdings so locker, 


24 J. Aug. Hammar: 


dass ihre ästige Form und ihre gegenseitigen Verbindungen noch 
deutlich hervortreten (Taf. II, Fig. 17). Bald legen sie sich 
streckenweise dicht aneinander, wodurch Gruppen oder Züge 
epithelialen Aussehens entstehen (Taf. I, Fig. 11), bald wiederum 
kann fast das ganze Mark solchergestalt einen epithelialen Charakter 
erhalten. Die Anordnung mag die eine oder die andere sein, 
fast immer lässt sich der Zusammenhang der Markzellen mit den 
Retikulumzellen der Rinde unschwer nachweisen. 

Unter den sternähnlichen und eckigen Zellenformen, die die 
Hauptmasse des Marks ausmachen, finden sich fast immer mehr 
rundliche Formen. Die Mehrzahl derselben zeigt in der Regel 
bei näherer Besichtigung auch Fortsätze, die sich mit denen der 
übrigen Markzellen verbinden. Bisweilen scheinen solche Ver- 
bindungen zu fehlen, was am häufigsten bei den grössten Zellen 
dieser Art der Fall ist. 

Der Leib dieser Zellen zeigt meistens einen ausgeprägt 
fibrillären Bau. Häufig zeigen die Fibrillen eine mehr oder weniger 
ausgeprägte (uerstreifung, wodurch die Zellen den von den Thymus- 
drüsen anderer Vertebraten wohlbekannten Typus der myoiden 
Zellen annehmen. 

Ein vorzugsweises Vorkommen solcher myoiden Zellen in der 
Nähe der Gefässe, wie man es für die Vogelthymus, und wie ich 
glaube, auch hier mit Unrecht behauptet hat, lässt sich nicht fest- 
stellen. Vielmehr habe ich solche Zellen unter Umständen (speziell 
bei Siphonostoma) in Thymusdrüsen angetroffen, wo Gefässe im 
Innern des Organs überhaupt nicht vorhanden waren. 

Zu der anderorts und für andere Tierklassen gegebenen 
Schilderung der myoiden Zellen (Hammar 1905) habe ich hier 
recht wenig Neues hinzuzufügen. Die rundlichen Zellen über- 
wiegen an Zahl. Hier zeigen die Fibrillen dieselbe knäuelartige 
Anordnung konzentrischer, ineinander geflochtener Züge, wie z.B. 
beim Frosch; ein Übertreten einzelner Fibrillen bezw. Fibrillen- 
bündel in die Zellenfortsätze kommt auch hier vor. Die Menge 
des undifferenzierten Protoplasmas ist aber bei den Teleostiern 
verhältnismässig viel grösser, als ich sie sonst gefunden habe. 
Die in den myoiden Zellen des Frosches fast regelmässig vor- 
kommenden, oftmals sehr grossen Vakuolen lassen sich bei den 
Teleostiern fast gar nicht wiederfinden. Die auf ihr Vorkommen 
begründete Ansicht von ver Eecke (1899), nach der den frag- 


N 
bt 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 


lichen Zellen eine sekretorische Aufgabe zukommen sollte, lässt 
sich deshalb hier ebensowenig wie für die Vögel aufrecht erhalten. 

Während die rundlichen Formen der myoiden Zellen bei 
keiner der von mir untersuchten Spezies fehlen, so scheinen die 
bei den Vögeln so gewöhnlichen länglichen, fadenähnlichen Formen 
bei den meisten Teleostiern ausserodentlich selten zu sein. Ich 
habe solche allerdings in einigen Stadien von Anguilla und 
Centronotus angetroffen, und bei Gobius sind solche Bildungen 
auffallend häufig. Hier bilden sie im Marke nicht selten ganze 
Komplexe eigentümlichen Aussehens und nicht unbedeutenden 
Umfanges. Bald flechten sich eine Zahl fadenartiger Gebilde 
derart zusammen, dass ein myoider Plexus entsteht, welcher an 
die Anordnung der Muskelfasern im Myokard etwas erinnert 
(Taf. I, Fig. 15), bald bilden sie mit rundlichen Formen zusammen 
wahrhafte Knäuel (Taf. III, Fig. 36). Meistens ist an der einen 
oder anderen Seite der Zusammenhang mit dem Retikulum auch 
unter solchen Verhältnissen zu sehen. 

Zwecks einer Diskussion der histogenetischen Stellung der 
myoiden Zellen komme ich im der nächsten Abteilung auf sie 
nochmals zurück. 

Abgesehen von diesen in vereinzelten Zellen vorkommenden, 
meistens reichlich angehäuften Fibrillen kommt bei sämtlichen 
darauf untersuchten Arten eine Fibrillendifferenzierung ver- 
schiedener Anordnung in den typischen Retikulumzellen vor. Es 
handelt sich (Taf. III, Fig. 37 und 35) um feine, ziemlich stark 
lichtbrechende Fäserchen, die in mehr geradem Verlauf oder in 
weiten Bögen gehend, das Retikulum durchziehen. Sie liegen 
deutlich intraprotoplasmatisch und durchziehen das Retikulum 
derart, dass sie vom Fortsatz einer Zelle in den damit zusammen- 
hängenden Fortsatz der nachbarlichen übergehen. Sie sind in 
jeder Zelle nur in spärlicher Zahl vorhanden. Auf längeren 
Strecken ihres Verlaufs erscheinen sie als ungeteilte, glatte und 
gleich breite Bildungen. In der nächsten Umgebung eines 
Retikulumkernes angelangt, weichen die Fibrillen auseinander: 
auch scheinbar homogene Fäserchen zersplittern sich in feinere 
Fibrillen. Der Kern wird dermassen von ziemlich zahlreichen 
Fibrillen umfasst, welche sich jenseits des Kerns wiederum zu 
einer kleineren Zahl etwas gröberer Fasern zusammenschliessen 
können. 


26 J. Aug. Hammar: 


Wie schon oben angedeutet, beschränken sie sich nicht auf 
die Markzellen, sondern gehen von ihnen kontinuierlich auf die 
Retikulumzellen der Rinde über, obgleich die Fibrillen hier 
wegen des grösseren Zellenreichtums und der grösseren Dichtigkeit 
des Gewebes nicht selten schwieriger zu verfolgen sind. 


Da die Richtung der Fortsätze der Retikulumzellen im 
Mark recht oft eine mehr oder weniger vertikale ist, so haben 
die fraglichen Fibrillen hier nicht selten eine ähnliche auf- 
steigende Richtung, sonst gehen sie zum grössten Teil scheinbar 
regellos. Nur ist das durch sie gebildete Gitterwerk immer ein 
sehr undichtes, und zwischen den also differenzierten Retikulum- 
zellen scheinen regelmässig solche ohne deutliche Fibrillendifteren- 
zierung in nicht unbeträchtlicher Zahl vorzukommen. 


Mit Bindegewebsfärbungen färben sich diese Fibrillen nicht, 
und sie unterscheiden sich schon dadurch von den Retikulin- 
fasern der echten Iymphoiden Gewebe. Am besten treten sie an 
Bendapräparaten nach Flemmingfixierung und zwar mit 
schöner, violetter Färbung hervor; sie sind aber nach den ver- 
schiedensten Färbungen zu sehen, wenngleich meistens ohne 
besondere Farbendifferenzierung. 


Es ist nun eine Beobachtung, die für die Frage nach der 
Deutung der myoiden Zellen gar nicht ohne Belang ist, dass 
die bier beschriebenen Fibrillen der typischen Retikulumzellen 
in Ausnahmefällen eine zwar nicht auffallende, aber dem geschulten 
Auge deutliche Querstreifung zeigen.') Ich habe solche Bilder 
besonders bei älteren Individuen von Anguilla angetroften (Taf. III, 
Fig. 38). Hier habe ich sogar Verbindungen zwischen den quer- 
gestreiften Fibrillen der Retikulumzellen und denen der myoiden 
Zellen an einzelnen Stellen wahrnehmen zu können geglaubt! 


Diese Retikulumfibrillen scheinen sich bei gewissen Spezies 
relativ früh, bei anderen später und sogar erst bei annahender 
Altersinvolution herauszubilden. Obgleich sie meistens bei älteren 
Individuen stärker ausgeprägt sind, lassen sie sich deshalb nicht 
als eigentliche Altersphänomen deuten. 


'), Eine entsprechende Fibrillendifferenzierung in den Retikulumzellen 
habe ich bei gewissen Vögeln (z. B. Corvus cornix und Sturnus vulgaris) wahr- 
nehmen können. Auch hier sind die Fibrillen bisweilen von quergestreifter 
Beschaffenheit. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 27 

Regelmässig, obwohl schon individuell an Zahl stark 
wechselnd, kommen Schleimzellen im Mark vor. Bisweilen 
nehmen sie an der Begrenzung von Markzysten teil; meistens 
bieten sie aber dasselbe auffallende Bild von mitten im Gewebe 
eingestreuten Schleimzellen, wie ich es anderswo (1905, pag. 59) 
für die Froschthymus beschrieben habe. Das Sonderbare des 
Bildes wird in der Teleostierthymus dadurch noch erhöht, dass 
die fraglichen Zellen alle möglichen Stellungen einnehmen und 
oft geradezu verkehrt liegen, d. h. mit dem kernführenden Ende 
nach der freien Oberfläche des Organs hin, das Stoma nach dem 
Bindegewebe zugekehrt. Öfter als beim Frosch habe ich Ver- 
bindungen zwischen den Schleimzellen und den umgebenden 
Retikulumzellen gefunden (Taf. III, Fig. 35). 

3jemerkenswert ist, dass relativ selten Bilder von offenen 
Zellen mit austretendem Sekret angetroffen wurden. Wo sie zu 
sehen waren, liessen sich zweifelsohne dieselben Zweifel bezüglich 
der präformierten Beschaffenheit des Bildes geltend machen, wie 
sie in neuerer Zeit betreffs der Becherzellen laut geworden sind. 
Dass ein Austreten des Schleims in die Retikulummaschen — es 
mag sich nun auf die eine oder andere Weise vollziehen — 
wirklich stattfinden kann, davon habe ich mich dank des Vor- 
kommens freier Schleimklumpen überzeugen können. Zahlreich 
sind solche Bilder freien Schleims allerdings nicht. Vielleicht 
liegt die Erklärung hierfür in der von Rudberg festgestellten 
phagozytenähnlichen Wirksamkeit der Retikulumzellen. In der 
Tat habe ich solche Zellen angetroffen mit einer diffusen, nicht 
körnigen oder fädigen Inhaltsmasse, die die Basophilie des 
Schleims zeigen, nur gewöhnlich mit einem weniger hellen, 
schmutzigen Ton der Färbung; besonders treten solche Bilder 
nach der Malloryfärbung auf. Ich bin geneigt, in ihnen den 
Ausdruck eines durch Phagozytose sekundär mit Retikulumzellen 
einverleibten Schleims zu sehen. 

Es verdient eine spärlich, aber recht regelmässig vor- 
kommende Zellenform hier erwähnt zu werden, die ich zur 
Formengruppe der Schleimzellen rechnen zu müssen glaube. Es 
sind Zellen ovaler, zitronenförmiger oder noch etwas mehr 
langgezogener Gestalt, gewöhnlich mit dem kleinen, stark färb- 
baren Kern am einen Pole (Taf. III, Fig. 34). Die Oberfläche 
der Zelle ist durch eine dicke, stark lichtbrechende und färbbare, 


23 J: Aug.’ Hammer: 


wohl protoplasmatische Aussenschicht, die fast mit einer Knorpel- 
kapsel verglichen werden kann, charakterisiert. Im Innern findet 
sich eine Höhle, die von einem protoplasmatischen Retikulum durch- 
zogen sein kann. In der Höhle bezw. in den Maschen des Retikulums 
liegen gleichförmige, regelmässig verteilte Körnchen, die im Quer- 
schnitte rund aussehen, im Längsschnitte aber nicht selten eine 
Komma- oder sogar eine Knopfnadelform haben. Diese Körnchen 
zeigen meistens eine deutliche Basophilie und färben sich dann dem 
Schleim ganz ähnlich. In anderen Fällen habe ich sie freilich 
ohne jene mehr spezifische Färbbarkeit — azidophil — gefunden. 
Da solehe Zellen, wie oben gesagt, auch in der Randschicht unter 
den dort befindlichen Schleimzellen anzutreffen sind, bin ich 
geneigt, diese recht sonderbaren Bilder zum Formenzyklus der 
Schleimzellen zu rechnen, und zwar denke ich mir ste als Spät- 
formen der retrograden Metamorphose solcher Zellen. 

Im Marke kommen auch nicht allzu selten grosse, syneytium- 
artige, vielkernige Riesenzellen vor. Mitunter schliessen sie 
tingible Körperchen oder Schleim ein (Taf. III, Fig. 31), was 
ich, auf die Rudbergschen Erfahrungen gestützt, als Zeichen 
einer stattgefundenen Phagozytose aufzufassen geneigt bin. 

Bilder, die mit echten Hassallschen Körperchen zu 
vergleichen sind, finden sich in der Teleostierthymus recht selten. 
Bisweilen findet man Stellen, wo sich eine oder einige der 
Retikulumzellen einer grösseren rundlichen Zelle mit oder ohne 
myoiden Charakter, — bisweilen sogar einer Schleimzelle (Taf. III, 
Fig. 33 A — derart angefügt haben, dass eine Art konzentrischen 
Zellenkomplexes dadurch entstanden ist. Mehr als eine zufällige 
Ähnlichkeit, glaube ich aber, bedeutet dies nicht. Wenigstens 
habe ich die für die echten Hassallschen Körperchen so kenn- 
zeichnende Degeneration der zentralen Zellen nicht angetroffen. 

Da grössere konzentrische Komplexe von Prymak (1902) 
für die Teleostierthymus als konzentrische Körperchen beschrieben 
worden sind, so glaube ich, wie schon oben angedeutet, dass 
eine Verwechslung mit quergeschnittenen Gefässkanälchen vorliegt. 
Die Spärlichkeit, bezw. das Nichtvorkommen der Hassallschen 
Körperchen ist früher sowohl von Maurer wie von Schaffer 
betont worden. 

Uystenbildungen gewöhnlich mässigen Umfangs kommen 
regelmässig, wenn auch nicht zahlreich, im Parenchym vor. Es 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 29 


scheint mir, als entständen sie nicht immer auf dieselbe Weise. 
Einmal scheinen sie durch einen solchen Zerfall zirkumskripter 
Partien des Parenchyms zu entstehen, wie ich ihn früher (1905) schon 
unter dem von Namen Sequesterbildung beschrieben habe. Zweitens 
aber scheinen mir gewisse Bilder darauf hinzudeuten, dass Hohlräume 
auch ohne einen solchen Zerfall lediglich durch starke Ansammlung 
von Lymphozyten in einer Retikulummasche und durch einen 
näheren Zusammenschluss der umgebendeu Retikulumzellen um 
die Zellenanhäufung herum entstehen können. Ist diese meine 
Auffassung richtig, so könnte man Sequestereysten und 
Distensionseysten unterscheiden, aber nur in der Bildungs- 
zeit. Haben sich die umgebenden Zellen einmal in epithelialen 
Verband zusammengeschlossen, so gibt weder die Struktur der 
Wand noch die Beschaffenheit des Uysteninhalts in der Regel mehr 
einen sicheren Anhalt für die Beurteilung der Entstehungart ab. 

Die Wandzellen einer solchen ausgebildeten Cyste haben 
meistens kubischen bis zylindrischen Charakter. Flimmerzellen 
sind unter ihnen relativ selten: Zellen mit Kutikular- oder Bürsten- 
saum und Schleimzellen sind die gewöhnlichsten Vorkommnisse 
(Taf. I, Fig. 14). Entsprechend den früher (Hammar 1905) be- 
schriebenen Flimmercysten und Flimmerkrateren habe ich in der 
Teleostierthymus, wenngleich nicht besonders spärlich, ähnliche mit 
mit kurzen Bürsten ausgekleidete Höhlungen — Bürsteneysten 
und Bürstenkrateren — angetroffen. 

Bei einem 125 mm langen Exemplar von ÜGentronotus 
gunnellus habe ich ein eigentümliches Bild an der freien Ober- 
fläche der Zellen einer Cyste angetroffen (Taf. I, Fig. 15), dessen 
(regenstück ich weder früher noch später gesehen habe. Im 
Profilbilde boten die Zellen eine grobe kutikulaähnliche Grenz- 
linie dar, über welche sich ganz kurze Härchen erhoben. Im 
Oberflächenbild zeigte aber jedes Zellenende eine Serie regel- 
mäßig angeordneter Linien, die parallel den Zellenkonturen, die 
eine innerhalb der anderen, verliefen und dadurch ein System 
konzentrischer eckiger Ringe bildeten. Diese Linien waren stark 
lichtbrechend, ob sie den „Bürsten“ entsprachen, oder ob eine 
ihnen entlang vorkommende schwache Punktierung eine Ein- 
pflanzung von Härchen auf die gerippte Oberfläche der Zelle an- 
deutete, war bei der Feinheit des Bildes nicht sicher zu ent- 
scheiden. 


30 J. Aug! Hemmer: 


Im Anschluss an die Besprechung der Cysten des Paren- 
chyms ist auch einiger cystartiger Bildungen, die ich spärlich 
bei Labrus, zahlreich aber bei Gobius angetroffen habe, Erwäh- 
nung zu tun. Beim letzteren kamen sie in der Hälfte sämtlicher 
untersuchten Individuen ohne Rücksicht auf die Körpergrösse 
vor; bald war eine einzige im ganzen Thymusgebiet vorhanden, 
bald wurden sie in mehrfacher Zahl angetroffen. Die grösste 
Zahl, die ich im Anschluss an eine und dieselbe Thymus gefunden 
habe, ist sieben. 

Es handelt sich meistens um kleine, von hohem Zylinder- 
epithel begrenzte Bläschen (Taf. III, Fig. 23—-30), die häufig nur 
an einem Schnitte, oder ein paar, eine Lichtung zeigen. Seltener 
haben sie den Charakter von kurzen, schwachverästelten blinden 
Schläuchen. Ihr Inhalt ist bald ein lockeres Kongel, bald sind 
sie durch Lymphozyten ausgefüllt. Meistens liegen sie im sub- 
thymischen mit Lymphozyten reichlich durchsetzten Bindegewebe. 

Die Beschaffenheit der Epithelien — die allerdings einen 
Bürstensaum nicht besitzen — konnte an Reste aberranter 
Kanälchen der unfern gelegenen Nieren denken lassen. Die 
Präparate geben indessen gar keinen Anhaltspunkt zu einer solchen 
Deutung. Dagegen kommen Bilder vor, die auf eine Beziehung 
zur Thymus hinzudeuten scheinen. Mehrmals habe ich nämlich 
bei Gobius epitheliale Hohlgebilde gefunden, die mit ihrem ober- 
flächlichen Ende die Basalmembran durchbohren und somit teil- 
weise in die Thymus hineinragen. Ein solcher Fall ist in Fig. 30 
abgebildet worden. In anderen Fällen kann man solche Cysten 
ganz in der Thymus, dicht an der Basalmembran gelegen, finden. 
Die in Fig. 28 abgebildete zeigt dabei eine deutliche Verdünnung 
der Basalmembran an der Stelle, wo die Oyste ihr anliegt, während 
jenseits der Oyste eine mit dem übrigen Bindegewebe nicht zu- 
sammenhängende Bindegewebsbildung (in der Serie verfolgt!) in 
Entstehung begriffen zu sein scheint. Obwohl ich nirgends deut- 
liche Verbindungen zwischen den betreftenden Cystenepithelien 
und den Retikulumzellen gefunden habe, scheinen mir die Bilder 
auf ein Einwachsen thymischer Cysten in das Bindegewebe hin- 
zudeuten — einen Vorgang, der bisher ohne Analogie in meiner 
Erfahrung über thymische Oysten ist, und bei welchem man ver- 
sucht sein könnte, an einen pathologischen Prozess zu denken, 
käme er nicht bei Gobius so allgemein vor. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. > 


Ehe ich die Beschreibung des Parenchyms abschliesse, ist 
die Frage nach der Zellenvermehrung in der Teleostier- 
thymus etwas zu berühren. Wenn man eine Zahl solcher Thymus- 
drüsen in der genannten Hinsicht durchmustert, so findet man, 
nachdem die erste Entwicklung des Organs abgeschlossen ist, so- 
wohl in der Periode, die hier in Rede steht, als auch in der 
Involutionsperiode höchst wesentliche Verschiedenheiten. Es finden 
sich Thymi, wo es sehr schwer fällt, eine einzige Mitose, sei es 
eine grosse oder kleine, ausfindig zu machen. In anderen Indi- 
viduen derselben Spezies und Grösse wiederum kann man solche 
in beträchtlicher Menge finden. 

Will man nicht eine ausserordentliche Empfindlichkeit des 
Organs annehmen, derart, das es auf zufällige Änderungen im 
Allgemeinbefinden oder auf spezielle Iritamente des Körpers durch 
Variationen in der Zellenvermehrung reagiert, so scheint mir 
die wahrscheinlichste Erklärung in einer periodischen Vermehrung 
der Elemente mit zwischenliegenden Perioden von Stillstand 
zu liegen. 


3. Zur Kritik der myoiden Zellen. 


Es hat die Darstellung, die ich früher (1905) von der Ent- 
stehung der myoiden Zellen durch Hypertrophie und Difteren- 
zierung von Thymusmarkzellen gegeben habe, von zwei Seiten, 
nämlich von Pensa (1905) und von Weissenberg (1907) Wider- 
spruch erfahren, und zwar meinen die beiden genannten Forscher 
in Übereinstimmung mit der zuerst von Mayer (1888) ausge- 
sprochenen Ansicht, die fraglichen Zellen als Einschlüsse des 
Parenchyms, also parenchymfremder Herkunft auffassen zu müssen. 

Es wendet sich Pensa hierbei gegen meine Wahrnehmungen, 
indem er einmal bestreitet, dass die Markzellen ein Retikulum 
bilden, zweitens die von mir beschriebenen Verbindungen mancher 
myoiden Zellen mit diesen Retikulumzellen nicht wiedergefunden 
hat und drittens das Vorkommen von Zwischenformen zwischen 
hypertrophischen Markzellen und myoiden Zellen nicht anerkennt. 

Die Existenz von Strukturverhältnissen lässt sich nun be- 
kanntlich im allgemeinen nicht beweisen, nur demonstrieren: es 
ist mir deshalb recht angenehm, dass der andere meiner Herren 
ÖOpponenten in allen diesen drei Punkten mich bestätigt hat. 
Ich begnüge mich unter solchen Umständen damit, auf das hin- 


32 J. Aug. PHammarı 


zudeuten, was ich für die Ursache des Misserfolges Pensas halten 
zu müssen glaube. 

Es ist ohne weiteres zu ersehen, dass wo die Zellen ganz 
dicht aneinander liegen, wie Pensa ihre Lage beschreibt, 
dort sich die Frage nach dem Vorhandensein, bezw. Nicht- 
vorhandensein von Fortsätzen und Verbindungen nicht ent- 
scheiden lässt. Der Autor hat nun mit Osmiumgemischen ge- 
arbeitet. Bekanntlich rufen diese, so vortrefflich sie in vielen 
Hinsichten konservieren, in der Aussenschicht des Materials eine 
Anschwellung hervor, die die Formelemente zusammenpresst und 
dem Gewebe im allgemeinen ein kompaktes Aussehen verleiht. 
Kommen ganz kleine Stückchen zur Fixierung, so werden sie bis 
zu ihrer Mitte so verändert. In grösseren Stückchen behalten 
die zentraleren Partien einen lockeren Bau bei, und hier lassen 
sich in der Tat die von mir beschriebenen Veränderungen nach- 
weisen. Da aber die Fixierung dieser zentralen Partien nicht 
selten in anderen Hinsichten ungenügend ist, und deshalb die 
fraglichen Bilder weniger beweiskräftig erscheinen können, so 
empfiehlt es sich, für den fraglichen Zweck mit anderen gleich- 
mässiger fixierenden Flüssigkeiten zu arbeiten. Es ist meine 
Überzeugung, dass hätte Pensa auch mit der Tellyesniezkyschen 
Flüssigkeit gearbeit, er die von mir beschriebenen Bilder ebenso 
wie Weissenberg gesehen hätte. 

Es sind nicht meine Beobachtungen, sondern die aus ihnen 
gezogenen Schlüsse, gegen welche sich Weissenberg wendet. 
Er meint sowohl die Beweiskraft der plasmatischen Verbindungen 
zwischen myoiden Zellen und Retikulumzellen wie die der zahl- 
reichen Zwischenformen zwischen den beiden Zellenkategorien 
bestreiten zu müssen, obwohl diese Zwischenformen so vielfältig 
sind, dass es auch ihm faktisch unmöglich wird, eine feste Grenze 
zwischen ihnen zu ziehen. Da aber seine Beweisführung von 
dem Wunsche nicht ganz unbeeinflusst zu sein scheint, die An- 
nahme los zu werden, „dass Elemente von der Morphologie der 
quergestreiften Muskulatur aus entodermalen Zellen hervorgehen“, 
so ist es auffallend, dass er nicht Bedenken trägt. sich auf die 
Schubergschen Beobachtungen direkter protoplasmatischer Ver- 
bindungen zwischen Zellen genetisch ganz getrennter Gewebe 
zu berufen. Es ist ja wohl möglich, dass solche Verbindungen 
existieren; bewiesen scheinen sie mir wenigstens beim Erwachsenen 


= 
Sb] 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 


nicht. Aber eins ist gewiss: wird der Beweis für die Sache 
wirklich einmal erbracht, dann ist hiermit der Lehre der Keim- 
blattspezietät ein weit schwererer Stoss zugefügt, als es jemals 
durch den Nachweis der entodermalen Natur der myoiden 
Thymuszellen geschehen kann. Aus theoretischen Gründen jenes 
anzunehmen, dieses zurückzuweisen, heisst doch aus dem Regen 
in die Traufe zu geraten! 

Es wäre recht viel in betreff der Weissenbergschen 
Ausführungen hinzuzufügen, aber die Frage lässt sich doch eher 
durch die Vorführung neuen Tatsachenmaterials als durch Dis- 
kutieren lösen; und ein solches Material von nicht unbedeutendem 
Werte scheint mir die Teleostierthymus darzubieten. Ehe ich 
auf dasselbe eingehe, möchte ich mir jedoch noch ein paar Be- 
merkungen kritischer Art erlauben. 

Weissenberg glaubt in der Thymusentwicklung der 
Selachier eine Stütze für seine Anschauung gefunden zu haben. 
Es ist aus seiner kurzen vorläufigen Mitteilung nicht ganz zu 
ersehen, wie weit sich der Befund erstreckt. So viel möchte ich 
schon jetzt hervorheben, dass hier auch die erwachsene Thymus 
in nahem Anschluss an quergestreifte Muskelfasern liegt. Es ist 
dann leicht verständlich, dass entsprechende Bilder auch bei den 
Föten existieren. Dies bedeutet für die Frage nach der Herkunft 
der im Parenchym gelegenen myoiden Zellen nicht mehr als der 
von Pensa geführte Nachweis, dass ein Bündel der Muse. depressor 
mandibulae beim Frosch dem Organ dicht anliegt. Das tatsächliche 
Einwachsen in das Parenchym ist natürlich damit nicht erwiesen. 

Und weiter eine andere Sache: Sowohl Pensa wie Weissen- 
berg haben sich auf Glas’ (1905) Funde von sarkolytisch ver- 
änderten, in der hypertrophischen Tonsille eines 22 jährigen 
Mannes eingeschlossenen Muskelfasern berufen, um eine Stütze 
für die Einschlusstheörie zu finden. Mir beweisen die Glasschen 
Abbildungen und Beschreibungen geradezu das Gegenteil. Die 
eckigen, offenbar in Zerfall begriffenen Stückchen quergestreifter 
Substanz ähneln keiner der vielen Formen der myoiden Zellen 
der Thymus. So könnte man erwarten, dass diese Zellen aussehen 
sollten, als wären sie zufällige Einschlüsse des Thymusparenchyms — 
aber so sehen sie nicht aus! 

Und nun zu den betreffenden Bildern der Teleostierthymus. 


Es scheint mir, als hätte die Ansicht der autochthonen Ent- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 3 


4 J. Aug. Hamm: 

stehung der myoiden Thymuszellen schon dadurch eine nicht un- 
bedeutende Stütze gefunden, dass solche Zellen sich mitten in 
der plakodenförmigen Teleostierthymus nachweisen lassen. Es 
kann sich hier nicht gut um einen Einschluss handeln, man 
müsste denn an eine Verschleppung oder an ein aktives Ein- 
wachsen bezw. Einwandern der Muskelfasern denken. Und die 
Sache wird noch prägnanter, wenn man bedenkt, dass die myoiden 
Zellen, z. B. bei Siphonostoma, in Thymusdrüsen anzutreffen sind, 
die keine Gefässe enthalten. Will man diesen Tatsachen gegen- 
über die Ansicht der exogenen Herkunft noch verfechten, so 
scheint mir kaum mehr als die Annahme eines selbständigen 
Einwachsens oder einer Einwanderung von muskelbildenden Zellen 
in das Epithel und ihrer sekundären Verknüpfung mit den 
Epithelien übrigzubleiben. 

Die überhaupt nicht grosse Wahrscheinlichkeit einer solchen 
Deutung wird gewiss noch geringer, wenn man den Fund von 
quergestreiften Fibrillen auch in den typischen epithelialen 
Retikulumzellen mit in Rechung zieht. Ganz abgesehen von der 
Frage nach den myoiden Zellen scheint mir dieser Befund zu 
der Annahme zu nötigen, dass die Retikulumzellen der Thymus 
quergestreifte Fibrillen aus ihrem Protoplasma herausdifferenzieren 
können. Und damit dürfte wohl auch für die Annahme der 
‘endogenen Natur der myoiden Zellen der Weg gebahnt sein. 

Es kann ja scheinen, als hätte ich zu viel Mühe darauf 
verwendet, einer Ansicht entgegenzutreten, die doch auf die Vor- 
stellung hinausläuft, dass in den verschieden gestalteten und ver- 
schieden gelegenen Thymusdrüsen sämtlicher Vertebratenklassen 
— die Säuger ausgenommen — ein zufälliger Einschluss von 
Muskeln oder muskelbildenden Zellen regelmässig stattfinden 
sollte. Aber die Sache hat u.a. für die Auffassung der funktionellen 
Morphologie der Thymus ihre Wichtigkeit, und die meines Er- 
achtens einzige haltbare Lösung der Frage ist mit dem Fehler 
behaftet, dass sie gegen die Lehre der Keimblattspezietät verstösst. 

Als das Manuskript schon fertig vorlag, wurde mir durch 
die Güte des Verfassers Gelegenheit bereitet, von noch einer 
diesbezüglichen Arbeit, nämlich der von Dustin (1908) Kenntnis 
zu nehmen. Dieser Autor, der die Reptilienthymus untersuchte, 
tritt ebenfalls für eine exogene Herkunft der myogenen Zellen 
ein. Er meint aber, dass der Einschluss dieser Zellen, wenigstens 


(bt 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 


bei den Reptilien, nicht embryonal stattfinde, sondern dass sie 
sich aus den für jede Aktivitätsperiode des Organs einwuchernden 
Blutkapillaren, bezw. aus dem perikapillaren Bindegewebe, und 
zwar mit epitheloiden Zellen als Zwischenformen, herausbilden. 
Die fraglichen Zellen seien von kurzer Dauer: «ÜÖes elements 
persistent un certain temps — relativement court chez les animaux 
jeunes, plus long semble-t-il chez les animaux avanc6s en äge — 
puis se disloquent, leur noyaux se fragmentent, la striation 
s’efface, le protoplasme devient tr&s sombre, puis perd ses contours 
et disparait.» 


Es genügt, darauf hinzuweisen, dass auch dieser Erklärungs- 
versuch auf der Basis einer allzu beschränkten Erfahrung. über 
die Thymus und über die myoiden Zellen ruht. Mit den oben 
dargelegten Tatsachen betrefis der Teleostierthymus, wo die 
myoiden Zellen schon im gefässlosen Zustande des Organs auf- 
treten können, lassen sie sich kaum vereinbaren. 


Es ist ein Verdienst Dustins. die genetische Zusammen- 
gehörigkeit der „epitheloiden“ hypertrophischen Markzellen und 
der myoiden Zellen richtig erkannt zu haben; wenn er allerdings 
jene aus Bindegewebszellen herleitet, betritt er einen Weg, dessen 
Aussichtslosigkeit durch die in der Teleostierthymus obwaltenden 
Verhältnisse genugsam dargetan ist. Und wenn er versichert: 
«Les cellules myoides ou epitheloides ne deviennent globuleuses 
que lorsqu’elles vont degenerer», so wird er gleichfalls durch 
die Verhältnisse vieler Teleostier widerlegt, wo solche Zellen von 
Anfang an als rundliche Bildungen auftreten. 


4. Die Histogenese. 


Die erste und bis heute noch eingehendste Untersuchung über die 
Entwicklung der Teleostierthymus rührt von Maurer (1886) her. Seine 
Ergebnisse wurden vor allem an Forellenembryonen gewonnen. Die Thymus 
tritt hier am 48.—50. Tage nach dem Streichen der Eier auf in der Form 
solider knospenförmiger Verdickungen des sonst noch einschichtigen Epithels 
am dorsalen Ende der 2.—5. Kiemenspalte. Schon am 60. Tage beginnen 
diese Knospen miteinander zu verschmelzen, so dass das Organ einen langen 
spindelförmigen Wulst bildet. „Die epitheliale Thymuswucherung ist zu dieser 
schon recht fortgeschrittenen Entwicklungsperiode noch mit ihrem Mutter- 
boden, dem Kiemenhöhlenepithel in festem Zusammenhang, geht überall 
kontinuierlich in dasselbe über, und dies Verhalten bleibt auch später be- 
stehen“ (pag. 151). 


DES 
3* 


36 J. Aug. Hammar: 


Später fällt bei der Forelle, wie beim Hecht und bei Leueiscus, der“ 
Schwerpunkt des Thymuswachstums ans hintere Ende, unter Rückbildung der 
vorderen Teile. Das Organ erhält also seine Lage hinter und lateral von 
der Ansatzstelle des ersten Kiemenbogens an die Basis cranii. Bei Cyprinus 
carpio und Rhodeus amarus wiederum wuchert die Mitte der Spindel mäch- 
tiger, so dass die Thymus weiter vorn und lateral vom Gehörorgan als ein 
in die Tiefe dringender Zapfen zu finden ist. 

Die histogenetischen Vorgänge werden folgendermassen beschrieben 
(pag. 164): „Im Anfange, wenn sich die Knospen bilden, geben die wuchern- 
den Epithelzellen ihren Charakter als solche auf, nehmen Iymphoides Aus- 
sehen an. Dies behalten sie so lange bei, als sie weiter wuchern und die 
Hauptmasse der Thymus bilden. Sehr frühe, etwa acht Tage nach dem 
ersten Auftreten der Knospen, wenn diese miteinander zu verschmelzen 
beginnen, wuchern von der Umgebung Bindegewebselemente ein, die indessen 
nur als Stützgewebe und dann als Träger der Blutgefässe in Verwendung 
kommen. Erst sehr spät, nach zwei bis drei Monaten, dringen von der 
Kapsel her Iymphoide Elemente längs der Bindegewebszüge und Gefässe ein, 
und zwar erfolgt dies dann, wenn die primären epithelialen Elemente all- 
mählich in ihrer Proliferation erschöpft, ihr Iymphoides Aussehen verlieren 
und auch äusserlich ihren epithelialen Charakter wieder annehmen. Dann 
erst brechen die bindegewebig lymphoiden Zellen in das Innere des Organs 
herein und etablieren sich in einer intermediären Zone; hier lassen sie Ge- 
bilde hervorgehen, die den Schleimhautfollikeln, wie wir sie im ganzen Darm- 
kanale höherer Wirbeltiere finden, ähnlich sehen, nur dass sie bei der Thymus 
wirklich inmitten des Schleimhautepithels lagern, da die Reste der epithe- 
lialen Anlage einerseits in einer tiefen Zone von geschwollenen Zellen, anderer- 
seits als epithelialer Überzug erhalten bleiben.“ Das mittlere Keimblatt lässt 
also die intermediäre Follikelzone entstehen. Die Elemente dieser Follikel 
sind „sehr dicht gelagerte Iymphoide Kerne, die einen protoplasmatischen 
Zellenkörper kaum erkennen lassen. Selbst das retikuläre Bindegewebe, in 
welches diese Kerne eingelagert sind, ist kaum zu erkennen, so dicht sind 
letztere gelagert.“ 

Nusbaum und Prymak (1901), deren Untersuchungsmaterial aus 
Forellenembryonen und jungen Carassius vulgaris bestand, bestätigten die 
Angaben Maurers in betreff der Organogenese, wandten sich aber gegen 
seine Darstellung der Histogene, soweit sie sich auf die Herleitung der 
Thymuslymphozyten bezieht. 

Die erste Veränderung der Thymusanlage besteht laut diesen Forschern 
in einer Lockerung der Zellen, wobei die Interzellularbrücken sich zu langen 
und spärlichen Fäden umwandeln. Unter häufiger mitotischer Teilung nehmen 
die Epithelien immer kleinere Kerne und spärlicheres Protoplasma an und 
lösen sich dabei allmählich aus ihrem Verband mit ihren Nachbarn ; so werden 
sie zu Lymphozyten. Die nicht zahlreichen Reste der Epithelzellen, welche 
sich nicht dermaßen umgestaltet haben, werden zu Hassallschen Körperchen 
und zu den oberflächlichen Epithelzellen der Thymusanlage. 

Es heben die Autoren zwei Umstände als äusserst wichtig für die 
Frage über die Ursprungsquelle der Iymphoiden Zellen hervor, nämlich einmal, 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. an 


«dass in der kritischen Periode Teilungsbilder in den Iymphoiden Zellen der 
Thymus gänzlich fehlten, zweitens dass in derselben Periode kein einziger 
Leukozyte in dem lockeren subepithelialen Bindegewebe vorhanden war. 

Im folgenden Jahre findet Prymak (1902) diese Ansicht durch die 
Untersuchung anderer Formen (Gobio fluviatilis, Carassius aureatus, Corvina 
nigra und Stromateus fiatola) bestätigt. Im Anschluss an die von Board 
auf der Grundlage von Untersuchungen an Raja ausgesprochene Ansicht 
meint er diese Auffassung dahin erweitern zu können, dass er die Thymus 
„die Funktion der ersten und ursprünglichsten Erzeugung der Leukozyten“ 
‚erfüllen lässt. 

In seiner letzten Veröffentlichung über den Gegenstand gibt Maurer 
(1902) eine von seiner vorigen vielfach abweichende Darstellung von der 
Entwicklung der Teleostierthymus. Es entstehen jederseits fünf Thymus- 
knospen und zwar aus der 2.—6. Kiemenspalte. „Die histologische Entwick- 
lung stellt sich so dar, dass die durch Teilung sich reichlich vermehrenden 
Epithelzellen, die den entodermalen Kiementaschen entstammen, ihren epithe- 
lialen Charakter verlieren und das Aussehen von indifferenten Rundzellen 
annehmen. Sehr frühzeitig dringt Bindegewebe mit Blutgefässen aus der 
Umgebung ein. Es wurde mehrfach angegeben, dass damit auch die Iym- 
phatischen Zellen von aussen her in die Thymus gelangten. Dem kann ich 
nicht beipflichten. Die epitheliale Anlage selbst liefert Iymphatische Zellen. 
Später allerdings fallen viele dieser Zellen wieder in ihren epithelialen 
Charakter zurück und liegen teils als einzelne grosse epithelioide Elemente 
mitten im Thymusgewebe, teils bilden sie zu Gruppen zusammengeballte 
konzentrische Körperchen.“ 


Wie man sieht, spricht Maurer hier eine Auffassung bezüglich der 
Herkunft und Umgestaltung der Thymuslymphozyten aus, die der später von 
Stöhr ausgesprochenen recht nahe steht. Dass diese Auffassung gegen fest- 
gestellte Tatsachen verstösst, glaube ich schon früher (1907) gezeigt zu haben. 

Für das Studium der Entwicklung der Teleostierthymus 
habe ich in erster Linie Embryonen und Larven von Siphonostoma 
typhle benutzt. Für den fraglichen Zweck bietet dies Material 
ein in vielen Hinsichten vorzügliches Objekt dar. 


Bekanntlich werden die befruchteten Siphonostomaeier 
während ihrer ersten Entwicklungszeit vom Männchen getragen, 
und zwar finden sie sich bei ihm in einer besonderen Brut- 
tasche am Bauche angeklebt. Sämtliche Eier eines und desselben 
Tieres befinden sich im großen und ganzen auf identischer Ent- 
wicklungsstufe. Man braucht also nur mit bestimmten Zwischen- 
zeiten die gewünschte Zahl von Eiern loszumachen und nach 
Entfernung der Eischale zu konservieren, um eine kontinuierliche 
Entwicklungsreihe zu bekommen. Ich habe mich dieser Art 
zweier Tiere bedient, deren Eier einander in der Entwicklung 


38 J. Aug. Hammar: 


sehr nahe standen. Indem ich täglich jedem eine Anzahl Eier 
entnahm, habe ich eine Reihe erhalten, wo die Intervalle nicht 
mehr als etwa zwölf Stunden Entwicklung betrugen, und ich 
habe dies Verfahren so lange fortsetzen können, bis die Jungen 
spontan ausschlüpften und dabei ungefähr dieselbe Grösse zeigten, 
wie aus dem Meer gleichzeitig eingefangene, frei herum- 
schwimmende Larven. Für die folgenden Stadien wurden aus- 
schliesslich solche frisch eingefangene Larven benutzt. 


Die Thymusbildung ist bei Siphonostoma auf einen kleineren 
Bezirk beschränkt und nimmt eine recht kurze Zeit in Anspruch, 
was mit Rücksicht auf die Überschaubarkeit des Prozesses eben- 
falls einen Vorteil bedeutet. 


Endlich bietet die Siphonostomathymus, wo die (refässe- 
spät und dann verhältnismässig sehr spärlich einwachsen, be- 
sonders günstige Vorbedingungen für das Studium der Seite des 
Entwicklungsvorganges, welche vor allen anderen gegenwärtig 
unser Interesse beansprucht, nämlich die Herstammung der 
Thymuslymphozyten. 


Es leuchtet ja ein, dass, so lange Gefässe noch nicht in: 
die Teleostierthymus eingedrungen sind, so lange auch die Grenze: 
zwischen Epithel und Bindegewebe, welche die Lymphozyten bei: 
einer eventuellen Einwanderung zu überschreiten haben, relativ 
kurz und von einer möglichst einfachen Form und deshalb auch 
leichter als sonst zu überwachen ist. 

Mein Material beginnt mit Stadien von 9 mm Körperlänge 
(vergl. Taf. II, Fig. 18). Hier ist der Thymusbezirk noch rein 
epithelial. „Thymusknospen“. wie sie als Ausgangspunkt der 
Thymusentwicklung der Teleostier in der Literatur beschrieben 
worden sind, sind gar nicht zu finden. Das Epithel ist auch nicht 
verdickt, sondern hat dieselbe etwa kubische einschichtige Be- 
schaffenheit wie in der Umgebung. Hie und da finden sich neben. 
den helleren Zellen solche von dunklerer Färbung und kompakterem 
Protoplasma, wie sie an den Kiemen zahlreich vorkommen und 
für das erwachsene Organ schon auf Seite 16 geschildert worden 
sind (vergl. Fig. 19A). Eine Abgrenzung des Thymusgebiets ist 
in diesem Stadium lediglich durch sein Verhältnis zur Umgebung 
möglich; lateralwärts wird es vom Kiemendeckel, medianwärts 
vom letzten Kiemenbogen begrenzt. Kaudalwärts überragt es ein 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 39 


wenig den kaudalen Rand des Kiemendeckels, kranialwärts er- 
streckt es sich bis zur Muskulatur des dritten Kiemenbogens. 

Die Mitosen des Thymusgebiets sind noch ganz spärlich ; 
eine diesbezügliche Abweichung von den Verhältnissen des um- 
gebenden Epithels ist nicht zu finden. 

Das untenliegende lockere Bindegewebe grenzt sich gegen 
das Epithel durch eine feine dunkelgefärbte Grenzlinie — eine 
dünne Basalmembran — ab. In diesem Bindegewebe finden sich 
schon hie und da Wanderzellen, unter denen fast ausschliesslich 
mononukleäre Formen und Übergangsformen vertreten sind, 
wiederum ein Zeugnis unter vielen gegen die Boardsche Hypo- 
these von der Thymus als Urquelle der Leukozyten. Meistens 
finden sich diese Zellen im subthymischen Bezirk schon ein wenig 
reichlicher als im Bindegewebe im allgemeinen. Andere und ge- 
wöhnlich reichlichere Anhäufungen finden sich meistens in der 
Umgebung der naheliegenden Jugularvene. Die Niere ist in ihrer 
ersten Entwicklung; ihr Zwischengewebe hat noch nicht eine 
adenoide Beschaffenheit angenommen. 

Im Epithel des 'Thymusgebietes fehlt es bei gewissen In- 
dividuen dieses Stadiums ganz an Leukozyten, bei anderen 
(Taf. II, Fig. 19 A—C) findet man hier und da ein vereinzeltes 
Lymphozytenindividuum. 

In der nächsten Zeit nimmt die Zahl der subthymischen 
Lymphozyten auffallend zu; recht zahlreiche Mitosen sind unter 
ihnen zu sehen. Auch die Zahl der intraepithelialen Lymphozyten 
des 'Thymusgebiets mehrt sich rasch. Das betreffende Epithel 
behält dabei anfangs seinen einschichtigen Charakter bei; nur 
werden die Zellen höher und schmäler, so dass das Gewebe das- 
selbe Bild darbietet wie das Hornblatt des Hühnerembryos in 
den ersten Bebrütungstagen, d.h. den Typus eines sog. Leiter- 
epitheliums annimmt (Taf. II, Fig. 20A und B, Fig. 21). In der 
Folge legen sich die Kerne der Epithelzellen in ein verschiedenes 
Niveau, das Epithel wird ein mehrzeiliges als Übergang zu einer 
wirklich mehrschichtigen Beschaffenheit. Das Thymusgebiet ist 
schon beim 11—12 mm langen Embryo als eine schwach linsen- 
förmige zellenreiche Epithelverdickung kenntlich (Taf. II, Fig. 22). 

Dass schon von jener Zeit an eine wirkliche Durchwanderung 
der Basalmembran seitens der Lymphozyten stattfindet, davon 
kann man sich relativ leicht mit stärkeren Vergrösserungen über- 


40 J. Aug. Hammar: 


zeugen. Bald sieht man einen einzigen Lymphozyten die Basal- 
membran passieren (Taf. II, Fig. 19B, Fig. 20B bei **); letztere 
ist dann gewöhnlich gleichsam durch einen schiefgehenden Kanal 
durchbrochen, in welchem die Wanderzelle steckt. Bald wiederum 
handelt es sich um eine ganze Gruppe solcher Zellen, die eine 
wirkliche Bresche in der Membran gemacht haben (Taf. II, 
Rır. 21hei **). 

Die Menge der intraepithelialen Lymphozyten mehrt sich 
rasch, und gleichzeitig mehren sich die Mitosen der Thymus- 
anlage. Obschon sowohl Epithelien wie Lymphozyten offenbar an 
dem Vermehrungsprozess beteiligt sind, dürften die kleinen dunklen 
Lymphozytenmitosen entschieden überwiegen (Taf. II, Fig. 23). 
Auch unter den im subthymischen Bindegewebe zahlreich ange- 
sammelten Lymphozyten sind die Anzeichen einer regen mitotischen 
Teilung augenfällig (Taf. II, Fig. 22 und 23). 

In dem Maße wie die Zellteilungen in der Thymusanlage 
sich häufen, wächst diese rasch an Dicke und Ausdehnung (Taf. II, 
Fig. 23 und 24). Gleichzeitig werden die Epithelzellen immer 
mehr durch die zwischenliegenden freien Zellen auseinandergedrängt 
und verdeckt. Immer noch sieht man indessen eine Schicht 
platter Zellen an der freien Oberfläche und von ihr in die Tiefe 
dringende fadenförmige Zellenfortsätze. Meistens sieht man auch 
dicht an der Basalmembran eine Reihe kegelföürmig gestalteter 
Epithelien, die sich fadenförmig gegen die freie Oberfläche ver- 
längern. Der Zusammenhang zwischen diesen oberflächlichsten 
und tiefsten Epithelzellen tritt an den dünneren Kantpartien des 
Organs noch mit einiger Deutlichkeit hervor. Um die Mitte, wo 
die Lymphozyten am zahlreichsten sind, zeugen nur die hie und 
da sichtbaren, von länglichen Protoplasmazügen meistens umgebenen 
Epithelkerne davon, dass eine solche Verbindung auch hier existiert. 

Solche Bilder treten aber hauptsächlich an reinen Vertikal- 
schnitten hervor. Wo der Schnitt schief gegen die Oberfläche 
oder sogar mit ihr mehr oder weniger parallel ist, sehen fast 
alle Zellen rundlich aus, und es fordert dann eine gewisse Übung, 
die nur wenig grösseren Epithelzellenkerne unter den Lymphozyten- 
kernen zu identifizieren. Hierin dürfte die Ursache dafür zu 
suchen sein, dass die Thymusanlage in diesem Stadium von früheren 
Untersuchern als lediglich aus Lymphozyten zusammengesetzt be- 
zeichnet worden ist. Dies ist besonders leicht erklärlich, falls 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 41 


man nicht hinreichend dicht liegende Stadien zur Verfügung hat 
und mit den allerfrühsten nicht Bekanntschaft gemacht hat. 

3ei einer Grösse von etwa 35 mm treten die ersten Zeichen 
einer Hypertrophie der mehr basal gelegenen Zellen des zentralen 
Gebiets auf. Durch den hier sich ziemlich rasch herausbildenden 
Protoplasmareichtum der Retikulumzellen wird eine Markschicht 
gebildet (Taf. II, Fig. 24m), welche überdies durch die grössere 
Spärlichkeit der freien Zellen von dem übrigen Parenchym noch 
mehr absticht. Zu derselben Zeit habe ich an einem Individuum 
schon ein eindringendes Gefäss konstatieren können, was aller- 
dings ein Ausnahmeverhältnis bedeutet, indem sonst noch bei 
Individuen von 50— 100 mm Körperlänge und darüber gefässlose 
Thymusdrüsen gefunden werden. Bemerkenswert ist auch, dass 
schon in diesem Stadium einzelne myoide Zellen, und zwar von 
gleich anfangs rundlicher Form, zu sehen sind; sie zeigen sich 
unter Verhältnissen, die jeden Gedanken an eine Einschleppung 
durch Gefässe ausschliessen. 

Während dieser Umgestaltung des Epithels haben sich die 
Verhältnisse im Bindegewebe auch geändert. Eine zeitlang (bis 
zu etwa 30 mm Körperlänge) sind die dortigen Lymphozyten 
recht zahlreich vorhanden, und die Anzeichen ihrer mitotischen 
Vermehrung gleichfalls. Später tritt eine ziemlich schnelle und 
recht auffallende Erniedrigung ihrer Zahl ein; die Mitosen werden 
selten, obgleich die Zellen niemals völlig schwinden. 

Aus den hier beschriebenen Bildern lässt sich ohne grössere 
Schwierigkeit entnehmen, dass die Epithelien des Thymusgebiets 
im Laufe der Entwicklung des Organs auseinander rücken und 
zum Retikulum der Thymus umgestaltet werden, also im grossen 
und ganzen denselben Prozess durchmachen, wie er sich bei höheren 
Vertebraten vollzieht, nur dass er sich hier nicht in einer in die 
Tiefe versenkten und von der Oberfläche abgeschnürten epithelialen 
Anlage, sondern direkt im Oberflächenepithel vollzieht. 

Dass eine Durchwanderung von Lymphozyten durch die 
Basalmembran im Laufe der Entwicklung stattfindet, ist auch 
aus den Bildern direkt zu entnehmen. Aber in welcher Richtung 
geschieht die Durchwanderung? Handelt es sich um eine Los- 
trennung zuerst einzelner, dann zahlreicher Zellen aus dem 
epithelialen Verbande, Zellen, die teils, wenigstens vorläufig, im 
Epithel bleiben, teils es als Lymphozyten verlassen? Oder sind 


42 J. Aug. Hammar: 


die Bilder so zu deuten, dass Lymphozyten vom Bindegewebe 
in das Epithel eindringen und sich hier vermehren ? 

Es scheint mir nun, als sprechen die Bilder schon bei 
gewöhnlicher Betrachtung einigermaßen zugunsten der letzt- 
genannten Auffassung. Aber da es sich hier um eine Sache 
handelt, die für die Thymusfrage von grundlegender Bedeutung 
ist, so hat es mir wünschenswert erschienen, nicht bei einer 
Beurteilung nach Augenmaß zu bleiben. Ich habe deshalb ver- 
sucht, objektive Tatsachen an die Stelle subjektiven Urteils zu 
setzen. 

Ich habe deshalb für jedes der zwölf Stadien, die sich in 
meinem Material zwischen 9 und 22 mm finden, Plattenmodelle 
nach Born in bestimmter (250 maliger) Vergrösserung gemacht 
und zwar für jedes Stadium’ von drei Individuen ‚oder sechs 
Modelle. ‚Jedes Modell habe ich gewogen und die Mittelgewichte 
der Modelle jedes Stadiums der mit einer kontinuierlichen Linie 
angegebenen Kurve Textfig. 5 zugrunde gelegt. Diese Kurve 
spiegelt also den Verlauf des Organzuwachses ab. 

Ferner habe ich unter Anwendung von ‚Immersion an den 
betreffenden 4—6 u dicken Serienschnitten durch das ganze 
Organ gewisse Rechnungen ausgeführt. So habe ich die 
im Thymusgebiete vorhandenen Mitosen protokolliert, wobei 
allerdings zwischen grossen und kleinen (d. h. epithelialen und 
Lymphozyten-) Mitosen ein Unterschied nicht gemacht wurde und 
auch nicht überall mit Sicherheit zu machen war. Die Durch- 
schnittszahlen dieser intrathymischen Mitosen habe ich gleichfalls 
für jedes Stadium besonders berechnet. Sie haben die gestrichelte 
Kurve in Textfig. 5 ergeben, die also gewissermaßen für die im 
Innern der Thymus wirksamen organvergrössernden Kräfte einen 
Ausdruck abgibt. 

Dann habe ich mir für die Zahl der im subthymischen 
Bindegewebe angesammelten Lymphozyten in ähnlicher Weise 
Durchschnittszahlen verschafft. Beider Berechnung wurde das zu 
berücksichtigende Bindegewebsgebiet notwendigerweise willkürlich, 
aber möglichst konsequent abgegrenzt. Die also gefundenen 
Mittelwerte habe ich in die punktierte Kurve Textfig. 5 ein- 
getragen. Man kann sie einigermaßen als einen Exponenten für 
den Umfang der Durchwanderung gelten lassen, diese mag nun 
eine Aus- oder eine Einwanderung sein. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 43 


Um eine eventuell nötige Korrektur für die lokal ım 
Bindegewebe stattfindende Vermehrung hier anbringen zu können, 
habe ich mir endlich Mittelwerte der im subthymischen Binde- 
gewebe zu findenden Mitosen verschafft. (Textfig. 5, die mit 
Punkten und Strichen angegebene Kurve.) Da ein Unterschied 
zwischen Mitosen der fixen und der wandernden Elemente des 
Bindegewebes nicht immer zu machen war, sind die ersteren 


Figur 5. 


Entwicklungskurven von Siphonostoma typhle; (ewichts- 

kurve der Thymusmodelle ----- Zahl der Thymusmitosen; 

Aare Zahl der im subthymischen Bindegewebe liegenden Leuko- 

zyten; -»-+-- Zahl der im subthymischen Bindegewebe befind- 
lichen Mitosen. 


auch mitberechnet, was wohl die absoluten Werte ein wenig 
(nicht viel, denn die fixen Zellen sind spärlich) erhöht haben 
dürfte, aber in den Relationen der Zahlen der verschiedenen 
Alter wahrscheinlich keine merkliche Änderung bewirkt haben kann. 

Betrachtet man zuerst die linke Hälfte der also gewonnenen 
Kurven, welche dem Zeitraum entspricht, der für die betreffende 
Frage die grösste Bedeutung hat, so sieht man, dass in den 


44 J. Aug Hammer: 


‚ersten Stadien (9—10,6 mm), wo die Lymphozyten in der Thymus 
fehlen oder ganz spärlich sind, der Organzuwachs kaum merkbar 
ist, von dort ab dagegen bis zur Körperlänge von 15 mm einen 
raschen Zuwachs zeigt, während die thymischen Mitosen erst, 
nachdem der Zuwachs eine zeitlang gedauert hat, oder nach 
der Körperlänge 11,3 mm eine Vermehrung aufweisen. Die sub- 
thymischen Lymphozyten aber zeigen schon vom Anfang an eine 
Zunahme an Zahl, welche Zunahme zuerst langsam, später sehr 
rasch erfolgt; erst nachdem diese Anhäufung von Lymphozyten 
im Bindegewebe ziemlich beträchtlich geworden ist, tritt gleich- 
falls nach 11,5 mm Larvenlänge eine Steigerung der Zahl der 
subthymischen Mitosen, also Anzeichen einer beträchtlicheren 
lokalen Vermehrung hervor. 

Wendet man nun versuchsweise auf den ersten Abschnitt 
dieser Zuwachsperiode die Auswanderungshypothese an, so kommt 
man zu dem Ergebnis, dass das Organ schon, ehe die inneren 
vermehrenden Kräfte nach 11,3 mm Körperlänge einen Zuwachs 
zeigen. nicht nur eine immer grössere Menge von Zellen in der 
Form von Lymphozyten an das Bindegewebe abgeben sollte, ohne 
dass seine Masse dabei abnähme, sondern dass es in der Zeit 
10,2—11.3 mm sogar einen Zuwachs erfahren sollte, was offenbar 
absurd ist. 

Bei der Annahme einer Einwanderung der Lymphozyten 
in die epitheliale Thymusanlage hinein stimmt aber alles gut: 
Die Zunahme des Organs wird anfangs hauptsächlich durch 
Zufuhr bewirkt, später, wo die eingewanderten Zellen an Zahl 
schon beträchtlich sind, beginnt der Eigenzuwachs des Organs 
durch Mitosen, welche, wie die mikroskopische Untersuchung lehrt, 
zum grossen Teil eben in den Thymuslymphozyten sich abspielen. 
Einwanderung und intrathymische Zellteilungen scheinen in der 
nächsten Zeit zur Organzunahme zusammenzuwirken. 

Der starke Abfall, welchen sämtliche Kurven (die Ge- 
wichtskurve nach 15 mm Körperlänge) darbieten, ist geeignet, 
beim ersten Augenblick zu überraschen. Ich glaube ihn aber 
auf eine beim Übergang vom Embryonal- zum freien Larvenleben 
wenigstens im Aquarium eintretende Nutritionsstörung und eine 
durch sie bedingte accidentelle Involution zurückführen zu 
müssen. Ob ein solcher Prozess auch unter den natürlichen 
Lebensverhältnissen im Meer eintritt, weiss ich nicht mit Sicher- 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 45- 


heit anzugeben. Der grosse Unterschied im Gewicht des Thymus- 
modells bei der ältesten meiner aquariengezüchteten Larven 
(30 mm Körperlänge, Thymusmodell 9 g) und den jüngsten der 
untersuchten unter den eingefangenen (34,5 mm Länge, Thymus- 
modell 42 g) scheint mir am ehesten darauf hinzuweisen, dass 
diese Verkleinerung der Thymus (mit den übrigen erwähnten 
Anzeichen einer accidentellen Involution) ein durch das Aquarien- 
leben, möglicherweise auch durch das verfrühte Eröffnen der 
Bruttasche bedingtes Kunstprodukt ist. Jedenfalls ist dieser Teil 
der Kurven für unsere Zwecke von geringerem Interesse. 


Wie ersichtlich, unterscheiden sich die bei Siphonostoma ge- 
wonnenen Ergebnisse in einigen Hinsichten beträchtlich von dem, 
was bisher in der Literatur in betreff der Entwicklung der Tele- 
ostierthymus vorgebracht worden ist. Besondere Thymusknospen 
sind nicht auffindbar, sondern die Anlegung des Organs geschieht 
direkt auf der Grundlage eines retro- und epibranchialen ober- 
tlächlichen Epithelbezirks. Ein Übergang der Epithelien in, sei 
es wahre oder scheinbare Lymphozyten, ist nicht nachweisbar. 
Die Epithelien bleiben bestehen und die Lymphozyten wandern 
vom unterliegenden Bindegewebe hinein. Andere mesodermale 
Elemente treten erst mit dem Einwachsen der Gefässe in das 
Organ auf. 

Die bisherigen Untersuchungen (Maurer, Nusbaum und 
Prymak) waren hauptsächlich an Forellen ausgeführt. Angesichts 
der nicht unbedeutenden Abweichungen in ihren Angaben er- 
schien es mir sehr erwünscht, ein möglichst nahestehendes Material 
zu vergleichender Untersuchung zu erhalten. Durch die gütige 
Vermittlung des Herrn Dr. J. Arwidsson habe ich zwei Kulturen 
von Salmo salar bekommen, die ich im Institut weiter gezüchtet 
habe. Es ist eigentlich nur die eine, die Gegenstand meiner 
Untersuchungen gewesen ist und zwar habe ich für den Zeitraum 
49—105 Tage Stadien von in der Regel 48 Stunden Zwischenzeit 
an 6 « dünnen Serienschnitten untersucht. 

Die also untersuchte Periode beginnt etwa auf derselben 
Entwicklungsstufe wie die Siphonostomareihe, d.h. die Thymus- 
anlage hat noch einen rein epithelialen Bau. Am Ende der be- 
rücksichtigten Periode vollzieht sich die erste Anlage des Marks. 


46 J. Aug. Hammar: 


Die Entwicklung geht also auffallend langsamer als bei 
Siphonostoma vor sich. Das Thymusgebiet erstreckt sich oberhalb 
sämtlicher Kiemenbogen und umfasst dazu eine nicht ganz un- 
bedeutende Strecke rückwärts vom letzten Kiemenbogen. Es ist 
ferner auch durch die grösseren Maße des Lachsembryos absolut 
genommen umfangreicher als bei Siphonostoma. Das Epithel der 
Thymusanlage ist schon vor dem intraepithelialen Auftreten der 
Lymphozyten zweischichtig. Unter den subepithelialen Lympho- 
zyten- und Übergangsformen kommen relativ viele grössere Leuko- 
zyten vor, ohne dass Anhaltspunkte dafür zu gewinnen sind, dass 
sie mehr als ausnahmsweise in das Epithel eindringen. Die Zahl 
der subthymischen Mitosen scheint mir in den etwas späteren 
Stadien verhältnismässig etwas geringer zu sein als bei Sipho- 
nostoma. Die Gefässe dringen verhältnismässig früh in das Organ 
ein (schon um den 95. Tag), jedenfalls aber zu einem Zeitpunkt, 
wo die intrathymischen Lymphozyten schon massenweise vor- 
handen sind. 

Mit diesen Modifikationen in den Einzelheiten erscheint nun 
der histogenetische Vorgang beim Lachs unter genau denselben 
Bildern wie bei Siphonostoma: eine fortschreitende Iymphozytäre 
Infiltration des subthymischen Bindegewebes, eine immer grössere 
Menge von Lymphozyten in der Thymus, die die Epithelien aus- 
einanderdrängen und eine fortschreitende Verdickuug und Ver- 
grösserung des Organs bewirken, eine steigende Menge intra- 
thymischer Mitosen, die hierzu beitragen, und endlich auch hier 
durch hindurchdringende Lymphozyten bedingte Durchbrüche der 
Basalmembran. 

Das Auftreten von Lymphozyten im Epithel scheint vor allem 
oberhalb jedes Kiemenbogens zu’ geschehen, wodurch von Anfang 
an wulstige Verdickungen hier entstehen. Diese Verdickungen 
nehmen von vorn nach hinten an Mächtigkeit zu. Oberhalb und 
hinter dem letzten Kiemenbogen ist sie am frühesten zu finden 
und auch in der Folge am mächtigsten. Dicht an der Basis des 
betretfenden Bogens findet sich auch regelmässig eine besonders 
ins Auge springende Durchtrittspforte der Lymphozyten durch 
die Basalmembran. 

Ich habe nun für Salmo salar dieselben Berechnungen gemacht, 
wie sie oben für Siphonostoma geschildert wurden, also das Ge- 
wicht der Thymusmodelle (hier bei 125 maliger Vergrösserung), die 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 47 


Zahl der subthymischen Leukozyten, die Zahl der intrathymischen 
und der subthymischen Mitosen bestimmt. Diese Bearbeitung ist 
allerdings sowohl durch die grössere Zahl der betreffenden Stadien 
als durch den weit beträchtlicheren Umfang des Thymusgebiets 
nicht unwesentlich mühsamer als bei Siphonostoma. Nimmt doch 
die Bearbeitung einer einzigen Ihymus auf den späteren der 
untersuchten Entwicklungsstufen etwa zwei Tage angestrengter 
Arbeit in Anspruch! Es konnten deshalb nicht bei Salmo Durch- 


1500 m.60 g 


25001. 50 g 


1000 m.40 g 


1500L 30g 


500 m 20g 


5001. l0g 


SL ai 


BT IT GT 7T 
Figur 6. 


Entwicklungskurven von Salmo salar. Bezeichnungen wie in Fig. 5. 


schnittszahlen in Frage kommen, sondern nur Einzelangaben für 
jedes Stadium. 

Bringt man die hierdurch notwendigerweise bedingten Un- 
ebenheiten in Abrechnung, so zeigen die also gewonnenen Kurven 
(Textfig. 6) eine auffällige Analogie mit der der Siphonostoma- 
entwicklung. 

Ohne die oben angeführte Beweisführung im einzelnen wieder- 
zugeben, will ich hier nur in aller Kürze darauf hinweisen, dass 
man betreffs dieser Kurven auf dieselbe Absurdität in der Schluss- 
folgerung stösst, wenn man von der Annahme einer Lymphozyten- 
elimination aus der Thymus als Erklärung der fraglichen Bilder 


4 


[0 0) 


J. Aug. Hammar: 


ausgehen will. Das Organ kann unmöglich in der ersten Zeit 
(bis zum 59. Tage), wo die Mitosen in seinem Innern noch nicht 
zugenommen haben, eine immer grössere Menge von Lymphozyten 
nach dem Bindegewebe eliminieren und dessenungeachtet nicht 
nur nicht abnehmen, sondern sogar anwachsen. Vorbedingung 
hierfür wäre eine starke kompensierende Vergrösserung der zu- 
rückbleibenden Zellen, und hiervon kann auf Grund der Bilder 
weder bei Siphonostoma noch hier die Rede sein. 


Die eingehenden Analysen der Siphonostoma- 
und Salmobilder, während der Periode der Thymus- 
histogenese, welche ich angestellt habe, sprechen 
also einstimmig und entschieden zugunsten der 
Entstehung der Thymuslymphocyten durch Ein- 
wandernung, nicht durch autochthone Umwand- 
lung von Epithelien. Für die letztgenannte Auffassung 
kann wohl die Untersuchung vereinzelter Stadien Anhaltspunkte 
zu geben scheinen, die systematische Durchprüfung naheliegender 
Stadien liefert für sie aber ebensowenig wie für die in der 
Literatur mehrfach auftauchende Auffassung ‘eines völligen Ver- 
schwindens des Epithels der Thymusanlage eine Stütze. 


Ich habe bei früheren Gelegenheiten (1905, 1907) bemerkt, 
dass das damals vorliegende Material die Entscheidung der Frage 
nach der Herkunft der 'Thymuslymphozyten nicht zuliess. Seit- 
dem nun Rudberg (1907) bei der Regeneration nach Röntgen- 
bestrahlung und Jonsson (1908) nach der Hungerinvolution 
unabhängig voneinander Bilder angetroffen, die auf Einwanderung 
hindeuten, und ich hier, wie mir scheint, recht unzweideutige 
Beweise für einen ähnlichen Vorgang bei der Entwicklung der 
Teleostierthymus vorgelegt habe, scheint es mir möglich, eine 
einigermaßen begründete Ansicht in dieser schwierigen Frage, 
und zwar in der Richtung der Einwanderungshypothese, auszu- 
sprechen. Weitere Stützen für diese Ansicht finde ich in den 
Ergebnissen der genauen vergleichenden Untersuchungen von 
Laurell (1908), wonach eine weitgehende morphologische Ähn- 
lichkeit zwischen den Lymphozyten des echten Iymphoiden Gewebes 
und des Blutes einerseits und den gleichgenannten Zellen der 
Thymus andererseits besteht. Endlich ist diesbezüglich daran zu 
erinnern, dass Maximow (1907) sich auf Grund von Beobach- 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 49 


tungen bei der Entwieklung der Kaninchenthymus entschieden 
für eine Einwanderung unlängst ausgesprochen hat. 

Gegenüber den hier angeführten Tatsachen können die 
Äusserungen nicht schwer wiegen, die in der letzten Zeit Stöhr 
(1906) und Cheval (1908) zugunsten eines autochthonen Ent- 
stehens der Thymuslymphozyten getan haben, indem sie, wie ich 
schon früher (1907) für den erstgenannten Autor nachgewiesen 
zu haben glaube, auf einem ofienbaren Übersehen des normalen 
Vorkommens des Retikulums als einer epithelialen Komponente 
im Thymusparenchym beruhen. 

Weit schwieriger zu erklären sind gewisse von den meinigen 
stark abweichende Angaben über die Thymusentwicklung bei den 
Teleostiern, die sich in der Literatur finden. Versichern doch 
Nusbaum und Prymak (1901), dass in der kritischen Periode 
Teilungsbilder in den Iymphoiden Zellen der Thymus gänzlich 
fehlen, und dass in derselben Periode kein einziger Leukozyt in 
dem lockeren subepithelialen Gewebe zu finden war. Dagegen 
fanden sie Bilder, die darauf hindeuteten, dass die Lymphozyten 
durch eine mit Auflockerung und endlicher Lostrennung verbundene 
Vermehrung und Verkleinerung der epithelialen Zellen entständen. 

Bei der Prüfung der für den letzteren Vorgang von den 
Autoren gegebenen Bilder glaube ich in ihnen die Wirkungen 
der verwendeten Sublimatfixierungen feststellen zu können. Es 
liegen dieselben partiellen Verklebungen der Lymphozyten mit 
den Retikulumzellen und dieselbe Hervorbringung scheinbar ver- 
zweigter Lymphozyten vor, wie ich sie bei einer anderen Gelegen- 
heit (1907) als irreleitende Artefakte der Sublimatfixierung ge- 
schildert habe. Auf die hierdurch entstandene Schwierigkeit zu 
entscheiden, was Retikulumzellen, was Lymphozyten sind, lässt sich 
vielleicht auch die Angabe des Nichtvorhandenseins von Lympho- 
zytenteilungen zurückführen. Der Mangel aller subthymischen 
Leukozyten bleibt mir jedenfalls ganz unerklärlich und dies um 
so mehr, als durch diese Angabe eben dem subthymischen Binde- 
gewebe eine Sonderstellung angewiesen worden ist. Solche Zellen 
sind nämlich meiner Erfahrung nach stets im lockeren Binde- 
gewebe der Teleostier zu finden, obgleich nicht in derselben grossen 
Zahl wie im Thymusgebiet. 

Es erübrigt noch, die von Maurer bei der Forelle be- 


schriebenen und von Nusbaum und Prymak in ihrem Vor- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 4 


50 J. Auge Hammer: 


kommen bestätigten Thymusknospen zu besprechen. Es gelingt 
auch an Sagittalschnitten vom Lachs unschwer, Bilder zu finden, 
die der Fig. 10 Maurers (1886) entsprechen und die das Vor- 
handensein solcher dorsalen knospenförmigen Verdickungen des 
Kiemenspaltenepithels zu beweisen scheinen. Die von Maurer 
beschriebene kleinzelligere Beschaffenheit der Knospen lässt sich 
auch wiederfinden, nur ist sowohl die Verdiekung wie die Klein- 
zelligkeit bei näherem Zusehen nicht ganz dorsal gelegen, wie die 
Fig. 14 und 14a der angeführten Arbeit Maurers ihre Lage 
zeigen; die Knospe erweist sich nämlich bei stärkeren Vergrösse- 
rungen als aus zwei Epithelblättern bestehend, die eine direkte 
dorsale Fortsetzung des Kiemenspaltenepithels darstellen. Es ist 
ausschliesslich das kaudale dieser Blätter, welches verdickt ist. 
An @Querschnitten sind die fraglichen Bilder nicht mit derselben 
Deutlichkeit wiederzufinden, und an Plattenrekonstruktionen nach 
Born findet man sie nicht mehr als Knospen wieder. Sie stellen 
sich als schwache wulstige Verdickungen der kaudalen Epithel- 
bekleidung der Kiemenspalte, dicht an ihrem dorsalen Ende, dar. 
Die kleinzellige Beschaffenheit scheint im ersten Stadium, wo 
Lymphozyten noch nicht in dem Epithel aufgetreten sind, durch 
die Stellung der Epithelien, die bei den Sagittalschnitten nicht 
längs-, sondern mehr quergeschnitten werden, bedingt zu sein. 
In früheren Stadien liegen die Kiemenbogen einander so dicht 
an, dass die Kiemenspalten in ihrem dorsalen Teil eigentlich nur 
virtuell — als Epithelduplikaturen — vorhanden sind. Wenn 
später die Bogen auseinander weichen und offene Kiemenspalten 
entstehen, trennen sich die epithelialen Flächen auch im Bereiche 
der „Knospen“, und die Verdickungen treten dann mit noch 
grösserer Deutlichkeit als der kaudalen (später der kaudo-medialen) 
Wand der Kiemenspalte angehörig auf. 

Das ganze Organ gehört jedenfalls niemals — auch in den 
frühesten Stadien nicht — zu diesen Knospen. Von ihrer ersten 
Anlegung an liegt die grössere Masse des Parenchyms epi- und 
retrobranchial, und die aus den „Knospen“ hervorgehenden 
Wülste bilden lediglich die schon oben (pag. 10) beschriebenen 
Verlängerungen auf das Kiemenspaltenepithel. Von diesem Ver- 
hältnis abgesehen sind die sachlichen Divergenzen zwischen 
Maurer und mir in diesem Punkte, wie man sieht, nicht allzu 
gross. Nichtsdestoweniger scheint es mir zweifelhaft, ob man 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 51 


berechtigt ist, von einer Beteiligung wirklicher, knospenförmiger 
Thymusanlagen an der Thymusbildung beim Lachs zu sprechen, 
eine Auffassung, zu welcher die segmentale Beschaftenheit des 
ausgebildeten Organs einigermaßen einladet, oder ob es auch 
hier sich lediglich nur um eine direkte Umwandlung des Ober- 
flächenepithels zur Thymus handelt; der Prozess sollte sich dann 
nur durch sein Übergreifen auf mehr ventrale Gebiete und die 
dadurch bedingte mehr zufällige Segmentierung des Organs von 
dem bei Siphonostoma unterscheiden. Die Entscheidung zwischen 
diesen beiden Auffassungen zu treffen, scheint mir erst bei einer 
weit über die wenigen bisher untersuchten Spezies erweiterten 
Erfahrung betreffs der Thymusentwicklung der Teleostier möglich 
zu sein. 


5. Die Altersinvolution. 


Das Vorkommen einer Thymusinvolution bei den Fischen ist schon 
Stannius (1854) nicht unbekannt gewesen. Es heisst bei ihm u.a. (pag. 256): 
„Auch dies Organ scheint seine Evolutions- und Involutionszeiten zu haben. 
Bei einem im Winter untersuchten sehr grossen Gadus morrhua (einem 
weiter entwickelten Dorsch) fand ich es kleiner als beim Dorsch als 
zylindrischen Strang, voll Pigment fast ohne Höhle.“ 

Eine eingehendere Untersuchung des Involutionsverlaufs scheint indessen 
erst von Maurer (1886) ausgeführt worden zu sein. Er hebt hervor, dass 
das Organ seine mächtigste Ausbildung bei „halbwüchsigen“ Fischen besitzt, 
z. B. bei Forellen von 12—15 cm Körperlänge. Bei grösseren Fischen ver- 
misste er das Organ sogar gänzlich. So hatte die grösste Forelle, bei 
welcher er die Thymus fand, und zwar als ein oval-linsenförmiges Knötchen 
mit leicht höckeriger Oberfläche, eine Körperlänge von 25 cm. 

Bei ganz grossen Individuen von Karpfen, Barben und Gadus fehlte 
sie auch. Bei Hechten von 35—40 cm Körperlänge war sie verkleinert und 
bestand aus einem kleinen, unbedeutenden Knötchen; bei noch grösseren 
Exemplaren war das Organ nicht nachweisbar. Bei einem alten Exemplare 
von Rhodeus war das Organ zu einem dünnen Zellstrang reduziert und bei 
grossen Exemplaren von Gasterosteus konnte er eine eingetretene Stielung 
des Organs gegen das Oberflächenepithel als Altersphänomen feststellen. 

Histologisch stellte sich der Involutionsprozess als eine Verödung, eine 
Nekrobiose der Follikel dar. Die Zellen der Follikel erleiden eine Rück- 
bildung, „indem ihre Kerne sich teilen oder in fast punktförmige Gebilde 
zerfallen. Letztere sammeln sich im Zentrum der einzelnen Follikel, und 
es entsteht hier unter Einschmelzung des retikulären Bindegewebes eine 
Erweichungshöhle, die mit dem aus genannten Körnchen hervorgegangenen 
molekulären Detritus gefüllt ist. Indem die Kavernen der einzelnen Follikel 
grösser werden, verschmelzen sie miteinander, und es entsteht in der 
Thymus eine buchtige Höhle, mit körnigen Zellresten gefüllt. Unter 

4* 


52 I). An 2. Hammer: 


Resorption ihres Inhaltes verschwindet diese Höhle und das ganze Orgam 
wird zurückgebildet“ (pag. 171). Während des Verlaufes dieses Verödungs- 
prozesses finden sich Zerfallsprodukte der Kerne auch zwischen den Zellen 
„des die Thymus nach der Kiemenhöhle abschliessenden Epithels“ eingelagert 
und an die freie Oberfläche gelangend, werden sie in die Kiemenhöhle 
ausgestossen. 

Wie schon oben angeführt, fand Schaffer (1895), dass die Thymus- 
bei Lophius piscatorius entgegen den von Maurer für andere Knochen- 
fische gelieferten Angaben eine mit dem Wachstum des Tieres fortschreitende 
Grössenzunahme zeigt. So maß die Thymus bei einem Tiere von 8!/» cm 
Körperlänge 3 mm, bei einem von 33 cm Länge 15 mm und bei dem grössten 
Exemplare von 112 cm Länge 35 mm. Strukturverschiedenheiten werden für 
verschiedene Grössen nicht angegeben. 

Im Gegensatz zu seinem früheren Ausspruch äussert sich Maurer 
(1899) dahin, dass der Rückbildungsprozess auch bei alten Teleostiern nicht 
zum völligen Schwund des Organs führt. In seiner letzten Veröffentlichung 
(1902). spricht er ganz unbestimmt von einer allmählichen Rückbildung. 


Prymak (1902) fand bei verschiedenen Spezies verschiedene Ver- 
hältnisse. „Bei dem Cyprinus carpio von den Süsswasserteleostiern und bei 
den Corvinus niger (Triglidae) und Stromateus fiatola (Scomberidae) von den 
marinen Knochenfischen haben wir mit der fortschreitenden Grösse und 
Alter der betreffenden Stadien ein fortschreitendes Wachstum der Thymus- 
gesehen: bei den grösseren, beinahe erwachsenen Individuen war auch die 
Thymusdrüse grösser, obzwar die drei erwähnten Arten als Ausnahme in 
dieser Beziehung betrachtet werden können: denn sonst bei allen übrigen 
von uns untersuchten Fischen liess sich immer ein ungerades Verhältnis der 
Grösse der Thymus zu derselben des Individuums konstatieren. Die Involution 
der Thymus bei diesen Vertebraten findet auf jeden Fall statt, obwuhl 
verhältnismässig viel später, als dies bei den Säugetieren geschieht.“ 

Welche Grössen der zuerst genannten Arten der Autor als „beinahe- 
vollkommen erwachsen“ betrachtet, geht leider aus seiner Darstellung‘ 
nicht hervor. 

Mikroskopisch soll sich die Altersinvolution der Teleostierthymus 
kennzeichnen durch die Entstehung von intraparenchymatösen leeren oder 
mit feinkörniger Substanz gefüllten Hohlräumen und durch die Bildung von 
konzentrischen Körperchen. Die Hohlräume sollen entstehen durch die 
Auswanderung der Lymphozyten und durch ihre Umwandlung in rote Blut- 
körperchen. Die konzentrischen Körperchen erscheinen als ein spezifischer 
Charakterzug der Thymusinvolution, und zwar sollen sie durch obliterierende 
Gefässe gebildet werden. Zu Ende der Imvolution sollen diese Gebilde 
gänzlich schwinden, wahrscheinlich durch eine körnige Degeneration. 


Auch die roten Blutkörperchen sollen eine sehr wichtige Rolle im 
Involutionsprozess spielen, indem die Iymphoiden Zellen sich zur Zeit der 
Altersinvolution massenhaft in rote Blutkörperchen, und zwar vorzugsweise 
in der Rinde, umwandeln sollen. Die also gebildeten roten Blutkörperchen 
gehen meistenteils zugrunde. Die Mehrzahl unterliegt einer körnigen 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 53 


Degeneration und bildet grosse Massen von Detrituskörnchen, andere 
schwellen, fliessen zusammen und bilden Anhäufungen von Pigment. 

Wie bei den sonstigen darauf hin untersuchten Vertebraten 
kommt die Altersinvolution der Thymus der Teleostier vor allem 
in einer Rarefizierung und Verkleinerung sowohl der Rinde als 
des ganzen Parenchyms und in einer damit zusammenhängenden 
Umgestaltung des allgemeinen Aussehens des Organs zum Aus- 
druck. Die folgende diesbezügliche Beschreibung nimmt vorzugs- 
weise auf den linsenförmigen Thymustypus Bezug, da es haupt- 
sächlich Material dieses Typus war, das mir von älteren Tieren 
zur Verfügung stand. 

Indem die Rindenschicht verdünnt wird, gewinnt sowohl die 
Randschicht wie das Mark an Umfang, und im Zentrum des Organs, 
wo die Rinde meistens von Anfang an am dünnsten ist, schwindet 
sie bald gänzlich. Hier begegnen sich Randschicht und Mark 
direkt. Ein zentraler Vertikalschnitt zeigt, wie die Rinde nur 
auf die Randpartien des Organs beschränkt ist. Dieser kortikale 
Ring nun wird mit dem Fortschreiten des Involutionsprozesses 
immer dünner. 

Bei gewissen Formen, wie z.B. bei Labrus, ist die Alters- 
involution während einer längeren Zeit durch die angedeutete 
Topographie des Thymusdurchschnittes gekennzeichnet. Bei anderen, 
z.B. bei Esox, habe ich sie nicht wiedergefunden; es scheint mir 
aber nicht unmöglich, dass sie zwar vorkommt, aber von kürzerer 
Dauer ist. 

Als Charakteristikum der Altersinvolution lässt sich dieser 
zentrale Rindenschwund allerdings nicht bezeichnen. Auch in 
früheren Stadien der aceidentellen Involution, wo die Rinde nur 
erst wenig reduziert ist, ist sie zu sehen, wie unten näher an- 
‚gegeben werden soll. 

Die Reduktion der Rinde wird zu grossem Teil durch eine 
Rarefizierung der Lymphozyten bewirkt; wo das Rindenretikulum 
hierdurch in grösserem Maße blossgelegt worden ist, legen sich 
seine Zellen dichter aneinander und treten nunmehr nicht als 
‚der Rinde, sondern als der Randschicht, bezw. dem Mark angehörig 
hervor, mit anderen Worten, die genannten Schichten gewinnen 
an Umfang auf Kosten der Rinde. Auch in den übrig gebliebenen 
Rindengebieten sind die Lymphozyten meistens spärlicher vor- 
handen, das Retikulum tritt deutlicher als früher hervor. Zur 


54 J. Aug. Hammer: 


Verkleinerung der Rinden tragen aber auch wirkliche degenerative 
Prozesse bei, an welchen auch Zellen des Retikulums beteiligt 
sind. Ich komme auf sie weiter unten zurück. 

Dies alles wirkt nun zusammen, um das Organ sowohl an 
Umfang wie an Dicke zu verkleinern. Wo die Verdünnung etwas 
weiter fortgeschrittten ist, ist meistens eine typische Rinde nicht 
mehr zu sehen. Dagegen nimmt eine diffuse Lymphozyten- 
infiltration den tieferen Teil des Parenchyms ein, der nicht nur 
dem früheren Mark, sondern auch dem angrenzenden Abschnitt 
der Rinde zu entsprechen scheint. Diese mit Lymphozyten durch- 
setzte Partie gewinnt ein rindenähnliches Aussehen noch mehr 
dadurch, dass die Hypertrophie der Markzellen nicht selten gleich- 
zeitig bedeutend zurücktritt. Die myoiden Zellen werden meistens. 
ganz spärlich oder schwinden gänzlich (ausnahmslos geschieht dies 
aber nicht; auch während der Altersinvolution kann man einzelne 
Individuen finden, wo solche Zellen recht zahlreich vorhanden. 
sind). Auch die sonstigen Zellen des Markes werden kleiner, und. 
weniger augenfällig. Mitunter bilden sie sogar nicht mehr einen: 
zusammenhängenden Verband; nur einzelliegende grössere Zellen: 
in einer Umgebung kleinerer Formen markieren dann dem auf- 
merksamen Auge das Gebiet des ursprünglichen Markes. 

Auf den hier beschriebenen Verhältnissen beruht es, dass 
man, bei gewissen Spezies schon relativ früh, bei anderen später,. 
Stadien antrifft, wo das Parenchym auf den ersten Blick hin 
lediglich aus Randschicht und Rinde zu bestehen scheint. Die 
rindenähnliche Partie ist dann allerdings bedeutend ärmer an 
Lymphozyten als die typische Rinde, und in ihrem tiefsten Teil 
lassen sich, wie gesagt, Markreste wiederfinden. 

Noch eigentümlicher wird das Bild, wenn, wie ich z. B. bei 
Esox gefunden habe, der oberflächliche Teil der Randschicht durch 
seinen Reichtum an Schleimzellen von dem tieferen absticht, wo 
die Zellen mehr protoplasmatisch aussehen und in epithelialer 
Z/usammenfügung liegen. Man bekommt dann fast den Eindruck, 
als wäre dies das Mark und die Reihenfolge von Mark und Rinde 
also umgekehrt wie früher. 

Dies Spätstadium der Altersinvolution der Teleostierthymus 
hat auch bei den übrigen Wirbeltieren ihr Gegenstück. So z. B. 
beim Menschen, wo im Greisenalter die Rinde ganz verschwunden, 
das übrig gebliebene Mark aber ‘mit Lymphozyten recht reichlich 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 55 


durchsetzt werden kann. Nur wird das betreffende Stadium bei 
den Teleostiern durch verhältnismässig weit längere Dauer und 
durch grössere Stärke der Infiltration augenfälliger als bei den 
Säugern. 

Die hier beschriebenen gröberen Umgestaltungen des Paren- 
chyms werden, wie schon gesagt, in nicht unbedeutendem Grade 
durch Rarefizierung der Thymuslymphozyten bewirkt. 
Diese verlassen das Organ in grösserer Menge als früher, und 
gleichzeitig dürfte ihre intraparenchymatöse Vermehrung durch 
Teilung herabgesetzt sein, obwohl ein sicheres Urteil hierüber 
schwer ist, in Anbetracht der schon früher vorkommenden grossen 
Variationen in der Mitosenzahl. Im subthymischen Bindegewebe 
findet man häufig eine vermehrte Menge von Lymphozyten, obwohl 
es in der Natur der Sache liegt, dass diese sich über längere 
Zeit hinziehende Involution nicht dieselben prägnanten Bilder 
hervorruft, wie die meistens akut verlaufende accidentelle. 


Die in einzelnen Zellen oder Zellengruppen des Parenchyms 
vorkommenden degenerativen Veränderungen tragen wesentlich 
dazu bei, das Bild der Altersthymus zu einem vielfach wechseln- 
den und interessanten zu machen. Sie betreffen in nicht unerheb- 
lichem Grade auch die Zellen des Retikulums und sind zum grossen 
Teil von derselben Art, wie sie für die höheren Vertebraten von 
mir früher geschildert worden ist. 


Fast regelmässig kommen Gruppen von grobkörnigen 
Zellen vor. Sie liegen am häufigsten in der Nähe der Binde- 
gewebsgrenze, sind aber nicht selten oberflächlicher bis dicht an 
der freien Oberfläche des Organs anzutreffen. Sie ähneln teil- 
weise den für die höheren Vertebraten beschriebenen Degene- 
rationsformen der Retikulumzellen recht genau. Die Körnchen 
sind ziemlich gleichgross, sphärisch und nehmen durch Osmium- 
mischungen eine graue Farbe an. Bei den übrigen Färbungen 
bleiben sie entweder ungefärbt (Bendafärbung), oder nehmen sie den 
sauren Farbstoff auf (bei Malloryfärbung gelb, bei Hämatoxylin- 
Eosinfärbung rot). Die Zellen liegen bald mehr zerstreut und 
zeigen dann eine rundliche Form und die Dimensionen grösserer 
Leukozyten, bald liegen sie dicht zusammengedrängt und bilden 
dann bisweilen ganz umfangreiche Ballen fast synzytialen Aus- 
sehens und ohne hervortretende Zellgrenzen. 


[| 
& 


J. Anu’s aHrarmımarı: 


Wenn man die rundlichen freiliegenden Zellen untersucht, 
zeigen sie eine recht grosse Ähnlichkeit mit Leukozyten. Es ist 
aber gewöhnlich nicht schwer, Stellen ausfindig zu machen, wo 
diese Zellenformen in Entstehung begriffen ist. Man findet 
dann meistens in der Peripherie der Gruppe Zellen mit spär- 
licheren Körnchen und von ästiger Form, welche einen deutlichen 
Zusammenhang mit dem Retikulum zeigen, Bilder die angeben, 
dass diese Körnchenzellen aus Retikulumzellen hervorgehen; in 
dem Maße, wie sie sich mit Körnchen erfüllen, nehmen sie eine 
sphärische Gestalt an und verlieren ihre Fortsätze. 

Man kann nun recht häufig Bilder antreffen, die in betreff 
der Form, der Lage und der Beziehungen der Zellen mit den 
hier beschriebenen nahe übereinstimmen, sich aber durch eine 
etwas abweichende Färbbarkeit der Körnchen von diesen unter- 
scheiden (Taf. III, Fig. 32). Die Körnchen sind schwach basophil 
und färben sich nachMallory schwach blau mit etwas schmutzigem 
Anstrich. Mit Osmium behandelt, scheinen sie ungefärbt zu bleiben. 
Ob diese Bilder eine verschiedene Degenerationsform bedeuten, 
oder ob sie nur als mehr zufällige Modifikation der früher be- 
schriebenen anzusehen sind, muss vorläufig dahingestellt bleiben. 

Diese Anhäufungen oder Ballen von Körnchenzellen der einen 
oder anderen Art liegen nicht selten ganz frei im Parenchym, 
und um sie herum haben dann die intakten Retikulumzellen eine 
geschlossene Reihe mehr oder weniger epithelartigen Charakters 
gebildet. Der Ballen zeigt häufig Anzeichen eines Zerfalles, und 
es ist leicht zu sehen, dass hierbei eine epithelbekleidete Zyste 
sich an seiner Stelle herausbilden kann. 

Solche Zysten wechselnden Inhalts sind nun recht gewöhn- 
liche Vorkommnisse in der altersinvolvierten Teleostier-Thymus. 
Am grössten habe ich sie bei einigen grösseren Exemplaren von 
Aspius alburnus und Leueiseus rutilus gefunden, wo fast der ganze 
Thymuszapfen von ihr eingenommen und das Parenchym zu einer 
ganz dünnen oberflächlichen Schicht reduziert war. Offenbar sind 
es solche Bilder, die frühere Untersucher bewogen haben, diese 
Zystenbildung in den Mittelpunkt des normalen Involutionsprozesses 
zu stellen, was für viele Fälle gar nicht zutrifft. Die Reduktion 
des Parenchyms kann sich auch ohne jede auffallende Zystenbildung 
vollziehen, und eine durch Sequesterbildung bewirkte Verödung 
der Rinde, wie sie Maurer beschreibt, kann freilich vorkommen, 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 57 


darf aber durchaus nicht als die regelmässige Art ihres Schwindens 
angesehen werden. 

Nicht immer geschieht die Zystenbildung durch den Zerfall 
solcher Anhäufungen von Körnchenzellen. Die Bildung wirklicher 
Sequester, wo Retikulumzellen und Lymphozyten gleichzeitig der 
Degeneration anheimfallen, kommt hier wie schon vor der eigent- 
lichen Involutionsperiode vor; auch Distensionszysten der oben 
beschriebenen Art sind zu finden. Das Endprodukt, die Zysten 
selbst, ist auch hier ein ähnliches, der Bildungsprozess mag der 
eine oder der andere gewesen sein; der Bau der Zystenwand ist 
auch derselbe wie vor der Involution; nur durch ihre oftmals 
beträchtlichere Grösse weichen sie von den früher vorhandenen 
3ildungen ab. 

Schon in den oben beschriebenen Anhäufungen von Körnchen- 
zellen kommen häufig vereinzelte Pigmentzellen vor. Daneben 
sieht man aber spärliche Gebilde, die den Namen von Pigment- 
ballen verdienen, d. h. grössere oder kleinere rundliche Klumpen, 
die nicht selten mit Pigmentkörnchen so reichlich durchsetzt 
sind, dass man nur ausnahmsweise einen Kern oder mehrere 
wahrnehmen kann. Schon vor dem Involutionsstadium sieht man 
regelmässig spärliche verästelte oder rundliche Pigmentzellen, und 
zwar nicht nur im perivaskulären Bindegewebe, sondern auch im 
Parenchym selbst. Es scheint mir am nächsten zu liegen, anzu- 
nehmen, dass die Pigmentballen aus dem Zerfall dieser Pigment- 
zellen hervorgehen, manchmal etwa so, dass die Zerfallsprodukte 
von Retikulumzellen sekundär aufgenommen werden und sich in 
letzteren Zellen anhäufen. Aus dem Zerfall der Pigmentballen 
endlich scheinen die relativ häufig vorkommenden Zysten pigmen- 
tierten Inhalts hervorzugehen. 

Auch das in den Gefässkanälchen befindliche perivaskuläre 
3indegewebe erfährt im Laufe der Altersinvolution mehr oder 
weniger durchgreifende Veränderungen. Wie schon oben ange- 
geben, entbehren auf jüngeren Altersstufen die Gefässe in ihrem 
oberflächlichen intraparenchymatösen Verlaufe häufig solches peri- 
vaskuläre Bindegewebe ganz und gar. Dies ändert sich aber 
in der Regel, schon ehe die Altersinvolution angefangen hat, so 
dass die fraglichen Gefässe mit einer kontinuierlichen Bindegewebs- 
hülle versehen, in die Periode der Altersinvolution eintreten. 
Während der letztgenannten Periode nimmt nun das Bindegewebe 


58 J. Aug. Hammar: 


in den oberflächlich gelegenen Kanälchen mancherorts eine ausser- 
ordentlich voluminöse Beschaffenheit an. Gleichzeitig wird das 
Gewebe zellenärmer, homogener und durchsichtiger. Bisweilen 
scheint diese homogene Beschaffenheit auf die peripheren Binde- 
gewebsschichten der Kanälchen beschränkt, welche sich dann wie 
eine ungemein dicke Basalmembran ausnehmen (Taf. II, Fig.'25 
bis 27). In anderen Fällen zeigt das perivaskuläre Bindegewebe 
streckenweise durch und durch eine derartige homogene Be- 
schaffenheit. und man bekommt dann den Eindruck einer Art 
hyaliner Degeneration. An solchen Stellen erscheinen auch die 
Gefässe verändert, dünner und mit engerer Lichtung. 

Indem sich diese Verdickung und Umwandlung meistens auf 
kürzere Strecken der Gefässkanälchen beschränkt, gewinnen diese 
Partien den schmäleren Kanälchenstrecken gegenüber eine gewisse 
Selbständigkeit, so dass sie in den Schnitten sogar den Eindruck 
ganz isolierter Bildungen erwecken können. 

Dass eine wirkliche Abschnürung der Gefässkanälchen zu- 
stande kommt, davon habe ich mich niemals überzeugen können. 
Damit mag es sich jedoch verhalten wie es wolle, soviel ist sicher, 
dass die so entstandenen bindegewebigen Gebilde mit den wirk- 
lichen aus dem Thymusretikulum herstammenden epithelialen 
Körperchen nichts anderes gemein haben, als unter Umständen 
die konzentrische Struktur. Der Versuch von Prymak (1902), 
die konzentrischen Körperchen der Teleostier aus obliterierenden 
Kapillaren und kleinen Blutgefässen herzuleiten, beruht auf einer 
Verwechslung bindegewebiger, und epithelialer Elemente, die zu 
der Zeit, wo Afanassiew (1877) seine gleichartige Ansicht aus- 
sprach, leicht erklärlich war, aber mit Hülfe der Bindegewebs- 
färbungen einer neueren Zeit leicht zu vermeiden ist. 

Bei ein paar grösseren Exemplaren von Labrus rupestris 
(120 resp. 125 mm Länge) habe ich im Bindegewebe eines tief 
in das Parenchym eingedrungenen Gefässkanälchens eine sonderbare 
Differenzierung angetroffen. Bei dem einen Tier fand sich nämlich 
an zwei, beim anderen an einer Stelle ein rundliches bezw. stäbchen- 
formiges Stückchen hyalinen Knorpels. Der Knorpel erstreckte 
sich nicht ausserhalb des Thymusgebiets, sondern lag ganz insel- 
föormig im perivaskulären Bindegewebe eingebettet (Taf. III, Fig. 26); 
die Gefässe, die hier ganz dünn waren, gingen exzentrisch an 
ihm vorbei. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 59 


Obwohl ich diesen bizarren Befund nur in den genannten 
zwei Stadien angetroffen habe, und streng genommen zwingende 
Gründe für seine Deutung als Involutionsphänomen nicht vorliegen, 
bin ich vorläufig doch geneigt, in ihm eine Abart der im Alter 


10mm. 20 30 40 50 60 70 80 9 m 10 10 130 10 150 160 mm. 


sich vollziehenden sekundären ‚Umwandlung des perivaskulären 
Bindegewebes der Thymus zu sehen. 

Bei dem allmählichen Beginn und den undeutlichen Kenn- 
zeichen der ersten Stadien der Altersinvolution schien es mir für 
eine nähere Feststellung des Zeitpunktes der beginnenden Invo- 
lution von Interesse, die relativen Gewichtswerte des Organs zu 


30 g 


ei 1 
‚BERFEREBIANTER 
10mm.2 30 40 50 80 90 Im 10 120 130 140 mm 


=“ igur 8. 


prüfen. Ich habe deshalb von Cyprinus, Gobius, Labrus und Sipho- 
nostoma je eine Reihe verschiedener Grössenstufen durch Platten- 
rekonstruktion in einheitlichem Maßstabe untersucht und die 
Modelle gewogen. Die Ergebnisse finden sich in den Text- 
figuren 7—10 zusammengestellt. Da es sich ja lediglich um Einzel- 


60 I. Aug Hama: 


wägungen, nicht um Mittelwerte handelt, habe ich absichtlich es 
unterlassen den graphischen Darstellungen die Form der Kurven 
zu verleihen. | 

Die grösste Massenentfaltung der Thymus des Labrus 
rupestris liegt, nach den vorliegenden Wägungen zu urteilen, 


Imm.20 3 4 50 % 20 80 mm. 


Figur 9. 


5nmm. 0 9 10 10 10 10 190 20 230 250mm. 
Figur 10. 


etwa bei 100 mm Länge (Textfig. 7, die ausgefüllten Säulen). 
Durch mikroskopische Untersuchung des Spermas auf bewegungs- 
fähige Spermen und unter Berücksichtigung der Grösse der Eier- 
stockseier habe ich den Zeitpunkt der Geschlechtsreife zu be- 
stimmen gesucht. Die kleinsten Exemplare, für welche ich die 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 68 


Reife solchermaßen feststellen konnte, waren 102 und 105 mm 
lang. Hier zeigen sich meine Beobachtnngen also in recht guter 
Übereinstimmung mit der für höhere Vertebraten festgestellten 
Verknüpfung der normalen Rückbildung der Thymus mit der 
eintretenden Geschlechtsreife.') 

Für Gobius niger verlegt die Textfig. S die höchste Ent- 
faltung der Thymus auf 110 mm Körperlänge, während meine 
Anzeichnungen schon bei 90 mm Länge eingetretene Greschlechts- 
reife angeben. Die Übereinstimmung ist also hier eine weniger 
präzise. 

Was CGyprinus carassius (Textfig. 9) betrifft, sind die 
Angaben über die Zeit der Geschlechtsreife recht unbestimmt: 
sie soll allerdings „früh“ auftreten, die betreffende Grösse des 
Tieres dürfte wohl nicht unwesentlich vom Fundort abhängig 
sein. Mein (in ganz kleinen Teichen eingesammeltes) Material 
weist auf einen Eintritt der Thymusinvolution bei einer Grösse von 
62—84 mm hin. Ein Ausbleiben der Altersinvolution, wie es 
Prymak behauptet, kann entschieden verneint werden. 

Für Siphonostoma typhle (Textfig. 10) standen mir 
eigene Beobachtungen in betreff der Reife nicht zur Verfügung. 
Gewisse Literaturangaben (Liljeborg 1859—91, p.453) scheinen 
anzudeuten, dass die Geschlechtsreife etwa bei einer Körpergrösse 
von 120— 130 mm eintritt. Die grösste der untersuchten Thymus- 
drüsen gehört zu einer Körpergrösse von 180 mm, die nächst- 
grösste zu einer von 150 mm, in beiden Fällen also Grössen, 
die nicht unbedeutend die für die (Greschlechtsreife angegebene 
(Grösse übersteigen?). Die gewonnenen Werte wechseln aber so 
stark, dass die Bedeutung der Einzelwägungen für die Entscheidung 
der Frage hier recht problematisch erscheint. 

Bei Zoarces viviparus habe ich nicht Serien geschnitten 
und auch nicht Rekonstruktionen gemacht. Die histologische Struktur 
erlaubt aber hier, den Anfang der Altersinvolution mit ziemlicher 
Sicherheit auf die Körperlänge 145 mm zu verlegen. Die kleinsten 
Individuen, für welche ich beim Einfangen Geschlechtsreife fest- 

') Die Erfahrungen von Söderlund und Backman (1908) scheinen aller- 
dings darauf hinzuweisen, dass bei Kaninchen schon die Vorbereitungen 
der Spermiogenese hierbei von entscheidender Bedeutung seien. 

?) Malm (1874, pag. 21) findet allerdings das Marsupium des Männchens 
erst bei einer Körpergrösse von 150 mm völlig entwickelt. 


52 J. Aug. Hammar: 


gestellt habe, sind von resp. 130 und 145 mm Länge, während 
andererseits für andere Individuen von 145, 150, 160 und 175 mm 
Länge (und zwar sowohl 2 wie 8) vermerkt worden ist, dass sie in 
Reifung begriffen waren; nach Smitt (1892—95) soll man die 
“eschlechtsreife bei Individuen von 150 mm Länge festgestellt 
haben. 

Überhaupt liegt es auf der Hand, dass, solange man mit 
Einzelfällen und nicht mit hinreichend begründeten Durchschnitts- 
zahlen operiert, ganz exakte Angaben über die Zeit der be- 
ginnenden Altersinvolution nicht zu erreichen sind. Soviel geht 
allerdings aus dem Obigen hervor, dass diese Involution auch 
bei den Teleostiern erst in einem relativ späten Stadium, und 
zwar um die Zeit der Geschlechtsreife herum, ihren Anfang nimmt. 
Die vorliegenden Daten scheinen eher auf einen Zeitpunkt gleich 
nach der Geschlechtsreife zu zeigen, als auf einen vor derselben; 
die Feststellung der genauen Zeitrelation zwischen den beiden 
Prozessen muss allerdings späteren Untersuchungen vorbehalten 
bleiben. 


6. Einiges über die accidentelle Involution. 


Endlich habe ich über einige orientierende Versuche zu 
berichten, die ich angestellt habe, um zu prüfen, inwiefern die 
Empfindlichkeit gegen Ernährungsstörungen, die der 'Thymus 
überall, wo sie geprüft worden, eignet, auch bei den Teleostiern 
zu finden ist. 

Ich habe für diesen Zweck eine Anzahl von Labrus ver- 
schiedener Grösse im Aquarium ohne Fütterung gehalten und sie 
nach 25 und 31 Tagen getötet. Die Gewichte der nach diesen 
Hungertieren und zwar in derselben Vergrösserung wie für die 
neueingefangenen, angefertigten Modelle habe ich als unausgefüllten 
Säulen in die Textfig. 7 eingetragen. Ein Blick auf dieselben 
lehrt, dass die Thymus der Hungertiere hinter der des normalen 
Tieres von derselben Grösse ausnahmslos zurücksteht, und zwar 
geht die Verkleinerung bis zu '/s des normalen Wertes. 

Die mikroskopische Untersuchung lehrt, in grösster Kürze 
gesagt, dass eine bedeutende Reduktion der Rinde stattgefunden 
hat. Die Rinde ist vorzugsweise auf die Peripherie des Organs 
beschränkt, in der Mitte fehlt sie entweder gänzlich oder ist sie 
zu einer Reihe kleiner Flecke reduziert. Gleichzeitig ist das Mark 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 63 


manchmal mit Lymphozyten bedeutend stärker durchsetzt als 
normalerweise, also, wie ersichtlich, dieselben Hauptzüge, welche 
die früheren Stadien der Hungerinvolution z. B. bei Kaninchen 
und Frosch auszeichnen. 

Die Rarefizierung der Lymphozyten im Parenchym geschieht 
ottenbar auch hier durch Herabsetzung der Zahl der Mitosen und 
durch vermehrte Auswanderung; letztere kommt in einer grösseren 
Lymphozytenmenge im subthymischen Bindegewebe zu auffallen- 
dem Ausdruck. Anzeichen dafür, dass die Auswanderung nach 
der Kiemenhöhle stattfinden sollte, habe ich auch unter diesen 
Verhältnissen nicht gefunden. 


Rückblick auf die Hauptergebnisse. 


Wie ersichtlich, ist das Studium der Teleostierthymus ge- 
eignet, mehrere Kardinalpunkte der allgemeinen Morphologie und 
Physiologie des Organs kräftig zu beleuchten: 

1. Der Umstand, dass die Teleostierthymus nicht nur als 
ein integrierender Bestandteil des Kiemenhöhlenepithels angelegt 
wird, sondern bei fast allen untersuchten Formen zeitlebens als 
solcher persistiert, ist wohlgeeignet, die epitheliale Herkunft und 
Beschaffenheit des Thymusretikulums sowohl im Mark wie in der 
Rinde ad oculos zu demonstrieren. Das bei einigen Formen vor- 
kommende Einwachsen in die Tiefe und die bei einer Form 
(Cyprinus) dargelegte, relativ spät eintretende Abtrennung sind 
von Interesse, indem sie zu den bei den übrigen Vertebraten ge- 
fundenen Verhältnissen eine Brücke bilden. 

2. Die Gefässfreiheit der Thymusanlage und die einfache 
Form ihrer Grenze gegen das Bindegewebe lässt ein Durchtreten 
zahlreicher Lymphozyten durch diese Grenzfläche während der 
Differenzierungsperiode des Organs unschwer feststellen. Ange- 
stellte genaue Zählungen und Messungen haben dargetan, dass 
dieses Durchtreten nicht im Sinne eines Auswanderns, sondern 
im Sinne eines Einwanderns zu deuten ist. Die Lehre des 
autochthonen Entstehens der Thymuslymphozyten scheint mit den 
in der Teleostierthymus gefundenen Verhältnissen nicht vereinbar 
zu sein. 

3. Das unter Umständen vorkommende Auftreten myoider 
Zellen in der plakodenförmigen Teleostierthymus, ehe Gefässe und 


64 J.. Aug, Hbammar: 


Bindegewebe in sie eingewachsen sind, erlaubt, die Möglichkeit 
einer Einschleppung solcher Zellen mit gleicher Bestimmtheit wie 
die eines Einschlusses derselben abzuweisen. Das Vorkommen 
quergestreifter Fibrillen auch in typischen Retikulumzellen spricht 
gleichfalls zugunsten des autochthonen Entstehens der myoiden 
Zellen. 

4. Auch für die Teleostier ist das Vorkommen einer Alters- 
involution der Thymus und zwar unter prinzipiell denselben Formen, 
wie sie bei den höheren Vertebraten vorkommen,. festgestellt 
worden. Ebenso ist eine Beziehung zwischen Geschlechtsreife und 
Altersinvolution der Thymus auch hier wahrscheinlich gemacht. 

5. Bei Nahrungsentziehung stellt sich auch bei den Tele- 
ostiern eine accidentelle Thymusinvolution, und zwar unter ähn- 
lichen Formen wie bei den höheren Vertebraten, ein. 


Literaturverzeichnis. 


Afanassiew, B. (1877): Weitere Untersuchungen über den Bau und die 
Entwicklung der Thymus und die Winterschlafdrüse der Säugetiere. 
Arch. f. mikroskop. Anat., Bd. 14. 

Board, J. 1894: The developement and probable function of the Thymus. 
Anat. Anz., Bd. 9. 

Cheval, M. (1908): Recherches sur les Iymphocytes du thymus. Bibl. 
anat., DT. 17. 

Dustin, A. P. (1908): L’origine et la signification des cellules „myoides“ 
et „epitheloides“ du thymus. Bull. soc. r. sc. med. et nat. Bruxelles No. 5. 

Ecker, A. (1853): Art. Blutgefässdrüsen in Wagners Handwörterbuch der: 
Physiologie. Bd. IV. Braunschweig. 

Glas, E. (195): Zur Frage der Sarkolyse. Anat. Anz., Bd. 26. 

Hammar,J.A. (1905): Zur Histogenese und Involution der Thymusdrüsen. 
Ibid., Bd. 27. 

Derselbe (1906): Über Gewicht, Involution und Persistenz der Thymus im 
Postfötalleben des Menschen. Arch. f. Anat. u. Entwicklungsgesch. 

Derselbe (1907): Über die Natur der kleinen Thymuszellen. Ibidem. 

Jonsson, A. (1908): Studien über die Thymusinvolution 3. Die Involution 
nach Hunger. Upsala Lökenför. Förk. Bd. 13 (Deutsche Auflage im 
Erscheinen). 

Laurell, H. (1908): Zum Vergleich der Lymphozyten innerhalb und ausser- 
halb der Thymuüsdrüse. (Im Erscheinen.) 

Leydig, Fr. (1853): Anatomisch-histologische Untersuchungen über Fische 
und Reptilien. Berlin, pag. 26 und ff. 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 65 


Liljeborg, W. (1889—91): Sveriges och Norges Fiskar. Upsala. 

Malm, A. H. (1874): Om den brednäbbade Kantnalens — Siphonostoma 
typhle Yairn — utveckling och fortplantning. Lund. Dissert. 
Maurer, Fr. (1885): Schilddrüse und Thymus der Teleostier. Morph. 

Jahrb., Bd. 11. 

Derselbe (1899): Die Schilddrüse, Thymus und andere Schlundspaltenderivate 
bei der Eidechse. Ibid., Bd. 27, pag. 122. 

Derselbe (1902): Die Entwicklung des Darmsystems. Hertwigs Handb. 
d. vergl. u. exp. Entwicklungsgesch., Bd. II, pag. 133. 

Maximow, A. (1907): Über die Entwicklung der Blut- und Bindegewebs- 
zellen beim Säugetierembryo. Folia hämatol., Jahrg. 4. 

Mayer, S. (1888): Zur Lehre von der Schilddrüse und der Thymus bei den 
Amphibien. Anat. Anz., Bd. 3. 

Nusbaum, J. und Prymak, Th. (1901): Zur Entwicklungsgeschichte der 
Iymphoiden Elemente der Thymus bei den Knochenfischen. Ibid., Bd. 19. 

Pensa, A. (1905): Osservazioni sulla struttura del timo. Ibid., Bd. 27. 

Prymak, Th. (1902): Beiträge zur Kenntnis des feineren Baues und der 
Involution der Thymusdrüse bei den Teleostiern. Ibidem, Bd. 21. 

Rudberg, H. (1907): Studien über die Thymusinvolution 1. Die Involution 
nach Röntgenbestrahlung. Arch. f. Anat. u. Entwicklungsgesch., Suppl. 

Schaffer, J. (1893): Über den feineren Bau der Thymus und deren Beziehung 
zur Blutbildung. Sitzungsber. d. Wiener Akad., Bd. 102, Abt. III. 

Smitt, F. A. (1892—95): Skandinaviens fiskar. Stockholm. 

Söderlund, G. und Backman, A. (1908): Studien über die Thymus- 
involution. 2. Die Altersinvolution beim Kaninchen. Upsala Löken- 
fören, S., Förk, Bd. 13. (Deutsche Ausgabe im Erscheinen.) 

Stannius, H. (1850): Über eine der Thymus entsprechende Drüse bei 
Knochenfischen. Müllers Arch. 

Derselbe (1854): Handbuch der Zootomie von Siebold und Stannius, 2. Teil, 
1. Heft. Zootomie d. Fische, 2. Aufl. Berlin, pag. 256. 

Stöhr, Ph. (1906): Über die Natur der Thymuselemente. Anat. Hefte, Bd. 31. 

Ver Eecke, A. (1899): Structure et modifications fonctionelles du thymus 
de la grenouille. Bull. de l’acad., r. de med. de Belgique. 

Weissenberg, R. (1907): Über die quergestreiften Zellen der Thymus. 
Arch. f. mikr. Anat., Bd. 70. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafeln I-IIN. 


Tafel 1. 


Fig. 1—10. Querschnitte in der Thymusgegend verschiedener Teleostier. 
Namen und Grösse der Fische nebst den Vergrösserungen sind in 
der Tafel angegeben. Hämatoxylin-Eosin-Färbung. Thym. — Thymus. 

Fig. 11. Carassius vulg. 14,5 mm. Markzellen in trabekulärer Anordnung; 
ri. — Rinde. Tell. Flüss., Hämatoxylin, Eosin. Zeiss’ Apochr. 2 mm, 


Ap. 150, hom. Imm., Komp.-Ok. 4. 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 5) 


66 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fie. : 


12. 


14. 


15. 


16. 


18— 


18. 


J. Aug. Hammar: 


Siphonostoma typhle 175 mm. Gefässfreie Thymus. Querschnitt. 
Das Organ hat sich streckenweise von der gut markierten Basal- 
membran abgehoben. ra. — Randschicht, ri. = Rinde, m. — Mark. 
Tell. Flüss., Hämatox. Eosin. Zeiss’ Apochr. 16 mm. Komp.-Ok. 4. 
Centronotus gunnellus 125 mm. Kleine epithelbekleidete Cyste; 
das Epithel zeigt im Profilbild einen bürstenähnlichen Saum, im Ober- 
flächenbild ein eigentümliches konzentrisches Relief; Verbindungen 
mit Retikulumzellen treten an der äusseren Grenze der Cyste 
mehrfach hervor. Tell. Flüss., Hämatox. Eosin. Zeiss’ Apochr. 2 mm, 
Ap. 1,30, hom. Imm., Komp.-Ok. 8. 

Öentronotus gunnellus 72 mm. Kleine Cyste mit Kutikular- und 
Becherzellen. Fixierung, Färbung, Vergrösserung etc. wie Fig. 13. 
Gobius niger 90 mm. Geflecht myoider Zellen aus dem Marke. 
Fixierung etc. wie Fig. 11. 


Tafel II. 


Salmo salar 130 mm. Der Übergang zwischen der Thymus und 
dem geschichteten Plattenepithel der Umgebung. Formol-Spiritus, 
Hämatoxylin, Eosin. Vergrösserung wie Fig. 11. 

Salmo salar. Aus den zentralen Partien desselben Schnittes wie 
Fig. 16. ‚ra. —Randsehicht; ri. = Rinde; m.) Mark. Ver- 
grösserung wie Fig. 11 


24. Siphonostoma typhle. Entwicklungsbilder. Fixierung, Ver- 


orösserung ete. wie Fig. 13. ü. — Übergangsfalte z. Kiemendeckel 
Embryo 10 mm. Rein epitheliale Thymusanlage, spärliche sub- 
thymische Lymphozyten. Bei X eine artefizielle Diskontinuität im 
Schnitte. 


19 A—C. Embryo 9 mm; drei aufeinander folgende Schnitte. Einzelne 


Fe 


ID 
IV 


Lymphozyten im Epithel, bei xx hat die Basalmembran durch 
hindurchtretende Lymphozyten einen Durchbruch erfahren. 


‘jo. 20 A—B. Embryo 10,6 mm. Zwischen den zwei abgezeichneten Schnitten 


liegt ein ungezeichneter. Sonst wie Fig. 19. 

Embryo 11,5 mm. Die intra- und subthymischen Lymphozyten 
haben an Menge zugenommen. Rechts Teilung einer der erst- 
genannten; X X wie in Fig. 19. 

Embryo 12 mm. Fortwährende Vermehrung der intra- und sub- 
thymischen Lymphozyten. 

Embryo 15 mm. Zahlreiche Lymphozyten in der Thymusanlage. 
Häufige Teilungen der Thymuszellen. Die subthymische Infiltration 
verringert. 

Larve von 37,5 mm Länge. Beginnende Markbildung. Die Ent- 
fernung der abgelösten Thymus vom Bindegewebe ist in der Figur 
kleiner dargestellt, als sie im Präparat sich darstellte. ra. — Rand- 
schicht; ri. = Rinde; m.’”— Maik. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Hiores: 


B) 
Ir 


Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 67 


Tafel III. 


Zoarces viviparus 300 mm.  Gefässkanälchen und Schleimzellen 
blau, Thymus im übrigen rotbraun; ra. —= Randschicht; deutlicher 
Unterschied zwischen Rinde und Mark tritt bei dieser Färbung 
nicht hervor. Tell. Flüss., Mallorysche Färbung. Reicherts Obj. 4, 
Ok. 1, eingeschobener Tubus. 


Labrus rupestris 120 mm. Teil eines queren Vertikalschnittes, 
zahlreiche quergeschnittene, stark erweiterte Gefässkanälchen 
zeigend. In der Mitte des Bildes ein grosses Kanälchen mit 
hyaliner Knorpelinsel. Fixierung und Färbung wie in Figur 25. 
Reicherts Obj. 4, Ok. 4, 150 mm Tubuslänge. 


Labrus rupestris 125 mm. Der abgezeichnete Vertikalschnitt zeigt 
die starke Erweiterung der an der Grenze gegen die Randschicht 
verlaufenden horizontalen Gefässkanälchen. Reicherts Obj. 2, Ok.1, 
170 mm Tubuslänge. : 


2S—30. Gobius niger (resp. 70, 70 u. 60 mm). Kleine Epitheleysten 


> 
) 


an der Bindegewebsgrenze (resp. oberhalb, auf und unterhalb dieser 


Grenze). ba. = Basalmembran ; bi. = Bindegewebsinsel am ober- 
flächlichen Rande der Cyste; körn. — körnige Leukozyten, my. — 


myoide Zellen. Tell. Flüss., Mallorysche Färbung. Zeiss’ Apochr. 
2 mm, Ap. 1,30, hom. Imm., Komp.-Ok. 4. 


Zoarces viviparus 85 mm. Eine grössere, riesenzellenähnliche und 
eine kleinere Zelle mit schwach basophilen Kügelchen. Ausserdem 
eine Schleimzelle. Tell. Flüss., Malloryfärbung. Zeiss’ Apochr. 2 mm, 
Ap. 1,50, hom. Imm., Komp.-Ok. 8. 


Zoarces viviparus 150 mm. Rundliche Zellen mit schwach baso- 
philen Kügelchen, viele auch mit spärlichen Pigmentkörnchen. Die 
abgebildete Partie ist ein kleiner Teil eines recht umfangreichen 
Sequesters, der an drei Seiten durch eine Spalte vom umgebenden 
Parenchym abgegrenzt war und nur an einer Seite (links auf dem 
Bild) mit dem Retikulum zusammenhing, hier zahlreiche Übergangs- 
formen zu typischen Retikulumzellen zeigend. Fixierung, Färbung 
etc. wie in Fig. 31. 


A—0. Zoarces viviparus 855 mm. A und B zeigen je eine Schleim- 


zelle, an die sich in A mehrere Zellen, in B eine Zelle konzentrisch 
angefügt haben, wodurch ein an den echten Hassallschen er- 
innernder Zellenkomplex entstanden ist; Ü zeigt eine Zelle mit 
schwach basophilen Körnchen. Fixierung, Färbung ete. wie in 
Fig. 31. 


Zellen aus dem Marke desselben Tieres wie Fig. 33 mit dicker 
protoplasmatischer Aussenschicht und spärlichen, regelmässig an- 
geordneten basophilen Körnchen von zugespitzter Form (modifizierte 
Schleimzellen ?). Fixierung etc. wie in Fig. 31. 


or 


65 


=. 
Fig. 


ig. 37. 


Fig. : 


230: 


J. Aug. Hammar: Zur Kenntnis der Teleostierthymus. 


Öentronotus gunnellus 40 mm. Partie aus dem Marke, drei in 
Schleimzellen umgewandelte Retikulumzellen zeigend, welche ihre 
Verbindung mit den übrigen Retikulumzellen noch bewahrt haben. 
Fixierung und Färbung wie in Fig. 31; Vergrösserung wie Fig. 11. 
Gobius niger 60 mm. Komplex myoider Zellen von länglicher und 
sphärischer Form aus dem Marke. Fixierung und Färbung wie 
Fig. 31; Vergrösserung wie Fig. 11. 

Esox lucius 400 mm. Partie aus dem Marke, fädige Differenzierung 
im Protoplasma der Retikulumzellen zeigend. ba. — Basalmembran. 
Flemmingsche Flüssigk., Bendasches Kıystallviolett. Vergrösserung 
wie in Fig. 31. ‘ 
Anguilla vulgaris 270 mm. Partie aus dem Mark mit zwei myoiden 
Zellen (my.) und einem konzentrischen Körperchen (Hass.) In 
einigen der Rekulumzellen eine Differenzierung quergestreifter 
Fibrillen. Fixierung etc. wie in Fig. 37. 


Aus dem anatomisch-biologischen Institut der Universität Berlin. 


Über die Genese des Chordaknorpels der Urodelen 
und die Natur des Chordagewebes. 


Von 


Dr. med. Friedrich Krauss in Charlottenburg. 


Hierzu Tafel IV--VI. 

Trotz der reichlich vorhandenen Literatur über die Struktur 
und Natur der Chorda differieren doch noch die Ansichten der 
Autoren über die Genese des Chordaknorpels; auch fehlt es noch 
an Arbeiten, welche die feineren, histologischen Details mit Zu- 
hilfenahme der heutigen verbesserten Untersuchungsmethoden be- 
rücksichtigen. Es hat aber eine nicht geringe Bedeutung, dieses 
Thema in erschöpfender Weise zu behandeln und zu einer einheit- 
lichen Anschauung in betreff desselben zu gelangen, weil die Frage 
nach der Bildung des Chordaknorpels aufs innigste mit 
der Naturder Chorda, dieses für uns noch so manches Rätsel- 
hafte bietenden Gewebes, zusammenhängt. In der Tat werden 
wir finden, wenn wir die Literatur über die Arbeiten durchsehen, 
welche sich mit dem Chordaknorpel beschäftigen, dass die 
betreffenden Verfasser sich in ihren Anschauungen dabei mehr 
oder weniger von ihren Ansichten über die Beschaffenheit und 
Entwicklung des Chordagewebes beeinflussen liessen oder um- 
gekehrt auch von dem Resultate ihrer Untersuchungen über den 
Chordaknorpel ihre Auffassung des Chordagewebes und seine 
Stellung in der Reihe der Gewebsformationen abhängig machten. 

Weiterhin ist aber das Thema von der Herkunft des Chorda- 
knorpels von Bedeutung für die Frage nach dem Wesen und 
der Herkunft der Stützgewebe. Hat doch gerade die 
Auffassung dieser Frage viel zu der Stellungnahme beigetragen, 
welche man in neuerer Zeit der Bedeutung der alten Keim- 
blätterlehre für die Entstehung und Abgrenzung der Gewebe 
entgegenbringt. Eine nicht minder wichtige Rolle spielt, wie 
wir im Verlaufe der Arbeit zeigen werden, bei der Bildung des 
Chordaknorpels auch die Metaplasie der Gewebe, eine 
Frage, die heute im Vordergrund des Interesses steht. 


70 Friedrich Krauss: 


Historisches. 

In diesem Abschnitt soll nur die speziellere Literatur 
des Chordaknorpels besprochen werden: die der Chorda 
selbst, welche überaus reichhaltig ist, wird soweit erforderlich, 
gelegentlich der allgemeinen Besprechung berücksichtigt werden. 
Eine sehr eingehende Aufstellung derselben findet sich übrigens 
bei H. Schauinsland: die Entwicklung der Wirbelsäule nebst 
Rippen- und Brustbein. (O0. Hertwig, Handbuch der Ent- 
wicklungslehre III, Teil 2.) . 

Nachdem v. Kölliker 1859 und 1860 bei Knochenganoiden, 
bei Polypterus und Lepidosteus, auf das Vorkommen von Knorpel- 
gewebe am kaudalen Ende der Chorda hingewiesen hatte, hat 
Gegenbaur in seiner klassischen Monographie: Untersuchungen 
zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule bei Amphibien und 
Reptilien, Leipzig 1862, bei einer grossen Reihe von Tierklassen 
‘den Chordaknorpel in eingehender, noch heute mustergültiger- 
Weise beschrieben und auch die feineren histologischen Verhältnisse- 
in einer im Verhältnis zu der damals noch primitiven Technik 
bewundernswerten Weise klargeleet. Gegenbaur fand den 
Chordaknorpel in erster Linie bei Urodelen und Gymnophionen, 
dann bei einzelnen Reptilien und Vögeln, sowie ihm ähnliche- 
(rebilde auch bei Knochenfischen. Nach Gegenbaur entsteht 
der Chordaknorpel innerhalb der Chorda aus den peripheren 
Chordapartien. Gegenbaur hatte in seiner Arbeit bereits ein 
reiches Tatsachenmaterial zur Behandlung der Frage beigebracht. 
Die zahlreichen ihm folgenden Bearbeiter des Gegenstandes haben 
in morphologischer Hinsicht nicht viel Neues hinzuzufügen vermocht. 
Die seit Gegenbaur bis gegen 1900 erschienenen Arbeiten (es 
sind dies die letzten) beziehen sich vorwiegend auf die Ent- 
stehung des Chordaknorpels. 

Während ein Teil der Autoren den Ursprung des Chorda- 
knorpels von einer Einwanderung von Knorpelzellem 
aus den perichordalen Gewebe, speziell dem Inter- 
vertebralknorpel, durch Öffnungen der Elasitca externa herleitet, 
hält dagegen ein anderer Teil und zwar die Mehrzahl der heutigen 
Forscher, an der Entstehung aus der Chorda selbst und 
besonders aus dem Chordaepithel fest. Daneben gibt es 
einige Forscher, welche an beide genannte Entstehungsmöglich- 
keiten glauben. i 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 71 


Von den Vertretern der ersteren Ansicht, der perichor- 
dalen Entstehung, ist in erster Linie Zykoff (1894) zu 
nennen, welcher energisch die alte Gegenbaursche Ansicht 
bekämpfend annahm, dass ein Teil der Zellen des Intervertebral- 
knorpels, sich zwischen die Chordascheide und die Wandung des 
Wirbels zum Zentrum des Wirbels drängend, in die Chorda 
eindringe. Die Möglichkeit solchen Eindringens erklärt Zykoff 
sich dadurch, dass die Elastica externa bei dem Siredon durch- 
löchert, stellenweise zerrissen sei. Ich bemerke schon hier, dass 
die Präparate Zykoffs in technischer Beziehung von verschiedener 
Seite als nicht einwandsfrei angesehen wurden. 


Auch nach Lwoff (1887) wird der Knorpel, welcher sich 
in der Chorda befindet, nicht aus den Elementen der Chorda 
gebildet, sondern wächst aus dem perichordalen Gewebe hinein. 
In der Elastica externa sind Öffnungen zu sehen, in welchen man 
sehr oft an gefärbten Präparaten gefärbte Körper, offenbar Zellen 
des Bindegewebes, sieht. Sowohl Lwoff als Zykoff wurden in 
ihren Ansichten über die Entstehungsweise des Chordaknorpels 
bestärkt durch ihre Auffassung von der Natur der Chorda als 
eines epithelialen Gewebes. 


Eine ähnliche Ansicht, wie die der beiden genannten Forscher, 
wurde von Gadow (1896) ausgesprochen, welcher, ohne selbst 
senauere histologische Untersuchungen ausgeführt zu haben, die 
Bildung des Chordaknorpels bei den Urodelen mit der Knorpel- 
bildung der Chorda der Selachier in eine Parallele bringt. 


Schliesslich führe ich von Vertretern dieser Richtung noch 
Studniäka (1897) an, welcher in sehr ausführlicher Weise über 
die Chorda und den Chordaknorpel geschrieben hat und dabei 
auch die Histogenese des Knorpelgewebes behandelt. Studnicka 
ist ein entschiedener Anhänger der perichordalen Entstehungs- 
weise des Chordaknorpels und gibt nur für eine geringe Anzahl 
von Fällen eine Entstehung aus den Chordaepithelzellen zu. Be- 
stimmenden Einfluss hat dabei seine Ansicht von der epithelialen 
Natur der Chorda, zu der er sich lediglich durch die Existenz 
interzellulärer Verbindungen in der Chorda der Knochenfische 
bestimmen lässt, trotzdem er nicht in Abrede stellt, bei ver- 
schiedenen Gelegenheiten Bilder der Uhorda angetroffen zu haben, 
welche eine grosse Ähnlichkeit mit Knorpelgewebe haben. 


u | 
[689] 


Friedrich Krauss: 


Was nun die Entstehung des Chordaknorpels aus 
der Chorda selbst betrifit, so kann man sagen, dass die Mehr- 
zahl der neueren Autoren sich jetzt diesem Bildungsmodus, dem 
endochordalen, mehr oder weniger zuneigt. 

Zunächst ist hier V. Schmidt (1893) zu nennen. Er 
studierte die Chordastabbildung in der Schwanzspitze des Axolotl 
und fand, dass sich hier Knorpel direkt aus Chordazellen bildete 
und zwar aus den hier gewöhnlich noch indifferenten protoplas- 
matischen Zellen des äusseren Chordaendes. Dabei beobachtete er 
gleichzeitiges Auftreten von hyalinen Tropfen in den Chordazellen 
als Anfang ihrer hyalinen Umwandlung zu Knorpelgewebe. Für 
eine Einwanderung von Zellen aus der skelettogenen Schicht in 
den Chordastab fehlt nach ihm jeder Anhalt, da um die Zeit der 
Gliederung des Chordastabes eine solche Schicht im Bereich des 
Chordaendes noch garnicht vorhanden ist. 

Alsdann fand Field (1895) bei Amphiuma, dass die Chorda- 
zellen und zwar speziell diejenigen des Chordaepithels, die Elemente 
für den Knorpel bilden. Die Chordascheide fand er stets als voll- 
ständige Hülle um die Chorda gehend und nirgends die von 
Zykoff beschriebenen Unterbrechungen. Auch eine Durch- 
wucherung der intakten Chordascheiden durch skelettbildende 
Zellen hält Field für durchaus unwahrscheinlich. 

Auch v. Ebner (1896) erklärt wie Field eine primäre 
Knorpelbildung, d. h. eine Umwandlung der Chordaepithelzellen 
in Knorpel in der Schädelchorda der Salamander- und Tritonen- 
larven für zweifellos, wenn er auch die Zykoffschen Ansichten 
nicht ganz von der Hand weist. Auch gibt v. Ebner an, dass 
später oft eine teilweise Zerstörung der Chordascheide und dadurch 
ein Zusammenfliessen des Parachordalknorpels mit dem Chorda- 
knorpel eintrete. v. Ebner hält die Chorda, besonders die der 
Knochenfische, für ein hochdifferenziertes Gebilde, welches oft 
die mannigfachsten progressiven Bildungen, wie z. B. binde- 
gewebige Scheiden, Knorpel, vakuolisierte Zellen, epidermoidale 
Zellen produziert und als ein Beispiel dienen kann, wie vergeblich 
das Bemühen sei, einen fundamentalen Gegensatz zwischen Binde- 
und Epithelgewebe aufzustellen. 

Ferner tritt Klaatsch (1897) sehr entschieden für die 
ältere Gegenbaursche Anschauung von der Entstehung des 
Chordaknorpels aus der Chorda ein. Klaatsch fand neben 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 1a 


peripheren Knorpelinseln auch zentrale und neigt zu der Ansicht, 
dass letztere vielleicht unabhängig von ersteren entstanden seien. 
Die Bildung des Chordaknorpels geht nach Klaatsch in erster 
Linie von den indifferenten Chordaepithelzellen aus und zwar findet 
als erste zur Rnorpelbildung führende Veränderung eine Verdickung 
der peripheren Zellpartien des Chordaepithels statt, in welchen eine 
durch Hämatoxylin dunkler tingierbare, teils in Form von Streifen, 
teils in Form eines Netzwerkes hervortretende Substanz sich 
bildet. Für die zentralen Knorpelinseln gibt Klaatsch auch 
die Möglichkeit zu, dass sie aus mehr differenten, aber noch 
wenig vakuolisierten Ohordazellen entstehen können. Klaatsch 
neigt zu der Ansicht, dass Chorda- und Knorpelgewebe aufs 
innigste miteinander verwandt seien, vielleicht nur als Zweige 
eines und desselben Stammes eines indifferenten Stützgewebes 
aufzufassen seien. Klaatsch trug zunächst seine Ansichten in 
der Anatomischen Gesellschaft 1597 vor. In der sich daran 
knüpfenden Diskussion präzisierte Schaffer entsprechend seinen 
in mehreren umfangreichen Arbeiten über die Entstehung des 
Knorpelgewebes niedergelegten Ansichten seinen Standpunkt dahin, 
dass der Chordaknorpel sich nur aus Chordaepithelzellen, welche 
den Wert von indifferenten, embryonalen Zellen haben, nicht aus 
schon vakuolisierten entwickeln könne. Daneben glaubt aber 
Schaffer auch noch an gelegentliche Entstehung von Knorpel 
aus eingewanderten indifferenten Zellen (Chondroblasten) und berief 
sich dabei ausser auf seine bei Petromyzon gemachten Beobach- 
tungen über Knorpelwucherungen auf die v. Ebnerschen Unter- 
suchungen. 

Von den jüngeren Autoren, welche über den Chordaknorpel 
geschrieben haben, ist Kapelkin (1900) zu nennen. Kapelkin 
meint, dass die Schwierigkeit, die Frage der Entstehung des 
Chordaknorpels zu lösen, vielfach daran gelegen wäre, dass in 
einem gewissen Stadium sich die Chordascheiden etwas auflösen 
und deswegen sich wenig von der Grundsubstanz des Knorpels 
durch ihren Lichtglanz unterscheiden. Durch zweckmässige Doppel- 
fäürbung überwand er diese Schwierigkeit und gelangte zu dem 
Resultat, dass der Chordaknorpel sich auf Kosten des Chorda- 
epithels ganz unabhängig vom Intervertebralknorpel entwickie. 

Schliesslich ist noch Camillo Schneider anzuführen, 
welcher in seinem Lehrbuch der Histologie der Tiere, Jena 1902, 


74 Friedrich Krauss: 


eingehende Details über die Bildung des Chordaknorpels beim 
Salamander gibt. Nach ihm nehmen nur die Chordaepithelzellen 
an der Knorpelbildung teil und von diesen auch nur ein Teil, 
während die anderen degenerieren. Nur die wandständigen Zellen 
des Ohordaepithels liefern echten hyalinen Knorpel, während die 
durch Teilung entstandenen und ausgewanderten ein eigentüm- 
liches Gewebe bilden, welches aus kleineren Zellen und einer 
lockerfaserigen, schwach chondromukoiden Grundsubstanz besteht. 
Dieses Gewebe soll sich nicht immer zu echtem Knorpel fort- 
entwickeln, denn man kann Reste desselben im Zentrum des 
Chordaknorpels in der Umgebung der geschrumpften Chorda- 
zellen wahrnehmen. 


Untersuchungsgebiete, Material und Technik. 


Meine Untersuchungen über Chordaknorpel wurden haupt- 
sächlich an Urodelen: Siredon pisciformis, Salamandra maculata 
und Triton eristatus (Larven sowohl, als auch erwachsenen Tieren) 
in verschiedenen Stadien vorgenommen. In erster Linie erwies 
sich der Axolotl ais geeignetes Untersuchungsobjekt, besonders 
für die feineren histologischen Verhältnisse der Chorda und ihrer 
Verknorpelung, weil hier die zelligen Elemente am grössten sind 
und auch bei der weiteren Umbildung der Wirbelsäule während 
des späteren Wachstums die Verhältnisse sich weniger komplizieren 
als beim Salamander und Triton, bei denen die Chordazellen 
kleiner sind und die Verknorpelungsprozesse unregelmässigere 
Verbreitung zeigen. Immerhin sind aber auch bei den letzt- 
genannten Tieren bemerkenswerte Eigentümlichkeiten in den 
histologischen Details gefunden worden. Zur Ergänzung und Ver- 
vollständigung der Untersuchung wurde dann noch die Chorda des 
Hechtes (Esox lucius) untersucht und zwar an einem erwachsenen 
Exemplar von 25 cm, da jüngere Tiere nicht zu beschaffen waren. 
Ferner wurden bei Axolotl- und Forellenembryonen die Verhältnisse 
der Chordaneubildung bei der Regeneration des Schwanzes nach 
Amputation desselben in verschiedenen Stadien untersucht. daneben 
auch die Folgen der Kontinuitätstrennung der Chorda. Schliess- 
lich wurden mehrfache Transplantationen der Chorda von meist 
5 cm langen Axolotllarven unter die Rückenhaut erwachsener 
Axolotl vorgenommen und das Schicksal der transplantierten 
Uhorda nach verschiedenen Zeitabschnitten studiert. 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 165) 


Die Objekte wurden zumeist in Pikrinsublimatessigsäure, zu- 
weilen auch in Carnoys oder in Flemmings Gemisch, fixiert. 
Letztere Flüssigkeit, welche so ausgezeichnet die feinen Zell- 
strukturen konserviert, hat den Nachteil, dass sie keine genügende 
Knorpelfärbung zulässt. 

Die Einbettung geschah in Paraffın. 

Zum Studium des Chordaknorpels wurden Frontal- und Quer- 
schnitte, zuweilen auch Sagittalschnitte, angefertigt: meist Serien 
kleinerer Abschnitte. Was die Frontalschnitte anbetrifft, so ist eine 
vorgängige gehörige Orientierung an dem Paraffinstücke wichtig, 
was besonders bei den meist kleinen Objekten nicht immer leicht 
ist. Ich habe dazu zuerst von beiden Seiten des Blockes Quer- 
schnitte gemacht, dann dieselben mikroskopisch untersucht, sodass 
ich die Stelle der Chorda auf der glatten Querschnittfläche genau 
wiederfinden und durch eine dieselbe schneidende, horizontale 
Linie mit dem Skalpell markieren konnte. Ich habe dann die 
Linien der beiden (Querschnitte noch seitlich verbunden und so 
stets die richtige Schnittebene erhalten. | 

Die auf dem Objektträger aufgeklebten Schnitte wurden mit 
verschiedenen Färbungen behandelt. Die besten Dienste leistete 
mir das Kresylviolett RR (Farbwerke Mülheim, vormals 
A. Leonhard & Co.), welches hervorragende Eigenschaften als 
Knorpelfärbemittel besitzt. Das Kresylviolett gehört zu den meta- 
chromatisch färbenden Farbstoffen. Es färbt die Knorpelgrund- 
substanz, sowie auch das Mucin rosarot, die Kerne hellblau. Ich 
fand es äusserst vorteilhaft, eine Färbung mit Hämalaun voraus- 
zuschicken, da die Kernfärbung des Hämalauns besser haltbar 
ist und ihr blau besser zu dem Rot des Kresylvioletts kontrastiert. 
Der Alkohol zieht nämlich das Kresylviolett leicht aus den 
Präparaten heraus, deshalb muss auch die Durchführung der- 
selben durch die verschiedenen Alkoholstufen eine sehr schnelle 
sein; auch muss durch mehrmals gewechseltes Xylol der Alkohol 
gründlich entfernt werden, bevor man die Präparate in Kanada- 
balsam einlegt. Derart behandelte Präparate haben sich mir 
bereits über ein Jahr lang gehalten, ohne dass sie wesentlich 
gelitten hätten. Es ist deshalb auch nicht nötig, was empfohlen 
wird, die Präparate zur Vermeidung der Alkoholbehandlung in 
Lävulose einzulegen. Zu bedauern ist nur, dass der Farbstoft 
jetzt aus dem Handel verschwunden ist, wenigstens sind die 


76 Friedrich Krauss: 


unter anderen Marken jetzt kursierenden Präparate für die 
Knorpelfärbung nicht brauchbar. 

Als weitere Knorpelfärbemittel habe ich Methylenblau und 
Bismarcekbraun angewandt und zwar das Methylenblau in der 
von Hansen angegebenen Form mit einem. kleinen Zusatz von 
Salzsäure. Ich habe die Methylenblaufärbung mit molybdänsaurem 
Ammoniak fixiert und dann zuweilen noch die van Giesonsche, 
von Hansen modifizierte Bindegewebsfärbung nachfolgen lassen. 
Das Bismarekbraun wird sehr gut mit Lichtgrün kombiniert. Sehr 
hübsche Bilder gibt eine dreifache Färbung in der Reihenfolge: 
Boraxkarmin, Bismarckbraun (ganz schwach) und Lichtgrün. Man 
erhält dann die Kerne rot, die Knorpelgrundsubstanz braun, das 
Bindegewebe grün, andere Teile, wie Muskulatur, in einer mehr 
grauen Mischfarbe. Zur Kontrolle habe ich vielfach das gleiche 
Präparat mit den genannten verschiedenen Knorpelfärbemitteln 
behandelt. 

Von sonstigen Färbungen wurden noch die van Giesonsche 
und die Heidenhainsche mit Eisenalaun-Hämatoxylin, letzteres 
besonders für die in Flemmingscher Lösung fixierten Objekte, 
angewandt. 

Auch wurde von der Doppelfärbung Hämalaun-Eosin 
öfters Gebrauch gemacht und zwar letzteres in progressiver 
Färbung (einige Tropfen konzentriert wässeriger Eosinlösung auf 
ein Farbglas Aqua destillata: 24 Stunden lang färben). 


Eigene Befunde. 
I. Die Bildung des Chordaknorpels bei den Urodelen. 


Wir werden uns bei der Schilderung des chondrogenetischen 
Prozesses, wenn nicht besonders hervorgehoben, an die Axolotl- 
larve halten, da beim Salamander und Triton die Vorgänge, wenn 
auch im wesentlichen dieselben, doch weniger durchsichtig sind, 
weil hier die Zellelemente kleiner und die Verknorpelung eine 
unregelmässigere ist. 

Beim Studium der Bildung des Chordaknorpels hat sich mir 
mehr und mehr als wichtig herausgestellt, die Vorgänge 
am CUhordaepithel von denjenigen, welche sich an den 
vakuolisierten Zellen abspielen, als gesondert zu betrachten. 
Von letzteren hatte man bisher angenommen, dass sie sich am 
Verknorpelungsprozess wenig oder gar nicht beteiligten und 


Der Chordaknorpel der Urodelen. Tr 
durch das vom Chordaepithel neugebildete Knorpelgewebe zerstört 
würden. Diese Ansicht erschien mir im Verlauf meiner Unter- 
suchungen mehr und mehr zweifelhaft und so richtete ich im 
Hinblick darauf, dass beim Axolotl sich der Chordaknorpel im 
Vertebralteil der Chorda entwickelt, während der Intervertebral- 
teil frei von Veränderungen bleibt, mein Augenmerk darauf, ob 
nicht schon in einem ganz frühen Stadium morpho- 
logische Unterschiede im Verhalten der vakuolisierten 
Zellen des Vertebralteils im Vergleich zu denjenigen des 
Intervertebralteils der Chorda zu finden seien. Und so zeigten 
sich bereits bei Axolotllarven von 3'/s cm Länge Veränderungen 
in der Struktur der Chordazellen, welche nur auf den Vertebral- 
teil der Chorda beschränkt sind und als erste Phase der Bildung 
des Chordaknorpels, als Einleitung des chondrogenetischen 
Prozesses, aufgefasst werden müssen (s. Fig. 1, Taf. IV). Diese 
auf die genannten Stellen beschränkten Veränderungen bestehen 
im Auftreten eines fädigen Netzwerkes im flüssigen 
Vakuoleninhalt der Chordazellen (Fig. 2, Taf. V). Die 
Fäden des Netzwerkes ziehen vielfach verzweigt vom Proto- oder 
Endoplasma der Zellen zur Vakuolenwand oder endigen frei in der 
Flüssigkeit. Die Fäden scheinen mir nur zum Teil als protoplas- 
matische Ausläufer des Endoplasmas der vakuolisierten Zellen auf- 
zufassen zu sein Grösstenteils dürften sie, wie weiter unten noch 
besprochen werden wird, eine andere Herkunft haben. Mit Farb- 
stoffen, wie Hämatoxylin, Bismarckbraun, Kresylviolett nehmen 
die Fäden häufig dieselbe Färbung an wie das Chondromukoid '). 
Auch konnte ich öfters beobachten, dass die Fäden anfänglich aus 
kleinsten, rosenkranzartig aneinander gereihten Tröpfchen bestehen, 
welche später zu linearen Fäden verschmelzen und an welchen 
zuweilen noch kleine Verdickungen als Ausdruck ihrer früheren 


!, Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass hier sowohl,‘ wie im 
weiteren Verlauf der Arbeit, wo von chondromukoider Umwandlung die 
Rede ist, ich im Sinne Hansens darunter die Eigenschaft des Gewebes 
verstehe, mit den genannten Farbstoffen die charakteristische Knorpelfärbung 
anzunehmen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass das Chondromukoid 
sich mit dem Mucin färberisch gleich verhält. Ein sicheres färberisches 
Reagens, welches beide Substanzen auseinander zu halten ermöglicht, gibt 
es nicht. Auch das Hämalaun (Schafferl#1]) ist hierfür nicht zuverlässig. 
Viel hängt dabei von dem Alaungehalt und der vorherigen Art der Fixation 
des Objektes ab. 


Ss Friedrich Krauss: 


Entstehungsweise aus Tröpfehen oder Kügelchen zu beobachten 
sind. Dieses Stadium der fädigen Struktur der vakuolisierten 
Chordazellen findet sich nun zu einer Zeit, zu welcher am Chorda- 
epithel keine Spur einer Veränderung zu bemerken ist und ich 
halte es für wichtig, dieses Verhalten gleich anfangs zu betonen, 
da ich in demselben einen wichtigen Beweis für die hervor- 
ragende Anteilnahme der vakuolisierten Chordazellen 
am Verknorpelungsprozesse der Chorda erblicke. Soviel 
ich ersehen konnte, findet sich in früheren Arbeiten keine der- 
artige Angabe verzeichnet. Wohl wurde beobachtet, dass 
zuweilen Fäden in den Vakuolen der Chordazellen vorkommen, 
aber es ist nicht auf die dabei auftretende chondromukoide 
Beschaffenheitundauf dasalternierende Vorkommen 
dieser Struktur in den einzelnen Chordaabschnitten 
und Zumal zu einer Zeit geachtet worden, in der sich die Bildung 
des Chordaknorpels vorbereitet. 

Gleichzeitig oder etwas später als die fädigen Strukturen 
tretennunauch Verdickungen der Membran der Chorda- 
zellen auf (Fig. 2, Taf. IV). Diese verdickten Scheidewände 
haben auf dem Durchschnitt ein trübes, wie gequollenes Aussehen. 
Es scheint sich dabei ebenso wie bei einem Teil der fädigen 
Strukturen um ein Ausscheidungsprodukt des Zellprotoplasmas, 
d.h. um eine albuminoide Substanz zu handeln, welche mit dem 
Chondromukoid nahe verwandt ist und der chondromukoiden 
Metamorphose vorausgeht. Nach meinen Beobachtungen möchte 
ich annehmen, dass das Chondromukoid überhaupt entweder direkt 
als solches ausgeschieden wird oder zuerst als die vorhin ge- 
nannte, nicht färbbare albuminoide Substanz, welche erst später 
vielleicht nur durch eine gerinfügige, chemische Umwandlung die 
charakteristische Chondromukoidfärbung annimmt. Färberisch 
konnte ich keinen wesentlichen Unterschied zwischen diesen ver- 
diekten und den nicht verdickten Membranen konstatieren. Die 
Verdiekung der Chordazellmembran kann nun bereits in dieser 
frühen Zeit eine ziemlich beträchtliche sein, auch kann es früh- 
zeitig in den verdickten Membranpartien zu einer Umwandlung 
im Chondromukoid oder zu einer Ausscheidung desselben kommen; 
letzteres meist in Form von Tröpfehen oder von verschieden- 
artigen Figuren, welche durch das Zusammenfliessen von Tröpfchen 
entstanden sind. 


Der Chordaknorpel der Urodelen. fe) 


Erst nachdem so die Chondrogenese an den vakuolisierten 
Chordazellen eingeleitet worden ist, treten nun gewöhnlich die 
Veränderungen am Chordaepithel auf. Zum Verständnis der 
an demselben und ihrer Umgebung sich abspielenden Prozesse ist 
es von Wichtigkeit, das Chordaepithel und die an das- 
selbe grenzende Faserscheide der Chordaals eine 
einheitliche zusammengehörige Gewebsbildung auf- 
zufassen. Nach den Untersuchungen von v. Ebner wissen wir, 
dass entwicklungsgeschichtlich von den peripheren Chordazellen 
zuerst die Elastica externa und hierauf die Faserscheide gebildet 
wird. v. Ebner hält die Faserscheide für eine bindegewebige, 
dem Grallertgewebe nahestehende (rewebsbildung. Auch anatomisch 
ist das Chordaepithel innig mit der Faserscheide verbunden. Die 
Substanz des Protoplasmas der Chordaepithelzellen geht häufig 
direkt in die Fasern des Scheidengewebes über. Andererseits 
liegt die Chordaepithelzelle nach der Chorda hin häufig so, dass 
sie in den Zwischenraum zweier aneinanderstossender vakuoli- 
sierter Zellen keilförmig sich hineinschiebt und bei Wucherungs- 
und Vermehrungsprozessen die Membranen der vakuolisierten 
Zellen leicht auseinanderdrängen kann. Der chondrogenetische 
Prozess, der nun durch die Chordaepithelzellen, welche äusserst 
bildungsfähig sind und an embryonale Zellen erinnern, eingeleitet 
wird, kann als ein ähnlicher Prozess, gewissermaßen als eine 
weitere Fortsetzung des entwicklungsgeschichtlichen betrachtet 
werden. Man kann wohl schon im ersten Beginn des Prozesses 
Teilung und Vermehrung der Chordaepithelzellen wahrnehmen: 
das wesentliche ist aber die Bildung eines protoplasmatischen 
Netzwerkes (Fig. 5, Taf. V; Fig. 3, Taf. IV) zwischen Chorda- 
epithelzellen und Faserscheide, wodurch erstere von letzterer ab- 
gehoben werden. Es entsteht auf diese Weise ein kleiner, nach 
der Mitte der Chorda zu vorspringender Wulst (Fig. 6, Taf. V), 
welcher bei weiterem Wachstum eine mehr homogene Beschaffen- 
heit annimmt und die ursprüngliche Chordaepithelzelle um- 
schliessen und einspinnen kann. Dieser Vorgang findet, wie bereits 
Kapelkin hervorgehoben hat, anfangs nur an einigen Stellen der 
Peripherie derChordazellen statt. Bemerkenswert ist, dasseineTeilung 
und Vermehrung des Chordaepithels nunim Anfang nicht immer 
zu konstatieren ist; eskann vielmehr dererste Anfang des 
Prozesses ohne Epithelvermehrung vor sich gehen. 


s0 Friedrich Krauss: 


Sehr frühzeitig kann eine chondromukoide Umwandlung der 
wulstförmigen Bildung eintreten und gleichzeitig eine solche 
Verschmelzung mit der Faserscheide, dass man keine Grenze 
mehr zwischen beiden unterscheiden kann. Man hat dann eine 
bis zur Elastica externa sich gleichmässig färbende Masse vor 
sich. Häufig kommt es zwischen Wulst und Faserscheide zur 
3ildung kleiner Vakuolen; zuweilen bilden dieselben reihenförmig 
angeordnet die Grenze zwischen Öhordaknorpel und Faserscheide. 
Sie entstehen entweder durch erweiterte Maschen des proto- 
plasmatischen Netzwerkes oder durch stärkere Abhebung des- 
selben von der Faserscheide. 

Während des Wachstums des Wulstes hat sich auch das 
Chordaepithel in seiner Nachbarschaft in lebhafter Weise ver- 
mehrt und zwar, wie mir scheint, mehr passiv durch den Reiz, 
welchen der gewissermaßen als Fremdkörper wirkende kompakte 
Wulst auf die Umgebung ausübt. Die jungen Zellen wandern 
alsdann wie Vorläufer an die Peripherie des Wulstes (Fig. 6, Taf. V), 
wo sie meist frühzeitig in die sich dort bildende Grundsubstanz 
eingeschlossen und zu Knorpelzellen werden: Es ist aber auch 
möglich, dass sie vorher die in den vakuolisierten Chordazellen 
vor sich gehenden metaplastischen Prozesse beeinflussen. Auch 
können sie, wie besonders beim Salamander, direkt zur Bildung 
‚neuen Knorpelgewebes beitragen. Nach der Vermehrung und 
Auswanderung der Chordaepithelzellen können oft grosse Strecken 
des inneren Randes der Faserscheide frei von solchen bleiben. 

Im weiteren Verlauf des chondrogenetischen Prozesses kann 
der Knorpelwulst nun mit anderen ähnlichen peripherischen Wülsten 
verschmelzen oder auch mit dem von den vakuolisierten Chorda- 
zellen gebildeten fädigen Netzwerk sich verbinden und können 
so allmählich umfängliche Partien der Chorda zur Verknorpelung 
kommen. 

Nachdem nun die Bildung :des Chordaknorpels von seiten 
des Chordaepithels in der beschriebenen Weise in die Wege ge- 
leitet worden ist, werden unterdessen auch die vakuolisierten 
Chordazellen, in welchen es bisher nur zu Membranverdickungen 
und fädigen Netzbildungen im Innern der Vakuolen gekommen 
war, mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen. Das Endo- 
plasma der vakuolisierten Zellen gewinnt im Verhältnis zu dem 
Exoplasma, den Vakuolenwänden, welche früher ein integrierender 


Der Chordaknorpel der Urodelen. sl 


Bestandteil der Gesamtzellen waren, eine grössere Selbständigkeit 
und kann nunmehr für sich als Zelle betrachtet werden, während 
die verdiekten Vakuolenwände mehr und mehr sich von der eigent- 
lichen Zelle absondern und interzelluläre Natur annehmen. Die 
anfänglichen Veränderungen an den Vakuolenwänden nehmen nun 
zu und aus den verdickten Membranen entstehen dicke, faser- 
reiche Balken. Die Fasern der Balken ziehen meist parallel 
zueinander. Das Netzwerk im Innern der Vakuolen wird dichter, 
auch können innerhalb der zu Balken verdickten Scheidewände 
netzförmige Züge auftreten, welche sich teils aus komprimierten 
mit Netzwerk erfüllten Vakuolen, grösstenteils aber mehr selb- 
ständig zwischen den auseinandergewichenen Faserzügen der 
Scheidewände gebildet haben (Fig. 9, Taf. IV; Fig. 4, 6, Taf. V). 

Alle diese in und zwischen den vakuolisierten Zellen sich 
vorfindenden faserigen, netzförmigen und membranösen Bildungen 
zeichnen sich durch ein von echtem Protoplasma verschiedenes 
Verhalten aus. Wenn auch durch Färbemittel kein Unterschied 
nachzuweisen ist, so spricht, abgesehen von der später zu be- 
sprechenden Art ihrer Genese, die trübe, graue Farbe und die 
vielfach wie gequollene Beschaffenheit dieser Gewebe dafür, dass 
sie vom Protoplasma verschieden sind. Ich gebe aber zu, dass 
es bei den feineren Fäden nicht immer möglich ist, zu sagen, wie 
weit das Endoplasma der Zellen reicht und wo diese mehr inter- 
zellulären Charakter tragenden Bildungen anfangen. 

An der Hand der auf Tafel VI abgebildeten schematischen 
Figuren wollen wir die Details dieser Bildungen näher erörtern. 
Die Vakuolen zeigen die verschiedensten Grössen und Formen, 
vielfach sind sie grösser als die gewöhnlichen Chordavakuolen, 
oft über das Doppelte; es gibt aber auch kleinere. Wie ich 
glaube, sind die grösseren durch Steigerung des Flüssigkeits- 
druckes im Innern der Vakuolen bei der Kompression des Gewebes 
durch den andrängenden Chordaknorpel und durch Schwund von 
benachbarten Wänden entstanden, während die kleineren teils 
durch Schrumpfung der Wände mit Flüssigkeitsverlust, teils durch 
Faserbildung im Innern der Vakuolen sich gebildet haben. Die 
Form der Vakuolen ist ebenfalls sehr verschieden. Die Kerne 
liegen häufig nicht am Rande, sondern in der Mitte der Vakuolen 
(Fig. 40, Taf. VI), zuweilen auch in den verbreiterten Scheide- 


wänden oder in den durch Zusammenstoss derselben gebildeten 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 6 


32 Friedrich Krauss: 


Zwickeln und sind oft sehr chromatinreich (Fig. 6, Taf.V; Fig. 28, 
42, 44, 45, Taf. VI). In seltenen Fällen konnte ich zwei Kerne in 
einer Vakuole wahrnehmen (Fig. 31, Taf. VI). Sehr interessant 
ist der Inhalt der Vakuolen. Oft geht von einem in der 
Mitte der Vakuolen gelegenen Kern, welchen eine geringe Menge 
Protoplasmas umgibt, ein meist radiär verlaufendes Faserwerk 
aus (Fig. 40, Taf. VI). Häufig trifft man Vakuolen ohne Kern, 
welche nur von Faserwerk erfüllt sind oder von quergespannten 
Fäden durchzogen werden (Fig.9, Taf. IV; Fig.5, Taf. \‘; Fig. 32,36, 
Taf. VI; Fig. 14, Taf. IV); ferner kommen als Vakuoleninhalt 
häufig zarte Membranen (Fig. 29, 31, 32, 33, Taf. VI) oder unregel- 
mässig umrandete Teile derselben vor, oft schleierartig aus- 
gespannt (Fig. 29, 35, 34, Taf. VI) oder mehr zusammengewunden 
(Fig. 30, Taf. VI). Alle diese Gebilde können in der mannig- 
fachsten Weise durch Fäden und Faserwerk sich mit der Vakuolen- 
wand verbinden oder auch mehr frei in der Vakuolenflüssigkeit 
suspendiert sein. In letzterem Falle sieht man sie häufig fein 
baumförmig verzweigt endigen (Fig. 26—28, Taf. VI). Die Fasern 
selbst sind von verschiedener Dicke, meist sehr fein und zart, 
können sie sich so verdicken, dass sie breite Septen innerhalb 
der Vakuolen bilden (Fig.4, Taf. V). An allen genannten Bildungen 
treten früher oder später chondromukoide Umwandlungen auf. 
Meist in Form von Tröpfchen, einzeln oder zu Fäden aneinander 
gereiht (Fig. 25—28, Taf. VI), oft auch in Form grösserer Tropfen 
oder mannigfaltiger eigentümlicher Figuren. Ferner sieht man 
kleine zackige Gebilde oder unregelmässige Platten (Fig. 17—28 
und 37, Taf. VI), ferner geweihartig verzweigte (Fig. 23, Taf. VI) 
oder bandförmige verflochtene Gebilde. Besonders bemerkt man 
sie anfangs am Rande der Vakuolen (Fig. 17, Taf. VI), oder an 
den im Innern derselben befindlichen Fäden (Fig. 36 u. 37, Taf.V]). 

Auch die in den verdickten Zwischenwänden der 
vakuolisierten Zellen vorhandenen feineren histologischen Details 
sind bemerkenswert. Die Zwischenwände werden auseinander 
getrieben, indem zwischen ihren Fasern sich ähnliche Fasernetze 
bilden, wie die in den Vakuolen vorhandenen. Die Faserbildung 
lässt es nun zu besonders typischen Bildern kommen. So sieht 
man häufig in der Mitte zwischen den Faserzügen kleine quere 
Verbindungsfäder, wodurch perlschnurartig aneinandergereihte, 
kleine, runde oder eckige Vakuolen erzeugt werden (Fig. 25, 35, 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 83 


41,45, 44, 45, Taf. VI). Weiter können in den dreieckigen Zwickeln 
Figuren zum Vorschein kommen, wo zwischen quergefaserten 
Schenkeln von der Spitze zur Basis Vakuolen von zunehmender 
Grösse enthalten sind (Fig. 41 u. 43, Taf. VD. Ferner können 
auch Massen von albuminoider Substanz zwischen den Fasern 
sich ausbilden, welche auf dem Durchschnitt schmale längliche 
(Fig. 42, Taf. VI) oder konzentrisch ineinander laufende Linien 
(Fig. 45, Taf. VI) darstellen. Endlich können Fasernetze von ver- 
schiedener Dichtigkeit auftreten und sich mit den früher bei den 
Vakuolen beschriebenen Bildungen in vielgestaltiger Weise kompli- 
zieren. In gleicher Art wie an den Vakuolen tritt auch hier die 
chondromukoide Metamorphose auf. Dieselbe nimmt weiterhin 
mehr und mehr zu und ergreift schliesslich in mehr allmählichem 
oder schnellerem Fortgang den gesamten Inhalt der Vakuolen 
und ihrer Scheidewände. Zuletzt kommt es zur Bildung hmer 
oder weniger homogener. chondromukoid metamorphosierter 
Massen, in welchen man oft noch Züge früherer Zellwände und 
Zellmembranen nachweisen kann (Fig. 9, Taf. IV) 

Aufrtallrent.ususest.u dass. bein.allem diesen, Ver- 
änderungen der vakuolisierten Chordazellen die 
nächst benachbarten oft ganz normal erscheinen und 
dass die Übergänge von den einen zu den anderen vielfach ganz 
unvermittelt sich darstellen, oft ohne, dass eine Ansammlung von 
embryonalen Zellen bemerkbar wäre, insbesondere ohne irgend- 
welche von diesen ausgehende Gewebsbildung (Fig. 9, Taf. IV; 
Fig. 5, Taf. V). Auch scheint das Endoplasma der vakuolisierten 
Chordazellen, obwohl lebenskräftig, nur selten sich zu vermehren 
(Bie2st TarsyınE 

Die Bildung des Chordaknorpels hat im allgemeinen die 
Tendenz von der Peripherie gegen das Zentrum vorzuschreiten ; 
es unterliegt aber nach meinen Untersuchungen keinem Zweifel, 
‚dass sich auch unabhängig von den peripheren Partien mehr 
zentral gelegene bilden können, welche von Anfang an ähnlich 
wie die vorher geschilderten lediglich durch eine chondromukoide 
Metaplasie vakuolisierter Chordazellen entstanden sind (Fig. 9, 
Tate IV Eee Pak. VW). 

An dieser Stelle möchte ich hervorheben, was auch von der 
Mehrzahl der neueren Autoren nachgewiesen wurde, dass ich die 


Elastica externa für gewöhnlich intakt zwischen dem 
6* 


S4 Friedrich Krauss: 


Chordaknorpel und dem skelettoblastischen Gewebe verlaufen ge- 
funden habe. In seltenen Fällen konnte ich wohl kleine winzige 
Unterbrechungen, wie Lwoff sie beschrieben hat, an ihr 
konstatieren, aber gerade an diesen Stellen war nichts zu be- 
merken, was an eine Einwanderung von Zellen des perichordalen 
Gewebes hätte denken lassen können. Ich konnte sogar häufig 
eine partielle Wucherung des intervertebralen Knorpels oder des 
jenigen des oberen Bogens mit starker Hervorwölbung desselben 
gegen die Chorda hin konstatieren (Fig. 6, Taf. IV)’ ohne dass 
die Elastica, abgesehen von einer geringen Verdünnung, irgend 
eine Läsion ihres Gewebes gezeigt hätte. Ihre Kontinuität war 
nirgends unterbrochen. 

Was nun den auf die beschriebene Weise gebildeten, den 
grössten Teil des vertebralen Chordaquerschnitts einnehmenden 
Knorpel betrifft, so lässt er längere Zeit einen Teil komprimierten 
Chordagewebes in seiner Mitte frei, den sogenannten Chorda- 
strang. Ich habe gefunden, dass die Bildung des Chorda- 
stranges nicht allein durch eine Kompression des von der 
Peripherie her andrängenden Knorpels entsteht, da die Anfänge 
desselben sich schon zu einer früheren Zeit bilden, wo von einer 
nennenswerten Kompression des Chordagewebes noch keine Rede 
sein kann. Ich möchte vielmehr einen Teil seiner Bildung schon 
auf Rechnung der Veränderungen setzen, wie sie bereits anfangs 
und besonders im zentralen Teil der Chorda als Früherscheinungen 
der Chondrogenese in Form von Verdiekung und Trübung der 
Scheidewände der Chordazellen auftreten. Weiter habe ich auch 
eefunden, dass der CUhordastrang ein eigentümliches färberisches 
Verhalten zeigt, da er sich durch eine ausgesprochene Acidophilie 
auszeichnet. Während sonst die Scheidewände und Membranen 
des Chordagewebes mit sauren Farben nur eine schwache Färbung 
annehmen, färbt sich der Chordastrang und zwar nur im Bereich 
des Knorpels oder doch nur wenig darüber hinaus intensiv mit 
sauren Farben: so mit Eosin leuchtend rot (Fig. 7, 10, Taf. V), 
mit Kresylviolett intensiv blau, mit Lichtgrün smaragdgrün, mit 
Pikrinsäure intensiv gelb. Diese färberische Eigenschaft ist um 
so auffallender, als sonst solche dem Knorpel dicht anliegenden 
Faserzüge, wie Studni@ka beschrieben hat, durch das Chondro- 
mukoid des benachbarten Knorpels eine ihm ähnliche basische 
Färbung annehmen. Der Grund der stärkeren Acidophilie des 


ot 


Der Chordaknorpel der Urodelen. of} 


Chordastranges ist auch nicht etwa daran gelegen, dass hier der 
färberische Effekt mehrerer zusammenliegender Chordafaserzüge 
sich zu einer stärkeren Gesamtwirkung summiert, denn auch die 
mehr vereinzelt im zentralen Gebiet des Chordakorpels liegenden 
Faserzüge färben sich meist in gleich intensiver Weise mit sauren 
Farben wie der Chordastrang. Es scheint mir hier ein Verhalten 
vorzuliegen wie beim Vorknorpel, bei welchem die Scheidewände 
sich auch mit sauren Farben färben, ehe sie später eventuell die 
chondromukoide Färbung annehmen. 

Der fertige Chordaknorpel zeigt in seinen frühesten 
Entwicklungsstadien noch zahlreiche Merkmale, welche an die 
Art und Weise seiner Entstehung erinnern (Fig. 10, Taf. V). 
Was die Zellen betrifft, welche teils von den Chordaepithel- 
zellen, teils von den Endoplasmazellen der vakuolisierten Chorda- 
zellen sich herleiten, so kann ihre Zahl, Dichtigkeit der Lagerung, 
ihre Grösse, Form und Beschaftenheit, sowie ihre Verbindung mit 
der Kapsel und die Ausbildung der letzteren je nach dem Alter 
des Knorpels eine sehr mannigfaltige sein. Im Anfang sind die 
Zellen häufig noch zahlreich, dichter gelagert, mit chromatin- 
reichen Kernen versehen und reich an Protoplasma (besonders 
bei Salamandra maculata) und zeigen noch vielfach innigen 
Zusammenhang des Protoplasmas mit der Kapsel, sodass bei der 
Fixation zahlreiche kurze, feinste” Ausläufer, welche mit Vorliebe 
die Knorpelfärbung annehmen, zwischen Protoplasma und Kapsel 
zu bemerken sind. Daneben gibt es aber auch noch Zellen, 
welche nur wenig perinukleäres Protoplasma haben und lange, 
meist breitere Protoplasmaausläufer zur Kapsel, gelegentlich 
auch in die feinfaserige Grundsubstanz schicken. In letzterem 
Fall ist die Kapsel auch nur wenig ausgebildet. Ferner gibt es 
Zellen mit weitmaschigem Protoplasma, welches sich an einzelnen, 
auf dem Durchschnitt halbmondförmigen Partien der Peripherie 
verdichtet (Fig. 40, Taf. VI). Dieselben färben sich ähnlich den 
peripheren zur Kapsel gehenden Protoplasmafortsätzen gern mit 
Knorpelfarbstoffen.. Häufig sieht man grössere oder kleinere 
Vakuolen entweder leer oder mit dichtem, die Knorpelfärbung 
annehmendem Fasernetz (Fig. 39, Taf. VI), ferner auch mehr 
oder weniger intensiv basophil gefärbte Flecken von der Grösse 
der Knorpelzellen. Sie sind als Knorpelzellen aufzufassen, welche 
nur noch undeutlich oder schattenhaft an ihre frühere Existenz 


Ss6 Friedrich Krauss: 


erinnern und im Begriff stehen, sich in Knorpelgrundsubstanz 
umzuwandeln („verdämmernde Zellen“, Schaffer [38]). Auch gibt 
es Zellen, deren Kerne arm an Öhromatin oder in Degeneration 
sind, welchen das Schicksal der eben geschilderten Zellen bevor- 
steht. Gelegentlich kommen Vakuolen vor, welche kernloses Proto- 
plasma von der Grösse einer Knorpelzelle einschliessen (Fig. 6, 
Taf. V), oder Vakuolen mit ringförmigem Protoplasma mit oder 
ohne Kern, ferner Kapseln mit zwei Zellen. Zuweilen sind auch 
Knorpelzellen mit unregelmässig geformter Kapsel zu beobachten. 
Einmal konnte ieh eine Zelle konstatieren, welche von Knorpel- 
srundsubstanz dicht umgeben war, während durch einen schmalen 
Saum von ihr getrennt sich eine kleine leere Vakuole vorfand. 
Häufig sind auch Chondrintröpfehen sowohl im Faserwerk der 
Zellen und am Rande der Vakuolen, als auch in der Grund- 
substanz, besonders im Bereiche der verknorpelten Faserscheide, 
vorhanden. Dort sind sie gewöhnlich grösser und oft zackig 
(ib TaV) 

Die Grundsubstanz ist teils homogen, teils fein faserig 
und zeigt im jungen Chordaknorpel oft recht unregelmässige 
basophile Färbung, wodurch häufig eine verwaschene Zeichnung 
mit abwechselnd heller und dunkler gefärbten Stellen entsteht. 
Besonders um die Kapseln herum ist die Grundsubstanz meist 
stärker gefärbt und feinfaserig, oft daselbst auch konzentrisch 
geschichtet mit abwechselnd dunkleren und helleren Schichten 
(Fig. 10, Taf. V). Von der Faserscheide ist im vorgeschritteneren 
Stadium der Knorpel meist nicht mehr abzugrenzen. Das Knorpel- 
gewebe reicht dann bis an die Rlastica externa; man kann dann 
typische Knorpelzellen mit Kapseln nahe an der Elastica externa 
bemerken. In jedem Falle bleibt aber die Elastica externa dentlich 
als Grenze bestehen; von einer Einwucherung von Elementen 
des äusseren Knorpels ist nichts zu bemerken. 

In einigen Präparaten fand ich eine durch Alkohol hervor- 
gerufene netzförmige Beschaffenheit der Grundsubstanz. Wenn 
solche Artefakte auch keine weitere Bedeutung haben, so zeigen 
sie doch vielleicht, dass, wie auch Flesch dies in ähnlichen 
Fällen annimmt, hier dichtere Partien der Knorpelgrundsubstanz 
mit weniger dichten abwechseln. Auch Bütschli konnte dureh 
geeignete Behandlung des hyalinen Rippenknorpels des Kalbes 
(Einlegung in Alkohol und Austrocknung unter der Luftpumpe) 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 87 


ein aus Interzellularsubstanz bestehendes Wabennetz in der 
Grundsubstanz sichtbar machen, was für gewöhnlich der 
Beobachtung entging. 

Nach vollendetem Larvenleben nimmt der Zellenreichtum 
des Chordaknorpels ab. Auch färbt sich die Grundsubstanz dann 
streckenweise mit basophilen Farben weniger gut (metachondrales 
Stadium). Der Chordastrang (Fig. 10, Taf. V) schwindet im Ver- 
laufe des Verknorpelungsprozesses auch mehr und mehr; der 
Chordaknorpel nimmt dann durchweg in seiner Grundsubstanz 
eine mehr homogene Beschaffenheit an. 

Bezüglich der Bildung des Chordaknorpels in den einzelnen 
Wirbelabschnitten ist bekannt, dass er im Schädelteil der Chorda 
beginnt und allmählich nach dem Schwanzende zu fortschreitet 
Im Schädelteil sowohl wie in der Schwanzpartie zeigt die Bil-. 
dung des Chordaknorpels jedoch häufig Unregelmässigkeiten, 
In der Schädelchorda ist die Verknorpelung meist in unregel- 
mässiger Weise über grössere Strecken verbreitet und ist dort 
oft noch in den Anfängen, während sie in den oberen Rumpf- 
partien schon weiter fortgeschritten ist. Ebenso kann auch in 
der Chorda des Schwanzes manchmal eine Wirbelpartie in der 
Verknorpelung erheblich gegen die benachbarten Partien zurück- 
bleiben. 

Am Schlusse dieses Kapitels ist über die Bildung des 
Chordaknorpels beim Salamander und Triton noch 
zu sagen, dass sie im wesentlichen gleich verläuft wie beim 
Axolotl, indessen, wie früher schon gesagt, spielt sich hier der 
Werdegang des Prozesses weniger deutlich ab, da die zelligen 
Elemente kleiner sind und die Verknorpelung in mehr unregel- 
mässiger Weise verläuft Bemerkenswert ist, dass von Anfang 
an neben den vertebralen auch die intervertebralen Partien der 
Chorda Veränderungen zeigen, welche in Form von fädigem, 
chondromukoidem Gerüstwerk innerhalb der vakuolisierten Zellen 
der Chorda sich darstellen. Es besteht hier nicht, wie beim Axolotl, 
ein ausschliesslich auf die vertebralen Teile, beschränktes Frühs- 
tadıum der Chondrogenese. Auch ist die Bildung des Chordaknorpels 
häufig eine mehr insuläre. Man findet dann isolierte zentrale 
Knorpelinseln neben den peripheren und dies nicht nur in 
vertebralen, sondern auch in intervertebralen Teilen (Fig. 7, 
Taf. V). Von den peripheren Partien sind diese oft durch dicke 


58 Friedrich Krauss: 

Stränge komprimierten Chordagewebes getrennt. Noch am Ende 
des Larvenlebens kommt es zu ausgedehnter Verknorpelung nicht 
nur im vertebralen Teil, sondern auch in dem relativ engen, 
intervertebralen Teile der Chorda. In letzterem zeigt die Chorda 
vor der Verknorpelung chordastrangähnliche Verdickung der Zell- 
membranen und Verkleinerung der Vakuolen. Beim Axolotl 
kommen intervertebrale Verknorpelungen nur andeutungsweise 
bei älteren Tieren vor. Auf die bei erwachsenen Tritonen und 
Salamandern weiter vor sich gehenden Veränderungen der Chorda 
durch Markraumbildungen und gelenkartige Bildungen in den 
Intervertebralteilen gehe ich hier nicht ein. 


II. Regenerationsversuche. 


Wenn ich auch im allgemeinen die Resultate von Barfurth, 
Fraisse und von Nusbaum und Sidoriak bei der Regeneration 
des Schwanzendes des Axolotls und der Forelle bestätigen konnte, 
so haben doch meine Resultate einige erwähnenswerte Besonder- 
heiten aufzuweisen. Wie bereits Barfurth hervorgehoben hat, 
macht es in bezug auf die Art und die Schnelligkeit der Regene- 
ration des Schwanzendes einen wesentlichen Unterschied, ob man 
die Embryonen im Ei amputiert hat, oder erst später, nachdem sie 
ausgeschlüpft sind. Ich habe von solchen Embryonen der ersten 
Kategorie nur den Axolotl untersuckt (Fig. 13, Taf. VI). Hier 
bildet sich der Chordastab, (Barfurth, nach anderer 
Bezeichnung Knorpelstab) als welcher sich die regenerierte 
Chorda späterhin darstellt, vorzugsweise aus den Chordazellen 
des unteren Chordaendes und zwar sowohl der epithelialen Rand- 
zellen, alsauch der in ihrer nächsten Nähe befindlichen vakuolisierten 
Zellen. Trotz ihrer Differenzierung haben letztere einen noch 
jugendlichen Charakter und ist ihr Endoplasma sehr geneigt, sich 
durch Teilung zu vermehren, wobei zahlreiche Kernteilungsfiguren 
auftreten. Die durch Teilung entstandenen neuen Zellen bei 
diesen ganz jungen Axolotlembryonen besitzen ein durch Häma- 
toxylin stark färbbares Protoplasma und zeigen in ihrer Umgebung 
Züge und Netzwerk von Protoplasmafasern, welche bald die 
chondromukoide Umwandlung erfahren. Die von Barfurth 
beschriebene, bei der Regeneration ganz junger Embryonen auf- 
tretende Umwandlung neugebildeter Chordazellen in grosse hyaline 
Zellen, welche später zu Zellen des Chordastabes wurden, ent- 


Der Chordaknorpel der Urodelen. sg 


spricht vielleicht diesen grossen durch Teilung entstandenen Zellen 
am Übergange des Chordaendes in den Chordastab. Neben der 
genannten Bildungsweise des Chordastabes konnte ich aber bei 
diesen ganz jungen Axolotlembryonen auch einemetaplastische 
Umwandlung bereits differenzierter CGhordazellen 
beobachten. Diese tritt häufig etwas proximalwärts vom Chorda- 
stab an einer kleineren Zahl von Chordazellen auf, in Form kleiner 
Netzbildungen oder mehr gröberer, unregelmässig geformter albu- 
minoider Massen im Innern der Vakuolen, in ähnlicher Weise, 
wie wir solche bei der Bildung des Chordaknorpels beschrieben 
haben. Auch die chondromukoide Umwandlung oder Ausscheidung 
erfolgt ähnlich wie dort in unregelmässiger Ausdehnung früher 
oder später. 

Was die Beteiligung von perichordalen Zellen an der Bildung 
des Chordastabes betrifft, so konnte ich weder bei ganz jungen 
Embryonen, noch auch bei alteren eine solche mit Sicherheit 
nachweiseisen. 

Jedenfalls ersehen wir aus dem mitgeteilten Befunde, dass 
auch bei ganz jungen, im Ei amputierten Embryonen vom Axolotl 
schon in früher Zeit die ersten Anfänge der Chordastabbildung 
sich bemerkbar machen. Nach Barfurth soll dieselbe hier erst 
in späterer Zeit erfolgen, nachdem ein Stadium der Bildung von 
grossen, hyalinen Chordazellen aus dem alten Chordagewebe 
vorausgegangen war. 

Die Regeneration bei älteren Embryonen, von 
welchen ich Axolotl und Forellen untersuchte, verläuft wesentlich 
langsamer und in einer von der beschriebenen etwas verschiedenen 
Weise. Erst einige Tage nach der Amputation des Schwanzes 
von Forellen- und Axolotlembryonen findet eine Überhäutung 
des stark vorgetriebenen Chordaendes durch das Epithel der 
Epidermis statt, dessen Zellen gleichzeitig eine starke Wucherung 
und Vermehrung im Bereiche der Chordaendes darbieten. Bei 
der Forelle kann man ausserdem eine starke Vermehrung der 
Chordaepithelzellen ziemlich weit proximalwärts innerhalb der 
Chorda konstatieren. Ich möchte hier hervorheben, dass das 
Chordaepithel der Forelle überhaupt zu Wucherungs- und Ver- 
mehrungsprozessen sehr geneigt ist und auf Reize jeglicher Art 
sowohl auf äussere als auch auf solche, wie sie durch ein regeres 
Wachstum besonders am unteren Chordaende bei der Bildung des 


90 Friedrich Krauss: 


Chordastabes gesetzt werden, stark reagiert. Das alte, stark ab- 
geplattete Chordaepithel wird nun bei der Forelle durch das 
nachwuchernde neue Epithel oft an manchen Stellen in Form 
eines flachen Saumes abgehoben und nach innen gedrängt. Dieser 
Saum nimmt mit Pikrinsäure meist eine gelbliche Färbung an und 
kann auch später noch zu faserartigen Bildungen atrophieren, 
welche oft in einem nach dem Chordaende zu konvexen Bogen 
von einer Seite der Chorda zur anderen verlaufen. Hie und da 
kommt es zu Wucherungen der Faserscheide, wobei sich nach 
innen ziehende Fasern und Falten bilden können. Beim Axolotl 
erfolgt die Vermehrung des Chordaepithels nur in mässigem 
Grade, aber öfters unter Auftreten schöner Kernteilungsfiguren 
und beschränkt sich nur auf die nächste Umgebung des unteren 
Chordaendes. Bei der Regeneration des Schwanzes älterer Em- 
bryonen war esmirim Anfange der Entwicklung nicht möglich, 
metaplastische Prozesse an den vakuolisierten Chordazellen nach- 
zuweisen. Es scheint, dass hier, wo der Umbildungsprozess von 
Chordagewebe in Knorpelgewebe sich auf eine längere Zeit verteilt, 
als bei der Regeneration ganz junger Embryonen, die am meisten 
distalwärts gelegenen und zwar sowohl die protoplasmatischen 
als die vakuolisierten Chordazellen genügen, um durch Teilung 
und Vermehrung das Knorpelgewebe des Chordastabes zu bilden. 
Erst in etwas späterer Zeit, wenn der Chordastab an ältere, 
vakuolisierte Zellen grenzt, sieht man beim Axolotl sowohl, als auch 
bei Forellen neben der Knorpelbildung vom Chordaepithel auch 
solche durch metaplastische Prozesse an den vakuolisierten Zellen 
in Form von Tröpfchen- und Netzbildung Platz greifen. Auch 
konnte ich in einiger Entfernung vom ausgebildeten Chordastabe 
junger Axolotl isolierte Knorpelherde in der Chorda finden, 
welche mit der Faserscheide in Verbindung standen und als un- 
regelmässige Bildungen von Chordaknorpel aufzufassen sind, wie 
sie in diesem unteren Chordaabschnitte gewöhnlich angetroffen 
werden. 

Bezüglich der normalen Entwicklung des Chorda- 
stabes möchte ich noch bemerken, dass auch hier eine Ein- 
wanderung perichordaler Zellen nicht stattfindet und metaplastische 
Prozesse an den vakuolisierten Chordazellen erst im späteren 
Stadium des Entwicklungsprozesses vorkommen. Der Zeitpunkt 
der Bildung des Chordastabes ist auch nicht an eine bestimmte 


Der Chordaknorpel der Urodelen. I 


Länge des Tieres gebunden. Wenigstens konnte ich bei Tieren 
von gleicher Länge (etwa 2'/» cm bis 3 cm) zuweilen einen wohl 
entwickelten Chordastab nachweisen, zuweilen aber auch nichts 
von einem solchen, sondern lediglich eine Chorda, deren unteres 
Ende aus Chordaepithel und wohlgebildeten vakuolisierten Zellen 
bestehend von einer dünnen Fortsetzung der Faserscheide um- 
geben war und bis nahe an den Hautsaum des Schwanzes reichte. 
Worauf diese Verschiedenheit beruht, vermag ich nicht anzugeben, 
vielleicht sind die bei diesen Tieren öfters vorkommenden kleinen 
Verletzungen des Schwanzendes von Einfluss hierauf. 

Der Chordastab wächst nun aber wie die häufig im Innern 
seines (rewebes zu findenden Kernteilungsfiguren und Tochterzellen 
beweisen, auch durch Intussusception. Ich möchte diesem Wachs- 
tum besonders später, wo der Teilungs- und Vermehrungsprozess 
in den Zellen des untersten Chordaendes kein so reger mehr ist, 
eine grössere Bedeutung beimessen als dem chordalen Wachstum. 


III. Kontinuitätstrennungen der Chorda. 


Bei einer jungen Forelle von ca. 3 cm Länge wurde ein 
Schnitt unterhalb des Afters angelegt, welcher etwas schräg ver- 
laufend, die Chorda vollständig durchtrennte. Das Schwanzende 
blieb noch soweit in Verbindung mit dem Rumpf, dass eine An- 
heilung des getrennten Stückes erfolgen konnte. Vier Wochen 
nach der Operation zeigte sich folgender Befund (Fig. 12. Taf. \V). 
Das periphere Chordaende, welches noch durch einen 
schmalen, auch makroskopisch sichtbaren Streifen eines zellen- 
reichen Narbengewebes von der übrigen Chorda getrennt und 
etwas dorsalwärts verschoben ist, wird von einer gutgebildeten 
Scheide umgeben und endigt mit spitzer Form nahe der dorsalen 
Epidermis. Von einem Chordastab ist noch nichts zu bemerken. 
Die Chorda dieses peripheren Stückes besteht grösstenteils aus 
embryonalen, dicht aneinander liegenden Zellen, welche im Bereiche 
der zentralen Partien weniger gutgefärbte Kerne zeigen, als in 
den peripheren Partien. Auch sind dort die Kerne häufig durch 
breitere Protoplasmapartien ohne deutliche Zellgrenzen voneinander 
getrennt. Einzelne abgeflachte Zellen — alte Chordaepithel- 
zellen —, welche sich mit Pikrinsäure gelb färben, sind hie und 
da eingestreut. Ausser diesen kleinen Zellen und breiteren 
Protoplasmamassen findet man nur in der Mitte grössere und 


92 Friedrich Krauss: 


kleinere Vakuolen. FErstere sind manchmal von einem Kranz 
schmaler, oft etwas länglicher Zellen umgeben. Interessant ist 
das Verhalten des zentralen CGhordaendes. Dort, wo die 
alte Chordascheide aufhört, wölbt sich ein breiter Chordastumpf 
ventralwärts mit etwas zugespitztem Ende bis dicht an die ventrale 
Epidermis vor. Die Vakuolen dieser Chordazellen sind stark 
erweitert. meist ohne Endoplasma und häufig mit einer fein- 
krümeligen Masse angefüllt. Zwischen diesen vakuolenhaltigen 
Zellen liegen aber auch noch protoplasmareiche Zellmassen, deren 
Grenzen nicht immer scharf sind, und deren Kerne meist 
peripherwärts besser gefärbt sind, als in den inneren Partien des 
Stumpfes. Einzelne dieser Zellen sind schmal und länglich und 
besitzen ein mit Hämatoxylin sich intensiv blau färbendes Proto- 
plasma und können mit den von Strasser beschriebenen 
dunkeln, prochondralen Elementen verglichen 
werden. Es ist mir wahrscheinlich, dass der Druck der sich 
ausdehnenden Vakuolen das Zustandekommen derselben veranlasst 
hat und dass in einem späteren Stadium des Prozesses es hier 
zu einer Bildung von echtem Knorpelgewebe gekommen wäre, 
in ähnlicher Weise, wie Nusbaum und Sidoriak dies bei der 
Regeneration des Schwanzendes der Forelle beschrieben haben. 
Die Chordascheide hat sich an der ventralen Seite des Stumpfes 
regeneriert. Dort überzieht sie im Anschluss an die alte Scheide 
in Form einer dünnen, homogenen Haut den sich vorwölbenden 
Chordastumpf. Auch sieht man dort einen aus schmalen Zellen 
gebildeten, nach innen verschobenen Saum alter Chordaepithel- 
zellen, welche sich mit Pikrinsäure gelb gefärbt haben. Die 
Chorda zeigt vom ursprünglichen, zentralen Schnittrande aus 
eine proximalwarts weitreichende Wucherung des Chordaepithels, 
welche sich bis in die zentralen Chordapartien erstreckt und hier 
die Vakuolen vielfach komprimiert und verdrängt hat. 


IV. Transplantationen. 


Es wurden mehrfach Versuche in der in einem früheren 
Kapitel näher erörterten Weise vorgenommen und zwar zum 
Zwecke, den Effekt der durch die Transplantation herbeigeführten 
Entspannung des Chordagewebes zu studieren, insbesondere um 
zu erforschen, ob das Chordagewebe sich dabei etwa in Knorpel- 
gewebe verwandeln würde. In letzterer Hinsicht ergab sich 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 


zwar ein negatives Resultat; immerhin war es aber interessant, 
zu ersehen, dass die ausgebildete Chorda dabei sich wieder dem 
embryonalen Typus näherte, d.h. die alte Chorda wieder jung 
wurde, und zwischen den Membranen breite Protoplasmaschichten 
gebildet wurden, wobei es zu einer allmählichen Verkleinerung 
und schliesslich zum Schwunde der Chordavakuolen kam. In den 
ersten Wochen nach der Transplantation finden sich keine Ver- 
änderungen vor. Erst nach Ablauf von drei bis vier Wochen 
können sich bemerkenswerte Veränderungen ergeben, falls die 
Einheilung glatt ohne stärkere Reaktion in der Nachbarschaft 
erfolgt. Es kommt aber auch vor, dass selbst nach dieser Zeit 
das Transplantat noch wenig verändert ist. Es hängt dies 
oftenbar von anderen Bedingungen noch ab, wie Grösse und 
Form des Transplantats, Ernährungsbedingungen desselben, 
Zirkulationsverhältnisse, Beschaffenheit des Nährbodens etc. 
Einige der wichtigeren Befunde lasse ich hier unter Ver- 
weisung auf die Abbildungen folgen. Fig. 13, Taf. VI und Fig. 14, 
Taf. IV stellen einen Fall vor, wo das vier Wochen alte Trans- 
plantat eines 3 cm langen Axolotls an einer schmalen Stelle mit 
dem intermuskulären Gewebe zur Verheilung gelangt war, 
während ringsherum sich ein ziemlich weiter Lymphraum gebildet 
hatte, in dessen Flüssigkeit einige Lymph- und Endothelzellen 
suspendiert waren. Das Gewebe der Chorda zeigte teilweise 
noch die vakuolisierten Chordazellen mit dazwischenliegenden 
breiten Protoplasmazügen, teilsweise fand sich aber ein aus 
grossen Riesenzellen bestehendes (rewebe, welches nach der 
Peripherie hin in ein feinfaseriges, an Spindelzellen reiches 
3indegewebe überging. Die durch das zwischengelagerte Proto- 
plasma stark verkleinerten Vakuolen waren meist kernlos: in 
das Protoplasma waren bereits einige Granulationszellen ein- 
gedrungen. Ein anderes Präparat (Fig. 15, Taf. IV), ebenfalls 
vier Wochen alt, 3 cm lang, war in seiner ganzen Umgebung 
zur Einheilung gelangt. Hier war eine deutliche, wenn auch in 
ihrer Struktur veränderte Elastika vorhanden. Von der Faser- 
scheide war nichts mehr zu sehen. Im Chordagewebe fanden 
sich noch einzelne grosse und kleine Vakuolen, welche mit einem 
protoplasmatischen, feinwabenartigen Netzwerk erfüllt waren, 
Die Vakuolen zeigten keine Kerne im Innern. Ihre Wand war 
an den grösseren noch deutlich vorhanden und gut von der 


94 Friedrich Krauss: 


Umgebung abgegrenzt, an den kleineren begann sie stellenweise 
sich zu verdünnen. Die Vakuolen waren weit voneinander 
getrennt durch breite Züge eines aus protoplasmareichen Zellen 
mit grossen hellen Kernen bestehenden Gewebes. Einige Kerne 
zeigten schöne Kernteilungsfiguren. An der äusseren Umrandung 
der Vakuolen lagen einige schmale chromatinreiche Kerne. Ein 
drittes Präparat (Fig. 16, Taf. IV) möchte ich der Voilständigkeit 
wegen noch erwähnen, welches, wenn auch für die vorliegenden 
Untersuchungen von keinem Belang, dennoch nicht ohne Interesse 
sein dürfte. Das Transplantat stammte von einem etwas grösseren, 
etwa 4 cm langen Axolotl. Die Transplantation hatte hier zu 
einer stärkeren Haemorrhagie und entzündlichen Reaktion in 
der Umgebung geführt. Das Transplantat lag innerhalb eines 
über die Oberfläche der Haut hervorragenden Granulations- 
knopfes. Man sieht hier auf dem Querschnitt die von zahlreichen 
(Wuerspalten zerklüftete, junge Faserknochenschicht des Wirbels, 
in der Umgebung zahlreiche rote und einzelne weisse Blut-. 
körperchen. Im Innern findet sich eine breite, stark eingefaltete 
Membran, welche wohl als die gequollene, ursprüngliche Faser- 
scheide der Chorda zu betrachten ist. Im Innern sieht man 
ferner noch Riesenzellen, grössere spindel- und sternförmige 
Zellen mit grossen hellen Kernen, sowie auch einzelne grosse 
‘Zellen mit wahrscheinlich durch Blutfarbstoff bräunlich gefärbtem 
Protoplasma. weiter noch mehrfache rote Blutkörperchen und 
einen (refässquerschnitt. 

Bei einer längeren Dauer des Prozesses würde es wohl in 
allen diesen Fällen zu einer allmählichen Resorption der Chorda 
und zur Bildung von Bindegewebe an ihrer Stelle gekommen sein. 


Besprechung der eigenen und der fremden Befunde. 


Um die geschilderten zur Verknorpelung der Chorda führenden 
Prozesse zu erklären, ist es erforderlich, die anatomischen 
Befunde in Einklang zu bringen mit den entsprechenden 
jeweiligen funktionellen Ansprüchen, welche an die Chorda 
in den einzelnen Stadien des Larvenlebens gestellt werden. 

Von wesentlicher Bedeutung ist hierbei, wie auch Gegenbaur 
schon hervorhob, das Auftreten der Verknöcherung im peri- 
chondralen Gewebe des Wirbelkörpers, welche zur Bildung einer 
knöchernen Wandung um die Chorda führt. Solange eine solche 


Der Chordaknorpel der Urodelen. vg 


fehlt, stellt die Chorda ein Rohr dar, dessen Wandung wir uns 
im wesentlichen durch die elastische Scheide, dessen Inhalt durch 
die blasigen, mit Flüssigkeit gefüllten Chordazellen gebildet, 
vorstellen können. In letzterem herrscht nun nach O. Hertwig, 
dessen in seinem Lehrbuch „Die Zelle und die Gewebe“ enthaltenen 
Anschauungen wir hier wiedergeben, infolge osmotisch wirksamer 
Substanzen der Zellflüssigkeit ein beträchtlicher Druck, durch 
welchen die festen Membranen der Zellen prall gespannt werden. 
Die Druckkräfte dieser zahlreichen kleinen turgeszenten Chorda- 
zellen summieren sich nun zu einem beträchtlichen Gesamtdruck, 
durch welchen die gemeinsame Scheide, besonders die Elastica 
externa, in Spannung erhalten wird. Wie Ussow berichtet, 
hat diese Druckspannung eine solche Grösse, dass bei Befreiung 
aus dem Tierkörper die Chorda viermal länger wird und auch 
an Volumen bedeutend zunimmt. Auch ist es eine bekannte 
Tatsache, dass bei Amputation des Schwanzes infolge des Innen- 
druckes ein beträchtliches Stück Chorda wurstförmig hervor- 
getrieben wird. (Siehe auch Fig. 12, Taf. V, wo das zentrale 
Stumpfende der Chorda nach der Kontinuitätstrennung stark 
hervorgetrieben wurde.) Wie nun bei einem Gummischlauch 
durch pralle Füllung mit Wasser die Druckfestigkeit bedeutend 
zunimmt, so besitzt auch die, wie vorhin erörtert, in ihrer 
Elastica prall gespannte Chorda eine ansehnliche mit Elastizität 
gepaarte Festigkeit und kann so erst ihre Funktion, dem Tier- 
körper gleich einem biegsamen Stabe als Stütze zu dienen, 
ausüben. Es ist nun ein allgemeines Gesetz, dass alle Momente, 
welche die Funktion eines Organes ändern, mehr oder weniger 
auch eine Änderung im histologischen Bau desselben herbei- 
führen. Als ein solches Moment ist nun das Auftreten der 
knöchernen Umhüllung der Chorda anzusehen. Hierdurch 
wird die Funktion der Chorda im Sinne einer Entlastung geändert. 
Die Druckspannung im Innern der Chorda ist jetzt unnötig 
geworden und wird nach und nach eine Abnahme erfahren, 
indem mehr und mehr die knöcherne Hülle die Stützfunktion 
übernimmt. Die Veränderungen des Chordagewebes infolge der 
Entlastung werden nun an denjenigen Stellen der Chorda sich 
am meisten ausprägen, wo zuerst und am ausgiebigsten die 
umgebende Knochenschicht angelegt wird. Dies ist die Mitte 
des Wirbelkörpers. Hier sehen wir den Chordaknorpel zuerst 


)6 Friedrich Krauss: 


und in ausgezeichneter Weite gebildet werden, während der 
Intervertebralteil meist frei bleibt oder erst später zur Ver- 
knorpelung gelangt. Es könnte aber bei der Anlage des Chorda- 
knorpels in der Mitte des Wirbels auch der Umstand eine Rolle 
spielen, dass hier meist der Querschnitt des Wirbelkörpers ein 
kleinerer ist und deshalb hier der Knochen noch einer besonderen 
Festigkeit in seinem Innern bedarf. 

Schwierig ist nun die Frage zu beantworten: welche 
feineren Verhältnisse werden durch die Funktionsänderung 
der Chorda am meisten getroffen und in welcher Weise führen 
sie zur Knorpelbildung? In erster Linie kommt nun die Ab- 
nahme der Druckspannung im Innern der Chorda in Betracht, 
welche, wie wir gesehen haben, nunmehr entbehrlich geworden 
ist. Es ist begreiflich, dass mit dem Nachlassen des Flüssigkeits- 
druckes in den einzelnen Zellvakuolen auch das Exoplasma oder 
die Zellmembranen, vielleicht auch die zwischen den Membranen 
sich befindende Kitt- oder Interzellularsubstanz, wie wir solche 
wohl annehmen müssen, die Möglichkeit haben, ein stärkeres 
Wachstum zu betätigen und hierdurch dem Charakter des Knorpel- 
gewebes sich nähern. In dieser Beziehung haben auch die von 
mir in der Absicht vorgenommenen Transplantationsversuche, die 
Wirkung der Entlastung und Entspannung der Chorda zu unter- 
suchen, das bemerkenswerte Resultat ergeben, dass nach drei bis 
vier Wochen sich an Stelle der durch die Membranen der vakuo- 
lisierten Chordazellen gebildeten Scheidewände breite protoplas- 
matische Züge bilden, während die Vakuolen sich mehr und 
mehr verkleinerten, bis schliesslich ein Gewebe entstand. welches 
allerdings kein Knorpelgewebe war, aber in Übereinstimmung mit 
den von Ribbert an den verschiedensten transplantierten Ge- 
weben gemachten Erfahrungen dem embryonalen Chordagewebe 
sehr ähnlich war. Aus diesen Transplantationsergebnissen ist 
aber auch die wichtige Tatsache zu entnehmen, dass die 
vakuolisierten Zellen trotz ihrer weitgehenden 
Differenzierung dennoch imstande sind, ander- 
weitige Umwandlungen zu erfahren. Aus den 
membranösen Exoplasmen sind breite protoplas- 
matische Züge entstanden. Hierdurch ist nun auch die 
Ansicht derjenigen Autoren widerlegt, welche, wie Goette, die 
ausgebildete, vakuolisierte Chorda für ein seniles, keiner 


Der Chordaknorpel der Urodelen. gn 


weiteren Entwicklung mehr fähiges Gewebe halten. Nach Goette 
soll die Vitalität der vakuolisierten Chorda besonders auch dadurch 
herabgesetzt sein, dass entwicklungsgeschichtlich die Vakuolen 
nicht je einer Zelle, sondern Teilen einer Zelle entsprechen, 
indem ursprünglich nicht eine, sondern mehrere Vakuolen in 
einer Zelle sich ausbilden und somit nur eine kleinere Anzahl 
der späteren Vakuolen kernhaltiges Protoplasma enthielten. 
Letzteres widerspricht auch den Untersuchungsergebnissen 
Fields, welcher — bei Urodelen wenigstens — nur eine 
Vakuole in jeder embryonalen COhordazelle nachweisen konnte, 
Zuzugeben ist allerdings, dass bei älteren Tieren atrophische 
Zustände am Protoplasma und den Kernen der vakuolisierten 
Chordazellen auftreten können, bei jüngeren Urodelen ist dies 
jedoch nicht der Fall. 

Die Knorpelbildung in der Chorda würde nun also mit 
einer Herabsetzung des Gewebedruckes einhergehen, 
im Gegensatz zu dem von Strasser an der Extremitätenanlage 
von Tritonenlarven beobachteten Modus. Hier spielte eine durch 
den Wachtumsdruck des jungen Gewebes hervorgerufene Kom- 
pression und Einklemmung von Protoplasmamassen eine Rolle 
und gab zur Entstehung der sogenannten dunklen, sich später 
in Knorpelelemente umwandelnden Körper Veranlassung. Der- 
artige dunkle Gebilde sind bei der Verknorpelung der Chorda 
nicht oder nur selten zu beobachten. Ich fand sie am zentralen 
Stumpfende einer künstlich getrennten Chorda (Fig. 12, Taf. V), 
wo die stark ausgedehnten Vakuolen der Chorda die in ihrer 
Umgebung befindlichen Zellen zu solchen platten dunklen 
Elementen umgewandelt hatten. Nusbaum und Sidoriak 
sahen ebensolche bei der Regeneration des Schwanzendes des 
Forellenembryos, V. Schmidt, J. Barfurth und Fraisse 
im Endteil des Chordastabes. 

Ob nun stets der hydrostatische Druck in der Chorda im 
Verhältnis zur Ausbildung der äusseren Knochenschicht abnimnit, 
ist schwer zu sagen. Manche Verhältnisse, wie die Entstehung 
der grossen Vakuolen im Innern der Hechtchorda in der Um- 
gebung des Chordastranges, sprechen dafür, dass im frühen 
Stadium der Knochenbildung, solange es sich noch um jungen 
Faserknochen handelt, welcher trotz seiner Rigidität noch eine 


bedeutende Elastizität besitzt, vielleicht sogar eine Steigerung 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 7 


95 BETT e dir oihWak@Tzarutsıs: 


des Druckes der Abnahme desselben vorausgeht. Die Bildung 
der Vakuolen könnte aber auch auf andere Weise erfolgen und 
müsste noch an jungen Hechten untersucht werden, wozu mir 
leider das betreffende Material fehlte. 

Ausser der Abnahme der Druckspannung sind nun aber 
auch noch vielleicht andere Momente bei der Funktionsänderung 
der Chorda für die Knorpelbildung in Betracht zu ziehen. Einmal 
die Änderung der Zirkulationsververhältnisse und die hierdurch 
bedingte Änderung der Ernährung des Gewebes, sowie ferner 
eine Verkleinerung des (@uerschnittes der Chorda. Letzteres 
kann. wie mir scheint, zuweilen durch die äussere Knochen- 
anlagerung herbeigeführt werden, dann aber auch in der Natur 
der Entwicklung liegen, wie z. B. beim Salamander und Triton, 
bei denen die Intervertebralpartien der Chorda schon frühzeitig 
sich beträchtlich verengern und deshalb auch zur Bildung von 
Knorpel neigen. 

Dass die Änderung der Zirkulationsverhältnisse von Be- 
deutung für die Knorpelbildung ist und in der Richtung erfolgt, 
dass die Intervertebralabschnitte eine bessere Ernährung er- 
fahren. als die Vertebralteile, ist wahrscheinlich; ich möchte 
aber nicht so weit gehen wie Ussow, welcher die bei Knochen- 
fischen in der Chorda sich ausbildenden grossen Vakuolen als 
entstanden durch einen Degenerationsprozess infolge mangelhafter 
Ernährung durch die veränderte Zirkulation auffasst. im Gegensatz 
zu den durch bessere Ernährung entstehenden mächtigen Inter- 
vertebralsepten. 

Welches nun auch die feineren, zur Bildung des Chorda- 
knorpels führenden ursächlichen Verhältnisse sein mögen, so ist 
doch die Tatsache nicht von der Hand zu weisen, dass zeitlich 
die erste Entwicklung des Chordaknorpels, wie sie sich in der 
Ausbildung des chondromukoiden Fasergerüstes und in der Ver- 
diekung der Scheidewände der blasigen Zellen des Vertebralteils 
der .Axolotlchorda darstellt, mit der ersten Anlage des peri- 
chordalen Knochens zusammenfällt und beide deshalb wohl in 
ursächlicher Beziehung zueinander stehen müssen. 

Wie nun die anatomischen Befunde ergeben haben, ist die 
Knorpelbildung in der Chorda als ein im wesentlichen meta- 
plastischer Prozess zu betrachten, welcher abgesehen von 
den peripheren Partien ohne Beteiligung von embryonalen oder 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 39 


chondroblastischen Zellen (Schaffer) verläuft. Bekanntlich haben 
diejenigen Autoren, welche eine Entstehung von Knorpel aus der 
Chorda, einem seiner Herkunft aus dem Entoderm nach epithelialen 
Gebilde, für ausgeschlossen hielten, ihre Zuflucht zu solchen 
indifierenten Zellen genommen. Man hat alsdann angenommen, 
dass entweder von aussen, vom perichondralen Gewebe, her- 
kommende Zellen durch die Elastica in die Chorda einwanderten 
(Zykoff und Studnicka) oder man hat, wie jetzt die Mehrzahl 
der Autoren, die Zellen des Chordaepithels als embryonale, in- 
ditterente Bildungszellen angesehen. welche einmal imstande 
sind, die spezifischen Chordazellen zu liefern, zweitens aber auch 
dem Stützgewebe angehörige Zellen, wie Knorpelzellen, zu bilden. 
In jedem Falle aber hat man es für unmöglich gehalten, dass 
die bereits mehr differenzierten vakuolisierten Chordazellen sich 
in Knorpelzellen umwandeln könnten. Klaatsch war der einzige, 
welcher die Ansicht vertrat, dass möglicherweise neben den Chorda- 
epithelzellen auch die noch wenig vakuolisierten Chordazellen 
an der Knorpelbildung teilnehmen könnten. Wie unsere Unter- 
suchungen ergeben haben, ist eine Einwanderung von chondro- 
blastischen Zellen durch die Elastica externa in die Chorda nirgends 
nachzuweisen. Die früheren derartigen Beobachtungen, besonders 
von Zykoff, sind teils auf mangelhafte Technik, teils auch auf 
Täuschungen durch die Schnittriehtung oder wie bei der Schädel- 
chorda auf eine nachträgliche, durch Verdünnung und Einschmelzung 
der Elastica externa infolge des Wachstumsdruckes hervorgerufene 
Verbindung des Chordaknorpels mit dem Oceipitalknorpel zurück- 
zuführen. 

Es bleibt deshalb übrig, die lediglich auf die Chordazellen 
zu beziehende Knorpelbildung zu besprechen und wollen wir 
zunächst die Vorgänge an den Chordaepithelzellen be- 
trachten. Auch nach unseren Untersuchungen unterliegt es keinem 
Zweifel. dass dem Chordaepithel ein hervorragender Anteil an der 
Bildung des Chordaknorpels zukommt und verdanken besonders 
die peripheren Partien desselben seine Entstehung dem Chorda- 
epithel. Es kann als Einleitung des peripheren Verknorpelungs- 
prozesses eine Teilung und Vermehrung der Chordaepithelzellen 
stattfinden: immerhin möchte ich aber dem Chordaepithel nicht 
die aktive Rolle zuschreiben, wie es diejenigen Autoren tun, 


welche die Bildung des Chordaknorpels lediglich auf die Tätigkeit 
7&> 


100 Friedrich Krauss: 


des Chordaepithels zurückführen. Die Teilung und Vermehrung 
des Chordaepithels ist besonders im Anfange des Prozesses sehr 
oft noch gar nicht vorhanden, zu einer Zeit, wo, wie oben be- 
schrieben, gerade Veränderungen an den vakuolisierten Chorda- 
zellen und besonders an den zentralen in Form von Verdickungen 
der Zellenmembran und Bildung faserig netzförmigen Gerüstes- 
innerhalb der Vakuolen sich bemerkbar machen. Das Chorda- 
epithel reagiert vermöge seiner innigen Beziehung zur Faser- 
scheide, mit welcher es gewissermaßen einen einheitlichen Apparat 
darstellt, zunächst nur durch eine stärkere Wucherung einzelner 
Zellen, welche sich in der Weise kundgibt, dass das Protoplasma 
in der Umgebung des Kernes und zwar besonders dort, wo es 
mit der Faserscheide zusammenhängt, in Form netzförmiger 
Bildungen zunimmt, wodurch die Kerne mehr nach innen rücken 
und die Faserscheide anscheinend verbreitert wird. In der Regel 
erst später, wenn auf diese Weise kleine umschriebene Wülste 
oder Halbinseln sich gebildet haben, kommt es zur Vermehrung 
und Auswanderung von Ühordaepithelzellen in der Umgebung, 
wie ich glaube durch den Reiz, welchen die mehr kompakte 
Masse der Wülste auf die benachbarten Zellen ausübt. Es ist 
bekannt, dass die mehr jüngeren Zellen des Chordaepithels zu 
Teilungs- und Vermehrungsprozessen mehr geneigt sind, als die 
mehrdifferenzierten vakuolisierten Zellen. Meistens werden wohl 
diese neugebildeten Zellen in die neu sich bildende Knorpel- 
erundsubstanz eingeschlossen, indessen will ich nicht bestreiten, 
dass sie in manchen Fällen, wie besonders bei Triton und 
Salamander, auch wohl imstande sind, weiteres Knorpelgewebe 
aus sich herauszubilden. Beim Axolotl konnte ich solches nicht 
konstatieren, dagegen habe ich inmitten der Schädelchorda eines 
4 cm langen Forellenembryos eine Anhäufung von embryonalen 
Zellen gefunden, zwischen welchen sich eine chondromukoide 
Zwischensubstanz ausgeschieden hatte. Jedenfalls geht die vom 
Chordaepithel gebildete Knorpelsubstanz nicht über die peripheren 
Partien der Chorda, d. h. über das Bereich der noch wenig 
vakuolisierten Chordazellen hinaus. Ich bemerke noch, dass wenn 
lediglich das Chordaepithel als Knorpelbildner anzusehen wäre, 
sich wohl durch Kompression der zahlreichen vakuolisierten Zellen 
und Membranen ein weit mächtigerer Chordastrang bilden müsste, 
als er für gewöhnlich erscheint. 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 101 


Was nun die vakuolisiertenChordazellen betrifft, 
‘so konnten wir hier, wie schon früher gesagt, keine oder doch 
höchst selten Teilungs- und Vermehrungsprozesse konstatieren. 
Es ist auch, wie früher schon hervorgehoben, sehr auffällig, wie 
häufig man in der Umgebung der in Verknorpelung begriffenen 
eigentlichen Chordazellen eine Ansammlung von embryonalen 
Zellen oder auch sonstige Übergänge zu Knorpelgewebe vermisst. 
Oft geht das nicht veränderte Chordagewebe ganz plötzlich in 
die schon erheblich umgewandelten Chordapartien über. Dies 
ist eben nur dadurch erklärlich, dass die Verknorpelung der 
vakuolisierten Zellen, soweit dieselben nicht durch Schrumpfung 
oder Kompression im Chordastrang untergehen, durch einen 
metaplastischen Vorgang erfolet, und damit kommen 
wir auf de chondromukoide Metamorphose zu sprechen. 
‚Es wirft sich uns besonders die Frage auf, wenn wir die mannig- 
faltigen anatomischen Bilder, welche die im Verknorpelungs- 
prozesse begriftenen, blasigen Chordazellen zeigen. betrachten: 
Wie kommt es zu der Bildung der Tröpfehen, welche oft zu 
solchen bizarren Figuren konfluieren und zur Bildung der Netze ? 
Hierauf geben uns nun meines Erachtens die physikalisch- 
experimentellen Ergebnisse von Bütschli und Hardy eine 
gute Erklärung. Die kolloiden Stoffe, zu denen auch das Plasma 
gehört, treten bekanntlich in zwei physikalischen Zuständen: als 
leichttlüssige Lösungen (Solen) und als gelatinierte Substanzen 
(Gelen) auf. Erstere stellen mehr oder weniger feine Suspensionen 
dar, während die gelatinierten Substanzen oder Gele nach 
Bütschli eine besondere heterogene Struktur besitzen und aus 
ersteren durch einen eigentümlichen Entmischungsvorgang ohne 
Wasserverlust dureh innere Umgestaltung hervorgehen. Diese 
Gelatinierung, welche in der sogenannten Phasenbildung, der 
Wasserphase und der Gelatinphase zum Ausdruck kommt, wird 
nach Bütschli hervorgerufen durch den Einfluss, welchen eine 
dritte Substanz auf eine Lösung ausübt. Hardy fand, dass je 
nach der Konzentration, je nach der Temperatur und dem 
Lösungsmedium des Colloids die Gelatinierung unter Bildung 
von Waben oder feinster Tröpfehen vor sich geht und dass diese 
Tröpfehen, welche aus der (Gelatinphase bestehen, allmählich 
erstarren und wenn sie sich berühren, zusammenkleben und Netze 
bilden. Dieses experimentelle Ergebnis erklärt sehr gut die von 


102 Friedrich Krauss: 


uns an den vakuolisierten Zellen gefundenen histologischen 
Details, insbesondere die in den Vakuolen der Chordazellen zur 
Ausscheidung kommenden Tröpfehen und Netze. Wir können 
den Vakuoleninhalt der blasigen Chordazellen als eine leicht 
flüssige kolloide Lösung betrachten. Unter dem Einflusse der 
Tätigkeit des eigentlichen Zellprotoplasmas (Endoplasma) kommt 
es zur Ausscheidung der chondromukoiden Substanz, einer mehr 
konzentrierten kolloiden Substanz in die Umgebung des Endo- 
plasmas und besonders in die Vakuolenflüssigkeit. Durch das 
Zusammentreffen dieser Substanzen erfolgt nun eine Entmischung 
des flüssigen Vakuoleninhalts, eine sogenannte Gelatinierung oder 
Gerinnung, welehe mit einer inneren Umgestaltung des Vakuolen- 
inhalts verbunden ist, wobei es zunächst zur Bildung von 
Tröpfehen kommt. Dieselben sitzen zunächst an den festeren 
’artien des Endoplasmas oder der Vakuolenwände und verbreiten 
sich von dort, Fäden und Netze bildend. durch den Hohlraum 
der Vakuolen. Es muss angenommen werden, dass die Tröpfchen 
in vielen Fällen wohl zuerst in Form einer nicht färbbaren 
albuminoiden Substanz ausgeschieden werden und erst später 
durch weitere chemische Differenzierung sich in Chondromukoid 
umwandeln. denn die aus den Tröpfchen hervorgehenden Fäden 
und Netze nehmen oft längere Zeit die Färbung für Chondromukoid 
nicht an. Statt der Tröpfehen und Netze können in anderen 
Fällen sich auch Waben und Membranen bilden. In gleicher 
Weise wie in den Vakuolen der Chordazellen bilden sich die 
Tröpfehen und Netze auch in den Spalträumen der verdickten 
membranösen Scheidewände der Chordazellen, sowie in und an 
den Maschen der protoplasmatischen Netze der Chordaepithelzellen 
und der Faserscheide. Die Tröpfehen können nicht nur zu 
Fäden sich aneinanderreihen, sondern auch zu grösseren Tropfen 
oder auch zu verschiedenen zackigen oder tropfsteinartigen 
(rebilden konfluieren. Vielleicht können sich auch von Anfang 
an etwas grössere Tropfen bilden. In jedem Falle möchte ich 
die grundlegenden, histologischen Formen der 
ehondromukoiden Metamorphose in der Bildung der 
Tröpfehen und Netze erblicken, durch deren Konfluenz und 
Verdichtung grössere (rewebspartien der Verknorpelung verfallen 
oder, ähnlich wie die kollagenen Fasern, derart von diesen 
Bildungen umgeben oder eingehüllt werden, dass ihre ursprüng- 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 103 


liche Struktur unsichtbar wird (Chondromukoide Maskierung. 
Hansen). 

Die in dieser Weise durch die chondromukoide Metamorphose 
des Inhalts der Vakuolen und der Spalträume der Scheidewände 
entstandenen Gebilde sind nun nicht als Protoplasma, sondern 
als den Interzellularsubstanzen, d. h. etwa dem Fibrin 
oder Muein gleichwertige Gebilde zu betrachten. 

Nachdem wir der Ansicht Ausdruck gegeben haben, dass 
an der Bildung des Chordaknorpels beide Arten von Chorda- 
zellen, sowohl die epithelioformen, als auch die vakuolisierten 
in gleichem Maße beteiligt sind, sodass der ganze Prozess der 
Knorpelbildung im wesentlichen nur als eine strukturelle und 
chemische Umwandlung des Chordagewebes aufzufassen ist, so 
drängt sich jetzt die Frage auf: Welches ist die Natur 
des Chordagewebes und wie ist seine Verwandtschaft 
zum Knorpelgewebe? 

Klaatsch ist von den neueren Autoren derjenige, welcher, 
wie wir in einem früheren Kapitel bei Besprechung der Literatur 
bereits angeführt haben, in konsequenter Durchführung seiner 
Ansichten über die Bildung des Chordaknorpels am meisten 
dazu neigt, eine innige Verwandtschaft zwischen Knorpel und 
Chordagewebe anzunehmen. Er meint, beide Gewebe könnten 
aus dem gleichen Stamme eines indifferenten Stützgewebes 
hervorgegangen sein. Auch Ussow und Ebner haben ähnlich 
sich ausgesprochen, wenn sie auch die Verwandtschaft beider 
(sewebe nicht so betont haben. Ich möchte nun auf Grund 
meiner Befunde bei der Chondrogenese im Chordagewebe der 
verschiedenen Tierspezies die Klaatschsche Ansicht erweitern 
und das Chordagewebe als einen Larvalknorpel bezeichnen, 
d.h. als ein Knorpelgewebe, welches sowohl in der philogenetischen 
als auch in der ontogenetischen Entwicklungsreihe ein verschieden- 
artiges Aussehen darbieten kann, je nach den an dasselbe 
gestellten Ansprüchen. Wie man, um mich dieses etwas trivialen 
Vergleiches zu bedienen, es einer Kaulquappe auch nicht ansieht, 
dass sie sich zu einer gewissen Zeit unter Mitwirkung äusserer 
Verhältnisse zu einem Frosche umwandelt, so verhält es sich 
auch mit dem Chordagewebe, allerdings mit der Einschränkung, 
dass die Kaulquappe ein Frosch werden muss, wenn sie nicht 
vorher zugrunde geht, die Chorda aber nicht Knorpel werden 


104 Friedrich Krauss: 


muss, sondern auf ihrer früheren Entwicklungsstufe stehen 
bleiben kann. 

Auf der niedersten Stufe sehen wir, wenn wir von den 
Wirbellosen (Tunikaten) absehen, beim Amphioxus und den 
Petromyzonten das Chordagewebe aus zelligen Elementen 
bestehen. welche selbst in ihrer am weitesten vorgeschrittenen 
Differenzierung. wie in den Zellen des Chordastranges der 
Petromyzonten, den Knorpelzellen wenig ähnlich sind. Bei den 
Knochenfischen wird im Auftreten der epidermoiden Zellen 
die Ähnlichkeit schon grösser und in gewissen Fällen, wie beim 
Aal und Hecht, schon sehr prägnant. Bei den Urodelen vollends 
sehen wir dann das Uhordagewebe im Chordaknorpel die höchste 
Ausbildung erreichen. Es wird hier ein echtes hyalines Knorpel- 
gewebe gebildet, welches nicht nur wie bei den höheren Wirbel- 
tieren eine provisorische, sondern eine bleibende Einrichtung 
darstellt und zur Stützfunktion mit beitragen hilft, indem es 
den Wirbel in seiner Mitte, wo er den kleinsten Querschnitt 
hat, verstärkt. 

Was nun den Chordaknorpel speziell betrifft, so hat bereits 
Klaatsch die phylogenetische Bedeutung des Chordastranges 
bei Petromyzonten hervorgehoben und die Zellen desselben mit 
den mittleren Zellen der Amphioxuschorda verglichen. Ich möchte 
in Erweiterung dieser Anschauung .meine Ansicht dahin aus- 
sprechen, dass die mittleren Zellen des Amphioxus, der Chorda- 
strang der Petromyzonten und der Knochenfische, sowie der 
Uhordaknorpel der Urodelen gleichwertige Bildungen darstellen. 

Auch konnte ich in den verschiedenen Entwicklungsstadien 
der Chorda der Axolotllarve Befunde konstatieren, welche ich 
als eine ontogenetische Rekapitulation phylogenetischer Ent- 
wicklungsstufen deuten möchte. Zunächst fiel mir bei Axolotl- 
larven von 1!/e em Länge eine eigentümliche Anordnung der 
Chordazellen auf in der Art, dass die Mehrzahl der Zell- 


endoplasmen mit ihrem Kern in der Mitte — in der zentralen 
Längsachse — der Chorda lag. Ich möchte in diesem Verhalten 


ein Stadium sehen, wie es beim Amphioxus erst zu späterer Zeit 
der ontogenetischen Entwicklung in den mittleren Zellen der 
Chorda zum Ausdruck kommt. Weiter konnte ich konstatieren, 
dass einzelne dieser Zellen eine eigentümliche Beschaffenheit 
ihres Protoplasmas darboten, welche sich dadurch auszeichnete, 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 105 


dass es sich mit Farbstoffen färbte, welche Schleim und Chondro- 
mukoid färben. So färbte es sich z. B. mit Kresylviolett rot, 
während das Protoplasma der übrigen Zellen ungefärbt blieb. 
jei etwas grösseren Larven von 2!/s cm kommt es nun schon 
zu einer Bildung. wie wir sie als Einleitung zur Knorpelbildung 
beschrieben haben und durch Verdickung der Zellmembran und 
Ausbildung eines Fadennetzes in den Vakuolen charakterisiert 
ist. Ich möchte in dieser Bildung ein Stadium erblicken. wie 
es im Chordastrang der Petromvzonten und Knochenfische in 
Erscheinung tritt. 

Dem Gesagten zufolge würde die alte Köllikersche Ansicht, 
welche die Chorda für einen Zellenknorpel erklärte, in gewissem 
Sinne zu Recht bestehen bleiben. Kölliker bezeichnete dabei 
den Zellenknorpel als einen Knorpel ohne Zwischensubstanz. Die 
Zwischensubstanz wird nach ihm nur durch die verschmolzenen 
Membranen der Knorpelzellen dargestellt, letztere sind aber 
Produkte der Zellen (Protoblasten). 

Ich habe nun den Ausdruck Larvalknorpel gewählt, 
weil ein Zellknorpel im Köllikerschen Sinne noch nicht als 
echter Knorpel zu bezeichnen ist, denn zum Begriff des Knorpel- 
gewebes gehört doch die Eigenschaft des Gewebes, in seiner 
Grundsubstanz vorübergehend oder dauernd Chondromukoid aus- 
zuscheiden. Auch möchte ich annehmen, dass bei einem solchen 
(sewebe. wie die Chorda, zwischen den verschmolzenen Membranen 
(Exoplasmen) doch noch eine, wenn auch minimale und nicht 
notwendigerweise nachweisbare Menge von verbindender Kitt- 
substanz vorhanden ist. Sonst würde sich der innige Zusammen- 
hang der Membranen nicht erklären lassen. 

Der Begriff des Köllikerschen Zellknorpels dürfte auch 
gleichbedeutend sein mit dem, was man unter Vorknorpel 
versteht. Diese Benennung würde nun wohl auch vielen Eigen- 
schaften des Chordagewebes gerecht werden und hat auch 
Studni@ka schon früher den Ausspruch getan, dass das em- 
bryonale Chordagewebe einem Vorknorpel fast identisch ist. 
Immerhin aber habe ich auch von dieser Bezeichnung Abstand 
genommen, weil man unter Vorknorpel sehr verschiedene Dinge 
begreift; einmal ein bestimmtes Stadium der Chondrogenese: das 
Chondroblastem und ferner den bleibenden Vorknorpel. das so- 
genannte blasige Stützgewebe (Schaffer) und seine Modifikationen. 


106 Friedrich Krauss: 


Auch wird für den Vorknorpel als charakteristisch die homogene 
hyaline Beschaffenheit des Zellprotoplasmas und die Acidophilität 
der Interzellularsubstanz angesehen, was für die Chorda doch 
nur unter gewissen Verhältnissen zutreffen würde. Ich halte es 
für zweckmässig, den Namen „Vorknorpel“ nur für das Chondro- 
blastem zu reservieren. 

Ich komme nunmehr auf die Anschauungen derjenigen 
Forscher zu sprechen, welche die Chorda für ein Epithel- 
gewebe halten und in der Art der Verbindung der Chordazellen 
untereinander durch Interzellularbrücken das wichtigste 
Argument hierfür erblicken. Besonders ist es Studnitka, 
welcher diesen Standpunkt einnimmt. Er selbst hat diese Ver- 
bindung hauptsächlich bei Teleostiern gesehen und gibt zu, dass 
bei Amphibien ihr Nachweis nur in ganz seltenen Fällen ihm 
gelungen sei. Obwohl ich nun meine Aufmerksamkeit auf diesen 
Punkt häufig gerichtet habe, konnte ich mich niemals von der 
Anwesenheit solcher Verbindungen bei Amphibien überzeugen, 
selbst nicht bei ganz jungen Tieren. Was ihr Vorkommen bei 
Knochentischen betrifft, z. B beim Hecht, so sehen allerdings, wie 
auch Ebner dies zuerst schon hervorgehoben hat, die Ver- 
bindungen der Chordazellen den Protoplasmafasern von Epithel- 
zellen der Epidermis ausserordentlich ähnlich, weshalb die Chorda- 
zellen auch als epidermoide Zellen von Ebner bezeichnet wurden. 
Ich sehe indes in der Beschaftenheit dieser Zellen keinen Grund, 
sie als Epithelzellen aufzufassen. Die Mächtigkeit und der unregel- 
mässige Verlauf der Fasern spricht eher gegen ihre epitheliale 
Beschaffenheit. Ausserdem konnte ich im Intervertebralknorpel 
von jungen Axolotl- und Tritonenlarven Knorpelzellen finden, 
welche in ihrem Aussehen und ihrer Verbindungsweise eine grosse 
Ähnlichkeit mit den epidermoiden Zellen der Hechtchorda hatten. 
Wie schon vor vielen Jahren von Flesch, Frommann, 
O0. Hertwig u.a. beschrieben worden ist, komme neben solche 
protoplasmatische Fasern, welche von den Zellen aus an die 
Kapsel und noch weiter in die Grundsubstanz verlaufen können, 
gerade auch beim Knorpelgewebe vor. Auch E. Retterer hat 
bereits früher und ganz neuerdings ein im wesentlichen radıär 
verlaufendes Faserwerk zwischen Kern und den von den peripheren 
Zellpartien gebildeten Kapseln als charakteristisch für das Knorpel- 
gewebe nachgewiesen. Schliesslich möchte ich auch au den 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 107 


Schädelknorpel der Cephalopoden erinnern, wo solche die Grund- 
substanz durchziehenden Protoplasmafaserzüge schon seit langem 
bekannt sind. 


Die von Studniöka im Anfang der Ghordaentwicklung 
beobachtete Bildung von interzellulären Lücken im Synzytium der 
noch nicht getrennten Zellen habe ich auch bei der Bildung des 
Chordaknorpels im Protoplasma, welches aus sich teilenden 
Chordaepithelzellen hervorgegangen war, gesehen (Fig. 5, Taf. IV). 
Bei meiner Beobachtung handelte es sich also um Zellen, welche 
zu Knorpelzellen wurden. Ich möchte die Bildung der Inter- 
zellularlücken, welche nach Studnicka der Bildung der Proto- 
plasmafasern vorausgeht, in eine Linie mit der Vakuolenbildung 
der differenzierten Chordazellen stellen. Das Protoplasma der 
embryonalen Chordazellen hat eben die Tendenz, mit Flüssigkeit 
erfüllte Hohlräume zu bilden und kann, wie wir dies besonders 
bei der Chorda der Teleostier sehen, die Bildung der Vakuolen 
bezgl. des Ortes, der Zahl, der Grösse eine sehr verschiedene 
sein. Ich sehe deshalb die Bildung von Interzellularräumen und 
Interzellularbrücken nur als eine zufällige an, weshalb sıe auch 
nicht als charakteristisch für die epitheliale Natur des Chordagewebes 
anzusehen ist. Für gewöhnlich und bei den Urodelen in der 
regel grenzen die Membranen der Chordazellen glatt aneinander 
und werden, wie man annehmen muss. durch eine geringe, wenn 
auch nicht nachweisbare Menge von Kittsubstanz oder nach 
Waldeyerscher Auffassung von Interzellularsubstanz zusammen- 
gehalten. Die miteinander verschmolzenen Membranen oder 
Exoplasmen der Chordazellen kann man als der Grund- resp. 
Kapselsubstanz des Knorpelgewebes gleichwertig erachten. 


Auch der von den Anhängern der epithelialen Beschattenheit 
der Chorda erhobene Einwand, dass die Chorda entsprechend 
den Untersuchungen von Retzıus kein Chondrin enthalte und 
deshalb dem Knorpelgewebe nicht zugerechnet werden dürfe, 
bedarf nach der von mir gegebenen Bezeichnung der Chorda 
als eines Larvalknorpels eigentlich keiner Widerlegung. Das 
Chondrin erscheint eben nur zu einer bestimmten Zeit, sobald 
die Chorda die Stufe ihrer höchstmöglichen Entwicklungsfähigkeit, 
wie sie sich in der Bildung des Chordaknorpels ausdrückt. er- 
reicht hat. 


108 Friedrich Krauss: 


Ich glaube, dass nach den von mir gegebenen Darlegungen 
die Definition der Chorda als eines Larvalknorpels die so sehr 
wechselnde Beschaftenheit derselben bei den verschiedenen Tier- 
klassen und deren verschiedenen Entwicklungsstufen am besten 
präzisiert. 

Die aus der vorstehenden Arbeit sich ergebenden Resultate 
möchte ich in folgenden Sätzen zusammenfassen: 

1. Der Chordaknorpel der Urodelen entsteht sowohl 
aus den Chordaepithelzellen als aus den vakuolisierten Chorda- 
zellen. Der erste Beginn der Bildung des Chordaknorpels gibt 
sich beim Axolotl durch eine Verdickung der Zellmembranen und 
durch Bildung eines Netzwerkes im Innern der vakuolisierten 
Zellen des Vertebralteils der Chorda zu erkennen. Erst später 
beginnt das Chordaepithel sich an der Chondrogenese zu beteiligen. 

Die Chordaepithelzellen liefern nur die peripheren 
Partien desChordaknorpels, indem sie ein protoplasmatisch faseriges 
Netz. in ihrer Umgebung gleichsam eine Verbreiterung der Faser- 
scheide. ausarbeiten und sich durch Teilung vermehren. 

Das Endoplasma der vakuolisierten Zellen der 
Chorda zeigt dagegen keine oder nur selten Vermehrungs- 
vorgänge. Unter seinem Einfluss und dem der ausgewanderten 
vom Chordaepithel abstammenden Zellen kommt es durch Aus- 
scheidung einer kolloiden Substanz in die Vakuolenflüssigkeit und 
die Flüssigkeit der. übrigen Spalträume der Chorda zu einer 
Gelatinierung derselben, wobei sich Tropfen und Netze bilden, 
welche die Grundlage für die chondromukoide Metamorphose 
abgeben. 

>. Die Ohorda,. obwohl sie ein entodermales Gebilde und 
aus dem Epithel entstanden ist. ist dennoch nicht dem Epithel- 
gewebe zuzurechnen, wie dies heute vielfach geschieht. Sie hat 
mit demselben nichts gemein. Ihre zuweilen vorhandene Ähnlich- 
keit mit dem Epithelgewebe ist nur eine rein äusserliche und 
zufällige. Die Chorda zeigt vielmehr durch ihr Verhalten bei 
der Bildung des Chordaknorpels, dass sie in inniger Beziehung 
zu dem aus dem Mesoderm hervorgegangenen Knorpelgewebe 
steht. Ich möchte die Chorda zur Gruppe der chondroiden 
(sewebe zählen, in welche auch das vesikuläre Stützgewebe 
(Schaffer) in der Achillessehne des Frosches und in ver” 
schiedenen Knorpeln von Myxine und Petromyzon einzureihen 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 109 


ist. Innerhalb dieser Gewebsgruppe nimmt die Chorda jedoch 
eine besondere Stellung als ein Gewebe sui generis ein. Wenn 
auch das Aussehen der CUhorda auf den verschiedenen onto- und 
phylogenetischen Entwicklungsstufen ein sehr verschiedenes ist, so 
kann doch ihre Umwandlung in echtes Knorpelgewebe oder dem- 
selben nahestehendes Gewebe durch eine einfache chemisch- 
strukturelle Metaplasie erfolgen, sobald durch die an das 
(sewebe gestellten funktionellen Ansprüche eine solche Umwandlung 
zweckmässig und notwendig ist. Aus diesem Grunde ist die 
Bezeichnung der Chorda als Larvalknorpel wohl eine berechtigte. 

Am Schlusse dieser Arbeit erlaube ich mir, Herrn Geheim- 
rat Hertwig, welcher mir die Anregung zu derselben gab, 
sowie seinen Assistenten, Herrn Prof. Krause und Prof. Poll für 
das der Arbeit entgegengebrachte freundliche Interesse und die 
Unterstützung durch Material meinen aufrichtigen Dank aus- 
zusprechen. 


Charlottenburg, im Juni 1908. 


Literaturverzeichnis. 


1. Barfurth, J.: Die Erscheinungen der Regeneration. Handbuch der 
vergleichenden und experimentellen Entwicklungslehre der Wirbeltiere. 
Herausgegeben von OÖ. Hertwig, 7. Lief., Jena 1905, 8. 95. 

2. Derselbe: Zur Regeneration der Gewebe. Arch. f. mikrosk. Anatomie, 

Bd. 37. 

Bütschli, ©.: Untersuchungen der mikroskopischen Schäume und 

Protoplasma. Leipzig 1892. 

4. Derselbe: Strukturen künstlicher uud natürlicher quellbarer Körper, Verh. 
med.-nat. Ges., Heidelberg 1895. 

5. Derselbe: Die quellbaren Körper, Abh. Gött. Ges., 1896. 

6. v. Ebner, V.: Wirbel der Knochenfische. Sitzungsbericht der Wiener 

Akademie der Wissenschaft, Bd. CV, Abt. III, 1896. 

Field, H.H.: Bemerkungen über die Entwicklung der Wirbelsäule 

bei den Amphibien. Morph. Jahrb., 22. Bd., Leipzig 189. 

8. Flesch, M.: Untersuchungen über die Grundsubstanz des hyalinen 
Knorpels. Würzburg 1880. 

9. Fraisse, P.: Die Regeneration von Geweben und Organen bei den 
Wirbeltieren bes. Amphibien und Reptilien. Kassel und Berlin 1885. 

10. Frommann, €.: Über die Struktur der Knorpelzellen von Salamandra 
maculata. Sitz.-Ber. d. Jenasch. Ges., 24. Jan. 1879, S. 17. 


wi 


1 


110 


Friedrich Krauss: 


Gadow: On the evulution of the vertebral column of Amphibia and 
Amniota. Philos. Transact. of the Royal Soc. of London. Vol. CLXXXVII. 
1896. 

Gegenbaur, Ü.: Über Bau und Entwicklung der Wirbelsäule bei 
Amphibien. Abhandl. der Naturforsch. Ges. zu Halle, Bd. VI, 1861. 
Derselbe: Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere 
bei Amphibien und Reptilien. Leipzig 1862. 

Derselbe: Vergl. Anatomie der Wirbeltiere, Bd. I, Leipzig 1898, S. 241. 
Götte, A.: Entwicklungsgeschichte der Unke, Leipzig 1875. S. 361, 
367—371, 377 usw. s 

Gurwitsch, A.: Morphologie und Biologie der Zelle. Jena 1904, 
SS 

Hansen, F. ©. C.: Untersuchungen über die Gruppe der Bindesub- 
stanzen und Hyalinknorpel. Anatom. Hefte v. Merkel u. Bonnet, Bd. 27, 
Heft 81. 


. Derselbe: Uber die Genese einiger Bindegewebsgrundsubstanzen. Anat. 


Anz., Bd. 16, 1899. Nr. 17 und 18. 

Hardy: On the Structure of Cell-Protoplasm. Journ. Physiolog, 1899. 
Hasse, C©.: Die Entwicklung der Wirbelsäule von Triton taeniat. 
Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. LIII, Suppl. 1892. 

Derselbe: Das natürl. System der Elasmobranchier. Jena, Fischer. 
Hertwig, O©.: Über die Entwicklung und den Bau des elastischen 
Gewebes im Netzknorpel. M. Sultzes Arch., Bd. IX. 

Derselbe: Die Zelle und die Gewebe. Bd.I, 1893, S. 127. 

Derselbe: Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte. 5. Aufl., 1896, S. 550. 


Kapelkin, W.: Zur Frage über die Entwicklung des axialen Skeletts 
der Amphibien. Bull. Soc. des Naturalistes, Moscou, Tom. XIV, 1900. 
Klaatsch, H.: Beitr. zur vel. Anatom. d. Wirbelsäule. I. Über den 
Urzustand der Fischwirbelsäule. Morphol. Jahrb., Bd. 19, 1893. 
Derselbe: Beitr. zur vgl. Anatom. d. Wirbelsäule. III. Morphol. Jahrb., 
Bd. XXI. 

Derselbe: Über die Chorda und die Chordascheiden der Amphibien. 
Verhandl. d. Anatom. Ges., 11. Versamml., 1897. 

v. Kölliker, A.: Über das Ende der Wirbelsäule der Ganoiden und 
einiger Teleostier. Leipzig 1860. 

Derselbe: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. 
Leipzig, II. Aufl., 1879, S. 401, S. 408. 

Derselbe: Handbuch der Gewebelehre des Menschen, I. Bd., Leipzig, 1889. 
Lwoff, B.: Vergl. Anatom. Studien über die Chorda und die Chorda- 
scheide. Bull. de la Soci6ete Imperial-Naturalistes de Moscou, Nr. 2, 1887. 
Müller, W.: Über den Bau der Chorda dorsalis. Beobachtungen des 
Pathol. Instituts in Jena. I. Jenasche Zeitschr. f. Mediz. u. Naturwissen- 
schaften, Bd. VI, 1871. 

Nusbaum, J. und Sidoriak, $.: Beiträge zur Kenntnis der Regene- 
rationsvorgänge etc. Arch. f. Entwickl. mechan. von Roux, Bd. X, 1900. 


Ne) 


40. 


41. 


Der Chordaknorpel der Urodelen. Kg! 


tauber, A.: Lehrbuch der Anatomie des Menschen, 5. Aufl., 1897. Bd. I, 
8.19, 97, 386. 

Retterer, E.: Evolution du cartilage transitoire. Journ. de l’Anatomie 
et de la Physiologie, I, 36, 1900, p. 467. 

Derselbe: De la Structure reticulöe de la cellule cartilageneuse. Comptes 
rendus de la Societe de Biolog., Tom. 63, 1907, 2. Teil, 8. 782. 
Retzius: Einige Beiträge zur Histologie und Histochemie der Chorda 
dorsalis. Arch. f. Anat. u. Physiol., 1881, S. 89, 108. 

tibbert, H.: Über Veränderungen transplantierter Gewebe. Arch. f. 
Entwicklungsmechan. v. Roux, Bd. VI, 1898. 

Schaffer, J.: Zur Kenntnis des histologischen und anatomischen Baues 
von Ammocoetes. Anat. Anz., Bd. X, 1895, S. 708. 

Derselbe: Über das knorpelige Skelett von Ammoecoetes branchialis nebst 
Bemerkungen über das Knorpelgewebe im Allgem. Zeitschr. f. wissensch. 
Zool., Bd. 61, 1896, S. 639, Anm. 

Derselbe: Bemerkungen über die Histologie und Histogenese des Knorpels 
der Cyklostome. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 50, 1897. 

Derselbe: Grundsubstanz, Interzellularsubstanz und Kittsubstanz. Anat. 
Anz, Bd XIReSII023 92: 

Derselbe: Über den feineren Bau und die Entwicklung des Knorpelge- 
webes usw. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 70, 1901, S. 147. 
Derselbe: Über den feineren Bau und die Entwicklung des Knorpel- 
gewebes usw. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 80, 1905, S. 190 u. ff. 
Schauinsland, H.: Die Entwicklung der Wirbelsäule nebst Rippen- 
und Brustbein. Handb. d. Entwicklungslehre, herausgegeb. v. OÖ. Hertwig, 
Ba EIN 22 Teil. 

Schmidt, V.: Das Schwanzende der Chorda dorsalis bei den Wirbel- 
tieren. "Anat. Hefte, Bd. TI, T. Abt., 1893. 

Schneider, A.: Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwicklungslehre der Wirbel- 
tiere. Berlin 1879. 

Schneider, Camillo: Histologie der Tiere. Jena, G. Fischer, 1902, 
S. 793. 

Strasser, H.: Zur Entwicklung des Extremitätenknorpels bei Salamander 
und Triton. Morphol. Jahrb., Bd. V, 1879, pag. 240 ft. 

Studniöka, F. K.: Über das Gewebe der Chorda dorsalis und den so- 
genannten Chordaknorpel. Sitzungsber. der Kel. Böhm. Gesellsch. der 
Wissenschaften, mathemat.-naturwissenschaftl. Klasse, 1897. 

Derselbe: Histologische und histogenetische Untersuchungen über das 
Knorpel-, Vorknorpel- und Chordagewebe. Anat. Hefte von Merkel und 
Bonnet, Bd. XXI (Heft LXVI u. LXVI). 

Ussow, S.: Zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Teleostier. 
Bull. de la Soeiete Imp. des Naturalistes de Moscou. Annde 1900, Nouv. 
Serie, Tom. XIV, Moscou 1900. 

Waldeyer, W.: Kitt- und Grundsubstanz, Epithel und Endothel. Arch. 
f. mikr. Anat., Bd. 57, 1901. 


Fig. 


Fig. 


FriedriehKrauss: 


Wolters, Max: Zur Kenntnis der Grundsubstanz und der Saftbahnen 
des Knorpels. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 37 u. 38, 1891. 

Zykoff, W.: Über das Verhältnis des Knorpels zur Chorda bei Siredon 
pisciformis. Bull. de la Societe Imperial de Moscou. Anne 1893, Nouv. 
Serie, Tom. VII, Moscou 1894. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IV—V1. 


1. Axolotl von 3,6 em Länge. Frontalschnitt durch die mittlere 
Rumpfpartie. I. Stadium der Bildung des Chordaknorpels. 
Auf den Vertebralteil der Chorda beschränkte Veränderung der 
vakuolisierten Zellen: Verdieckung der Membranen und Netzbildung 
innerhalb der Vakuolen. Bleistiftzeichnung. Hartnack Okular I, 
Obj. 3, Tubus zur Hälfte ausgezogen mit Verschiebung des Prä- 
parates gezeichnet. 1'/s Gesichtsfeld. Fixierung: Pikrin-Sublimat- 
Essigsäure. Färbung: Boraxkarmin, Bismarckbraun, Lichtgrün. 

2. Ein Teil desselben Präparates wie Fig. 1 bei stärkerer Ver- 
grösserung: Leitz ÖI-Imm. '/ı2, Okul. 1, Tub. 160 mm. Man sieht, 
wie einige Fasern aus aneinander gereihten Tröpfchen bestehen 
und mit Knorpelfarbstoffen sich färben. 


3. Axolotl von 4 cm Länge. Teil eines Querschnittes der oberen 
Rumpfgegend. Erste Bildung des Chordaknorpels im Be- 
reich des Chordaepithels. Vermehrung der Chordaepithelzellen, 
welche gleichzeitig von der Faserscheide abrücken. Bildung von 
protoplasmatischen Netzen und kleinen Vakuolen. In der Peripherie 
einer Zelle sieht man reihenförmig angeordnete kleinste Vakuolen, 
welche interzellulären Verbindungen, wie sie zwischen Epithelzellen 
vorkommen, ähnlich sehen. Leitz Öl-Imm. !/ı2, Ok. 3, Tubus 160 mm 
Färbung: Hämalaun, Kresylviolett. 

4. Axolotl von 4 cm Länge. Teil eines Querschnittes durch die Chorda 
der oberen Rumpfpartie. Beginn der Knorpelbildung in der 
Peripherie der Chorda. Das Epithel ist in der Faserscheide 
durch Netz- und Vakuolenbildung abgerückt und zeigt geringe 
Beteiligung. Bildung zahlreicher, meist in Gruppen angeordneter 
kleiner Vakuolen. Oft folgen sich die Vakuolen reihenförmig in 
zunehmender Grösse. In einigen Vakuolen chondromukoide Netze 
und Tröpfchen. Einzelne sehr grosse Vakuolen mit fein- oder weit- 
maschigem Netzwerk. Dazwischen breite Septa, welche zum Teil 
ebenfalls faserige, netzförmige Beschaffenheit und hie und da auch, 
chondromukoide Fasern zeigen. Leitz Öl-Imm. !/ı, Ok. 1, Tub. 
160 mm. Fixierung: Pikrin-Sublimat-Essigsäure. Färbung: Häma- 
laun, Kresylviolett. 

5. Gleiches Objekt wie in Fig.4. Frontalschnitt durch die Schädel- 
chorda (Occipitalgegend). Frühes Stadium der Knorpel- 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


6. 


9. 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 115 


bildung in der Chorda. Das Epithel hat sich hier stärker 
beteiligt. Man sieht zahlreiche in der bereits verknorpelten Faser- 
scheide eingeschlossene Knorpelzellen: Abkömmlinge der Epithel- 
zellen der Chorda. Hie und da hat sich schon eine Kapsel gebildet. 
Daneben auch in die Grundsubstanz eingeschlossene Protoplasma- 
massen. Metaplastische chondromukoide Prozesse an den vakuoli- 
sierten Zellen in Form von Netzen und Tröpfchen, letztere besonders 
am Rande der Vakuolen. Interessante albuminoide Netzbildung und 
Bildung sekundärer Vakuolen. Leitz Ö€I-Imm. !/ıe, Ok. 3, Tub. 
160 mm. Fixierung und Färbung wie bei Fig. 5. 


Axolotl von 3,6 em Länge. Frontalschnitt durch die Chorda der 
oberen Rumpfpartie. Chordaknorpel teils vom Chordaepithel 
gebildet, teils durch Metaplasie vakuolisierter Zellen entstanden. 
In der Umgebung des Chordaknorpels haben sich ausgewanderte, 
durch Teilung aus Chordaepithelzellen hervorgegangene Zellen 
angehäuft, welche zum Teil in die Grundsubstanz des Chorda- 
knorpels eingeschlossen werden. Starkes Vordrängen von seiten 
des Knorpels des oberen Bogens gegen die Rlastica ext. Letztere 
trotzdem überall intakt. Faserscheide an manchen Stellen schon 
beträchtlich in die Chordaknorpelbildung einbezogen. Leitz 
ÖI-Imm. !/e, Ok. 3, Tub. 160 mm mit Verschiebung gezeichnet. 
Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Hämalaun, Kresylviolett. 
Triton cristatus von 5,5 mm Länge. Frontalschnitt durch die 
Chorda der unteren Rumpfpartie. Chordaknorpel mit Chorda- 
strang, letzterer mit Eosin leuchtend rot gefärbt. Auch in 
den Intervertebralteilen der Chorda sieht man an zwei Stellen 
insuläre Knorpelbildungen. Auch haben sich hier einige 
strangartig verdickte Chordafaserzüge mit Eosin rot gefärbt. 
Leitz Obj. 3, Ok. 3, Tub. ausgezogen. Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. 
Färbung: Hämalaun, Eosin. 

Axolotl von zirka 8Scm Länge. Frontalschnitt von der mittleren 
Schwanzpartie nahe dem Uhordastab. Chordaknorpel von noch 
jüngerer Entstehung. Die Grundsubstanz von zahlreichen Chorda- 
resten durchzogen in Form von feineren und gröberen Faserzügen. 
Die Knorpelzellen haben oft weite, unregelmässig geformte Kapsel- 
höhlen und enthalten zuweilen Protoplasmamassen ohne Kern. 
Öfters ist die Kapsel noch nicht gebildet oder nur angedeutet. 
Mit dem Chordaknorpel ist noch ein proximalwärts gelegener 
Chordastrang in Verbindung, in welchem es teilweise schon zu 
einer chondromukoiden Metamorphose gekommen ist. Derselben 
geht eine albuminoide, acidophile Beschaffenheit der Strangpartien 
voraus. Leitz Obj. 6, Ok.3 mit Verschiebung gezeichnet (1!/ı Ge- 
sichtsfeld). Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Bismarckbraun, 
Lichtgrün. 

Axolotl von zirka 8cm Länge. Frontalschnitt. Eine in der Nähe der 
vorigen Figur, aber mehr proximalwärts gelegene Stelle. Knorpelige 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 8 


114 


ie, 11. 


Fig. 12. 


Friedrich Krauss: 


Metaplasie der vakuolisierten Chordazellen, chondromu- 
koide Umwandlung des feinen netzförmigen Vakuoleninhalts, welcher 
vielfach noch albuminoide, acidophil gefärbte Partien zeigt. Mit- 
unter sieht man auch stark gewundene Fasern, herrührend von 
den Wänden früherer ausgedehnter Vakuolen, ferner breitere 
membranöse Bildungen. In vielen Vakuolen sieht man noch das 
früheste Stadium der Chondrogenese: Feines fädiges Netzwerk, 
welches zum Teil chondromukoide Färbung angenommen hat. Vom 
Epithel ist wenig zu sehen. Auch die Faserscheide ist hier, wie 
gewöhnlich in der Schwanzpartie älterer Larven nicht ausgebildet. 
Leitz Öl-Imm. !/ıs, Ok. 1, Tub. 160 mm. Fixierung: Pikrin-Subl.- 
Essigs. Färbung: Bismarckbraun, Lichtgrün. 

Chordaknorpel eines 12 cm langen Axolotls. Querschnitt durch 
die mittlere Rumpfgegend. Der Chordaknorpel reicht bis an die 
noch gut erhaltene, zum Teil etwas verdünnte Elastica ext. Von der 
Faserscheide ist kaum noch etwas zu bemerken. Die Knorpelzellen 
liegen in einer teils homogenen, teils feinfaserigen Grundsubstanz. 
Einige Knorpelzellen sind gut ausgebildet. Viele Knorpelkapseln 
zeigen einen nur faserigen oder faserig-protoplasmatischen, mit 
Tröpfchen besetzten Inhalt. Die Kapselwände sind vielfach kon- 
zentrisch geschichtet und von besonders stark ausgeprägter Knorpel- 
färbung. Man sieht auch einige nur wenig sichtbare, schattenartige 
Zellen, welche sich in Grundsubstanz umwandeln („verdämmernde 
Zellen“, Schaffer). Etwas seitlich von der Mitte die mit Eosin 
intensiv rot gefärbten Reste des Chordastranges. Nach aussen von 
der Elastica ext. die noch in Össifikation begriffene Faserknochen- 
schicht. Leitz Obj.6, Ok.3 mit Verschiebung gezeichnet. Fixierung 
Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Hämatoxylin, Eosin. 
Regeneriertes Schwanzende eines Axolotlembryos. 
Schwanz im Ei amputiert, getötet 9 Tage später. Das Regenerat, 
welches die ersten Anfänge der Chordastabbildung zeigt, besteht 
aus Chordazellen, welche embryonalen Charakter tragen und leb- 
hafte Kernteilung zeigen. Auch sieht man im synzytialen Gewebe 
Neigung zur Vakuolenbildung. Mehrere kleinere und eine grössere 
Vakuole. In den angrenzenden Zellen der alten Chorda 
sind metaplastische Prozesse zu bemerken. Netz- und 
Wabenbildung sowie geringe Kernvermehrung. Beginnende chondro- 
mukoide Färbung einzelner Chordapartien. Auch die neugebildete 
Chordascheide, welche schmal und aus schleimhaltigem Bindegewebe 
besteht, hat ebensolche Färbung angenommen. Man sieht am Ende der 
Chorda einen zweimaligen Abschluss durch eine solche Faserbildung. 
Distalwärts von derselben geht der Chordastab allmählich in ein 
mehr lockeres, zellig retikuläres Gewebe über und reicht dort dicht 
an die Epidermis. Leitz Öl-Imm. !/ı, Ok. 3, Tub. 160 mm. 
Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Hämalaun, Kresylviolett. 
Forellenembryo von 3 cm Länge. Vier Wochen alte Kontinui- 
tätstrennung der Chorda. Starke Hervordrängung und Aus- 


Fig. 13. 


Fig. 14. 


Fig. 15. 


Fig. 16. 


Der Chordaknorpel der Urodelen. 115 


dehnung des zentralen Chordastumpfes. Weitere Beschreibung 
im Text (Seite 91 und 92). Leitz Obj. 3, Ok. 3, Tub. ausgezogen. 
Fixierung: Pikr.-Subl.-Essigs. Färbung: Hämatoxylin, van Gieson. 
Vier Wochen altes Transplantat der Chorda vom Axolotl. 
Das Transplantat hängt an einer kleinen Stelle mit dem intermusku- 
lären Bindegewebe zusammen. Im übrigen ist es von einem Lymph- 
raum umgeben, in welchem einige Endothel- und Lymphzellen suspen- 
diert sind. Das Chordagewebe im Transplantat ist noch an den zahl- 
reichen kleinen Vakuolen zu erkennen, welche teils durch schmälere, 
teils etwas breitere Protoplasmazüge getrennt sind, in welchen hie 
und da kleine runde, chromatinreiche Kerne liegen. In der Um- 
gebung dieses vakuolenhaltigen Gewebes sieht man zahlreiche 
Riesenzellen und als äusserste Schicht ein junges zellenreiches 
Bindegewebe. Leitz Obj. 3, Ok.3, Tub. ausgezogen. Fixierung: 
Carnoy. Färbung: Hämatoxylin, van Gieson. 

Eine Stelle desselben Präparates bei stärkerer Vergrösserung. 
Kleine Vakuolen der transplantierten Chorda von proto- 
plasmareichen Zügen umgeben. In letzteren grosse epitheloide, 
sowie kleine chromatinreiche Kerne. Leitz Öl.-Imm. 2» Okeple 
Tub. 160 mm. 

Vier Wochen altes Transplantat der Axolotlchorda. Man sieht 
grössere und kleine Vakuolen mit fein wabenartigem Inhalt. Da- 
zwischen breite kernhaltige Protoplasmazüge und protoplasmareiche 
Zellen mit grossen Kernen. Häufige Kernteilungsfiguren. Elastica 
ext. erhalten, leicht gequollen. Von der Faserscheide ist nichts 
mehr wahrzunehmen. Das Transplantat ist von intermuskulärem 
Bindegewebe umgeben. Leitz ÖI-Imm. */ı2, Okul. 1, Tub. 160 mm. 
Fixierung: Carnoy. Färbung: Hämatoxylin, van Gieson. 

Drei Wochen altes Transplantat der Axolotlchorda in einem 
nahe der Haut befindlichen Granulationsknopf. Beträchtliche Hämor- 
rhagien in der Umgebung und im Innern des Transplantats. 
Schollig zerklüftete Faserknochenschicht. Im Innern des Wirbel- 
querschnittes die stark gefaltete und gequollene Faserscheide. 
Riesenzellen. Sternförmige Zellen und Spindelzellen. Ein Gefäss- 
durchschnitt zwischen Faserscheide und Knochen. Leitz Obj. 6, 
Okul. 3, Tub. eingeschoben. Fixierung: Pikrin-Sublim.-Essigsäure. 
Färbung: Haematoxylin, van Gieson. 


Schematische Figuren, welche häufiger vorkommende oder be- 
sonders eigenartige Details des Vakuoleninhalts, sowie der Scheide- 
wände bei der Chondrogenese der Chorda veranschaulichen und in den 
früheren Abbildungen nicht oder nicht genügend typisch enthalten waren. 
Die Abbildungen sind von Präparaten einer Schnittserie entnommen, von 
welcher auch Fig. 5 herrührt. Zeiss Apochromat 2 mm, n. Ap. 1,30, Ok. 2. 


Fig. 17—28 inkl. 37. Verschiedene durch Konfluenz von Tröpfchen 


entstandene Bildungen, welche meist mit Kresylviolett rote 


Färbung angenommen haben. Fig. 25 zeigt ausserdem nochVakuolen- 
8% 
© 


116 


Friedrich Krauss: Der Chordaknorpel der Urodelen. 


wände mit typischer Bildung von Netzwerk und perlschnurartig 
aneinandergereihten, kleinsten Vakuolen. 


Fig. 29—35. Membranbildungen in den Vakuolen. (Die Membran in 


der Vakuole von Fig. 34 ist im Druck etwas zu hart und scharf- 
linig herausgekommen). Fig. 32 und 35 kombiniert mit Bildungen, 
wie sie in Fig. 21 und 23 dargestellt sind. Fig. 31 zeigt in einer 
Vakuole zwei Endoplasmazellen umgeben von einer membranartigen 
Bildung. Fig. 33. Ringförmige von der Vakuolenwand umgebene 
Membran, deren eine Hälfte sekundäre Vakuolenbildung zeigt und 
chondromukoide Färbung angenommen hat. Das freie Innere des 
membranösen Ringes wird von radienartig ausgespannten Fäden 
durchzogen, welche ebenfalls teilweise sich rot gefärbt haben. 


Gerinnselartige Massen in einer Vakuole, teilweise kleinste 
Hohlräume enthaltend. 


‚39, 40. Verschiedene Faserbildung in der Vakuole, in Fig. 40 


in Verbindung mit einem von wenig Protoplasma umgebenen Kern. 


5, 28, 33, 41—45. Verschiedene Scheidewand- und Zwickel- 


bildungen. 


117 


Aus dem histologischen Institut der Kaiserlichen Universität zu Moskau. 


Untersuchungen über die Entwicklung von Blut 
und Bindegewebe bei Vögeln. 
Das lockere Bindegewebe des Hühnchens im fetalen Leben. 


Von 
Dr. med. Wera Dantschakoii. 


Hierzu Tafel VII und VII. 

Unter dem Namen „Bindesubstanzen“ versteht man schon 
von alters her eine mannigfaltige Gruppe von Geweben, eine 
(rewebsfamilie, die einerseits die Blut- und Gefässendothelzellen, 
andererseits die verschiedenen zelligen Elemente des Bindegewebes 
im engeren Sinne des Wortes umfasst. Wenn die Frage über 
die Entstehung des Blutes bisher verhältnismässig oft untersucht 
worden ist, so lenkte die Frage der Histogenese der Zellen des 
Bindegewebes, im Gegenteil, nur selten die Aufmerksamkeit der 
Forscher auf sich. Unter pathologischen Bedingungen und im 
normalen erwachsenen Organismus ist das Bindegewebe noch 
ziemlich viel studiert worden; seine Ditferenzierungsprozesse im 
Embryo aber, die Spaltung seiner Zellen in mehrere verschiedene 
Arten mit mehr oder weniger selbständiger Entwicklung in den 
verschiedenen Perioden des embryonalen Lebens, die gegenseitigen 
Wechselbeziehungen dieser Zellarten, das sind alles Fragen, die 
in der Wissenschaft noch fast gar nicht berührt worden sind. 

Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Verfolgung 
der allmählichen Entwicklung der Bindegewebselemente im Em- 
bryonalleben des Hühnchens, das Studium des Bindegewebes in 
seinem ersten, frühesten Zustand und während der weiteren, 
immer vorwärts gehenden Komplikation seiner zelligen Zusammen- 
setzung und die Bestimmung des Charakters und der Entstehungs- 
zeit der neuen Differenzierungsformen, mit denen sich das Mesen- 
chymgewebe des Organismus dabei bereichert. 

Ich konnte dabei natürlich die im embryonalen Bindegewebe 
sehr verbreiteten, extravaskulären Blutbildungsprozesse nicht bei- 
seite lassen, da ja die Entwicklungsprozesse des Bindegewebes 


118 Wera Dantschakoff: 


und wenigstens eines Teils der Blutelemente unzertrennbar mit- 
einander verbunden sind. So geben z. B. die Elemente des 
embryonalen Bindegewebes oder des Mesenchyms einerseits 
unmittelbar das Material zur Bildung der Blutzellen ab, anderer- 
seits bleiben einige von den Produkten der Blutbildungsprozesse, 
die sich auf Kosten der Blutelemente des embryonalen Binde- 
gewebes entwickelt haben, als dauernde Bestandteile im Binde- 


gewebe des erwachsenen Organismus liegen. 

In der Literatur ist die Frage über die Beziehungen der Bindegewebs- 
elemente zu den Blutelementen schon oft erörtert worden, allerdings mehr 
mit Bezug auf den erwachsenen Organismus unter normalen und pathologischen 
Verhältnissen. Viele Autoren haben bereits die Aufmersamkeit auf die mög- 
lichen Beziehungen der Bindegewebszellen sowohl zu den weissen, als auch 
zu den roten Blutkörperchen gelenkt. 

Über die Wechselbeziehungen der Elemente des Bindegewebes und der 
Blutzellen herrschen aber noch ziemlich geteilte Meinungen. Einige Forscher 
erblicken im Bindegewebe und im Blut zwei fixierte Formen der endgültigen,. 
in zwei verschiedenen Richtungen verlaufenden Gewebsdifferenzierung und 
trennen sie dementsprechend scharf voneinander. Eine ähnliche Anschauung 
vertritt z. B. Rabl, welcher glaubt, dass das Studium der Histogenese dieser 
beiden Gewebe zum Schlusse führen muss, dass die Entwicklungsgeschichte 
des Blutes und der Bindesubstanzen miteinander nichts zu tun haben. 

Andere Autoren ziehen zwischen den beiden genannten Geweben keine 
unüberbrückbare Grenze und glauben, dass sie in gewissen ständigen und. 
regelmässigen Wechselbeziehungen zueinander stehen im Sinne des Übergangs 
der Elemente des einen Gewebes in die Bestandteile des anderen. Auf diesem 
Standpunkte stehen meistens die neueren Hämatologen der sog. unitaristischen 
oder monophyletischen Richtung (z.B. Weidenreich, Maximow u.a.). Von 
den letzteren Autoren spricht sich besonders deutlich Dominici speziell über- 
die weissen Blutkörperchen aus: „C’est ainsi que j’ai vu des mononucleaires 
de type banal devenir des fibroblastes en s’allongeant et en se ramifiant, des- 
cellules endotheliales, en grandissant et en s’aplatissant, des cellules adipeuses, 
en se chargeant de graisse, des cellules adventitielles, en se disposant le 
long des capillaires sanguins ou Iymphatiques.“ Dieselben Differenzierungs- 
prozesse können nach ihm auch die „celulles interstitielles libres“ durchmachen. 

Die Anschauungen der an zweiter Stelle zitierten Autoren, ausser der 
Anerkennung gewisser verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden 
(seweben — dem Bindegewebe und dem Blute — sind auch noch in der Beziehung 
ähnlich, dass sie alle in-den freien Wanderzellen eine junge Zellform erblicken, 
die zu weiteren Metamorphosen mehr befähigt ist, als z. B. die Fibroblasten, 
die nach ihrer Vorstellung selbst zum Teil ein weiteres Differenzierungsprodukt 
der Wanderzellen sind. 

Vereinzelt steht die originelle Anschauung Retterers über die Be- 
ziehungen zwischen den Bindegewebselementen und den weissen Blutkörperchen. 
Er untersuchte die Entwicklung der Lymphdrüsen bei Vogelembryonen und 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 1:19 


gelangt zu einer ganz bestimmten Vorstellung über die nahe genetische Ver- 
wandtschaft der freien Zellen oder der Lymphozyten und des embryonalen 
Bindegewebes. Retterer erblickt jedoch in den Lymphozyten nicht eine 
junge, einer weiteren Differenzierung fähige Zelle, sondern die letzte Etappe 
in der Entwicklung der Bindegewebselemente. „Les el&ments libres connus 
sous le nom de cellules Iymphatiques ou leucocytes de par leur origine ne 
sont ni des cellules jeunes, ni des cellules enti6res; ce sont des restes cellu- 
laires.“ Diese Zellreste entstehen nach der Meinung Retterers infolge von 
Verflüssigung eines Teils des Protoplasmas der Bindegewebszellen und infolge 
seiner Verwandlung in Lymph- oder Blutplasma. Dabei werden einige von 
etwas Protoplasma umgebene Kerne frei und das sind eben die Leukozyten, die 
eines weiteren Wachstums und einer weiteren Differenzierung nicht fähig sind. 

Kollmann ist einer von den wenigen Autoren, die sich unter anderem 
auch über den Ursprung der Stützsubstanz im Hühnerembryo geäussert haben. 
Wie bekannt, anerkennt dieser Autor in seiner Arbeit die Entstehung der 
Blutelemente aus einem speziellen Keimblatt, welches von den anderen Keim- 
blättern des Blastoderms mehr oder weniger unabhängig ist. Kollmann 
erblickt in besonderen indifferenten mobilen Zellen — den Poreuten — die 
Urform aller Blut- und Bindegewebselemente; unter den Nachkommen der 
Poreuten zählt er sowohl rote kernhaltige Blutkörperchen, Zellen der Kapillaren 
und der Innenwand der Gefässe auf, als auch verschiedene Formen der Stütz- 
substanzzellen und weisse Blutkörperchen. Obwohl nach der Meinung dieses 
Autors die Arbeitsteilung diesen Zellen sehr verschiedene Eigenschaften verleiht, 
scheint es doch, dass die frühere Verwandtschaft oft auch noch später deutlich 
hervortreten kann. 

Bezüglich der spezielleren Prozesse bei der Entwicklung des Binde- 
gewebes gibt es in der Literatur auch nur vereinzelte Angaben und Notizen 
verschiedener Autoren. So beschäftigte sich Coca Artur mit der Frage 
über die Entwicklung und Bedeutung der verschiedenen von Mallory ent- 
deckten Fasern des Bindegewebes, wobei er zu der Meinung gelangt ist, 
dass die Fasern der Fibroglia früher erscheinen, als die Kollagenfasern und in 
gewissem Grade eine vorläufige embryonale Stützsubstanz vorstellen, die, ausser 
in frühen Stadien des embryonalen Lebens, auch in Tumoren von embryonalem 
Charakter erscheinen kann. 


Ausser den Wechselbeziehungen, die zwischen den Elementen des Binde- 
sewebes und den weissen Blutkörperchen einerseits und den verschiedenen 
Elementen des Bindegewebes andrerseits existieren, gibt es in der Literatur 
auch Angaben über eine besondere Entwicklungsrichtung, die die Elemente 
des embryonalen Bindegewebes einschlagen können, — ich meine die Möglichkeit 
ihrer Differenzierung zu hämoglobinhaltigen Blutzellen. Ähnliche Angaben 
finden wir bei Ranvier, Howell, van der Stricht, Retterer; bei den 
Säugetieren hat diese Frage besonders Sofer und in der letzten Zeit auch 
Maximow bearbeitet. 

Howell hat als Erster Erythrozytenbildung zwischen den Muskeln 
der hinteren Extremität beschrieben; er vermutet, dass ähnliche Blutbildungs- 
prozesse überall im Mesenchym entstehen, wo sich neue Kapillaren unmittelbar 


120 Wera Dantschakoff: 


vor und nach der Geburt entwickeln. Dieser Prozess der Bildung von roten 
Blutkörperchen ist übrigens schon vor ihm bei Säugetieren von Schäfer und. 
Ranvier bemerkt worden; diese Forscher waren aber der Meinung, dass 
die im Bindegewebe entstehenden Erythrozyten auf eine ganz besondere endogene 
Art entstehen, wobei sie sich von den anderen roten Blutkörperchen dadurch 
unterscheiden, dass sie ad hoc kernlos sind. Van der Stricht gibt zwar keine 
ausführlichere Beschreibung der Blutbildung im Bindegewebe, er zählt aber 
viele Stellen im Körper des Embryo auf, wo sich diese Prozesse lokalisieren. 
Er erwähnt dabei die Kapillaren der hinteren Extremitäten, der inneren Organe, 
das Unterhautzellengewebe und die Kapillaren in der Umgebung des Zentral- 
nervensystems. Er äussert sich aber nicht genauer über die Art und Weise, 
wie diese Blutbildung hier verläuft, und aus welchen Elementen dabei die 
Erythrozyten entstehen. In seiner Arbeit über die Entstehung der Lymph- 
drüsen bei den Vögeln anerkennt Retterer kategorisch die Möglichkeit der 
Differenzierung der Bindegewebselemente auch zu roten Blutkörperchen auf 
dem Wege der „degenerescence h&moglobique“. Nach diesem Autor sind 
also nicht nur die weissen, sondern auch die roten Blutkörperchen nicht echte 
lebensfähige Elemente, sondern passive Produkte der Lebenstätigkeit der 
Bindegewebselemente. 


Wir sehen also, dass obwohl die Frage der Entwicklung 
und der Wechselbeziehungen der Elemente des Bindegewebes und 
des Blutes in der Literatur mehrmals behandelt worden ist, fast 
alle diesbezüglichen Untersuchungen sich doch nur meistens auf 
den erwachsenen Organismus beziehen, in welchem diese Frage, 
beim gleichzeitigen Vorhandensein von so mannigfaltigen Zell- 
formen naturgemäss eine besondere Kompliziertheit erhalten musste. 
Was jedoch die Untersuchungen über dieselbe Frage im embryonalen 
Organismus betrifft, so gibt es hier, wie wir gesehen haben, nur 
sehr spärliche einzelne Angaben. 


Material und Methodik. 


Als Untersuchungsmaterial dienten mir Hühnerembryonen 
vom ersten Bebrütungstag an bis zum Ausschlüpfen. Von den 
Fixierungsmethoden gebrauchte ich ZF, Z') und Alkohol, von den 
Färbungen E-Az, D, EH und die Färbung nach Mallory für 
Fibroglia und Kollagen- nach ZF und Z und die Färbung mit F 
und Cr nach Alkohol. Von Embryonen bis zum neunten Tage 


') Der Kürze halber bezeichne ich im folgenden die verschiedenen 
Fixierungs- und Färbungsmethoden mit Buchstaben: Zenker = Z, Zenker- 
Formol = ZF, Eosin-Azur — E-Az, Dominiii—=D, Eisen-Hämatoxylin — EH, 
Thionin = T, Cresyl-echt-violett = Cr. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 121 


inklusive fertigte ich ganze Zelloidinserien an, von älteren Em- 
bryonen, die meistens stückweise fixiert wurden, fertigte ich Schnitte 
von den verschiedensten Körperteilen an. 


I. Ursprünglicher indifferenter Zustand 
des Mesenchyms. 


In der Entwicklung der Elemente des embryonalen Binde- 
gewebes gibt es eine ziemlich lange Periode, während welcher 
sie ein sehr einförmiges Aussehen besitzen; in welchem Teil des 
Embryo wir sie auch untersuchen, überall finden wir dieselben 
zelligen Elemente mit denselben gegenseitigen Beziehungen. Der 
einzige Unterschied, den man in dieser Zeit notieren kann, ist 
der Grad der Dichtigkeit in der Lagerung der zelligen Elemente. 
Dieser indifferente Zustand des embryonalen Bindegewebes dauert 
ungefähr bis zum 4.--5. Tage, bis zu einer Zeit, wo in ihm freie 
wandernde Elemente auftauchen. 

Im Laufe der ersten vier Tage besteht das Mesenchym, 
welches die Räume zwischen den verschiedenen sich entwickelnden 
Organen des Embryo ausfüllt, aus Zellen nur einer Art. Sie 
haben den Charakter und die Bedeutung von jungen, indifferenten 
Elementen und entsprechen in ihrem Bau und in ihren Beziehungen 
zu den Nachbarzellen vollständig den Elementen des peripherischen 
Mesoblasts, welches sich in Form von Flügeln vom Bereich des 
Primitivstreifens aus zwischen Ektoderm und Entoderm hindurch- 
schiebt und ausbreitet. Sowohl dort als auch hier sind es Zellen, 
die miteinander eng verbunden sind. Sie sind klein, eckig und 
sternförmig und erscheinen immer mit zahlreichen Ausläufern 
versehen, die sich mit den Ausläufern der Nachbarzellen ver- 
binden. Je nach der Dichtigkeit der Anordnung der Zellen sind 
ihre Ausläufer entweder kurz und breit, oder lang und sogar 
verzweigt. An einigen Stellen, wo die Zellen besonders nahe 
aneinander gelagert erscheinen, wie z. B. in den wachsenden 
Extremitäten, bieten sie das Bild eines Synzytiums dar, in welchem 
die Grenzen der einzelnen Elemente nur mit Mühe oder gar 
nicht mehr unterschieden werden können. 

Der Zellleib hat in den frühesten Stadien ein ziemlich 
dichtes, fein retikuläres Protoplasma, welches sich intensiv mit 
basischen Farben tingiert; besonders dicht ist es in der unmittel- 
baren Umgebung des Kernes, während es sich an der Peripherie 


122 Wera Dantschakoff: 


des Zellleibs und in den Ausläufern auflockert und hier oft helle 
Vakuolen enthält. Der Kern ist im optischen Schnitt regelmässig 
rund oder etwas oval, liegt gewöhnlich im Zentrum der Zelle 
und ist immer mit einem sehr typischen grossen Nukleolus ver- 
sehen. Dieser letztere nimmt bei Mallory-Färbung immer 
einen orange-gelben Ton an und präsentiert sich als ein regel- 
mässiger Kreis. In seiner unmittelbaren Nähe liegen unregel- 
mässige blau gefärbte Uhromatinschollen, die bei anderen Fär- 
bungen mit der Nukleolensubstanz verschmelzend, dem Kern- 
körperchen dann eine unregelmässige Form und sogar manchmal 
ein ästiges Aussehen verleihen. In frühen Entwicklungsstadien 
des embryonalen Bindegewebes tritt das Kernchromatin überhaupt 
nur sehr undeutlich hervor, in Form von feinen hellen Schollen, 
die sich nur sehr schwach vom Kernsaft abheben. Bis zum 
4.—5. Tage konnte ich nach Mallory-Färbung weder im Zell- 
protoplasma, noch in den Ausläufern, auch nicht zwischen ihnen, 
deutlich ausgeprägte kollagene Fibrillen bemerken, obwohl sich 
die netzartig miteinander verbundenen Zellausläufer an einigen 
Stellen stark verdünnen und auf den ersten Blick wie mehr 
oder weniger selbständige kollagene Fasern erscheinen; bei 
genauem Studium erweisen sie sich aber immer als zwar sehr 
feine, aber doch unzweifelhafte direkte Fortsetzungen des Zell- 
leibes selbst. 

Das Mesenchym entwickelt sich sehr rasch in quantitativer 
Beziehung und füllt alle Zwischenräume zwischen den embryonalen 
Organen aus. Schon in diesem frühen Stadium bemerken wir, 
dass dieses Gewebe in den verschiedenen Körperteilen des Embryo 
doch etwas verschieden aussieht. Obwohl es überall aus den- 
selben Elementen besteht, erscheinen die Zellen in verschiedenen 
Körperteilen sehr verschieden dicht gelagert. In den Bezirken, 
die besonders intensiv wachsen, so z. B. in den Extremitäten, 
liegen die Zellen eng beieinander; sie berühren einander so 
innig, dass man an solchen Stellen keine Ausläufer sieht. Infolge 
von gegenseitigem Druck erhalten die Zellen manchmal hier 
polygonale Formen und das Gewebe epithelialen Charakter. An 
manchen Stellen sind die Zellgrenzen überhaupt schwer zu defi- 
nieren, und das Gewebe macht den Eindruck eines Synzytiums- 

An solchen Stellen mit sehr raschem Wachstum kann man 
oft an den Zellleibern eigentümliche Erscheinungen beobachten. 


ja 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 12: 


Es kommen nicht selten ganze Gruppen von Zellen vor, die 
besonders eng aneinander gelagert sind und deutliche regressive 
Erscheinungen darbieten, wobei sich der Kern gewöhnlich zuerst 
verändert. Er bewahrt meistens seine Form, sein Inhalt zerfällt 
aber in einzelne pyknotische basophile Teilchen, während das für 
die embryonalen Bindegewebszellen so charakteristische Kern- 
körperchen verschwindet; schliesslich zerfällt der Kern endgültig. 
Solche regressive Erscheinungen an den Zellen eines intensiv 
wachsenden Gewebes dürften vielleicht zum Teil von der Tat- 
sache abhängen, dass an solchen Stellen gewöhnlich zuerst nur 
sehr spärliche Kapillaren vorkommen, die sich erst nachher weiter 
entwickeln. 

Im Gegensatz zu dem beschriebenen Aussehen kann sich 
das Mesenchym an anderen Körperstellen schon in den frühesten 
Entwicklungsstadien auch bedeutend auflockern, wobei die die 
Zellen verbindenden Ausläufer besonders deutlich hervortreten. 
Solche Bezirke von lockerem interstitiellen Gewebe erscheinen z. B. 
schon sehr früh im Kopf des Embryo, besonders an den Stellen, 
wo die äussere epitheliale Deckschicht über die tiefen Ein- 
stülpungen der Gehirnblasen hinwegzieht. An diesen Stellen, 
ebenso wie überall in der unmittelbaren Umgebung der Gehirn- 
blasen, fällt stets die besonders grosse Anzahl von kleinen Ge- 
fässen auf. Diese letzteren wachsen sehr stark und man bemerkt 
eine grosse Anzahl von karyokinetischen Figuren in ihren Wand- 
zellen; sehr charakteristisch ist die Gefässwand auch in der 
Beziehung, dass die Gefässwandzellen grosse längliche Elemente 
vorstellen, die ein sehr reichliches basophiles Protoplasma besitzen. 

So ist das primäre, junge, noch nicht differenzierte mesen- 
chymatische Gewebe im Embryokörper beschaffen. Es füllt alle 
Räume zwischen den Organen des Embryo aus und spielt die 
Rolle eines wirklichen interstitiellen Gewebes; seiner zelligen Be- 
schaffenheit und seiner Bedeutung nach unterscheidet es sich 
jedoch bedeutend von dem differenzierten Gewebe der späteren 
Entwicklungsstadien. Es besitzt nämlich die Potenz zu sehr 
verschiedenseitiger Entwicklung; ebenso wie das Mesoderm im 
Dottersack und sogar in noch höherem Grade zeichnet es sich 
durch die Fähigkeit aus, verschiedene Zellarten abzuspalten, die 
sich im folgenden selbständig weiter entwickeln und wuchern. 
Vor allem bewahrt dieses Gewebe vorläufig noch während einer 


124 Wera Dantschakoff: 


ziemlich langen Zeit im fetalen Leben seine ursprüngliche Fähig- 
keit, wandernde Elemente des Blutes zu bilden, eine Fähigkeit, 
‚die im Dottersack, im Stadium der Blutinselbildung, so klar her- 
vortritt, worüber ich mich in meiner früheren Arbeit schon 
geäussert habe. 


II. Hämatopoetische Prozesse im Mesenchym und 
in den Gefässen in den frühesten Stadien der Ent- 
wicklung des Hühnerembryo. 


Die verschiedenseitige Entwicklungspotenz des Mesenchyms 
in den frühesten Stadien der Entwicklung führt im embryonalen 
Körper zur Bildung von im Mesenchym zerstreuten Blutbildungs- 
herden, die von einigen Autoren bereits bemerkt worden sind. 
Diese Prozesse der Blutbildung im mesenchymatischen Gewebe 
haben bei den Vögeln eine grössere Verbreitung. Sie erscheinen 
in ziemlich regelmässiger Weise in bestimmten Perioden des 
embryonalen Lebens an bestimmten Stellen des Embryokörpers 
und verlaufen prinzipiell in analoger Weise, wie in den anderen 
speziellen blutbildenden Organen. Man findet sie zuerst immer 
im Kopfmesenchym, zwischen den Gehirnblasen, wo das Mesen- 
chym einen ziemlich lockeren Charakter besitzt. Hier kann man, 
wie gesagt, schon in den frühesten Entwicklungsstadien besonders 
viele junge, neu entstehende Kapillaren bemerken. Die Elemente, 
aus denen die Wand der letzteren besteht, wuchern nun sehr 
rasch und bilden infolgedessen oft Gruppen von eng zusammen- 
gedrängten Zellen, die nach ihrer Struktur an die Zellgruppen 
erinnern, welche uns im dunklen Fruchthofe unter dem Namen 
Blutinseln bekannt sind. Hier, ebenso wie dort, sind die Zell- 
grenzen in den besonders dichten Gruppen nur mit Mühe zu 
unterscheiden ; die Zellleiber verschmelzen miteinander und bilden 
synzytiale Massen. 

Auch können solche dichte Zellansammlungen unabhängig 
von den Kapillaren mitten im lockeren Mesenchym auftreten: 
sie entstehen, wie die ersten Blutinseln im dunklen Fruchthofe 
der area vasculosa, durch rasche Vermehrung und durch innigstes 
Aneinanderlegen junger, indifferenter Mesenchymzellen. Hier, im 
Körper des Embryo bleiben aber diese Zellansammlungen, die 
eigentlich den Namen Blutinseln durchaus verdienen, nicht lange 


( 
DL | 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 12: 


miteinander verbunden. Wenn schon in der area opaca der 
Prozess der Auflösung der Blutinseln sehr rasch verläuft, so 
geschieht dies hier noch schneller. Die Zellen isolieren sich 
wieder sehr bald voneinander und ihre qualitative Differenzierung 
schreitet weiter fort. 

In den frühesten Entwicklungsstadien — etwa bis zum vierten 
Tag — beschränken sich die Prozesse der Blutbildung, wie gesagt, 
ausschliesslich auf die Kopfregion, auf das Bindegewebe zwischen 
den Hirnblasen. Am 4.—5. Tage sehen wir sie auch in der Um- 
sebung der Aorta auftreten, besonders im Mesenchym an der 
ventralen Seite desselben. Der Ausgangspunkt des Blutbildungs- 
prozesses ist auch hier, ebenso wie im Kopf, gewöhnlich eine 
sehr intensive Endothelwucherung der Gefässe. Die Erscheinung 
beschränkt sich aber hier nicht nur auf die unmittelbare Um- 
gebung der Aorta, auf die neugebildeten kleineren Grefässe, 
sondern sie breitet sich — sogar in besonders hohem Grade — auch 
auf das Endothel aus, welches die Innenwand der Aorta selbst 
bildet. Hier, ebenso wie in den kleineren, die Aorta umgebenden 
Gefässen, proliferiert das Endothel ausserordentlich stark, und die 
Produkte dieser Zellvermehrung gelangen einerseits frei in das 
Gefässlumen, andererseits rücken sie von der Gefässwand ab und 
wandern in das umgebende Mesenchym. 

Die Gefässendothelien sowie die Mesenchymzellen selbst 
stellen also, wie wir sehen, in den frühen Embryonalstadien junge 
indifferente Elemente vor, die die Bedeutung von Blutinselzellen 
bekommen können. Ihre unmittelbare Wucherung und Differen- 
zierung liefert als Resultat alle Blutelemente, — sowohl die roten, 
als auch die weissen Blutkörperchen. Ausser der Kopfregion und 
der ventralen Aortenwand, wo diese Blutbildungsprozesse lange 
Zeit fortdauern, — man findet sie in wechselnder Intensität noch 
am 9.—12 Tage, — breiten sie sich sehr rasch auch auf die 
anderen Körperteile aus. Einzelne Blutbildungsherde kann man 
sehr oft im Unterhautzellgewebe treffen; man findet ferner ganze 
Streifen von Zellen, die sich vornehmlich zu Erythroblasten 
differenzieren, zwischen den Muskeln; endlich begegnet man im 
lockeren Bindegewebe der Extremitäten sowohl innerhalb, als auch 
in der Umgebung der Gefässe grossen Zellansammlungen, die 
sich sowohl zu roten, als auch zu weissen Blutkörperchen ent- 
wickeln. 


126 Wera Dantschakoff: 


Wir sehen also, dass der Ausgangspunkt der Entwicklung 
der im Mesenchym zerstreuten Blutbildungsherde die Mesenchym- 
zelle oder eine Gefässwandzelle ist, — ein Element, welches seinem 
Ursprunge nach den Blutinselzellen so nahe steht. Die Endothel- 
zellen bilden die innerste Schicht der Gefässwand, sie behalten 
aber auch während eines bedeutenden Teiles des embryonalen 
Lebens die Fähigkeit zur Verwandlung in Lymphozyten und andere 
Blutzellen. 

a) Erythropoese. 

Jetzt will ich die Differenzierungsprozesse genauer be- 
schreiben, die die farblosen, indifferenten Zellen bei ihrer erwähnten 
Verwandlung in rote Blutelemente durchmachen und den Charakter 
und die weiteren Schicksale der letzteren schildern. 

blutbildungsherde im Mesenchym sind bereits in ver- 
schiedenen Körperteilen des Embryo beobachtet worden. Ausser 
den Angaben von Schäfer und Ranvier (15), die eine ganz 
besondere Art von Erythrozytenbildung innerhalb von grossen 
vasoformativen Zellen beschrieben haben, gehören hierher die 
3eobachtungen von van der Stricht (18) und Howelt (5); die 
letzteren Autoren geben aber keine genauere Schilderung über 
den Charakter der Elemente, aus denen die Blutzellen dabei 
entstehen und über die Art und Weise dieser Entwicklung; 
van der Stricht (18) glaubt überhaupt, dass die Erythropoese 
immer intravaskulär verläuft und zählt eine ganze Reihe von 
Körperteilen auf, in deren Kapillaren infolge einer bedeutenden 
Verlangsamung der Blutzirkulation innerhalb des Lumens Blut- 
bildung erfolgt. 

Bei den Säugetieren hat bekanntlich Saxer (15) im embryo- 
nalen Leben an sehr zahlreichen Körperteilen extravaskuläre 
Blutbildungsherde im Mesenchym gefunden und sehr genau be- 
schrieben. Er fand dabei, dass das erste Element, welches auftritt, 
eine indifferente mobile „primäre Wanderzelle“ ist, und aus ihr 
entwickeln sich dann sowohl die roten, als auch die weissen 
Blutkörperchen. 

Diese Erscheinungen beim Säugetierembryo sind vor kurzem 
von Maximow (8) neu untersucht worden. 

Beim Hühnchen kommen gewiss solche Kapillargefässe mit 
intravaskulärer Blutbildung vor, wie sie von van der Stricht (18) 
beschrieben worden sind. Ausser dieser intravaskulären Ver- 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 127 


mehrung und qualitativen Ditierenzierung der Blutzellen be- 
obachtet man hier aber an ziemlich bestimmten Stellen auch 
zahlreiche grössere und kleinere extravaskuläre, im Mesenchym 
selbst gelegene Blutbildungsherde, ganz ebenso wie beim Säugetier. 

Diese Herde oftenbaren allerdings zuerst, wie ich schon 
kurz skizzierte, sehr oft die engsten Beziehungen zu den Gefässen. 
Das Endothel der letzteren schwillt rasch an, wuchert und füllt 
das Gefässlumen an einigen Stellen ganz aus, so dass mehr oder 
weniger lange Stränge aus eng aneinander gelagerten Zellen 
entstehen. Ähnliche Zellansammlungen können übrigens in den 
frühesten Stadien auch im Körpermesenchym selbst auf Kosten 
seiner Zellen ohne Teilnahme von (Gefässendothelien entstehen 
und verdienen durchaus den Namen von Blutinseln. 

Die erwähnten Zellstränge dienen als Ausgangspunkt für 
die Entwicklung der Blutbildungsherde. Sie bestehen aus grossen 
Zellen mit hellen nukleolenhaltigen Kernen und feinretikulärem 
basophilen Protoplasma, — aus denselben Zellen, die auch in 
dem ersten blutbildenden Organ des Embryo, in dem Gefässnetz 
des Dottersackes die Rolle von Mutterzellen spielten und die 
unter dem Namen von grossen Lymphozyten bekannt sind. 

Sehr interessant ist nun die Tatsache, dass sich diese Zell- 
ansammlungen in den frühesten Entwicklungsstadien bis zum 
4. Tage, stets nur in einer bestimmten Richtung entwickeln, — sie 
differenzieren sich zu roten Blutkörperchen. Noch merkwürdiger 
ist dabei der Umstand, dass diese extravaskuläre Erythropoese 
im Mesenchym eigentlich dem Prinzip widerspricht, welches sich 
bei den Vögeln sonst, wie ein roter Faden, durch alle Phasen 
der Blutbildung hindurchzieht, dass sich nämlich die Erythropoese 
ausschliesslich auf das Innere der Gefässe konzentriert, die Leuko- 
poese auf das extravaskuläre Gewebe. Im Mesenchym des Kopfes 
in den frühen, im Mesenchym der anderen Körperteile in den 
späteren Stadien, sehen wir, ausser der fortwährenden Neubildung 
von Erythrozyten innerhalb der Gefässe, auch extravaskulär die- 
selbe Erscheinung parallel verlaufen. 

Der Differenzierungsprozess der Mutterzelle selbst wird aber 
dadurch nicht verändert. Die Hämatogonie verliert unter fort- 
dauernder differenzierender Wucherung den Nukleolus im Kern, 
wobei dieser letztere chromatinreicher wird. Das Plasma arbeitet 
Hämoglobin aus, und Hand in Hand damit geht auch die Form- 


128 Wera Dantschakoff: 


veränderung der Zelle, — sie plattet sich ab und an ihrem Rand 
entsteht, in Form einer lokalen Substanzverdichtung, der Rand- 
reifen (Taf. VIII, Fig. 10). 

So entstehen Elemente, die den intravaskulären Erythrozyten 
völlig gleichen, jedoch frei zwischen den Mesenchymzellen liegen. 


Wie es zu sehen ist, unterscheidet sich der beschriebene 
Prozess prinzipiell nicht von der gewöhnlichen Erythropoese bei 
den Vögeln. Bei genauem Studium der extravaskulären Blut- 
bildungsherde bemerkt man aber doch gewisse Besonderheiten, — es 
fällt z. B. die ungleichmässige Grösse der extravaskulären Erythro- 
zyten auf; neben solchen, die den intravaskulären an Grösse 
gleichkommen, sieht man auch viel kleinere; diese Unterschiede 
beziehen sich auch auf die Erythroblasten (Fig. 10). 


Ein Teil eines ähnlichen extravaskulären Blutbildungsherdes 
ist auf der Fig. 10 (Taf. VIII) aut der Höhe seiner Entwicklung 
dargestellt. Je ein solcher Herd befand sich beiderseits in un- 
mittelbarer Nähe des Ösophagus und konnte an zahlreichen Quer- 
schnitten verfolgt werden. Zwischen den ästigen Mesenchym- 
zellen (X) sieht man hier viele typische Erythroblasten (Ebl) und 
ihre weiteren Differenzierungsprodukte. Auch grosse Iymphozyten- 
ähnliche Mutterzellen sind noch vorhanden (G Lmz). Man sieht, 
dass sie mit ihrem hellen, runden nukleolenhaltigen Kern und 
dem amöboiden basophilen Protoplasma durchaus den sogenannten 
Lymphozyten entsprechen. 


Die erste weitere Entwicklungsstufe dieser Lymphozyten sind, 
wie gesagt, Erythroblasten, die bereits Hämoglobin enthalten, 
deren Kern aber noch ein Kernkörperchen besitzt (Fbl‘”). Dann 
verschwinden die letzteren, dafür wächst aber die Chromatinmenge. 
Der Zellleib erhält die Gestalt einer bikonvexen Linse mit Rand- 
streifen. In den jungen Erythrozyten (Ebl'') wächst der Hämo- 
globingehalt noch weiter und schliesslich sehen wir schon typische 
fertige rote Blutzellen (Erz). 


Die beschriebene Differenzierung der Zellen verläuft in diesen 
Herden ohne jede Beziehung zu den Gefässen. Auf der Fig. 10 
sehen wir eine Kapillare (K) und unmittelbar an ihrer Wand 
liegen die Erythroblasten und Erythrozyten in den verschiedenen 
Entwicklungsstadien. In der Kapillare erblickt man Erythrozyten, 
die den extravaskulär entstandenen völlig gleichen. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 129 


Es fragt sich nun, was ist das Schicksal der extravaskulär 
entstandenen Erythrozyten? Es ist klar, dass es hier von vorn- 
herein zwei Möglichkeiten geben kann. Entweder gelangen sie 
in den Blutstrom, oder sie bleiben am Ort der Entstehung 
und müssen dann hier zu Grunde gehen. Schon eine flüchtige 
Durchmusterung der betreffenden Stellen im Präparat überzeugt 
uns von der Richtigkeit der zweiten Vermutung. Die extravaskulär 
entstandenen Erythrozyten gelangen nicht in die Zirkulation, 
sondern sie bleiben an Ort und Stelle liegen und verfallen der 
regressiven Metamorphose. Einige von ihnen schrumpfen all- 
mählich, der Kern blasst allmählich ab, so dass schliesslich kleine 
hämoglobinhaltige Schollen übrigbleiben. Die meisten werden aber 
noch vorher von anderen Zellen verschlungen und verdaut (Phz). 
In den frühesten Stadien wirken die Mesenchymzellen selbst, in 
späteren Stadien aber die schon difterenzierten Wanderzellen, 
als energische Phagocyten und werden vor allem gerade von den 
zwischen ihnen liegenden Erythrozyten angelockt, die hier augen- 
scheinlich als fremde und nutzlose, vielleicht sogar schädliche 
Gebilde erscheinen. Die betreffenden Mesenchymzellen bewahren 
ihre sonstigen Strukturbesonderheiten, ihr retikuläres, oft vakuo- 
läres, ziemlich blasses Protoplasma, ihren ovalen, hellen Kern 
mit den kleinen Nukleolen und den feinen Chromatinteilchen, 
sie runden sich aber ab und isolieren sich von den Nachbarzellen. 
Ihre Grösse hängt von der Zahl der verschlungenen Erythrozyten 
ab; sie können mitunter riesenhafte Dimensionen erreichen, wie 
wir es auf Fig. 11 (Phz.) sehen, wobei die Zahl der verschlungenen 
Erythrozyten bis auf zwölf und mehr steigen kann. 

Die phagozytierten Erythrozyten machen eine Reihe von 
ziemlich bestimmten Veränderungen durch, meistens verändert 


sich — besonders wenn sie in den Phagozyten nicht sehr zalıl- 
reich sind — zuerst ihr Protoplasma. Die Konture der Zellleiber 


werden unbestimmt, die hämoglobinhaltige Substanz schmilzt ge- 
wissermaßen unter dem Einfluss der intrazellulären Verdauung. 
Der Kern verkleinert sich etwas, die Chromatinteilchen isolieren 
sich voneinander; nach D- und E-A-Färbung nimmt der Kern 
eine orangegelbe Färbung an (Fig. 10). In anderen Fällen, be- 
sonders in den späteren Stadien, wo die Phagozyten mit den 
verschlungenen Erythrozyten dicht angefüllt sind (Fig. 11), wird 


der hämoglobinhaltige Zellleib nicht so rasch verdaut, vielmehr 
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 73. 9 


150 Wera Dantschakoff: 


verändert sich zuerst der Kern, so dass man im verschlungenen 
Erythrozyten oft einen bräunlichen stark lichtbrechenden Körper 
sieht — den ehemaligen Kern. Endlich trifft man Zellen, die 
mit ähnlichen homogenen, formlosen Schollen dicht erfüllt sind: 
diese letzteren scheinen der Verdauung ziemlich lange zu widerstehen. 

Nach Ablauf der extravaskulären Blutbildung können meistens 
die Stellen der früheren Blutherde im Mesenchym noch während 
langer Zeit an der Anwesenheit der beschriebenen Phagozyten 
erkannt werden. Sogar in späteren Stadien am 15.—17. Brüt- 
tage sieht man zwischen den Muskeln der hinteren und besonders 
der vorderen Extremitäten, auch im Unterhautzellgewebe, lange 
Reihen und grössere Gruppen von grossen, phagozytierenden 
Elementen. Zu dieser Zeit wird das Bindegewebe von den letzten 
Resten der extravaskulären Erythropoese gesäubert. 

Wir sehen also, dass beim Hühnchen die extrvaskuläre 
Erythropoese einen hohen Entwicklungsgrad erreicht. Die Erythro- 
zyten entstehen dabei frei zwischen den Zellen des Mesenchyms. 
Dieser Unterschied von der eigentlichen und typischen intra- 
vaskulären Erythropoese, wie sie in den echten blutbildenden 
Organen vorkommt — im Dottersack in den frühen, im Knochen- 
mark in den späteren Stadien — bedingt auch den Unterschied 
der weiteren Schicksale der einen nnd der anderen Erythrozyten. 
Die extravaskulär entstandenen Erythrozyten gelangen nicht in 
die Gefässe, sie bleiben zwischen den Elementen des Mesenchyms, 
verfallen hier der Degeneration und werden von den Mesenchym- 
zellen, später auch von den Wanderzellen, gefressen und zerstört. 


b) Entwieklung von Lymphozyten aus den Gefäss- 
endothelien (Aorta). 

Die Endothelwucherung der Kapillaren führt, wie wir ge- 
sehen haben, in den frühen Entwicklungsstadien zur Bildung von 
Blutbildungsherden, wo zuerst ausschliesslich nur hämoglobin- 
haltige Zellen erzeugt werden. In diesen frühen Stadien bemerkt 
man aber eine sehr intensive Endothelentwicklung nicht nur in 
den Kapillaren, sondern auch in anderen grösseren Gefässen. 
3esonders typisch sind die Erscheinungen in der Aorta. 

Von der Zeit an, wo sie einheitlich wird, bemerken wir, 
dass in ihrer Wand das Endothel sich an gewissen Stellen in 
besonders charakteristischer Weise verändert. Dies geschieht im 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 1351 


Bereich eines bandförmigen Bezirkes an der ventralen Seite der 
Aortenwand, fast in der ganzen kraniokaudalen Ausdehnung des 
Asefässes. An Querschnitten von etwa drei Tage alten Embryonen 
sieht man sehr gut, dass dieser Bezirk gerade den ventralen Teil 
der Aortenwand einnimmt und, von dem übrigen Teil der Wand 
ziemlich scharf abgegrenzt erscheint. In seinem Bereich sind die 
Endothelzellen besonders dick, meist mehrschichtig angeordnet 
und wuchern sehr intensiv. Die Fig. 1 stellt einen Teil des 
Sagittalschnitts der Aortenwand von einem 72 stündigen Embryo 
an der erwähnten Stelle dar. Das Endothel besteht aus grossen, 
rundlichen, nur lose zusammenhängenden Elementen; viele sitzen 
an einer breiten, platten Basis (Ed’), die anderen an ziemlich 
langen und dünnen Protoplasmastielen (Ed‘‘). Die morphologische 
Struktur der Zellen lässt sie auch hier als dieselben, uns schon 
‚bekannten blutbildenden Mutterzellen, als Hämatogonien (Lympho- 
zyten) erkennen. Auch hier erscheinen sie zum Teil gruppen- 
weise verschmolzen, so dass blutinselähnliche Gebilde entstehen. 
‚Sehr typisch sind die rundlichen Pseudopodien an der Oberfläche 
der Zellleiber (Ed‘), die meistens ins Lumen des Gefässes gerichtet 
sind. «Durch diese amöboiden Bewegungen machen sich diese Zellen 
eben allmählich von den benachbarten Elementen frei, und durch 
sie wird die Ähnlichkeit der beschriebenen wuchernden Endothel- 
massen mit den Blutinseln noch markanter, sowohl hier wie dort 
geschieht die Auflösung der Zellgruppen in einzelne Zellen zum 
Teil wenigstens infolge der amöboiden Bewegungen der letzteren. 

Die beschriebene Endothelwucherung in der Aorta tritt nicht 
immer mit gleicher Intensität hervor; einige Embryonen, z. B. 
derjenige, von welchem die Fig. 1 stammt, weisen sie auf der 
ganzen Länge der Aorta in höchster Entwicklung auf, an 
Sagittalschnitten, die die Aorta median getroffen haben, sieht 
man ihre ganze ventrale Wand von einem ununterbrochenen 
Bande grosser, runder, in zwei bis drei, sogar vier Schichten an- 
geordneten Zellen gebildet, während das Endothel an der dorsalen 
Wand einschichtig ist; bei anderen Embryonen kann die Endothel- 
wucherung schwächer sein. 

Die frei gewordenen Endothelzellen erhalten den morpho- 
logischen Charakter von Lymphozyten, gelangen ins zirkulierende 
Blut und können von den weissen Blutkörperchen dann nicht 


mehr unterschieden werden. 
9* 


132 Wera Dantschakoff: 


Die beschriebene Endothelwucherung beobachtet man in der 
Aorta von der Zeit an, wo das Gefäss einheitlich wird. Sie ist 
besonders intensiv im Laufe des 3.—4. Tages; hier ist an der 
ventralen Seite des Gefässes ein ununterbrochenes Band von 
wucherndem Endothel zu konstatieren. Etwas später, am 4.—5. 
Tage, dauert die Wucherung fort, sie geschieht aber mehr herd- 
weise: an der ventralen Aortenwand sieht man an vielen. 
begrenzten Stellen Gruppen von grossen Iymphozytenähnlichen 
Zellen in das Gefässlumen hineinragen und in einzelne Zellen 
zerfallen. Mit der Zeit nimmt die Erscheinung allmählich ab 
und verschwindet schon nach 6—7 Tagen vollständig. 

Die blutbildende Tätigkeit des Endothels tritt in der Aorta 
am deutlichsten hervor. Aber auch in anderen Teilen des Gefäss- 
systems beobachtet man dieselbe Erscheinung in mehr oder 
weniger deutlicher Weise. So geschieht es in frühen Stadien im 
venösen Gefässnetz der area vasculosa selbst. 

lch glaube überhaupt, dass man dem Gefässendothel, 
wenigstens in den frühen Entwicklungsstadien, eine bedeutende 
hämatopoetische Potenz zuschreiben muss, welche sich in den 
verschiedenen Abschnitten des Gefässsystems mit verschiedener 
Deutlichkeit offenbart. Auch im Herzendothel, im Endothel der 
Kiemenbogengefässe usw. beobachtet man z. B. oft begrenzte, 
vereinzelte, meistens viel schwächer entwickelte Wucherungsherde, 
die ebenfalls zur Bildung freier Blutzellen führen. 


III. Das erste Auftreten des Wanderzellenstammes, 
der Iymphozytoiden und der histiotopen Wander- 
zellen im Mesenchym. 


Bis zum 4. Tag bietet das Mesenchym -ein ziemlich ein- 
förmiges histologisches Bild; es besteht überall aus unregelmässig 
sternförmigen, miteinander durch ihre Ausläufer verbundenen 
Zellen (Fig. 2 u. 3); der einzige Unterschied, welchen man in ver- 
schiedenen Körperteilen bemerken kann, besteht darin, dass das 
Gewebe eine verschiedene Dichtigkeit besitzt, was natürlich in 
erster Linie von der Wachstumsintensität an der betreffenden 
Stelle abhängt. 

Obwohl nun die Entwicklungsprozesse des lockeren Binde- 
gewebes gerade besonders - starken individuellen Schwankungen 
zu unterliegen scheinen, ist es doch möglich, zu sagen, dass 


ww 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 13: 
b: > > 


erade am Ende des 4. und am Anfange des 5. Tages der Be- 
g g 


brütung im Mesenchym eine neue Zellart auftritt, — freie wan- 
dernde Zellen. Zuerst sind sie noch sehr spärlich und man 
begegnet ihnen nur an ganz bestimmten Stellen, — in der un- 


mittelbaren Nähe von Blutkapillaren im Kopfmesenchym, im 
Mesenterium ventral von der Aorta, im lockeren Mesenchym 
zwischen den Ursegmenten und dem Epithel der seitlichen Körper- 
oberfläche. 

Schon bei ihrem ersten Erscheinen bemerkt man, dass die 
einzelnen freien Wanderzellen ziemlich bestimmte Unterschiede 
in ihrer Struktur bieten. 

Einerseits finden wir grosse, runde, amöboide Zellen mit 
hellem, runden oder ovalen, chromatinarmen Kern; der letztere 
enthält 1—2 grosse echte Kernkörperchen und verändert ver- 
hältnismässig wenig seine Form nur bei den Bewegungen der 
Zelle. Das dichte retikuläre Plasma bildet an der Oberfläche 
zahlreiche rundliche Pseudopodien, enthält oft kleine, helle Va- 
kuolen und eine ziemlich deutliche Sphäre. Die Vakuolen sind 
mitunter sehr zahlreich und verleihen dann der Zellsubstanz ein 
wabiges Aussehen. Osmische Präparate zeigen, dass ein Teil 
dieser Vakuolen von Fetttröpfehen herrührt, während ein anderer 
Teil von ihnen, wie die entsprechend bearbeiteten Präparate 
beweisen, durch Glykogenschollen bedingt erscheinen, die in ZF- 
Präparaten durch die wässerigen Lösungen extrahiert wurden. 

Diese grossen Wanderzellen haben durchaus den morpho- 
logischen Charakter echter grosser Lymphozyten. Sie sind 
besonders in den früheren Stadien und besonders in der Nähe 
von Blutgefässen häufig und könnten Iymphozytoide Wander- 
zellen genannt werden. 

Die andere Art der freien Wanderzellen erscheint zu 
gleicher Zeit mit den oben beschriebenen, unterscheidet sich 
aber ziemlich bedeutend von ihnen. Sie sind erstens gewöhnlich 
etwas kleiner, ferner haben sie stets einen dunkieren chromatin- 
reicheren Kern; seine Form ist in den früheren Stadien gewöhn- 
lich rund oder oval. Die Nukleolen treten in diesen Zellen 
weniger deutlich hervor — sie erscheinen in mehrere Teilchen 
zerteilt und von den Chromatinpartikelchen oft verdeckt. Sehr 
typisch ist das Protoplasma dieser Zellen, es bildet an der 
Peripherie des Zellleibes eine sehr grosse Menge von feinen 


134 Wera Dantschakoff: 


Auswüchsen; seine Basophilie ist viel schwächer als in dem 
vorher beschriebenen Zellen; es enthält sehr oft mehr oder 
weniger zahlreiche Vakuolen. 

Diese blasseren Zellen treten zuerst im Megerclipe zwischen 
den Ursegmenten und der lateralen Körperoberfläche des Embryos 
auf. Zuerst sind sie ziemlich selten, später wuchern sie aber 
sehr stark. Solche Zellen sind für das Mesenchym typisch und 
könnten sehr bequem als im Bindegewebe liegende histiotope 
Wanderzellen bezeichnet werden. 

Es fragt sich nun, wie und woher entstehen die beschriebenen 
Wanderzellformen, wodurch ist der Unterschied zwischen denselben 
bedingt, stehen sie miteinander in einem genetischen Zusammen- 
hang oder nicht, und wie verläuft ihre weitere Entwicklung? 

Die Fig. 2 und 3 illustrieren den Prozess der Entstehung 
der Wanderzellen; auf der Fig. 3 sieht man die Bildung der 
Iymphozytenähnlichen Wanderzellen, auf der Fig. 2 die Bildung 
der histiotopen Wanderzellen. 

Die Iymphozytenähnlichen Wanderzellen zeichnen sich in 
den frühesten Entwicklungsstadien durch ihre grossen Dimensionen 
aus. Sie gehen entweder aus den gewöhnlichen Mesenchymzellen 
oder aus den Gefässendothelien hervor. Im ersten Fall (Fig. 3) 
sehen wir, wie eine Mesenchymzelle ihre ästigen Ausläufer 
allmählich einzieht (Lmz WZ), wie sie sich von den Nachbar- 
zellen isoliert, wobei die ziemlich weitmaschige retikuläre Struktur 
des Protoplasmas bedeutend dichter wird. Der Zellleib rundet 
sich ab und bildet kurze abgerundete Pseudopodien. Die frei 
gewordenen Zellen fallen unter den viel helleren Mesenchym- 
zellen sofort durch ihre dunkelblaue Färbung auf. Auf der Fig. 3 
erscheinen einige von ihnen mit den Nachbarzellen noch teilweise 
durch Ausläufer verbunden. An der Zelle Lmz WZ” bemerkt 
man, wie sich gerade eben ein Ausläufer isoliert und abgerundet 
hat. Daneben liegt eine andere Zelle, die schon zahlreiche, in 
verschiedene Ebenen verlaufende rundliche Auswüchse besitzt 
und mit den Mesenchymzellen nur noch durch einen einzigen, noch 
nicht eingerissenen Ausläufer verbunden erscheint (Lmz WZ'). 
Die Fig. 3 stellt eine Stelle aus dem Kopfmesenchym vor. Ähn- 
liche Bildung von Iymphozytoiden Wanderzellen aus einfachen 
Mesenchymzellen kommt auch in anderen Körperteilen vor, 
während sie sonst meist von den Gefässendothelien stammen. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 135 


Diese letztere Erscheinung ist auf der Fig. 6 dargestellt; 
man sieht hier sehr deutlich eine Iymphozytenähnliche Wander- 
zelle aus den Endothelzellen eines Kapillargefässes entstehen. 
Auf der Fig. 1 sieht man auch ein ganz entsprechendes Bild — 
eine von den zahlreichen wuchernden Endothelzellen an dem 
Aortawandschnitt ist frei geworden, hat sich den Weg durch die 
die Gefässwand zusammensetzenden Elemente gebahnt und ist in 
das nukleäre Gewebe, in das Mesenchym des Mesenteriums hinein- 
gelangt (Lmz). Ähnliche Wanderzellen sind hier im Mesenterium 
ziemlich häufig, — sie bilden meist kleine oder auch grössere 
Gruppen und besonders regelmässig trifft man diese Iymphozyten- 
ähnlichen Wanderzellen im Bereich des kaudalen Endes der 
Trachea an der Abzweigungstelle der Bronchien. 

Wir sehen aus der angeführten Schilderung, dass Wander- 
zellen vom Charakter echter grosser Lymphozyten in den frühesten 
Entwicklungsstadien sowohl aus den gewöhnlichen ästigen Mesen- 
chymzellen entstehen, als auch aus Gefässendothelien. Der erste 
Entwicklungsmodus ist mehr beschränkt und tritt bald ganz 
zurück, sodass die lymphozytenähnlichen Wanderzellen im folgenden 
ausschliesslich aus Endothelzellen und aus Gefässen emigrierten 
weissen Blutkörperchen hervorgehen. 

Ungefähr zur selben Zeit beobachtet man an einigen Stellen 
im Embryokörper, vor allem, wie gesagt, im lockeren Mesenchym 
zwischen den Segmenten und der lateralen Oberfläche des Körpers, 
die Entstehung der anders gearteten Wanderzellen, der Wander- 
zellen, die, wie oben beschrieben, sich durch helleres Protoplasma 
auszeichnen (Fig. 2). Sehr typisch sind ausserdem für diese 
Zellen (HtWz) die zahlreichen kurzen, dünnen und spitzen, 
wie Igelstacheln oder Tannennadeln angeordneten Pseudopodien. 
Diese Wanderzellen entstehen fast ausschliesslich aus den gewöhn- 
lichen ästigen Mesenchymzellen; man findet stets alle möglichen 
Übergangsformen. 

Die Bildung der histiotopen blassen Wanderzellen beginnt 
gewöhnlich am Ende des vierten oder am Anfang des fünften 
Tages und breitet sich ziemlich rasch über das ganze Körper- 
mesenchym aus. Nach acht bis neun Tagen finden wir sie schon 
überall im Unterhautzellgewebe, in dem interstitiellen Binde- 
gewebe zwischen den Muskeln, im Bindegewebe zwischen den 
verschiedenen inneren Organen, oft sogar im interstitiellen Gewebe 


136 Wera Dantschakoff: 


der letzteren selbst, — überall sieht man die beschriebenen 
Wanderzellen entstehen. An den einen Stellen sind sie zahlreich, 
an den anderen trifft man sie nur einzeln. -Ihre Struktur ist 
auch nicht überall genau dieselbe, — in einigen Zellen ist das 
Plasma verhältnismässig dicht, in den anderen stark vakuolisiert; 
meistens ist es aber leicht, diese Elemente von den Iymphozytoiden 
Wanderzellen zu unterscheiden. 


Der beschriebene Prozess der Weanderzellbildung aus 
mesenchymatösen Zellen verläuft also zuerst in zwei Richtungen 
und liefert zwei Zellarten. Sehr bald bleibt aber nur die 
eine Richtung bestehen und im Gewebe selbst werden aus 
den ästigen Zellen weiter nur histiotope Wanderzellen gebildet. 
Die Bildung der Iymphozytoiden Wanderzellen bleibt dann nur 
auf die Gefässendothelien beschränkt. 


In den ersten Entwicklungsstadien befinden sich also die 
Elemente des Mesenchyms augenscheinlich in einem indifferenteren 
Zustande und besitzen eine besonders mannigfaltige und viel- 
seitige Entwicklungspotenz, — sie bilden sowohl Iymphozytoide, 
als histiotope Wanderzellen, ausserdem gehören ja auch die 
Endothelzellen selbst auch zu ihnen. Mit der Zeit wird die 
Mannigfaltiekeit der Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt 
und die Spezialisierung schreitet vorwärts. Die ästigen Mesen- 
chymzellen verlieren die Fähigkeit zur Bildung von grossen 
Iymphozytenähnlichen Wanderzellen. Diese Fähigkeit bleibt fürs 
ganze Leben in vollem Maße nur den Gefässendothelien erhalten. 


Die Iymphozytenähnlichen Wanderzellen des Mesenchyms 
entsprechen morphologisch vollkommen den grossen Lymphozyten, 
die wir in der Dottersackwand ausserhalb der (Gefässe als Mutter- 
zellen der granulierten Leukozyten funktionieren sehen, wie ich 
es in meiner Arbeit festgestellt habe. Auch in dieser letzteren 
Beziehung ist die Identität vollkommen — die Lymphozyten des 
Bindegewebes im Körper entfalten, wie wir weiter sehen werden, 
ebenfalls dieselbe Tätigkeit. 

Wenn man die genetischen Wechselbeziehungen der beiden 
beschriebenen Wanderzelltypen genau studiert, kommt man zum 
Schluss, dass zwischen den beiden in ihren extremen Formen so 
grundverschiedenen Typen auch Zwischenstufen existieren. Es 
fragt sich überhaupt, dürfen die beiden Wanderzellarten voneinander 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 157 


getrennt werden, und ob es nicht wahrscheinlicher anzunehmen 
wäre, dass die eine Zellart in die andere direkt übergehen könnte. 

Der Zeitpunkt des ersten Auftretens der Wanderzellen im 
Mesenchym bekommt dadurch eine besondere Bedeutung, weil 
dabei von dem mesenchymatischen Gewebsgrundstock zuerst eine 
Zellart abgespalten wird, die während des ganzen künftigen, auch 
postfetalen Lebens, als ständiger Bestandteil des ubiquitären 
lockeren Bindegewebes erhalten bleibt und bei verschiedenen 
pathologischen Prozessen, die sich im Bindegewebe abspielen, eine 
sehr wichtige Rolle spielen soll (Maximow [8]). 


a) Histiotope Wanderzellen. 


Die Zahl der histiotopen Wanderzellen im Mesenchym des 
Körpers wächst immerfort, erstens infolge selbständiger Wucherung, 
zweitens infolge fortdauernder Abrundung neuer Mesenchymzellen, 
und drittens zum Teil auch infolge direkter von Mitose gefoleter 
Umwandlung der Iymphozytoiden Wanderzellen. Sie häufen sich 
manchmal besonders im lockeren Bindegewebe zwischen den 
Muskeln, auch im Unterhautzellgewebe in sehr grossen Mengen 
an. In den späteren Stadien verändern sich diese Wanderzellen 
weiter, wie wir sehen werden auch in qualitativer Beziehung. 


Eine von ihren Hauptfunktionen ist die Phagozytose. Bei 
der Beschreibung der extravaskulären Erythropoese im Mesenchym, 
in den frühen Entwicklungsstadien, hatte ich bereits Gelegenheit, 
auf die grosse Verbreitung der Phagozytose dabei hinzuweisen. 
Die extravaskulär entstandenen Erythrozyten wurden von Mesen- 
chymzellen gefressen, die sich dabei selbst abrundeten. Wenn 
ım Mesenchym frei wandernde Zellen auftauchen, übernehmen sie 
allein die Funktion der Phagozytose. Sie verschlingen und ver- 
dauen besonders energisch die extravaskulären Erythrozyten, auch 
andere degenerierende Zellreste werden von ihnen vernichtet. 
Die Fig. 11, die dem verhältnismässig späten Stadium von 15 Tagen 
entstammt, zeigt eine Zelle (Phz“), die einen noch gut kennt- 
lichen eosinophilen Leukozyten verschlungen hat; in einer anderen 
sehen wir einen eosinophilen Leukozyten, der, unter dem Einfluss 
der intrazellulären Verdauung, schon fast ganz seine Körnung 
und sein Protoplasma verloren hat; auch der Kern ist schon 
ganz blass geworden. 


138 Wera Dantschakoff: 


Schon im fetalen Leben tritt also diese Rolle der Wander- 
zellen des Bindegewebes ziemlich deutlich hervor, die natürlich 
nicht als ihre einzige Rolle angesehen zu werden braucht — sie 
säubern das Gewebe von toten Zellresten. Die Untersuchungen 
von Maximow (8) über die Histiogenese der Entzündung haben 
für die sogenannten „ruhenden Wanderzellen“ oder die Ranvier- 
schen „Klasmatozyten“, die sich, wie wir sehen werden, direkt 
von den embryonalen Wanderzellen herleiten lassen, im erwachsenen 
Organismus dasselbe bewiesen. Diese Zellen des Bindegewebes 
behalten auch im erwachsenen Organismus die ausgesprochene 
Fähigkeit, auf jeden Reiz mit Abrundung und Neumobilisierung 
zu reagieren und dabei als energische Phagozyten zu funktionieren. 


b) Lymphozytoide Wanderzellen. 


Was die Iymphoiden Wanderzellen anbelangt, so machen sie, 
wenigstens in den früheren embryonalen Entwicklungsstadien des 
Mesenchyms, einen ziemlich bestimmten Entwicklungszyklus durch. 


Sie entsprechen in histologischer Beziehung vollkommen 
denjenigen Lymphozyten, die in dem Gefässnetz der Dottersack- 
wand die Rolle von Hämatogonien — der gemeinsamen Stammzelle 
für alle Blutzellenarten — spielen. Bis zum 45. Bebrütungstag 
haben wir schon die Entwicklung solcher im embryonalen Mesen- 
chymblut inselweise auftretenden Zellen verfolgt; wir haben 
gesehen, dass sie zuerst, ob sie aus den gewöhnlichen ästigen 
Mesenchymzellen oder aus Gefässendothelien entstanden sind, in 
gleicher Weise ausschliesslich nur Erythroblasten erzeugen, die 
dann ihrerseits, unter energischer Wucherung, grösseren oder 
kleineren Herden von typischen Erythrozyten den Ursprung geben. 


Später, nach dem vierten Tage, erscheinen diese Gewebs- 
Iymphozyten in noch grösseren Mengen, einzeln und gruppenweise 
zwischen den Elementen des Mesenchyms, meistens in unmittel- 
barer Nähe von Gefässen und vor allem in der Umgebung der 
Aorta. Nach fünf, sechs und sieben Tagen bilden sie hier, an 
der ventralen Aortenwand, im lockeren Gewebe dichte Infiltrate. 
An derselben Stelle findet man ausserdem auch im Lumen der 
kleinen Gefässe und Kapillaren ganz ähnliche grosse amöboide 
Lymphozyten, die sich hier in grossen Mengen anhäufen und fast 
ausschliesslich den Inhalt der betreffenden Gefässe bilden. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 139 


Im Gegensatz zu den histiotopen Wanderzellen verteilen 
sich die Iymphozytoiden Wanderzellen nicht gleichmässig im 
Mesenchym des ganzen Körpers. Man kann sie erstens einzeln 
im Gewebe liegend vorfinden: meistens bilden sie aber grössere 
Gruppen in verschiedenen Stellen, wie zur Zeit, wo aus ihnen 
Erythroblastenherde entstehen. Die Ansammlungen der Iympho- 
zytoiden Wanderzellen, die ich jetzt für die etwas späteren 
Stadien beschreibe,‘ sind ja auch eigentlich die unmittelbare Fort- 
setzung der früheren erythropoetischen Herde, mit dem Unter- 
schied, dass sie jetzt nicht nur rote Blutkörperchen, sondern 
auch granulierte Leukozyten entstehen lassen. Sie können aus 
diesem Grunde als echtes hämatopoetisches Gewebe, als myeloides 
Gewebe bezeichnet werden. Dieses Gewebe häuft sich erstens in 
der Umgebung der Aorta an, ferner bildet es unter anderem auch 
am Halse in dessen kaudalen Partien zwei grosse symmetrische 
Ansammlungen. Ausserdem habe ich bemerken können, dass die 
(ewebsiymphozyten sich mit besonderer Vorliebe in der nächsten 
Umgebung der grossen Nervenstämme und Ganglien ansammeln, 
so findet man sie in dicker Schicht an einigen Ganglien der 
Gehirnnerven, auch im Raum zwischen Wirbelsäule und Ösophagus 
und in der Umgebung der Spinalganglien. Im lockeren Binde- 
gewebe zwischen den Muskeln findet man oft kleine Gefässe, die 
sowohl im Lumen, als auch aussen an der Wand im Gewebe 
zahlreiche Lymphozyten aufweisen. Das hämatopoetische Gewebe 
trifft man auch im Unterhautzellgewebe, an den Haarbälgen und 
später auch zwischen den Inseln des jungen Fettgewebes. Dorsal 
vom Herz, in der Umgebung der grossen Gefässe, in dem Dia- 
phragma, in dem sehr lockeren Bindegewebe dorsal am Schlund — 
überall finden wir auch diffus zerstreute, mehr oder weniger 
bedeutende Ansammlungen davon. 

Die Lymphozyten bewahren überall ihre typischen morpho- 
logischen Eigenschaften — sie sind also in gewisser Hinsicht 
eine Zellart mit sehr konstanten Eigenschaften. Ihre bedeutende 
Grösse (bis 10 «) lässt sie im kleinzelligen embryonalen Gewebe 
des Hühnchens immer leicht erkennen; ebenfalls sehr typisch ist 
das dichte basophile, an D- und E-Az-Präparaten sehr dunkel- 
blau gefärbte Protoplasma mit den rundlichen amöboiden Fort- 
sätzen. Der grosse, helle, runde Kern erhält manchmai von der 
einen Seite eine durch die daneben liegende Sphäre verursachte 


140 | Wera Dantschakoff: 


Delle. Im Kern ist stets ein grosses Kernkörperchen vorhanden, 
welches nach E-Az eine dunkle violettrote Färbung annimmt. 
Die Nukleolen stellen dabei gewöhnlich sehr unregelmässig kon- 
turierte Schollen augenscheinlich sehr dichter Substanz vor, welche 
auch nach anderen Färbungen stets einen anderen Ton annehmen 
als das Chromatin. Sie werden meistens von den feinen Chromatin- 
teilchen dicht umringt, so dass die Grenzen der beiden Substanzen 
bei gewöhnlichen Färbungen schwer zu definieren sind. Zwischen 
den verschiedenen Blutelementen konnte ich immer sehr genau 
die Form des Kernkörperchens nur an Erythroblastenkernen, so- 
wohl in den blutbildenden Gefässen des Dottersacks, als im 
zirkulierenden Blut unterscheiden; dort war auch an D- und 
E-A-Präparaten die Grenze zwischen Nukleolensubstanz und 
Ohromatin immer genau zu definieren, und die Uhromatinteilchen 
bildeten gewöhnlich einen ganz regelmässigen, blauen Kranz an 
der Peripherie des rubinroten Nukleolus, wie ich es in meiner 
letzten Arbeit beschrieben habe. 

Sehr deutlich treten diese Beziehungen der Nukleolarsubstanz 
und des Chromatins zueinander sowohl in den Lymphozyten, als 
auch in den Erythroblasten, kurz in allen Blut- und Bindegewebs- 
zellen an nach Mallory für Darstellung der Kollagenfasern 
gefärbten Präparaten hervor. Das Kernkörperchen hat einen 
intensiven bernsteinfarbigen Ton, erscheint nach dieser Methode 
immer kugelrund und ist von dem blauen Kranz der Chromatin- 
mikrosomen sehr scharf abgegrenzt. Die eckige und unregel- 
mässige Form, welche das Kernkörperchen nach E-Az- oder 
D-Färbung erhält (Fig. 1--3) hängt augenscheinlich davon ab, 
dass dabei die Nukleolensubstanz und das Chromatin nicht voll- 
kommen. differenziert werden und beide Substanzen teilweise zu 
verschmelzen scheinen. 

Die beschriebenen zelligen Elemente der extravaskulären 
Blutbildungsherde im Mesenchym stellen also dieselben Zellen vor, 
welche in den blutbildenden Gefässen des Dottersackes bei ihrer 
Entwicklung die Blutelemente lieferten. Auch im embryonalen 
Bindegewebe entwickeln sie sich in derselben Richtung. Wie sie 
sich in hämoglobinhaltige Zellen verwandeln, darüber habe ich 
bereits gesprochen, als ich die Blutbildungsherde in den frühesten 
Stadien behandelte. Ungefähr vom 5. Tage an schlägt aber ein 
Teil der extravaskulären Lymphozyten eine neue Entwicklungs- 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 141 


richtung ein, sie differenzieren sich zu typischen Myelozyten. 
Dabei erleidet zugleich sowohl der Kern, als auch das Protoplasma 
bestimmte Veränderungen. 

Im Zellleib, in welchem schon früher eine Sphäre zu be- 
merken war, tritt dieselbe jetzt besonders deutlich hervor; sie 
drückt die Kernmembran seitlich ein. Im Protoplasma aber 
tauchen zuerst unmittelbar an der Peripherie der Sphäre feinste 
runde azidophile Körnchen auf. Dabei wird die Basophilie des 
Protoplasmas schwächer. Die Körnchen erscheinen nach D- oder 
E-Az-Färbung nicht immer von gleicher Grösse und sind nicht 
immer gleichmässig verteilt. Sie bilden meistens kleine Gruppen, 
die von hellen Höfen umgeben werden. Die Grösse und die Zahl 
der Granula stehen in keiner sichtbaren Beziehung zueinander; 
manchmal findet man Zellen mit spärlichen grossen Körnern, andere 
haben wieder zahlreiche und sehr feine. Der Kern der jungen 
Myelozyten bietet auch gewisse Besonderheiten. Die Chromatin- 
menge wächst an, während die Nukleolen kleiner werden. Vor 
dem endgültigen Verschwinden zerteilen sich die letzteren oft in 
2—3 kleinere, nach Mallory-Färbung stets runde Körperchen. 
Das Chromatin erscheint gewöhnlich in Form von kleinen Schollen, 
die oft der Kernmembran eng anliegen und mittels feiner Fäden 
mit anderen Chromatinpartikelchen verbunden sind. 

Es ist schwierig, zu einem bestimmten Schlusse über die 
Natur der ersten Körnchen zu gelangen. In letzter Zeit lehrt 
Weidenreich, dass die azidophile Körnung in den Lymphozyten 
aus verschlungenen zerfallenen Erythrozyten entsteht. Hierzu 
möchte ich bemerken, dass das Studium der Bildung der ersten 
Granulozyten sowohl im Dottersack (Dantschakoff |2]), als 
auch im Körpermesenchym des Hühnchens uns keine Anhalts- 
punkte zu einer solchen Annahme gibt. Im Dottersack, wo die 
Erythro- und Granulopoese lokal völlig getrennt verlaufen, ist es 
in der Tat sehr leicht, das Fehlen jedweder Beziehungen zwischen 
der Phagozytose degenerierender Erythrozyten und der Bildung 
azidophiler Granulozyten zu beweisen. Die letzteren entstehen 
hier ja ausschliesslich extravaskulär, wo man sowohl normale, als 
auch zerfallene Erythrozyten vermisst. Man könnte hier höchstens 
daran denken, dass das Hämoglobin der intravaskulär zugrunde 
gehenden Erythrozyten durch die (Gefässwand hinausdiffundiert 
und von den extravaskulären Wanderzellen aktiv aufgenommen 


142 Wera Dantschakoff: 


und zu azidophilen Körnern verarbeitet wird, — eine sehr un- 
wahrscheinliche Voraussetzung. Bei der Bildung der Myelozyten 
im Körpermesenchym findet man nun, wie wir gesehen haben, 
sowohl Erythro- als auch Granulopoese ; die extravaskulär ent- 
standenen Hämoglobinzellen gehen in der Tat zugrunde und 
werden von freien, phagozytierenden Elementen verschlungen. 
Auch hier ist es aber unmöglich, irgendwelche Beziehungen zwischen 
dieser Phagozytese zerfallender Hämoglobinzellen und der Myelo- 
zytenbildung zu konstatieren. Die Ausarbeitung der azidophilen 
Körnchen beginnt stets mit dem Auftreten sehr spärlicher, äusserst 
feiner Granula. die sich um die Sphäre herum anordnen, in nicht 
phagozytierenden Zellen. Die Phagozyten hingegen verschlingen 
und häufen in ihrem Körper sehr zahlreiche und grosse Erythro- 
zyten an, die im Protoplasma dann allmählich die oben be- 
schriebenen Zerfallserscheinungen durchmachen, sich aber niemals 
in die runde azidophile Körnung der Mvelozyten oder stäbchen- 
förmige der Leukozyten verwandeln. Endlich gibt uns auch die 
Anwendung verschiedener anderer Methoden zum Studium der- 
selben Körnung sehr deutliche Beweise dafür, dass die letztere 
mit dem hämoglobinhaltigen Protoplasma der Erythrozyten nichts 
gemeinsames hat. Wenn man den Embryo mit Alkohol fixiert, 
so wird das Hämoglobin gewöhnlich aus den Erythrozyten aus- 
gelaugt. Die üblichen Hämoglobinfärbungen gelingen deswegen 
nicht. Die Myelozytenkörnung bleibt hingegen wenigstens beim 
Embryo ziemlich gut erhalten und nimmt bei Thioninfärbung 
einen intensiven, etwas metachromatischen, braunrötlichen Ton an. 
Besonders gut lässt sich an Alkoholpräparaten die Körnung gerade 
in den jüngsten Myelozyten darstellen, also dort, wo sie, Ihrem 
chemischen Charakter nach, dem Hämoglobin doch gerade noch 
am nächsten stehen sollte. Durch ihre mikroskopischen Farben- 
reaktionen unterscheidet sich also die azidophile Körnung auch 
sehr scharf vom hämoglobinhaltigen Protoplasma der Erythrozyten. 

Die Fähigkeit der jungen azidophilen Körnung, sich mit 
Thionin metachromatisch zu färben, ist sehr beachtenswert. Auch 
mit Cresylechtviolett lässt sich eine mehr oder weniger deutliche 
metachromatische Tinktion der meisten jungen Körner erzielen. 
Diese Tatsachen geben uns, wie wir sehen werden, einen gewissen 
(rund, die erste azidophile Körnung der Myelozyten des Hühnchens 
mit der später entstehenden Mastzellenkörnung zu vergleichen. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 143 


Die Verwandlung der Iymphozytoiden Wanderzellen in 
gekörnte Myelozyten ist im Körpermesenchym sehr verbreitet; 
sie geschieht überall in derselben Weise und führt überall zur 
Bildung gekörnter Leukozyten. Wie wir aber die Erythropoese 
im Mesenchymgewebe in vielen Fällen etwas typische Wege gehen 
sahen, — ausser der regelmässigen, intravaskulären, gibt es auch 
eine abortive, extravaskuläre, — so kann man dasselbe auch von 
der Granulopoese sagen, auch sie weist öfters eine ungewöhnliche 
atypische Lokalisation auf. 


Ich habe bereits erwähnt, dass in der Umgebung der Aorta 
und an manchen anderen Stellen sich grössere und kleinere 
Gefässe finden lassen, deren Inhalt fast ausschliesslich aus grossen 
Lymphozyten besteht. Ein ähnliches Gefäss ist auf der Fig. 5 


dargestellt; auch auf Fig. 7 sieht man einen Teil eines solchen 
Gefässes mit dem anliegenden Mesenchym. 


Das Gefäss auf der Fig. S ist vollkommen ausgefüllt mit 
grossen runden basophilen, etwas amöboiden Zellen, die einer- 
seits der inneren Oberfläche der Gefässwand aufs Innigste anliegen, 
andererseits durch gegenseitigen Druck fast polygonal geworden 
sind. Es sind die typischen, uns schon bekannten Lymphozyten. 
Das betreffende Gefäss lag lateral vom kranialen Teil der Aorta. 
Von der Wand derselben löst sich ferner eine sich in einen 
amöboiden Lymphozyt verwandelnde Endothelzelle (Ed’) ab und 
kriecht ins Gewebe; in unmittelbarer Nähe des Gefässes, sowie 
in einiger Entfernung von ihm liegen ebenfalls ganz ähnliche 
Lymphozyten im Mesenchym zerstreut (@ Lmz). In einem Teil 
dieser extravaskulären Lymphozyten sieht man nun Anhäufung 
azidophiler Granula (Mlz); die jungen Myelozyten sind ebenso 
amöboid, wie die Lymphozyten und unterscheiden sich von ihnen 
eben nur durch die Anwesenheit der spezifischen Körnung. 


Das Gefäss auf Fig. 7 ist ebenfalls mit Lymphozyten an- 
gefüllt; unter ihnen bemerkt man aber auch eine Hämoglobinzelle 
(Erz). Die grossen basophilen Lymphozyten wuchern energisch, 
man sieht in ihnen viele Mitosen (G Lmz). Man erkennt ferner 
sehr deutlich, dass die Lymphozyten in innigen Beziehungen zu 
der Endothelwand stehen, — von den letzteren lösen sich amö- 
boide Lymphozyten ab oder sie kriechen durch dieselbe hin- 
‚durch (Ed‘). 


144 Wera Dantschakoff: 


Auf dieser Zeichnung ist aber deutlich zu sehen, dass der 
Inhalt des Gefässes aus zwei Arten von Zellen besteht. Die eine 
Art, die sich im gegebenen Fall sogar in der Minderzahl befindet, 
stellt gewöhnliche Lymphozyten vor (G Lmz). Die übrigen Zellen 
entsprechen in allen Beziehungen Lymphozyten, mit einer einzigen 
Ausnahme, — sie enthalten azidophile Körnchen. Es sind also 
junge azidophile Myelozyten (Mlz). Wir haben also in diesem 
Fall eine intravaskuläre Entstehung von Myelozyten aus Lympho- 
zyten vor Augen. Auf der Fig. 7 ist klar zu sehen, dass dieser 
Prozess im Gefässlumen in ganz derselben Weise verläuft, wie 
ausserhalb der Gefässe, im Gewebe. 

Für die Tatsache, dass in einigen Körperstellen die Myelozyten 
sowohl extra- als auch intravaskulös entstehen, kann man, wie 
mir scheint, eine Erklärung in den Existenzbedingungen der 
Zellen finden. Einen Unterschied in den Existenzbedingungen 
einer gegebenen Zelle, je nachdem sie innerhalb oder ausserhalb 
eines (sefässes liegt, finden wir schon in dem Umstande, dass im 
ersten Fall ein konstanter Blutstrom vorhanden ist, im zweiten 
aber nicht. Als eine für die Entstehung eines granulierten Mye- 
lozyten aus einem Lymphozyten notwendige Bedingung könnte man 
nun gerade das Fehlen der passiven Bewegung der Zellen betrachten. 
Der Lymphozyt verwandelt sich in einen Myelozyten überall dort, 
wo er ruhig und selbständig zwischen anderen Gewebselementen 
liegt. So geschieht es in der Dottersackwand, deren Gefässe 
aussen von grossen Massen von Myelozyten und Leukozyten um- 
hüllt erscheinen. So geschieht es im Körpermesenchym, wo die 
frei zwischen den übrigen, fixen Zellen extravaskulär liegenden 
Ivmphozytoiden Wanderzellen sich ebenfalls in Myelozyten ver- 
wandeln. Wenn wir endlich unser Augenmerk auf die Gefässe 
mit innerhalb des Lumens aus Lymphozyten entstehenden Myelozyten 
richten, so können wir, meiner Meinung nach, schliessen, dass die 
Lymphozyten sich hier wahrscheinlich unter denselben Existenz- 
bedingungen befinden, wie im Gewebe, ausserhalb der Gefässe, 
denn eine ähnliche Entwicklungsrichtung im Lebenszyklus der 
intravaskulären Lymphozyten wird eben nur in solchen Gefässen 
gefunden, die von grossen Zellen ganz verstopft sind. Es ist in 
der Tat kaum anzunehmen, dass in Gefässen, wo die im Lumen 
befindlichen Zellen so eng beisammen liegen, dass sie sich gegen- 
seitig abplatten, eine passive Bewegung derselben durch den Blut- 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 145 


strom stattfindet; es ist wahrscheinlicher, dass in einem solchen 
Fall im Lumen dieselben Bedingungen herrschen, wie ausserhalb 
der Gefässbahn im Gewebe und dadurch ist es eben zu erklären. 
dass die Lymphozyten sich hier zu Granulozyten entwickeln. Gewiss, 
auch im Gefässnetz des Dottersacks fanden sich mit Lymphozyten 
dieht ausgefüllte Gefässstrecken, ohne dass man darin Myelozyten 
konstatieren konnte. Aber in diesem Fall war es doch immer 
möglich, im Zentrum des Gefässlumens auch hämoglobinreiche 
Erythrozyten zu konstatieren, und aus der Zirkulation sind also 
diese Gefässabschnitte sicher nicht völlig ausgeschaltet gewesen, — 
wir haben also auch keinen Grund, zu erwarten, dass dort Granulo- 
zyten entstehen. Anders in den oben beschriebenen von Lympho- 
zytenmassen vollkommen verstopften Gefässen im Körpermesenchym, 
— hier stockt jede Zirkulation vollkommen, — und aus den 
Lymphozyten entstehen Myelozyten. 


Wenn wir uns also auf den Standpunkt stellen, dass zur 
Entwicklung eines Lymphozyten in der Richtung der Granulo- 
poese Ausschluss der,passiven Bewegung mit dem Blutstrom nötig 
ist, dann werden uns auch die scheinbaren Ausnahmen aus der 
allgemeinen Regel verständlich, — intravaskuläre Granulopoese 
an einigen bestimmten Stellen im Embryokörper. 


Schwieriger ist es, die extravaskuläre Erythropoese im 
embryonalen Mesenchym zu erklären. Hier könnte man bloss 
die Vermutung äussern, dass diese extravaskuläre Erythropoese 
entweder einer ähnlichen Erscheinung bei den niederen Wirbel- 
tieren entspricht oder den ersten Anlauf zur extravaskulären 
Erythropoese vorstellt, wie man sie beim Säugerembryo konstatiert. 


Obwohl die Entwicklungsprozesse der grossen Lymphozyten 
in den Blutbildungsherden im Mesenchym durchaus in derselben 
Weise verlaufen, wie wir es schon im Dottersack gesehen haben, 
sind die Endschicksale ihrer verschiedenen Differenzierungsprodukte 
doch ganz andere. Wir haben gesehen, dass die extravaskulären 
neugebildeten, zwischen den Mesenchymelementen frei liegenden 
Erythrozyten keine grosse Lebensfähigkeit besitzen. Sie verfallen 
entweder einer sehr raschen selbständigen Degeneration oder werden 
von Phagozyten zerstört. Von den extravaskulären Myelozyten 
kann man ähnliches nicht behaupten; sie bieten niemals Anzeichen 


degenerativer Veränderung dar. Im Gegenteil, sie vermehren 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 10 


146 Wera Dantschakoff: 


sich erstens selbst sehr energisch; ferner entwickeln sie sich 
weiter in regelrechter Weise. Es ist eine Leichtigkeit, besonders 
in den späteren Stadien in dem Gewebe zwischen den Fettläppchen 
ihre weitere Verwandlung in typische reife granulierte Leukozyten 
zu verfolgen. 


Bisher habe ich bei der Beschreibung der Entwicklung des 
Mesenchyms das Hauptaugenmerk auf das Auftreten neuer Zell- 
arten gerichtet. Wir haben gesehen, dass die in dieser Beziehung 
wichtigste Erscheinung die Entstehung freier isolierter Zellen im 
netzartigen Mesenchymgewebe war. Die allgemeine morphologische 
Grundeigenschaft aller dieser verschiedenen freien Zellen (histiotope 
und Iymphozytoide Wanderzellen, Erythrozyten, Myelozyten, Leuko- 
zyten) ist ihre Isoliertheit von den fixen, netzartig verbundenen 
Gewebselementen. 


Unter diesen verschiedenen Zellformen haben die einen eine 
nur kurze Existenzdauer und ‚verschwinden bald, während die 
anderen zu integrierenden Bestandteilen des lockeren Bindegewebes 
werden. Zu der ersten gehören vor allem die Hämoglobinzellen, — 
die Erythrozyten, die im Mesenchym in grossen Mengen bis zum 
Schluss des fetalen Lebens vorkommen, zum Moment des Aus- 
schlüpfens des Hühnchens aber infolge von Phagozytose seitens 
anderer Zellen fast vollständig verschwinden. Zu den zweiten 
gehören die verschiedenen indifferenten Wanderzellarten, — die 
Iymphozytoiden und die histiotopen Wanderzellen; sie verschwinden 
nicht, sondern bleiben für immer auch im lockeren Bindegewebe 
des erwachsenen Organismus. Sie erleiden dabei nur gewisse 
Veränderungen in ihrer Struktur, worüber später die Rede 
sein wird. 


Schon in sehr frühen Entwicklungsstadien bereichert sich 
also das Mesenchym durch eine neue konstante und überaus 
wichtige Zellart. Schon nach fünf bis sechs Tagen besteht dieses 
Gewebe aus zwei wohlcharakterisierten Zellarten, — einerseits 
den typischen, durch Ausläufer netzartig miteinander verbundenen 
fixen Bindegewebszellen, andererseits den freien wandernden 
Elementen in ihren verschiedenen Formen, — den Lymphozyten, 
den histiotopen Wanderzellen, den Myelozyten und den reifen 
eosinophilen Leukozyten. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 147 


IV. Das erste Auftreten von Fibroblasten 
im Mesenchym. 


Parallel mit der Abspaltung gewisser besonderer Zellarten 
vom Grundstock des indifferenten netzartigen Mesenchymgewebes 
treten allmählich auch in den Zellen des letzteren selbst qualitative 
Veränderungen auf, die mit der Ausarbeitung der faserigen 
kollagenen Zwischensubstanz zusammenhängen. 


Die Frage über die Art und Weise der Entstehung der 
kollagenen Zwischensubstanz ist bekanntlich schon von alters her 
von den verschiedenen Forschern in verschiedenem Sinne beant- 
wortet worden. Es werden zwei hauptsächliche Standpunkte auf- 
gestellt; nach dem einen sollten die Kollagenfasern selbständig, 
unabhängig von den Zellen in der Interzellularsubstanz entstehen ; 
nach dem anderen stellten sie das Differenzierungsprodukt des 
Zellprotoplasmas selbst vor. 


In meinem Objekt, dem embryonalen Mesenchym des 
Hühnchens, wird das Gewebe in den frühesten Stadien, wie schon 
gesagt, von sehr polymorphen, miteinander durch protoplasmatische 
Ausläufer verbundenen Zellen gebildet. Sie bringen dadurch ein 
gemeinsames Netz zustande, in dessen Knotenpunkten die Kerne 
mit den sie umgebenden polygonalen Protoplasmamassen die Zell- 
leiber repräsentieren. In den Räumen zwischen den Zellen konnte 
ich in den frühesten Stadien bis zum vierten bis fünften Tage 
mit keiner von den von mir gebrauchten Methoden irgendwelche 
Struktur nachweisen. Die an den Präparaten ganz hellen durch- 
sichtigen Interzellularräume müssen intra vitam mit einer Substanz 
ausgefüllt sein, die bei der Bearbeitung des Objektes extrahiert 
oder gelöst wurde. Nur an einigen Stellen konnte man die An- 
wesenheit einer feinkörnigen Masse konstatieren, die ich für 
Fällungen halte, welche durch Wirkung von Reagentien in einer 
Eiweisslösung erzeugt worden sind. 


Die erste Bildung von Kollagenfasern geschieht nicht überall 
im Mesenchym ganz gleichmässig; sie tritt am frühesten und 
deutlichsten in denjenigen Körperteilen des Embryo hervor, wo 
das Gewebe ein lockeres Gefüge besitzt und wo seine Zellen 
nicht mehr intensiv wuchern. Die letzteren sind untereinander 
durch lange protoplasmatische Ausläufer verbunden, die sich an 


vielen Stellen verzweigen und dermaßen verdünnen, dass sie als 
10* 


148 Wera Dantschakoff: 


feine wellenförmige Fibrillen erscheinen. Die Bildung der Kollagen- 
fasern lokalisiert sich, soweit man es mit Hilfe der Mallory- 
schen (7) Methode verfolgen kann, am Anfang hauptsächlich 
gerade im Bereich der Ausläufer der Zellen, verläuft aber im 
übrigen nicht immer in ganz gleicher Weise. Dort, wo die Zellen 
besonders weit voneinander liegen, werden ihre Ausläufer so dünn, 
dass sie ein feines Netz bilden, welches sich von den Zellleibern 
allmählich scheinbar ganz loslöst. Dort, wo die Zellen näher 
aneinander gelagert erscheinen, gelingt es, die Bildung der ersten 
Kollagenfasern im Protoplasma der Zellausläufer selbst zu ver- 
folgen. Am schärfsten treten sie in den von den Zellleibern 
entfernteren Teilen der Ausläufer hervor. In der Richtung nach 
dem Zellleibe der Zelle werden sie weniger deutlich, sie ver- 
schwimmen hier und verlieren sich allmählich im Zellprotoplasma. 
An einigen Zellausläufern sieht man die Kollagenfasern hart am 
Rande derselben auftreten, sodass hier das Protoplasma von feinen 
scharfen Konturlinien umsäumt erscheint. In der Folge isolieren 
sich solche Fibrillen vom Protoplasma, sie spalten sich von ihm 
gewissermaßen ab. In manchen Fällen zerfällt die ganze Masse 
eines Zellausläufers in einen Strang parallel verlaufender und 
wellenförmig gebogener Fibrillen. Nach der Abspaltung vom 
Protoplasma der Zellausläufer werden die einzelnen Fibrillen und 
die von mehreren Fibrillen gebildeten Stränge selbständig; durch 
den Druck der Nachbarorgane werden sie zusammengeschoben 
und zu dickeren und dünneren bandförmigen Bündeln vereinigt, 
in denen die Fibrillen mehr oder weniger parallel angeordnet sind. 


Die Zeichnung 4 stellt eine kleine Zellgruppe aus dem 
Mesenchym eines siebentägigen Embryo vor, in welcher der Prozess 
der Fibrillenbildung sehr intensiv verläuft. Im Präparat, welches 
nach Mallory gefärbt ist, sehen wir Zellen mit zahlreichen Aus- 
läufern. Die grossen ovalen, mit Kernkörperchen !) versehenen 
Kerne enthalten spärliche blasse Chromatinteilchen und sind von 
einer ziemlich dieken Schicht basophilen dichten Protoplasmas 
umhüllt, welches an den meisten Stellen feinretikulär oder leicht 


!) Auf der Zeichnung 4 sind die Nukleolen mit der für E-Az- oder 
D-Präparate charakteristischen violetten Farbe dargestellt, statt der bern- 
steingelben, in welcher sie sich in Wirklichkeit in Mall.-Präparaten präsen- 


tieren. Dies ist getan worden, um die Zahl der Farbentöne in den Tafeln 
nicht zu erhöhen. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 149 


körnig erscheint. Von dieser zentralen Protoplasmamasse, in der 
man, abgesehen von ihrer äussersten Oberfläche, keine fibrilläre 
Struktur bemerkt, entspringen die Ausläufer, an denen man den 
eben beschriebenen Prozess der Fibrillenbildung leicht verfolgen 
kann. Der grösste Teil derjenigen Fibrillen oder vielmehr der 
Fibrillenbänder ist hier noch nicht selbständig, sondern mit dem 
Zellprotoplasma innig verbunden, was der beste Beweis dafür ist, 
dass die Kollagenfasern selbst in besonderer Weise differenziertes 
Protoplasma vorstellen. Das nächste Moment in der Entwicklung 
der Fibrillen ist ihre Isolierung vom Zellprotoplasma. 

In der den Kern unmittelbar umgebenden Protoplasmamasse 
werden Fibrillen nicht produziert. Es ist derjenige Teil der Zelle, 
der die an der Peripherie zur Fibrillenbildung aufgebrauchten 
Protoplasmaschichte fortwährend ersetzt. Er bleibt für das ganze 
Leben der betrefienden Zelle unverändert erhalten, vom embryo- 
nalen Zustande an bis in den erwachsenen Organismus. 

Die erste Fibrillenbildung beobachtet man, wie gesagt, im 
Laufe des 6.—7. Tages der Bebrütung. Etwas früher, am 4. bis 
5. Tage, spaltet sich, wie wir gesehen haben, vom Mesenchym 
der Stamm der freien wandernden Zellen ab, der mit der Zeit 
eine selbständige Entwicklungsrichtung und Bedeutung erhält. 

Es fragt sich nun, in welcher Beziehung zueinander stehen 
die beiden beschriebenen Prozesse? Verlaufen sie im folgenden 
parallel und unabhängig voneinander, spaltet sich also das 
Mesenchym zu dieser Zeit in zwei verschiedene Zellstämme mit 
selbständiger Entwicklung oder behalten die Mesenchymzellen 
auch weiterhin für eine bestimmte Zeit die Fähigkeit, sich in den 
zwei angegebenen Richtungen zu differenzieren? Es wäre auch 
zu entscheiden, ob die Mesenchymzellen, die schon angefangen 
haben, kollagen auszuarbeiten, noch fähig sind, sich in freie, 
selbständige, wandernde Elemente zu verwandeln und, wenn 
dies der Fall ist, ob dieser Prozess der Wanderzellenbildung 
dann in derselben Weise verläuft, wie bei dem ersten Auftreten 
der Wanderzellen ? 

Ich habe bereits geschildert, wie sich die Mesenchymzellen 
in den frühen Entwicklungsstadien in Wanderzellen zweierlei Art 
verwandeln, in die histiotopen und in die Iymphozytoiden. Die 
Produktion der letzteren geht bald auf das Gefässendothel über 
und bleibt im folgenden nur auf dasselbe lokalisiert, während 


150 Wera Dantschakoff: 


die gewöhnlichen fixen Zellen des netzigen Mesenchyms histiotope 
Wanderzellen zu produzieren fortfahren. Die Zahl der letzteren 
wächst immerfort, einerseits infolge ihrer selbständigen inten- 
siven Wucherung, andererseits infolge fortdauernder Abrundung 
immer neuer und neuer gewöhnlicher Mesenchymzellen. Diese 
Abrundung beobachtet man an vielen Körperstellen, obwohl zu 
gleicher Zeit, ungefähr vom 6. Tage an, in verschiedenen Bezirken 
des Mesenchyms auch kollagene Fasern ausgearbeitet werden. 
Diese beiden Prozesse verlaufen also im Gewebe parallel und 
gleichzeitig. Es ist natürlich schwer zu sagen, ob eine Zelle, 
welche kollagen schon ausgearbeitet hat, auch wieder selbst frei 
und mobil werden kann. Wir haben gesehen, dass in den Zellen, 
die Kollagenfasern erzeugen, um den Kern herum doch stets eine 
mehr oder weniger dicke Schicht feingranulierten undifferenzierten 
Protoplasmas erhalten bleibt, die sich fortwährend regeneriert, 
und als Quelle der formativen Zelltätigkeit dient. Ob nun diese 
Mesenchymzellen, diese primitiven Fibroblasten, dank der An- 
wesenheit der erwähnten Protoplasmaschicht die Fähigkeit be- 
wahren, sich in Wanderzellen zu verwandeln, oder ob im Mesen- 
chym besondere indifferente Elemente verbleiben, die allein dessen 
fähig sind, diese Frage ist für mich offen geblieben. Jedenfalls 
habe ich die Tatsache feststellen können, dass der Prozess der 
Neuentstehung von Wanderzellen aus fixen Elementen beim 
Hühnchen in vielen Stellen des Bindegewebes bis in die spätesten 
Stadien der Bebrütung konstatiert werden kann; dass also im 
lockeren Bindegewebe solche Elemente persistieren, die die Fähig- 
keit zu dieser Verwandlung in vollem Maße besitzen. 


V. Weitere Differenzierungsprozesse der Wander- 
zellen; das Auftreten von kleinen Lymphozyten. 


Wenn wir das lockere Bindegewehe des Hühnchens in den 
späteren Stadien der Bebrütung genau untersuchen, so können 
wir weitere Entwicklungsprozesse an den Wanderzellen verfolgen. 

Die speziell für das lockere Bindegewebe so charakteristischen 
ubiquitären histiotopen Wanderzellen behalten ihren charakte- 
ristischen Polymorphismus. Bloss am Kern dieser Wanderzellen 
bemerkt man gewisse, für die späteren Stadien charakteristische, 
beständige Veränderungen, die sich aber nicht nur auf die Kerne 
der Wanderzellen allein beziehen und für diese letzteren also 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 151 


nicht spezifisch sind. Sie bestehen in der Vergrösserung der 
Chromatinmenge auf Kosten der Nukleolarsubstanz. Dieser Pro- 
zess scheint überhaupt für ältere, weiter differenzierte Zellen 
typisch zu sein. So verliert der grosse Lymphozyt den Nukleolus 
und sein Kern wird chromatinreicher, wenn er. sich zu einer 
Hämoglobinzelle differenziert; dasselbe beobachtet man bei der 
Granulozytenentwicklung; dasselbe ist nun auch für die Wander- 
zellen des lockeren Bindegewebes bei deren weiterer Entwicklung 
charakteristisch. Das Kernkörperchen zerfällt und zerschmilzt, 
während das Chromatin im Gegenteil immer grössere und dichtere 
Schollen bildet, die sich im Kerninnern ziemlich. gleichmässig 
verteilen. Der Kern selbst büsst dabei sehr oft seine mehr oder 
weniger regelmässige Form ein, bekommt tiefe Einkerbungen 
und Einsenkungen. 

Die Fig. 5 stellt eine Gruppe von Zellen aus dem lockeren 
Bindegewebe zwischen den verschiedenen Muskelschichten der 
hinteren Extremität eines 17 tägigen Embryo vor und illustriert 
das Gesagte. Die Zelle Fbl ist ein typischer Fibroblast mit 
vielen Ausläufern, in welchem ziemlich deutlich die Kollagen- 
fibrillen hervortreten. Der ovale Kern mit den feinen Chromatin- 
teilchen ist auch sehr charakteristisch. Die daneben liegende 
Zelle (x) stellt ein Übergangsstadium von einer ästigen, fixen 
Zelle zu einer freien Wanderzelle vor; einerseits besitzt sie 
mehrere Ausläufer, andererseits hat ein grosser Teil ihres Proto- 
plasmas seine gewöhnliche retikuläre Struktur verloren und 
erscheint von zahlreichen Vakuolen durchsetzt, die ganz ebenso 
aussehen, wie die Vakuolen in den daneben liegenden echten 
freien Wanderzellen. Ausserdem besitzt die Zelle einige kleine 
amöboide Fortsätze, die in anderen Fällen auch länger sein 
können und durchaus den Eindruck von Ausläufern machen, die 
sich von den anderen isolieren und kontrahieren. Der längliche 
Kern dieser Zelle ist auch noch vollständig einem Fibroblasten- 
kern ähnlich. Endlich befindet sich neben der beschriebenen 
Zelle noch eine Gruppe von anderen, die uns sehr deutlich den 
‘weiteren Verwandlungsprozess der oben beschriebenen Zellen zu 
echten freien Wanderzellen demonstrieren. 

Ich habe schon früher erwähnt, dass die histologische 
Struktur der histiotopen Wanderzellen des Mesenchyms nicht 
immer gleich ist. In den einen Fällen ist ihr Protoplasma 


152 Wera Dantschakoff: 


dichter, in den anderen lockerer, sie können eine sehr ver- 
schiedene Anzahl von Vakuolen enthalten, auch ihre Pseudopodien 
können im Aussehen und Anzahl variieren, manchmal sind sie 
spitz und erinnern an Igelstacheln, manchmal sind sie abgerundet 
oder sogar tropfenförmig, sodass das Protoplasma an der Zell- 
peripherie wie zerspritzt erscheint; endlich können die Pseudo- 
podien auch ganz fehlen, wobei die Zellperipherie nur geringe 
Unebenheiten aufweist. 

In dem eben beschriebenen Präparat (Figur 5) waren die 
Wanderzellen zwischen den Muskeln der hinteren Extremität in 
grosser Anzahl vorhanden und sämtlich stark vakuolisiert. In 
solchen vakuolisierten Wanderzellen kann man mitunter im Zell- 
leib oft deutlich zwei Zonen unterscheiden, die voneinander durch 
eine ziemlich scharfe Linie abgegrenzt sind. Die innere, den 
Kern umgebende Plasmazone ist meistens dichter, und wenn der 
ganze Zellleib von Vakuolen durchsetzt ist, so sind die letzteren 
hier feiner und von dickeren, aus dichter Zellsubstanz bestehenden 
Scheidewänden begrenzt. Die äussere Zone enthält grössere 
Vakuolen, erscheint infolgedessen wabig und entsendet an ihrer 
äusseren Oberfläche meistens ziemlich lange fadenförmige Aus- 
wüchse, die an ihren Enden oft auch kleine Vakuolen tragen. 

Wie aus dieser Schilderung hervorgeht, gelingt es an vielen 
‚Stellen des lockeren Bindegewebes den Übergang der fixen Zellen 
in Wanderzellen bis in die spätesten Stadien der Bebrütung zu 
verfolgen. 

Zu gleicher Zeit bemerkt man tiefgreifende Veränderungen 
an der anderen Art der Wanderzellen, — an den grossen Lym- 
phozyten. In den vorgerückten Entwicklungsstadien, nach zehn bis 
zwölf Tagen, sind sie im Bindegewebe viel seltener geworden. 
Das hängt nun davon ab, dass sie sich erstens auf die oben 
beschriebene Weise in Myelozyten und weiter in azidophile Leuko- 
zyten verwandelt haben, zweitens aber sich allmählich zu einer 
neueren Zellform differenzieren, die im Embryokörper fast gleich- 
zeitig und überall dort auftaucht, wo sich in späteren Stadien 
das Iymphoide Gewebe ansammelt. Solche Stellen sind beim’ 
Hühnchen die Thymus, das Knochenmark und das ubiquitäre 
lockere Bindegewebe selbst. 

Die ausführliche Beschreibung der Differenzierungsprozesse 
der verschiedenen Zellformen in den beiden genannten blut- 


A 


W) 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 15 


bildenden Organen behalte ich mir für eine andere Arbeit vor; 
hier will ich bloss erwähnen, dass an den angegebenen Stellen 
beim Hühnchen eine neue typische Zellform produziert wird, — 
die kleinen Lymphozyten. Den ersten Platz in dieser Beziehung 
nimmt die Thymus ein, dann folgt das lockere Bindegewebe, das 
Knochenmark und vielleicht auch die Milz, — überall entstehen 
kleine Lymphozyten aus grossen. 

Bei diesem mit fortdauernder Wucherung einhergehenden 
Differenzierungsprozess erleidet sowohl der Zellleib, als auch der 
Kern bestimmte Veränderungen. Das basophile Protoplasma, 
welches im grossen Lymphozyt um den Kern herum doch einen 
ziemlich breiten Saum bildete, nimmt stark an Masse ab und 
wird auf einen ganz schmalen, aber ungleichmässigen Saum re- 
duziert, der in vielen Zellen deutliche Pseudopodien entsendet. 
Besonders tiefgreifende Veränderungen erleidet der Kern, — er 
bleibt rund, oder erhält leichte Einkerbungen und verkleinert 
sich immer sehr bedeutend, wovon auch naturgemäss die Ver- 
kleinerung der ganzen Zelle abhängt. In sehr typischer Weise 
erscheint dabei das Chromatin angeordnet: es bildet grosse, im 
optischen Schnitt dreieckige Schollen, die mit der einen Seite 
meistens der Kernmembran anliegen, während ein Kernkörperchen 
fehlt. Die Chromatinstückchen sind miteinander gewöhnlich 
durch dünne Fortsätze verbunden. Dieser Chromatinreichtum 
des Kerns und die geschilderte Verteilung des Chromatins sind 
für die kleinen Lymphozyten typisch. 

Im Stadium von elf bis zwölf Tagen erscheinen die kleinen 
Lymphozyten beim Hühnerembryo im lockeren Bindegewebe zuerst 
in einzelnen Exemplaren. Im lockeren Bindegewebe des jungen 
und erwachsenen Huhnes sind sie aber stets in sehr grossen 
Mengen als konstante Bestandteile vorhanden. 

Die differenzierende Entwicklung der grossen Lymphozyten 
zu den kleinen wird durch Fig. 12 illustriert. Hier ist ein 
Gewebsabschnitt aus der Thymus dargestellt, wobei auch die 
erste Entstehung von Mastzellen zu sehen ist. Neben einem 
typischen grossen Lymphozyten, dessen Kern zwei miteinander 
verbundene Nukleolen enthält (G Lmz), liegen Zellen, welche die 
verschiedenen Übergangsformen vom grossen Lymphozyt zum 
kleinen vorstellen. Die Zelle Lmz‘ besitzt noch ziemlich viel 
Protoplasma, der Kern enthält noch Nukleolen, seine Chromatin- 


154 Wera Dantschakoff: 


teilchen sind aber schon grösser geworden. .Die Zelle Lmz’’ ist 
selbst noch ziemlich umfangreich, die Protoplasmamasse hat aber 
schon bedeutend abgenommen, während man im Kern schon eine 
ganz typische Verteilung der Chromatinschollen bemerkt; dem 
Typus des grossen Lymphozyten nähert sich diese Zelle in der 
Beziehung, dass der Kern noch ziemlich umfangreich ist und 
noch ein Kernkörperchen enthält. 

Auf ganz analoge Weise, wie in der Thymus, geschieht die 
Differenzierung der kleinen Lymphozyten aus den grossen auch 
im diffusen lockeren Bindegewebe. Hier fängt ihre Bildung 
ziemlich spät an, nach zehn bis zwölf Tagen; dem histologischen 
Charakter nach entsprechen sie aber vollkommen den kleinen 
Lymphozyten in der Thymus. Ihre Entwicklung ist hier bloss 
schwieriger zu verfolgen, als in der Thymus, wo man bei der 
sehr grossen Zahl der Lymphozyten auf einem begrenzten Raum 
alle möglichen Übergangsformen viel leichter finden kann. 

Die kleinen Lymphozyten im lockeren Bindegewebe sind 
auch sehr kleine Zellen von 3—4—5 u im Durchmesser und 
besitzen ebenfalls einen sehr chromatinreichen Kern und einen 
sehr schmalen Protoplasmasaum. Sie sind am 11. bis 13. Tage 
der Bebrütung noch verhältnismässig selten; zum Schluss der 
Bebrütungsperiode erlangen sie aber eine sehr weite Verbreitung. 
Man findet sie zu dieser Zeit in grossen Mengen überall im 
Unterhautzellgewebe in der Umgebung der grossen Gefässe, in 
der Umgebung der Haarbälge, in der Haut und in den Schichten 
des lockeren Bindegewebes zwischen den Muskeln. Sie sind 
sowohl einzeln, als auch in grösseren Gruppen verteilt. Hin und 
wieder begegnet man auch Stellen, wo eine unzweifelhafte 
Emigration der kleinen Lymphozyten aus den Gefässen statt- 
findet (Fig. 16, Emg.). 

Es muss speziell an dieser Stelle hervorgehoben werden, 
dass zum Schluss der Brutperiode im lockeren Unterhaut- 
zellgewebe ziemlich grosse herdartige Ansammlungen von kleinen 
Lymphozyten gefunden werden, welche sich im weiteren Leben 
des jungen Küchleins und des erwachsenen Huhnes noch bedeutend 
stärker entwickeln. Diese vornehmlich aus kleinen Lymphozyten 
bestehenden Herde Iymphozytoiden Gewebes sind dann mitunter 
schon mit blossem Auge sichtbar als kleine, weissliche Pünktchen. 
Sie haben sicherlich eine grosse physiologische Bedeutung als 


(ss | 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 15 


Bildungsstätten von granulierten Zellen. Darüber werde ich in 
einer anderen speziellen Arbeit ausführlich berichten. 

Wie gesagt, sind die im lockeren Bindegewebe einzeln 
zerstreuten und in Herden angesammelten und die in der Thymus 
in der Rindensubstanz angehäuften kleinen Lymphozyten sämtlich 
in histologischer Beziehung ganz identisch. Es fragt sich nun, 
in welcher genetischen Beziehung zueinander stehen die kleinen 
Lymphozyten des Blutes und des Bindegewebes einer- und die 
Lymphozyten der Thymus andererseits? 

Ausführliche Untersuchungen über die Histogenese der 
Thymus behalte ich mir für die Zukunft vor. An dieser Stelle 
möchte ich bloss einer interessanten Erscheinung Erwähnung 
tun, die die angeregte Frage zum Teil beleuchten könnte. 

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Blutgefässe der 
Thymus richten, bemerken wir sowohl in den früheren, als in 
den späteren, vor dem Ende der Brutperiode stehenden Stadien, 
dass der Inhalt vieler von ihnen sich vom gewöhnlichen 
zirkulierenden Blut bedeutend unterscheidet. Ausser einer 
gewissen Zahl von Erythrozyten sehen wir in diesen Gefässen 
stets eine sehr bedeutende Anzahl von kleinen basophilen Zellen. 
Ihr Protoplasma bildet um den Kern herum einen ganz schmalen 
Saum und ist an der Peripherie oft mit feinen Pseudopodien 
versehen. Ihr Kern ist meistens rund, entbehrt eines Kern- 
körperchens und enthält reichlich Chromatin in Form von 
grossen, dichten, scharf umgrenzten Schollen, die vornehmlich 
an der Kernmembran liegen. Es sind also typische kleine 
Lymphozyten. 

An den Thymusgefässen, die eine bedeutende Anzahl von 
kleinen Lymphozyten enthalten, konstatiert man oft auch 
Permigration der letzteren durch die Gefässwand. Es ist wohl 
sicher, dass hier Immigration in die Gefässe vorliegt. Die aus 
dem Thymusgewebe in das Gefässlumen hineingelangenden kleinen 
Lymphozyten werden vom Blutstrom weggeschwemmt und kommen 
in die allgemeine Zirkulation. Sie können dabei ihrerseits wieder 
in kleineren Blutgefässen stocken bleiben, z. B. im Unterhaut- 
zellgewebe und in das Gewebe emigrieren. Ich habe ja oben 
erwähnt, dass man im lockeren Bindegewebe nicht selten 
Permigration von kleinen Lymphozyten an den Gefässwänden 
konstatieren kann. 


156 Wera Dantschakoff: 


Es steht also der Annahme nichts im Wege, dass die 
kleinen Lymphozyten histologisch entsprechenden Wanderzellen 
des lockeren Bindegewebes wenigstens zum Teil aus der Thymus 
stammen, die zu dieser Zeit das einzige richtig funktionierende 
Iymphoide Organ im Körper darstellt. 

Die Frage über die morphologische Bedeutung der kleinen 
Lymphozyten im lockeren Bindegewebe des Hühnchens bietet ein 
grosses allgemeines Interesse dar. Sind sie einer weiteren 
progressiven Entwicklung fähige Elemente, sind es junge, in- 
differente Zellen, oder am Ende ihrer Entwicklung angelangte 
reife Formen? In welcher Beziehung stehen sie in ihrem 
weiteren Leben zu den grossen Lymphozyten ? 

Die heutzutage in der Literatur existierenden Vorstellungen 
über die morphologische Bedeutung der kleinen Lymphozyten sind 
ziemlich unbestimmt. 

Die einen Autoren (Pappenheim [9] u. a.) sehen sie als 
reife, einer weiteren progressiven Entwicklung nur in sehr be- 
schränktem Maße fähige Elemente an; so wie die polynukleären 
granulierten Leukozyten aus den entsprechenden jungen Myelo- 
zyten hervorgehen und selbst nach einem mehr oder weniger | 
langen Leben und nach vollbrachter physiologischer Funktion 
ohne sich weiter zu vermehren schliesslich zugrunde gehen, so 
sollen auch die kleinen Lymphozyten in den Keimzentren des 
Iymphoiden Gewebes zwar aus grossen Lymphozyten durch 
differenzierende Wucherung hervorgehen, sich aber weiter nicht 
wieder in grosse Lymphozyten zurückverwandeln können. Sie 
zirkulieren im Blute als eine reife Zellform von unbekannter 
physiologischer Bedeutung, als ein selbständiger Ast des Stamm- 
baumes der Blutzellen. Früher haben Pappenheim (9) und 
andere Vertreter ähnlicher Anschauungen sogar die amöboide 
Beweglichkeit der kleinen Lymphozyten bestritten. Jetzt ist diese 
letztere Fähigkeit allerdings allgemein anerkannt. Was die 
weitere Entwicklung der kleinen Lymphozyten anbelangt, so wird 
sie von Pappenheim neuerdings (Atlas) auch zugegeben, aber nur 
in sehr beschränkter Weise, — die kleinen Lymphozyten sollen 
sich nach ihm in kleine leukozytoide Lymphozyten, zum Teil auch 
in kleine Granulozyten, aber keinesfalls wieder in die ursprüng- 
liche embryonale Form, in die grossen Lymphozyten verwandeln 
können. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 157 


Dem gegenüber weisen andere Autoren (Dominiei [3]), 
Maximow [S]), Weidenreich [19]), neuerdings Ferrata [4]) 
darauf hin, dass es ganz unmöglich sei, die grosse Gruppe „der 
Uninukleären“ (Ferrata |#]), „der Wanderzellen oder der Lympho- 
zyten im weitesten Sinne des Wortes“ (Maximow [S]) in einzelne, 
scharf getrennte Gruppen oder Entwicklungsäste zu trennen. 
Speziell ist der kleine Lymphozyt im erwachsenen Organismus 
nicht eine reife Zellform, sondern, im Gegenteil, es ist eine ganz 
differente junge Zelle mit sehr mannigfaltiger, prospektiver Ent- 
wicklungspotenz. Gewiss entstehen die kleinen Lymphozyten in den 
Keimzentren durch Wucherung der grossen, aber sie können sich 
dann später, vielleicht nach einer längeren oder kürzeren Ruhe- 
periode wieder durch Hypertrophie in typische grosse Lymphozyten 
zurückverwandeln und zum Ausgangspunkte der Hämatopoese 
werden. 

Es ist selbstverständlich, dass die entscheidende Lösung dieser 
wichtigen Frage nur durch embryologische histozytogenetische 
Arbeiten herbeigeführt werden kann. 

Es stellt sich nun für das Hühnchen heraus, dass die kleinen 
Lymphozyten des lockeren Bindegewebes einer weiteren progressiven 
Entwicklung tatsächlich fähig sind und zwar einer Entwicklung 
in mehreren verschiedenen Richtungen. 

Erstens kann man Schritt für Schritt ihre Verwandlung in 
die gewöhnlichen oben beschriebenen polymorphen blassen, histio- 
topen Wanderzellen des Bindegewebes verfolgen. Dies tritt schon 
auf der Fig. 11 deutlich hervor, die mit der speziellen Absicht 
hergestellt wurde, die intensive phagozytische Tätigkeit dieser 
Wanderzellen in verhältnismässig späten Stadien (15 Tage) zu 
zeigen. Wir erblicken (K Lmz) hier kleine basophile Zellen mit 
für kleine Lymphozyten typischem Kern und etwas amöboidem 
Protoplasma, in welchem die rosa gefärbte Sphäre deutlich hervor- 
tritt. Im folgenden schreitet die Hypertrophie des Protoplasmas 
vorwärts, das letztere wird locker, bekommt Vakuolen und bildet 
an seiner Oberfläche zahllose feinste Pseudopodien. Der Kern 
wird unterdessen heller, die Chromatinteilchen feiner (Ht Wz). 
Schliesslich bekommt man eine typische Wanderzelle des Binde- 
gewebes. 

Für den kleinen Lymphozyt gibt es aber auch eine andere 
Differenzierungsmöglichkeit. Auch sie können ebenso wie die 


158 Wera Dantschakoff: 
grossen Lymphozyten zum Ausgangspunkte der Granulopoese 
werden. 

In verhältnismässig frühen Entwicklungsstadien, am 12. bis 
13. Tage, bemerkt man in einem Teil der im Bindegewebe zer- 
streuten kleinen Lymphozyten das Auftreten von Körnchen, die 
aber anders reagieren, als die oben für die aus den grossen 
Lymphozyten entstehenden azidophilen Myelozyten beschriebenen. 
Es sind basophile und metachromatisch sich färbende Granula. 
Aus den kleinen Lymphozyten entstehen jetzt also Mastzellen. 
Über diese Mastzellen werde ich weiter unten ausführlicher 
sprechen. 

In späteren Stadien, in den letzten Tagen vor dem Aus- 
schlüpfen, noch mehr in den ersten Tagen nach dem letzteren, 
fangen viele kleine Lymphozyten im Bindegewebe an, eine neue, 
wieder verschiedene Granulation zu produzieren, es ist eine 
besondere Art von azidophilen Körnchen. 

Solche Zellen mit beginnender Ausarbeitung von azidophilen 
Granula werden allmählich im Bindegewebe zahlreich. Diese 
Zellen behalten den für die kleinen Lymphozyten typischen 
chromatinreichen Kern und arbeiten in ihrem Protoplasma eine 
azidophile, sehr feinkörnige runde Granulation aus, die regelmässig 
im ganzen Zellleib verbreitet ist (Fig. 16, y). Diese Granula 
reagieren ebenso wie die echte, azidophile, stäbchenförmige 
Granulation der reifen Leukozyten. 

Im lockeren Bindegewebe des erwachsenen Tieres bilden 
solche Lymphozyten mit kleinen runden azidophilen Körnchen 
grosse Ansammlungen in Form von dichten Infiltraten. 

Bei jungen Küchlein kann man endlich noch eine Entwicklungs- 
richtung der kleinen Lymphozyten im Bindegewebe konstatieren — 
sie verwandeln sich in zahlreiche typische grosse Plasmazellen. 
Darüber werde ich jedoch in einer anderen Arbeit ausführlicher 
berichten. 

Wir sehen aus der angeführten Schilderung, dass die neue 
Zellform, die im lockeren Bindegewebe des Hühnerembryo in 
verhältnismässig späten Stadien auftritt — die kleinen Lympho- 
zyten — eine ausgesprochene Fähigkeit zur weiteren qualitativ 
differenzierenden und progressiven Entwicklung besitzen. Diese 
letztere verläuft in sehr verschiedenen Richtungen und ergibt 
als Resultat eine Reihe von’ neuen, bestimmten und mehr oder 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 159 


weniger scharf getrennten Zellstämmen; wir können die gewöhn- 
lichen „histiotopen“ Wanderzellen des Bindegewebes, beim 
erwachsenen Tier von Maximow (8) als „ruhende Wander- 
zellen“ bezeichneten, die Mastzellen, die Granulozyten mit den 
runden kleinen Körnern und die echten Plasmazellen unterscheiden. 
Entsprechend dieser ausserordentlich mannigfaltigen Differenzierung 
müssen wir den kleinen Lymphozyt für eine junge indifferente 
Zellform erklären, die mit einer sehr reichhaltigen progressiven 
Entwicklungspotenz, einer sehr weiten Differenzierungsamplitüde 
ausgestattet ist. 

Wenn wir jetzt die kleinen Lymphozyten mit den grossen 
Lymphozyten vergleichen, die, wie wir gesehen haben, zuerst 
auftreten, und dann allmählich im Bindegewebe durch die kleinen 
ersetzt werden, so können wir schliessen, dass diese beiden Zell- 
formen, ihrer Bedeutung und ihrer zytogenetischen Rolle nach, 
sich eigentlich voneinander fast gar nicht unterscheiden, trotz 
ihrer grossen histologischen Verschiedenheit. Es sind beides 
junge indifferente Zellarten, die einer sehr mannigfaltigen Ent- 
wicklung fähig sind. Die Differenzierungsrichtung und deren 
Produkte sind allerdings gewöhnlich für den kleinen und den 
grossen Lymphozyt verschieden. Darüber brauchen wir uns aber 
natürlich nicht zu wundern, da die beiden zwei verschiedene 
Entwicklungszustände einer einzigen Zellart sind. 

Der grosse Lymphozyt besitzt, wie wir gesehen haben, die 
Fähigkeit, sich einerseits zu hämoglobinhaltigen Zellen, anderer- 
seits zu Leukozyten verschiedener Art zu differenzieren, abgesehen 
natürlich von den anderen möglichen Entwicklungsrichtungen 
(Mikroblasten und Mikrozyten). Unter den Leukozytenarten, die 
aus dem grossen Lymphozyt entstehen, finden wir erstens die 
azidophilen Granulozyten — Myelozyten und Leukozyten — die in 
den frühen Stadien im lockeren Bindegewebe herdweise verbreitet 
sind, zweitens die kleinen Lymphozyten, die erst später erscheinen. 

Die kleinen Lymphozyten stellen also in der Tat ein Differen- 
zierungsprodukt der grossen vor, ihre weiteren Generationen, in 
welchen, entsprechend den veränderten äusseren Bedingungen, 
auch andere histologische und zytoblastische Eigenschaften hervor- 
treten. 

Wenn wir den weiteren Lebenslauf der kleinen Lymphozyten 
verfolgen, so sehen wir, dass sie, so lange sie eben im Zustande 


160 Wera Dantschakoff: 


der kleinen Lymphozyten verharren, keine hämoglobinhaltigen 
Elemente produzieren. Dafür behalten sie aber und entwickeln 
sogar in besonderem hohen Grade die Fähigkeit zur Ausarbeitung 
von Granulationen im Protoplasma. Aus ihnen gehen die Mast- 
zellen hervor, ein anderer Teil von ihnen arbeitet die oben 
beschriebenen runden kleinen Körnchen aus und gibt den zahl- 
losen gekörnten Zellen Ursprung, die das lockere Bindegewebe 
beim jungen und erwachsenen Huhn in grossen Massen infiltrieren. 

Unter den Entwicklungsrichtungen, die die kleinen Lympho- 
zyten einschlagen können, ist ferner noch eine sehr wichtige zu 
verzeichnen — ich meine — ihre oben geschilderte Verwandlung 
in die polymorphen histiotopen Wanderzellen. 

Bei der Beschreibung der Entwicklung der letzteren habe 
ich gezeigt, dass sie vornehmlich aus den gewöhnlichen fixen, 
nietzartig verbundenen Mesenchymzellen hervorgehen. Es werden 
allerdings hin und wieder auch Übergangsformen zwischen den 
grossen Lymphozyten und den polymorphen Wanderzellen beob- 
achtet, sie sind aber doch selten, und können keine grosse 
Bedeutung haben; sie sind nur in der Beziehung wichtig, dass 
sie eben die Möglichkeit dieser Entwicklungsrichtung auch für 
die grossen Lymphozyten beweisen. 

Das Mesenchym erzeugt also die im lockeren Bindegewebe 
für immer verbleibenden histiotopen ruhenden Wander- 
zellen zuerst aus seinen eigenen gewöhnlichen fixen Elementen. 
In den späteren Entwicklungsstadien tritt nun dieser Entwicklungs- 
modus der Wanderzellen immer schwächer und schwächer hervor; 
die Zellen des Mesenchyms verwandeln sich eben in spezielle 
Elemente, in Fibroblasten. Die grossen Lymphozyten sind zu 
dieser Zeit sehr selten geworden. Jetzt geht die Neubildung der 
Wanderzellen im wachsenden Organismus auf Kosten der sich 
immer mehr und mehr vermelhrenden kieinen Lymphozyten vor 
sich, die wir also als eine junge und indifferente Zellform an- 
sehen müssen. 

Auf die wichtige Frage, ob sich die kleinen Lymphozyten 
durch Hypertrophie wieder in grosse Lymphozyten verwandeln 
können, geben die embryologischen Entwicklungsvorgänge im 
Bindegewebe, welche der vorliegenden Arbeit zugrunde liegen, 
leider keine direkte Antwort. Dass dies aber auch bei den 
Vögeln ebenso wie bei den Säugetieren (Maximow |8]) möglich 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 161 


wäre, und unter bestimmten Umständen auch tatsächlich vor- 
kommt, das scheinen die Untersuchungen von Solucha (12) zu 
beweisen. Er fand, dass bei aseptischer Entzündung beim Huhn 
und bei der Taube die Polyblasten, die den histiotopen Wander- 
zellen entsprechen, in gleicher Weise sowohl aus den kleinen, 
als auch aus den grossen Lymphozyten entstehen. Die kleinen 
Lymphozyten vergrössern sich dabei bedeutend, und manche von 
ihnen erlangen dabei alle Merkmale der grossen Lymphozyten. 

Wir sehen aus der angeführten Schilderung, dass alle die 
histologisch verschiedenen ungranulierten Wanderzellenarten im 
Organismus des Hühnerembryo gleichwertig, dass sie alle aufs 
innigste miteinander verbunden sind und dass sie alle ineinander 
übergehen können. Die histologischen Verschiedenheiten hängen 
in jedem gegebenen Falle nicht von einem besonderen, für die 
betreffende Zellart spezifischen präformierten Idioplasma ab, 
sondern sie werden epigenetisch in einem einzigen, mit hoher 
und mannigfaltiger Entwicklungspotenz ausgestatteten Zellstamm 
durch verschiedene äussere, mit Ursachen wie Ort oder Zeit der 
Entstehung usw., hervorgerufen. 

Schon in den frühesten Perioden, gleich bei ihrem ersten 
Auftreten, präsentieren sich die wandernden mesenchymartigen 
Elemente in zwei verschiedenen Hauptformen, — als die grossen 
Lymphozyten und als die eigentlichen Wanderzellen des Binde- 
gewebes, die polymorphen Elemente mit blassem amöboiden Pro- 
toplasma, die histiotopen Wanderzellen. Diese beiden Zellarten 
sind aber bloss zwei verschiedene funktionelle Abarten einer ein- 
zigen Zellart, — der indifferenten mesenchymatösen Wanderzelle. 

Mit der Zeit wird die Fähigkeit gewöhnlicher fixer Mesen- 
chymzellen, sich in Wanderzellen zu verwandeln, immer mehr und 
mehr eingeschränkt, was Hand in Hand geht mit der sich immer 
mehr und mehr ausbreitenden Ausarbeitung von faseriger Zwischen- 
substanz. Die grösste Mehrzahl der Mesenchymzellen wird zu 
spezifisch entwickelten Fibroblasten. Auch zu dieser Zeit ent- 
stehen natürlich neue Mengen von Wanderzellen, — die Fähig- 
keit sie zu bilden geht aber jetzt speziell auf die kleinen Lym- 
phozyten über, die selbst die Nachkommen der grossen 
Lymphozyten sind. 

Dass die grossen Lymphozyten auch unmittelbar in die 


bindegewebigen Wanderzellen übergehen können, wird durch die, 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 11 


162 Wera Dantschakoff: 


wenn auch ziemlich seltenen, oben erwähnten Übergangsformen 
bewiesen. Dass es nicht überall und nicht sehr oft geschieht, 
hängt einfach davon ab, dass in den frühesten Stadien das 
indifferente Mesenchym selbst sehr intensiv solche Zellen ab- 
spaltet. Später geschieht dies einfach deswegen nicht, weil die 
grossen Lymphozyten in dem Bindegewebe selten werden. Aus 
den fixen Mesenchymzellen entstehen die Wanderzellen in späteren 
Stadien aber deswegen nicht mehr, weil die ersteren sich in die 
Fibroblasten verwandelt haben. Überall im lockeren Bindegewebe 
gibt es aber massenhaft kleine Lymphozyten, —- aus diesen Nach- 
kommen der grossen Lymphozyten gehen jetzt auch die Wander- 
zellen hervor. 


VI. Entstehung der Mastzellen. 


Unter dem Begriff „Mastzellen“ versteht man eine besondere 
Zellart, die sich durch die Anwesenheit einer spezifischen baso- 
philen, sich metachromatisch färbenden Körnung im Protoplasma 
auszeichnet. Durch eine lange Reihe von Untersuchungen ist 
das Vorhandensein dieser Zellen sowohl im Bindegewebe, als auch 
im Blut bei allen Wirbeltieren nachgewiesen worden; im ersten 
heissen sie histiogene Mastzellen, im zweiten werden sie als 
Mastleukozyten bezeichnet. Über die genetischen Beziehungen 
' dieser beiden Arten von Mastzellen zueinander sind die Autoren 
aber noch keineswegs einig; das erklärt sich übrigens haupt- 
söchlich nur dadurch, dass spezielle darauf gerichtete embryo- 
logische Untersuchungen noch fast vollständig ausstehen. 

Die einen halten die beiden Zellformen auch im erwachsenen 
Organismus für eine einzige Zellart. Die anderen (Maximow, 
Weidenreich) glauben, dass im erwachsenen Organismus die 
histiogenen Mastzellen und die Mastleukozyten zwei selbständige 
Zellarten bilden. Eine Frage für sich ist es wieder, ob dasselbe 
auch für das embryonale Leben zutrifft. 

Wollen wir jetzt sehen, wie und wo die ersten Mastzellen 
beim Hühnerembryo auftreten. 

Wenn wir jede basophile und metachromatische Granulation 
im Zellprotoplasma als charakteristisch und spezifisch für echte 
Mastzellen betrachten, so müssten wir eigentlich schliessen, dass 
die Mastzellen beim Hühnerembryo schon sehr früh auftauchen. 
Ich habe bereits hervorgehoben, dass ein Teil der Körnchen in 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 163 


den azidophilen Myelozyten, die jüngsten, in den frühesten Ent- 
wicklungsstadien gerade in der entsprechenden Weise reagieren 
— sie sind basophil und färben sich metachromatisch. 

Ich glaube aber, dass man den Begriff „Mastzellen“ im Fall 
des Hühnerembryo etwas einschränken und ihn nur für eine ge- 
wisse Zellgruppe gebrauchen muss, die sich durch bestimmte 
charakteristische morphologische Eigenschaften, den allgemeinen 
Habitus sowohl des Protoplasmas als auch des Kernes auszeichnet. 
Solche echte Mastzellen erscheinen verhältnismässig spät, nach 
dem neunten Tage der Bebrütung. Sehr deutlich tritt ihre Ent- 
wicklung am zwölften bis dreizehnten Tage hervor. 

Diese Zellen, in denen spezifische Körnung zuerst auftaucht, 
sind meistens ziemlich klein, besonders in der ersten Zeit ihrer 
Entwicklung. Sie besitzen immer spärliches Protoplasma und einen 
kleinen runden oder etwas ovalen Kern, der eines Körperchens 
entbehrt, dafür aber viel Chromatin in Form von grossen eckigen 
Schollen besitzt, welche entweder gleichmässig im Kerninnern 
oder vornehmlich an der Kernmembhran gelagert sind. Das ganze 
Aussehen dieser Zellen entspricht durchaus den oben beschriebenen 
kleinen Lymphozyten. 

Wenn wir ausserdem bedenken, dass die ersten Mastzellen 
ziemlich spät auftreten, zur Zeit, wo die grossen Lymphozyten 
im lockeren Bindegewebe auf die oben beschriebene Weise bereits 
durch die kleinen ersetzt werden, dass sie mit Vorliebe gerade 
an den Stellen entstehen, wo wir grössere Mengen von kleinen 
Lymphozyten angesammelt finden, so wird es einleuchten, dass 
zwischen den beiden Zellarten die engsten Beziehungen bestehen 
müssen. Die ersten Mastzellen entwickeln sich, wie ich es schon 
oben angedeutet habe, aus den kleinen Lymphozyten. 

Es ist bekannt, dass bei den meisten erwachsenen Säuge- 
tieren die Mastgranula im Wasser sehr leicht löslich sind. Dasselbe 
gilt nach meinen Beobachtungen auch für die frühesten Stadien 
der Mastzellenbildung beim Hühnerembryo. In der letzten Zeit 
der Bebrütung werden sie jedoch in dieser Beziehung resistenter, 
sodass die wässerige Z-F-Fixierung sie schon ziemlich gut erhielt. 
Meine Präparate, die für Mastzellenstudien bestimmt waren, habe 
ich jedenfalls stets mit Alk abs. fixiert und mit alkoholischen 
Lösungen gefärbt. Trotz dieser Bedingungen, die die Möglichkeit 
einer artifiziellen Lösung der Granula vollständig ausschlossen, 

108: 


1654 Wera Dantschakoff: 


habe ich bis zum elften Tage höchstens nur sehr seltene, ganz 
vereinzelte junge Mastzellen im Körper des Hühnerembryo finden 
können Erst am zwölften bis dreizehnten Tage werden sie zahl- 
reicher und in diesem Stadium lässt sich ihre Histiogenese, wie 
gesagt, sehr bequem und deutlich verfolgen. 

Beim Hühnchen erscheinen die ersten Mastzellen fast zugleich 
an mehreren Stellen. Vor allem ist hier die Thymus zu nennen, 
besonders ihre Rindenschicht, ferner das Knochenmark. Hier ist 
die Mastzellenentwicklung sehr leicht zu beobachten. Ausserdem 
kommen einzelne Mastzellen überall im lockeren Bindegewebe 
vor. Am Ende der Brutperiode entwickeln sie sich in besonders 
grossen Mengen in der Darmmucosa, wo sie beim erwachsenen 
Tier in ungeheueren Massen vorkommen. 

Die Figuren 12, 13, 14 und 15 illustrieren die ersten Mast- 
zellen in der Thymus, im Knochenmark, im Blut und im Unter- 
hautzellgewebe. Wir sehen, dass, je nach dem Fundort, diese 
Zellen gewisse Besonderheiten bieten, die sich vornehmlich auf 
die äussere Form und die Grösse der Zelle, auch auf die Zahl 
der Körnchen beziehen. Der Kern ist hingegen immer gleich. 
Ob es sich um eine ziemlich umfangreiche, oft mit Auswüchsen 
versehene Zelle im lockeren Bindegewebe, oder um eine kleine 
Mastzelle der Thymus, oder um eine runde mit Körnchen voll- 
gepfropfte Zelle des Blutes handelt, — stets ist der Kern kugel- 
förmig, ohne Kernkörperchen und enthält viel dunkel gefärbtes 
CUhromatin. Dieser chromatinreiche runde Kern ist für die Mast- 
zellen, besonders die reiferen, so typisch, dass man diese Elemente 
selbst an nicht spezifisch gefärbten Präparaten an den Kernen 
erkennen kann. 

Die Fig. 12 zeigt uns die Mastzellenbildung in der Thymus. 
Neben einer Gruppe von kleinen Lymphozyten sehen wir zwei 
kleine Mastzellen, von denen die eine weniger, die andere mehr 
Granula enthält. Diese Mastzellen unterscheiden sich eigentlich 
von den daneben liegenden kleinen Lymphozyten nur durch die 
Anwesenheit der spezifischen, metachromatischen Körnung in ihrem 
Prötoplasma. In der Thymus, besonders in deren Rindensubstanz, 
zeichnen sich die Mastzellen stets durch ihre kleinen Dimensionen 
aus; sie behalten hier fast immer ihre runde Form, wobei die 
Zahl der Granula in der ersten Zeit noch nicht gross genug ist, 
um den Kern oder doch das Protoplasma selbst zu verdecken. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 165 


Zwischen den einzelnen Körnchen kann man das helle, aber 
immerhin deutlich basophile Protoplasma gut untersuchen. Die 
Granula selbst erhalten nach Cresyl-Färbung einen grellen rot- 
violetten Farbenton, nach Thionin werden sie dunkel, fast schwarz- 
purpurn gefärbt. Um die Mastzellen im Alkohol-Präparat besonders 
schön hervortreten zu lassen, ist es zweckmässig, mit Cresyl- 
echtviolett gefärbte Schnitte nachträglich für kurze Zeit in die 
Thioninlösung einzutauchen; die sonstigen Gewebsbestandteile 
nehmen dabei eine reine blaue Farbe an, während die Mastzellen- 
granula besonders scharf hervortreten. 

Die Zahl der Granula in den ersten Mastzellen ist nicht 
sehr gross und man kann in den frühen Stadien immer Zellen 
finden, in denen gerade der Beginn der Granulabildung fixiert 
erscheint. Die Körnchen tauchen zuerst an der Peripherie des 
Zellleibes auf, um sich dann in seiner ganzen Masse zu verteilen. 
Ziemlich typisch ist die peripherische Lagerung der Granula auch 
während der Teilung der Mastzellen. 

Die Körner der Mastzellen sind im allgemeinen ziemlich 
gross; nach zweckmässiger Fixation erscheinen sie stets regel- 
mässig kugelrund und scharf konturiert: nach Wirkung von 
Wasser oder von schwachem Alkohol verklumpen sie hingegen 
sehr leicht, wobei ein Teil der spezifischen Substanz ins inter- 
eranuläre Protoplasma diffundiert und dasselbe auch einen röt- 
lichen Ton annehmen lässt. 

In der Thymus kann man ausser den beschriebenen runden 
Mastzellen in etwas späteren Stadien auch das Erscheinen etwas 
abweichender Mastzellenformen beobachten, die sich vornehmlich 
in der Marksubstanz lokalisieren. Es sind Zellen mit Ausläufern, 
die sich der Form der interzellulären Räume anpassen und des- 
wegen sehr unregelmässig werden können. Auch in dem sehr 
lockeren Bindegewebe, welches die Thymus umhüllt, findet man 
ziemlich viele Mastzellen; hier sind es meist runde Formen, die 
denjenigen in der Rindensubstanz vollkommen entsprechen. 

Ein ganz analoger Prozess der Mastzellenbildung wird auch 
im Knochenmark zwischen den Gefässen beobachtet. Das Mark 
entwickelt sich in grösserer Menge erst am 13.—14. Tage und 
beginnt sofort seine blutbildende Tätigkeit. Innerhalb der Ge- 
fässe werden dabei Erythrozyten gebildet, zwischen den Gefässen, 
im Gewebe, entwickeln sich Granulozyten. Zur selben Zeit er- 


166 Wera Dantschakoff: 


scheinen nun im Mark, ebenfalls extravaskulär, auch kleine Lym- 
phozyten und im folgenden sehen wir aus ihnen auch hier wieder 
Mastzellen entstehen. 


Die Fig. 13.stellt eine Anzahl von Mastzellen aus dem 
Knochenmark vor, daneben erblickt man einen grossen Lymphozyt; 
der Grössenunterschied der beiden Zellarten springt in die Augen. 
Die Zellen entsprechen, wie wir sehen, vollkommen den oben 
beschriebenen Mastzellen in der Thymus. Bei Mtz‘ sehen wir 
Karyokinese dieser Mastzellen; die Granula gruppieren sich da- 
bei an der Peripherie des Zellleibes. Die ziemlich umfangreiche 
Zelle Mtzb stellt, wenn ich so sagen darf, zugleich eine Über- 
gangsform vom grossen Lymphozyt zum kleinen und den Anfang 
der Mastkörnerbildung vor. Sehr typisch sind endlich die Mast- 
zellen, die sich an Schnittpräparaten in den Blutgefässen sowohl 
des Knochenmarks als auch der anderen Gewebe finden lassen 
(Mtza). Sie kommen auch dort schon in der frühesten Zeit der 
Mastzellenbildung vor. 


Wir sehen auf Fig. 13, Mtza, welche eine Zelle aus einem 
Schnitt durch eine Kapillare des Knochenmarks am 13. Be- 
brütungstage vorstellt, und auf Fig. 14, welche einem Ausstrich- 
präparat des Blutes nach l5tägiger Bebrütung entstammt, dass 
diese Blutmastzellen regelmässig runde, kugelförmige Elemente 
vorstellen, welche, ihrem Umfang nach, die beschriebenen Mast- 
zellen des Knochenmarks und der Thymus übertreffen. Sie sind 
immer dicht angefüllt mit dunklen, groben Körnern, die den 
Kern nur undeutlich durchschimmern lassen. Dieser letztere ist 
ebenso, wie in den oben beschriebenen Mastzellen, immer rund 
und sehr chromatinreich. Dank diesem Umstande unterscheiden 
sich also beim Hühnerembryo die Mastzellen des Blutes nicht 
so scharf von den sogenannten histiogenen Mastzellen, wie beim 
Säugetier und sie können also hier nicht in eine ganz besondere 
Gruppe ausgeschieden werden, wie es bei den Säugern getan 
wird, wo sie eine ziemlich isolierte Zellart zu bilden scheinen, 
die sich von den histiogenen Mastzellen vor allem durch die 
abweichende Beschaffenheit des Kerns unterscheidet. 


Sowohl an Schnittpräparaten, als auch an Ausstrichpräparaten 
habe ich beim Hühnchen im zirkulierenden Blute immer nur 
granulareiche Mastzellen gesehen, grössere Elemente, die den 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 167 


Eindruck von reifen machten. Ich glaube aus diesem Grunde 
annehmen zu können, dass in das zirkulierende Blut aus dem 
Bindegewebe nur solche Mastzellen übertreten, die bereits mehr 
oder weniger gereifte granulareiche Formen vorstellen. 

Grösseres Interesse bieten die Mastzellen, die im lockeren 
Bindegewebe zwischen den verschiedenen Organen zerstreut sind. 
Ihrer Struktur nach unterscheiden sie sich prinzipiell nicht von 
den oben beschriebenen Mastzellenarten. Sie besitzen aber 
gewöhnlich eine besondere äussere Gestalt. Während ihr Kern 
die für die anderen Mastzellen charakteristischen Merkmale 
behält, erleidet ihr Protoplasma eine bedeutende Hypertrophie. 
Der Zellleib erlangt bedeutende Dimensionen und muss sich der 
Form der benachbarten Gewebsbestandteile anpassen. Ausser 
gewöhnlichen runden Zellen begegnen wir deswegen im Unter- 
hautzellengewebe und zwischen den Muskeln Mastzellen von sehr 
verschiedener Form. Manchmal bilden sie lange Reihen von flach 
gedrückten Zellen zwischen den quergestreiften Muskelfasern. 
Manchmal bilden sie kleine Gruppen von 3, 5—7 eng beisammen 
liegenden Zellen an den kleinen Gefässen oder an der Peripherie 
der im Unterhautzellgewebe zerstreuten Herde Iymphoiden Ge- 
webes; sehr oft sammeln sie sich in kleinen Gruppen an den 
Federbälgen an; in einzelnen Exemplaren sind sie auch zwischen 
den Fettläppchen zerstreut. 

Ich habe bereits bemerkt, dass die Mastzellengranula des 
Hühnchens überhaupt und die Granula der Mastzellen im Unter- 
hautzel'!gewebe im speziellen sich nicht durch besonders leichte 
Löslichkeit in wässerigen Flüssigkeiten auszeichnen. Im späteren 
Alter, beim Ausschlüpfen des Hühnchens, wird die Mastzellen- 
körnung noch resistenter, besonders in den Mastzellen des Unter- 
hautzellgewebes. In diesem letzteren erscheint sie dann selbst an 
mit ZF fixierten und mit D gefärbten Präparaten in befriedigender 
Weise erhalten. Die Mastzellen der Thymus weisen jedoch an 
denselben Präparaten deutliche Lösungserscheinungen an den 
Körnchen auf. Natürlich kann dieser verschiedene Grad der 
Löslichkeit der Körnchen noch nicht den Grund zur Einteilung 
der Mastzellen in verschiedene Arten abgeben, da dieselbe viel- 
leicht vom Differenzierungszustand der Zellen abhängen kann; 


sonst haben aber alle Mastzellen des Hühnchens prinzipiell die 
gleiche Struktur. 


168 Wera Dantschakoff: 


Eine isolierte Stellung nehmen allerdings die Mastzellen des 
Darmes ein, die sich erst am Ende der Bebrütung zu entwickeln 
anfangen und erst beim erwachsenen Tier die höchste Ausbildung 
erreichen. Sie stellen sehr grosse Elemente vor, die aber nur 
einen kleinen, für die Mastzellen überhaupt typischen Kern be- 
sitzen. Der Zellleib bildet zahlreiche Ausläufer, die sich ver- 
zweigen und mit den Ausläufern der benachbarten Mastzellen 
anastomosieren, so dass eine zusammenhängende Schicht entsteht, 
die der Darmmucosa ein sehr charakteristisches Aussehen verleiht. 


Es ist unzweifelhaft, dass die besonderen Lebens- und 
Funktionsbedingungen den Mastzellen, je nach ihrem Fundort, 
ein besonderes histologisches Aussehen verleihen können. Diese 
Unterschiede sind aber nicht von solcher Art, dass man auf 
Grund derselben die Mastzellen beim Hühnchen in einzelne 
scharf geschiedene Gruppen einteilen könnte. Einerseits be- 
schränken sich eigentlich doch alle Unterschiede fast ausschliess- 
lich nur auf die äussere Gestalt und die Grösse der Zellen, was 
natürlich einerseits nur von der Menge der ausgearbeiteten 
Körnung und von der Form der benachbarten Gewebselemente 
abhängt. Andererseits beobachtet man selbst an den Stellen, 
wo solche abweichende Formen vorhanden sind, immer auch 
fliessende Übergangsformen von den letzteren zu der typischen 
Urform der kleinen runden Mastzelle. 


Ich komme also zum Schluss, dass die Mastzellen des 
Hühnchens, so bedeutende Unterschiede in Form, Grösse und 
Struktur je nach ihrem Fundort sie auch bieten mögen, doch eine 
einzige gemeinsame Gruppe von in besonderer Weise modifizierten 
freien mesenchymatösen Elementen vorstellen. Sie entstehen zu- 
erst in der Thymus, im Knochenmark im lockeren Bindegewebe 
durch Vermittlung der kleinen Iymphozytoiden Übergangsform, in 
letzter Instanz aus den gewöhnlichen fixen sternföürmigen Mesen- 
chymzellen durch Ausarbeitung der spezifischen Körnchen; später 
isolieren sie sich allmählich zu einem bestimmten und gut in> 
dividualisierten stets körnchenreichen Zellstamm, der sich durch 
selbständige karyokinetische Teilung regeneriert. 


Die Entstehung aller Mastzellen ist beim Hühnchen mit 
dem Auftreten der kleinen Lymphozyten eng verbunden. Das 
ist ein weiterer Beweis für..ihre Zusammengehörigkeit. Sie 


intwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 169 


stellen eine Zellart vor, die sich vom jungen undifferenzierten 
Zellstamm der kleinen Lymphozyten abspaltet. 


VII. Entstehung der Fettzellen. 


Die Fettzellen sind ein fast konstanter Bestandteil des lockeren 
Bindegewebes im erwachsenen Organismus und stellen im ent- 
wickelten Zustande ein ziemlich selbständiges Gewebe vor, welches 
im Bindegewebe mehr oder weniger scharf abgegrenzte Komplexe 
bildet. 

Beim Hühnerembryo bemerkt man schon in sehr frühen 
Entwicklungsstadien in verschiedenen Zellen Ausarbeitung von 
geringen Quantitäten einer fettähnlichen Substanz, die sich an 
osmierten Präparaten in Form von feinen Tröpfchen im Proto- 
plasma präsentiert. Solche Fetttröpfchen erscheinen sehr häufig 
in den oben beschriebenen vakuolisierten Wanderzellen im Mesen- 
chym, in den ästigen Zellen des letzteren selbst und auch in 
anderen Gewebsarten, z. B. in den Zellen des ektodermalen Epithels. 
Diese Fettbildung bedeutet natürlich noch nicht Bildung von Fett- 
gewebe. Dieses letztere tritt erst verhältnismässig spät auf, etwa 
am 12.—13. Tage der Bebrütung. Seine Entwicklung beginnt im 
Unterhautzellgewebe an mehreren Stellen zugleich, in Form von 
kleinen begrenzten Herden. 

In den Zellen des lockeren Bindegewebes bemerkt man dabei 
zwei Erscheinungen, die parallel oder nacheinander verlaufen und 
zur Bildung von Fettzellen führen. Die eine besteht in der Aus- 
arbeitung von kleineren oder grösseren Fetttröpfehen im Proto- 
plasma, die andere in der Isolierung und Abrundung der be- 
treffenden Bindegewebszellen. 

Die Fig. 9 stellt einen kleinen Herd der Fettzellenbildung 
aus dem Unterhautzellgewebe am Femur eines l4tägigen Embryo 
vor und illustriert diesen Prozess sehr deutlich. Wir sehen, dass 
die Fetttröpfehen, die sich in unserem Präparat als helle Vakuolen 
präsentieren, in Zellen auftreten, die durchaus noch den Charakter 
von gewöhnlichen Bindegewebszellen bewahren — es sind meist 
längliche Zellkörper mit zahlreichen, mit den Ausläufern der be- 
nachbarten Elemente anastomosierenden Ausläufern. Der ovale 
grosse Kern enthält ein oder zwei echte Kernkörperchen, das 
Chromatin bildet feine, regelmässig im Kerninnern verteilte blasse 
Teilchen. Die Fettvakuolen im Protoplasma sind sehr zahlreich 


170 Wera Dantschakoff: 


und von verschiedener Grösse; ausser kleinen sehen wir auch viel 
grössere, die wahrscheinlich durch Konfluenz mehrerer kleiner 
entstanden sind. Die einen Zellen sind mit den benachbarten 
durch breite Protoplasmastreifen verbunden: zwischen anderen 
sieht man lange feine Stränge von vakuolisierter Zellsubstanz, 
ausserdem haben aber viele Zellen jede Verbindung mit ihren 
Nachbaren verloren und sind frei geworden. In diesen frühen 
Entwicklungsstadien bemerkt man oft kleine Ansammlungen von 
Fettzellen, die miteinander eng zusammengeflossen sind (Ftz‘‘). 

Bei allmählicher genauen Verfolgung der Fettgewebsbildung 
kann man leicht feststellen, dass solche Gruppen von eng mit- 
einander verbundenen Zellen meistens durch Vereinigung einzelner 
freien Fettzellen gewöhnlich in der nächsten Umgebung der 
Kapillaren entstehen. In der ersten Zeit ihrer Existenz sind 
die Fettzellen zweifellos auch einer selbständigen karyokinetischen 
Teilung fähig. Die Entwicklung des Fettgewebes en masse hängt 
aber in erster Linie von dem Zusammentreten immer neuer und 
neuer einzelner junger Fettzellen ab, die aus den gewöhnlichen 
Bindegewebszellen durch Fettansammlungim Protoplasma entstehen. 

Beim Zusammentreten der Fettzellen in grossen Gruppen 
und besonders bei der fortschreitenden Ausarbeitung von Fett 
in jeder einzelnen Zelle erleidet der Kern der Fettzellen eine 
tiefgreifende Veränderung seiner Gestalt. In den jungen Fett- 
zellen ist er immer oval oder rund, wenn aber die Fettmasse im 
Protoplasma zunimmt, was besonders in den schon Gruppen bilden- 
den Zellen geschieht, wird er allmählich von den zahlreichen 
grossen Tropfen zusammengedrückt; seine Membran wird oft von 
verschiedenen Seiten eingestülpt, und er enthält mitunter sehr 
unregelmässige Form, die aber für die Fettzelle ziemlich charak- 
teristisch ist. Um den Kern herum bleibt während langer Zeit 
eine gewisse Masse dichten, fein retikulären basophilen Proto- 
plasmas erhalten. 

Die Masse des Fettgewebes nimmt rasch zu bis zum Aus- 
schlüpfen des Hühnchens. Auch in den späteren Stadien kann 
man den beschriebenen Prozess der Vereinigung von einzelnen 
Fettzellen zu grossen Fettinseln leicht beobachten. An der Peri- 
pherie der letzteren findet man immer freie runde Elemente, inderen 
Protoplasma Fetttröpfchen in grösserer oder geringerer Menge aus- 
gearbeitet sind, die sich an die Fettinsel anlagern und sich dadurch 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 178 


in richtige Fettzellen verwandeln. Infolge dieser Entstehungs- 
weise erscheinen die zentralen Fettzellen einer Fettgewebsinsel 
als die ältesten Elemente immer von grossen Tropfen eingenommen, 
während man in der Richtung nach aussen, nach dem lockeren 
Bindegewebe hin immer jüngere und jüngere Fettzellen mit immer 
feineren Fetttröpfehen vorfindet. 

Die noch frei liegenden Fettzellen sind manchmal von den 
stark vakuolisierten Wanderzellen des Bindegewebes schwer zu 
unterscheiden, besonders wenn die letzteren auch rund sind. Der 
Kern der Wanderzellen ist allerdings meistens viel chromatin- 
reicher, als in den freien, jungen Fettzellen, oft erscheint es aber 
doch sehr schwierig, die Entscheidung zu treffen, ob die betreffende 
Zelle eine junge Fettzelle ist, die im Begriffe steht, mit einer 
Fettinsel sich zu vereinigen oder ob sie dem lockeren Bindegewebe 
als eine gewöhnliche Wanderzelle angehört. 

Da die grossen Fettgewebsinseln, wie gesagt, durch Zu- 
sammentreten einzelner junger Fettzellen entstehen, so braucht 
es uns nicht zu verwundern, wenn wir in ihrem Innern selbst 
gelegentlich typisches myeloides Gewebe vorfinden. Es bildet hier 
um Gefässe herum angeordnet und zwischen den Fettzellen ver- 
laufende oft strangförmige Herde. 

Auf Fig. 9 sehen wir zwischen noch nicht miteinander ver- 
einigten Fettlappen typische grosse Lymphozyten zerstreut (G Lmz). 
Wenn im folgenden die Fettzellen zusammentreten, bleiben diese 
Lymphozyten zwischen ihnen in Form von kleineren und grösseren 
Herden liegen, die sich vornehmlich in der Umgebung von Kapillar- 
gefässen anordnen und ihre typische weitere Differenzierung zu 
granulierten Zellen, zu echten eosinophilen Myelozyten durch- 
machen. 

Während sonst im gewöhnlichen lockeren Bindegewebe zur 
Zeit des Ausschlüpfens des Hühnchens die grossen Lymphozyten, 
die nur für die frühen Entwicklungsstadien charakteristisch sind, 
durch ihre anders gearteten Nachkommen, durch die kleinen 
Lymphozyten, ersetzt erscheinen, finden wir zwischen den Fett- 
zellen bis in die spätesten Stadien hinein ziemlich bedeutende 
Mengen von grossen Lymphozyten und azidophilen Myelozyten. 
Sie liegen meistens in der Umgebung der Kapillaren. Man findet 
hier immer typische grosse Lymphozyten, die sich in Myelozyten 
weiter verwandeln und ferner auch die weiteren Differenzierungs- 


2 Wera Dantschakoff: 


produkte der letzteren, — die reifen granulierten Leukozyten 
mit den stäbcehenförmigen azidophilen Körnchen. Ob die An- 
wesenheit des myeloiden Gewebes eine konstante und typische 
Eigenschaft des Fettgewebes auch fürs weitere Leben des Hühn- 
chens vorstellt, bliebe natürlich durch weitere speziell darauf 
gerichtete Untersuchungen des betreffenden Gewebes im jungen 
und erwachsenen Organismus klarzustellen. 


VII. Das lockere Bindegewebe des Hühnerembryo 
zum Schluss der Bebrütung. 


Nachdem ich die Entwicklung der verschiedenen Zellarten 
des lockeren Bindegewebes beim Hühnerembryo besonders ge- 
schildert habe, will ich jetzt in kurzen Worten die Zellformen 
aufzählen und beschreiben, die sich als regelmässige Bestand- 
teile im lockeren Bindegewebe eines auschlüpfenden Hühnchens 
befinden. 


Die erste Stelle nach ihrer Zahl nehmen die sogenannten 
Fibroblasten ein. Diese Elemente stellen die gewöhnlichen fixen 
Bindegewebszellen vor und leiten sich direkt von jenen gewöhn- 
lichen polymorphen, ästigen, netzartig miteinander verbundenen 
Mesenchymzellen ab, die in den frühesten Stadien die einzigen 
zelligen Bestandteile des primitiven Mesenchyms bildeten und die 
Urform, die gemeinsame Stammzelle für alle anderen fixen und 
wandernden freien Elemente des Blutes und des Bindegewebes 
vorstellten. Sie beginnen ihre Tätigkeit als Erzeuger der faserigen 
kollagenen Zwischensubstanz schon sehr früh, am fünften bis 
sechsten Tage der Bebrütung, und ein Teil von ihnen kann sicher 
von diesem Moment an schon als Fibroblasten bezeichnet werden. 
Zu dieser Zeit unterscheiden sie sich immerhin noch sehr be- 
deutend in ihrer Struktur und in ihrer Bedeutung von den zelligen 
Elementen, die wir im Bindegewebe des erwachsenen Organismus 
als Fibroblasten zu bezeichnen gewöhnt sind. 


Ausser den Elementen, die faserige Zwischensubstanz pro- 
duzieren, besteht das Mesenchym während der Bebrütungszeit 
noch grösstenteils aus zelligen Elementen, die einer sehr mannig- 
faltigen Differenzierung fähig erscheinen. 

Etwas früher, am vierten bis fünften Tage der Bebrütung, 
spalten sie die ersten freien. wandernden Elemente ab; sie be- 


o 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 1 


wahren aber wenigstens für einen Teil ihrer Elemente auch für 
den grössten weiteren Teil des embryonalen Lebens die Fähig- 
keit, sich in freie Wanderzellen des Bindegewebes zu verwandeln. 

Es ist natürlich sehr schwer zu entscheiden, welche Zellen 
des lockeren Bindegewebes im speziellen sich dabei abrunden 
und in Wanderzellen verwandeln. Ich will nicht behaupten, dass 
dies gerade mit den Fibroblasten geschieht, die schon faserige 
Zwischensubstanz ausgearbeitet haben. Ich behaupte bloss, dass 
im embryonalen Bindegewebe bis zu den spätesten Stadien der 
Bebrütung sicherlich solche Elemente erhalten bleiben, die einer 
weiteren Verwandlung in freie, indifferente, wandernde Zellen 
fähig sind. Mit der Zeit wird natürlich diese Wanderzellbildung 
aus fixen Elementen immer mehr und mehr eingeschränkt. 

Zum Schluss des embryonalen Lebens erlangen die Fibro- 
blasten ihre typischen morphologischen Eigenschaften. Ihre 
runden oder ovalen, glatt konturierten Kerne enthalten feinste 
blasse regelmässig verteilte Chromatinteilchen und zwei bis drei 
Nukleolen. Ihr Protoplasma, welches sich früher durch starke 
Basophilie auszeichnete, wird gewöhnlich hell und schwach basophil 
und enthält oft zahlreiche feine Vakuolen, die zum Teil von kleinen 
Fetttröpfehen herrühren. Die äussere Gestalt des Zellleibes tritt 
besonders gut an Zupfpräparaten hervor, die schon vom 15. Tage 
an leicht hergestellt werden können. Die Fibroblasten liegen 
hier en face und präsentieren sich als breite platte Körper mit 
mehreren breiten Ausläufern. Die Zellgrenzen treten schwach 
hervor und sind schwer zu definieren. An D.-Präparaten erblickt 
man im Protoplasma eine deutlich rosa-farbene Sphäre, während 
an E-H-Präparaten an ihrer Stelle ein Zentriolenpaar hervortritt. 
Die Fibroblasten liegen zwischen den Kollagenfasern einzeln oder 
in Gruppen zerstreut. Sie erlangen also, wie aus der angeführten 
Beschreibung erhellt, zum Schluss der Bebrütungszeit das für 
den erwachsenen Zustand charakteristische Aussehen. 

Die zweite fixe Zellart im lockeren Bindegewebe sind die 
Fettzellen, die sich, wie wir gesehen haben, aus den Binde- 
gewebszellen ziemlich spät entwickeln. Am Ende der Bebrütungs- 
zeit bilden sie stets sehr umfangreiche kompakte Ansammlungen, 
Fettgewebsinseln. Zwischen den Fettläppchen findet man in 
wechselnder Menge ungleichmässig verteilte Massen von myeloidem 
‚Gewebe. Auch zu dieser Zeit konstatiert man an der Peripherie 


174 Wera Dantschakoff: 


der Fettinseln durch Anlagerung immer neue und neue runde 
junge Fettzeilen, die durch Ansammlung von Fett im Protoplasma 
und durch Isolierung von Bindegewebszellen entstehen. 

Ausser den beschriebenen fixen Elementen findet man 
im lockeren Bindegewebe des ausschlüpfenden Hühnchens eine 
ganze Reihe von verschiedenen freien, wandernden Zellen. 
Wir unterscheiden histiotope, blasse Wanderzellen oder speziell 
für das Bindegewebe charakteristische Wanderzellen, im Binde- 
gewebe liegende, sodann kleine Lymphozyten, Mastzellen, einzelne 
Exemplare von grossen Lymphozyten, Myelozyten, reife Leukozyten 
mit azidophiler Stäbehenkörnung, und kleine runde, azidophile und 
fein granulierte, wie es scheint, für Vögel spezifische Zellen. 

Die histiotopen Wanderzellen sind im lockeren 
Bindegewebe gelegen und präsentieren sich in ziemlich wechseln- 
den Formen. Es sind Zellen, die in ihrer Grösse variieren, mit 
mehr oder weniger vakuolisiertem Protoplasma, deren Oberfläche 
mit zahllosen feinen Auswüchsen oder mit einzelnen breiten 
Pseudopodien besetzt oder auch nahezu glatt sein kann. Das 
verschiedene Aussehen des Protoplasmas hängt natürlich nur von 
dem verschiedenen Funktionszustande der betreffenden Zelle ab. 
Der Kern dieser Zellen ist manchmal rund; er hat aber eine 
ausgesprochene Neigung zur Polymorphie und besitzt sehr oft 
eine oder zwei tiefe Einstülpungen der Membran, die ihm eine 
sehr unregelmässige Form verleihen. 

Diese Wanderzellen sind ubiquitär im lockeren Bindegewebe 
und man beobachtet an ihnen auch in den spätesten Stadien der 
embryonalen Entwicklung die deutlichsten Erscheinungen der 
Phagozytose. Wir haben bereits gesehen, dass sie die extra- 
vaskulär entstandenen Erythrozyten verschlingen und verdauen. 
Zum Moment des Ausschlüpfens des Hühnchens ist diese Ver- 
nichtung der extravaskulären Hämoglobinzellen im Bindegewebe 
nahezu vollendet. Was die weiteren Schicksale der histiotopen 
Wanderzellen im postfetalen Leben anbelangt, so sind darüber 
weitere Untersuchungen vonnöten. Es ist kein Zweifel, dass sie 
der im erwachsenen Organismus vieler Tierarten unter dem 
Namen von „ruhenden Wanderzellen“ bekannten Zellart durchaus 
entsprechen. 

Die zweite Art von freien Zellen im lockeren Bindegewebe 
am Ende der Bebrütung sind die kleinen Lymphozyten 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 1 


Sie erscheinen, wie wir gesehen haben, verhältnismässig spät und 
stellen das unmittelbare Differenzierungsprodukt der grossen 
Lymphozyten vor, die durch sie ersetzt werden. Die kleinen 
Lymphozyten sind am Ende des Embryonallebens erstens zwischen 
den anderen Elementen des lockeren Bindegewebes diffus zerstreut, 
zweitens bilden sie schon an vielen Stellen kleine herdartige An- 
sammlungen, die eine besonders starke Entwicklung im postfetalen 
Leben erlangen. Sie stellen eine junge, indifferente Zeilform vor, 
die für das ganze weitere Leben im lockeren Bindegewebe die 
Fähigkeit zu ausserordentlich mannigfaltiger differenzierender 
Entwicklung in den verschiedensten Richtungen bewahrt. 


Im lockeren Bindegewebe des ausschlüpfenden Hühnchens 
präsentieren sie sich überall in ihrer typischen Form, — als 
kleine runde Zellen mit chromatinreichem Kern und ganz schmalem 
basophilem Protoplasmasaum. Manche von ihnen verwandeln sich 
aber schon in der oben beschriebenen Weise in fein- und rund 
granulierte azidophile Zellen; vorläufig sind diese letzteren 
noch ziemlich spärlich. Beim erwachsenen Huhn sind sie hingegen 
massenhaft vorhanden. 


Ein anderer Teil der kleinen Lymphozyten arbeitet im 
Protoplasma eine spezifisch basophil und metachromatisch 
reagierende Körnung aus und verwandelt sich auf diese Weise 
in Mastzellen. Am Ende der Bebrütungszeit sind die letzteren 
im lockeren Bindegewebe des Hühnchens ziemlich zahlreich. Sie 
erscheinen entweder einzeln zerstreut oder sie bilden kleine 
Gruppen an den kleinen Gefässen, zwischen den Muskelfasern, 
an den Federbälgen, an der Peripherie der Ansammlungen 
Iymphoiden Gewebes. Sie werden in ihrer äusseren Form von 
den benachbarten Gewebselementen beeinflusst; manchmal machen 
sie durchaus den Eindruck amöboid zu sein; deswegen erscheinen 
sie auch entweder rund, oder platt, oder in die Länge gezogen, 
oder endlich mit Ausläufern versehen. Im zirkulierenden Blut 
sind dieselben Zellen auch vorhanden und hier immer kugelrund. 


Der Kern ist bis zum Schluss des embryonalen Lebens in 
allen Mastzellen, im Gewebe, sowie im Blut stets rund oder oval 
und sehr chromatinreich. Die Körnchen der Mastzellen sind 
ziemlich grob, meist reichlich angehäuft und zeichnen sich am 
Schluss des embryonalen Lebens durch geringe Wasserlöslichkeit 


176 Wera Dantschakoff: 


aus, sodass sie sogar an Z-F-Präparaten ziemlich gut konserviert 
erscheinen. 

Als seltenere Bestandteile des lockeren Bindegewebes er- 
scheinen die oben beschriebenen grossen Lymphozyten, 
Myelozyten und Leukozyten mit stäbchenförmiger Körnung. 


IX. Schluss. 


Die Untersuchung der Entwicklung des lockeren Binde- 
gewebes heim Hühnchen führt mich zu folgenden Schlusssätzen: 


1. In den frühesten. Entwicklungsstadien — etwa bis zum 
vierten bis fünften Tage — ist das embryonale Bindegewebe noch 
vollkommen indifferent und seine Elemente alle gleichwertig und 
histologisch einander vollkommen ähnlich. 

2. Dieindifferente Mesenchymzelle ist die Urquelle, 
aus welcher durch in verschiedene Richtungen verlaufende, diffe- 
renzierende Entwicklung das komplizierte und aus mannigfaltigen 
Elementen aufgebaute fertige lockere Bindegewebe hervorgeht. 
Im Laufe des fetalen Lebens offenbart sie ausserdem die Fähig- 
keit, sich sowohl zu hämoglobinhaltigen Zellen, als auch zu granu- 
lierten zu entwickeln, sie kann also auch als Urstammzelle für 
die verschiedenen Blutelemente gelten. 


2 


3. Die Blutbildung im Mesenchym erfolgt in Form 
von ziemlich bestimmt lokalisierten Herden und beginnt entweder 
auf Kosten von in loco entstehenden blutinselartigen Gebilden, 
oder auf Kosten von wuchernden Gefässendothelien. Die Endo- 
thelzelle, welche schliesslich eine modifizierte indifferente 
Mesenchymzelle vorstellt, kann in frühen Entwicklungsstadien, 
ebenso wie die letztere, zum Ausgangspunkte der Blutbildung 
werden. Diese Eigenschaft des Endothels tritt sowohl an den 
Kapillaren als auch an den grösseren Gefässen, speziell an der 
Aorta, hervor. Die Differenzierungsprozesse der ursprünglichen 
indifferenten Elemente (der Mesenchym- oder Endothelzellen) 
im Mesenchym verlaufen prinzipiell auf dieselbe Weise, wie es im 
Dottersack geschieht, auf Kosten der grossen Lymphozyten, die 
als Mutterzellen funktionieren. Ein Unterschied existiert nur in 
der Beziehung, dass im Körpermesenchym die Erythrozytenbildung 
ausserhalb der Gefässe erfolgt. Die Granulozyten entstehen, wie 
gewöhnlich, meistens ausserhalb der Gefässe, doch kann in einigen 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 177 


Gefässen, wo das Lumen mit farblosen Elementen dicht angefüllt 
ist, die Verwandlung der grossen Lymphozyten in Myelozyten auch 
intravaskulär erfolgen. 


4. Die Komplikation des Mesenchymgewebes beginnt mit 
der Abspaltung der freien Wanderzellen von den gewöhn- 
lichen ästigen fixen Elementen. Die Wanderzellen treten gleich 
am Anfang (am vierten bis fünften Tage der Bebrütung) in Form 
von zwei Zellarten mit ziemlich bestimmter Struktur auf, — als 
histiotope und als Ilymphozytoide Wanderzellen. 


Die histiotopen Wanderzellen gehen vornehmlich 
aus den gewöhnlichen Mesenchymzellen hervor und entfernen sich 
in ihrem histiologischen Habitus mehr oder weniger weit vom 
Lymphozytentypus. Sie sind eine ziemlich polymorphe Zellart, 
die ihr histologisches Aussehen, je nach dem Ort und der ver- 
schiedenen Zeit der Entstehung im Organismus, bedeutend ändern 
kann. Durch eine Reihe von Veränderungen verwandeln sie sich 
im erwachsenen Organismus in die sogenannten ruhenden 
Wanderzellen. 


Die Ilymphozytoiden Wanderzellen gehen ebenfalls 
aus den gewöhnlichen Mesenchymzellen oder aus den Gefäss- 
endothelien hervor und sind in den frühen Entwicklungsstadien 
ziemlich verbreitet; als Resultat ihrer Differenzierung erscheinen 
die im embryonalen Mesenchym in ziemlich grosser Menge zer- 
streuten Myelozyten. In der zweiten Hälfte der Bebrütungszeit 
werden die grossen Lymphozyten allmählich durch eine neue Art 
von freien Zellen ersetzt, — durch die kleinen Lymphozyten; 
diese gehen an verschiedenen Körperstellen aus den grossen 
Lymphozyten hervor und stellen schliesslich eine im lockeren 
Bindegewebe sehr verbreitete Zellart vor. 


Die kleinen Lymphozyten sind ebenso wie die grossen, eine 
junge, indifferente, ihre zytoblastische Entwicklungsfähigkeit be- 
wahrende Zellart. Diese Fähigkeit bleibt ihnen für immer er- 
halten und tritt sowohl im fetalen, als auch im postfetalen Leben 
im weiten Maßstabe hervor. 


Die Differenzierungsprodukte der grossen und kleinen Lym- 
phozyten sind doch etwas verschieden. Die grossen Lymphozyten 
erzeugen im fetalen und postfetalen Leben vornehmlich hämo- 


globinhaltige Elemente und Granulozyten. Die kleinen Lympho- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 12 


178 Wera Dantschakoff: 


zyten erzeugen Mastzellen, Plasmazellen und besondere, für das 
lockere Bindegewebe der Vögel überaus charakteristische Zellen 
mit feinen, runden azidophilen Körnern. 

5. Die Mastzellen treten beim Hühnchen am zehnten 
bis zwölften Tage der Bebrütung auf und gehen unmittelbar aus 
den kleinen Lymphozyten hervor, die in ihrem Protoplasma die 
spezifische metachromatische Körnung ausarbeiten. Das geschieht 
sowohl im lockeren Bindegewebe, als auch besonders an den 
Stellen, wo die kleinen Lymphozyten in grossen Mengen ange- 
häuft liegen. Alle Mastzellen des Hühnerembryos haben gleiche 
Struktureigentümlichkeit und müssen in eine gemeinsame Gruppe 
vereint werden. 

5. Die fixen Zellen des lockeren Bindegewebes bilden 
die Fibroblasten und die Fettzellen. Die Fibroblasten 
erscheinen als selbständige Zellart, die aus ihrem Protoplasma 
die faserige Kollagensubstanz ausarbeitet, schon in sehr frühen 
Stadien (fünf bis sechs Tage). Die Fettzellen erscheinen ziem- 
lich spät (zwölften bis dreizehnten Tage); sie gehen hervor aus 
fixen Zellen des lockeren Bindegewebes, indem dieselben im 
Protoplasma Fett ausarbeiten und aufspeichern; die Zellkörper 
runden sich dabei ab und vereinigen sich mit anderen ähnlichen 
Zellen, sodass mehr oder weniger umfangreiche Fettgewebsinseln 
entstehen. 


Literaturverzeichnis. 


1. Arthur Coca: Die Bedeutung der Fibroglia-Fibrillen. Eine embr. Studie. 
Virch. Archiv, Bd. 186, H.2. 

2. Dantschakoff: Über das ‚erste Auftreten der Blutelemente beim 
Hühnerembryo. Vorl. Mitt. Folia haemat., IV. Jahrg., 1907. 
Derselbe: Untersuchungen über die Entwicklung des Blutes und Binde- 
gewebes bei den Vögeln. ‘I. Die erste Entstehung der Blutzellen. Anat. 
Hefte, 1908. 

3. Dominici: Sur un proc&d& de techn. histologique, applique & l’etude 
des cellules conjonctives. Folia haemat., 1905, 4. 

4. Ferrata: Über die Klassifizierung der Leukozyten des Blutes. Folia 
haemat., Bd. 5, H. 7, 1908. 


Howell: The Life history of the formed-elements of the blood, especially 
the red blood corpuscules. Journ. of Morph., Vol. VI, 1, 1890. 


[St 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 179 


6. Kollmann: Der Randwulst und der Ursprung der Stützsubstanz. Arch. 
f. Anat. u. Phys., Anat. Abt., 1884. 
Mallory: 
8. Maximow: Über die Entwicklung des Blutes und Bindegewebes beim 
Säugetierembryo. Vorl. Mitt. Folia haemat., 1907. 
Derselbe: Über die Zellformen des lockeren Bindegewebes. Arch. f. mikr. 
Anat., Bd. 67, 1906. 
Derselbe: Über entzündliche Bindegewebsneubildung beim Axolotl. Beitr. 
z. path. Anat., Bd. 39, 1906. 
9. Pappenheim: Zur Frage der Entstehung der eosinophilen Leukozyten. 
Folia haemat., II. Jahrg., 3, 1905. 
Derselbe: Verschiedene Abhandlungen in den Folia haemat., Bd. I—V. 
10. Pensa: Della struttura e dello sviluppo dei ganglii linfatiei degli uccelli. 
11. Rabl: Theorie des Mesoderms. Morph. Jahrb., Bd. XV, 2 fasc., 1889. 
12. Rauber: Über den Ursprung des Blutes und der Bindesubstanzen. 
Sitzungsber. der naturf. Ges. zu Leipzig, 1877. 


-] 


13. Ranvier: Traite technique d’histologie. 


14. Retterer: Parallele des ganglions Iymphatiques des mammiferes et des 
oiseaux. Ü.R. Assoc. Anat., IV Session, Nancy 1902. 


15. Saxer: Über die Entwicklung und den Bau normaler Lymphdrüsen etc. 
Anat. Hefte, Bd. 6, 1896. 


16. Schaffer: Proceedings of the Royal Society 1874, eit. nach v. d. Stricht. 


17. Solucha: Über die Zellformen des Bindegewebes und Blutes der Vögel 
im normalen Zustand und bei Entzündung. Inaug.-Dissert., St. Peters- 
burg 1908 (russisch). 


18. van der Stricht: Nouvelles recherches sur la gen&se des globules 
du sang. Arch. de biologie, 12, 1892. 

19. Weidenreich: Zur Frage nach der Entstehung der eosinophilen Leuko- 
zyten. Folia haemat., II. Jahrg., 3, 1905. 
Derselbe: Die roten Blutkörperchen I u. II. Ergebnisse der Anatomie 
u. Entwicklungsgeschichte (Merkel u. Bonnet), Bd. XIII u. XIV, 1903 
u. 1904. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel VII u. VII. 


Alle Figuren sind mit dem Zeichenapparat von Abbe gemacht worden 
unter Benutzung der apochromat. Ölimmersion 2 mm und Kompens.-Ok. 12. 

Ausführliche Erklärung der Figur im Text. 

Für alle Figuren gültige Bezeichnungen: Ed — Endothel; Ebl — 
Erythroblast; Erz — Erythrozyt; Fbl — Fibroblast; K — Kapillare; Kg — 
Kollagenfasern ; L— Lumen; G Lmz — Grosser Lymphozyt; K Lmz — Kleiner 
Lymphozyt; E Lkz = Eosinophiler Leukozyt; Mhz — Indifferente Mesenchym- 

12* 


150 Wera Dantschakoff: 


zelle; Milz — Myelozyt; Mtz — Mastzelle; Phz — Phagozyt; HtWz = 
Histiotope Wanderzelle; LmzWz — Lymphozytoide Wanderzelle; y — 
Granulozyten mit eosinophiler, fein- und rundkörniger Granulation. 


Tafel VII. 


Alle Figuren stellen Schnittpräparate vor; alle wurden mit ZF fixiert 
und D oder E-A gefärbt, ausser Fig. 4, welches nach Mallory behandelt 
wurde. 


Fig. 1. Sagittaler Schnitt der Aortenwand eines 72 stündigen Hühner- 
embryo; die Endothelien verwandeln sich unter Wucherung in 
Lymphozyten, die sich teilweise durch amöboide Bewegungen ab- 
lösen und ins Innere des Gefässes gelangen; G Lmz’ — Karyokinese 
eines Lymphozyten; Ed‘ = hyperthrophische Endothelzellen mit 
amöboidem Protoplasma ; Ed'' — zweikernige Endothelzelle durch 
einen langen Stiel an der Gefässwand festgehalten. 


Fig. 2. Die ersten histiotopen Wanderzellen im Mesenchym des Kopfes 
(4 Tage). 


Fig. 3. Differenzierung der ersten Iymphozytoiden Wanderzellen aus den 
indifferenten Mesenchymzellen in der Kopfregion (4 Tage). Lmz 
Wz'' — Mesenchymzelle, sich in eine Iymphozytoide Wanderzelle 
verwandelnd; Lmz Wz‘' — ]ymphozytoide Wanderzelle, nur noch 


durch eine Protoplasmafortsetzung mit der daneben liegenden 
Mesenchymzelle verbunden. 


Fig. 4. Entwicklung der kollagenen Substanz im lockeren Bindegewebe 
(7 Tage). 

Histiotope Wanderzellen im lockeren Bindegewebe der hinteren 
Extremität am 17. Tage der Bebrütung; x — allmähliche Differen- 
zierung einer fixen ästigen Zelle in eine histiotope Wanderzelle; 
Ht Wz'’ — stark vakuolisierte und mit dünnen Protoplasma- 
ausläufern versehene histiotope Wanderzellen. 


es 
Eu 

0 
[Sr 


Fig. 6. Differenzierung einer lymphozytoiden Wanderzelle aus dem Endothel 
einer Kapillare (6 Tage). 

Fig. 7 u. 8. Entwicklung von Myelozyten innerhalb und ausserhalb von 
kleinen Gefässen im lockeren Bindegewebe (6 u. 7 Tage). Ed" — 
hyperthrophisch und amöboid gewordene Endothelzellen, von der 
Gefässwand der Kapillaren ins lockere Bindegewebe kriechend. 


Tafel VIII. 

Die Fig. 9, 10, 11 u. 16 stellen Präparate vor, die mit ZF. fixiert 
und D oder E-A gefärbt wurden; die Fig. 12, 13, 14 u. 15 stellen mit 
Alkohol fixierte und mit Chr oder T gefärbte Präparate vor; alle sind 
Schnittpräparate, ausser Fig. 14, welches ein Blutausstrichpräparat vorstellt. 
Fig. 9. Entwicklung der Fettzellen aus den Mesenchymzellen am 13. Be- 

brütungstage: Ftz‘‘ — runde freie Fettzelle; Ftz‘''‘' —= Gruppe von 
zusammengeflossenen Fettzellen. 


AO: 


e. 11. 


Entwicklung von Blut und Bindegewebe bei Vögeln. 181 


Erythropoetischer Herd im Mesenchym am 9. Tage der Bebrütung. 
Ebl", Ebl"' — verschiedene Stadien der Differenzierung der Erythro- 
blasten; x = Mesenchymzellen, die schon vielleicht kollagen aus- 
gearbeitet haben. 

Phagozytose der Erythrozyten im Unterhautzellgewebe (15 Tage). 
Ht Wz' —= Karyokinese einer histiotopen Wanderzelle; Phz — 
Phagozyt, der einen eosinophilen Leukozyt verschlungen hat. 
Entwicklung der Mastzellen in der Thymus (13 Tage); Lmz'. 
Lmz‘' — Verwandlung eines grossen Lymphozyten in einen kleinen. 
Mastzellen des Knochenmarks; Mtz’ — Karyokinese einer Mastzelle, 
Mastzellen des Blutes (15 Tage); feucht fixiertes Ausstrichpräparat. 
Mastzellen im lockeren Bindegewebe. 

Lockeres Bindegewebe eines Hühnchens am Ende der Bebrütung ; 
Emg — Emigration eines kleinen Lymphozyten. 


182 


Aus dem pathologischen Museum der Universität Berlin. 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 


II. Die Medulla oblongata von Phocaena communis (Cuv.) Less. 
und Balaenoptera rostrata Fabr. 


Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Morphologie der Oblongata 
der Säuger. 
Von 
Bernhard Rawitz, Berlin. 


Erste Hälfte. 


Hierzu Tafel IX und X. 


Inhalt. 
Vorbemerkung. 
A. Die Tatsachen. 


1. Cetacea. 

a) Phocaena communis (Cuv.) Less. 

b) Balaenoptera rostrata Fabr. 

c) Über einige der bisherigen Arbeiten über Cetaceen. 
2. Marsupialia. 

a) Didelphys marsupialis Shaw. 

b) Die Ziehensche Arbeit über Pseudochirus. 
3. Pachydermata. 

Sus scrofa L. 


Vorbemerkung. 


Meiner im 62. Bande dieses Archivs abgedruckten Abhandlung 
über das Rückenmark von Phocaena communis Cuv. und das Hals- 
mark von PBalaenoptera rostrata Fabr.'!) sollte sehr bald die 
Untersuchung der Medulla oblongata beider Spezies folgen. Ich 
hätte mich dann auf die Cetaceen beschränken müssen. Allein 
das Resultat wäre nur eine quantitative Vermehrung der Literatur 
gewesen. Eine neue, rein deskriptive Darstellung, die sich auf 
ein allerdings überaus selten untersuchtes Objekt bezog, wäre 


!) Rawitz: Das zentrale Nervensystem der Oetaceen I. Arch. f. mikr. 
Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 62. 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 183 


zu den vorhandenen Darstellungen hinzugekommen, ohne dass 
dabei meines Erachtens ein Gewinn für die Erkenntnis der ver- 
gleichenden Morphologie dieses wichtigen Organs gewonnen 
worden wäre. Dies aber erschien mir als das erstrebenswerte 
Ziel. Der Bienenfleiss der Neurologen, welche in höchst dankens- 
werter Weise die in der Oblongata vorhandenen Nervenbahnen 
und deren Beziehungen zueinander erforschten, hat uns wohl 
einen tiefen Einblick in den feineren Bau des Organs verschafft. 
Welche mechanischen und funktionellen Momente aber seinen 
verwickelten Bau herbeiführen, das war ein Thema, welches 
von den Autoren nicht behandelt wurde. Und auch nicht be- 
handelt werden konnte, weil die mehr praktischen Zwecken 
dienende Bahnenerforschung die Ausdehnung auf zahlreiche Säuge- 
tierspezies nicht verlangte und nicht vertrug. Darum schien es 
mir angemessen, mit der Verarbeitung meines selbst gesammelten 
Cetaceenmaterials eine vergleichende Untersuchung der Oblongata 
der Säugetierklasse zu verbinden und von den Marsupialiern an 
(Monotremen standen mir nicht zur Verfügung) bis zum Menschen 
möglichst viele Spezies heranzuziehen. 

Die in Folgendem mitzuteilenden Untersuchungen stützen 
sich auf 17 Spezies, deren Oblongatae ich in lückenlose Serien 
zerlegt und nach der Weigertschen Hämatoxylinmethode gefärbt 
habe. Es waren beinahe 12000 Schnitte zu studieren; die Massen- 
haftigkeit dieses Materials lässt es erklärlich erscheinen, dass 
fünf Jahre seit der Veröffentlichung meiner ersten Mitteilung 
über das zentrale Nervensystem der Cetaceen verflossen sind, 
ehe ich an die Ausarbeitung der zweiten Mitteilung gehen konnte. 
Die untersuchten Spezies sind die folgenden: Phocaena communis 
(Cuv.) Less. (3 Oblongatae), Balaenoptera rostrata Fabr. (1 Obl.), 
Didelphys marsupialis Shaw. (1 Obl.), Sus scrofa L. (2 Obl.), Ovis 
aries L. (2 Obl.), Bos taurus L. (2 Obl.), Equus caballus L. (2 Obl.), 
Canis familiaris L. (3 Obl.), Felis domestica L. (1 Obl.), Lepus 
euniculus L. (2 Obl.), Erinaceus europaeus L. (2 Obl.), Talpa 
europaea L. (2 Obl.), Vespertilio murinus Schreb. (2 Obl.), Lemur 
varius L. (1 Obl.), Lemur mongoz L. (1 Obl.), Macacus rhesus 
Wagn. (2 Obl.) und Homo sapiens L. (2 Obl.). In dankenswerter 
Weise wurde ich in meiner Arbeit durch Überlassung von Material 
unterstützt von den Herren: Geheimrat Prof. H. Munk, Geheimrat 
Prof. Orth, Geheimrat Prof. Schütz, Prof. Heck und Dr. Hein- 


184 Bernhard Rawitz: 


roth, Direktoren des hiesigen zoologischen Gartens, und Dr. 
Röthig. Literarische, mich ebenfalls zu Dank verpflichtende 
Beihilfe gewährten mir die Herren Geheimrat Prof. Ziehen, 
Privatdozent Dr. Rothmann und Dr. Katzenstein. 

Die Arbeit wurde im physiologischen Institut der hiesigen 
tierärztlichen Hochschule begonnen. Mit der Amtsniederlegung 
meines verehrten ehemaligen Lehrers, des Herrn Geheimrat 
Munk, musste ich einen Arbeitsplatz räumen, den ich 20 Jahre 
lang inne gehabt. Denn in dem nunmehr der Verdauungs- 
physiologie gewidmeten Institute war für einen Biologen kein 
Aufenthalt mehr. Ich muss es daher als ein grosses Glück be- 
trachten, dass mir Herr Geheimrat Prof. Orth, mein verehrter 
früherer Lehrer, dem ich die erste gründliche Einführung in 
die Histologie verdanke, in dem seiner Leitung unterstellten 
pathologischen Museum einen Arbeitsraum zur Verfügung gestellt 
hat. Den Gefühlen meines Dankes — ohne diese Hilfe hätte 
ich aufhören müssen zu arbeiten — vollen Ausdruck zu geben, 
bin ich nicht imstande; ich kann nur sagen: gratias habeo. 


A. Die Tatsachen. 
1. Cetacea. 
a) Phocaena communis (Cuv.) Less. 

Bei Betrachtung von Schnitten, welche das Grenzgebiet 
zwischen Halsmark und Oblongata getroffen haben, fällt eine 
Tatsache sofort in die Augen, die eine beim Rückenmark der 
Cetaceen von mir gemachte Angabe bestätigt. Denkt man sich 
eine Linie in transversaler Richtung so gezogen, dass sie tangential 
auf dem inneren Ende der ventralen Stränge liegt '), — der Mangel 
des Zentralkanals, der noch in den kaudalsten Partien der Ob- 
longata zu konstatieren ist, macht eine andere Wahl unmöglich — 
dann ergibt sich (Fig. 1), dass die motorische Sphäre der 
Oblongata fast zwei Drittel des Querschnittes für sich beansprucht, 
während der Rest auf die sensible Sphäre entfällt. Würde ein 
Zentralkanal vorhanden sein, so müsste sich das Verhältnis noch 


!) Ich werde in der folgenden Darstellung ausschliesslich die morpho- 
logisch allein zulässigen Bezeichnungen ventral, dorsal, kapital, kaudal ge- 
brauchen. Die Ausdrücke vorn, hinten, oben. unten haben nur Sinn für die 
Oblongata des Menschen, sind aber sinnlos bei ihrer Anwendung auf die 
anderen Säugetiere. : 


Das Zentralnervensystem der Oetaceen. 155 


mehr zu ungunsten der Sensibilität ändern. Also auch in den 
Anfangsteilen der Oblongata ist, wie im ganzen Rückenmark, ein 
sehr bedeutendes Überwiegen des motorischen Markes vorhanden. 

In derselben Gegend sieht man ferner, — und auch damit 
wiederholen sich die Erscheinungen, die ich vom Rückenmark 
der Cetaceen beschrieben — dass von der dorsalen Kommissur 
ein keilförmiger Fortsatz grauer Substanz in der Medianlinie in 
dorsaler Richtung abgeht (Fig. 1). Anfänglich klein wird er, je 
weiter man in die Oblongata kapitalwärts eindringt, schnell grösser 
und reicht sehr bald bis an den Rand des Markes. Er entspringt 
mit breiter Basis, endet spitz und stellt eine direkte Fortsetzung 
der grauen Substanz dar, in welcher zahlreiche kleine Ganglien- 
zellen enthalten sind. Ihm gesellen sich, wiederum etwas weiter 
kapitalwärts, zwei kleinere, anfänglich rein gliöse, dann aber 
Ganglienzellenhaltige Fortsätze hinzu, jederseits der Medianlinie 
einer. Diese lateralen Zapfen grauer Substanz sind bald umfang- 
reich, bald weniger umfangreich, verschmelzen an einer Stelle 
mit dem medianen Zapfen, während sie an anderer Stelle zu 
schwinden scheinen. Kurz, sie zeigen ein sehr unregelmässiges 
Verhalten. Allmählich wird der mediane graue Zapfen immer 
breiter, teils durch Anlagerung von Teilen der lateralen Zapfen, 
teils auch, weil die ganze graue Kommissur in der Mittellinie 
sich immer weiter dorsalwärts vorschiebt, dies offenbar unter 
Zunahme ihrer Substanz (Fig. 2). So bildet der mediane Zapfen 
schliesslich einen unregelmässigen vielzackigen Keil, der sich 
zwischen die beiden dorsalen Stränge eindrängt. Diese Erscheinung 
prägt sich auch in der äusseren Form des Markes aus. Während 
der dorsoventrale Durchmesser des Organs unverändert bleibt, 
nimmt der transversale nicht unbeträchtlich zu und die Zunahme 
ist bedingt, wie aus dem Gesagten hervorgeht, durch eine Ver- 
mehrung der grauen Substanz. Der genannte graue Keil bietet 
auch noch aus einem anderen Grunde ein grosses Interesse dar. 
Aus ihm wird mit der Eröffnung des IV. Ventrikels das zentrale 
Höhlengrau. Das ist aber eine Tatsache, durch welche sich, wie 
wir noch sehen werden, die Cetaceen nicht unerheblich von den 
anderen Säugern unterscheiden. Ob es berechtigt oder gar not- 
wendig ist, diese graue Substanz als „Schwanzkern“ oder als 
„Nucleus accessorius medianus“ zu benennen, bleibe dahingestellt. 
Ich habe die Bezeichnung darum nicht angenommen, weil das 


186 Bernhard Rawitz: 


zentrale Höhlengrau unter wiederholtem Formen- und Funktions- 
wechsel verschiedenen Nerven zum Ursprung dient, die Bezeich- 
nung Kern aber auf eine physiologische Einheit gehen soll, von 
diesem sogenannten Schwanzkern das letztere jedoch nicht aus- 
gesagt werden kann. 

Es wurde schon erwähnt, dass die keilförmige graue Masse, 
die gewissermaßen die dorsale Fissur vertritt, sich zwischen die 
dorsalen, genauer zwischen die Gollschen Stränge eindrängt. 
Dadurch werden diese und die Burdachschen Stränge verlagert. 
Während ihre Richtung ursprünglich genau dorsoventral ist, liegen 
sie nach voller Ausbildung des grauen Keils in der transversalen 
Achse (Fig. 3). Und es liegt dabei der Gollsche Strang auf 
dem Burdachschen auf, welch letzterer also lateral und ventral 
verdrängt ist. Die Gollschen Stränge haben Keilform, die 
Spitze ist nach lateral, die konvexe Basis nach medial gekehrt. 
Die Burdachschen Stränge haben im Schnitt die Form eines 
Rechtecks angenommen, dessen laterale und mediale Seiten schmal 
und abgerundet sind. Die Gollschen Stränge zeigen bereits 
eine Aushöhlung oder Rarefizierung ihrer Masse durch den in ihnen 
sich ausbreitenden kleinzelligen Kern (Fig. 3), die Burdachschen 
Stränge werden vom Mark aus rarefiziert, indem an ihrer medi- 
alen Fläche allmählich graue Masse in sie eindringt. 

Mit dieser Verlagerung der beiden Stränge geht natürlich 
pari passu die Verlagerung der dorsalen Säulen (Fig. 3). Ur- 
sprünglich, d.h. an der Grenze von Medulla spinalis und oblongata, 
rein dorsal gelegen, sind sie mit dem sie aussen umgebenden Rest 
des dorsalen Stranges jetzt so weit nach ventral verlagert, dass 
sie die Mitte des lateralen Umfanges des Markes einnehmen. Durch 
die allmählich vom Seitenstrang ausgehende Bildung des Retikulum 
werden sie ausserdem fast hermetisch gegen jenen grauen Keil, das 
zentrale Grau, und gegen die ventralen Säulen abgeschlossen. 
Die letzteren sind verkleinert. Das rührt daher, dass ein Teil von 
ihnen, und zwar der mehr nach der Mitte des Organs hin gelegene, 
welcher zahlreiche grosse Ganglienzellen enthält, durch die Ent- 
wicklung des eben erwähnten Retikulum zum zentralen Grau hin- 
gedrängt wurde, mit dem er sich aber nicht vereinigt. Dieser 
Teil der ventralen Säulen, welcher ganz isoliert liegt, ist der 
Kern des Hypoglossus. Der ventralste Abschnitt der Säulen hat 
kreisrunde Form, er verschwindet nach und nach, weil an der 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 157 


Retikulumbildung sich nunmehr auch die ventralen Stränge be- 
teiligen und dadurch den Säulenrest völlig verdrängen. Die la- 
teralen Säulen sind als distinkte Bildungen nicht mehr erkennbar, 
weil ihr Platz vom Retikulum eingenommen wird. 

Während an der Grenze zwischen Oblongata und Rückenmark, 
welche durch das Auftreten des oben ausführlich beschriebenen 
medianen grauen Keils charakterisiert ist, noch nichts von einer 
Pyramidenkreuzung zu sehen war, tritt diese nunmehr deutlicher 
hervor (Fig. 3). Und zwar beginnt sie ein wenig später, als der 
Kern in den Gollschen Strängen erscheint. Sie stellt sich als ein 
genau median zwischen den inneren Abschnitten der ventralen 
Stränge gelegenes, sehr schmales Band dar, welches seine Fasern 
wesentlich von den Gollschen und Burdachschen Strängen 
erhält. Die Fasern des Seitenstranges sind zunächst nur in ge- 
ringem Maße, die des ventralen garnicht an der Kreuzung be- 
teiligt. Die gekreuzten Fasern schlagen sich am Markkontur auf 
den ventralen Strang über, auf welchem sie als eine zarte Kalotte 
schräg geschnittener Fasern zu erkennen sind. In dieser ganzen 
Anfangspartie der Oblongata und auch weiter kapitalwärts bis zu 
der Stelle, wo die erste Andeutung des Ventrikels erscheint, sieht 
man nacheinander drei Nervenwurzeln austreten. Sie haben ihren 
Ursprung im zentralen Grau und gehen in einem dorsal konvexen 
Bogen in transversaler Richtung schräg durch das Mark. Ihre 
Austrittsstelle bezeichnet die Grenze zwischen lateralem Strange 
und dem Reste des dorsalen Stranges, welcher die ventrolateral 
verlagerte dorsale Säule umgibt. Es handelt sich hier um die 
ÖOblongatawurzeln des Nervus accessorius. 

Die weiteren Veränderungen in der Konfiguration des Markes 
werden durch die allmählich erfolgende Bildung des IV. Ventrikels 
herbeigeführt. Dieser Vorgang beansprucht darum ein grosses Inte- 
resse, weil bekanntlich im Rückenmark kein Zentralkanal vorhanden 
ist und weil, wie oben hervorgehoben, auch in den kaudalsten Partien 
der Oblongata jede Spur eines solchen Kanals fehlt. Die erste 
Andeutung der Ventrikelbildung wird durch das schnelle und 
starke Auseinanderweichen der Goll-Burdachschen Stränge 
gegeben. Verfolgt man dieses in einer lückenlosen Schnittserie, 
indem man die einzelnen Schnitte sehr schnell unter dem Mikroskop 
aufeinander folgen lässt, so gewinnt man den Eindruck, als ob die 
genannten Strangpaare mit Gewalt auseinander gespresst würden. 


155 Bernhard Rawitz: 


Es ist die sich rasch vermehrende Substanz des zentralen Grau, 
welche sich energisch in der Medianlinie nach beiden Seiten aus- 
dehnt, sich Raum verschafft und daher alles ihr hinderlich im Wege 
Stehende zur Seite drängt. Goll-Burdach weichen ganz an den 
lateraldorsalen Rand der Oblongata. Gleichzeitig mit dieser be- 
trächtlichen Volumszunahme erscheint im zentralen Grau in der 
Nähe des inneren Endes der ventralen Stränge eine unregelmässig 
konturierte Öffnung, die, weil sie in meinem Material wenigstens 
keine Epithelauskleidung besitzt, wie ein genau median gelegenes 
artifizielles Loch aussieht. Die Öffnung wird rasch grösser, wird 
oval und stellt sich mit ihrem grossen Durchmesser in die trans- 
versale Achse ein. Sie teilt das zentrale Grau in zwei Teile, einen 
kleinen dunklen, welcher ventral liegt, und einen grösseren hellen, 
dorsal von ihr gelegenen. Wir treffen später, mit einigen Modi- 
fikationen allerdings, diese Zweiteilung des zentralen Höhlengrau 
bei allen Säugetieren wieder. 

Wenn das erwähnte Loch, das als Zentralkanal zu betrachten 
ist, seine transversalovale Figur erhalten hat, dann tritt am 
dorsalen Kontur des zentralen Grau, da wo dieses also gewisser- 
massen ins Freie stösst, eine rinnenartige Finsenkung auf, die 
schnell tiefer wird und sehr bald sich mit dem sich erhebenden 
dorsalen Kontur des Zentralkanals begegnet. Dann reisst die 
graue Substanz ein und der IV. Ventrikel ist gebildet (Fig. 4). 
Letzterer entsteht also, morphologisch betrachtet, aus zwei Teilen, 
dem Zentralkanal und einer dorsalen Markspalte. Und es ist 
bezeichnend für Phocaena, dass diese ursprüngliche Bildungsweise 
des Ventrikels sich weit kapitalwärts verfolgen lässt. Denn der 
Anteil des Zentralkanals ist durch zwei tiefe laterale Buchten 
bezeichnet (Fig. 4.) 

Eine Veränderung, die mit der Ventrikelbildung verbunden 
ist, kann man an den Gollschen und Burdachschen Strängen 
beobachten. Sie sind noch mehr als früher zur Seite gedrängt 
(Fig. 4), denn der transversale Durchmesser des Markes ist be- 
sonders in seinem dorsalen Abschnitt sehr beträchtlich grösser 
geworden. Und ferner findet mit dem Auftreten des Ventrikels 
eine Volumsverringerung der beiden Strangpaare statt. Die 
Gollschen Stränge werden erstens durch ihren kleinzelligen Kern 
immer mehr rarefiziert (Fig. 4) und die Burdachschen Stränge 
werden immer tiefer vom Mark her ausgehöhlt (Fig.4). Und 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 189 


zweitens geben beide Strangpaare in grosser Masse Nerven zur 
Pyramidenkreuzung ab, zu der sie in welligem Verlaufe ziehen. 


Mit der Eröffnung des IV. Ventrikels ist ferner die Pyramiden- 
kreuzung breiter geworden, ohne allerdings im mikroskopischen 
Bilde irgendwie aufzufallen. Sie erhält ihre Fasern ausser von 
den genannten Strangpaaren jetzt auch in grösserer Menge aus 
dem Retikulum und ferner auch vom Rest der dorsalen Stränge, 
welcher halbringartig die dorsalen Säulen umgibt. Und ausserdem 
kommen, wenngleich spärlich und nur bei grösserer Aufmerksamkeit 
erkennbar, gelegentlich vom ventralen Strange Fasern zur Kreuzung; 
diese hat es noch nicht zur Bildung von Pyramiden gebracht. 


Noch andere Veränderungen machen sich mit der Eröffnung 
des Ventrikels bemerkbar. Jederseits der Medianlinie treten 
marginal in den ventralen Strängen zwei unregelmässig gestaltete 
helle, kernartige Flecken auf, die ersten Andeutungen der Oliven 
(Fig. 4). Sie werden von spärlichen Nervenfasern in transversaler 
Richtung durchzogen, welche vom Retikulum kommen und zur 
Pyramidenkreuzung ziehen. Ferner tritt marginal im Seitenstrang 
ein unregelmässiger, ziemlich grosszelliger Kern auf, der Seiten- 
strangskern (Fig. 4). Zwar sieht man medial von ihm und lateral 
von der Olivenandeutung noch einen zweiten sehr kleinen Kern- 
fleck, sodass jener als Nucleus lateralis dorsalis, dieser als N. |. 
ventralis bezeichnet werden könnte. Doch lässt das Studium der 
lückenlosen Schnittserie keinen Zweifel darüber, dass beide Kerne 
sich miteinander vereinen, sodass also nur ein einheitlicher Nucleus 
lateralis vorhanden ist. 


Die wichtigste Veränderung geht aber mit der, wie wieder- 
holt hervorgehoben, sehr stark ventrolateral gerückten dorsalen 
Säule vor sich. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die 
ursprünglich rein dorsal gelegene Säule jetzt so verlagert ist, 
dass sie die Seite der Oblongata einnimmt und dabei zum grössten 
Teil deren ventraler Hälfte angehört. Das ist eben das charak- 
teristische in den kaudalen Abschnitten der Oblongata, dass mit 
der morphologisch und physiologisch zunehmenden Komplikation 
des Organs eine völlige Verlagerung der ursprünglichen Rücken- 
marksteile statt hat. Was früher dorsal lag, rückt lateral und 
ventral, und was früher ventral sich fand, wird dorsal verlagert. 
Die weitere Schilderung wird dies bestätigen. Die ehemaligen 


190 Bernhard Rawitz: 


dorsalen Säulen nun, bei denen übrigens, nebenbei bemerkt, die 
Rolandosche Substanz kaum angedeutet vorhanden war, unter- 
liegen allmählich einem vollkommenen Funktionswechsel. Nach 
innen von ihrem Nervenbelag treten jetzt mit Eröffnung des 
Ventrikels disseminierte Querschnittsbündel auf (Fig. 4), die sehr 
bald weiter kapitalwärts sich verdichten und die aufsteigende 
Wurzel des Trigeminus darstellen. Hier haben wir deren Anfang. 
Nun gehört zur Wurzel ein Kern. Und da der aufsteigenden 
Wurzel die ursprünglich dorsale Säule anliegt, oder vielmehr, da 
die Trigeminuswurzel in der Säule entsteht und in ihr liegt, so 
muss letztere ihren Kern darstellen oder richtiger, muss sich 
allmählich zu ihrem Kern umwandeln. 

Von hier ab gehen die Veränderungen in der Medulla 
oblongata langsamer vor sich. Das wesentlichste Moment, welches 
auf die Gestalt des Organs Einfluss hat, ist die Erweiterung des 
IV. Ventrikels. Er dehnt sich lateral aus, indem sich seine Wände 
voneinander immer mehr entfernen und indem sich gleichzeitig 
die Grenze zu dem ursprünglichen Zentralkanal verwischt. Die 
den letzteren auszeichnenden lateralen Taschen verschwinden, weil 
die Wand des Ventrikels sich gewissermassen in die Länge zieht 
und dazu der Taschen bedarf. Der Boden und die Wände des 
Ventrikels werden vom zentralen Höhlengrau eingenommen (Fig. 5). 
Es zeigt, wie schon vorher erwähnt wurde, eine Zweiteilung, in- 
dem man einen dunklen und einen hellen Abschnitt unterscheiden 
kann. Jener erscheint dunkel, weil in ihm ausser grossen 
Ganglienzellen viele wirr durcheinander geworfene Nervenfasern 
sich finden. Dieser ist hell, weil er der Nervenfasern entbehrt; 
er enthält, wie der vorige Abschnitt, grosse Ganglienzellen in 
beträchtlicher Anzahl. Der dunkle Teil des Höhlengrau ist klein, 
nimmt den Boden des Ventrikels ein und gibt Fasern zum Hypo- 
elossus ab, bildet also einen Teil des Kernes dieses Nerven 
(Fig. 5). Bei den meisten der übrigen Säuger ist das dunkle 
Grau der ganze Hypoglossuskern. Das helle Grau, welches die 
Seitenwand des Ventrikels bildet, ist mehr als doppelt. so gross 
wie das dunkle Grau und stösst lateral an die @ollschen Stränge 
und die von ihnen und den Burdachschen Strängen zur Raphe 
ziehenden Fibrae arcuatae an (Fig. 5). An der Grenze zum 
Gollschen Strange setzt sich an das helle Grau jederseits ein 
Piafortsatz an, welcher dem Seitenrande des Grau mit mächtigen 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 191 


Gefässschlingen aufliegt, transversal zieht und so das Dach des 
Ventrikels herstellt. 

Durch das Auseinanderweichen der Ventrikelwände hat sich 
allmählich eine der interessantesten Verlagerungen eingestellt. 
Die medialen Partien der ventralen Stränge sind bis dicht an 
den Boden des Ventrikels gerückt. finden sich jetzt also dorsal. 
Sie sind von einer sehr dünnen Schicht des dunklen Grau bedeckt 
(Fig. 5). Lateral von ihnen, vom zentralen Grau durch die am 
meisten dorsal ziehenden sehr mächtigen Arcuatae getrennt, liegt 
jederseits ein kreisrundes Nest mächtiger Ganglienzellen: der 
aus den Resten der ventralen Säulen enstandene Hypoglossuskern. 
Von dem Kern sieht man Faserbündel abgehen, ebenso wie vom 
dunklen Grau; sie sind der Hypoglossus. Anfänglich finden sich 
nur diese Bündel, während vom intramedullaren Verlaufe des 
Nerven nichts zu sehen ist. 

Während die Verkleinerung der Gollschen und Burdach- 
schen Stränge sowohl durch die Rarefizierung seitens ihrer Kerne 
(Fig. 5) — im Innern des Burdachschen Stranges hat sich ein 
kleiner Kern gezeigt — wie durch starke Abgabe von Arcuatae 
weitere Fortschritte gemacht hat, ist die aufsteigende Wurzel 
des Trigeminus sehr viel massiver geworden. In dem ihr zu- 
gehörigen Grau, der umgewandelten dorsalen Säule, treten vier 
bis fünf durch zirkulär verlaufende Fasern kreisrund begrenzte 
kernartige Flecken auf. Das sind die einzelnen Abteilungen des 
Kerns der aufsteigenden Trigeminuswurzel, die kreisrund ange- 
ordneten Fasern entspringen von den zahlreichen mittelgrossen 
Zellen dieses Kernes und begeben sich zur Wurzel, in der sie 
in die kapitokaudale Richtung einbiegen. 

Die Pyramidenkreuzung ist beendet und an ihrer Stelle ist 
es zur Bildung einer ziemlich schmalen Raphe gekommen. In 
dieser kreuzen sich die von den Goll-Burdachschen Strängen 
und aus dem Retikulum stammenden Arcuatae. Die ersten von 
ihnen, welche dicht an dem zentralen Höhlengrau gelegen sind, 
durchqueren den Hypoglossuskern. An ihrem ventralen Ende 
verbreitert sich die Raphe und die in ihr gekreuzten Fasern 
biegen sich lateral um: dies ist die einzige Andeutung einer 
Pyramidenbildung. Nach aussen von der Umbiegungsstelle, in 
der Medianlinie, findet sich aber ein schmales, fast vierseitiges 
Gebilde, das aus feinsten Nervenfasern besteht, welche in kapito- 


192 Bernhard Rawitz: 


kaudaler Richtung verlaufen. Es erhält sich sehr weit kapitalwärts 
und könnte als eine unpaare Pyramide gedeutet werden (Fig. 5). 

Lateral von der Raphe und ihr eng angepresst, am ven- 
tralsten Abschnitte des Markes, finden sich die inzwischen grösser 
gewordenen Oliven. Es sind eiförmige Gebilde, welche ihren 
runden Pol medianwärts kehren. Sie werden von Nervenfasern 
durchquert, die vom Retikulum kommen und zur Raphe ziehen. 
Lateral von den Oliven liegt der stark verkleinerte Seiten- 
strangskern. 

Noch ein Gebilde beansprucht in dieser Region der Oblongata 
unsere Aufmerksamkeit. In der äussersten ventrolateralen Ecke 
des hellen zentralen Höhlengrau, welche durch den Kern des 
Burdachschen Stranges und das Retikulum hergestellt wird, 
findet sich ein eircumskriptes Nervenbündel, das vom übrigen 
hellen Grau durch die vom Gollschen Strange kommenden 
innersten Arcuatae getrennt wird. Bei der für meine Unter- 
suchungen gewählten Schnittrichtung (dorsoventral) besteht dies 
Bündel aus quergeschnittenen feinen Nervenfasern. Der flüchtigen 
Betrachtung könnte es als ein etwas weit dorsalwärts geschobenes 
Stück des Retikulum erscheinen, dies um so mehr, als es seinen 
Charakter und seine Lage bis weit kapitalwärts beibehält. Es 
ist, wie die Serie ergibt, dies die aufsteigende Wurzel des Glosso- 
pharyngeus (Fig. 5), der sogenannte Fasciculus solitaris der 
Autoren. Der Kern der Wurzel ist die laterale Ecke des hellen Grau. 

Das Hauptinteresse nehmen von jetzt ab die Oliven in 
Anspruch, welche allmählich das mikroskopische Bild beherrschen. 
Die ursprüngliche Eiform wird weiter kapitalwärts bohnenförmig 
(Fig. 5) und es zeigt sich, dass die konkave Fläche der Bohne, 
d.h. hier der Hilus der Olive, lateral gekehrt ist. Vom Retikulum, 
von den Gollschen und Burdachschen Strängen strömen die 
Fasern von lateral her in die Olive ein und durch sie hindurch, 
Bald erscheinen dorsal von ihnen im Reste der ventralen Stränge 
jederseits der Medianlinie zwei kleine kreisrunde, kernartige 
Flecken, von welchen der der Medianlinie benachbarte wie eine 
kleine Kappe der Olive aufsitzt, während der lateral davon 
gelegene von dem Hauptgebilde getrennt ist. Die bohnenförmige 
Einsenkung wird tiefer, die Bohnengestalt also deutlicher (Fig. 7), 
die Nervenfasern, welche in den Hilus einstrahlen, gehen bis 
zum medialen Rande der Olive und scheinen sich teils nach 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 195 


dorsal, teils nach ventral so umzuschlagen, dass sie die Olive in 
zwei Teile zerlegen (Fig. 6), einen dorsalen und einen ventralen. 
Dabei senkt sich am Hilus der dorsale Teil etwas auf den ven- 
tralen herab und so gewinnt es den Anschein, als ob das früher 
einheitliche Gebilde nunmehr aus zwei, durch weisse Substanz 
gesonderten Abschnitten bestünde. Und rechnet man den vorhin 
erwähnten lateralen hellen Fleck hinzu, so hätte man drei Oliven 
vor sich. Der mediale helle Fleck hat sich inzwischen deutlich 
mit dem dorsalen Olivenabschnitt vereinigt, auf dem er wie eine 
schwanzartige Kappe aufsitzt. 

Wer nur diese Gegend untersucht und die Entstehung des 
mikroskopischen Bildes nicht in der lückenlosen Serie verfolgt 
hat und auch weiterhin keine lückenlose Serie benutzt, der kann 
sehr leicht zu der Meinung kommen, dass tatsächlich drei Oliven 
vorhanden seien. Und die besondere Bezeichnung eines jeden 
dieser Gebilde liegt dann nahe, namentlich wenn man die in der 
ÖOblongata des Menschen beschriebenen Partien in der Phocaena- 
Oblongata glaubt wiederfinden zu müssen. Das Studium der Serie 
aber lehrt, dass eine solche Unterscheidung unzulässig ist, denn 
die Dreiteilung ist nicht der Ausdruck für das Vorhandensein 
dreier distinkter Organe, sondern sie ist der Ausdruck einer bei 
Phocaena vorhandenen inneren Spezialisierung eines einheitlichen 
Organs. Und noch dazu einer vorübergehenden Spezialisierung. 
Denn im weiteren Verfolg der Serie schwindet sie wieder voll- 
ständig. Wir haben wiederum ein einheitliches bohnenförmiges 
Organ, das seinen Hilus nach aussen kehrt und dem dorsal eine 
spitze, ziemlich langgezogene Kappe aufsitzt. Streng genommen 
ist auch die Bezeichnung „Kappe“ unzulässig, denn sie würde 
darauf hindeuten, dass der so bezeichnete Abschnitt mindestens 
morphologische, wenn auch keine physiologische Selbständigkeit 
besitzt. Und das ist falsch. Denn die dorsale Kappe der Olive 
steht in direktem Zusammenhang mit dem Hauptorgan, ist seine 
unmittelbare Forsetzung. Und auch dadurch wird das Aussehen 
der Trennung erweckt, dass die von lateral her kommenden Fasern 
nicht bloss am Hilus in die Olive eintreten, sondern vom Hilus 
aus dorsal biegen und die Kappe in grosser Menge durchquerend 
zum medialen Rande der Olive sich begeben. Hier gehen sie 
teils in die Raphe ein, teils bilden sie eine Art weissen Mantels 


der Olive, aus dem sie vom Rande her in sie eindringen. Und 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 13 


194 Bernhard Rawitz: 


auch der laterale helle Fleck, der vorhin erwähnt wurde und 
welcher mit der Nebenolive des Menschen als identisch betrachtet 
wird, ist kein gesonderter Oliventeil. Ursprünglich klein und 
kreisrund hat er sich allmählich in dorsoventraler Richtung ge- 
streckt, sodass er jetzt parallel zum grössten Olivendurchmesser 
liegt (Fig. 7). Dieser Teil ist nur scheinbar selbständig. Sehr 
viel weiter kapitalwärts, wenn der Facialiskern als kleiner heller 
Fleck eben erschienen ist (Fig. 10), noch besser, wenn dieser 
inzwischen sehr gewaltig vergrösserte Kern (Fig. 12) seinen 
Nervenstrom in dorsaler Richtung entsendet und die Bildung des 
Faecialisknie beginnt, — denn die Oliven reichen ausserordentlich 
weit kapitalwärts — dann sieht man. wie diese sogenannte dor- 
sale Nebenolive allmählich derart mit der Hauptolive verschmilzt, 
dass sie gemeinsame Nervenfasern haben. Selbständigkeit in 
morphologischer Beziehung setzt aber vollkommene Trennung 
voraus. 

Kehren wir zu dem vorhin geschilderten Bilde zurück. Im 
weiteren Verlaufe wird die sogenannte Kappe nervenfrei und zeigt 
dadurch ihre Zugehörigkeit zur Hauptolive. Und die sogenannte 
Nebenolive wird keulenförmig, der dorsal gekehrte Keulenstiel 
verkürzt sich, während der Keulenkopf mehr ventral bis beinahe 
an den Rand der Oblongata rückt. Die Olive stellt jetzt ein 
‚ mächtiges Organ dar. Die Bohnenform ist noch immer erhalten 
und der Hilus nach wie vor lateral gekehrt. Nur insofern weicht 
der Querschnitt vom Bohnenschema ab, als das ventrale Ende 
des Organs etwas aufgetrieben, das dorsale Ende leicht abgeplattet 
ist. Die weisse Masse, welche zur Olive gehört, ist besonders 
mächtig am Hilus (Fig. 7) und am dorsalen Ende, an welch 
letzterem sie an die ventralen Strangreste anstösst. Die lateralen 
Nervenmassen, welche die seitliche Partie, die angebliche dorsale 
Nebenolive, an den Hauptteil des Organs ankitten, statt sie von 
ihm zu trennen, rekrutieren sich aus Fasern, welche vom Reti- 
kulum, den Gollschen und Burdachschen Strängen kommen, 
und aus solchen, welche aus der Olive austreten. Auffallend dünn 
ist der mediale und ventrale Markmantel und ebenfalls auffällig 
spärlich und zart sind die Fasern, welche die Olive in trans- 
versaler Richtung durchsetzen. Dadurch imponiert das Organ bei 
jeder Art der Betrachtung als ein gewaltiges, scharf von seiner 
Umgebung sich abhebendes Gebilde. Und die Oliven beider Seiten 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 195 


Stellen sich als ein grosser dreieckiger Keil dar, welcher sich in 
die Oblongata einzuzwängen sucht. Auf diesem Stadium der Aus- 
bildung erhält sich die Olive bis sehr weit kapitalwärts. Sie ist 
erst, das scheint mir notwendig hinzuzufügen, als voll ausgebildet 
zu betrachten, wenn sie dieses Aussehen erreicht hat; und sie hat 
es erst erreicht, nachdem sie alle ursprünglich gesondert auf- 
tretenden Abschnitte in sich aufgenommen hat. Es ist daher 
direkt falsch, wenn von anderer Seite von einer „bereits ent- 
wickelten“ Olive gesprochen wird, noch ehe sich der IV. Ventrikel 
gebildet hat; vor dessen Auftreten ist die Olive nur angedeutet. 
Und es ist, wie ich wiederholen muss, unzulässig, von Haupt- 
olive, dorsaler und ventraler Nebenolive zu reden. Die kaudalen 
Oliven von Phocaena sind einheitliche und jederseits der Median- 
linie in der Einzahl vorkommende Organe. Und dieser Grad der 
Ausbildung ist erreicht, wenn der Boden des IV. Ventrikels eine 
fast gerade Linie geworden, wenn das zentrale Höhlengrau, in 
dem es sich ventralwärts an seinen Rändern ausdehnt, die 
Gollschen und Burdachschen ventrolateral, die aufsteigende 
Wurzel des Trigeminus ganz ventral gedrängt hat. 

Für die morphologische Betrachtungsweise, die ich in dieser 
Arbeit festhalte und für welche die reine Bahnenbeschreibung 
erst an zweiter Stelle kommt, bieten die Oliven ein ganz be- 
sonderes Interesse. So mächtig sie entwickelt sind, einen so 
breiten Raum sie einnehmen: einen mechanischen, d. h. gestalten- 
den Einfluss auf die Oblongata üben sie nicht aus. Sie ragen 
bedeutend über den ventralen Markkontur heraus, aber sie dringen 
nicht tief nach dorsal vor. Sie drängen daher nur einen kleinen 
Teil der ventralen Markpartien auseinander, sind aber sonst für 
die Umformung und Umlagerung der Teile belanglos. Ganz im 
Gegensatz zu den Oliven z. B. des Menschen, welche, ganz abge- 
sehen von ihrer höheren Entwicklung, ein sehr wichtiges mecha- 
nisches Moment in der Oblongatabildung bedeuten. 

Wenden wir uns nunmehr wieder zu den übrigen Teilen 
der Oblongata zurück. 

Es war schon erwähnt worden, dass das wesentliche Motiv 
für die Umgestaltung des verlängerten Markes die Erweiterung 
des IV. Ventrikels ist. Seine ursprünglich sehr steil abfallenden 
Ränder werden flach und zeigen eine leicht wellige Beschaffenheit. 


Das zentrale Höhlengrau ist in der Mitte des Ventrikelbodens ein 
13* 


196 Bernhard Rawitz: 


schmaler, fast rein gliöser Streifen, von welchem direkt bedeckt 
sind die total verlagerten ventralen Stränge. Seitlich von der 
Grenze der letzteren wird der gliöse Boden zu dem etwas stärkeren 
dunklen Grau, das den dorsalen Abschnitt des Hypoglossuskerns 
darstellt (Fig. 5). Und seitlich vom dunklen haben wir das sehr 
stark entwickelte helle Grau, aus welchem der Nervus vagus 
seiner Hauptmasse nach entspringt (Fig. 5). 

Der Hauptkern des Hypoglossus, der, wie man sich erinnern 
wird, aus einem abgeschnürten Teile der ventralen Säulen ent- 
standen ist, ist seit langem als Kern differenziert und hat seine 
früher beschriebene Lage behalten (Fig. 5). Jetzt erst, nachdem, 
ich wiederhole es, der Kern längst als solcher vorhanden war, 
treten die Faserzüge des Hypoglossus intramedullar auf. Sie 
ziehen fast gerade ventralwärts, winden sich lateral an den Oliven 
vorbei, erreichen aber den Rand der Oblongata noch nicht, d.h. 
mit anderen Worten: Der Nervenkern ist vorhanden, bevor der 
Nerv intramedullar sichtbar wird, der intramedullare Verlauf des 
Nerven ist zu erkennen, bevor sein Austritt aus der Oblongata 
erfolgt. 

Nicht viel später als der Hypoglossus erscheint intramedullar 
der Vagus (Fig. 5). Auch dessen Kern ist frühzeitiger zu sehen, 
denn er entspringt in seiner Hauptmasse von dem helleren Teil 
des zentralen Höhlengrau. Nur wenige Vagusfasern kommen 
auch von demjenigen dunklen Grau, das direkt an das helle 
anstösst. Während der Hypoglossus am Rande der ventralen 
Strangreste dahinzieht, strebt der Vagus am Rande des Retikulum 
seinem Austritte zu. Auch hier aber ist dieser noch nicht zu sehen, 
sondern findet sich wie der des Hypoglossus erst weiter kapital- 
wärts. Der Hypoglossus erscheint fast sofort in zwei Strängen, 
beim Vagus ist zunächst wenigstens nur ein intramedullarer 
Strang vorhanden; erst später finden sich mehrere Wurzelfaser- 
bündel. Beiden Nerven gemeinsam ist, dass sie nicht als ein- 
heitliche Gebilde das Mark durchsetzen, sondern dass sie in 
ihrem ganzen intramedullaren Verlaufe bald grössere, bald kleinere 
Unterbrechungen zeigen. Ich will damit sagen, dass z. B. der 
Hypoglossus aus seinem Kern als Strang herauskommt. Nach 
einem längeren oder kürzeren Verlaufe bricht der Nerv plötzlich 
ab, es folgt eine nervenfreie Strecke, dann folgt wieder ein 
Stück Nerv usw. Daraus geht hervor, dass sowohl beim Hypo- 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 197 


glossus als auch beim Vagus und, wie ich gleich hier bemerken 
will, beim Glossopharyngeus und Abducens der intramedullare 
Verlauf stark wellig gebogen ist. Darum kann in einer Schnitt- 
ebene nicht der ganze Nervenverlauf zu sehen sein. 

Mehr lateral als der Hypoglossus entspringt der Vagus. 
Darum ist auch sein Austritt nicht wie bei diesem am ventralen, 
sondern am lateralen Markkontur (Fig. 5). Er zieht ziemlich an 
der seitlichen Grenze des Retikulum so entlang, dass er in der 
Nähe der aufsteigenden Trigeminuswurzel nach aussen tritt. 

Während die Gollschen Stränge durch ihren Kern, der 
aus zahlreichen kleinen und grossen dicht gedrängten Zellen 
besteht, fast völlig rarefiziert sind, ist die Auflösung der 
Burdachschen Stränge weit weniger vorgeschritten (Fig. 5). 
Denn der vom Markinnern vordringende grosszellige Kern sowie 
die im Stranginnern gelegenen kleinen Kerne — ihre Zahl 
wechselt zwischen einem und vier Kernen — haben noch eine 
ziemlich kompakte Nervenmasse übrig gelassen. Zwischen dem 
Burdachschen Strange und der aufsteigenden Trigeminus- 
wurzel ist ein neuer Kern aufgetreten. Er besteht aus mittel- 
grossen und kleinen Zellen und ist entsprechend seiner intra- 
medullaren Lage in transversaler Richtung gestreckt. Es ist 
dies der Monakowsche Kern. Er zieht sich lateral ein wenig 
über die aufsteigende Trigeminuswurzel und liegt dadurch ganz 
dicht am Rande des Markes, nur von einer sehr dünnen Nerven- 
faserschicht aussen bedeckt. Gollscher und Burdachscher 
Strang geben in Massen Fibrae arcuatae ab und das gleiche ist 
der Fall vom Monakowschen Kerne aus. 

Der Seitenstrangskern hat ein verwaschenes Aussehen 
erlangt. Er imponiert nicht mehr als Kern, sondern erscheint 
nur noch als eine sehr dünne Stelle im Rande seines Stranges. 
Dafür ist an seinem medialen Ende ein kleiner kernartiger Fleck 
erschienen, und ebenso ist in der Mitte des Retikulums ein 
Kernflecken aufgetreten. Solche Kernflecken erscheinen wieder- 
holt und verschwinden sehr schnell; sie sind nicht bloss im 
Retikulum, sondern auch in den transversalen Partien der 
ventralen Strangreste zu beobachten. Ich bin nicht der Meinung, 
dass es sich hier um Kerne sensu strieto handelt, also um 
Gebilde, welche bestimmten Nerven oder Nervenzügen zum 
Ursprung dienen. Ich glaube vielmehr, dass alle diese so häufig 


195 Bernhard Rawitz: 


auftretenden, so schnell verschwindenden und zugleich so in- 
konstanten Bildungen lediglich lokale Anhäufungen von Ganglien- 
zellen des Retikulum darstellen, denen ein Kernwert nicht 
zukommt. Im Retikulum nämlich — das sei ein für allemal 
bemerkt — kommen bekanntlich zahlreiche disseminierte Ganglien- 
zellen verschiedenen Umfanges vor. Es ist durchaus nicht ver- 
wunderlich, wenn gelegentlich solche Zellen in grösserer Zahl 
beisammen liegen; ihnen dann gleich einen Kernnamen zu geben 
ist aber eben ihrer Inkonstanz und geringen Grösse wegen 
unzulässig. 

Es sei noch erwähnt, dass das bereits beschriebene vier- 
eckige Nervenbündel, welches genau in der Medianlinie liegt und 
als unpaare Pyramide gedeutet werden könnte, an Umfang 
beträchtlich zugenommen hat. 

Immer breiter legt sich der IV. Ventrikel aus, immer 
mehr strebt sein Boden zur geraden Linie und immer umfang- 
reicher werden dadurch die Verlagerungen der Markteile. In 
der Mittellinie ist der Ventrikelboden am tiefsten eingebuchtet 
und ist hier zugleich am dünnsten. Er besteht aber nun nicht 
mehr ausschliesslich aus gliöser Substanz, sondern es finden sich 
in ihm ab und zu mittlere und kleine Ganglienzellen, aus welchen 
Nervenfasern entspringen, die nach kurzem, transversalem Ver- 
laufe zum Hypoglossus gehen. Lateral hiervon kommt die leicht 
vorgewölbte dunkle Partie des zentralen Höhlengrau, d. i. der 
dorsale Abschnitt des Hypoglossus-Kernes. Und lateral von 
diesem das helle Grau (Fig. 6), das sich bis zum äussersten Rande 
der Oblongata ausgedehnt hat. In ihm finden sich, namentlich 
an der Grenze zum dunklen Grau, sehr zahlreiche und sehr 
dicht stehende grosse Ganglienzellen, von welchen der Vagus 
entspringt. Ventral vom dunklen Grau liegt der Hypoglossus- 
Kern. Bisher war er von seinem dorsalen, dem Ventrikelboden 
angehörigen Abschnitt durch die ersten, sehr zahlreichen Arcuatae 
abgeschnitten. Durch die gleich zu schildernde Verlagerung der 
Gollschen und Burdachschen Stränge, den Ursprungsstätten 
der genannten Fasern, fallen diese allmählich fort und es leitet 
sich dadurch die Verschmelzung der beiden Teile des Hypoglossus- 
Kernes ein. 

Die grosse Ausdehnung, welche das helle Höhlengrau 
gewonnen hat (Fig. 6), kann nur auf eine Zunahme seiner 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 199 


Substanz zurückgeführt werden. Diese Zunahme bedingt eine 
weitere Verlagerung der Goll-Burdachschen Stränge. Bisher 
nahmen diese den dorsalen Rand der Oblongata ein, wohin sie 
aus ihrer ursprünglich rein medianen Lage verdrängt waren. 
Nunmehr sind sie auch von hier weggedrängt und ganz ventro- 
lateral gelagert (Fig. 6). Das heisst: der Boden des IV. Ventrikels 
besteht in seiner ganzen Ausdehnung aus dem zentralen Höhlen- 
grau, welches an der Umschlagsstelle des dorsalen zum lateralen 
Markkontur nicht nur auf den letzteren übergreift, sondern sogar 
leicht nach aussen vorspringt (Fig. 6). Fast völlig ventral ist 
die aufsteigende Trigeminuswurzel mit ihrem Kern gedrückt, 
während der Rest des ursprünglichen Seitenstranges den ventralen 
Kontur der Oblongata bilden hilft. Bei der eben beschriebenen 
Verlagerung der Goll-Burdachschen Stränge sind sie auch 
aneinander verschoben worden (Fig. 6). Denn während bisher 
der Gollsche dem Burdachschen Strange dorsal auflag (Fig. 5), 
findet ersterer sich jetzt an des letzteren lateraler Fläche (Fig. 6). 
Also ursprünglich medial oder nach innen vom Burdachschen 
Strange vorkommend, liegt er jetzt lateral oder aussen von ihm: 
wahrlich eine bedeutende Wanderung, welche der Strang von der 
medianen Fissur bis zum Aussenrand der Oblongata zurück- 
gelegt hat. 

Die Rarefizierung beider Strangpaare macht jetzt, nament- 
lich was den Burdachschen Strang anlangt, schnelle Fortschritte. 
Dazu tragen verschiedene Momente bei. Einmal werden die Kerne 
im Burdachschen Strange zahlreicher und grösser und höhlen 
den Strang von innen aus. Dann ist nach wie vor die Abgabe 
von Arcuatae, die zur Raphe und zur Olive gehen, eine sehr 
beträchtliche. Vor allem aber übernimmt der Monakow sche 
Kern dieses Amt. Dieser Kern, welcher sich ventralwärts auf 
die Fasern der aufsteigenden Trigeminuswurzel gelegt hat, dringt 
nach dorsal vor, vereinigt sich schliesslich mit dem Kern des 
Gollschen Stranges und beginnt dann die Reste des Burdach- 
schen Stranges von dessen lateraler Fläche her auszuhöhlen. 
Fibrae arcuatae gibt er von nun an nicht mehr ab. 

Mit der Ausweitung des IV. Ventrikels, d. h. mit dem 
Augenblicke, wo dieser seine definitive Form erreicht hat, wo 
sein Boden eine leicht gewellte, transversal sich erstreckende 
Fläche darstellt, sind die Umänderungen und Umlagerungen 


200 jernhard Rawitz: 


beendet. Und als Resultat können wir verzeichnen: was ventral 
lag, ist ganz dorsal gerückt, nämlich die medianen Partien der 
ventralen Stränge. Was dorsal lag, wie die dorsalen Säulen, die 
einen tiefgreifenden Funktionswechsel erfahren haben und zu den 
Kernen der aufsteigenden Trigeminuswurzel geworden sind, ist 
ventral gewandert. Was mediodorsal sich fand, die Gollschen 
Stränge, ist ventrolateral gelagert; und was lateral von diesen 
gelegen war (Burdachsche Stränge), hat medial von ihnen 
Platz gefunden. 

Die Veränderungen, die jetzt im verlängerten Mark auf- 
treten, sind viel einfacherer Natur. Sie bestehen teils im Auf- 
treten neuer grauer Substanz mit den davon entspringenden 
Nerven, teils im Aufbrauchen der vorhandenen, noch aus gem 
Rückenmark überkommenen Teile, teils endlich in den sich nun- 
mehr einstellenden Beziehungen zum Kleinhirn. Was die letzteren 
anlangt, so sei hier nur hervorgehoben, dass bisher von einer 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn nicht das geringste zu sehen war. 

Der Hypoglossus zeigt sein bereits geschildertes Verhalten. 
Nachzutragen ist, dass seine aus dem Mark austretenden Wurzel- 
fasern, nachdem bereits der intramedullare Verlauf des Nerven 
voll entwickelt war, sich endlich ebenfalls im mikroskopischen 
Bilde zeigten. Und es ist hervorzuheben, dass diese austretenden 
Fasern schon geschwunden sind, wenn immer noch intramedullare 
Bündel und der Kern vorhanden sind. Die Zahl der intra- 
medullaren Bündel wechselt; bald ist nur eines, bald sind vier 
und mehr vorhanden. 

Die Vagusfasern sind ebenfalls intramedullar längst zu er- 
kennen, ehe der Austritt des Nerven aus dem Marke erfolgt. 
Und auch hier ist zu konstatieren, dass die austretenden Wurzel- 
fasern längst geschwunden sind, wenn noch immer der Kern und 
die intramedullaren Faserbündel sich finden. Freilich ist auf 
diesem Stadium der Oblongataausbildung, welches durch das Auf- 
treten eines neuen Kernes charakterisiert wird, von dem Schwinden 
der extramedullaren Wurzeln der genannten beiden Nerven noch 
nichts zu beobachten. 

Was in dieser Gegend der Öblongata, d. h. nach völliger 
Geradlegung des Ventrikelbodens (Fig. 8), als charakteristisches 
Novum hinzukommt, ist ein kleiner Nervenkern. Nicht einer 
jener schnell verschwindenden. Kernflecken, denen ich weiter oben 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 201 


die Kernnatur abgesprochen, sondern ein wirklicher Kern. Klein, 
kreisrund begrenzt, aus sehr grossen Nervenzellen bestehend, 
bleibt dieser Kern von jetzt an konstant und behält auf lange 
hinaus seinen geringen Umfang. Erst in viel weiter kapitalwärts 
gelegenen Regionen wird er grösser und es zeigt sich dann, 
dass es der Kern der Facialis ist, welcher also überaus weit 
kaudalwärts reicht. Und da der Kern später sehr bedeutenden 
Umfang erlangt, so folgt daraus, dass er in seinem kaudalsten 
Abschnitte stark zugespitzt ist. Er liegt im Retikulum ziemlich 
in der Mitte zwischen dem Kerne der aufsteigenden Trigeminus- 
wurzel und den Oliven (Fig. 8), etwa in gleicher Höhe mit der 
letzteren dorsalem Ende. Ich deute, wie gesagt, diesen sehr 
kleinen Kern als den kaudalen Anfang des Facialiskerns una 
stütze mich dabei auf das Studium lückenloser Schnittserien. 
Wenn ich die von anderer Seite gemachten Angaben richtig ver- 
stehe, so wurde dieser Kern als „Nucleus ambiguus“ bezeichnet, 
was ich nicht als zutreffend anerkennen kann. 

Der Seitenstrangskern, auf welchem nur durch wenige 
Nervenfasern getrennt die aufsteigende Trigeminuswurzel aufruht, 
hat wieder sehr viel beträchtlicheren Umfang erlangt, als er in 
den vorhin beschriebenen Regionen besass.. Er ist grosszellig 
und zeigt einen eigentümlich gewundenen Verlauf, welcher kon- 
zentrisch zum Markkontur ist. In der Nachbarschaft der Tri- 
seminuswurzel ist er breit, wie keulenförmig angeschwollen; in 
der Nachbarschaft der Oliven, bis wohin er sich ausdehnt, ist er 
stark zugespitzt (Fig. 3). 

Was die Autbrauchung der vom Rückenmark überkommenen 
Teile anlangt, so ist zu bemerken, dass die Gollschen Stränge 
als solche nicht mehr vorhanden sind; nur ihr Kern ist noch da. 
Die Burdachschen Stränge sind auf ein allerdings noch immer 
ziemlich kompaktes Nervenbündel reduziert. Und damit sind 
auch ihr Kern und der Monakowsche Kern, der jetzt mit dem 
Burdachkern verschmolzen ist, an Umfang sehr viel geringer 
geworden. Die restierenden Nervenmassen werden allmählich 
alle zu Arcuatae. 

Es wurde früher die Andeutung einer unpaaren Pyramide 
erwähnt. Diese ist allmählich verschwunden und ihre Stelle wird 
von den in der schmalen Raphe gekreuzten Fasern eingenommen. 
Letztere weichen in der Medianlinie auseinander, umhüllen in 


202 Bernhard Rawitz: 


konzentrischem Verlaufe — d.h. die Fasern sind im Querschnitt 
durch das Organ längs getroffen — den ventralen Rand der 
Oliven und enden in der Nähe des Seitenstrangskernes. Nach 
aussen von diesem Faserzug liegt marginal etwas gliöse, mit 
Nervenfasern durchsetzte Substanz. 

Nunmehr beginnt, indem zunächst wenigstens die anderen 
Partien des Markes wesentlich auf der gleichen Stufe der Aus- 
bildung und Gruppierung verharren, eine Veränderung im zen- 
tralen Höhlengrau sich einzustellen. Sein medianer Abschnitt, 
der Hypoglossuskern und auch dessen intramedullare Wurzeln, 
schwinden sehr allmählich, wodurch, nebenbei bemerkt, die ven- 
tralen Strangreste noch mehr dorsal rücken. Das zentrale Höhlen- 
grau ist in seinen mediansten Partien daher sehr schmal. Das 
helle Grau ändert seinen Charakter; es wird durch Einlagerung 
feinster Fasern, die zum Vagus gehören, dunkler. Nur die 
lateralste Partie von ihm und derjenige Abschnitt, welcher der 
aufsteigenden Glossopharyngeuswurzel direkt anliegt — er wird 
von den innersten Arcuatae durchkreuzt — behalten ihre helle 
Beschaffenheit. Während, wie bemerkt, der Hypoglossus und der 
Vagus intramedullar im Schwinden begriffen sind, tritt der Glosso- 
pharyngeus jetzt auf und auch einzelne Bündel seiner aufsteigenden 
Wurzel fangen an, aus der kapitokaudalen in die dorsoventrale 
Richtung einzubiegen. 

Noch sind Vagus und Hypoglossus nicht völlig intramedullar 
verschwunden und bereits stellt sich die Verbindung der Ob- 
longata mit dem Kleinhirn her. Hierüber ist folgendes zu 
bemerken: Dorsal von der IV. Gehirnkammer hatte sich schon 
längst ein unpaarer medianer Teil des Gerebellum gezeigt. An- 
fänglich hielt er sich vom Ventrikel entfernt, sodass er dessen 
Raum nicht einengte. Allmählich ist dieser Cerebellarteil volu- 
minöser geworden, hat sich ventralwärts vergrössert und so in 
der Medianebene schliesslich den Ventrikelraum auf einen kapil- 
lären Spalt eingeengt. (Ich habe diese Verhältnisse in den hier- 
her gehörigen Figuren 9 und 10 nicht abgebildet.) Nun beginnt 
das Kleinhirn sich lateral mit der Oblongata zu vereinigen, die 
Bindearme zum Cerebellum stellen sich her und damit entstehen 
seitliche Ausbuchtungen des Ventrikels, welche im Schnitt drei- 
eckige Gestalt besitzen und sehr voluminös sind. Mit der 
beginnenden Ausbildung der. Bindearme (Corpora restiformia) hat 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 203 


eine eigenartige und sehr interessante Verlagerung stattgefunden. 
Es war oben erwähnt worden, dass die seitliche Grenze des 
IV. Ventrikels durch einen Piafortsatz hergestellt wird, welcher 
mit dem zentralen Grau verwachsen ist. Durch das Nahen der 
Bindearme, so kann man sagen, ist der Piafortsatz ventrolateral 
verlagert (Fig. 9). Er findet sich an der Aussenwand der Ob- 
longata und hängt später zwischen Hemisphäre des Cerebellum 
und Oblongata herab, wobei er seine mächtigen Gefässschlingen 
der ersteren zukehrt. 

Da, wo früher die Gollschen Stränge lagen, ist ein 
mächtiges Bündel in kapitokaudaler Richtung ziehender Nerven 
aufgetreten (Fig. 9). Es ist dies die sogenannte spinale, richtiger 
die kapitokaudale Wurzel des Acusticus. Denn als „spinale“ 
kann sie nicht gut bezeichnet werden, weil sie nicht aus der 
Medulla spinalis stammt. Der Kern dieser Wurzel dürfte in dem 
nach Auflösung des Gollschen Stranges zurückbleibenden Kern 
zu finden sein, welch letzterer also, da in dieser Gegend keine 
kernlose Stelle je vorhanden ist, einen tiefgreifenden Funktions- 
wechsel erfährt. Ich spreche hier von Funktionswechsel. Damit 
will ich sagen, dass die graue Masse, welche als Kern des Goll- 
schen Stranges bezeichnet wird, und die graue Masse, die als 
Ursprungsstätte der kapitokaudalen Acusticuswurzel zu betrachten 
ist, in direktem, nirgends unterbrochenem Zusammenhange mit- 
einander stehen. Rein morphologisch betrachtet, ohne Rücksicht 
auf die Art der zu der betreffenden grauen Masse gehörenden 
Nerven, können wir sagen, dass wir es hier mit einer einheit- 
lichen grauen Säule zu tun haben. Nur weil die von ihr ent- 
springenden Nerven an der einen Stelle ihrer Ausdehnung haupt- 
sächlich zu Fibrae arcuatae, an der anderen zu Acusticusfasern 
werden, nur in diesem Sinne kann man von einem Funktions- 
wechsel reden. 

Mit dem Nahen der Bindearme sind, wie bemerkt, keine 
besonderen Veränderungen in der inneren Konfiguration der 
Oblongata verbunden. Nur darauf wäre hinzuweisen, dass die 
angebliche Nebenolive sich jetzt mit dem ventralen Ende der 
Olive durch die weisse Substanz innig vereinigt. Ein Novum 
aber ist zu verzeichnen. Die Seitenstränge zeigen an dieser Stelle 
lateral von der aufsteigenden Trigeminuswurzel und der Gegend 
des ehemaligen Burdachschen Stranges eine leichte Auftreibung 


204 Bernhard Rawitz: 


(Fig. 9). Das ist die erste Andeutung der Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn. die bei Phocaena demnach sehr viel später auftritt als bei 
anderen Säugern. Sie ist marginal von etwas grauer Substanz 
bedeckt, welche später, d. h. weiter kapitalwärts, sich in die 
graue Substanz der Bindearme fortsetzt. 

Die Verbindung von Cerebellum und Oblongata stellt sich 
her. Die Bindearme nehmen dann allmählich an Umfang be- 
trächtlich zu und engen dadurch die Seitenbuchten des IV. Ventrikels 
etwas ein. Mit der Volumszunahme einher geht die Zunahme 
der weissen Substanz der Bindearme und in deren Mitte erscheint 
dann auf einmal ein sehr grosszelliger Kern. Es ist dies ein 
Teil des Kerns der kapitalen Acusticuswurzel, dessen anderer Teil 
bekanntlich der umgewandeite Gollkern ist. Am ventralen Rande 
der Bindearme, der Oblongata dicht anliegend oder eigentlich zu 
ihr gehörig, ist eine graue Masse aufgetreten, in welcher zahl- 
reiche zarte Nervenfasern sich finden. Diese Masse ist der aus 
kleinen und mittelgrossen Zellen bestehende Kern der kaudalen 
Acustieuswurzel. Hierdurch ist ein Verhalten bei Cetaceen gegeben, 
das sich von dem der übrigen Säuger ganz beträchtlich unter- 
scheidet. Die später zu gebende Schilderung der anderen unter- 
suchten Spezies wird dies beweisen. Bemerkenswert ist, dass 
hier noch keine Wurzelfasern von beiden Kernen abgehen. Der 
kapitale Acusticuskern ist von Faserzügen durchsetzt und von 
mächtigen Bündeln an seinen beiden Seitenrändern umgeben. 
Nach innen von ihm findet sich das nunmehr sehr dunkle, ganz 
einheitliche Höhlengrau, dessen Zellen eine beträchtliche Grösse 
besitzen. Es erstreckt sich dies Grau in schmalem Streifen weit 
ventralwärts und liegt dabei median von der aufsteigenden 
Trigeminuswurzel (Fig. 10). An die Umhüllung des kapitalen 
Acusticuskernes stösst die kapitokaudale Acusticuswurzel an, 
deren Kern sich in einzelne, zwischen den Wurzelbündeln liegende 
Zellen aufgelöst hat. Gleichzeitig mit dem Auftreten des Kernes 
in den Bindearmen ist die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn sehr viel 
stärker geworden, ihr Umfang ist mindestens doppelt so gross 
wie früher. Der zu ihr gehörige Seitenstrangskern hat sich 
etwas verschmächtigt, namentlich ist seine keulenförmige An- 
schwellung geschwunden. Auf der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
ruht zum Teil die aufsteigende Trigeminuswurzel auf. Sie sowie 
der ihr zugehörige Kern werden vom Glossopharyngeus gegen 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 205 


das Retikulum abgegrenzt (Fig. 10). Dieser eben genannte Nerv 
findet sich da, wo früher der Vagus lag, und durchsetzt in unter- 
brochenen Zügen das Mark. Man kann daher direkt sagen, dass 
der neunte Gehirnnerv durch einfaches Remplacement den zehnten 
verdrängt hat. Der Glossopharyngeus, der vom Höhlengrau kommt, 
läuft also genau auf demselben Wege intramedullar und tritt 
genau an derselben Stelle aus dem Marke aus, wie der Vagus. Der 
Facialiskern ist noch unverändert klein. Bezüglich der Olive ist zu 
bemerken, dass die sogenannte Nebenolive durch einen Haken, 
welcher sich dorsalwärts biegt und, wenn man will, eine Art von 
medialem Hilus darstellt, sich dicht an die übrige Olivenmasse 
anlegt (Fig. 10), wodurch die Einheitlichkeit des Organs, wie 
schon früher hervorgehoben, offenkundig wird. Denn die dichte 
Nervenmasse, welche zwischen der sogenannten Nebenolive und 
der Hauptolive sich findet, gehört beiden Teilen gemeinsam und 
die Fasern, welche von lateral her eintreten, sind ebenfalls ge- 
meinschaftliches Gut. Diese Fasern kommen in dichten Bündeln 
aus der Gegend der kapitokaudalen Acusticuswurzel, aus der 
Gegend der aufsteigenden Trigeminuswurzel und der Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn. Wo sie eigentlich herstammen, vermochte ich 
nicht zu eruieren. Sie treten, indem sie sich in zarte Stränge 
auflösen, in die Olive ein, enden hier oder gehen durch sie in 
transversaler Richtung hindurch bis zum äusseren Markmantel 
des Gebildes. Bei dieser Durchquerung bewirken sie eine zarte 
Linierung der Olive. Dorsal ruht der Olive eine Masse überaus 
dicht stehender Nervenfasern auf, der sogenannte Lemniscus 
medialis. Auch er wird von transversal ziehenden Fasern durch- 
quert. Diese aber gehen zu der sehr schmalen Raphe und er- 
weisen sich somit als Fibrae arcuatae. Letztere werden von jetzt 
ab sehr schwach und sehr spärlich. 

Nur geringfügig aber nicht unwichtig sind die Veränderungen, 
welche weiter kapitalwärts mit dem immer stärker werdenden 
Umfange der Bindearme sich einstellen. Sie betreffen auch fast 
ausschliesslich diese Gegend. Die zentrale weisse Substanz der 
Bindearme lockert sich allmählich, sodass der vorhin erwähnte 
Teil des Kerns der kapitalen Acustieuswurzel sich ausdehnen 
kann. Nur an der Grenze zum zentralen Höhlengrau und am 
ventralen Rande der Bindearme findet sich noch je ein kompaktes 
Bündel. Dort besteht es aus kapitokaudal ziehenden Nerven, 


206 Bernhard Rawitz: 


welche später zum Kleinhirn gehen, hier aus solchen, welche in 
die dorsoventrale Richtung einzubiegen sich anschicken. Der ventral 
von diesem Nervenbündel gelegene kaudale Acusticuskern ist nur 
wenig umfangreicher geworden, die feinen in ihm vorhandenen 
Fasern schicken sich ebenfalls zum Austritt an. An seinem 
ventralen Ende findet sich nach aussen von der Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn ein rundliches Nervenbündel, welches ganz isoliert 
liegt. Wie die Serie lehrt, vereinigt es sich später mit dem 
vorhin erwähnten Bündel und beide zusammen bilden die kaudale 
Acustieuswurzel. Diese hat also einen eigentümlich geknickten 
Verlauf. Die Fasern der eben erwähnten Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn, welche marginal nach wie vor von grauer Substanz bedeckt 
sind, fangen an, zum Kleinhirnstiel sich zu begeben, dem sie sich 
im Vergleich zu früher beträchtlich genähert haben. Zwischen 
den Fasern der Bahn hindurch ziehen konzentrisch zum Mark- 
kontur dicke Bündel, welche zunächst ein Polster für die auf- 
steigende Trigeminuswurzel bilden, dann medial von ihr pinsel- 
förmig auseinanderfahren und zum Teil in den, wie stets bisher, 
lateral gewendeten Hilus der Olive eintreten. Dieser Teil der 
Fasern stammt aus dem Kleinhirn. Der andere Teil stammt vom 
kaudalen Acusticus; er stellt also das Corpus trapezoides dar. 
Die Vereinigung von Hauptolive und sogenannter Nebenolive ist 
gerade hier besonders deutlich (Fig. 11). 

Der Glossopharyngeus ist in voller Entwicklung; er zeigt 
noch schöner als der Vagus und Hypoglossus den stückweisen 
intramedullaren Verlauf. Das heisst: nicht ein einheitlicher 
Nervenstrang zieht vom Kern durch die Oblongata bis zur Aus- 
trittsstelle, sondern, wie schon früher auseinandergesetzt wurde, in 
Bruchstücken geht der Nerv durch das Mark. Die Fasern seiner 
aufsteigenden Wurzel biegen aus der kapitokaudalen in die dorso- 
ventrale Verlaufsrichtung ein und gesellen sich denen der anderen 
Wurzel zu. 

Eine auffällige Veränderung hat sich an der aufsteigenden 
Trigeminuswurzel bemerkbar gemacht. Sie öffnet sich nämlich 
gewissermaßen, indem ventral ihre Bündel auseinanderweichen 
und so ihren Kern an den Markkontur treten lassen. Von 
letzterem ist er nur durch eine dünne Schicht der Fasern des 
Trapezoides getrennt. Diese Veränderung hält allerdings nicht 
lange an, da sich die Wurzel sehr bald wieder schliesst. 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 207 


Indem allmählich die Verbindung der Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn mit dem Bindearm völlig hergestellt wird, entsteht am 
Rande der Oblongata ein Bild von solcher Kompliziertheit, dass 
es sehr schwer ist, sich in dem Wirrwarr von Fasern verschie- 
denster Verlaufsrichtung zurecht zu finden. 

Breit legt sich die weisse Masse der Bindearme aus. Sie 
stösst innen an das zentrale Grau an, das allmählich auf weniger 
als ein Drittel seines früheren Umfanges reduziert wurde. Das 
darf nicht wundernehmen. Sein medianer Teil, der Kern des 
Glossopharyngeus, schwindet und von da ab und auch noch sehr 
weithin kapitalwärts, bis zum Auftreten des Abducens, entspringt 
kein Nerv mehr vom Höhlengrau. Aussen stösst die Masse der 
Bindearme an den kaudalen Kern des Acusticus. Im Bindearm 
ist der mächtige kapitale Kern des Acusticus noch vorhanden, 
Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist fast völlig in den Bindearm 
übergegangen. Die kaudalen und die kapitokaudalen Acusticus- 
wurzeln treten aus; die Fasern der letzteren sind in die trans- 
versale Richtung eingebogen. Das ist, wie gesagt, ein sinn- 
verwirrendes Kreuz und Quer von Fasern. Bemerkenswert ist, 
dass die Teile des Acusticus am ventralen Markkontur nach 
aussen treten, was wiederum eine Eigentümlichkeit der Oetaceen ist. 

Die Fasern der Bindearme und der mit ihnen vereinigten 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn bilden jetzt ein mächtiges, Konzen- 
trisches Nervenbündel, das von einem Teil der austretenden 
Acusticusfasern durchsetzt wird. Ihm ruht die aufsteigende 
Trigeminuswurzel auf, so dass also hier das Corpus trapezoides 
eine ziemlich beträchtliche Stärke besitzt. Mit seiner Entwick- 
lung hält das Schwinden des Seitenstrangskerns gleichen Schritt. 
Von anderen Autoren ist aus dieser Gegend eine Pyramide 
beschrieben worden. Ich muss bekennen, dass ich in meinen 
drei Serien nichts davon gesehen habe. 

Während der Glossopharyngeus intramedullar bald völlig 
schwindet und sein Kern nur noch als ein kleiner Rest im 
medialen Teil des Höhlengrau eine zeitlang persistiert, um dann 
ebenfalls zu schwinden, tritt jetzt der Facialis auf. Der wieder- 
holt erwähnte Kern wird grösser und entsendet in dorsaler 
Richtung einen Strom von überaus zahlreichen einzelnen Fasern, 
welche sich lateral vom dorsalen Ende der ventralen Stränge 
etwas verdichten. Während die Oliven kleiner werden, — es 


208 Bernhard Rawitz: 


nimmt dabei diejenige Partie an Grösse ab, welche über den 
Markrand prominierte, wogegen der intramedullare Abschnitt 
zunächst fast unverändert bleibt — vergrössert sich der Facialis- 
kern ganz ausserordentlich und verbreitert sich ebenso der von 
ihm ausgehende, dorsal gerichtete Nervenstrom. Seine dichtere, 
straffere Zusammenfassung an seinem dorsalen Ende führt sehr 
bald zur Bildung des sogenannten Knies. Wenn dieses zuerst 
auftritt (Fig. 12), hat das verlängerte Mark ein wesentlich anderes, 
man kann sagen, vereinfachteres Aussehen gewonnen. 

Was zunächst den Ventrikel anlangt (Fig. 12), so sind dessen 
früher erwähnten Seitenbuchten durch die Ausdehnung der 
medianen unpaaren Partie des Cerebellum immer enger geworden. 
Das zentrale Höhlengrau ist in der Medianlinie und seitlich da- 
von bis zur Grenze des Facialisknies fast völlig reduziert. Nur 
ein sehr schmaler, rein gliöser Streifen bildet den Boden des 
Ventrikels, sodass dorsales Ende der ventralen Strangreste und 
Knie der Facialis dem Ventrikelboden fast direkt anliegen. Seit- 
lich vom Knie ist noch dunkles, mässig zellreiches Grau vor- 
handen, das grenzlos in den grauen, medialen Rand der Binde- 
arme übergeht. Die ventralen Strangreste sind wie bisher so 
auch an dieser Stelle an ihrem dorsalen Ende leicht kolbig auf- 
getrieben und zeigen dicht unter dem gliösen Ventrikelboden 
eine Verbindung durch ein transversal von Strang zu Strang 
ziehendes Bündel. Intramedullar verschmächtigen sie sich, um 
dann in eine starke Verbreiterung, den sogenannten Lemniscus 
medialis, überzugehen, welcher dem dorsalen Ende der Oliven 
aufsitzt. Ihren Charakter als Strangreste dokumentieren diese 
Gebilde durch die ganze Öblongata dadurch, dass ihre Nerven- 
bündel grösser sind und dichter stehen, als die Nervenbündel, 
welche das Retikulum zusammensetzen. Im mikroskopischen Bilde 
ist die Unterscheidung beider nur eine optische, da zwischen 
Strangresten und Retikulum eine Grenze im strengen Wortsinne 
nicht vorhanden ist. Die Oliven sind an Umfang ganz beträcht- 
lich reduziert (Fig. 12), namentlich ist dies hinsichtlich ihrer 
ventralen Ausdehnung der Fall. Es war vorhin schon gesagt 
worden, dass diejenige Partie der Oliven, die stark über den 
Markkontur prominierte, zuerst schwindet. Tatsächlich ist die 
Reduktion dieses Organs, welches bisher das mikroskopische 
Bild beherrschte, ventral so stark geworden, dass es nur noch 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 209 


ganz wenig über den Kontur der Oblongata hinausragt. Der 
lateral gewendete Hilus ist womöglich noch deutlicher. Denn 
dem Aussenrand der angeblichen Nebenolive liegt eine dicke, 
weisse Masse auf, welche die Fasern enthält, die zur Olive 
treten und von ihr abgehen. Das allmähliche Schwinden des 
Organs macht sich auch dadurch bemerkbar, dass die zarten 
Faserzüge, die, wie aus der früheren Beschreibung ersichtlich, 
die Linierung des Organs bewirkten, hier schon fast ganz 
geschwunden sind, um weiterhin völlig zu fehlen. 

Das Hauptinteresse beansprucht bei der mikroskopischen 
Betrachtung der Facialiskern (Fig. 12). Er hat einen ganz ge- 
waltigen Umfang angenommen, ist mindestens viermal so gross 
wie früher. Dabei ist es wichtig festzustellen, dass die Aus- 
dehnung des Kernes fast ausschliesslich in der ventralen Richtung 
und viel weniger in der transversalen erfolgt ist. Denn er liegt 
jetzt dem Rande des Markes fast dicht an, von ihm nur durch 
eine dünne Schicht Trapezoidesfasern getrennt. Von dem Kerne 
gehen in breitem Strome zahllose Fasern in gerader Richtung 
dorsalwärts. Diese liegen am zentralen Höhlengrau dicht zu- 
sammengedrängt und gehen in das Facialisknie über, das zwischen 
ihnen und den ventralen Strangresten gelegen ist. Durch den 
Facialisstrom wird das Retikulum sehr eingeengt. 

Lateral vom Facialiskern und dem Anfange des Stromes 
liegt die aufsteigende Trigeminuswurzel. Ihre Fasern beginnen 
hier bereits, also noch ehe der Facialis fertig gebildet ist, zu 
einem allerdings sehr kleinen Teile in die dorsoventrale Richtung 
einzubiegen. Zwischen Facialiskern und Trigeminuswurzel sieht 
man einen Teil des Acusticusaustrittes; es ist die kapitokaudale 
Wurzel (vordere Wurzel der Autoren), welche an dieser Stelle 
das Mark verlässt. Der Kern dieser Wurzel ist kleiner geworden, 
der Kern des kaudalen Acusticus liegt an seiner alten Stelle; diese 
ist lateral von dem sehr mächtigen, aber auch sehr bald schwindenden 
Trapezoides. Der kaudale Acusticuskern, das sogenannte Tuber- 
culum acusticum, ist ungemein weit ventral verlagert, wenn man 
andere Säuger damit vergleicht. Das mechanische Moment dafür 
dürfte in dem so überaus frühzeitigen Auftreten der Bindearme, die 
sich also mit anderen Worten sehr weit kaudalwärts erstrecken, zu 
suchen sein. Sie sind übrigens in dieser Gegend so vollständig mit 


der Kleinhirnseitenstrangsbahn vereint (Fig. 12), dass eine Grenze 
Archiv f mikrosk. Anat. Bd. 73. 14 


210 Bernhard Rawitz: 


zwischen ihnen nicht mehr existiert. Das Tubereulum acusticum, 
um darauf noch einmal zurückzukommen, stellt sich im mikro- 
skopischen Bilde als ein dreieckiges Konglomerat von kleinen 
Ganglienzellen und Nervenfasern sehr verschiedener Verlaufsrichtung 
dar. Es ist sowohl mit der Oblongata als auch mit der Hemi- 
sphäre des Cerebellum verwachsen. Striae acusticae fehlen. 
Immer enger werden die Seitenbuchten des IV. Ventrikels 


und immer mehr verkleinern sich die Oliven. Wenn erstere auf - 


ein äusserst geringes Volumen reduziert und unmittelbar nachdem 
letztere auch intramedullar völlig geschwunden sind, tritt ein neues 
Gebilde in der Oblongata auf. Dies ist die kapitale Olive (obere 
Olive der Autoren) (Fig. 13). Betrachten wir das Bild etwas 
genauer, welches die Oblongata aus dieser und der benachbarten 
(regend darbietet. 

Das zentrale Grau hat sich wieder etwas vermehrt, denn 
nur auf den Resten der ventralen Stränge ist es eine dünne Platte 
geblieben. Seitlich davon und auf dem Facialisknie ist es dicker 
geworden ünd erstreckt sich etwas ventralwärts, wodurch es die 
hier noch sich findenden Fasern des Facialisstromes leicht nach 
innen gepresst hat. Die Stelle des Grau, welche medial vom 
Facialisknie gelegen ist und in welcher einige kleine Ganglien- 
zellen vorkommen, wird später zum Kern des Abducens. 

Die ventralen Strangreste sind in der Nachbarschaft des 
Ventrikels unverändert geblieben; ein wesentlich anderes 'Aus- 
sehen haben ihre ventralen Enden erlangt. Da, wo die kaudalen 
Oliven lagen, sind sie sehr breit geworden und es macht den 
Eindruck, als wenn diese Verbreiterung dadurch herbei geführt 
worden wäre, dass die sogenannten Lemnisci sich dorsoventral 
gestreckt und lateral von den Strangresten gelagert hätten (Fig. 13). 
In der Mitte dieser Verbreiterung hat sich auch die Raphe aus- 
gsedehnt. Schmal im dorsalen Markabschnitte ist sie breit im 
ventralen. Dort ausschliesslich von sich kreuzenden Fasern, den 
Fibrae arcuatae, gebildet, enthält sie hier nur wenige, sich noch 
dazu nicht kreuzende Fasern, dafür aber sehr ausgedehnte graue 
Substanz. In dieser liegen zahlreiche grosse und oft dorsoventral 
gedehnte Ganglienzellen. Seitlich von diesem grauen Raphekeil 
findet sich jederseits der Medianlinie ein undeutliches, vierseitiges, 
aus kapitokaudal gerichteten Fasern bestehendes Gebilde. Das 
dürften vielleicht die von anderer Seite erwähnten Pyramiden 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 211 
N, 


sein. Die Grenze zwischen ihnen und den ventralen Strangresten 
wird von transversal ziehenden sehr zarten Fasern gebildet, 
über deren Herkunft nachher das Nötige gesagt werden soll. 
Hier will ich nur bemerken, dass es sich dabei offenbar um die 
allerersten, d.h. am weitesten kaudal liegenden Faserzüge des 
Pons handelt. 

Lateral von dem verbreiterten Ende der ventralen Stränge 
findet sich die kapitale Olive (Fig. 13). Sie erscheint als ein 
durch zirkulär verlaufende Faserzüge scharf abgegrenztes Gebilde 
von mandelförmigem Aussehen. Die sie aussen umhüllenden Nerven- 
fasern sind sehr dicht, die im Inneren gelegenen sind lockerer 
und bilden verschieden grosse Maschen, in denen die Zellen der 
kleinen Olive lagern. Wenn man hier von einem Hilus sprechen 
darf, so findet er sich ganz wie bei der kaudalen, grossen Olive 
lateral. Es geht dies ganz unzweideutig daraus hervor, dass 
im ventralen Drittel die Nervenfasern in ziemlich starkem Zuge 
von lateral her in das Gebilde eintreten, bis an den medialen 
Rand gehen und hier sich teils in ventraler, teils in dorsaler 
Richtung umwenden. So entsteht auch hier, wie bei der grossen 
Olive, der Anschein einer Zweiteilung des Organs. Aber die 
Serie lehrt, dass auch hier der Schein trügt; die kleine Olive 
ist ein einheitliches Gebilde. Ob in sie Nervenfasern aus der 
Umgebung eintreten, ob sie solche abgibt, lässt sich hier bei 
ihrem ersten Auftreten nicht erkennen. 

Lateral von der kleinen Olive findet sich der noch immer 
sehr voluminöse Facialiskern. Der von ihm ausgehende Nerven- 
strom hat sich sehr verkürzt, er endet wie abgebrochen in geringer 
Entfernung vom Kern. Dafür ist nunmehr intramedullar der 
Facialis aufgetreten (Fig. 15). Vom Knie nämlich geht schräg 
nach aussen und ventral ein breiter Strang ab, welcher nach 
kurzem Verlaufe abbrichtt. Das ist eine sehr interessante 
Tatsache, denn sie bedeutet wiederum eine Eigentümlichkeit von 
Phocaena. Bei anderen Säugern nämlich ist die Umbiegungsstelle 
des Knies in die eigentliche Facialiswurzel viel weiter kapital- 
wärts gelagert; man hat bei diesen längst den intramedullaren 
Verlauf des Facialis verfolgen können, ehe die Umbiegungsstelle 
des Knies auftritt. 

Die aufsteigende Trigeminuswurzel zeigt einige in die dorso- 


wentrale Richtung einbiegende Fasern, bietet sonst aber nichts 
14* 


212 Bernhard Rawitz: 

besonderes dar. Der kapitale Acustieus (d.h. die Wurzel) ist 
geschwunden, während noch ein Rest des Kerns in der Nähe der 
Trigeminuswurzel zwischen dieser und den Bindearmen vorhanden 
ist. Lateral von letzteren findet sich der kaudale Acusticus 
(Fig. 13), in welchen direkt, ohne Vermittlung der Bindearme, 
Fasern aus dem Cerebellum eintreten. Dieser Kern (graue Substanz 
und Nerven) nimmt sogar in mehr kapitalwärts gelegenen Regionen 
an Umfang noch zu und reicht, nachdem der Facialis längst ge- 
schwunden ist (Fig. 14), weit in den Pons hinein. Das ist ein 
ganz exzeptionelles Verhalten, welches bei den Cetaceen zu konsta- 
tieren ist. Der kaudale Acustieus (hintere Wurzel der Autoren) 
sendet noch Fasern ab, nachdem der kapitale Nerv (vordere 
Wurzel der Autoren) längst sich erschöpft hat (Fig. 14) und 
der kaudale Acusticus überdauert den Facialis. Letzteres entspricht 
dem makroskopischen Verhalten, wo ja bekanntlich der Facialis 
intrakranial in einer Furche des Acusticus gelegen ist und von 
diesem Nerven umhüllt wird. 

Medial von dem inneren Ende des Acusticus, nach aussen 
vom Facialiskern, liegt, zwischen beide eingekeilt, ein im Schnitt 
dreieckig erscheinender Kern. Er besteht nur aus grauer Masse 
und ist dicht mit kleinen Ganglienzellen erfüllt. Welche Be- 
deutung ihm beikommt, weiss ich nicht (Fig. 15). Dieser keil- 
förmige Kern erhält sich, allerdings unter allmählicher Abnahme 
seiner Grösse, sehr weit kapitalwärts, um dann schnell spurlos. 
zu verschwinden. 

Die Bindearme beginnen ihre Beziehungen zum Kleinhirn 
zu lockern. Die von ihnen kommenden Fasern — zur Vereinfachung 
der Darstellung wähle ich diese Ausdrucksweise — nehmen einen 
doppelten Verlauf. Die aus ihrer lateralsten Partie stammenden 
gehen in dünnen Zügen ventral, bedecken aussen den Facialis- 
kern, biegen an der kleinen Olive leicht dorsalwärts und ziehen 
dann direkt transversal. Sie sind es, die vorhin erwähnt wurden; 
sie grenzen die sogenannte Pyramidenandeutung gegen die ven- 
tralen Strangreste ab und linieren den ventralsten Abschnitt der 
letzteren. Es handelt sich wie gesagt um die kaudalsten Pons- 
fasern. Die aus der mehr medialen Partie der Bindearme sich 
abzweigenden Fasern gehen in ziemlich dichten, wellig gebogenen 
Zügen direkt transversal, durchqueren dabei die aufsteigende 
Trigeminuswurzel und den Facialiskern und gehen über das dorsale 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 213 
Ende der kleinen Olive hinweg. Hier brechen sie, wenigstens 
in dieser Gegend, plötzlich ab, sodass über ihr endliches Schicksal 
noch nichts auszusagen ist. 

Nur langsam bilden sich weitere Veränderungen in der Oblon- 
gata aus, denn weithin kapitalwärts erhält sich der eben aus- 
führlich geschilderte Bau. Auch mit der kleinen Olive ereignet 
sich nichts, was über ihre Beziehungen Aufschluss geben könnte. 
Wohl sieht man, dass Nervenfasern in direktem Zuge von dorsal 
her zu ihr kommen; aber woher diese Nerven stammen, ist nicht 
zu konstatieren. Nur ihre Form und dadurch scheinbar auch 
ihre Lage ändern sich. Sie wird bedeutend voluminöser und 
wächst dabei vorwiegend in ventraler Richtung, sodass sie den 
sich allmählich verstärkenden Ponsfasern aufruht. Der intra- 
medullare Verlauf des Facialis, dessen Kern noch lange in ziem- 
lich unverminderter Grösse erhalten bleibt, reicht weiter ventral, 
ohne jedoch zum Austritt zu kommen. Es sei wiederholt hervor- 
gehoben, dass hier ein Verhalten ist, welches Phocaena von anderen 
Säugern unterscheidet. Langsam auch lockert sich die Verbindung 
der Bindearme mit dem Kleinhirn und nur allmählich geht die 
aufsteigende Trigeminuswurzel völlig in die dorsoventrale Verlaufs- 
richtung über. Als erhebliche Veränderung ist nur zu erwähnen, 
dass der Kern der Trigeminuswurzel mit der Umänderung von 
deren Verlaufsrichtung allmählich schwindet. Wenn die direkten 
Beziehungen zwischen Oblongata und Kleinhirn unterbrochen sind, 
d. h. also, wenn die Bindearme sich vom Cerebellum gelöst haben, 
erst dann haben sich die sehr allmählich vorschreitenden Ver- 
änderungen soweit bemerklich gemacht, dass ein völlig anderes 
Aussehen des Organs zu konstatieren ist. 

Zunächst will ich hervorheben, dass der ventrale Mark- 
kontur eine gerade Linie geworden ist (Fig. 14). Denn trotz der 
zunehmenden Ponsbildung hat sich keine Wölbung an ihm erhalten 
oder herausgebildet, weil der Pons der Cetaceen an und für sich 
ein sehr flaches Gebilde ist. Im Gegensatz dazu stellt der Boden 
des Ventrikels wieder eine stark wellig gebogene Linie dar, welche 
in der Medianebene nicht unbeträchtlich vertieft ist. Hier findet 
sich ein sehr dünner Streifen von Glia; seitlich davon ist das 
inzwischen von neuem voluminös gewordene zentrale Höhlengrau 
vorhanden. Dieses bildet jetzt den Kern .des Abducens. Die 
Seitenbuchten des Ventrikels sind nur noch gering entwickelt und 


214 Bernhard Rawitz: 


es macht den Eindruck, als seien sie infolge des Druckes vor 
seiten des Kleinhirns lateral verlagert. Auffällig ist im zentralen 
Grau ein grosses Blutgefäss. Das zentrale Höhlengrau der Cetaceen 
ist in seiner ganzen bisher geschilderten Ausdehnung überaus 
gefässreich, wodurch es sich von dem gleichen Gebilde der übrigen 
Säuger bedeutend unterscheidet. Aber ein so grosses Gefäss wie 
dieses habe ich bisher nicht angetroffen. Da dessen Blutinhalt 
durch das schneidende Messer zum grössten Teile herausgehoben 
wurde, so stellt es sich fast wie ein sehr beträchtliches artifizielles- 
Loch dar. Und dabei ist anzumerken, dass dieses grosse Blut- 
gefäss nur einseitig sich findet, wie denn überhaupt die hier nicht 
weiter behandelte (und auch nicht abgebildete) Vaskularisation des- 
zentralen Höhlengrau allenthalben eine Asymmetrie in der Ver- 
teilung der Gefässe zeigt, die selbst für Cetaceen auffallend ist. 

Jederseits der Medianlinie folgen ventral vom Höhlengrau 
die Reste der ventralen Stränge, über die nichts Neues zu be- 
richten ist. Sie sind von einander durch die schmale Raphe 
getrennt, deren verbreitertes Ende durch die später zu schildern- 
den Massen des Pons ausgefüllt ist. Das lateral von den ge- 
nannten Strängen dicht am Höhlengrau gelegene Facialisknie ist 
geschwunden und ebenso derjenige Teil des intramedullaren 
Facialis, welcher mit dem Knie in unmittelbarer Verbindung ist. 
Man sieht von diesem Nerven nur zwei kurze Bruchstücke (Fig. 14) 
intramedullar, welche in der Nähe des Seitenrandes der eigent- 
lichen Oblongata, d. h. unter Abrechnung der Bindearmreste, sich 
finden. Der Facialiskern ist noch nicht geschwunden, sondern 
sehr stark lateral gedrängt (Fig. 14). 

An der Stelle, wo das Facialisknie gelegen, bis zum Binde- 
armreste hin trifft man auf breite, schnell abbrechende Nerven- 
faserzüge, welche schräg dorsoventral ziehen. Ihre Richtung ist 
dabei eine derartige, dass sie, wenn man sie sich bis zum Rande 
verlängert denkt, lateral vom Facialis liegen würden. Darum 
kann es sich hier nicht um Facialisfasern handeln, sondern ich 
glaube, wofür auch die Serie spricht, dass wir es hier bereits mit 
Trigeminusfasern zu tun haben. Da ich diesen letzteren Nerv 
nicht mehr in den Bereich meiner Untersuchungen gezogen, So 
bin ich auch nicht imstande, meine Vermutung in eine positive 
Behauptung umzuwandeln. Ventral von den eben erwähnten 
Faserzügen trifft man einen mässig grossen, aus sehr grossem 


0 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 215 


Zellen bestehenden Kern (in Fig. 14 nicht abgebildet). Da auch 
er keine Beziehungen zum Facialis unterhalten kann, so ist er 
vielleicht ein Trigeminuskern. 

Zwischen dem Jateral gedrängten Facialiskern und dem 
sogenannten Lemniscus liegt die kapitale (kleine) Olive (Fig. 14). 
Sie hat sich inzwischen ganz beträchtlich vergrössert und zeigt 
dank dem merkwürdigen Verlauf der in ihr eingeschlossenen 
Fasern eine innere Zweiteilung. Dass das Organ dennoch ein- 
heitlich ist, wird durch den gemeinsamen Nervenmantel bewiesen. 
Die Differenzen zwischen kaudaler und kapitaler Olive sind zwar 
bekannt, sie sollen jedoch, der Vollständigkeit halber, hier noch- 
mals hervorgehoben werden. Das helle Grau der kaudalen wird 
bei der kapitalen Olive durch ein sehr dunkles Grau ersetzt. 
An Stelle der grossen Ganglienzellen bei jener finden sich hier 
bei dieser sehr kleine Zellen. Und während bei der kaudalen 
Olive die Beziehungen zur Nachbarschaft unschwer zu erkennen 
sind, ist dies bei der kapitalen Olive in dieser Oblongataregion 
kaum möglich. Bald macht es den Eindruck, als ob die Fasern 
zur Olive von dorsal her, bald als ob sie von lateral her, bald 
als ob sie von dem sich bildenden Pons von ventral her in das 
Organ einströmten. Oft auch sind gleichzeitig Faserzüge von 
allen drei Seiten vorhanden, und dies wird sich wohl in Wirk- 
lichkeit so verhalten. Nur darin gleichen sich beide Oliven, dass 
ihr Hilus niemals medial gekehrt ist. Medial von der kleinen 
Olive, zwischen ihr und den ventralen Strangresten, treten die 
ersten schwachen und natürlich unterbrochenen intramedullaren 
Züge des Abducens auf. 

Die wichtigsten Umbildungen werden durch die immer 
deutlicher werdende Ponsbildung und durch die Trennung der 
Bindearme vom Cerebellum, d. h. durch deren Schwinden, bewirkt. 
Was die letzteren anlangt, so sind in ihnen Gebilde aufgetreten, 
die weiter kapitalwärts, also jenseits der Oblongata, ihre volle 
Entwicklung erlangen. Die aufsteigende Trigeminuswurzel bildet 
jetzt den ventralen Rand der Bindearme, sie ist also mehr dorso- 
lateral gewandert. Und das mechanische Moment dafür scheint 
in der zunehmenden Ponsentwicklung zu suchen zu sein. Indem 
ihre Fasern nun sämtlich in die dorsoventrale Richtung einge- 
bogen sind und damit sich zum Austritt aus der Oblongata an- 
schicken, ist gleichzeitig ihr Kern geschwunden (Fig. 14). Zu 


216 Bernhard Rawitz: 


den Fasern der genannten Wurzel kommt vom dorsalen Rande 
des Bindearmrestes ein fast drehrunder Strang, welcher sich aus 
einem dicht am Rande gelegenen Faserkomplex loslöst, der eine 
mächtige, im Schnitt quer getroffene Nervenmasse ist (Fig. 14). 

Es wurde früher hervorgehoben, dass dorsal von der kleinen 
Olive, dieser aufruhend, transversal ziehende Nervenfasern vor- 
handen sind, deren endliches Schicksal nicht festgestellt werden 
konnte. Von diesen Faserzügen sieht man nur noch kümmerliche 
Reste, deren Beziehungen nach medianwärts jetzt erst recht sich 
nicht feststellen lassen. 

Ganz ausserordentlich vermehrt sind die kaudalen Faser- 
züge des Pons; ihnen ruhen Facialiskern und kleine Olive auf. 
Sie weichen in der Nähe der Medianlinie, etwa von der Mitte 
der Olive ab, auseinander. So bilden sie ein lockeres Geflecht, 
das sich mit dem der Gegenseite in dem verbreiterten Abschnitte 
der Raphe trifft. Hier ist eine keilfürmige Nervenmasse vor- 
handen, welche aus wirr durcheinander geworfenen, sich kreuzenden 
Fasern besteht. Zwischen den auseinander weichenden und eben- 
falls zwischen den sich kreuzenden Fasern sind zahlreiche grosse 
Ganglienzellen aufgetreten. Ventral von diesen Ponsanfängen 
trifft man die weiter oben erwähnten pyramidenähnlichen Bildungen. 

Weiter kapitalwärts schwinden Facialiskern und Facialis sehr 
bald, der Abducens tritt mit seinem längst vorhandenen Kern in 
‘Verbindung. Die aufsteigende Trigeminuswurzel ist geschwunden, 
die kleine Olive ist noch sichtbar, obwohl sie an Umfang etwas 
abgenommen hat. Mächtig entwickelt sind die Ponsfasern und 
in breiten Zügen legt sich der Trigeminus aus. Obwohl also 
der Abducens noch voll ausgebildet zu sehen ist, so haben wir 
doch hiermit eine Gegend erreicht, welche nicht mehr zur Medulla 
oblongata zu rechnen ist; daher sei hier die Darstellung der 
Untersuchungsergebnisse beendet. 


b) Balaenoptera rostrata Fabr. 


Hinsichtlich dieser Spezies kann ich mich sehr kurz fassen, 
denn es hat sich ergeben, dass bei den Mysticeten der Bau der 
Oblongata keine wesentlichen Differenzen zeigt gegenüber den 
Odontoceten. Durch Hervorheben der nebensächlichen Unter- 
schiede würde ich aber diese Arbeit unnötig mit Quisquilien 
belasten. Eine Auffälligkeit bot allerdings der Bartenwal dar. 


—I 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 21 


Natürlich sind alle Verhältnisse, soweit die Nervenfasern in 
Betracht kommen, massiger als bei Phocaena, was mit der 
sehr viel bedeutenderen Grösse des Tieres zusammenhängt. 
Aber — und das ist eine sehr interessante Tatsache — die Zahl 
der Ganglienzellen und deren Grösse steht in gar keinem Ver- 
hältnis zur Mächtigkeit der Nerven. Man kann direkt sagen: 
berücksichtigt man die Masse der Nervensubstanz, die Mächtigkeit 
der Nervenbahnen, dann ist die Zahl und die Grösse der Ganglien- 
zellen, von welchen die Bahnen ausgehen bezw. von denen sie ihre 
Impulse empfangen, bei Mysticeten absolut klein, unverhältnis- 
mässig viel kleiner als bei einem an Grösse bedeutend nach- 
stehenden anderen Säugetiere. 

Nur zwei, wenn auch nicht prinzipielle so doch interessante 
Unterschiede walten zwischen Balaenoptera rostrata und Phocaena 
communis ob. War bei der letzteren Spezies der Facialis, was 
hier nachzutragen ist, relativ schwach, viel schwächer als bei 
anderen kleineren Säugern, so ist er hier bei Balaenoptera rostrata 
relativ noch schwächer als bei Phocaena. Und ferner: die Bildung 
des Pons setzt viel stürmischer ein als beim Zahnwal. D. h., gleich 
nach dem Auftreten seiner kaudalsten, noch intramedullar gelegenen 
Fasern nimmt der Pons eine so schnelle Entwicklung, dass er 
auf dem Stadium, welches zuletzt von Phocaena geschildert wurde, 
bereits das mikroskopische Bild völlig beherrscht. Damit geht 
sekundär einher eine schnelle Grössenabnahme der kapitalen Olive. 


c) Über einige der bisherigen Arbeiten über Cetaceen. 


Von den in der Literatur vorhandenen Arbeiten, welche 
auf die Medulla oblongata eingehen, muss an erster Stelle die 
Arbeit der Herren Hatschek und Schlesinger') erwähnt 
werden. Denn diese Forscher haben eine Spezies untersucht, 
Delphinus delphis L., welche der Phocaena communis sehr 
nahe steht. 

Vergleicht man unsere beiderseitigen Schilderungen, so kann 
es nicht entgehen, dass wir in vielen Punkten voneinander ab- 
weichen. Auf einige von ihnen habe ich bereits in der Schilderung 


', Hatschek und Schlesinger: Der Hirnstamm des Delphins 
(Delphinus delphis L.). In: Arbeiten aus dem neurologischen Institute 
(Institut für Anatomie und Physiologie des Zentralnervensystems) an der 
Wiener Universität. IX. Heft, Wien 1902. 


218 Bernhard Rawitz: 


meiner Ergebnisse hingewiesen. Auf alle differenten Beobachtungen 
aber einzugehen, halte ich aus denselben Gründen für unnötig, 
die mich auch veranlassten, von einer ausführlichen Schilderung 
der Bartenwal-Oblongata Abstand zu nehmen. Zudem ist es 
nicht allzu verwunderlich, dass nahe verwandte Cetaceenspezies 
im feineren Bau einzelner Organe abweichen, wissen wir doch, 
hauptsächlich durch die Arbeiten des trefflichen norwegischen 
Zoologen Sars, dass sogar die Teile des Skeletts in breiter 
Amplitude variieren. Nur auf zwei Ditferenzpunkte glaube ich 
ausdrücklich hinweisen zu müssen. 

Die genannten Autoren bilden auf Seite 38 in Fig. 11 1.c. eine 
Gegend der Oblongata ab, in welcher sie eine tief im Innern 
gelegene Stelle als Deitersschen Kern bezeichnen. Max 
Schultze hat in der Vorrede, mit welcher er die von ihm veran- 
staltete Herausgabe der Untersuchungen des leider so früh ver- 
storbenen Deiters begleitete, den Vorschlag gemacht, den von 
letzterem im Seitenstrang entdeckten Kern als „Deitersschen 
Kern“ zu bezeichnen. Das von den Herren Hatschek und 
Schlesinger in jener Gegend mit diesem Namen belegte 
Gebilde entspricht aber der Schultzeschen Terminologie nicht. 
Denn weder liegt es im Seitenstrange, noch verlagert sich dessen 
Kern so weit nach innen. 

Der zweite wesentliche Differenzpunkt betrifft die Deutung 
der Oliven. Die Unterscheidungen, welche die Herren Hatschek 
und Schlesinger in Anlehnung an die Befunde beim Menschen 
vorgenommen haben, kann ich nicht anerkennen. Wohl gemerkt: 
es handelt sich hierbei nur um eine Differenz in der Deutung, 
da ich nicht im geringsten die wesentliche Richtigkeit der Be- 
obachtungen anzweifle. Was mich veranlasst, die Deutung der 
genannten Herren abzulehnen, ist, wie ich dies schon bei Schil- 
derung meiner Untersuchungsresultate bemerkt habe, das Ergebnis. 
des Studiums lückenloser Schnittserien. Ich kann es nicht für 
richtig halten, besondere Namen da einzuführen oder anzu- 
wenden, wo keine besonderen Teile vorliegen. Und dass letzteres 
nicht der Fall, lehrt meine Schilderung. Ich habe die kaudale 
Olive der Cetaceen nicht durch plastische Rekonstruktion ver- 
grössert dargestellt, weil bei dem beträchtlichen Umfange des 
Organs ein derartiges Verfahren mir unnütz erschien. Versucht 
man, sich die Olive nach den Schnittbildern stereometrisch vor- 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 219 


zustellen, so muss man zu der Überzeugung kommen, dass wir 
es mit einem einheitlichen Organ zu tun haben. Seine stark 
gewölbte ventrale Fläche ist glatt, hat keinerlei Einkerbungen. 
Seine dorsale, dem ÖOblongatainnern zugekehrte Fläche dagegen 
ist mannigfach zerklüftet. Und diese Zerklüftung ist am lateralen 
Rande eine so tiefgehende, reicht von ventral (aussen), so weit 
nach dorsal (innen), dass, wenn man von ersterer Fläche her das 
Organ in einzelne Ebenen zerlegt, die laterale Partie eine 
gesonderte Existenz zu führen scheint. Aber eben nur scheint, 
nicht wirklich führt; denn zu guterletzt erkennt man den Zu- 
sammenhang des lateralen Teiles mit dem übrigen Organ dennoch. 
Dass und warum ich auch ablehne, die innere Spezialisierung der 
Olive als eine Sonderung in mehrere Gebilde anzuerkennen, ist 
bereits oben ausführlich dargelegt worden. 

Die nächste zu erwähnende Arbeit ist die von auldberg'), 
welche zugleich die erste sorgfältige Beschreibung des Gehirns 
der Balaenopteriden bietet. Allerdings geht Guldberg nicht 
auf die feinere Anatomie ein, sondern beschreibt nur die äussere 
Oberfläche. Doch muss ich trotzdem auf eine kleine Differenz 
hinweisen. Er sagt vom Faeialis (l. ec. pag. 142): „Ähnlich wie 
bei Phocaena, zeigt sich dieser Nerv auch hier stark entwickelt“. 
Das ist nicht einmal ganz richtig, wie meine Darstellung lehrt, 
wenn man das Nervensystem der Üetaceen für sich allein betrachtet, 
ohne es mit dem der übrigen Säuger zu vergleichen. Bei einer 
nach mikroskopischer Untersuchung vorgenommenen Vergleichung 
kommt man aber zu einem anderen Schlusse. Esist dann vielmehr 
ganz auffällige, wie klein der Facialis der Cetaceen relativ zu dem 
der anderen Mammalia ist. Er nimmt im Innern der Oblongata 
durchaus nicht den Raum ein, wie dies zZ. B. bei Rhesus der Fall 
ist: er erscheint intramedullar vielmehr als ein Nerv, den man 
fast als in gewissem Grade rückgebildet bezeichnen kann. 

Zu meiner Freude stimmen hinsichtlich dieses eben berührten 
Punktes mit den meinigen die Angaben von Kückenthal 
und Ziehen überein?). Diese Autoren, welche an Hyperoodon 


1) G. A. Guldberg: Über das Zentralnervensystem der Bartenwale. 
In: Christiania Videnskabs-Selskabs Forhandlinger. 1885, No. 4. 

2) Kükenthal und Ziehen: Über das Zentralnervensystem der 
Üetaceen nebst Untersuchungen über die vergleichende Anatomie des Gehirns 
bei Placentaliern. In: Denkschriften der medizinisch-naturwissenschaftlichen 
Gesellschaft zu Jena. Bd. 3, Jena 1893. 


2320 Bernhard Rawitz: 


rostratus und Beluga leucas ihre Untersuchungen anstellen konnten, 
sagen, dass der Facialis relativ schwach entwickelt sei. Es ist 
hier nicht der Ort, referendo auf die höchst wertvolle Arbeit der 
genannten Forscher einzugehen. Ihre Angaben decken sich in 
allen wesentlichen Punkten mit den meinigen; und wo wir von- 
einander abweichen, dann wird dies durch die Differenz der 
untersuchten Formen bedingt. Erwähnen will ich noch, dass 
auch Kückenthal und Ziehen von einer Nebenolive sprechen. 
Da ich leider Material, wie es ihnen zu Gebote stand, nicht 
studieren konnte, so kann ich auch zu ihrer Oliveneinteilung 
nicht Stellung nehmen. Aber wiederholen muss ich, dass meines 
Erachtens bei den Balaenopteriden und den Odontoceten nur eine 
einheitliche kaudale Olive vorhanden ist. In der Ausdrucksweise 
unterscheide ich mich von den beiden Autoren. Sie sind vom 
kapitalen Ende des Hirnstammes in ihrer Schilderung kaudalwärts 
gegangen, ich habe in meiner Darstellung den umgekehrten Weg 
verfolgt. Letzteres darum, weil ich die Umwandlungen erkennen 
wollte, welche der Rückenmarksbau in der Oblongata erfährt. 
Diese Differenz in der Methodik gibt Aufschluss über die Differenz 
in der Bezeichnung. 


2. Marsupialia. 
a) Didelphys marsupialis Shaw. 


In den kapitalsten Teilen des Halsmarkes fällt zunächst das 
Fehlen des Zentralkanals auf. Ob dies eine zufällige Erscheinung 
bei dem einzigen mir zur Verfügung stehenden Exemplar war, 
oder ob den Marsupialiern ebenso wie den Cetaceen ein Zentral- 
kanal im ganzen Rückenmark fehlt, kann ich natürlich nicht sagen. 
Die dorsalen Säulen, welche der Rolandoschen Substanz entbehren, 
sind sehr breit und ein Gleiches ist bei den ventralen Säulen der 
Fall. Die lateralen Säulen dagegen sind so schwach ausgebildet, 
dass sie kaum als leichte Vorsprünge gegen die Seitenstränge sich 
bemerkbar machen. Auffällig ist die gerade Lage der beiden 
Säulenpaare. Sie sind nicht mit ihrem längsten Durchmesser 
nach den Seiten gespreizt, sondern sie sind parallel zur Median- 
linie orientiert. Während der Sulcus ventralis sehr breit ist, kann 
man eine dorsale Fissur nicht unterscheiden. Eine Differenzierung 
von Gollschen und Burdachschen Strängen ist im mikro- 
skopischen Bilde nicht vorzunehmen, so eng liegen erstere den 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 227 


letzteren an, so einheitlich erscheint die weisse Masse der dor- 
salen Stränge. Vom Seitenstrang geht die Bildung des Retikulum 
vor sich. Dies geschieht in der Art, dass sich Nervenbündel von 
den Seitensträngen loslösen, in transversaler Richtung gegen das 
innere Ende der vereinigten Goll-Burdachschen Stränge sich 
vorschieben und so die dorsale Säule von dem übrigen Grau abzu- 
schliessen beginnen. 

Der Übergang des Halsmarkes zur Oblongata macht sich 
dadurch kenntlich, dass nunmehr an normaler Stelle ein sehr 
schmaler, dorsoventral gestreckter Zentralkanal erscheint (Fig. 15). 
Und ferner beginnt die Pyramidenkreuzung, indem einige wenige 
Fasern aus den dorsalen Strängen seitlich vom Burdachschen 
Strange direkt nach ventral ziehen. An manchen Stellen gewinnt 
man den Eindruck, als ob eine dorsale weisse Kommissur vor- 
handen sei. Man sieht nämlich Fasern vom dorsalen Strang der 
einen zu dem der anderen Seite ziehen, wobei sie auf dem inneren 
Ende von Goll-Burdach gewissermaßen reiten. An einigen 
Stellen, sage ich; das soll heissen, dass diese weisse dorsale Kom- 
missur hier wenigstens noch kein konstantes Gebilde ist. Weiter 
kapitalwärts wird die genannte Kommissur insofern konstanter, 
als sie sich auf zahlreichen Schnitten erhält. 

Während die Pyramidenkreuzung noch auf lange hinaus 
nur in der vorhin erwähnten Andeutung vorhanden ist, macht 
die Bildung des Retikulum weitere Fortschritte und dokumentiert 
sich die Trennung der Gollschen von den Burdachschen 
Strängen. Letzteres in der Weise, dass erstens zwischen beiden 
Strängen jederseits ein feiner Spalt auftritt. Und zweitens dadurch, 
dass im Gollschen Strange sein in dorsoventraler Richtung etwas 
gestreckter Kern erscheint. Die Ausdehnung des Retikulum führt 
einerseits zu einer fast völligen Abtrennung der dorsalen Säulen 
vom übrigen Grau, andererseits engt es allmählich die ventralen 
Säulen ein. 

Sehr bald aber ändert sich dies indifferente Bild. Am auf- 
fälligsten ist die ganz ausserordentliche Vergrösserung der dor- 
salen Säulen (Fig. 15). Sie dehnen sich in ventrolateraler Richtung 
derartig, dass sie jetzt mehr als den doppelten Umfang wie vorhin 
haben und an Grösse den ventralen Säulen mindestens gleich- 
kommen. Ihre Gestalt ist flügelförmig geworden und sie haben, 
wenn auch nur in schwacher Andeutung, Rolandosche Substanz 


222 Bernhard Rawitz: 


erhalten. Aus ihrem weissen Mantel ziehen zarte Faserstränge 
nach innen zur Pyramidenkreuzung. Diese, welche die Haupt- 
masse ihrer Fasern aus den Gollschen und Burdachschen 
Strängen — sie ziehen von beiden Seiten spitzwinklig konver- 
gierend ventral -— und nur wenige Fasern von den Seitensträngen 
erhält, ist deutlicher geworden. Sie erscheint als ein schmaler 
Keil sich kreuzender Nerven in der inneren medialen Portion der 
ventralen Stränge (Fig. 15). 

Die andere auffällige Veränderung macht sich an den Goll- 
schen Strängen bemerkbar. Sie sind jederseits von dem benach- 
barten Burdachschen Strange durch einen tiefen und breiten 
Spalt getrennt (Fig. 15). Dadurch, dass die Gollschen Stränge 
beider Seiten so eng aneinander liegen, dass sie einheitlich er- 
scheinen, bilden sie einen starken Keil, der zwischen die Burdach- 
schen Stränge einzudringen sich bemüht. Wie weit sie dabei 
gegen die graue Substanz reichen, lässt sich nicht erkennen, da 
ihre Enden noch immer mit der Masse der Burdachschen 
Stränge vereint sind. Der sehr kleinzellige Kern der Gollschen 
Stränge ist grösser geworden und dadurch hat ihre Rarefizierung 
ganz bedeutende Fortschritte gemacht. Das zentrale Grau, das 
spätere Höhlengrau, hat sich abgesondert bezw. ist abgetrennt 
worden. Und dies wurde dadurch bewirkt, dass die von dorsal her 
kommenden Pyramidenfasern, wie bemerkt, ventral zu einem sehr 
spitzen Winkel konvergieren. Was in diesem Faserwinkel liegt, 
dorsal begrenzt von Goll-Burdach, ventral von der Pyramiden- 
kreuzung, das ist das spätere zentrale Höhlengrau. Wie wesent- 
lich dessen Entstehungsweise von der bei Phocaena abweicht, 
braucht im einzelnen nicht hervorgehoben zu werden. In dem 
Grau findet sich der noch immer sehr enge Zentralkanal. Wenn 
ich dann noch hinzufüge, dass das Retikulum die ventralen Säulen, 
indem es sich medioventral ausdehnt, immer mehr einengt und 
dass die dorsale weisse Kommissur wiederholt auftritt und ver- 
schwindet, so ist die Charakteristik dieser Gegend der Oblongata 
gegeben. 

Die Vergrösserung der dorsalen Säulen ist weiter kapital- 
wärts noch beträchtlicher geworden als vorhin (Fig. 16); sie 
übertreffen jetzt an Umfang die vom Retikulum fast völlig einge- 
nommenen ventralen Säulen um ein vielfaches. Diese Zunahme 
der dorsalen grauen Substanz ist bisher das einzige mechanische 


DD 
DD 
0. 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 


Moment, welches die Ausbildung der Oblongata bei dieser Spezies 
beherrscht. Der transversale Durchmesser des Organs hat sich 
gegen die ersten Stadien verdoppelt und auch der dorsoventrale 
hat etwas zugenommen. Dafür aber kann nur die genannte Ver- 
grösserung die Ursache gewesen sein. Indem die dorsalen Säulen 
wuchsen, nahmen sie in der Breite zu, und indem sie dabei sich 
ventral ausdehnten, drängten sie Seiten- und ventrale Stränge 
vor sich her. Da nun diese sich nur wenig zusammenpressen 
liessen, so mussten sie ventral ausweichen und führten so die 
Vergrösserung des dorsoventralen Durchmessers der Oblongata 
herbei. Nur sekundär sind die zwischen Gollschen und Burdach- 
schen Strängen aufgetretenen Spalten hierbei beteiligt. Denn so 
weit diese auch sind, so sind sie doch nicht weit genug, um einen 
nennenswerten Einfluss auf die Veränderung der Durchmesser 
auszuüben. Und ebensowenig ist bei diesen Veränderungen die 
Pyramidenkreuzung beteiligt. So scharf sie auch gerade in dieser 
Gegend der Oblongata ausgeprägt ist (Fig. 16), so ist sie doch 
viel zu schwach, viel zu wenig massiv, um mechanisch wirken zu 
können. 

Noch eine andere interessante Tatsache ist an den dorsalen 
Säulen und dem sie aussen umhüllenden Nervenmantel zu be- 
obachten: das ist ihre scharfe Abgrenzung gegen die Seitenstränge. 
Zwischen den letzteren und den Säulen ist eine von einem Pia- 
fortsatz erfüllte Spalte aufgetreten, welche tief in das Markinnere 
hineinreicht und, das ist die Hauptsache, welche konstant ist, 
also sich weithin kapitalwärts erstreckt. Der weisse Nerven- 
mantel der dorsalen Säulen schlägt sich an dieser Spalte haken- 
förmig nach innen (Fig. 16) und reicht bis zu dem sehr entwickeiten 
Retikulum. In diesem Nervenmantel tritt marginal ein konzentrisch 
gestreckter Kern auf — in einer Ebene, die mehr kapitalwärts 
liegt, als die Fig. 16, — den ich als den Monakowschen Kern 
betrachte. DieRolandosche Substanz ist besser zu unterscheiden 
als früher. 

Die Pyramidenkreuzung ist schmal, aber sehr deutlich; die 
gekreuzten Fasern stossen im Sulcus ventralis ins Freie (Fig. 16). 
Durch die schärfere Ausprägung der Decussatio ist zugleich die 
dreieckige Form — also körperlich die Keilform — des zentralen 
Grau überaus deutlich geworden. Scharf getrennt sind jetzt auch 
(Gollscher und Burdachscher Strang (Fig. 16). Ersterer, durch 


224 Bernhard Rawitz: 


seinen in ihm gelegenen Kern stark ausgehöhlt, reicht jetzt bis 
an das zentrale Grau. Auf seinem inneren Ende reitet häufig die 
dorsale weisse Kommissur, vielfach aber auch liegt sie in einiger 
Entfernung von ihm. Der Burdachsche Strang ist ein massiges, 
unregelmässiges Gebilde; von seinem inneren Ende her beginnt 
die Substanz des zentralen Grau ihn auszuhöhlen. Die ventralen 
Säulen sind vom Retikulum erfüllt. 

Von nun ab nehmen die Veränderungen ein schnelleres Tempo 
an und sie werden hervorgerufen durch eine ausserordentliche 
Zunahme des transversalen Durchmessers. Diese wird im wesent- 
lichen herbeigeführt durch die Verbreiterung der Pyramiden- 
kreuzung, durch das Auftreten der kaudalen Oliven und des 
Seitenstrangkernes (Fig. 17). Das ganze Organ macht den Ein- 
druck, als sei es stark in die Breite gezogen und dabei doch 
etwas dicker geworden. Betrachten wir die Veränderungen im 
einzelnen. 

Die bisher keilförmigen und einheitlichen G ollschen Stränge 
(Fig. 17) sind in der Mitte auseinander gewichen, sodass von dor- 
sal her eine ziemlich breite wenn auch nicht gerade tiefe Furche 
sich zwischen sie einsenkt. Sie sind in der dorsoventralen Achse 
erheblich verkürzt, in der transversalen breiter geworden, sodass 
sie nicht mehr wie früher keilförmig, sondern rundlich aussehen. 
Auch die Burdachschen Stränge sind stark transversal gedehnt 
und erscheinen darum an Masse sehr reduziert. Ihr Kern ist 
von ventral her sehr tief in ihre mediale Partie eingedrungen. 
Gegen das zentrale Grau werden beide Strangpaare durch zarte 
weisse Fasern abgegrenzt, deren Verlaufsrichtung genau trans- 
versal ist. Dadurch erscheint die wiederholt erwähnte dorsale 
weisse Kommissur sehr ausgeprägt. Die Fasern der letzteren 
stammen von den lateralsten Partien der Burdachschen Stränge, 
sodass hier also eine Kreuzung ausserhalb der Decussatio vor- 
handen ist (Fig. 17). Diese Kommissur ruht auf dem zentralen 
Grau auf. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Masse 
des Grau die gleiche geblieben ist wie früher. Nur weil es der 
allgemeinen Dehnung gefoigt ist, erscheint es breiter. In ihm 
hat sich die Differenzierung in helles und dunkles Grau einge- 
stellt. Dieses, an Umfang das Geringere, liegt in dem von der 
Pyramidenkreuzung gebildeten Winkel, jenes nimmt die übrige 
Region des zentralen Grau- für sich in Anspruch. In beiden 


D 
IND 
(Bit 


16) 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 


Partien kommen grosse Ganglienzellen vor; das dunkle Grau ist 
der Hypoglossuskern, das helle der Vaguskern. Erinnert man sich 
der von Phocaena gegebenen Schilderung, so wird die Differenz 
in der Bildungsweise des Hypoglossuskernes klar. 

Die Pyramidenkreuzung ist breiter geworden (Fig. 17); die 
in sie eingehenden Fasern kommen vom Gollschen und Burdach- 
schen, vom Rest des dorsalen Stranges und zum kleinsten Teil 
aus dem Retikulum. Die Fasern kreuzen sich so tief ventral, 
dass ein Teil der ventralen Stränge im Kreuzungswinkel gelegen 
ist (in Fig. 17 nicht abgebildet). Nach der Kreuzung schlagen 
sich die Fasern ein wenig auf den Rand der ventralen Stränge 
über, sodass es zur Andeutung einer Pyramide kommt. Innerhalb 
der ventralen Stränge, marginal gelegen, finden sich zwei helle 
Flecken (Fig. 17): die ersten Andeutungen der kaudalen Oliven. 
Lateral von diesen ist im Seitenstrang, aber nicht ganz marginal, 
der sehr grosszellige Seitenstrangskern (Fig. 17) als ein unregel- 
mässig konturiertes umfangreiches Gebilde erschienen. Die Grenze, 
d.h. der Spalt zwischen Seitenstrang und weissem Mantel der dor- 
salen Säulen ist nicht mehr ganz so tief wie früher, aber doch 
immer noch deutlich. Der Monakowsche Kern hat sich dorsal- 
wärts in die Länge gestreckt. Die Andeutung der aufsteigenden 
Trigeminuswurzel fehlt noch, auch habe ich bisher keine Acces- 
soriusbündel sehen können. 

Jetzt erst beginnt der Zentralkanal deutlicher zu werden 
und sich schnell auszuweiten. Er kehrt dann seine Spitze ventral- 
wärts (Fig. 18), zeigt lateral kurze, spitze Buchten und ist dorsal 
gewölbt. Die grösste Veränderung hat inzwischen der dorsale 
Kontur des Markes erfahren. Die beiden Gollschen Stränge 
sind weit auseinander gewichen (Fig. 18), d. h. sind nach lateral 
gewandert und lassen einen so breiten Zwischenraum zwischen 
sich, dass hier das zentrale Grau ins Freie stösst. Es hat sich 
dadurch wiederum nach lateral hin sehr weit ausgedehnt, während 
es in der Medianlinie bedeutend verdünnt ist. Noch eine stärkere 
Dehnung und es muss zur Bildung des IV. Ventrikels einreissen; 
seine Zweiteilung ist geblieben. Das dunkle Grau, dessen dorsale 
Grenze die Seitenbucht des Zentralkanals markiert, ist dorsal 
etwas abgerundet, man sieht aus ihm Faserzüge des Hypoglossus 
austreten (Fig. 15). Das dorsal von ihm gelegene helle Grau 


entsendet noch keine Nervenwurzeln. Interessant aber ist es, dass 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 15 


226 Bernhard Rawitz: 


die dorsale weisse Kommissur, die bekanntlich anfangs inkonstant 
war, um allmählich konstant zu werden, hier in womöglich ver- 
stärkter Ausbildung vorhanden ist. Man sieht sie in breitem 
Zuge von rechts nach links ziehen und zwar im dorsalsten Teil 
des zentralen Grau, so dass sie fast an dessen freien Rand 
heranreicht. Sie besteht aus sehr zarten Fasern, die zu einem 
lockeren Bündel gruppiert sind. In der lateralen Ecke des hellen 
Grau ist die sehr kleine aufsteigende Wurzel des Glossopharyngeus 
erschienen (Fig. 13). 

Die Pyramidenkreuzung ist beendet und die Fasern, welche 
jetzt vom Gollschen und Burdachschen Strang, vom dorsalen 
Strangrest und aus dem Retikulum kommen, werden zu Arcuatae. 
Diese kreuzen sich in der schmalen Raphe. Aus der Pyramiden- 
kreuzung haben sieh zwei sehr kleine Pyramiden gebildet, welche 
als schmale Kappen an der Umbiegungsstelle des medialen zum 
ventralen Rande gelegen sind. Sie sind nicht scharf konturiert 
und ragen nicht über die Oberfläche der Oblongata hervor, sodass 
sie nur schwer unterschieden werden können. Die Oliven sind 
grösser geworden (Fig. 19); sie erscheinen aber nach wie vor 
nur als helle Flecken, da ihnen jede scharfe Konturierung mangelt. 
Das ist eine sehr bemerkenswerte Tatsache, welche für die Phy- 
logenie dieser merkwürdigen Organe von grösster Wichtigkeit ist. 
Sie werden durchquert von Fibrae arcuatae, welche zur Raphe 
ziehen. Ein Hilus ist an keiner Stelle ihres Umfanges wahr- 
nehmbar. Der Seitenstrangskern hat sich etwas marginal verlagert, 
ist aber zugleich weniger deutlich geworden. Der Monakowsche 
Kern hat nunmehr einen Teil jener weissen Fasern, welche die 
dorsale Säule aussen umgeben, abgedrängt und damit ist die auf- 
steigende Trigeminuswurzel entstanden (Fig. 18). Während der 
(rollsche Strang als solcher nicht mehr existiert, — denn man 
sieht nur noch wirr durcheinander geworfene Fasern in seinem 
Kern, welche zur Arcuatae werden — ist die Rarefikation des 
;urdachschen Stranges nur wenig vorgeschritten. Der Nervus 
hypoglossus ist intramedullar in kurzen, abgebrochenen Zügen er- 
schienen. Er findet sich in der Nähe seines Kernes und reicht 
bis an den Seitenrand der Oliven. 

Der dorsale ins Freie stossende Rand des zentralen Grau 
wird immer dünner, reisst durch und damit ist der IV. Ventrikel 
gebildet. Noch auf lange hinaus kann man, wie bei Phocaena, 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 22% 


den Anteil erkennen, welchen der Zentralkanal am Ventrikel hat: 
es sind dessen Seitenbuchten, welche die Grenze bezeichnen. Sehr 
interessant ist die Verlagerung, welche das helle Grau mit der 
Öffnung des Ventrikels erfahren hat (Fig. 19). Jetzt wird der 
Boden, soweit er vom Zentralkanal abstammt, ausschliesslich vom 
dunklen Grau (Hypoglossuskern) gebildet. Er ist median nur 
wenig vertieft und auch seitlich nur wenig gewellt. Zungenartig 
springt das helle Grau (Vaguskern) über das Dunkle vor, biegt 
sich dann dorsal um und reicht bis etwa zum ersten Drittel des 
Ventrikelrandes. Es ist also dorsal wenig ausgedehnt, reicht 
aber dafür lateral sehr weit in das Mark hinein. In seiner äussersten 
Ecke, in der Nähe des Retikulum, liegt wie üblich die aufsteigende 
Glossopharyngeuswurzel. Mit der Eröffnung des IV. Ventrikels 
verschwindet die dorsale weisse Kommissur spurlos. 

Noch auf dem dorsalen Kontur der Oblongata liegen in 
dieser Gegend Gollscher und Burdachscher Strang (Fig. 19). 
Ersterer ist, wie schon vorhin bemerkt, ganz geschwunden und 
auch sein Kern hat sich verkleinert. Letzterer ist ebenfalls bis 
auf einen dorsalen, wenig massiven Rest aufgelöst. Und zwar 
ist diese Auflösung erfolgt teils durch Aushöhlung vom Mark her, 
teils dadurch, dass im Innern des Stranges ein Kern aufgetreten 
ist, welcher sehr schnell alle Fasern bis auf ein kleines Nerven- 
massiv aufgesogen hat. Es ist also zu sagen, dass die Fasern 
des Burdachschen Stranges in die Zellen des Kernes übergehen, 
hier eine Umlagerung erfahren und nun als Arcuatae den Kern 
wieder verlassen. Und ebenso ist es mit den Fasern des Goll- 
schen Stranges. Der Monakowsche Kern, welcher nach wie 
vor konzentrisch gerichtet ist, hat sich etwas nach dorsal hin 
verlagert und reicht bis an den Burdachschen Kern heran. 
Erst etwas weiter kapitalwärts kommuniziert er mit ıhm (Fig. 19). 
Nach aussen wird der Monakowsche Kern von einer Fasermasse 
überlagert, die sich unter starker Zuspitzung bis zum Burdach- 
schen Strange hinzieht. Diese Fasermasse ist eine direkte Fort- 
setzung des Seitenstranges und stellt somit die Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn dar. Durch ihr Auftreten ist einerseits der wiederholt 
erwähnte Grenzspalt zwischen Seitenstrang und dorsaler Säule 
geschwunden und andererseits ist die jetzt beträchtlich gewachsene 
aufsteigende Trigeminuswurzel (Fig. 19) nach innen verlagert. Es 


ist interessant festzustellen, dass mit der Grössenzunahme der 
192 


228 Bernhard Rawitz: 


letzteren der ihr zugehörige Kern sich verkleinert hat. Der Seiten- 
strangskern ist ganz undeutlich, er erscheint fast geschwunden. 

Die Oliven sind unverändert geblieben (Fig. 19); sie stellen 

also helle ganglienzellenhaltige Flecken am ventromedialen Kontur 
des Organs dar, welche keinerlei scharfe Umrandung besitzen. 
Mit dieser überaus geringen Ausbildung dieses Oblongatateiles 
geht einher der absolute Mangel von sogenannten Nebenoliven. 
Die Pyramiden sind nach wie vor kleine, kaum wahrnehmbare 
(rebilde, welche an der Umbiegungsstelle des medialen zum ventralen 
Markkontur gelegen sind. Sie unterscheiden sich so wenig von 
den ventralen Strängen, dass sie nur dann erkannt werden können, 
wenn man in der Serie vorher die leichte Umbiegung der ge- 
kreuzten Fasern der Decussatio gesehen hat. 
Der Hypoglossus (Fig. 19), dessen Ursprung aus seinem Kern 
sehr deutlich zu sehen ist, hat sich intramedullar bis beinahe zu 
seinem Austritt verlängert. Er durchsetzt mit zwei bis drei 
Wurzeln einen Teil der lateralsten Partie der Oliven. Das ist 
eine interessante Differenz gegen Phocaena. Denn bei dieser 
Spezies, welche eine gut abgekapselte Olive besitzt, geht der 
Hypoglossus ich möchte sagen sorgfältig an der Olive vorbei 
und tritt lateral von ihr aus dem Mark heraus. 

Wie bei Phocaena so finden sich auch bei Didelphys im 
vetikulum ab und zu inkonstante Flecken, welche Ganglienzellen- 
anhäufungen sind und als Kerne betrachtet werden könnten. Aus 
denselben Gründen, die ich bei Schilderung der Phocaena-Oblongata. 
entwickelt, halte ich diese Flecken nicht für wirkliche, echte 
Kerne. Und ich möchte gleich hier im Voraus sagen, dass auch 
bei allen anderen noch zu :schildernden Spezies diesen Flecken 
keinerlei Kerncharakter zukommt. 

Allmählich streckt sich der Ventrikel in transversaler Richtung 
so sehr, dass es zum Verschwinden der Grenze des Anteils kommt, 
welchen an seiner Bildung der Zentralkanal hat. Aber nicht bloss 
der Ventrikel, sondern das ganze Organ streckt und dehnt sich 
so unverhältnismässig in der transversalen Achse, dass es ein 
von der Oblongata anderer Säuger sehr abweichendes Aussehen 
erhält. Bei Phocaena und, wie längst bekannt, ‚bei anderen 
Säugern ist der Querschnitt des verlängerten Markes ein runder. 
Bei Didelphys dagegen ist er das nicht, die Oblongata gleicht 
vielmehr einem flachen Viereck. Diese Dehnung bewirkt nicht. 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 229 
bloss, dass der transversale Durchmesser ein vielfacher vom dorso- 
ventralen wird, sondern sie hat auch zu Folge, dass der letztere 
ein geringeres Maß besitzt als am Anfang des Organs vor Er- 
öffnung des IV. Ventrikels. Darum sind alle Teile bei dieser 
Spezies gedehnt und gezerrt, die Verlagerung tritt primär (direkt) 
nur in der transversalen, in der dorsoventralen Richtung dagegen 
sekundär (indirekt) auf. 

Den Boden der Gehirnkammer nimmt das dunkle Grau des 
Hypoglossuskernes ein, an welches seitlich das helle Grau sich 
anschliesst. Letzteres steigt leicht gegen das Üerebellum an. 
3ei Phocaena konnte gezeigt werden, dass am Rande des hellen 
Grau ein Piafortsatz sich erhebt, der mit dem Grau innig ver- 
wachsen als die laterale Begrenzung des Ventrikels betrachtet 
wurde. Ist diese Auffassung von der Bedeutung des betreffenden 
Piafortsatzes richtig, dann ist bei Didelphys der Ventrikel viel 
enger. Denn hier sitzt der Piafortsatz (ich habe ihn nicht ab- 
gebildet) fast in unmittelbarer Nachbarschaft des dunklen Gran, 
sodass der weitaus grössere Teil des hellen Grau ausserhalb der 
pialen Ventrikelgrenze sich findet. 

(Gollscher und Burdachscher Strangkern — denn von 
den Strängen selber kann nicht mehr gesprochen werden, da auch 
der letzte Rest von Burdach mit der Ventrikelstreckung ver- 
schwunden ist — verkleinern sich, indem sie nach wie vor die 
Hauptquelle für die Fibrae arcuatae bilden. Mit dem Burdach- 
schen Kern kommuniziert jetzt in grosser Breite der Monakow- 
sche Kern. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn hat sich verlängert, 
indem sie nunmehr auf den dorsalen Rand der Oblongata sich 
leicht überschlägt. Der Seitenstrangskern ist wieder erschienen, 
aber klein geblieben, die Pyramiden sind nicht mehr zu sondern 
und die Oliven nehmen an Umfang ab. Zwischen den beiden 
Pyramidenregionen ist die Raphe stark verbreitert. 

Von den aus der Oblongata austretenden Nerven ist der 
Hypoglossus in voller Ausbildung vom Kern bis zu seinem Aus- 
tritte, der wie vorhin durch die Olive hindurch statt hat, zu ver- 
folgen. Der Vollständigkeit wegen sei hinzugefügt, dass der intra- 
medullare Verlauf des Nerven die schon bei Phocaena erwähnte 
Zusammensetzung aus Bruchstücken erkennen lässt. An manchen 
Stellen findet man zwei, an anderen drei Nervenwurzeln. Hinzu- 
gekommen ist der Vagus (Fig. 19). Seine Wurzelfasern entspringen 


230 Bernhard Rawitz: 


zum Teil vom hellen Grau, zum Teil von den lateralen Partiem 
des dunklen Grau. Die bedeutende Dehnung des ganzen Organs 
hat einen unverkennbaren Einfluss auf seine Verlaufsweise aus- 
geübt. Denn die Fasern, gleichgiltig von welchem Abschnitt des- 
Grau sie kommen, ziehen zunächst in fast rein transversaler 
Richtung. Dabei liegen sie so dicht auf dem Reticulum, dass sie 
die Grenze zwischen diesem und dem zentralen Höhlengrau dar- 
stellen. Erst an der lateralen Ecke des hellen Grau biegen sie 
nach dorsoventral um und streben nun zunächst auf die Mitte 
des Kerns der aufsteigenden Trigeminuswurzel zu. Es sei hervor- 
gehoben, dass bis hierher, also bis in die Region des Vagus, 
keine Wurzeln des Nervus accessorius zu sehen waren. Daraus- 
würde hervorgehen, wenn der einmalige Befund eine Verall- 
gemeinerung zulässt, dass bei Didelphys der Accessorius keine 
Oblongatawurzeln besitzt, also ausschliesslicher Rückenmarks- 
nerv ist. 

Es war soeben bemerkt worden, dass die Oliven an Umfang 
abnehmen. Noch innerhalb der Vagusregion schwinden diese 
Gebilde, sie besitzen also eine sehr geringe Ausdehnung. In- 
zwischen hat sich der Boden des IV. Ventrikels noch mehr ab- 
geflacht und hat dadurch einen Teil des Burdachkernes auf 
den lateralen Markkontur gedrängt. Mit dieser Abflachung hat 
sich eine eigenartige Veränderung in der Beschaffenheit des- 
zentralen Grau eingestellt. Der Durchmesser des dunklen Grau, 
von welchem jetzt ausser den Fasern des Hypoglossus auch in 
grosser Menge solche des Vagus kommen, — man kann beinahe 
von einem gemeinsamen Kerne beider Nerven sprechen — ist in 
dorsoventraler Richtung verkleinert, in transversaler vergrössert. 
Das Gleiche ist aber mit dem hellen Grau nicht der Fall. Dieses, 
von welchem ebenfalls Vagusfasern kommen, zeigt unveränderte 
Maßverhältnisse, sodass es relativ zum dunklen Grau verkleinert 
erscheint. 

Der Gollsche Kern ist aufgebraucht. An seiner Stelle 
sind einige Nervenbündel mit kapitokaudaler Verlaufsrichtung 
aufgetreten, welche offenbar die erste Andeutung der kapito- 
kaudalen (spinalen) Acusticuswurzel darstellen. Der Burdach- 
sche Kern, grosszellig und zum Teil nach lateral hin verlagert, 
ist mit dem Reste des sehr verkürzten Monakowschen Kernes 
nach wie vor verschmolzen. Und auch in ersterem sind marginal 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 251 


Faserbündel neu aufgetreten, welche mit solchen an der Stelle des 
Gollschen Stranges aufgetretenen zusammenzuhängen scheinen. 
Die aufsteigende Trigeminuswurzel ist unverändert. Eine sehr be- 
deutende Volumsvermehrung hat die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
erfahren. Sie stellt jetzt einen breiten Nervenmantel dar, der 
an der Mitte des ventralen Konturs beginnt, sich dorsalwärts 
begibt und erst an der Umbiegungsstelle des lateralen Randes 
sich etwas verjüngt. Der Seitenstrangskern ist geschwunden. 
Zwischen der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn und der aufsteigenden 
Trigeminuswurzel ist ein dünnes Bündel konzentrischer Fasern 
zu sehen, welches sich nach innen vom Trigeminus in einzelne 
Nerven auflöst. Es ist dies die erste Andeutung des Corpus 
trapezoides. Letzteres geht aus weiter kapitalwärts gelegenen 
tegionen deutlich hervor. Denn ein Teil dieser Fasern bildet 
die marginale Begrenzung des Markes und kommt, wie sich ergibt, 
aus der Gegend des Acustiecus, während ein anderer Teil als 
Fibrae arcuatae zur Raphe zieht. Mit ihrem Eintritt in deren 
verbreiterten ventralen Abschnitt sind in letzterem zahlreiche 
grosse Ganglienzellen erschienen. 

Der Monakowsche Kern verkleinert sich allmählich, 
während der Burdachsche Kern mit den in ihm enthaltenen 
disseminierten Nervenbündeln mehr medial rückt und dabei die 
an der Stelle des Gollschen Kernes aufgetretenen Nerven mit 
sich zieht. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn verdickt sich in ihrem 
dorsaleun Teil, während ihr lateraler und namentlich ihr ventraler 
Abschnitt sich verkürzen. 

Der Hypoglossus ist im Schwinden. Der Vagus ist durch 
den vom hellen Grau kommenden Glossopharyngeus ersetzt und 
die Fasern der aufsteigenden Wurzel des letzteren sind in die 
dorsoventrale Richtung eingebogen, treten also aus der Oblongata 
aus. Die erste sehr wenig umfangreiche Andeutung des Facialis- 
kerns ist zu sehen. Es ist dies ein kleiner heller Fleck, welcher 
im Retieulum in der Nähe des medialen Endes der Trigeminus- 
wurzel sich findet. Er besteht aus sehr grossen Zellen, von denen 
man aber noch keine Nervenfasern abgehen sieht. 

Eine Umwandlung des zentralen Höhlengrau fängt hier an, 
welche nur wenig mehr kapitalwärts beendet ist. Es dehnt sich 
nämlich das dunkle Grau zunächst dicht am Boden des IV. Ven- 
trikels in lateraler Richtung immer mehr aus. Dadurch engt 


22 Bernhard Rawitz: 


es das helle Grau stark ein und drängt es zugleich in das Mark- 
innere. Ist dies beendet, dann ist also das Höhlengrau einheit- 
lich, nämlich dunkel, und das helle Grau ist als ein kleiner Rest 
in jene Ecke gedrängt, wo vorher die aufsteigende Wurzel des 
Glossopharyngeus gelegen war. Hier schwindet es dann nach 
kurzer Zeit völlig, insofern sein Platz vom Retikulum einge- 
nommen wird. 

Mit der Veränderung im Höhlengrau, dessen laterale Partie 
zum Kern des Abducens wird, sind Hypoglossus und Glosso- 
pharyngeus geschwunden. Am längsten persistierten die Reste 
der betreffenden Kerne, während die austretenden Nerven zuerst, 
dann die intramedullaren Züge aufhörten. Der Fascialiskern 
ist bedeutend grösser geworden und man sieht bereits hier und 
da dünne Fasern von ihm aus direkt in dorsaler Richtung 
abgehen. 

Eine fernere Veränderung tritt nun im Aussehen der Klein- 
hirn-Seitenstrangsbahn ein. Sie hat sich ventral und dorsal sehr 
verkürzt, d. h. sie ist vom dorsalen Markkontur wieder zurück- 
gewichen und hat sich vom ventralen soweit zurückgezogen, dass 
sie nur noch in ganz dünner Schicht die aufsteigende Trigeminus- 
wurzel bedeckt. Der Fascialiskern reicht dadurch fast ganz ins 
Freie, denn er ist ventral nur von einer geringen Menge weisser 
Fasern umhüllt. Dafür aber ist die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
an ihrem lateralen Umfange so bedeutend verdickt, denn ihre 
Fasermassen sind auf einen engeren Raum zusammengeschoben, 
dass sie gleich einem mächtigen Keil nach aussen ragt. 

Diese Gegend der Oblongata möchte ich als eine Gegend 
der Ruhe bezeichnen. Hypoglossus, Vagus, Glossopharyngeus sind 
verschwunden, die aufsteigende Trigeminuswurzel verharrt seit 
langem in unverändertem Zustande, der Facialiskern macht 
schüchterne Versuche, seine Nerven dorsalwärts zu senden. An 
Stelle von Goll-Burdach ist ein Komplex disseminierter Nerven- 
bündel getreten, welche in kapitokaudaler Richtung verlaufen 
und zahlreiche grosse Ganglienzellen zwischen sich einschliessen. 
Das dunkle Höhlengrau hat sich am ganzen Boden des IV. Ven- 
trikels ausgebreitet und das Corpus trapezoides ist in seiner 
ersten Anlage eben sichtbar geworden. Nirgends also etwas 
Ausgebildetes, Anlagen hier und dort, welche aber in einer 
gewissen Stabilität zu verharren scheinen. Es ist die einzige 


Das Zentralnervensystem der ÜOetaceen. 233 


Stelle im verlängerten Mark, welche als ein wirklicher Übergang, 
als eine Vorbereitung zu neuen Umformungen betrachtet werden 
kann. Sie hat naturgemäss nur geringe Ausdehnung, denn bald 
treten wieder Umformungen ein und sie werden hervorgerufen 
durch das Erscheinen des Acusticus. 

Seitlich von der Umbiegungsstelle des dorsalen zum lateralen 
Markkontur tritt zuerst ohne jeden Zusammenhang mit der 
Oblongata, dann bald durch einen dünnen Streifen mit dem 
Höhlengrau vereinigt eine graue Masse von eigentümlichem Aus- 
sehen auf. Sie legt sich sehr bald auf die Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn und drückt diese dadurch etwas ventralwärts. Das Eigen- 
tümliche dieser grauen Masse besteht darin, dass sie in ihrem 
Aussehen so ganz und gar nicht den Kernen der Oblongata 
gleicht, sondern dass sie vielmehr wie ein aberrantes Stück Gross- 
hirnsubstanz erschsint. Sie beherbergt zahlreiche kleine Ganglien- 
zellen und einige wenige Nervenfasern (Fig. 20). Dies ist der 
Kern der kaudalen Acustieuswurzel. Mit seinem Auftreten ändert 
sich in etwas das Verhalten jener inzwischen vermehrten disse- 
minierten Nervenbündel, welche Gollkern und Burdachkern 
insofern aufgebraucht haben, als sie deren Platz einnehmen und 
deren grosse Ganglienzellen zwischen sich einschliessen. Diese 
Fasern, die kapitokaudale (spinale) Acustieuswurzel, fangen näm- 
lich an, in der der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn benachbarten 
Gegend zu einem kleinen Teile in die dorsoventrale Verlaufs- 
richtung einzubiegen, schicken sich also zum Austritt an. Dabei 
geht ihr Bestreben offenkundig dahin, sich zwischen Seitenstrangs- 
bahn und Trigeminuswurzel einzudrängen. 

Es ist dies zunächst die einzige Veränderung, welche das 
Auftreten des kaudalen Acusticus herbeiführt. Die ventralen Teile 
der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn werden in die Hauptmasse ein- 
gezogen, sodass diese einen fast drehrunden Querschnitt erlangt. 
An ihrer Stelle erscheinen in dünnem Zuge die Fasern des 
sehr schwachen Corpus trapezoides (Fig. 20), deren Zusammen- 
hang mit dem kaudalen Acustieus in weiter kapitalwärts gelegenen 
Ebenen sich findet. Der inzwischen sehr gross gewordene Fa- 
cialiskern entsendet jetzt in etwas grösserer Zahl seine Fasern 
dorsalwärts; alles übrige aber ist unverändert. Von Interesse 
sind nur noch die allerersten, dem Höhlengrau benachbarten 
Arcuatae. Sie kommen von den innersten, d. h. medialsten Partien 


234 Bernhard Rawitz: 


der kapitokaudalen Acusticuswurzel, stellen also eine Verbindung 
des Hörnerven mit der Peripherie her. Ihr Verlauf ist zunächst 
rein transversal und dadurch bilden sie eine scharfe Grenze 
zwischen Reticulum und zentralem Grau. In der Nähe der ven- 
tralen Stränge, die jetzt so verlagert sind, dass sie direkt unter 
dem gliösen Belag des IV. Ventrikels liegen, — auch eine Wirkung 
der transversalen Dehnung des Markes — biegen die eben ge- 
nannten Fasern ventralwärts. Dadurch liegt ein Teil der ven- 
tralen Stränge dorsal von ihnen. 

Der IV. Ventrikel verändert sich zunächst nicht, das Corpus 
trapezoides bleibt wie bisher sehr schwach ausgeprägt. Der vom 
Facialis ausgehende Nervenstrom wird stärker. Nur der Acusticus 
zeigt beträchtlichere Umbildungen. Der Kern der kaudalen Acus- 
ticuswurzel, das sogenannte Tuberculum acusticum, schlägt sich 
aussen über die nunmehr im Schnitt keulenförmig aussehende 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn über (Fig. 21). Er füllt sich in seinem 
breitesten Abschnitte immer mehr mit Nerven, welche seine 
kleinen Ganglienzellen zwischen sich fassen. Diese Nerven durch- 
setzen zu einem Teil als der Anfang des Corpus trapezoides die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, gehen aber zum grösseren Teil in 
den Raum zwischen dieser und der aufsteigenden Trigeminus- 
wurzel (Fig. 21). Dadurch wird dieser Raum sehr verbreitert, 
zumal sich den vom kaudalen Kern kommenden Fasern noch die 
von der kapitokaudalen Wurzel stammenden als kapitale (vordere 
der Autoren) Acusticuswurzel zugesellen. Die vom kaudalen 
Kern stammenden und in dem genannten Zwischenraum aus- 
tretenden Fasern sind sehr locker gefügt, während die von der 
kapitokaudalen Wurzel sich abzweigenden zu dicken Bündeln 
vereinigt sind. 

Von nun an beansprucht auch das Cerebellum unsere Auf- 
merksamkeit und sein Verhalten soll zunächst geschildert werden. 
Bisher waren nur einige Kleinhirnwindungen zu sehen, welche 
dorsal von der Mitte des Ventrikels gelegen waren und sich 
ganz indifferent verhielten. Allmählich hat sich diese unpaare 
Masse immer mehr nach der Seite ausgedehnt und die geringe 
Nervensubstanz, welche zwischen den einzelnen Cerebellarwindungen 
sich fand und auch jetzt noch sich findet, hat an der dem 
Seitenrande der Oblongata gegenüber liegenden Stelle eine 
bedeutende Vergrösserung erfahren. Eine dicke weisse Masse ist 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 235 


hier vorhanden, welche gegen die Oblongata nicht abgeschlossen 
ist, also nicht von grauer Cerebellarsubstanz bedeckt wird, sondern 
welche direkt ins Freie stösst. Sie ist mit der gleichen Masse 
der Gegenseite durch einen keilförmigen, gegen die Mitte sich 
verjüngenden Fortsatz verbunden. An ihrem äusseren Rande 
haben die Nervenfasern einen schrägen Verlauf. In dieser ganzen 
Masse, bis zur Medianlinie, sind zahlreiche grosse Ganglienzellen 
vorhanden. Diese gleichen nicht etwa den bekannten Hirsch- 
geweihzellen, sondern sind gewöhnliche multipolare Ganglien- 
zellen. Die genannte weisse Masse ist das cerebellare Ende der 
Bindearme zur Oblongata und es ist beachtenswert, dass sie auf 
dem Schnitt früher erscheinen, ehe der zugehörige Bindearm an 
der Oblongata sich bemerkbar macht. Das beweist, dass die 
Verbindung von Oblongata und Cerebellum sich in letzterem viel 
weiter kaudalwärts erstreckt, als z. B. bei Phocaena. Und von 
grösstem Interesse ist es auch, dass die Bindearme hier einen 
eigenen, rein cerebellaren Kern besitzen, welcher vis-a-vis dem 
Tuberceulum acusticum seine grösste Zellanhäufung hat. 

Sieht man sich in dieser Gegend das Tuberculum acusticum, 
also den kaudalen Acusticuskern, und die aus ihm entspringende 
Wurzel an, so kann man sich dem Eindrucke nicht entziehen, 
der übrigens bei anderen Spezies noch grösser ist, dass das 
genannte Gebilde nicht zum verlängerten Mark gehört. Es er- 
scheint dem lateralen Markkontur wie aufgeklebt, welche 
Anschauung noch dadurch verstärkt wird, dass die Grenze zum 
zentralen Höhlengrau leicht eingebuchtet ist und dass die Substanz 
des letzteren wie ein scharfer Kontur im Bogen gegen den 
Acustieuskern sich leicht ventral einsenkt. Es trennt auf diese 
Weise den kaudalen Acusticuskern von der kapitokaudalen 
Acusticuswurzel. 

Der Acusticus selber bietet in dieser Gegend ein sehr 
interessantes Bild. Der Kern, d.h. die graue, an Grosshirnrinde 
erinnernde Masse ist an Umfang sehr reduziert. Sie stellt 
nämlich nur noch einen schmalen Saum dar, welcher die 
Wurzelfasern aussen umhüllt, — dies ist eine besondere Eigen- 
tümlichkeit des kaudalen Acustieusteiles und unterscheidet ihn 
von allen anderen Oblongatanerven — sich dann lateral über 
die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn legt, wo sie einige allerfeinste 
Nervenfasern enthält, und am Austritt der Wurzelfasern des 


236 Bernhard Rawitz: 


Nerven endet. In dieser Ausdehnung ist sie ziemlich schmal 
und nur an ihrer Ansatzstelle an der eigentlichen Oblongata 
gegen das zentrale Höhlengrau hin verbreitert sie sich. Es 
umschliesst diese graue Masse die Acusticusfasern des kaudalen 
Nerven. Diese ursprünglich, d. h. dicht an ihrem grauen Kern, 
wirr durcheinander geworfen, gehen bald in breitem Strome 
zwischen der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn und der kapitokaudalen 
Wurzel nach aussen. Dabei mischen sich beide Faserarten, 
denn auch von der letzteren Wurzel treten Nerven aus, so 
durcheinander, dass intramedullar die beiden Teile des Acusticus 
in dieser Gegend nicht zu sondern sind. Die kapitokaudale 
Wurzel zeigt im allgemeinen das bisher beschriebene Verhalten, 
also disseminierte Bündel, von denen ein Teil in die dorso- 
ventrale Richtung einbiegt. Die Zellen zwischen den Bündeln 
sind etwas spärlicher geworden, dafür ist aber zwischen der 
Wurzel und dem kaudalen Acustieus ein Streifen kleinzelliger 
grauer Substanz erschienen, von der Fasern ausgehen, welche 
sich den austretenden der kapitokaudalen Wurzel zugesellen. Man 
kann hier also von einem dritten, Kapitalen Acusticuskern sprechen. 

Überaus merkwürdig sind Faserzüge, welche aus dem 
Retikulum zum Acusticus gehen, bezw. von diesem zu jenem. 
Ein Teil von ihnen liegt ventral dem zentralen Höhlengrau dicht 
an und kommt von einer grosszelligen, sehr dunkel aussehenden 
(in Weigert-Präparaten) grauen Masse, welche keilförmig 
zwischen kapitokaudale Acusticuswurzel und Retikulum hinein- 
ragt. Diese Fasern gehen durch die genannte Wurzel, zum Teil 
auch dorsal von ihr und biegen in den oben genannten kapitalen 
Kern ein. Ein anderer Teil zieht ventral von der kapitokaudalen 
Wurzel, ruht dem Trigeminus auf und biegt direkt in die dorso- 
ventrale Richtung ein. Eine nur geringe Menge von Acusticus- 
fasern, welche aus der kaudalen Wurzel stammt, biegt zonal um 
und begibt sich zu dem schon früher erwähnten schwachen 
Corpus trapezoides. Hervorzuheben ist, dass Striae acusticae 
nicht vorhanden sind. Es war vorhin gesagt worden, dass die 
graue Substanz des Tuberceulum acusticum sich über die Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn legt. Letztere ist ein vollkommen drehrunder 
Strang, der von ausserordentlich dichtstehenden Fasern gebildet 
wird, welche bei der gewählten Schnittrichtung sämtlich quer- 
getroffen sind. 


Das Zentralnervensystem der Cataceen. 2. 


Gering sind die Veränderungen, welche die übrige Substanz 
der Oblongata in dieser Gegend zeigt. Das zentrale Höhlengrau 
ist in der Medianlinie, wo es den ventralen Strängen aufliegt, 
so schmal, dass es beinahe den Anschein hat, als ob die ventralen 
Stränge den Boden des IV. Ventrikels bildeten. Nach den Seiten 
nimmt das Höhlengrau an Ausdehnung allmählich zu und grenzt 
sich dann in der beschriebenen Weise gegen das Tuberculum 
acusticum ab. 

Der Facialiskern hat sich ein wenig verkleinert, der von 
ihm ausgehende, dorsal gerichtete Nervenstrom dagegen ist 
entschieden stärker geworden. Auch ist die erste, ich möchte 
sagen schüchterne Andeutung des Facialisknie aufgetreten. Denn 
man erkennt dorsal von jenen aus dem Reticulum zum Acusticus 
(bezw. umgekehrt) ziehenden Fasern einige wenige isolierte 
Nervenbündel, welche genau an der Stelle liegen, wo weiter 
kapitalwärts das Facialisknie sich befindet. 

Die weiteren Veränderungen, die sich mehr kapitalwärts 
zeigen, führen zur Vereinigung von Cerebellum und Oblongata. 
Sie erfolgt nur allmählich und dabei ist zu konstatieren, dass 
der erwähnte Kern multipolarer Ganglienzellen im Cerebellum 
immer mehr an Ausdehnung gewinnt. Der Kern hat jetzt die 
Mittellinie erreicht und zugleich sind die Nervenfasern, welche 
hier lagern, in die transversale Richtung eingebogen. Des ferneren 
ist am lateralen Ende der genannten weissen Uerebellarmasse ein 
Stück Kleinhirnrinde erschienen, welches fortsatzartig ventral 
herabhängt. Dabei liegt es so fest der Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn an, deren bedeckende Acustieussubstanz geschwunden ist, 
dass es mit dieser wie verwachsen erscheint. Der Facialiskern 
ist während dessen fast völlig geschwunden, das Facialisknie 
etwas deutlicher geworden. 

Endlich ist die Verbindung von Cerebellum und Oblongata 
hergestellt und damit sind Veränderungen neuer Art eingeleitet, 
die unser Interesse in höchstem Maße in Anspruch nehmen. 
Fangen wir mit dem IV. Ventrikel an (Fig. 22). Er ist in der 
Medianlinie durch einen hineinhängenden unpaaren Teil des Klein- 
hirns stark verengt, erweitert sich lateral von diesem Teile in 
beträchtlichem Grade und zieht dann als schmaler Spalt bis zur 
Ansatzstelle der Bindearme an der Oblongata. Er ist also ganz 
ungemein ausgedehnt, was mit der hervorgehobenen transversalen 


233 Bernhard Rawitz: 


Dehnung des ganzen Organs zusammenhängt. In der Median- 
linie, darauf wurde schon aufmerksam gemacht, ist der. gliöse 
Boden des Ventrikels so überaus dünn, dass die ventralen Stränge 
in ihn hineinzuragen scheinen. Nach den Seiten zu schwillt das 
zentrale Höhlengrau, das ein sehr dunkles Aussehen hat, nicht 
unbeträchtlich an, erreicht seine stärkste Ausbildung in der Gegend 
des Acusticusgrau (Fig. 22), bleibt aber doch an Ausdehnung weit 
zurück gegen alle früher erwähnten Regionen. Sein umfang- 
reichster Teil dient später dem Abducens zum Ursprung. 
Nach aussen folgt dann der Rest des Acusticusgrau, d.h. des 
Kerns der kaudalen Acusticuswurzel. Der Rest, den das Grau 
bildet, ist nur noch eine schmale, dorsal-marginale Schicht auf 
der Acustieuswurzel und ist auch noch als ganz minimaler Belag, 
der bald schwindet, am lateralen Rande der Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn zu erkennen. Vom kaudalen Acusticus ist ebenfalls nur 
noch ein Rest vorhanden, der allerdings noch immer ziemlich 
beträchtlich ist. Man sieht noch Ganglienzellen und Nervenfasern, 
aber der Austritt der Wurzel ist vorbei und allmählich schwindet 
auch diese Partie. Die kapitokaudale Acustieuswurzel tritt noch 
nicht aus, wogegen ihr intramedullarer Verlauf ein recht breiter 
ist. Noch sind nicht alle ihre Fasern in die dorsoventrale Richtung 
eingebogen, sodass dieser Teil des Nerven einen recht unberührten 
Eindruck macht. Der früher erwähnte kapitale Kern ist jetzt ganz 
in die Wurzel eingezogen. Interessant ist hier dreierlei. Einmai 
sieht man dünne Faserzüge im Rest des kaudalen Acusticus von 
dorsal innen nach ventral aussen ziehen. Sie bleiben in dem 
Kernrest, sind aber nach Herkunft und Schicksal dunkel. Vielleicht 
stammen sie von jenen vorhin erwähnten transversalen Zügen, 
welche aus dem Retikulum zum Acustieus gehen; über ihr Ende 
aber geben die Schnitte keine Auskunft. Zweitens kommen aus 
dem Kleinhirn, das sich gegen die noch nicht aufgebrauchte 
Seitenstrangsbahn durch einen kappenförmigen, von aussen nach 
innen gerichteten Faserzug abgrenzt (Fig. 22), Faserbündel, welche 
gleich nach Eintritt in den lateralen Teil des Acusticusgebietes 
ventral umbiegen und nach kurzem Verlaufe wie abgebrochen 
enden. Sie stellen offenbar eine direkte Verbindung des Üere- 
bellum mit dem Acusticus her, doch ist nicht genau zu sagen, 
in welcher Weise sie sich den Fasern dieses Nerven beimischen. 
Vielleicht gehen sie zu den Ganglienzellen, um hier eine Um- 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 259 


lagerung zu erleiden und dann als Acusticusfasern in einer viel 
weiter kaudal gelegenen Ebene auszutreten. Oder aber sie gehen 
vielleicht direkt, ohne Zellvermittelung, als Kleinhirnfasern im 
Acusticus nach aussen, wobei sie natürlich ebenfalls in eine kaudal 
gelegene Ebene einbiegen müssten. An dritter Stelle sind Faser- 
massen zu nennen, welche im dorsalen Teile der Acustieusregion 
sich finden (Fig. 22). Sie erscheinen in dieser Gegend als eine 
breite aber kurze Nervenmasse, die schräg medioventral gerichtet 
ist. Auch diese Fasern stammen, wie die Serie lehrt, aus dem 
Kleinhirn, durchqueren aber den Acustieus, ohne sich mit ihm 
zu vermischen. Jenseits dieses Nerven, im Reticulum, biegen sie 
in die dorsoventrale Richtung ein und ziehen dann an der medialen 
Grenze der aufsteigenden Trigeminuswurzel direkt nach ventral. 
Im Mark erscheinen sie als kurz unterbrochene, dicke Bündel, 
welche sich mehr kapitalwärts mit den Ponsfasern mischen. Ihr 
Verlauf ist also ein sehr stark wellig gebogener. Sie entspringen 
sehr weit kapitalwärts im Kleinhirn, gehen durch die Bindearme 
zur Oblongata soweit kaudalwärts, dass sie im Acusticusrest 
wieder auftreten, ziehen in Wellenlinien durch die Oblongata 
und biegen dann wieder kapitalwärts, um im Pons zu enden. 
Dies sind also die ersten Fasern der Crura cerebelli ad pontem. 

Der Facialiskern ist geschwunden und ebenso der von ihm 
ausgehende Nervenstrom. Dafür ist das Facialisknie jetzt deutlich 
geworden. Es findet sich an der üblichen Stelle (Fig. 22), lateral 
vom Ende der ventralen Stränge, ist aber noch nicht sehr scharf 
konturiert. 

Der viel erwähnte Kleinhirnkern ist noch breiter geworden, 
als früher. Aber während er bis jetzt ausser seinen Ganglien- 
zellen nur wirr durcheinander geworfene Nervenfasern ohne be- 
stimmte Verlaufsrichtung barg, sind in ihm nun kurze, unter- 
brochene Nervenzüge aufgetreten (Fig. 22). In der Medianebene 
laufen diese transversal und kreuzen sich in ausgiebigster Weise 
mit den gleichen Fasern der Gegenseite. In den Seitenteilen, wo 
der Kleinhirnkern seine grösste Ausdehnung besitzt, ist ihre Ver- 
laufsrichtung direkt dorsoventral, oft erst nach einem starken 
lateralen Bogen. Es hat den Anschein, als ob sie bestrebt wären, 
geraden Weges in die Oblongata einzutreten. Die Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn liegt dem erwähnten Kerne dicht an, ihre Fasern 
aber sind noch nicht zum Cerebellum umgebogen. Ja sie sind 


240 Bernhard Rawitz: 


sogar von diesem getrennt, und zwar durch den erwähnten Faser- 
zug, der ihnen wie eine dünne Lamelle aufliegt und von aussen 
nach innen gerichtet ist. Aus dieser Faserlamelle gehen die er- 
wähnten Züge zum lateralen Teil des Acusticusrestes. Die Klein- 
hirn-Seitenstrangsbahn verlängert sich schwanzartig am Rande der 
Oblongata und stösst dabei an eine breite, konzentrisch sich er- 
streckende Fasermasse an. Dies sind die am weitesten kaudal 
gelegenen Ponsfasern, denn sie streben marginal zur Raphe, 
weichen dabei etwas auseinander und schliessen dadurch einzelne 
Teile der ventralen Stränge zwischen sich ein (Fig. 22). Sie 
haben also das ungemein schwache Corpus trapezoides verdrängt. 
Füge ich noch hinzu, dass die aufsteigende Trigeminuswurzel jetzt 
ganz ventral verlagert, in ihrem Aussehen aber völlig unverändert 
ist, dann ist die Charakteristik dieser Oblongataregion erschöpft. 

Allmählich wird der kaudale Acusticusrest kleiner, während 
die kapitokaudale Wurzel sich immer mehr zur vorderen Wurzel der 
Autoren umwandelt, d. h. ihre Fasern treten allmählich aus dem 
Mark aus, wobei sie die beschriebene konzentrische Fasermasse 
durchbohren. Später schwindet auch sie, während ihr Kern sich 
noch eine Zeit lang erhält. Die zum lateralen Teil des Acusticus- 
restes, wie geschildert, gehenden Fasern hören bald auf. Breiter 
und massiger werden dagegen die aus dem Kleinhirn zum sich 
bildenden Pons ziehenden intramedullaren Fasern. Freilich ist 
ihr Zusammenhang mit dem Bindearme noch immer nicht herge- 
stellt, während der bekannte Kleinhirnkern bereits sich zu ver- 
schmälern beginnt. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist noch lange 
als scharf umschriebenes Gebilde erkennbar. Das Facialisknie 
wird jetzt deutlich konturiert. 

Wenn der kaudale Acustieus völlig geschwunden, der kapitale 
in voller Breite aus der Oblongata austritt (Fig. 23), erst dann 
hat die Verbindung mit dem Kleinhirn ihre volle Ausbildung er- 
langt. Mancherlei Veränderungen haben sich dabei eingestellt. 
Der Ventrikel ist nicht mehr ganz so ausgedehnt wie früher; 
denn es sind die lateralen Spalten dank dem grösseren Volumen 
der Bindearme geschwunden und er geht seitlich in ziemlich breite, 
unregelmässige Buchten über. Das zentrale Höhlengrau ist auf 
einen sehr geringen Umfang und eine sehr geringe Dicke reduziert. 
Auf den nur wenig differenzierten ventralen Strangresten und 
über dem Facialisknie ist es eine überaus dünne Lamelle. Seit- 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen, 241 


lich von letzterem ist es etwas voluminöser und bildet hier den 
Kern des Abducens. 

Das Facialisknie ist scharf ausgeprägt, liegt aber unge- 
wöhnlich weit lateral von der Mittellinie (Fig. 23). Es ist mit 
dem inzwischen erschienen Facialis noch nicht verbunden. Der 
Nerv stellt sich fast sofort in seiner ganzen Ausbildung dar. 
Er ist relativ zum Umfang des Markes sehr breit, zieht schräg 
nach aussen und ventral, sodass er an der Übergangsstelle des 
lateralen zum ventralen Markkontur ins Freie tritt. Er liegt 
dabei tangential dem Seitenrande der Trigeminuswurzel auf. Die 
Fasern der letzteren fangen an, in die dorsoventrale Ver- 
laufsrichtung einzubiegen. Damit geht einher eine schnell zu- 
nehmende Verkleinerung des Kerns, die bald zu dessen völliger 
Aufzehrung führt. 

In dem ausserordentlich dichten Retikulum ist der Abducens 
aufgetreten (Fig. 23). Er läuft mit etwa drei mehrfach unter- 
brochenen Wurzeln direkt dorsoventral und zwar in einer Gegend, 
als wollte er in das Facialisknie sich einsenken. An diesem biegt 
er aber, wie weiter kapitalwärts zu erkennen, nach aussen und 
geht in seinen Kern. (Richtiger müsste die Darstellung den 
umgekehrten Weg verfolgen und beim Kern anfangen). Der Aus- 
tritt des Nerven aus dem Mark erfolgt an des letzteren ventralen 
Kontur in derselben Achse, in welcher auch der Hypoglossus austritt. 

Merkwürdig haben sich die Verhältnisse in den Bindearmen 
gestaltet. Der Kleinhirnkern ist an Umfang noch mehr reduziert 
als vorher, aber massenhafter als früher strömen die Nervenfasern 
aus ihm zur Oblongata. Sie sind hier nicht weit zu verfolgen, 
sondern brechen nach kurzem Verlaufe ab: es ist weiter oben 
gesagt worden, warum dies der Fall. Schwächer sind auch die 
vom Bindearm zum Pons ziehenden intramedullaren Fasern (Fig. 23) 
geworden, in kaum nennenswerten Zügen gehen sie durch den 
Facialis hindurch. Dafür aber ist im Bindearm ein sehr gross- 
zelliger Kern neu aufgetreten. Eigentlich ist diese Bezeichnung 
nicht ganz zutreffend. Denn dieser Bindearmkern ist durch das 
so häufig in der Oblongata zu beobachtende Remplacement an 
genau derselben Stelle erschienen, wo vorher der Rest des kau- 
dalen Acusticus sich befunden hatte. Er wird von grossen Ganglien- 
zellen gebildet, welehe in einem ziemlich dunklen Grau liegen, 


und reicht mit einem kleineren Teile in den Seitenrand der 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73. 16 


242 Bernhard Rawitz: 


Oblongata, während sein grösserer Abschnitt dem Bindearm ange- 
hört. Über sein endliches Schicksal, d. h. über seine eventuelle 
Zugehörigkeit zu einem Nerven vermag ich keine Auskunft zu 
geben, da mit dem sehr bald eintretenden Verschwinden des 
Abducens meine Darstellung bezw. Untersuchung beendet ist. 

Eigenartig hat sich das Schicksal der Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn gestaltet.:;Sie, die ursprünglich ein integrierender Teil der 
Oblongata war, ist unter voller Wahrung ihrer morphologischen 
Selbständigkeit, wenn auch unter beträchtlicher Streckung ganz 
in den cerebellaren Teil der Bindearme heraufgerückt. Sie liegt 
also nicht mehr in der Oblongata, unterscheidet sich aber im 
Weigert-Präparat durch ihre Färbung auf das schärfste von 
der weissen Substanz des Kleinhirns. Ihre Fasern sind in die 
dorsale Richtung eingebogen. (In Fig. 23 ist die Trennung der 
Bahn vom Bindearm zeichnerisch nicht zum Ausdruck gebracht). 

Am lateralen und ventralen Rande sieht man den schon 
früher erwähnten Zug konzentrischer Fasern, der zweifelsohne 
vom Bindearm stammt. Er löst sich medial vom Trigeminus 
in einzelne ungleich dicke Nervenbündel auf, welche sich etwas 
dorsalwärts erstrecken. Dadurch wird die für diese Region 
charakteristische Liniierung des Reticulum herbeigeführt. An 
den ventralen Strängen weichen die Nervenbündel noch mehr 
auseinander, zeigen dabei einen etwas unregelmässigen Verlauf 
und trennen dadurch, worauf schon früher hingewiesen wurde, 
Gruppen von Strangfasern ab, welche sie zwischen sich ein- 
schliessen. Das kennzeichnet den Pons. In der Medianlinie 
kreuzen sich diese Fasern mit denen der Gegenseite auf das 
ausgiebigste. Die kapitale Olive ist sehr undeutlich und schwer 
unterscheidbar. Bald hört der sehr schmächtige Abducens völlig 
auf. Der intramedullare Teil der Facialis vereinigt sich mit dem 
Knie, während gleichzeitig der austretende Nerv schwindet. 
Dabei ist es sehr interessant festzustellen, dass Facialisfasern 
von dem Knie der Gegenseite in direkt transversalem Zuge durch 
die Medianlinie zu dem intramedullaren Rest des gegenüber- 
liegenden Nerven treten. Es findet also ein Faseraustausch im 
Facialis statt, indem Fasern der rechten Seite auf die linke über- 
gehen und umgekehrt. Auch der am meisten dorsal gelegene 
Rest des intramedullaren Facialis hört auf, das Knie verschwindet 
und damit ist die Medulla oblongata zu Ende. 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 243 


b) Die Ziehensche Arbeit über Pseudochirus. 

In den folgenden Zeilen will ich zur Vervollständigung meiner 
an Didelphys gewonnenen Untersuchungsresultate nur die Arbeit 
von Ziehen!) über Pseudochirus peregrinus erwähnen. Mit Ge- 
nugtuung kann ich hierbei konstatieren, dass sich unsere beider- 
seitigen Ergebnisse in allen wesentlichen Punkten decken. Wo 
sich Differenzen finden, sind sie wohl auf die Verschiedenheit 
der Untersuchungsobjekte zurückzuführen. Diese Differenzpunkte 
seien in aller Kürze hervorgehoben. Die Pyramiden sind bei 
Pseudochirus sehr viel mehr entwickelt als bei Didelphys, denn 
auf den Ziehenschen Abbildungen treten sie scharf hervor. 
Der ventrale Kontur der Oblongata bei Pseudochirus zeigt nicht 
die völlige, man könnte fast sagen absolute Abflachung, wodurch 
sich Didelphys auszeichnet. Daher ist bei jener australischen 
Spezies das verlängerte Mark nicht dermaßen in transversaler 
Richtung gedehnt, wie bei meiner südamerikanischen Art. 

Ziehen erwähnt (pag. 691 1. c.) einen zerstreuten Kern 
der Formatio reticularis. Ich habe bei Didelphys nichts dem 
ähnliches gesehen; hier liegt also wiederum eine Speziesdifferenz 
vor. Bei dieser Gelegenheit will ich bemerken, dass ich den 
Ausdruck „Formatio reticularis“ absichtlich weggelassen; er war 
mir zu umständlich. Ich sage „Retikulum“ und meine damit 
die Summe der in der Formatio vorhandenen Nervenbündel. 
Auf Taf. 23 in Fig. 12 bildet Ziehen einen Nervenkern am 
ventralen Rande der Pseudochirus-Oblongata ab, den er in der 
Figurenerklärung als Nucleus ambiguus bezeichnet. Freilich setzt 
er gleich hinter die Bezeichnung ein Fragezeichen und hat 
meines Erachtens damit sehr Recht getan. Denn ich glaube, 
dass dieser Kern das kaudalste Ende oder der kaudale Anfang 
des Facialiskerns auch bei Pseudochirus ist. 

Interessant war mir die Differenz, dass offenbar bei Pseu- 
dochirus nicht eine derartige Volumsvergrösserung der dorsalen 
Säule statt hat, wie bei Didelphys. Denn Ziehen hebt diesen 
Umstand wenigstens nicht besonders hervor. 


!) Ziehen. Das Zentralnervensystem der Monotremen und Marsu- 
pialier ete. II. (Semon: Zoologische Forschungsreisen in Australien ete.) 
1901. In: Denkschriften der mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesell- 
schaft in Jena Bd.6. Vergl. auch die vorläufige Mitteilung in: Anat. An- 
zeiger 1897. Bd. 13. 

16* 


244 Bernhard Rawitz: 


3. Pachydermata. 
Sus scrofa L. 

Während noch in den kapitalsten Teilen des Halsmarkes 
die Figur der grauen Substanz das gewöhnliche, allgemein be- 
kannte Aussehen zeigt, nämlich schmale dorsale, spitz zulaufende 
ventrale Säulen, die beide fast genau dorsoventral gestreckt sind, 
ändert sich dies Bild mit dem Übergange zur Oblongata ganz 
plötzlich. Die ventralen Säulen legen sich breit keulenförmig 
nach aussen und die dorsalen Säulen vergrössern sich ganz be- 
trächtlich. Sie verbreitern sich zugleich sehr stark, rücken ein 
wenig mehr nach lateral und erhalten eine sehr umfangreiche 
Rolandosche Substanz, welche im Halsmark nicht in dieser 
Stärke vorhanden war. Auch die lateralen Säulen schwinden ganz 
plötzlich. Denn sehr schnell entwickelt sich das Retikulum, das 
diese Säulen völlig aufzehrt, die dorsalen Säulen, indem es sich 
gegen die entsprechenden Stränge ausdehnt, vom übrigen Mark 
bald hermetisch abschliesst und die ventralen Säulen stark ein- 
zuengen beginnt. Weniger ausgeprägt sind die Charakteristika 
der Oblongata durch die Pyramidenkreuzung; denn diese ist 
am Anfang noch sehr schwach, eben nur angedeutet. Schwach 
sind die Züge, welche zu ihr von den Burdachschen Strängen 
kommen, schwach auch die aus den lateralen und ventralen 
Strängen zu ihr ziehenden Fasern. Aber dass aus den letzteren 
Fasern zur Pyramidenkreuzung gehen, kann trotz deren geringen 
Entwicklungsstadiums nicht übersehen werden. Allerdings ist 
dies auch die einzige Stelle, wo notorische ventrale Fasern zur 
Decussatio sich begeben, denn von hier ab kapitalwärts ist dies 
nicht mehr der Fall. 

Interessant ist, dass :mit dem Augenblicke, wo man die 
Grenze zwischen Halsmark und verlängertem Mark zu diesem 
hin überschreitet, die Untscheidung zwischen Gollschem und 
Burdachschen Strange eine sehr leichte wird. Noch in den kapi- 
talsten Teilen des Halsmarkes konnte sie im Schnitt wenigstens nicht 
durchgeführt werden, so eng aneinander lagen dort die Stränge. 
Hier nun sieht man, dass die sehr schmalen Gollschen Stränge 
an der medialen Wand der Burdachschen so weit markwärts 
sich finden, dass sie garnicht an den dorsalsten Markrand heran- 
reichen. Die sehr breit gewordene dorsale Fissur gewährt ein 
leichtes Erkennen; man findet die Gollschen Stränge: erst von 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 245 


der Mitte der medianen Wand der Burdachschen, wo sie zu 
beiden Seiten der Mittellinie liegen und von wo ab sie bis an 
die graue dorsale Kommissur reichen. Und mit dem Sichtbar- 
werden dieser Stränge hat auch ihre Rarefizierung durch den 
ihnen zugehörigen Kern sofort begonnen. Abweichend von den 
bisher geschilderten Spezies findet diese Rarefizierung statt. Denn 
der «ollsche Kern höhlt nicht von innen her den Strang aus, 
sondern er liegt langgestreckt an dessen medialer Wand, erschöpft 
ihn von hier aus und lässt nur lateral und dorsal etwas Nerven- 
masse übrig. Der Burdachsche Strang ist ein mächtiges Massiv 
von unregelmässigen Formen, das durch zahlreiche Piafortsätze 
in zwar nebensächliche, aber doch konstante, ungleich grosse 
Abschnitte zerlegt wird. Er setzt sich kontinuierlich, d. h. ohne 
scharfe Grenze in den dorsalen Strang fort, welch letzterer als 
ein breiter Halbring die dorsale Säule umgibt. Während lateraler 
und ventraler Strang eine einheitliche Masse bilden, ist die Grenze 
zwischen lateralem und dorsalem Strange eine sehr scharfe. Und 
sie wird dadurch bewirkt, dass die Faserbündel des dorsalen 
Stranges an der Grenze zum lateralen sich markwärts einschlagen 
und so die dorsale Säule auch noch im Markinnern eine Strecke 
weit umhüllen. 

Der Zentralkanal ist schmal, dorsoventral gestreckt und 
bald nach rechts bald nach links etwas verbogen. Um ihn herum 
ist eine auffällig bleiche gliöse Substanz aufgetreten, seine Sub- 
stantia gelatinosa. Dadurch dass das Retikulum sich gegen die 
ventralen Säulen vordrängt, wird die räumliche Absonderung des 
zentralen Grau, des späteren Höhlengrau, eingeleitet. Man erkennt 
daraus, dass es aus einem Teile der ventralen und einem Teile 
der dorsalen Säulen zusammengesetzt wird, von welch letzteren 
wiederum eine kleine Partie zum Kern des Burdachschen 
Stranges wird. In der dorsalen grauen Kommissur, der gelati- 
nösen Substanz des Zentralkanals anliegend, sieht man zarte 
weisse Fasern transversal ziehen, welche, ebenso wie bei Didelphys, 
eine Art dorsaler weisser Kommissur herstellen. An einer sehr 
wenig ausgedehnten Stelle erkennt man, dass aus dem späteren 
zentralen Grau ein zartes Faserbündel in transversaler Richtung 
austritt, es ist dies eine Accessoriuswurzel. 

Die weiteren Veränderungen finden in den nächsten Regionen 
nur im Retikulum und in der Pyramidenkreuzung statt. Das 


246 Bernhard Rawitz: 


erstere wird immer ausgebildeter und engt immer mehr die ven- 
tralen Säulen ein. Dies geschieht auch dadurch, dass Teile von 
den ventralen Strängen sich aus ihrem Verbande lösen und zu 
Retikulumbündeln werden. Des ferneren ist als interessant zu 
notieren, dass auch einige Bündel des Burdachschen Stranges 
abgesprengt werden und sich dem Retikulum zugesellen. Die 
Rolandosche Substanz der dorsalen Säulen ist durch zarte Faser- 
züge, die sie in transversaler Richung durchsetzen, wie liniiert. 
Diese aus dem dorsalen Strange stammenden Gebilde sind nur 
eine kurze Strecke weit zu verfolgen, sodass ihr Schicksal nicht 
zu erkennen ist. Die Pyramidenkreuzung wird breiter und 
deutlicher, aber ihre Ausbildung hält sich doch noch in sehr engen 
Grenzen. Daher gewinnt sie auf die Umgestaltung der 
Oblongata keinerlei mechanischen Einfluss und darum hat in 
dieser Gegend noch keine Zunahme des Durchmessers der Oblon- 
gata stattgefunden. Die Hauptmasse ihrer Fasern erhält sie aus 
den Burdachschen Strängen, während der Zufluss aus den 
Seitensträngen ein sehr schwacher ist. Von einer auch nur mini- 
malen Beteiligung der ventralen Stränge ist, worauf schon vorhin 
hingewiesen wurde, hier nichts mehr zu erkennen. Die gekreuzten 
Fasern schlagen sich auf dem medialen Rand der ventralen Stränge 
über, an dem sie in schmaler Schicht entlang ziehen. Durch 
den spitzwinkligen Verlauf der zur Kreuzung ziehenden Faser- 
bündel wird das zentrale Grau deutlich abgesondert, dessen dor- 
sale Grenze die zarte dorsale weisse Kommissur herstellt. 
Etwas weiter kommt es zur Bildung von Pyramiden und 
erst mit diesen tritt ein mechanisches Moment auf, welches die 
ventralen Teile der Oblongata bei Seite drängt. Damit ist eine 
geringe Zunahme des ventralen Abschnittes des transversalen 
Durchmessers verbunden. Viel beträchtlicher ist dessen dorsale 
Zunahme. Sie ist darauf zurückzuführen, dass die dorsalen Säulen 
grösser werden und sich breiter auslegen. Die Pyramidenkreuzung, 
um darauf zurückzukommen, ist in der Nähe der ventralen grauen 
Kommissur ziemlich schmal, wird bald breiter und nun legen sich 
in breitem Zuge die gekreuzten Fasern den ventralen Strängen an. 
Dieser Zug wird zum Markkontur hin immer breiter und an der 
Umbiegungsstelle des Sulcus ventralis liegt schliesslich den Strängen 
eine breite Kappe auf, die erste Differenzierung der Pyramide. 
Gleichzeitig damit drängt das zentrale Grau gegen den Kern 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 247 


der Burdachschen Stränge vor und beginnt, diese auszuhöhlen. 
Nun macht eine ziemlich schnelle Zunahme des transversalen 
Durchmessers sich bemerklich und mit ihr sind wichtige Ver- 
änderungen in der inneren Konfiguration des Markes zu ver- 
zeichnen. 

Am dorsalen Kontur hatte sich schon früher eine sattel- 
förmige Einbuchtung in der Medianlinie eingestellt. Sie wird 
jetzt sehr tief und drängt dadurch die «ollschen Stränge stark 
nach ventral. Diese verkürzen sich dabei in sehr beträchtlichem 
Grade und runden sich zugleich ab (Fig. 24). Sie sind ausserdem 
durch ihren Kern derartig rarefiziert, dass nur noch wenige 
kompaktere Nervenbündel an ihrem Aussenrande vorhanden sind. 
Die Burdachschen Stränge, in deren mediale Partie der Kern 
vom zentralen Grau her tief eingedrungen ist (Fig. 24), haben 
sich gedehnt, sind daher im Ganzen dünner geworden und springen 
gegen das Markinnere mit einer abgerundeten Zacke vor. Sie 
gehen grenzlos in den Rest der dorsalen Stränge über, welche 
halbringartig die dorsalen Säulen umgeben. Dass dieser Halbring 
an der Grenze zum Seitenstrang gegen das Markinnere haken- 
artig sich umbiegt, ist schon vorhin gesagt worden. Die dor- 
salen Säulen sind auf einmal erheblich weniger voluminös als 
zuletzt. Es rührt dies daher, dass ihre Rolandosche Substanz 
bis auf minimale Reste geschwunden ist. Damit leitet sich der 
bekannte Funktionswechsel dieser Partie ein, der sich zunächst 
dadurch kundgibt, dass nach innen von dem weissen Halbring 
einige zerstreute Nervenbündel auftreten, welche später”in ein- 
facher Reihe angeordnet sind. Diese Bündel sind die ersten 
Anfänge der aufsteigenden Trigeminuswurzel (Fig. 24). 

Im Seitenstrang ist als ein grosser heller und runder Fleck 
der aus grossen Zellen bestehende Seitenstrangskern erschienen 
(Fig. 24). Er sucht das Retikulum ganz nach innen zu drängen, 
was ihm aber nicht vollständig gelingt. Denn es finden sich in 
ihm noch einige spärliche disseminierte Bündel des Retikulum. 
Gleichzeitig mit dem genannten Kern hat sich die Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn eingestellt (Fig. 24). Sie ist eine schmale Nerven- 
masse, welche sich aussen auf den dorsalen Strangrest geschoben 
hat und hier eine kurze Strecke weit dorsalwärts reicht. Medial 
vom Seitenstrangskern, zwischen ihm und den gleich zu erwähnen- 
den Pyramiden ist die kaudale Olive zu sehen (Fig. 24). An- 


248 Bernhard Rawitz: 


fänglich ein rundlicher, fast marginal gelegener heller Fleck hat 
sie sich sehr bald in einen schmalen Stiel verlängert, der schräg 
nach medial und dorsal gerichtet ist und bis fast zur Raphe 
reicht. Das Organ entbehrt eines scharfen Konturs; es ist ventro- 
lateral eingebogen, sodass, wenn man will, hier sein Hilus zu 
suchen wäre. In der Olive kommen, reichlicher als im Seiten- 
strangskern, disseminierte Bündel des Retikulum vor. 

Die Pyramidenkreuzung ist beendet und die Pyramiden sind 
gebildet, während eine Schleifenkreuzung kaum angedeutet ist. 
Die Pyramiden (Fig. 24) sind im Schnitt rechtwinklige Dreiecke, 
die Hypotenuse ist gegen die Olive, die Spitze gegen die Um- 
schlagsstelle des medioventralen Randes gekehrt. Wenn auch 
deutlich ausgebildet, so sind doch die Pyramiden keineswegs 
voluminös. Sie überragen daher weder den Rand der Oblongata, 
noch können sie nach innen zu einen sehr erheblichen umge- 
staltenden Einfluss auf das verlängerte Mark ausüben. Die 
Volumszunahme dieses Organs ist daher in erster Linie zurück- 
zuführen auf das beginnende Auseinanderweichen der dorsal 
gelegenen Partien, welches zugleich die vollkommene Verlagerung 
der vom Rückenmark überkommenen Teile einleitet. Und ferner 
sind als mechanische Momente zu beanspruchen die neu auf- 
tretenden grauen Massen und die sich differenzierende Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn. 

Die an Stelle der Pyramidenkreuzung aufgetretene Raphe 
ist noch breit, sie erhält, wie die Decussatio, die Hauptmasse 
ihrer Fasern vom Burdachschen Strange. Ausserdem gehen 
aber auch zu ihr aus dem Retikulum die nunmehr zum ersten 
Mal erscheinenden Fibrae arcuatae, welche sehr zart sind. Die 
von den Burdachschen Strängen kommenden ersten Arcuatae 
laufen zunächst in schöner Wellenlinie schräg ventralwärts, biegen 
dann in der Höhe des inneren Endes der ventralen Stränge nach 
medial um und erreichen so die Raphe. Auf diese Weise bilden 
sie die laterale Grenze des zentralen Grau, welches mit dem 
Reste der dorsalen Säulen die einzigen grauen Partien darstellt, 
welche noch ziemlich unverändert aus dem Rückenmark bis hierher 
sich fortgesetzt haben. Denn die ventralen Säulen, das sei hinzu- 
gefügt, sind vollkommen vom Retikulum eingenommen. In dem 
zentralen Grau, das sich gegen Goll-Burdach durch die zarte 
dorsale weisse Kommissur absetzt, ist eine Zweiteilung der 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 249 


Substanz zu erkennen, nämlich ein dunkles und helles. Grau. 
Letzteres ist eine einheitliche transversal gedehnte Masse, welche 
nur spärliche Ganglienzellen beherbergt. Dieses ist dagegen 
deutlich zweigeteilt und die Teilung wird dadurch hervorgerufen, 
dass die gelatinöse Substanz, welche den noch immer sehr schmalen 
und kurzen Zentralkanal umgibt, sich zwischengedrängt hat. 
Das dunkle Grau — dunkel und hell nach dem Aussehen in 
Weigert-Präparaten — enthält grosse Ganglienzellen und 
zahlreiche feinste Nervenfasern. Es stellt den Kern des Hypo- 
glossus dar (Fig. 24). Die im dunklen Grau vorhandenen Fasern 
sind zwar im allgemeinen wirr durcheinander geworfen, doch 
zeigen sie an der Grenze zur Substantia gelatinosa deutlich eine 
kreisförmige Anordnung. Dadurch erinnert das Aussehen des 
Hypoglossuskernes an eine menschliche Mamma. Kurz nach der 
scharfen Differenzierung seines Kernes ist der Hypoglossus in 
einem Bündel intramedullar erschienen und auch sein Austritt, 
der durch den Seitenteil der kaudalen Olive hindurch erfolgt, ist 
sehr bald vorhanden (Fig. 24). 

Die Gollschen Kerne rücken unter Erhaltung der sie 
trennenden Bucht weiter auseinander und ziehen dabei die dorsale 
weisse Kommissur mit sich (Fig. 25). Denn es macht geradezu den 
Eindruck, als ob die Kommissur und mit ihr das helle Grau in den 
zwischen den Strängen entstehenden Zwischenraum hineingezerrt 
werden; ein aktives Verhalten der grauen Teile scheint im Gegensatz 
zu Phocaena nicht vorzuliegen. Die Stränge selber sind, wie auch 
schon vorhin bemerkt wurde, aufgebraucht und auch die Rarefizierung 
von Burdach macht schnelle Fortschritte. Deutlich differenziert 
wird die aufsteigende Trigeminuswurzel; die sonst unverändert 
bleibende Kleinhirn-Seitenstrangsbahn schiebt sich etwas weiter 
nach dorsal vor. Der Seitenstrangskern vergrössert sich, indem 
ventral von ihm ein Adnex erscheint, der seine Gestalt sehr un- 
regelmässig erscheinen lässt (Fig. 25). Während die Pyramide 
sichtlich an Volumen verliert, wird die Olive grösser, indem, 
zunächst gesondert von der bisherigen Masse, an ihrem dorsalen 
Ende ein heller Teil erscheint (Fig. 25), der sich aber bald mit 
der früher vorhandenen Substanz vereinigt. 

Schärfer auch wird die Mamma ähnliche Figur des Hypo- 
glossuskernes, der zugleich an Umfang sehr zunimmt. Letzteres 
kommt oftenbar dadurch zustande, dass Reste der ventralen 


250 Bernhard Rawitz: 


Säulen, die nicht im Retikulum aufgebraucht sind, in den Kern 
aufgenommen werden. Die intramedullaren Züge des Hypoglossus 
sind stärker, d. h. zahlreicher geworden und zeigen die üblichen 
streckenweisen Unterbrechungen. Ein gewisses pikantes Interesse 
bietet der Hypoglossus ferner dar, denn er zeigt eine Eigen- 
tümlichkeit, die ich bei keiner anderen Spezies angetroffen (Fig. 25). 
Man sieht nämlich ganz deutlich von Kern zu Kern durch die 
trennende gelatinöse Substanz hindurch Fasern in einem ventral 
leicht konvexen Bogen treten. Diese sehr zarten Fasern erstrecken 
sich vom ventralen Ende des noch unveränderten Zentralkanals 
bis an die dorsalen Kuppen der ventralen Stränge und stellen 
somit eine, ich will sie nennen, internucleäre Kreuzung der aller- 
ersten Fasern beider Hypoglossi vor. Es ist dies, wie gesagt, 
ein ganz einzig in seiner Art dastehendes Vorkommnis; die 
Kreuzung erhält sich sehr weit kapitalwärts. Erwähnt sei noch 
das allererste, fast schüchterne Auftreten des Vagus. 

Allmählich sind die Burdachschen Stränge und die Goll- 
schen Kerne weit lateralwärts gewandert, was wiederum zu einer 
Zunahme des transversalen Durchmessers geführt hat. Wichtiger 
als dies ist, dass nunmehr das zentrale Grau gleich einem 
abgerundeten Keil in den entstandenen Zwischenraum, ein- 
eingedrungen ist und dadurch direkt ins Freie stösst. Gleich- 
zeitig beginnt die dorsale weisse Kommissur zu schwinden. Erst 
jetzt fängt der Zentralkanal an, sich in transversaler Richtung 
etwas zu dehnen, die Ausdehnung nimmt zu, der Kanal verlängert 
sich schnell in dorsaler Richtung und verdünnt das ihm entgegen- 
stehende helle Grau, bis es endlich sich nach aussen öffnet. Der 
IV. Ventrikel ist damit entstanden, der abweichend von den bisher 
beschriebenen Spezies keine Zweiteilung besitzt. 

Betrachten wir die Oblongata in dieser Gegend genauer 
(Fig. 26). Die Form des IV. Ventrikels ist die einer tiefen Bucht 
mit konkavem Boden und schräg steil abfallenden Rändern. In 
etwa °/ı Höhe springt der Rand in fast rechtem Winkel zurück, 
um dann sanft aufsteigend sich nach aussen zu ziehen und in 
den dorsalen Kontur des Markes überzugehen. Von den beiden 
Teilen des zentralen Höhlengrau ist direkt an der Ventrikel- 
bildung nur das helle Grau beteiligt. In dieses ist die gelatinöse 
Substanz des Zentralkanals aufgegangen. Seine Grenze zum 
Gollkern wird durch einen zarten Piafortsatz bewirkt (in Fig. 26 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 251 


nicht abgebildet). Das helle Grau beherbergt namentlich in den 
Seitenpartien sehr zahlreiche grosse Zellen, — sie haben sich also 
gegen früher beträchtlich vermehrt — welche den Vaguskern 
darstellen, aber keine besondere Gruppierung besitzen. Man sieht 
aus dieser Gegend deutlich — in Fig. 25 war dies Verhältnis 
nur angedeutet — einen zarten Nervenstrang in transversaler 
Richtung mit leichter Neigung nach ventral abgehen, der eben 
der Vagus ist. In der Ecke des hellen Grau, dem Retikulum be- 
nachbart, liegt der sogenannte Fasciculus solitaris, d h. die auf- 
steigende Glossopharyngeuswurzel, welche gegen ihr erstes Auf- 
treten, das noch vor der Öffnung des Ventrikels stattfand, an 
Umfang zugenommen hat. Auch ihr Kern ist im blassen Höhlen- 
grau zu suchen. Das dunkle Höhlengrau, d.h. der sehr gross- 
zellige Hypoglossuskern, hat nach wie vor ausgeprägt Mamma 
ähnliche Gestalt. Nur wird der Raum zwischen den beiden 
Mammae nicht mehr durch die Substantia gelatinosa des Zentral- 
kanals hergestellt, denn diese ist ja in den Ventrikel einbezogen, 
sondern es ist eine feine nervöse Raphe vorhanden, welche beide 
Mammae trennt. Die Fasern dieser Raphe stammen aus den 
Hypoglossuskernen beider Seiten, die intranucleäre Kreuzung 
dieser Nerven hat also eine wesentliche Gestaltsveränderung er- 
fahren. Die von den Kernen entspringenden Wurzelfasern der 
Nerven gehen direkt in unterbrochenen Zügen ventral und 
treten durch die seitliche Partie der Oliven nach aussen. 

Die Hypoglossuskerne grenzen seitlich an das Retikulum, 
ventral an die infolge der Dehnung der Oblongata bereits weit 
dorsal gerückten ventralen Stränge. Von beiden sind sie durch 
die ersten, wiederholt erwähnten Fibrae arcuatae getrennt. Die 
ventralen Stränge, soweit sie hier in Betracht kommen, und das 
ist ja nur ihre zu beiden Seiten der Raphe gelegene Partie, 
unterscheiden sich von den Faserbündeln des Retikulum auf das 
schärfste (in Fig. 26 nicht wiedergegeben). Daran ist nicht bloss 
das dichtere Gefüge ihrer Bündel schuld, sondern auch — und 
dies gilt für alle Spezies — ihre von der der Retikulummassen 
abweichende Färbung in Weigert-Präparaten. Sie erscheinen 
darin immer tiefblau, auch wenn die Bündel des Retikulum blass- 
blau oder grau aussehen. In den ventralen Strängen treten un- 
regelmässig konturierte, ungleich grosse und sehr inkonstante 
Kernflecken auf, in welchen in wechselnder Zahl grosse Ganglien- 


252 Bernhard Rawitz: 


zellen gelegen sind. Diese Flecken wiederholen sich in allen 
weiter kapitalwärts gelegenen Regionen. 

Die ventralen Stränge sind, so wurde oben gesagt, bereits 
sehr stark nach dorsal verlagert. Das veranlassende Moment 
hierfür ist ausser der Dehnung des Markes auch die kaudale 
Olive. Dies (Gebilde unterscheidet sich nicht unwesentlich von 
dem bei Phocaena und Didelphys (Fig. 26). Dort, bei Phocaena, 
war sie zum Teil extramedullar, zum Teil intramedullar gelegen, 
besass nur eine geringe innere Gliederung und war von einem 
Nervenmantel umhüllt. Bei Didelphys lag sie ganz und gar in- 
tramedullar, war völlig ungegliedert und entbehrte eines kon- 
turierenden Mantels. Hier ist letzterer vorhanden, denn um 
das Organ herum (Fig. 26) zeigt die Nervenmasse ein dichteres 
Gefüge und umhüllt, wenn auch nur als zarter Streifen, das 
Organ. Und ferner ist eine innere Spezialisierung vorhanden. 
Man erkennt deutlich in dieser Gegend drei Teile, von denen 
zwei blattartig sind, während der dritte median gelegene einem 
Kernfleck gleicht. Ich lehne es aber ab, diese innere Spezialisierung 
durch besondere Namen, wie Nebenolive ete., zum Ausdruck zu 
bringen, eben weil sie nur eine innere, niemals eine äussere ist. 
Unzweifelhaft lehrt nämlich die lückenlose Serie den innigen 
Zusanmenhang aller drei Teile. Zu konstatieren ist, dass die 
der Olive aufliegenden Fasern keinen sogenannten Lemniscus 
bilden. Von einem Hilus der Olive kann streng genommen nicht 
gesprochen werden, denn die Fasermassen treten in sie da ein 
oder gehen aus ihr dort heraus, wo sie Platz haben, also bald 
an der lateralen, bald an der medialen, bald an der dorsalen 
Seite. Dass sie vom austretenden Hypoglossus durchsetzt wird, 
ist schon gesagt. Zwischen den Oliven ist die Raphe sehr breit; 
die kleinen Pyramiden liegen den Oliven kappenartig auf. 

Der Seitenstrangskern (Fig. 26), der lateral von den Oliven 
gelegen ist, hat eine sehr unregelmässige Gestalt. Er reicht 
etwas dorsal, aber auch sehr stark lateral und erstreckt sich 
bis zur aufsteigenden Trigeminuswurzel. Zuweilen ist das der 
letzteren benachbarte Kernende von der Hauptmasse abgetrennt 
und der Kern scheint dann aus zwei kleinen Portionen zu 
bestehen. Überhaupt ist sein Umfang sehr starken Schwankungen 
unterworfen. Die aufsteigende Trigeminuswurzel ist sehr massiv 
geworden, während ihr Kern noch etwas mehr gegen früher ver- 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 253 


kleinert ist. Sie ist dorsoventral gelagert, d. h. sie findet sich 
am Seitenrande der Oblongata, doch gehört ihre Region zur 
dorsalen Hälfte des Organs. Gegen die Burdachschen Stränge 
hin, deren Nervenmassiv fast völlig verbraucht ist, — Gollkern 
und Burdachkern sind jetzt vereinigt — grenzt sich die 
Wurzel durch einen gegen das Markinnere vorspringenden Haken 
ab (Fig. 26). Während also der früher beschriebene ventrale 
Vorsprung gegen den Seitenstrang geschwunden ist, findet sich jetzt 
ein solcher dorsal. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist unverändert. 

Nur geringfügig sind die Veränderungen in den nächsten 
kapitalwärts gelegenen Ebenen. Es rührt dies daher, dass der 
Ventrikel nur sehr allmählich weiter wird. Die Veränderungen 
sind die folgenden: Der Vagus erreicht allmählich seinen Austritt 
und er durchsetzt zu dem Behufe den ventralen Rand der auf- 
steigenden Trigeminuswurzel mit dem zugehörigen Kern. Die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn verlängert sich weiter dorsalwärts und 
liegt jetzt dem Burdachschen Kerne aussen auf. Zwischen dieser 
Bahn und der Trigeminuswurzel tritt ein bald wieder verschwinden- 
der Kernfleck auf. Die Olive endlich spezialisiert sich mehr, sie 
zeigt nämlich eine Zusammensetzung aus vier Blättern. Damit 
aber wird die morphologische Einheitlichkeit des Organs nur noch 
offenkundiger als vorher. Ein deutlich differenzierter Hilus ist 
an ihr nicht zu erkennen. 

Allmählich legt sich der IV. Ventrikel breiter aus und dadurch 
weichen die einzelnen Teile etwas weiter auseinander. Goll- 
Burdachkern, die ja schon längst einheitlich geworden waren, 
können jetzt bereits als Kern der kapitokaudalen Acustieuswurzel 
betrachtet werden. Freilich lässt sich nicht mit Bestimmtheit 
sagen, wo und wann der schon bei den früheren Spezies erwähnte 
Funktionswechsel stattgefunden hat. Approximativ wird sich an- 
nehmen lassen, dass dies statthat, wenn die Strangmassen von 
Burdach geschwunden sind und die vom Kern ausgehenden 
Arcuatae dünner zu werden anfangen. Dieser Kern nun ist ganz 
an den Seitenrand der Oblongata gedrängt, während er noch vor 
kurzem auf deren dorsalem Kontur gelegen war. Am dorsalen 
Ende der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist ein unregelmässiger Kern 
aufgetreten, welcher mit dem Goll-Burdachkerne zu kommuni- 
zieren scheint. Es ist dies offenbar der hier sehr stark verlagerte 
Monakowsche Kern. 


254 Bernhard Rawitz: 


Es ist ganz auffällig, wie lange es dauert, ehe sich die Wände 
des IV. Ventrikels soweit auseinander gelegt haben, dass der Ven- 
trikelboden eine gerade Linie bildet. Bei keiner der bisher ge- 
schilderten Spezies ist dies in solchem Maße der Fall. Noch bevor 
die völlige Ausweitung beendet ist, fangen diejenigen Teile an 
sich zu verkleinern oder sogar zu schwinden, welche bis jetzt der 
inneren Konfiguration des verlängerten Markes das charakteristische 
Aussehen verliehen. Zunächst Pyramiden und Oliven. Jene stellen 
fast ganz runde, nicht zu grosse Nervenkomplexe dar, welche 
genau an der Umbiegungsstelle des medialen zum ventralen Mark- 
kontur gelegen sind. Sie ragen, wie schon früher hervorgehoben, 
wenig oder gar nicht über den Markkontur heraus, unterscheiden 
sich hier zwar noch von den Seitenteilen des Markes, üben aber 
naturgemäss keinen gestaltenden Einfluss mehr auf die Oblongata 
aus. Die Oliven schwinden sehr schnell, besitzen also nur eine 
sehr geringe Ausdehnung. Der Seitenstrangskern ist bis auf einen 
Rest geschwunden, der intramedullare Verlauf des Hypoglossus, 
dessen Austritt längst nicht mehr vorhanden, hört auf und das 
Remplacement des Vagus durch den Glossopharyngeus hat statt- 
gefunden. Des letzteren Nerven aufsteigende Wurzel biegt all- 
mählich in die dorsoventrale Verlaufsrichtung ein, wobei sie derart 
zieht, dass sie sowie die vom hellen Grau, das jetzt Glosso- 
pharyngeuskern geworden ist, entspringenden Fasern pedantisch 
den Weg innehalten, den vorher der Vagus gegangen. Der Kern 
in dem dorsalsten Abschnitte der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
(Monakowscher Kern) ist etwas grösser geworden, während seine 
Kommunikation mit dem Burdachkern beseitigt ist. Es rührt 
dies daher, dass Faserbündel der genannten Bahn sich zwischen 
beide Kerne gedrängt haben. Im früheren Gollschen Kern sind 
die ersten Bündel der kapitokaudalen Acusticuswurzel erschienen. 
Nur das zentrale Höhlengrau ist bis jetzt fast unverändert ge- 
blieben. Allerdings nimmt der Hypoglossuskern jetzt die Mitte 
des Bodens des Ventrikels ein, aber seine Form und Grösse sind 
die gleichen wie früher. Die internucleäre Kreuzung der Hypo- 
glossusfasern existiert längst nicht mehr. Und auch das helle 
Grau, das lateral vom dunklen gerückt ist, zeigt unveränderte 
Verhältnisse. Nur nebenher will ich erwähnen, dass einige 
Bündel der aufsteigenden Trigeminuswurzel nach innen abge- 
sprengt sind. 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 255 


Langsam, wie gesagt, erweitert sich der IV. Ventrikel und 
allmählich stellt sich jetzt eine Veränderung des zentralen Höhlen- 
grau ein. Während der Hypoglossuskern, der seinen Nerven 
lange überdauert hatte, kleiner wird, verändert sich allmählich 
der Charakter des hellen Grau. Von seinem Rande her, also von 
der Nachbarschaft des Kerns der kapitokaudalen Acusticuswurzel 
füllt sich das helle Grau allmählich mit zartesten, wirr durch- 
einander gelegenen Nervenfasern und wird dadurch dunkel. Ein 
Rest von ihm, der hell bleibt, wird in die Ecke zum Reti- 
kulum hineingedrängt, um nach Aufbrauchung der aufsteigenden 
(rlossopharyngeuswurzel zu schwinden. Allmählich hört die Zwei- 
teilung des Höhlengrau auf und wir haben ein einheitliches Grau 
vor uns, das an Umfang sehr reduziert ist. Mit dem Schwinden 
der Oliven tritt der fast marginal gelegene Facialiskern auf. 
Er ist noch dann recht klein, wenn der Rest der Oliven im Schnitt 
nur noch als ein verschwommener heller Fleck zu sehen ist. 

Die stärkste Veränderung zeigt sich an der Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn. Sie buchtet sich da, wo sie der Trigeminuswurzel 
anliegt, seitlich stark aus. Die Ursache dafür ist ein zwischen 
Bahn und Wurzel auftretender konzentrisch gestreckter Kern, 
der mit dem vorher beschriebenen sich bald vereinigt. So hat 
bei dieser Spezies der Monakowsche Kern eine sehr beträcht- 
liche Ausdehnung und eine ganz eigenartige Gestalt. Ausserdem 
verkürzt sich auch die Bahn, d. h. sie nimmt an Ausdehnung ab, 
indem sie sich aus der Gegend des früheren Burdachschen 
Stranges zurückzieht. Sie wird dadurch in der Höhe der noch 
immer dorsolateral gelegenen Trigeminuswurzel dicker und springt 
daher als ein ziemlich voluminöser Knollen nach aussen vor. 
Ich glaube, dieser Vorgang rührt daher, weil die Bahn dem 
bald erscheinenden kaudalen Acusticuskern Platz machen muss. 
Zwischen der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn und der Trigeminus- 
wurzel verläuft ein dünner Zug konzentrischer Fasern, welcher 
medial von der Wurzel sich in einzelne Bündel aufspaltet. Es ist 
dies die kaudalste Partie des Corpus trapezoides, dessen Ursprung 
natürlich viel weiter kapitalwärts gelegen ist. 

Wenn die vorhin geschilderte Vereinheitlichung des zentralen 
Höhlengrau beendet ist, dann ist der Glossopharyngeus noch 
immer in seinem Verlaufe voll erhalten. Die kapitokaudale 
Acusticuswurzel hat an Ausdehnung immer mehr zugenommen 


256 Bernhard Rawitz: 


und zahlreicher auch und grösser sind die zwischen ihren 
Bündeln gelagerten Ganglienzellen. Der Monakowsche Kern 
schwindet von da ab schnell, die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
verkürzt sich zu gleicher Zeit und wird noch dicker als vorher. 
Ungewöhnlich schnell nimmt jetzt der Facialiskern an Grösse zu, 
von dem in der Weise, wie auch bei den vorher behandelten 
Spezies erwähnt wurde, ein starker Nervenstrom dorsalwärts 
geht. 

Erst wenn die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel völlig 
aufgebraucht und der letzte intramedullare Rest dieses Nerven 
geschwunden ist, — der Nervenkern persistiert noch einige 
Zeit — erst dann erscheint der kaudale Acustieus. Die Umbildungen 
und Umlagerungen im Mark haben jetzt ihr Ende erreicht; die 
letztere Umlagerung betraf die aufsteigende Trigeminuswurzel, 
welche durch den Acusticus ventral gedrängt worden ist. Der 
kaudale Acusticus tritt in der Schnittserie zunächst, ganz wie 
bei Didelphys, als ein isoliertes Stück grauer Substanz auf, das 
fast wie Grosshirnrinde aussieht. Dann verschmilzt das Stück 
allmählich mit der Oblongata, der es sich kappenartig auflegt 
(Fig. 27), es erscheinen in ihm zwischen zahlreichen kleinen 
(Ganglienzellen Nervenfasern, die dann bald am Seitenrande der 
Oblongata in breiter Wurzel austreten. Die graue Substanz stellt 
dabei den äusseren Belag der Wurzel dar. Nach innen geht die 
graue Substanz, d.h. der Kern der kaudalen Acustieuswurzel 
(hintere Wurzel der Autoren) in einen feinen gliösen Streifen 
über, der sich mit dem gliösen Belag des Ventrikelbodens vereinigt. 
Mächtig entwickelt ist auch die kapitokaudale Wurzel des Acusticeus 
(Fig. 27), welche vom Ventrikelrande bis zur Trigeminuswurzel 
reicht. Zwischen diesen beiden Teilen des Hörnerven liegt ein- 
gekeilt die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn. Sie gleicht einer senk- 
recht zum Oblongatarande gebogenen Keule, die sich ventral- 
wärts ein klein wenig verschmächtigt. Hier steckt sie in den 
vom kaudalen Acusticus sich abzweigenden Massen des Corpus 
trapezoides (Fig. 27; der Zusammenhang zwischen Trapezoides 
und Acusticus war in dem abgebildeten Schnitt noch nicht zu 
sehen). Letzteres verjüngt sich ventral von der Trigeminus- 
wurzel und spaltet sich dann. in einzelne Faserbündel auf (in 
Fig. 27 nicht gezeichnet), welehe zwischen der hier leicht 
prominierenden Pyramide und dem Reste des ventralen Stranges 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 294 


zur Raphe ziehen. Der sehr mächtige Facialiskern (Fig. 27) 
sendet einen breiten Nervenstrom dorsalwärts. 

Das Höhlengrau ist in der Medianebene des Ventrikels 
nicht vorhanden; hier wird der Boden der Rautengrube nur 
durch einen schmalen Streifen gliöser Substanz gebildet, welcher 
den nunmehr ganz dorsal gerückten ventralen Strängen aufruht. 
Seitlich davon ist das Grau wieder sehr stark entwickelt und 
ragt als ein mächtiger Keil mit seiner Basis nach aussen (Fig. 27). 
Es kommuniziert hierbei mit dem etwas verkleinerten Kern der 
aufsteigenden Trigeminuswurzel. 

Der kaudale Acusticus vergrössert sich und es kann keinem 
Zweifel unterworfen sein, dass er ausser den Fasern, welche von 
seinem beschriebenen Kern stammen, auch solche enthält, welche 
im lateralen Teil des zentralen Höhlengrau entspringen. Doch 
kommt es nicht zur Bildung der sogenannten Striae acusticae. 
Allmählich gehen auch die Bündel der kapitokaudalen Acusticus- 
wurzel in die dorsoventrale Verlaufsrichtung über und bilden 
dadurch den kapitalen Acusticus (vordere Wurzel der Autoren). 
Es gehen diese Fasern zu denen des kaudalen Acusticus und 
trennen dadurch die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn vom Corpus 
trapezoides. Letzteres löst sich am ventralen: Rande in dicht 
liegende einzelne Faserstränge auf, welche die vorhin beschriebene 
Richtung zur Raphe nehmen. Gleichzeitig mit dem Auftreten 
der kapitalen Acusticuswurzel ist der Facialiskern rapid kleiner 
geworden und ist die Kkapitale, kleine Olive erschienen. Der nur 
noch, wie gesagt, sehr wenig umfangreiche Facialiskern entsendet 
auch einen nur schwachen Nervenstrom, welcher sich mit dem 
aus früheren Ebenen stammenden zur Bildung des Fascialisknie 
zusammenlegt. Ist letzteres zunächst auch noch nicht scharf 
umschrieben, so ist es doch angedeutet und liegt lateral von den 
ventralen Strangresten. Die kapitalen Oliven erscheinen zunächst 
als zwei kleine kreisrunde, durch konzentrische Nervenfasern 
von ihrer Umgebung abgesonderte Gebilde, welche nebeneinander 
liegen. Beide sind durch eine breite Nervenbrücke miteinander 
verbunden. 

Nunmehr fängt der kaudale Acustieuskern zu schwinden an 
und zwar geht zunächst derjenige Teil weg (Fig. 28), welcher 


auf dem dorsalen Kontur des Markes lag und das sogenannte 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 167 


258 Bernhard Rawitz: 


Tubereulum acusticum bildete. Der lateral von der entsprechenden 
Wurzel liegende Teil des Kernes bleibt noch dann erhalten, wenn 
die Wurzel selber bereits geschwunden ist. Mit diesem Moment, 
also erst wenn der kaudale Acusticuskern nahezu aufgebraucht 
ist, treten die Bindearme zum Kleinhirn auf, während die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn noch lange sich ziemlich unverändert 
erhält. Sie ist wohl teils durch den Druck von seiten der Binde- 
arme, teils durch den Widerstand beider Teile des Acusticus auf 
einen engeren Raum zusammengepresst, sodass sie jetzt ein dreh- 
rundes Gebilde darstellt (Fig. 28); aber sie wird noch lange 
nicht vom Kleinhirn aufgebraucht. Von den Bindearmen, denen 
übrigens im Gegensatz zu Didelphys kein Kern im Cerebellum 
zukommt, strömt in der Nachbarschaft des IV. Ventrikels ein 
Faserbündel direkt dorsoventral mit leichter Neigung median- 
wärts zur Raphe. Noch ist die Verbindung zwischen Kleinhirn 
und Oblongata keine sehr ausgiebige, denn ausser dem immer 
noch vorhandenen recht beträchtlichen kaudalen Acustieus hindert 
daran auch die kapitokaudale Acusticuswurzel mit ihrem Kern, 
die noch lange nicht ganz und gar in die austretende Richtung 
eingebogen ist. 

Mächtig ist jetzt der Facialis ausgebildet (Fig. 28). Der 
Kern und mit ihm der Nervenstrom sind, wie vorhin schon 
bemerkt wurde, geschwunden: dafür aber hat das Knie einen 
sehr grossen Umfang erreicht. Es hat die Reste der ventralen 
Stränge fast ganz vom Ventrikelboden verdrängt, ist seinerseits 
bis an ihn gelangt und hat ferner das zentrale Höhlengrau ein- 
geengt. Letzteres ist unstreitig an Umfang geringer geworden, 
uud zwar aus Gründen, die gleich erörtert werden sollen, denn 
seine eigentliche Reduktion findet erst weiter kapitalwärts statt. 
Ausser dem Knie ist auch der austretende Facialis vorhanden. 
Man sieht seine Wurzel über den Kontur des Markes heraus- 
ragen und sieht, dass er als breiter Strang noch ein gutes 
Stück medullarwärts reicht (Fig. 28). Seine Verbindung mit dem 
Knie ist noch nicht erfolgt. 

Ferner ist der Abducens intramedullar zu sehen (Fig. 28). 
Sein Kern, ein kreisrundes, kleines Gebilde, liegt ventral vom 
Facialisknie, diesem dicht an. Aus dieser Tatsache folgt, dass 
ein Teil des zentralen Höhlengrau dadurch nach ventral abgesprengt 
wurde, dass das Facialisknie sehr weit medial- und dorsalwärts 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 259 


gerückt ist. Denn es findet sich nicht, wie bei manchen anderen 
Arten, lateral von den ventralen Strangresten, sondern liegt 
ihnen auf. Das Auftreten des Abducens vollzog sich übrigens 
in der üblichen Weise. Erst war der Kern vorhanden, der 
allmählich verlagert wurde. Dann traten intramedullare unter- 
brochene Faserzüge auf, die sich zuerst mit dem Kern ver- 
banden und nur nach und nach bis zur Austrittsstelle fort- 
schritten. Und das Verschwinden geht den umgekehrten Weg: 
erst die Austrittsstelle, dann der intramedullare Verlauf, dann 
der Kern. Der Abducens zieht direkt dorsoventralwärts, durch- 
kreuzt den sich bildenden Pons und tritt hart am lateralen 
Kontur des Pyramidenrestes nach aussen. Die kapitale oder 
kleine Olive (Fig. 25) hat sich gegen ihr erstes Erscheinen nur 
wenig geändert. Wohl sind ihre beiden Abschnitte grösser 
geworden, sodass sie einander sich genähert haben, aber ihr 
Aussehen ist unverändert geblieben. Im ganzen ist das Gebilde 
sehr wenig umfänglich. 

Auf diesem Stadium der inneren Konfiguration des Markes 
hat die Ponsbildung bereits nicht unbeträchtliche Fortschritte 
gemacht. Und wiederum muss ich konstatieren, wie bei Didelphys, 
dass hier ein Remplacement stattgefunden hat. Denn in der- 
selben Gegend, in welcher die Fasern des Trapezoides zu finden 
waren, liegt jetzt marginal das breite Nervenbündel, das gegen 
die Medianlinie, nach innen von der kapitalen Olive, in einzelne 
Faserzüge sich spaltet, welche die ventralen Stränge dorsal vom 
Pyramidenrest liniieren. Die Kreuzung der gegenseitigen Fasern 
in der Medianlinie ist sehr breit, Ganglienzellen aber fehlen hier. 
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass einzelne Fasern 
der jetzt ganz ventral liegenden aufsteigenden Trigeminuswurzel 
in die dorsoventrale Richtung einbiegen. 

Die Oblongata nähert sich nunmehr schnell ihrem Ende. 
Der Acusticus schwindet nach und nach, der intramedullar ge- 
legene Teil der Facialis trennt sich von seinem Austritt, sodass 
der letztere bald vorüber ist, während der erstere allmählich seine 
Verbindung mit dem Knie erlangt. Auch die kapitale Olive wird 
zusehends kleiner; sie verschwindet jedoch erst vollständig, wenn 
der Trigeminus in voller Ausbildung ist. Am schnellsten schwindet 
der Abducens, was bei der geringen Ausdehnung des intra- 


medullaren Gebietes dieses Nerven nicht Wunder nehmen kann. 
07.E 


260 Bernhard Rawitz: Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 


Erst wenn der Acusticeus völlig erschöpft ist, biegt die Klein- 
hirn-Seitenstrangsbahn aus der kapitokaudalen in die dorsoventrale 
Richtung ein und sie ist dann aus der Oblongata heraus ganz in 
die Substanz der Bindearme gewandert. Dann aber ist längst 
die morphologische Grenze der Oblongata überschritten. 


Figurenerklärung auf Tafel IX und X. 

Es war meine Absicht, nach dem Vorgange von Hans Virchow die 
nötigen Figuren durch Photo-Zeichnungen herzustellen; äussere Umstände 
zwangen mich, davon Abstand zu nehmen. Die Figuren sind in ihren Um- 
rissen und in den wesentlichen Einzelheiten mit dem Abbeschen Zeichen- 
apparat hergestellt und nachher bei der gleichen Vergrösserung ausgeführt. 
Ich habe, um unnötige Komplikationen bei der Wiedergabe zu vermeiden und 
um die Bilder nicht mit Nebensächlichkeiten zu überlasten, nur das Wesent- 
liche bezw. das, was mir wesentlich erschien, abgebildet. Ich hoffe, dadurch 
das Verständnis der Figuren erleichtert zu haben. 

Folgende Bezeichnungen sind allen Figuren gemeinsam: d — dorsal; 
v = ventral; D = dorsale Säule; V = ventrale Säule; Vs = ventraler Strang; 
R = Retikulum; ce — Zentralkanal; CG —= zentrales Grau; GK = Kern des 
Gollschen Stranges; GS = Gollscher Strang; BK —= Kern des Burdach- 
schen Stranges; BS —= Burdachscher Strang; GBK —= Goll-Burdach- 
Kern; De = Decussatio; P— Pyramide; KS — Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ; 
Ve — Ventrikel; SK — Seitenstrangskern; MK = Monakowscher Kern; 
0 = kaudale Olive; KO = kapitale Olive; Ctr = Corpus trapezoides; Po — 
Pons; Ce — Üerebellum; bi — Bindearme; pi — Piafortsatz. XII — Hypo- 
glossus; XIIK = H.-Kern; X = Vagus; XK = V.-Kern; IX = Glosso- 
pharyngeus; IXa — aufsteigende Glossopharyngeuswurzel; VIII = Acusticus; 
VII: = kaudaler; VIIIz — kapitokaudaler A.; VII = Facialis; VIK=F.- 
Kern; VI = Abducens; VIK — A.-Kern; V = aufsteigende Trigeminuswurzel. 

Fig. 1--14. Phocaena communis. 

Die Figuren sind bei 9—12facher Vergrösserung gezeichnet, nur 
Fig. 7, welche die Olive allein zeigt, ist 20fach vergrössert. Reduktion 
bei der Wiedergabe auf ®/s. In Fig. 7 bedeutet m — mediale Seite; in 
Fig. 13 KK = Keilkern. 

Fig. 15—23 Didelphys marsupialis. 

Fig. 15 = 35:1 verer. ; Fir 2081 :2Pig. 17 — 20:0, ie 
25:1; Fig. 19 —= 25:1; bis hierher auf ?/s bei der Reproduktion verkleinert; 
Fig. 20, = 19:1; Fig, 21=419:1; Fig)22 19:1; Fig. 23 =20 1 diese 
Figur auf ?/s verkleinert. 

Fig. 24—28. Sus scrofa. 

Die Fig. 24—27 sind 7fach, die Fig. 28 ist 8fach vergrössert. Fig. 25 

und 26 auf ?‘,, Fig. 27 und 28 auf ?/s verkleinert. 


261 


Bemerkungen zu dem Aufsatze P. Schmidts: 


„Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen.“ 


Von 
Franz Weidenreich. 

Im dritten Heft des 72. Bandes (S. 497) dieser Zeitschrift 
beschäftigt sich P. Schmidt mit der Polychromatie und der 
basophilen Körnelung der roten Blutkörperchen; seine Aus- 
führungen bringen in der Frage selbst nichts Neues und sind 
lediglich polemisch gegen mich gerichtet. Mich eingehender 
mit der Schmidtschen Arbeit zu beschäftigen, kann ich mir 
schon deswegen versagen, weil die Frage selbst nach den neueren 
Arbeiten anderer Autoren, die Schmidt nicht zu kennen 
scheint — wenigstens erwähnt er sie nicht —, in dem von mir 
vertretenen Sinne entschieden sein dürfte, besonders aber auch 
aus dem Grunde, weil Schmidt mich kritisiert, ohne dass er 
sich mit meinen Arbeiten ') über die Degeneration des Erythro- 
blastenkernes und die Struktur der Erythrozyten überhaupt 
bekannt gemacht oder meine Angaben gar nachgeprüft hätte. 

Dass die Polychromatie an und für sich sowohl ein Zeichen 
jugendlicher als auch degenerierender Erythroblasten oder Ery- 
throzyten sein kann, wird jetzt fast ganz allgemein angenommen, 
so dass ich es ablehne über diese Frage weiter zu diskutieren. 
Merkwürdig ist nur, dass Schmidt gegen mich aber besonders 
auch da polemisiert, wo wir einer Meinung sind; die innige 
Beziehung zwischen der Polychromatie kernloser Erythrozyten 
und der basophilen Körnelung erkenne ich durchaus an, nur hat 
der Kern mit der ganzen Frage nichts zu tun. Die Erythro- 
blasten sind ursprünglich bei noch intakten oder wenig ver- 
änderten Kernen polychromatisch und gerade die Tatsache, dass 
sie während der Mitose polychromatisch sind, spricht doch mit 
absoluter Bestimmtheit dafür, dass jene färberische Eigentüm- 
lichkeit nicht auf degenerativem Austritt von Kern- 
bestandteilen in das Plasma beruhen kann. Schmidt redet 


!) Weidenreich, F.: Die roten Blutkörperchen I. Ergebn. d. Anat. u. 
Entwickl. XIII. Bd.: 1903, 1904. 
Derselbe: Die roten Blutkörperchen II. Ebenda XVI. Bd.: 1904, 1909. 


262 Franz Weidenreich: 


hier von Nukleolen und anderen Kernsubstanzen, die austreten 
können, ohne dabei aber zu bedenken, dass doch die Basophilie 
des Plasmas als Effekt einer Beimischung basophiler chromatischer 
Kernsubstanzen bei gleichzeitiger Kerndegeneration gedeutet 
wurde. Was soll da der Hinweis auf den physiologischen Aus- 
tausch nicht chromatischer Substanzen zwischen Kern und Plasma ? 
Ferner sei daran erinnert, dass gerade die Erythroblasten, die 
die Kerndegeneration in der ausgeprägtesten Form zeigen, nicht 
mehr poly-, sondern orthochromatisch sind. | 


Was nun die basophile Körnelung angeht, so hat auch sie 
nicht das geringste mit der Kerndegeneration zu tun. Im Blute 
des normalen Meerschweinchens kann man basophil gekörnte 
Erythrozyten in Mengen finden, ohne auch nur ein einziges 
kernhaltiges rotes Blutkörperchen oder gar Übergangsformen zu 
sehen, und im Knochenmark, wo man sie doch, wenn sie auf 
Kerndegeneration zurückzuführen wären, in Unmasse treffen 
müsste, findet man keine oder nur die Stadien und die Mengen, 
die man auch im zirkulierenden Blute findet. Ich brauche aut 
all diese Dinge deswegen nicht weiter einzugehen, weil meine 
Angaben über Kerndegeneration und basophile Körnelung bis 
ins einzelne von J. Jolly!) in einer grossen mit zahlreichen 
Abbildungen versehenen Abhandlung bestätigt wurden, speziell 
noch in der Frage der Körnelung haben sich J. Jolly und 
A. Vall&e?) ganz auf meine Seite gestellt. Ausserdem haben 
Pappenheim°®) und Löwit‘) das normale Vorkommen beim 
Meerschweinchen durchaus bestätigt und stimmen in den Haupt- 
punkten mit mir überein. Endlich hat in neuerer Zeit 8. As- 
kanazy°), der die fragliche Granulierung zuerst genauer be- 
schrieb und deutete, seine ursprüngliche Ansicht von der Kern- 


ı) Jolly, J.: Recherches sur la formation des globules rouges des 
mammiferes. Arch. d’Anat. mierosc. T.IX. 1907. Mit 5 Tafeln. 

®) Jolly,J.et Vall&e, A.: Sur les granulations basophiles des h&maties. 
C.T.,Soc. Biel. ‚Parse T. LXIE Ne 190% 

®) Pappenheim, A.: Einige Bemerkungen über Methoden und Er- 
gebnisse der sogenannten Vitalfärbung an den Erythrozyten. Folia häma- 
tolog. IV. Jahrg. Suppl. 1907. 

*) Löwit, M.: Über die Membran und die Innenkörper der Säugetier- 
erythrozyten. Beitr. z. patholog. Anat. u. zur allg. Pathol. 42. Bd. 1907. 

>) Askanazy, $.: Über die Körnung der roten Blutkörperchen bei 
anämischen Zuständen. Zeitschr. f. klin. Mediz. 64. Bd. 1907. 


Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen. 263 
natur geändert und sieht in ihr in Übereinstimmung mit mir 
den Ausdruck einer Protoplasmaveränderung. Auffallend ist nur, 
dass alle diese schon längst auch referierten Arbeiten von 
P. Schmidt in seinem Artikel nicht erwähnt, also wohl über- 
sehen worden sind; es ist das um so bedauerlicher, weil sie 
Schmidt gewiss Veranlassung gegeben hätten, sich eingehender 
mit der Sache zu befassen und sich von der Unhaltbarkeit seiner 
Ansichten zu überzeugen, was mir allein anscheinend nicht gelang. 

Zum Schlusse möchte ich noch auf einen Passus in den 
Schmidtschen Ausführungen hinweisen, der mir bezeichnend 
zu sein scheint. Auf der zweiten Seite erwähnt er, dass er sich 
mit Hilfe meiner Osmiummethode der Fixation von der Richtig- 
keit der Ausstossungstheorie des Kernes überzeugt hätte; er 
sagt da: „Es ist nicht wahrscheinlich, dass bei dem schonenden 
Ausstreichen in dicker Schicht und der Fixierung nach Weiden- 
reich die Kerne in grösserer Zahl artifiziell ausschlüpfen sollten.“ 
Aber auf der letzten Seite bezeichnet er die gleiche Fixierungs- 
methode als „unsicher und ungeeignet.“ Was er sonst noch 
über die Giemsa-Färbung sagt, ist durchaus belanglos; denn 
ob diese Färbung nach Osmiumfixation „typisch“ ist oder nicht, 
ist völlig gleichgültig, die Hauptsache ist, dass sie die morpho- 
logischen Besonderheiten der Zellen in einer Weise darzustellen 
vermag wie keine andere Methode. Sie gegen Schmidt noch 
besonders zu verteidigen, halte ich für unnötig, weil sie — zahıl- 
reiche Zuschriften beweisen mir das — für sich selbst spricht 
und Schmidt selbst seiner eigenen Angabe nach erfolgreich 
mit ihr arbeitete. 


2 


Zur Morphologie des Muskelglykogens 
und zur Struktur der quergestreiften Muskelfaser. 


Von 


Professor Dr. Julius Arnold in Heidelberg. 


Hierzu Tafel XI und XI. 


Durch die Untersuchungen über die Morphologie des 
Leber- und Knorpelglykogens') hat die Plasmosomengranulalehre 
wichtige Förderung erfahren. Der Einblick in das morphologische 
Wesen und die biologische Bedeutung dieser Gebilde ist erweitert 
und vertieft worden; ausserdem haben sich aber bemerkenswerte 
Tatsachen bezüglich der Struktur der genannten Zellformen er- 
geben. Es konnte der Nachweis geführt werden, dass die Plasmo- 
somen bezw. Granula an dem Glykogenumsatz in hervorragender 
Weise beteiligt sind. In wechselnder Zahl, Anordnung und Ver- 
breitung fanden sich im Plasma teils diskrete Glykogengranula, 
teils waren sie zu Ketten mit bald gefärbten, bald ungefärbten 
/wischengliedern aneinandergereiht; oder aber sie erschienen in 
Fäden eingebettet, welche Netze von verschiedener Ausbreitung 
bildeten. Besonders bemerkenswert war der Befund von mito- 
chondrienartigen Granula, welche Glykogen enthielten, während 
solches im übrigen Plasma sich nicht wahrnehmen liess. Es waren 
Bilder, welche an Nebenkerne, Phormien, Netzapparate, Tropho- 
spongien etc. ihrer Gestalt nach erinnerten. Durch den Nachweis 
von Glykogen in diesen Formen wurde dargetan. dass Plasmo- 
somen und Granula einen wesentlichen Strukturbestandteil dieser 
Zellen abgeben und dass in ihnen bedeutungsvolle Stoffwechsel- 
vorgänge sich abspielen. 

Diese Ergebnisse berechtigten zu der Erwartung, dass 
durch morphologische Untersuchung des Muskelglykogens Auf- 
schlüsse über die Anordnung und Bedeutung des Sarcoplasmas, 
namentlich der Sarcosomen, vielleicht aber auch über die Struktur 
der kontraktilen Substanz — des Myoplasmas — sich gewinnen 


) Virchows Archiv, Bd. 193 u. 194. 1908. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 18 


266 Julius Arnold: 


liessen. In den nachfolgenden Zeilen soll Rechenschaft darüber 
abgelegt werden, inwieweit meine dahin abzielenden Bestrebungen 
Erfolg hatten. 


Material und Methoden. 


Auf eine vergleichende Untersuchung der quergestreiften 
Muskeln verschiedener Tiergattungen, so lehrreich sie voraus- 
sichtlich für die Fragen der Morphologie des Glykogens und 
der Struktur der Muskelfasern sich erweisen wird, musste ich 
verzichten. Die Bearbeitung menschlicher Muskeln versprach 
wegen der schwierigen Beschaffung ganz frischen Materials, 
namentlich aber wegen des sehr schwankenden Glykogengehalts 
keine Erfolge. Aus diesen Gründen beschränkte ich mich auf 
die Untersuchung von Froschmuskeln (Extremitäten- und Bauch- 
musknlatur). Auch bei ihnen ist bekanntlich der Glykogengehalt 
einem sehr grossen Wechsel unterworfen. Man muss eine grössere 
Zahl von Fröschen untersuchen, bis man einige Exemplare mit 
glykogenreichen Muskeln gefunden hat. 


Methoden. 


1. Darstellung der Granula mittelst vitaler 
Färbung. In dieser Hinsicht darf ich zunächst Bezug nehmen 
auf die Methode der Einführung von indigschwefelsaurem Natron 
in das Blut und die Lymphe lebender Tiere. Wie ich vor 
längerer Zeit (Nr. 3 u. 4)!) nachgewiesen habe, treten bei solchen 
Versuchen gefärbte Granula im Sarcoplasma der Muskelfasern in 
wechselnder Zahl und Anordnung auf. Ganz ähnliche Resultate 
erhält man bei der vitalen Zufuhr von Methylenblau und Neu- 
tralrot (Nr. 6). 

2. Darstellung der Granula mittelst der supra- 
vitalen Färbung. Da bei dem Einlegen kleiner Muskel- 
stückchen in Farbstofflösungen nur vereinzelte Granula sich 
tingierten, schlug ich einen anderen Weg ein. Der sehr dünne 
Brusthautmuskel des Frosches wurde vorsichtig abgetragen, ohne 
irgend welchen Zusatz auf ein nach Rosin und Bibergeil?) 
mit Farbstoff (Neutralrot und Methylenblau) beschicktes Deck- 


!) Die Nummern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis. 
?) Man lässt Farbstofflösungen in dünnen Schichten auf den Deck- 
gläsern eintrocknen. 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 267 


glas aufgelegt und in eine Glaskammer luftdicht eingeschlossen. 
Nach kurzer Zeit traten zahlreiche gefärbte Sarcosomen auf. 


3. Mazeration in Jodkali. Kleine Muskelstückchen 
werden in 10°/o gelbe Jodkalilösung, welcher Eosin oder Säure- 
fuchsin zugesetzt ist, bei 36° C. im Brütoten zweimal 24 Stunden 
und länger digeriert. Man kann mittelst dieses Verfahrens das 
Sarcoplasma bezw. die Sarcosomen mit ihren fädigen Verbindungen 
sowie die Muskelfibrillen isolieren. Bezüglich der Einzelheiten 
darf ich auf meine früheren Mitteilungen (Nr. 5) verweisen. 


4. Konservierung in 96 °Jo Spiritus.. Die Tiere 
wurden lebend in ein mit Spiritus gefülltes Glas geworfen, in 
welchem sie mindestens vier Tage verblieben. Nach erfolgter 
Härtung löste ich die Muskeln vorsichtig ab und bettete sie in 
Celloidin oder Paraffın ein. — Tinktion nach den gewöhnlichen 
Methoden. 

5. Konservierung in Sublimat-Chlornatrium 
(ohne Eisessig). Präparation, Einbettung und Tinktion wie bei 4: 
ausserdem hauptsächlich Färbung nach der Eisenhämatoxylin- 
methode. 

6. Konservierung in Bendascher Chromosmium- 
lösung (15 Vol. 1°/o Chromsäure, 4 Vol. 2°/o Osmiumsäure:; 
Zusatz von drei Tropfen Eisessig unmittelbar vor Gebrauch). — 
In dieser Lösung verbleiben die Präparate S—10 Tage, nach 
kurzem Abspülen werden die Stücke 24 Stunden in Acetum 
pyrolignosum recteficatum und 1°/o Chromsäure, dann 24 Stunden 
in Lösung von Kali bichromicum 2:100, nach kurzem Wässern 
in Alkohol von steigender Konzentration eingelegt. Feine Paraffin- 
schnitte in solcher Weise vorbereiteter Präparate habe ich nach 
verschiedenen Methoden tingiert: 


a) Bendasche Mitochondrienfärbung: 24 Stunden im Brut- 
schrank in 4°/o Eisenalaunlösung, 24 Stunden im Brut- 
schrank in einer bernsteingelben, wässerigen Lösung von 
sulfalizarinsaurem Natron; Färbung mit Krystallviolett- 
anilinöl und Differenzieren mit 30°/o Essigsäure, Abspülen 
mit Aceton etc.!) 


!) Bezüglich der genauen Vorschrift vergleiche man Benda, die 
Mitochondrien, Ergebnisse der Anatomie, Bd. XII., 1902. 
18* 


268 Julius Arnold: 


b) Tinktion nach der Eisenhämatoxylinmethode. 

c) Behufs Darstellung der Myosome Nachfärbung der ziem- 
lich stark differenzierten Fisenhämatoxylinpräparate mit 
Krystallviolettanilinöl (Benda) und Abspülen mit Alkohol 
bis die Felderung an den Fibrillenkomplexen bezw. 
Fibrillen deutlich hervortritt. 


Glykogennachweis. Als das leistungsfähigste Verfahren 
erwies sich auch bei diesen Untersuchungen das neuestens von 
Best angegebene '). Die Glykogengranula treten deutlicher her- 
vor und scheinen mir zahlreicher, diffuse Färbungen seltener 
zu sein als an Jodpräparaten, abgesehen von der viel grösseren 
Dauerhaftigkeit der Karminpräparate. An Üelloidinpräparaten 
erhält man nach beiden Methoden entsprechende Befunde; doch 
zeigten auch sie bei der Jodfärbung Spuren von erfolgter Lösung 
des Glykogens. Welche Rolle derartige Vorgänge bei der Jod- 
methode spielen, lehrt folgender Versuch: behandelt man den 
Brusthautmuskel nach dem oben angegebenen Deckglasverfahren 
vital mit Jod ohne jeglichen Zusatz oder mittelst der vitalen Jod- 
räucherung, so bleiben die Lösungserscheinungen aus und die 
eranuläre Beschaffenheit des Glykogens tritt viel deutlicher hervor. 


Morphologie des Muskelglykogens. 


In der Literatur finden sich nur sehr unbestimmte Angaben 
über die Form, in welcher das Glykogen in den Muskelfasern 
enthalten ist. Die meisten Forscher scheinen sich vorzustellen, 
dass es diffus im Mvoplasma oder Sarcoplasma verteilt sei. Meines 
Wissens erwähnt nur Gierke unter Betonung der Schwierig- 
keit, Muskelglykogen zu färben, des Vorkommens von Körnern, 
welche von Anderen als Fällungsprodukte angesehen werden. 
Ehrlich hebt hervor, dass das Glykogen in der interfibrillären 
Kittsubstanz, aber nicht in der Muskelfibrille enthalten sei und 
betrachtet es als ein allgemeines Gesetz, dass in allen einer 
Bewegung fähigen Elementen das Glykogen, wie analoge Reserve- 
stoffe, nicht in, sondern um das spezifische Kontraktile gelagert 


!, Best. über Karminfärbung des Glykogens, Zeitschr. f. wissensch. 
Mikroskopie. Bd. 23, 1906. Man kann auch Paraffinschnitte nach der 
Bestschen Methode färben, wenn man sie nach Extraktion des Paraffins 
in Äther-Alkohol, dann in eine dünne Celloidinlösung eintaucht und sie auf 
diese Weise mit einer dünnen Celloidinschichte überzieht. 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 269 


ist. Barfurth bestätigt dies im allgemeinen, will aber doch 
in einzelnen Fibrillen namentlich auf dem Querschnitt Glykogen 
wahrgenommen haben. 

Wie in anderen Geweben, so erfolgt auch in den Muskel- 
fasern sehr häufig eine Verlagerung des Glykogens; diese ist wohl, 
mindestens zum Teil, auf eine postvitale Lösung des Glykogens 
und auf Diffusionsströme, welche infolge der Konservierung ent- 
stehen, zu beziehen. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die 
Ausführungen Ficheras, Gierkes und Anderer. 

Enthalten die Muskelfasern wenig Glykogen, so finden sich 
über diese zerstreut bald vereinzelte, bald zahlreichere Granula, 
welche im wesentlichen in der Längsrichtung aufgestellt zu sein 
und den longitudinalen Intercolumnärräumen zu entsprechen 
scheinen (Tafel XI, Fig. 1); doch ist die Entscheidung in dieser 
Hinsicht manchmal schwieriger, als man erwarten sollte. Auf 
Querschnitten erhält man den Eindruck, als ob die Granula 
hauptsächlich, wenn nicht ausschliesslich, in den zwischen den 
Cohnheimschen Feldern angeordneten intercolumnären Räumen 
enthalten wären (Fig. 10—12). Die Kerne fand ich stets glykogen- 
frei, dagegen in ihrer Umgebung, namentlich in der Richtung 
ihrer Pole, Glykogengranula in wechselnder Zahl (Fig. 1). Solche 
Bilder bieten eine weitgehende Übereinstimmung mit den Granula- 
färbungen bei vitaler Zufuhr von Indigkarmin, Methylenblau und 
Neutralrot dar. 

Ist der Glykogengehalt der Muskelfasern grösser, dann 
enthalten die intercolumnären Räume Reihen von Glykogen- 
granula. welche teils durch ungefärbte, teils durch gefärbte 
Fäden verbunden werden (Fig. 4—6). Auf Querschnitten erscheinen 
die Spalten zwischen den Muskelfeldern mit solchen Granula 
erfüllt, welche sehr oft durch Ausläufer miteinander in Beziehung 
stehen und netzförmig angeordnet sind (Fig. 11 u. 12). Wird 
die Zahl dieser intercolumnären Granula grösser, dann geht die 
regelmässige Anordnung in der Form von Reihen auf dem Längs- 
schnitt und in der Art von zierlichen Netzen auf dem (Juer- 
schnitt verloren. 

Ein zweites System von Glykogengranula ist in transversaler 
Richtung entsprechend der isotropen Substanz (J) angeordnet 
(Fig. 3, 4 und 5). Sie liegen meistens näher der Zwischen- 
scheibe (Z). zuweilen rücken sie aber mehr gegen die anisotrope 


270 Juliws Arnold: 


Scheibe (Q) vor. Sind diese Granula, wie so oft, in regelmässigen 
Abständen aufgestellt (Fig. 4 u. 5), so zeigt die meistens hell- 
rosa gefärbte Zone J einen zierlichen Besatz dunkelroter 
Granula, welche an den Ecken der ungefärbten Segmente von Q 
zu liegen scheinen. Nimmt die Zahl der Granula zu, dann 
stellen sich die Scheiben J als transversale rote Streifen dar, 
zwischen welchen im Anfang noch die ungefärbte Scheibe Z zu 
erkennen ist, während sie namentlich bei verändertem Con- 
tractionszustand sich der Wahrnehmung entzieht (Fig. 3). 

Die geschilderten longitudinalen und transversalen Granula- 
systeme können sich kombinieren. Dann erhält man viereckige 
rotgefärbte maschenartige Figuren (Fig. 7 u. 8), welche hellen 
Abschnitten der Querscheiben entsprechende Felder umsäumen: 
eine Zeichnung, deren Regelmässigkeit nur zuweilen dadurch 
gestört wird, dass an der einen oder anderen Längsseite oder 
Querseite gefärbte Granula fehlen. — Eine Färbung der Quer- 
scheiben (Q) habe ich nie beobachtet; dagegen kann eine solche 
dadurch vorgetäuscht werden, dass die die hellen Felder um- 
säumende gefärbte Substanz sich verschiebt und die ersteren (Q) 
verdeckt. Auch an @Querschnitten konnte ich mich von der 
Färbung der Fibrillen nicht überzeugen; ist die Zahl der 
gefärbten Granula eine sehr grosse, so kann man sehr leicht 
irregeleitet werden. 

Auf das Vorkommen zweier Arten von Körnern — longi- 
tudinalen und transversalen — ebenso auf dasjenige von Netz- 
figuren habe ich schon in meiner ersten Mitteilung (Nr. 3 u. 4) 
auf Grund der Befunde an Indigkarminpräparaten aufmerksam 
gemacht. — 

Unter dem Sarcolemma trifft man gleichfalls aus Glykogen- 
granula bestehende viereckige und rhomboide, manchmal sehr 
unregelmässige Figuren, welche helle Felder umsäumen. Diese 
Bilder entsprechen den peripheren Lagen kontraktiler Substanz, 
die roten Umsäumungen den sarcoplastischen Glykogen ent- 
haltenden Netzen, deren Unregelmässigkeit auf artefizielle Ver- 
schiebungen zurückzuführen ist. Die grösseren Tropfen, welche 
sich nicht selten an solchen Stellen gebildet haben, sind gleich- 
falls postvitale Erscheinungen. 

In der Umgebung der Muskelfasern kommen vereinzelte 
verästigte oder in Form von weiten Maschen angeordnete Figuren 


| 
er 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 2 


vor, welche wohl als mit Glykogen gefüllte Saftbahnen, Lymph- 
sefässwurzeln oder Lymphgefässe anzusehen sind.. Die Unter- 
scheidung dieses das Sarcolemma von aussen umspinnenden Netzes 
von dem unter demselben gelegenen ist trotz der weitmaschigeren 
Anlage des ersteren namentlich bei Verzerrung des letzteren 
nicht immer leicht. Manchmal hatte es den Anschein, als ob 
zwischen beiden ein Zusammenhang bestünde. An Querschnitten 
überzeugte ich mich aber davon, dass ein solcher vorgetäuscht 
wird; wenn die Netzbalken dem Sarcolemma von aussen sich 
dicht anlegen, entsteht sehr leicht das Trugbild, als ob sie 
durch das Sarcolemma durchtreten, namentlich wenn dieses an 
der entsprechenden Stelle mit Farbstoff sich imbibiert hat. 
Sonst wird das Sarcolemma durch das Bestsche Karmin nicht 
gefärbt. 

Kontroliertt man die an Karminpräparaten erhaltenen 
Befunde an Jodpräparaten (vitale Färbungen und gefärbte 
Celloidinschnitte), so erhält man im wesentlichen die gleichen 
Bilder: an Längsschnitten longitudinale und transversale Granula, 
sowie Andeutungen der geschilderten Netze, doch meistens nicht 
in der Vollständigkeit wie an Karminpräparaten, zuweilen mehr 
diffuse Färbungen. Das gleiche gilt für die Querschnitte. 


Zur Struktur der quergestreiften Muskelfaser. 


An Alkohol- und Sublimatpräparaten, welche nach den 
gewöhnlichen Methoden tingiert wurden, erkennt man an der 
Muskelfaser des Frosches die Querscheibe (Q), die isotropen 
Scheiben (J) und die Zwischenscheibe (Z) in ihrer nach dem 
Kontraktionszustand wechselnden Anordnung, sowie die Muskel- 
kerne. — Werden Sublimatpräparate nach der Eisenhämatoxylin- 
methode behandelt. dann kommen je nach dem Grad der 
Differenzierung verschiedene Bilder zum Vorschein. Hat man 
schwach differenziert, so stellen sich die isotropen Scheiben als 
dunkle Streifen dar, die Zwischenscheibe, wenn überhaupt 
kenntlich, als heller Streifen; die Scheiben Q bleiben ungefärbt 
(Fig. 13 u. 14). Longitudinale Körner sind bald nur vereinzelt, 
bald in grösserer Zahl wahrnehmbar. Bei etwas stärkerer 
Differenzierung hellen sich die Scheiben J etwas auf und man 
kann an diesen Stellen dunkele Granula in wechselnder Zahl 
erkennen ; diese zeigen öfters die gleiche Regelmässigkeit der 


DD Julius Arnold: 


Anordnung, wie sie oben für die an dieser Stelle vorkommenden 
Glykogengranula geschildert wurde (Fig. 13). Die longitudinalen 
Granula bieten ein sehr wechselndes Verhalten dar: bald sind 
sie spärlich, bald zahlreich; in dem letzteren Fall bilden sie im 
Verein mit den transversalen Granula netzförmige Figuren, 
welche den oben geschilderten Netzen der Glykogengranula 
gleichen. Je nach dem Gehalt an Sarcoplasma und dem Aus- 
fall der Färbung bezw. Differenzierung ist ihre Ausbreitung eine 
sehr verschiedene. An sehr dünnen Eisenhämatoxylinpräparaten, 
welche nachträglich mit 10°%o Essigsäure behandelt wurden, 
erhält man diese Netze oft isoliert. sei es, dass die an der 
Stelle der hellen Felder gelegene Substanz (Q) herausgefallen 
oder aufgelöst worden ist (Fig. 15). Die die Netze bildenden 
Fäden und Balken sind verschieden intensiv gefärbt und ent- 
halten dunklere Granula in wechselnder Menge: manche der 
Granula mögen entfärbt, herausgefallen oder durch die Prozedur 
zerstört worden sein. 

Ganz andere Befunde ergeben sich an den Objekten, welche 
in Bendascher Flüssigkeit konserviert wurden (s. 0... Hat man 
sie nach der Vorschrift von Benda tingiert (Eisenalaun, alizarin- 
saures Natron, Krystallviolett etc.), so sind die Scheiben Q braun 
gefärbt und die Scheiben J ohne deutliche Färbung, während Z 
eine Färbung, aber eine etwas andere wie ( aufweist. 

Die Färbung der Scheiben Q ist bald eine gleichmässige, 
bald in der Mitte heller, an den Rändern dunkler, vielleicht die 
Andeutung einer Mittelscheibe. Es mag dieser Wechsel im Ver- 
halten mit dem Kontraktionszustand und dem Grad der 
Differenzierung zusammenhängen. Ein Teil der longitudinalen 
Granula ist durch Osmium gebräunt oder geschwärzt, trans- 
versale Granula sind an der Stelle der Scheiben J an isolierten 
Fasern nicht nachzuweisen. 

Wurden die in Bendascher Flüssigkeit konservierten 
Präparate mit Eisenhämatoxylin gefärbt und mit Eisenalaun in 
verschiedenem Grade differenziert, so zeigten die Scheiben Q 
einen graublauen Ton, desgleichen die Zwischenscheiben ; auch 
in diesem Falle bot die Scheibe Q in der Mitte manchmal einen 
helleren Streifen dar. 

Sehr interessante Befunde ergaben sich an Präparaten, 
welche nach Benda gehärtet, mit Eisenhämatoxylin gefärbt, 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 2 


Eisenalaun differenziert und nachträglich mit Krystallviolett und 
Alkohol behandelt worden waren. Auch bei ihnen ist je nach 
der Differenzierung mit Eisenalaun und später mit Alkohol die 
Färbung der Scheiben Q eine wechselnde (Fig. 17 und 18). Wurde 
schwächer differenziert, dann sind diese Scheiben gleichmässig 
dunkelblau gefärbt; bei stärkerer Differenzierung wird deren 
Mitte heller, während die Ränder dunkler erscheinen: somit 
gleichfalls die Andeutung einer Mittelscheibe. Schliesslich erkennt 
man in den aufgehellten blaugrau gefärbten Querscheiben dunkel- 
blau gefärbte kleinste Granula, zwischen welchen eine hellere 
Zwischenschichte gelegen ist. 

An feinen Schnitten solcher Objekte kommt es sehr oft zur 
Isolierung von Fibrillenkomplexen und Primitivfibrillen, sowie zur 
Trennung in querer Richtung (Fig. 13—20), sodass würfelförmige 
Figuren entstehen. — Die Abspaltung in der Längsrichtung er- 
folgt mit besonderer Vorliebe an der Stelle der intercolumnären 
Räume, seltener zwischen den einzelnen Primitivfibrillen. Ob 
die Zahl dieser, welche ein Muskelsäulchen bilden. immer die 
gleiche oder eine verschiedene ist, darüber konnte ich mir keine 
(Gewissheit verschaffen. Eine sichere Entscheidung wäre nur an 
(uerschnitten möglich: an diesen ist es aber sehr schwierig, die 
einzelnen Primitivfibrillen zu erkennen. Am häufigsten schien 
mir die Zahl vier vertreten zu sein: von der Fläche betrachtet 
sieht man gewöhnlich zwei Primitivfibrillen durch eine minimale 
Menge lichter Substanz vereinigt. An solchen isolierten Muskel- 
säulchen stellt sich Q als ein stäbchenförmiges Gebilde dar, das 
entweder gleichmässig blaugrau oder in der Mitte heller gefärbt 
ist, an diese Stäbchen schliessen sich nach beiden Seiten die un- 
gefärbten Scheiben J an: dann folgt die graugefärbte Zwischen- 
scheibe (Fig. 15 und 19). Andere Stäbchen erscheinen mehr 
hellgrau und enthalten in den Enden dunkelblaue Granula. Ob- 
gleich die Primitivfibrillen sehr schmal sind, kann man an ihnen 
doch diese einzelnen Abschnitte unterscheiden. Das Q ent- 
sprechende Stäbchen enthält dann an jedem Ende ein Granulum. 
Die Zwischenscheibe stellt sich als kleines Körnchen dar, von 
welchem zuweilen kurze Fortsätze abtreten. Vollzieht sich an 
den Muskelsäulchen eine Trennung in querer Richtung, so tritt 
diese fast immer an der Stelle der Zwischenscheibe ein, sodass 
sich die viereckigen Gebilde aus der blaugrau gefärbten Substanz Q, 


274 Julius Arnold: 


welche nach beiden Seiten von der ungefärbten Substanz J um- 
säumt wird, zusammensetzen (Fig. 20). Bei stärkerer Difieren- 
zierung sind auch an diesen Würfeln an der Stelle von Q dunkel- 
blaue Granula wahrzunehmen. An der Zugehörigkeit dieser zu Q 
kann nach ihrem ganzen Verhalten kein Zweifel aufkommen. 
Von den früher beschriebenen transversalen, an der Stelle von J 
gelegenen Granula unterscheiden sie sich durch ihre geringere 
(srösse, ihre Lage in den Stäbchen und ihre Verbindung durch 
die Substanz dieser; dazu kommt, dass ich, wie erwähnt, an 
Präparaten, welche in der Bendaschen Flüssigkeit konserviert 
waren, Granula an der Stelle der Scheiben J bei vollständig 
isolierten Fasern nicht wahrnehmen konnte. 


Sarcoplasma und Sarcosomen. 


Seit Kölliker auf das Vorkommen der „interstitiellen“ 
Körner in den quergestreiften Muskelfasern aufmerksam gemacht 
hat, ist das Sarcoplasma der Gegenstand sehr eingehender Unter- 
suchungen seitens zahlreicher Forscher gewesen. Ich bin der 
Zustimmung sicher, wenn ich aufeine historische Darlegung verzichte. 
Es sei deshalb nur hervorgehoben, dass die granulären Gebilde 
des Sarcoplasmas — die Sarcosomen — nicht nur an Präparaten, 
welche nach verschiedenen Methoden konserviert und tingiert 
wurden, sondern auch am frischen — lebenden und überlebenden — 
Objekt nachgewiesen werden können. Besonders bemerkenswert 
dünken mir die Befunde bei der vitalen und supravitalen Färbung 
nach der Zufuhr von Indigkarmin t), Methylenblau und Neutral- 
rot. Unerlässlich für das Studium der Sarcosomen ist die An- 
wendung der Mazerationsmethode; die Form dieser Gebilde, 
ihre gegenseitige Verbindung durch Fäden, die säulchenartige 
und netzförmige Anordnung dieser, sowie ihre Beziehung zum 
übrigen Sarcoplasma lassen sich besonders deutlich an solchen 
Präparaten darlegen. Dass die Sarcosomen je nach ihrem Funktions- 
zustande eine verschiedene chemische Konstitution besitzen, 
geht aus ihrem wechselnden tinktoriellen Verhalten hervor. 


‘) Wenn ich nicht irre, ist bei diesen Versuchen (Nr. 4) zum ersten 
Mal das Vorkommen gefärbter Sarcosomen wahrgenommen worden. Später 
haben Schultze, Arnstein, Mitrophanow und ich (Nr. 6) über 
solche Bilder nach der vitalen Zufuhr von Methylenblau und Neutralrot 
berichtet. 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 275 


Die Mehrzahl der Mitteilungen bezieht sich auf das in 
der Längsrichtung entsprechend den intercolumnären Räumen 
angeordnete Sarkoplasma. Nachdem ich schon vor längerer 
Zeit (1875) an Indigkarminpräparaten das Vorkommen trans- 
versaler Körner und netzförmiger Verbindungen beobachtet hatte, 
beschrieb Retzius in seinen grundlegenden Arbeiten eingehend 
das Verhalten dieser transversalen Granula. Retzius (Nr. 39) 
konnte an vergoldeten Muskelfasern Querfadennetze und Körner- 
reihen wahrnehmen; er unterscheidet solche erster Ordnung in 
der Höhe von Z, solche zweiter Ordnung auf der Höhe von M 
und eine sehr feine Querkörnerreihe dritter Ordnung zwischen 
Z und M. Die feinen, die Körner verbindenden Längslinien 
sollen intercolumnären Häutchen entsprechen. Rollett, Schäfer 
und Ramon y Cajal haben den Nachweis geführt, dass die 
Querfadennetze erster Ordnung doppelt sind und zu beiden Seiten 
der Grundmembran liegen; eine Anschauung, welcher Retzius 
in seiner späteren Arbeit (Nr. 40) beipflichtet. Durch Heiden- 
hain erfuhren diese Verhältnisse eine sehr eingehende Dar- 
stellung (Nr. 24). Derselbe hat später am Herzen die Sarcoplasma- 
netze eingehend beschrieben (Nr. 23). Veratti gelang es, mittelst 
der Golgischen Methode ein feines „intrazelluläres“ Netz zu 
färben, welches transversal gegen die Säulchen orientiert ist. 
Er fand drei verschiedene Anordnungen: entweder in Form 
eines einzigen queren Netzes, entsprechend der Krauseschen 
Membran oder als zwei zwischen den einfach- und doppelt- 
brechenden Querstreifen gelegene, den Grenzlinien dieser ent- 
sprechende Netze oder endlich als ein dreifaches Netz, von 
welchen das eine der Krauseschen Membran, die beiden anderen 
den oben genannten entsprächen. Die Ansicht Cajals, dass diese 
binnenzelligen Horizontalnetze aus den Tracheen herstammen, 
weist Veratti, wie schon vor ihm Fusari, zurück. Auf die 
Streitfrage, welche namentlich zwischen Prenant und Renaut 
neuestens erörtert wurde, ob der Z-Streifen ein sarcoplastisches 
Gebilde ist oder nicht, soll hier nicht eingegangen werden. Sehr 
eingehend berichtet Holmgren über Sarcoplasma und Sarco- 
somen. Ich will hier nur die Mitteilungen über die Anordnung 
dieser bei den Säugetieren (Mus decumans) berücksichtigen, um 
so mehr, als diese weitgehende Übereinstimmung mit den 
Befunden an den gewöhnlichen thoracalen Muskelfasern der 


276 Julius Arnold: 


Insekten darbieten sollen. Er unterscheidet je nach der Lage 
der Körner zu den Scheiben Q- und J-Körner. Die ersteren 
seien zwischen den Q-Segmenten gelegen und stehen zu diesen 
in innigerer Beziehung, indem ein Austausch von Material 
zwischen beiden bei gewissen Kontraktionszuständen angenommen 
wird. Die ‚J-Körner entsprechen den von Retzius beschriebenen 
und liegen jederseits der Grundmembran. Bei den roten 
Muskelfasern hat Holmgren diese Körner vermisst. An 
Chromsilberpräparaten erhalte man binnenzellige Fadennetze, 
welche den trachealen Endnetzen der gewöhnilchen Thorax- 
muskeln in so hohem Grade ähneln sollen, dass man sie mit den 
letztgenannten als morphologisch identisch ansehen müsse. Dies 
gelte nur für die weissen, nicht für die roten Muskelfasern, deren 
binnenzelligen Fadennetze mehr denjenigen der „fibrillären“ 
Flügelmuskeln gleichkämen. Durch fädige Gebilde soll eine 
strukturelle Kontinuität zwischen den die Muskelfasern um- 
spinnenden Gefässen, dem Sarcolemma und den binnenzelligen 
Netzen (Trophospongien) hergestellt werden. Ferner erörtert 
Holmgren unter Hinweis auf die Injektionsresultate von 
Nystroem noch die Frage, inwieweit diese Gebilde als solid 
oder hohl anzusehen seien. In der auf diesen Gegenstand sich 
beziehenden Anmerkung äussert er sich wörtlich: „Meine Tropho- 
spongienlehre lautet so, dass grössere und kleinere Teile eines 
ursprünglich durchaus protoplasmatischen Fadennetzes vertlüssigt 
werden und dadurch in kanälchenartige Gebilde umgestaltet 
werden können.“ In einer späteren Arbeit schildert Holmgren 
das Verhalten der Q-Körner und J-Körner bei der Kontraktion 
und die Beziehung der letzteren zu den Trophospongien. 

Was die funktionelle Rolle des Sarcoplasma anbelangt, so 
haben Carnoy, wehuchten, Melland, Marshall, Ramon 
y Cajal die retikulierte Substanz als das Kontraktile, die Fibrillen 
als Kunstprodukte angesehen. Die Mehrzahl der Forscher ver- 
lest dagegen in das Sarcoplasma die Stoffwechselvorgänge. In 
meiner ersten Mitteilung (Nr. 4) habe ich schon auf Grund der 
Befunde bei der vitalen Indigkarminfärbung die letztere Anschauung 
vertreten. — Die über die Morphologie des Glykogens oben 
mitgeteilten Tatsachen sind meines Erachtens geeignet, die Be- 
ziehung des Sarcoplasmas und der Sarcosomen zu den Stofi- 
wechselvorgängen darzutun. Sowohl die in longitudinaler Richtung 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. aT7T 


angeordneten, zwischen Q gelegenen, sowie die zu beiden Seiten 
von Z gelegenen J-Granula enthalten Glykogen, ebenso die aus 
(Granula sich zusammensetzenden Fadennetze. Die Bilder boten 
insofern Verschiedenheiten dar, als die intercolumnären Glykogen- 
ansammlungen je nach dem Ernährungs- und Kontraktions- 
zustand der Fasern bald spärlich, bald sehr ausgiebig vorhanden 
waren. Auch die in transversaler Richtung entsprechend -J an- 
geordneten Glykogenablagerungen erschienen bald als diskrete, 
auf beiden Seiten von Z in gleichen Abständen von diesen auf- 
gestellte Granula, bald als dichtere Granulaanhäufungen, welche 
7, dasselbe manchmal verdeckend, näher rückten oder in der 
ganzen breite von J sich ausdehnten. Eine Färbung von Z 
habe ich an Glykogenpräparaten nicht wahrgenommen; wenn die 
gefärbten Granula Z erreichen, kann eine solche vorgetäuscht 
werden; auch an der Stelle der Segmente Q habe ich eine 
Glykogenfärbung niemals beobachtet. Es kann demnach über 
die sarcoplastische Natur der longitudinalen Körner (W) und der 
transversalen Körner (J) ein Zweifel nicht bestehen; sie dienen 
beide den gleichen Stofiwechselvorgängen. Bei gewissen 
Kontraktionszuständen ist es schwierig zu sagen, ob es sich um 
()-Körner oder J-Körner handelt, weil die letzteren. welche an 
den Ecken der Vierecke () liegen, diesen sich anlegen und so 
in die Intercolumnärräume hineinreichen. Überhaupt lehren die 
(lykogenpräparate, dass die Anordnung der Glykogengranula und 
Netze bei den Muskelfasern der gleichen Tiergattung und des 
gleichen Tieres je nach Funktions- und Kontraktionszustand eine 
sehr wechselnde ist. Weitere Untersuchungen müssen lehren, 
ob in dieser Hinsicht für einzelne Tiergattungen charakteristische 
morphologische Verschiedenheiten sich ergeben. Ich muss noch 
hervorheben, dass die Granula J dieser Scheibe wahrscheinlich nur 
aufgelagert sind, wie übrigensschon Retzius, Heidenhain u.a. 
erwähnt haben; darauf weist schon ihre je nach Glykogengehalt 
wechselnde Lagerung hin. 

Wie die Befunde an Glykogenpräparaten lehren, ist das 
sarcoplastische Netz mit seinen Granula homolog den an den 
Leberzellen und Knorpelzellen beschriebenen Netzfiguren. Von 
einem durch das Sarcolemma kontinuierlich sich erstreckenden 
Zusammenhang zwischen diesen sarcoplastischen binnenzelligen 
Netzfiguren mit ausserhalb gelegenen. sowie von solchen durch 


278 Julius Arnold: 


Fäden vermittelten Beziehungen (Holmgren) zu Blut- und Lymph- 
gefässen konnte ich mich ebensowenig wie an den Leberzellen 
überzeugen und deshalb diesem wesentlichen Teil der Tropho- 
spongienlehre nicht beipflichten. Es wurde oben nachgewiesen, in 
welcher Weise solche Bilder vorgetäuscht werden können. 


Myofibrillen, Myokonten und Myosomen. 


Auf die Geschichte der heute noch nicht endgültig ent- 
schiedenen Frage, ob die Fibrillen oder Fleischteilchen bezw. 
Muskelkästchen als die eigentlichen Elemente der quergestreiften 
Muskelfasern anzusehen sind, will ich nicht eingehen, vielmehr 
mich damit begnügen, auf die gründlichen, diesen Gegenstand 
betreffenden Darstellungen der Autoren, insbesondere M. Heiden- 
hains, hinzuweisen. Dagegen soll der Versuch gemacht werden, 
den Wert der oben geschilderten Befunde für unsere Anschauungen 
über die Struktur der kontraktilen Substanz zu prüfen. 


Es wurde hervorgehoben, dass wir an feinen Schnitten von 
Objekten, welche in Bendascher Flüssigkeit konserviert und mit 
Eisenhämatoxylin, nachträglich mit Krystallviolett tingiert worden 
waren, zwei Erscheinungen begegnen: isolierten Fibrillenkomplexen 
und Primitivfibrillen einerseits, isolierten viereckigen Muskel- 
segmenten (Muskelkästchen) andererseits (Fig. 18—20). — Die 
Muskelprimitivfibrillen (Apathy) stellen sich als feinste Fäserchen 
dar. welche aus regelmässig wiederkehrenden, durch Z begrenzten 
Abschnitten sich aufbauen. Diese bestehen aus einem mittleren 
stabförmigen Gebilde anisotroper Substanz (Q), an dessen Enden 
isotrope Schichten (J) sich anschliessen. Während diese nicht 
gefärbt sind, zeigen die Stäbchen, je nach dem Grad der Differen- 
zierung, bald eine gleichmässige graublaue, bald in der Mitte 
eine hellere Färbung; die Enden erscheinen dunkel tingiert. In 
diesen gelingt es durch starke Differenzierung dunkle Granula 
nachzuweisen. — Ich möchte die aus anisotroper Substanz be- 
stehenden stäbchenförmigen Gebilde als Myokonten, die an ihren 
Enden gelegenen Granula als Myosomen, den ganzen durch 
7, begrenzten Abschnitt als Fibrillensegment bezeichnen. Durch An- 
einanderreihung dieser in der Längsrichtung entstehen die Primitiv- 
fibrillen, durch solche in der queren Richtung viereckige Figuren: 
Muskelsegmente (Muskelkästchen). — Es ist sehr schwierig, sich 


Zur Morphologie des Muskelglykogens ete. 279 


ein Urteil darüber zu bilden, wie viele Fibrillensegmente in einem 
Muskelkästchen, wie viele Primitivfibrillen zu einem Fibrillenkomplex 
— Muskelsäulchen — vereinigt sind und ob in dieser Hinsicht, 
wie manche (Schlater u.a.) annehmen, eine Gesetzmässigkeit oder 
ein Wechsel besteht. Die sich gleichbleibende Breite der Muskel- 
kästchen weist allerdings darauf hin, dass wenigstens der Fläche 
nach die Zahl der Muskelfibrillen einem Wechsel möglicherweise 
nicht unterworfen ist. Ein Aufschluss wäre ja nur an Quer- 
schnitten zu erwarten; an diesen sind aber die Primitivfibrillen 
nicht zu erkennen. — Diese Anschauungen über die Struktur 
der Muskelprimitivfibrille und die Architektur der Muskelfaser 
stimmen in wesentlichen Punkten mit denjenigen von M.Heiden- 
hain, Kornilowitsch, Godlewsky, Schlater u.a. überein. 
Der letztere äusserst sich dahin, dass die Muskelfibrille ihrer 
Länge nach in gleichen Abständen voneinander histologisch 
differenziert ist; sie stelle eine gleichmässig kettenartige Anord- 
nung von kontraktilen Strukturelementen dar. Die Differenzierung 
besteht darin, dass das Fädchen an den betreffenden Stellen zu 
einem ellipsoiden Gebilde verdickt sei. welches aus zwei granula- 
artigen, in gleichen Abständen voneinander metamer aneinander 
gereihten Gebilden bestehen soll. Schlater kommt somit be- 
trefis der Zusammensetzung der Primitivfibrille zu einer etwas 
anderen Vorstellung wie Heidenhain und Kornilowitsch, 
welche eine metamere Aneinanderreihung einfacher Granula an- 
nehmen. Schlater sah immer, sogar wenn es auf den ersten 
Blick den Anschein hatte, als wäre eine Kette von wirklichen 
drehrunden Granula vorhanden, nur eine metamere Anordnung 
von zu zwei vereinigten granulaartigen Gebilden. Es ist nicht 
zu verkennen, dass diese Darstellung den von mir beschriebenen 
stäbchenartigen als Myokonten bezeichneten Bestandteilen der 
Muskelprimitivfibrille entspricht. Bezüglich der Deutung kann 
ich mich Schlater nicht ganz anschliessen. Weil er diskrete 
Granula auch bei der stärksten Differenzierung nicht zur Dar- 
stellung bringen konnte, fasst er die Stäbchen als einheitliche 
Gebilde — eine Art von Doppelgranula — auf. Bei den von mir 
angewandten Methoden kann man in beiden Enden der Myo- 
konten intensiv gefärbte diskrete Granula erkennen, welche in 
eine viel heller gefärbte Grundsubstanz eingebettet sind. Es scheint 
mir deshalb sachgemässer, die in den beiden Enden der Myo- 


380 Julius Arnold: 


konten gelegenen Granula als selbständige Gebilde — Myosomen') — 
anzusehen; es ist mir sogar sehr wahrscheinlich, dass sie genetisch 
das Primäre, die übrige Substanz der Myokonten das Secundäre 
sind. Es hat mit diesen eine ähnliche Bewandtnis wie mit stab- 
förmigen Gebilden in anderen Zellen, z. B. den Nierenepithelien, 
welche je nach den angewandten Methoden und dem Funktions- 
zustand bald als homogene Stäbchen sich darstellen. bald einen 
granulären Aufbau erkennen lassen. Dass wir es in den Myo- 
konten mit diskreten Granula zutun haben, lehren auch Mazerations- 
präparate. In gewissen Stadien der Mazeration kommen an der 
Stelle der Querscheiben deutliche Granula zum Vorschein. Mit 
Rücksicht darauf hatte ich schon damals Myosomen und Sarco- 
somen unterschieden. In späteren Phasen der Jodkalimazeration 
ist allerdings eine Unterscheidung beider nicht mehr möglich.?) 
Die Zugehörigkeit der Myosomen zu Q, wie sie namentlich an 
nach Benda konservierten Präparaten sich feststellen lässt. ist 
entscheidend und dadurch die Verwechslung mit Sarcosomen aus- 
zuschliessen (s. 0.). 


Es wurde oben berichtet, dass bei gewissen Graden der 
Differenzierung in der Mitte der Scheibe () eine hellere Linie 
wahrzunehmen sei, welche möglicherweise M entspräche (Fig. 18 
und 20). Schlater hat eine solche Zeichnung nicht wahr- 
nehmen können. Da der Kontraktionszustand und der Grad der 
Differenzierung bei dem Zustandekommen solcher Bilder eine 
grosse Rolle spielen, darf man in der Divergenz solcher Angaben 
sachliche Widersprüche nicht erkennen. 


Z stellt sich an Längsschnitten als eine ununterbrochene 
Linie dar. Bei der Trennung in viereckige Muskelsegmente er- 
folgt diese meistens nächst Z in der Art, dass Z nur auf der einen 
Seite als Abgrenzung nachweisbar ist (Fig. 20); dass Muskel- 
segmente nach zwei Seiten von Z begrenzt würden, habe ich nicht 
gesehen, ebensowenig eine membranöse Begrenzung an den beiden 


!) Ich vermeide absichtlich die Bezeichnung Q-Granula. Manche be- 
legen mit diesem Namen die Myosomen, Holmgren eine Art von Sarco- 
somen, welche zu den Muskelsäulchen in besonderer Beziehung stehen sollen. 


”) Nachdem schon Altmann auf die Zusammensetzung der Fibrillen 
aus Granula aufmerksam gemacht hatte, unterschied ich nach Befunden an 
Mazerationspräparaten Sarcosomen und Myosomen. Als charakteristisch für 
die letzteren betrachtete ich auch damals die Zugehörigkeit zu Q. 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 281 


Längsseiten. An isolierten Muskelfibrillen und Muskelsegmenten 
zeigt Z zuweilen entsprecherid der Trennungslinie kurze quere 
Fortsätze (Fig. 19 und 20). Dass Z eine vom Sarcoplasma 
abweichende Zusammensetzung besitzt, geht daraus hervor, dass 
es an Glykogenpräparaten, auch wenn die benachbarten trans- 
versalen Granula J intensiv tingiert sind, ungefärbt erscheint. 
An der Stelle von Z trifft man manchmal vereinzelte Granula; 
dagegen konnte ich mich von einer granulären Zusammensetzung, 
wie manche Autoren angeben, nicht überzeugen; selbstverständ- 
lich ohne eine solche Möglichkeit in Abrede stellen zu wollen. 
Erwähnen muss ich noch, dass Z an Präparaten, welche nach 
Benda konserviert, sowie mit Eisenhämatoxylin und Krystall- 
violett gefärbt wurden, einen ähnlichen Farbenton besitzt. wie 
(); meines Erachtens ist man aber nicht berechtigt, daraus auf 
eine ähnliche Zusammensetzung zu schliessen. Wenn es richtig 
ist, dass Z zum Sarcolemma in Beziehung steht, so möchte 
man viel eher vermuten, dass Z die Bedeutung eines elastisch 
membranösen Gebildes zukommt. 

Über die morphologischen und biologischen Eigenschaften 
der isotropen Substanz J erhielt ich keine Aufschlüsse. Aus ihrem 
Verhalten bei der Glykogenreaktion — wie erwähnt wurde, färbt 
sie sich gleichmässig hellrot — darf wohl auf eine Zugehörigkeit 
zum Sarcoplasma kaum geschlossen werden. 

Welche Vorstellung soll man sich über die Struktur der 
kontraktilen Substanz — des Myoplasmas — machen, sind die 
Muskelfibrillen oder die Muskelsegmente (Muskelkästchen) das 
eigentliche Element und ist eine solche Fragestellung überhaupt 
sachlich berechtigt ? 

Wie längst bekannt ist und wie auch oben berichtet wurde, 
erfolgt unter verschiedenen Bedingungen eine Isolierung den 
intercolumnären Räumen entlang in Fibrillenkomplexe (Muskel- 
säulchen) und den interfibrillären Räumen entsprechend in 
Primitivfibrillen. Wie schon Heidenhain betont, können die 
Fibrillen in gewissen Phasen der Färbung und Differenzierung 
gleichmässig gefärbt sein, in späteren Stadien dieser zeigt sich 
jede Fibrille aus regelmässig aneinander gereihten Segmenten, 
welche aus J-Q-J bestehen und durch Z begrenzt werden, zusammen- 
gesetzt. ( stelltsichan den Primitivfibrillen als ein stabförmiges 


(Gebilde — Myokont — dar. welches in seinem Ende je ein Plas- 
Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 73. 19 


282 Julius Arnold: 


mosoma — die Myosomen — enthält. Die an der Stelle von J 
nachweisbaren Granula sind diesem nur aufgelagert und als Sarco- 
somen anzusehen. — Eine Trennung kann aber auch in querer 
Richtung eintreten; es entstehen dann viereckige Figuren : Muskel- 
kästchen oder Muskelsegmente; sie erfolgt in der Nähe von Z, 
welches das Segment gewöhnlich nur nach der einen Seite ab- 
grenzt. Man muss zugestehen, dass gegen die Muskelkästchen 
als selbständige Gebilde die Unregelmässigkeit des Trennungs- 
vorganges, welcher vielmehr den Eindruck eines Bruches macht, 
spricht. Gegen die Auffassung der Fibrille als einheitliches 
(ebilde hat man den komplizierten Bau und die Unterbrechung 
durch Z geltend gemacht. In der letzteren Hinsicht ist zu 
berücksichtigen, dass von den Enden der Myokonten feine Fäden 
abtreten, welche sich durch J bis Z verfolgen lassen. Ob die 
Fäden Z durchsetzen oder ob die Verbindung durch ein an der 
Stelle von Z gelegenes Granulum hergestellt wird, dafür konnte 
ich Anhaltspunkte an meinen Objekten nicht gewinnen. — Ein 
sehr wesentlicher Bestandteil der Fibrillen sind jedenfalls die 
Myokonten mit den zugehörigen Myosomen. Als morphologisch 
einheitlich kann man die Muskelfibrille somit nicht wohl bezeichnen ; 
setzt sie sich doch aus regelmässig aneinander gereihten Segmenten 
von welchen jedes einen komplizierten Bau aufweist, zu- 
sammen. Das gleiche würde auch für die Muskelkästchen gelten,- 
selbst wenn man ihnen eine gewisse Selbständigkeit zuerkennen 
wollte. Das sind die Gründe, weshalb ich die oben angeführte 
Fragestellung als sachentsprechend nicht anerkennen kann. 


Die erörterten Strukturverhältnisse bieten noch ein 
allgemeineres Interesse dar. Seit vielen Jahren mit der Unter- 
suchung lebender, überlebender, nach verschiedenen Methoden 
konservierter und tingierter, sowie in den verschiedensten 
Funktionszuständen befindlicher Gewebe beschäftigt, ist es mir 
gelungen, ein Tatsachenmaterial zu sammeln, das als beweisend 
dafür erachtet werden darf, dass die Plasmosomen und Granula 
als mit wichtigen Funktionen betraute Strukturbestandteile der 
Zellen aufzufassen sind und dass sie an dem Aufbau der Fäden, 
Mitome, Fibrillen und Stäbchen !), welche vielfach als die eigent- 


!) Aus dem homogenen Aussehen dieser Gebilde bei der Anwendung 
dieser oder jener Methode darf noch nicht geschlosssen werden, dass Plasmo- 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 285 
lichen Strukturelemente angesehen wurden, wesentlichen Anteil 
haben. Die Struktur nicht nur des Sarcoplasmas, sondern 
auch des Myoplasmas liefert für die Richtigkeit dieser An- 
schauung weitere Belege. Die Vorgänge der Assimilation von 
Fett, Myelin, Eisen, Kalk, Pigment etc., wie sie in Plasmo- 
somen und Granula sich abspielen, tun unzweideutig dar, dass 
diese Gebilde nicht für einfache Produkte der Sekretion aus- 
gegeben werden dürfen. Der Glykogengehalt der Sarcosomen 
ist dafür ein weiterer Beleg. Die Myosome als Sekretions- 
produkte anzusprechen, wird wohl keinerseits Neigung vorhanden 
sein. — 


Leitsätze. 


1. Das Glykogen ist in der quergestreiften Skelettmuskulatur 
des Frosches an die Sarcosomen gebunden, welche sowohl 
in longitudinaler Richtung entsprechend den inter- 
columnären Räumen angeordnet, als in transversaler 
Richtung J aufgelagert sind. 

2. Je nach dem Gehalt an Glykogen erscheinen die Sarco- 
somen als diskrete Granula oder aber es entstehen netz- 
förmige Figuren, welche helle ungefärbte Felder Q ein- 
schliessen. Die Breite der Netzbalken wechselt je nach 
dem Glykogengehalt, ebenso die Form der Maschen, je 
nachdem es in longitudinaler bezw. transversaler Richtung 
zur Glykogenablagerung gekommen ist oder nicht. 

3. Unter dem Sarcolemma findet sich ein Netz, welches dem 
Sarcoplasma der peripheren Lagen entspricht. Ein 
kontinuierlicher Zusammenhang dieses peripheren Netzes 
mit dem aussen das Sarcolemma umspinnenden besteht 
nicht. Auch eine kontinuierliche Beziehung zu Blut- 
und Lymphgefässen, welch letztere manchmal Glykogen 
enthalten, liess sich nicht nachweisen (Trophospongien- 
lehre). 

4. Die Muskelfibrillen enthalten kein Glykogen. 


somen und Granula an ihrer Zusammensetzung nicht beteiligt seien. So 
selbstverständlich dies scheint, die bisherigen Erfahrungen nötigen zur 
Betonung dieses Sachverhalts. 

198 


284 


RG) 


-] 


10. 


ImalmUSH AsEn ode 


5. Wesentliche Bestandteile der Muskelprimitivfibrillen 
sind stäbehenförmige Gebilde — Myokonten — und die 
anihren Enden gelegenen diskreten Granula — Myosomen. 

6. Von den Enden der Myokonten treten Fäden ab, welche 

J durchsetzen. Ob sie durch Z sich fortsetzen, ob an 
dieser Stelle ein Granulum eingeschaltet ist oder der 
Verlauf der Fäden unterbrochen wird, hat sich nicht 
feststellen lassen. 

. Die Myokonten bilden mit JJ ein Fibrillensegment, 

welches durch Z begrenzt wird. 

S. Durch Aneinanderreihen solcher Segmente in der Längs- 
richtung entstehen Primitivfibrillen, in der queren 
Richtung Muskelkästchen (Krause). 

9. Durch Isolierung des Myoplasmas in der Richtung der 
intercolumnären Räume erhält man Fibrillenkomplexe 
(Muskelsäulchen). durch solche entsprechend den inter- 
fibrillären Linien Primitvfibrillen (Apathy). 


_ 


Literaturverzeichnis. 


Altmann: Elementarorganismen. 1. Aufl., Leipzig 1894. 

Arnstein: Die Methylenblaufärbung als histologische Methode. Anat. 
Anz., Bd. II, 1887. 

Arnold, Julius: Über das Verhalten des Indigkarmins in lebenden 
Geweben. Zentralbl. f. d. medizin. Wissensch., Nr. 51, 1875. 

Derselbe: Über die Abscheidung des indigschwefelsauren Natrons im 
Muskelgewebe. Virchows Arch., Bd. 71, 1878. 

Derselbe: Über feinere Struktur und Architektur der Zellen (dritte 
Mitteilung, Muskelgewebe). Arch. f. mikr. Anat., Bd. 52, 1898. 
Derselbe: Über vitale Granulafärbung in den Knorpelzellen, Muskel- 
fasern und Ganglienzellen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 55, 1901. 
Apathy: Kontraktile leitende Primitivfibrille. Mitteilung. a. d. zoolog. 
Stat. z. Neapel, Bd. 10, 1892. 

Derselbe: Über die Muskelfasern von Ascaris ete. Zeitschr. f. wissen- 
schaftl. Mikroskop., Bd. 10, 1893. 

Ballowitz: Über den feineren Bau der Muskelsubstanzen. Arch. f. mikr. 
Anat., Bd. 39, 1892. 

Barfurth: Vergleich. histochem. Unters. über d. Glykogen. Arch. f. 
mikr. Anat., Bd. 25, 1885. 


. Cajal, Ramon y: Observat. sur la texture des fibres muscul. des 


pattes etc. Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. 5, 1888. 


12: 


Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. 285 


Derselbe: Coloration par la methode d. Golgi ete. Zeitschr. f. wissen- 
schaftl. Mikroskop., Bd. 7, 1890. 

Derselbe: Coloration de la fibra muscul. ete. Trav. Labor. Invest. Biol. 
Univ., Madrid 1905. 

Carnoy: La biologie cellulaire. 1881. 

Ehrlich: Frerichs über den plötzlichen Tod. Zeitschr. f. klin. Mediz., 
Bd. 6, 1883. 

Fichera: Über die Verteilung des Glykogens. Zieglers Beitr., Bd. 36, 
1904. 

Fusari: Etude sur la structure fihres musculaires striees. Arch. ital. 
d. biolog., Bd. 25, 1894. 

Van Gehuchten: Etude sur la structure intime de la cellule muscu- 
laire striee. La Cellul., Bd. 2, 1886. 

Gierke: Physiologische u. pathologische Glykogenablagerung. Lubarsch. 
Ergebn., Jahrg. 11, Abt. II, 1907. 

Derselbe: Das Glykogen in der Morphologie des Zellstoffwechsels. 
Zieglers Beitr., Bd. 37, 1905. 

Godlewski: Die Entwicklung der Skelett- und Herzmuskelgewebe der 
Säugetiere. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 60, 1902. 


2. Heidenhain, M.: Beiträge zur Aufklärung des wahren Wesens der 


faserförmigen Differenzierung. Anat. Anz., Bd. 16, 1899. 

Derselbe: Struktur des menschlichen Herzmuskels. Anat. Anz., Bd. 20, 
1901. 

Derselbe: Struktur der kontraktilen Materie. Ergebn. f. Affat. u. Ent- 
wicklungsgesch., Bd. VIII, 1898 u. Bd. X, 1901. 

Holmgren, E.: Über Trophospongien der quergestreiften Muskelfasern 
etc. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 71, 1907. 

Derselbe: Über die Sarcoplasmakörner quergestreifter Muskelfasern. 
Anat. Anz... Bd. 31, 1907. 


30. Kölliker: Zur Kenntnis der quergestreiften Muskelfasern. Zeitschr. 


f. wissenschaftl. Zool., Bd. 47, 1888. 

Derselbe: Handbuch der Gewebelehre, 1888. 

Kornilowitsch: Über den feineren Bau der centralen Substanz der 
quergestreiften Muskulatur. Diss. Dorpat 1903, Schwalb. Jahresb. 


5. Marshall: Observ. on the struct. and distribut. of striped and un- 


striped musel. Quart. journ. of microscop. scienc., Vol. 28, 1888. 
Melland: A simplified view of the striped musecle-fibre. Quart. journ. 
of microscop. scienc., Vol. 25, 1885. 


. Mitrophanow: Über Zellgranulationen. Biol. Zentralbl., Bd. 4, 1889. 


Prenant: Quest. relativ. aux cellul. muscul. Arch. zoolog. experiment., 
1904. 


. Derselbe: Apropos des disques N de la substanc. muscul. striee. Compt. 


rend. d. 1. soc. biolog., T. 58 u. 59, 1904,05. 
Renaut: Sur les disques accessoires de la zone des disques minces etc. 
Compt. rend. d. 1. soc. biolog., T. 58 u. 59, 1904/05. 


286 Julius Arnold: 


40. 


46. 


47. 


Retzius: Zur Kenntnis der quergestreiften Muskelfasern. Biolog. Unters., 
1881. 
Derselbe: Muskelfibrillen, Sarcoplasma. Biolog. Unters., N.F. I, 1890. 


. Rollett: Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskel- 


fasern. I. Teil, Wiener Denkschrift, math.-naturw. Kl., Bd. 49, 1885; 
II. Teil daselbst, Bd. 51, 1883. 


. Derselbe: Über den Streifen N, das Sarcoplasma etc. Arch. f. mikr. Anat., 


Bd. 37, 1891. 

Sanches: L’appareil retieulaire de Cajal-Fusari des musc. striees. 
Trav. d. Labor. d. recherch. histol. de l’Univers., T. V, Madrid 1907. 
Schäfer: On the minute structure of the leg. musel. ete. Internat. 
Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. VIII, 1891. 

Schlater: Histologische Untersuchungen über das Muskelgewebe. Arch. 
f. mikr. Anat., Bd. 66, 1905 u. Bd. 69, 1907. 

Schultze, O.: Die vitale Methylenblaureaktion der Zellgranula. Anat. 
Anz., Bd. II, 1887. 

Veratti: Sur la fine struct. des fibr. muscul. striees. Arch. ital. biolog., 
T..37,,1902. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI und XI. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


1. Konservierung in 96°o Alkohol; Bestsche Glykogenfärbung, 
Glykogengranula an den Polen des Kerns und auf den isotropen 
Scheiben J, die Scheiben anisotroper Substanz (Q) frei von Glykogen. 

2, Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1. Die isotropen Scheiben Ä 
hellrosa gefärbt, auf ihnen liegen dunkelrote Glykogengranula in 
regelmässigen Abständen. Q und die Zwischenscheibe (Z) sind 
nicht gefärbt. 


3. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; fan der Stelle der 
Scheiben J zahlreiche Granula, Q ungefärbt, Z nicht zu erkennen. 

4. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; in dem oberen Teil 
des Bildes die gleiche Anordnung der Glykogengranula wie bei 
Fig. 2, im mittleren und unteren Abschnitt Glykogengranula in den 
intercolumnären Räumen. 

5. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; ausser transversalen 
sehr zahlreiche Glykogengranula in den intercolumnären Räumen. 

-6. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; in transversaler und 
longitudinaler Richtung angeordnete Glykogengranula; Anfänge 
von Netzbildung. 

.? und 8. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; transversale 
und longitudinale Granula, Netze bildend, die hellen Felder ent- 
sprechen Q. 

9. Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; Glykogengranula und 
Anfänge von Netzbildung unter dem Sarcolemma. 


Fig. 


ig. 19. 


Fig. 20. 


20. 


18. 


Zur Morphologie des Muskelglykogens ete. 287 


Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; Querschnitt; Glykogen- 
granula in den intercolumnären Räumen. 

Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; Querschnitt; Glykogen- 
granula in den intercolumnären Räumen. 

Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 1; Querschnitt; ausgiebige 
Füllung der intercolumnären Räume mit Glykogen. 

Konservierung in Sublimat-Chlornatrium; Tinktion mit Eisen- 
hämatoxylin. In den hellblau-grau gefärbten isotropen Scheiben (J) 
dunklere Granula; Zwischenscheibe (Z) ungefärbt, ebenso Q. 
Konservierung und Tinktion wie in Fig. 13; in den isotropen 
Scheiben zahlreichere Granula; Zwischenscheibe nicht zu erkennen. 
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 13; nachträgliche Be- 
handlung mit Essigsäure; netzförmig angeordnetes Sarcoplasma. 
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 13; nachträgliche Be- 
handlung mit Essigsäure; unter dem Sarcolemma gelegenes Sarco- 
plasmanetz: die Maschen sind etwas verzogen. 

Konservierung in Bendas Flüssigkeit, Eisenhämatoxylin, Nach- 
färbung mit Krystallviolett. Die Scheiben anisotroper Substanz (Q 
sind graublau gefärbt, ebenso die Zwischenscheiben (Z); geschwärzte 
Granula in den intercolumnären Räumen. 

Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 17; isolierte Muskel- 
säulchen; die anisotropen Scheiben (Q) bei a gleichmässig grau- 
blau gefärbt, ebenso Z; bei b in der Mitte der Scheiben Q Auf- 
hellung; bei ce stärkere Aufhellung der Scheiben Q, feine Granula 
— Myosomen — zu erkennen. 

Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 17; a ein Muskelsäulchen 
mit stäbchenförmigen Myokonten; bei b werden in den Myokonten 
Granula — Myosomen — kenntlich; e entspricht einer Primitiv- 
fibrille und Myokonten; Z erscheint als feines Korn, von welchem 
stellenweise feine Fädchen in querer Richtung abtreten: bei d 
werden die in den Stäbchen gelegenen Granula wahrnehmbar, 
auch hier gehen feine Fortsätze von Z ab; bei e erscheint die 
Primitivfibrille von Granulareihen durchsetzt, deren Zugehörigkeit 
zu den Stäbchen sehr schwierig festzustellen ist. 
Konservierung und Tinktion wie bei Fig. 17; isolierte Muskel- 
segmente (Q), bei a wird die dunkle Scheibe anisotroper Substanz (Q) 
nach beiden Seiten von Scheiben isotroper Substanz (J) begrenzt; 
am unteren Ende Reste von Z; bei b Aufhellung von Q in der 
Mitte; bei c vier Granula in Q kenntlich, Rest von Z unten. 


DD 
Rn 
[0 6) 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 


Von 
Dr. Otfried O. Fellner in Wien. 


In fast allen Lehrbüchern und auch sonst in der Literatur 
findet man die an und für sich selbstverständlich erscheinende 
Bemerkung, dass die Tätigkeit des Ovariums in der Schwanger- 
schaft, sowohl die eireifende als auch die sekretorische, still stehe. 
Obwohl einzelne neuere Autoren dagegen Stellung nehmen, kann 
sich die gegenteilige Anschauung nicht durchringen. An anderer 
Stelle!) versuchte ich es, vom klinischen Standpunkt aus, den 
Nachweis zu liefern, dass die sekretorische Tätigkeit nicht auf- 
hört: da sich aber auch viele Autoren auf die histologischen 
Befunde beziehen, das fehlende Reifen von Follikeln ins Treffen 
führen, andere wieder das Gegenteil zu erweisen suchten, so habe 
ich 13 Paar Ovarien Schwangerer, teils Leichen- teils Operations- 
material in Serien zerlegt und durchstudiert. Es ergaben sich 
folgende Befunde: 


Das erste Präparat stammt von einer 2Sjährigen Frau, welche 
am 16. Mai, 24 Stunden nach der normalen Entbindung, infolge einer starken 
Blutung gestorben war. Die Ovarien sind gross und platt, eines (das linke) 
enthält ein grösseres Corpus luteum, nebstdem wie das andere einige glasige, 
andere von Blut erfüllte Cystehen Im rechten Ovar findet sich ferner ein 
Corpus luteum von der Grösse 12x10 mm, das keinen Hohlraum mehr in 
sich birgt. Von Blutresten ist nichts zu sehen. Das Corpus luteum der 
linken Seite ist 8x10 mm gross, enthält gleichfalls keinen Hohlraum und 
keine Blutungsreste. Das linke Ovarium hatte die Grösse von 18x30 mm, 
das rechte ist etwas kleiner. Mikroskopisch sieht man im linken Ovar ein 
sehr grosses gut erhaltenes Corpus luteum, eine Reihe von ÜÖystchen und 
Corpora fibrosa. An einer scharf umschriebenen, dem Corpus luteum an- 
liegenden Stelle bemerkt man grosse runde Zellen von der Grösse der Lutein- 
zellen und darüber, welche Körnchen eines gelben Farbstoffes enthalten. 
Das Corpus luteum selbst besteht aus grossen, gut erhaltenen wenig vakuoli- 
sierten Luteinzellen, zwischen welchen sich Bindegewebe in mässiger Menge 
findet. In der Mitte liegt ein verhältnismässig kleiner fibröser Kern. Sehr 
geringe Blutreste. 

Gut erhaltene Graffsche Follikel und Ureier in allen Grössen. An 
einem Follikel mit anscheinend normalem Ei zeigen die Zellen der Tunica 


3) Über die Tätigkeit des Ovariums in der Schwangerschaft. Arch. 
f. Gynäk. 


u 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 289 


interna folgenden Befund: Sie sind grösser, mit reichlichem Protoplasma 
ausgestattet, das den Farbstoff gut aufnimmt, haben rundliche Form und 
scharf begrenzten Kontur. Zwischen den Zellen, die stellenweise sehr locker 
nebeneinander liegen, finden sich reichlich Kapillaren. Ähnliche Befunde 
sind ‚an zahlreichen anderen Follikeln aller Grössen in beiden Ovarien zu 
erheben. Die Follikel enthalten hin und wieder Eier oder Eireste. Sie sind 
nicht immer gleichmässig rund, sondern auch abgeplattet. Ihre Grösse über- 
ragt die Grösse reifer Follikel oft um ein Beträchtliches. An den grösseren 
Hohlräumen fehlt grösstenteils das Epithel. Ihre Wand wird gleichfalls 
von protoplasmareichen Zellen gebildet, die mitunter eine dicke Lage bildend, 
keilförmig in das übrige Gewebe hineinragen. Die Gefässe rings um das 
Corpus luteum sind strotzend mit Blut gefüllt, doch ist das Blut in manchen 
(refässen geronnen, in Fibrin umgewandelt. An einem Follikel ist das Ei 
wohl erhalten in dem Granulosaepithel zu sehen, und scharf von diesem 
Epithel getrennt liegen die mehrfach erwähnten protoplasmareichen Zellen 
in dicker Lage von zahlreichen Kapillaren durchsetzt. Auf der Oberfläche 


(des Peritoneums sind viele Reihen von Zellen von der Grösse und der Gestalt 


der Deeiduazellen aufgelagert, teils als mehrreihiger Überzug, teils als Zotten 
gelagert. Mitunter füllen sie gleichsam eine Rinne im Ovarium aus, so dass 
sie mitten ins Ovarium hineinreichen und den Anschein erwecken, als ob sie 
keinen Zusammenhang mit der Oberfläche hätten. Sie enthalten nicht selten 
Pigment oder sind von Vakuolen durchsetzt. In einem Corpus fibrosum 
ragen sternförmig Züge von Bindegewebe ins Innere, zwischen denen wieder 
reichlich protoplasmahaltige Zellen zu sehen sind. Im Kern des Corpus 
liegen diese zu Haufen. Die Bildung der protoplasmareichen Zellen findet 
sich auch an den Corpora fibrosa jüngeren Datums. Das rechte Ovarium 
enthält ein Corpus luteum, dessen Zellen weniger gut erhalten sind und das 
viel Bindegewebe führt. Von einer Blutung ist nichts mehr nachweisbar. 

Das zweite Präparat stammt von einer Frau, welche am 25. Mai 
infolge einer frischen Endocarditis unmittelbar nach einem Abort im dritten 
Monat gestorben war. Övarien platt 22 x 25 mm gross. Das linke Ovarium 
enthält ein Corpus luteum von etwa Linsengrösse und dann eine grössere 
kirschkerngrosse Cyste sowie einige kleinere. Im Corpus luteum fehlt ein 
Hohlraum ; von Blutresten nichts zu sehen; nur in der Mitte sieht man eine 
rötliche verfärbte Stelle. Das rechte Ovarium enthält gleichfalls einige 
Cystchen, aber kein Corpus luteum. Mikroskopisch sieht man eine Reihe 
von cystösen Gebilden, deren Wand zum grössten Teil von Tunica-Interna- 
zellen, zum kleineren Teil von protoplasmahältigen Zellen gebildet ist. Die 
Bildung der protoplasmahältigen Zellen ist in diesem Präparate nicht sehr 
vorgeschritten. Ureier, ebenso Follikel in allen Stadien, in sehr grosser 
Zahl vorhanden. Doch ist in den grösseren Follikeln das Epithel grössten- 
teils abgefallen; die Tunica-Internazellen sind etwas grösser und protoplasma- 
reicher als de norma. Wieder sieht man eine Reihe von Gefässen, die 
thrombosiert erscheinen, die übrigen sind strotzend mit Blut gefüllt und 
führen Leukozyten, die reichlich Pigment enthalten. Im linken Ovarium 
sieht man ein Corpus luteum; die Zellen sind als kleiner zu bezeichnen, es 
findet sich viel Bindegewebe und in der Mitte ein grosser Fibrinpfropfen. 


290 Otfried O. Fellner: 


Zahlreiche Blutgefässe. Im rechten Ovarium konnte ein Corpus luteum nicht 
aufgefunden werden. 


Das dritte Präparat stammt von einer 28jährigen Frau, welche 
drei Tage nach einem Abortus im vierten Monate mit lebender Frucht an 
Sepsis gestorben war. Die Ovarien sind 14 x 23 mm gross. Rechts findet 
sich eine etwa linsengrosse gelblich verfärbte Stelle und eine grössere Cyste. 
Die Ovarien enthalten ziemlich viele Ureier und Follikel, das rechte eine 
einzige grössere Üyste, sonst nur Üorpora fibrosa. Auch hier sind die Gefässe 
mitunter thrombosiert und führen reichlich mit Pigment beladene Leuko- 
zyten. Einzelne Follikel sind von etwas vergrösserten protoplasmareicheren 
Zellen begrenzt. Das Corpus luteum wird von Zellen gebildet, die auffallend 
kleiner sind, als sonst die Luteinzellen zu sein pflegen; es ist von Binde- 
gewebe stark durchsetzt. In der Mitte ein bindegewebiger Kern. 

Das vierte Präparat (signiert sieben ') stammt von einer 43 jährigen 
Frau, welche am 29. Mai, 10 Uhr post partum infolge eines Herzfehlers an 
allen drei Klappen gestorben war. Das rechte Ovarium ist 5x 15 mm 
gross. Es enthält ein grosses Corpus luteum, ohne Höhlung oder Blutkern; 
es fühlt sich ziemlich hart an. Das linke Ovarium ist wesentlich kleiner und 
enthält wie das rechte zahlreiche kleine Cystehen. Mikroskopisch erweisen 
sich die Luteinzellen als degeneriert, zwischen ihnen reichlich Bindegewebe. 
Zahlreiche kleinere und grössere Kalkkörnchen. Kein Rest der Blutung. 
Ureier und Graffsche Follikel sind nicht allzu häufig zu sehen. Mitten im 
Ovarium sieht man einen Haufen von Zellen, deren Kerne rundlich und 
vergrössert erscheinen, die eine reichlichere Protoplasmaschicht, bei Fett- 
färbung aber recht wenig Fett führen. Ausserdem sieht man ringsum 
cystisch vergrösserte Follikel in beiden Ovarien, sehr grosse mehr längliche 
Zellen mit reichlicherem Protoplasma, welche durch Osmium schwarz gefärbte 
Fetttropfen in grösserer Zahl hauptsächlich im Protoplasma, weniger im 
Kern enthalten. Bei Färbung nach Altmann findet man in den Zellen um 
die erweiterten Follikel mit zugrunde gegangenen Eiern herum das Proto- 
plasma, erfüllt mit schwarz gefärbten Fetttropfen von verschiedener Grösse, 
und diese Fetttropfen liegen auch zwischen den Zellen. Die Kerne enthalten 
teils rote, teils schwarze Granula in grosser Zahl. Das Fett lässt sich nicht 
allenthalben in den Zellen, welche die Follikeleyste begrenzen, nachweisen, 
sondern es findet sich stellenweise in grosser Zahl, stellenweise fehlt es voll- 
ständig. Oberflächlich ist das Epithel streckenweise von sehr grossen Decidua- 
zellen ersetzt, welche in vielfachen Lagen Zöttchen bilden. 


Das fünfte Präparat (Ovarium VIII) stammt von einer Frau, welche 
im 30. Lebensjahr im vierten Monate der Schwangerschaft an einer Polyneuritis 
und Psychose gestorben war. Das rechte Ovarium war 20x22 mm gross. Das 
linke 32x27 mm. Beide Ovarien enthalten zahlreiche Cystchen, das linke 
ein Corpus luteum von der Grösse 15X 17 mm. Mikroskopisch besteht dasselbe 
aus mässig gut erhaltenen Luteinzellen; in der Mitte findet sich altes Blut 


') Einige Präparate mussten, da sie im Brutofen gelitten hatten, aus- 
geschaltet werden. 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft sn! 


und Fibrin. Reichliches Bindegewebe, teils in dieken Strängen, durchzieht 
das Gebilde. Im rechten Ovarium sieht man ein älteres Corpus, das noch 
die Entstehung aus Luteinzellen deutlich erkennen lässt, doch sind diese als 
solche nicht mehr wahrnehmbar. Oberflächlich sieht man an beiden Ovarien 
wieder Zotten und dicke Schichten von grossen epitheloiden Zellen, zwischen 
welchen reichlich Blutgefässe verlaufen. Die Zellen füllen Rinnen in der 
Oberfläche aus und reichen stellenweise tief in das Gewebe hinein (Decidua- 
zellen). Ureier und Follikel sind in grosser Zahl im allen Stadien in wohl 
erhaltenem Zustande anzutreffen. Ferner fallen eine grössere Anzahl von 
Hohlräumen auf, die teils von mehrschichtigem Epithel bedeckt sind, teils 
kein Epithel tragen, andererseits hin und wieder ein Ei oder den Rest eines 
solchen enthalten. Die Hohlräume sind mitunter kugelig, mitunter aber von 
unregelmässiger Form anscheinend plattgedrückt. Alle diese Hohlräume 
tragen aussen eine mehrreihige Schicht von Zellen mit vergrössertem runden 
Kern, welcher ein oder mehrere Kernkörperchen und zahlreiche Granula 
enthält und in mit Eosin stark färbbaren Protoplasma eingebettet ist, ohne 
dass scharfe Zellgrenzen mit Deutlichkeit wahrnehmbar wären. Zwischen den 
Zellen finden sich reichliche stark gefüllte Kapillaren. Teils liegen die Zellen 
dicht gedrängt, teils auseinander geworfen, so dass breite Spalten übrig 
bleiben, die keinen Farbstoff annehmen. Dieselben Zellen findet man in 
grösserer Zahl mitten im Ovarium. Auch um die Corpora fibrosa lässt sich 
die Bildung der gleichen Zellen hin und wieder nachweisen. Färbung nach 
van Gieson zeigt dieselbe bräunliche Färbung an den Kernen der Lutein- 
zellen, wie an den Follikelzellen. Das Protoplasma färbt sich da wie dort 
gelb mit einem schwachen Stich ins Rötliche. Auffallend ist in dem Ovarium 
eine grössere Anzahl von thrombosierten Gefässen mit hyalin entarteter 
Wandung. 

Das sechste Präparat (signiert zehn) stammt von einer Frau, 
welche sieben Stunden nach der normalen Entbindung an Sepsis verstorben 
ist. Äusserlich war ein Corpus luteum nicht zu sehen, hingegen eine Reihe 
kleinster Cystchen. Die Ovarien haben einen Durchmesser von 27x30 mm 
und 20x25 mm. Sie sind durchsetzt von zahlreichen Cysten, deren Epithel 
zum Teil fehlt, an deren Begrenzung einige protoplasmareichere Zellen zu 
sehen sind. In manchen Schnitten ist das Bindegewebe auf ein Minimum 
reduziert und sieht man nichts als zahlreiche cystische Hohlräume, von diesen 
mitunter bis 20 in einem Schnitt. Ein oder die andere Cyste wird von den 
protoplasmareicheren Zellen in grösserer Zahl begrenzt, Ureier und Follikel 
sind in relativ grösserer Zahl nachzuweisen. 

Das siebente Präparat (signiert 15) stammt von einer 19jährigen 
Frau, welche seit sechs Monaten keine Periode gehabt und sich für gravid 
gehalten hatte. Sie starb an feinem Herzfehler. Die Gravidität entsprach 
nicht der Anamnese. Das eine Ovarium 15x32 mm enthält anscheinend kein 
Corpus luteum, eine Cyste von grösseren Dimensionen, etliche kleinere, ein 
grosses Corpus albicans, das andere Ovarium von gleicher Grösse, ein linsen- 
grosses durchblutetes Corpus luteum und etliche ältere. Mikroskopisch findet 
man in den Ovarien zahlreiche Cysten, teils mit, teils ohne Granulosaepithel 
mit zugrunde gegangenem Ei. Hin und wieder sieht man etwas protoplasma- 


292 Otfried O. Fellner: 


reichere Zellen. Einige der Öysten sind stark durchblutet. Zumeist beobachtet 
man die starke und ziemlich frische Blutung an Stelle der Granulosa und 
der Theca interna. Ebenso findet sich mitten im Ovarium eine ausgebreitete 
Hämorrhagie mit teils frischem Blute: die angrenzenden Zellen sind mit 
dunklem Pigment beladen. Ureier finden sich in grosser Zahl, aber auch 
hier sieht man häufig rote Blutkörperchen in der Eizelle. Mitten im Gewebe 
bemerkt man gleichfalls Stellen, an welchen protoplasmareichere Zellen in 
Haufen beisammen liegen. 

Das achte Präparat (signiert 16) stammt von einer Frau, welche 
Ende des vierten Schwangerschaftsmonates an Lungentuberkulose und eitriger 
Mittelohrentzündung verstorben war. Linkes Ovarium 25 x 32 mm, rechtes 
30x20 mm. Im linken Ovarium (II) sieht man ein sehr grosses Corpus 
luteum (14x 16 mm), in dem zweiten einige offenbar ältere Corpora. Mikro- 
skopisch besteht das Corpus luteum aus sehr wohl erhaltenen gut färbbaren, 
scharf abgegrenzten Luteinzellen, die in der Mitte einen Rest alten Blutes 
einschliessen, im anderen Ovarium ein kleines Corpus luteum mit mässig gut 
erhaltenen Luteinzellen, vielem Bindegewebe und sehr geringen Blutresten. 
Daneben sielit man einen plattgedrückten Hohlraum mit teils frischem, teils 
altem Blute und zahlreichen luteinzellenähnlichen Zellen, die in Degeneration 
begriffen zu sein scheinen. Ausserdem sieht man zahlreiche Corpora fibrosa, 
hin und wieder protoplasmareichere Zellen, doch ist die Protoplasmamasse an 
den einzelnen Zellen nicht so gross, als wir sie sonst zu sehen pflegen. 
Cysten sind in sehr geringer Zahl vorhanden, Ureier sehr selten zu sehen. 

Das neunte Präparat (signiert 17) stammt von einer Frau, welche 
Ende des neunten Monats an Phosphorvergiftung verstorben ist. Das linke 
Ovarium ist 25x40 mm gross, das rechte 35x 20 mm. Beide enthalten 
zahlreiche Cystchen, das linke ein 15x 10 mm grosses Corpus luteum mit 
Fibrinkern. Mikroskopisch besteht dasselbe aus etwas kleineren Luteinzellen, 
ziemlich viel Bindegewebe. Man sieht recht viele Ureier, sehr vereinzelte 
grössere Follikel, aber zahlreiche grössere Cysten mit oder ohne Granulosa- 
zellen, im linken Ovarium vielfach plattgedrückt. Rings um dieselben reich- 
liche Bildung von protoplasmareicheren Zellen, welche weit ins Gewebe hinaus 
zumeist keilföürmig ausstrahlen. Ein nahe der Oberfläche liegender sehr 
grosser Follikel ist plattgedrückt, enthält abgestossene, sehr reichliche 
Granulosazellen, und ist rings von grossen protoplasmareichen Zellen umgeben. 
Der gleiche Befund liegt im rechten Ovarium vor; vielleicht ist hier die 
Follikelluteinzellenbildung noch stärker ausgebildet, mitunter fehlt der Hohl- 
raum vollständig, so dass man einen geschlossenen Körper aus Follikellutein- 
zellen vor sich hat, der grosse Ähnlichkeit mit einem kleinen Corpus luteum 
besitzt. Man sieht auch Follikel mit wohlerhaltener Membrana granulosa 
und Ei, ringsum beginnende Luteinzellenbildung. Bei den auf Fett gefärbten 
Präparaten sieht man sowohl in den Luteinzellen als in den protoplasma- 
reichen Zellen sehr viel Fetttröpfchen, nicht allein im Kern, da in kleinen 
Granulis, sondern auch reichlich im Protoplasma, da mitunter in so grosser 
Menge, dass das Protoplasma ganz von Fett erfüllt ist, aber auch in vielen 
und grossen Tropfen zwischen den Zellen. (Die Präparate sind nach 
Altmann fixiert und mit Safranin gefärbt.) Auch die zugrunde gegangenen 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 293 


Ureier, vielleicht auch solche, welche ganz wohl erhalten aussehen, enthalten 
Fett. Färbt man nach Altmann, so sind die Bindegewebszellen grün 
gefärbt, sowohl im Protoplasma als auch im Kerne; in reichlicher Menge 
sieht man zwischen den Bindegewebszellen Kerne von runder Form und der 
Grösse der Leukozyten, deren Rand grün gefärbt ist, deren Kernsubstanz 
den Farbstoff nicht aufnimmt und zahlreiche rot gefärbte Granula enthält. 
Reichlicher vorhanden und grösser sind die Granula im Protoplasma der 
protoplasmareicheren Zellen. Schliesslich sieht man Zellen, deren Kern diffus 
braunrot gefärbt ist, deren Protoplasma zahlreiche rote "Tropfen von ver- 
schiedener Grösse enthält, sowie zahlreiche blau gefärbte Granula. Das 
gleiche Bild, nur in zarterer Form, findet sich in den Kernen. Auch zwischen 
den Zellen findet man rot gefärbte Tropfen von wechselnder Grösse, noch 
mehr aber zwischen den protoplasmareicheren Zellen. Bei dieser Färbung 
erkennt man mit aller Deutlichkeit, dass auch mitten im anscheinend nor- 
malen Bindegewebe ganz vereinzelte protoplasmareichere Zellen liegen. Bei 
der Färbung nach van Gieson färben sich die protoplasmareicheren Zellen 
im Protoplasma rötlich, der Kern ist bläschenförmig und enthält feine 
Chromatinkörnchen. Die degenerierten Ureier färben sich rot, die Lutein- 
zellen haben die gleiche Färbung wie die protoplasmareicheren Zellen, 

Das zehnte Präparat (signiert 18) stammt von einer Frau, 
welche im dritten Monate der Schwangorschaft an Tuberkulose gestorben 
ist. Ovarien haben die Grösse von 25x40 und 30x35 mm. Es findet sich 
im linken Ovarium ein grosses Corpus luteum (12x15 mm) aus gut erhaltenen 
mässig grossen Luteinzellen bestehend, mit mässig reichlichem Fibrin und 
einem relativ kleinen Fibrinkern, zahlreiche grosse Corpora fibrosa. Ureier und 
Graffsche Follikel in grösserer Zahl. Ferner sieht man einige Cysten mit 
reichlicher Bildung von protoplasmareicheren Zellen. Darunter zwei grosse 
Graffsche Follikel mit noch sichtbarem Cumulus. Das andere Ovarium 
enthält viele alte Corpora fibrosa und albicantia, darunter ein recht grosses 
aus mehreren Stücken bestehend, in welchen sich noch Luteinzellen deutlich 
nachweisen lassen. Graffsche Follikel sind in grösserer Zahl vorhanden, 
unter diesen einer mit noch gut erhaltenem Cumulus und Ei und beginnender 
Luteinzellenumwandlung der Theca. Auffallend ist ein grösserer langge- 
streckter Körper, der zum Teil aus wohlerhaltenen, zum Teil aus zugrunde 
gegangenen und in Fibrin umgewandelten Luteinzellen besteht. Ein zweiter 
Körper ist aus Elementen zusammengesetzt, welche die Grösse, Form und 
Anordnung von Luteinzellen haben, aus vakuolisiertem Protoplasma bestehen 
und zumeist eine grössere Vakuole führen von der Grösse und der Form 
eines Luteinzellenkernes. Cysten sind in mässiger Zahl vorhanden. Auch 
ist die Umwandlung in Follikelluteinzellen nicht so reichlich wie sonst, hin- 
gegen finden sich im Stroma zahlreiche Komplexe, in welchen die Zellen 
reiches Protoplasma besitzen. Bei der Färbung nach Mallory färben sich 
Luteinzellen sowohl wie die protoplasmareicheren Zellen rotviolett. 

Das elfte Präparat (signiert 19) stammt von einer Frau, welche 
im sechsten Monate der Schwangerschaft an Nephritis verstorben ist. 
Die Ovarien sind 39x30, bezw. 30x25 mm gross; das rechte enthält ein 
15x15 mm grosses Corpus luteum mit einem kleinen Fibrinkern in der 


294 Otfried OÖ. Fellner: 


Mitte; mikroskopisch besteht dasselbe aus in Degeneration befindlichen 
Luteinzellen, sehr wenig Fibrin. Die Ovarien enthalten zahlreiche cystische 
Räume, welche von protoplasmareicheren Zellen begrenzt sind. Vielfach sieht 
es aus, als ob die Zellen in die Cysten hineinwuchern würden. Ureier, 
Graffsche Follikeln sind in allen Stadien vorhande.. 

Das zwölfte Präparat (signiert 20) stammt von einer Total- 
exstirpation im fünften Monate der Gravidität bei Vorhandensein von Myomen. 
Das Ovarium ist 29x28 mm gross, enthält ein älteres Corpus luteum mit 
kleinem Fibrinkern. Das Corpus hat die Grösse von 1x8 mm. Das Ovarium 
ist von zahllosen Hohlräumen durchsetzt. Mikroskopisch erscheinen dieselben 
von dicken Lagen von protoplasmareichen Zellen begrenzt. Ureier und 
Follikel in allen Stadien der Entwicklung, darunter ein grösserer Follikel 
mit wohlerhaltenem Ei ohne Veränderung der Luteinzellen. In den proto- 
plasmareichen Luteinzellen sieht man bei der Färbung nach Altmann rote 
Granula sowohl im Kern als auch im Frotoplasma; dieselben sind zumeist 
klein, doch kommen im Protoplasma nicht zu selten relativ grosse 
Tröpfchen vor. Im Kern sind sie mitunter so zahlreich, dass der Kern diffus 
rot erscheint. Bei der Färbung auf Fett (Safranin) sieht man zahlreiche 
rote, teils schwarze, teils dunkelbraune Tropfen, in grösserer Zahl und ver- 
schiedener Grösse im Kern, seltener im Protoplasma. 

Das dreizehnte Präparat (signiert 21) stammt von einer Frau, 
welche im fünften Monate der Gravidität an Tuberkulose gestorben ist. Die 
Grösse des Ovariums beträgt 27x18 mm; schon makroskopisch fällt ein grosser 
verkalkter Körper auf. Mikroskopisch sieht man ein grosses Corpus luteum, 
das in Verkalkung begriffen ist. Ausserdem sind einige Cysten mit geringerer 
Entwicklung protoplasmareicherer Zellen zu sehen, ferner zahlreiche gut 
erhaltene Ureier und Graffsche Follikel. 

Das vierzehnte Präparat (signiert 22) stammt von einer Total- 
exstirpation wegen Myom im vierten Monat der Gravidität. Das Ovarium 
ist 26x30 mm gross, enthält ein 12x15 mm grosses Corpus luteum mit 
kleinem Fibrinkern und einigen Öysten. Mikroskopisch besteht das Corpus 
luteum aus wohl erhaltenen Luteinzellen, starken Bindegewebszügen, kleinen 
Blutresten. Die Cysten sind von einer starken Lage wohl entwickelter 
Follikelluteinzellen umgeben. Ureier, Graffsche Follikel in grösserer Zahl. 


Die Befunde an den 13 Ovarien Schwangerer kurz zu- 
sammenfassend, komme ich zu folgenden Ergebnissen: Nur ein- 
mal, bei einer Frau, welche sieben Stunden post partum ver- 
storben war, konnte ein Corpus luteum nicht aufgefunden werden. 
Es stimmt dies mit den Beobachtungen von Ravano!) auch 
dem Prozentsatze nach überein, da dieser in drei von 60 Fällen 
keine Spur eines Corpus luteum antraf. Zwei Corpora lutea 
fand ich dreimal vor, und zwar stets in jedem Ovarium eines 
von verschiedenem Alter. Die beiden Corpora lutea waren zwei- 


!) Archiv f. Gynäkologie. Bd. 83, Heft 3. 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 295 


mal im vierten Monate und einmal am Ende der Schwangerschaft 
vorhanden. Auch Ravano machte ähnliche Beobachtungen. Sonst 
waren die Corpora lutea zumeist wohl erhalten, hin und wieder waren 
Blutreste nachweisbar, zumeist nur Fibrin; sie machten grössten- 
teils den Eindruck nicht zu alter Corpora lutea, wenn man sich 
auf die von Ravano beschriebenen Bilder verlässt. Will man 
aus diesen Befunden schon einen Rückschluss auf die eireifende 
Tätigkeit des Ovariums ziehen, so muss man sich wohl sagen, 
dass der Befund mehrerer Corpora lutea auf weitere Follikel- 
reifung in der Schwangerschaft hinweist, dass ferner auch die 
vorhandenen Corpora lutea durchaus den Eindruck machen, als 
ob sie frisch gesprungenen Follikeln entstammten. Vielleicht ist 
der Einwand möglich, dass entsprechend früherer Anschauungen 
das Corpus luteum in der Gravidität sich länger erhalte. Nach 
Kreis hält die Entwicklung des Corpus luteum während der 
_ Gravidität bis zum dritten Monat an, im neunten Monat soll es 
erst das Stadium erlangen, das sonst der dritten Woche eigen- 
tümlich ist. Dies war noch zutreffend, als man mit His an- 
nahm, dass das Ovarium in der Schwangerschaft hyperämisch sei, 
nach Fränkel und Schulin ist dies aber nicht der Fall. Nach 
meinen Befunden und nach denen anderer Autoren müsste man 
dann annehmen, dass sich das Corpus luteum unter Umständen 
bis zum Ende der Schwangerschaft erhalte, und zwar nahezu in 
demselben Zustand, in dem es sich vor der Schwangerschaft be- 
funden hat. Diese Anschauung scheint nun nicht ganz glaublich 
insbesondere mit Rücksicht auf das nicht zu alte Blut und den 
Fibrinpfropf; denn wenn man schon annimmt, dass die Lutein- 
zellen sich so lange erhalten, so scheint es doch anatomisch 
schwer verständlich, dass sich in einem Körper, welcher so 
reichlich mit Blutgefässen versorgt ist, Blut und Fibrin so lange 
erhält, ohne resorbiert, bezw. organisiert zu werden. Man kann 
daher derlei Corpora lutea am Ende der Schwangerschaft und im 
letzten Drittel, schwer auf vor längerer Zeit gesprungene Follikel 
zurückführen. Und man muss wohl annehmen, dass es sich um 
in der Schwangerschaft gesprungene Follikel handelt. Ja, auch 
die Ansicht, dass die Corpora lutea Follikeln entstammen, die 
am Anfange der Gravidität geplatzt sind, ist hinfällig. Man 
müsste sonst eine gewisse Gesetzmässigkeit entsprechend dem 
Alter der Gravidität beobachten; derart, dass um die Mitte der 


296 Otfried ©. Fellner: 


Gravidität das Corpus luteum frischer aussieht, als am Ende: 
und das ist gerade nicht der Fall. 

Aber man kann aus diesen Befunden auch nicht schliessen, 
dass die Eireifung regelmässig stattfindet. Dagegen spricht das 
Fehlen eines Corpus Juteum am Ende der Gravidität, ferner der 
Umstand. dass zwischen dem Corpus luteum und den Resten 
anderer, die wir vorfinden, oft ein viel grösserer Zwischenraum 
liegt, als wir sonst an dem Ovarium antreffen. Ich meine, man 
müsste stets neben einem frischen Corpus luteum auch ein älteres 
antreffen und das trifft nicht zu. Es ergiebt sich demnach aus 
diesen Befunden, ähnlich wie aus denen Ravanos, dass 
Follikelreifung und Corpusluteumbildung in der 
Schwangerschaft zwar öfters stattfindet, aber 
jedenfalls nieht so oH' und nich a some 
mässiger Weise wie ausserhalb der Schwanger- 
schaft. 

Lässt sich nun die Follikelreifung tatsächlich nachweisen ? 
Ich konnte ebenso wie Seitz!) nicht ein einziges Mal einen ge- 
borstenen oder völlig reifen Follikel beobachten. Der Reife nahe 
Follikel sah ich wohl, aber auch sie waren grösstenteils nicht 
normal. F. Cohn freilich fand in mehreren Ovarien während 
der Gravidität sprungreife, über die Ovarienoberfläche stark hervor- 
ragende, sehr grosse Follikel. neben mittleren und kleineren. 
An Tierovarien wurden reifende Follikeln während der Schwanger- 
schaft wiederholt gesehen. So beschreibt auch Fränkel°’) in 
den Ovarien trächtiger Tiere, beispielsweise der Spitzmaus reife 
Follikel.e. Kelly und Me Ilroy?) fanden bei einer Ovarial- 
schwangerschaft Corpora lutea in den verschiedensten Stadien. 
Meigs. Scanzoni, Depaul und Gueniot, Slaviansky, 
Guzzi und Berte. Baiardi. Üosentino?) beobachteten 
Follikelreifung während der Schwangerschaft. Cristalli?) giebt 
an, dass bei der Hündin der Ovulationsprozess nicht stillsteht. 
Aus dem negativen Befunde einer verhältnismässig kleinen Zahl 
von Untersuchungen gegenüber einigen positiven Befunden darf 


') Archiv f. Gynäkologie, Band 67, Heft 2. 
?) Archiv f. Gynäkologie, Band 75, Heft 3. 
*, Journ. of Obstetries. Mai 1906. 

#) Citiert nach Ravano. 

°) Atti della Soc. ital. Diss. October 1900. 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 297 


man nun nicht den Schluss ziehen, dass nicht auch normale Follikel- 
reifung während der Schwangerschaft hin und wieder statt hat. 
Denn es liegt in der Natur der Sache, dass man solche Befunde 
nur selten zu machen Gelegenheit haben kann. Was man an den 
Follikeln regelmässig beobachtet, ist die zuerst von Koelliker 
beschriebene Luteinzellen ähnliche Bildung in der Theca interna. 
Dass diese Zellen aus den Thecazellen herstammen, wurde bereits 
von Wallart, der als erster in ausführlicher Weise über diese 
Zellen!) schrieb, erkannt. Seitz sah sie in 36 Fällen; sie 
zeigen sich bereits im zweiten Monat der Schwangerschaft; ihre 
Bildung dauert bis zum Ende des zehnten Monats oder den ersten 
Tagen des Wochenbetts an. Doch möchte ich sie, um allen Miss- 
verständnissen auszuweichen, als von den als Körnerzellen 
bekannten Zellen ableiten. Die Umwandlung der Theca in diese 
Zellen scheint schon sehr frühzeitig stattzufinden, man sielit sie 
bereits im dritten Monate rings um alle Follikel; eine gesetz- 
mässige Zunahme mit dem Alter der Gravidität ist nicht ein- 
wandsfrei zu erkennen. Es scheint vielmehr die Bildung der 
Zellen von anderen Momenten abhängig zu sein, und verweise 
ich insbesondere darauf, dass die Bildung der Luteinzellen be- 
sonders stark in den beiden Fällen von Myom aus dem vierten 
und fünften Monate und von Nephritis aus dem sechsten Monate 
war. In diesen Fällen bestand die Schicht aus fünf bis sechs 
Reihen, mitunter auch aus mehr Reihen von Zellen, sie war um 
alle Follikel entwickelt und reichte an den Polen weit in das 
(rewebe hinein. 

Ich möchte, um hinsichtlich der Abstammung der Zellen 
nichts zu präjudizieren, die Zellen nicht als 'T'heca-Luteinzellen 
bezeichnen, wie es die meisten Autoren tun, schon deshalb nicht, 
weil ja eine Reihe von Autoren die echten Luteinzellen auch als 
Thecaluteinzellen auftassen und schlage daher den Namen Follikel- 
luteinzellen vor. Ob diese Zellen sekretorische Funktion 
haben oder nicht, darüber wogt noch der Streit. Fränkel vor 
allen, der in einer überaus fleissigen und sorgfältigen Arbeit dem 
Wesen der Zellen nachgespürt hat, spricht sich, trotzdem die 
Bedeutung dieser Zellen schon aus dem steten Befunde an vielen 
Tierspezies hervorgehen würde, mit aller Entschiedenheit gegen 
die sekretorische Funktion aus. Das Vorkommen von Tröpfchen, 


!) Archiv f. Gynäkologie, Band 81, Heft 2. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 20 


298 Otfried O. Fellner: 


Fettkörnchen und anderer Vakuolen ist sicher, doch scheinen 
diese Einflüsse auch bei zweckmässiger Behandlung des Objektes 
häufig zu fehlen, meint Fränkel. Beim Menschen und beim 
Kaninchen wenigstens sah ich diese Protoplasma- und Kern- 
eigentümlichkeiten nie fehlen. Und wenn Fränkel dies mitunter 
beobachtete, so mag dies vielleicht mit dem Sekretionszustande 
zusammenhängen, und möchte ich daraus eher ein Pro als ein 
Contra hinsichtlich der Sekretionsmöglichkeit entnehmen. Aus 
meinen obigen Beschreibungen ersieht man, dass sich nebst den 
reichlichen Fetttröpfchen, die sich in grösseren Formen am Rande 
des Protoplasmas und im Zwischengewebe finden, auch noch 
reichlich nach Altmann sich färbende Granula von verschiedener 
(Grösse nachweisen lassen, und dass man mit aller Deutlichkeit 
die allmähliche Grössenzunahme derselben gegen die Peripherie 
zu beobachten kann. Es ist richtig, dass sich das osmierte Fett 
bei Berührung mit Xylol auflöst, dass es sich also um ein 
lecithinähnliches Produkt handelt, doch sah ich nebstdem auch 
Fetttröpfehen, die dem Xylol standhielten. Kurzum, die Ähnlich- 
keit mit den Sekretionsprodukten der echten Luteinzellen ist 
eine sehr grosse. Auch die Anordnung, die reichliche Versorgung 
mit Blutgefässen ist die gleiche, und wenn der histologische 
Befund an den Luteinzellen genügte, um an eine innere Sekretion 
zu glauben, so muss das gleiche auch für die Follikelluteinzellen 
gelten. Regaud und Policard') betonten die Sekretions- 
erscheinungen (nach W eigert sich färbende Sekrettropfen) an den 
Internazellen, nachdem bereits Born und später Tourneux') 
gelbe Körnchen in den interstitiellen Zellen nachgewiesen hatten. 
Auch die reichliche Versorgung mit Kapillaren, welche gleichfalls 
von vielen Autoren hervorgehoben wurde, und die ich bestätigen 
kann, spricht für eine innersekretorische Funktion. Auffallend ist 
auch, dass die in Müllerscher Flüssigkeit fixierten und mit 
Cochenillealaun gefärbten Präparate das Protoplasma der Zellen 
schmutziggelb bis dunkelbraun erscheinen lassen. Zellgrenzen 
sind hier nicht nachweisbar. Fränkel führt dagegen zunächst 
an, dass ein Unterschied zwischen dem graviden und nicht 
graviden Tiere nicht bestehe. In Bezug auf das Kaninchen 
kann ich das nicht bestätigen. Hier sind die Zellen in der 


!) Comptes rend. de l’Association des Anatomistes, 1901. 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 2) 


Schwangerschaft entschieden grösser, die Kerne viel runder und 
auch grösser als im normalen Zustand. Auch macht es den 
Eindruck — doch lässt sich das nicht mit Sicherheit erweisen, — 
als ob die Zahl der Zellen eine grössere wäre, doch muss man 
zum Vergleich ein Ovar von einem Kaninchen nehmen, das noch 
nicht trächtig war; denn die Kaninchen mit ihren rasch aufeinander- 
folgenden Trächtigkeiten geben bei einem zufälligen Intervall 
kein geeignetes Vergleichsobjekt. Auch müsste man der Brunst- 
zeit aus dem Wege gehen. Fränkel meint ferner, dass nicht 
die Spur einer Ähnlichkeit zwischen den Luteinzellen und diesen 
Zellen besteht. Demgegenüber weisen viele Autoren auf die 
häufigen Verwechselungen hin, und ich möchte meinen, dass 
zwischen den beiden Zellen zumeist nur der Unterschied besteht, 
dass die Follikelluteinzellen kleiner sind, doch sah ich eben so 
häufig sichere Follikelluteinzellen von der Grösse von Lutein- 
zellen, wie Luteinzellen in der Grösse von Follikelluteinzellen. 
/um Schlusse meint Fränkel, dass diesem Gewebe unmöglich 
eine grössere Rolle und wichtige Funktion zukomme. Dem- 
gegenüber möchte ich auf meine gemeinsam mit F. Neumann!) 
durchgeführten Versuche hinweisen, die ergaben, dass durch die 
isolierte Bestrahlung der Eierstöcke eine starke Degeneration der 
Follikelluteumzellen beim Kaninchen eintritt, und dass diese regel- 
mässig mit dem Rückgange der Trächtigkeit verbunden ist. Ganz 
abgesehen davon, dass die Veränderungen am Corpus luteum 
keine allzu ausgesprochenen waren, dass von einer vollkommenen 
Degeneration des Corpus luteum nicht die Rede war, spricht 
für die Annahme, dass der Rückgang der Trächtigkeit mit der 
Degeneration der Follikelluteinzellen im Zusammenhange zu 
bringen ist, gerade die Erfahrung Fränkels, dass der Einfluss 
des Corpus luteum auf die Eieinbettung nach acht Tagen auf- 
hört, während wir für gewöhnlich erst am achten Tage zum 
ersten Mal röntgenisierten. Es kann daher von einer Bedeutungs- 
losigkeit dieser Zellen nicht die Rede sein, und es sprechen 
gerade diese Versuche mit einiger Wahrscheinlichkeit dafür, dass 
die Follikelluteinzellen tatsächlich sezernieren, und dass diese 
Sekretion für den Fortbestand der Gravidität von grösster 


1) 0. 0. Fellner und F. Neumann. Der Einfluss der Röntgen- 
strahlen auf die Eierstöcke trächtiger Kaninchen und auf die Trächtigkeit. 
Zeitschr. f. Heilkunde, Bd. 28, Heft 7. 


20* 


300 Otfried O. Fellner: 


Bedeutung ist. Im Zusammenhang aber mit all den Ergebnissen, 
welche an anderer Stelle ausgeführt werden, wird diese Wahr- 
scheinlichkeit zur Gewissheit. Seitz und andere weisen auch 
die innersekretorische Tätigkeit dieser Zellen zurück und betonen 
die Unterschiede gegenüber den Luteinzellen. Die ersteren ent- 
halten, wie auch Simon angibt, Einschlüsse, die sich mit Osmium 
färben, aber bei Berührung mit Xylol sich wieder lösen. Dadurch 
und durch den Mangel an Lutein unterscheiden sie sich von den 
Zellen des gelben Körpers. Erstere finden sich auch in den 
echten Luteinzellen, und was das Lutein betrifft, so ist dies 
reichlich auch in den epitheloiden Zellen vorhanden, wie Seitz 
an anderer Stelle zugibt. Da wir es mit Sekretionsprodukten zu 
tun haben, wobei jedoch von einer Stelle zur anderen sicherlich 
eine chemische Umwandlung. erfolgt und andererseits das Produkt 
je nach der Sekretionsepoche chemische Verschiedenheit zeigen 
muss, so darf auf solche Verschiedenheiten nicht das Schwer- 
gewicht gelegt werden. Ich meine, dass das histologische Bild 
der Sekretion, der Befund von Lutein und luteinähnlichen 
Produkten in den und um die Zellen, die morphologische Ähnlich- 
keit, mit grösster Wahrscheinlichkeit für eine qualitativ 
gleichartige Sekretion der Follikelluteinzellen spricht. 
Noch ein Moment wird merkwürdigerweise gegen die Sekretions- 
möglichkeit und die morphologische Ähnlichkeit ins Treffen 
geführt, und das ist die Abstammung der Zellen. Dass die 
Follikelluteinzellen nicht aus den Granulosazellen entstehen, ist 
auf den ersten Blick klar. Sieht man doch alle Zwischen- 
stufen zwischen den Körnerzellen und den Follikelluteinzellen 
und ferner strenge Abscheidung zwischen diesen Zellen und den 
degenerierenden, abfallenden Granulosazellen. Ich sah ferner 
Follikel, wo das Ei und die Granulosazellen ganz normal aus- 
sahen, und in der Theca interna nur hin und wieder eine proto- 
plasmareichere Körnerzelle vorkam. Nun sollte man meinen, 
dass nicht die sichere Abstammung einer Zellart im Zusammen- 
hang mit der nicht sicheren Abstammung einer gleichen Zellart 
aus anderen Zellen den Anlass gibt, eine Verschiedenheit beider 
Zellarten anzunehmen, sondern dass vielmehr der Schluss gezogen 
wird, dass auch die andere Zellart, also die echten Luteinzellen, 
nicht aus Granulosazellen (Bischoff, Pflüger, Sobotta, 
Pfannenstiel, Waldeyer, Polano), sondern aus Theca- 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 301 


körnerzellen entstehen. Dies um so mehr, als es trotz des 
bewundernswerten Fleisses Sobottas diesem nicht gelungen 
ist, einen grossen Teil der Untersucher zu überzeugen. 

Es scheint also die sekretorische Tätigkeit des Ovariums 
zum Teil an die Tätigkeit dieser Körnerzellen gebunden zu sein, 
ähnlich, wie man neuerer Zeit auch den interstitiellen Zellen des 
Hodens eine solche Funktion zuschreibt. Leydig') hat als erster 
auf die Anwesenheit von Fett im Hoden hingewiesen; seitdem 
hat eine Reihe von Autoren diesen Befund in den interstitiellen 
Zellen bestätigt, und von Thaler”) wurden in sehr sorgfältiger 
Weise die Einzelheiten über das Vorkommen von Fett im Hoden 
erhoben. Schäfer hat die volle Analogie der interstitiellen 
Zellen des Hodens und der hier in Betracht kommenden Zellen 
erwiesen. Nach den Untersuchungen von Bouin und Ancel’) 
kommt auch den interstitiellen Zellen des Hodens eine sekretorische 
jedeutung zu. 

Dass die Bildung der Zellen nicht allein auf Neigung aller 
möglichen Zellen luteinartige Beschaffenheit anzunehmen beruht, 
und dem vermehrten Blutzufluss ihre Entstehung verdankt, wie 
Fränkel meint, dafür spricht auch das Auftreten von Mitosen, 
dieRabl, Wallart®), Seitz, Simon, F. Cohn u. A. beobachtet 
haben, die natürlich auch ich vorfand, Fränkel fand sie nur 
vereinzelt. Es handelt sich demnach um ein selbständiges. sich 
stetig vermehrendes Gewebe. 

Dasselbe kommt nun, wie ich bereits oben bemerkt habe, 
und ebenso andere Beobachter schon angeführt haben, auch an 
anscheinend ganz normalen Follikeln vor; es scheint also die 
Bildung der Zellen das Primäre, das Zugrundegehen der 
Follikel das Sekundäre zu sein: Zugrundegehen des Eies, Er- 
weiterungen der Follikelhöhle, Chromatolyse der Granulosazellen 
(Flemming),  Abfallen, Auflösen derselben; mitunter hält sich 
der degenerierte Eirest noch längere Zeit, mitunter bleiben noch 
eine oder zwei Lagen Granulosazellen bestehen. Das Ende ist 
die Bildung einer grösseren oder kleineren Cyste, die schliesslich 
von der Umgebung abgeplattet wird. Nicht zu selten wird der 


!) Zeitschr. f. Zoologie, Bd. 2, 850. 

”) Beiträge zur pathologischen Anatomie. Bd. 36, 1904. 

3, Comptes rendues de l’Acad. des Sciences de Paris. Januar 07. 
*#) Zeitschr. f. Geb., Bd. 53. 


302 Otfried ©. Fellner: 


Follikelinhalt doch resorbiert, und man sieht ein mandelförmiges 
(sebilde mit schmalem Spalt, starker Luteinzellenwucherung; 
diese Bildung kann schliesslich den Eindruck eines kleineren 
Corpus luteum machen. Aus alledem geht hervor, dass die 
Bildung und Vermehrung dieser Follikelluteinzellen zur Degene- 
ration der Bier führt. Dies könnte darauf beruhen, dass die 
zu Follikelluteinzellen hypertrophierenden Körnerzellen den 
(sranulosazellen den Nährstoff entziehen, was entsprechend der 
sehr berechtigten Annahme einzelner Autoren, dass die Granulosa- 
zellen das Ei ernähren, einigermaßen einleuchtend erscheint. Das 
Zugrundegehen der Follikel geht aber mit einer Vermehrung der 
Follikeltlüssigkeit einher. Diese kann in normalem Zustande nur 
von den Granulosazellen geliefert werden. Wir hätten also eine 
Vermehrung der Flüssigkeit bei Zugrundegehen der Granulosa- 
zellen, was nicht recht glaublich erscheint. Wir kommen also 
auf diesem Wege zu der Annahme, dass die vermehrte Flüssigkeits- 
menge von den Körnerzellen auf dem Wege der Sekretion ge- 
liefert wird, und müssen ferner annehmen, dass diese schädigend 
auf das Ei oder das Follikelepithel wirkt. Der Vorgang würde sich 
also vielleicht so abspielen, dass es infolge derSchwanger- 
schaft zu einer Hypertrophie — Arbeitshypertrophie — 
verstärkten Sekretion der Körnerzellen, ins- 
besondere in der Theca interna kommt, welche 
Sekretion zunächst Hydrops der Follikel und Zu- 
grundegehen des Eies und der Granulosazellen 
zur Folge hat. 

Diese Hypertrophie befällt allmählich fast alle wachsenden 
Follikel und ist wohl die Ursache, warum es selten zur Bildung 
eines sprungreifen Follikels und eines alten Corpus luteum kommt. 
Da aber andererseits nicht alle grösseren Follikel von der Lutein- 
zellbildung betroffen werden und wir, wie ich im Einzelnen näher 
ausgeführt habe, ganz normale grössere Follikel beobachten, so 
ist es klar, dass mitunter ein Follikel reifen und platzen kann, 
und dass sich ein normales Corpus luteum bildet. Sahen wir 
doch in allen Ovarien Ureier und Follikel in normaler Zahl und 
in allen Stadien. Seitz sucht diese supposierte Weiterentwicklung 
der Follikel zu beweisen, indem er sagt: „Bereits in dem achten 
Monate verfällt eine Anzahl der Follikel der Atresie. Der Vorrat 
an grösseren Follikeln würde nun alsbald aufgebraucht sein, wenn 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 303 


nicht neue heranwachsen würden“. Dem ist unbedingt zuzustimmen. 
Wir sahen in den späteren Monaten ganz normale grössere Follikel ; 
wären diese schon früher vorhanden gewesen, so wären sie längst 
der Atresie anheimgefallen; sie müssen also eben erst heran- 
gewachsen sein. 

Auffallend ist, dass die alten Corpora fibrosa und albicantia 
nicht von Follikelluteinzellen umgeben sind. Worauf mag dies 
beruhen? Hängt dies von der Blutversorgung ab? Ich glaube 
kaum. Auch diese Corpora sind von einem Kranz von Gefässen 
umgeben, und aus den Untersuchungen von Sohma!) wissen wir, 
wie sich in dem alten stark gedehnten Gefässrohr ein kleineres 
neues bildet. Aber das Material zur Bildung der Follikellutein- 
zellen fehlt; denn es wurde zur Bildung der Luteinzellen ver- 
braucht. So kommen wir auf einem anderen Wege auch zu der 
Ansicht, dass die Luteinzellen aus den Körnerzellen hervorgehen. 


Was aber nicht Corpus albicans oder fibrosum ist, was 
also noch eine Theca interna besitzt, entartet 
zum grössten Teile cystisch; und so sehen wir in den 
graviden Ovarien zahlreiche Uysten, die sich wohl nach der 
Schwangerschaft rückbilden, da wir sie de norma an Ovarlien 
nicht finden. Im übrigen hat dieses Zurückgehen der Üysten- 
bildung nichts besonderes mehr an sich, da die Tatsache von den 
Blasenmolen her bekannt ist (Gouillard)?). 


Erwähnen möchte ich noch die starke Deeiduabildung auf 
der Oberfläche des Ovariums im Falle 1 und 4, also in zwei 
Fällen von ausgetragener Gravidität. Ebenso wie Hörmann’), 
sah ich tiefes Eindringen in das Ovarium, die Bildung von ober- 
tlächlichen Knötchen, zwei- und dreikernige Zellen, sowie Riesen- 
zellen und Syneytien. Zwischen den Zellen häufig Bindegewebe. 


Von grösserem Interesse ist Fall 7. Die 19jährige Frau 
erlag einem Herzfehler, und hielt sich für schwanger, da sie seit 
sechs Monaten keine Periode gehabt hatte. Trotzdem fand ich 
ein nicht altes Corpus luteum, Ureier und Follikel in grösserer 
Zahl. Die Frau hatte also ovuliert, aber doch nicht menstruiert 
d. h. nach aussen geblutet; wohl aber fanden sich starke Blutungen 


!) Arch. f. Gynäkol. Bd. 84, Heft 2. 
*), Rev. de gynec. 1907. 
®) Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Morphologie. 1906. 


304 Otfried ©. Fellner: 


im ÖOvarium, und im Gewebe protoplasmareichere Zellen. Wir 
können also annehmen, dass neben der Ovulation auch eine interne 
Sekretion stattgefunden hat. Die Blutung erfolgt nicht aus dem 
Uterus, sondern ins Ovarium. Vielleicht ist der Herzfehler daran 
schuld und verhinderte die Blutung ins Ovarium, die Blutung 
nach aussen. Fine einwandsfreie Deutung dieses interessanten 
Falles ist schwer zu geben. 


Betonen möchte ich noch die Einlagerung von Fett in den 
Bindegewebszellen, wie sie auch Plato, His und Pflüger be- 
schrieben haben. Auch sei der Befund von Granula (Altmann) 
in den Zellen, freilich in geringer Menge, hervorgehoben. 

Kurz zusammengefasst ergiebt sich also aus diesen Befunden, 
dass in der Schwangerschaft zwar eine Reifung der 
Follikel statt hat, dass aber nur wenige bis zur 
vollen Reife gelangen, dass vielmehr infolge der Hyper- 
trophie der Körnerzellen in der Theca interna und deren stärkerer 
Sekretion, sei es infolge des Umstandes, dass dem Ei der Nähr- 
stoff entzogen wird, sei es, was wichtiger zu sein scheint, dass 
die Sekretion dieser Zellen das Ei schädigt, die Eier, wenn 
sie eine gewisse Grösse erlangt haben, zumeist 
zugrunde gehen, die Follikelepithelien abfallen und es 
schliesslich entweder zur cystischen Erweiterung 
der Follikelhöhle oder zur Resorption und zur Verödung 
der Follikelhöhlle kommt. Den Follikelluteinzellen, 
welche sich auf diese Art bilden, ist ebenso, wie den mitunter 
im Innern des Ovariums auftretenden hyperplastischen Körner- 
zellen eine innersekretorische Funktion zuzuschreiben, 
und zwar scheint dieselbe eine grosse Ähnlichkeit mit jener der 
echten Luteinzellen zu haben. Über die Bedeutung dieser Sekretion 
soll an anderer Stelle abgehandelt werden. 


Es kann demnach vom histologischen Stand- 
punkte aus von einem Stillstand der Tätigkeit 
des Ovariumsin der Schwangerschaft keine Rede 
sein, die Follikelreifung ist zwar behindert, aber die inner- 
sekretorische Funktion dauert nicht allein an, sondern 
ist sogar verstärkt. 

Dass diese starke Ausbildung der Luteinzellen einer ver- 
stärkten Sekretion des Övariums entspricht, und dass die Schwanger- 


Zur Histologie des Ovariums in der Schwangerschaft. 305 


schaft tatsächlich erhöhte Aufgaben an das Ovarium stellt, das 
suche ich in einer anderen Arbeit!) nachzuweisen. Es sei hier 
nur kurz darauf hingewiesen. 

Herrn Hofrat Professor Weichselbaum sei für die freund- 
liche Überlassung eines Teiles des verwendeten Materials der 
wärmste Dank ausgesprochen. 


') Über die Tätigkeit des Ovariums in der Schwangerschaft. Arch. 
f. Gynäkol. 


Aus dem pathologischen Museum der Universität Berlin. 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 


ll. Die Medulla oblongata von Phocaena communis (Cuv.) Less. 
und Balaenoptera rostrata Fabr. 


Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Morphologie der Oblongata 
der Säuger. 


Von 
Bernhard Rawitz, Berlin. 


Zweite Hälfte. 
Hierzu Tafel XIII, XIV u. XV. 


Inhalt. 

4. Ruminantia. 

a) Ovis aries L. 

b) Bos taurus L. 
5. Perissodactyla. 

Equus caballus L. 
6. Carnivora. 

a) Canis familiaris L. 

b) Felis domestica L. 
7. Rodentia. 

Lepus cuniculus L. 
8. Insectivora. 

a) Erinaceus europaeus L. 

b) Talpa europaea L. 
9. Chiroptera. 

Vespertilio murinus Schreb. 
10. Prosimii. 

a) Lemur varius L. 

b) Lemur mongoz L. 
11. Pitheci. 

Macacus rhesus Wagn. 
12. Homo sapiens L. 


B. Allgemeine Betrachtungen. 


1. Das Oblongata-Problem. 
2. Die Nerven der Oblongata. 


Figurenerklärung. 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 307 


4. Ruminantia. 
a) Ovis aries L. 

Mein Material beginnt bei dieser Spezies mit der bereits 
vorhandenen Pyramidenkreuzung. Diese stellt sich hier als ein 
schmaler Streifen dar, welcher in der Medianebene an den einander 
zugekehrten Flächen der ventralen Stränge gelegen ist. Sie ver- 
breitert sich rasch, ohne jedoch jemals keilförmige Gestalt zu 
erlangen, und schlägt sich über die Peripherie der ventralen 
Stränge über. Unstreitig muss dadurch, dass die Pyramiden- 
kreuzung sich dem medialen Rand der ventralen Stränge auflegt, 
auf letztere ein Einfluss ausgeübt werden. Indessen kann dies 
wegen der Zartheit der Kreuzung nur ein geringer sein. Er kann 
meines Dafürhaltens nicht darin bestehen, dass die Stränge und 
mit ihnen die übrigen Markpartien auseinander gedrängt werden, 
sondern er kann sich nur darin äussern, dass die Nervenbündel 
der Stränge sich etwas enger aneinander legen müssen. Die 
Pyramidenkreuzung fällt daher als umbildendes Moment fort. Sie 
ist rein sensibel, denn nur von den Burdachschen und dem 
Reste der dorsalen Stränge strömen ihr Fasern zu. Die ersten 
von ihnen kommen von aussen dorsal und ziehen leicht wellig 
gebogen so zur Decussatio, dass sie bei ihrem Eintritt in letztere 
den innersten Teil der ventralen Stränge als ein kleines Quer- 
schnittsbündel abtrennen : ein nicht gerade gewöhnliches Verhalten, 
das sich sehr weit kapitalwärts erstreckt. 

Von den Strängen zeigt der (rollsche, welcher sich durch 
einen feinen, aber konstanten Spalt von seiner lateralen Nachbar- 
schaft abgrenzt, bereits eine sehr starke Rarefikation durch seinen 
Kern. Dieser liegt zentral im Strange und hat dessen weisse 
Masse hauptsächlich an der lateralen Seite aufgebraucht. Die 
Burdachschen Stränge gehen grenzlos in die dorsalen Strangreste 
über. Zwischen letzteren und den Seitensträngen existiert keine 
(Grenze, und ebensowenig zwischen diesen und den ventralen 
Strängen. Das bereits sehr stark entwickelte Retikulum hat die 
lateralen Säulen völlig aufgesogen und die ventralen auf einen 
kleinen Teil reduziert, welcher in dem Dreieck liegt, das vom 
Retikulum, dem ventralen Strange und jenen vom Burdach- 
strange zur Decussatio ziehenden Fasern gebildet wird. Ein Teil 
der ventralen Säule ist in die (Gegend des Zentralkanals gedrängt 
worden und bildet dort mit einem Teil der dorsalen Säule das 


30 


un 


Bernhard Rawitz: 


zentrale Grau. Das Retikulum hat ferner die dorsalen Säulen 
hermetisch gegen das übrige Mark abgeschlossen, denn es reicht 
bis zum inneren Ende des Burdachschen Stranges. Die dorsalen 
Säulen sind schmal, keulenförmig und von einem ziemlich breiten 
Rande Rolandoscher Substanz umgeben. Auch um den sehr 
engen, dorsoventral leicht gestreckten Zentralkanal hat sich etwas 
Substantia gelatinosa eingestellt. 

Der Durchmesser der Oblongata nimmt nun schnell sowohl 
in der dorsoventralen als in der transversalen Achse zu. Und 
zwar dürfte hierfür in erster Linie die Ausbildung der Pyramiden 
verantwortlich zu machen sein. Denn so wenig bedeutend die 
Decussatio ist, so sehr beträchtlich an Umfang stellen sich die 
neugebildeten Pyramiden dar. Sie bilden sehr lang gestreckte, 
rechtwinklige Dreiecke (im Durchschnitt), die, wie üblich, ihre 
Hypotenuse gegen die ventralen Stränge kehren. Dadurch, dass 
sie nicht über den Rand des verlängerten Markes hervorragen, 
üben sie den eben erwähnten Einfluss aus. Denn sie müssen, 
weil sie gross sind, alles ihnen sich Entgegenstellende bei Seite 
drängen. Freilich wirken sie nicht lange in dem gedachten Sinne, 
denn ihr Volumen verringert sich bald in sehr beträchtlichem 
Grade. Die Pyramidenkreuzung erhält in dieser Gegend auch 
Fasern von den Seitensträngen. Mit der Ausbildung der Pyramiden 
beginnt die Aushöhlung des Burdachschen Stranges. Vom Mark 
her schiebt sich in der Nachbarschaft des Gollschen Stranges 
ein rundlicher Zapfen grauer Substanz allmählich gegen die ge- 
nannten Stränge vor. Sehr bald tritt lateral von den Pyramiden 
ein heller Fleck auf, die erste Andeutung der kaudalen Olive. 

Im Seitenstrang erscheint marginal gelegen der Seitenstrangs- 
kern, welcher sich zunächst als ein kleiner, unregelmässiger Fleck 
bemerkbar macht. Ganz ungewöhnlich früh, im Vergleich zu den 
bisher geschilderten Spezies, differenziert sich die Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn. An der Grenze zum dorsalen Strangrest, welcher 
die dorsale Säule umhüllt, springt kuppenförmig ein verdickter 
Teil des Seitenstranges nach aussen vor, der, wie sich später 
zeigt, eben diese Bahn ist. Dieser Vorsprung ist es, welcher im 
Verein mit Oliven und Seitenstrangskern ebenfalls zur Vergrösse- 
rung des transversalen Durchmessers des Markes beiträgt. 

Die rapide Vergrösserung der Oblongata hält an, sodass sie 
nur wenig weiter kapitalwärts von der eben geschilderten Gegend 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 309 


gut '/amal so gross ist wie anfänglich. Die Pyramiden sind aber 
hierfür als mechanisches Moment auszuschalten, denn sie sind von 
jetzt ab klein und sitzen als halbmondförmige Kappen, die sich 
nach aussen in die ventralen Stränge verlieren, den Oliven auf. 
Und mit den Pyramiden verkleinert sich auch die Pyramiden- 
kreuzung. 

Den Hauptfaktor bei der Vergrösserung des Markes bilden 
jetzt die Oliven, zumal dorsal, bei den @ollschen und Burdach- 
schen Strängen, noch alles in Ruhe verharrt; d. h. die genannten 
Partien weichen noch nicht lateral auseinander, wenn auch ihre 
in der bekannten Weise vor sich gehende Rarefizierung sehr be- 
trächtliche Fortschritte macht. Die Oliven also sind sehr viel 
grösser geworden und stellen unregelmässig bohnenförmige Ge- 
bilde dar, welche auf ihrer lateralen Seite leicht eingebogen sind, 
hier also ihren Hilus haben, wenn man überhaupt von einem 
solchen sprechen darf. Sie erscheinen im Weigert-Präparat 
ganz ungewöhnlich blass und zeigen auf diesem Stadium ihrer 
Ausbildung keinen Nervenmantel, sind also noch nicht scharf kon- 
turierte Gebilde, sondern gleichen mehr einem sehr grossen, 
diffusen Nervenkern. Und es kann gleich hier gesagt werden, 
dass sie auch in weiter kapitalwärts gelegenen Ebenen, wo sie 
ihre volle Ausbildung enthüllen, ohne Nervenmantel bleiben, also 
stets ein nicht scharf abgegrenztes Gebilde darstellen. Sie werden 
hier durch Faserzüge in transversaler Richtung liniiert, welche 
nur durch sie hindurchgehen, aber mit ihnen direkt nichts zu 
tun haben. Diese Faserzüge stammen vom Retikulum, gehen, 
wie gesagt, durch die kaudalen Oliven hindurch und kreuzen sich 
in der Medianlinie mit den Fasern der Gegenseite. 

Einen mächtigen Umfang hat inzwischen der Seitenstrangs- 
kern erlangt. Durch ihn ist der Seitenstrang fast völlig rare- 
fiziert, so dass nur noch wenige disseminierte Bündel von ihm 
im Kern liegen und seine marginale Portion auf einen schmalen 
Streifen reduziert ist. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist nicht 
mehr so prominent wie vorher, denn sie hat sich ein wenig dorsal- 
wärts ausgedehnt, indem sie sich über den dorsalen Strangrest 
eine Strecke weit geschoben hat. Die dorsale Säule ist weniger 
umfänglich geworden, denn ihre Rolandosche Substanz besitzt 
bei weitem nicht mehr die gleiche Ausdehnung wie früher. Aus 
dem sie umhüllenden Strangreste strömen in dichten, aber feinen 


510 Bernhard Rawitz: 


Zügen Nervenfasern in transversaler Richtung. Sie werden zu 
Fibrae arcuatae und gehen nach der Medianlinie zur Kreuzung 
in der Raphe. welche unterdessen die Pyramidenkreuzung und die 
kaum angedeutete Schleifenkreuzung abgelöst hat. Das Reti- 
kulum hat alles bis auf einen kleinen Rest der ventralen Säulen, 
welcher in der Nähe der vom Burdachschen Strange kommenden 
Kreuzungsfasern liegt, eingenommen. Dieser Rest geht dann in 
das zentrale Grau über, das zwischen den genannten Fasern und 
den Goll-Burdachschen Strängen gelegen ist. Allmählich 
beginnt auch das zentrale Grau zwischen die @ollschen Stränge 
sich einzudrängen, doch geschieht dies zunächst in, ich möchte 
sagen, so schüchterner Weise, dass ein mechanischer Effekt dadurch 
noch nicht erzielt wird. Noch ist im zentralen Grau der Hypo- 
glossuskern nicht sehr deutlich abgesondert, wenn auch die grossen 
Ganglienzellen massenhaft vorhanden sind: trotzdem ist bereits 
der Hypoglossus intramedullar vorhanden. Und zwar findet man 
seine kurz unterbrochenen Fasern in der Nähe des Seitenrandes 
der Oliven, also dicht an der Austrittsstelle des Nerven. 

Noch eines mechanischen Resultates, das die zunehmende 
Grösse der Oliven herbeiführt, sei kurz gedacht. Der Zentral- 
kanal nämlich, der zwar dorsoventral gestreckt ist, aber sein 
Lumen gegen früher nicht vergrössert hat, ist offenbar etwas 
nach dorsal verlagert. Und da ein Auseinanderweichen der 
Goll-Burdachschen Strangpaare noch nicht eingesetzt hat, 
wodurch der Kanal mitgezogen worden wäre, so kann seine Ver- 
lagerung nur auf die Grössenzunahme der Oliven zurückgeführt 
werden. Diese haben ein eigentümliches Aussehen erhalten. Von 
lateral her dringen nicht bloss durchgehende Fasern in sie ein, 
sondern man findet jetzt auch Nervenbündel, die in der Olive 
bleiben. Daher ist das Durchschnittsbild des Organs an dieser 
Stelle von einer eigentümlichen Skulptur, die sich schwer be- 
schreiben lässt, die aber durch die Abbildung (Fig. 29) deutlich 
wird. An ihrem dorsalen Rande haben sie sich durch einen 
kleinen Fortsatz gegen das Markinnere verlängert. 

Deutlich differenziert ist jetzt der Hypoglossuskern und 
damit ist die von früher beschriebenen Spezies her bekannte 
Zweiteilung des zentralen Grau aufgetreten. Mit dieser Differen- 
zierung ist die Aufsaugung des letzten Restes der ventralen 
Säulen verbunden. Die dorsale weisse Kommissur, welche bei 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. Sat 


Sus scrofa ziemlich beträchtlich entwickelt war, ist hier nur sehr 
schwach angedeutet. Der Seitenstrangskern erscheint nicht mehr 
ganz so umfänglich wie ehedem, weil er in grösserer Zahl 
disseminierte Bündel des Seitenstranges enthält. Zwischen letzterem 
und dem ventralen Ende des dorsalen Strangrestes zeigt sich der 
Monakowsche Kern, welcher in dieser Gegend als ein kleiner 
unregelmässiger Fleck sich präsentiert. Es beginnt der Funktions- 
wechsel der dorsalen Säulen, die noch immer ihre ursprüngliche 
Lage beibehalten haben. Er offenbart sich dadurch, dass die 
Rolandosche Substanz sehr schnell an Umfang abnimmt und 
bald ganz schwindet. 

Endlich beginnt nun auch der dorsale Kontur der Oblongata 
sich zu rühren. Die dorsale Fissur, welche die @ollschen Stränge 
beider Seiten schied, erweitert sich jetzt zu einer breiten. aber 
nicht allzu tiefen sattelartigen Bucht. Dadurch weichen die Goll- 

schen Stränge und mit ihnen alle übrigen dorsalen Partien des 
_ Markes auseinander. Das wiederum hat zur Folge, dass die Gestalt 
der Strangpaare eine andere wird. Der Gollsche Strang, bisher 
ein schmales, dorsoventral gestrecktes Gebilde, wird rundlich und 
der sonst sehr massive Burdachsche Strang dehnt sich und wird 
dadurch dünn. Von einem Gollschen Strange kann streng ge- 
nommen nicht mehr gesprochen werden, denn die Rarefizierung 
seiner Masse ist beendet. Man sieht nur noch disseminierte, 
manchmal dicht, manchmal weniger dicht stehende kleine Nerven- 
bündel in einem wenig umfangreichen, kleinzelligen Kern. Einzig 
an der Grenze zum hellen Grau ist noch ein etwas soliderer Streifen 
Strangsubstanz vorhanden. Auch der Burdachsche Strang ist 
sehr beträchtlich reduziert. Die Aushöhlung vom Marke her 
hat fast seine ganze mediane Partie aufgebraucht und ausserdem 
erscheint jetzt in seiner lateralen Ecke, welche zugleich die Um- 
biegungsstelle vom dorsalen zum lateralen Markkontur ist, ein 
Kern, welcher die Aushöhlung des Stranges von innen her besorgt. 
Ganz ausserordentlich klein geworden ist die jetzt lateral gerückte 
dorsale Säule; und da der letzte Rest Rolandoscher Substanz 
in ihr beseitigt ist, so ist ihre Umwandlung zum Kern der auf- 
steigenden Trigeminuswurzel beendet, während diese selber aus 
dem dorsalen Strangreste sich gebildet hat. Der Monakow sche 
Kern ist etwas undeutlicher geworden, hat sich aber ein wenig 
ins Retikulum hinein verlängert. Der Seitenstrangskern ist sehr 


312 Bernhard Rawitz: 


klein, die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn hat sich bis zum Burdach- 
schen Strange verlängert. 

Die Gestalt der Olive ist dadurch verändert, dass die vorhin 
erwähnte dorsale Fortsetzung sich inzwischen in ventrolateraler 
Richtung ausgedehnt hat, während die ursprüngliche Partie des 
Gebildes kleiner geworden ist. Aber damit ist nicht gesagt, dass 
hier zwei gesonderte Bildungen vorhanden wären, sondern nur, 
dass die innere Spezialisierung des im allgemeinen sehr primitiven 
Organs in der Schnittserie sehr verschiedene Bilder liefert. Die 
Einheitlichkeit des Organs wird durch die zugehörenden, d.h. in 
ihm entstandenen und aus ihm abgehenden Nervenmassen herge- 
stellt. Lateral von dieser Olive ist ein schmaler, dorsoventral 
gestreckter und nach lateral leicht hakenförmig gebogener Fleck 
aufgetreten, welcher von ihr zunächst ganz getrennt ist. Man 
könnte ihn, da er im Innern Olivenzellen beherbergt, als Neben- 
olive bezeichnen; doch wäre das falsch. Denn wie die Serie, be- 
sonders nach Eröffnung des IV. Ventrikels, lehrt, hängt dieser 
Fleck mit der sogenannten Hauptolive zusammen, da beide 
ineinanderfliessen. Er ist also nur ein Lappen der Olive, welcher 
weit kaudal reicht, und hat daher keinen Anspruch auf eine be- 
sondere Benennung. Und nicht bloss der Zusammenfluss der 
grauen ÖOliventeile, sondern, wie vorhin als beweisend hervorge- 
hoben wurde, auch die weisse Nervenmasse zeigt, dass dieser 
Fleck ein integrierender Bestandteil der Olive ist. Denn die 
Nervenmassen, die mit ihm in Verbindung sind, hat er gemeinsam 
mit der sogenannten Hauptolive. Ich kann daher bei Ovis aries 
eine Nebenolive nicht anerkennen. 

Schön differenziert sind dunkles und helles Grau. Aus 
ersterem, dem Hypoglossuskern, sieht man die Nervenzüge des 
Hypoglossus austreten, welche in bekannter Weise nach ventral 
gehen und dabei die laterale Partie der Olive durchsetzen, obgleich 
letztere dicht an der Medianlinie gelegen ist. Das helle Grau 
mit seinen zahlreichen grossen Ganglienzellen, dem Vaguskern, 
welche aber im Gegensatz zu später zu schildernden Arten keine 
besondere Gruppierung erkennen lassen, nimmt den dorsalen Ab- 
schnitt des zentralen Grau ein. Aus ihm entspringen bereits die 
Bündel des Vagus — der Kern war schon früher differenziert —, 
welche zunächst direkt transversal gehen, um am Kern der 
Trigeminuswurzel sich ventral zu senken und an dieser vorbei 


SM) 
— 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 


zum Austritt zu streben. Letzterer ist noch nicht erschienen. 
In der Ecke des hellen Grau ist die aufsteigende Wurzel des 
Glossopharyngeus aufgetreten. 

Bis zu dieser Gegend war noch kein Faserzug zu sehen, 
welcher als dem Accessorius zugehörig betrachtet werden konnte. 
Es tritt auch weiterhin kapitalwärts kein solcher auf; somit ist zu 
sagen, dass, wenigstens in meinem Material, der Accessorius bei 
Ovis aries keine Oblongatawurzeln hat. 

Im weiteren Verlaufe der Untersuchung ist als hauptsäch- 
lichste Veränderung die starke Ausweitung und dorsalwärts 
Wanderung des Zentralkanals anzumerken. Und da auch die 
Burdachschen Strangreste weiter auseinander rücken — die 
Gollreste verkleinern sich rapide —, sodass sie zum Teil jetzt 
auf dem dorsalen Markkontur sich finden, so erweitert sich die 
vorhin genannte dorsale Bucht sehr beträchtlich, wobei sie zu- 
gleich flach wird. Damit einher geht eine ausserordentliche Ver- 
dünnung des dorsal vom Zentralkanal gelegenen Grau, sodass es 
bald zur Eröffnung des IV. Ventrikels kommen muss. Noch ehe 
dies erreicht ist, ist der Seitenstrangskern geschwunden, während 
der sehr kleine Monakowsche Kern sich lateral an den Rand 
der Oblongata verlagert hat. In den ventralen Strangresten 
treten unregelmässige, inkonstante Kernflecken auf. 

Endlich öffnet sich, indem die dorsale Lamelle des hellen 
Grau immer dünner wird und schliesslich einreisst, der IV. Ventrikel 
und wir treffen nunmehr folgende Konfiguration des Markes an. 

Der IV. Ventrikel ist eine tiefe Bucht mit senkrecht ab- 
fallenden Rändern (Fig. 30), welche in der Höhe des dunklen 
Höhlengrau leicht nach innen biegen, um im spitzen Winkel 
ventral zu konvergieren. Seine unmittelbare Auskleidung bildet 
die Substantia gelatinosa des Zentralkanals, sodass das Höhlen- 
grau nur mittelbar an ihm beteiligt ist. Wenn man von diesem 
mehr nebensächlichen Umstande absieht, so zeigt sich in der Art 
der Verteilung des Höhlengrau am Ventrikel eine nicht un- 
interessante Differenz gegen Sus scrofa. Bei dieser Spezies 
bildete nur der helle Abschnitt des Höhlengrau die Ventrikelwand, 
während der Hypoglossuskern von ihr abgedrängt war. Hier, 
bei Ovis aries, ist es anders (Fig. 30). Das helle Grau bildet 
des Ventrikels Seitenwand, das dunkle seinen Boden. Dorsal 


schlägt sich das helle Grau ein wenig über, um ohne scharfe 
Archiv f mikrosk. Anat. Bd. 73. 21 


314 Bernhard Rawitz: 


Grenze, d. h. ohne dass ein Piafortsatz sich fände, in den Goll- 
kern sich fortzusetzen. Von letzterem, der mit dem Burdach- 
kern vereinigt ist, ist das helle Grau durch den weiter oben 
erwähnten streifenförmigen Strangrest geschieden. Das helle 
Höhlengrau beherbergt zahlreiche grosse Ganglienzellen, den 
Vaguskern, aber keine Nervenfasern, nur in seiner Ecke liegt 
die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel. Der Hypoglossuskern, 
das dunkle Grau, hat ausser den sehr grossen Zellen noch zahl- 
reiche, wirr durcheinander geworfene Nervenfasern in seinem 
Innern. Der Vagus zieht in ziemlich breiten, mehrfach kurz 
abgebrochenen Zügen transversal, ohne jetzt noch die vorher 
beschriebene ventrale Biegung in diesem Verlaufe zu besitzen. 
In mehreren Wurzeln tritt er nach aussen, welche hier noch den 
Kern und die aufsteigende Trigeminuswurzel vermeiden (Fig. 30), 
während sie weiter kapitalwärts dies nicht mehr tun (Fig. 31). 
Der Hypoglossus kommt aus seinem rundlichen Kern mit zahl- 
reichen Fasern, die jenseits des Kerns, also ventral, zu zwei bis 
drei Strängen sich zusammenlegen. Wenn die umgekehrte Dar- 
stellung zulässig wäre, so könnte man sagen (und dadurch würde 
die Ursprungsweise klarer), die intramedullar zu drehrunden 
Bündeln zusammengefassten Nerven fahren beim Eintritt in den 
Kern pinselartig auseinander. Er verläuft in abgebrochenen 
Zügen schräg dorsoventral und stellt dabei ziemlich genau die 
Grenze zwischen dem Rest der medialen Partie der ventralen 
Stränge und dem Retikulum her. Er durchsetzt, wie schon her- 
vorgehoben, die laterale Ecke der Oliven und tritt mit ebenso 
viel Wurzeln nach aussen, wie intramedullare Nervenzüge vor- 
handen sind. 

Die ventralen Stränge, deren innere Enden naturgemäss 
weit dorsal gerückt sind und vom dunklen Grau durch die ersten 
Arcuatae abgegrenzt werden, zeigen eine sehr wechselnde Zahl 
von Kernflecken. An der dorsalen Grenze der Oliven erscheinen 
die ventralen Stränge etwas dichter gefügt. Doch kann man 
darum nicht gut von einem Lemniscus medialis sprechen, weil 
dieses dichtere Gefüge keine Konstanz besitzt. Ungewöhnlich 
zahlreich und auch ungewöhnlich stark sind in dieser Gegend 
die Fibrae arcuatae. Hier erweitert sich auch die sonst schmale 
Raphe und bleibt weit bis zum ventralen Ende, das sich zwischen 
den noch zu erwähnenden Pyramidenresten findet. Die Kreuzung 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 315 
yı 


der Fasern in diesem erweiterten Rapheabschnitte ist eine voll- 
kommene und an ihr sind nicht bloss die erwähnten Arcuatae 
beteiligt, sondern auch jene, welche aus dem Retikulum stammen 
und durch die Oliven glatt hindurchgehen. Die am meisten 
ventral gelegenen von ihnen, die zugleich die dicksten sind, 
bilden die ventrale Grenze der Oliven. Aber es wäre ein grosser 
Irrtum, anzunehmen, dass diese Fasern wenigstens eine Art 
Nervenmantel der Oliven darstellten. Davon kann darum keine 
Rede sein, weil auch die ventralsten Arcuatae in die Raphe ein- 
gehen. Sie umgeben daher nicht die Olive und stellen also auch 
keinen Mantel um sie dar. 

Eigenartig ist das Aussehen dieser letzteren (Fig. 30). Man 
kann zwei Blätter unterscheiden, die beide hakenartig gekrümmt 
sind, dabei aber sich so gelagert finden, dass sie fest ineinander 
stecken und gemeinsame Nervenmassen haben. Infolge der 
ziemlich unregelmässigen Windungen der Olivensubstanz sieht 
man in die Buchten der Windungen hier die Nerven von medial 
her, dort von lateral her, manchmal sogar von ventral her ein- 
treten: ein Beweis erstens dafür, dass das Organ keine scharfe 
Abgrenzung besitzt, und zweitens, dass von einem Hilus der 
Olive im strengen Wortsinne nicht gesprochen werden kann. 
Das laterale Blatt erstreckt sich ziemlich weit hin und sein 
äusserstes Ende ist jenes Gebilde, dessen weiter oben gedacht 
wurde und das leicht irrtümlich als Nebenolive bezeichnet werden 
könnte. Auffällig ist mir die verschiedene Färbung, welche die 
Abschnitte der Olive in Weigert-Präparaten zeigen. Sie sind 
nämlich teils dunkel, teils hell gefärbt. Daraus darf aber wiederum 
nicht, wie ich ausdrücklich bemerke, ein Schluss in der Richtung 
der Nebenoliven gezogen werden. Denn diese Differenz der 
Färbung zeigt sich derart, dass bald die lateralen Teile dunkel 
und die medialen hell sind und bald das umgekehrte Verhältnis 
statthat. 

Der sehr kleine Monakowsche Kern (Fig. 30) liegt an 
der Grenze von Seitenstrang und Retikulum. Der Ort seines 
Vorkommens ist so zu bestimmen, dass man ihn in der Mitte 
zwischen Olive und aufsteigender Trigeminuswurzel findet. Die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, welche gegen das Markinnere eine 
nicht unbeträchtliche Verdickung zeigt, hat sich sehr weit dorsal- 


wärts ausgedehnt. Sie überlagert die aufsteigende Trigeminus- 
21* 


316 Bernhard Rawitz: 


wurzel und reicht über den Burdachschen Strangrest bis an 
die dorsale Umbiegungsstelle des Markkonturs. Aus der Ver- 
dieckung der genannten Bahn ziehen in spärlicher Menge kon- 
zentrische Bündel so nach innen, dass ihnen der Monakowsche 
Kern ventral aufruht. Sie verlieren sich im Retikulum. 

Zu erwähnen sind noch die Pyramidenreste. Die Nerven- 
massen, welche in ziemlich dünner Schicht den Rand des Markes 
herstellen, gehen nach ventral hin in einen etwas breiteren 
Strang über, dem die Oliven auflagern. Dieser Strang, wenig 
oder gar nicht von seiner Nachbarschaft als besonderes (Gebilde 
unterscheidbar, reicht bis zum verbreiterten Ende der Raphe 
und ist das spärliche Überbleibsel der anfänglich grossen Pyramide. 

Schneller als bei Sus scrofa erweitert sich bei dieser Spezies 
der IV. Ventrikel; seine Ränder steigen daher jetzt vom Boden 
schräg nach aussen auf. Ein interessanter Befund ist zu er- 
wähnen, weil er mit einem früher mitgeteilten Ähnlichkeit hat. 
Auf der Höhe des hellen Grau, da wo dieses zum dorsalen Mark- 
kontur umbiegt, findet sich eine mächtige Vene (Fig. 31), welche 
gegen das Ventrikellumen vorspringt. Im Schnitt zwar erscheint 
sie eingefallen, doch ist dies ein Artefakt, dadurch hervorgerufen, 
dass die Blutkörperchen durch das schneidende Messer heraus- 
gehoben sind und sekundär dann das Gefäss eingeknickt wurde. 
Sehr deutlich sieht man hier, deutlicher als bei vielen anderen 
Spezies, den Ursprung des Vagus von den lateralen Partien des 
dunklen Grau (Fig. 31). 

Der Ventrikel weitet sich immer mehr aus. Damit geht 
einher das allmähliche Verschwinden des Hypoglossus und der 
Oliven, das Remplacement des Vagus durch den Glossopharyngeus 
und das Verschwinden des Monakowschen Kerns. Neu treten 
auf die ersten Bündel der kapitokaudalen Acusticuswurzel; er- 
halten bleibt noch auf längere Zeit der Hypoglossuskern. Auf- 
fällig langsam machen sich die mit der Ausweitung verbundenen 
Verlagerungen bemerkbar. Denn wenn die Oliven auf mehr als 
die Hälfte des früheren Umfanges reduziert sind, also in einer 
ziemlich weit kapitalwärts vom Oblongata-Anfang gelegenen Region, 
dann bilden die Burdachschen Reste, welche jetzt übrigens ihren 
Funktionswechsel durchmachen, noch immer die Ecke des dorsalen 
Markkonturs. Nur die aufsteigende Trigeminuswurzel ist mehr 
ventral gerückt als früher. Es ist dies darauf zurückzuführen, 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 317% 


dass die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn sich von ihrer dorsalen 
Lagerung wieder zurückzuziehen beginnt. Sie verlässt den 
Burdachrest, welcher von der immer stärker anwachsenden 
kapitokaudalen Acusticuswurzel allmählich erfüllt wird, rückt 
wieder mehr lateral und wird dadurch dicker. Infolge des letzteren 
Umstandes drückt sie auf die Trigeminuswurzel und schiebt diese 
ventral. Der Kern der letzteren Wurzel hat sich übrigens be- 
trächtlich an Volumen verringert. Zwischen Trigeminuswurzel 
und Seitenstrangsbahn sieht man ein konzentrisches Bündel von 
Nervenfasern, das sich ventral von der Wurzel in Nervenzüge 
auflöst, welche in transversaler Richtung zur Raphe ziehen: die 
erste Andeutung des Corpus trapezoides. Noch bevor die Oliven 
ganz geschwunden sind, tritt als kleiner runder Fleck im Retikulum, 
und zwar in der Nähe der ersten Trapezoides-Fasern, der Facialis- 
kern auf. 

Mit dem Kleinerwerden der Oliven setzt eine Veränderung 
im Aussehen des zentralen Höhlengrau ein, die nach dem Ver- 
schwinden der Oliven beendet ist. Der Hypoglossuskern wird 
kleiner — der Hvpoglossus selber ist ja längst weg — und die 
Zahl der in ihm enthaltenen Zellen verringert sich, die Zellen 
aber schwinden niemals völlig. Vom Rande des hellen Grau, aus 
der Nachbarschaft der kapitokaudalen Acustieuswurzel, beginnt die 
Umwandlung des bisher hellen in ein dunkles Grau. Vom hellen 
wird nur ein Teil erhalten, der allmählich lateral gegen das Reti- 
kulum gedrückt wird. Dies ist der Rest des Glossopharyngeus- 
kernes, welcher auch die aufsteigende Wurzel dieses Nerven enthält. 
Sind die Oliven geschwunden, dann ist das zentrale Höhlengrau 
einheitlich dunkel. Mit der Verkleinerung des Hypoglossuskernes 
hat die Verlagerung der ventralen Strangreste gleichen Schritt 
gehalten. Sie sind immer mehr dorsal gerückt und bilden, wenn 
das Höhlengrau einheitlich geworden ist, den Boden des IV. Ven- 
trikels in der Medianebene. Hier werden sie nur von einem 
schmalen Saum gliöser Substanz bedeckt. Der Glossopharyngeus 
zieht als ein einziger Strang transversal und tritt durch Kern 
und aufsteigende Wurzel des Trigeminus nach aussen. Nicht bloss 
vom Rest des hellen Grau bezieht er seine Fasern, sondern auch, 
wenn freilich nur in geringem Maße, vom dunklen Grau. Mit 
dem Verschwinden der Oliven schicken sich ferner die Fasern der 
aufsteigenden Glossopharyngeuswurzel zum Austritt an, biegen 


318 Bernhard Rawitz: 


also in die transversale Richtung ein. Aus dieser Gegend des 
Markes ist dann nur noch vom Grösserwerden des Facialiskerns 
und von der zunehmenden Verdickung der Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn zu berichten. An ersterem machen sich die ersten An- 
deutungen seines dorsalen Nervenstromes bemerkbar, in letzterer 
treten wiederholt an verschiedenen Stellen inkonstante Kern- 
lecken auf. Die Raphe ist an ihrem ventralen Ende verbreitert 
und enthält wenig Nervenfasern. Dank dem Hinzukommen der 
austretenden Fasern der aufsteigenden Glossopharyngeuswurzel 
besteht der Nerv intramedullar bald aus mehreren Bündeln. Zu 
erwähnen ist noch, dass, wie in der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, 
so auch in der aufsteigenden Trigeminuswurzel gelegentlich kleine 
inkonstante Kernflecken sich zeigen. 

Auf diesem ziemlich indifferenten Stadium erhält sich die 
Oblongata relativ weit kapitalwärts. Nur der Facialiskern wird 
immer grösser und immer deutlicher der von ihm ausgehende, 
dorsal gerichtete Nervenstrom. Dicker, keulenartiger wird die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, die nunmehr wieder ganz an den 
Seitenrand des Markes gerückt ist. Und auch die kapitokaudale 
Acusticuswurzel. zwischen deren Bündeln übrigens von Anfang an 
zahlreiche grosse Ganglienzellen in Fortsetzung der gleichen Ge- 
bilde des Burdachschen Strangkerns vorhanden waren, ist an 
Umfang ganz gewaltig geworden. Endlich tritt der Kern der 
kaudalen Acustieuswurzel auf. Er erscheint im Schnitt zunächst 
als eine lateral von der Oblongata freiliegende graue Masse von 
grosshirnartigem Charakter, die bald mit deren dorsaler Seiten- 
kante verschmilzt und wirr durcheinander geworfene Nervenfasern 
in ihrem Innern enthält. Dann tritt die kaudale Acusticuswurzel 
aus, während der Kern ihr als eine graue Kappe dorsal und seitlich 
aufliegt (Fig. 32). Die Fasern der kaudalen Acusticuswurzel 
stammen aber nur zum Teil aus dem zugehörigen Kern. Ein 
anderer Teil entspringt in dichten aber schmalen Zügen aus den 
dorsalen Partien des zentralen Höhlengrau, wobei es jedoch nicht 
zur Bildung äusserlich sichtbarer Striae acusticae kommt. Merk- 
würdig ist das Verhalten der kapitokaudalen Wurzel (Fig. 32). 
Sie ist der Grösse wie der Form nach unverändert, aber sie ver- 
harrt nicht in Ruhe, bis sie zum Austritt sich anschickt. Sondern 
aus ihr, d. h. also aus den zwischen ihren Bündeln liegenden 
(ranglienzellen gehen zahlreiche allerfeinste Nervenfasern mit 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 319 


leichter ventraler Neigung quer durch die laterale Ecke des zen- 
tralen Höhlengrau zur Raphe oder, wie es vielleicht in besserer 
Ausdrucksweise heissen müsste, von der Raphe gehen Fasern zum 
Kern der kapitokaudalen Acusticuswurzel, die somit eine Ver- 
bindung vielleicht motorischer peripherer Partien mit dem Nervus 
vestibularis herstellen. Das Corpus trapezoides ist sehr schwach. 
Seine Fasern kommen vom kaudalen Acusticuskern, spalten sich 
nach innen vom Facialiskern auf und gehen in sehr zarten Zügen 
zur Raphe. Also eine Verbindung des Nervus cochleae mit der 
Peripherie. Der Facialiskern ist unverändert geblieben (Fig. 32), 
sein Nervenstrom fängt an, lateral von den ventralen Strängen 
aber noch innerhalb des Retikulum sich durch engere Aneinander- 
lagerung der einzelnen Fasern zu verdichten. 

Je weiter man kapitalwärts kommt, um so mehr bilden sich 
die als eben entstehend geschilderten Verhältnisse aus. D.h. der 
kaudale Acustieus erreicht seine volle Entwicklung und die kapito- 
kaudale Acustieuswurzel fängt an, aus dem Marke auszutreten. 
Ihre Fasern dringen dabei durch das Corpus trapezoides hindurch. 
Auch das Knie des Facialis wird deutlicher und lagert sich zu- 
nächst lateral von dem inneren Ende der ventralen Stränge. Mit 
dem Augenblicke, wo das Knie sich als distinktes Gebilde bemerk- 
bar macht, schwindet rapide der Facialiskern und mit ihm, aber 
viel langsamer, sein Nervenstrom. Und gleichzeitig erscheint mar- 
ginal gelagert die kapitale Olive als ein noch kleines rundliches 
Gebilde und medial von dieser die ersten Stränge des Abducens. 
Der Kern des Abducens ist längst vorhanden, denn niemals tritt 
in der Oblongata ein Nerv früher auf als der entsprechende 
Kern. Der hier noch dorsal vom Facialisknie gelegene Teil des 
zentralen Höhlengrau ist dieser Kern. Deutlicher wird auch die 
vom Corpus trapezoides ausgehende transversale Liniierung der 
ventralen Stränge, durch welche einige Randpartien abgesprengt 
werden, die als Pyramidenreste aufgefasst werden können. Doch 
naht sich bald die Gegend, wo das Remplacement der Trapezoides- 
fasern durch die am weitesten kaudal gelegenen Ponsfasern eintritt. 

Allmählich macht sich das Nahen der Bindearme zum Klein- 
hirn bemerkbar. Teils ist dies daraus zu erschliessen, dass der 
kaudale Acusticuskern zu schwinden anfängt, nachdem die Wurzel 
schon vorher zu Ende war. Teils auch sieht man im Schnitt die Gegend 
des sogenannten Tuberceulum acusticum sich gegen das Cerebellum 


320 Bernhard Rawitz: 


vorwölben. Am interessantesten ist eine Erscheinung, die leicht 
zu Irrtümern Veranlassung geben könnte. Erwähnt wurden vorhin 
die Verbindungen beider Acusticusteile mit der Raphe. An der 
kapitokaudalen Acusticuswurzel, und zwar an ihrer dem zentralen 
Höhlengrau benachbarten Fläche, ist ein starkes Bündel von 
Nervenfasern vorhanden. Es zersplittert sich, sowie es ins Reti- 
kulum gelangt, und seine einzelnen Nerven streben in ver- 
schiedenen Höhen des Markes zur Raphe. Es macht den Eindruck, 
als ob dies Bündel aus dem kaudalen Acusticuskern stammt, tat- 
sächlich aber entspringt es, wie die Serie lehrt, aus der medialen 
Partie der Bindearme. 

Mit dem Schwinden des kaudalen Acustieus hört auch die 
Verbindung des Trapezoides mit seinem Kern auf. Dennoch 
bleiben Fasermassen ähnlichen Verlaufes in der betreffenden Gegend 
sichtbar, nur sind es jetzt solche, welche ihren Ursprung in den Binde- 
armen, d. h. im Öerebellum haben. Und diese cerebellaren Fasern, 
welche durch Remplacement die des Trapezoides ersetzen, werden 
zu Ponsfasern. Als wichtig ist endlich noch zu bemerken, dass 
die Wanderung des Facialisknies beginnt. Es rückt allmählich 
auf die dorsalen Enden der ventralen Strangreste und drängt 
dadurch den Abducenskern aus seiner bisherigen Lage. 

Endlich erreichen wir die Gegend, wo die Bindearme voll 
entwickelt sind, und damit ist eine innere Konfiguration der 
Oblongata erreicht, welche einer genaueren Schilderung wert 
ist (Fig. 33). 

Der IV. Ventrikel ist jetzt geschlossen und stellt einen trapez- 
ähnlichen Raum dar. Sein Dach wird durch das Cerebellum ge- 
bildet, das mit den Bindearmen zusammenhängt und sich, wie 
wir noch sehen werden, von den übrigen Kleinhirnpartien nicht 
unwesentlich unterscheidet. In seinem Innern beherbergt er zwei 
Kleinhirnwindungen. Der Boden des Ventrikels und ein Teil 
der Seitenwand ist das dunkle Grau. Auf dem Boden ist es an 
Masse gegen früher sehr reduziert, denn hier findet sich sowohl 
in der Medianlinie als auch seitlich davon auf dem Facialisknie 
nur eine dünne Schicht gliöser Substanz. Erst lateral von der 
Region des Facialisknies tritt das eigentliche Höhlengrau auf, er- 
streckt sich hier als Abducenskern etwas in die Tiefe (Fig. 33) 
und biegt dann in rechtem Winkel dorsalwärts, wodurch es sich 
an der Bildung der inneren Wand der Bindearme beteiligt. Gegen 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 321 


die eigentliche Substanz der letzteren ist es durch jene Faser- 
züge getrennt, welche aus den Bindearmen in die Oblongata ein- 
treten, um zur Raphe zu gehen. 

Betrachten wir zunächst weiter die Oblongata. Jederseits 
der Medianline findet sich das Knie des Facialis (Fig. 33). Es 
liegt, wie bereits bemerkt wurde, dem inneren Ende der ventralen 
Strangreste auf, welche es ein wenig eingedrückt hat. Seitlich 
vom Knie ist das Bodengrau und ventral von diesem der Abducens- 
kern zu finden (Fig. 35). Die Zellen des letzteren sind von 
mittlerer Grösse und reichen infolge der Verlagerung des Kernes 
auch etwas in das Retikulum hinein. Denn man sieht von 
diesem abgesprengte Bündel im Abducenskern disseminiert liegen. 
Die Fasern des Nerven entspringen von ihrem Kern in derselben 
Weise, die beim Hypoglossus eingehend beschrieben wurde. Der 
Abducens zieht in drei, vielfach unterbrochenen Wurzeln direkt 
ventral und tritt nach innen von der kapitalen Olive durch die 
erste Ponsandeutung nach aussen. Es ist ganz unzweifelhaft, 
dass der Abducens genau in derselben Gegend intramedullar ver- 
läuft, wie weiter kaudalwärts der Hypoglossus, wie sich denn 
beide Nerven morphologisch ungemein gleichen. 

Nach aussen vom Abducens, den ersten Ponsfasern auf- 
ruhend, findet sich die kapitale oder kleine Olive. Sie ist ein 
anscheinend zweigeteiltes Organ (Fig. 33), denn man sieht zwei 
bohnenartig gestaltete Flecke grauer Substanz nebeneinander, 
welche sich ihre Hilus zukehren. Jeder Teil wird von einem zarten 
Mantel zirkulär verlaufender Nervenfasern eingescheidet, welcher nur 
am entsprechenden Hilus unterbrochen ist. Die in letzteren ein- 
bezw. aus ihm austretenden Fasern beider Gebilde vereinigen sich 
nicht direkt, sondern gehen in eine zwischen ihnen liegende 
Nervenmasse über, welche den Bündeln des Retikulum gleicht. 
Ihr Ende findet die Olive erst dann, wenn der Pons bereits aus- 
gebildet ist. Lateral von der kleinen Olive liegt ein unregel- 
mässig gestalteter Kernfleck, der später in Beziehung zum Trige- 
minus tritt, und nach aussen von diesem stossen wir auf den 
Facialis. : Dieser Nerv (Fig. 33), der einheitlich austritt, erscheint 
intramedullar in drei verschieden breiten und verschieden tief 
in der Oblongata steckenden Wurzeln. Die Vereinigung der 
letzteren untereinander findet bald, die mit dem Knie erst sehr 
viel weiter kapitalwärts statt, wenn wir die eigentliche Oblongata 


(Sb) 
[8s) 


Bernhard Rawitz: 


längst verlassen haben und in jene Gegenden gelangt sind, wo 
die Entstehung des Trigeminus das Hauptinteresse in Anspruch 
nimmt und der Pons das mikroskopische Bild beherrscht. Der 
Facialisaustritt durchbricht die marginalen Fasermassen, welche 
den Pons bilden helfen, und grenzt so lateral an die aufsteigende 
Trigeminuswurzel. Von dieser ist nur zu notieren, dass einzelne 
ihrer Fasern in die dorsoventrale Richtung einbiegen und dass 
ihr Kern sehr verkleinert ist. 

Weiter folgt lateral und zugleich dorsalwärts der Acusticus. 
Die Fasern der kapitokaudalen Wurzel treten in breiten Zügen 
aus und bilden so die vordere Wurzel der Autoren (Fig. 33). 
Den austretenden Massen ruht der Rest des Kerns der kaudalen 
Wurzel auf, der nach innen an die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
grenzt. 

Um das Geschick der letzteren verfolgen zu können, müssen 
wir zum Dach des IV. Ventrikels zurückkehren. Dieses wird von 
erauer Üerebellarsubstanz gebildet, welche sich von der gewöhn- 
lichen Kleinhirnsubstanz auf das schärfste unterscheidet. Und 
zwar beruht die Differenz darin, dass hier in ungewöhnlich 
reichlicher Menge grosse multipolare Ganglienzellen, keine Hirsch- 
geweihzellen, vorhanden sind. Sie erfüllen den direkt am 
Ventrikeldach beteiligten medianen Teil des betreffenden Kleinhirn- 
abschnittes und stellen die graue Substanz der Bindearme dar. 
Vom Kleinhirn kommen Fasermassen in senkrecht dorsoventraler 
Richtung in die Bindearme und lösen sich hier auf, indem sie wahr- 
scheinlich zu den Zellen des Bindearmkernes in Beziehung treten. 
Aus letzterem entstehen dann Nervenfaserzüge, welche in einzelnen 
lockenartig geordneten Strähnen erscheinen, die durch die Binde- 
arme zum verlängerten Mark gehen. Der mediale Teil von ihnen 
wendet sich zur Raphe, der laterale Teil geht aussen am Massiv 
der Kleinhirn - Seitenstrangsbahn vorbei und wird zu jenem 
marginalen Faserbündel, welches dann medial vom Facialis sich 
in die Ponsfasern auflöst. Freilich ist dieses Verhältnis erst 
völlig klar, wenn auch der letzte Rest des kaudalen Acusticeus- 
kernes geschwunden ist. Aber dass hier der erste Anfang der 
Beziehungen von Pons und Bindearmen sich findet, ist, wie die 
Schnittserie lehrt, zweifellos. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
hat hier drehrunde Form (Fig. 33), ihre Bündel erscheinen im 
Schnitt noch immer quergetroffen, verlaufen also in kapito- 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 328 


kaudaler Richtung. Aber ihre Lage ist nicht mehr die gleiche 
wie früher. Sie ist durch die austretenden Fasern der kapito- 
kaudalen Acusticuswurzel aus der Oblongata heraus in die Binde- 
arme hineingedrängt worden, deren lateralem Rande sie angehört. 
Verfolgen wir ihr Schicksal weiter, so sehen wir sie in dieser 
Gegend selbst dann noch, wenn der intramedullare Teil des 
Facialis sich mit dem Knie vereinigt hat. Mit der zunehmenden 
Ausbildung der Trigeminusregion rückt sie unter Wahrung ihrer 
Form weiter dorsal, bleibt aber noch immer innerhalb der Binde- 
arme. Erst wenn wir tief in den Pons gelangt sind, also weit 
jenseits der Oblongata, biegen ihre Fasern in die dorsoventrale 
Richtung ein und mischen sich mit der weissen Substanz des 
Kleinhirns. Dann aber ist auch die Bahn längst ein Teil des 
Gerebellum geworden. 


Es war vorhin die beginnende Ponsbildung erwähnt worden, 
über die noch einige Worte hinzuzufügen sind. Der ventrale 
Teil des Markes nach innen vom Facialisaustritt zeigt eine 
transversale Liniierung, die medial von der kleinen Olive sehr 
weit dorsalwärts sich erstreckt und nur die äussersten Rand- 
partien nicht ergriffen hat. Dass es sich hier um Ponsfasern 
handelt, zeigt nicht nur die Serie, sondern auch die Tatsache, 
dass sehr bald abgesprengte Fasermassen des Retikulum zu 
rundlichen Gruppen geordnet zwischen diesen Nervenlinien vor- 
kommen. 


Die weiteren Veränderungen sind vorauszusehen. Der Rest 
des kaudalen Acustieuskernes schwindet bald, ebenso die kapitale 
Acustieuswurzel, während deren Kern noch lange persistiert, ehe 
auch er schwindet. Der Facialis strebt intramedullar zur Vereinigung 
mit dem Knie, die erst sehr weit kapitalwärts erfolgt. Von der 
kleinen Olive verliert sich mit der Zunahme des Pons der laterale 
Teil, während der mediale erst dann verschwindet, wenn das 
Facialisknie nicht mehr vorhanden ist. Er ruht dabei stets den 
transversal ziehenden Ponsfasern auf. 


Wenn der letzte Rest des Acusticus aus dem mikroskopischen 
Bild verschwunden, dann ist auch der Abducens erledigt, dessen 
Kern noch einige Zeit sichtbar bleibt. Endlich sehr weit kapital- 
wärts in der Ponsregion ist, wie dies schon hervorgehoben wurde, 
das Ende des Facialis zu sehen. 


324 Bernhard Rawitz: 


b) Bos taurus L. 

Wie von vornherein zu erwarten war, hat die Untersuchung 
der Oblongata des Rindes keinerlei Differenz von der des Schafes 
ergeben. Was daher die vorstehende Schilderung von Ovis aries 
gelehrt, das findet buchstäbliche Geltung auf Bos taurus. Eine 
gesonderte Beschreibung erübrigt also. 


5. Perissodactyla. 
Equus caballus L. 

Es sind nur minutiöse Einzelheiten, durch welche sich die 
Pferdeoblongata von der der Ruminantien unterscheidet. Indem 
ich daher auf eine genauere Schilderung der morphologischen 
Verhältnisse Verzicht leisten kann, will ich nur diese Einzelheiten 
erwähnen. Es sind die folgenden: 

Die (ollschen Stränge erscheinen frühzeitig von den 
Burdachschen dadurch gelöst, dass sich zwischen beiden eine 
feine aber konstante Spalte befindet, welche von einem Piafortsatz 
ausgefüllt wird. Die Gollschen Stränge sind gleichzeitig so 
tief in das Markinnere gerückt, welchem sie mit breiter Basis 
aufruhen, dass sie nur mit ihrer kurzen dorsalen Spitze zwischen 
den Burdachschen Strängen stecken. Eine zweite Besonderheit 
ist die riesige Entwicklung der Rolandoschen Substanz der 
dorsalen Säulen. Sie ist namentlich in der Gegend, wo die 
Oliven sich eben bemerkbar gemacht haben (Fig. 34), so stark, 
dass sie einen schon äusserlich mit blossem Auge wahrnehm- 
baren Vorsprung am Markkontur hervorruft. 

Ferner ist hervorzuheben, dass der Facialis einen geradezu 
schematischen Verlauf hat. Denn man kann ihn von seiner 
Austrittsstelle intramedullar in kontinuierlichem Zuge bis zum 
Knie verfolgen. Die kleine Olive ist viel umfänglicher als bei 
Ovis aries. Und endlich ist zu bemerken, dass der Pons bei 
dieser Spezies mit einem medianen Fortsatz sehr weit kaudal reicht. 
Wo also sonst, d. h. bei den bisher behandelten Spezies, nur jene 
vom Kleinhirn stammenden Fasern zu sehen waren, die als 
Ponsanfänge gedeutet wurden, da ist hier ausser ihnen im Schnitt 
noch ein von der Oblongata getrenntes Stück des eigentlichen 
Pons vorhanden. Man kann daher hier in der Serie viel leichter 
als bei den früheren Arten die Zugehörigkeit jener genannten 
Fasern zum Pons feststellen. 


>| 


Das Zentralnervensystem der Uetaceen. 32: 


6. Carnivora. 
a) Canis familiaris L. 

Hund und Katze bildeten ausser dem Kaninchen von jeher 
die Lieblingsobjekte für die experimentellen Studien der Neurologen. 
Es war daher ohne weiteres vorauszusehen, dass eine rein anatomische 
Untersuchung wie die vorliegende keine neuen Ergebnisse über 
den Bau der Oblongata im allgemeinen und den Verlauf ihrer 
Nerven im speziellen zu Tage fördern würde. Darum sollen hier 
auch nur die mechanischen Momente für die Umbildung des 
verlängerten Markes hervorgehoben werden, weil diese, wie der 
II. Teil der Arbeit zeigen wird, für das Oblongata-Problem 
mindestens die gleiche Wichtigkeit besitzen, wie die Erkennung 
der Nervenbahnen. Hinsichtlich der letzteren oder vielmehr 
hinsichtlich der Nerven und ihrer Kerne bei Canis sei nur soviel 
bemerkt — ausführlicher wird das Gesamtergebnis der II. Teil 
behandeln —, dass zwischen ihnen genau dieselben Verhältnisse 
herrschen, wie sie bei den bisher beschriebenen und bei den 
später noch zu beschreibenden Arten obwalten. 

Als erstes umbildendes Moment kommt die Pyramidenkreu- 
zung in Betracht. Sie ist sehr breit; nicht bloss relativ breiter 
als bei allen bisher behandelten Formen, die Cetaceen inklusive, 
sondern absolut breiter. Ich will damit sagen, dass die Decussatio 
nicht bloss relativ zum geringen Umfange der Oblongata (Fig. 35) 
breiter ist, als z. B. bei Bos und Equus, sondern vielmehr, dass 
sie breiter ist als die Pyramidenkreuzung bei diesen Spezies. 
Und diese starke Ausbildung wird offenbar dadurch erreicht, dass 
dorsale, laterale und ventrale Fasern in beträchtlicher Menge in 
sie eingehen. Der mechanische Effekt ist ein unverkennbarer. 
Es wird der transversale Durchmesser vergrössert und es werden 
die medialen Partien der ventralen Stränge durch sie zusammen- 
gepresst. Ja man kann sagen, dass deren inneres Ende durch 
die Pyramidenkreuzung geradezu gequetscht aussieht (Fig. 35). 
Auch die gekreuzten Fasern, die sich medial den ventralen Strängen 
anlegen, ehe sie die Pyramide bilden, sind von enormer Breite 
und darum entfalten auch sie einen mechanischen Einfluss in dem 
genannten Sinne. 

Ein zweites Motiv, welches zunächst auf die Vergrösserung 
des Durchmessers des Markes von grossem Einfluss ist, besteht 
in der Volumszunahme der dorsalen Säulen und in der, ich 


326 Bernhard Rawitz: 


möchte sagen, bedeutenden Aufblähung der Goll-Burdach- 
schen Strangpaare (Fig. 35). Die erstere kommt dadurch zustande, 
dass sich die Säulen breiter auslegen, dabei gleichzeitig sich 
nach lateral hin ausdehnen und dass sich die Rolandosche 
Substanz vermehrt. Wichtiger aber ist die zu zweit erwähnte. 
Aufblähung. Der Gollsche Strang ist anfänglich, d.h. am Über- 
gang vom Halsmark zum verlängerten Mark ein schmales, dorso- 
ventral gestrecktes Gebilde, das einerseits bis an den freien Rand, 
andererseits bis an die dorsale Kommissur reicht, welche hier 
rein grau bleibt. Mit der zunehmenden Ausbildung der Decussatio 
wird der Strang von seinem Kern ausgehöhlt. Aber während er 
sonst seinen Umfang dabei vollständig wahrt, wird er hier allmählich 
in der transversalen Achse breiter, ohne seine dorsoventrale Aus- 
dehnung auch nur im mindesten zu ändern. Daher ist er, wenn 
die Decussatio beinahe beendet ist, mehr als doppelt so gross wie 
anfänglich: eine ganz ungewöhnliche Erscheinung. Auch beim 
Burdachschen Strange ist etwas Ähnliches zu konstatieren, 
wenn auch die Aufblähung hier nicht solche Dimensionen annimmt 
wie beim Gollschen Strange. Die Aushöhlung nämlich, welche 
der Strang in sehr beträchtlichem Grade vom Markinnern her 
erfährt, ist sehr bedeutend; dazu aber steht die Rarefikation seiner 
übrigen Nervenmasse in gar keinem Verhältnis. Bei der Ent- 
wicklung, welche der Burdachkern in dieser Gegend zeigt 
(Fig. 35). müsste vom Strang so gut wie nichts mehr vorhanden sein. 

Dass zur Vergrösserung des Markdurchmessers der sehr 
grosse Seitenstrangskern (Fig. 35), welcher hier auftritt, und 
ebenso die nach aussen etwas prominierende Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn ebenfalls beitragen, ist selbstverständlich. Zipfelartig 
ragt ein Rest der ventralen Säulen, der nicht vom Retikulum 
aufgezehrt und noch nicht in das zentrale Grau einbezogen ist, 
zwischen mediale Partie des ventralen Stranges und Retikulum 
hinein. Hier entspringen die ersten Bündel des Hypoglossus 
(Fig. 35). 

Wenn die Decussatio beendet und die grossen, am ventralen 
Markkontur leicht vorspringenden Pyramiden gebildet sind, dann 
treten seitlich von letzteren als zunächst dorsoventral gestreckte 
Gebilde die kaudalen Oliven auf. Gleichzeitig verlängert sich der 
sehr weite Zentralkanal dorsalwärts und das Auseinanderweichen 
der dorsalen Strangpaare beginnt. Als Folge des letzteren Vor- 


SO 
18) 
— 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 


ganges macht sich zunächst eine Verkürzung der Gollschen 
Stränge bemerkbar, die, soweit sie überhaupt noch difterenziert 
sind, Kugelgestalt erlangen. Sie gehen sehr bald in die Bur- 
dachschen Stränge über. In den infolge dieses Auseinander- 
weichens entstehenden Zwischenraum drängt sich das zentrale 
Grau ein und drückt nun noch seinerseits die Stränge auseinander. 
Dieses zentrale Grau hat sich inzwischen in seine beiden Abschnitte, 
nämlich dorsal gelegenes helles Grau oder Vaguskern und ventral 
gelegenes dunkles Grau oder Hypoglossuskern, differenziert. Es 
ist wichtig, dabei festzustellen, dass der vorhin erwähnte Zipfel 
der ventralen Säulen nunmehr ganz in den Hypoglossuskern ein- 
bezogen ist. Und es ist ferner wichtig, darauf hinzuweisen, dass 
die Zellen des Vaguskernes im hellen Grau den dunklen benach- 
bart liegen und so angeordnet sind, dass sie eine transversal 
gestreckte Gruppe bilden. 

Nun senkt sich das inzwischen an den Markkontur gelangte 
zentrale Grau sattelförmig ein und es kommt zur Bildung des 
IV. Ventrikels. Ist diese vollendet, so treffen wir folgende Situation 
an. Beide Teile des zentralen Höhlengrau bilden die Seitenwand 
des Ventrikels, während dem Boden die nach dorsal gedrängten 
ventralen Stränge schon beinahe anliegen. Der Hypoglossuskern, 
aus dem der Nerv heraustritt, um nach bekanntem intramedullarem 
Verlaufe durch die Seitenpartie der Olive hindurch das Mark zu 
verlassen, stellt den ventralen Teil des Ventrikels her. Der 
dorsale Teil ist der Vaguskern bezw. das helle Grau, in dessen 
lateralster Ecke die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel erschienen 
ist und in dem die ersten Vagusfasern auftreten. Der vereinigte 
Goll-Burdachsche Strang, der fast nur noch aus grauer 
Substanz besteht und beinahe keine kompakteren Faserbündel 
mehr enthält, ist lateral gerückt und bildet den Seitenteil des 
dorsalen Markkonturs. Ventral von ihm liegt die aufsteigende 
Trigeminuswurzel, welche nach Schwinden der Rolandoschen 
Substanz mit ihrem zugehörigen Kern aus der dorsalen Säule und 
deren Strangrest entstanden ist. Nach aussen von dieser Wurzel, 
an den Burdachschen Strang anstossend, liegt die Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn, welche ventral grenzlos in den Seitenstrang 
übergeht. Der Seitenstrangskern ist geschwunden, dafür ist an 
der dorsalen und an der ventralen Kante der Trigeminuswurzel 
je ein rundlicher Kernfleck als erste Andeutung des Monakow- 


328 Bernhard Rawitz: 


schen Kernes erschienen. Die Pyramiden sind mächtige Gebilde, 
aber sie kommen für die Umbildung des Markes nicht mehr in 
Betracht. Die Oliven endlich sind blattartig, einmal gefaltet und 
kehren die offene Stelle der Falte, also den Hilus, ventrolateral. 

Als maßgebende Faktoren der ferneren Veränderungen im 
Marke sind zunächst nur die Erweiterung des Ventrikels und die 
Vergrösserung der Oliven in Betracht zu ziehen. Erst später 
tritt auch die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn nach dieser Richtung 
mehr in den Vordergrund. Die Ausweitung des Ventrikels führt 
nicht zu einer völligen Geradlegung seines Bodens, sondern er 
behält immer, bis zu den Bindearmen, sanft abfallende Ränder. 
Darum wird auch nicht alles, was ursprünglich, d. h. vom Rücken- 
mark her, auf dem dorsalen Kontur des Markes gelegen war, 
nach lateral und ventral gedrängt, sondern es bleiben die Goll- 
schen und Burdachschen Stränge und, wenn diese aufgebraucht 
sind — die Fasern von Burdach finden zuerst Verwendung bei 
der Decussatio, dann bei den Fibrae arcuatae —, ihre Kerne auf 
dem dorsalen Kontur liegen und rücken nur an dessen äusserste 
Ecke. Und wenn die Umwandlung dieser Gebilde in die kapito- 
kaudale Acusticuswurzel und deren Ganglienmassen stattgefunden 
hat, dann finden sich auch diese noch an der Seitenecke des 
dorsalen Markkonturs. Nur der zur aufsteigenden Trigeminus- 
wurzel gewordene Rest des dorsalen Stranges bezw. die weissen 
Massen, welche durch Remplacement letzteren ersetzt haben, und 
natürlich der zugehörige Kern werden am meisten verlagert. 
Zunächst rücken sie soweit lateral, dass sie nicht mehr auf dem 
dorsalen Kontur zu finden sind. Die sich allmählich immer stärker 
ausbildende Kleinhirn-Seitenstrangsbahn schiebt sich dorsalwärts 
vor, erreicht die Seitenecke des Markes, drückt die kapitokaudale 
Acustieuswurzel etwas medialwärts und verlagert die aufsteigende 
Trigeminuswurzel stark ventral: Letztere ist daher in der Gegend 
des Vago-Glossopharyngeus-Austrittes soweit verlagert, dass sie, 
wenn man durch eine transversale Achse die ÖOblongata sich 
halbiert denkt, der ventralen Hälfte angehört, ohne allerdings 
ganz ventral, d.h. am ventralen Kontur sich zu finden. Erst wenn 
der kaudale Acusticus in voller Ausbildung zu sehen ist, dann 
gehört die aufsteigende Trigeminuswurzel dem ventralen Kontur 
des Markes wenigstens teilweise an. Hier wird die Verlagerung 
nicht durch die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn allein bewirkt, sondern 


4 Fa Sl 


Das Zentralnervensystem der Getaceen. 329 


auch durch den Acusticus. Dieser drängt die genannte Bahn aus 
ihrer Lage in der Seitenecke des Markes und die Bahn wiederum 
drückt die Trigeminuswurzel ventralwärts. Nur dem Umstande, 
dass in dieser Gegend das Organ nicht mehr vorhanden ist, welches 
in der Medianebene dem Seitendruck Widerstand leisten würde, 
nämlich die kaudale Olive, ist es zuzuschreiben, dass die Trige- 
minuswurzel nicht aus dem Marke heransgedrängt wird. 

Die Olive ist ebenfalls ein Gebilde, welches durch seine Aus- 
bildung einen mechanischen Einfluss ausübt. Verfolgt man sie in 
der Schnittserie, so sieht man sie als schmalen Streifen auftreten, 
ein mehrblättriges Organ werden und dann schneller verschwinden 
als sie gekommen. Ich habe mich, das sei der Vollständigkeit 
halber hinzugefügt, nicht von der Existenz einer selbständigen 
Nebenolive überzeugen können. Die Gründe dafür sind die gleichen, 
wie ich sie bei den bisher geschilderten Spezies angegeben, ich 
brauche sie also nicht zu wiederholen. Die Olive bei Canis ist 
ein wenig umfängliches und nicht scharf gesondertes Gebilde. 
Denn kein wohl unterscheidbarer Nervenmantel umhüllt sie und 
erenzt sie gegen die Nachbarschaft ab. Darauf ist es auch zurück- 
zuführen, dass von einem Hilus der Olive im eigentlichen Wort- 
sinne nicht gesprochen werden kann. Denn da von den Falten, 
in welche die graue Olivensubstanz gelegt ist, sich die einen nach 
lateral, die anderen nach medial öffnen, so findet ein Nervenzutritt 
bezw. Nervenaustritt ebenfalls in beiden Richtungen statt. Die 
geringe Umfänglichkeit dieses Oblongatateiles — damit sind sowohl 
der kleine kapitokaudale als auch der dorsoventrale und der trans- 
versale Durchmesser gemeint — bedingt es, dass die Olive, auch 
wenn sie voll ausgebildet ist, das mikroskopische Bild nicht be- 
herrscht. Dennoch aber ist ihr mechanischer Einfluss nicht zu 
verkennen. Denn sie drängt die ihr sich entgegenstellenden Teile 
nach lateral und auf sie ist es auch zurückzuführen, dass die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, solange sie rein lateral gelegen ist, 
über den Markkontur herausragt. Die Massenzunahme der letzteren 
könnte nämlich ganz gut zu einer gegen das Markinnere gerichteten 
Verdickung führen, denn das leicht kompressible Retikulum würde 
keinen Widerstand leisten. Ein solcher geht nur von der Olive 
aus und darum ist sie die Ursache für die Prominenz der ge- 
nannten Bahn. 


Die ın der Oblongata auftretenden Kerne haben natürlich 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 22 


330 Bernhard Rawitz: 


nur wenig formumbildenden Einfluss. Nur dem Seitenstrangskern 
kommt eine solche Wirkung zu, denn er erreicht kurz nach seinem 
Auftreten ganz bedeutende Dimensionen. Freilich dauert seine 
Einwirkung nicht lange, denn er schwindet sehr bald. Der 
Monakowsche Kern, der bei voller Entwicklung ventral von 
der aufsteigenden Trigeminuswurzel liegt, während der Teil von 
ihm, der anfänglich auch dorsal von dieser zu sehen war, nur 
minimalen Umfang besitzt, hat daher gar keine gestaltende Be- 
deutung. Und ebensowenig ist dies beim Facialiskern der Fall, 
der selbst in seiner grössten Ausdehnung nur die Retikulumbündel 
etwas zusammendrängt, aber die Form des Markes nicht ändert. 
Dass der Vagus und Glossopharyngeus in diesem Sinne belanglos 
sind, bedarf keiner Erörterung. Wichtig ist, daran zu erinnern, 
dass hier bei Canis beide Nerven intramedullar kaum zu unter- 
scheiden sind. Denn noch sind die letzten Reste des Vagus vor- 
handen, wenn das zentrale Höhlengrau schon einheitlich geworden 
ist und wenn die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel bereits 
durch ihren Austritt aus dem Mark fast völlig aufgebraucht ist. 
Die Schwierigkeit der Unterscheidung wird noch dadurch ver- 
mehrt, dass auch die austretenden beiden Nerven dicht aneinander 
liegen. 

Gestaltenden Einfluss übt dagegen der kaudale Acusticus aus. 
Sein Kern stellt sich zunächst etwas anders dar wie bei den bisher 
geschilderten und den noch später zu schildernden Spezies. Er 
erscheint nämlich im Schnitt als ein schmales Band, welches, ohne 
Verbindung mit dem verlängerten Mark, dessen dorsoventralem 
Kontur parallel liegt. Bald legt sich dieses Band dem Kontur 
in der Nähe der kapitokaudalen Acusticuswurzel fest an, ver- 
schmilzt mit dem Mark und ragt an dessen Seitenwand ins Freie. 
Es gleicht dieses Band einem Stück der grauen Rinde des Gross- 
hirns. Bald treten Nervenfasern in ihm auf und aus ihm heraus 
und mit diesem Augenblicke beginnt der mechanische Einfluss 
des kaudalen Acusticus. Dazu gesellen sich etwas später die 
austretenden Fasern der kapitokaudalen Acusticuswurzel und da- 
durch wird noch der mechanische Einfluss des Nerven erhöht. 
Sein Effekt ist oben erwähnt worden. Bei Ovis aries wurde der 
Beziehungen der beiden Acusticusteile zur Raphe, d. h. zur 
Peripherie gedacht. Das Corpus trapezoides ist bei Canis sehr 
breit und auch die anderen dort erwähnten Bahnen sind hier 


ww 
er 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 33 


deutlich. Striae acusticae, ich meine markhaltige vom Acusticus 
ausgehende Streifen am dorsalen Markkontur, sind vorhanden. 

Breit ist hier der Nervenstrom, welcher von dem sehr 
grossen Facialiskern ausgeht. Dass dieser weit kaudalwärts als 
kleiner Kern zuerst erscheint, um mit der Ausbildung des Knies 
allmählich zu schwinden, sei der Vollständigkeit halber hinzu- 
gefügt. 

Nunmehr treten die Bindearme zum Kleinhirn auf, noch 
ehe der kaudale Acusticus erschöpft ist. Letzteres ist allerdings 
bald der Fall; der Kern aber, welcher allmählich auf die Seite 
der austretenden kapitalen Acusticuswurzel rückt, erhält sich noch 
weithin, wenn längst keine kaudalen Fasern mehr vorhanden sind. 
Mit der Ausbildung der Bindearme ist das Facialisknie scharf 
differenziert. Es hat hier eine Lagerung, welche von der bei 
Ovis und Sus stark abweicht, denn es findet sich lateral vom 
inneren Ende der ventralen Stränge, welche ihrerseits nunmehr 
den medianen Abschnitt des Ventrikelbodens bilden. Aber auch 
bei dieser Lagerung hat das Facialisknie den Kern des Abducens 
zum Teil ventral verdrängt. Die inzwischen erschienene kapitale 
Olive ist ein sehr grosses Organ, viel grösser als bei allen bisher 
behandelten Spezies, und sie ist auch grösser als die kaudale Olive. 

Der Verlauf des Facialis und Abducens ist bekannt, sodass 
ich auf deren Beschreibung verzichten kann. Interessant ist das 
Schicksal der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn darum, weil es in 
einem wichtigen Punkte von dem bei Ovis und Sus konstatierten 
abweicht. Wenn der kaudale Acusticuskern auf der kapitalen 
Wurzel dieses Nerven noch aufliegend angetroffen wird und wenn 
die kapitokaudalen Bündel noch längst nicht aufgebraucht sind, 
dann ist die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn bereits in den cerebellaren 
Teil der Bindearme hineingewandert. Und noch ist der Facialis 
intramedullar nicht aufgetreten, wenn die Fasern dieser Bahn 
schon sämtlich in die dorsoventrale Richtung eingebogen sind. 
Die Bindearme haben übrigens einen ebenso grossen Kern wie 
bei den vorigen Spezies. 


b) Felis domestica L. 


Nur in drei Punkten weicht die Oblongata dieser Spezies 
von der des Hundes ab und nur diese drei sollen hervorgehoben 


werden. 
29% 


SQ 
os 
86) 


Bernhard Rawitz: 


Die kaudale Olive (Fig. 36) ist, was ihre graue Substanz 
anbelangt, stärker, was ihre Nervenmassen betrifft, schwächer 
ausgebildet, als bei Canis. Ein sie scharf abgrenzender Nerven- 
mantel existiert nicht. wohl aber ist ein Hilus zu erkennen. 
Während bei Canis der Ein- und Austritt der Fasern sowohl 
lateral als auch medial erfolgte, kann hier von einem dorsalen 
Hilus gesprochen werden, der etwas medial geneigt ist. 

Die kapitale Olive ist sehr viel kleiner als bei Canis. Und 
der dritte Differenzpunkt ist die Lagerung des Abducens- 
kernes. Er ist nämlich vom Facialisknie nicht ventral gedrückt, 
sondern liegt lateral von ihm. Die Abducensfasern winden sich 
also nach dem Austritt aus dem Kern am Knie vorbei, um in ihre 
intramedullare Richtung einzulenken, welche derjenigen des 
Hypoglossus parallel ist. 


7. Rodentia. 
Lepus cuniculus L. 

Auch bei dieser Spezies kann ich mich kurz fassen. Denn 
durch die grosse Zahl wertvoller Arbeiten — nomen illis est 
legio —, welche die Oblongata des Kaninchens zum Gegenstande 
haben, ist deren innerer Aufbau zur Genüge bekannt. Neues 
oder zum mindesten nicht Beschriebenes war nicht zu erwarten. 
Und auch die Berücksichtigung der mechanischen Momente, 
welehe für die Bildung der Oblongata bestimmend sind, lieferte 
nichts, was nicht eben bei Canis familiaris gesagt worden wäre. 
So will ich denn nur folgendes der Vollständigkeit halber hervor- 
heben : 

Die Pyramidenkreuzung, die fast rein sensibel ist, denn nur 
anfänglich kommen einige motorische Fasern hinzu, ist sehr 
schmal. Die Pyramiden sind sehr klein. Beiden kommt keine 
mechanische Bedeutung zu. Die Oliven sind ein einheitliches, 
mehrfach gefaltetes Band grauer Substanz (Fig. 37), das sich 
nur durch seine Färbung von der Umgebung abhebt, aber keinen 
ausgeprägten Nervenmantel besitzt. Daher kann auch von einem 
Hilus nicht gesprochen werden und der Fasereintritt erfolgt 
demnach teils von lateral, teils von ventral her. Immerhin ist 
aber nicht zu verkennen, dass das Gebilde einen entschieden 
höher differenzierten Eindruck macht, als bei allen bisherigen 
Spezies. Das Verwaschene und Verschwommene, das selbst noch 


PL Zu; 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 39: 


wis 


die Olive der Katze darbot, das Ungefüge, im grossen und ganzen 
Undifferenzierte, welches an der Üetaceenolive zu sehen war, ist 
hier nicht mehr vorhanden. Der laterale Teil des Organs, welcher 
vom Hypoglossus durchsetzt wird (Fig. 37), reicht so weit an 
den Rand der Oblongata, dass er nur von einer ganz dünnen 
Nervenschicht bedeckt ist. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn tritt 
frühzeitig als differenziertes Bündel auf, der Seitenstrangskern 
bleibt klein, ebenso der zuerst ganz marginal auftretende Mona- 
kowsche Kern. 

Interessant ist, dass helles und dunkles Höhlengrau 
einander an Masse gleichen und dass in ersterem die Zellen des 
Vaguskernes in der Nähe des dunklen Grau zu einer transversal 
gedehnten Gruppe angeordnet sind. Der sehr klein auftretende 
Facialiskern erlangt bald relativ riesige Dimensionen. Der kaudale 
Acustieuskern tritt nicht wie bei den Carnivoren als schmales 
Band, sondern wie bei den Ruminantien etc. als eine breite, seitlich 
von der dorsalen Ecke der Oblongata gelegene, grosshirnrinden- 
ähnliche Masse auf. Deutlich sind seine und der kapitokaudalen 
Acusticuswurzel Beziehungen zur Raphe. Striae acusticae sind 
schwach ausgeprägt. Gross ist auch das Corpus trapezoides, an 
dessen medialem Ende, ganz in der Nähe der Pyramiden, wo 
es sich in einzelne Fasern aufspaltet, ein Kern sich findet. Er 
erhält sich weithin kapitalwärts und geht schliesslich in die graue 
Masse des Pons über. 

Das Facialisknie liegt lateral vom Ventrikelende der ven- 
tralen Strangreste, hat aber trotzdem den Abducenskern verlagert. 
Jedoch findet sich dieser nicht, wie bei Sus und Ovis, ventral 
vom Knie, sondern ist lateral von ihm gegen das Retikulum 
gedrückt. Allenthalben ist bei Lepus wie bei Canis, Felis ete. 
zu konstatieren, dass im Schnitt zuerst der Kern, dann der intra- 
medullare Verlauf und zuletzt der Nervenaustritt erscheint. Und 
ebenso ist festzustellen, dass das Verschwinden in umgekehrter 
Reihenfolge statthat. Die kapitale Olive ist klein. Die Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn geht erst in der Trigiminusgegend in die dorso- 
ventrale Verlaufsrichtung über. 

8. Insectivora. 
a) Erinaceus europaeus L. 

Was bei dieser Spezies zunächst auffällt, das ist die 
kolossale Ausdehnung, welche die dorsalen Säulen beim Über- 


334 Bernhard Rawitz: 


gang vom Halsmark zum verlängerten Mark erlangen (Fig. 38). 
Es ist nicht zu viel gesagt, wenn ich angebe, dass ihr Umfang 
in der Gegend des beendeten Retikulum und der ersten intra- 
medullaren Hypoglossuszüge mindestens das Vierfache von dem 
beträgt, was er anfänglich gemessen hat. Die dorsalen Säulen 
sind hier so gross und haben sich soweit am lateralen Mark- 
kontur entlang gestreckt, dass sie die Seitenstränge ganz ventral 
gedrängt haben (Fig. 38). Gleichzeitig ist natürlich der sie um- 
hüllende Nervenmantel überaus verdünnt. Sie bilden hier über- 
haupt das einzige Motiv, welches zu einer Zunahme des Gesamt- 
durchmessers der ÖOblongata führt. Denn die rein sensible 
Pyramidenkreuzung ist so schmal, dass sie gar nicht in Betracht 
kommt; sie gleicht einer feinen Raphe. Dennoch möchte ich 
nicht wie Kotzenberg') an ihrer Existenz zweifeln. Davon, 
dass motorische Fasern in die Decussatio eingehen, wie der 
genannte Forscher angibt, habe ich mich nicht überzeugen können. 
Pyramiden werden nicht gebildet. Das Retikulum, so wurde 
eben gesagt, ist vollendet; und dies ist so zu verstehen, dass 
auch die ventralen Säulen und nicht nur die übrigens sehr 
schwachen lateralen vom Retikulum aufgezehrt sind. Das zentrale 
Grau hat daher, ehe es vom übrigen Mark in der bekannten 
Weise abgegrenzt wurde, rechtzeitig alle Teile des Hypoglossus- 
kerns in sich aufgenommen. Im zentralen Grau liegt der sehr 
weite, dorsoventral gestreckte Zentralkanal, der ganz dem dunklen 
Teil angehört. Dorsal von letztgenanntem liegt das helle Grau, 
das an die Gollschen und Burdachschen Stränge angrenzt. 
Allerdings ist dessen helle Farbe hier noch nicht zu sehen, denn 
es wird vollständig von zarten, aber ziemlich dicht liegenden 
Fasern eingenommen, welche transversal ziehen und am Zentral- 
kanal ein stärkeres Bündel formieren. Hier ist also eine weisse 
dorsale Kommissur von ungewöhnlicher Ausdehnung vorhanden 
(Fig. 38). Es kann keine Rede davon sein, dass es sich hier 
etwa um Wurzelfasern des Accessorius handeln könnte. Denn 
wie die Serie lehrt, bleiben diese von dorsaler zu dorsaler Säule 
ziehenden Fasern im Mark und ausserdem kommen Oblongata- 
wurzeln vom Accessorius bei dieser Spezies nicht vor. 


') Kotzenberg: Untersuchungen über das Rückenmark des Igels. 
Wiesbaden 1899. (Zitiert nach Draeseke.) 


- 97 
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 335 


Sehr bald treten die kaudalen Oliven auf und es beginnt 
das Auseinanderweichen der dorsalen Markpartien. Die ersteren 
machen einen sehr primitiven Eindruck, denn sie kommen in 
ihrer ganzen kapitokaudalen Ausdehnung nirgends über das Stadium 
des einfachen Nervenkernes heraus (Fig. 39). Das heisst, sie sind 
keine scharf umgrenzten Gebilde, haben keine ausgesprochene 
Form und daher auch keine als Hilus zu betrachtende Stelle. 
Sie liegen so sehr marginal, dass ihr ventraler Rand fast allent- 
halben nur von einer dünnen Schicht von Nervenfasern aussen 
umhüllt ist. Einzig dicht neben der Medianlinie ist am ventralen 
Markkontur ein etwas dichteres Nervenbündel vorhanden, das 
vielleicht als Pyramide bezeichnet werden könnte. Interessant 
ist an dieser sonst wenig interessanten Olive der schöne bogige 
Verlauf der sie durchsetzenden und zur Raphe ziehenden Fasern. 
Ihre Grösse ist eine sehr geringe und daher übt sie gar keinen 
mechanischen Einfluss auf das Markinnere aus. 

Sehr bedeutend ist dagegen der Einfluss, welchen das Aus- 
einanderweichen der dorsalen Partien des Markes auf dessen 
Konfiguration besitzt. Am auffälligsten ist hierbei die Volums- 
zunahme des hellen Grau (Fig. 39), das bald nach dem ersten 
Auftreten des Spaltes zwischen den Gollschen Strängen mindestens 
doppelt so stark ist wie früher. Die Gollschen Stränge werden 
sehr schnell aufgebraucht, ihr persistierender Kern mischt sich 
vollkommen mit dem Burdachschen Kerne, der seinen Strang 
bis auf wenige disseminierte Nervenbündel rarefiziert hat (Fig. 39). 
Nur schwach sind daher die hier auftretenden Arcuatae. Die 
vereinigten Goll-Burdachschen Kerne unterliegen sehr bald 
ihrem Funktionswechsel zum Kern der kapitokaudalen Acusticus- 
wurzel. Das mächtige helle Grau, in dessen lateralster Ecke die 
aufsteigende Glossopharyngeuswurzel sich gebildet hat (Fig. 39), 
ragt in der Mitte wie ein Knorren ins Freie. Das dunkle Grau, 
die Hypoglossuskerne, obwohl minder voluminös als das helle, 
hat doch immerhin eine recht erhebliche Grösse. Und es ist 
nicht zu verkennen, dass das zentrale Grau bei dieser Spezies 
im Vergleich zur Kleinheit der Oblongata eine ganz unverhältnis- 
mässige Grösse besitzt. Das aber deutet auf eine höhere Organi- 
sation hin, als man sie nach der Beschaffenheit der Oliven ver- 
muten sollte. Aus dem dunklen Grau zieht in mehreren unter- 
brochenen Strängen der Hypoglossus ventral und tritt lateral 


336 Bernhard Rawitz: 


von der Olive nach aussen (Fig. 39). Der Zentralkanal hat sich 
dank der Ausdehnung des zentralen Grau in transversaler 
Richtung gedehnt (Fig. 39) und erscheint daher kürzer aber sehr 
viel breiter als früher. Noch ein anderer mit der Dehnung und 
der Volumszunahme des zentralen Grau verbundener Effekt ist 
zu erwähnen: die dorsale weisse Kommissur nämlich ist spurlos 
verschwunden. 

Die dorsalen Säulen, welche den ganzen Seitenrand der 
Oblongata für sich in Anspruch nehmen, sind nicht unerheblich 
kleiner geworden. Ich glaube das, in Analogie mit anderen 
Spezies, auf die Reduktion der Rolandoschen Substanz zurück- 
führen zu müssen. Freilich ist letztere nie sehr deutlich gewesen, 
d. h. hat sich nirgend scharf von der eigentlichen dorsalen Säule 
abgehoben. Doch kann an ihrer Existenz nicht gezweifelt werden. 
An ihrem äusseren Rande sind zahlreiche dicht stehende Nerven- 
bündel erschienen, welche sich scharf von dem dünnen Reste der 
dorsalen Stränge unterscheiden, der die Säulen aussen umhüllt 
(Fig. 39). Und auch im Innern der letzteren sind zerstreut 
etwas kompaktere Nervenmassen aufgetreten. Das sind die 
ersten Andeutungen der aufsteigenden Trigeminuswurzel. Sie 
grenzt sich dorsal gegen den Goll-Burdachkern durch eine 
leichte Einziehung des Markkonturs ab. Von einer Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn ist hier nichts zu sehen; der Seitenstrangskern 
ist nur angedeutet, ja er ist so unbedeutend, dass man ihn leicht 
übersehen kann und dann zu der Annahme gelangt, dass er dieser 
Spezies fehle. Und dann, wenn die Bahn sich deutlich differenziert 
hat, fehlt er wirklich. 

Der IV. Ventrikel öffnet sich und legt sich sehr bald weit 
aus. Damit einher geht eine rapide Grössenabnahme des hellen 
Teiles des zentralen Höhlengrau, die schnell gefolgt ist von der 
Vereinheitlichung des Grau zu einer in Weigert-Präparaten 
dunkel erscheinenden Substanz. Der Rest des hellen Grau wird 
in eine Ecke gegen das Retikulum gedrängt und verschwindet 
mit der Aufbrauchung der aufsteigenden Glossopharyngeuswurzel. 
Überhaupt folgen sich die Veränderungen im Mark von jetzt ab 
ungemein schnell. An und für sich ist es ja nicht verwunderlich, 
dass in einem so kleinen Gebilde, wie es die Oblongata des Igels 
ist, die Umformungen nur wenig Raum beanspruchen. Dennoch 
ist die geringe Ausdehnung der einzelnen Teile erstaunlich. Denn 


=> 
=> 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 


in der Gegend, die hier in Fig. 40 abgebildet ist und die nur 
wenig kapitalwärts von der Ventrikelöffnung sich findet, ist der 
Hypoglossus bereits geschwunden. Das ist ein gerade für diesen 
Nerven ungewöhnliches Verhalten, weil er sonst sich intramedullar 
viel weiter kapitalwärts erhält. Auch der Vagus ist fast erledigt, 
denn nur noch spärliche Bruchstücke seines intramedullaren Ver- 
laufes sind zu erkennen. Und das gleiche ist mit dem Glosso- 
pharyngeus der Fall, dessen aufsteigende Wurzel in grossen 
Zügen austritt (Fig. 40). Interessant und abweichend von den 
früheren Spezies ist das Verhalten von Vagus und Glossopharyn- 
geus zueinander. Von einem Remplacement des ersteren durch 
den letzteren kann nämlich hier nicht gesprochen werden, weil 
beide Nerven fast gleichzeitig erscheinen und getrennte Wege 
gehen. Der Vagus geht schräg nach ventrolateral so, dass er 
am ventralen Ende der Trigeminuswurzel austritt, also am ventralen 
Markkontur. Der Glossopharyngeus dagegen zieht lateral, durch- 
setzt die Trigeminuswurzel und tritt am lateralen Markkontur 
nach aussen. 

Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn, die inzwischen erschienen 
ist, hat sich rapide dorsalwärts vorgeschoben und sich zu einer 
äusseren Decke des nunmehr ganz lateral gerückten Goll- 
Burdach-Kernes ausgebildet. An ihrem Ende, da wo sie dem 
genannten Kerne aufliegt, erscheint ein runder. bald gross- 
werdender Kern, der sich mit jenem mischt. Und zwischen ihr 
und der Trigeminuswurzel tritt der konzentrisch zum Markkontur 
gestreckte Monakowsche Kern auf, welcher sich mit dem eben 
erwähnten Endkern der Bahn vereinigt. Die aufsteigende Trige- 
minuswurzel ist massiger, ihr Kern, aus dem jede Spur von 
Rolandoscher Substanz geschwunden, ist kleiner geworden 
(Fig. 40). Die erste Andeutung des Facialiskerns ist vorhanden 
(Fig. 40); nur wenig weiter kapitalwärts hat der Kern sehr 
grosse Dimensionen. 

Der Funktionswechsel des Goll-Burdachschen Kernes ist 
bald beendet, denn die kapitokaudale Acusticuswurzel ist gebildet. 
Und fast gleichzeitig mit ihr erscheint der Kern der kaudalen 
Acustieuswurzel, wie es der Norm entspricht, als eine kappenartige 
Masse vom Aussehen der Rinde des Grosshirns. Anormal ist es 
dagegen, dass sich der Kern im Schnitt nicht zuerst als ein abge- 
sprengtes Stück grauer Substanz präsentiert, sondern dass er sofort 


338 Bernhard Rawitz: 


der dorsalen Ecke des Markes fest anliegt. Das Tubereulum 
acusticum hat hier nur eine ganz geringe Ausdehnung. Durch den 
kaudalen Acusticus wird die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn zusammen- 
gepresst und ventrolateral gedrückt. Ganz ausserordentlich ent- 
wickelt sind die Nervenzüge, welche aus dem zentralen Höhlen- 
grau zur kaudalen und kapitokaudalen Acusticuswurzel gehen. 
Und ebensolche Ausbildung zeigen diejenigen Fasern, welche 
beide Teile des Acusticus mit der Raphe verbinden. Das Corpus 
trapezoides, das vom kaudalen Acusticus ausgeht, ist relativ 
sehr breit. 

Der sehr beträchtliche Nervenstrom, welcher vom Facialis- 
kern nach dorsal geht, verdichtet sich bald zum Knie, das lateral 
vom inneren Ende der ventralen Strangreste gelegen ist. Mit 
der Ausbildung des letzteren sind mehrfache Veränderungen ver- 
bunden. Der kaudale Acusticus beginnt sich zu erschöpfen, 
während die kapitokaudalen Wurzelfasern des Nerven in die 
dorsoventrale Richtung einbiegen. Dadurch bekommt die Klein- 
hirn-Seitenstrangsbahn Luft und rückt den auftretenden Binde- 
armen entgegen. Die kapitale Olive erscheint als ein grosses 
rundliches Organ, welches auf dem Trapezoides aufruht. Letzteres 
löst sich medial von ersterem in Fasern auf, welche die ventralen 
Markpartien liniieren und sich mit denen der Gegenseite in der 
Raphe kreuzen. Und endlich tritt der Abducens auf. Sein 
intramedullarer Verlauf ist der gewöhnliche, also vom Facialis- 
knie direkt dorsoventral gerichtet. Sein Kern wurde durch das 
Knie zweigeteilt; der eine, kleinere Teil liegt ventral, der andere, 
grössere, lateral von diesem. 

Bald erscheint intramedullar der Facialis und es stellt sich 
die Verbindung von Oblongata und Kleinhirn her. Letztere wird 
durch die Bindearme bewirkt, welche aus einem von gewöhnlichen 
multipolaren Ganglienzellen gebildeten Kleinhirnkern kommen. 
Sie strömen in ihrem medianen Teil zur Raphe und zur kapitalen 
Olive; in ihrem lateralen ersetzen sie die Fasern des Trapezoides 
und gehen am ventralen Kontur zur Raphe. Hier bilden sie die 
kaudalsten Anfänge des Pons. Nun tritt der intramedullare Ab- 
schnittt des Facialis mit dem Knie in Verbindung, der Austritt 
schwindet und gleichzeitig mit ihm auch der Abducens. Der 
Acusticus war schon vorher erledigt. Erst wenn weit im Pons 
auch der letzte Rest des Facialisknies geschwunden ist, dann löst 


er 
Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 339 


sich die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn in der Masse des Cerebellum 
auf. Diese Gegend gehört aber nicht mehr der Oblongata. 
b) Talpa europaea L. 

Dräseke!) hat im Rückenmark des Maulwurfs ein mark- 
loses Feld an der medianen Seite der ventralen Stränge beschrieben. 
Die von Dräseke angegebene ovale Form des Feldes kommt 
dadurch zustande, dass die einander gegenüberliegenden beiden 
marklosen Flecken sich in der Medianlinie berühren und dass der 
Piafortsatz im Suleus ventralis so dünn ist. dass er, namentlich 
bei Anwendung schwächerer Linsen, nicht zu sehen ist. Dieses 
marklose Feld findet sich auch in der Oblongata (Fig. 41). Es 
hat anfänglich so ziemlich die gleiche Gestalt wie im Rückenmark, 
schlägt sich dann weiter kapitalwärts etwas auf den ventralen 
Markkontur über und verschwindet mit dem Auftreten der Oliven. 

Die Existenz dieses Feldes bietet den einzigen Unterschied 
in der Oblongata beider Insektivoren-Spezies. Denn alle sonstigen 
Differenzen betreffen Quisquilien, die keiner Beschreibung wert 
sind. Nur das sei hervorgehoben, dass bei Talpa keine dorsale 
weisse Kommissur vorkommt wie bei Erinaceus. 


9. Chiroptera. 
Vespertilio murinus Schrek. 

Die Oblongata dieser Spezies bietet, soweit es sich um die 
Umformungsregion handelt, ungewöhnliche Schwierigkeiten, weil 
die einzelnen Teile von exzessiver Kleinheit sind. 

Gleich beim Übergang von der Medulla spinalis zur Medulla 
oblongata zeigt sich eine schnell zunehmende ganz exzessiv 
werdende Vergrösserung der dorsalen Säulen (Fig. 42). In der 
Medulla spinalis überwog, wie überhaupt bei den Säugetieren, die 
motorische Portion sehr bedeutend die sensible. In der Oblongata 
tritt insofern nach kurzer Zeit das umgekehrte Verhältnis auf, 
weil die dorsalen Säulen so ausserordentlich sich vergrössern. 
Dies aber kann hier nicht auf die Rolandosche Substanz 
allein geschoben werden, zumal diese nicht sehr scharf gegen die 
im engeren Sinne so zu nennenden grauen Säulen sich absetzt, 
sondern letztere müssen ihrerseits beim Übergang zum verlängerten 


!) Dräseke: Zur Kenntnis des Rückenmarks und der Pyramiden- 
bahnen von Talpa europaea. In: Monatsschrift für Psychiatrie und Neu- 
rologie. Bd. 15, 1904. 


340 Bernhard Rawitz: 


Mark wachsen. Dabei stellt sich mit der Grössenzunahme nicht, 
wie bei den Insektivoren, eine teilweise ventrale Verlagerung der 
Säulen ein, sondern sie bleiben im wesentlichen dorsal, ragen 
aber seitlich so stark hervor, dass sie einen fast spitzen Vorsprung 
am lateralen Markkontur hervorrufen (Fig. 42). 

Sehr schneli entwickelt sich das Retikulum. Aber es zehrt 
doch nicht die ganzen ventralen Säulen auf, sondern lässt einen 
Teil von ihnen intakt. Von diesem entspringt dann der Hypo- 
glossus (Fig. 42) und erst sehr viel später, wenn das zentrale 
Grau differenziert ist, bildet dieses den Hypoglossuskern. Die 
Pyramidenkreuzung ist sehr schwach. rein sensibel und führt nicht 
zur Bildung von Pyramiden. Frühzeitig erscheint der Seiten- 
strangskern. 

Die weitere Ausbildung der Oblongata geht die allgemeinen 
Bahnen. Aber es ist nicht uninteressant und unwichtig, hervor- 
zuheben, dass die Chiropteren-Oblongata, wenigstens bei der von 
mir untersuchten Spezies, sehr viel mehr Ähnlichkeit mit der der 
Insektivoren als mit der einer anderen, höheren Form hat. Nicht 
unwichtig und nicht uninteressant ist diese Tatsache deswegen, 
weil man, und wohl mit Recht, die Insektivoren als phyletisch 
niedrig stehende, die Chiropteren als phyletisch hochstehende 
Säuger betrachtet. Nur der Unterschied wäre anzumerken, dass 
die Insektivoren-Oblongata transversal gedehnt ist, die Chiropteren- 
Oblongata dagegen einen rundlichen Querschnitt hat. Das aber 
ist eine Differenz so untergeordneter Art, dass ihr eine Bedeutung 
nicht zukommt. Dagegen die Art, wie die dorsalen Teile auseinander 
weichen, wie in den Zwischenraum das helle Grau eindringt, die 
schnelle Aufzehrung der @ollschen und Burdachschen Stränge 
und die morphologische Bedeutungslosigkeit der kaudalen Olive 
sind ebenso wie die starke dorsale weisse Kommissur und die 
Trennung des intramedullaren Verlaufes von Vagus und Glosso- 
pharyngeus beiden Gruppen gemeinsam. Dies ist namentlich hin- 
sichtlich der kaudalen Olive der Fall. Gerade bei diesem Organ 
hätte man eine höhere Differenzierung erwarten können, weil 
dadurch der Kontrast zwischen der Olive der Rodentia, welche 
doch immerhin noch eine untergeordnete Textur zeigt, und der 
der Lemuriden, welche, wie sich noch zeigen wird, eine höhere 
Differenzierungsstufe besitzt, beseitigt worden wäre. Das ist aber 
nicht der Fall, denn die kaudale Olive der Chiropteren ist ein 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 341 


sehr primitives Organ. Ohne Konturen, ohne innere Spezialisierung 
stellt sie lediglich einen wenig umfänglichen marginal gelegenen 
und ziemlich verwaschenen Kern dar. 

Erst mit dem Auftreten des kaudalen Acusticus zeigt sich 
die höhere Ausbildung der Chiropteren-Oblongata. Das ist aber 
eine Gegend, in der, worauf schon des öfteren hingewiesen wurde, 
die Umformungen beendet sind. Der kaudale Acusticus tritt 
hier nicht als Tuberculum an der dorsalen Ecke des Markes auf, 
sondern stellt sich lateral ein. Er liegt daher, wenn beide 
Acusticusteile ausgebildet sind, fast an der ventralen Ecke des 
Markes. Das von ihm ausgehende Corpus trapezoides ist relativ 
sehr stark, wird aber bald von den sehr früh auftretenden Pons- 
fasern durchsetzt. Interessant ist, dass mit dem Erscheinen des 
Trapezkörpers eine Abtrennung der medialsten Partien der ven- 
tralen Stränge statthat, sodass es hier zu einer Art sekundärer 
Pyramide kommt. Für die nunmehr höhere Stellung der Chiropteren- 
Oblongata spricht es auch, dass der Abducens den Pons durch- 
setzt, welch letzterer also sehr weit kaudalwärts reicht. 

Betrachten wir einen Schnitt durch die Oblongata in dieser 
(regend, also da, wo der Abducens zu sehen ist (Fig. 43). Eine 
ausführliche Beschreibung der vorangegangenen Kaudalen Regionen 
wird dadurch unnötig und ebenso eine der kapitalwärts folgenden. 

Das Kleinhirn hat, obwohl noch keine Andeutung von der 
Nähe der Bindearme sich findet, den Raum des IV. Ventrikels 
so sehr eingeengt, dass es nur noch als ein ganz schmaler, fast 
kapillärer Spalt erscheint. Einzig in der Medianebene ist er 
etwas erweitert, weil sich hier sein Boden ventralwärts leicht 
vertieft. Diese Erweiterung wird von einem Venengeflecht voll- 
ständig ausgefüllt. Das zentrale Höhlengrau ist allenthalben gut 
ausgebildet und zeigt auch noch auf dem Ventrikelboden eine 
beträchtliche Dicke, ist also hier nicht auf einen dünnen gliösen 
Belag reduziert (Fig. 43). Nach den Seiten und ventral gegen 
das Retikulum wird es breit und geht in Form eines schmalen 
Streifens über die kapitokaudale Acustiecuswurzel hinweg, um 
sich an der dorsalen Kante des Markes mit dem Rest des kaudalen 
Acustieuskernes zu vereinigen. 

Ventral vom Höhlengrau liegen jederseits der Medianlinie 
die Reste der ventralen Stränge und lateral von diesen das 
Facialisknie. Diesem strebt der Facialis zu (Fig. 43), der von 


342 Bernhard Rawitz: 


seiner Austrittsstelle, welche sich am ventralen Markkontur findet, 
schräg mediodorsalwärts tief in das Markinnere reicht. Er besteht 
aus drei verschieden dicken Strängen und hat sich noch nicht 
mit seinem Knie vereinigt. Dem Facialisaustritt liegt der Acusticus 
eng an und zwar, wie selbstverständlich, die aus der kapito- 
kaudalen durch Umwandlung der Verlaufsrichtung entstehenden 
Fasern der kapitalen Wurzel. Die kaudale Wurzel ist nur noch 
im Querschnitt zu sehen, welchem dorsolateral der betreffende 
Kern aufruht. Aus dem zentralen Höhlengrau gehen in sehr 
geringer Zahl Fasern in die noch nicht aufgebrauchte kapito- 
kaudale Wurzel, in grösserer Menge dagegen zum kaudalen 
Acustieus. Ferner ist zu konstatieren, dass zahlreiche, manchmal 
zu Bündeln vereinigte Faserzüge von beiden Acusticusteilen durch 
das Retikulum zur Raphe und zur kapitalen Olive sich begeben. 
In dem spitzen Winkel, welcher vom austretenden Facialis und 
dem Acusticus gebildet wird, liegt die aufsteigende Trigeminus- 
wurzel mit ihrem sehr klein gewordenen Kern (Fig. 43). Zwischen 
kapitokaudaler Acusticuswurzel und dem Rest des kaudalen Kernes 
liegt an der lateralen Markecke die drehrunde Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn (Fig. 435). Der Abducens entspringt vom zentralen 
Höhlengrau; von seinem Kern ist hier nur ein ganz kleiner Teil 
ventral vom Facialisknie gelegen. Auf seinem geraden, dorso- 
ventralen Verlaufe durchsetzt er den Pons. 

Der ventrale Markkontur ist stark prominent. Dies wird 
hervorgerufen durch den in dieser Gegend bereits sehr stark 
entwickelten Pons (Fig. 43), in welchem sich auch die letzten, 
d.h. am meisten kapitalwärts gelegenen Fasern des Trapezoides 
verlieren. Im Pons finden sich in der Nähe der Medianlinie 
kernartig gehäufte, massenhafte grosse Ganglienzellen. An der 
lateralen Umbiegungsstelle des Markkonturs liegt die kapitale 
Olive (Fig. 43). Sie ist hier relativ gross, zeigt aber keine scharfe 
Konturierung und unterscheidet sich dadurch von den bisher be- 
schriebenen Spezies. Ihre Beziehungen zum Acusticus wurden 
schon erwähnt. Merkwürdig ist ihre Einbettung zwischen die 
Faserzüge des Pons, die schliesslich zu ihrer Aufsaugung durch 
dieses Gebilde führt. 

Mit dem Auftreten der Bindearme, denen ein sehr aus- 
gedehnter Kern im Cerebellum entspricht, schwinden gleichzeitig 
Acusticus und Facialis. Das ist bezüglich des letzteren Nerven 


rn 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 545 


eine höchst interessante Tatsache, denn bisher konnte immer 
gemeldet werden, dass das Facialisknie sehr weit kapitalwärts 
reicht. Auch die kapitale Olive schwindet sehr bald nach dem 
Auftreten der Bindearme. Die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn wandert 
cerebellarwärts und wird erst in der Trigeminusregion aufgebraucht. 

So stellt die Oblongata von Vespertilio murinus, und, wenn 
die Verallgemeinerung zulässig ist, der Öhiropteren ein merk- 
würdiges Mixtum compositum dar. Solange die Umwandlung der 
Rückenmarksteile dauert, von sehr primitiver Organisation, zeigt 
sie nach beendeter Umwandlung eine innere Konfiguration, welche 
eine höhere Ausbildung bedeutet. 

107 Brosimn. 
a) Lemur varius L. 

Von den Lemuriden ab gewinnt ein Gebilde einen wichtigen 
Einfluss, das bisher, wenn wir von den Carnivoren absehen, nur 
sekundär für die Umwandlung der Medulla spinalis in die Medulla 
oblongata in Betracht kam. Dies ist die Pyramidenkreuzung. 
Man kann geradezu sagen: von den Lemuriden ab finden wir Ver- 
hältnisse, die bereits an menschliche erinnern und von den bisher 
beschriebenen rein tierischen einen schnellen Übergang bewerk- 
stelligen. Betrachten wir die Einzelheiten näher. 

Beim Übergang vom Rückenmark zur Oblongata ist die 
Pyramidenkreuzung sofort in beträchtlicher Breite da (Fig. 44) 
und es beteiligen sich an ihr Fasern von allen drei Strangpaaren. 
Sie drängt sich in so breitem Keil zwischen die medianen Partien 
der ventralen Stränge ein, dass sie diese zusammenquetscht. 
Und sie erhält in so breitem Zuge die Fasern von dorsal her, 
dass dadurch die lateralen Säulen verdeckt, die ventralen vom 
übrigen Grau abgedrängt werden und dass die Verbindung der 
dorsalen Säulen mit dem zentralen Grau auf eine schmale Brücke 
reduziert wird. Die dorsalen Säulen, deren Rolandosche 
Substanz gut entwickelt ist, liegen übrigens nicht mehr dorsal, 
sondern ganz lateral. Die dorsale Fläche des Markes wird von 
den bereits etwas rarefizierten, medial gelegenen Gollschen und 
den seitlich an diese anstossenden Burdachschen Strängen ein- 
genommen. Letztere reichen bis etwas ventral von der Um- 
biegungsstelle des Markkonturs. Der Vollständigkeit halber sei 
hervorgehoben, dass in diesen Anfangsregionen der Oblongata 
zwei Accessoriuswurzeln vorkommen. 


344 Bernhard Rawitz: 


Bald entwickelt sich die Decussatio zu einem so mächtigen 
unpaaren Keil, dass sie eine starke Vergrösserung des transversalen 
Markdurchmessers herbeiführt. Und nur auf sie kann diese Ver- 
grösserung zurückgeführt werden, denn die dorsalen Säulen be- 
halten ihren ursprünglichen Umfang bei. Mit der Zunahme der 
Decussatio geht einher die Reduktion der ihr zuströmenden Faser- 
massen. Zuerst schwinden die Beiträge der ventralen Stränge, 
dann werden die der lateralen geringfügig. Nur die von dorsal her 
aus den Burdachschen und von lateral her aus dem Nerven- 
mantel der dorsalen Säulen kommenden Fasermassen bleiben 
ziemlich stark, wenn auch ihre Quantität gegen früher sich ver- 
ringert hat. Die ersteren sind es, welche durch ihren schön 
geschwungenen Verlauf das zentrale Grau abgrenzen, in welchem 
sich bereits der grosszellige Hypoglossuskern differenziert hat. 
Da wo anfänglich die zur Kreuzung ziehenden Fasermassen lagen, 
findet sich jetzt das Retikulum, das nur noch einen Rest der 
ventralen Säulen übrig gelassen hat, der mit der Ausbildung der 
Pyramiden in das dunkle Grau einbezogen wird. 

Die Rarefikation der Gollschen Stränge ist fast beendet. 
Nur marginal steht noch ein dünner Nervenbelag, während nach 
innen zu der Kern sich mit dem zentralen Grau vereinigt hat. 
Die Aushöhlung des Burdachschen Stranges vom Markinnern 
her beginnt und macht sehr schnelle Fortschritte. Beide Stränge 
sind kurz vor dem Auftreten der Pyramiden in ihrem dorso- 
ventralen Durchmesser verkürzt. Sie haben sich nämlich, ohne 
medial auseinander zu weichen, nach lateral hin ausgedehnt. Als 
veranlassendes Moment hierfür glaube ich die Zunahme des zen- 
tralen Grau betrachten zu müssen, dessen Masse durch Ein- 
beziehung der ventralen Säulen grösser geworden ist. Eine 
Wirkung dieser Dehnung ist eine stärkere ventrale Verlagerung 
der dorsalen Säulen. Der Seitenstrangskern tritt als ein ver- 
waschenes, d. h. nicht scharf konturiertes Gebilde auf und dehnt 
seinerseits den Durchmesser des Markes. 

Es ist sehr interessant in der Serie zu verfolgen, wie mit 
der Ausbildung der Pyramiden sich deren Kreuzung verkürzt, 
sodass sie, wenn jene als grosse Keile in das Oblongatainnere 
hineinragen, von ihnen stellenweise geradezu getrennt ist. Mit 
Beendigung der Pyramidenkreuzung tritt die Schleifenkreuzung 
auf, deren Fasern sich aus den Zellen des Gollschen und des 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 345 


Burdachschen Strangkernes und aus den Resten des letzteren 
Stranges sowie aus dem Nervenmantel der dorsalen Säulen in 
geschwungenen Zügen nach der Medianlinie begeben. 

Mit der Beendigung der Pyramidenkreuzung und dem Auf- 
treten der Pyramiden sind aber noch zahlreiche andere Ver- 
änderungen teils beendet, teils eingeleitet. Beendet ist die Bildung 
des zentralen Grau. Der sehr enge ovale Zentralkanal, von etwas 
gelatinöser Substanz umgeben, liegt im dunklen Abschnitt, also 
zwischen den Hypoglossuskernen. Der helle Abschnitt, in welchem 
bereits die Zellen des Vaguskernes erschienen sind, wird gegen 
Goll-Burdach durch eine zarte dorsale weisse Kommissur ab- 
gegrenzt. Letztere ist gewissermaßen noch eine Reminiscenz an 
primitive Zustände. Beendet ist ferner die Umwandlung des 
(Gollschen Stranges in einen kleinzelligen Kern, aus welchem 
zahlreiche Fibrae arcuatae entspringen. Beendet ist endlich die 
Bildung des Retikulum, das nur marginal durch den mächtigen 
Seitenstrangskern etwas diskontinuierlich ist. Die von den 
Pyramiden zusammengequetschten ventralen Stränge werden noch 
weiter komprimiert durch die nunmehr auftretenden Oliven Die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn hat sich differenziert und schiebt sich 
dorsalwärts über den Nervenbelag der dorsalen Säule, welche 
ihrerseits ihren Funktionswechsel einleitet. Zwar gehen noch 
aus dem Rest der dorsalen Stränge zarte Faserzüge quer durch 
die Säule als Arcuatae ab, doch verkleinert sich letztere zusehends 
unter Verlust ihrer Rolandoschen Substanz. Der Hypoglossus 
ist in mehreren Strängen intramedullar erschienen und durchsetzt 
die laterale Partie der beginnenden kaudalen Olive. 

Nunmehr weichen in der Medianlinie die Gollschen Stränge 
auseinander und es erscheint zwischen ihnen eine seichte, aber 
von Anfang an ziemlich breite sattelförmige Bucht, die allmählich 
immer breiter wird. Die Burdachschen Strangreste rücken 
dabei auf die dorsale Ecke des Markes und mitten in ihnen wird 
ein grosszelliger Kern sichtbar, der sie binnen kurzem von innen 
ganz aushöhlt. Er verlängert sich nach ventral hin und gelangt 
in die Nähe eines kleinen Kernes, der zwischen der Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn und der inzwischen durch Funktionswechsel 
entstandenen aufsteigenden Trigeminuswurzel sich eingefunden 
hat. Die Pyramiden haben sich unterdessen mehr abgeflacht., 


sind aus grossen, dorsal spitz endenden Keilen rechtwinklige 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 23 


346 Bernhard Rawitz: 


Dreiecke (im Schnitt) geworden und die Oliven haben sich 
vergrössert. Der Zentralkanal hat sich dorsoventral verlängert 
und transversal ausgedehnt; er gehört jetzt dem hellen Grau 
an, nur seine ventrale Spitze reicht bis an den Hypoglossuskern. 
Letztere Tatsache beweist, dass er nicht bloss gedehnt, sondern 
auch dorsoventral verlagert ist. Im hellen Grau liegen die 
Zellen des Vaguskernes in der Nähe vom Hypoglossuskern und 
haben sich zu einer transversal gestreckten Gruppe geordnet. 
In der Ecke des hellen Grau ist die aufsteigende Glossopharyngeus- 
wurzel erschienen, die vom Vaguskern und dem dorsal von ihm 
gelegenen Abschnitt des Grau durch die ersten Arcuatae getrennt 
wird. Das zentrale Grau stösst dorsal ins Freie. 

Nunmehr öffnet sich, indem sich der Zentralkanal immer 
mehr dorsalwärts dehnt, aber ohne dass sich die erwähnte 
sattelförmige Bucht ihm entgegenschiebt, der IV. Ventrikel. Seine 
ursprünglich steil abfallenden Seitenwände biegen sich sehr bald 
nach aussen um und werden dadurch weniger steil, der Vagus 
erscheint intramedullar und wir erhalten dann folgendes Bild 
der inneren Konfiguration des Markes (Fig. 45): 

Der IV. Ventrikel senkt sich in der Medianlinie tief ein. 
Seine Ränder gehen erst schräg nach aussen, wölben sich dann 
unter langsamem Aufsteigen wieder etwas nach innen vor und 
schlagen sich schliesslich dorsal um. Da, wo das nun zum 
Höhlengrau gewordene zentrale Grau zu Ende ist und die ver- 
einigten Goll-Burdachschen Kerne beginnen (Fig. 45), ragt 
ein mit dem Grau innig verwachsener Piafortsatz vor, der durch 
eine zarte Lamelle sich mit einem gleichen Fortsatz der Gegen- 
seite verbindet. Was zwischen diesen beiden Fortsätzen liegt, 
ist der Ventrikel, sein Dach bildet die Pialamelle. Das zentrale 
Höhlengrau besteht aus den beiden bekannten Abschnitten, dem 
dunklen Grau (Hypoglossuskern) und dem hellen Grau (Vagus- 
kern, später Glossopharyngeuskern). In der lateralen Ecke des 
letzteren, gegen die Hauptmasse des Grau durch Arcuatae ab- 
gegrenzt, liegt die aufsteigende Wurzel des Glossopharyngeus 
(Fig. 45). Das dunkle Grau, weniger umfangreich als das helle, 
bildet den Boden, das helle die Seitenwand des Ventrikels. 
Aus ersterem entspringt in bekannter Weise der Hypoglossus 
(Fig. 45). In letzterem ist die vorhin erwähnte Gruppierung 
der übrigens sehr grossen Zellen des Vaguskernes einer mehr 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 347 


diffusen Anordnung gewichen, wobei zu beachten bleibt, dass die 
dorsale Partie des hellen Grau fast völlig ganglienzellfrei ist. 
Der Nervus hypoglossus nimmt seinen bekannten Weg direkt 
dorsoventral mit leichter konkaver Biegung nach aussen und 
geht durch die Olive durch am Seitenrand der Pyramide aus 
dem Mark heraus (Fig. 45). Der Vagus, welcher am lateralen 
Rande die Oblongata verlässt, geht durch den Kern und die auf- 
steigende Wurzel des Trigeminus in zwei weit voneinander ab- 
stehenden Zügen. Der laterale entspringt vom Kern im hellen 
Grau (Fig. 45), der mehr mediale (in Fig. 45 nicht gezeichnet) 
vom Rande des dunklen Grau, das also nicht mehr ausschliesslich 
Hypoglossuskern ist. Dieser letztere Ursprung wird von den 
ersten Arcuatae durchquert und es bedarf der Anwendung stärkerer 
Linsen, um sich davon zu überzeugen, dass es nicht die Vagus- 
fasern sind, welche in die Arcuatae-Richtung einbiegen. 

Die vereinigten Kerne der Goll-Burdachschen Stränge 
bilden jetzt eine graue Masse, deren starker marginaler Nerven- 
belag fast ausschliesslich von der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
hergestellt wird. Sie nehmen die dorsale Ecke des Markes ein 
und reichen von hier ziemlich weit lateral herab (Fig. 45). 
Massenhaft strömen von ihnen Arcuatae aus, welche in oft dichten 
Zügen das Retikulum durchsetzen, um teils durch die ventralen 
Strangreste zur Raphe zu ziehen, teils in die kaudale Olive ein- 
zutreten und hier entweder zu bleiben oder durch sie hindurch 
ebenfalls zu der ziemlich breiten Raphe sich zu begeben. Scharf 
gegen den Goll-Burdachschen Kern — sein Funktionswechsel 
tritt erst weiter kapitalwärts ein — ist die aufsteigende Trige- 
minuswurzel abgesetzt. Sie springt mit einem mächtigen, 
dorsal etwas verbogenen Hakenfortsatz in das Markinnere hinein 
(Fig. 45), so dass jener Kern ihr dorsal aufruht. Ventral endet 
sie leicht zugespitzt an dem minimalen Rest des Monakow schen 
Kernes. Der Seitenstrangskern ist verschwunden, während die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn sich, wie bereits erwähnt, auf den 
Aussenrand des Burdachkernes fortgesetzt hat. 

Ein besonderes Interesse bieten die kaudalen Oliven, weil 
hier zum ersten Male bei ihnen eine höhere Differenzierung an- 
zutreffen ist, diezu menschlichen Verhältnissen überleitet. Zunächst 
sei hervorgehoben, dass ich hier nirgends auch nur eine Andeutung 


einer Nebenolive gefunden habe. Denn wenn in einem Schnitte 
23* 


348 Bernhard Rawitz: 


ein Oliventeil gesondert zu beobachten war, so zeigte sich nur 
wenige Schnitte weiter dessen integrierende Zugehörigkeit zum 
(sesamtorgan. Was diesem sein eigentümliches Gepräge gibt, und 
wodurch es sich von der Olive der meisten bisher behandelten 
Spezies auf das schärfste unterscheidet, ist seine deutliche Ab- 
grenzung gegen die Nachbarschaft und das Auftreten eines 
mediodorsal gerichteten Hilus (Fig. 45). Ersteres wird dadurch 
bewirkt, dass die Nervenmassen, welche der Olive unmittelbar 
anliegen, hierbei ein so dichtes Gefüge zeigen, dass sie einem 
Nervenmantel gleichen. Dies ist besonders am medialen Kontur 
des Organs der Fall. Hier findet sich in direkter. ununter- 
brochener Fortsetzung der rechtwinkligen Pyramide eine überaus 
dicke und dichte Nervenmasse, welche sich auf das schärfste 
gegen die ventralen Strangreste absetzt und eben dadurch, zumal 
sie sich noch etwas auf die dorsale Fläche der Olive erstreckt, 
eine Umhüllung der letzteren darstellt. Und ebenso ist am 
lateralen Ende die anstossende Nervenmasse dichter gefügt als 
das Retikulum. Dadurch wird auch die Olive vom Rande der 
Oblongata abgedrängt, dem sie bei anderen Spezies fast immer 
dicht anlag. Etwas weniger dicht als an den genannten Stellen 
ist das Retikulum am lateralen, gegen das Markinnere gerichteten 
Ölivenrande. Doch sind auch hier die Fasern noch ziemlich 
eng aneinander gepresst, so dass sie als ein besonderer Mantel 
imponieren. 

Als zweites Charakteristikum wurde die mediodorsale 
Richtung des Hilus hervorgehoben. Bei den bisher beschriebenen 
Spezies war entweder gar kein Hilus ausgeprägt, oder er war 
unbestimmt, insofern die Fasermassen teils von lateral, teils von 
medial her eintraten, oder endlich er war, wie z. B. bei Phocaena, 
direkt lateral gewendet. Hier nun bei Lemur varius ist der 
Hilus mediodorsal gerichtet, d. h. die Fasern treten alle an der 
dorsalen Seite in das Organ ein und diese Stelle des Hilus ist 
zugleich etwas medianwärts geneigt. Das hängt mit der gegen 
früher veränderten Beschaffenheit der grauen ÖOlivensubstanz zu- 
sammen. Bei Phocaena war diese eine ungefüge Masse, bei 
anderen Arten ein unbestimmter, verwaschener Kern, bei den 
Leporiden bestand sie aus getrennten Blättern. Hier nun, und 
darin besteht der Fortschritt, ist sie ein einheitliches Blatt, das 
in zwei bis drei Falten gelegt ist. Die Zwischenräume zwischen 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 349 


den letzteren sind eng, die intraolivaren Nervenmassen sind daher 
nur spärlich ausgebildet. Aber die Fältelung ist doch so vor 
sich gegangen, dass die Zwischenräume zwischen den Falten sich 
mediodorsal öffnen und dass, wo dies nicht der Fall, die ventro- 
lateral gekehrte Öffnung nicht ganz bis zum Rande des Organs 
reicht. Nur insofern ist noch ein primitiver Zustand vorhanden, 
als der längste Durchmesser des Organs von innen dorsal schräg 
nach aussen lateral gerichtet ist und daher die Olive auf dem 
Seitenrande der Pyramide aufruht. In den Hilus treten Fasern 
ein und aus ihm heraus; ausserdem aber gehen in transversaler 
Richtung noch Fasern quer durch die Olive hindurch. Diese 
sind Arcuatae, welche durch den medialen Mantel der Olive zur 
Raphe sich begeben. Letztere ist schmal, soweit sie aus Nerven- 
fasern besteht. Ausserdem aber zieht ein ungleich dicker Streifen 
grauer Substanz die Raphe entlang, sodass hier eine Art grauer 
Raphe vorhanden ist. In den Resten der ventralen Stränge 
treten unregelmässige Kernflecken auf (Fig. 45). 

Der Ventrikel erweitert sich nur noch wenig, er behält 
vielmehr bis weithin kapitalwärts die beschriebene Form bei. 
Erst in der Gegend des kaudalen Acusticus vertieft er sich wieder 
etwas, sodass man den Eindruck erhält, als ob er in letzterer 
Gegend durch den neu auftretenden Nerven etwas komprimiert 
würde. Bis dahin sind natürlich noch mannigfache Änderungen 
in der Oblongata zu notieren. Die zunächst wichtigste, zum 
mindesten auffälligste besteht in der Grössenzunahme der Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn, welche zu einer beträchtlichen Verbreiterung 
des transversalen Durchmessers der Oblongata führt. Die Zu- 
nahme der genannten Bahn zeigt sich darin, dass sie an der 
dorsalen Ecke der Oblongata einen grossen Vorsprung nach aussen 
bildet, und sie ist offenbar auf folgende zwei Momente zurück- 
zuführen. Erstens zieht sie sich aus dem Seitenstrange, soweit 
dieser noch differenziert ist, also richtiger aus dem Seitenrande, 
immer mehr nach dorsalwärts hin, engt sich also auf einen 
kleineren Raum ein. Aber zweitens empfängt sie frische Fasern 
aus dem Seitenstrangskern, welcher mit ihrer Volumszunahme 
schnell kleiner wird, um schliesslich ganz zu schwinden. Der 
Rückzug der Bahn aus der Seitenregion der Oblongata führt zum 
Auftreten der Fibrae arcuatae externae: eine bisher in solcher 
Deutlichkeit nicht ausgeprägte Erscheinung. Man sieht nämlich 


350 Bernhard Rawitz: 


vom ventralen Ende der aufsteigenden Trigeminuswurzel bis in 
die Nähe der Oliven Fasern aus den Seitenteilen der Oblongata 
in die transversale Richtung einlenken und in mehrfach gebogenem 
Verlaufe durch das Retikulum hindurch zur Raphe gehen, wobei 
ein Teil von ihnen die kaudalen Oliven durchquert. 

Die zweite wichtige Veränderung, welche sich nach der 
vorhin ausführlich geschilderten Konfiguration des Markes ein- 
stellt, ist das Auftreten der kapitokaudalen Acusticuswurzel. Sie 
erscheint zuerst in Form zartester Nervenbündel im Innern des 
ehemaligen Gollkernes, der also seinen Funktionswechsel beendet 
hat. Sehr bald nimmt sie an Umfang zu, erfüllt dann auch den 
ehemaligen Burdachkern und schliesst zwischen ihren Bündeln 
zahlreiche grosse (Ganglienzellen ein. 

Und die dritte Veränderung besteht in der allmählichen 
Vereinheitlichung des zentralen Höhlengrau. Wenn die kapito- 
kaudale Acusticuswurzel gebildet ist, Hypoglossus und Vagus ge- 
schwunden sind und der Glossopharyngeus durch Remplacement 
den letzteren Nerven ersetzt hat, dann beginnt das dunkle Grau, 
d. h. der noch persistierende Kern des Hypoglossus sich an seiner 
dem Ventrikelboden zugekehrten Fläche seitlich auszudehnen. 
Und gleichzeitig wird von der Gegend der kapitokaudalen Acusticus- 
wurzel das helle Grau durch Einlagerung feinster Nervenfasern 
dunkel (in Weigert-Präparaten). Bald begegnen sich die beiden 
dunklen Partien und engen das helle Grau immer: mehr ein, 
sodass es schliesslich nur noch in der Nähe der aufsteigenden 
(lossopharyngeuswurzel sich eine Zeitlang erhält. Wenn die 
letztere durch ihren Austritt aus dem Marke längst erschöpft ist, 
dann schwindet allmählich auch der Rest des hellen Grau. Der 
Kern hat also den Nerven überdauert, denn der Glossopharyngeus 
entspringt vom hellen Abschnitt des zentralen Höhlengrau. 

Nach dem Schwinden des Glossopharyngeus ist jenes Stadium 
in der Oblongata eingetreten, das ich bei einer anderen Spezies 
als Ruhestadium bezeichnet habe und das bisher nur den In- 
sektivoren fehlte. Denn auch die Oliven sind mittlerweile ver- 
schwunden und neue Anlagen sind nicht vorhanden. An Stelle 
der Oliven ist ein etwas dichteres Gefüge des Retikulum getreten, 
die von den Oliven lateral etwas gedrückten und darum auf dem 
Schnitt dreieckig aussehenden Pyramiden haben sich abgerundet 
und die Reste der ventralen Stränge sind dorsal gerückt und 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 351 


lagern zu beiden Seiten der Medianlinie am Boden des IV. Ven- 
trikels dicht unter einer gliösen Schicht. Freilich hält diese 
Ruhe nicht lange an und sie wird unterbrochen durch das Er- 
scheinen des Kerns der kaudalen Acustieuswurzel. In der üblichen 
Weise stellt sich der genannte Kern zunächst im Schnitt dar, 
nämlich als ein Stück grauer Substanz, das an Grosshirnrinde 
erinnert und weit ab von der dorsalen Kante der Oblongata 
gelegen ist. Sehr bald kommt es zur Verbindung, indem der 
Kern durch einen schmalen Streifen in der Gegend des lateralen 
Endes der kapitokaudalen Wurzel des Acusticus mit dem Mark 
verschmilzt. Aber die Verbindung bleibt zunächst nur eine 
schmale. und das ist sehr beachtenswert. Denn obgleich in dem 
Kern die Nervenfasern sich schnell eingestellt haben, welche in 
breitem Zuge ihn verlassen. so macht doch der kaudale Acusticus 
trotz seiner vollen Entwicklung im Schnitt den Eindruck, als 
hinge er frei in der Luft. Erst sehr viel weiter kapitalwärts 
wird die Verbindung breit, sitzend, dann aber ist die Hauptmasse 
der kaudalen Acusticuswurzel bereits erschöpft und die kapito- 
kaudale ist es, welche durch ihren Austritt das mikroskopische 
Bild in dieser Gegend heherrscht. 

Mancherlei Abänderungen sind mit der Ausbildung des 
kaudalen Acustieus verknüpft. Zuerst ist zu notieren, dass an 
einer einzigen Stelle des Ventrikels Striae acusticae zu sehen 
sind. Aus dem Höhlengrau ziehen feinste Fasern zur kapito- 
kaudalen und kaudalen Acusticuswurzel. Und ebenso sieht man 
Fasern aus beiden Acusticusteilen durch das Retikulum zu der 
hier breiten. übrigens wieder rein weissen Raphe ziehen. Aus 
dem kaudalen Acusticus zweigt sich das Corpus trapezoides ab, 
das in marginalem Zuge medianwärts sich erstreckt und an Stelle 
der Arcuatae externae die Liniierung des Retikulum bewirkt. Die 
Pyramiden werden davon nicht in Mitleidenschaft gezogen. Die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn ist komprimiert, denn sie hat das 
Aussehen eines linsenförmigen Gebildes, dessen längster Durch- 
messer dorsoventral orientiert ist. Sie ist aber auch zugleich 
ventral gedrückt, denn sie findet sich nicht mehr an der dorsalen 
Ecke der OÖblongata, sondern liegt an deren Seitenrande und drückt 
dadurch die aufsteigende Trigeminuswurzel etwas nach innen. 

Das Corpus trapezoides, das eben erwähnt wurde, spaltet 
sich am Facialiskern in seine einzelnen Bündel, die um ihn herum- 


© 
| 
[80] 


Bernhard Rawitz: 


gehen. Dieser Kern, der anfänglich ganz klein war, hat bald 
gewaltige Dimensionen angenommen und entsendet seinen dorsal 
gerichteten Nervenstrom. Hinsichtlich des letzteren sei darauf 
hingewiesen, dass er natürlich nicht von Anfang an bis in die 
Gegend des späteren Knie reicht, sondern die Nervenfasern sind 
zunächst nur eine kurze Strecke weit vom Kern zu verfolgen, 
dann biegen sie in kapitalwärts gelegene Ebenen ein, wobei sie 
sehr erheblich untereinander konvergieren. Daher kommt es, 
dass man einen sehr dichten Nervenstrom in der Nähe des 
zentralen Grau findet, während der Kern fast ganz oder ganz 
geschwunden ist. 

Die ferneren Veränderungen bewegen sich in der wiederholt 
von den früheren Spezies beschriebenen Richtung. Doch müssen 
sie der Vollständigkeit halber angeführt werden, zumal manches 
Interessante hierbei zu notieren ist. Ungewöhnlich früh treten 
die Bindearme zum Kleinhirn auf und ebenfalls ungewöhnlich 
früh, d. h. also weit kaudalwärts, zeigen sich die kapitalen Oliven. 
Die letzteren erscheinen als kleine kernähnliche Flecken ventral 
vom Faeialiskern zwischen den Fasern des Trapezoides. Erstere 
wölben sich kuppelartig gegen die Oblongata und stossen dabei 
an den Kern des kaudalen Acusticus. Dieser schwindet an der 
Berührungsstelle sehr schnell und bleibt noch eine Zeitlang 
lateral von der in grossen Zügen austretenden kaudalen Wurzel 
erhalten. Sind die Bindearme hergestellt, der Ventrikel also 
geschlossen, dann ist auch der kapitale Acusticus (kapitokaudale 
Wurzel) fast beendet. Und die Fasern der aufsteigenden Trige- 
minuswurzel biegen allmählich in die dorsoventrale Richtung ein. 
Die vom Kleinhirn durch die Bindearme zur Oblongata strömenden 
Nervenmassen, welche aus einem sehr grossen und sehr aus- 
gedehnten Kern kommen — er gleicht dem früher bei anderen 
Spezies beschriebenen —, fassen zwischen sich die Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn. Der mediale Teil von ihnen geht direkt in 
die Oblongata und endet hier entweder in der inzwischen sehr 
gross gewordenen kapitalen Olive oder begibt sich zur Raphe. 
Der kleinere laterale Teil geht am Aussenrand der Oblongata 
entlang, ersetzt hier die Fasern des Trapezoides und begibt sich 
ebenfalls zur Raphe, ohne die Pyramide zu durchqueren. Dieser 
Teil wird von dem schnell an Grösse abnehmenden kapitalen 
Acusticus und dem eben erscheinenden Austritt des Facialis 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 353 


durchbrochen. Die kapitale Olive nimmt jetzt den Platz ein, 
welchen der mittlerweile verschwundene Facialiskern inne hatte. 
Sie ist ein ziemlich grosses, durch zirkuläre Fasern abgegrenztes 
Gebilde, das einen dorsal gerichteten Hilus hat. 

Diejenigen Bindearmfasern, welche marginal verlaufen, um 
dorsal von den Pyramiden zur Raphe zu gehen, stellen die ersten, 
d.h. am meisten kaudal und innen gelegenen Fasern des Pons 
dar. Denn letzteres Organ tritt nur wenig kapitalwärts von der 
Herstellung der Verbindung zwischen Cerebellum und Oblongata 
auf. Als erste Andeutung davon macht sich eine Rarefizierung 
der Pyramiden geltend, welehe durch graue Substanz, die in ihnen 
erscheint, herbeigeführt wird. \ls zweite Andeutung des Pons 
treten breite, konzentrisch zum Markkontur ziehende Fasermassen 
auf, welche ventral den Pyramiden anliegen. Sie scheinen zu- 
nächst in der Luft zu stehen, bis wenige Ebenen weiter kapital- 
wärts ihre Verbindung mit den Bindearmen hergestellt ist. 
Unterdessen hat sich der Acusticus erschöpft und ist der Facialis 
intramedullar seinem Knie entgegengerückt. Letzteres liegt an- 
fänglich seitlich vom inneren Ende der ventralen Stränge, rückt 
dann aber auf diese so auf, dass es sie vom Boden des Ventrikels 
abdrückt und selber ihre Stellung einnimmt. Einen Teil des 
Abducenskernes hat es dabei gleichzeitig etwas ventral ver- 
lagert. 

Der Abducens ist inzwischen erschienen und geht in mehreren 
dicken, wiederholt unterbrochenen Zügen direkt dorsoventral. 
Er tritt durch den Pons hindurch nach aussen. Sehr bald, nach- 
dem der Pons als solcher deutlich geworden, aber noch ehe seine 
Verbindung mit dem Cerebellum im Schnitt erschienen, hat sich 
die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn in die cerebellaren weissen Massen 
aufgelöst. Die Oblongata haben wir also längst verlassen, ehe 
die ihr angehörigen Teile verschwinden. Erst tief in der Pons- 
region hört die kapitale Olive auf, dann der Abducens. Der 
Facialisaustritt ist längst vorbei, ehe die intramedullare Ver- 
einigung des Nerven mit dem Knie dadurch statthat, dass er aus 
der dorsoventralen in die transversale Richtung einbiegt. Und 
es dauert noch lange, nachdem auch diese Vereinigung ge- 
schwunden, bis das Knie nicht mehr im Schnitt zu sehen ist. 
So sehr weit kapitalwärts reicht der Facialis in die Pons- 
region hinein. 


354 Bernhard Rawitz: 


b) Lemur mongoz L. 

Die Oblongata dieser Spezies zeigt vollkommene Überein- 
stimmung mit L. varius. 

14H Pithreci: 
Macacus rhesus Wasn. 

Schärfer noch als bei den Lemuriden tritt bei Rhesus die 
mechanische Wirkung der Pyramidenkreuzung hervor. Denn in- 
tensiver als bei jener Spezies ist hier die Beteiligung der ventralen 
und lateralen Fasern. Es wird daher der transversale Durch- 
messer des Markes durch die Decussatio in seinem ventralen 
Abschnitte nicht unbeträchtlich gedehnt. Aber auch dessen dor- 
saler Abschnitt muss eine Deiinung erfahren, denn das Quer- 
schnittsbild der Oblongata bleibt ein gleichmässig ovales Dass 
eine solche Dehnung stattfindet, ist aus der Lage der Gollschen 
Stränge zu schliessen. Im Anfang, d. h. dicht am Übergange 
von der Medulla spinalis zur Medulla oblongata trifft man das 
(ollsche Strangpaar so zwischen den Burdachschen Strängen, 
dass es wohl den freien dorsalen Kontur erreicht, nach innen 
aber nicht bis zur grauen Kommissur gelangt, weil sich ihm hier 
die inneren Enden der Burdachschen Stränge vorschieben. 
Wenn aber die Decussatio voll eingesetzt hat und mechanisch 
den ventralen Teil des Markes dehnt, dann folgt dieser Dehnung, 
wie gesagt, auch die dorsale Partie, denn nunmehr reichen die 
Gollschen Stränge bis zur dorsalen grauen Kommissur. Dabei 
sind sie an ihrem freien Rande nicht eingesunken und haben 
demnach auch eine innere Dehnung erfahren. Diese wird durch 
den mit der Decussatio in ihnen auftretenden Kern herbeigeführt. 
Die Burdachschen Stränge erscheinen etwas kleiner als an- 
fänglich, was auf ihre starke Beteiligung an der Pyramiden- 
kreuzung zurückzuführen ist Sie werden vom Mark her in der 
üblichen Weise ausgehöhlt, indem die graue Substanz keilartig 
in sie eindringt. Die gleichzeitig in ihnen auftretenden unregel- 
mässigen, kleinen und disseminiert stehenden Kernflecken ver- 
schwinden bald und werden erst später durch einen grossen Kern 
ersetzt. Der Volumsabnahme dieser Stränge ist es zu danken, 
dass die dorsalen Säulen auch bei voll entwickelter Pyramiden- 
kreuzung ihre ursprüngliche, d. h. dorsale Lage beibehalten haben, 
zumal ihre Rolandosche Substanz sich nicht vermehrt, eine 
Grössenzunahme bei ihnen daher nicht statthat. Der sie aussen 


oo 
ot 
ot 


Das Zentralnervensystem der Cataceen. 


begrenzende Rest des dorsalen Stranges erscheint als ein sehr 
dünner Nervenbelag. 

Während die Pyramidenkreuzung immer stärker wird und 
sich dabei gleichzeitig auf die medialen Flächen der ventralen 
Stränge auflegt, wodurch diese stark komprimiert werden, geht 
die Bildung des Retikulum nur sehr langsam vor sich. Denn 
man kann noch sehr weit kapitalwärts die ventralen und lateralen 
Säulen erkennen. Frühzeitig tritt dagegen die Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn als deutlich sichtbares Gebilde auf. Sie erscheint 
als ein unregelmässig konturiertes Nervenkonvolut am ventro- 
lateralen Ende der dorsalen Säule,,,myd ist von dem eigentlichen 
Seitenstrang durch einen konstant . „einen Spalt getrennt, welcher 
von einem Piafortsatz ausgefüllt wird. 

Bald kommt es zur ersten Andeutung der Pyramiden, welche 
im Verein mit der noch immer sehr mächtigen Decussatio die 
medianen Partien der ventralen Stränge auf einen sehr schmalen 
Raum komprimieren. Letztere können nämlich nicht seitlich 
ausweichen, weil ihnen hier die noch nicht vom Retikulum und 
vom zentralen Grau aufgesogenen ventralen Säulen ein unüber- 
windliches Hindernis entgegenstellen. Das zentrale Grau, in 
welchem der sehr kleine kreisrunde Zentralkanal gelegen ist, hat 
sich differenziert. Es wird lateral durch die massenhaft aus den 
Gollschen und Burdachschen Strängen in schön geschwungenem 
Bogen zur Decussatio ziehenden Fasern abgegrenzt, ventral stösst 
es an die Kreuzung, dorsal an die Gollschen Stränge an. Bei 
letzteren kann eigentlich nicht mehr von Strängen gesprochen 
werden. denn sie bestehen nicht mehr aus irgendwie kompakten 
Nervenmassen, sondern stellen grosse, dorsoventral gestreckte 
Kerne dar, in welchen wirr durcheinander geworfene Nerven- 
fasern der verschiedensten Verlaufsrichtung sich finden. Sie sind 
sehr beträchtlich grösser geworden; im Vergleich zu ihrem an- 
fänglichen Maß kann man eine Volumszunahme um mehr als das 
Doppelte konstatieren. Dadurch haben sie die Burdachschen 
Stränge, deren Rarefizierung vom Mark aus schnelle Fortschritte 
macht, lateral gedrängt und diese ihrerseits haben eine ventro- 
laterale Verlagerung der dorsalen Säulen herbeigeführt. Letztere 
finden sich daher nicht mehr am dorsalen Markkontur, sondern 
gehören jetzt dem lateralen an. Ihr äusserer Nervenbelag ist 
etwas stärker geworden, während ihre innere Konfiguration un- 


356 Bernhard Rawitz: 


verändert geblieben ist. Der Seitenstrangskern ist in fast margi- 
naler Lage als ein ziemlich kleines unscharfes Gebilde erschienen. 
Bald aber vergrössert er sich in ganz erheblichem Maße und mit 
dieser Zunahme seines Umfanges geht einher eine Zunahme der 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn. Sie dehnt sich nämlich nach dorsal 
hin stark aus und legt sich aussen auf die Burdachschen Stränge 
auf. Letztere werden nun nicht mehr ausschliesslich vom Mark 
her rarefiziert, sondern auch von einem in ihrem Innern gelegenen 
Kern. Dieser, aus grossen Ganglienzellen bestehend, tritt am 
lateralen Rande des Stranges innerhalb seiner Fasermassen zu- 
nächst als ein kleiner Flec'iv4uf. Er vergrössert sich rapide, so 
dass nach kurzer Zeit ein mächtiger Kern im Stranginnern vor- 
handen ist, welcher in Gemeinschaft mit der vom Mark her 
vordringenden grauen Substanz den Rest des Strangmassivs 
zwischen sich fasst und dieses sehr bald aufbraucht. 
Gleichzeitig mit diesen Vorgängen im Burdachschen 
Strange hat sich der Funktionswechsel in den dorsalen Säulen 
und ihrem Nervenbelag vollzogen, d. h. es ist jetzt die auf- 
steigende Trigeminuswurzel entstanden. Die Rolandosche 
Substanz der Säulen ist verschwunden, es existiert nur noch 
kleinzelliges Grau. Die Nervenmasse der Wurzel ist erheblich 
vermehrt und bildet einen mondsichelartigen Belag des zugehörigen 
Kernes. Die aussen von der Wurzel gelegene Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn hat sie nach innen und die durch den Kern bewirkte 
Ausdehnung des Burdachschen Stranges hat sie nach ventral 
gedrängt. Sie grenzt jetzt an den Seitenstrangskern. Ebenfalls 
gleichzeitig mit den geschilderten Vorgängen haben sich die 
Gollschen Kerne wiederum bedeutend vergrössert. Sie liegen 
einander in der Medianlinie dicht an, da der sie trennende 
Piafortsatz sehr zart ist. Nach den Seiten und besonders an 
ihrer dorsalen Partie haben sie sich derartig gedehnt, dass sie 
jetzt so gross sind wie am Beginn der Oblongata Gollscher 
und Burdachscher Strang zusammen. Sie gleichen grossen 
rechtwinkligen Keilen, die ihre Hypotenuse gegen den Markkern 
des Burdachschen Stranges wenden. Vergleicht man sie mit 
den inzwischen erschienenen Pyramiden, so können sie als deren 
dorsales Gegenstück bezeichnet werden: genau dieselbe Gestalt 
bei beiden, genau dieselbe Orientierung, nämlich die Hypotenuse 
nach lateral gekehrt, und beide von entschiedenem Einfluss auf 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 997 
die Gestaltung des Markes. Nur der Unterschied besteht, dass 
die umgewandelten Gollschen Stränge jetzt fast ausschliesslich 
aus grauer, die Pyramiden dagegen nur aus weisser Substanz 
bestehen. 

Inzwischen hat das Retikulum seine normale Ausdehnung 
erlangt und nur noch einen Rest der ventralen Säulen in der 
Nähe des zentralen Grau freigelassen. Und ferner treten jetzt, 
wo die Pyramidenkreuzung zu Ende geht, die Fasern der 
Schleifenkreuzung auf. 

Wenn die geschilderte innere Konfiguration der Oblongata 
erreicht ist, dann zeigt sich im Schnitt die erste Andeutung der 
kaudalen Olive. Sie entwickelt sich allmählich und erreicht ihre 
volle Ausbildung erst sehr viel später kapitalwärts, als dies bei 
den vorher geschilderten Spezies der Fall war. Ich will ihr 
Aussehen aus jener Gegend schildern, wo sie in ihrer ganzen 
Ausdehnung zu sehen ist. Denn dadurch wird der Unterschied 
zu den übrigen Tieren und zum Menschen am leichtesten 
erkennbar. Diesen Unterschied schärfer zu betonen, als dies 
meines Erachtens bisher geschehen, wird im II. Teil dieser 
Abhandlung erfolgen. Dass dies mit Nutzen geschehe, dazu ist 
es notwendig. dass der Bau des Gebildes verstanden ist. Ihre 
volle Ausbildung also zeigt die Olive (Fig. 46) in einer Gegend, 
wo die aufsteigende Glossopharyngeuswurzel in breitem Zuge 
das Mark verlässt, andere Nervenbahnen dagegen fehlen und das 
zentrale Höhlengrau seine Vereinheitlichung erfahren hat. Sie 
erstreckt sich von medial und dorsal in schräger Richtung nach 
ventral und lateral und reicht hier so nahe an den Markkontur, 
dass sie von diesem ausser durch ihren eigenen Nervenmantel 
nur durch eine dünne Schicht der Seitenstrangsfasern geschieden 
wird. Was für die kaudale Olive gegenüber dem gleichen Gebilde 
anderer Spezies, auch der Prosimii, charakteristisch ist und 
wodurch sie sich in ihrem Aussehen der Olive des Menschen 
nähert, das ist die Beschaffenheit. oder, wenn man will, die 
Anordnung ihrer grauen Substanz. Der Eindruck ist nicht von 
der Hand zu weisen: die Fältelungen der grauen Substanz der 
Olive gleichen typisch den inneren Windungen der Grosshirn- 
rinde (Fig. 46). Es sind Gyri vorhanden, welche eine Art Corona 
radiata umschliessen. Und die aus den einzelnen Windungen 
hervorgehenden Teile dieser Corona gehen in eine allerdings 


358 Bernhard Rawitz: 


sehr schmale weisse Substanz über, welche sich in leichter 
dorsaler Aufrichtung gegen die dorsal von den Pyramiden gelegenen 
Massen der ventralen Strangreste hinzieht. Der Hilus ist deutlich 
und ist median gekehrt. Und nur weil das Organ eine Neigung 
nach ventrolateral zeigt, steht der Hilus nicht in der trans- 
versalen Achse. Es kann meines Erachtens keinem Zweifel unter- 
liegen, dass die Fasern dieser Corona radiata — ich gebrauche hier 
absichtlich nicht die bisher übliche Terminologie, weil sie mir 
nicht richtig erscheint — ausschliesslich aus den Gyri der Olive 
stammen. Aussen wird das Organ von einem zarten Mantel 
zirkulär. d. h. konzentrisch um das Organ herum verlaufender 
Nervenfasern umhüllt. Dieser Mantel wird etwas undeutlich da, 
wo die Olive den Pyramiden aufliegt, und auch da, wo sie an 
das Retikulum und die ventralen Strangreste anstösst, also an 
ihrem medialen und dorsalen Ende. Doch bin ich der Meinung, 
dass hierin nur eine sekundäre Erscheinung zu erkennen ist. 
Die kaudale Olive nämlich — und dadurch unterscheidet sie sich 
auf das schärfste von der kapitalen — übt bei Rhesus einen 
bedeutenden mechanischen Einfluss aus. Was sich ihr in den 
Weg stellt, wird entweder bei Seite gedrängt, und dies ist im 
grössten Abschnitt ihres Umfanges der Fall, oder es wird 
zusammengepresst. Letzteres tritt an den genannten Stellen ein. 
Und infolge dieser Zusammenpressung, durch welche die Nerven- 
massen der Pyramiden und ventralen Strangreste in der Nähe 
der Oliven ganz besonders dicht erscheinen, verwischt sich auch 
die Grenze zwischen ihrem Mantel und den erwähnten Teilen, 
d. h. jener wird undeutlich. In die Zwischenräume, welche 
aussen zwischen der Olivengyri vorhanden sind, treten aus dem 
Mantel Fasern und diese begeben sich zum Olivengrau, um hier 
zu enden. Im Hilus treten nur Fasermassen aus, aber keine 
ein. Die Mantelfasern stammen aus der Umgebung, doch ist es 
nicht ganz leicht, ihre Herkunft einwandfrei festzustellen; die 
folgenden Angaben beanspruchen daher auch nur approximative 
Geltung. Einen Teil der Fasern liefern die Arcuatae internae; 
ein anderer Teil kommt aus der Gegend der Kleinhirn-Seiten- 
strangsbahn. Letztere strömen in welligem Verlaufe zur Olive hin. 

Noch ein Wort über die Nebenolive. Wie bei den bisher 
geschilderten Spezies so habe ich auch bei Macacus rhesus mich 
nicht von der gesonderten Existenz eines solchen Gebildes über- 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 359 


zeugen können. Wo immer ich Bildungen antraf, welche im 
Schnitt nicht direkt mit der Hauptmasse der Olive zusammen- 
hingen, immer belehrte mich die Serie, dass es dennoch 
integrierende Teile der Olive waren. Und auch der abgebildete 
Schnitt (Fig. 46) beweist, dass nur eine Olive, aber keinerlei 
Nebenolive existiert. Ja manche Autoren haben sogar die in der 
Schnittserie zuerst sich zeigenden Olivenpartien, die sich als 
rundliche Flecken darstellen, wie das bei einem Tangentialschnitt 
selbstverständlich, als besondere Kerne (Nucleus olivarius 
accessorius etc.) bezeichnet und diese Bezeichnungen sind leider 
in die Lehrbücher übergegangen. Es gibt keine derartigen 
Kerne, wie das Studium lückenloser Schnittserien lehrt; wo sie 
sich zeigen, handelt es sich um die am weitesten kaudal oder 
kapital gelegenen Organpartien, die tangential getroffen wurden. 

Kehren wir nunmehr zur Öblongata zurück, wo wir sie 
vorhin behufs Erledigung der Oliven verlassen. Mit dem ge- 
schilderten ersten Auftreten der Oliven, der Ansbildung der keil- 
förmigen Pyramiden und dem Schwächerwerden der Decussatio 
treten in starken Zügen die Arcuatae auf. Sie kommen aus- 
schliesslich aus den Goll-Burdachschen Kernen. Ferner findet 
sich der Hypoglossus ein. Er entspringt vom zentralen Grau, 
das noch nicht seine Zweiteilung erlangt hat, geht in mehreren 
unterbrochenen Strängen direkt dorsoventral und durchsetzt dabei 
die ersten Andeutungen der Oliven. Die Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn rückt weiter dorsalwärts über den Burdachkern vor, 
während der Seitenstrangskern sich verkleinert. Die Nerven- 
masse des Burdachschen Stranges ist in dieser Gegend auf ein 
Minimum reduziert. 

Nunmehr beginnt ein rapides Anwachsen des zentralen Grau, 
in welchem sich jetzt die beiden Teile differenzieren. Das 
dunkle Grau, der Hypoglossuskern, ist klein und hat durch die 
eigentümliche Gruppierung der in ihm vorhandenen Nerven- 
fasern rundliche Konturen. Mächtig wächst nach vollendeter 
Differenzierung das helle Grau an, in welchem die grossen 
Ganglienzellen, der Vaguskern, eine bestimmte Anordnung, wie 
sie bei manchen früheren Spezies zu beobachten war, nicht dar- 
bieten. Dieses Wachstum des hellen Grau übt einen bedeutenden 
mechanischen Effekt nach dorsalwärts aus. Zunächst werden 
die Gollkerne, welche noch immer die ersten, d. h. innersten 


360 Bernhard Rawitz: 


Kreuzungsfasern absondern, etwas komprimiert und schliesslich 
auseinandergedrängt Dadurch gelangt das helle Grau an den 
Markrand und reisst, wenn es diesen erreicht hat, ein. Der 
Spalt erweitert sich, dringt dem leicht gedehnten Zentralkanal 
entgegen und so kommt es zur Bildung des IV. Ventrikels. 


Gleichzeitig leitet sich die Vereinigung von Gollkern und 
jenem Teil des Burdachkerns ein, der von dem zentralen Grau 
des Markes entstanden ist. Bald vereinigt sich dieser mit jenem 
vorhin erwähnten grosszelligen Kern, der im Innern des Burdach- 
schen Stranges aufgetreten war und ihn daher von innen her 
ausgehöhlt hatte. Denn der letzte Rest des Strangmassivs ver- 
schwindet und wird zu Fibrae arcuatae. Der Seitenstrangskern 
vergrössert sich wieder einmal. Erst wenn der Ventrikel sich 
geöffnet hat, dessen Ränder dann sehr steil abfallen, erst dann 
erscheint in der lateralen Ecke des hellen Grau die aufsteigende 
(lossopharyngeuswurzel. 


Nur allmählich legen sich die Wände des Ventrikels aus- 
einander, die noch lange ziemlich steil zu dem spitzwinklig ein- 
geschnittenen Boden abfallen. Infolge der Erweiterung rückt 
der vereinigte Goll-Burdach-Kern bis an die dorsale Markecke, 
wo er an die inzwischen sehr voluminös gewordene Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn angrenzt. In mächtigem Strome ziehen von 
diesem Kern die Arcuatae erst ventral dann transversal, um sich 
zu der breiten Raphe zu begeben. Gleichen Schritt hat mit 
diesen Veränderungen die Ausbildung der Oliven gehalten. Ihre 
(srössenzunahme hat namentlich in der Nachbarschaft der Median- 
linie zu jener Zusammenpressung der Fasern der ventralen Stränge 
geführt, die vorhin bei der ausführlichen Schilderung der Oliven 
erwähnt wurde. Ob es notwendig und nützlich ist, diese mechanisch 
gepressten Partien durch eine besondere Benennung hervor- 
zubeben, erscheint mir sehr fraglich. 


Erwähnt wurde, dass der Hypoglossus, wo die Oliven im 
Schnitt eben auftreten, durch deren lateralen Teil hindurch das 
verlängerte Mark verlässt. Hierin hat sich die Situation in- 
zwischen verändert. Die Oliven nämlich haben sich nach ventro- 
lateral ausgedehnt und daher wird jetzt ihr medialer Abschnitt 
vom Hypoglossus durchquert. Die ersten intramedullaren Vagus- 
züge sind erschienen; sie gehen von ihrem bekannten Kern in 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 361 


transversaler Richtung auf die Mitte der aufsteigenden Trigeminus- 
wurzel zu. 

Der Seitenstrangskern verkleinert sich allmählich und 
schwindet schliesslich ganz. Die Kleinhirn -Seitenstrangsbahn 
nimmt an Umfang zu und erhält in der Nähe der Trigeminus- 
wurzel, also an ihrem ventralen Ende, einen kleinen Kern, den 
ich für den Monakowschen Kern halte. Er erreicht keinen 
bedeutenden Umfang, höhlt doch aber die Bahn da, wo er liegt, 
ein wenig aus. Auch in der Trigeminuswurzel treten unregel- 
mässige und inkonstante Kernflecken auf. Sehr interessant ist 
das Verhaiten, welches der Goll-Burdachkern allmählich an- 
genommen hat. Er hat sich zunächst nach lateral, dank der 
fortschreitenden Ausweitung des Ventrikels, so ausgedehnt, 
bezw. so sehr verlagert, dass er die Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
von der dorsalen Ecke des Markes weg und auf dem Seitenrande 
nach ventral gedrängt hat. Der ganze dorsale Kontur der 
Oblongata wird daher jetzt von grauer Substanz eingenommen; 
am Boden des Ventrikels liegt der Hypoglossuskern, der helle 
Teil des zentralen Höhlengrau nimmt die Seitenwand ein und 
reicht daher über zwei Drittel des dorsalen Markkonturs nach 
lateral. Dann folgt der Goll-Burdachkern. In seinem 
innersten, an das Höhlengrau angrenzenden Abschnitte sind 
die ersten, disseminiert stehenden Bündel der kapitokaudalen 
Acusticuswurzel aufgetreten, zwischen denen zahlreiche grosse 
(ranglienzellen liegen. Nach aussen davon gehen in grossen 
Massen die Arcuatae ab, welche sich also nach innen von der 
Trigeminuswurzel finden und deren Kern durchqueren. Von 
jenem Teil des Goll-Burdachkernes, welcher der Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn anliegt, gehen ebenfalls Faserbündel in zonaler 
Richtung ab. Man hat Mühe, diese Bündel von jener kompakten 
Bahn zu trennen. Sie verlaufen zwischen Seitenstrang und 
Trigeminuswurzel, sind daher kompakt, weil sie auf einen sehr 
engen Raum zusammengepresst sind, fasern sich aber dann an 
der letzteren ventralem Ende auseinander und sind nun bis in 
die Olive zu verfolgen. 

Die weiteren Veränderungen dokumentieren sich wesentlich 
an der Kleinhirn-Seitenstrangsbalın, und zwar dadurch, dass diese 
immer mehr am Seitenrande der Oblongata nach ventral rutscht. 


Der Ventrikel legt sich weiter aus, dadurch wird die kapito- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 24 


362 Bernhard Rawitz: 


kaudale Acusticuswurzel immer mehr in die laterale Ecke und 
der Rest des Goll-Burdachkernes ventral gedrängt. Die von 
letzterem ausgehenden Arcuatae werden dünner und weniger 
zahlreich, je mehr Teile des Kerns sich dem Funktionswechsel 
zum Kern der kapitokaudalen Acusticuswurzel unterziehen. Es 
fällt mir hier zum ersten Male auf, dass mit letzterem eine 
Volumsabnahme des Kerns verbunden ist. Das Analogon dazu 
ist die Volumsverringerung der zum Kern der aufsteigenden 
Trigeminuswurzel sich umwandelnden dorsalen Säule. 

Der Hypoglossus, dessen ventrale Austrittsstellen bald 
schwinden, fängt nunmehr an undeutlicher zu werden. das heisst, 
die Zahl seiner intramedullaren Züge nimmt ab, und was von 
solchen noch übrig bleibt, ist dünn, erscheint reduziert. Wenn 
die kaudale Olive ihre früher beschriebene volle Ausbildung im 
Schnitte zeigt, wenn dieser also die Mitte des betreffenden Organs 
getroffen hat, dann ist intramedullar der Hypoglossus erledigt 
und nur sein Kern persistiert noch einige Zeit. Auch der Vagus 
wird mit dem Hypoglossus schwächer, während zugleich der 
Glossopharyngeus erscheint. Hier findet also kein einfaches 
Remplacement des einen Nerven durch den anderen statt, da 
man beide gleichzeitig antrifft. Der Glossopharyngeus, welcher 
nur vom blassen Höhlengrau entspringt, zieht dorsal vom Vagus, 
aber parallel zu diesem nach aussen. Mit dem intramedullaren 
Erscheinen des Glossopharyngeus beginnt die Vereinheitlichung 
des zentralen Höhlengrau, welche in der gleichen Weise vor sich 
geht, wie sie vorhin bei Lemur varius geschildert wurde. Ist der 
Rest des hellen Grau in die laterale Ecke an das Retikulum 
herangedrängt, dann tritt in breiten Zügen die aufsteigende 
Glossopharyngeuswurzel nach aussen. um am lateralen Kontur 
durch die sehr massig gewordene Trigeminuswurzel hindurch das 
Mark zu verlassen (Fig. 46). Es ist dies jene Gegend, in welcher 
die Olive in voller Ausbildung zu sehen ist. Die Kleinhirn- 
Seitenstrangsbahn ist ein dem Markkontur entsprechend gedehntes 
Gebilde geworden und hat im Schnitt wurstförmiges Aussehen 
erlangt. Die von demjenigen Rest des Burdachschen Kernes, 
der bisher für die kapitokaudale Acusticuswurzel keine Verwendung 
fand, ausgehenden Arcuatae schliessen nach ihrer Ausfaserung 
die erste Andeutung des Facialiskerns ein. Interessant ist, dass 
aus der Gegend der hier bereits sehr gut ausgebildeten, eben 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 363 


genannten Acusticuswurzel überaus feine Fasern als Arcuatae zur 
Raphe ziehen, also eine Verbindung des Nerven mit der Peripherie 
herstellen. Diese Verbindungszüge werden sehr bald stärker und 
dadurch auch deutlicher. Die ersterwähnten Fasern, welche als 
kompaktes Bündel zwischen Kleinhirn - Seitenstrangsbahn und 
Trigeminuswurzel — der Kern der letzteren ist sehr klein ge- 
worden — sich finden, stammen bekanntlich auch aus dem Goll- 
Burdachkern. Sie können aber von der Stelle ab, wo der 
Facialiskern etwas deutlicher geworden, nicht mehr als einfache, 
gewissermaßen indifferente Arcuatae angesehen werden, sondern 
sind ebenfalls als Acustieusfasern zu betrachten; es hat also ein 
Remplacement stattgefunden. 

Die Oblongata von Macacus rhesus zeigt im Gegensatz zu 
der niederer Säugetierspezies, mit Ausnahme der Insektivoren, 
nicht das oft erwähnte Ruhestadium. Denn während die auf- 
steigende Glossopharyngeuswurzel noch in breitem Zuge durch 
das Mark geht, ist bereits seitlich von diesem der Kern der 
kaudalen Acusticuswurzel erschienen. Er bietet keinerlei Be- 
sonderheiten, stellt also wie gewöhnlich ein Stück vom Mark 
zunächst getrennter grauer Substanz von Hirnrinden-Charakter 
dar, in welchem zwischen den kleinen Ganelienzellen sehr bald 
Nervenfasern sich einstellen. Nur das sei als beachtenswert 
hervorgehoben, dass schon die kaudale Wurzel des Acusticus in 
breitem Zuge ihren Kern verlässt, ehe noch im Schnitt die Ver- 
einigung des letzteren mit der Oblongata erfolgt ist. Das heisst 
also: das Tuberculum acusticum von Rhesus ist eine sehr stark 
vorragende Partie des verlängerten Markes. Mit dem Auftreten 
des kaudalen Acusticuskernes ist ein anderer Kern gross geworden, 
der schon weiter kaudalwärts wie eine kleine rundliche Rare- 
fikation des Retikulum sichtbar war. Es ist dies der Facialiskern. 

Mit der weiteren Entwicklung des kaudalen Acusticus geht 
einher erstens die Ausbildung des Corpus trapezoides, zweitens 
eine so rapide Grössenabnahme der Olive, dass sie geschwunden ist, 
noch ehe die kapitokaudale Acusticuswurzel sich zum Austritt 
anschickt. Auch die Verschmelzung der Bindearme mit der 
Oblongata ist noch nicht perfekt. Von Interesse ist es festzu- 
stellen, dass diejenige Verdichtung der ventralen Strangmassen, 
die ich bei Beschreibung der Oliven erwähnt und deren Ent- 
stehung ich auf eine mechanische Kompression zurückführte, auch 


24* 


364 Bernhard Rawitz: 


noch kapitalwärts von den Oliven sich erhält. Aber auch hier 
glaube ich ein mechanisches Moment dafür in Anspruch nehmen 
zu können, und zwar erblicke ich es in den Bindearmen. Wie 
mit deren Auftreten zunächst eine Zusammendrängung des Massivs 
der Kleinhirn-Seitenstrangsbahn verbunden ist, so dass dieses 
Gebilde jetzt drehrunde Form erlangt, so drücken die Bindearme 
auch unstreitig auf den Rand der Oblongata. Denn letzterer zeigt 
ein viel dichteres Gefüge als das Retikulum, und die Kompression 
der Nervenbündel muss da am stärksten ausfallen, wo der grösste 
Widerstand vorhanden ist. Dieser aber findet sich dorsal von 
den Pyramiden in der Raphe, welche nicht mehr gepresst werden 
kann als es geschieht: d.h. sie kann nicht zum Verschwinden 
gebracht werden. Ferner spricht für die mechanische Ursache 
der erwähnten Erscheinungen, dass mit dem Fortfall der Oliven 
die Pyramiden, welche ebenfalls gepresst waren, drehrunde Stränge 
geworden sind. Bei diesen Gebilden, welche dem Mark nur an- 
liegen, fällt jener Widerstand fort, den die Raphe darbietet. | 

Das Auftreten der Bindearme hat die gewöhnlichen Folgen, 
also: Verdrängung des kaudalen Acusticuskernes, so dass dieser 
nur noch einen lateralen Belag der betreffenden Wurzel darstellt. 
Ferner: Übergang der kapitokaudalen Wurzelbündel in die dor- 
sale Richtung, wodurch die kapitale Wurzel (vordere Wurzel der 
Autoren) entsteht. Ferner strömen Fasermassen aus dem grossen 
Kern des Cerebellum in die Bindearme und begeben sich in der 
bekannten Weise medianwärts. Ausserordentlich intensiv aus- 
gebildet sind die Verbindungsfasern beider Teile des Acusticus 
mit der Peripherie in der vorhin geschilderten Weise. Und sie 
erhalten sich, wenn das Corpus trapezoides, das eine ebensolche 
Verbindung darstellt, allmählich durch die vom Bindearm stam- 
menden und denselben Weg ziehenden Fasern ersetzt wird. Dass 
letztere zu Ponsfasern werden, ist hier genau wie bei anderen 
Arten der Fall. Endlich stellen noch die gut ausgebildeten und 
am dorsalen Markrande sichtbaren Striae acusticae eineVerbindung 
des Hörnerven mit der Raphe dar. 

Der Facialiskern hat sich ganz bedeutend vergrössert und 
entsendet dorsalwärts seinen mächtigen Nervenstrom. Die auf- 
steigende Trigeminuswurzel, zwischen Kleinhirn-Seitenstrangsbahn 
und Faeialiskern eingeklemmt, ist ganz ventral gedrängt und 
liegt jetzt der ventralen Oblongataecke an. Auffällig früh wird jene 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 365 


eben erwähnte Bahn aufgebraucht. Bereits da, wo die kapitale 
oder kleine Olive zuerst sichtbar wird, ist das gesamte Massiv 
der Bahn in die dorsoventrale Verlaufsrichtung eingelenkt und in 
der weissen Substanz des Kleinhirns untergegangen. Und es ist 
im Vergleich zu den früher behandelten Spezies beachtenswert, 
dass diese Umwandlung oder besser Aufsaugung noch in den 
Bindearmen selber statthat, dass also eine Wanderung der Bahn 
in die Üerebellarsubstanz unterbleibt. 

Während die kapitale oder kleine Olive rasch an Umfang 
zunimmt, wobei sie aber im Gegensatz zu den früheren Gruppen 
merkwürdig verwaschene Konturen zeigt, verkleinert sich der 
Facialiskern und kommt es zur Ausbildung des Facialisknies. 
Dieses liegt dorsal dem inneren Ende der ventralen Strangreste 
auf und hat dabei den Abducenskern, welcher aus dem medialen 
Teil des zentralen Höhlengrau entstanden ist, ventral gedrängt. 
Mit der definitiven Ausbildung des Facialisknies ist der Facialis 
selber erschienen und reicht von seinem Austritt sehr weit 
intramedullar hinein. Und auch der Abducens ist aufgetreten, 
welcher in mehrfachen, unterbrochenen Zügen das Mark durch- 
setzt, um lateral von den rundlichen Pyramiden auszutreten. 
Massig sind die von den Bindearmen ausgehenden und in das 
Mark sich begebenden Fasern geworden. Als kompaktes Bündel 
ziehen sie am Rande der Oblongata nach innen, um medial von 
der kleinen Olive und dorsal von der Pyramide die bekannte 
Liniierung des Retikulum und der ventralen Strangreste vorzu- 
nehmen. Es sind dies natürlich die am weitesten kaudal gelegenen 
Ponsfasern. Dass wir in dieser Gegend das Ende der Oblongata 
erreicht haben, zeigt sich daran, dass sowohl die Fasern der 
aufsteigenden Trigeminuswurzel in die dorsoventrale Richtung 
einbiegen, als auch daran, dass bereits andere Trigeminusteile 
sich in grosser Breite entwickeln. 

Die weiteren Veränderungen sind die bekannten. Der 
Abducens, welcher übrigens auch Fasern vom Höhlengrau bezieht, 
das dorsal von seinem rundlichen Kern belegen den Ventrikel- 
boden bildet, durchsetzt in sehr zahlreichen dicken Strängen 
das Mark, während der Facialis am Abducenskern intramedullar 
zunächst still hält. Und der Pons fängt an das mikroskopische 
Bild zu beherrschen. Erst wenn die Abducensfasern geschwunden 
sind, welche vom eigentlichen Höhlengrau stammen, findet die 


366 Bernhard Rawitz: 


Vereinigung des Facialis mit seinem Knie dadurch statt, dass 
der Stamm in die transversale Richtung einbiegt und am 
Höhlengrau entlang zieht.‘ 

Zuerst schwindet nun der Facialis völlig, dessen Knie bei 
Rhesus also nicht so weit kapitalwärts reicht wie bei niederen 
Tieren. Dann erst wird der Abducens, welcher den inzwischen 
voll ausgebildeten Pons durchsetzt, intramedullar schwächer, 
während sein Austritt längst geschwunden ist. Der Kern 
dagegen persistiert noch. Dann ist auch der intramedullare 
Abducensrest fort, es verschwindet der entsprechende Nerven- 
kern und somit sind alle diejenigen Gebilde beseitigt, welche 
zur Oblongata gehören. Das findet in einer Gegend statt, welche 
weit kapitalwärts von der morphologisch so zu nennenden 
Medulla oblongata gelegen ist. 


12. Homo sapiens L. 

Wenig bleibt mir zu berichten über die ÖOblongata des 
Menschen. Ist dieser doch diejenige Spezies, welche natur- 
gemäss von allen Säugetierarten am meisten und intensivsten 
untersucht und beschrieben worden ist. Dass hier neues bezüglich 
der Bahnen und des inneren Aufbaues nicht zu finden sein würde, 
musste von vornherein erwartet werden. So will ich mich denn 
auf die Punkte beschränken, welche für die Mechanik der 
Oblongatabildung in Betracht kommen. 

Zuerst ist hier die Pyramidenkreuzung zu nennen, weil sie 
den Übergang von der Medulla spinalis zur Medulla oblongata 
darstellt. Bekannt ist die geradezu riesige Ausdehnung, welche 
die Decussatio beim Menschen erreicht. Wie ein ungefüger 
Keil, dem von allen Seiten die Fasern in gewaltigen Massen 
zuströmen, dringt sie in den Suleus ventralis ein und quetscht 
zur Seite, was sich ihr entgegenstellt. Dabei verdienen aber 
die folgenden beiden Tatsachen volle Würdigung. Erstens erreicht 
die Decussatio nie direkt das Freie, weil es ihr nicht gelingt, 
die ventralen Stränge ganz beiseite zu schieben. Letztere viel- 
mehr legen sich an ihrem freien Rande medial aneinander und 
schliessen so die Decussatio von der Oberfläche ab. Und zweitens 
bewirkt sie keine oder wenigstens keine erhebliche Zunahme 
des transversalen Durchmessers des Markes. Wohl aber wächst 
des letzteren dorsoventraler Durchmesser. Dies ist jedoch nur 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 367 


zu einem Teile Schuld der Decussatio, zu einem anderen Teile 
sind dafür die Gollschen und Burdachschen Stränge ver- 
antwortlich zu machen. Denn dank den in ihnen sich aus- 
breitenden Kernen — Burdach wird nur vom zentralen Grau 
her rarefiziert, in seinem Innern tritt im Gegensatz zu Rhesus 
kein Kern auf — blähen sich die Stränge derartig auf, dass 
sie sich in dorsoventraler Richtung strecken. Sie drängen dabei 
zu gleicher Zeit die dorsalen Säulen ventrolateral, welch letztere 
übrigens keine Vermehrung ihrer Substanz zeigen. Auch die 
Pyramiden vermehren nur den dorsoventralen Durchmesser des 
Organs in einer Weise, welche sich kaum von der der übrigen 
Säuger unterscheidet. Denn es ist merkwürdig, dass die 
Pyramiden des Menschen relativ zum Umfang der Oblongata 
und zur Riesenhaftigkeit der Decussatio nicht grösser sind als 
bei kleineren Tieren mit schwacher Kreuzung. 

Das zweite Organ, welches auf die Oblongatabildung von 
Einfluss ist, ist die kaudale Olive. Diese, welche beim Menschen 
die höchste Differenzierung erfahren hat, besitzt eine derartige 
(srösse, dass sie den Durchmesser in transversaler Richtung 
bedeutend vermehrt. Noch mehr aber wächst mit den Oliven 
der dorsoventrale Durchmesser. Denn diese Gebilde zeigen zwar 
ihre grösste Ausdehnung in transversaler Richtung, stossen aber 
alle anderen Teile nach dorsal und ventral fort. Auf einem 
Schnitte, welcher durch ihre Mitte gegangen ist, zeigt sich ihre 
Textur am besten (Fig. 47). Ihre Lage ist zunächst eine rein 
transversale, wenn man den Hilus berücksichtigt; denn dieser 
zeigt keine Neigung mehr nach dorsal. Die Olive reicht lateral 
bis fast an den Markkontur, von dem sie durch eine nicht allzu 
dicke Lage der Seitenstrangsfasern getrennt ist. Auch ventral 
geht sie bis in die Nähe des Öblongatarandes. Die graue 
Substanz, für welche der meines Erachtens ganz sinnlose Name 
„Nucleus dentatus“ eingeführt ist, besitzt in viel höherem 
Grade als bei Rhesus den Charakter der Windungen der grauen 
Grosshirnrinde Und wie bei letzterer die von ihr abgehenden 
Nervenfasern eine Corona radiata bilden, so auch bei der Olive. 
Auch hier gehen aus den Windungen Nervenfasern hervor, die 
sich im Zentrum des Organs zu einer breiten, weissen Masse 
ansammeln, welche direkt transversal zieht. Dadurch wird der 
Hilus der Olive hergestellt. Die Fasern gehen dorsal von den 


368 Bernhard Rawitz: 


durch die Olive gequetschten Pyramiden zur Raphe. Die Substanz 
der ventralen Stränge, welche sie dabei durchsetzen, ist ver- 
dichtet; die mechanischen Gründe dieser Erscheinung wurden 
bei der vorigen Spezies auseinander gesetzt. Die Fasern, welche 
die zentrale weisse Masse des Organs zusammensetzen, entstehen 
ausschliesslich in seiner grauen Substanz. Es gibt Faserzüge, 
doch sind sie spärlich, welche vom Retikulum aus durch die 
Olive hindurchgehen. Diese trifft man nur da, wo der Hilus 
sich an die komprimierten ventralen Stränge anlegt. Umgeben 
wird die kaudale Olive von einem Nervenmantel, der an den 
marginalen Partien des Organs und in der Nachbarschaft der 
Pyramiden sehr gut ausgeprägt ist, dagegen weniger deutlich 
an jenen Stellen erscheint, welche an das Retikulum angrenzen. 
Dieser Mantel wird von Nerven gebildet, welche aus der näheren 
und entfernteren Umgebung der Oliven stammen — es sind 
wesentlich Fibrae arcuatae — und an der Olive sich zu einem 
kompakten konturierenden Bündel zusammenlegen. Seine Fasern 
treten in die graue Olivensubstanz ein und enden hier, denn 
niemals gehen sie glatt durch die Olive hindurch. Der Eintritt 
der Mantelfasern findet sich in den Zwischenräumen zwischen 
den Aussenrändern der Windungen, da wo bei der Grosshirn- 
rinde die Piafortsätze angetroffen werden. 

Beim Menschen sind zuerst die Nebenoliven beschrieben 
und hier kann man deren Existenz allenfalls zugeben. Denn 
man erkennt tatsächlich zwei Teile grauer Substanz, welche nie- 
mals in die Windungen der Hauptolive eingehen. Es wäre dem- 
nach eine dorsale und eine mediale Nebenolive zu nennen. 
Freilich will ich nicht verhehlen, dass ich hierbei mich nur der 
herrschenden Terminologie anbequeme. Denn ich betrachte auch 
bei Homo diese sogenannten Nebenoliven als integrierende Be- 
standteile der Hauptolive. Sucht man sich aus den Schnitten 
einer lückenlosen Serie das stereometrische Bild des Organs zu 
rekonstruieren, dann stellen die Nebenoliven Teile dar, welche 
durch ihre Nervenmasse direkt dem Hauptorgan angeklebt sind. 
Lediglich dem Umstande, dass diese Nervenmasse da, wo die 
Nebenoliven sich finden, ganz besonders breit ist, dass ferner in 
der Nähe der medianen Nebenolive eine tiefe Bucht des Haupt- 
organs sich findet, welche von weisser Substanz erfüllt ist, die 
zu den Windungen strebt: lediglich diesem Umstande ist die 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 369 


scheinbare Abtrennung der Nebenoliven zuzuschreiben. Aber sie 
gehören ebenso zur Olive, wie, um ein Beispiel anzuführen, der 
Lobus Spigelii zur Leber. 

Dass die Bildung des IV. Ventrikels, der sich lange nicht 
soweit auslegt wie bei niederen Säugern, ein mechanisches Moment 
abgibt, ist selbstverständlich. Die Öffnung des Zentralkanals der 
Medulla spinalis in den Ventrikel ist ja das Hauptmotiv für alle 
Umlagerungen, die in der Oblongata zu konstatieren sind. 

Der Vollständigkeit halber sei auf den Gegensatz hin- 
gewiesen, der zwischen Mensch und Tier bezüglich des kaudalen 
Acusticus herrscht. Denn der Kern dieses Nerven erscheint im 
Schnitt nicht als ein abgetrenntes Stück grauer Substanz, sondern 
ist von Anfang an mit der dorsalen Ecke des Markes verwachsen. 
Er hat auch beim Menschen Grosshirncharakter. 

Für die Umbildungen und Verlagerungen, welche bei der 
Erforschung der menschlichen Oblongata so sehr viel Hindernisse 
darbieten, ist ferner das ausserordentlich frühe Auftreten des 
Pons von Bedeutung. Was bei keiner einzigen der vorher be- 
handelten Spezies zu sehen war, ist hier zu konstatieren: nämlich, 
dass die kaudale Olive noch in ihren letzten Ausläufern im 
Schnitt deutlich vorhanden ist, während die Ponsbildung bereits 
so weit vorgeschritten ist, dass sie das mikroskopische Bild be- 
herrscht. Durch diese frühzeitige mächtige Ausbildung des Pons 
wird unter anderem der Facialiskern stark dorsal gedrängt, so 
dass der von ihm ausgehende Nervenstrom sehr kurz ist. Und 
ferner, was ebenfalls unter allen von mir untersuchten Spezies 
bei Homo allein zu finden ist, muss der Facialis, um zu seinem 
Austritt zu gelangen, durch den kaudalsten Abschnitt des Pons 
gehen. 

Auf diese Notizen will ich mich beschränken. Wollte ich 
weiter auf die Einzelheiten mich einlassen, dann müsste ich die 
vorhandenen Lehrbücher abschreiben, wozu ich keine Neigung 
verspüre. 


B. Allgemeine Betrachtungen. 


1. Das Oblongata-Problem. 


Bevor ich dazu übergehe, diejenigen Betrachtungen über 
das Oblongata-Problem anzustellen, zu welchen die im ersten 
Abschnitt mitgeteilten Tatsachen berechtigen, muss ich nach zwei 


370 Bernhard Rawitz: 


Richtungen eine Captatio benevolentiae aussprechen. Ich habe 
in dieser Arbeit so gut wie gar keine Literatur zitiert, sondern 
nur die wenigen Arbeiten kurz erwähnt, welche die so überaus 
selten untersuchten Marsupialier und Cetaceen zum Gegenstand 
haben. Und ich gedenke auch in den folgenden Zeilen fast keine 
literarischen Notizen zu bringen. Ich bitte nun, in dieser Nicht- 
beachtung keine Nichtachtung und keine Unkenntnis zu sehen. 
Von ersterer kann darum bei mir gar keine Rede sein, weil ich 
gerade durch das Studium der Autoren zu einer von der üblichen 
stark abweichenden Form der Darstellung meiner Untersuchungs- 
ergebnisse gelangt bin. Die Fülle positiven Wissens, welche ich 
aus den Autoren geschöpft, lässt mich deren Arbeitsleistung 
ungemein hochschätzen. Kenntnisse und darauf basierende Achtung 
schliessen aber eo ipso den zweiten Vorwurf aus, der mir even- 
tuell gemacht werden könnte, nämlich den der Unkenntnis der 
Literatur. Ich habe viele hundert Arbeiten „durchaus studiert 
mit heissem Bemühn“ und ich glaube nicht, dass mir viel ent- 
gangen ist. Höchstens könnte ich übersehen haben, dass irgendwo 
in einer mir unbekannten Zeitschrift für Psychiatrie eine Ab- 
handlung über das Zentralnervensystem des Schweines oder des 
Rindes enthalten war. Andere Motive sind es, welche mich ver- 
anlassen, in dieser Arbeit aus dem herkömmlichen Geleise aus- 
zubiegen und eine wörtliche Berücksichtigung der Literatur zu 
unterlassen. Erstens ist die Summe unseres Wissens über die 
Oblongata und dessen Werdegang in den vorzüglichen Lehrbüchern 
enthalten, an welchen gerade unsere deutsche Literatur so reich 
ist. Das klassische Lehrbuch der Neurologie von Schwalbe, 
der treffliche zweite Band des Handbuchs der Gewebelehre von 
Kölliker, das inhaltreiche Lehrbuch von Ziehen, das den 
vierten Band des Bardelebenschen Handbuchs der Anatomie 
bildet, Obersteiners umfassendes Werk „Anleitung beim 
Studium des Baues der nervösen Zentralorgane* und die vor- 
züglichen „Vorlesungen über den Bau der nervösen Zentralorgane 
des Menschen und der Tiere“ von Edinger, welch letzteres 
Werk höchst dankenswert in ausgedehntem Maße auch die 
niederen Vertebraten berücksichtigt: alle diese ausgezeichneten 
zusammenfassenden Bücher lassen wirklich die Zitierung der 
Spezialarbeiten unnötig erscheinen. Zweitens möchte ich in den 
folgenden Betrachtungen an Deiters anknüpfen, weil ich hoffe, 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. ypi 


auf dem von diesem Gelehrten begangenen Wege zu einem Ver- 
ständnis der Mechanik der Oblongatabildung zu gelangen. Ob 
mein in folgendem unternommener Versuch den erhofften Erfolg 
hat, das allerdings muss ich der Beurteilung anderer überlassen. 
Aber da es mir, eben weil ich die Literatur kenne, gut 
und nützlich erschien, einen Weg der Betrachtung zu gehen, der 
vom allgemein inne gehaltenen Wege abweicht, darum glaubte 
ich, darauf verzichten zu dürfen, ja verzichten zu müssen, meine 
Abhandlung mit dem gewaltigen Ballast der Zitate zu be- 
schweren. 

Die zweite Captatio benevolentiae, welche ich auszusprechen 
habe, betrifft die Terminologie. Ich habe ziemlich radikal mit 
der bisher allenthalben angewandten Bezeichnung gebrochen 
und ich bin der Überzeugung, gut daran getan zu haben, will 
aber doch mein Indemnitätsbegehren des näheren begründen. 
Wir besitzen in der Anatomie der nervösen Zentralorgane eine 
solche Unsumme unnötiger und oft falscher Bezeichnungen, wie 
auf keinem anderen Gebiete morphologischer Forschung. Die 
weitaus grösste Zahl von ihnen stammt aus, man kann fast sagen, 
antediluvianischen Epochen. Sie sind meist der Ausdruck davon, 
dass der frühere Beobachter etwas gesehen hat, mit dem Ge- 
sehenen aber nichts anzufangen wusste, weil die innere Konfi- 
guration der Oblongata ihm ein Buch mit sieben Siegeln war 
und blieb. Jetzt, wo uns das Mikroskop und die experimentelle 
Forschung die innere Zusammensetzung der Oblongata und die 
relativen Beziehungen ihrer Teile enthüllt haben, wäre es längst 
an der Zeit gewesen, den Wust von alten Namen über Bord zu 
werfen. Dass dies noch nicht geschehen, beweist, dass nicht 
bloss „Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit“ sich fort- 
erben, sondern auch wissenschaftliche Bezeichnungen. Und letztere 
gehorchen um so intensiver dem Prinzip des Beharrungsvermögens, 
je überflüssiger und zugleich je falscher sie sind. Nur ein Bei- 
spiel statt vieler. Die Bezeichnung „Ala cinerea* ist höchst 
überflüssig, denn sie führt eine Sonderbenennung eines Teiles 
ein, der später zum zentralen Höhlengrau wird. So wird meine 
Emanzipation vom Herkömmlichen nicht ganz unberechtigt er- 
scheinen. 

Im folgenden will ich zunächst das Problem der Oblongata 
erörtern und dann die Nerven des Organs besprechen. 


372 Bernhard Rawitz: 


In seinen klassischen, nach Inhalt und Form gleich hervor- 
ragenden „Untersuchungen über Gehirn und Rückenmark des 
Menschen und der Säugetiere“ spricht Deiters (auf pag. 151) 
den Gedanken aus, dass man an das Studium der Oblongata 
mit einer vorgefassten Meinung herantreten müsse, wolle man 
Erfolg haben. Und die vorgefasste Meinung, von der er ausging, 
war die, „dass die Medulla oblongata und ihre nächste Fort- 
setzung als ein modifiziertes Stück Rückenmark aufzufassen sei, 
wo sich die Verhältnisse zwar sehr ändern, wo aber immerhin 
das bestimmte Schema noch wiederzuerkennen sein muss“. Ich 
möchte nun von folgender vorgefassten Idee bei meinen Be- 
trachtungen ausgehen: Die Medulla oblongata des 
Menschen und der Säugetiere ist ein dorsal auf- 
geschlitztes und dann zur Seite geklapptes Rücken- 
mark. Dadurch treten Verlagerungen seiner Teile ein, die im 
einzelnen aufzusuchen sind und die am kaudalen Ende des 
Schlitzes am geringsten sein müssen. Es kommen aberin 
der Medulla-oblongata neue Teile hinzu — gewisser- 
maßen Neuerwerbungen —, welche sich zwischen die 
alten Teile einschieben und so die ungemeine 
innere Kompliziertheit des Organs bedingen. Es sind 
graue Massen, welche neu auftreten und neue weisse Massen 
entstehen lassen. 

Der Übergang von der Medulla spinalis zur Medulla 
oblongata, noch ehe sich die dorsale Eröffnung des Organs ein- 
leitet, wird durch die Pyramidenkreuzung gebildet. Bei den 
niederen Mammalia beteiligen sich daran fast überall nur dorsale, 
also sensible Fasern, welche direkt oder in gewundenem Ver- 
laufe dorsoventral ziehen. Sie drängen sich zwischen den am 
Sulecus ventralis einander zugekehrten Teilen der ventralen, 
also motorischen Stränge durch und gelangen so an den ihrer 
ursprünglichen Lage gerade entgegengesetzten Rand des Organs, 
wo es zur Bildung von Pyramiden kommen kann, aber nicht zu 
kommen braucht. Und wo die Pyramiden- von einer Schleifen- 
kreuzung abgelöst wird, bei höheren Tieren, da sind es eben- 
falls nur die sensiblen Fasern, welche daran beteiligt sind. Es 
ist ein weiter phylogenetischer Weg von den Marsupialiern zu den 
Prosimiern, aber erst von diesen ab treten in grossen Mengen 
laterale und ventrale Fasern zur Decussatio. Und erst von hier 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 313 


ab — die Caniden ausgenommen — wird die Decussatio massig, 
erscheinen die Pyramiden gross. Von den Lemuriden ab tritt 
die Kreuzung als mechanisches, d. h. aktives Moment in die 
Umbildungsvorgänge ein, welche am Übergang vom Rücken- 
mark zum verlängerten Mark statthaben. Sie presst sich hier 
zwischen die ventralen Strangmassen ein und quetscht diese 
zusammen, da Kompressionserscheinungen an der grauen Substanz 
nicht wahrzunehmen sind. Bis dahin war die Kreuzung gewisser- 
maßen nur passiv an der Umformung beteiligt. Sie entleerte 
die dorsalen weissen Stränge und es hätte sich hier gleichsam 
ein Vacuum bilden müssen, wenn nicht graue Substanz (Kern 
des Gollschen und Burdachschen Stranges) die weisse ab- 
gelöst hätte. 

Hierhaben wir die erste gründliche Umlagerung 
und das erste Remplacement. Eine Umlagerung: denn 
da, wo die Kreuzung rein sensibel ist, wandern die sensiblen 
Fasern auf die motorische Seite des Markes. Und darin 
besteht der mechanisch-physiologische Wert der 
Pyramidenkreuzung, dass sie die Rückenmarks- 
situation in der Oblongata umkehren hilft. Es 
verschlägt gar nichts, dass bei Halbaffen, Affen und beim 
Menschen nun auch andere Fasermassen in die Pyramide ein- 
treten. Die Bedeutung der Decussatio als eines Momentes für 
die Umlagerung der sensiblen Bahnen wird dadurch nicht im 
geringsten alteriert, bleiben doch beim Menschen die motorischen 
Bahnen zunächst auf ihrer ihnen zukommenden Fläche, während 
die sensiblen ganz wie bei den niederen Säugern auf die 
entgegengesetzte Seite gelangen und hier bis ins Mittelhirn 
verharren. Ein Remplacement: denn graue Substanz nimmt 
genau den Platz der weissen ein. Und wenn später, d. h. weiter 
kapitalwärts, diese graue Substanz keine Arcuatae mehr abgibt, 
sondern zum Kern der kapitokaudalen Acusticuswurzel wird, so 
zeigen uns die Kerne der Gollschen und Burdachschen 
Stränge eben hierdurch noch eine andere Eigentümlichkeit 
mancher Oblongatateile, nämlich einen gründlichen Funktions- 
wechsel. So finden wir in den Gollschen und Burdach- 
schen Strängen die drei Hauptmomente vereinigt, welche das 
Wesen der Oblongata ausmachen: Verlagerung, Rem- 
placement und Funktionswechsel. 


374 Bernhard Rawitz: 


Die Kerne der genannten Strangpaare sind in der Oblongata 
entstanden. Bezüglich des Gollkernes kann daran kein Zweifel 
sein. Vom Burdachkern wurde bei allen Spezies im ersten 
Teil dieser Abhandlung gesagt, dass vordringende Substanz des 
zentralen Grau die Aushöhlung des Stranges vom Markinnern 
her bewirke. Nicht bei allen, namentlich nicht bei den höheren 
Spezies war noch ausserdem ein im Innern des Stranges auf- 
tretender Kern zu konstatieren. Aber der Burdachkern, wie 
er sich überall zeigt, stellt doch insofern ein Novum dar, als er 
ursprünglich klein ist und nur allmählich an Grösse zunimmt. 
Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, dass diese Volums- 
vergrösserung des genannten Kerns durch neu auftretende graue 
Substanz zustande kommt. Denn wäre das nicht der Fall, 
bestünde er nur aus dem vom Rückenmark überkommenen 
zentralen Grau, dann müsste letzteres mit der Zunahme des 
Kernes abnehmen; das aber ist nicht der Fall. Neu ist also 
der Gollkern und zum grössten Teile neu ist der Burdach- 
kern und an beiden offenbart sich eine fernere Eigentümlichkeit 
der Oblongata. Denn diejenigen Teile, welche aus der 
Medulla spinalis stammen, gehen zwar mehr oder 
minder verändert und verlagert, aberimmer deutlich 
nach ihrer Provenienz erkennbar in die kapitalwärts 
gelegenen Hirnpartien. Was dagegenin der Oblongata 
entsteht, vergeht in ihr, d.h. wird in ihr oder nur 
wenig kapitalwärts von ihr aufgebraucht. 

Nur passiv, so wurde vorhin auseinander gesetzt, ist die 
Pyramidenkreuzung an der Umlagerung der einzelnen Partien 
beteiligt. Aktiv greift stets in bestimmender, Ausschlag gebender 
Weise die dorsale Aufschlitzung des Markes, d.h. die Bildung 
des IV. Ventrikels ein. Wie die Einzeldarstellung gezeigt hat, 
ist es nicht bloss die Dehnung des Zentralkanals, welche zur 
Bildung des Ventrikels führt. Auch der dorsale Rand ist insofern 
daran beteiligt, als er sich nach dem Zentralkanal hin einsackt, 
und öfter ist dieser Teil des Markes bereits geöffnet, ehe noch 
der Zentralkanal mit ihm in Kommunikation getreten ist. Wieder- 
holt hatte ich Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass der Anteil 
des Zentralkanals am Ventrikel von dem Anteil, den das Mark 
selber daran hat, bis ziemlich weit kapitalwärts gut zu unter- 
scheiden ist. Eine Bedeutung glaube ich der Art, wie der 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 315 


Ventrikel sich öffnet, aber nicht beilegen zu können. Denn wie 
meine Darlegungen beweisen, findet hier keine phylogenetische 
Abstufung des Vorganges statt. Immerhin musste der Vollständig- 
keit wegen auf die genannten Tatsachen zusammenfassend auf- 
merksam gemacht werden. Das Nahen der Ventrikelregion — 
also die Vollendung der Aufschlitzung — macht sich bemerkbar 
durch eine Zunahme des zentralen Grau, das sich dabei dorsal- 
wärts ausdehnt und an den freien Markkontur zu gelangen sucht. 
Es drängt auf diesem Wege die Kerne von Goll-Burdach 
beiseite, verdünnt sich bei der Ausdehnung in der Mittellinie 
und reisst hier schliesslich in dorsoventraler Richtung ein. Damit 
ist der IV. Ventrikel gebildet, der anfänglich sehr eng ist — er 
entspricht dann dem Calamus scriptorius der deskriptiven Anatomie 
— und der erst allmählich sich erweitert. Von Interesse ist es, 
dass bei den niederen Formen der Säugetiere die Erweiterung 
bis zu einer vollständigen Geradlegung des Ventrikelbodens 
führt, während diese bei den höheren Gruppen ausbleibt; d.h. bei 
letzteren werden nicht alle ursprünglich dorsal gelegenen Teile 
nach ventral und lateral gedrängt, der Ventrikelrand bleibt also 
immer etwas dorsal aufgebogen. Bei ersteren dagegen wird 
alles, was im Rückenmark den dorsalen Abschnitt bildete, so zur 
Seite verlagert, dass es schliesslich auf der ventralen Fläche 
anlangt. Denn es ist klar. dass die Eröffnung des Ventrikels, 
da sie mit einer Beseitigung, einem Verschwinden der Rücken- 
marksteile nicht verbunden ist, diese aus ihrer Position ver- 
drängen muss. Das ist die zweite Verlagerung, die in 
der Oblongata vor sich geht. Sie unterscheidet sich 
wesentlich von der zuerst geschilderten. Die Teile werden 
auseinander geschoben. weil das zentrale Grau in der Median- 
linie, wo der geringste Widerstand der Fissura dorsalis sich findet, 
sich vordrängt. Aber man kann sich beim Studium lückenloser 
Schnittserien des Eindrucks nicht erwehren, dass die dorsalen 
Stränge bezw. ihre Reste oder die an ihre Stelle getretenen 
Kerne ihrerseits wenigstens nicht ganz passiv an der Verlagerung 
beteiligt sind. Hier, im zweiten Teile, ist der Ort, hervorzu- 
heben, dass die Stränge nicht bloss gedrängt werden, sondern 
dass sie auch zu wandern scheinen. Und der Effekt ist, dass 
die Goll-Burdach-Kerne an der dorsalen Seitenkante oder 
sogar am lateralen Kontur des Markes sich ansiedeln und dass 


376 Bernhard Rawitz: 


die dorsalen Säulen, deren Geschick nachher bei Besprechung 
der grauen Substanz erzählt werden soll, ventral gerückt sind. 
In manchen Fällen schon frühzeitig, d. h. noch als dorsale 
Säulen, in den meisten erst nach ihrem vollendeten Funktions- 
wechsel sind sie, die ursprünglich marginal anzutreffen waren, 
am ventralen Rande ganz nach innen gelagert. Wir treffen 
also auch hier eine Verlagerung sensibler Partien auf die (im 
Rückenmark) motorische Fläche; diese sind demnach auf stark 
gewundener Bahn um 180° gewandert. 

Eine völlige Umkehrung der Rückenmarkssituation hat der 
IV. Ventrikel herbeigeführt, denn was früher dorsal lag, liegt 
jetzt ventral, was früher ventral war, ist jetzt dorsal geworden. 
Die ventralen Stränge nämlich oder vielmehr ihr Rest liegt nach 
kurzer Zeit dem Boden des IV. Ventrikels an. Dafür können 
bei den höheren Formen, also von den Prosimiern ab, Pyramiden 
und kaudale Oliven als veranlassende Motive in Anspruch ge- 
nommen werden. Da aber eine solche Verlagerung sich auch 
bei den niederen Säugern findet, die keine Pyramiden und die 
mechanisch unwirksame Oliven haben, so muss bei diesen allein 
die Ausweitung des IV. Ventrikels den genannten Effekt herbei- 
führen. Und es müssen darum bei Halbaffen, Affen und Mensch 
die erwähnten beiden anderen Gebilde, wenn überhaupt, dann 
nur eine sekundäre Einwirkung ausüben. 

Betrachten wir das Geschick der lateralen Stränge. Ihre 
Hauptmasse weitet sich nach dem Markinnern aus und bildet in 
Gemeinschaft mit den am ventralen Oblongata-Rande gelegenen 
Partien der ventralen Stränge das Retikulum. Ich sage: sie 
weiten sich aus, denn um etwas anderes kann es sich nicht 
handeln. Dadurch, dass die grösste Partie der ventralen Säulen, 
worauf im I. Teile wiederholt hingewiesen wurde und worauf 
nachher noch einmal zurückzukommen sein wird, in das zentrale 
Höhlengrau einbezogen wird, entsteht so viel Platz, dass sich 
die lateralen und ventralen Stränge ausbreiten können. Ihre 
ursprünglich auf einem kleinen Raume eng zusammengepressten 
Bündel — diese Zusammenpressung bewirkte das dichte Gefüge 
der betreffenden Stränge — gewinnen Platz und erfüllen so nach 
und nach das ganze Mark bis zur Medianlinie. Nur ein kleiner 
Teil der lateralen Stränge, der vielfach schon im Rückenmark 
differenziert’ war (vergl. die Tafel in dem erwähnten Ziehenschen 


ro 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 377 


Lehrbuche), erhält sich als dicht gefügte Masse; es ist dies die 
Kleinhirn-Seitenstrangsbahn (Corpus restiforme der Autoren). Sie 
dehnt sich zuerst dorsalwärts aus, nimmt also einen grösseren Raum 
ein als anfänglich, weil sie nämlich Zuzug aus dem Seitenstrangs- 
kern erhält. Dabei wird die Bahn kompakter und liegt an der 
dorsalen Ecke des Markkonturs. Dann wird sie teils durch die 
Ausweitung des Ventrikels, teils und namentlich durch den 
kaudalen Acusticus wieder nach ventral gedrängt, muss sich sogar 
in ihrem Volumen einengen, wodurch sie dichter erscheint, um 
nach dem Schwinden des Acusticus wieder dorsalwärts zu wandern. 
Sie geht dann bei den einen Arten früher, d.h. mehr kaudal- 
wärts, bei den anderen später, d.h. mehr kapitalwärts in die 
Masse des Cerebellum über, indem ihre bisher kapitokaudal ge- 
richteten Bündel sich nach dorsal umbiegen. Es ist dies ein 
merkwürdig geschlängelter Verlauf der Bahn, sie dreht und windet 
sich, dehnt sich aus und zieht sich zusammen, um vorsichtig die 
sich ihr in den Weg stellenden Partien zu vermeiden. 

So können wir ein sehr ungleiches Schicksal der weissen 
Stränge des Rückenmarkes feststellen, nachdem es sich dorsal 
geöffnet und dann zur Seite geklappt hat. Die ventralen Stränge, 
soweit sie nicht für die Pyramiden benutzt werden und soweit 
sie nicht in das Retikulum (so nenne ich die Bündel, welche sich 
in der Formatio reticularis finden) aufgehen, bleiben deutlich 
sichtbar und werden zu dorsalen Strängen. Sie reichen tief in 
das Mittelhirn hinein. Die dorsalen Stränge, d.h. Gollscher und 
Burdachscher Strang — das Schicksal der weissen Masse, 
welche die dorsalen Säulen umgibt, ist später anzuführen — 
lösen sich auf und verschwinden als differenzierte Gebilde, nach- 
dem sie in einzelnen Fasern auf die ventrale Seite gewandert 
sind. Nur da, wo es zur Ausbildung deutlicher Pyramiden kommt, 
ist man imstande, sie weit in den Pons hinein zu verfolgen. Die 
lateralen Stränge lösen sich zum grössten Teil im Retikulum auf 
und reichen mit diesem weit kapitalwärts. Ein kleiner Teil von 
ihnen wird cerebellare Masse. 

Nicht minder interessant ist das Geschick, "das die graue 
Substanz des Rückenmarkes in der Oblongata erleidet. Ich habe 
im I. Teil dieser Abhandlung wiederholt gesagt, dass die late- 
ralen und ventralen Säulen mit der fortschreitenden Ausbildung 


des verlängerten Markes aufgebraucht werden. Dieser Aus- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 25 


378 Bernhard Rawitz: 


druck ist zu erklären. Die lateralen Säulen werden aufgebraucht, 
d.h. sie verschwinden mit der Entwicklung des Retikulum als 
distinkte Gebilde, aber sie verschwinden nicht überhaupt. Zwischen 
den Faserbündeln des Retikulum trifft man disseminierte Ganglien- 
zellen an, die hie und da in unregelmässigen und inkonstanten 
Kernflecken zusammenfliessen. Ein Teil dieser Ganglienzellen ist 
die direkte Fortsetzung der lateralen Rückenmarkssäulen; nur 
dass diese jetzt über eine ziemlich breite Fläche zerstreut sind, 
während sie früher eng beisammen waren. Ein anderer Teil 
dieser disseminierten Zellen, der übrigens auch stellenweise in 
den ventralen Strangresten als Kernflecken sich zusammentut, 
stammt von den ventralen Säulen. Von diesen letzteren wandert, 
so kann man geradezu sagen, eine nicht unerhebliche Menge in 
das zentrale Grau und wird mit diesem zum zentralen Höhlen- 
grau, dessen mediane Partie es nach Eröffnung des Ventrikels 
bildet. Die übrigen Ganglienzellen verteilen sich diffus im Reti- 
kulum und sind dann hier von den aus den lateralen Säulen 
stammenden nicht mehr zu unterscheiden. So reicht also ein 
Teil der grauen Rückenmarkssubstanz in disseminierter Form mit 
dem Retikulum weit ins Mittelhirn hinein. Ein anderer Teil der 
motorischen Säulen wandert, wie eben bemerkt, dorsal und bildet 
den Boden des IV. Ventrikels; er stellt hier zunächst den Kern des 
Hypoglossus dar. Er teilt also das Schicksal der ursprünglich zu 
ihm gehörigen Stränge durch seine Verlagerung, trennt sich dabei 
aber funktionell vollständig von ihnen. Denn der von mir nach 
den Färbungsbildern in Weigert-Präparaten sogenannte dunkle 
Abschnitt des zentralen Höhlengrau hat nicht das geringste mehr 
mit den Resten der ventralen Stränge zu tun. Zum Lagerungs- 
wechsel kommt also der Funktionswechsel hinzu, der hier mit 
einer Funktionstrennung verbunden ist. In ununterbrochener 
Kontinuität, aber zugleich, wie meine Darstellung und die anderer 
Forscher lehren, in sehr wechselnder Stärke zieht dieser Teil 
der ventralen Rückenmarkssäulen bis ans Mittelhirn heran. Noch 
zweimal ändert er seine Bedeutung; aus dem Hypoglossuskern 
wird er zum Kern des motorischen Teils des Vagus und aus 
diesem zum Kern des Abducens. Die erwähnte Änderung der 
Funktion hat in dem uns jetzt beschäftigenden Falle nichts auf- 
fälliges. Auch die ventralen Rückenmarkssäulen sind kontinuier- 
lich; sie senden aber hier die Fasern zum Plexus brachialis, 


o 
—I 
Do 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 


dort zum Plexus lumbalis. Das Erfolgsorgan ist verschieden, die 
Nerven aber sind ihrem Ursprungsorte nach identisch. Und 
wenn in der ÖOblongata der Vagus eine vom Hypoglossus und 
Abducens verschiedene Austrittsstelle zeigt, so glaube ich darauf 
kein besonderes Gewicht legen zu müssen. Die Beimischung 
sensibler Fasern, welche der Vagus aus dem hellen Teil des 
zentralen Höhlengrau erhält, bedingt wohl auch eine veränderte 
Verlaufsrichtung. 

Anders verhalten sich die dorsalen Säulen. Dass sie all- 
mählich ganz oder fast ganz ventral verlagert werden — es sind 
hier unerhebliche Differenzen zwischen den einzelnen Gruppen 
vorhanden —, ist schon erwähnt worden. Sehr interessant, wenn 
auch für mich physiologisch völlig unerklärlich, ist eine Ver- 
änderung, welche an diesen Säulen vor ihrer Wanderung sich 
vollzieht und wieder verschwindet. Das ist nämlich die Zu- 
nahme der sie umhüllenden Rolandoschen Substanz, 
die beim Pferd, bei Erinaceus und bei Vespertilio zu einer ganz 
exzessiven werden kann. Interessant ist diese Zunahme einmal 
darum, weil sie bei den höheren Formen von den Halbaften 
aufwärts nicht mehr eintritt. Und interessant ist sie zweitens 
deswegen, weil sich gar kein zureichender Grund für sie ein- 
sehen lässt. Denn es gehen aus der dorsalen Säule nach ihrer 
Vergrösserung nicht mehr feinste Arcuatae ab als vorher, es 
entspringt von ihnen kein Nerv bezw. es endet in ihnen keiner 
und es macht diese Zunahme sehr bald normalen Dimensionen 
Platz, mit welchen erst die ventrale Wanderung einsetzt. 

Die weisse Nervenmasse, welche die dorsalen Säulen in 
kontinuierlicher Fortsetzung der Burdachschen Stränge aussen 
umhüllt und die sich scharf gegen die Kleinhirn-Seitenstrangs- 
bahn absetzt, wird bald durch Abgabe von Arcuatae erschöpft. 
Aber es tritt hier keine Unterbrechung ein, sondern durch voll- 
kommenes Remplacement wird der dorsale Strangrest von der 
aufsteigenden Trigeminuswurzel ersetzt. Nur daran kann man 
sehen, dass diese Veränderungen stattgefunden, dass von einem 
bestimmten Momente ab, der bei den verschiedenen Tiergruppen 
in verschiedener Höhe sich findet, keine Fasern mehr durch die 
Säulen hindurch ins Retikulum gehen. Es gibt einige Gruppen, 
bei denen neben, d. h. gleichzeitig mit noch vorhandenem Strang- 
rest in der Säule die ersten Bündel der Trigeminuswurzel auf- 


35F 


[4 


380 Bernhard Rawitz: 


treten. Doch scheint diese Tatsache nur den Rang eines Kuriosums 
zu besitzen, wenigstens zeigt sich in ihr keine phylogenetische 
Abstufung. Das heisst, es sind nicht die niederen Formen, bei 
welchen sie zu beobachten ist, und die höheren, bei denen sie 
fehlt (bezw. umgekehrt), sondern sie ist bei höheren und niederen 
Formen zu beobachten und fehlt auch bei beiden. Man kann 
also sagen, dass infolge der Ersetzung der dorsalen Strangreste 
durch die aufsteigende Trigeminuswurzel eine Kontinuität eines 
Teiles der dorsalen weissen Rückenmarkssubstanz durch die 
Oblongata hindurch bis weit in die Ponsregion hergestellt ist. 
Freilich ist diese Kontinuität mit einem tiefgreifenden Funktions- 
wechsel verbunden. Dem Strange folgt die zugehörige Säule. 
Nachdem sie sich da, wo sie eine Vergrösserung erfahren hatte, 
nicht nur auf ihren früheren Umfang reduziert hat, sondern 
nachdem sie allenthalben durch Schwinden der Rolandoschen 
Substanz auch bei höheren Formen erheblich kleiner geworden 
ist, hat sie ihren Funktionswechsel zum Kern der aufsteigenden 
Trigeminuswurzel durchgemacht. In dieser Eigenschaft erhält 
sie sich unter dauernder allmählicher Grössenabnahme, bis die 
genannte Wurzel austritt. Dann verschwindet sie, indem sie 
sich immer mehr einengt, d. h., wenn man ihre Säulennatur in 
Betracht zieht, indem sie zugespitzt endet. 

Die dorsale Säule ist nicht so weit ventral gewandert, wie 
die ventrale dorsalwärts; denn während diese direkt den dorsalen 
Kontur bildet, bleibt jene vom ventralen noch immer beträchtlich 
ab. Bequemer war der Weg für die ‘ventrale Säule, indem sie 
sich in gerader Linie an ihren neuen Platz begeben hat. Die 
dorsale Säule musste in weitem Bogen ziemlich am Aussen- 
rande des Markes bis an die Stelle ziehen, die sie als aufsteigende 
Trigeminuswurzel einzunehmen hat. 

Vergleichen wir nun noch die beiden Hauptteile der grauen 
Substanz des Rückenmarkes, den ventralen und den dorsalen 
Abschnitt, miteinander, so können wir folgendes feststellen: 
Der ventrale, der in der Oblongata zum dorsalen geworden ist, 
erhält sich unter mancherlei Veränderungen bis weit in die Pons- 
region hinein. Der dorsale, aus dem ein ventraler geworden 
ist, hat ein doppeltes Schicksal. Die zum Kern der kapitokaudalen 
Acusticuswurzel gewordenen vereinigten Kerne der Gollschen 
und Burdachschen Stränge, die allerdings nicht mehr als 


Das Zentralnervensystem der ÜCetaceen. 381 


Rückenmarksteile im engeren Sinne zu betrachten sind, schwinden 
mit dem Acusticus, also noch vor den motorischen Teilen. Die 
zum Trigeminuskern gewordene Partie erhält sich länger als der 
Abducenskern. Aber es sind nur wenige Schnittebenen nötig, 
um bei den meisten Arten nach Erledigung des Abducens auch 
den Kern und die aufsteigende Wurzel des Trigeminus ver- 
schwinden zu sehen. Die grössere Masse der grauen Rückenmarks- 
substanz findet also ziemlich gleichzeitig ihr Ende in der Pons- 
region. 

Nicht allzu schwierig sind also in der Oblongata die einzelnen 
Bestandteile des Rückenmarks wieder zu erkennen. Aber das 
Rückenmarksschema, wie Deiters wollte, ist nicht mehr 
vorhanden; es hat sich vielmehr, was die Lagerung der 
Teile betrifft, vollkommen umgekehrt. Auch hinsichtlich 
der Nerven ist das Schema nicht wieder zu erkennen. Denn 
— ich will dies gleich hier bei dieser Gelegenheit abtun — 
es scheint mir ganz unmöglich und zugleich ganz unzulässig, 
auch nur die Analoga von Rückenmarksnerven in den Oblongata- 
nerven wiederzusehen, von Homologien ganz zu schweigen. Zeigt 
zwar der Vagus noch eine Zusammensetzung aus motorischer 
und sensibler Portion und ist vielleicht der Glossopharyngeus 
als ein Teil von ihm zu betrachten, so besitzt doch sein Ursprung 
— der erste Teil dieser Abhandlung, die Angaben der Autoren 
lehren es zur Evidenz — nichts rückenmarkartiges mehr. Und 
wenn man den Hypoglossus und Abducens in vager Analogie je 
als eine sogenannte vordere, also motorische Wurzel betrachten 
wollte, so müssten die kapitokaudale Acusticuswurzel und die 
aufsteigende Trigeminuswurzel als die dazu gehörigen sensiblen 
Wurzeln bezeichnet werden. Das ist aber nicht möglich. Nicht 
etwa weil die zuletzt genannten Teile einem Funktions wechsel 
ihren Charakter verdanken, sondern weil mit der topographischen 


Verlagerung eine so vollkommene Funktionstrennung — sie 
wurde vorhin bei der Schilderung des Schicksals der ventralen 
Strangreste erwähnt — vorbunden ist, dass die motorischen und 


sensiblen Rückenmarkspartien alle und jede direkte Beziehung 
zueinander verloren haben. Die einzelnen Teile, welche 
im Rückenmark in inniger Korrelation miteinander 
stehen, werden im verlängerten Mark selbständig 
und geben diese Korrelation, die unmittelbaren 


oO 


382 Bernhard Rawitz: 


Beziehungen zueinander auf. Nur indirekt stellen 
sich wieder Verbindungen der Teile untereinander ein und sie 
werden durch die kaudalen und kapitalen Oliven sowie durch die 
beiden Kommissuralorgane, die Bindearme und den Pons, ver- 
mittelt. Das aber hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Rücken- 
marksschema. 

Das Auftreten neuer grauer Partien nämlich, wie es den 
Bau der Oblongata ungemein kompliziert, wirkt auch, wenigstens 
teilweise, in der eben genannten Richtung. Teilweise nur; denn 
zwei neu auftretende und schnell wieder verschwindende graue 
Massen wirken nur morphologisch komplizierend, leiten aber 
keine neuen physiologischen Beziehungen ein. Diese beiden 
grauen Massen sind der Seitenstrangskern und der Monak ow sche 
Kern. Sie stellen nur verstärkende Relais innerhalb ihrer Bahnen 
dar, mehr aber nicht. Und wenn auch der Monakow sche 
Kern bei der einen oder anderen Spezies Beziehungen zu Kernen 
der Nachbarschaft eingeleitet hat, so löst er sie auch, noch ehe 
sie gewissermaßen intimer geworden sind. 

Auch das neu auftretende, von mir wegen seines Aussehens 
in Weigert-Präparaten so genannte helle Grau kann in der 
genannten Richtung nicht beansprucht werden. Es scheint mir 
zweifellos, dass der dorsale Abschnitt des zentralen Grau nur 
zum kleineren Teil aus dem Grau des Rückenmarkes stammt, 
und zwar aus dessen dorsaler grauer Kommissur. Der grössere 
Teil entsteht neu in der Oblongata, um mit dem Glossopharyngeus 
wieder zu verschwinden. Dies helle Grau ist Ursprungsstätte 
von Nerven — sensibler Vagus und Glossopharyngeus —, ist als 
solche selbständig, aber zu den Beziehungen der Teile unter- 
einander trägt es nichts bei. Und wenn nach dem Schwinden 
des Glossopharyngeus das Höhlengrau einheitlich geworden ist, 
dann gibt es, soweit es nicht als Abducenskern funktioniert, 
Fasern zum Acusticus und wohl auch zu den Bindearmen ab, 
aber korrelative Verhältnisse ruft es nicht hervor. 

Ganz anders wirken die kaudalen Oliven. Rekapitulieren 
wir in Kürze ihr Verhalten. Bei den Marsupialiern liegen sie 
gänzlich intramedullar, sind nicht scharf von ihrer Nachbar- 
schaft abgesetzt, erscheinen also unselbständig und ihre graue 
Substanz ist nicht gefaltet. Bei den Pachydermen — ich setze 
hierbei, vielleicht mit Unrecht, voraus, dass die bei einer oder 


Das Zentralnervensystem der ÜCetaceen. 383 


bei zwei Spezies gewonnenen Resultate Gültigkeit für die betreffende 
Gruppe haben — sind sie zwar konturiert, stellen sich also als 
relativ selbständige Gebilde dar, besitzen aber wie bei den 
Marsupialiern keinen ausgesprochenen Hilus und liegen intra- 
medullar. Ihre graue Substanz zeigt Faltenbildung. Bei den 
Ruminantien und Perissodactylen sind sie zwar gefaltet, ent- 
behren aber einer scharfen Sonderung von der Nachbarschaft, 
ein Hilus ist kaum zu erkennen. Will man einen solchen absolut 
annehmen, so ist er lateral gewendet. Bei den Carnivoren 
zeigen die Caniden ein nicht konturiertes Organ mit teils lateral, 
teils medial gewendetem Hilus; ihre graue Substanz ist gefaltet. 
Die Feliden dagegen weisen einen Fortschritt auf, denn bei 
ihnen ist ein dorsal gerichteter Hilus vorhanden, der eine leichte 
Neigung nach medial zeigt. Die Rodentien haben eine umfänglichere 
Olive, deren graue Substanz mehrfache Faltenbildung besitzt; 
ein eigentlicher Hilus aber fehlt. Insektivoren und Chiropteren 
besitzen eine sehr primitive kaudale Olive, da das Organ sich 
nur als ein heller Fleck präsentiert. Die Prosimier haben eine 
scharf konturierte Olive, deren Hilus mediodorsal gerichtet ist. 
Während bei denjenigen der bisher erwähnten Gruppen, deren 
Oliven eine Faltenbildung ihrer grauen Substanz hatten, diese 
Falten nicht unter sich direkt zusammenhingen, treffen wir bei 
den Prosimiern zum ersten Male eine einheitliche graue Substanz, 
die in Falten gelegt ist. Bei den Pitheciern ist ein grosser 
Fortschritt, denn hier finden wir die graue Olivensubstanz nach 
Art der Grosshirnrinde in Gyri gelegt. Zugleich ist das Organ 
scharf abgegrenzt und sein medial gerichteter Hilus zeigt nur 
noch eine leichte Neigung nach dorsal. Bei Homo endlich ist 
das Organ am höchsten differenziert, was Abgrenzung gegen die 
Nachbarschaft, Fältelung der grauen Substanz und mediale 
Orientierung des Hilus anlangt. 

Der phylogenetische Fortschritt von den Beutlern 
zum Menschen ist klar. Ein ursprünglich fast indifferentes 
Organ, ein gewöhnlicher Nervenkern, der nicht einmal äusserlich 
sich bemerkbar macht, wird innerhalb der Klasse grösser, bedingt 
eine Veränderung des Markkonturs, ragt äusserlich hervor und 
wird innerlich spezialisiert. Der Hilus, wenn und wo ein solcher 
vorhanden war, zeigte sich meist lateral gewendet, dann dreht 
er sich bei den Prosimiern um mehr als 90° um beim Menschen 


384 Bernhard Rawitz: 


eine Drehung um 180° vollendet zu haben. Und wie die 
morphologische, so wächst auch die physiologische Bedeutung 
des Organs. Ursprünglich wesentlich Durchgangsstation und nur 
zu einem überaus geringen Teil Umlagerungsstätte für Nerven- 
fasern der verschiedensten Provenienz — neue Fasern entstehen in 
den primitiven Oliven nicht, — werden die Oliven beim Menschen 
schliesslich zu einem selbständigen Zentralorgan. In ihm laufen 
Nervenfasern aus allen Richtungen zusammen, in ihm, d.h. 
in seiner grauen Substanz, werden sie umgelagert, vermischen 
sich mit den hier neu entstandenen und treten gemeinsam mit 
diesen aus dem Organ heraus. Welchen physiologischen Wert 
dieses Zentralorgan, das man auch ein Sammelorgan nennen 
könnte, besitzt, darüber gibt natürlich die rein anatomische Unter- 
suchung keinen definitiven Aufschluss. Gibt ihn um so weniger, 
als das Experiment hier sein letztes Wort wohl noch nicht 
gesprochen hat. Nur das lässt sich sagen, dass die 
Beziehungen der Öblongatateile zueinander, die, 
wie die vorherige Auseinandersetzung gezeigt hatte, durch 
eine vollständige Funktionstrennung erloschen 
waren, durch die kaudale Olive auf indirektem 
Wege wieder hergestellt werden. 

Eine Ausnahmestellung nimmt die Olive der Cetaceen ein. 
Sie ist von enormer Ausdehnung, hat einen deutlichen lateralen 
Hilus und ist doch funktionell offenbar recht primitiv. Letzteres 
ist daraus zu folgern, dass das Innere der Oliven bei dieser 
Gruppe fast gar keine Nervenmassen enthält, sondern beinahe 
ausschliesslich aus grauer, nicht gefältelter Substanz besteht. 
Nerven treten durch sie hindurch, Nerven werden in ihr um- 
gelagert, aber sicherlich entstehen keine in ihr. Dieses Miss- 
verhältnis zwischen Grösse und anatomischer Beziehung ist 
rätselhaft. 

Die kapitale oder kleine Olive löst die kaudale ab. Von 
verschiedener Ausbildung bei den verschiedenen Tiergruppen, 
ohne dass sich hier ein phylogenetisches Prinzip erkennen liesse, 
ersetzt die kapitale Olive insofern die kaudale, als sie offenbar 
eine Umlagerungsstätte für Nerven verschiedener Herkunft ist. 
Das heisst aber nichts anderes wie: die kapitale Olive stellt 
Beziehungen zwischen räumlich getrennten und physiologisch 
verschiedenwertigen Oblongatateilen her. 


Das Zentralnervensystem der ÜOetaceen. 385 


Ein Effekt der früher hervorgehobenen Funktionstrennung 
zeigt sich auch darin, dass der kaudale Acustieus durch das 
Corpus trapezoides und durch Arcuatae, der kapitale nur durch 
letztere Verbindungen mit der Peripherie sucht und findet. Der 
Vollständigkeit wegen sei hinzugefügt, dass das Trapezoides ein 
schönes Beispiel des in der Oblongata wiederholt vorkommenden 
Remplacements darbietet. Im I. Teil ist wiederholt darauf hin- 
gewiesen worden, dass die Trapezoidesfasern unauffällig durch 
die von den Bindearmen durch die Oblongata zum Pons gehenden 
Nervenzüge ersetzt werden. 

Verwirrend auf die innere Konfiguration wirken die Binde- 
arme und der Pons ein. Im I. Teil ist auf deren Auftreten und 
auf die näheren und entfernteren Beziehungen, die sie knüpfen, 
wiederholt hingewiesen worden. Und aus dem ersten Teil geht 
auch hervor, dass die Säuger niederer phyletischer Stufen ım 
Cerebellum einen mächtigen, aus gewöhnlichen multipolaren Zellen 
bestehenden Kern für die Bindearme haben, der allmählich immer 
schwächer wird. Beim Menschen habe ich ihn nicht mehr getroffen. 

Bindearme und Pons sind Kommissuralorgane. Nichts ent- 
steht in ihnen, sie verbinden nur die verschiedenen Teile mit 
dem Cerebellum und der Pons leitet ausserdem zum Mittelhirn 
hin. In phylogenetischer Hinsicht sind beide interessant. Je 
höher das Säugetier organisiert ist, um so früher 
stellen sich beide Gebilde ein und um so komplizierter 
wird zugleich ihr innerer Bau. Eine Ausnahmestellung gebührt 
allerdings den Cetaceen. Hier treten die Bindearme noch früher 
auf als beim Menschen; und man wird nicht gerade behaupten 
können, dass die Wale höher organisiert seien als die Spezies 
Homo sapiens L. Worauf diese Eigentümlichkeit zunächst zurück- 
zuführen ist, vermag ich nicht zu sagen; der physiologisch 
zureichende Grund ist nicht zu erkennen. Indessen: Exceptio 
affırmat regulam, und die Cetaceen zeigen, weil bei ihnen allein 
die Bindearme soweit kaudalwärts reichen, dass die oben ge- 
gebene Regel zu Recht besteht. 

Der Pons der Prosimier, Affen und Menschen reicht viel 
weiter kaudalwärts,. als der der Pachydermen etc. Nur Equus 
macht eine Ausnahme, da bei ihm der Pons ebenfalls ungemein 
früh kaudal auftritt. Es ist nicht zu verkennen, dass mit dem 
frühen Erscheinen dieser Kommissuralorgane im Schnitt eine 


386 Bernhard Rawitz: 


zunehmende Verwirrung im innern Aufbau der Oblongata gleichen 
Schritt hält. Bei niederen Formen ist das verlängerte Mark 
leicht verständlich, bei den höheren sind bereits Schwierigkeiten 
zu überwinden. Gewaltig aber ist die Kluft, die zwischen Homo 
und den katarrhinen Affen sich zeigt. Denn bei letzteren liegen 
alle Verhältnisse noch ziemlich klar; bei ersterem dagegen werden 
durch das frühzeitige Erscheinen der Bindearme die Oblongata- 
teile nach innen, durch das nicht viel spätere Auftreten des Pons 
nach dorsal hin gedrängt. Und so entsteht ein Durcheinander 
der schlimmsten Art, welches den morphologischen Einblick un- 
gemein erschwert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Anthro- 
poiden die Kluft überbrücken, doch will ich mich bei diesen 
Betrachtungen nur auf solche Formen stützen, die ich selber 
untersucht. Anthropoiden-Material stand mir aber leider nicht 
zur Verfügung. 

Wie kompliziert aber auch immer die Oblongata des Menschen 
erscheinen möge, sie zeigt doch schliesslich den gleichen Aufbau 
wie die der niederen Säuger und entsteht aus dem Rückenmark 
unter den gleichen mechanisch-physiologischen Bedingungen. 


2. Die Nerven der Oblongata. 


Für die folgende Betrachtung scheidet der Nervus acces- 
sorius Willisii aus. Er ist ein Rückenmarksnerv, der bei vielen, 
aber nicht bei allen Spezies einige Wurzeln in der Oblongata hat. 


Über die Einzelheiten, welche die im verlängerten Mark 
entstehenden und hier austretenden Nerven erkennen lassen, hat 
der I. Teil alles Nötige gebracht; eine zusammenfassende Über- 
sicht erscheint mir unnötig. Nur darauf möchte ich noch einmal 
hinweisen, dass auch zwei dieser Nerven das wiederholt erwähnte 
Remplacement zeigen. Bei den meisten Arten tritt der Glosso- 
pharyngeus so unmerklich an die Stelle des Vagus, dass es keine 
leichte Aufgabe ist, zu sagen, wo der Vagus aufhört und wo der 
Glossopharyngeus anfängt. 

Von den Nerven der Oblongata zeigen der Hypoglossus 
Vagus, Glossopharyngeus und Abducens ein übereinstimmendes 
Verhalten, denn sie gehorchen dem Nervengesetz der Ob- 
longata. Dieses lässt sich weniger leicht in eine kurze Formel 
bringen, als in extenso darlegen. 


Das Zentralnervensystem der Üetaceen. 387 


Gemeinsam den genannten Nerven ist also folgendes: Die 
Kerne sind eher da, als der intramedullare Verlauf, und sie ver- 
schwinden später, als der Nerv intramedullar verschwindet. Die 
Kerne fangen klein an und hören klein auf, während sie zwischen 
diesen ihren Enden mehr oder minder umfänglich sind. Man 
kann also sagen: Die Kerne des XII., X., IX. und VI. Gehirn- 
nerven sind spindelförmige Gebilde (Fig. 48). 

Der intramedullare Verlauf der Nerven ist eher da als ihr 
Austritt und schwindet später als dieser. Das soll heissen: die 
in den kaudalen Partien der Kerne entspringenden Wurzelfasern 
ziehen schräg kapitalwärts zur Austrittsstelle, die von den 
kapitalen entspringenden gehen schräg kaudalwärts ebendahin. 
Nur die mittleren besitzen geraden Verlauf (Fig. 48). Die 
Austrittsstelle der Nerven zeigt also eine dichtere Zusammen- 
fassung der Wurzelbündel, als der Ursprung aus dem Kern. 
Der Weg zum Austritt, mit Ausnahme des Hypoglossus des 
Menschen, ist kein gerader, sondern ein gewellter (Fig. 48). 
Darum trifft man die Nerven im Schnitt intramedullar in unter- 
brochenen Zügen. Diesem (Gesetz gehorchen, mit der oben 
erwähnten Ausnahme, die genannten Nerven aller von mir 
untersuchten Spezies. 

Der Facialis ist ein Nerv sui generis, er ist dem eben 
entwickelten Gesetz nur zu einem kleinen Teil unterworfen. 
Sein Kern liegt ventral, die Kerne der vorhin genannten Nerven 
liegen dorsal. Letztere entsenden ihre Fasern in ventraler 
(XII und VI) oder mehr lateraler Richtung (X und IX), dieser 
in dorsaler Richtung. Die erwähnten vier Nerven treten ventral 
von ihren zugehörigen Kernen aus, der Facialis kapitalwärts von 
seinem Kern (Fig. 49). Letzterer ist längst spurlos verschwunden 
und dann erst erscheint intramedullar seine Austrittsmasse. Die 
anderen Nerven gehen in mehr oder minder dicken Bündeln von 
den Kernen ab, der Facialis erscheint als ein Strom von einzelnen 
Fasern (Fig. 49), welche erst nach dem Schwinden des Kernes 
sich zu einem dicken Strange zusammenlegen, dem fälschlich so 
genannten Knie (Fig. 49). (Ich habe mich dieser Terminologie 
aus äusseren Gründen, nämlich um nicht unverständlich zu 
werden, im I. Teile anbequemt). Was man nämlich als „Knie“ 
bezeichnet, ist gar kein solches, also keine Umbiegungsstelle des 
Nerven (denn so muss doch wohl der Terminus „Knie“ auf- 


388 Bernhard Rawitz: 


gefasst werden), sondern ist ein dicker, kapitalwärts verlaufender, 
drehrunder Strang (Fig. 49), der sich bei manchen Formen tief 
in die Ponsregion erstreckt. Früher oder später biegen die 
Fasern dieses Stranges in die transversale Richtung ein, welche 
Stelle richtiger als Knie zu bezeichnen wäre (Fig. 49). Dann 
ziehen sie am Boden des IV. Ventrikels entlang bis in die 
Bindearmregion und biegen hier (Fig. 49), also in einem zweiten 
Knie, in die dorsoventrale Ebene ein. In dieser verlaufen sie 
aber nicht auf geradem Wege nach aussen, sondern ziehen schräg 
kaudalwärts und treten also in einer Gegend aus der Oblongata 
heraus, welche ihrem Kern wieder mehr genähert ist, als ihr 
intramedullarer Verlauf (Fig. 49). Und nur insofern gehorcht. der 
Facialis dem oben entwickelten Nervengesetz, als sein Kern 
spindelförmige Gestalt hat. 

Der Acustieus ist ein Doppelnerv. Die vordere Wurzel der 
Autoren, Nervus vestibuli, ist in gewissem Sinne reiner Oblongata- 
nerv, die hintere Wurzel der Autoren, Nervus cochleae, betrachte 
ich als einen Grosshirnnerven. Der kapitale Acusticus entsteht 
aus der kapitokaudalen Acusticuswurzel. Diese zeigt das Eigen- 
tümliche, dass, nachdem sie sich im vereinigten Goll-Burdach- 
kern gebildet hat, sie die Zellen des zugehörigen Kernes zwischen 
ihren Bündeln beherbergt. Dieser Umstand sowohl wie auch 
die eigentümliche Umbiegung zum Austritt unterscheiden den 
kapitalen Acusticus von allen anderen Oblongatanerven. Und 
nur darum rechne ich ihn noch zu diesen, weil er in der 
Oblongata entsteht und in ihr auch vergeht. Dem Nerven- 
gesetz ist er nicht unterworfen. Ebenso ist der kaudale Acusticus 
dem Nervengesetz nicht untertan. Er ist meines Erachtens als 
ein aberranter Grosshirnnerv anzusehen und zwar lediglich 
darum, weil sein Kern keine Spur von Ähnlichkeit mit einem 
Oblongatakern zeigt und auch nur sekundär mit dem Mark in 
Verbindung tritt. Dass beim Menschen der Kern von Anfang 
an mit der Öblongata vereinigt ist, ändert nichts an seiner 
Klassifizierung, denn auch bei Homo hat der Kern dank seinem 
Aussehen Grosshirncharakter, wobei es unerheblich ist, dass die 
sehr kleinen Zellen des Kerns nicht den Grosshirnzellen gleichen. 
Aber wer durch die Säugetierreihe hindurch das Auftreten des 
Kerns des kaudalen Acusticus verfolgt hat, dem zwingt sich die 
eben entwickelte Vorstellung direkt auf. 


Das Zentralnervensystem der Cetaceen. 389 


Interessant ist der Gegensatz des Aufbaues der Oblongata 
zu den in ihr entstehenden und aus ihr austretenden Nerven. 
Konnte dort eine zunehmende phyletische Komplikation bei aller 
prinzipiellen Gleichmässigkeit der Grundlagen festgestellt werden, 
so ist hier bei den Nerven von einer Phylogenie nicht die Rede. 
Sie zeigen von Didelphys zu Homo so übereinstimmende Ver- 
hältnisse, entspringen und verlaufen in so gleicher Weise, dass 
von einer phyletischen Vervollkommnung nichts zu merken ist. 
Das offenbart eine eigenartige Disharmonie zwischen der Oblongata 
und ihren Nerven. Und nur dadurch kann diese aufgelöst 
werden, dass wir die phyletische Weiterbildung des verlängerten 
Markes als das Resultat einer zunehmenden cänogenetischen 
Komplikation seiner spezifischen Funktionen, einer innigeren, neu 
erworbenen Verflechtung seiner Teile betrachten, während die 
primären palingenetischen Funktionen, die, ich möchte 
sagen, brutalen nervösen Leistungen, sich allenthalben in der 
Säugetierklasse gleich verhalten. 


Berlin, Ende Juli 1908. 


Figurenerklärung auf Tafel XIII-XV. 


Die Nummerierung der Figuren ergibt sich als Fortsetzung der 
ersten Hälfte, pag. 260 dieses Bandes. 
Fig. 293—33. Ovis aries. 
Fig. 29, welche nur die Olive gibt, ist 9fach, die übrigen sind 8fach vergr. 
Fig. 34. Equus caballus. 

Vergr.8:1. Skizze z. Kenntlichmachung d.Rolando schen Substanz (RO). 

Fig. 35. Canis familiaris. Vergr. 11:1. 

Fig. 36. Felis domestica. Olive; vergr. 10:1. 
Fig. 37. Lepus cuniculus. Vergr. 9:1. 
Fig. 33—40. Erinaceus europaeus. 

Fig. 38 = 20:1; Bie739— 13:1; Fig. 40 = 12:1. 

Fig. 41. Talpa europaea. Vergr. 12:1. 

Fig. 42 u.43. Vespertilio murinus. 
Fig. 42 = 45:17 Big. 43 = 15:1. 
Fig. 44 u.45. Lemur varius. 

Hip. AA =/15 1819.45 — 11:1. 

Fig. 46. Macacus rhesus. Vergr. 11:1. 

Fig. 47. Homo sapiens. 
Skizze; nur die Olive ist ausgeführt. Vergr. 7:1. 

Fig. 48. Schema des Nervengesetzes. | kaud. — kaudal, 
Fig. 49. Schema des Facialis. | kap. = kapital. 


390 


Aus dem Anatomischen Institut der Universität zu Upsala. 


Studien über die Thymusinvolution. 
Die akzidentelle Involution bei Hunger. 
Von 


Arvid Jonson. 


Hierzu Tafel XVI, XVIH und 11 Textfiguren. 


Schon seit langer Zeit ist von einzelnen Forschern darauf 
hingewiesen worden, dass die Thymusdrüse auch bei Individuen 
desselben Alters bedeutende Verschiedenheiten in bezug auf 
Grösse und Bau aufweist. Allerhand Einflüsse, wie anstrengende 
Muskelarbeit, schlechte Ernährung, Krankheiten (besonders 
chronische, zehrende) können eine oft hochgradige Verminderung 
des Organs hervorrufen. 

Der erste, der auf diesen Umstand aufmerksam gemacht 
hat, scheint Wharton (1659) zu sein, der die Bedeutung der 
Muskelarbeit in dieser Hinsicht betont. Seine Beobachtungen 
wurden später von Verheyen (1710) und Gulliver (1842) 
bestätigt. Meckel (1810), Simon (1845), Herard (1847), 
Friedleben (1858), Seydel (1894) u. a. wiesen auf die 
Bedeutung des Ernährungszustandes hin: schlecht genährte 
Individuen besitzen eine kleine Thymus von niedrigem Gewicht, 
wohlgenährte dagegen eine grosse Thymus von hohem Gewicht. 
Haugsted (1831), Friedleben (1858), Thaon (1872), 
Hansen (1894) u. a. wiesen Veränderungen der Thymus und 
eine Verminderung des Thymusgewichts, verschieden bei akuten 
und bei chronischen Krankheiten, nach. Das Thymusgewicht ist 
relativ hoch bei solchen, die an akuten Krankheiten gestorben, 
weit niedriger bei solchen, die an chronischen gestorben sind, 
und zwar um so niedriger, je ungünstiger die Krankheit auf den 
Ernährungszustand eingewirkt hat. Ganz neulich hat Hammar 
(1906) eine geschichtliche Übersicht über die vorliegende Frage 
gegeben, welche Darstellung hauptsächlich dieser meiner Über- 
sicht zugrunde gelegen hat, und auf die ich betreffs der Einzel- 


Studien über die Thymusinvolution. 391 


heiten hier verweise. Aus ihr geht auch hervor, dass diese 
Labilität der Thymusdrüse trotz der nicht wenigen Beobachtungen 
bis in die letzte Zeit im grossen und ganzen von den Forschern 
übersehen worden ist. Erst in den letzten Jahren ist diese 
Tatsache und ihre Bedeutung für das Thymusstudium mit grösserer 
Schärfe von Hammar (1905: 1 und 2, 1906, 1907: 1 und 2) 
betont worden. Er beschreibt diese Veränderungen der Drüse 
unter der Benennung akzidentelle Thymusinvolution. 

Fast alle diese Darstellungen gründen sich indessen auf 
mehr zufällige Beobachtungen sowie auf die Statistik von Sektions- 
fällen. AÄusserst wenige Versuche scheinen dagegen mit der 
Absicht angestellt worden zu sein, durch systematische Experimente 
die Frage zur Klärung zu bringen. 

Friedleben (1858) untersuchte an Hunden experimentell 
das Verhalten der Thymus bei vollständigem Hunger sowie bei 
qualitativ geänderter Nahrung. Die Hungerversuche sind wenig 
umfassend: 3 Versuchstiere mit 12 Stunden, 40 Stunden und 
14 Tagen Versuchszeit. Das Ergebnis war Verminderung des 
„Ihymussekrets“ (d.h. des Parenchyms) und Veränderung des- 
selben in morphologischer und chemischer Hinsicht sowie Ver- 
minderung der Drüse in bezug auf Breite und Dicke. Die Drüse 
erleidet eine weit hochgradigere Atrophie als der Körper im 
übrigen und eine hochgradigere als Leber und Milz. 

Die Versuche desselben Forschers über den Einfluss qualitativ 
geänderter Nahrung auf die Thymus beziehen sich gleichfalls auf 
Hunde als Versuchstiere. Diese seine Versuche resultieren darin, 
dass eine einseitige Fütterung mit Butter oder Stärke die Thymus 
allmählich zum Atrophieren bringt, während eine allseitige, salz- 
haltige, eiweiss-, fett- und kohlehydratreiche Nahrung eine 
Zunahme von Thymusgewicht und „Sekret“ zur Folge hat. 

Hammar (1905: 1) führte Hungerversuche an Fröschen 
und Kaninchen aus. Dabei konstatierte er eine durch den 
Hunger verursachte Rarefizierung der Rindenlymphozyten, eine 
Auswanderung derselben auf Lymph- und Venenwege, wodurch 
die Drüse ein mehr epitheliales Aussehen erhält; ferner eine 
Verminderung der Anzahl der Mitosen und Degeneration von 
Retikulumzellen ; endlich regressive Veränderungen in myoiden 
Zellen und Verschwinden oder eystenähnliche Umwandlung 
Hassalscher Körperchen. 


392 Arvid Jonson: 


Kann es demnach auch als bereits nachgewiesen betrachtet 
werden, dass eine akzidentelle Thymusinvolution vorkommt, und 
dass sie sich durch ungenügende Nahrungszufuhr experimentell 
hervorrufen lässt, so bleibt gleichwohl in dieser Hinsicht eine 
nicht geringe Anzahl Fragen übrig, die entweder überhaupt noch 
nicht zur Bearbeitung gekommen sind oder nur eine unvollständige 
Beantwortung gefunden haben. Einige derartige Fragen, wie sie 
bei dieser meiner Untersuchung vorzugsweise bearbeitet worden 
sind, seien hier angeführt: das Verhalten des Parenchyms teils 
bei vollständigem Hunger, teils bei ungenügender Nahrungs- 
zufuhr; die Veränderungen des Marks bezw. der Rinde unter 
diesen Verhältnissen hinsichtlich des Umfangs und des Baues; 
von besonderem Interesse ist die Feststellung der Anzahl der 
Mitosen und der Anzahl und der Formen der Hassalschen 
Körperchen, verglichen mit dem normalen Zustand, da sich 
hieraus möglicherweise Schlüsse bezüglich der Funktion des 
Organs während des Hungerns ziehen lassen: ferner die Frage 
nach dem Vorkommen und dem Verlauf der Regeneration, wobei 
besonders die Frage nach der Herkunft der eventuell neu auf- 
tretenden Thymuslymphozyten Beachtung verdient; endlich ist 
ein Vergleich zwischen dem Verhalten der Thymusdrüse und des 
Fettgewebes sowohl bei den Hunger- als bei den Regenerations- 
tieren nicht ohne Interesse. Dem Verhalten der eigentlichen 
Iymphoiden Organe habe ich auch bei der Sektion der Versuchs- 
tiere einige Aufmerksamkeit gewidmet. Da diese Frage indessen 
gegenwärtig von Hellman bearbeitet wird, so habe ich den 
betreffenden Teil meines Materials ihm überlassen und im Aus- 
tausch dafür die der Serie V angehörigen Thymi erhalten. Ich 
habe im allgemeinen in meinen Versuchsprotokollen nur das 
(rewicht der Milz angeführt. 


Material und Methoden. 


Als Versuchstiere habe ich bei meiner Untersuchung Kaninchen 
angewandt. Die normalen Verhältnisse der Kaninchenthymus sind 
durch die gleichzeitig angestellten Untersuchungen Söderlunds 
und Backmans (1908) gut bekannt. Von Wert bei einer Unter- 
suchung wie der vorliegenden ist auch die Möglichkeit, die das 
Kaninchen bietet, grosse und gleichmässige Würfe zu erhalten, 


Studien über die Thymusinvolution. 393 


so dass nicht mehr als ein Wurf für jedes Experiment angewandt 
zu werden brauchte. 

Gewöhnlich sind die Tiere nicht eher in Arbeit genommen 
worden, als bis sie das Alter von sechs Wochen erreicht hatten; 
in einigen Fällen habe ich bedeutend ältere Würfe angewandt, 
jedoch nicht mehr als fünf Monate alte. Mit Absicht habe ich 
so junge Tiere gewählt: teils um so homogene Würfe wie möglich 
zu erhalten, teils um die störenden Einflüsse zu vermeiden, welche 
die zur Zeit der Pubertät eintretende Altersinvolution der Thymus 
unzweifelhaft mit sich bringen musste (Söderlund-Backman). 

Meine Hungerversuche lassen sich in zwei Gruppen teilen, 
die ich unter Anwendung von v. Noordens (1907) Bezeichnungs- 
weise benenne: 

a) Chronische Unterernährung und 

b) Akuter Hungerzustand. 

Bei den der erstgenannten Kategorie angehörenden Ver- 
suchen erhielten die Versuchstiere täglich eine allseitige, aber 
knapp bemessene Kost, die so abgepasst war, dass die Tiere, 
trotzdem sie sich im Wachstumsalter befanden, während der 
ganzen Versuchszeit sich auf einem ungefähr konstanten Körper- 
gewicht hielten. 

Bei akutem Hungerzustand wurde dagegen den Versuchs- 
tieren von Anfang an alle Nahrung ferngehalten. Die Tiere 
hatten bei diesen beiden Versuchsanordnungen Zugang zu frischem 
Wasser. 

Im allgemeinen habe ich bei jeder Versuchsreihe zwei 
Kontrolltiere gehabt, von denen eins zu Anfang des Versuchs 
(1. Kontrolltier), eins zu Ende desselben (2. Kontrolltier) getötet 
wurde. Zu Kontrolltieren wurden die kleinsten oder mittelgrossen 
des Wurfes gewählt, wobei vor allem auf das Körpergewicht 
Rücksicht genommen wurde. Die schwächsten Versuchstiere 
wurden im allgemeinen zuerst getötet, die kräftigsten gegen Ende 
der Versuchszeit; es geschah dies nicht nur, weil die grössten 
und üppigsten Tiere besser die Abmagerung, die der Versuch 
bezweckte, aushalten, sondern auch und ganz besonders um die 
Fehlerquellen zu vermindern und die Resultate, was die späteren 
Stadien betrifft, so zuverlässig wie möglich zu machen. Meine 
Untersuchungen stützen sich ja auf einen Vergleich zwischen den 


Thymi der Kontrolltiere und der Versuchstiere, und richtig sind 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 26 


394 Arvid Jonson: 


meine Schlüsse nur unter der Voraussetzung, dass die Thymi zu 
Beginn des Versuchs sich in mindestens gleich gutem Zustand 
befanden wie die der Kontrolltiere. 

Bei meinen Versuchsreihen mit chronischer Unterernährung 
tötete ich im allgemeinen ein Versuchstier jede Woche, bei Ver- 
suchen mit vollständigem Hunger wurden dagegen die Versuchs- 
tiere in Zwischenzeiten von 1—4 Tagen getötet. Die der erst- 
genannten Versuchsreihe angehörenden Versuchstiere wurden zwei- 
bis dreimal täglich gefüttert, und dabei habe ich versucht, die 
Nahrung so abwechselnd und allseitig wie möglich zu machen. 
Sie bestand u. a. aus Milch, Hafer, Kleie, Gras oder Heu und 
Wurzelgewächsen. Hierdurch habe ich den störenden Momenten 
vorbeugen wollen, welche Verdauungsstörungen infolge einförmiger 
Diät mit sich bringen können. 

Während meiner Arbeit hat der Parasit Öoceidium oviforme 
grosse Verheerungen unter meinen Tieren angerichtet und mir 
grosse Schwierigkeiten bereitet, denn meine Würfe wurden nicht 
selten hierdurch vorzeitig dezimiert, so dass die Versuche wieder- 
holt werden mussten. Dieser Parasit scheint unter den Kaninchen- 
stämmen, denen ich meine Tiere entnommen habe, ungewöhnlich 
verbreitet zu sein. Meine Erfahrungen betreffs der Coccidiose 
gehen indessen dahin, dass gelinde Leberinfektion, die den 
Appetit oder das allgemeine Wohlbefinden nicht stört, geringe 
oder gar keine Einwirkung auf die Thymus hat. In weiter vor- 
geschrittenem Stadium der Krankheit, wo sich Herabsetzung des 
Appetits und des Allgemeinzustandes geltend macht, und wo 
Leber und Schleimhäute schwer angegriffen sind, beeinflusst die 
Krankheit auch die Thymus, und derartige Tiere sind natürlich 
bei meinen Versuchen nicht zur Anwendung gekommen. In den 
wenigen Ausnahmefällen, wo ich ein gelinde coceidieninfiziertes 
Tier mitangewandt habe, ist dies stets besonders bemerkt worden. 

Tägliche Wägungen der Tiere wurden sowohl einige Zeit 
vor dem Versuch wie auch während desselben ausgeführt, um so 
genau wie möglich Wachstum und Ernährungszustand kontrollieren 
zu können. 

Da es bei einer Untersuchung wie der vorliegenden sehr 
wünschenswert ist, ein objektives Maß für den Ernährungszu- 
stand bei den Kontroll- und Versuchstieren zu haben, so habe 
ich zu diesem Zwecke und neben der Feststellung des totalen 


Studien über die Thymusinvolution. 395 


Körpergewichts der Tiere eine Methode angewandt, die hier in 
ihren Einzelheiten mitgeteilt wird, um bei anderen gleichartigen 
Untersuchungen die Erhaltung vergleichbarer Werte zu ermög- 
lichen. Die Achselhöhlen, die Leisten, die Renal- und Inter- 
skapulargebiete wurden von allem Fett befreit, welches gesammelt 
und gewogen wurde, und das Gewicht als Maß für den Ernährungs- 
zustand des Tieres benutzt. Hierbei wurde stets genau auf die- 
selbe Weise verfahren und darauf gesehen, dass stets die ent- 
sprechenden Gebiete von ihrem Fett befreit wurden. Bei mageren 
Versuchstieren bereitete dies keine Schwierigkeit; schlimmer war 
es dagegen, wenn es sich um wohlgenährte, fette Tiere, wie die 
Kontrolltiere, handelte, wo ein ziemlich ansehnlicher Panniculus 
adiposus mit den meisten obengenannten Fettdepots in Verbindung 
stand. Im Zusammenhang mit dem Interskapularfett wurde alles 
kückenfett bis zur Höhe des Angulus inferior scapulae, mit dem 
Axillarfett alles Fett bis zum unteren Brustkorbrande in der Axillar- 
linie, mit dem Inguinalfett das gewöhnlich zirkumskripte Gebiet, 
das in einem Bogen sich von der Symphyse bis zur Spina iliaca 
anterior superior erstreckt, und mit dem Renalfett alles um die 
Nieren gelegene Fett bis herunter zur Mitte des Ureters ge- 
sammelt und gewogen. In den letzten Stadien der Versuchsreihen 
unterliegt es keinem Zweifel, dass das „Fett“, das ich dermassen 
gewogen, streng genommen nicht so genannt werden kann, sondern 
eher das seröse Bindegewebe ist, das durch die Atrophie des Fett- 
gewebes entstanden ist. Die eigentliche Fettreduktion ist daher 
sicherlich noch etwas grösser, als die Zahlen es angeben. 

Als Fixierungsflüssigkeit habe ich die Tellyesniczkysche 
Lösung verwendet; gewöhnlich wurde ausserdem noch ein geringerer 
Teil der Drüse in Flemmingscher Flüssigkeit fixiert. 

Die Bestimmung der Parenchymwerte geschah nach dem 
von Hammar (1906) angegebenen Prinzip. Seine Anwendung 
auf das Kaninchen erfordert indessen die Kenntnis der spezifischen 
(rewichte von Thymusparenchym, Bindegewebe und Fettgewebe 
bei diesem Tier. Ich führte eine solche Bestimmung des spez. 
(rewichts des Parenchyms in der Weise aus, dass ich Thymus- 
stücke von neugeborenen Kaninchen, wo das interlobuläre Binde- 
gewebe so wenig entwickelt ist, dass es in diesem Zusammenhang 
zu vernachlässigen sein dürfte, in Kochsalzlösungen von bekanntem 
spez. Gewicht eintauchte. In gleicher Weise wurde das spez. 


26* 


396 Arvid Jonson: 


Gewicht des Bindegewebes an Stücken von fettfreier Subcutis 
aus dem Bauche neugeborener und ausgewachsener Tiere bestimmt. 
Das spez. Gewicht des Fettgewebes wurde an subkutanem Fett- 
gewebe mittelst Alkoholmischungen von bekanntem spez. Gewicht 
bestimmt. Als spez. Gewicht des Thymusparenchyms des Kaninchens 
ergab sich 1,075, des jungen Bindegewebes 1,060, des älteren 
Bindegewebes 1,10 und des Fettgewebes 0,95. Bei diesen Unter- 
suchungen leistete mir Herr Professor C. Th. Mörner wohlwollende 
Hilfe, wofür ich ihm zu grossem Danke verpflichtet bin. Die Berech- 
nungen wurden nach den in Söderlund-Backmans Aufsatz (1908) 
angeführten Formeln ausgeführt. 

Auch im übrigen habe ich versucht, objektive Maße für die 
mikroskopischen Veränderungen zu erhalten. Vor allem gilt dies 
für die Verhältnisse und die Menge der Hassalschen Körverchen 
und der Mitosen. 

Die Hassalschen Körperchen habe ich der Anzahl und 
Grösse nach zu bestimmen versucht und dabei mich folgender 
Methode bedient. Schnitte von 6 « Dicke aus verschiedenen 
Teilen der Drüse wurden mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt und in 
Kanadabalsam eingeschlossen. Unter dem Mikroskop wurde die 
Anzahl der im Parenchym vorhandenen Hassalschen Körperchen 
bestimmt und mit Benutzung des Okularmikrometers der Durch- 
messer jedes einzelnen Körperchens gemessen. Deutlich ober- 
flächlich geschnittene Körperchen wurden dabei nicht mitgezählt. 
Nachdem auf diese Weise Schnitte aus verschiedenen Teilen der 
Drüse durchsucht worden waren, wurden die Volumina der 
betreffenden Parenchymgebiete nach folgender Methode bestimmt. 
Mit Hilfe eines Projektionsapparats mit bekannter Vergrösserung 
wurden die behandelten Schnitte auf einer Wachsplatte auf- 
gezeichnet. Die aufgezeichneten Parenchymgebiete wurden danach 
ausgeschnitten und gewogen. Mittelst der Wägung eines Quadrats 
mit 5 cm langen Seiten wurde auch das Gewicht von 1 mm 
derselben Wachsplatte bestimmt. Angenommen, dass letzteres 
Gewicht a mg beträgt, dass das ausgeschnittene Parenchymgebiet 
b mg wiegt, und dass die bei der Projektion angewandte lineare 
Vergrösserung gleich m ist, so lässt sich die Oberfläche des 
untersuchten Schnittes nach folgender Formel berechnen 

b 


Sr ame 


Studien über die Thymusinvolution. 397 


Beträgt die Dicke des Schnittes 0,006 mm, so ist folglich der 
Kubikinhalt (ce) des untersuchten Parenchymgebiets 


ce = 0,006 u 


Falls man nun die Anzahl Hassalscher Körperchen von 
bestimmter Grösse kennt, die auf dieses Volumen gehen, kann 
man die Anzahl solcher Körperchen pro mm? Parenchym be- 
rechnen. Auch die Anzahl pro Drüse lässt sich berechnen, da 
man durch die Parenchymwertbestimmung das Gewicht des 
Parenchyms kennt und demnach bei bekanntem spez. Gewicht 
das Volumen (Vol. = absol. Gewicht : spez. Gewicht) des Drüsen- 
parenchyms berechnen kann. 

Die Zahlen, die so erhalten werden, bedürfen indessen einer 
weiteren Korrektion, und zwar ganz besonders, was die grösseren 
Hassalschen Körperchen betrifft. Wenn z. B. der Durchmesser 
in einem Fall als 30 « und die Schnittdicke als 6 « betragend 
festgestellt wurde, so kann dieses Hassalsche Körperchen von 
dem Messer höchstens fünfmal getroffen worden sein. Eine 
Wahrscheinlichkeitsberechnung zeigt, dass die Bildung in der 
Mehrzahl der Fälle in sechs Schnitten gefunden wird. Von 
diesen repräsentieren indessen zwei Schnitte die beiden Ober- 
flächenschnitte, von denen ich bereits beim Rechnen abgesehen 
habe, und ich hätte demnach dieses Hassalsche Körperchen 
viermal statt einmal gezählt. Aus diesem Grunde ist eine 
Reduktion der ursprünglich erhaltenen Zahlenwerte notwendig 
gewesen, und in Übereinstimmung hiermit habe ich auch die 
Reduktionsziffer für Gruppe 2 (s. unten!) zu 2, für Gruppe 3 zu 4 
und für Gruppe 4 zu 5 bestimmt, durch welche Zahlen also die 
ursprünglich erhaltene Totalsumme der betreffenden Gruppe 
dividiert worden ist. Die Werte in Gruppe 1 sind überhaupt 
nicht reduziert worden. Nach dieser Reduktion dürften die Werte, 
obwohl natürlich nur approximativ, als relativ anwendbar anzu- 
sehen sein. 

Bei dem Messen der Hassalschen Körperchen habe ich 
folgendes Verfahren beobachtet. Die Länge des Durchmessers 
ist nicht genauer als auf 5 « bestimmt worden, da die Grenze 
nach aussen hin meistens undeutlich und es unmöglich ist, sie 
völlig scharf zu markieren. Beim Messen ist keine besondere 
Schwierigkeit bei sphärischen Formen, dem gewöhnlichsten Typus 


395 Arvid Jonson: 


der einfachen mehrzelligen Hassalschen Körperchen, vorhanden 
gewesen. Anders stellt sich indessen die Sache bezüglich der 
zusammengesetzten Formen. Recht oft erhebt sich die Frage, 
ob mehrere einfache oder eine zusammengesetzte vorliegt. Dabei 
bin ich nun in der Weise verfahren, dass ich eine solche, die 
nicht von einer gemeinsamen peripheren Zellschicht umgeben 
war, als mehrere einfache gerechnet und jede dieser letzteren 
für sich gemessen, jede aber, die wenigstens eine gemeinsame 
periphere Zellschicht aufwies, als ein einziges Hassalsches 
Körperchen aufgefasst habe. Bei länglichen Formen ist ein un- 
gefährer mittlerer Durchmesser berechnet worden. 


Folgende Einteilung habe ich gewählt: 


A. Einzellige Hassalsche Körperchen, d. h. grosse, hyper- 
trophische Zellen, nicht selten mit ausgesprochen faseriger 
Protoplasmadifferenzierung, die wahrscheinlich bis zu einem ge- 
wissen Grade als Vorstadien zu den echten Hassalschen 
Körperchen anzusehen sind. 


B. Mehrzellige (echte) Hassalsche Körperchen. Grössen- 
gruppen: 


1. Durchmesser 5 —14 u, 
2. 15—24 u, 
3. R 25—34 u, 
4 35—60 u. 


Beim Zählen von Mitosen habe ich mich folgenden Ver- 
fahrens bedient. Von in Tellyesniczkyscher Flüssigkeit 
fixiertem Material wurden 6 w-Schnitte angefertigt und in 
Harrisschem Hämatoxylin gefärbt, wonach kräftige Entfärbung 
in HCl-saurem 70 °/oigem Alkohol (1°/o HÜl) vorgenommen wurde. 
Danach wurde die Säure gründlich in dest. Wasser ausgewaschen, 
so dass eine schöne, aber schwache Blaufärbung entstand; Über- 
führung in Xylol und Einschluss in Kanadabalsam. Unter An- 
wendung von Leitz’ Okular 1, Objektiv 7 habe ich die Anzahl 
der Mitosen in einer Anzahl Gesichtsfelder von Rinde bezw. Mark 
berechnet. Die Grösse des Gesichtsfeldes wurde mit Hilfe eines 
Objektmikrometers berechnet, und auf Grund der bekannten 
Schnittdicke wurde das Volumen der durchsuchten Gesichtsfelder 
festgestellt und die Anzahl Mitosen pro mm® Rinde und Mark 
sowie auch pro Drüse berechnet. 


Studien über die Thymusinvolution. 399 


In all den Fällen, wo ein Unterschied zwischen Rinde und 
Mark vorhanden war, wurde die Zählung der Mitosen für jedes 
der beiden Parenchymgebiete für sich angestellt. Wo ein Unter- 
schied zwischen Mark und Rinde nicht vorhanden war, wurde die 
Zählung für das Parenchym in seiner Gesamtheit vorgenommen. 
Um einen direkten Vergleich zwischen diesen beiden Kategorien 
von Fällen zu ermöglichen, wurde, um auch im erstgenannten 
Falle die Anzahl pro mm? Parenchym bestimmt zu erhalten, die 
Summe der in Rinde und Mark vorhandenen Mitosen durch den 
Kubikinhalt des ganzen Parenchyms (in mm ? gerechnet) dividiert. 

Die grösste technische Schwierigkeit bei dieser Methode 
ist die, dahin zu kommen, dass die Mitosen scharf gefärbt sich 
von der Umgebung abheben. Das Material muss wohltixiert sein, 
so dass das Charakteristische in der Form und Anordnung der 
Uhromosomen hervortritt, sonst dürfte es sich bei dieser Färbungs- 
methode nicht verlohnen, die Kernteilungsfiguren zählen zu wollen. 
Was die Entfärbung betrifft, so muss sie so kräftig sein, dass 
alle Zellkerne, die nicht in Mitose begriffen sind, äusserst matt 
gefärbt werden, denn erst dann werden die Chromosomen leicht 
erkennbar. Besonders grosse Schwierigkeiten bieten die Hunger- 
stadien, wo die Anzahl stark blaugefärbter, nicht selten unregel- 
mässig geformter Kerne und Kernderivate gewöhnlich sehr gross 
ist und Verwechslung mit Mitosen veranlassen kann. Indessen 
lernt man nach einiger Übung auch hier mit grosser Sicherheit 
die beiden Arten von Bildern zu unterscheiden. 


Eigene Untersuchungen. 


I. Der Verlauf der Involution. 


A. Chronische Unterernährung. 


Serie I. Sechs Tiere von demselben Wurf. Alter zu Beginn des 
Versuchs sechs Wochen (Taf. XVII, Fig. 1—5). 

Nr.1 (@). Erstes Kontrolltier. Zu Beginn des Versuchs getötet. 
Eines der mittelgrossen Tiere des Wurfs. Körpergewicht 409 gr, Milzgewicht 
0,17 gr, Gewicht des Fetts 12,37 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,87 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,72 gr, 
Rindenwert 0,60 er, Markwert 0,12 gr (die entsprechenden Durchschnitts- 
werte für sechs Wochen alte Kaninchen nach Söderlund-Backman 
bezw. 1,07, 1,00, 0,769, 0,232). 

Das mikroskopische Präparat (Taf. XVII, Fig. 1) zeigt das Bild einer 
normalen Thymus von einem wohlgenährten Tier. Die Läppchen liegen dicht 


400 Arvid Jonson: 


nebeneinander, nur durch schmale Bindegewebszüge voneinander getrennt. 
Verhältnis Rinde : Mark wie 5:1 und Verhältnis Parenchym : interstitielles 
Gewebe gleichfalls ungefähr wie 5:1. Nur spärlich werden Lymphozyten 
im interstitiellen Gewebe angetroffen, in nicht geringer Menge auch in 
Blutgefässen und Lymphgefässen. Kernteilungsfiguren sind in grosser Menge 
vorhanden, sowohl Lymphozyten als Retikulumzellen angehörig, pro mm? 
Rinde zu 16800, pro mm® Mark zu 9431 oder im Durchschnitt für das 
Parenchym zu 15590 pro mm? berechnet. Für das ganze Organ berechnet, 
sind die entsprechenden Werte 9408000, 1037410 und 10445410. Hassal- 
sche Körperchen 313,5 pre mm® Parenchym, 210045 für das ganze Organ 
berechnet. Die mittelgrossen (15—24 u) und die einzelligen am zahlreichsten 
(wegen Einzelheiten s. Tab. II auf S. 414). Das interstitielle Gewebe enthält 
ziemlich reichlich Fett. 


Nr. 2 (9). Erstes Versuchstier. Eine Woche lang unzureichende, 
aber allseitige Ernährung. Körpergewicht zu Beginn des Versuches 369 gr, 
Gewichtsabnahme während der ganzen Versuchszeit 37 gr (mittlere Gewichts- 
zunahme vor Beginn des Versuchs 14,5 gr pro Tag; mittlere Gewichtsabnahme 
pro Tag während des Versuchs 5,3 gr), Milzgewicht 0,22 gr, Fett 6,32 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,30 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,19 & 
Rindenwert 0,13 gr, Markwert 0,06 gr. 

Verhältnis Rinde: Mark — 2:1 (ungef.) und Parenchym : intersti- 
tielles Gewebe = 9:5 (ungef.). In dem mikroskopischen Präparat (Taf. XVII, 
Fig. 2) zeigen sich die Lobuli an Umfang beträchtlich vermindert, die Rinde 
mehr als das Mark. Die Anzahl der Rindenlymphozyten ist stark reduziert, 
während das Mark solche Zellen in vermehrter Anzahl zu enthalten scheint. 
Zahlreiche Lymphozyten im interstitiellen Gewebe und in den perivaskulären 
Lymphgefässen. Die Anzahl der Mitosen relativ gross, zu 12855 pro mm 
Rinde, 8290 pro mm? Mark und 11411 pro mm? Parenchym berechnet; für 
das ganze Organ berechnet, betragen sie 1555455 in der Rinde, 464240 im 
Mark oder zusammen 2019695, also etwas mehr als !/s der Mitosen beim 
Kontrolltier. Die allerkleinsten Formen mehrzelliger Hassalscher Körperchen 
weisen Anzeichen der Degeneration auf, in der Form von Kernzerfall und 
Nekrose in den zentralen Partien. Die Anzahl der Hassalschen Körperchen 
beträgt der Berechnung nach 867,2 pro mm? oder für die ganze Drüse 
153494, d. h. etwas mehr als ?/« der beim Kontrolltier. Am zahlreichsten 
ist auch hier die Grössengruppe 15—24 „, demnächst die kleinen mehrzelligen 
und die einzelligen (s. Tab. II. Das interlobuläre Fett an einigen Stellen 
stark atrophisch. Das interstitielle Gewebe bedeutend mehr aufgelockert als 
in der Thymus des Kontrolltiers. 


m 


Nr.3 (2). Zweites Versuchstier. Zwei Wochen lang unzureichende 
Ernährung Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 367 gr, Gewichts- 
abnahme während der ganzen Versuchszeit 56 gr (mittlere Zunahme pro 
Tag vor Beginn des Versuchs 12,7 gr, mittlere Gewichtsabnahme während 
des Versuchs selbst 4,0 gr pro Tag). Milzgewicht 0,18 gr, Fett 1,7 gr. 

Absolutes Thymusgewicht 0,12 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,07 gr. 
Rindenwert 0,05 gr, Markwert 0,02 gr. 


Studien über die Thymusinvolution. 401 


Die Involution ist hier noch weiter gegangen (Tafel XVII, Fig. 3). 
Die Lobuli klein, mit einer dünnen Rindenschicht. Die Grenze zwischen 
den Rinden- und Markgebieten noch erkennbar, in einigen Lobuli jedoch 
ziemlich undeutlich. Zahlreiche Lymphozyten in den Lymphgefässen und 
im interlobulären Bindegewebe. Die Anzahl der Mitosen bedeutend ver- 
mindert, pro mm? Parenchym zu 4860 und im ganzen Parenchym zu 325 620 
oder ungefähr !/so des Betrages beim Kontrolltier berechnet. Zahlreiche 
Degenerationstypen unter den Retikulumzellen : Schollen oder Körnchen in 
dem stark angeschwellten Protoplasma, die von Osmium grau gefärbt werden, 
ausserdem Ohromatolyse des gewöhnlich exzentrisch liegenden Kerns. Unter 
den Hassalschen Körperchen scheint eine grosse Zahl in Degeneration be- 
griffen zu sein: Nekrose und Auflösung der mehr zentral gelegenen Zellen 
und Kernzerfall in den peripheren Schichten; pro mm? Parenchym betragen 
sie 1222,9. im gesamten Parenchym 81934. Die einzelligen Formen sind 
ganz verschwunden, die mittelgrossen (15—24 .„) überwiegen immer noch 
(s. Tab. I). 


Nr.4 (82). Drittes Versuchstier. Drei Wochen lang unzureichende 
Ernährung. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 382 gr, Gewichtsabnahme 
während der ganzen Versuchszeit 5 gr (Körpergewicht fast konstant während 
der ganzen Versuchszeit; mittlere Gewichtszunahme pro Tag vor Beginn 
des Versuchs 14,3 gr). Milzgewicht 0,15 gr, Fett 1,3 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,09 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,04 gr. 

Die ganze Drüse äusserst dünn, kaum erkennbar, eingebettet in ein 
serös durchtränktes, schlottriges Bindegewebe (Taf. XVII, Fig. 4) im vorderen 
Mediastinum. Das Parenchym beträgt weniger als die Hälfte der Drüse. 
In dem mikroskopischen Präparat ist es nicht immer leicht, die Mark- und 
Rindenregionen voneinander zu unterscheiden. Das Mark ist nämlich besonders 
reich an Lymphozyten, während die Anzahl in der Rinde stark reduziert ist, 
weshalb der Zellreichtum des Parenchyms ziemlich gleichförmig ist. Besonders 
augenfällig ist die starke Lymphozytenanhäufung, die überall um die grösseren 
intraparenchymatösen Gefässe und die in ihrer Nähe gelegenen Lymphwege 
herum vorkommt. Auch die Lymphgefässe und das interstitielle Gewebe 
enthalten reichlich solche Zellen. Ebenso scheint ihre Anzahl etwas in den 
Venen vermehrt zu sein. Die Mitosen sind spärlich, zu 4105 pro mm? Paren- 
chym und 147780 im gesamten Parenchym berechnet. Die Bilder degenerierter 
Retikulumzellen zahlreicher. Die Hassalschen Körperchen zu 1623,2 pro 
mm? Parenchym und 58435 im gesamten Organ berechnet. Einzellige 
fehlen; die Gruppe 15—24 „ überwiegt der Zahl nach immer noch. Fast 
alle Hassalschen Körperchen scheinen in Degeneration begriffen zu sein. 
Das interstitielle Gewebe fettfrei, serös durchtränkt und aufgelockert. 


Nr. 5 (2). Viertes Versuchstier. Vier Wochen lang unzu- 
reichende Ernährung. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 445 gr; Ab- 
nahme während der ganzen Versuchszeit 45 gr (mittlere Zunahme vor Beginn 
des Versuchs 15 gr pro Tag, mittlere Abnahme während des Versuchs 
1,69 gr pro Tag; Gewichtsfluktuationen während des Versuchs selbst 485 
und 400 gr). Milzgewicht 0,07 gr, Fett 1,5 gr. 


402 Arvid Jonson: 


Absol. Thymusgewicht 0,03 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,011 gr. 

Die Drüse äusserst reduziert dem Gewicht und Volumen nach. Ver- 
hältnis Parenchym : interstitielles Gewebe —= 5:9 (ungef.). Die Lobuli sehr 
stark vermindert, einige von fast epithelialem Aussehen, so gut wie voll- 
ständig von Lymphozyten entblösst. Die zentralen Teile der Lobuli enthalten 
eine grössere Anzahl Lymphozyten als die peripheren (Taf. XVII, Fig. 5), 
und besonders scheinen diese Zellen um die grossen Gefässe gesammelt zu 
sein, die sich zentral in den Lobuli befinden. Lymphozyten kommen ausser- 
dem zahlreich in Blutgefässen, Lymphgefässen und in dem interstitiellen 
Gewebe vor. Mitosen kommen äusserst spärlich vor, und die vereinzelten, 
die entdeckt werden konnten, scheinen meistens Retikulumzellen anzugehören; 
ihre Anzahl zu 315 pro mm? und 3087 im gesamten Organ berechnet. 
Degenerationsbilder von Retikulumzellen sind sehr gewöhnlich; hier und da 
finden sich auch kleine, stark gefärbte Körnchen oder Klumpen, Flemmings 
„tingiblen Körperchen“ ähnlich, wahrscheinlich Kernfragmente aus degene- 
rierten Lymphozyten. Die Hassalschen Körperchen zu 1646,6 pro mm? und 
16136 im ganzen Organ berechnet. Keine einzelligen vorhanden; die Gruppe 
15—24 „ überwiegt kaum nennenswert über die Gruppe 5—14 u. In sämt- 
lichen Hassalschen Körperchen degenerative Veränderungen. 

Dieses Tier erwies sich als mit Coccidien behaftet. Eine geringe Anzahl 
Herde in der Leber. 


Nr.6 (4). Zweites Kontrolltier. Reichliche und allseitige Kost 
während der ganzen Versuchszeit. Wurde wegen hervortretender Symptome 
von Coccidieninfektion schon nach drei Wochen, d.h. gleichzeitig mit Nr. 4 
getötet. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 370 gr, Gewichtszunahme 
während des ganzen Versuchs 256 gr (mittlere Zunahme pro Tag 12,6 gr). 
Milzgewicht 0,28 gr, Fett 20,35 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,95 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,77 gr, 
Rindenwert 0,62 gr, Markwert 0,15 gr. 

Verhältnis Parenchym: interstitielles Gewebe — 4:1 (ungef.), Rinde zu 
Mark = 4:1 (ungef.). Das mikroskopische Bild zeigt eine ziemlich normale 
Thymus: zahlreiche Mitosen, die Rinden- und Markgebiete deutlich voneinander 
abgegrenzt. Doch ist es augenfällig, wie äusserst zahlreiche Lymphozyten 
sich in den Lymphgefässen und dem interlobulären Bindegewebe befinden. 
Dies steht offenbar mit einer ziemlich starken Coceidieninfektion der Leber 
in Zusammenhang. Zu beachten ist auch, dass das Tier, trotz reichlicher 
Nahrung, während der letzten fünf Tage, bevor es getötet wurde, um 40 gr 
abnahm. 


Serie II. Ein Wurf von vier Tieren, von denen zwei Tiere als Kon- 
trolltiere, die zwei übrigen als Versuchstiere angewandt wurden. Alter zu 
Beginn des Versuchs vier Wochen. 


Der Versuch wurde so angeordnet, dass die Versuchstiere einer ziem- 


lich gelinden Beschränkung der Nahrung während der ersten Woche ausgesetzt 
wurden, wonach ein Versuchstier getötet wurde; das andere Versuchstier 
bekam dann während der zweiten Versuchswoche eine ganz minimale Menge 
Nahrung, wonach es getötet wurde. 


26 ee 


Studien über die Thymusinvolution. 403 


Nr.7 (&). Erstes Kontrolltier, getötet zu Beginn des Versuchs. 
Kleinstes Tier des Wurfs. Körpergewicht 262 gr, Milzgewicht 0,13 gr, Ge- 
wicht des Fetts nicht bestimmt. 

Absol. Thymusgewicht 0,39 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,33 gr, 
Rindenwert 0,27 gr, Markwert 0,06 gr. 

Die Thymus zeigt normales Aussehen im mikroskopischen Präparat. 
Mitosen 18500 pro mm® Rinde, 7166 pro mm? Mark, d.h. durchschnittlich 
pro mm® Parenchym 16453; berechnet für das ganze Organ sind die ent- 
sprechenden Zahlen 4699000, 401296 und 5100296. Hassalsche Körperchen 
zu 325,7 pro mm® Parenchym oder für das ganze Organ zu 100967 be- 
rechnet; die kleinen Formen 5—14 und 15—24 „ sind ungefähr in gleicher 
Anzahl vertreten; die einzelligen etwas spärlicher. 


Nr.8 (8). Erstes Versuchstier. Eine Woche lang gelinde Be- 
schränkung der Nahrung. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 345 gr, 
zu Ende desselben 362 gr, Zunahme während der ganzen Versuchszeit 17 gr 
(tägliche Zunahme vor Beginn des Versuchs 15,0 gr, tägliche Zunahme während 
des Versuchs 2,4 gr). 

Absol. Thymusgewicht 0,40 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,34 gr, 
Rindenwert 0,22 gr, Markwert 0,12 gr. 

Das mikroskopische Präparat zeigt bedeutend verminderte Lobuli. Die 
Lymphozytenmenge in der Rinde bedeutend geringer als bei den Kontrollthymi. 
Die Lymphozyten sind dagegen im Mark vermehrt, und die interlobulären 
Lymphgefässe sind ganz überschwemmt mit derartigen Zellen. Auch im 
interstitiellen Bindegewebe sowie in den Blutgefässen zahlreiche Lympho- 
zyten. Mitosen 12510 pro mm® Rinde, 10230 pro mm? Mark, 11726 pro 
mm? Parenchym: in der ganzen Rinde wurde ihre Anzahl zu 2627100, im 
ganzen Mark zu 1125300 oder zusammen im ganzen Parenchym zu 3752400 
berechnet. Die Anzahl der Hassalschen Körperchen beträgt 370,5 pro mm? 
oder 119560 in der ganzen Drüse. Die Gruppe 5—14 „ ist am zahlreichsten 
vertreten, danach die einzelligen und die Gruppe 15—24 „ in ungefähr 
gleicher Menge (s. Tab. II). Das interstitielle Gewebe ist deutlich lockerer 
als normalerweise; die Fettlobuli innerhalb desselben hier und da etwas 
atrophisch. 


Nr.9 (&). Zweites Versuchstier. Eine Woche lang äusserst 
gelinder, danach eine Woche lang starker Hunger. Körpergewicht zu Beginn 
des Versuchs 324 gr, zu Ende desselben 313 gr. Gewichtsabnahme während 
des ganzen Versuchs 11 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor Beginn des Ver- 
suchs 13,7 gr, mittlere Abnahme pro Tag während des Versuchs selbst 0,8 gr). 
Milzgewicht 0,15 gr, Fett 0,59 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,05 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,016 gr. 

Die Lobuli stark vermindert. Ein Unterschied zwischen den Rinden- 
und Markgebieten unmöglich zu beobachten. Das Parenchym hat ein durch- 
weg gleichartiges Aussehen; die Hassalschen Körperchen werden oft an den 
Rändern der Lobuli angetroffen. Die Anzahl der Lymphozyten stark reduziert. 
Am zahlreichsten sind sie zentral in den Lobuli, stellenweise in den Retikulum- 
maschen und um die grossen zentralen Gefässe (Venen) herum angesammelt. 


404 Arvid Jonson: 


Auch die perivaskularen Lymphwege in dem interstitiellen Gewebe enthalten 
zahlreiche Lymphozyten. Dagegen finden sie sich spärlicher in den peripheren 
Teilen der Lobuli, woselbst eine epitheliale Randschicht mehrfach zutage 
tritt. Mitosen kommen äusserst spärlich vor und gehören hauptsächlich 
Retikulumzellen an; sie sind zu 728 pro mm? Parenchym und 10920 in der 
ganzen Drüse berechnet worden. Degenerationsformen sowohl von Retikulum- 
zellen als von Lymphozyten äusserst zahlreich. Die allermeisten Hassalschen 
Körperchen sind in Degeneration und Auflösung begriffen; ihre Anzahl 1305,5 
pro mm®, 19582 in der ganzen Drüse; die kleinen mehrzelligen (5—14 4) 
am zahlreichsten, die einzelligen verschwunden. Das interstitielle Gewebe 
ist stark aufgelockert und entbehrt des Fettes. Die Blutgefässe mit Blut 
prall gefüllt. 

Nr. 10 (3). Zweites Kontrolltier. Wurde zu Ende des Ver- 
suchs getötet. Kein Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 310 gr, 
Gewichtszunahme während der ganzen Versuchszeit 185 gr (mittlere Zunahme 
pro Tag 13,2 gr). Milzgewicht 0,20 gr, Fett 5,5 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,68 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,64 gr, 
davon Rinde 0,57 gr, Mark 0,07 gr. 

Ich habe noch eine Versuchsserie mit chronischer Unter- 
ernährung (Serie IV) anzuführen, da sie aber mit Regenerations- 
versuchen verbunden wurde, wird in dem betrefienden Abschnitt 
weiter unten über sie berichtet werden. 


Die hier angeführten Versuche zeigen deutlich, welch intimer 
Zusammenhang zwischen der Thymus und dem allgemeinen Er- 
nährungszustand des Körpers herrscht. Unter ständigem Sinken 
geht das absolute Thymusgewicht bei Unterernährung in Serie I 
so herab, dass es nach vier Wochen nahezu !/so!) von dem des 
Kontrolltiers beträgt (vgl. die Kurve Textfig. 1). In Serie II 
gibt der schwache Hunger der ersten Woche einen undeutlichen 
Ausschlag; möglicherweise resultiert er nur in verlangsamtem 
Wachstum des Organs. Eine Woche schwachen und eine Woche 
strengeren Hungers hat dagegen eine Reduktion des Thymus- 
gewichts auf !/s bis !/ı2 desjenigen beim Kontrolltier zur Folge. 
In Serie IV (Textfig. 10, s. S. 437) ist das absol. Thymusgewicht 
nach zehntägiger Unterernährung gleichfalls auf '/ı2 desjenigen 
beim Kontrolltier reduziert; ein Monat Hunger (in dieser Serie 


') Da das zweite Kontrolltier gleichwie das vierte Versuchstier und 
in höherem Grade als dieses coccidieninfiziert war, so ist das erhaltene 
Resultat meines Erachtens offenbar dem Hunger, nicht der Krankheit zuzu- 
schreiben. 


Studien über die Thymusinvolution. 405 


strenger als in Serie I!) hat das Gewicht auf ungefähr '/ıoo des- 
jenigen beim Kontrolltier herabgebracht ! 

Da das Körpergewicht währenddessen recht wenig von dem 
ursprünglichen variiert hat (wobei man jedoch sich erinnern muss, 
dass die Versuche Altersstadien umfassen, wo normalerweise ein 
schnelles Wachstum stattfindet), so hat sich auch das relative 
Thymusgewicht (in Prozent des Körpergewichts gerechnet) 
bedeutend geändert: in Serie I ist es von 0,21°/o auf 0,007 Jo, 
d.h. gleichfalls auf '/so des Wertes beim Kontrolltier gesunken; 


Fig. 1. Serie I. Chronische Unterernährung. 


Absoßsehymussewicht,, —-— rer 
„ Parenchymgewicht —- — -—- 
„  Rindengewicht -— - - —- — 
5 Markgewicht - - - 0er... 
» Gewicht des interst. Gewebes — - -— - - — 


in Serie II von 0,15 °/o auf 0,016, d. h. auf ungefähr '/ıo, und in 
Serie V von 0,21°/o auf 0,004 °/o, d.h. auf ungefähr '/so (s. Tab. I). 

In dem anatomischen Bilde des Organs müssen natürlich 
derartige Veränderungen notgedrungen sich stark bemerkbar 
machen. 

Bei gesunden Kaninchen, die sich im Wachstumsalter be- 
finden, und die wohlgenährt sind, ist die Thymus normalerweise 
eine ziemlich ansehnliche Drüse, die fast das ganze vordere 


406 Arvid Jonson: 


Mediastinum von der Mitte des Herzens bis hinauf zum oberen 
Sternalrande ausfüllt und sich sogar mit den beiden Hörnern ein 
Stück in die Halsregion hinauferstreckt. Aber bereits eine ein- 
wöchige Abmagerungskur ist hinreichend, um eine bedeutende 
Verminderung im Volumen der Drüse zu verursachen, und nach 
3—4 Wochen verminderter Nahrungszufuhr ist die Involution 
soweit gegangen, dass die Drüse nur mit Schwierigkeit zu ent- 
decken ist: als ein dünner, geleeartiger Fetzen liegt sie über 
. dem Herzbeutel im vorderen Mediastinum ausgebreitet, und beim 
Herauslösen einer solchen „Hungerthymus“ sind es vor allem ihre 
(Gefässe, die bezüglich der Lage und Ausbreitung des Organs 
Anhaltspunkte geben. Gefässe sind ja im allgemeinen ziemlich 
resistent gegenüber dem Hunger, und eine stark involvierte Thymus 
ist daher sehr reich vaskularisiert und infolgedessen stark blut- 
gefärbt. Eine gute Vorstellung von der Grössenreduktion liefern 
die Figuren 1—4 auf Taf. XVII, die sich auf Serie I beziehen. An 
verschiedenen Stellen ist eine verschieden starke Involution zu 
sehen. Am besten scheinen die zentralen, um die grösseren Ge- 
fässe herum gelegenen Lobuli der Einwirkung des Hungers zu 
widerstehen. 

Der grösste Gewichtsverlust trifft die Thymus in der ersten 
Zeit bei gleichförmiger unzureichender Fütterung. In Serie I 
beträgt während der ersten Versuchswoche die Gewichtsabnahme 
65,5°/o (Fig. 2). Während der folgenden Versuchszeit ist der 
Verlust geringer: während der zweiten Versuchswoche 20,5 °/o, 
während der dritten Woche 3,7°/o und während der vierten 
Woche 7°/o. Nach vierwöchiger Abmagerungskur hat die Thymus 
an Gewicht nicht weniger als 97,7°/o verloren. Das gleiche 
Verhältnis finden wir in Serie IV: während der ersten zehn Tage 
Gewichtsabnahme um ungefähr 88,7°/o, während der folgenden 
drei Wochen um weitere 11°/o (diese Zahlen sind indessen nicht 
völlig vergleichbar mit den vorhergehenden, da das Kontrolltier 
in dieser Serie erst nach Ende der Hungerperiode getötet wurde). 

Es ist von Interesse, die Verminderung der Thymusdrüse 
unter dem Einfluss des Hungers mit der ‘des Fettgewebes zu 
vergleichen. Dieses letztere verhält sich im grossen und ganzen 
gleichartig :mit der Thymus und zeigt vor allem während der 
zwei ersten Versuchswochen eine schnelle Reduktion. Nach dieser 
Zeit fände 'nach den ‚Kurven (Fig. 2) und Tab. I auch noch 


Studien über die Thymusinvolution. 407 


weiterhin eine langsame Abnahme der Thymus statt, während 
das Gewicht des Fettgewebes sich mehr konstant hielte. Wie 
bereits oben erwähnt, hat indessen das „Fett“, das ich in den 
späteren Hungerstadien gewogen, in Wirklichkeit zu grossem 
Teil aus einem serös durchtränkten Bindegewebe oder atrophiertem 
Fettgewebe bestanden. Inwieweit Fett innerhalb dieses letzteren 
während der letzten 
Hungerwochen noch 
vorhanden gewesen und 
während dieser Zeit 


160 %. 


noch weiter reduziert 140% 

worden ist, darüber ver- 

mögen zweifellos die 120% 
Wägungen keinen 

sicheren Bescheid zu ak 


geben, da es jedenfalls 
beider makroskopischen 
Präparierung in diesen 
Stadien nicht möglich 
gewesen ist, sicher die 

Fettgewebsreste von 


80% 


dem fettfreien Gewebe 40 
in der Umgebung zu 
sondern. Im grossen 90% 


und ganzen dürfte es 
sich daher sagen lassen, 


dass die Kurve des Fetts 
mit der Thymuskurve Fig. 2. Serie I. Chronische Unterernährung. 


IW 2 


+W 


Ss 


zusammenfällt und die Absol. Thymusgewicht in Prozenten desjenigen 
beim ersten Kontrolltiier —————————— —— : 


Thymus demnach in gi 5 
Körpergewicht in Prozenten desjenigen zu 


bezug auf Labilität bei 


f n Beginn des Hungers —-— -— .— .; Gewicht 
Unterernährung dem des Fetts in Prozenten desjenigen beim ersten 
Fettgewebe gleichge- Kontrolltier — — — — - 


stellt ist. 

Wenn auch die Verminderung des absoluten Thymusgewichts 
durch unzureichende Nahrungszufuhr schon höchst beträchtlich 
ist, so zeigt doch das eigentliche Parenchym der Drüse eine 
verhältnismässig noch grössere Gewichtsherabsetzung, wie aus 
Tab. I und den Protokollen hervorgeht. Nach vierwöchiger Ver- 


408 Arvid Jonson: 


Tabelle I. 
| Körpergewicht Fettgewicht 
en Ti 
IE | Versuchs- - 
Nr. @ Alter zu Beginn u: in 
> zeit ' ee) des. 
Im des bei Mors oder absolut . 
Tanga Versuchs Zunahme Ko E 
| | (H gewicht 
B> | ! 7 
| | 
( 1.1) 2 | 6Wochen| Kontrolle 1 409 gr |, 409 gr 12,37 gr 
re 
an 3. Ol 1 Woche | 369 ‚, 332... —=.31 gel. 0a20% 1,90 
= e| 3.) 90.18 „ 2. Wochen) 367 „| 311 „| 56 „170 „| mus 
E & 4. 2 I „ 3 „ 382 2) 37 „ ara 2) 1,30 „ 0,35 
= B. 1, 85 10 0 E57, | AO 150, 0,37 
e 6819 „Kate 2| 370 „! 626 „ |4256 „|| 20,35 „| Su 
<| 
Pe | 
2 7.| & | 4Wochen| Kontrolle 1 | 262 gr | 262 gr 
I | 
S) 2 8 &|5 „ 1 Woche 345 „| 362 „|-+i7er| 59 er zu 
+ Eu 9 & |6 „ 2ÖWochen 324 „| 3137, 11 „ı Opa 
( ey 2 Kontrolle 2 | 310 „, | 495 „ +18 „| 55 „| LEE 
(11., & |4 Monate | Kontrolle 2 | 1375 gr | 1445 gr | +70 gr| 26,40 grı 1,8 
a el 1 Tag | 1200 „ | 1110 „| —90 „|1860 „| 168) 
&| a! 13.| 2 : 2 Tage | 1385 „ | 1235 „ 150 „|1630 „| 132 
Ba) Mar vo r 3 „1380 „!1200 „|-180 „10,92 „| "O 
a) 115.| & h 2.011885 „| 1185) „= 2503,19 6/90 se 
3\ 
= \ 
E (24.| & |5 Monate | Kontrolle 1 | 1450 gr | 1450 gr 25,00 ger) ve 
< =. e % 2 Tage | 1550 „ | 1360 „ |--190 er|l 24,50 „| 1,80 
ra 2126. ®) er ER 1665 „, | 1390 „ |— 275 „, | 27,20 „, 1,96 
UWE 9...,..1 1740. „ | 1300 „ |—440 14,00 eu 


Studien über die Thymusinvolution. 409 


' Thymusgewicht 
| | | 
in ®/o Absolutes Gewicht von Ink | Rinde | Mark BIETE 
des chym | Gewebe 
absolut * un Bi sk 
Körper- | Paren- 4 interst. | in °/o des absol. Thymus- 
gewichts Rinde Mark 


chym Gewebe gewichts 


M87 er | 021 0,72. gr | 0,60. 0. | 0,12 er | 015 gr | 82,8 | 69,0 | 13,8 | 172 
0,30 , 0.032 >| 0,19 ,.,, |, Ol .cl 0,062, | 0,11 „ ‚163,3 1243.3317.20:02 1,36,7 


012 „| oo Ioor „| 005 „| 002 „1005 „| 584! 217 | 167 | 41,6 
009 „| 0024 |004 „ 005 „| 444 N 
0.08 „| 0007 |oor „ |o019 „| 36,7 | | 683 
eo 0,062 „016,018 „| 811603 15,8. | 18,9 


sg or | "0,18 | 0,33 gr | 0,27 gr | 0,06 gr | 0,06 gr | 84,6 | 6322| 15,418, 
In, oo, lo „| 012,006 „| 85,0) 550 30.0 | 15,0 
| 005 „| 0016 | 0,016 „ | 0.084 „| 330 | | 68,0 
Des „ | 0137 007 „004 „| 946 | 


S& 
[or 
NS 

oO 
fox! 
= 


1255 ger | 0176 211 gr | 167 gr | 0,44 gr 0,44 gr 328 65,6 17,2 


17,2 

| ’ 
245 „ | 0220 | 198 „| 159 „| 089 „047 „| 808 649 | 15,9 | 192 
2412 „| 0196 |1zı „| 14 „| 030 „1071 „| 7%0,2| 583 | 12,4 | 29,3 


152, | 0126 || 1500 „. 025 025 „052 „| 65,6 
1,02 „| 0089 |.o0,2 „| 04 „| 018 040 „| 607 | 4831| 17,6 | 39,3 


> 
Re 
[80] 
jet 
2 
RSS 
=” 
Nm 
RS 


6b er | 0,114 1,31 gr | 1,13 gr | 0,18 gr | 0,34 gr | 79,4 68,5 
Ne 10,132. „| 1,2207 Re... \..0:21 053 „| 70,6 | 583 | 12,3 | 29,4 
1410 „ | 0.081. | 0,48, |:0>26 022 „0,82 „| 43,6 | 23,6 | 20,0 | 56,4 
0,40 „| 0081 | R 1027 „| 325 | 675 


= 
„m 
o 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 


IV 
1] 


410 Arvid Jonson: 


suchszeit beträgt in Serie I das reduzierte Parenchymgewicht 
nur ungefähr '/s von dem des Kontrolltiers (absol. Thymus- 
gewicht — '/3o von dem des Kontrolltiers in demselben Fall). 
Nach einer Woche schwachen und einer Woche strengeren 
Hungers ist der Parenchymwert in Serie II auf '/se (das absol. 
Thymusgewicht auf "/s) des ursprünglichen Wertes reduziert: 
und in Serie IV ist der Parenchymwert nach 31 Tagen Unter- 
ernährung nur gleich '/s0oo des entsprechenden Wertes bei dem 
ungefähr zu gleicher Zeit getöteten Kontrolltier (das absol. 
Thymusgewicht ist während derselben Zeit auf ungefähr "/ıoo 
desjenigen beim Kontrolltier heruntergegangen). In diesen letzt- 
genannten, der Serie IV angehörenden Beispielen dürften die 
überraschend niedrigen Werte jedoch nicht nur einem relativ 
strengen Hunger, sondern auch der Wirkung der vorhandenen 
Coceidiose zuzuschreiben sein. Aus dem Angeführten geht hervor, 
dass die Involutionsprozesse im Parenchym vor sich gehen. 

In wie hohem Grade das Verhältnis zwischen den einzelnen 
Gewebskomponenten in derselben Drüse sich im Laufe des Ver- 
suchs ändern kann, geht aus Tab. I und II hervor. Bei dem 
Kontrolltier Nr. 1, Serie I, enthält die Drüse ungefähr fünfmal 
so viel Parenchym wie interstitielles Gewebe, nach vierwöchiger 
Versuchszeit aber ist dieses Verhältnis dahin geändert, dass das 
Parenchym nur ungefähr die Hälfte von dem interstitiellen Gewebe. 
nach dem Gewicht gerechnet, beträgt. 

Die beiden Gebiete des Parenchyms verhalten sich während 
der Involution verschieden, worüber Tab. I und II sowie die 
Kurven (Textfig. 1) Bescheid geben. 

Die Rinde, die in der Kaninchenthymus normalerweise 
durchgehends der vorherrschende Teil des Parenchyms ist, erfährt, 
so lange sie sich mit Sicherheit unterscheiden lässt, eine Reduktion, 
die in der Regel der des Parenchyms in seiner Gesamtheit 
parallel verläuft. So verlaufen in Serie I (Fig. 1) und in 
Serie IV (Fig. 10, s. S. 437) die Kurven des Parenchyms und 
der Rinde im grossen und ganzen nebeneinander. 

Das Mark dagegen nimmt weit langsamer als die Rinde ab, 
was besonders für die erste Versuchswoche gelten dürfte (Fig. 1): 
der schwache Hunger in Serie II scheint sogar in einer Steigerung 
des Markwertes zu resultieren. Die Frage lässt sich erheben, 
ob diese mehr resistente Beschaffenheit des Marks wirklich oder 


Studien über die Thymusinvolution. 411 


(ganz oder teilweise) nur scheinbar ist. In letzterem Fall hätte 
man sich die Sache so zu denken, dass die zentralen Teile der 
Rinde bei ihrer Reduktion einen mehr markähnlichen Bau 
annähmen und dadurch die Reduktion, die gleichzeitig auch das 
Mark träfe, kompensierten. Auf die Möglichkeit eines solchen 
Verhaltens hat Hammar (1906, S. 155) hingewiesen. Ver- 
schiedenes spricht indessen dafür, dass die Sache sich nicht so 
verhält. In vorgeschrittenen Involutionsstadien kann man 
Hassalsche Körperchen bis in die Oberfläche der Lobuli hinein 
antreffen. Da kein Anlass zu der Annahme vorliegt, dass der- 
artige Körperchen während der akzidentellen Involution neu- 
gebildet werden, so spricht dies dafür, dass die Rinde in grosser 
Ausdehnung wirklich geschwunden und nicht sichzu Mark umgebildet 
hat. Ferner spricht das Auftreten einer epithelialen Randschicht 
schon in relativ frühen Involutionsstadien (Hammar 1905: 1, 
S. 71) für eine zentripetale und bis zu einem gewissen Grade 
gegen eine zentrifugale Reduktion der Rinde. Auch weist die 
mikroskopische Prüfung der Mark-Rindengrenze nicht darauf hin, 
dass während der akzidentellen Hungerinvolution eine Verschiebung 
dieser Grenze nach aussen hin, d. h. eine Erweiterung des Marks 
auf Kosten der Rinde in grösserer Ausdehnung stattfindet. 
Dagegen sprechen die mikroskopischen Bilder bestimmt dafür, 
dass in den frühzeitigeren Involutionsstadien keine bedeutendere 
Reduktion des Marks zustande kommt. Ja, der zu Beginn der 
Involution geschehende Import von Lymphozyten in das Mark 
hinein bietet sogar die Möglichkeit, eine Markvergrösserung, wie 
sie das Kaninchen Nr. 8, Serie II zeigt, zu erklären — sofern 
es sich hier um etwas anderes als individuelle Variationen handelt, 
eine Frage, zu deren Entscheidung neue Versuche über die 
Involution bei gelindem Hunger vonnöten sein dürften. 

Was die histologischen Einzelheiten des Involutionsverlaufes 
betriftt, so will ich hier eine kurze Zusammenfassung derselben 
geben und verweise im übrigen auf die Protokolle. 

Normalerweise besteht ja das Thymusparenchym aus Rinde 
und Mark. Die Rinde besteht aus zerstreut liegenden, kleineren 
Retikulumzellen, die mit ihren Ausläufern ein weitmaschiges 
Netzwerk bilden, in dessen Maschen eine grosse Anzahl Lympho- 
zyten sich befinden. Das Mark dagegen hat dichter liegende, 
grössere, protoplasmareichere Retikulumzellen, und in dem mehr 


Dirks 


= 


412 Arvid Jonson: 


dichtmaschigen Markretikulum befinden sich normalerweise nur 
eine geringe Anzahl Lymphozyten. Ausserdem kommen im Mark 
normalerweise reichlich stärker hypertrophische Retikulumzellen 
von runder Form („einzellige Hassalsche Körperchen“) und echte 
Hassalsche Körperchen vor. 

Unter dem Einfluss verminderter Nahrungszufuhr ändern 
sich sehr bald diese Verhältnisse. 

Das erste, was man beobachten kann, ist eine augenfällige 
Verminderung der Anzahl der Lymphozyten innerhalb der Rinde, 
und gleichzeitig findet eine Vermehrung dieser Zellen im Mark, 
in den perivaskularen Lymphwegen, die von ihnen ganz erfüllt 
sein können, sowie in den Venen statt; auch werden derartige 
Zellen innerhalb des interstitiellen Gewebes in nicht geringer 
Menge angetroffen. Bedenkt man, dass das Parenchym, während 
dies vorsichgeht, eine höchst beträchtliche Verminderung in bezug 
auf Gewicht und Volumen zeigt, und dass die Rinde in über- 
wiegendem Grade an diesem Verlust interessiert ist, so lässt es 
sich kaum bezweifeln, dass eine bedeutende Lymphozytenaus- 
wanderung inszeniert worden ist, und dass die mobilisierten 
Lymphozyten hauptsächlich von der Rinde herstammen. Durch 
Lymphwege und Venen verlassen die Rindenlymphozyten über das 
Mark hin das Organ. Dass diese Zellen nicht auf dem Wege in 
die Thymus hineingewandert sein können, wie Stöhr (1906) es 
angenommen, ist klar, wenn man berücksichtigt, dass die Zahl 
der Lymphozyten während derselben Zeit mehr und mehr ab- 
nimmt. Denkbar ist zwar, dass auch eine Einwanderung vor- 
kommt, sie muss solchenfalls aber sehr unbedeutend im Vergleich 
mit der Auswanderung sein. 

Die Lymphozytenemigration geht vor sich, solange die 
Hungerzeit anhält, scheint aber, den Präparaten nach zu urteilen, 
lebhafter im Anfang als nach dem Ende zu zu sein, was sicher- 
lich mit der kontinuierlichen Verminderung der totalen Lympho- 
zytenmenge, je länger die Unterernährung dauert, in Zusammen- 
hang steht. 

Durch die Dezimierung der Rindenlymphozyten und ihre 
Einwanderung ins Mark erhält der Lobulus sehr bald ein uniformes 
Aussehen ohne Unterschied zwischen Rinde und Mark, und schliess- 
lich haben sich in den weit vorgeschrittenen Stadien die Verhält- 
nisse dahin geändert, dass die meisten Lymphozyten sich zentral 


Studien über die Thymusinvolution. 415 


im Lobulus befinden, während dieser in seinen peripheren Teilen 
fast Iymphozytenfrei ist. In einzelnen Läppchen fehlt es in den 
letzten Stadien sogar gänzlich an Lymphozyten. 

Die Anzahl der Mitosen im Parenchym ist, wie Tab. II und 
Fig. 3 zeigen, in einem kontinuierlichen und schnellen Sinken 
begriffen, und zwar nicht nur absolut im ganzen Organ, sondern 
auch pro mm? Parenchym berechnet. Die Rinde verhält sich 
dabei wie das Parenchym in seiner Gesamtheit; das Mark zeigt 
in Serie I auch ein Sinken, aber ein langsameres als die Rinde; 
in Serie II dagegen zeigen die Markmitosen eine Zunahme während 
des schwachen Hungers der ersten Woche. Es lässt sich nicht 


12000 


8000 


400 


IW 9 3 Wochen 


Fig. 3. Serie I. Chronische Unterernährung. 


Anzahl Mitosen pro mm? Parenchym 


tinde 
Mark Een: 


n n 


” 


mit Sicherheit ausschliessen, dass individuelle Verschiedenheiten 
hierbei mitgespielt haben, doch braucht dies durchaus nicht der 
Fall gewesen zu sein. In dem Mark hat auf diesem Stadium 
der Involution eine starke Einwanderung von Lymphozyten statt- 
gefunden, und eben die Marklymphozyten sind es, auf die der 
grössere Teil der Mitosen entfällt. 

Ohne Zweifel würden eingehendere Schlüsse aus der Mitosen- 
statistik zu ziehen gewesen sein, wenn es bei der Zählung möglich 
gewesen wäre, streng zwischen den „kleinen“ Mitosen in den 
Lymphozyten und den „grossen“ Mitosen in den Retikulumzellen 
zu unterscheiden. Ich habe in meinen Zählungsprotokollen die 
relativ sicheren Fälle beider Art angegeben, es finden sich aber 


414 Arvid Jonson: 


Tabelle 11. 


Anzahl Hassalscher Körperchen pro mm® | 
| Parenchym Anzahl Hassalscher 
Absol. 
Nr. |'Thymus-| _. Durchmesser . 
gewicht NE Sa. Ba 
| 2eiBen 1 oe o6 31.0150 60% zelliee | 
( 1.9) 0,87 gr | 105,7| 19,8 | 148,7 31,4 7,9 | 3135| 70819 13 266. 
3 i 2. 0,30 „ | 144,5| 168,6 445,7 84,3 24,1. | 867,2|| 25 576 | 29 842 
= 2 3..104125 381,1 | 660,0 | 147,2 34,6 11222,9 | 25 534 
2l@| 4.1009, | 598,7 | 831,5 | 166,3 26,7 |1623,2 ı 215535 
3 I | 5.0088 7286 | 8015 | 72,8.| 43,7 |1646,6 | 7140 
a ( 69) 0,9% „ | 185,0) 50,6 160,2 76,0 20,2 | 491,9|| 133 200 | 36 432 
B= | 
B | 
E | 
als! 7.2)039gr | 88,1 101,3 | 102,0 312°) 31 1325,27, 2rekk 31 403 
z = 8. | 0,40 „ | 9382| 134,3 98,4 36,0 3,6 | 37051 31424 | 42976 
(al 9 0,05 „, | 798,8 | 459,5 | 472 1305,5 11 982 

= 
- | 
< (11.2) 2,55 gr | 86,6| 130,0 72135 294 | 5,4 | 464,9] 169736 | 254 800 
& >| 12. [2,45 „ | 116,4 | 340,1 331,2 291 | 1,8 | 8186|] 214176 625 784 
E E‘ 13. | 2,42 „ | 130,6| 331,4 | 289,3 16,3 1,9 | 769,5 | 207 654 | 526 926 
s @lıa |1,52 „|| 150,7| 333,2 430,1 278 | 16 , 943,4 || 140151 | 309876 
E (415. 1eL02E, 75,4| 212,6 | 363,5 308 | 13 |68,6|| 43732 | 123308 
rs | | 


!) Erstes Kontrolltier, getötet zu Beginn des Versuchs. 
?) Zweites Kontrolltier, getötet zu Ende des Versuchs. 


Zwischenformen, wo eine Entscheidung nicht zu trefien ist, und 
aus diesem Grunde nehme ich von einer derartigen Teilung 
Abstand. Nur soviel glaube ich sagen zu können, dass in den 
späteren Hungerstadien die angetroffenen Mitosen hauptsächlich 
Retikulumzellen angehört haben, ein Umstand, der teilweise aus | 
der starken Dezimierung der Lymphozyten in diesen Stadien zu 
erklären sein dürfte. 


Studien über die Thymusinvolution. 415 
T— ee Tea ss EEE EEETEEEEEEEEEEEEEEEREEERREEEEEEEEEETEETEETEEEEEEE EEE 
Körperchen in der ganzen Thymus 
7 nd - Anzahl Mitoser Anzahl Mi 
Durchmesser pro nm3 nza itosen 
m y an Eatenl |üeys2 | im ganzen) in der |;jm ganzen 
15—24 u 125—34 „|35—60 u h Paren- ganzen 
sn chym Rinde Mark 
= 
99629 | 21038 | 5293 | 210045 | 15590 10 445 410, 9408 000) 1 037 410 
78889 | 14921 | 4266 | 153494 11411 2019695 1555455 464 240 
44220 | 9862 | 2318 81 934 || 4 860 325 620 
29934 | 5987 961 | 58485 | 4105 147 780 
185 | 718| 488 | 16186 | 315 3.087 
115344 | 54 720 | 14 544 354 240 
31 620 9 672 961 | 100 967 || 16 453 5 100 296 4699000) 401 296 
31488 | 11520 | 1152 | 119560 11 726 3 752 400) 2 627 100| 1 125 300 
6 892 708 19 582 128 10 920 
418460 |, 57624 ‚10584 | 911 204 || 14 563 28 542 510,25 604 450| 2 938 060 
609408 | 53544 | 3312 (1506 224 || 14 270 26 257 350/23 812 470| 2 444 880 
459987 | 25917 | 3021 [1223505 || 14 434 22 950 130119 889 730| 3 060 400 
399 993 \ 25854 | 1488 | 877362 11421 10 621 350 84614 230| 2 157 120 
210830 | 17864 754 396488 | 11504 6 672 600| 5 248 000) 1 424 600 
| 


Es ist nicht ohne Interesse, den Resultaten der Berech- 
nungen betreffs der Mitosen die entsprechenden Resultate betrefts 
der Hassalschen Körperchen (Tab. II, Textfig. 4) zur Seite zu 
stellen. Auch die totale Menge dieser letzteren nimmt in Serie I 


ab, etwas rascher während der ersten Woche als später. 


Die 


Reduktion der Hassalschen Körperchen geschieht indessen nicht 


ebenso schnell wie die Reduktion des Parenchyms in toto. 


Die 


Folge ist eine relative Vermehrung derselben, wie sie aus 


416 Arvid Jonson: 


Tab. II hervorgeht. Erst in der vierten Hungerwoche, wo die 
Abnahme des Parenchyms beträchtlich verlangsamt ist, scheinen 
die beiden Reduktionsprozesse mit nahezu gleicher Geschwindig- 
keit vorsichzugehen. 

In Serie II zeigt die erste Woche eine Steigerung der totalen 
Menge Hassalscher Körperchen, die bei der langsamen Zu- 
nahme des Parenchyms während derselben Zeit genügend ist, um 
auch die relative Menge zu erhöhen. Hier lägen demnach Fälle 
vor, wo unter dem Einfluss des schwachen Hungers die Menge der 
Mitosen vermindert worden ist, 
während zugleich die Hassal- 
schen Körperchen an Zahl zu- 
genommen haben. Es ist nicht 
meine Absicht, einen bestimmten 
Schluss aus diesem einzigen Fall 
zu ziehen, er ist aber doch nicht 
ohne Interesse, insofern er auf 
die Möglichkeit einer gewissen 
gegenseitigen Selbständigkeit 
dieser beiden Seiten der Funktion 
der Thymusdrüse, Vermehrung 
und Bildung Hassalscher Kör- 
perchen hinweist. 

Es erhebt sich nun die 
Frage, in welcher Weise die 
Verminderung der Anzahl der 
Hassalschen Körperchen zu- 
standekommt. Eine Andeutung 
davon, daß die einzelligen Formen 
durch die Degeneration der Zellen 
verschwänden, habe ich nicht 
beobachten können. Ich bin daher geneigt anzunehmen, dass ıhr 
relativ schnelles Verschwinden ganz einfach auf einem atrophischen 
Prozess beruht, wodurch sie den Charakter gewöhnlicher Retikulum- 
zellen wiedererhalten. Eine entsprechende Verminderung hat 
Hammar (1905: 1, 8. 72) auch bei den bis zu einem gewissen 
Grade diesen Formen entsprechenden myoiden Zellen in der 
Froschthymus bei ihrer akzidentellen Involution konstatieren 
können. Die Möglichkeit, dass einige durch Entwicklung zu 


Fig. 4 Serie I. 
Chronische Unterernährung. 


Absol.Menge HassalscherKörperchen 
bei den Versuchstieren — —— , 
beim zweiten Kontrolltier — — — — 


Studien über die Thymusinvolution. 417 


grösseren (d. h. mehrzelligen) Formen verschwinden, lässt sich 
nicht völlig ausschliessen, scheint mir aber nicht sehr gross zu 
sein. Von den mehrzelligen Körperchen scheinen die kleinen 
’ormen wohl auch teilweise durch Verkleinerung der Zellen und 
dadurch bedingte Dissoziation eine Auflockerung zu erfahren. 
Die grösseren Formen degenerieren gewöhnlich in ihren zentralen 
Teilen: die Zellen zerfallen dort und lösen sich auf, während die 
peripheren Zellen nicht selten sich konzentrisch abplatten und 
um die entstandene Höhlung herum eine Art epithelialer Be- 
kleidung bilden. In solehen zu kleinen Cysten umgewandelten 
Hassalschen Körperchen scheinen Lymphozyten mit einer ge- 
wissen Vorliebe sich anzuhäufen. 

Ich habe, wie bereits angegeben, bei meiner Berechnung 
die Hassalschen Körperchen in fünf verschiedene Gruppen 
geteilt: einzellige und mehrzellige mit 5—14 u, 15—24 «, 
25—34 u und 35—60 « Durchmesser. Es zeigt sich nun, dass 
diese Gruppen sich in der Regel in ähnlicher Weise verhalten 
wie die Hassalschen Körperchen, als eine Gruppe betrachtet. 
Im Laufe des Versuchs nehmen demnach in Serie I (Textfig. 4) 
sämtliche Gruppen an totaler Menge innerhalb der Thymus ab. 
Am schnellsten geht die Abnahme betrefis der einzelligen vor 
sich, die bereits nach zweiwöchiger Versuchszeit vollständig ver- 
schwunden sind. Für alle Gruppen ist die Abnahme durchgehends 
vorhanden, ausser bei der Gruppe 5—14 u, wo während der 
ersten Woche eine Zunahme hervortritt. Dies kann auf den 
ersten Blick hin eigentümlich erscheinen und lässt an die Möglich- 
keit denken, dass individuelle Verschiedenheiten hier wirksam 
gewesen sind; diese Vermutung wird jedoch nicht durch einen 
Vergleich mit dem zweiten Kontrolltier in derselben Serie be- 
stätigt, wo gleichfalls die totale Anzahl Hassalscher Körperchen 
von dieser Grössengruppe augenfällig klein im Verhältnis zu den 
einzelligen und den nächst höheren Grössengruppen ist; auch in 
Serie II sind die Verhältnisse analog betretfs dieser Gruppe. Ich 
bin durch meine Messungen zu folgender Auffassung in dieser 
Sache gekommen. Bei den Thymi normaler, d. h. wohlgenährter 
und gesunder Kaninchen sind mehrzellige Hassalsche Körperchen 
von so kleinem Durchmesser wie 5—14 «u äusserst selten: die 
kleinsten Formen sind gewöhnlich grösser als 15 « und werden 
dann zu der 15—24 u-Gruppe gerechnet. Dies dürfte damit 


415 Aryıdeskon som: 


zusammenhängen, dass bereits die einzelligen Hassalschen 
Körperchen, auf deren Grundlage die mehrzelligen Formen in 
vielen Fällen sich entwickeln, nicht selten einen Durchmesser 
von 15 4 erreichen. Aus diesen Gründen weist die 5—14 u- 
Gruppe bei den Kontrolltieren nur eine geringe Anzahl Hassal- 
scher Körperchen auf. Bei den Versuchstieren ist dagegen, sogar 
in frühen Stadien, diese Gruppe zahlreich repräsentiert, und als 
Ursache für diese Zunahme der Anzahl lassen sich zunächst die 
regressiven Veränderungen, die Schrumpfung und Verkleinerung 
grösserer Formen, denken, wie sie unter dem Einfluss der Unter- 
ernährung zustandekommen. 

Werden Berechnungen pro mm? für die einzelnen Gruppen 
je für sich ausgeführt, so ergibt sich eine mehr oder weniger 
ausgesprochene Zunahme der relativen Anzahl Hassalscher 
Körperchen. Die Zunahme ist am grössten innerhalb der Gruppe 
5—14 u (Serie I), wo der Berechnung gemäss die Körperchen 
nach vierwöchigem Hunger 36 mal dichter liegen, als bei dem 
Kontrolltier; demnächst kommt die Gruppe 15—24 « mit un- 
gefähr siebenmal grösserer relativer Anzahl. Zu einem Teil beruht 
wohl diese hohe Zahl auf der niedrigen Anzahl Hassalscher 
Körperchen innerhalb der 5— 14 «-Gruppe bei dem ersten Kontroll- 
tier; aber auch wenn man die nicht unbedeutend höhere Anzahl 
beim zweiten Kontrolltier der Berechnung zugrunde legt, erhält 
man eine bedeutend höhere Zahl als in allen anderen Gruppen. 
Nähme man an, dass die Körperchen ihre Grösse nicht änderten, 
und dass keine neuen Körperchen den verschiedenen Gruppen 
während der Involutionsperiode zugeführt würden, so würde jener 
Umstand natürlich auf eine grössere Resistenz der Hassalschen 
Körperchen in dieser Gruppe als in den übrigen hindeuten. Nun 
deutet er aber wohl eher eine Zufuhr von Körperchen zu der 
fraglichen Gruppe an; wie oben erwähnt, geschieht diese Zufuhr 
wahrscheinlich auf dem Wege der Reduktion. 

In Serie II zeigt während der ersten Woche mit ihrem 
äusserst gelinden Hunger die Zahl für das ganze Organ keine 
Verminderung innerhalb irgend einer der Gruppen der Hassal- 
schen Körperchen (mit Ausnahme allerdings der Gruppe 15—24 u, 
wo eine ganz minimale Verminderung stattgefunden hat) und 
Vermehrung in vier derselben, am grössten innerhalb der Gruppe 
5—14 u; während der zweiten Woche mit ihrem kräftigeren 


Studien über die Thymusinvolution. 419 


Hunger nehmen sämtliche Gruppen ab, und die einzelligen ver- 
schwinden vollständig. Die relativen Werte zeigen eine dem- 
entsprechende Zunahme pro mm?°. Von Interesse ist es, dass 
auch hier die kleinen mehrzelligen Körperchen (Gruppe 5— 14 «) 
eine bedeutend grössere relative Zunahme zeigen als alle übrigen, 
nämlich eine achtfache (s. Tab. II). 

Zunächst erfahren Retikulumzellen und Lymphozyten de- 
generative Veränderungen nur in geringem Umfange; in diesen 
frühzeitigen Stadien besteht die Involution hauptsächlich in 
Lymphozytenexport aus dem Organ. In späteren Hungerstadien 
aber beginnen die Bilder degenerierender Retikulumzellen, charak- 
terisiert durch das Auftreten von durch Osmium graufärbbaren 
Körnchen im Protoplasma der angeschwellten Zelle, mehr und 
mehr zuzunehmen, und etwas später tritt auch ein Zerfall von 
Lymphozyten in nicht geringer Ausdehnung ein: intra- oder extra- 
zellulare Kernfragmente treten auf, bestehend aus Körnchen oder 
Klumpen, die durch basische Färbmittel stark gefärbt werden — 
„Flemmings tingible Körperchen“. 

Was das interstitielle Gewebe betrifft, so wird auch dieses 
bis zu einem gewissen Grade durch den Hunger beeinflusst. 
Zunächst verliert es sein Fett, welches sehr bald atrophiert. 
Vermehrte „paradoxale“ Fettgewebsumwandlung, wie sie Hammar 
(1906, S. 164) bei der Involution der Menschenthymus während 
der Krankheit beschreibt, habe ich bei meinen Hungerversuchen 
nicht beobachtet. Infolge der grossen Volumverminderung der 
Drüsenlobuli und der Atrophie des interstitiellen Fettgewebes 
tritt zunächst hauptsächlich eine Auflockerung des interlobulären 
(sewebes und seröse Durchtränkung desselben ein. Erst später 
scheint eine Volumabnahme desselben durch Retraktion hinzu- 
zukommen. Hierdurch erklärt sich der Umstand, weshalb in 
der ersten Versuchswoche in Serie II keine Abnahme des inter- 
stitiellen Gewebes hervortritt. Eine wirkliche, rein fibrilläre 
Zunahme des Bindegewebes anzunehmen, haben meine Bilder 
keinen Anlass gegeben, und die akzidentelle Hungerinvolution 
als einen sklerotischen Prozess zu betrachten, wie mehrere 
Forscher (d’Arrigo u.a.) haben glaubhaft machen wollen, dürfte 
nicht richtig sein. | 

Indessen geschieht die Volumverminderung des interstitiellen 
Gewebes ungeheuer viel langsamer als die des Parenchyms. 


420 Arvid Jonson: 


Hierdurch werden die grossen Änderungen in dem Verhältnis 
zwischen den einzelnen Thymuskomponenten während des Hungers 
bedingt. So zeigt Serie I eine relative Vermehrung des inter- 
stitiellen Gewebes von 17,2°/o bei dem Kontrolltier auf 63,3 /o 
bei dem Versuchstier der vierten Woche, während das Parenchym 
in demselben Fall von 82,8°/o auf 36,7°/o abgenommen hat. 
In Serie II sind die Unterschiede noch grösser: eine Zunahme 
von 15,4°/o auf 68,0°/o beim Bindegewebe, eine Abnahme von 
84,0°/o auf 32,0°/o beim Parenchym, und zwar innerhalb zweier 
Wochen (s. Tab. ]). 


B. Akuter Hungerzustand. 


Serie III. Kein Futter, nur Wasser. Fünf Tiere von demselben 
Wurf. Alter zu Beginn des Versuchs vier Monate. 

Nr. 11 (8). Kontrolltier. Der Versuch dauerte nur vier Tage, 
und zu Ende desselben wurde dieses Tier getötet. Reichliche und allseitige 
Nahrung die ganze Zeit über. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 
1375 gr, zu Ende desselben 1445 gr; Zunahme 70 gr, Milzgewicht 0,52 gr, 
Fett 26,4 gr. 

Absol. Thymusgewicht 2,55 gr, reduziertes Thymusgewicht 2,11 gr, 
Rindenwert 1,67 gr, Markwert 0,44 gr (die entsprechenden Durchschnitts- 
werte sind nach Söderlund-Backman bezw. 2,49, 2,30, 1,875 und 0,425). 

Das mikroskopische Bild ist völlig normal (Taf. XVII, Fig. 6). Ganz 
wenige Lymphozyten im interstitiellen Gewebe; nur eine geringe Anzahl in 
Venen und Lymphwegen angetroffen. Zellteilung lebhaft in Lymphozyten 
und Retikulumzellen. Anzahl der Mitosen berechnet zu 28 542 510 im ganzen 
Organ, davon 25604450 in der Rinde und 2938060 im Mark. Pro mm? 
sind die entsprechenden Zahlen 14563 (im Parenchym), 16519 (in der Rinde) 
und 7166 (im Mark). 

Hassalsche Körperchen zu 911204 im ganzen Organ, 464,9 pro mm? 
Parenchym berechnet. Die Gruppe 15—24 .„ ist am zahlreichsten vertreten, 
demnächst die Gruppe 5—14 «u (s. Tab. I). 

Das interstitielle Gewebe besteht hauptsächlich aus Fettgewebe. 

Nr. 12 (9). Erstes Versuchstier. Ein Tag lang vollständiger 
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1200 gr, zu Ende desselben 
1110 gr, Abnahme 90 gr, Milzgewicht 0,65 gr, Fett 18,6 gr. 

Absol. Thymusgewicht 2,45 gr, reduziertes Thymusgewicht 1,98 gr, 
iindenwert 1,59 gr, Markwert 0,39 gr. 

Auf den ersten Blick hin unterscheidet sich diese Drüse nicht nennens- 
wert von der des Kontrolltieres in mikroskopischer Hinsicht. Doch scheint 
die Anzahl der Lymphozyten in kleinen Venen und Lymphgefässen sowie in 
dem interstitiellen Gewebe etwas vermehrt zu sein. Besonders auffällig ist 
ihr reichliches Vorkommen in den interlobulären Fettansammlungen. Mitosen 
zu 26257350 im ganzen Organ berechnet, davon 23812470 in der Rinde, . 


Studien über die Thymusinvolution. 421 


2444880 im Mark; pro mm? sind die entsprechenden Zahlen 14270, 16 155, 
6680. Hassalsche Körperchen zu 911204 im ganzen Organ und 818,6 pro 
mm Parenchym berechnet. Am zahlreichsten vertreten sind die Gruppen 
5—14 „ und 15—24 u, erstere etwas über letztere überwiegend (s. Tab. II). 

Nr. 13 (@), Zweites Versuchstier. Zwei Tage lang vollständiger 
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1385 gr, zu Ende desselben 
1235 gr, Abnahme 150 gr, Milzgewicht 0,62 gr, Fett 16,30 gr. 

Absol. Thymusgewicht 2,42 gr; reduziertes Thymusgewicht 1,71 gr, 
Rindenwert 1,41 gr, Markwert 0,30 gr. 

Das mikroskopische Bild zeigt augenfällig verkleinerte Lobuli. In 
Zusammenhang damit ist das interstitielle Gewebe beträchtlich aufgelockert 
und infolgedessen scheinbar vermehrt (s. Tab. I). Einige interlobuläre 
Fettansammlungen sichtlich atrophisch. Verhalten der Lymphozyten ungefähr 
wie beim vorigen Versuchstier, doch noch prägnanter. Mitosen 22950 130 
im ganzen Organ, davon 19889730 in der Rinde, 3060400 im Mark; pro 
mm sind die entsprechenden Zahlen 14805, 15183 und 10930. Hassalsche 
Körperchen zu 1223505 im ganzen Organ und 769,5 pro mm? Parenchym 
berechnet. Die Gruppe 5—1# u ist auch hier am zahlreichsten vertreten; 
danach kommt die Gruppe 15—24 « (vgl. Tab. II). 


Nr. 14 (9). Drittes Versuchstier. Drei Tage vollständiger 
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1380 gr, zu Ende desselben 
1200 gr, Abnahme 180 gr, Milzgewicht 0,53 gr, Fett 10,92 gr. 

Absol. Thymusgewicht 1,52 gr; reduziertes Thymusgewicht 1,00 gr, 
Rindenwert 0,75 gr, Markwert 0,25 gr. 

Die ganze Drüse bedeutend abgeplattet und vermindert. Bei mikro- 
skopischer Prüfung erweist sich die Rindenschicht in den Lobuli als beträcht- 
lich verdünnt und Iymphozytenärmer als bei der normalen Thymus. Das 
Volumen des Marks scheint unverändert zu sein, die Lymphozytenmenge ist 
dort aber vermehrt. Lymphozyten werden reichlich in Venen und Lymph- 
wegen sowie im interstitiellen Gewebe angetroffen. Mitosen im ganzen Organ 
10621350, davon 8464230 in der Rinde, 2157120 im Mark; pro mm? be- 
rechnet sind die entsprechenden Werte 11421, 12267 und 8985. Hassalsche 
Körperchen 877 362 im ganzen Organ und 943,4 pro mm? Parenchym. Die 
Gruppe 15—24 „ ist hier am zahlreichsten vertreten, danach die Gruppe 
5—14 u. Das interstitielle Fett ist deutlich atrophisch. 

Nr. 15 (&). ‘Viertes Versuchstier. Vier Tage vollständiger 
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1385 gr, zu Ende desselben 
1135 gr, Abnahme 250 gr, Milzgewicht 0,5 gr, Fett 6,9 gr. 

Absol. Thymusgewicht 1,02 gr; reduziertes Thymusgewicht 0,62 gr, 
Rindenwert 0,44 gr, Markwert 0,18 gr. 

Die Involution der Thymus hat hier einen ziemlich hohen Grad erreicht 
(Taf. XV, Fig. 7), wenn man die kurze Versuchszeit berücksichtigt. Lobuli 
klein, mit verdünnter Rinde. Das Mark relativ Iymphozytenreich. Reichlich 
Lymphozyten in Venen, Lymphgefässen und im interstitiellen Gewebe. 
Retikulumzellen, in Degeneration begriffen, sind recht gewöhnlich; degene- 
rierende Lymphozyten dagegen kommen weniger oft vor. Mitosen zu 6672 600 


4922 Arvid Jonson: 


im ganzen Organ berechnet, davon 5248000 in der Rinde, 1424600 im Mark; 
pro mm? sind die entsprechenden Werte 11504, 12800 und 8380. Die 
Lymphozytenmitosen im Mark sind eher vermehrt als vermindert, was in 
der vermehrten Anzahl dieser Zellen im Mark seine Erklärung finden dürfte. 
Hassalsche Körperchen 396488 im ganzen Organ und 683,6 pro mm? Paren- 
chym. Die Gruppe 15—24 „ ist am zahlreichsten, danach kommt die Gruppe 
5—14 u (s. Tab. II). Fettgewebe, wenn auch in recht beträchtlichem 
Grade atrophiert, kommt noch reichlich im interstitiellen Gewebe vor. 


Serie V. Ein Wurf von wier Stück gesunden, fünf Monate alten 
Tieren. Leider war dieser Wurf nicht so gleichförmig wie der in Serie III 
(vgl. die Körpergewichte zu Beginn der Versuche in beiden Fällen, Tab. I). 
Dieser Wurf war aus dem Kaninchenhof des Physiologischen Instituts hier- 
selbst erhalten worden, während der vorige (Serie III) aus einem Kaninchen- 
hof auf dem Lande bezogen worden war. Das schwächste Tier des Wurfes 
wurde als Kontrolltier zu Beginn des Versuchs getötet und die übrigen 
nach zwei, bezw. fünf und neun Tagen Versuchszeit, die schwächeren zuerst, 
das kräftigste zuletzt. Vollständiger Hunger die ganze Zeit über. Zu be- 
merken ist jedoch, dass diese Tiere eine geringere Quantität Wasser täglich 
erhielten als in Serie III, um dem schädlichen Einfluss vorzubeugen, den 
allzu reichliches Wassertrinken bei einem hungernden Tier unzweifelhaft mit 
sich bringt. Mitosen und Hassalsche Körperchen sind in dieser Serie nicht 
berechnet worden. 


Nr. 24 (). Kontrolltier. Wurde zu Beginn des Versuchs ge- 
tötet. Körpergewicht 1450 gr, Milzgewicht 0,50 gr, Fett 25 gr. 

Absol. Thymusgewicht 1,65 gr; reduziertes Thymusgewicht 1,31 gr, 
Rindenwert 1,13 gr, Markwert 0,15 gr (Durchschnittswerte nach Söderlund- 
Backman bezw. 2,34, 2,08, 1,712, 0,371). 

Das ziemlich niedrige Gewicht der Thymus ist bemerkenswert, dürfte 
aber darin seine Erklärung finden, dass das Tier das kleinste des Wurfes 
und nahezu 300 gr leichter war als das kräftigste Tier desselben. Im übrigen 
normale Verhältnisse. was das mikroskopische Bild betrifft. 


Nr. 25 (2). Erstes Versuchstier. Zwei Tage lang vollständiger 
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1550 gr, zu Ende desselben 
1360 gr, Abnahme 190 gr, Milzgewicht 0,42 gr, Fett 24,5 gr. 

Absol. Thymusgewicht 1,80 gr; reduziertes Thymusgewicht 1,27 gr, 
Rindenwert 1,06 gr, Markwert 0,21 gr. 

Ungefähr dieselben Verhältnisse in mikroskopischer Hinsicht wie die 
unter Nr. 13 (vorige Serie) beschriebenen. Die Lobuli jedoch relativ gross 
und voluminös. 


Nr. 26 (2). Zweites Versuchstier. Fünf Tage lang vollständiger 
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1665 gr, zu Ende desselben 
1390 gr, Abnahme 275 gr, Milzgewicht 0,42 gr, Fett 27,2 gr. 

Absol. Thymusgewicht 1,10 gr; reduziertes Thymusgewicht 0,48 gr, 
Rindenwert 0,26 gr, Markwert 0,22 gr. 

Lobuli stark vermindert. Oft ist es schwer, die Mark- und die Rinden- 
regionen scharf voneinander zu unterscheiden. Die Rinde bedeutend verdünnt, 


Studien über die Thymusinvolution. 423 


einen schmalen Rand an den Lobuli bildend ; sie ist sehr Iymphozytenarm, 
besonders ganz peripher, wo die epitheliale Randschicht schön zutage tritt. 
Das Mark enthält zahlreiche Lymphozyten, die ausserdem in grosser Anzahl 
interlobulär, in Venen und Lymphgefässen, angetroffen werden. Zahlreiche 
Degenerationsbilder von Hassalschen Körperchen und Retikulumzellen. 

In dieser Thymus findet sich an einer Stelle eine Gruppe Oysten, zwei 
grössere und einige kleinere, die das Parenchym in einigen Lobuli durch- 
setzen. Derartige Bildungen scheinen sonst in der Kaninchenthymus ziemlich 
selten zu sein, sind aber relativ gewöhnlich in der Thymus gewisser anderer 
Säugetiere, wie Hund, Katze u.a. (Hammar). 

Nr. 27 (3). Drittes Versuchstier. Neun Tage lang vollständiger 
Hunger. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 1740 gr, zu Ende desselben 
1300 gr, Abnahme 440 gr, Milzgewicht 0,40 gr, Fett 4 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,40 gr; reduziertes Thymusgewicht 0,13 gr. 

Das mikroskopische Bild zeigt eine sehr stark involvierte Drüse. Die 
Lobuli sind sehr klein, und zwischen ihnen verlaufen breite Züge aufge- 
lockerten Bindegewebes. Ein Unterschied zwischen Mark und Rinde lässt 
sich nieht entdecken. Die Lymphozytenverteilung im Parenchym bedingt 
gleichwohl einen Unterschied zwischen Zentrum und Peripherie, ganz entgegen- 
gesetzt dem normalen Verhältnis; die Lymphozyten sind nämlich hier am 
zahlreichsten in den zentralen Teilen der Lobuli um die dort gelegenen grossen 
Gefässe herum, peripher findet sich nur eine geringe Anzahl solcher Zellen, 
und das Gewebe zeigt dort ein deutlich epitheliales Aussehen. 

Die Lobuli sind reich vaskularisiert mit dichtliegenden Gefässen und 
* Kapillaren. 

Lymphozyten kommen zahlreich im interstitiellen Gewebe und in den 
Blutgefässen vor, vor allem aber erweisen sich die Lymphgefässe als voll- 
ständig von diesen Zellen erfüllt. Augenfällige degenerative Veränderungen 
in der Form starker Anschwellung, grobkörnigen Protoplasmas und exzentrisch 
liegenden Kerns sind in einer grossen Anzahl Retikulumzellen zu beobachten ; 
auch in den Lymphozyten findet man oft ausgeprägten Kernzerfall. Die 
Hassalschen Körperchen sind in einigen Lobuli ganz verschwunden, zahlreiche 
Degenerationsbilder wieder in anderen Lobuli zeigen deutlich, in welcher 
Richtung der Prozess fortschreitet. Interstitielle Fettansammlungen kommen 
spärlich vor und sind stark atrophisch. 


Auch diese Versuchsserien zeigen ein starkes Niedergehen 
des absoluten Thymusgewichts: in Serie III ist es nach viertägigem 
akutem Hungerzustand auf °5; des (Gewichts beim Kontrolltier 
heruntergegangen, in Serie V nach neuntägigem Hunger auf 'ı 
des Betrages beim Kontrolltier (Textfig. 5). Es fällt indessen bei 
einem Vergleich mit den entsprechenden Stadien in Serie I und IV 
(Nr. 2 mit Sinken auf nahezu "s nach sieben Tagen und Nr. 17 
mit Sinken auf nahezu "ı>2 nach zehn Tagen) in die Augen, dass 


424 Arvid Jonson: 


die Reduktion hier im ganzen weit schwächer ausgefallen zu sein 
scheint, als man wegen der Vollständigkeit des Hungerns in 
diesen Versuchen hätte erwarten können. Es ist auch nicht un- 
denkbar, dass eine gewisse Schwelle vorhanden ist, unterhalb 
welcher Unterschiede in der Fütterung sich gar nicht oder nur 
ganz wenig in ihrem Verhältnis zur Thymus geltend machen. 
Meine Versuche sind nicht geeignet, hierüber bestimmten Bescheid 
zu geben, und zwar aus mehreren Gründen Der grosse Alters- 
unterschied zwischen den Tieren der Versuchsserien mit akutem 
Hungerzustand einer- 
seits und denen der 
Serien mit chronischer 
Unterernährungandrer- 
seits (die ersteren vier 
und fünf Monate, die 
letzteren vier und sechs 
Wochen) lässt einen 
direkten Vergleich 
zwischen ihnen nicht ge- 
rechtfertigt erscheinen ; 
meine Erfahrungscheint 
nämlich an die Hand zu 
geben, dass junge Tiere 
viel empfindlicher für 
Ernährungsstörungen 


Fig. 5. Serie V. Akuter Hungerzustand. sind als ältere (ich habe 
Absol. Gewicht der Thymusdrüse —  —— auch absichtlich mehr 
r „  desfEnrenchyms ZT Ausgewachsene Tiere zu 
- 5 der Rinde —- — -— - — -—. Sm: . 
den Serien mit akutem 
r m des-Marks 7 Se ra 
5 E des interst. Gewebes — - -- - - Hungerzustand ge- 


wählt, eben damit sieum 
so besser einen vollständigen Hunger aushalten könnten). Ausser- 
dem dürfte auch der Umstand in Betracht kommen, dass die 
Variationen des Thymusgewichts innerhalb derselben Altersgruppe 
bis zu einem gewissen Grade zunehmen, je älter die Tiere sind,') 
und da zu Kontrolltieren die schwächeren Tiere des Wurfs ge- 
wählt wurden, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese ein 


') Söderlund-Backmans Werte scheinen eine gewisse Stütze für 
eine solche Ansicht abzugeben. 


Studien über die Thymusinvolution. 425 


niedrigeres Thymusgewicht besassen, als die Versuchstiere vor 
dem Hunger, welcher Umstand besonders in den Serien mit 
akutem Hunger im Hinblick auf die Kürze der Versuchszeit einen 
merkbaren Einfluss auf die Werte ausüben muss. Dies tritt auch 
ganz augenfällig für Serie V ım ersten Teil der Kurve (Textfig. 5) 
hervor. Aus diesen Gründen dürften die Serien nicht völlig 
geeignet sein, eine richtige Vorstellung davon zu geben, wie 
schnell eine Thymusreaktion gegenüber dem Hunger eintritt. 
Mit um so grösserer Sicherheit ist dagegen anzunehmen, dass 
die Veränderungen, die in den späteren Stadien hervortreten, 
wirklich durch den experimentellen Eingriff bedingt worden sind. 


Das Körpergewicht ist in Serie III nach vier Tagen Hunger 
nur auf ungefähr */s und in Serie V nach neun Tagen auf ungefähr 
®/ı des ursprünglichen Wertes herabgesunken. Die Folge hiervon 
ist ein Sinken des relativen Thymusgewichts von bezw. 1,33 /o 
und 1,72°/o auf bezw. 0,61°/o und 0,31°/o, d. h. nach vier Tagen 
auf '/s und nach neun Tagen auf mehr als '/;. 


Die Reduktion des Fetts, die bei der chronischen Unter- 
ernährung mit der der Thymusdrüse nahezu übereinstimmte, 
scheint beim akuten Hungerzustand etwas schneller als die der 
Thymusdrüse zu geschehen (Textfig. 6 und 7). Nach vier Tagen 
ist das Fett auf ungefähr '/s und nach neun Tagen auf ungefähr 
!/; des Gewichts beim Kontrolltier reduziert. Das Verhältnis 
dürfte wohl als Anzeichen dafür gedeutet werden können, dass 
das Fettgewebe in etwas engerer Abhängigkeit von der Grösse 
der Nahrungszufuhr steht als die Thymus; ich komme auf diesen 
Punkt weiter unten zurück. Die beiden Kurven, die des Fetts 
und der Thymus, verlaufen auch in diesen Versuchen weniger 
nahe beieinander als bei dem chronischen, unvollständigen Hunger. 
Möglicherweise hat auch hierbei die Ungleichmässigkeit in dem 
vorhergehenden Ernährungszustand der Tiere eine Rolle gespielt, 
Ungleichmässigkeiten, die während der ersten Versuchstage noch 
nicht sich haben ausgleichen können. 


Auch bei diesen Serien mit akutem Hungerzustand sehen 
wir aus Tab. I und Fig. 5, dass das eigentliche Parenchym es 
ist, das am meisten von dem Gewichtsverlust der Drüse betroffen 
wird. Nach vier Tagen ist der Parenchymwert in Serie III auf 


nicht ganz ?/r herabgegangen, und nach neun Tagen beträgt er 
Archiv f mikrosk. Anat. Bd. 73. 28 


426 Arvid Jonson: 


in Serie V nur !/ıo des Wertes beim Kontrolltier. Während der- 
selben Zeiten ist das Parenchym, das bei der Kontrollthymus 
ungefähr 80 °/o des Organs betragen hat, auf 60,7 °%o bezw. 32,5 %o 
herabgegangen. Auch in diesen Fällen betrifft die hauptsächliche 
Verminderung die Rinde; in beiden Serien beträgt sie nach vier 
bis fünf Tagen nur ungefähr 'ı des Wertes beim Kontrolltier. 
Der Verlauf der Markkurve ist in beiden Serien mehr horizontal: 
er zeigt in Serie III (die Kurve hier nicht wiedergegeben) eine 
Abnahme auf ungefähr die Hälfte, in Serie V sogar eine leichte 
Zunahme (Fig. 5). 

Was den Verlauf des Involutionsprozesses betrifft, so wie er 
sich im mikroskopischen Bilde ausnimmt, so zeigt es sich, dass 


60%. 


40% 


Ona 
20% 


ll 2 3 4T zul 4 6 8 Tag 
Fig. 6. Serie III Fig. 7. Serie V. 
Akuter Hungerzustand. Akuter Hungerzustand. 


Absol. Thymusgewicht in °/o des Gewichts beim Kontrolltier 
Körpergewicht bei Mors in °/o des Gewichts zu Beginn des Versuchs 
Gewicht des Fetts in °/o des Gewichts beim Kontrolltier 


schon nach 24 Stunden vollständigen Hungers die Lymphozyten- 
auswanderung zugenommen hat. Zu dieser Zeit ist auch schon 
(Textfig. S und Tab. II) eine deutliche Abnahme der absoluten 
Anzahl der Rindenmitosen wahrzunehmen, die dann während der 
folgenden Tage ein rasch fortschreitendes Sinken zeigt, während 
die totale Menge im Mark, den mikroskopischen Bildern nach 
zu urteilen, infolge vermehrter Lymphozytenauswanderung ins 
Mark hinein sich mehr konstant zeigt. 


Studien über die Thymusinvolution. 427 


Betreffs der Hassalschen Körperchen zeigt es sich, dass 
das Kontrolltier Nr. 11 in Serie III den Versuchstieren bedeutend 
nachgestanden hat. Kurven!) sowohl für alle Körperchen als 
für die Anzahl der einzelnen Gruppen im ganzen Organ be- 
einnen daher mit einem Anstieg während des ersten Tages (eine 
Ausnahme machen nur die Gruppen 35--60 «u und 25—34 u). 
Sodann tritt eine kontinuierliche und starke Abnahme hervor. 
augenfällig besonders für die einzelligen sowie die kleineren 
(5—14 u und 15—24 u) mehr- 
zelligen. Trotz der kurzen Ver- 
suchszeit (vier Tage) ist die 
Gesamtzahl auf 43,5 °/o von der 
beimKontrolltierherabgegangen. 
Am stärksten ist die Abnahme 
in der Gruppe 35—60 u, wo 
der Wert beim letzten Ver- 
suchstier nicht 0,7 °/o des Wertes 
beim Kontrolltier beträgt. Ohne 
übertrieben grosses Gewicht auf 
die einzelnen Zahlenwerte zu 
legen, wo zweifellos Zufälle einen 
recht grossen Spielraum gehabt 
haben können, möchte ich doch 
die Labilität der Hassalschen 
Körperchen auch während nur 
weniger Tage Hungers betonen, 


Fig. 8. Serie III. 


von der die Resultate Zeugnis a. io oa 

ablegen. Gesamtzahl Mitosen im Parenchym 
Die degenerativen Prozesse in ————. in der Rinde — — — 

Retikulumzellen und Lympho- im Mark 


zyten treten auch bei dem akuten Hungerzustand ganz spät auf. 
Dieser Prozess verläuft in seinen Hauptzügen, wie er bei den 
Serien mit chronischer Unterernährung geschildert worden ist. 
Da keines von meinen Tieren infolge des Hungers gestorben ist, 
kann ich nicht bestimmt sagen, ob der Prozess bei den beiden 
Versuchsanordnungen gleichweit gelangen kann. Da indessen 
schon neun Tage vollständigen Hungers den Allgemeinzustand 


!) Mit Rücksicht auf den Raum hier nicht wiedergegeben. 
28* 


498 Arvid Jonson: 


des Tieres stark herabsetzen und verschlechtern, bin ich geneigt 
anzunehmen, dass der Tod des Tieres beim akuten Hungerzustand 
eintritt, während der Involutionsprozess in der Thymus noch keine 
extremen Dimensionen angenommen hat. 


Die durch Hunger hervorgerufene akzidentelle Thymus- 
involution zeichnet sich also vor allem dadurch aus, dass die 
Lymphozyten massenweise aus dem Organ austreten, wie es 
eheint, vorzugsweise durch die Lymphwege. Sie scheinen dabei 
das Organ zu grossem Teil durch die im Innern der Lobuli, im 
Mark liegenden, feineren Gefässe zu verlassen. Daher die Über- 
schwemmung des Thymusmarks mit derartigen Zellen, wie sie in 
einem gewissen, relativ frühen Stadium der Involution stattfindet. 

In ihrer Weise dürfte zu der Abnahme der Lymphozyten 
innerhalb des Parenchyms die Herabsetzung der Anzahl der 
Mitosen beitragen, die bereits während des ersten Hungertages 
zu beobachten ist, und die zweifellos zu grossem Teil auf ver- 
minderter Teilung eben der Lymphozyten beruht; im weiteren 
Verlaufe tritt diese Abnahme immer mehr hervor. Andererseits 
ist es beachtenswert, dass noch nach mehreren Tagen vollständigen 
Hungerns Teilungsprozesse andauernd vorsichgehen, wenn auch 
mit geschwächter Intensität. Erblickt man in dieser Vermehrung 
der Lymphozyten einen Ausdruck wenigstens für eine Seite der 
Funktion des Organs, so kann man daraus schliessen, dass diese 
Funktion auch während der Hungerperiode relativ lange fortfährt. 
Es lässt sich fragen, ob sie unter ausschliesslichem Einfluss des 
Hungers jemals ganz aufhört. Sicher ist, dass ich nie, auch nicht 
in den letzten Hungerstadien, völlig Iymphozytenfreie Thymi an- 
getroffen habe. Wohl kommen, obgleich recht selten, vereinzelte 
Iymphozytenfreie oder fast Iymphozytenfreie Lobuli vor, dazwischen 
kommen aber andere, Iymphozytenreichere vor, ein Beweis dafür, 
dass verschiedene Teile des Organs in verschiedenem Grade von 
dem Hunger beeinflusst werden können. Ob nun Mitosen auch 
innerhalb dieser wenigen übrigbleibenden Lymphozyten vorkommen, 
ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls sind sie äusserst selten. 

In schwer coccidienkranken Tieren habe ich dagegen Thymi 
angetroffen, wo nahezu alle Lymphozyten verschwunden waren und 
das Organ ein fast ganz epitheliales Aussehen angenommen hatte, 


Studien über die Thymusinvolution 42.) 


Bilder, die mehrere frühere Untersucher bei hochgradiger akzi- 
denteller Involution nach Krankheit beobachtet haben, und die 
es Rudberg (1907) gelungen ist, durch Kombination von Hunger 
und Röntgenbestrahlung hervorzurufen. 


Von den epithelialen Elementen der Thymusdrüse scheinen 
die Hassalschen Körperchen diejenigen zu sein, die am frühesten 
einen Einfluss durch den Hunger erfahren. Es kommt dies in 
einer fortschreitenden Abnahme der Anzahl dieser Bildungen zum 
Ausdruck, eine Abnahme, die nach dem bereits Angeführten in 
gleicher Weise vorsichzugehen scheint. Bei den grösseren 
Formen scheint es sich nur um eine wirkliche Degeneration zu 
handeln; die kleineren scheinen dagegen zu grossem Teil durch 
eine Verminderung des Umfangs der darin enthaltenen Zellen 
und eine hierdurch hervorgerufene Desaggregation der kleineren 
mehrzelligen Formen zu verschwinden. Es ist nun von Interesse, 
dass diese Veränderungen relativ frühzeitig bei Hungerversuchen 
eintreten; am augenfälligsten ist dabei die Reaktion der ein- 
zelligen Körperchen, indem sie bereits nach zwei Wochen chronischer 
Unterernährung vollständig verschwunden sein können. 


Darf man es nun wagen, in den Hassalschen Körperchen 
einen morphologischen Ausdruck für eine Seite der Funktion des 
Organs zu sehen, so darf man wohl in ihrer Abnahme auch einen 
Beweis dafür erblicken, dass auch diese Seite vom Hunger be- 
einflusst worden, dass eine gewisse Hemmung der Funktion ein- 
getreten ist. 


Es kann da auch Beachtung verdienen und fordert unzweifel- 
haft zu weiterer Prüfung in dieser Hinsicht auf, dass einige Er- 
scheinungen in meinen Versuchen, besonders in der ersten 
Versuchswoche meiner Serie II, auf die Möglichkeit hindeuten, 
dass diese Seite der Funktion etwas weniger empfindlich für den 
Einfluss des Hungers wäre als die, welche in der mitotischen 
Teilung der Lymphozyten zum Ausdruck kommt. Könnte der 
Beweis dafür erbracht werden, dass die eine Seite der Funktion 
ungestört weiter bestehen kann, während die andere augenfälligen 
Abbruch gelitten hat, so würde dies unbestreitbar für eine gewisse 
gegenseitige Unabhängigkeit dieser beiden Äusserungen der 
Tätigkeit des Organs sprechen. In der gegenwärtigen Lage der 
Frage ist die Sache indessen noch nicht zu näherer Diskussion reif. 


430 Arvid Jonson: 


Eine Frage, auf die ich gleichfalls keine bestimmte Antwort 
geben kann, ist die nach einer Neubildung Hassalscher 
Körperchen auch während der Hungerperiode. Die Möglichkeit, 
auf Grund des Aussehens und Baues das Alter einer solchen 
3ildung zu bestimmen,. ist gegenwärtig zu gering, um an die 
Lösung einer solchen Aufgabe denken zu können. Nur darauf 
möchte ich hinweisen, dass, da auch in extremen Hungerstadien 
Mitosen niemals vollständig bei den Zellen des Retikulums zu 
verschwinden scheinen, hier ein Moment vorhanden ist, das dem 
Anschein nach einigermaßen dafür sprechen könnte, dass eine 
derartige Neubildung Hassalscher Körperchen wirklich statt- 
finden kann. 

Ebensowenig wie das Vorkommen eines Konnexes zwischen 
dem Verschwinden der Lymphozyten aus der Thymus durch ver- 
mehrte Ausfuhr und herabgesetzte Neubildung sowie der Ver- 
minderung der Anzahl der Hassalschen Körperchen gegen- 
wärtig einer näheren Prüfung unterzogen werden kann, ebenso- 
wenig ist es möglich, sich jetzt darüber auszusprechen, welche 
sedeutung diese Verhältnisse für den Organismus in seiner 
(Gesamtheit besitzen können. Was im besonderen die Mobilisierung 


der Lymphozyten — den augenfälligsten Zug der hier behandelten 
Form von akzidenteller Thymusinvolution — betrifft, so ist es 


klar, dass man nicht mit Erfolg diese Frage zur Diskussion 
aufnehmen kann, bevor man genaue Kenntnis darüber besitzt, 
wie die entsprechenden Verhältnisse sich in dem echten Iymphoiden 
(Gewebe und im Blute selbst gestalten. Meines Wissens sind 
derartige Untersuchungen bereits geplant — zum Teil auch schon 
im hiesigen Anatomischen Institut begonnen. Soviel lässt sich 
jedoch schon bei dem gegenwärtigen Stande der Frage bestimmt 
behaupten, dass trotz des Parallelismus, der im grossen und 
ganzen die Reduktion der Thymusdrüse und des Fettgewebes 
unter Hunger auszeichnet, diesen beiden Prozessen keineswegs 
eine gleichartige Bedeutung für den Organismus beigemessen 
werden kann. Die Behauptungen, die man in der Literatur von 
einzelnen Forschern findet, dass die Thymus in Übereinstimmung 
mit dem Fett als eine Art Reservenahrung für den Organismus 
anzusehen sei, entbehrt alles Grundes; es handelt sich hier um 
lebende Zellen, die während der Involution in grösserer Menge, 
aber in derselben Weise wie unter normalen Verhältnissen das 


Studien über die Thymusinvolution. 43] 


Organ verlassen, nicht, wie im Fettgewebe, nur um die Produkte 
der in den Zellen verlaufenden chemischen Prozesse. 

Die Veränderungen im Tihymusparenchym, die vor allem 
die späteren Phasen der Hungerinvolution charakterisieren, 
scheinen mir von einer anderen Art zu sein als die bisher 
behandelten. Die körnige Anschwellung und der Zerfall von 
Retikulumzellen sowie der lokale Zerfall von Lymphozyten, ') die 
ich hier im Auge habe, scheinen mir Veränderungen zu sein, 
die einen unmittelbaren Ausdruck für den Schaden abgeben, den 
die Zellen des Drüsenparenchyms unter dem Einfluss des Hungers 
an ihrer Vitalität erlitten haben. Sie dürften nicht ohne Analogien 
in anderen Organen sein und nichts direkt mit der Funktions- 
störung des Organs während der Hungerperiode zu schaffen haben. 

Naegeli (1907) ist der Ansicht. dass die Markzellen bei 
Hunger verschwinden und will hierin einen Beweis dafür erblicken, 
dass diese Zellen überwiegend aus echten grossen Lymphozyten 
und nicht aus epithelialen Zellen bestehen. Aus dem oben Ge- 
sagten geht hervor, dass diese Zellen lange bei Hunger persi- 
stieren und dass sie im Gegensatz zu den Lymphozyten durch 
Degeneration in loco reduziert werden, Verhältnisse, welche 
zeigen, dass die fragliche Auffassung des genannten Forschers 
ebensowenig begründet ist, wie seine Bezeichnung des Marks 
als Proliferationszentrum in der Verteilung der Mitosen innerhalb 
des Organs eine Stütze findet. 


II. Zur Kenntnis der Regeneration der Thymus- 
drüse nach Hunger. 


Um mich über das Vorkommen einer Regeneration der 
Thymus nach der Hungerinvolution sowie über den Verlauf 
dieser Regeneration zu orientieren, wurde eine Versuchsserie 
angeordnet. Diese Serie bezweckte, durch verminderte Nahrungs- 
zufuhr bei den Versuchstieren eine so starke Involution der 


'!) „Tingible Körperchen“, der Ausdruck für einen Lymphozyten- 
zerfall, werden von Hammar (1905: 8.61) als regelmässiger Befund 
erwähnt: speziell sollen sie zahlreich und vom Fötalleben an in der Hühner- 
thymus vorkommen, wo man diese um die Kerne des Rindenretikulums 
herum gruppiert findet. In der Kaninchenthymus sind indessen solche 
Bilder sehr spärlich, und erst in späteren Stadien der Hungerinvolution 
treten sie zahlreicher auf. 


432 Arvid Jonson: 


Thymus wie möglich hervorzurufen, um dann durch eine reichliche 
und allseitige Fütterung zu versuchen, eine Regeneration zu- 
stande zu bringen. 

Leider erwies sich der angewandte Kaninchenwurf als mit 
Coceidien behaftet; da aber diese Parasiten sowohl bei dem 
Kontrolltier als bei den Versuchstieren vorhanden waren, und 
da die Thymus sich als ziemlich normal in allen Hinsichten er- 
wies, so dürfte doch die Serie ihren Wert besitzen, weshalb ich 
sie hier auch anführe. Wegen der nicht völlig tadellosen Be- 
schaffenheit der Versuchstiere habe ich es indessen nicht für 
angebracht erachtet, Mitosen und Hassalsche Körperchen zu 
zählen. 


Serie IV. Chronische Unterernährung und danach reichliche und 
allseitige Kost. Acht Tiere, zu Beginn des Versuchs sechs Wochen alt 
(vgl. die Bilder auf Taf. XV). 


Nr. 16 (4). Kontrolltier. Wurde gleich nach Ende der Hunger- 
periode getötet. Reichliche und allseitige Kost während der ganzen Ver- 
suchszeit. Körpergewicht zu Beginn der Versuchszeit 458 gr, bei der Tötung 
990 gr, Zunahme 532 gr (mittlere Gewichtszunahme während des Versuchs 
14,8 gr pro Tag). Milzgewicht 0,65 gr, Fett 17,6 gr. 

Absol. Thymusgewicht 2,1 gr (Taf. XVI, Nr. 16); reduziertes Thymus- 
gewicht 1,8 gr, Rindenwert 1,50 gr, Markwert 0,30 gr (Durchschnittswerte 
nach Söderlund-Backman bezw. 1,69, 1,556, 1,261, 0,295). 

Bei makro- und mikroskopischer Untersuchung erwies sich die Drüse 
als von normaler Beschaffenheit, trotzdem die Leber gelinde von Coceidien 
angegriffen war. An einigen Stellen enthielten jedoch die Lymphgefässe in 
der Thymus Lymphozyten in bemerkenswert grosser Menge. 


Nr.17 (&). Erstes Versuchstier. Starke Verminderung der 
Nahrung während zehn Tagen, wonach das Tier getötet wurde. Körper- 
gewicht zu Beginn des Versuchs 465 gr, zu Ende desselben 440 gr, Abnahme 
während der ganzen Versuchszeit 25 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor Be- 
einn des Versuchs 11,4 gr, mittlere Abnahme pro Tag während des Versuchs 
2.5 er). Milzgewicht 0,17 gr, Fett 1,15 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,17 gr (Taf. XVI, Nr. 17); reduziertes Thymus- 
gewicht 0,08 gr, Rindenwert 0,05 gr, Markwert 0,03 gr. 

Der Unterschied zwischen Rinde und Mark ist noch ziemlich deutlich 
in einigen Lobuli, in anderen dagegen fast verlöscht. Die Rindenlymphozyten 
stark dezimiert. Lebhafte Lymphozytenauswanderung auf Lymph- und Blut- 
wegen Gewöhnlicher Involutionstypus im übrigen. Das interstitielle Gewebe 
aufgelockert; ohne Fett. 

Nr.18 (9) Zweites Versuchstier. 15 Tage lang Unterernährung, 
wonach das Tier getötet wurde. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 
369 gr, zu Ende desselben 303 gr, Abnahme während der Versuchszeit 66 gr 


Studien über die Thymusinvolution. 435 


(mittlere Zunahme pro Tag vor Beginn des Versuchs 4,4 gr, mittlere Abnahme 
pro Tag während des Versuchs 4,4 gr). Milzgewicht 0,08 gr, Fett 0,65 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,07 gr (Taf. XVI, Nr. 18); reduziertes Thymus- 
gewicht 0,02 gr. 

Die Drüse stark involviert mit kleinen Lobuli, die von einem aufge- 
lockerten, fettfreien interstitiellen Gewebe umgeben sind. Kein Unterschied 
im Parenchym zwischen Mark und Rinde. Die Lymphozyten, hauptsächlich 
zentral in den Lobuli angesammelt, haben der Zahl nach bedeutend abge- 
nommen. Zahlreich kommen sie in den Lymphgefässen und im interstitiellen 
Gewebe vor. Mitosen gering an Zahl. Degenerierte Retikulumzellen sind 
sehr gewöhnlich. Hassalsche Körperchen gering an Zahl, in Degeneration 
begriffen. 

Nr.19 (8). Drittes Versuchstier. 23 Tage lang Unterernährung, 
wonach das Tier unmittelbar getötet wurde. Körpergewicht zu Beginn des 
Versuchs 403 gr, zu Ende desselben 432 gr, Zunahme während der ganzen 
Versuchszeit 29 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor Beginn des Versuchs 
12,3 gr, während des Versuchs selbst 1,5 gr). Milzgewicht 0,10 gr, Fett 
1,02 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,05 gr, reduziertes Thymusgewicht 0,012 gr. 

Dieses Versuchstier nahm während des Versuchs an Gewicht zu. Doch 
fällt diese Zunahme hauptsächlich in den Beginn der Versuchszeit; während 
der letzten Hälfte der Versuchszeit fand eine beträchtliche Gewichtsabnahme 
statt (49 gr in 13 Tagen). Die mikroskopische Untersuchung ergab ungefähr 
die gleichen Verhältnisse wie bei Nr. 18. 

Nr.20 (2). Viertes Versuchstier. 31 Tage lang Unterernährung, 
wonach das Tier getötet wurde. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 
622 gr, zu Ende desselben 482 gr, Abnahme während der ganzen Versuchs- 
zeit 140 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor Beginn des Versuchs 15,2 gr, 
mittlere Abnahme pro Tag während des Versuchs 4,5 gr). Milzgewicht 0,07 gr, 
Fett 0,70 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,02 gr (Taf. XVI, Nr. 20); reduziertes Thymus- 
gewicht 0,004 gr. 

Die Drüse in äusserstem Grade involviert. Die Lobuli stark vermindert; 
im mikroskopischen Schnitt schmalen Strängen ähnlich, die in ein aufge- 
lockertes, serös durchtränktes, fettfreies Bindegewebe eingebettet sind 
(Taf. XVII, Fig. 8). Die Hassalschen Körperchen verschwunden. Nur eine 
geringe Anzahl Lymphozyten in den Maschen des Retikulums, gewöhnlich 
gruppenweise vorkommend. Einige Lobuli fast von rein epithelialem Aus- 
sehen, äusserst lymphozytenarm. Ausgesprochene Degeneration in einer 
grossen Anzahl Retikulumzellen und Lymphozyten. 

Nr.21 ($2). Fünftes Versuchstier; erstes Regenerations- 
tier. Zuerst 31 Tage lang Unterernährung, danach 2 Tage lang reichliche 
und allseitige Kost. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 532 gr; zu 
Ende der Hungerperiode 485 gr, Gewichtsabnahme insgesamt 47 gr (mittlere 
Zunahme pro Tag vor Beginn des Versuchs 7,0 gr, mittlere Abnahme pro 
Tag während der Hungerperiode 1,5 gr), Gewicht zu Ende der Regenerations- 


434 


Arvid Jonson: 


Tabelle IM. 


ea 


“| Körpergewicht . 
= Versuchszeit u 
Nr. |2 | Alter zu  |zu Endeiwhne CH) = © 7 Zunanme 
2 | Beginn der a bei während der 
(a) AN des |Hunger-, während | Mors Regenerations 
| Hunger | nährung Versuchs, periode | dieser Zeit Per 
I 16. | & |12Wochen Kontrolltier 458 gr | 955 gr I+ 497 gr 990 gr +35 gr’ 
3[17.|&) 2.010 Tage)  — 465. |440. „25 „| 440, Dee 
| ı8.|o|8 a — ...:1,8693..|1303 ,, 66, „303 Sue 
| 19.18.19 23 (u = 4.11403:648) 432, Boa 3 
&na0, ang ar ge ’629 0 aga,,j2 1aos Nase ee 
a 2 Tage | 532 „|485 „ ar „|5ia „| Too 
au Ve ER en 16 520 „!550 „|=+30 „1960 „1 20m 
Zu 23. 9 |14 31 21, 558 „|655 „4102 „so „1 Soc 
| 


zeit 514 gr, Zunahme während dieser Zeit 29 gr (mittlere Zunahme pro Tag 
während dieser Zeit 14,5 gr). Milzgewicht 0.45 gr, Fett 1,25 gr. 

Absol. Thymusgewicht 0,07 gr (Taf. XVI, Nr. 21); reduziertes Thymus- 
gewicht 0,03 gr. 

Die Mehrzahl der Lobuli klein und stark involviert. Indessen unter- 
scheiden sich einige Lobuli von den übrigen durch grösseres Volumen und 
grösseren Umfang. Diese enthalten zentral ziemlich reichlich Lymphozyten 
(Taf. XVII, Fig. 9). Die perivaskularen Lymphgefässe ganz mit Lymphozyten 
angefüllt. Fig. 10, Taf. XVII, gibt eine ziemlich gute Vorstellung hiervon. 
Das Bild ist eine Vergrösserung der Mittelpartie in Fig. 9, Taf. XVII. Ganz 
oben im Bilde ist ein Teil eines fast Iymphozytenfreien Lobulus mit mehreren 
degenerierten Retikulumzellen zu sehen. Darunter verläuft ein breiter Zug 
fettfreien interstitiellen Gewebes. Zahlreiche Lymphozyten liegen in den 
um die beiden grossen Arterien herum gelegenen Lymphräumen. Ausserdem 
findet sich ein Lymphgefäss rechts im Bilde, Lymphozyten in grosser Menge 
enthaltend. In dicken, hämatoxylingefärbten Schnitten kann man sehen, wie 
Iymphozytengefüllte Lymphwege als dunkle Züge in die Lobuli einstrahlen. 
Mitosen in Lymphozyten und Retikulumzellen sind nicht selten. Keine 
Hassalschen Körperchen sichtbar. Im interstitiellen Gewebe hier und da 
Fettloben in Bildung begriffen. 

Nr. 22 ($). Sechstes Versuchstier; zweites Regenerations- 
tier. Zuerst 31 Tage lang Unterernährung, danach 16 Tage lang reichliche 
Fütterung. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 520 gr, zu Ende der 


a 


Studien über die Thymusinvolution. 435 


, Fettgewicht Fr 
gewich 
e ze a Se Absolutes Gewicht von Rinde | Mark | Fe 
bsolut Be absolut abs EEE 7 aa, DIL ea — 
Bin. Sim 5 SBaTen interst. | in °o des absol. Thymus- 
9 | chym Winde, an Gewebe) gewichts 
a EN I Br ONE 
0 gr 1,78 8,10 rl 0,21 1,8 gr1,55 gr0,25 gr0,30 gr| 85,7 | 73,8 | 11,9 | 143 
5 „| 026 |oız „| 004 |o08 „005 ‚003 „ooog „| azı | 295 | ı76 | 52,9 
0,65 „| 021 0,07 „| 0.023)0,02 | 0,05 „| 28,6 | | | 14 
102 „| 0,24 0.05 „| 0,012)10,012 „ | 0,088 „| 24,0 | | 76,0 
0,70 „| 0,14 0,02 „) 0,004 10,004 ‚, | 0,016 „20,0 800 
125 „| 0,24 |0,07 „!0,0140,03 | 0,04 | 42,8 | | 572 
130 „| 222 140 „|o,15 |ı12 „I1o6 „006 „Io28 „| 80,0 | 75,7 | 4,3 | 20,0 
E10 „| 192 195 „| om !ı59 „I1ao „\o19 „lose „| sı5 | 18 | 97 | 185 
| | 


Hungerperiode 550 gr, Zunahme 30 gr (mittlere Zunahme pro Tag vor dem 
Versuch 12,2 gr, während der Hungerperiode nicht ganz 1,0 gr); Gewicht 
zu Ende der Regenerationszeit 960 gr, Zunahme 410 gr (mittlere Zunahme 
pro Tag während dieser Zeit 25,6 ger). Milzgewicht 0,72 gr, Fett 21,3 gr. 

Absol. Thymusgewicht 1,4 gr (Taf. XVI, Nr. 22). Reduziertes Thymus- 
gewicht 1,12 gr, Rindenwert 1,06 gr, Markwert 0,06 er. 

Dieses Tier nahm während der Hungerperiode an Körpergewicht zu, 
aber höchst unbedeutend, nur 30 gr (das Kontrolltier nahm gleichzeitig um 
497 gr zu!). Die Thymus scheint während der Regenerationszeit bedeutend 
an Gewicht und Grösse zugenommen zu haben. Das mikroskopische Präparat 
zeigt ein höchst charakteristisches Bild: die Lobuli bestehen dem Anschein 
nach fast nur aus rindenähnlichem Gewebe, nur in dem Zentrum einiger 
ein kleines unbedeutendes Gebiet, das den Beginn der Bildung einer Mark- 
region anzudeuten scheint (grössere, protoplasmareichere Retikulumzellen 
und eine geringere Anzahl Lymphozyten in dem dichtmaschigen Retikulum). 
In diesen kleinen, neugebildeten und in Entwicklung begriffenen Mark- 
gebieten finden sich zahlreiche hypertrophische Zellen, welche Vorstadien zu 
Hassalschen Körperchen zu sein scheinen; ausgebildete mehrzellige 
Hassalsche Körperchen kommen nur sporadisch vor. Zellteilung lebhaft 
sowohl in Lymphozyten als in Retikulumzellen. Lymphozyten kommen reichlich 
in den Lymphgefässen vor. Interstitiell finden sich grosse Fettansammlungen. 

Nr.23 (9). Siebentes Versuchstier; drittesRegenerations- 
tier. Zuerst 31 Tage lang Unterernährung, danach 21 Tage lang reichliche 


436 Arvid Jonson: 


und allseitige Kost. Körpergewicht zu Beginn des Versuchs 553 gr, zu 
Ende der Hungerperiode 655 gr, Zunahme 102 gr (mittlere Zunahme pro 
Tag vor dem Versuch 12,6 gr, während der Hungerperiode 3,3 gr); Gewicht 
zu Ende der Regenerationszeit 1180 gr, Zunahme während dieser Zeit 
525 gr (mittlere Zunahme pro Tag 25,0 gr). Milzgewicht 0,85 gr, 
Fett 14,4 gr. 

Absol. Thymusgewicht 1,95 gr (Taf. XVI, Nr. 23). Reduziertes Thymus- 
gewicht 1,59 gr, Rindenwert 1,40 gr, Markwert 0,19 gr. 


Bei mikroskopischer Untersuchung erweisen sich die Thymuslobuli als 
gross, voluminös und dichtliegend, nur durch schmale Züge interstitiellen 
Gewebes voneinander geschieden. Eine deutliche Teilung des Parenchyms 
in Rinde und Mark macht sich hier geltend, wenn auch die Grenzen oft 
genug nicht sehr scharf markiert und die Markgebiete nicht so gross sind 
wie bei der Kontrollthymus. Hypertrophische Zellen finden sich in grosser 
Menge im Mark; die Anzahl der echten Hassalschen Körperchen ist nicht 
sehr gross, doch hat eine beträchtliche Vermehrung im Vergleich mit der 
Thymus des vorhergehenden Versuchstiers (Nr. 22) stattgefunden. Zellteilung 
lebhaft. Die Lymphgefässe enthalten immer noch Lymphozyten in grosser 
Anzahl. Das interstitielle Gewebe ist reich an Fett. 


Ausdem Angeführten 
geht hervor, dass eine 
Regeneration nach der 
Hungerinvolution der 
Thymus recht leicht zu- 
standekommt. Dabei 
steigt das Thymusge- 
wicht rasch an, wenn 
auch nicht mit völlig 
derselben Geschwindig- 
keit wie das Gewicht des 
Fettgewebes (Fig. 9). 
Beide zeigen schon 
nach zwei Tagen reich- 
licher Ernährung eine 


ıW P 3 4 5 6 7 8 Wochen : 
Fig. 9. Serie IV. deutliche Zunahme. 
Involution mit folgender Regeneration. Ein klares Bild von 
Thymusgewicht in °/o des Gewichts dem Umfang des In- 


beim Kontrolltier ; 
Körpergewicht in °/o des Gewichts 
zu Beginn des Versuchs —-— -— -; RS R ee 
Fettgewicht in °o des Gewichts liefern Taf. XVI und 


beim Kontrolltier BER Textfig. 10. Wir sehen 


volutions- und des 
Regenerationsprozesses 


Studien über die Thymusinvolution. 437 


dort, wie die Thymusdrüse mit ihren verschiedenen Gewebs- 
elementen durch den Einfluss des Hungers rasch auf ein Minimum 
herabgeht. Durch die darauffolgende Ernährung tritt eine schnell 
verlaufende Regenera- 
tion ein. Wie die ver- 
schiedenen Gewebs- 
komponenten sich bei 
diesen beiden Prozessen, 
der Involution und der 
Regeneration, ver- 
halten, geht aus Fig. 10 
hervor. Am meisten 
betroffen von den Ge- 
wichtstluktuationen ist 
das Parenchym und da 
besonders die Rinde. 
Bedeutend weniger vari- 
ieren das Mark und das 
interstitielle Gewebe). 
Wie das Verhältnis 
zwischen den einzelnen 
(reweben innerhalb 
einer und derselben 
Drüse während desVer- 
suchs wechselt, zeigt 
Fig. 11. Bemerkenswert 
ist die schnelle Zunahme 
des Marks in den letzten 
Regenerationsstadien, 
wodurch die Prozent- 
kurve der Rinde dort 


5 Tag 
Fig. 10. Serie IV. 
Involution mit folgender Regeneration. 
Absol. Gewicht der Thymus ———;; 
h i des Parenchyms — — - 


einen absteigenden Ver- { ‚nitder Rinde ua er 
lauf erhält (absolut ge- » »„ des Marks . . . . . - ; 
nommen, findet jedoch A s des interst. Gewebes 


eine wesentliche Zunahme der Rinde statt; s. Fig. 10). 


') Bei näherer Überlegung wäre wohl der Unterschied zwischen der 
Thymus des Kontrolltiers und des ersten Versuchstiers nicht so gross an- 
zusetzen, wie ihn diese Bilder zeigen, da ja das Kontrolltier bedeutend 
(4 Wochen) älter war als das erste Versuchstier. 


438 Arvid Jonson: 


Was den eigentlichen Verlauf der Regeneration anbelangt, 
so weisen meine Bilder eine auffallende Ähnlichkeit mit denen 
auf, die Rudberg (1907) bei der Thymusregeneration nach 
töntgenbestrahlung gefunden hat. Wohl ist es wahr, dass ich 
hier nicht die Regeneration von einem lymphozytenfreien An- 
fangsstadium habe ausgehen lassen können, und dass — vielleicht 
eben deshalb — schon in meinem ersten Regenerationsstadium 
Mitosen innerhalb der Lymphozyten des Parenchyms vorkommen. 
Verschiedenes in meinen Bildern spricht indessen dafür, dass 
auch nach Hunger gleichwie nach Röntgenbestrahlung die neu- 


10T 20 27 4 E7 oT 
Fig. IL Serie IV. 
Involution mit folgender Regeneration. 


Parenchym in °o des absol. Thymusgewichts 

Rinde FI e . —.—: 
Mark RE. 0 5 > Ua 8 Ste : 
Interst. Gewebe „ 


auftretenden Lymphozyten in sehr grosser Ausdehnung dem 
Organ auf den Wegen zugeführt werden, die der Hauptsache 
nach die Ausfuhr während der Hungerperiode vermittelt haben, 
in erster Linie den Lymphwegen, die während der ganzen 
Regenerationsperiode fast vollgepfropft mit Lymphozyten an- 
getroffen werden.') Da die Lymphgefässe zu grossem Teil in 
!) Ich will indessen hiermit nicht die Annahme als unmöglich be- 
zeichnen, dass Lymphozyten auch durch die Blutgefässe einwandern könnten; 
wahrscheinlich ist es, dass dies auch geschieht, in welcher Ausdehnung aber, 
ist wegen der Blutleere der Arterien in den mikroskopischen Präparaten 
nicht leicht zu sagen. 


Studien über die Thymusinvolution. 439 


das Parenchym durch das Mark eindringen, wird dadurch hier 
wie nach der Röntgeninvolution die zentrifugale Ausbreitung der 
Lymphozyten innerhalb des regenerierenden Parenchyms erklärt: 
von den Lymphgefässen aus durch das perivaskulare Bindegewebe 
zum Mark hin, von wo aus sie sich im Parenchym zunächst 
diffus, erst später mit überwiegender Lokalisation in den peri- 
pheren Teilen, der Rinde, verteilen. 

Die hineinkommenden Lymphozyten verteilen sich auch 
nicht gleichförmig auf die sämtlichen Lobuli der Drüse in früh- 
zeitigeren Stadien. Worauf dies beruht. ist schwer zu ent- 
scheiden ; möglicherweise könnte man sich denken, dass die 
Nachbarschaft grosser Gefässe und Lymphwege hierbei eine Rolle 
spielt. 

Auch zu der relativ späten Ausbildung von Mark und 
Hassalschen Körperchen findet sich Entsprechendes in Rudbergs 
Fällen. Der Umstand verdient betont zu werden, da er an- 
zudeuten scheint, dass die Gegenwart von hypertrophischen Reti- 
kulumzellen und ihren eventuellen Produkten bei der Regeneration 
ebensowenig wie bei der ersten Histogenese der Thymus eine 
Bedingung für das Auftreten der Lymphozyten im Organ bildet. 
Es findet sich nichts im Regenerationsverlauf, was für die sonst 
naheliegende Vermutung spricht, dass die vergrösserten Retikulum- 
zellen Stoffe bilden, die positiv chemotaktisch auf die Lymphozyten 
wirken. 


Dass Hunger nicht der einzige Faktor ist, der in der Thymus 
eine akzidentelle Involution hervorzurufen vermag, ist durch 
Heinekes und Rudbergs Nachweis einer Röntgeninvolution 
der Thymus zur Genüge bewiesen. Verschiedenes spricht dafür, 
dass auch andere Faktoren einen Einfluss auf Grösse und Bau 
der Thymusdrüse ausüben können. Im Hinblick auf die hier 
nachgewiesene grosse Empfindlichkeit des Organs gegen Ver- 
änderungen im allgemeinen Ernährungszustand des Organismus 
wird es geboten sein, bei Untersuchungen über den Einfluss 
solcher anderen Faktoren stets die Bedeutung der Ernährung im 
Auge zu behalten. Ich hoffe, dass die zum Teil zahlenmässige 
Analyse der Hungerinvolution, die ich hier gegeben, in solchen 
Fällen geeignet sein wird, einen objektiven Vergleich mit anderen 
Involutionsformen zu ermöglichen. 


440 Arvid Jonson: 


Zusammenfassung der Ergebnisse. 


l. Die Unterernährung vermag in der Thymus eine schnelle 
und weitgehende Involution hervorzurufen. Vier Wochen chronischer 
Unterernährung können das Thymusgewicht auf ungefähr !/s3o und 
den Parenchymwert auf !/ess des Wertes beim Kontrolltier herab- 
bringen. Ein neuntägiger vollständiger „akuter“ Hungerzustand 
vermag das Thymusgewicht (mindestens) auf '/« und den Parenchym- 
wert auf "io des Wertes beim Kontrolltier herabzubringen. 


Von den Parenchymgebieten erfährt die Rinde die unver- 
gleichlich grösste Reduktion. Schon nach zwei Wochen Unter- 
ernährung ist sie auf "2 des Gewichts beim Kontrolltier ver- 
mindert. Nach dieser Zeit lässt sie sich in der Regel nicht 
mehr beobachten. Fünf Tage vollständigen Hungers bringen sie 
auf ungefähr ®s des Gewichts beim Kontrolltier herunter, wonach 
sie auch hier nicht mehr wiederzufinden ist. 


Das Verschwinden der Rinde wird hauptsächlich durch die 
Auswanderung der Lymphozyten aus dem Organ bedingt. Ihr 
Weg scheint hierbei hauptsächlich durcb das Mark zu den in 
diesem gelegenen Lymph- (und Venen-?) Wegen zu gehen. Hier- 
durch erhält das Parenchym nach und nach ein fast rein epithe- 
liales Aussehen. Erst in späteren Involutionsstadien kommt in 
nennenswerter Ausdehnung Degeneration von Retikulumzellen 
hinzu. 

Zu der Reduktion der Lymphozyten innerhalb des Organs 
trägt ausserdem die Abnahme der Mitosen während der Hunger- 
periode bei. Nach vier Wochen Unterernährung hat die berechnete 
Anzahl Mitosen in der ganzen Drüse von ungefähr 10500000 
auf ungefähr 3100 abgenommen. Die Mitosenreduktion inner- 
halb der Lymphozyten ist indessen noch grösser, indem die 
Mehrzahl der übrigbleibenden Teilungsfiguren Retikulumzellen 
anzugehören scheint. Ebenso tritt bei vollständigem Hunger in 
vier Tagen eine Reduktion von 28500000 auf 6500000 ein. 
Bemerkenswert ist, dass in keinem der Fälle der mitotische 
Prozess in dem Organ vollständig aufhört. 


Die Hassalschen Körperchen zeigen verschiedene Resistenz 
gegen Hunger; die einzelligen verschwinden am frühesten (durch 
Atrophie?) und sind bei Unterernährung schon in der zweiten 
Versuchswoche vollständig verschwunden; die mehrzelligen werden 


Studien über die Thymusinvolution. 441 


(wenigstens teilweise durch Degeneration) von ungefähr 139 200 
auf 16 100 in vier Wochen reduziert. Bei vollständigem Hunger 
geht die Anzahl der einzelligen in gleicher Weise von 170 000 
auf ungefähr 44000 und die der mehrzelligen von ungefähr 
741500 auf ungefähr 352 700 herunter. 

Das interstitielle Gewebe wird gleichfalls durch den Hunger 
beeinflusst. Bei chronischer Unterernährung ist bereits in der 
zweiten Versuchswoche das interstitielle Fett vollständig atrophiert 
und durch ein aufgelockertes, serös durchtränktes Bindegewebe 
ersetzt; nach vier Wochen Versuchszeit ist das interstitielle Ge- 
webe auf ungefähr '/s des Gewichts beim Kontrolltier reduziert. 
Auch bei vollständigem Hunger findet eine Verminderung des 
interstitiellen Gewebes statt, obwohl in geringerem Umfang. 

2. Eine Regeneration der Thymus nach Hunger tritt rasch 
bei guter Nahrungszufuhr ein. Schon zwei Tage reichlicher Er- 
nährung rufen eine deutliche Vermehrung des Thymusgewichts 
und Parenchymwerts hervor, und nach drei Wochen ist das 
Thymusgewicht bis auf das Hundertfache und der Parenchym- 
wert ungefähr auf das Vierhundertfache gestiegen, wodurch nahe- 
zu die normalen Werte erreicht sind. 


Von den Parenchymgebieten kommt die grösste Vermehrung 
auf die Rinde. In frühem Regenerationsstadium fehlt Markge- 
webe gänzlich, und das ganze Parenchym hat dabei ein höchst 
charakteristisches, homogenes,. rindenähnliches Aussehen. 

Die Zunahme des Parenchyms wird in erster Linie durch 
Einwanderung von Lymphozyten aus den Lymph- (und Blut-) 
Wegen bedingt, wozu frühzeitig eine nicht geringe Zunahme von 
Mitosen in Lymphozyten und Retikulumzellen hinzukommt. 

Erst nach 16 Tagen vollständiger Ernährung treten die 
ersten Andeutungen von Mark in den Zentren der Lobuli durch 
Vergrösserung der dort gelegenen Retikulumzellen auf, wonach 
eine rasche Vermehrung des Markgewebes stattfindet: während 
der dritten Regenerationswoche verdreifacht sich ihre Menge. 


Die Hassalschen Körperchen fehlen in dem frühesten 
Regenerationsstadium; erst nach etwas mehr als zwei Wochen 
guter Ernährung beginnen sie wieder aufzutreten. Hypertrophische 
Retikulumzellen („einzellige Hassalsche Körperchen“) und auch 


kleinere mehrzellige („echte“) Hassalsche Körperchen sind 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73. 39 


442 Arvid Jonson: 


dann im Mark zu beobachten. Doch geschieht die Neubildung 
bemerkenswert langsam. 

Das interstitielle Gewebe nimmt während des Regenerations- 
stadiums der Drüse beträchtlich zu. Schon nach zwei Tagen 
reichlicher Nahrung beginnen interstitielle Fettzellengruppen auf- 
zutreten, die allmählich an Grösse und Verbreitung zunehmen. 
Nach drei Wochen ist das Interstitialgewebe neunmal so gross 
als zu Beginn der Regenerationsperiode. 


Literaturverzeichnis. 


Friedleben, A. (1858): Die Physiologie der Thymusdrüse. Frankfurt a.M. 

Hammar, J. A. (1905): 1. Zur Histogenese und Involution der Thymus- 
drüse. Anat. Anz., Bd. 27. 

Derselbe (1905): 2. Über Thymusgewicht und 'Thymuspersistenz. Verh. der 
Anat. Gesellschaft. 

Derselbe (1906): Über Gewicht, Involution und Persistenz der Thymus im 
Postfötalleben des Menschen. Arch. f. Anat. und Phys., Anat. Abt. 

Derselbe (1907): 1. Über die Natur der kleinen Thymuszellen. Ibidem. 

Derselbe (1907): 2. Nyare forskningsresultat och forskningsuppgifter rörande 
thymuskörteln. Allm. Sv. Läkartidningen. 

Heineke, H. (1905): Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung 
der Röntgenstrahlen auf innere Organe. Mitt. aus den Grenzgebieten 
d. Med. u. Chir. 

Naegeli, ©. (1907): Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. Leipzig. 

v. Noorden, C. (1907): Handbuch des gesamten Stoffwechsels. Berlin. 
Rudberg, H. (1907): Studien über die Thymusinvolution. I. Die Involution 
nach Röntgenbestrahlung. Arch. f. Anat. u. Phys., Anat. Abt. 
Stöhr, Ph. (1906): Über die Natur der Thymuselemente. Anat. Hefte, Bd. 31. 
Söderlund, G. och Backman, A. (1908): Studier öfver thymusinvolu- 
tionen. Aldersinvolutionen hos kaninen. Upsala läkareförenings för- 

handlingar. 
(Die übrigen Zitate sind aus Hammars Arbeit 1906 entnommen.) 


Studien über die Thymusinvolution. 443 


Erklärung der Figuren auf Tafel XVI und XVII. 


Taf. XVI. Thymi von Kaninchen, getränkt mit Zederholzöl und bei 
durchfallendem Licht photographiert; natürliche Grösse. Zur Ser. IV ge- 
hörig (Regenerationsserie, chronische Unterernährung, danach für Nr. 21—23 
reichliche Ernährung). Alter ”—14 Wochen. Thymusgewicht und Versuchs- 
zeit sind bei den betreffenden Figuren angegeben. 

Taf. XVII. Schnittbilder aus verschiedenen Serien. 

Fig. 1—5 zu Ser. I gehörig, Vergrösserung 9x 1; Fig. 6—7 zu Ser. III, 
Vergrösserung 5 x 1: Fig. S-10, sämtlich nach Hämatoxylin-Eosinfärbung, 
zu Ser. IV, Vergr. für die Fig. 8u.9: 67 x 11, für Fig. 10: 300 x 1. Mallorys 
Bindegewebsfärbung. 

Fig. 1. Alter 6 Wochen; erstes Kontrolltier; Thymusgewicht 0,87 gr. 

Fig. 2. Alter 7 Wochen; erstes Versuchstier, 1 Woche chronische Unter- 
ernährung; Thymusgewicht 0,30 gr. 

Fig. 3. Alter 8 Wochen; zweites Versuchstier, Versuchszeit 2 Wochen; 
Thymusgewicht 0,12 gr. 

Fig. 4. Alter 9 Wochen; drittes Versuchstier, Versuchszeit 3 Wochen ; 
Thymusgewicht 0,09 gr. 

Fig. 5. Alter 10 Wochen; viertes Versuchstier, Versuchszeit 4 Wochen; 
Thymusgewicht 0,03 gr. 

Fig. 6. Alter 4 Monate; zweites Kontrolltier; Thymusgewicht 2,55 gr. 

Fig. 7. Alter 4 Monate; viertes Versuchstier, 4 Tage vollständiger Hunger; 
Thymusgewicht 1,02 gr. 

Fig. 8. Alter 2'/. Monate; viertes Versuchstier, 31 Tage Unterernährung ; 
Thymusgewicht 0,02 gr. 

Fig. 9. Alter 2'/. Monate; fünftes Versuchstier, 31 Tage Unterernährung, 
danach 2 Tage reichliche und allseitige Kost; Thymusgewicht 0,07 gr. 

Fig. 10. Die zentrale Partie von Fig. 9 bei stärkerer Vergrösserung. 


444 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 


I. Die frühesten Entwicklungsstadien der Blut- und Binde- 
gewebszellen beim Säugetierembryo, bis zum Anfang der 
Blutbildung in der Leber. 


Von 


Dr. Alexander Maximow, 


Professor der Histiologie und Embryologie an der Kaiserlichen Medizinischen 
Militär-Akademie zu St. Petersburg. 


Hierzu Tafel XVIII-XX. 


1. Einleitung. 


Die Fragen der morphologischen Hämatologie finden heut- 
zutage merkwürdigerweise ihre Bearbeitung vornehmlich von 
seiten der Pathologen und Kliniker. Die Anatomen und Embryo- 
logen von Fach interessieren sich meist nur für die Probleme 
der ersten Entstehung des Blutes und des Gefässsystems und 
für die Beziehungen dieser Gewebe zu den Keimblättern. Ist 
ihr Ursprung und ihre Anlage festgestellt, dann ist für die 
Betreffenden die Sache meistens erledigt und die weitere zyto- 
logische Differenzierung, die Entstehung der verschiedenen Zell- 
arten bleibt unerforscht. Allerdings werden in Untersuchungen 
solcher Art, trotz einwandsfreiem Material, meistens auch solche 
Methoden gebraucht, die die Klarstellung der zytologischen 
Probleme unmöglich machen und eben nur rein embryologischen 
Forderungen angepasst sind. 

Es ist bekannt, wie gross die Literatur über die zytologische 
Entwicklung der verschiedenen Blutzellenarten und zugleich wie 
wenig Positives, Feststehendes hier zu verzeichnen ist. Es finden 
sich leidenschaftliche Verfechter für die verschiedensten, genau 
entgegengesetzten Anschauungen. 

Hier ist es nicht am Platz, einen kritischen Bericht über 
die Literatur der morphologischen Hämatologie zu bringen. 
Dies ist schon unzählige Male von verschiedenen Seiten gemacht 
worden. An dieser Stelle möchte ich nur im Vorübergehen 
einige von den wichtigsten heute hervortretenden Strömungen 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 445 


notieren. Sie beziehen sich meistenteils auf die Blutbildung im 
erwachsenen Organismus der Wirbeltiere, speziell der Säuger und 
des Menschen. | 

Es sind vor allem die sogenannte dualistische oder richtiger 
polyphyletische und die unitaristische oder monophyletische Theorie 
der Hämatopoese zu unterscheiden. 

Die Dualisten erklären die verschiedenen Zellarten des 
Blutes für ebensoviele mehr oder weniger selbständige, genetisch 
nicht zusammenhängende Zellstämme. Da unterscheidet man 
erstens streng zwischen dem sogenannten myeloiden Gewebe — 
den Erythrozyten und den granulierten Leukozyten einerseits 
und dem sogenannten Iymphoiden Gewebe — den verschiedenen 
ungranulierten Leukozyten oder Lymphozyten im weitesten Sinne 
des Wortes andererseits (Nägeli [37], Wain [63], Schridde 
|51—53], Morawitz und Rehn [34], Gütig [16] u.a.). Die 
meisten Dualisten wollen diese strenge Einteilung auch noch 
weiter durchführen und auch die roten Blutkörperchen von den 
syanulierten Leukozyten in ihrer Genese streng geschieden 
wissen. Die ersten entstehen aus hämoglobinhaltigen oder 
hämoglobinlosen Erythroblasten, die sich selbständig vermehren 
und in Erythrozyten verwandeln. Die zweiten entstehen entweder 
ausschliesslich aus entsprechenden schon granulierten wuchernden 
Myelozyten (Helly |17]). oder aus besonderen ungranulierten 
basophilen Myeloblasten durch Ausarbeitune von Körnchen im 
Protoplasma. Manche Autoren halten wieder dafür, dass zwar 
sämtliche Leukozyten, die Lymphozyten und Granulozyten aus 
einer gemeinsamen (uelle stammen, die roten Blutkörperchen 
aber einen anderen Ursprung haben (Löwit, v. d. Stricht 
157,58], soodall [14], Browning[2],Gulland[15|, neuerdings 
auch Pappenheim [46|). Einige wollen auch unter den Lympho- 
zyten mehr oder weniger bewusst „histiogene“ und „hämatogene“ 
unterscheiden (Marchand, Pappenheim [43]). Dieser prinzipielle 
(regensatz zwischen „histiogenen“ und „hämatogenen“ Zellformen 
ist überhaupt eine Überlieferung, die sich in der Wissenschaft 
bis jetzt sehr hartnäckig behauptet, obwohl sie, wie wir weiter 
unten sehen werden, kaum existenzberechtigt ist. 

Die Unitarier sehen demgegenüber die verschiedenen Zell- 
arten des Blutes als verschiedene Entwicklungszweige einer 
einzigen gemeinsamen Stammzelle an (Müller [35], Saxer [49], 


446 Alexander Maximow: 


Wertheim [67], Weidenreich [64—66|, Maximo w [|30—32], 
Benda, Dominici[6], Dantschakoff [4, 4a, 5a], Pappen- 
heim [35—41]). Diese aus einem einzigen Punkte nach ver- 
schiedenen Richtungen ausstrahlende differenzierende Entwicklung 
bleibt auch im erwachsenen Organismus jederzeit bestehen. 

Was das für eine Stammzelle ist und wie sie genannt werden 
soll, darüber sind die Meinungen wieder nicht ganz einig. Die 
einen, die meisten, erblicken sie in dem sog. „grossen (resp. auch 
kleinen) Lymphozyt“. Die anderen nehmen als gemeinsame Stamm- 
zelle für das myeloide und Iyvmphoide (Gewebe, speziell für die 
(Granulozyten und Lymphozyten, eine besondere, ziemlich hypothe- 
tische „indifferente Lymphoidzelle“ an (Türck [62], Meyer und 
Heinecke |33]) Diese Anschauung könnte man eine zwischen 
den Dualisten und Unitariern vermittelnde nennen und mit 
Pappenheim [40] als „monophyletisch überbrückten Dualismus“ 
bezeichnen, denn hier wird das dualistische System in der Tat 
mit einer eigenen neuen Lymphoidzelle monophyletisch überbrückt. 

(zewiss, auch in anderen Fragen der morphologischen Wissen - 
schaft herrschen verschiedene Anschauungen. Nirgends aber 
stehen die Differenzen einander so schroff gegenüber, wie in der 
Hämatologie und vor allem — nirgends findet man so wenig 
Aussicht auf endgültige Klärung der wichtigsten Fragen. Bis 
jetzt erscheinen fortwährend neue und neue Arbeiten, die auf 
Grund von scheinbar einwandsfreien Befunden zu den entgegen- 
gesetztesten Schlüssen gelangen. Es genügt z. B. einerseits auf 
das neue Werk von Nägeli|37]| und die Arbeiten von Schridde 
und Türk!) hinzuweisen, in welchen die Verfasser alle bisher 
bekannten Tatsachen der Morphologie des Blutes nur durch die 
dualistische Auffassung erklärbar finden, andererseits auf die 
zahlreichen Schriften von Weidenreich, Dominici und 
anderen Unitariern, wo dasselbe Tatsachenmaterial zugunsten 
der entgegengesetzten Anschauung ins Feld geführt wird. 

Ein grosser Übelstand in der heutigen morphologischen 
Hämatologie ist ferner die unheilvolle Verwirrung, die in der 
Terminologie herrscht. Es sind unzählige komplizierte Namen 
für ebenso unzählige, angeblich scharf zu unterscheidende Zellarten 
vorgeschlagen worden; derselbe Ausdruck wird sogar mitunter von 


') Centralbl. f. allg. Pathologie, Bd. XIX, Nr. 21, 1908. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 447 


Dieser besonders trostlose Zustand der hämatologischen 
Literatur hängt nun meiner Meinung nach von einigen ganz be- 
stimmten Bedingungen ab. 

Vor allem von dem Material, an welchem die hämato- 
logischen Untersuchungen, meistens. wie gesagt, von Pathologen 
und Klinikern, ausgeführt werden. Man benützt vorzugsweise 
das schwierigste, komplizierteste Objekt, den menschlichen Organis- 
mus, den man ja gewöhnlich nicht einmal in genügend frischem 
Zustande und mit genügender Vollständigkeit untersuchen kann. 
Um die allgemeinen biologischen Fragen über die Abstammung 
der Blutzellen zu lösen, geht man von dem am wenigsten dazu 
geeigneten Objekte aus. Es ist z. B. meiner Meinung nach ganz 
unmöglich, auf Grund von Untersuchung einiger Trockenpräparate 
vom zirkulierenden Blut eines gesunden oder kranken, etwa 
leukämischen Menschen oder anderer rein zufällig gewonnener 
Objekte zu einigermassen richtigen Schlüssen über die Histiogenese 
der Blutelemente zu gelangen. Dies ist auch schon gelegentlich 
von Weidenreich mit Recht hervorgehoben worden. Ich ver- 
stehe überhaupt nicht, welchen Vorzug für die Lösung der prin- 
zipiellen Fragen der morphologischen Hämatologie die Anstellung 
von Untersuchungen gerade an menschlichem Material bietet. 
(rewiss, wenn es möglich wäre, vom Menschen ein ebenso einwands- 
freies Material von allen Geweben und Organen zu bekommen, 
wie es von Tieren zu erlangen ist, dann wäre diese Bevorzugung 
leicht erklärlich und gut begründet. Bei den obwaltenden Ver- 
hältnissen finde ich es aber entschieden vorteilhafter, tadelloses 
histiologisches Material von Säugetieren zu benützen, als mangel- 
haftes vom Menschen, selbst in dem Falle. wo man gerade über 
die Bluthistiogenese im menschlichen Organismus ins Klare 
kommen will. 

Die notierten Besonderheiten der am meisten gebrauchten 
Untersuchungsobjekte bringen es auch mit sich, dass das Tat- 
sachenmaterial scheinbar immer mehr und mehr anschwillt, ohne 
in entsprechendem Grade unsere allgemeine Erkenntnis über die 
wichtigsten Prozesse der Bluthistiogenese zu fördern. Es werden 
eben zu viele einzelne unzusammenhängende Beobachtungen von 
rein Kasuistischem Charakter gemacht, es werden zu viele einzelne. 
besondere, angeblich grundverschiedene Zellarten beschrieben, 
ohne dass ihre wirkliche Existenzberechtigung als distinkter Zell- 


448 Alexander Maximow: 


typen und ihre genetischen Beziehungen dadurch in hellerem 
Lichte erscheinen würden. Es werden Stammbäume für die Ent- 
wicklung der Blutzellen konstruiert, es gibt derer aber heutzutage 
wohl ebensoviele, wie der Autoren selbst und mit der Zeit werden 
sie noch immer komplizierter und umfangreicher. Bei Unter- 
suchung eines so überaus komplizierten und unvollständigen 
Objektes, wie das menschliche Blut, kann es nur zu leicht vor- 
kommen, dass die Autoren einzelne, vielleicht rein zufällige oder 
vorübergehende morphologische Veränderungen an der oder jener 
Zellart für wichtige Artmerkmale halten und auf diese Weise 
sich wieder zur Aufstellung neuer spezifischer Zellarten verleiten 
lassen. 

Wenn nun also das menschliche Material, wie wir gesehen 
haben, für die Lösung der Probleme der morphologischen Häma- 
tologie ziemlich unbrauchbar ist, so ist andererseits für diese 
Zwecke auch die Untersuchung der Gewebe des erwachsenen 
Säugetierorganismus nicht ausreichend. Hier können wir zwar 
nach Belieben alle Gewebe, das Blut, die blutbildenden Organe, 
das Bindegewebe in frischem Zustande untersuchen, auch das 
Experiment zu Hilfe nehmen, aber im erwachsenen Körper sind 
die Blutbildungsprozesse doch schon so kompliziert, dass der 
genetische Zusammenhang der einzelnen Zellformen nicht überall 
und nicht immer klar hervortritt und die wichtigsten Zellformen 
sehr oft durch weniger wichtige, zufällige, aber vielleicht gerade 
zahlreichere verdeckt und verdrängt werden. 

Es leuchtet also ein, dass zur Klärung der schwebenden 
Fragen der morphologischen Hämatologie und zur möglichst 
vollständigen Vereinfachung der existierenden Vorstellungen über 
den Stammbaum der Blutzellen und der Terminologie erstens 
embryologische und zweitens vergleichend-histiologische Unter- 
suchungen not tun. 

Es muss die Entwicklung der verschiedenen Blutzellen von 
den ersten embryonalen Stadien an untersucht werden an 
möglichst lückenlosem Material und mittelst derselben feinsten 
histiologischen Methoden, die sonst in der Hämatologie gebraucht 
werden. Ferner muss die Blutbildung bei möglichst verschiedenen 
Klassen der Wirbeltiere im erwachsenen und embryonalen Zustande 
genau studiert werden. Nur durch die vergleichend-histiologische 
Methode können wir hoffen, der wirklichen Erkenntnis der 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 444 


hämatopoetischen Prozesse bei den Säugetieren und dem Menschen 
näher zu kommen. 

In der Literatur ist schon jetzt eine ganze Reihe von 
embryologischen Arbeiten über Hämatopoese zu verzeichnen. 
Meiner Meinung nach genügen sie aber nicht allen notwendigen 
Forderungen. 

(ranz auszuschliessen sind die Arbeiten, die, wie ich eingangs 
erwähnt habe, nur rein morphologische Zwecke verfolgten und 
nit entsprechenden Methoden ausgeführt wurden. In den anderen. 
speziell histiogenetischen Arbeiten ist erstens wieder am Material 
vieles auszusetzen. Die allerersten Stadien der Blutbildung sind 
in den Bereich der histiologischen Untersuchung überhaupt noch 
iast gar nicht gezogen worden. Viele Autoren bezeichnen 
merkwürdigerweise Embryonen von 6 mm Länge (Goodall) als 
sehr jung, als die jüngsten, über die sie verfügten. In solchen 
Kntwicklungsstadien sind aber, wie wir weiter unten sehen 
werden, die wichtigsten Zellarten des Blutes schon längst vor- 
handen. In keiner von den mir bekannten Arbeiten ist ferner 
sogar das Material aus den späteren Stadien vollkommen lücken- 
los. Stets wurden nur zufällig gefundene Embryonen verwendet. 

Ferner ist auch die Methodik in den meisten Arbeiten 
ungenügend gewesen. Seltsamerweise wurde z. B. von vielen 
(Engel |7—10|) nur das zirkulierende Blut untersucht. wobei 
die hier ganz und gar unbrauchbare Trockenmethode zur An- 
wendung kam. Offenbar glaubten die betreffenden Autoren, dass 
in den frühen Entwicklungsstadien die Blutbildung nur im Blut- 
strom selbst vor sich geht. Wie wir aber weiter unten sehen 
werden, ist die zellige Zusammensetzung des zirkulierenden 
Blutes selbst in den allerfrühesten Stadien nicht überall im 
Embryo dieselbe und es existieren schon von Anfang an wirkliche 
echte blutbildende Organe. Auf Grund der Untersuchung des 
zirkulierenden Blutes allein kann man niemals zu richtigen Vor- 
stellungen über Blutbildung gelangen. 

Es ist meine Überzeugung, dass hier folgendes notwendig 
ist. Erstens einwandsfreies, lückenloses embryonales Material 
von den allerersten Entwicklungsstadien an (vom Moment der 
Mesoblastentstehung). Zweitens dieselben feinsten zytologischen 
Methoden, wie sie in der Hämatologie für die Zellen des Blutes 
im erwachsenen Organismus gebraucht werden. Drittens Unter- 


450 S Alexander Maximow: 


suchung aller Teile des embryonalen Körpers und seiner Annexen. 
Endlich vergleichende Verwendung mehrerer Tierarten. Wie wir 
weiter unten sehen werden, geht die embryonale Entwicklung 
des Blutes bei allen Säugetieren prinzipiell die gleichen Wege; bei 
jeder Tierart treten aber doch manche spezielle interessante 
Besonderheiten hervor. 


Wenn wir embryologische Arbeiten, die den angegebenen 
Bedingungen genügen, besitzen werden, dann erst werden wir 
uns auch in dem Gewirr der verschiedenen Zellformen des Blutes 
im erwachsenen Körper leichter zurechtfinden. 


Ich möchte hier die wichtigsten neueren embryologischen 
Arbeiten aufzählen. Über ihren Inhalt ausführlich zu berichten, 
wäre überflüssig, da dies schon von anderen Autoren mehrfach 
gemacht worden ist. Die sich speziell auf die Blutbildung in der 
embryonalen Leber beziehenden Arbeiten bespreche ich weiter 
unten besonders. 


Eine erschöpfende Darstellung des heutigen Zustandes der Lehre von 
der Entstehung der ersten Blut- und Gefässanlagen bei den Säugern von 
rein morphologischem Standpunkt finden wir in dem neuen Handbuch der 
Entwicklungslehre von Hertwig. Sie ist von Rückert und Mollier (48) 
geschrieben und enthält Angaben über die Topographie der Anlagen, über 
ihre Beziehung zu den Keimblättern. speziell zu dem Mesoblast usw. Die 
Fragen der zytologischen Differenzierung der Blutzellen werden nicht berührt — 
die ersten Blutelemente werden, wie gewöhnlich, für rote Blutzellen erklärt. 

H. E. Ziegler (69) gehört eine schon ältere, vergleichend-histiologische 
Abhandlung über die Entstehung des Blutes bei verschiedenen Wirbeltieren 
und u.a. auch bei den Säugern. Ziegler behandelt die Frage auch von 
einem mehr allgemein-morphologischen Standpunkt. Für uns ist das Wichtigste, 
dass Ziegler sich genötigt sieht, eine zeitlich und örtlich Betrennle Ent- 
stehung der roten und weissen Blutkörperchen anzunehmen. 

Die grundlegendsten histiogenetischen Arbeiten über die ersten Ent- 
wicklungsstadien der Blutelemente bei Wirbeltieren und speziell bei den 
Säugern gehören v. d. Stricht (57—61). Die ersten Blutzellen in der area 
vasculosa sind nach ihm auch ausschliesslich junge rote Blutkörperchen 
Erythroblasten. Die Leukoblasten und Leukozyten sollen unabhängig von 
ihnen, extravaskulär, im Mesenchym entstehen und in die Gefässbahn erst 
nachträglich einwandern. V. d. Stricht trennt also ebenfalls die Erythro- 
zyten und Leukozyten nach ihrer Herkunft streng voneinander. 

Nicht minder bedeutungsvoll ist die Arbeit von Saxer über die Blut- 
bildung bei Säugetierembryonen (49). Sie bezieht sich allerdings nur auf die 
späteren Entwicklungsstadien, enthält aber dennoch ausserordentlich wert- 
volle Angaben, die ich zum grossen Teil durch meine eigenen Untersuchungen 
bestätigen kann. Saxer ist ausgesprochener Unitarier. Er anerkennt die 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 451 


Existenz besonderer „primärer Wanderzellen‘ im Mesenchym des Embryo. 
Aus ihnen entstehen durch differenzierende Wucherung sowohl die roten, als 
auch die verschiedenen weissen Blutkörperchen. Im Vergleich mit der 
Saxerschen Arbeit stellen viele von den späteren, sogar von den neuesten 
Arbeiten entschieden einen Rückschritt vor. 

Über die frühen Entwicklungsstadien des Blutes bei Säugern findet 
man im Bonnetschen Lehrbuch (1) interessante Angaben. Die Endothel- 
zellen der primären Gefässe sollen eine grosse Rolle in der Erzeugung der 
ersten Blutelemente spielen. Sie bringen zuerst nur Erythrozyten hervor. 
lie Leukozyten entstehen nach Bonnet auch aus Endothelzellen, aber viel 
später, haben mit den Erythrozyten genetisch nichts zu tun und verwandeln 
sich nicht in dieselben. 

Über die embryonale Entwicklung der Blutelemente hat Engel (7—12) 
mehrere Arbeiten veröffentlicht. Er kommt zu Anschauungen, die zum Teil 
eine ganz isolierte Stellung einnehmen. So lässt er z. B. bekanntlich weisse 
Blutkörperchen aus den die primitiven Erythroblasten (seine Metrozyten) 
verlassenden Kernen entstehen u. dergl. Es ist unzweifelhaft und auch von 
anderen Autoren schon notiert worden, dass Engel zu solchen Schlüssen 
nur durch eine unzweckmässige Methodik verleitet werden konnte; er unter- 
suchte nämlich fast ausschliesslich Deckglastrockenpräparate. 

Engels Schüler, Jost (22), hat im Jahre 1903 eine neue Arbeit über 
die Blutentwicklung bei Säugetierembryonen veröffentlicht. Auch hier wurden, 
ausser Paraffinschnitten, doch wieder an erster Stelle Deckglaspräparate 
verwendet. Die frühesten Stadien sind nicht untersucht und der Ursprung 
der ersten Blutzellen deswegen nicht klargestellt worden. Jost lässt rote 
Blutzellen (in der Leber) direkt aus Endothelzellen entstehen. Bei ihm taucht 
die Engelsche Lehre von der Entstehung der Lymphozyten aus hämoglobin- 
haltigen polychromatischen Megaloblasten wieder auf. 

Die Arbeiten von Browning (2) und Goodall (14) bringen recht 
wenig Neues. Auch hier kam erst sehr spätes und unvollständiges Material 
zur Untersuchung. Die verschiedenen Leukozytenarten sollen nach ihnen 
einen gemeinsamen Ursprung haben, von den Erythrozyten aber getrennt sein. 

Jolly und Acuna (21) gehört eine Arbeit über die Leukozyten im 
Blute bei Säugetierembryonen. Sie untersuchten nur das zirkulierende Blut 
und konnten also naturgemäss über die eigentliche Herkunft der ersten 
Leukozyten nichts entscheiden. In den frühesten Stadien fanden sie im Blute 
nur rote Zellen. Erst sehr spät (Meerschwein 16 mm) sollen die ersten 
weissen Blutkörperchen in Form von Lymphozyten auftreten. Die (iranulo- 
zyten erscheinen noch viel später. 

Jolly (20) hat in letzter Zeit eine grosse Arbeit über die Bildung 
der Erythrozyten publiziert. Er bespricht dabei auch ihre embryonale Ent- 
stehung und unterscheidet in derselben Weise wie ich die zuerst auftretenden, 
temporären, „primitiven“ Erythrozyten von den späteren, permanenten. Diese 
letzteren, die Megaloblasten und Normoblasten, entstehen nach ihm aus be- 
sonderen, indifferenten, farblosen Zellen. 

In den Arbeiten von Nägeli (36, 37) gibt es zahlreiche, in sehr 
apodiktischem Ton gehaltene Angaben über die Entwicklung der verschiedenen 


452 Alexander Maximow: 


Blutzellenarten beim Embryo. Sie sind sämtlich im Sinne der polyphyletischen 
Theorie verfasst. Die Embryologie soll nach Nägeli die dualistische Theorie 
Ehrlichs, die strenge Scheidung der verschiedenen Blutzellenarten, speziell 
des myeloiden und Iymphoiden Gewebes voneinander, durchaus bestätigen. 
Ich muss schon hier im voraus bemerken, dass meine eigenen Befunde fast 
in allen Punkten den Nägelischen Angaben widersprechen. Ich werde in 
der folgenden Schilderung noch mehrmals Gelegenheit finden, auf diese Arbeit 
zurückzukommen. 


Streng polyphyletisch sind auch die Angaben von Schridde (53). Er 
lässt (beim Menschen) zuerst. während einer ziemlich langen Entwicklungs- 
periode, nur rote Blutkörperchen (primäre Erythroblasten) existieren; sie 
sollen direkt aus den Endothelzellen der primären Gefässe entstehen. Viel 
später, in der Leber, gehen dann, ebenfalls aus den Gefässendothelien, drei 
neue Zellstämme hervor, die sich sofort ganz voneinander isolieren — die 
sekundären Erythroblasten, die Myeloblasten und die Riesenzellen. Auch zu 
dieser Zeit soll von Lymphozyten noch nichts zu finden sein — sie sollen 
noch viel später an anderen Orten entstehen und dadurch soll die Lehre von 
der Rassenverschiedenheit der Lymphoblasten und Myeloblasten eine neue 
Stütze erhalten. Wie aus meiner weiteren Schilderung erhellen wird, kann 
ich diese Angaben von Schridde nicht bestätigen. 


Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass in der neuesten Zeit 
zwei Arbeiten erschienen sind. die zwar nicht an Säugetieren gemacht 
wurden, die aber in bezug auf die embryonale Entwicklung der Erythrozyten 
und Leukozyten dennoch zu Resultaten gekommen sind, welche mit den von 
mir bei den Säugetieren erhaltenen auf das Schönste übereinstimmen. Die 
eine Arbeit gehört Bryce (3) und ist an Lepidosiren paradoxa, die andere 
gehört Dantschakoff (4. 4a. da) und ist am Hühnerembryo gemacht worden. 


Nach allgemeiner Angabe entsteht das Blut und die (sefässe 
aus dem Mesoblast resp. Mesenchym:; ob und inwiefern der Ento- 
blast daran auch teilnimmt, ist noch nicht genau entschieden. 
Was die Entwicklung der verschiedenen Blutzellen anbelangt, so 
werden die embryologischen histiogenetischen Tatsachen sowohl 
von den Dualisten, als auch von den Unitariern zur Bekräftigung 
ihrer Theorien ins Feld geführt. Dies hängt nun sicher gerade 
davon ab, dass die allerersten Stadien der Blutentwicklung durch 
die angeführten Arbeiten überhaupt fast gar nicht beleuchtet 
wurden. Die meisten Autoren fingen mit solchen Stadien an, 
wo alle wichtigsten Blutelemente schon vorhanden sind. 


Nur in einem Punkt scheinen bis jetzt alle Autoren, ausser 
Bryce (3) und Dantschakoff (4, 4a, 5a), einig zu sein — dass 
die ersten Blutelemente, die freien Zellen der Blutinseln, sich 
sämtlich in rote Blutkörperchen verwandeln. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 453 


Über die erste Entstehung der Leukozyten fehlen sichere 
Angaben vollständig. Im allgemeinen wird bloss vermutet, dass 
sie viel später als die Erythrozyten entstehen und an ganz 
anderen Stellen — ausserhalb der Gefässbahn. Diese vermeint- 
liche Tatsache bildet für die Dualisten eine wichtige Stütze für 
ihre Anschauung. 

Im Laufe der letzten Jahre befasse ich mich mit embryo- 
logischen Untersuchungen über die Entwicklung des Blutes. Ich 
habe vorläufig mit den Säugetieren angefangen und besitze jetzt 
ein schon ziemlich vollständiges Material. In der vorliegenden 
Arbeit lege ich die Resultate dar, die sich auf die ersten Ent- 
wicklungsstadien des Blutes und Bindegewebes bis zum Anfang 
der Blutbildung in der Leber beziehen. Diese Trennung von 
den späteren Stadien ist gewiss rein künstlich, in manchen Be- 
ziehungen sogar unbequem und schwer durchführbar. Ich möchte 
aber die Veröffentlichung meiner Befunde in ausführlicher Form 
nicht länger hinausschieben. Die Bearbeitung der späteren embryo- 
nalen Stadien ist von mir indessen noch nicht abgeschlossen. 
Die angegebene Trennung erscheint mir auch dadurch berechtigt, 
dass gerade zur Zeit des Anfanges der blutbildenden Tätigkeit 
in der Leber im embryonalen Organismus schon alle die wichtigsten 
zelligen Elemente des Blutes auftreten; in den folgenden Ent- 
wicklungsperioden finden wir nur die weitere Differenzierung dieser 
schon vorhandenen Grundtypen. 

Bei meinen Untersuchungen war es mein Ziel. bis zum 
Moment des ersten Auftretens der Blutelemente vorzudringen, 
ihre früheste Differenzierung zu erforschen und zu entscheiden, 
wo, wann und wie die ersten roten und weissen Blutkörperchen 
entstehen, ob sie dabei eine gemeinsame Stammzelle besitzen 
und ob diese Stammform dann im folgenden bestehen bleibt. 
Ich war mir im voraus dessen bewusst, dass die Lösung der Frage, 
die heutzutage als die wichtigste der morphologischen Hämatologie 
betrachtet werden muss, nämlich, ob die monophyletische oder 
die polyphyletische Theorie der Hämatopoese richtig ist, nur auf 
diesem Wege erreicht werden kann, nur durch die Verfolgung 
aller Entwicklungsprozesse der Blutelemente von dem ersten 
Moment ihres Auftretens an. Wenn ihr erster Ursprung im 
Embryo einmal bekannt ist, wird sich naturgemäss auch die 
Untersuchung der späteren. auch der postfetalen Perioden viel 


454 Alexander Maximow: 


einfacher und leichter gestalten. Vor allem interessierte mich 
die Frage über das erste Auftreten der weissen Blutkörperchen, 
der Leukozyten im Embryo — darüber ist ja bis jetzt, wie wir 
sehen, fast gar nichts bekannt gewesen. 


2. Material und Methoden der Untersuchung. 


Mein Material bestand aus Embryonen von Kaninchen, Meerschweinchen, 
weisse Ratte. weisse Maus, Katze und Hund. Vom Kaninchen und von der 
Katze!) besitze ich sehr vollständige Reihen von den frühesten Entwicklungs- 
stadien (Primitivstreifen) an. Die anderen Tierarten lieferten mir bis jetzt 
mehr zufälliges Material, obwohl es auch ziemlich reichhaltig ist. Beim 
Kaninchen war der Zeitpunkt der Begattung fast immer genau bekannt; sie 
geschah gewöhnlich unmittelbar nach erfolgtem Wurf; die Embryonen konnten 
hier also nach dem Alter gruppiert werden. Das embryologische Material 
von der Katze gewann ich von Tieren, die in den Monaten Januar, Februar 
und März eingefangen und sofort getötet wurden; von den etwa 150 geopferten 
Exemplaren erwiesen sich 75 als schwanger und trotz des ziemlich häufigen 
Vorkommens von ganz gleichen Entwicklungsstadien gelang es, wie gesagt, 
doch mit der Zeit eine ziemlich lückenlose Reihe zu sammeln. Die Embryonen 
der Katze wurden nach der Körperlänge gruppiert. 

Hier lasse ich die Beschreibung der Methodik folgen, die sich speziell 
auf die jüngeren Embryonen bezieht — beim Kaninchen bis zum 14. Tage, 
bei der Katze bis zur Körperlänge von etwa 1 cm. Die älteren Embryonen 
werden in einer anderen Abhandlung bearbeitet werden. 

In allen Fällen wurden die dem soeben durch Chloroform oder Leucht- 
gas getöteten Tier entnommenen Uterusanschwellungen unter warmer physio- 
logischer Kochsalzlösung in einer mit schwarzem Paraffinboden versehenen 
Schale präpariert. Die Muscularis wurde gewöhnlich mittelst feiner Pinzetten 
möglichst rasch faserweise abgetrennt und die Uterusschleimhaut dann von 
der antimesometralen Seite kreuzförmig aufgeschnitten oder auch mit Pin- 
zetten vorsichtig aufgerissen. Ein Teil der Embryonen eines jeden Falles 
wurde dann nach Eröffnung der Eihöhle (eventuell, in den späteren Stadien, 
nach Abtragung des grössten Teiles der Dottersackwand) in situ mit Amnion, 
Allantois und einem Teil der Dottersackwand auf der Uterusschleimhaut 
fixiert. Der andere Teil, die Mehrzahl, wurde behutsam mittelst feinster 
Pinzetten und Scheren von der Uterusschleimhaut resp. der Plazenta ab- 
präpariert, wobei in den frühesten Stadien besonders auf die gute Erhaltung 
der area vasculosa resp. der Dottersackwand geachtet wurde. Nach Isolierung 
des Embryos mit seinen Annexen von der Plazenta (eventuell, wie gesagt, 
schon früher) wurde der grösste Teil der area vasculosa, der Dottersack- 
wand, abgeschnitten und in ausgespanntem Zustande fixiert. Dies erreicht 
man auf sehr bequeme Weise nach der in meinem Laboratorium üblichen 
Methode, indem man die Stücke der dünnen Membran sich auf der konvexen 


1) Anm. bei der Korrektur: Jetzt auch vom Meerschweinchen und von 
der Ratte. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 455 


Fläche eines in warme physiologische Kochsalzlösung getauchten Uhrglases 
ausbreiten lässt, sie aus der Flüssigkeit mit dem Glas herausnimmt und dann 
aus einer Mannschen Tropfflasche die Fixierungsflüssigkeit darauf tröpfelt 
Nach einigen Sekunden ist die nötige Regidität des Gewebes erreicht und 
man löst die fixierte Membran vom Glase, indem man die konvexe Fläche 
des letzteren in eine Schale mit Fixierungsflüssigkeit eintaucht und hin und 
her schwenkt. Der Körper des Embryo mit dem Rest der Hüllen wird auf 
einem kleinen Hornlöffel direkt in die Fixierungsflüssigkeit gebracht, wobei 
ınan darauf zu achten hat, dass er in möglichst günstiger Lage erstarrt. 

Sehr junge Embryonalstadien, Keimscheiben mit Primitivstreifen oder 
einigen Ursegmenten u. dergl. wurden immer zum Teil auch in situ auf dem 
betreffenden Abschnitt der Uterusschleimhaut liegend fixiert; dies geschah, 
wenn ich sie für Schnittpräparate bestimmte. Meistens wurden sie aber 
von der Uterusschleimhaut in möglichst weitem Umkreise, zusammen mit der 
area opaca resp. vasculosa vorsichtig abgehoben und der ganze Keim in 
möglichst ausgespanntem Zustande in der angegebenen Weise auf der kon- 
vexen Fläche eines Uhrglases fixiert. Solche Präparate breiten sich tadellos 
ohne eine einzige Falte, ebenso wie die Teilstücke der Dottersackwand aus 
und können nachher in toto wie Schnitte weiter behandelt, also gewässert, 
gefärbt und in Balsam eingeschlossen werden. Sie sind so dünn und durch- 
sichtig, dass man an ihnen die feinsten Strukturdetails der Blutzellen bequem 
studieren kann. Die beschriebene Behandlung der Dottersackwand ist schon 
von Saxer mit Erfolg gebraucht worden. 

Es erhellt aus dem eingangs angeführten Gedankengang, dass man 
bei Erforschung der ersten Stadien der Blutbildung und des Bindegewebes 
notwendigerweise alle Teile des Keimes, den embryonalen Körper selbst und 
alle seine Anhänge in der ungestörten normalen Lage und in möglichst voll- 
kommen fixiertem und gefärbtem Zustande untersuchen muss. Man kann 
sich unmöglich nur etwa auf Präparate vom zirkulierenden Blut oder von 
der embryonalen Leber oder Milz und dergl. beschränken. In den frühen 
Stadien ist speziell die Untersuchung des zirkulierenden Blutes an und für 
sich, z. B. an Deckglaspräparaten gar nicht möglich, weil man es ohne 
schwere Beschädigung und Zerstörung der Gewebe überhaupt nicht bekommen 
kann. Hier hat man das zirkulierende Blut nur an Schnittpräparaten von 
tadellos in situ fixierten Embryonen zu studieren. 


Eine sehr grosse Bedeutung für Untersuchungen, wie die vorliegende, 
hat die Wahl der Fixierungsmethode. Kein anderes Gewebe gibt bei unzweck- 
mässiger Fixierung so leicht Anlass zu den verschiedenartigsten Artefakten, 
wie gerade das Blut, besonders das embryonale. 


Ich habe eine ganze Reihe von verschiedenen Fixierungsflüssigkeiten 
durchprobiert und bin schliesslich bei dem sog. Zenker-Formol (ZF), der von 
Helly vorgeschlagenen Modifikation der Zenkerschen Flüssigkeit, stehen 
geblieben. Diese Mischung fixiert vorzüglich alle embryonalen Gewebe und 
speziell das Hämoglobin. Die gewöhnliche Zenkersche Flüssigkeit ist hin- 
gegen für Untersuchungen über die frühesten Stadien der Blutbildung gar 
nicht zu brauchen. Ich will dies speziell hervorheben, weil sie von manchen 


456 Alexander Maximow: 


Autoren gerade für das genannte Objekt an erster Stelle empfohlen wird. 
Sie leistet wohl für das Bindegewebe, besonders in den späteren embryonalen 
Stadien, ganz Vorzügliches, für das Blut ist sie aber unbrauchbar, da si« 
das hämoglobinhaltige Protoplasma direkt zerstört. 


Fixiert wurde also fast ausschliesslich mit ZF. Je nach dem Umfang 
des Objektes dauerte die Fixation verschieden lange; dünne Membranen — 
Dottersackwand und dergl. — verweilen in ZF bloss 10 Minuten; kleine 
Embryonen bleiben darin 1'/.—2 Stunden, grössere bis zu 4—5, sogar 6 Stunden. 


Nach der Fixierung erfolgte Auswaschen in fliessendem Wasser, wobei. 
um die Objekte nicht zu beschädigen, meistens Steinachsche Siebdosen 
sebraucht wurden. 

Ich habe auch die Dominicische Fixation mittelst Jodsublimat ver- 
sucht. Sie gibt ganz gute Resultate, ähnlich wie ZF, dringt aber sehr 
schlecht ein, verursacht manchmal Schrumpfungen und ausserdem verflüchtigt 
sich das Jod sehr rasch. 


Nicht weniger wichtig, als die Fixierung, ist für meine Untersuchungen 
auch die Einbettungsmethode gewesen. Es ist hier nicht am Platz, die 
Vorzüge und Nachteile der beiden heutzutage gebräuchlichen Verfahren, der 
Paraffin- und der Zelloidinmethode, zu erörtern. Ich werde vielleicht darüber 
einiges gelegentlich besonders berichten. Ich kann aber bestimmt behaupten, 
dass für Untersuchungen über die früheste Entwicklung des Blutes im Embryo 
die Paraffineinbettung ganz unbrauchbar ist; nur das Zelloidin gibt gute 
Resultate. Es ist leicht, dies zu beweisen. Wenn man von zwei gleichen, 
in gleicher Weise fixierten Embryonen den einen in Paraffin, den anderen in 
Zelloidin einbettet, so kann man sich nachher an den in gleicher Weise ge- 
färbten Schnitten davon überzeugen, wie gross die Unterschiede in den beiden 
Präparaten sind. Nach Paraffin treten stets, selbst bei der vollkommensten 
Einbettungstechnik, starke Schrumpfungen hervor — man bemerkt sie aller- 
dings weist nur beim Vergleich mit den Zelloidinpräparaten, wo sie voll- 
ständig fehlen. Ausserdem gelingt die weiter unten beschriebene Färbung 
mit Eosin-Azur an Paraffinpräparaten lange nicht so gut, wie an (vom 
Zelloidin befreiten) Zelloidinpräparaten. Speziell tritt das weiter unten be- 
schriebene verschiedene Aussehen der Lymphozyten und der Erythrozyten, 
die Basophilie der ersteren und die Oxyphilie der letzteren bei weitem nicht 
so scharf hervor; oft sehen diese Zellen an Paraffinpräparaten sogar ziemlich 
ähnlich aus. Besonders tritt hier auch der Unterschied zwischen den weiter 
unten beschriebenen primitiven Blutzellen und den sich aus ihnen ent- 
wickelnden Lymphozyten und primären Erythroblasten ganz zurück. Vielleicht 
ist die herrschende unzutreffende Vorstellung über die Verwandlung sämt- 
licher Zellen der Blutinseln in rote Blutkörperchen gerade dadurch zu 
erklären, dass alle Autoren ohne Ausnahme zur Untersuchung dieser 
frühesten Stadien ausschliesslich Paraffinpräparate gebrauchten, so z. B. auch 
v. d. Stricht. 

Ich habe also nur Zelloidinpräparate gebraucht. 

Es ist wahr, dass die Bevorzugung der Paraffinmethode ihren guten 
Grund hat. Bis jetzt gab es nämlich keine brauchbare Methode zur Her- 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 457 


stellung von Schnittserien von Zelloidinpräparaten. Jetzt existiert aber eine 
solche Methode, die tadellos und sicher funktioniert — sie ist von 
Rubaschkin (47) angegeben und später von Dantschakoff (5) weiter 
vervollkommnet worden. Nach dieser Methode ist es eine Leichtigkeit, ganz 
lückenlose Schnittserien von Zelloidinpräparaten herzustellen, sie an Objekt- 
trägern aufzukleben und dann vom Zelloidin zu befreien. Meine Präparate 
wurden demgemäss fast sämtlich in Zelloidin geschnitten, die jüngeren 
Embryonen stets in Form von lückenlosen Serien. 

Was die Färbung anbelangt, so gebrauchte ich die von den Häma- 
tologen jetzt allgemein empfohlene Eosin-Azur-Färbung, meistens nach der 
einfachen Nochtschen Methode (E Az), die für Schnitte von Helly vor- 
geschlagen worden ist. Die an Objektträgern aufgeklebten und von Zelloidin 
befreiten Schnitte kommen in eine ex tempore herzustellende Mischung von 
10 cc einer 1°/oo wäss. Lösung von Eosin W.G., 100 ce dest. Wasser und 
10 ce einer 1°/oo wäss. Lösung von Azur II. Darin verbleiben sie 6 bis 
24 Stunden — verschiedene Objekte erfordern eine etwas verschiedene 
Färbungszeit und werden dann einfach mit 96°/o Alkohol differenziert, in 
Alkohol absolutus rasch entwässert und durch Xylol in Balsam (neutral fest 
von Grübler) übergeführt. Ich finde, dass die von Schridde und anderen 
für Schnittpräparate vorgeschlagenen besonderen Modifikationen dieser Eosin- 
Azur-Färbung, wie z. B. Entwässerung durch Azeton statt Alkohol, ganz 
überflüssig sind — nach Azeton ergeben die Präparate genau dieselben Bilder, 
wie nach gewöhnlicher Alkoholdifferenzierung. 

In anderen Fällen wurde zu derselben Färbung die Grüblersche 
Giemsa-Lösung angewandt — 2 Tropfen auf 1 ce Wasser; die Färbungs- 
dauer ist hier etwas kürzer, 2--8 Stunden. Das Resultat ist dasselbe; nur 
erscheint die Blaufärbung etwas dunkler. 

Auch die Dominicische Färbung mit Eosin-Orange-Toluidinblau (D) 
habe ich oft gebraucht. Sie gibt besonders schöne Resultate bei der Färbung 
verschiedener blutreicher Gewebsmembranen, z. B. der Dottersackwand. Die 
Zeichnungen 3 und 4 auf Taf. XVIII sind gerade nach solchen mit ZF 
fixierten und nach D gefärbten Präparaten angefertigt. Die E Az-Färbung 
verursacht an dem genannten Objekt manchmal störende Niederschläge. 


3. Die Entstehung der Blutinseln.*” 


Über die Entwicklung des Mesoblasts selbst habe ich nichts 
Neues zu berichten. Es ist bekannt, dass diese Frage für die 
Säugetiere, ebenso wie für die anderen Wirbeltiere, noch nicht 
vollständig gelöst ist, indem die einen Autoren (Kölliker, 
v. Beneden et Julin, Keibel, v. d. Stricht [58, 61]) die 
Elemente des Mesoblasts nur aus dem Primitivstreifen ableiten 
und sie dann zwischen Ektoderm und Entoderm frei nach aussen 
sich ausbreiten lassen, die anderen bei der Erzeugung derselben 


auch den Entoblast eine gewisse Rolle spielen lassen. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 30 


458 Alexander Maximow: 


Ich besitze einige Serien von Querschnitten durch sehr junge 
Meerschweinchen- und Kaninchenkeimscheiben (7 Tage, Primitiv- 
streifen), die nach der oben beschriebenen Methode hergestellt 
worden sind. An diesen Präparaten bietet der Mesoblast im 
Querschnitt, speziell im ausserembryonalen Bezirk, der uns hier 
besonders interessiert, dieselben Bilder, wie sie v. d. Stricht (58, 
61) seinerzeit ausführlich beschrieben hat — er stellt eine oder 
zwei Lagen platter, langer, spindelförmiger, oft auch amöboider 
Zellen vor, die nirgends in sichtbarem Zusammenhange mit dem 
Entoblast stehen. Sie bilden in den peripherischen Bezirken keine 
ununterbrochene epitheliale Lage, sondern sind an vielen Stellen 
voneinander durch weite Zwischenräume getrennt. Ohne die 
oben angedeutete Frage endgültig entscheiden zu wollen, muss 
ich mich demgemäss in dieser Beziehung auf die Seite von 
v. d. Stricht stellen. 

Viel interessanter für unsere Zwecke sind in der oben er- 
örterten Weise hergestellte Flächenpräparate von den Keim- 
scheiben. Sie sind meistens, trotz der intensiven Färbung des 
Ektoderms, durchsichtig genug und mit Hilfe der Mikrometer- 
schraube lässt sich die Mesoblastschicht leicht in ihrer Zusammen- 
setzung erkennen. 

Wir sehen an solchen Präparaten (Kaninchen 7 Tage, Primitiv- 
streifen) sehr deutlich, dass der periphere Mesoblast, in dem 
später die Blutinseln entstehen, keineswegs den Charakter eines 
zusammenhängenden epithelialen Blattes hat, sondern aus locker 
zusammengefügten, sicherlich beweglichen Zellen besteht, also 
„mesenchymatös“ genannt werden kann. Seine im Querschnitt 
langen, dünnen, spindelförmigen Zellen präsentieren sich hier ın 
Form von ästigen, durch Ausläufer miteinander verbundenen 
Elementen, die ein nahezu homogenes, äusserst fein retikuläres, 
deutlich basophiles Protoplasma und einen rundlichen oder ovalen 
Kern mit sehr spärlichen blassen Chromatinteilchen und einem 
oder mehreren grossen Kernkörperchen besitzen. Oft sieht man 
auch wirklich spindelförmige, sehr lang ausgezogene Zellen. 

Dass solche Mesoblastzellen beweglich sind, ist von Laguesse 
(25) am Forellenembryo direkt intra vitam beobachtet worden. 

Infolge der fortwährenden Bewegung ist auch die Gruppierung 
der Zellen ziemlich ungleichmässig — an den einen Stellen er- 
scheinen sie dichter, an den anderen lockerer angeordnet. Runde 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 459 


Elemente, wirkliche Wanderzellen, sind unter diesen Mesenchym- 
zellen nicht vorhanden. Höchstens dass man am äussersten Rande 
der Mesoblastflügel, wo die am weitesten vorgedrungenen Zellen 
liegen, einige sehr seltene Exemplare findet, in denen die Aus- 
läufer mehr oder weniger kontrahiert erscheinen. Nur wenn die 
ästigen Zellen in Mitose treten, dann runden sie sich sofort ab, 
wobei die Ausläufer meist vollständig eingezogen werden: solche 
kugelige kontrahierte Zellen färben sich sehr dunkel. Dies ist 
aber nur ein rasch vorübergehender Zustand und nach Ablauf 
der Mitose kehrt die frühere ästige Form wieder zurück. 

In diesem peripheren mesenchymatösen Mesoblast entstehen 
nun bekanntlich, zuerst in den hinteren Teilen der area opaca, 
die Blutinseln. Auch dieser Prozess ist in den Arbeiten von 
v.d. Strieht (58, 60, 61) an Schnitten schon gründlich studiert 
worden und seiner Beschreibung habe ich nichts Neues hinzu- 
zufügen. Ich finde aber, dass die Blutinselbildung noch viel 
deutlicher gerade wieder an Flächenpräparaten von Keimscheiben 
hervortritt. Die dazu erforderlichen Stadien besitze ich z. B. vom 
Kaninchen (S Tage 2 Stunden, Primitivstreifen mit Kopffortsatz 
von gleicher Länge) und Meerschweinchen (Primitivstreifen mit 
kleinem Kopffortsatz). Besonders schön sind die Bilder beim 
letztgenannten Tier. da der Ento- und Ektoblast hier sehr durch- 
sichtig sind und die basophilen Mesoblastzellen nach der D-Färbung 
sehr deutlich hervortreten. 

Die Entstehung der Blutinseln wird dadurch eingeleitet, 
dass die ästigen oder lang ausgestreckten Mesoblastzellen gruppen- 
weise zusammentreten, wobei die Ausläufer mehr oder weniger 
eingezogen werden und die dicht beisammenliegenden Zellen zum 
grösseren Teil rundliche Formen annehmen (Taf. XVIII, Fig. 1b). 
Solche Gruppen können ganz isoliert sein, meistens stehen sie 
aber mit den benachbarten von Anfang an durch dickere oder 
dünnere Züge langer, ausgestreckter Zellen (a) in Verbindung. 

Die innere Struktur der Zellen in den Gruppen und zwischen 
ihnen bleibt unverändert (Fig. 1). Neben dem Kern sieht man 
oft eine deutliche blassrosa gefärbte Sphäre hervortreten (a und 
a’ oben). Hier und da sind im Protoplasma auch kleine Vakuolen 
(a unten) bemerkbar. An den rundlichen Zellen der Gruppen (b) 
tritt die Basophilie des Protoplasmas besonders deutlich hervor: 


ferner bemerkt man an der Oberfläche ihres Zellleibes das Auf- 
30* 


460 Alexander Maximow: 


treten kleiner amöboider Pseudopodien. Diese letzteren können 
übrigens auch an den langen und ästigen Mesoblastzellen vor- 
kommen (a). Alle Zellen fahren fort, sich mitotisch zu ver- 
mehren (b‘). 

Die beschriebenen, durch schmale Zellzüge netzartig ver- 
bundenen Zellgruppen sind die Anlagen der Blutinseln. Wir sehen, 
dass sie von den Elementen des mesenchymatösen Mesoblasts 
gebildet werden, indem sich dieselben zum Teil in rundliche 
Formen (Fig. 1b) verwandeln, zum Teil die frühere ästige oder 
langausgestreckte Gestalt (a) bewahren. Die Blutinselanlagen, 
die die abgerundeten Zellen enthalten, sind miteinander, wie 
gesagt, von Anfang an durch Züge von langen Zellen verbunden. 
Die Haufen der abgerundeten Zellen werden nun von den ästigen 
und langen allmählich umscheidet. Man sieht sehr gut (Fig. 1), 
wie die Ausläufer der letzteren mit ihren Enden über die Ober- 
fläche der runden gleiten, wie sie sich mit den Ausläufern der 
benachbarten Zellen verbinden und wie sie auf diese Weise um 
den Haufen der runden Zellen herum eine Hülle bilden, die 
zuerst noch unvollständig ist, sehr bald aber ununterbrochen wird. 

Die langen, ästigen Zellen verwandeln sich dadurch in 
Gefässendothelien und geben infolge ihrer schon von Anfang an 
existierenden netzartigen Anordnung dem primitiven Gefässnetz 
der area vasculosa Ursprung. Zwischen den Blutinseln, in den 
langausgezogenen Zellzügen,. wo runde Zellen fehlen, schmiegen 
sie sich zu mehreren der Länge nach aneinander; aus ihnen 
gehen hier die dünneren, leeren Endothelröhren hervor. Wo die 
Haufen rundlicher Zellen liegen, entstehen die breiteren Knoten- 
punkte des Gefässnetzes mit den runden Zellen im Inneren. 
Diese letzteren stellen die ersten Blutelemente vor. 

Die ersten Endothelien und die ersten Blutzellen sind also 
beides Mesoblast- resp. Mesenchymzellen. In den Blutinseln sehen 
wir sie vor unseren Augen aus einer gemeinsamen Quelle ent- 
stehen. Auch in der späteren Entwicklung werden wir oft 
Gelegenheit haben, die enge Verwandtschaft dieser beiden Arten 
von Mesenchymzellen zu beobachten. 


4. Die primitiven Blutzellen. 


Die beschriebenen Blutinseln verändern sich im folgenden 
bekanntlich in der Weise, dass die peripheren, langen Zellen sich 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 461 


abplatten und zu einer zusammenhängenden Endothelhaut ver- 
einigen, die ein System von netzartig anastomosierenden Röhren 
bildet und die Gruppen der runden Zellen umschliesst. Durch 
Flüssigkeit, die sich in den Röhren ansammelt, werden dieselben 
ausgedehnt und die eingeschlossen gebliebenen Zellhaufen werden 
früher oder später in einzelne frei flottierende runde Zellen, die 
ersten zelligen Blutelemente, aufgelöst. 

Diese Verwandlung der soliden, durch Zellstränge ver- 
bundenen Blutinseln in das primitive Gefässnetz der area vas- 
culosa scheint bei allen Wirbeltieren prinzipiell in der gleichen 
Weise zu verlaufen (s. Rückert und Mollier [48]). Für die 
Säugetiere ist sie besonders ausführlich in den Arbeiten von 
v.d.Stricht (60, 61) beschrieben worden. Bei den verschiedenen 
Wirbeltierklassen wechselt bloss das Äussere der Erscheinung, 
die Grösse der Zellhaufen, die Schnelligkeit ilıres Auflösens in 
einzelne Zellen usw. Bei den Säugetieren gerade läuft sie z. B. 
sehr schnell ab, besonders im Vergleich mit dem Hühnchen. 
Während hier (Rückert [48], Dantschakoff[4]) nach Bildung 
des endothelialen Gefässnetzes in dessen Innerem noch während 
ziemlich langer Zeit dicke kompakte synzytiale Zellklumpen liegen 
bleiben und ihre Auflösung in einzelne freie Zellen erst verhältnis- 
mässig langsam erfolgt, treten bei den Säugetieren gleich nach 
Entstehung der Endothelwände in den primitiven Gefässen sofort 
auch schon frei im Blutplasma flottierende einzelne Zellen auf, 
ohne dass man vorher grössere intravaskulär gelegene Zellhaufen, 
geschweige denn synzytiale Zellmassen, wie beim Hühnchen, be- 
merken könnte. Nur beim Meerschweinchen bleiben grössere intra- 
vaskuläre Zellhaufen etwas länger erhalten (2—5 Paar Segmente). 
Ausserdem ist die relative und absolute Zahl der auf solche 
Weise entstehenden ersten Blutelemente bei den Säugetieren 
geringer, als beim Hühnchen. 

Nach vollzogener Verwandlung der Blutinseln bekommen 
wir beim Säugetier (Kaninchenembryo von 8!/s Tagen mit 5 Seg- 
menten und von 8 Tagen 19 Stunden mit 10 Segmenten, Katzen- 
embryo mit 10—12 Segmenten, Meerschweinchenembryo mit 
12— 15 Segmenten) im Bereich der area vasculosa ein dichtes 
gleichmässiges Netz von weiten, dünnwandigen Gefässen, nach 
aussen von einem mehr oder weniger deutlich hervortretenden 
Ringgefäss, dem sinus terminalis abgegrenzt. Den Inhalt dieser 


462 Alexander Maximow: 


primitiven Gefässe, die in der Richtung nach dem Embryo, in 
der area pellucida, in dünne, leere, daselbst in loco entstandene 
Gefässe übergehen und in denen vorläufig noch keine Zirkulation 
existiert, da das Herz noch aus zwei weit voneinander entfernten 
Hälften besteht, bildet Flüssigkeit, das Blutplasma, mit frei in 
derselben schwimmenden runden Zellen, den ersten Blutzellen. 


An senkrechten Schnitten durch die area vasculosa sieht 
man in dem Lumen der Gefässe oft dünne protoplasmatische 
Fäden ausgespannt; sie verbinden die einander gegenüberliegenden 
Teile der endothelialen Gefässwand und entstehen durch Aus- 
dehnung der Ausläufer der peripheren Zellen der Blutinseln, wenn 
sie sich in Endothelzellen verwandeln und wenn sich die jungen 
Gefässe mit Blutplasma anfüllen. 


Die Maschen des Gefässnetzes stellen die sogen. Substanz- 
inseln vor: in ihnen bleiben zwischen Ekto- und Entoderm die 
zur Bildung der Gefässe nicht aufgebrauchten Mesoblastzellen 
liegen. Ich möchte hervorheben, dass (ebenso wie es Dantscha- 
koff für das Hühnchen angibt) diese Räume bei den Säugetieren 
nur sehr enge Spalten zwischen den einander noch eng anliegenden 
Ento- und Ektoderm vorstellen: Mesoblastzellen befinden sich in 
ihnen zuerst nur in sehr geringer Anzahl. Im peripherischen 
Mesoblast werden eben beinahe alle Zellen zur Bildung der Blut- 
anlagen aufgebraucht. Beim Kaninchen bleiben zuerst nur sehr 
spärliche, mit Ausläufern versehene mesenchymatische Zellen 
ausserhalb von den Endothelröhren liegen — die intervaskulären 
Zellen Bonnets. Da sie sich aber karyokinetisch teilen, so 
vergrössert sich mit der Zeit ihre Zahl allmählich; das muss 
auch schon deswegen geschehen, weil sich ja der Mesoblast mit 
den in ihm enthaltenen Gefässen peripherisch immer mehr und 
mehr ausbreitet. Es kann auch oft beobachtet werden, dass sich 
die Endothelzellen der Gefässe, wenn sie wuchern, zum Teil wieder 
in gewöhnliche Mesenchymzellen verwandeln: sie wölben sich dann 
nach aussen vor, treten aus der Gefässwand heraus und ver- 
grössern auf diese Weise die Zahl der intervaskulären Zellen. 


Jetzt muss also untersucht werden, was die ersten freien 
intravaskulären Blutzellen, die sich direkt von den Blutinseln 
ableiten, für Elemente sind, wie sie sich weiter verändern und 
wie sie dementsprechend genannt werden sollen. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 463 


Wenn wir die Literatur überblicken, so können wir fest- 
stellen, dass in der Beurteilung der prospektiven Bedeutung 
dieser Zellen fast alle Autoren ohne Ausnahme (ausser Bryce [3] 
und Dantschakoff[4,5a]) einig sind. Alle behaupten, dass die 
ersten aus den Blutinseln entstehenden Blutzellen bei allen Wirbel- 
tieren und speziell auch bei den Säugern sich sämtlich in rote, 
hämoglobinhaltige Blutkörperchen verwandeln und alle bezeichnen 
sie dementsprechend als Erythroblasten resp. Erythrozyten. Dabei 
lässt es sich aber merkwürdigerweise konstatieren, dass ausser 
Kölliker eigentlich nur v. d. Stricht (60, 61) diese Stadien 
beim Säugetier wirklich selbst untersucht bat. Die anderen 
Autoren nehmen es seit der Zeit einfach als ein feststehendes 
Axiom hin. 

Nun glaube ich aber auf Grund meiner Untersuchungen 
behaupten zu dürfen, dass diese allgemein angenommene Vor- 
stellung von der Bedeutung der ersten Blutzellen den Tatsachen 
keineswegs entspricht. 

/uerst will ich eine objektive Beschreibung des morpho- 
logischen Charakters der ersten Blutzellen geben. Zu ihrem 
Studium sind in gleicher Weise sowohl Flächenpräparate, als auch 
Serienschnitte (von Zelloidinpräparaten) verwendbar. Die Zeichnung 
Fig. 2 auf Taf. XVIII stellt einen Teil eines Querschnittes der area 
vasculosa vom oben erwähnten Kaninchenembryo mit 5 Segmenten 
vor. Man sieht unten das in die Eihöhle vorgewölbte Entoderm 
(Ent) mit seinen dotterbeladenen Zellen. Das Ektoderm, welches 
oben liegen sollte, ist auf der Zeichnung weggelassen. Zwischen 
Ekto- und Entoderm liegen nun im Mesoblast, der sich hier 
noch nicht in die Somato- und Splanchnopleura gespalten hat, 
die (refässe (L). Der Mesoblast besteht aus spärlichen (Mz), über, 
unter und zwischen den Gefässen gelegenen mesenchymatischen 
Zellen, die ihren morphologischen Charakter von früher her 
unverändert bewahrt haben. Die dünne Wand der Gefässe besteht 
aus Endothelzellen (Ed), die nach ihrer inneren Struktur den 
sie umgebenden Mesenchymzellen ebenfalls völlig gleichen und 
mit ihnen an vielen Stellen auch tatsächlich noch durch Ausläufer 
verbunden erscheinen. Sie haben fein retikuläres, leicht basophiles 
Protoplasma, einen hellen Kern mit staubförmigen Chromatin- 
teilchen und ein paar grosse Nukleolen. Neben dem Kern sieht 
man mitunter (Ed, oben) trotz der ungünstigen Form und Lage 


464 Alexander Maximow: 


der Zellen eine deutliche Sphäre, die nach EAz- oder D-Färbung 
einen rosenroten Farbenton annimmt. 


Die ersten im Gefässlumen befindlichen Blutzellen (p Blz), 
die sich also direkt von den Blutinselzellen ableiten, sind regel- 
mässig kugelförmige, glatt konturierte, beim Meerschweinchen oft 
amöboide Zellen von etwa 10—11!/s « im Durchmesser. Der 
Kern ist gross und nimmt den grössten Teil des Zellkörpers ein, 
sodass das Protoplasma nur einen schmalen Saum bildet. Er ist 
ebenfalls kugelig oder an der einen Seite leicht eingebuchtet. 
In seinem Inneren sieht man feinste im Liningerüst verteilte 
blasse Chromatinkörnchen und einen oder mehrere sehr grosse 
und deutliche Nukleolen, diesich mit EAz oder D rötlich färben. 
Das Protoplasma hat eine äusserst feine und dichte retikuläre 
Struktur und ist ziemlich stark basophil — es färbt sich dunkler, 
als das Protoplasma der Endothelzellen und Mesenchymzellen. Es 
enthält fast stets feinste helle runde Vakuolen, welche einzeln oder 
in kleinen Gruppen liegen. Der Kern hat meistens eine etwas 
exzentrische Lage, seine eingebuchtete Seite ist dann dem breiteren 
Teil des Protoplasmasaumes zugekehrt und hier befindet sich, der 
Kernmembran eng anliegend, eine sehr deutliche, meist halbkugel- 
förmige, nach E Az oder D rosenrote Sphäre; in ihrer Umgebung 
pflegen besonders viele Vakuolen zu liegen. An Eisenhämatoxylin- 
Präparaten gewahrt man an Stelle der Sphäre ein typisches 
Zentriolenpaar. 


Die beschriebenen Zellen vermehren sich selbständig durch 
Karyokinese. Man findet in ihnen zahlreiche Mitosen (p Blz‘). 


In dem uns jetzt interessierenden Stadium sind diese ersten 
Blutzellen alle einander vollständig gleich. Man bemerkt aller- 
dings, besonders in etwas späteren Stadien (Kaninchen 9 Tage, 
besonders aber Katzenembryonen von entsprechendem Alter), wie 
einzelne Zellen sch besonders stark vergrössern und zu Riesen- 
formen werden. In ihnen tritt dann in den einen Fällen Kern- 
amitose ein, sodass 2—3kernige Zellen entstehen, oder man findet 
mehrpolige Mitosen, die sogar manchmal zu richtiger mehrfacher 
Protoplasmazerschnürung führen können. Dies sind aber vor- 
läufig doch noch sehr seltene Befunde und diese Tendenz zur 
Bildung von Riesenformen tritt, wie wir sehen werden, erst in 
den späteren Grenerationen der Blutzellen deutlicher hervor. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 465 


Die beschriebenen ersten Blutzellen enthalten kein Hämo- 
globin. Bei der Präparation des lebenden Embryo sieht man in 
der area vasculosa mit blossem Auge keine Spur von Rot- 
färbung, ebenso bemerkt man unter dem Mikroskop im frischen 
oder in fixiertem, aber ungefärbtem Zustande keine Gelbfärbung 
an diesen Zellen. Es ist ja auch schon bekannt, dass z. B. beim 
Hühnchen das Hämoglobin in den ersten Blutzellen relativ spät 
auftritt. So fand Smiechowski (55), dass das Hämoglobin 
sich optisch und chemisch erst in Hühnerembryonen nachweisen 
lässt, die schon 12 differenzierte Segmente besitzen. Wulf (68), 
der das Hämoglobin speziell mittelst des Spektroskops suchte, 
fand die ersten Spuren erst beim Hühnerembryo mit 6 Segmenten, 
während das volle Hämoglobinspektrum erst mit 9 Paar Segmenten 
erschien. Auch v. d. Stricht (59) findet, dass die ersten Blut- 
zellen der Selachier zuerst keinen Farbstoff enthalten und sich 
erst später (sämtlich) in rote Blutkörperchen verwandeln. Auch 
bei Pappenheim (42) finde ich den Gedanken ausgedrückt, dass 
die hämoglobinführenden Erythroblasten, obwohl sie nach seiner 
(bis jetzt allgemein angenommenen) Ansicht im embryonalen Blute 
eher auftreten, als die Leukozyten, doch aus einer hämoglobin- 
freien. farblosen endothelioiden oder grosslymphozytoiden Mutter- 
zelle des Mesenchyms entstehen. 

Es gibt also sicher ein Entwicklungsstadium bei den 
Wirbeltieren. wo bereits freie Blutzellen existieren, Hämoglobin 
aber noch nirgends vorhanden ist. Da diese ersten Blutzellen 
noch keinen Farbstoff enthalten, darf man sie also auch nicht 
rote Blutkörperchen nennen. 

Nun behaupten aber fast alle Autoren, dass sich diese 
ersten Blutzellen später sämtlich in rote Blutkörperchen ver- 
wandeln. Wenn es wirklich so wäre, so hätten wir allerdings 
gutes Recht, sie als Erythroblasten zu bezeichnen. So wird es 
auch von den Autoren getan. Wie ich aber gleich im folgenden 
zeigen werde, entspricht diese Auffassung nicht den Tatsachen. 
Die ersten Blutzellen verwandeln sich nicht alle in rote Blut- 
körperchen und dürfen also nicht Eıythroblasten genannt werden. 

Es fragt sich, ob man sie nicht dann mit dem Namen 
„weisse Blutkörperchen“ oder .„Leukozyten“ belegen könnte? 
Dem steht auch eigentlich nichts im Wege. Wir sind jedoch 
gewohnt, von weissen Blutkörperchen immer im Gegensatz zu 


466 Alexander Maximow: 


den gleichzeitig und daneben existierenden roten zu sprechen. 
Solche gibt es aber noch nicht und deswegen ist auch diese 
Bezeichnung meiner Meinung nach, wenigstens für die Säugetiere, 
unzweckmässig. Ich halte dafür, dass man den beschriebenen 
ersten Blutzellen in der area vasculosa am besten die nichts 
präjudizierende Bezeichnung „primitive Blutzellen“ geben soll. 

Zu demselben Resultat sind auch Bryce (3) für Lepidosiren 
und Dantschakoff (4) für das Hühnchen gekommen. Sie 
nennen die ersten hämoglobinlosen Blutzellen des Embryo eben= 
falls primitive Blutzellen. 

Wie wir gesehen haben, vermehren sich die freien intra- 
vaskulären primitiven Blutzellen selbständig durch Mitose. 

Es ist nun eine sehr wichtige und interessante Tatsache. 
dass ihre Zahl während der beschriebenen Stadien auch noch 
auf eine andere Weise zunimmt — man beobachtet nämlich 
überall in den Gefässen der area vasculosa eine weitere Neu- 
entstehung ganz gleicher Zellen aus den fixen Endothelwandzellen 
der primären Grefässe. 

Ich habe schon oben notiert, dass die wuchernden Endothel- 
zellen sich oft nach aussen in Mesenchymzellen verwandeln: 
Dasselbe kann nun auch in umgekehrter Richtung, ins Lumen 
hinein erfolgen. 

Man sieht fast an jedem Gefässquerschnitt, auch überall an 
Flächenpräparaten, wie einzelne Endothelzellen anschwellen und 
immer mehr und mehr in das Gefässlumen hineinragen (Fig. 2 m). 
Der Zellkörper wird halbkugelig, das Protoplasma färbt sich 
dunkler, wird basophiler, in ihm tauchen zahlreiche Vakuolen und 
eine grosse Sphäre auf, der Kern bläht sich auf — kurz, es 
entstehen Zellen, die mit den primitiven Blutzellen histiologisch 
ganz identisch sind. Mit den übrigen Endothelzellen sind sie 
zuerst noch an ihrer Basis durch eine feine Protoplasmalamelle 
verbunden. Allmählich wölben sie sich aber immer mehr und 
mehr ins Lumen vor und schnüren sich an der Basis schliesslich 
vollständig ab. Auf diese Weise verwandeln sich die Endothel- 
zellen in freie primitive Blutzellen. Während der Abrundung 
teilen sich die Zellen sehr oft mitotisch. 

Die beschriebene interessante Erscheinung stellt im Grunde 
genommen nichts aussergewöhnliches vor — Endothelzelle und 
primitive Blutzelle stammen ja, wie wir gesehen haben, aus 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 467 


einer (Wuelle, aus den Blutinselzellen. Es sind Schwesterzellen. 
von denen die einen platt und fix geblieben, die anderen rund 
und frei geworden sind. Wenn nachträglich aus den ersten die 
zweiten neu entstehen, so ist dies eben bloss als eine in die 
Länge gezogene, verspätete Abrundung der fixen Zellen anzusehen 
— es ist derselbe Prozess, der in den Blutinseln selbst schon 
von Anfang an ihre Zellen in die inneren, rundlichen und in die 
äusseren, platten gesondert hatte. 


Die beschriebene Abrundung und Isolierung der Endothelien 
der primären Gefässe hat wahrscheinlich auch Schridde (53) 
bei seinem jüngsten menschlichen Embryo gesehen. Er behauptet 
aber, dass dabei aus dem Endothel direkt rote, hämoglobin- 
haltige Zellen, die primitiven Erythroblasten, entstehen. An 
meinen Präparaten habe ich das niemals gesehen — es entstehen 
aus den Endothelzellen immer nur indifferente, farblose Zellen. 
Ich glaube, dass es sich auch im Schriddeschen Fall ebenso ver- 
hielt, nur traten wahrscheinlich infolge mangelhafter Konservierung 
die Unterschiede zwischen den noch hämoglobinarmen Erythro- 
blasten und den Iymphozytoiden primitiven Blutzellen (resp. Lympho- 
zyten) nicht deutlich genug hervor. 


Ich zögere keinen Augenblick, diesen von mir beim 
Kaninchen und anderen Säugern beobachteten Prozess mit dem 
von Bonnet (1) beim Schaf beschriebenen Entwicklungsmodus 
der Blutzellen zu vergleichen. Dort entstehen die Blut- und 
(Grefässanlagen bekanntlich aussergewöhnlich spät in der Nabel- 
blasenwand in dem viszeralen Mesoblast und zuerst sollen nach 
Bonnet leere Gefässe auftreten, von deren Wand aus dann 
durch Wucherung des Endothels freie Blutzellen gebildet werden. 
Die verspätete Abtrennung der freien Zellen von der Blut- und 
(efässanlage, die beim Kaninchen bloss einen kleinen Teil der 
Zellen betrifit, ist also beim Schaf die Regel und alle oder die 
meisten Blutzellen entstehen auf diese Weise. 


Ich möchte auch hervorheben, dass mit dieser Anschauung 
die Äusserungen Rückerts (48, S. 1254) in vollem Einklange 
stehen — er sieht in der erwähnten eigentümlichen Besonderheit 
der Blutentwicklung beim Schaf auch nur eine durch besondere 
Umstände (rasches Wachstum des Eies) hervorgerufene zeitliche 
Verschiebung der einzelnen Phasen der Sonderung des gemeinsamen 


468 Alexander Maximow: 


indifferenten Materials der Blut- und Gefässanlagen in freie und 
fixe Zellen. 


Die Kritik, der Saxer (49, S. 463) die Bonnetschen 
Befunde beim Schaf unterwirft, ist nicht stichhaltig; er selbst 
verfügte ja gar nicht über entsprechende frühe Entwicklungs- 
stadien. 


Endlich möchte ich noch notieren, dass auch bei den niederen 
Wirbeltieren die Bildung der primitiven Blutzellen aus dem 
Gefässendothel vielleicht viel häufiger vorkommt, als man es 
jetzt annimmt. Einige diesbezügliche Angaben finde ich bei 
Bryce (3) und ferner schreibt auch Mollier (48, S. 1070), 
dass bei urodelen Amphibien in den Gefässen platte Endothel- 
zellen in gerundete Blutzellen übergehen. 


Der beschriebene Prozess der Verwandlung der Endothel- 
zellen in primitive Blutzellen in der area vasculosa dauert nicht 
lange. Bei einem Kaninchenembryo von 9!/s Tagen finde ich 
von ihm keine Anzeichen mehr. 


Auf Grund der dargelegten Tatsachen komme ich also zum 
Schluss, dass die ersten zelligen Elemente des Blutes, die 
primitiven Blutzellen, indifferente, freie, runde Mesenchymzellen 
vorstellen. 


Die area vasculosa breitet sich allmählich an ihrer Peri- 
pherie aus. Dieses Wachstum geschieht nicht mehr auf Kosten 
einer Bildung neuer Blutinseln nach aussen vom Sinus terminalis, 
sondern die Sache verläuft, wie es scheint, ungefähr in der Weise, 
wie es Bonnet für das Schaf beschreibt (l. c. S. 334), nämlich 
so, dass die peripherisch vordringenden Mesoblastzellen sich zu 
engen leeren Röhren vereinigen, die sich dann durch Flüssigkeits- 
ansammlung rasch erweitern. Beim Kaninchen finde ich aber im 
(regensatz zu Bonnet, dass das Lumen dieser neu entstehenden 
Getässe schon von Anfang an nur von mesoblastischen Zellen 
begrenzt erscheint. In diese neuen Gefässe gelangen die 
wuchernden primitiven Blutzellen aus den älteren, zentraler 
gelegenen Gefässen, mit denen die neuen ja von Anfang an 
kommunizieren. Wie gesagt, hört der Prozess der Neubildung 
von primitiven Blutzellen aus dem Endothel der Dottersack- 
gefässe bald auf und in den neu entstehenden peripheren 
Abschnitten der area vasculosa werden also neue primitive Blut- 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 469 


zellen wahrscheinlich nicht mehr aus fixen Zellen gebildet.') Die 
peripherische Ausbreitung der area vasculosa dauert ja übrigens 
noch zu der Zeit fort, wo in ihren Gefässen überhaupt schon 
keine primitiven Blutzellen mehr existieren (siehe weiter unten). 


5. Die Differenzierung der primitiven Blutzellen im 
Gefässnetz der area vasculosa in primitive Erythro- 
blasten und in Lymphozyten. 


Zum Studium dieses weiteren wichtigen Stadiums der 
embryonalen Blutbildung kann die area vasculosa von Kaninchen- 
embryonen von 9'/s—11 Tagen dienen. Ein ganz entsprechendes 
Stadium bei der Katze findet man bei Embryonen von etwa 
5—7 mm Länge, bei der Ratte bei Embryonen von 5 mm.?) 
Bei allen untersuchten Säugern fand ich fast genau dieselben 
Erscheinungen. 

Besonders lehrreich sind gerade für diese Periode Flächen- 
präparate. Die Zeichnung Fig. 3 auf Taf. XVIII ist nach einem 
solchen, von einem Kaninchenembryo von 11 Tagen herrührenden 
Präparat gezeichnet. Am prägnantesten treten die im folgenden 
beschriebenen Erscheinungen beim Kaninchen gerade zu dieser 
Zeit hervor — unmittelbar vor dem Übergang zum nächsten 
Stadium. Bei jüngeren Kaninchenembryonen, etwa nach 9'/» 
oder 10 Tagen, ist das mikroskopische Bild der Blutzellen in 
der area vasculosa noch nicht so scharf ausgeprägt, es steht 
dem im vorigen Abschnitt beschriebenen noch mehr weniger 
nahe und entwickelt sich allmählich weiter. 


Wir finden jetzt in den Gefässen der area vasculosa (Taf. XVIIL, 
Fig. 3) nicht mehr eine einzige einfache Zellart, die primitiven 
Blutzellen, sondern zwei sehr distinkte, sich voneinander scharf 
unterscheidende Zellarten. Sie sind beide aus den primitiven 


') Die nach Bonnet (1) fortdauernde Ablösung der Endothelien finde 
ich auch in den späteren Stadien in den Dottersackgefässen, aus ihnen gehen 
aber dann, wie wir weiter unten sehen werden, nur phagozytische Zellen 
hervor. 

”) Beim Meerschweinchen geschieht die beschriebene Differenzierung 
der primitiven Blutzellen besonders früh — bei Embryonen mit bloss 3 Paar 
Ursegmenten sieht man in der area vasculosa schon hämoglobinhaltige Zellen 
auftreten 


470 Alexander Maximow: 


Blutzellen entstanden, durch Wucherung und differenzierende 
Entwicklung in zwei verschiedenen Richtungen. 

Der eine Teil der primitiven Blutzellen, und zwar entschieden 
der grössere, verwandelt sich in hämoglobinhaltige Elemente. Die 
Zellen behalten die kugelige Form (pEbl). ihre Konture sind 
noch regelmässiger und glätter geworden. Die (Grösse entspricht 
im allgemeinen der Grösse der primitiven Blutzellen, schwankt 
aber innerhalb gewisser Grenzen. Der Kern ist bei der vorher- 
gegangenen Vermehrung relativ kleiner geworden, er ist stets 
auch regelmässig kugelförmig oder höchstens leicht oval, in 
seinem Innern sieht man jetzt im zierlichen Liningerüst deutliche, 
kleine, eckige, ziemlich regelmässig verteilte Chromatinteilchen 
und einen oder mehrere grosse echte Nukleolen. Das Proto- 
plasma wird homogen, erscheint am frischen und ungefärbten 
Präparat leicht gelblich, an ZFD-Präparaten erhält es einen 
violetten oder rötlichen Ton. Es ist klar, dass es sich um eine 
Ausarbeitung von Hämoglobin im Protoplasma handelt. Vorerst 
ist aber seine Menge noch ziemlich gering. \on der Sphäre 
sieht man meistens gar nichts mehr. Nur bei verzögerter Ver- 
wandlung einzelner primitiver Blutzellen in solche hämoglobin- 
haltige Elemente, wie dies besonders bei der Katze oft der Fall 
ist, kann man auch im schon hämoglobinhaltigen Zellleib am 
Kern einen blassen Hof, die allmählich undeutlich werdende 
Sphäre erkennen. Nach Eisenhämatoxylinfärbung findet man 
übrigens doch die Zentriolen, auch in den späteren Stadien. wo 
die Zellen schon viel hämoglobinreicher sind. 

Die beschriebenen Zellen wuchern energisch weiter, man 
findet überall Mitosen in ihnen (pEbl‘), die sich von den Mitosen 
der anderen Zellen sofort durch die deutliche rötliche Färbung 
des Zellkörpers an ZF D-Präparaten unterscheiden. Es kommen 
auch in diesen Zellen manchmal mehrpolige Mitosen vor. In den 
embryonalen Hämoglobinzellen sind solche bekanntlich auch von 
anderen Autoren (z. B. Saxer) beobachtet worden, allerdings ‘in 
späteren Stadien. Nicht selten findet man auch degenerierende 
Exemplare (y). 

Die beschriebenen Zellen sind die ersten roten Blutkörperchen 
des Embryo. 

Wie soll man diese Zellen nennen? Es sind junge, noch 
unfertige, noch wuchernde rote Blutzellen; aus diesem Grunde 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 41 


können sie nur als „Erythroblasten“ bezeichnet werden. Aus 
der weiteren Schilderung werden wir aber erfahren, dass sie 
auch in ihren späteren, reiferen (senerationen doch nicht für 
immer bleiben, sondern dass sie allmählich durch vollkommnere, 
anders geartete und anders entstehende rote Blutzellen ersetzt 
werden. Deswegen verdienen sie den Namen „primitive“. Die 
passendste Bezeichnung für sie ist also „primitive Erythroblasten“. 

Im embryonalen Blut der Säuger unterscheidet neuerdings 
auch Jolly (20) primitive Erythrozyten von endgültigen, welch 
letztere die ersteren schliesslich verdrängen sollen. Er scheint 
aber das Erscheinen der sekundären Erythroblasten mit dem 
Beginn der Blutbildung in der Leber in Beziehung zu setzen, 
was, wie wir noch sehen werden, nicht immer richtig ist. Beim 
Hühnchen hat ferner in jüngster Zeit Dantschakoff (4,5a) das 
sehr frühe Auftreten von besonderen Hämoglobinzellen bewiesen, 
die nachher auch allmählich durch andere, vollkommenere ersetzt 
werden: sie nennt sie ebenfalls primitive Erythroblasten. Schon 
früher hatte endlich Bryce (3) bei Lepidosiren die zu allererst 
entstehenden roten Zellen. die sich von den späteren auch 
bedeutend unterscheiden, mit demselben Namen belegt. 

Der andere, kleinere Teil der primitiven Blutzellen bleibt 
hämoglobinlos und verändert sich in ganz anderer Weise. Die 
Zellen bleiben natürlich auch frei und in der Grundform kugelig, 
ihr Protoplasma erhält aber die Fähigkeit der amöboiden 
Bewegung und infolgedessen sieht man überall an der Oberfläche 
des Zellleibes feine, zipfelförmige Pseudopodien auftreten (Fig. 3. 
Emz). Nicht selten findet man die Zellen auch der Endothel- 
wand der (Gefässe von innen anliegend und auf derselben 
kriechend (Lmz unten), wobei sie sich oft in die Länge ziehen 
und grössere lappenförmige Fortsätze entsenden. Die (Grösse 
der Zellen variiert ebenfalls infolge von ungleichmässig, schubweise 
erfolgender Wucherung: es gibt sehr grosse Zellen (bis 13 «) 
und sehr kleine (bis 6.5 «), während der mittlere Durchmesser 
etwa 9,5 u beträgt. Diese Grössendifferenzen haben übrigens 
keine Bedeutung. denn sie stellen für jede gegebene Zelle nichts 
konstantes vor. 

Das amöboide Protoplasma der Zellen behält den fein- 
retikulären, sehr dichten Bau des Protoplasmas der primitiven 
Blutzellen und seine Basophilie steigert sich noch bedeutend, 


472 Alexander Maximow: 


sodass die Zellen an ZFD-Präparaten schon bei schwacher Ver- 
grösserung durch ihre tiefblaue Färbung auffallen. Ebenso, wie 
in den primitiven Blutzellen, sieht man auch jetzt im Zellleib 
fast stets feine runde helle Vakuolen einzeln oder in Gruppen 
liegen. Das Protoplasma nimmt nicht an Masse zu und bildet 
immer einen relativ sehr schmalen, den Kern umgebenden Saum. 
Der Kern ist nicht regelmässig rund, wie in den primitiven 
Erythroblasten, sondern seine Oberfläche weist Unebenheiten auf 
und besitzt immer an einer Seite eine tiefere dellenförmige 
Einsenkung. Die innere Kernstruktur entspricht meist vollkommen 
den Kernen der primitiven Blutzellen — dieselben feinen blassen 
staubförmigen Chromatinteilchen, dieselben dicken. eckigen 
Nukleolen. Der Kern erscheint immer heller, als das Proto- 
plasma. Die Lage des Kerns ist stets exzentrisch, soweit dies 
durch die geringe Protoplasmamenge ermöglicht wird: die Delle 
an der Kernoberfläche ist stets dem breiteren Teil des Proto- 
plasmasaumes zugekehrt und hier befindet sich die jetzt noch viel 
deutlicher gewordene Sphäre. Die Zellen wuchern selbständig 
weiter und ihre Mitosen (Fig. 3, Lmz‘) zeichnen sich durch die 
sehr dunkle Färbung des Zellleibes aus; die Pseudopodien werden 
dabei immer eingezogen. 

Es fragt sich nun: welcher uns sonst bekannten Zellart 
entsprechen die beschriebenen Elemente? Im glaube, ein jeder 
wird mir zugeben, dass sie ihrem morphologischen Charakter 
nach den sogenannten „grossen Lymphozyten“ äusserst nahe 
stehen oder sogar mit ihnen identisch sind. Es sind farblose, 
indifferente, amöboide, mesenchymatische Zellen mit schmalem, 
basophilem Plasma und hellem, nukleolenhaltigem Kern, es sind 
unzweifelhafte farblose Blutkörperchen, es sind die ersten Leuko- 
zyten des Embryo. 

Die hämatologische Terminologie muss unbedingt vereinfacht 
werden. Ich finde es deswegen unzulässig, diesen Zellen eine 
neue Bezeichnung zu geben — ich selbst will sie im folgenden 
einfach nach ihrem Aussehen Lymphozyten nennen. Wenn ich 
dies tue, so bin ich mir allerdings dessen wohl bewusst, dass 
dieser Name eigentlich gar keinen Sinn hat, denn mit Lymphe 
und Iymphoidem Gewebe haben die beschriebenen Zellen des 
Embryo ja nichts zu tun. Ebenso unpassend seinem philo- 
logischen Sinne nach ist übrigens, wie ich glaube, der 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 475 


Name Lymphozyt für die betreffenden Zellen auch im er- 
wachsenen Organismus. Dieses Wort hat sich aber nun 
einmal fest eingebürgert und man verbindet mit ihm einen 
ganz bestimmten histiologischen Begriff. Aus diesem Grunde 
finde ich es, wie gesagt, vorläufig am zweckmässigsten, in die 
so wie so überreiche hämatologische Terminologie keine neue 
Bezeichnung einzuführen und beim alten Namen „Lymphozyt“ 
zu bleiben. !) 

Auf die oben beschriebene Weise entstehen also im Säugetier- 
embryo die ersten Leukozyten, die Lymphozyten. Sie entstenen 
zu gleicher Zeit und aus derselben Quelle, wie die primitiven 
Erythroblasten. Während die letzteren eine speziell differenzierte 
Zellart vorstellen, bleiben die Lymphozyten für immer in indifferentem 
Zustand. Ebenso, wie die primitiven Blutzellen, von welchen sie 
direkt abstammen, sind es indifferente, abgerundete, amöboide 
Mesenchymzellen. 

Wir haben gesehen, dass die ersten Leukozyten, die Lympho- 
zyten. sich bei den Säugern morphologisch von den primitiven 
Blutzellen unterscheiden. Bei anderen Wirbeltieren scheint das 
anders zu sein, und diese Tatsache hat eine grosse Bedeutung. 
Beim Hühnerembryo sind z. B. nach Dantschakoff (4, 5a) die 
Lymphozyten, die auf dieselbe Weise in der area vasculosa ent- 
stehen. wie bei den Säugern, von den primitiven Blutzellen 
morphologisch kaum zu trennen. Diese letzteren sind hier eben- 
falls schon amöboid, stark basophil usw. Dantschakoff weist 
infolgedessen, wie ich glaube, mit Recht darauf hin, dass beim 
Hühnchen eigentlich schon die primitiven Blutzellen Lymphozyten 
genannt werden könnten. Beim Hühnchen würden also, entgegen 
der allgemein angenommenen Ansicht, weisse Blutkörperchen sogar 
früher entstehen, als rote. Beim Säugerembryo ist das, wie 
gesagt, etwas anders, aber auch hier kann keine Rede davon sein, 
dass die roten Blutkörperchen zuerst entstünden. Im Gegenteil, 
wir hätten auch hier viel mehr Recht zu sagen, dass zuerst 
Leukozyten entstehen und erst später die ersten Roten. Denn 
die primitiven Blutzellen sind ja jedenfalls als abgerundete Mesen- 
chymzellen, als hämoglobinlose Zellen Leukozyten weit ähnlicher, 


‘) Anmerk. b. d. Korrektur: Neuerdings (Folia hämatologica, Bd. 6, H.3, 
S. 217) schlägt Pappenheim für die Stammzelle der Blutelemente den 
Namen „Lymphoidozyt“ vor. 


Archiv f. mikrosk. Anat Bd. 73. 31 


474 Alexander Maximow: 


als roten Blutzellen. Es ist jedoch besser, wenn wir, wie ich es 
schon oben erörtert habe, die ersten Blutzellen einfach primitive 
Blutzellen nennen. Sie spalten sich dann in zwei Stämme, die 
primitiven Erythroblasten und die Lymphozyten. Dies kann durch 
folgendes Schema illustriert werden: 


Primitive Blutzellen 


primitive Erythroblasten Lymphozyten. 


Beim Beginn der Spaltung in die zwei neuen Zellstämme 
(Kaninchen 9!/z Tage) sieht man stets ganz deutlich, dass in den 
Gefässen der area vasculosa die primitiven Erythroblasten viel 
zahlreicher sind, als die Lymphozyten. Das hängt, wie schon 
gesagt, davon ab, dass die primitiven Blutzellen sich zum grössten 
Teil eben in primitive Erythroblasten verwandeln. Sehr bald 
ändert sich aber das Zahlenverhältnis. In die Zirkulation werden, 
wie wir weiter unten sehen werden, fast ausschliesslich die primi- 
tiven Erythroblasten hinausgesandt. Die Lymphozyten werden in 
den blutbildenden Gefässräumen der area vasculosa zurückgehalten. 
Sie wuchern hier ausserdem weiter und infolgedessen wächst ihre 
Zahl im Vergleich mit der Zahl der hier befindlichen primitiven 
Erythroblasten mit der Zeit. z. B. zum Stadium von il Tagen beim 
Kaninchen, ganz bedeutend. An vielen Stellen sieht man sie 
sogar entschieden über die letzteren dominieren, besonders in 
den engeren Kapillaren. 


Beim Kaninchen vollzieht sich die Verwandlung der primi- 
tiven Blutzellen in die beiden neuen Zellstämme ziemlich rasch. 
An Stelle der primitiven Blutzellen treten meistens fast plötzlich 
die Lymphozyten und primitiven Erythroblasten. Bei der Katze 
scheint diese Verwandlung langsamer zu verlaufen — hier sieht 
man infolgedessen noch während längerer Zeit ausser den typischen 
primitiven Erythroblasten und Lymphozyten auch mehr oder 
weniger unveränderte primitive Blutzellen, die sich nur sehr 
langsam dem einen oder dem anderen Typus nähern. Viele von 
ihnen neigen gerade jetzt zum Riesenwuchs und geben atypischen 
Megakaryozyten oder protoplasmareichen mehrkernigen Riesen- 
zellen Ursprung. Bei der Katze scheint ein Teil der primitiven 
Blutzellen auch in der Beziehung eine atypische Entwicklungs- 
richtung einschlagen zu können, dass sie, ohne deutliche Mengen 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 475 


von Hämoglobin auszuarbeiten und ohne sich andererseits in 
typische Lymphozyten zu verwandeln, als solche altern und sich 
in grosse, protoplasmareiche, schwach basophile Zellen mit relativ 
sehr kleinem und dunklem rundem Kern verwandeln. Solche 
gealterte primitive Blutzellen findet man besonders oft im zirku- 
lierenden Blut (z. B. bei Katzenembryonen von 5—7 mm) zwischen 
den primitiven Erythroblasten und sie bleiben mit besonderer 
Vorliebe zusammen mit den Megakaryozyten und mehrkernigen 
Riesenzellen in den Kapillaren am Gehirn stecken. 

Ausser den Lymphozyten und primitiven Erythroblasten findet 
man in den (efässen der area vasculosa in den beschriebenen 
Stadien auch noch eine andere Zellart (Fig. 3 Edph). Es sind 
meist kleine, lebhaft amöboide Zellen mit zackigem Kontur, 
blassem, sehr schwach basophilem, meist vakuolisiertem Proto- 
plasma und einem kleinen, unregelmässig geformten, gefalteten 
blassen Kern mit kleinen Nukleolen. Sie sind noch sehr spärlich, 
man bemerkt aber schon jetzt, dass sie als Phagozyten degene- 
rierenden Zellresten gegenüber funktionieren. Wir werden sehen, 
dass sie in späteren Stadien noch viel zahlreicher werden. 

Vorläufig will ich bloss bemerken, dass es keine besondere 
Zellart ist — es ist eine durch funktionelle Ursachen bedingte 
Abart der Lymphozyten. Man findet in der Tat auch schon jetzt 
nicht selten Übergangsformen von den letzteren zu den blassen 
Phagozyten. Die Phagozyten können aber ausserdem auch neu 
aus dem Gefässendothel entstehen. Sie sind morphologisch den 
weiter unten beschriebenen Wanderzellen im Mesenchym äusserst 
ähnlich. 

Es taucht unwillkürlich die Frage auf, warum die früheren 
Autorer, die die embryonale Blutentwicklung beim Säugetier in 
den entsprechenden Stadien untersuchten, speziell ein so aus- 
gezeichneter Beobachter wie v. d. Stricht (58, 60, 61), die 
Lymphozyten in den Gefässen der area vasculosa nicht gesehen 
haben. Dies hängt nun sicherlich von der angewandten Fixierungs- 
und Färbungsmethodik ab. Es ist eine Leichtigkeit, sich davon zu 
überzeugen, dass bei Fixation mit Flemmingscher, Hermann- 
scher oder sogar gewöhnlicher Zenkerscher Lösung die morpho- 
logischen Besonderheiten der primitiven Erythroblasten und 
Lymphozyten äusserst leicht verwischt werden, und wenn darin 
noch eine gewöhnliche Färbung, z. B. mit Safranin oder Häma- 


Salz 


476 Alexander Maximow: 


toxylin oder dergleichen angewandt wird. können die beiden Zell- 
arten gar nicht mehr voneinander unterschieden werden. 


Beim Hühnchen gibt es nach Dantschakoff (4) in der 
area vasculosa von Anfang an auch extravaskulär gelegene Lympho- 
zyten, die zum Teil direkt von primitiven Blutzellen abstammen, die 
ausserhalb der Blutinseln liegen geblieben sind, zum Teil aus 
den Gefässen ausgewandert oder durch nach aussen gerichtete 
Wucherung der Endothelzellen entstanden sind. Sie entwickeln 
sich zu granulierten Leukozyten. Bei den Säugetieren tritt diese 
Erscheinung ganz zurück. Beim Kaninchen findet man nur sehr 
selten an der äusseren Oberfläche der Gefässwände (Fig. 3 Lwz) 
in den Substanzinseln freie amöboide Zellen von Lymphozyten- 
charakter — sie entstehen hier wahrscheinlich auch durch 
Endothelwucherung, wobei die Teilprodukte nach aussen als freie 
Zellen gelangen. Bei der Katze sind sie zahlreicher und geben 
hier im folgenden, wie ich es in einer späteren Arbeit beschreiben 
werde, kleinen extravaskulären Erythroblastenherden Ursprung. 
Eine Einwanderung der extravaskulären Lymphozyten in das 
Entoderm, wie es Saxer (49) beim Schaf gesehen hat, konnte 
ich nicht finden. Überhaupt haben diese extravaskulären Lympho- 
zyten in der area vasculosa bei den Säugetieren keine grosse 
Bedeutung; granulierte Leukozyten gehen hier aus ihnen nie- 
mals hervor. 


6. Die weitere Entwicklung der blutbildenden 
Prozesse im Gefässnetz der Dottersackwand und 
die Entstehung der definitiven Erythroblasten. 


Zum Studium dieser Prozesse sind eigentlich alle auf die 
bisher untersuchten folgenden Stadien bis zur beginnenden Ver- 
ödung des Dottersacks zu brauchen. In der vorliegenden Arbeit 
beschränke ich mich aber nur auf die Beschreibung der früheren 
Stadien, etwa bis zum 14. Tage beim Kaninchen, bis zur Körper- 
länge von 1 cm bei der Katze und von 8 mm beim Meerschweinchen. 

Die neue Phase der Blutbildung, die durch das Auftreten 
der definitiven Erythroblasten charakterisiert ist, wird allmählich 
angebahnt. Ihre ersten Anzeichen merke ich bereits in der area 
vasculosa eines Kaninchenembryo von 11'/» Tagen; nach 12 Tagen 
ist sie schon stark entwickelt, nach 13 Tagen hat sie das mikro- 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe 477 


skopische Bild des (Gefässinhaltes in der area vasculosa schon 
ganz verändert. 

Die Fig. 4 auf Taf. XVII stellt einen kleinen Gefässabschnitt 
der‘ Dottersackwand eines 13'/2-tägigen Kaninchenembryo vor. 
Hier sind die Gefässlumina überall mit zahllosen dicht gedrängten 
verschiedenartigen Zellen erfüllt, die ein überaus buntes Bild 
darbieten. 

Zuerst wollen wir sehen, was aus den beiden früher vor- 
handen gewesenen Zellformen geworden ist — den primitiven 
Ervthroblasten und den Lymphozyten. 


Die primitiven Erythroblasten sieht man auch jetzt überall 
in wechselnden Mengen in dem (sefässnetz der area vasculosa 
(Fig. 4 pEbl. Während sie aber früher die grösste Mehrzahl 
aller vorhandenen Elemente ausmachten, treten sie jetzt in den 
eigentlichen Kapillaren des Dottersackgefässnetzes an Zahl ganz 
zurück. 

Sie zeichnen sich nach wie vor durch bedeutende Dimensionen 
aus (10,5 bis 12,5 a), es kommen nur verhältnismässig geringe 
Schwankungen in dieser Beziehung vor.!) Die Form ist aber jetzt 
nicht immer regelmässig kugelig, sondern manchmal etwas unregel- 
mässig und namentlich findet man sehr oft Formen, die mit dicken, 
stark bikonvexen Linsen verglichen werden können (Fig. 4pEbl 
rechts) und auch in dieser Beziehung ausserordentlich an die 
primitiven Erythroblasten des Hühnerembryo (Dantschakoff) 
erinnern. Wenn die Zellen zwischen anderen benachbarten liegen, 
werden sie oft bedeutend deformiert. Das Protoplasma ist voll- 
kommen homogen. In frischem und ungefärbtem Zustande hat 
es eine intensive gelbgrünliche Farbe. An ZFD-Präparaten 
(Fig. 4 pEbl) erscheint es intensiv rosenrot oder orangenrot ge- 
färbt. Es enthält also viel mehr Hämoglobin als früher. Der 
oft exzentrisch gelegene Kern ist noch viel kleiner geworden, als 
früher, er ist rund oder oval, in seinem Inneren sieht man ein 
Liningerüst mit kleinen, undeutlich begrenzten, ziemlich blassen 
Chromatinteilchen an den Knotenpunkten und einem oder zwei 
kleinen blassen Kernkörperchen. Auch jetzt findet man noch 


!‘, Beim Meerschweinchen sind die Schwankungen grösser und es 
kommen speziell auch primitive Erythroblasten von vorübergehend kleineren 
Dimensionen vor. 


4785 Alexander Maximow: 


gelegentlich Mitosen in diesen hämoglobinreichen primitiven 
Erythroblasten, aber lange nicht so häufig wie früher. 

Manchmal, obzwar selten, kommen Riesenexemplare dieser 
Zellart vor, deren Durchmesser beinahe das Doppelte des gewöhn- 
lichen erreicht. Auch der Kern ist in solchen Zellen ungewöhnlich 
gross und hat meistens unregelmässige zerschnürte Formen. 

Es fällt sofort auf, dass die primitiven Erythroblasten sich 
von allen anderen vorhandenen Zellen äusserst scharf unter- 
scheiden, mit ihnen durch keinerlei Übergangsformen verbunden 
sind und also einen vollständig isolierten, spezifischen Zellstamm 
vorstellen. 

Mit der Zeit, in den späteren Stadien, die ich in einer 
anderen Arbeit besprechen werde, erlöscht die Wucherungsfähig- 
keit der primitiven Erythroblasten vollkommen. Auch in Stadium 
von 13'/» Tagen gibt es schon Exemplare, die nicht mehr teilungs- 
fähig sind und nur noch als „Hämoglobinträger“ funktionieren. Die 
Kerne dieser Zellen werden besonders klein, die Chromatinteilchen 
rücken näher aneinander, der Kern als Ganzes färbt sich dunkler und 
erleidet dabei merkwürdige Formveränderungen — er zerschnürt 
sich in zwei oder mehrere Teile, die sich aber nicht ganz von- 
einander loslösen, sondern nur hantel- oder kleeblattförmige 
Figuren zustande bringen (Taf. XX, Fig. 33pEbl). Auffallend ist 
die Tatsache, dass man solche Kernfiguren in sonst vollkommen 
gleichen Präparaten von verschiedenen Embryonen desselben Alters 
durchaus nicht immer in derselben Häufigkeit findet. Das eine Mal 
sind sie sehr zahlreich, das andere Mal fehlen sie fast vollständig. 
Ähnliche Erscheinungen am Kern der Erythroblasten sind be- 
kanntlich schon von einigen Autoren beobachtet worden, so z. B. 
von Weidenreich (64); speziell in den primitiven Erythro- 
blasten (Metrozyten II. Generation) hat sie vor kurzem auch 
Jost (22) erwähnt. Es sind vielleicht Alterserscheinungen an 
nicht mehr teilungsfähigen Kernen. Solche klein- und dunkel- 
kernige primitive Erythroblasten werden allerdings meistens in 
dem zirkulierenden Blut getroffen, während in den blutbildenden 
Kapillaren der Dottersackwand die jüngeren Formen zurück- 
gehalten werden. 

Die primitiven Erythroblasten erfüllen ihre physiologische 
Pflicht als Hämoglobinträger in Form von echten kernhaltigen 
Zellen. Sie zeigen im allgemeinen sehr wenig Neigung zur Ent- 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 479 


kernung und bleiben zum grössten Teil bis zu ihrem Untergange 
kernhaltig. Schliesslich kann aber auch bei ihnen doch Entkernung 
eintreten (Meerschweinchen). Sie verläuft bei den verschiedenen Tier- 
arten in etwas verschiedener Weise. Beim Kaninchen schrumpft ın 
solchen Zellen, die übrigens in den Stadien, die ich jetzt be- 
schreibe, noch sehr selten sind, der Kern ganz zusammen, er 
wird pyknotisch, färbt sich sehr dunkel, zerfällt manchmal in 
einzelne kleine Partikelchen (Fig. 4 pEbl‘) und tritt dann ın 
diesem degenerierten Zustande aus der Zelle heraus — es ent- 
stehen dann grosse, unregelmässig geformte, sehr hämoglobin- 
reiche kernlose rote Blutkörperchen, die man primitive Erythrozyten 
nennen kann (Fig. 4 pErz). Bei der Katze wird der Kern der 
primitiven Erythroblasten während der Degeneration, wie dies 
auch schon von Jolly (20) bemerkt worden ist. allmählich 
oxyphil — er färbt sich immer schwächer und schwächer mit 
den basischen Anilinfarben. Beim Meerschweinchen sammelt sich 
sein Chromatin an der Membran an, während das Kerninnere von 
oxyphiler Substanz eingenommen wird. Solche degenerierende 
Kerne bekommen hier dann an ZFD-Präparaten das Aussehen von 
Blasen mit dunkelblauer Wand und rotem Inhalt und können 
sich in diesem Zustande sogar noch bedeutend vergrössern. ') 


Die weiteren Schicksale der primitiven Erythroblasten und 
Erythrozyten werde ich, wie gesagt, in einer anderen Arbeit 
besprechen. Vorläufig möge nur noch bemerkt werden, dass sie 
schliesslich allmählich aussterben und durch die neuen, definitiven 
Erythroblasten zuerst aus dem blutbildenden Organ, der Dotter- 
sackwand, dann auch aus dem zirkulierenden Blut verdrängt werden. 


Einzelne degenerierende Exemplare von primitiven Erythro- 
blasten findet man in allen, selbst den frühesten Stadien in den 
Kapillaren des Dottersacks und mit der Zeit werden sie hier 
noch zahlreicher. Solche degenerierende Zellen werden von den 
weiter unten beschriebenen intravaskulären Phagozyten gefressen. 
Übrigens werden von den letzteren mitunter auch scheinbar ganz 


!) Wenn solche Kerne aber austreten, was beim Meerschweinchen die 
Regel ist, so färben sie sich sofort im ganzen dunkelblau; ihre z. T. rote 
Färbung innerhalb der Zelle wird also vornehmlich davon abhängen, dass 
sie hier von einer dicken Schicht hämoglobinhaltigen Plasmas umgeben sind. 
Es ist möglich, dass viele von den Bildern des sogenannten „intrazellulären 
Kernschwundes“ sich gerade dadurch erklären lassen. 


480 Alexander Maximow: 


normale primitive Erythroblasten verschlungen, ebenso wie dies 
in den Lebergefässen geschieht (siehe weiter unten). 

Die primitiven Erythroblasten resp. Erythrozyten sind von 
den meisten Autoren, die die embryonale Blutbildung beim Säuger 
studierten, gesehen worden. Einige haben sie allerdings von den 
definitiven Erythroblasten nicht scharf unterschieden, so erst 
neuerdings Goodall (14), der, wie es scheint, gerade die 
primitiven Erythroblasten überall in embryonalen Geweben findet, 
sie aber fälschlicherweise als Megaloblasten beschreibt. Engel 
(7—12) hat sie aber schon längst als eine besondere Zellart 
erkannt und unter dem Namen „Metrozyten I. (die jüngeren gross- 
kernigen Formen) und II. Generation“ (die älteren kleinkernigen 
Formen) beschrieben. Er stellt sich ihre weitere Entwicklung, 
wie ich oben schon erwähnt habe, als sehr kompliziert vor — 
sie sollen sich zum Teil in Leukozyten, zum Teil in die end- 
gültigen Roten verwandeln — diese Resultate erklären sich aber 
sicherlich durch die von Engel gebrauchte unzweckmässige 
Technik. Giglio Tos (13) beschreibt die primitiven Erythro- 
blasten als „granulierte Erythrozyten“ — ich glaube aber, dass 
seine „Hämoglobin erzeugenden Granula“ im Leben gar nicht 
existieren, denn sowohl im frischen Zustande, als auch nach 
guter Fixierung ist der Zellleib dieser Zellen stets homogen. 
Auch in der Mitteilung von Schridde (53) werden besondere, 
zuerst auftretende, angeblich direkt von Gefässwandzellen stammende 
grosse Hämoglobinzellen als primäre Erythroblasten erwähnt. 
Endlich ist hier auch die neue grosse Arbeit von Jolly (20) zu 
zitieren; er beschreibt die ersten Hämoglobinzellen des Säugetier- 
embryo (allerdings in ziemlich späten Stadien) als „hematies 
primordiales“ und bezeichnet sie in zutreffender Weise als eine 
ganz besondere Zellgeneration, die direkt von den Elementen der 
Blutinseln abstammt und zu den definitiven Erythroblasten in 
keiner genetischen Beziehung steht.') 

Die Lymphozyten sehen jetzt ganz so aus wie früher 
(Fig. 4 Lmz). Vielleicht ist nur der Unterschied im Vergleich 


') Ich glaube aber, dass die auf seiner Zeichnung Fig. 7. S. 205 unter a 
abgebildete Zelle kein primitiver Erythroblast ohne Hämoglobin ist, wie es 
Jolly will, sondern ein junger, eben aus einem grossen Lymphozyten ent- 
standener definitiver Megaloblast. Bei so alten Embryonen, wie der betreffende 
(Kaninchen 17 mm), gibt es nämlich gar keine jungen hämoglobinarmen 
primitiven Erythroblasten mehr. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 481 


mit den vorhergehenden Stadien zu notieren, dass sie jetzt nicht 
mehr so feine zipfelförmige, sondern breitere, massigere Pseudo- 
podien bilden. Viele befinden sich auch in vollständig ruhendem 
Zustand und besitzen im Präparat keine Fortsätze. Im Proto- 
plasma sieht man stets grössere und kleinere helle Vakuolen. 
Die Lymphozytenmitosen sehen auch ebenso aus wie früher. 

Die Grösse der Lymphozyten ist auch jetzt sehr verschieden ; 
es kommen wahre Riesenformen vor, andererseits wieder ganz 
winzige Exemplare. Diese Grössendifferenzen haben aber keine 
besondere Bedeutung, denn sie hängen wohl nur von der Zeit ab, 
die seit dem Moment der letzten stattgefundenen Teilung der 
betreffenden Zelle verstrichen ist und werden durch das Wachs- 
tum der Zellen wieder ausgeglichen. Qualitativ sind die Lympho- 
zyten jedenfalls alle gleich. 

Die Zahl der Lymphozyten ist in den blutbildenden Kapillaren 
der Dottersackwand, trotz ihrer fortwährenden Verwandlung in 
andere Zellen (siehe weiter unten). ausserordentlich gross geworden. 
Sie bilden jetzt meistens dichte Gruppen, in welchen die ein- 
zelnen Zellen durch gegenseitigen Druck oft polyedrische Formen - 
annehmen und welche in den breiteren Gefässteilen entweder 
frei im Lumen liegen, oder der Endothelwand anhaften. In den 
engeren Kapillaren sieht man sie sich in besonders grossen 
Mengen anhäufen, sodass solche Kapillaren (besonders beim Meer- 
schweinchen) durch Lymphozyten vollständig verstopft werden 
und an ZFD-Präparaten schon unter ganz schwacherVergrösserung 
als dunkelblaue netzförmig verbundene Streifen auffallen. 

Degenerierende Exemplare sind unter den Lvmphozyten 
sehr selten. 

Ausser den primitiven Erythroblasten und den Lymphozyten 
sehen wir in den uns jetzt interessierenden Stadien noch eine 
neue Zellart auftreten. Wie gesagt, erscheint sie beim Kaninchen 
schon nach 11'/» Tagen; nach 13 Tagen sind die neuen Zellen 
massenhaft vorhanden und übertreffen an Zahl sowohl die primi- 
tiven Erythroblasten, als auch die Lymphozyten.') 

Die neuen Zellen (Fig. 4 Mlb“, Mlib, Nmb‘, Nmb) gehen 
durch Wucherung und Differenzierung aus einem Teil der 
Nachkommen der Lymphozyten hervor. An jeder Stelle eines 


!; Beim Meerschweinchen erscheinen sie bei einer Körperlänge von 
etwa 5—6 mm. 


482 Alexander Maximow: 


Fläehenpräparates der Dottersackwand findet man äusserst klare 
histiologische Bilder, die den genannten Prozess illustrieren. 

Zuerst entstehen aus den grossen basophilen amöboiden 
Lymphozyten (Lmz) durch eine Reihe von Teilungen Zellen, die 
sich von ihnen qualitativ noch ziemlich wenig unterscheiden 
(Mlb‘). Sie liegen meistens in grossen, dichten Haufen bei- 
sammen; jeder Haufen stellt eine an Ort und Stelle durch 
Wucherung eines oder mehrerer Lymphozyten entstandene junge 
Zellbrut, eine Zellenfamilie vor. Alle Schwesterzellen haben sich 
in gleicher Weise verändert und sehen alle ganz ähnlich aus. 
Ihr Durehmesser beträgt S,1—9 u, sie sind regelmässig kugelig, 
ausser wenn sie durch gegenseitigen Druck polygonal erscheinen; 
Pseudopodien werden nicht mehr gebildet, die Zellen haben die 
Fähigkeit der amöboiden Bewegung eingebüsst. Das Protoplasma 
bildet einen ziemlich schmalen Saum. ebenso wie in den Lympho- 
zyten; es bewahrt noch den feinretikulären Bau, seine Basophilie 
hat aber deutlich abgenommen und es färbt sich mit D blassblau 
mit leichtem violetten Ton. Die für die Lymphozyten typischen 
Vakuolen sind spärlicher geworden und verschwimmen, die Sphäre 
tritt nicht mehr hervor. Der Kern ist regelmässig rund, oft 
etwas exzentrisch gelegen, seine innere Struktur hat sich im 
Vergleich mit dem Lymphozytenkern in der Weise verändert, 
dass die Chromatinteilchen gröber geworden sind und sich etwas 
intensiver färben; sie liegen im Liningerüst in ziemlich regel- 
mässigen Abständen voneinander; die Kernkörperchen sind etwas 
kleiner geworden, als in den Lymphozyten, treten aber noch 
deutlich hervor. 

Die beschriebenen Zellen fahren fort zu wuchern und ihre 
weiteren Generationen erleiden eine immer tiefere und tiefere 
morphologische Veränderung. Vorübergehend können die Zellen, 
bei sehr rasch aufeinanderfolgenden Teilungen, ziemlich klein 
werden (Fig. 4 0), diese kleinen Exemplare wachsen aber bald 
wieder etwas an. Immerhin geht mit der weiteren Entwicklung 
der für diesen Zelltypus charakteristischen Eigenschaften doch 
auch eine bleibende bedeutende Volumsabnahme Hand in Hand. 

Der regelmässige kugelrunde Zellkörper wird in seinem 
grössten Teil von dem ebenfalls ganz regelmässig kugeligen, 
höchstens etwas ovalen Kern eingenommen; das Protoplasma ist 
jetzt vollständig homogen und hat seine Basophilie fast völlig 


oh 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 483 


eingebüsst — an ZFD-Präparaten erscheint es in einem deut- 
lich violetten oder sogar rotvioletten Ton tingiert (Fig. 4 MIbı. 
Vakuolen und Sphäre sind nicht mehr vorhanden. Der Kern ent- 
hält jetzt noch zahlreichere eckige CGhromatinteilchen, die in sehr 
regelmässigen Abständen voneinander dem Liningerüst einver- 
leibt sind und besonders an der Membran radiär gestellt 
erscheinen. Die Nukleolen sind zuerst noch sichtbar, dann 
verschwinden sie endgültig. Die Mitosen dieser Zellen (Mlb’) 
sind sofort als solche an dem violetten homogenen Protoplasma 
und den zierlichen, deutlichen Chromosomen zu erkennen. An 
frischen ungefärbten Präparaten haben die beschriebenen Zellen 
eine blassgelbe Färbung; man erkennt sie hier auch sofort 
daran, dass sie gewöhnlich grosse Gruppen von. lose zusammen- 
hängenden kugelförmigen Zellen in den Gefässen bilden. 

Es erhellt aus der angeführten Schilderung, dass die 
beschriebenen Zellen hämoglobinhaltige Elemente sind. Da sie 
jugendlichen Charakter haben und wuchern, müssen sie Erythro- 
blasten genannt werden. Sie stellen auch wirklich die Jugend- 
formen der für das ganze weitere Leben bleibenden roten Blut- 
körperchen vor und verdienen die Bezeichnung „definitive 
Erythroblasten“. Zum Unterschied von den primitiven Erythro- 
blasten könnte man sie auch kurzweg Erythroblasten nennen. Mit 
den primitiven Erythroblasten haben sie genetisch nichts zu tun. 
Überall, wo man die beiden Zellarten trifft, im Dottersack, im 
zirkulierenden Blut oder anderswo unterscheiden sie sich so scharf 
voneinander, dass eine Verwechslung gar nicht möglich erscheint. 

Die beschriebenen definitiven Erythroblasten sind noch sehr 
jung und stehen von den fertigen kernlosen roten Blutkörperchen 
noch sehr weit. Sie entsprechen nach dem Kerntypus, nach dem 
noch spärlichen Hämoglobingehalt und der daraus resultierenden 
Polychromasie des Protoplasmas den sog. Megaloblasten der Autoren. 
Eine genaue morphologische Bestimmung dieses Begriffes ist 
bekanntlich von Pappenheim gegeben worden. Er hat auch 
besonders auf den charakteristischen Kerntypus dieser Zellen 
hingewiesen, den er auf Grund der relativen Chromatinarmut 
amblychromatisch nennt. In der jüngsten Arbeit von Jolly (20) 
werden die Megaloblasten ebenfalls erwähnt und ebenfalls als 
eine von den primitiven Erythroblasten ganz unabhängige Zell- 
gruppe festgestellt. 


434 Alexander Maximow: 


Ich finde den Namen Megaloblast nicht sehr glücklich 
gewählt, da diese Zellen durchaus nicht besonders gross sind. 
Sie sind, wie gesagt, sogar immer kleiner, als die Lympho- 
zyten. Bei der fortgesetzten Wucherung variiert die Zellgrösse 
überhaupt, wie auch die relative Breite des Protoplasmasaumes 
sehr bedeutend. Charakteristisch ist eben nicht die Grösse, 
sondern der morphologische Habitus. Der Name Megaloblast 
hat sich aber schon so eingebürgert, dass man ohne ihn wohl 
nicht gut wird auskommen können. In der folgenden Darstellung 
werde ich also die jungen hämoglobinarmen definitiven Erythro- 
blasten auch Megaloblasten nennen. 


Was die Ausarbeitung des Hämoglobins in den Megaloblasten 
betrifft, so beweisen frische und gut fixierte Präparate, dass das 
Protoplasma dabei homogen wird. Es treten dabei keinerlei 
Körnungen auf. So hebt es auch Weidenreich (64) hervor. 
Die von manchen Autoren in den jungen Erythroblasten be- 
schriebenen Körner (Saxer [49, S. 491], Giglio Tos [13]) sind 
wohl stets einfach das Resultat ungenügender Fixation gewesen. 


In der area vasculosa eines Kaninchenembryo von 11! 
Tagen sieht man beim ersten Auftreten der definitiven Erythro- 
blasten nur die eben beschriebenen jungen, noch hämoglobinarmen 
definitiven Erythroblasten, die Megaloblasten. Sie entwickeln sich 
aber unter fortgesetzter Wucherung gleich weiter und schon 
. nach 12 Tagen, noch mehr nach 13 Tagen, sehen wir in den 
blutbildenden Kapillaren der Dottersackwand in unzähligen Mengen 
ihre späteren, schon wieder anders aussehenden Generationen. 


Aus den wuchernden Megaloblasten sehen wir jetzt an 
vielen Stellen Gruppen von noch etwas kleineren, manchmal so- 
gar viel kleineren (6,30 «) Erythroblasten entstehen, die schon 
viel reicher an Hämoglobin sind (Fig. 4 Nmb‘). Ihr Zellleib ist 
kugelig, doch kann er manchmal infolge von äusserem Druck 
sehr unregelmässige Formen annehmen. Das zuerst noch sehr 
schmale, später breitere, völlig homogene Protoplasma färbt sich 
an ZFD-Präparaten in einem ins reine Rot immer mehr und 
mehr übergehenden Ton. Der Kern ist absolut und relativ noch 
kleiner geworden und die typische Struktur des Erythroblasten- 
kernes tritt jetzt in ihm auf das Schönste hervor; auch die 
Mitosen werden immer typischer (r). Von Nukleolen fehlt jede Spur. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 485 


Von diesen Zellen kommen wir dann endlich zu ganz aus- 
gebildeten definitiven Erythroblasten (Nmb). Sie sind ziemlich 
klein, meistens aber doch wieder grösser als vorher (7,5 «), 
kugelig, nicht selten aber auch bikonvex, ihr Protoplasma 
ist breiter geworden und färbt sich ebenso grell rot, wie 
das Protoplasma der primitiven Erythroblasten. Es ist sehr 
hämoglobinreich geworden, was sich auch durch Untersuchung 
des frischen Präparats bestätigen lässt. Der Kern ist klein. 
kugelig, nimmt eine exzentrische Lage ein und sein grosser 
Chromatingehalt bedingt eine ziemlich dunkle allgemeine Färbung. 
Die groben eckigen Chromatinteilchen sind in ganz regelmässigen 
Abständen voneinander angeordnet. Nicht selten trifft man 
auch noch diese kleinen, schon sehr hämoglobinreichen Erythro- 
blasten im Zustande der Karyokinese (Nmb’). 


Die beschriebenen älteren Erythroblastenformen sind in der 
Literatur unter dem Namen „Normoblasten* bekannt. Sie 
unterscheiden sich von den Megaloblasten durch ihre im all- 
gemeinen kleineren Dimensionen (obwohl es, wie gesagt, auch 
kleine Megaloblasten geben kann), durch den grossen Hämoglobin- 
reichtum des Protoplasmas und ‘durch den kleinen, dunklen, 
trachychromatischen (Pappenheim) Kern ohne Nukleolen. 


Bei Kaninchenembryonen von 13". 14 und mehr Tagen 
findet man in dem blutbildenden Gefässnetz der Dottersackwand 
sehr oft auch schon Bilder, die das endgültige Schicksal der 
reifen Normoblasten illustrieren (Fig. 4 m, m‘). 


Der Kern wird noch kleiner, er schrumpft zusammen, die 
Chromatinteilchen rücken näher aneinander, ohne jedoch ganz 
zusammenzusintern, dann weicht der sehr dunkle, fast pyknotische 
Kern zur Zellperipberie und tritt endlich aus der Zelle heraus (m ”). 
Der hämoglobinreiche Zellleib erhält dabei meistens sehr unregel- 
mässige Formen — er ist mit kleineren und grösseren höcker- 
artigen Unebenheiten versehen (m, m‘). -Als Resultat dieses 
Kernaustrittes finden wir dann nackte, in dem Blutplasma frei 
fiottierende Kerne (z) und kernlose rote Blutkörperchen von 
mehr oder weniger regelmässiger Scheiben- oder Glockenform. 
Auf die beschriebene Weise entstehen aus den reifen, nicht mehr 


teilungsfähigen definitiven Erythroblasten, den Normoblasten, die 
definitiven Erythrozyten. 


486 Alexander Maximow: 


Nach 14 Tagen sind aber beim Kaninchen die kernlosen 
Erythrozyten noch ziemlich selten. Ausserdem ist ihre Entstehung 
hier in Bezug auf den Verlauf und auf das Endresultat der Fr- 
scheinung nicht ganz identisch mit denjenigen Tatsachen, die 
sich im erwachsenen Organismus beobachten lassen. 

Erstens tritt der Kern in einem verhältnismässig noch 
schwach pyknotischen, noch nicht ganz homogenen Zustand aus 
der Zelle heraus, während er im erwachsenen Organismus 
bekanntlich vorher total degeneriert und sogar in einzelne Teile 
zerfallen kann. Es wäre also nach dem Ausdruck von Pappen- 
heim eine Entkernung in noch jugendlichem Zustand, eine 
Erscheinung, die gelegentlich auch in den Erythroblasten des 
Erwachsenen bei krankhaften Prozessen vorkommen soll. 

Zweitens sind die ersten kernlosen Erythrozyten meist 
noch etwas grösser, als die des erwachsenen Tieres und von 
nicht so regelmässiger Form. 

Was: die wichtige Frage anbelangt, wie die Entkernung 
der roten Blutkörperchen vor sich geht, so gibt es bekanntlich 
darüber zwei entgegengesetzte Meinungen. Nach den einen 
soll intrazellulärer Kernschwund existieren, nach den anderen 
Kernaustritt. Ich selbst habe mich schon vor Jahren (29) mit 
v. d. Stricht (57, 58), Saxer (49) u. a. entschieden für die 
letztere Annahme erklärt und habe seitdem an der Diskussion 
über dieses Thema nicht teilgenommen, sie aber genau verfolgt. 
Ich muss bekennen, dass es mir ganz unverständlich ist, wie so 
es auch jetzt noch, besonders nach den erschöpfenden Darlegungen 
Weidenreichs (64), Autoren geben kann, die an der Richtig- 
keit der Lehre vom Kernaustritt zweifeln und an eine intra- 
zelluläre Karyolyse glauben. Und doch ist dies der Fall. So 
finden wir z. B,. um nur ein paar Beispiele zu zitieren, in dem 
neuesten Werk von Nägeli (37) wieder die Behauptung, dass 
„die intrazelluläre Karyolyse der einzig physiologische Vorgang 
sei und die Kernausstossung bloss pathologisch in Frage komme.“ 
Scott (54) und Lobenhoffer (27), ebenso Schridde äussern 
sich auch in diesem Sinne. Interessant ist dabei die Feststellung, 
dass es meistens gerade Autoren sind, die der dualistischen 
Anschauung über die Histiogenese der Blutelemente huldigen. 

Ich bin sicher, dass man angebliche Beweise für den intra- 
zellulären Kernschwund nur an ganz minderwertigen Präparaten 


Ha 
[® 6) 
I 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 


finden kann, wo die Kernfärbung sehr unvollkommen aus- 
gefallen ist. Sonst ist es unmöglich, an irgend einem normalen 
hämatologischen Objekt etwas anderes zu sehen, als Austritt des 
degenerierenden Kernes aus den reifen, hämoglobinreichen Nor- 
moblasten. Besonders schön tritt dies in etwas späteren Ent- 
wicklungsstadien zu Tage, z. B. in den Dottersackgefässen eines 
Katzenembryo von etwa 15 mm Länge. Ich werde diese Stadien 
später ausführlich beschreiben, vorerst bringe ich bloss die Zeichnung 
eines Normoblasten (Taf. XVIII. Fig.5), der gerade im Moment des 
Kernaustritts fixiert worden ist. Solche Bilder sind meiner 
Meinung nach absolut beweisend, es können keine Artefakte 
sein und sie brauchen dabei nicht etwa mit Mühe ausgesucht 
zu werden, sondern man sieht sie an diesem Objekte überall. 
auf jedem Schritt und Tritt. Neben solchen Normoblasten mit 
heraustretenden Kernen findet man auch stets Phagozyten mit 
verschlungenen Erythroblastenkernen im Protoplasma. Alle Tat- 
sachen sprechen also für die Kernausstossung, keine dagegen 
und das Umgekehrte gilt von der Karyolyse. Selbst Pappen- 
heim, der ja früher auch Anhänger der Karyolyse war, gibt 
jetzt die Existenz des Kernaustrittes zu. Besonders schwer- 
wiegend ist jedoch die Stimme Jollys (20), der früher (19), 
auch noch auf der Genfer internationalen Anatomenversammlung, 
ein eifriger Verfechter des intrazellulären Kernschwundes war, 
jetzt aber in seiner Arbeit über die roten Blutkörperchen zum 
Schlusse kommt, dass die Entkernung auf solche Weise voll- 
zogen wird, dass der Kern zuerst degeneriert, pyknotisch 
wird, eventuell in Stücke zerfällt, dann aber doch die Zelle ver- 
lässt. Es ist dies also genau dasselbe, was Weidenreich (64) 
festgestellt hat und was auch ich schon vor Jahren (29) 
behauptete. 

Um die intrazelluläre Karyolyse wenigstens teilweise zu 
retten, hatte Ehrlich seinerzeit versucht, den Satz aufzustellen, 
dass die postfetalen Normoblasten zwar den Kern ausstossen, 
dass aber die fetalen Megaloblasten (also meine primitiven Ery- 
throblasten) die Kerne durch intrazellulären Schwund verlieren. 
Auch das ist von Weidenreich als falsch erwiesen worden 
und meine Untersuchungen bestätigen ebenfalls, dass auch für 
die primitiven Erythroblasten der normale Vorgang die Kern- 
ausstossung ist. Hier wird dieser Vorgang nur dadurch kom- 


488 Alexander Maximow: 


pliziert, dass die Kernausstossung viel später erfolgt und der 
Kern, wie oben erwähnt, vorher mit basischen Farben nur schwer 
zu färben ist und oxyphil scheinen kann. 

Dass intrazelluläre Karyolyse in krankhaft veränderten, 
lädierten Erythroblasten vorkommen kann, will ich durchaus 
nicht leugnen. Bei verschiedenen anämischen oder leukämischen 
Zuständen mag dies sogar sehr oft der Fall sein. Einen Beweis 
dafür sehe ich auch in der Erscheinung der weiter unten 
beschriebenen Phagozytose der Erythroblasten durch Wanderzellen 
oder Endothelien — in dem verschlungenen Erythroblasten sieht 
man dabei sehr oft Auflösung und intrazellulären Schwund des 
Kernes. 

In dem blutbildenden Gefässnetz der Dottersackwand ent- 
stehen also in einer bestimmten Entwieklungsperiode die defi- 
nitiven roten Blutzellen aus farblosen Vorstufen und zwar sind 
diese letzteren keine besonderen „Erythroblasten®* (Löwit), 
sondern einfache indifferente, von früher her daselbst befindliche 
und, wie wir weiter unten sehen werden, ubiquitäre farblose 
Blutkörperchen, Lymphozyten. Während die primitiven Erythro- 
blasten einen ganz isolierten Zellstamm vorstellen, der sich nur 
einmal von den farblosen primitiven Blutzellen abgespalten hat, 
um dem ersten Bedürfnis des Embryo an Hämoglobinträgern zu 
genügen und dann allmählich ausstirbt, entstehen die definitiven 
Erythroblasten auch späterhin, auch im postfetalen Leben jeder- 
zeit neu aus den Lymphozyten. Dieser ständige, in allen zu- 
künftigen Blutbildungsorganen gleich bleibende Entwicklungs- 
modus erscheint eben dadurch gesichert, dass die Lymphozyten, 
diese indifferenten amöboiden Mesenchymzellen, ubiquitär sind 
und bei geeigneten äusseren Bedingungen überall als Hämato- 
gonien funktionieren können. Natürlich sind die bereits hämo- 
globinhaltigen Zellen, die Megalo- und Normoblasten, auch selb- 
ständig vermehrungsfähig und in vielen Fällen genügt auch 
dieser Regenerationsmodus allein, aber es ist sehr wichtig, dass 
die beim ersten Auftreten der definitiven roten Blutzellen statt- 
findende Neudifferenzierung derselben aus indifferenten farblosen 
Zellen als jederzeit bestehende Möglichkeit auch für das ganze 
übrige Leben bleibt. Dass die roten Blutzellen auch im er- 
wachsenen Organismus auf genau dieselbe Weise entstehen 
können, habe ich vor kurzem experimentell bewiesen (32). 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 489 


Der geschilderte Entwicklungsmodus der definitiven Ery- 
throblasten und Erythrozyten aus farblosen Vorstufen entspricht 
im allgemeinen den Vorstellungen über die Entwicklung der 
roten Blutzellen, die heutzutage im Lager der Unitarier herrschen. 
Hier wäre vor allem Weidenreich (64)!) zu nennen. Auch 
Jolly (20) könnte in bezug auf die Bedeutung der Megaloblasten 
und Normoblasten hierher gerechnet werden. Von den Autoren, 
die spezielle embryologische Untersuchungen gemacht haben, 
scheint mir Saxer (49) den Sachverhalt gerade an demselben 
Objekt, der Nabelblase der Katze, auch schon ziemlich richtig 
erfasst zu haben; seine Übergangszellen II. und III. Ordnung, 
die er auch Erythroblasten nennt, entsprechen wahrscheinlich 
den Megalo- und Normoblasten. 

Sehr merkwürdig ist die Tatsache, dass es beim Säugetier 
zwei so scharf geschiedene Typen von roten Blutzellen gibt; die 
primitiven und die definitiven oder sekundären. Beim Hühnchen 
hat neuerdings Dantschakoff (4,5a) ebenfalls zwei solche Typen 
genau beschrieben, aber zwischen den Säugetieren und den 
Vögeln scheint in dieser Beziehung doch auch ein deutlicher 
Unterschied zu bestehen. Während nämlich beim Säugerembryo, 
wie wir gesehen haben, die primitiven Erythroblasten nur ein- 
mal als scharf isolierter Zellstamm entstehen und die aus den 
primitiven Blutzellen inzwischen direkt hervergegangenen Lym- 
phozyten erst nach einiger Zeit die definitiven Erythroblasten 
zu produzieren anfangen, während man also hier keine Zwischen- 
formen zwischen den beiden Erythroblastenarten bemerken kann,?) 
gehen beim Hühnchen die primitiven Erythroblasten ziemlich 
allmählich in die definitiven über. Es gibt beim Hühnchen zwischen 
beiden viele Übergangsformen, nicht weil sich die ersten etwa direkt 
in die zweiten unter Wucherung verwandeln würden, sondern die 
primitiven Blutzellen, resp. die Lymphozyten erzeugen zuerst 
grosse hämoglobinarme, primitive, dann, ohne eine deutliche 
Zeitpause, fortwährend wieder weitere allmählich immer voll- 
kommnere Erythroblastenstämme. Beim Hühnchen spaltet sich 
also vom Grundstock der indifferenten Lymphozyten im Gegen- 


') Bis vor kurzem gehörte auch Pappenheim hierher. 
°) Nur beim Meerschweinchen sind die primitiven Erythroblasten von 
den sekundären histiologisch nicht so scharf geschieden und in dieser Beziehung 


erinnern die Verhältnisse hier an das Hühnchen, 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bad. 73. 32 


490 Alaoxander Maximow: 


satz zum Säugetier eine ganze Reihe von sich allmählich immer 
mehr und mehr dem definitiven Typus nähernden Erythroblasten- 
stämmen nacheinander ab. 

Die Frage über die Beziehungen der Megaloblasten und 
Normoblasten zueinander gehört auch zu den aktuellsten in 
der Hämatologie. Früher wurden die zwei genannten Zellarten 
meistens ziemlich streng voneinander geschieden. So hielt zum 
Beispiel früher Pappenheim die Megaloblasten für eine im 
Vergleich mit den Normoblasten nicht nur ontogenetisch, sondern 
auch phylogenetisch ältere Zellform und liess sie selbständige 
Entwicklungswege gehen. Demgegenüber haben andere, z. B. 
Weidenreich (64) sich gegen eine solche Trennung aus- 
gesprochen und die Normoblasten bloss für eine reifere Form 
der Megaloblasten erklärt, eine Anschauung, der auch ich (32) 
mich angeschlossen habe. Auch Pappenheim (44, 45) steht jetzt 
übrigens auf einem ähnlichen Standpunkte: er leitet bei den 
Säugern die Normoblasten ebenfalls durch fortgesetzte Proliferation 
von den jungen Megaloblasten ab. 

Ich glaube, dass das Studium der ersten Entstehung dieser 
beiden Zellarten auch ihre gegenseitigen Verhältnisse genügend 
beleuchtet. Wir sehen, dass die Lymphozyten im Dottersack 
durch difterenzierende Wucherung schliesslich definitive rote 
Blutzellen, reife Erythrozyten entstehen lassen. Die Übergangs- 
etappen dieser Entwicklungsreihe sind zuerst hämoglobinarme, 
hellkernige Elemente, Megaloblasten, dann hämoglobinreiche, 
dunkelkernige Normoblasten. Die Frage ist nun die — sind 
diese zwei Frythroblastenarten zwei scharf voneinander ge- 
schiedene Zellarten oder nicht? Ich glaube, dass die Antwort 
negativ ausfallen muss. Bei meiner Beschreibung war ich schon 
genötigt, junge, aus Lymphozyten eben erst entstandene Megalo- 
blasten und ältere, schon etwas hämoglobinreichere zu unter- 
scheiden. Ebenso beschrieb ich jüngere und ältere Normoblasten. 
Die Megaloblasten gehen also in die Normoblasten ganz all- 
mählich über, nicht direkt natürlich, sondern unter fortgesetzter 
differenzierender Wucherung. Es ist ın sehr vielen Fällen sehr 
schwierig zu sagen, ob die betreffende Zelle bereits ein Normo- 
blast oder noch ein Megaloblast ist, ebenso, wie es vorkommen 
kann, dass man von einer Zelle nicht imstande ist zu entscheiden, 
ob sie noch den Lymphozyten oder bereits den jüngsten Megalo- 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 491 


blasten zuzuzählen ist. Dazu kommen noch, wie wir gesehen haben, 
bedeutende, obzwar vorübergehende und dem Wesen nach un- 
wichtige Grössendifferenzen, die die Unterscheidung oft auch sehr 
erschweren. 

Wenn wir also schon von Megalo- und Normoblasten 
sprechen wollen, so dürfen diese Begriffe jedenfalls nur im 
Sinne von „jüngeren und älteren Erythroblasten“ gebraucht 
werden, nicht im Sinne von scharf geschiedenen, selbständigen 
Zelltypen. 

Die beschriebenen Entwicklungsprozesse, die, beiläufig gesagt, 
bei allen untersuchten Säugetierarten in den frühen Entwicklungs- 
stadien auf ganz identische Weise verlaufen, könnte man durch 
folgendes Schema veranschaulichen. 


Primitive Blutzellen 


Lymphozyten prim. Erythroblasten 


| 
Lymphozyten Megaloblasten prim. Erythrozyten 


_— [2.0 


Lymphozyten Megaloblasten Normoblasten 
| | 
Normoblasten def. Erythrozyten 


def. 

Ausser den drei beschriebenen Haupttypen, den Lympho- 
zyten, den primitiven und definitiven Erythroblasten, gibt es in 
den (Gefässen der area vasculosa auch noch andere Zellarten. 

Erstens lenken zahlreiche Riesenzellen vom allgemeinen 
Charakter der Megakaryozyten die Aufmerksamkeit auf sich. Sie 
sind in den embryonalen Geweben schon von vielen Autoren ge- 
sehen und speziell im Dottersack der Katze (Embryo von 1 cm 
Länge) von Saxer (49) beschrieben worden. 

Wir haben gesehen, dass schon in den vorhergehenden 
Stadien verschiedene Blutzellen, die primitiven Blutzellen, die 
Lymphozyten und die primitiven Erythroblasten in einzelnen 
Exemplaren die Neigung zum Riesenwuchs offenbarten. Dies 
tritt nun besonders deutlich in den späteren Stadien an den 
Lymphozyten hervor, wenn die neue Phase der Blutbildung beginnt. 

Die betreffenden Zellen vergrössern sich sehr bedeutend 
(14—20 x im Durchmesser), das Protoplasma bewahrt die dichte 
retikuläre Struktur und die starke Basophilie. Am Kern sehen 


32* 


492 Alexander Maximow: 


wir Amitose (Taf. XVIII, Fig. 6) in ihrer klassischen Form auftreten, 
wie es auch schon von Saxer beschrieben worden ist — das 
_ Kernkörperchen zieht sich in die Länge, teilt sich in zwei Teile, 
dann erscheint auch an der Kernmembran an entsprechender 
Stelle eine sich immer mehr und mehr vertiefende Einschnürung 
und schliesslich bekommen wir zwei, drei und mehr einzelne Kerne 
in der grossen Zelle, von denen ein jeder die Grösse und die 
innere Struktur eines gewöhnlichen Lymphozytenkernes annähernd 
beibehält. In solchen mehrkernigen Riesenzellen nehmen die 
Kerne die Peripherie des Zellleibes ein, in der Mitte liegt die 
Sphäre, die gewöhnlich an Umfang und Deutlichkeit noch gewinnt. 
Wenn an den Kernen neue Einschnürungen auftreten, so ent- 
spricht ihre Lage gewöhnlich der Lage der Spbäre. 

Diese ersten grossen mehrkernigen Riesenzellen im Dotter- 
sack erinnern zwar nach ihrer Kernstruktur und nach der Be- 
schaffenheit des Plasmas an die bekannten Megakaryozyten der 
embryonalen Leber und des Knochenmarks — sie entstehen auch 
in gleicher Weise aus Lymphozyten — immerhin sind aber auch 
deutliche Unterschiede zu notieren. Im Dottersack handelt es 
sich, wie wir sehen, um echte amitotische Kernteilung, während 
in den richtigen Megakaryozyten bekanntlich komplizierte mehr- 
polige Mitosen mit nachfolgender Verschmelzung der Teilprodukte 
beobachtet werden (v. d. Stricht [57, 58], v. Kostanecki[23)). 
Es sind also noch atypische, auf etwas andere Weise entstandene 
Riesenzellen. 

An einzelnen hypertrophischen Lymphozyten sieht man aber 
im Dottersack schon nach 15 —14 Tagen beim Kaninchenembryo 
auch die für die echten Megakaryozyten typische Veränderung 
des Kerns — er vergrössert sich sehr bedeutend, bekommt eine 
unregelmässige höckerige Oberfläche und schickt sich zur mehr- 
poligen Mitose an, wodurch die Bildung echter Megakaryozyten 
angebahnt wird. Sie treten übrigens häufiger in den späteren 
Stadien auf; ausserdem werden wir derselben Erscheinung auch 
weiter unten beim Studium der Blutbildung in der Leber wieder 
begegnen. 

Die Riesenzellen treten bei allen untersuchten Säugern in 
gleicher Weise auf, ihre Zahl schwankt aber ausserordentlich von 
Fall zu Fall und auch in dem gegebenen Präparat sind sie in 
den (refässen immer höchst ungleichmässig verteilt. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 4953 


Endlich ist in den Dottersackkapillaren noch das Vorhanden- 
sein anderer besonderer Zellen zu notieren, deren erste Ent- 
stehung wir schon in den vorhergehenden Stadien konstatieren 
konnten — es sind amöboide phagozytierende Wanderzellen 
(Taf. X VIII, Fig.4Edph). Nach Grösse und äusserer Form gleichen 
sie den Lymphozyten; sie liegen meistens zu kleinen Gruppen 
vereinigt. An der Peripherie des Zellleibes sieht man stets sehr 
zahlreiche ‚Pseudopodien. Das Protoplasma ist sehr blass, sehr 
schwach basophil. von Vakuolen durchsetzt und enthält meistens 
zahlreiche durch Phagozytose aufgenommene und mehr oder 
weniger verdaute Einschlüsse, meistens Reste von primitiven 
Erythroblasten und freie, aus definitiven Erythroblasten stammende 
Kerne. Diese letztere Erscheinung tritt allerdings erst später 
prägnant hervor. Der Kern dieser Phagozyten ist meistens tief 
eingeschnürt, nieren- oder hufeisenförmig. Seine innere Struktur 
entspricht dem Kern der Lymphozyten. 

Diese Phagozyten stammen von den oben beschriebenen 
ähnlichen Zellen ab (Fig. 3 Edph), sind jetzt aber grösser und 
viel zahlreicher geworden; man findet in ihnen auch Mitosen. 
Stellenweise kann man ausserdem mit voller Sicherheit auch ihre 
direkte Entstehung aus fixen Endothelzellen durch Abrundung 
und Mobilwerden verfolgen — auch die noch in situ verbleibenden 
Endothelzellen sieht man sehr oft als energische Phagozyten 
funktionieren (Fig. 4 w). Ferner findet man gar nicht selten 
auch jetzt Übergangsformen von echten Lymphozyten zu diesen 
Phagozyten — es ist also eine besondere funktionelle Form der 
indifferenten Lymphozyten, keine besondere, streng abgegrenzte 
Zellart. 

Wie die Lymphozyten hypertrophieren und sich in Riesen- 
zellen mit amitotisch zerschnürten Kernen verwandeln, so kann 
dies gelegentlich auch mit den beschriebenen Phagozyten ge- 
schehen — man bekommt dann mehrkernige Riesenzellen. die 
sich von den aus gewöhnlichen Lymphozyten entstandenen da- 
durch unterscheiden, dass ihr Protoplasma ganz blass ist und an 
seiner Oberfläche zahlreiche zackige Pseudopodien bildet. 

Die beschriebenen Phagozyten sind wahrscheinlich auch 
von Saxer (49) gesehen worden — er beschreibt sie auf der 
Seite 488 seiner Arbeit als „grosse amöboide Wanderzellen“. 
Bonnet (1) bildet in seinem Lehrbuch S, 337 Dottersackgefässe 


494 Alexander Maximow: 


von einem Hundeembryo von 25 Tagen ab, in welchem freie 
Blutzellen aus Endothelzellen entstehen sollen. Ich glaube, dass 
es sich in diesem sehr späten Entwicklungsstadium nur um 
Bildung der von mir eben beschriebenen Phagozyten aus dem 
Endothel handeln konnte. 

Was die topographische Verteilung aller der beschriebenen 
Zellformen in dem Gefässnetz der Dottersackwand anbelangt, so 
habe ich schon oben einige diesbezügliche Bemerkungen gemacht 
und werde darüber noch weiter im Abschnitt über das zirku- 
lierende Blut sprechen. Hier möchte ich nur zur Frage Stellung 
nehmen, ob in der Dottersackwand des Säugetierembryo ausser 
der beschriebenen intravaskulären auch eine extravaskuläre Blut- 
bildung vorkommt. 

Für das Kaninchen kann ich dies mit aller Entschiedenheit 
verneinen. Ich habe den Dottersack in allen Entwicklungsstadien 
untersucht und habe niemals Blutzellen ausserhalb der Gefässe 
gesehen. Es handelt sich höchstens um die schon oben erwähnten, 
einzelnen, zwischen Gefässwand und Entoderm (Fig. 3 Lwz) 
umherwandernden Lymphozyten. Bei der Katze verhält es sich 
etwas anders — hier ist die Zahl der extravaskulären Lympho- 
zyten schon von Anfang an grösser und mit der Zeit entstehen 
aus ihnen hier zwischen Entoderm und Gefässendothel, ebenso 
wie intravaskulär, Häufchen von Erythroblasten. So hat es auch 
Saxer (l. ce.) gesehen, er scheint aber dieser Erscheinung eine 
viel zu grosse Bedeutung beizumessen. Namentlich darf diese 
extravaskuläre Blutbildung nicht als etwas primäres aufgefasst 
werden. Bei anderen Säugern (Schaf) soll nach Saxer diese 
extravaskuläre Blutbildung im Dottersack noch bedeutender sein, 
als bei der Katze. 

Es ist sehr wichtig hervorzuheben, dass bei der Blutbildung 
im Dottersack niemals gekörnte Leukozyten entstehen. In dieser 
Beziehung unterscheiden sich die Säugetiere scharf von den 
Vögeln, wo bereits im Dottersack aus den extravaskulären Lym- 
phozyten azidophile Myelozyten und Leukozyten hervorgehen 
(Dantschakoff). 

Bei Ratte und Maus existiert ein sehr wichtiger Unterschied 
in der Blutbildung im Dottersack. Es kommt in ihm nicht zur 
Bildung von sekundären Erythroblasten aus den Lymphozyten, 
sondern die Hämatopoese, die zuerst genau wie bei den anderen 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 495 


Säugern verläuft, beschränkt sich hier auf die Bildung von primi- 
tiven Ervthroblasten und Lymphozyten, wonach das Gefässnetz 
des Dottersacks bei 7-8 mm Körperlänge zu veröden beginnt. 
Die definitiven Erythroblasten erscheinen bei Ratte und Maus 
relativ viel später, als bei Kaninchen, Katze und Meerschweinchen, 
erst in Stadien von 7,5—S mm Körperlänge und zwar in der 
Leber, in geringer Anzahl auch im Kopfmesenchym. Sie ent- 
stehen hier ebenso aus wuchernden Lymphozyten, wie bei den 
anderen Tieren. 

Wir sehen aus der vorhergehenden Schilderung, dass das 
erste blutbildende Organ des - Säugetierembryo das Gefässnetz 
der area vasculosa resp. der Dottersackwand ist. Auch beim 
Hühnchen ist dasselbe von Dantschakoff (4, 5a) gefunden 
worden und ich zweifle nicht daran, dass dasselbe auch für alle 
anderen Wirbeltiere mit meroblastischen Eiern zutrifft. Die 
genannte physiologische Tätigkeit der Dottersackwand ist ja bei 
den Säugetieren schon früher durch Bonnet (1) und Saxer (49) 
bewiesen worden Merkwürdigerweise scheint aber diese Tatsache 
bis jetzt vielen namhaften Hämatologen unbekannt geblieben zu 
sein. So finden wir z. B. im neuen Werke von Nägeli (37) die 
sehr bestimmte Angabe, dass das erste blutbildende Organ des 
Embryo die Leber sei (S. 72); vorher soll die Erythropoese ganz 
allgemein „in jungen Kapillaren und Blutsinus“ erfolgen. Es ist 
mir nicht recht klar. was Nägeli eigentlich darunter versteht. 

Der Dottersack hat also nicht nur die Bedeutung eines 
einfachen ernährenden Organs für den wachsenden Embryo, 
sondern er erfüllt während der ersten Entwicklungsstadien auch 
hämatopoetische Funktionen. Bei den Säugern, bei welchen die 
Leber schon sehr früh als hämatopoetisches Organ zu funk- 
tionieren beginnt, hört dieser Prozess im Dottersack verhältnis- 
mässig früher auf (besonders bei der Ratte und Maus). Bei den 
Vögeln dagegen, wo die Leber keine blutbildende Funktion aus- 
übt, bleibt die blutbildende Tätigkeit des Dottersacks fast während 
der ganzen Brutperiode erhalten und er verödet erst dann, wenn 
schon das Knochenmark stark entwickelt ist. 


(. Das primäre Mesenchym ohne Wanderzellen. 


Im lockeren Bindegewebe des erwachsenen Säugetiers findet 
man bekanntlich eine grosse Anzahl verschiedener Zellarten, zum 


496 Alexander Maximow: 


Teil fixe, zum Teil wandernde Elemente. Über ihre genetischen 
Beziehungen zueinander und zu den Leukozyten des Blutes 
herrschen bis jetzt noch sehr geteilte Anschauungen und dieser 
Umstand, ebenso wie die grosse Verwirrung in der Hämatologie, 
hängt vor allem davon ab, dass auch diese Fragen bis jetzt eine 
embryologische Bearbeitung nicht gefunden haben und dass 
ihnen fast nur von seiten der Pathologen Interesse entgegen- 
gebracht wurde. Über die embryonale Histiogenese der ver- 
schiedenen Zellarten des lockeren Bindegewebes gibt es fast gar 
keine Untersuchungen. Unter „Entwicklung des Bindegewebes“ 
versteht man meistens nur „Entwicklung der faserigen Zwischen- 
substanz“, nicht die Histiogenese der zelligen Elemente. 

Es ist klar, dass man die Entwicklung der Zellformen des 
lockeren Bindegewebes nur zusammen mit der Entwicklung der 
Blutzellen studieren kann, denn diese beiden (ewebe stammen 
ja aus einer Quelle und sind ja auch im erwachsenen Organismus 
durch engste Beziehungen verknüpft. 

Es müssen vor allem folgende Fragen entschieden werden. 
Entstehen die wandernden Elemente zugleich mit den fixen Zellen 
des Bindegewebes, gleich bei der ersten Bildung des Mesenchyms, 
oder nicht? Wenn es einen primären wanderzellenlosen Zustand 
des Mesenchyms gibt, woher stammen dann die ersten Wander- 
zellen? In welcher Beziehung stehen die ersten Wanderzellen 
des Bindegewebes zu den farblosen Blutkörperchen, den Leuko- 
zyten? 

An Säugetierembryonen entsprechenden Alters, z. B. an 
Kaninchenembryonen mit 5—15 und mehr Segmenten im Alter von 
S!/a—91/s Tagen, sieht man die bekannte Erscheinung der Mesen- 
chymentwieklung. Aus dem epithelialen Verbande des Mesoblasts 
treten, namentlich an der medioventralen Seite der Ursegmente 
einzelne oder zu Gruppen vereinigte Zellen heraus und bilden 
ein lockeres Gewebe, welches sich zwischen die Keimblätter und 
die aus ihnen entstehenden Organe einschiebt und sich je nach 
der Körperstelle in grösserer oder geringerer Menge anhäuft. 
In den vorderen Körperabschnitten, vor allem im Kopf, wächst 
die Masse des Mesenchyms besonders rasch an, während man es 
in den kaudalen Körperabschnitten zuerst noch ganz vermisst 
oder sehr spärlich findet. Auch im folgenden erscheinen die 
Differenzierungsprozesse im Mesenchymgewebe in den vorderen 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 497 


Körperabschnitten, besonders im Kopf, stets weiter gediehen, als 
in den kaudalen Regionen. 

Aus welchen Zellen besteht nun dieses erste Mesenchym ’? 

In den angegebenen frühesten Entwicklungsstadien besteht es 
nur aus einer einzigen Art von Zellen (Taf. XVIII, Fig. 8 u. 10 Mz). 
Diese indifferenten Mesenchymzellen haben eine unregelmässige. 
sternähnliche, spindlige oder ästige Form. Der Zellleib entsendet 
nach allen Richtungen breite oder schmale, lange oder kurze, 
geschweifte, sich an den Enden verjüngende Ausläufer, die sich 
ihrerseits verzweigen und mit den Ausläufern der Nachbarzellen 
vereinigen, sodass ein netz- oder schwammartiges Zellgeflecht 
entsteht. Die Maschen des Netzes sind mit einer vollkommen 
strukturlosen gallertigen Masse angefüllt. 

Das Protoplasma dieser jüngsten Mesenchymzellen hat an 
ZF EAz-Präparaten einen sehr feinen retikulären Bau und ist 
leicht basophil. Der Kern ist meistens oval, manchmal an der 
Oberfläche, besonders der Sphäre entsprechend, eingedrückt und 
in seinem Inneren finden wir im zarten Liningerüst äusserst feine 
blassblaue gleichmässig verteilte Chromatinteilchen und ausserdem 
einige gröbere dunkelblaue Körner, die meistens an der Ober- 
fläche der grossen, unregelmässig geformten, eckigen Nukleolen 
angeordnet sind. Man sieht in diesen Kernen fast stets auch 
feine gleichmässig verteilte rosafarbene Körner. Es könnte sich 
vielleicht um Oxychromatin handeln. Neben dem Kern liegt im 
Protoplasma die mehr oder weniger deutliche Sphäre. Wenn 
sich die Zellen teilen, rundet sich der Zellkörper meistens voll- 
kommen ab. 

Im allgemeinen entsprechen diese Mesenchymzellen nach 
ihrem Aussehen den oben beschriebenen ästigen Zellen des peri- 
pheren mesenchymatösen Mesoblasts der area opaca, aus welchen 
die Blutinseln entstehen — es sind ja auch genetisch dieselben 
Elemente. 

Die Mesenchymzellen sind keine amöboiden Zellen, sie sind 
aber nichtsdestoweniger sicher beweglich; sie schieben sich nach 
allen Richtungen zwischen den Keimblättern durch, rücken weiter 
auseinander oder treten näher zusammen. Die Beweglichkeit 
solcher ästiger Mesenchymzellen ist bekanntlich bei Fisch- 
embryonen von Laguesse (25) am lebenden Objekt direkt be- 
wiesen worden. 


498 Alexander Maximow: 


Die beschriebenen Zellen bleiben auch für die Zukunft der 
Hauptbestandteil des Mesenchyms. Sie werden zu den fixen Zellen 
des lockeren Bindegewebes. zu den Fibroblasten und arbeiten als 
solche faserige Zwischensubstanz aus: sie verwandeln sich auch 
später in Knorpel-, Knochenzellen usw. Ihre Neubildung durch 
Auswanderung einzelner Zellen aus dem epithelialen Mesoblast 
hört bald auf und ihre Vermehrung geschieht von nun an aus- 
schliesslich auf Kosten der selbständigen Wucherung. 

Bei älteren Embryonen (Kaninchen 10—13'/. Tage, Katze 
0,7—1,0 em) bemerkt man neben der starken Zunahme des 
Mesenchyms an Masse auch gewisse Strukturveränderungen 
seiner Bestandteile. Die Zellen selbst werden vorerst (Kaninchen 
10—11 Tage) besonders gross und saftig, namentlich im Kopf- 
mesenchym und rücken weiter voneinander ab (Taf. XIX, Fig. 11, 
15, 14, 18, 26 und 27 Mz). Ihre Ausläufer stellen jetzt meistens 
platte, flügelförmig sich ausbreitende Protoplasmalamellen vor, 
die durch gegenseitige Verbindung ein lockeres schwammartiges 
Gitterwerk zustande bringen. Das Protoplasma bekommt eine 
lockerere netzige Struktur, oft erscheint es mit zahlreichen hellen 
Vakuolen erfüllt. Während der mitotischen Teilung (Taf. XVII, 
Fig. 10 Mz‘, Taf. XIX, Fig. 11 Mz‘) können die Zellen auch jetzt 
noch mitunter sich vollständig abrunden — meist bleiben sie 
aber dabei mehr oder weniger eckig. 

Im weiteren Verlauf der Entwicklung treten dann in Ab- 
hängigkeit von der Körperstelle immer deutlicher und deutlicher 
Verschiedenheiten im Mesenchymgewebe hervor. Die Zellen in 
ihrer inneren Struktur werden davon kaum betroffen. Es ändert 
sich aber bedeutend ihre Grösse und die Dichtigkeit ihrer An- 
ordnung. In der Umgebung des Gehirns, besonders an dessen 
ventrolateraler Seite, der Körperachse entlang, an der Ühorda 
und den sich zu einem Gefäss vereinigenden Aorten und an der 
ventralen Seite des Rückenmarks, an vielen Stellen der Rumpf- 
wand, im Septum transversum, endlich in der Allantois nimmt 
das Mesenchym eine mehr lockere Beschaffenheit an, indem die 
Zellen durch reichliche Interzellularsubstanz weiter auseinander- 
geschoben werden und besonders lange, zarte Ausläufer be- 
kommen. Auch in den angegebenen Bezirken kann man natürlich 
bedeutende graduelle Ungleichmässigkeiten erkennen und sind 
auch speziell die Zellen an den einen Stellen kleiner und 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 499 


schmächtiger, an den anderen grösser und saftiger. An der Ober- 
fläche des Körpers, unter dem Hornblatt, an den Ursegmenten, 
im Stirnfortsatz, im oberen und unteren Kieferfortsatz, in den 
Kiemenbögen, in den Extremitätenstummeln, ferner in der Wand 
der Lungen und des Darmes nimmt das Mesenchym schon sehr 
frühzeitig eine dichtere Beschaffenheit an, indem die Zellen hier 
sich stark vermehren, klein bleiben und sich sehr dicht aneinander- 
lagern, wobei die Ausläufer natürlich zu ganz kurzen Verbindungs- 
brücken reduziert werden und die Interzellularräume sehr schmal 
werden. An manchen Stellen, z. B. in den Kiemenbögen und den 
Extremitäten kann dieses Zusammenrücken der Zellen so weit 
gehen, dass die Zellleiber der einzelnen Zellen tatsächlich zu ver- 
schmelzen scheinen und man eine kontinuierliche Protoplasma- 
masse mit dicht gedrängten Kernen erhält. 

Bekanntlich haben einige Autoren, die die Entwicklung der 
faserigen (Grundsubstanz des Bindegewebes untersuchten, das 
Mesenchym in den frühen Stadien als Synzytium bezeichnet und 
die hellen Räume zwischen den Zellen, wo später die Kollagen- 
fasern auftreten, als Exoplasma aufgefasst (Mall|28], Retterer). 
Ich finde, dass man eine solche Bezeichnung nur den eben be- 
schriebenen, äusserst diehten Mesenchymabschnitten geben kann 
— auch hier lösen sich übrigens mit der weiter fortschreitenden 
Entwicklung die Zellen gewöhnlich wieder voneinander und die 
ästigen Ausläufer treten wieder auf — das Zusammenfliessen zu 
einem Synzytium war also bloss ein scheinbares. Ganz unpassend 
ist sie aber meiner Meinung nach für das gewöhnliche Mesen- 
chym — hier kann man sich an einem frischen Zupfpräparat 
leicht davon überzeugen, dass man es nicht mit einem Synzytium, 
sondern tatsächlich mit scharf konturierten, netzartig verbundenen 
Zellkörpern von bestimmter äusserer Form zu tun hat — wie es 
auch Spuler (56) seinerzeit beschrieben hat. 

In den frühen Entwicklungsstadien des Mesenchyms, die 
uns jetzt interessieren, tritt an seinen Zellen sehr regelmässig 
eine Erscheinung hervor, über die ich in der Literatur keine 
Angaben finden konnte. 

An einigen zum Teil ganz bestimmten Körperstellen beobachtet 
man nämlich im Protoplasma der Mesenchymzellen eigentümliche 
Einschlüsse, die sich manchmal in grossen Mengen anhäufen und 
das Aussehen der Zellen stark verändern (Taf. XVIL, Fig. 7 u.8 


500 Alexander Maximow: 


Mz u.Mz'). Im Protoplasma liegen grössere und kleinere, kugelige 
oder eckige Körner und Schollen, meist in hellen Vakuolen 
gebettet. Sie bestehen aus verschiedenen Substanzen, denn ein 
Teil von ihnen färbt sich mit EAz rot oder violett, der andere 
mehr oder weniger dunkelblau. Die Nuancen sind übrigens so 
mannigfaltig, dass ich sie auf den Zeichnungen nicht alle wieder- 
geben konnte, es kommen z. B. himmelblaue, grünliche, anderer- 
seits tiefblaue, fast schwarze Teilchen vor. Meistens bestehen 
die Schollen aus beiden Substanzen, der erythrophilen und der 
zyanophilen zugleich, in der Art, dass eine rote oder violette 
Kugel eine oder mehrere blaue kleinere Kugeln in ihrem Innern 
enthält oder an der Oberfläche mit einer oder mehreren tief- 
blauen Kalotten versehen erscheint (Fig. 7 u. 53). Seltener sieht 
man blaue Ringe (Hohlkugeln) mit hellem oder erythrophilem 
Inhalt. 

Wenn die Einschlüsse spärlich sind, ändern sie die äussere 
Form der Zelle nicht. Wenn sie aber eine Zelle in grosser 
Anzahl erfüllen, dann erscheint dieselbe meistens abgerundet 
und von den benachbarten Zellen isoliert; auch der Kern ist 
dann meistens deformiert und zur Seite geschoben. Es entstehen 
grosse, mit Einschlüssen beladene runde Zellen (Fig. 7), die aber 
nicht als echte Wanderzellen bezeichnet werden dürfen. 

Beim ersten Anblick lassen die beschriebenen Bilder Pha- 
gozytose von seiten der Mesenchymzellen vermuten: die Ein- 
schlüsse sehen tatsächlich degenerierenden verschlungenen Zell- 
resten äusserst ähnlich aus. Phagozytäre Erscheinungen kommen 
nun allerdings im Mesenchym, wie wir sehen werden, wohl vor, 
aber in dem gegebenen Falle kann es sich doch kaum um 
Phagozytose handeln; man findet eben fast gar keine richtigen 
degenerierenden Zellen ausserhalb und innerhalb der mit Ein- 
schlüssen beladenen Mesenchymzellen. Man könnte die Vermutung 
äussern, dass es sich einfach um Dotterplättchen handle. Man 
findet auch tatsächlich an einigen Stellen im Epithel der Gehirn- 
blasen, im Epithel der Mundhöhle oft ganz ähnliche Einschlüsse, 
allerdings in viel geringerer Menge, als im Mesenchym. Aber 
gegen diese Annahme spricht der Umstand, dass bei dem ersten 
Entstehen des Mesenchyms, z. B. bei Kaninchenembryonen von 
8Y2--9 Tagen die Einschlüsse gewöhnlich noch spärlich sind, 
später aber, bei Kaninchenembryonen von 9°/4—10 Tagen oder 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. >01 


Katzenembryonen von 6—7 mm an Menge stark zunehmen. 
Ausserdem sehen die unzweifelhaften Dotterplättchen, wie man 
sie in den Entodermzellen der Dotterblase findet, anders aus 
(Fig. 2 Ent) — es sind regelmässig kugelige, erythrophile Körner. 

Es handelt sich also augenscheinlich um ein Elaborat des 
Protoplasmas der Mesenchymzellen. Man kann auch in der Tat 
beobachten, wie sich die Einschlüsse im Plasma einer Zelle aus 
zuerst winzig kleinen erythrophilen Körnchen entwickeln, wie 
diese allmählich wachsen und wie dann in ihrem Inneren oder 
an ihrer Oberfläche auch die zyanophile Substanz erscheint. 

Die physiologische Bedeutung dieser Erscheinung ist voll- 
kommen dunkel. Es ist möglich, dass die Substanz der Ein- 
schlüsse nachträglich als ein besonderes Sekret von den Zellen 
ausgeschieden wird; dafür sprechen die weiter unten beschriebenen 
Befunde bei der Entwicklung der Gefässanlagen im Körper- 
mesenchym (Fig. 8 u. 9). Sehr interessant ist aber die Verteilung 
der mit Einschlüssen versehenen Mesenchymzellen im Körper. 
Zuerst sind sie, wie gesagt, spärlich, man findet sie aber schon bei 
Kaninchenembryonen von S Tagen 19 Stunden mit 10 Segmenten 
(Fig. SMz u. Mz‘'). Später nehmen sie an Zahl zu, bis sie in den 
oben angegebenen Stadien die Höhe ihrer Ausbildung erreichen. 
Im folgenden nimmt ihre Zahl wieder ab und sie verschwinden 
allmählich, einzelne Mesenchymzellen mit Einschlüssen habe ich 
aber in verschiedenen Körperteilen sogar bei Kaninchenembryonen 
von 13'/’»—14 Tagen und bei Katzenembryonen von 1 cm gesehen. 

Einzelne mit Einschlüssen beladene Mesenchymzellen können 
überall im Körper vorkommen, besonders dort, wo das Mesenchym 
locker ist. An einigen bestimmten Stellen sammeln sie sich aber 
in auffallend grossen Mengen an. Hier ist vor allem das Kopf- 
mesenchym zu nennen und zwar speziell die Austrittsstellen 
gewisser Hirnnerven aus dem Gehirn, des facialis, acusticus, 
glossopharyngeus und vagus. Auch am Ganglion Gasseri sieht 
man viele solche Zellen, ferner liegen sie in Haufen hart an 
der Wand der vena jugularis. In einem Falle sah ich sogar 
zwei solche Zellen innerhalb einer Kapillare am Gehirn liegen. 
Ausserdem findet man grössere Mengen von Einschlüssen in den 
Mesenchymzellen an dem oberen und unteren Kieferfortsatz und 
an den Kiemenbögen, an der Grenze des verdichteten Mesenchyms 
mit dem lockeren, ferner in dem der Perikardialhöhle zugekehrten 


502 Alexander Maximow: 


Teil des Septum transversum, an den Urnierenkanälchen und 
auch in der Allantois. 

Es muss notiert werden, dass die beschriebenen Einschlüsse 
zwar bei allen Embryonen in den bezeichneten Stadien nach- 
gewiesen werden können, dass sie aber bei einigen sonst ganz 
normalen Fxemplaren in ganz aussergewöhnlichen Mengen 
auftreten. 


8. Die Wanderzellen des Mesenchyms. 


Ich habe schon gesagt, dass man in den frühesten Ent- 
wicklungsstadien im Mesenchym nur eine einzige Zellart findet 
Bei seiner ersten Entstehung besitzt das Mesenchym keine 
Wanderzellen. Sie treten erst nachträglich, allerdings schon sehr 
früh auf. 

Das früheste Stadium, wo ich die ersten Wanderzellen im 
Mesenchym entstehen sehe, ist das von 9°/ı Tagen für das 
Kaninchen. Hier ist das Mesenchym im Bereich der Körpers 
schon ziemlich reichlich. Es besteht aus grossen, saftigen, 
ästigen Zellen, die übrigens an manchen Stellen auch ziemlich 
klein sein können (Taf. XIX, Fig. 11—14 Mz) und enthält viele 
Blutgefässe, die ein besonders dichtes Netz unmittelbar an der 
Oberfläche der Hirnblasen bilden. Der jetzt beginnende Prozess 
der Wanderzellenbildung verläuft auch in etwas späteren Stadien 
(Kaninchenembryo 10—10!/sz Tage) in gleicher Weise weiter. 

Man bemerkt (Fig. 11—14 Lwz), wie an vielen Stellen 
einzelne Mesenchymzellen, vornehmlich am Vorderhirn und 
meistens in der Nähe von Blutgefässen, sich kontrahieren und 
abrunden. Die breiten steifen Fortsätze werden eingezogen, der 
Zellkörper nimmt eine annähernd kugelige Form an und bleibt 
noch zuerst mit den Nachbarzellen durch feine protoplasmatische 
Brücken verbunden, die aber bald verschwinden, sodass die Zelle 
ganz frei wird. Sie fängt sofort an, breite amöboide Vorstösse 
zu bilden, sie wird amöboid und wandert in den von homogener 
Zwischensubstanz erfüllten Räumen zwischen den Mesenchym- 
zellen umher. Zu gleicher Zeit ändert sich auch die innere 
Struktur der Zelle. Das Protoplasma bekommt ein sehr dichtes 
Gefüge und eine stärkere Basophilie, färbt sich dunkler mit 
Azur und es erscheinen in ihm zahlreiche feine Vakuolen (Fig. 11 
und 14 Lwz). Die Sphäre tritt äusserst deutlich als scharf 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 5053 


abgegrenzter, mit EAz sich rotviolett färbender Körper (Fig. 11) 
hervor. Sehr oft (Fig. 15 Lwz) erscheint die Sphäre nach 
E Az-Färbung als heller Hof mit einem roten Korn, der Zentriolen- 
gruppe in der Mitte. Der Kern wird meistens etwas kleiner, 
seine Form wird unregelmässig, er bekommt Einkerbungen und 
Falten an der Oberfläche, besonders an der Seite, wo die Sphäre 
liegt, seine Membran wird dicker, färbt sich dunkler, das 
Chromatin im Innern verändert sich aber bloss unbedeutend, 
ebenso auch die grossen eckigen Nukleolen. 


In einigen Fällen, selbst in etwas späteren Stadien, sieht 
man den beschriebenen Prozess der Abrundung und Isolierung 
sich auch an wirklichen Gefässendothelzellen abspielen (Fig. 158). 
Der platte Zellkörper bildet an seiner äusseren Oberfläche 
Pseudopodien, allmählich rückt die Zelle aus dem Verbande der 
Endothelzellen heraus und gelangt ins Gewebe. 


Nicht selten bemerkt man ferner schon bei dem ersten 
Auftreten der Wanderzellen, dass einige von ihnen einen etwas 
abweichenden morphologischen Charakter annehmen. Das Proto- 
plasma bleibt hell und schwach basophil, es erfüllt sich oft mit 
grossen unregelmässigen Vakuolen, der Kern erhält aber besonders 
tiefe Falten und Einschnürungen (Taf. XIX, Fig. 16x), wobei man 
in seinem Inneren gröbere eckige Uhromatinteilchen neben den 
Nukleolen auftreten sieht; die Sphäre ist weniger deutlich, als 
im ersten Fall. Diese Wanderzellen von etwas abweichender 
Form und Aussehen sind mit den an erster Stelle beschriebenen 
stets durch eine Reihe von fliessenden Übergangsformen ver- 
bunden. 


Alle jungen Wanderzellen können selbständig weiter wuchern 
und man findet in ihnen Mitosen, die den typischen Mitosen der 
Blutlymphozyten völlig gleichen. 


Aus der angeführten Beschreibung erhellt, dass die ersten 
Wanderzellen,. die im Mesenchym auftreten, nach ihrer Struktur 
und ihrem Aussehen, wenigstens zum grössten Teil, vollständig 
den grossen Lymphozyten entsprechen, wie wir sie in dem blut- 
bildenden Gefässnetz der area vasculosa aus den primitiven 
Blutzellen haben entstehen sehen. Wenn sich ein Teil der 
Zellen auch durch schwächere Basophilie und einen kleineren, 
unregelmässigeren Kern auszeichnet, so sind diese Unterschiede 


504 Alexander Maximow: 


am Ende doch sehr unbedeutend und ausserdem lassen sich 
diese Zellen von den übrigen keineswegs scharf trennen. 

Auch genetisch sind die ersten Wanderzellen des Mesenchyms 
den grossen Lymphozyten der area vasculosa ganz gleichwertig. 
Diese letzteren sind ja in letzter Instanz auch abgerundete 
mobile Mesenchymzellen, ebenso wie die im Körpermesenchym 
entstehenden Wanderzellen. Also gehören die ersten Gewebs- 
wanderzellen des Säugetierembryo und die ersten Blutlymphozyten 
zu ein und demselben Zellstamm, obwohl die letzteren an anderen 
Stellen des Mesenchyms und früher entstehen. Die gleich am 
Anfang hervortretenden abweichenden Merkmale eines Teils der 
Gewebswanderzellen hängen sicherlich nur von den etwas 
abweichenden äusseren Existenzbedingungen ab, in denen sich 
die betreffenden Zellen befinden. 

Histiogene und hämatogene Wanderzellen dürfen also über- 
haupt nicht als zwei gesonderte Zelltypen betrachtet werden. 
Die Bezeichnungen selbst dürfen wohl gebraucht werden, aber 
nur um den jeweiligen Aufenthaltsort der Zellen zu kennzeichnen. 
Wir werden noch weiter sehen, dass alle diese Zellen keineswegs 
an ihren Ursprungsort gebunden sind und dass eine hämatogene 
Wanderzelle, ein Blutlymphozyt ins Gewebe und umgekehrt eine 
Iymphozytoide histiogene Wanderzelle ins Blut als vollgültige 
Ersatzzelle übertreten kann. 

Wie beim Kaninchen, so entstehen die ersten Wanderzellen 
im Mesenchym auch bei den anderen Säugern. So finde ich es 
z.B. bei der Katze, dem Meerschweinchen, der Maus und der 
Ratte. Hier treten in entsprechenden Stadien, ebenfalls zuerst 
im Kopfmesenchym, ziemlich grosse Iymphozytenähnliche Wander- 
zellen auf und sie entstehen hier ebenfalls durch Abrundung und 
Mobilisierung der Mesenchymzellen, oft auch der Peri- und Endothel- 
zellen der Gefässe (Fig. 23 Lwz). 

Mit der weiteren Entwicklung der intravaskulären Lympho- 
zyten der area vasculosa sind wir bekannt. Die weitere Ent- 
wicklung der ersten Iymphozytenähnlichen Gewebswanderzellen 
verläuft auf andere Weise und führt zu anderen Resultaten. Das 
kann aber selbstverständlich nicht als Beweis gegen die Zu- 
sammengehörigkeit der intra- und extravaskulären Iymphozytoiden 
Wanderzellen angesehen werden. Der verschiedene Entwicklungs- 
modus hängt bloss davon ab, dass die Zellen sich auch in ganz 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 505 


verschiedenen Existenzbedingungen, die einen 'ntravaskulär im 
Blutplasma, die anderen extravaskulär im embryonalen Binde- 
gewebe befinden. Es wäre im Gegenteil viel weniger verständlich, 
wenn sie sich dabei in der gleichen Weise weiter entwickeln 
würden. 

Bei einem Kaninchenembryo von 11 oder noch besser von 
12 Tagen (9,5 mm Länge) (Katzenembryo von 7 mm) ist das 
Mesenchym schon sehr reichlich, besonders im Kopf und im 
der Umgebung der Aorta und Chorda. Hier sehen wir schon 
sehr viele Wanderzellen, wobei die allermeisten sich im Kopf- 
mesenchym, in der Nähe der Gehirnwand, vornehmlich an ihrer 
ventrolateralen Seite befinden. Sie sind aber auch hier ziemlich 
ungleichmässig verteilt. In dem die Chorda und die Aorta um- 
gebenden lockeren Mesenchym werden sie in der kaudalen Richtung 
immer spärlicher. In der seitlichen Rumpfwand sind sie vor- 
läufig auch nicht zahlreich. Von sonstigen Stellen, wo man schon 
in diesem Stadium Wanderzellen immer trifft, kann man noch 
das Septum transversum nennen und das halbkugelförmige, aus 
sehr lockerem und saftigem Mesenchym bestehende Polster, 
welches beim Kaninchen von der Allantois an der Ansatzstelle 
des Embryo an die Plazenta zu der angegebenen Zeit gebildet 
wird. An allen Stellen, wo das Mesenchym eine dichtere Be- 
schaffenheit hat, sind die Wanderzellen sehr selten. In den 
Kiemenbögen, dem Unter- und Öberkieferfortsatz und in den 
Extremitäten fehlen sie in dem synzytialen Mesenchym vollständig. 

In noch späteren Stadien (Kaninchen 12 Tage 19 Stunden), 
wo die Gesamtmasse des Mesenchyms noch mehr zugenommen 
hat, bleibt die beschriebene relative Verteilung der Wanderzellen 
dieselbe. Ihre absolute Zahl wird aber noch grösser. Dann findet 
man sie auch zwischen den Kanälchen der Urniere, im Mesen- 
terium des Darmes usw. Sehr interessant ist es ferner, dass die 
im folgenden beschriebenen kleinkernigen pseudopodienreichen 
Wanderzellen schon sehr früh und in noch viel grösseren 
Mengen, als im Körpermesenchym, im Bindegewebe des Amnions 
auftreten — so finde ich sie besonders zahlreich, zu grossen 
Gruppen vereinigt, bei einem Kaninchenembryo von 12 Tagen an 
den Stellen, wo das Amnion in die Rumpfwand übergeht. Wander- 


zellen im Amnion sind bereits von Spuler (56) beobachtet 
worden. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 33 


506 Alexander Maximow: 


Wenn die Wanderzellen schon bei ihrer ersten Entstehung 
etwas verschieden aussahen, so sind sie jetzt schon sehr mannig- 
faltig geworden und die meisten von ihnen unterscheiden sich 
sehr bedeutend von dem ursprünglichen Iymphozytoiden Typus. 

Die meisten von ihnen (Taf. XIX, Fig. 20, 21, 22, 26 Wz) 
sind kleiner geworden, obwohl die Grösse bedeutend wechselt 
und stellen äusserst bewegliche, stets mit einer Menge zackiger 
oder abgerundeter, auch gestielter Pseudopodien an der Ober- 
fläche versehene Elemente vor. Die äussere Form ist sehr ver- 
schieden, was von den Bewegungen der Zellen abhängt. Das 
Protoplasma hat einen feinen retikulären Bau, ist aber zum 
Unterschied von den Lymphozyten sehr blass und nicht basophil; 
im Gegenteil, es erhält an ZF EAz-Präparaten (besonders bei der 
Katze, Fig. 27 Wz, Wz‘) oft einen leicht rötlichen Ton. Sehr 
charakteristisch sind die zahlreichen, grossen und kleinen hellen 
Vakuolen, die den ganzen Zellleib erfüllen. Sehr typisch ist auch 
der Kern — er ist relativ sehr klein und sieht wie geschrumpft 
aus, da seine Membran tiefe Falten und Furchen bildet. Im 
Inneren sieht man mehrere kleinere und grössere Chromatin- 
teilchen und nur undeutlich hervortretende kleine Nukleolen. 
Der Kern ist entweder sehr blass (Fig. 26 Wz links oben), oder 
er nimmt im Gegenteil eine gerade besonders dunkle Färbung 
an (Fig. 26 Wz rechts oben). Die Sphäre ist meistens viel kleiner, 
als in den Lymphozyten. 

Im Vergleich mit den grossen Iymphozytoiden Wanderzellen 
der früheren Stadien (Fig. 11—14 Lwz) fällt hier also besonders 
die Abnahme der Basophilie im Protoplasma, seine relative Zu- 
nahme an Masse und die grossen Vakuolen auf, während der 
Kern sehr klein wird, unregelmässige Formen bekommt und sich 
entweder ebenso hell, wie das Protoplasma, oder im Gegenteil 
noch viel dunkler färbt. 

Es lassen sich übrigens stets in den Staaien, die ich jetzt 
beschreibe, doch auch ziemlich oft ganz dieselben Iymphozytoiden 
Wanderzellen finden, wie früher. Unter ihnen gibt es wieder 
sehr grosse und andererseits sehr kleine, zwerghafte Formen. 

Ferner, und das ist sehr wichtig, kommen auch wandernde 
Zellen vor, die nach ihrem morphologischen Charakter alle mög- 
lichen Übergangsformen zwischen den kleinkernigen, blassen, 
vakuolisierten Formen und den basophilen, Iymphozytoiden 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 507 


repräsentieren. So gibt es ziemlich grosse oder auch kleine 
Zellen (Fig. 26x), die nach dem Massenverhältnis von Kern und 
Plasma den Lymphozyten entsprechen, die aber sehr blass sind, 
viele kleine Pseudopodien aufweisen und deren Kern eine stark 
gefaltete Membran besitzt. Andere Zellen sind wieder glatt 
konturiert und kugelig wie Lymphozyten, haben auch manchmal 
ein deutlich basophiles Plasma und eine grosse Sphäre — der 
Kern ist aber klein, geschrumpft und färbt sich dunkler, als das 
Protoplasma (Fig. 17 und 27 Wz rechts oben). 

Der Ursprung aller der beschriebenen Wanderzellenformen 
im Mesenchym tritt auch in diesen späteren Stadien klar hervor. 
Überall, wo man sie erblickt, sieht man sie auch weiter in loco 
aus gewöhnlichen Mesenchymzellen neu entstehen (Fig. 18, 19 
und 26 y, Fig. 27 Wz links). Die betreffenden Zellen kontrahieren 
sich, ziehen ihre Ausläufer allmählich ein, bilden dafür kleine 
scharf konturierte Pseudopodien, das Protoplasma erfüllt sich mit 
Vakuolen, der Kern schrumpft und wird dunkel — auf diese 
Weise entstehen die kleinkernigen blassen Wanderzellen. Ausser- 
dem sieht man aber hin und wieder, obzwar selten, auch Neu- 
entstehung von Iymphozytoiden Wanderzellen aus den Mesen- 
chymzellen. Sehr oft, besonders an den am Gehirn verlaufenden 
Blutgefässen, kann es sich dabei speziell um Endo- oder Perithel- 
zellen handeln, 

Nach ihrer Isolierung wuchern die Wanderzellen selbständig 
weiter und diese Mitosen sehen in der Regel überaus charakte- 
ristisch aus (Fig. 21 und 27 Wz‘) — der blasse rundliche Zell- 
leib behält die kleinen zackigen oder gestielten Pseudopodien, 
im Inneren liegt die stark verklumpte Uhromosomenmasse. 

In den beschriebenen Stadien haben also die jetzt schon 
sehr zahlreichen Wanderzellen im Mesenchym ein sehr ver- 
schiedenes Aussehen. Zum grössten Teil unterscheiden sie sich 
schon sehr bedeutend von den Lymphozyten des Blutes. Das 
genaue Studium ihrer Entwicklungsgeschichte belehrt uns aber, 
dass diese Schwankungen des morphologischen Charakters und 
speziell die Entfernung vom Lymphozytentypus uns keinen ge- 
nügenden Grund geben, die Wanderzellen des Mesenchyms von 
den im Blute befindlichen Lymphozyten genetisch scharf zu trennen. 
Erstens haben wir gesehen, dass die ersten im Mesenchym auf- 


tretenden Wanderzellen den Lymphozyten auch in bezug auf ihre 
33* 


508 Alexander Maximow: 


innere Struktur mehr oder weniger vollkommen entsprechen. 
Später erhalten allerdings, wie wir sehen, mit der Zunahme der 
(Gesamtzahl der Wanderzellen die meisten von ihnen ein anderes 
Aussehen, aber ein Teil von ihnen geht ja aus den ersten, Iympho- 
zytoiden durch eine Reihe von Teilungen direkt hervor und wir 
sehen auch eine ganze Reihe fliessender Übergangsformen zwischen 
den verschiedenen Typen der Wanderzellen. Ausserdem werden 
wir in einem weiteren Abschnitte noch sehen, dass gelegentlich 
an bestimmten Stellen im Mesenchym die darin befindlichen 
Wanderzellen infolge unbekannter Einflüsse genau dieselbe Ent- 
wicklungsrichtung einschlagen können, wie die intravaskulären 
Lymphozyten in der area vasculosa und auch Erythroblastenherde 
erzeugen. Beweise für ihre direkte Verwandlung in richtige 
Lymphozyten wird uns auch noch das Studium der Blutbildung 
in der Leber liefern. 

Nicht selten kann man beobachten, besonders an den 
Kapillaren, die das Gehirn umflechten (Kaninchenembryo 12 Tage), 
wie einzelne blasse histiogene Wanderzellen durch Migration in 
die Gefässe hineingelangen — man findet sie auch, obzwar sehr 
selten, im zirkulierenden Blut. Umgekehrt können sicherlich 
auch einzelne Blutlymphozyten schon bei sehr jungen Embryonen 
aus engen Gefässen in das Mesenchym übertreten. Endlich 
werden wir auch weiter unten sehen, dass die Endothelzellen der 
Aorta an bestimmten Stellen unter Wucherung und Abrundung 
Zellformen liefern, die zuerst morphologisch vielen von den im 
Mesenchym herumkriechenden Wanderzellen völlig gleichen, dann 
aber vom Blut fortgeschwemmt werden und sich dabei in echte 
Lymphozyten verwandeln. Es möge auch noch darauf hingewiesen 
werden, dass die kleinkernigen blassen Wanderzellen des Mesen- 
chyms den oben beschriebenen Phagozyten endothelialer Herkunft 
in den Gefässen der area vasculosa morphologisch vollkommen 
entsprechen. 

Auch die Wanderzellen des Mesenchyms, die „histiogenen 
Wanderzellen“ sind folglich einfach abgerundete Mesenchymzellen, 
ebenso wie die Blutlymphozyten. Sie stellen zusammen mit den 
letzteren einen einzigen grossen Stamm der Wanderzelien vor. 
Diese Feststellung hat selbstverständlich eine sehr grosse Be- 
deutung, nicht nur für die Hämatologie allein, sondern auch für 
die anderen Zweige der morphologischen Wissenschaft und auch 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 509 


für die Pathologie, speziell für die I,ehre von der Histiogenese 
der Entzündung. 

Es ist bekannt, wie viel Kontroversen es gerade in dieser 
Wanderzellenfrage gibt — dies ist auch leicht erklärlich, denn 
die Wanderzellen stellen eine äusserst polymorphe Zellgruppe vor. 
Wir sehen ja, dass diese Eigenschaft schon bei ihrem ersten 
Auftreten im Embryo hervortritt, dass wir gleich am Anfang 
histiologisch mehrere Zelltypen unterscheiden können. Wenn 
wir diese letzteren nur im erwachsenen Organismus oder in den 
späteren Embryonalstadien untersucht hätten, könnten wir uns 
leicht verleiten lassen, sie auch genetisch scharf zu trennen und 
für sie verschiedene Stammbäume zu konstruieren — im Wirk- 
lichkeit, bei genauer Verfolgung ihrer ersten Entstehung erweist 
es sich aber, dass die Unterschiede, die die einzelnen Wander- 
zellen bieten, eigentlich keine grosse Bedeutung haben, dass sie 
ausserordentlich labil und veränderlich sind. Diese Unterschiede 
sind nur das Resultat dessen, dass ein indifferenter, mit hoher 
Entwicklungspotenz ausgestatteter und eine ausgesprochene 
Neigung zur Polymorphie besitzender Zellstamm, die abge- 
rundeten wandernden Mesenchymzellen, in jedem einzelnen ge- 
gebenen Fall je nach Körperstelle und Entstehungszeit in sehr 
verschiedene Existenzbedingungen gelangen, durch welche die Ent- 
wicklung in eine ganz bestimmte Bahn geleitet wird. Im Grunde 
genommen ist jedoch die genetische und die prospektive Be- 
deutung aller Wanderzellenarten des Mesenchyms und des Blutes 
ein und dieselbe. 

Von anderen Autoren sind die Wanderzellen des Mesen- 
chyms am genauesten von Saxer (49) beschrieben worden. Er 
hat sie aber erst in viel späteren Stadien untersucht; ihre Ent- 
stehung an Ort und Stelle aus den Mesenchymzellen ist ihm 
unbekannt geblieben. Er trennt diese Wanderzellen, die er 
„primäre“ nennt und die er zuerst nur Erythroblasten produzieren 
lässt, von den eigentlichen Leukozyten, die seiner Meinung nach 
aus ihnen erst viel später entstehen. Auch dies muss jetzt 
korrigiert werden, denn die Wanderzellen des Mesenchyms sind 
erstens gar nicht „primär“, sondern entstehen später, als die 
Blutlymphozyten und zweitens gehören sie mit diesen letzteren 
zu ein und demselben Zellstamm und dürfen von ihnen nicht 
getrennt werden. Die Lymphozyten verdienen aber mit Fug und 


510 Alexander Maximow: 


Recht den Namen Leukozyten — es sind ja echte ungranulierte 
weisse Blutkörperchen. In der Arbeit von Spuler (56) über 
die Histiogenese der Bindesubstanzen werden ebenfalls Wander- 
zellen im embryonalen Mesenchym, allerdings in viel späteren 
Entwicklungsstadien erwähnt, die nach ihrem schwammigen 
Protoplasma sicherlich den von mir beschriebenen Wanderzellen 
entsprechen. 

So haben wir also in den beschriebenen Entwicklungsstadien 
im Mesenchym zwei Zellarten: die gewöhnlichen Mesenchymzellen 
und die Wanderzellen. Die ersten können als fixe Elemente be- 
trachtet werden — sie verwandeln sich mit der Zeit in die 
Fibroblasten, Knorpelzellen usw. Die Wanderzellen bilden zu- 
sammen mit den Lymphozyten des Blutes und der blutbildenden 
Organe einen Zellstamm der abgerundeten mobilen indifferenten 
Mesenchymzellen. 

Wie lange die Fähigkeit der fixen Mesenchymzellen, sich 
durch Abrundung in Wanderzellen zu verwandeln, bestehen bleibt, 
ist auch eine sehr wichtige Frage. In den spätesten Entwicklungs- 
stadien, die ich in dieser Arbeit behandle (Kaninchenembryo 
14 Tage), dauert dieser Prozess noch fort, allerdings in schon 
etwas abgeschwächtem Grade, sodass man die entsprechenden 
Bilder schon seltener findet. Die Wanderzellen wuchern eben 
vornehmlich selbständig weiter. Doch ist es sicher, dass die Ver- 
wandlung der fixen Mesenchymzellen in Wanderzellen auch noch 
in viel späteren embryonalen Stadien (vielleicht auch im post- 
fetalen Leben) vorkommt, nur wird sie allmählich auf gewisse 
spezielle Bezirke des Mesenchyms beschränkt und immer mehr 
und mehr lokalisiert, so z. B. auf die Stellen, wo Lymphknoten 
entstehen. Jedenfalls befindet sich Saxer (l. ce. S. 519) im 
Unrecht, wenn er bewiesen zu haben glaubt, dass selbst in 
frühen Zeiten embryonaler Entwicklung keine Wanderzellen aus 
fixen Gewebselementen hervorgehen. Die oben geschilderten Tat- 
sachen beweisen gerade das Gegenteil. 

Im Vergleich mit den Literaturangaben ist es interessant 
zu bemerken, dass sich die Ansicht von der extravaskulären Ent- 
stehung der Leukozyten (H. E. Ziegler [69], v. d. Stricht [58]) 
an und für sich eigentlich als richtig erweist. Gewiss entstehen 
den Leukozyten (Lymphozyten) gleichwertige Wanderzellen ausser- 
halb der Gefässe, im Mesenchym. Die betreffenden Autoren 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 5ll 


haben aber die frühesten Entwicklungsstadien nicht untersucht 
und deswegen nicht erkannt, dass dieselben Zellen schon früher, 
intravaskulär, direkt aus den Zellen der Blutinseln entstehen. 
Die extravaskuläre Entstehung der Leukozyten kann also keines- 
wegs als eine primäre Erscheinung angesehen werden. Die im 
Mesenchym auftauchenden Wanderzellen sind bloss die viel später 
und an anderem Ort entstandenen und demgemäss anders aus- 
sehenden Schwesterzellen der primär intravaskulär aus den Blut- 
inseln hervorgegangenen Lymphozyten. 


9. Über die Bildung von Gefässanlagen mit Blut- 
zellen im Körpermesenchym. 


Wir haben gesehen, dass die ersten Anlagen der (efässe 
und des Blutes im peripherischen mesenchymatösen Mesoblast 
der area opaca entstehen. Das Mesenchym des Körpers ist 
diesem mesenchymatösen Mesoblast in bezug auf die Bedeutung 
seiner Zellen ganz gleichwertig. Es darf uns also eigentlich 
nicht verwundern, dass auch im Körpermesenchym Blut- und 
Gefässelemente auf prinzipiell dieselbe Weise entstehen können. 

Es ist bekannt (Bonnet|1|, Mollier [48]), dass die ento- 
embryonalen Gefässe in loco aus Gefässzellen entstehen, die 
eigentlich gewöhnliche Mesenchymzellen sind, welche eine 
besondere Funktion und dementsprechend eine besondere platte 
Form usw. annehmen. Die früheren Lehren von dem direkten 
Einwachsen der exoembryonalen Gefässe in den Körper in Form 
solider, nachträglich hohl werdender Sprossen, oder umgekehrt 
von dem Auswachsen der intraembryonalen Gefässe aus dem 
Herzen sind verlassen worden. Bis jetzt hat man aber immer 
nur Bildung von leeren Gefässen im Körpermesenchym gesehen, 
während die Blutkörperchen ausschliesslich aus dem Gefässnetz 
der area vasculosa in sie hineingeschwemmt werden sollten. 
Nur allein bei den Teleostiern kommt bekanntlich Gefäss- und 
Blutbildung zusammen zuerst gerade im Körper vor, während 
das Gefässnetz auf dem Dotter erst später entsteht. 

In den frühesten Embryonalstadien, z. B. bei einem Kaninchen- 
embryo mit 5—-10 Ursegmenten, finde auch ich in meinen Prä- 
paraten die bekannten Bilder der Entstehung von Gefässen aus 
Gefässzellen, die zugleich mit den gewöhnlichen Mesenchymzellen 
aus dem Mesoblast hervorgehen und, wie gesagt, eigentlich auch 


512 Alexander Maximow: 


Mesenchymzellen sind. Es lassen sich aber in diesen Stadien 
und auch in etwas späteren gewisse Erscheinungen beobachten, 
die die Sache doch etwas komplizierter erscheinen lassen. Es 
können nämlich die die Gefässe bildenden Gefässzellen zum Teil 
sicher auch primitive Blutzellen liefern, wie ich es oben in der 
area vasculosa beschrieben habe, allerdings in viel geringerem 
Grade und auf etwas modifizierte Weise; das Merkwürdige ist 
dabei noch der Umstand, dass man dies durchaus nicht bei allen 
Embryonen gleichen Alters in gleich deutlicher Weise hervor- 
treten sieht; bei den einen werden alle Gefässe im Körper als 
fast ganz leere Röhren gebildet, bei anderen, im Übrigen ganz 
normalen, entstehen mit der Gefässwand zugleich auch Blutzellen. 

Dieser Vorgang ist auf der Fig. 8 der Taf. XVIII dargestellt. 
Man sieht hier den gleich nach hinten von der paarigen Herz- 
anlage geführten Querschnitt eines Kaninchenembryo von 5 Tagen 
19 Stunden mit 10 Segmenten, an der Stelle, wo über dem 
Entoderm (Ent) die rechte Aorta entsteht (s). Das Mesenchym 
ist hier sehr zellreich, zum Teil sind seine Zellen (Mz) sogar zu 
einer Art Synzytium verbunden (Mz‘) und enthalten viele Ein- 
schlüsse, wie sie oben beschrieben worden sind. Hart über dem 
Entoderm treten nun die Mesenchymzellen zu einem der Körper- 
achse parallel gerichteten dicken Strang zusammen, wobei sie 
sich etwas vergrössern, gegenseitig abplatten, wuchern (s‘) und 
sich von dem umgebenden Mesenchym ziemlich scharf isolieren (s). 
Ihr Protoplasma erlangt einen bedeutenden Grad von Basophilie, 
es enthält auch sehr oft Einschlüsse, neben dem Kern tritt eine 
rotviolett gefärbte Sphäre hervor (s. rechts). Durch diese An- 
ordnung der Mesenchymzellen entstehen also blutinselähnliche 
(Gebilde im Körper selbst und ihre weiteren Veränderungen be- 
stätigen die Richtigkeit dieses Vergleiches. Wenn wir die Schnitt- 
serie nach rückwärts weiter verfolgen, sehen wir nämlich, dass 
sich der kompakte Zellstrang in ein hohles Endothelrohr, die 
rechte Aorta, direkt fortsetzt. Schon in dem abgebildeten Schnitt 
sieht man einen Teil der Zellen, die peripherischen, sich 
abplatten (s. links), wobei zwischen ihnen und den anderen mit 
Flüssigkeit erfüllte Hohlräume auftreten (t). Aus einem Teil 
der Zellen des Stranges geht also das Endothelrohr des Gefässes 
hervor. Die übrigen, immer verhältnismässig spärlichen, runden 
sich aber ab und bleiben im Inneren des Gefässes als wirkliche 


Oi 
pa 
oo 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 


primitive Blutzellen liegen; in dem betreffenden Stadium sind auch 
in den Gefässen der area vasculosa nur diese letzteren vorhanden. 
Die Zahl der auf solche Weise zugleich mit den Gefässen im 
Körper entstehenden primitiven Blutzellen ist allerdings stets 
nur ganz unbedeutend im Vergleich mit der area vasculosa. 
Diese Zahl unterliegt, wie gesagt, auch ausserordentlichen indi- 
viduellen Schwankungen; manchmal werden Blutzellen, wie es 
scheint, sogar überhaupt nicht gebildet und die Gefässe werden 
gleich von Anfang an als leere Endothelröhren angelegt — in 
solchen Fällen verläuft, wie es scheint, auch ihre Entstehung 
rascher, während bei Bildung zahlreicher Blutzellen die ganze 
Differenzierung etwas verzögert wird. 


Tatsache ist also jedenfalls, dass die primäre Gefässbildung 
im Körpermesenchym bei den Säugern im Grunde genommen 
ganz derselbe Prozess ist, wie die Blut- und Gefässbildung im 
ausserembryonalen Mesoblast, mit dem Unterschied, dass im 
Körper der eine Teil der Erscheinung, die Bildung der freien 
Elemente, der Blutzellen, entweder ganz unterdrückt wird oder 
nur in Form von Spuren erscheint. 


Es ist interessant, dass in den Fällen, wo im Körper- 
mesenchym in den Gefässanlagen auch primitive Blutzellen ent- 
stehen, die Mesenchymzellen gerade besonders reich an Ein- 
schlüssen sind. Die Bedeutung der letzteren ist ganz unklar, 
man beobachtet aber die folgende interessante Erscheinung — 
bei Ausbildung der Endothelwand scheiden die sich abplattenden 
Zellen die in ihnen enthaltenen Einschlüsse in das Lumen der neuen 
Gefässe aus; oft sieht man die Einschlüsse sich vom Zellleib in Form 
von Tropfen abschnüren (Fig. 9) und im Gefässlumen findet man 
viele runde, aus erythro- und zyanophiler Substanz bestehende 
grosse und kleine Körner, die sich hier im Blutplasma bald auf- 
lösen. Bei der Entstehung des paarigen Herzschlauches sieht 
man genau dasselbe — auch hier werden von den ersten Herz- 
endothelien meist Einschlüsse in das Lumen ausgeschieden. 
Bildung von primitiven Blutzellen in loco zugleich mit dem Herz- 
endothel habe ich nicht bestimmt gesehen, diese Möglichkeit 
möchte ich jedoch nicht ganz ausschliessen. 


In etwas späteren Stadien (Kaninchenembryo von 9'/, Tagen) 
finde ich noch weitere Beweise für die beschriebene intra- 


514 Alexander Maximow: 


embryonale gleichzeitige Bildung von Blut- und Gefässanlagen. 
Zu dieser Zeit sind die grossen Gefässe schon alle entwickelt, 
in ihnen zirkuliert schon Blut, welches primitive Erythroblasten 
und sehr spärliche Lymphozyten resp. Übergangsformen von den 
primitiven Blutzellen zu ihnen enthält. In dem jetzt schon 
reichlichen, aber noch keine Wanderzellen enthaltenden Mesen- 
chym sieht man nun an vielen Stellen sich sehr interessante 
Prozesse abspielen. Solche Stellen findet man vor allem im 
Kopfmesenchym ‚in der präotischen Region, an der seitlichen 
Fläche und unmittelbar hinter dem noch offenen Gehörgrübchen, 
ferner stellenweise auch in dem die axialen Organe umhüllenden 
Mesenchym und auch in dem aus saftigem Mesenchym bestehenden 
Allantoishöcker. 

Im grosszelligen lockeren Mesenchym (Taf. XVIII, Fig. 10 
Mz) verlaufen gewundene und verästelte Zellstränge, die vom 
Mesenchym gar nicht scharf abzugrenzen sind und stellenweise 
in fertige Gefässe (L) übergehen. Sie bestehen erstens aus den- 
selben ästigen saftigen wuchernden Mesenchymzellen (Mz), die 
sich gegenseitig durch. Ausläufer verbinden und sich an den 
Übergangsstellen zu den Gefässen unmittelbar in die Endothel- 
zellen (Ed) fortsetzen. Zweitens liegen dazwischen grosse rund- 
liche oder unregelmässig geformte, aber jedenfalls nicht mehr 
fixe Zellen, die ein verschiedenes Aussehen haben. Zum Teil 
(Mz'') sind es der inneren Struktur nach gewöhnliche Mesenchym- 
zellen, die sich nur abgerundet und isoliert und oft eine deut- 
liche Sphäre bekommen haben. Zum Teil (Lmz) sind es schon 
Zellen von Lymphozytencharakter mit dunklerem basophilem 
Protoplasma von dichterem Gefüge und mit mehr oder weniger 
zahlreichen Vakuolen. Die meisten (pEbl) haben aber das Aus- 
sehen von jungen primitiven Erythroblasten, wie wir sie von der 
Beschreibung der area vasculosa her kennen. Der grosse kugelige 
Zellleib wird allmählich homogen, färbt sich in einem immer 
deutlicheren rosafarbenen Ton. der sich immer mehr und mehr 
verkleinernde Kern erhält ein regelmässiges Chromatingerüst 
mit deutlichen Nukleolen. Mitosen sind in diesen jungen primi- 
tiven Erythroblasten sehr häufig, nicht selten (pEbl‘) findet man 
auch mehrpolige Mitosen in den besonders grossen Zellen. 

Man kann sich nun beim Vergleich verschiedener Stellen 
im Präparat leicht davon überzeugen, dass die beschriebenen 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 515 


Zellansammlungen Gefäss- und Blutanlagen zugleich vorstellen 
und in loco aus wuchernden Mesenchymzellen entstehen. Aus 
einem Teil der letzteren gehen die Endothelzellen hervor, indem 
sich die Zellleiber abplatten und die Ausläufer sich zu einer 
Membran verbinden; an ihrer äusseren Oberfläche (Fig. 10 Ed 
rechts oben) bleibt diese Membran mit den übrigen Mesenchym- 
zellen auch später verbunden. Die übrigen Zellen des Zellstrangs 
isolieren sich und verwandeln sich in Blutzellen. Entsprechend 
dem späteren embryonalen Stadium bekommen wir dabei aber 
keine wirklichen primitiven Blutzellen mehr, sondern die grossen 
sich abrundenden Mesenchymzellen gehen sofort die einen in 
Lymphozyten, die anderen, die meisten, in primitive Erythroblasten 
über — ebenso, wie es ja in viel grösserem Maßstab zu gleicher 
Zeit in den Gefässen der area vasculosa geschieht. 


Die auf die beschriebene Weise entstandenen Lymphozyten 
und Erythroblasten liegen zuerst zwischen den noch ästigen 
Mesenchymzellen des Stranges unregelmässig zerstreut (Fig. 10 
links). Sobald sich aber die Endothelmembran differenziert hat, 
werden sie von derselben umscheidet, durch interzelluläre Flüssig- 
keit auseinandergeschoben und wir bekommen ein Gefässrohr 
(Fig. 10 rechts) mit spärlichen Lymphozyten und zahlreichen 
Erythroblasten im Inneren. Dies Gefäss steht natürlich von 
Anfang an mit den benachbarten in Verbindung und erscheint 
gewöhnlich zuerst durch die in seinem Lumen liegenden wuchern- 
den Erythroblasten noch ganz verstopft, bis die letzteren all- 
mählich ausgeschwemmt werden. 


Auch bei der beschriebenen Bildung kleiner intraembryonaler 
Gefäss- und Blutanlagen findet man in den Mesenchymzellen zahl- 
reiche granuläre Einschlüsse die bei der Entstehung des Gefäss- 
lumens in dasselbe ausgeschieden werden. 


Die beschriebene Erscheinung stellt meiner Ansicht nach 
den letzten, in etwas atypischer und abgekürzter Form ver- 
laufenden Rest des ursprünglichen Prozesses der Blutinselbildung 
vor. Die Blutinselbildung beginnt zuerst im peripherischen extra- 
embryonalen Mesoblast. breitet sich dann auf den intraembryonalen 
aus und erlischt hier schon in verhältnismässig frühen Stadien, 
indem sie durch einen abgeänderten, vollkommeneren Typus der 
Blutbildung ersetzt wird. 


516 Alexander Maximow: 


10. Die Entstehung der Lymphozyten aus dem 
Gefässendothel. 


Wir haben gesehen, dass in sehr frühen Stadien, nach Ver- 
wandlung der Blutinseln in ein Gefässnetz mit Blutzellen, die 
Endothelzellen dieser extraembryonalen Gefässe sich abrunden, 
isolieren und in freie primitive Blutzellen verwandeln können. 
Diese nachträgliche Abrundung der Endothelzellen und ihre Ver- 
wandlung in Blutzellen tritt aber dort hinter der selbständigen 
Vermehrung der letzteren ganz zurück und wenn die Endothel- 
zellen sich auch im folgenden ablösen, so werden sie dann doch 
nur zu phagozytischen Elementen, die allerdings auch, wie gesagt, 
nur eine Abart der Lymphozyten vorstellen. 


So wie sich nun der Prozess der Blutinselbildung, in dem 
peripheren Mesoblast beginnend, auch auf das Körpermesenchym, 
allerdings in sehr abgeschwächter Weise, ausbreitet, so geschieht 
es auch mit dieser nachträglichen Ablösung einzelner Endothel- 
zellen von der fertigen Gefässwand. Auch diese Erscheinung 
beobachten wir zuerst in der area vasculosa, wo sie später in 
abgeänderter Form mit anderen Resultaten fortdauert und sie 
pflanzt sich ebenfalls, dem arteriellen System des Dottergefäss- 
netzes folgend, zum Körper hin weiter fort. Auch in den ento- 
embryonalen Gefässen bewahrt das Endothel, nachdem die letzten 
Spuren der im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen primitiven 
Gefäss- und DBlutanlagen verschwunden sind, während einer 
längeren oder kürzeren Zeit die Fähigkeit, durch Isolierung und 
Abrundung seiner Zellen freie Elemente zu liefern, die zu dem 
grossen Stamm der wandernden Mesenchymzellen gehören und 
in den meisten Fällen morphologisch den Lymphozyten entsprechen. 
Dass die Gefässendothelien auch nach aussen, in das Gewebe 
hinein wandernde Elemente hinausschicken können, das haben 
wir bereits gesehen; diese Fähigkeit teilen sie ja mit ihren 
Schwesterzellen, den gewöhnlichen Mesenchymzellen. In dem 
gegenwärtigen Abschnitt beschreibe ich die gleiche, nur nach 
innen, in das Gefässlumen hinein gerichtete Verwandlung. 


Die Verwandlung der Endothelzellen in freie Elemente 
geschieht in den grösseren Gefässen und vor allem in der Aorta 
und den Dottersackarterien. Die ersten Anzeichen dieser Er- 
scheinung merkt man dann, wern die Aorten noch grösstenteils 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 517 


paarig sind und nur in den mittleren Körperabschnitten zu ver- 
schmelzen beginnen. Ihren Höhepunkt erreicht sie beim Kaninchen- 
embryo nach 10—10'/s Tagen, bei Katzenembryonen bei einer 
Körperlänge von etwa 0,7 cm; auch bei den übrigen untersuchten 
Säugern wird sie in den entsprechenden Stadien in derselben 
Weise gefunden. Mit der weiteren Entwicklung wird sie dann 
schwächer, nach 12!/s Tagen sieht man beim Kaninchen noch 
einige Spuren davon, später verschwindet sie ganz. 

Am deutlichsten tritt der Prozess an der ventralen Seite 
der Aorta in ihrem kaudalen Abschnitt hervor, in kranialer 
Richtung etwa bis zum Leberniveau. Wir sehen (Taf. XX, Fig. 31), 
wie die Endothelzellen (Ed), die der inneren Struktur nach auch 
jetzt den ihnen von aussen schichtenweise anliegenden gewöhn- 
lichen Mesenchymzellen (Mz) vollständig gleichen, einzeln oder 
meistens gruppenweise anschwellen, wuchern und sich in das 
Gefässlumen vorwölben (m). Ihr Protoplasma besitzt die ge- 
wöhnliche retikuläre Struktur und ist vorläufig noch nicht besonders 
basophil. Der Kern erhält eigentümliche unregelmässige Formen, 
er verlängert sich, schnürt sich ein, wird geknickt, seine Membran 
legt sich in Falten. Neben ihm sieht man sehr deutlich (u) 
eine Sphäre oder auch eine nach EAz-Färbung rote Zentriolen- 
gruppe hervortreten. 

Die Verbindung der angeschwollenen Zellen mit den Nachbar- 
elementen wird immer lockerer und sie verwandeln sich in freie, 
sicherlich bewegliche Elemente. Da diese Verwandlung auch 
immer von sehr intensiver, auf einen beschränkten Bezirk 
lokalisierter Wucherung (Lmz‘) begleitet wird, so entstehen an 
den betreffenden Stellen der endothelialen Aortenwand grosse 
Klumpen von kugeligen, lose zusammenhängenden Zellen (m), die 
in das Gefässlumen hineinragen und vom Blut umspült werden. 
Die oberflächlichsten Zellen eines solchen Klumpens (Lmz, Lmz‘) er- 
scheinen immer bedeutend vergrössert, ihr Protoplasma wird 
deutlich basophil, erfüllt sich mit feinen Vakuolen, der Kern 
bekommt meist ausgesprochene Nierenform und wächst auch be- 
deutend an, neben dem Kern liegt in einer Vertiefung seiner 
Oberfläche eine sehr deutliche Sphäre mit Zentriolen. Solche 
Zellen haben schon eine grosse Ähnlichkeit mit gewöhnlichen 
Lymphozyten, wie wir sie in den Gefässen der area vasculosa und 
auch im zirkulierenden Blut (Fig. 33 Lmz‘) (siehe weiter unten) 


518 Alexander Maximow: 


finden. Ihr kugeliger Zellleib löst sich schliesslich vollkommen 
von den Nachbarzellen ab und dann werden diese reifen, Iympho- 
zytenähnlichen Zellen vom Blutstrom weggespült und treten in 
das zirkulierende Blut über, wo sie von den Lymphozyten anderer 
Provenienz gar nicht mehr unterschieden werden können. 
Dieselbe Lymphozytenproduktion auf Kosten wuchernder 
Endothelien spielt sich auch in der arteria omphalomesenterica 
ab, nahe von ihrer Abgangsstelle von der Aorta. Ferner greift 
sie manchmal auch auf die dorsolateralen Teile des Aortenrohres 
über und kann sich, wie es scheint, allerdings in sehr abge- 
schwächtem Zustande, auch auf das Herzendothel, andererseits 
auch auf einzelne kleinere Gefässe ausbreiten. Man findet nämlich 
in dem die axialen Organe umhüllenden Mesenchym oft kleine 
Gefässe, die mit Lymphozyten vollgestopft sind — natürlich kann 
es sich in solchen Fällen, ebenso wie in den Kapillaren am 
Gehirn, auch um aus dem zirkulierenden Blut stammende und 
im Gefässlumen bloss stecken gebliebene Lymphozyten handeln. 
Bei der beschriebenen Endothelzellenwucherung haben die 
jüngsten Zellen (Fig. 31 m) zuerst noch nicht das Aussehen von 
echten Lymphozyten; sie gleichen vielmehr den kleinkernigen 
blassen Wanderzellen, wie man sie überall im Mesenchym findet 
(Taf. XIX, Fig. 16 x, Fig. 17), — sie sind ja auch mit ihnen der 
Genese nach identisch. Auch den blassen phagozytischen Wander- 
zellen (Taf. XVIII, Fig. 4 Edph), die in der area vasculosa aus 
_ dem Endothel entstehen, sind sie sehr ähnlich. Aber diese jungen 
Zellen verwandeln sich, wie wir sehen, vor unseren Augen in 
den Zellklumpen an der Aortenwand in echte vollwertige Lympho- 
zyten. Diese Tatsache liefert einen weiteren Beweis für die 
Identität der Wanderzellen des Mesenchyms und der Blutlympho- 
zyten. Beide sind abgerundete mobile Mesenchymzellen. 
Lymphozytenproduktion durch wucherndes Endothel hat 
Dantschakoff (4a) in genau entsprechenden Stadien auch 
beim Hühnchen gesehen. Es handelt sich also dabei sicherlich 
nicht um eine zufällige und bedeutungslose, sondern um eine 
bei verschiedenen Wirbeltierklassen regelmässig wiederkehrende 
Erscheinung. 
In der sonstigen Literatur ist den Endothelzellen der Ge- 
fässe schon oft eine gewisse Bedeutung für die Produktion von 
Blutzellen zugeschrieben worden. Ausser den Autoren, die das 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 519 


speziell von der Leber behauptet haben, worüber ich weiter unten 
sprechen werde, sind hier z.B. Pappenheim und Schridde(53) 
zu nennen. Besonders wichtig sind aber die schon oben zitierten 
Angaben Bonnets, der die Entstehung von Blutzellen aus dem 
Endothel der Nabelblasengefässe bei Schaf und Hund zuerst 
gesehen hat. 

Meine Befunde bestätigen, dass die Endothelzellen in frühen 
Stadien primitive Blutzellen, in späteren Lymphozyten produzieren 
können. Es braucht ihnen jedoch, wie ich glaube, in dieser 
Beziehung keine besondere spezielle Fähigkeit zugeschrieben zu 
werden. Denn die genannte Eigenschaft besitzen in gleicher 
Weise, wie wir gesehen haben, auch die gewöhnlichen, mit den 
Blutgefässen in keiner Verbindung stehenden Mesenchymzellen. 


11. Entstehung von definitiven Erythroblasten und 
Erythrozyten und von granulierten Leukozyten im 
Körpermesenchym. 


In den späteren Stadien der embryonalen Entwicklung 
kommen an verschiedenen Stellen im Mesenchym, welches sich 
allmählich in wirkliches lockeres Bindegewebe verwandelt, Blut- 
bildungsherde vor. Von den im neunten Abschnitt beschriebenen 
unterscheiden sie sich dadurch, dass sie in keinerlei Beziehungen 
mehr zur Gefässbildung stehen. 

Sie tauchen schon ziemlich früh auf, bald nach dem Auf- 
treten der ersten Wanderzellen im Mesenchym; beim Kaninchen- 
embryo finde ich sie zuerst nach 12 Tagen 19 Stunden. Eine 
bedeutendere Entwicklung erlangen sie aber erst in viel späteren 
Stadien, die uns jetzt nicht interessieren. Sie haben Saxer (49) 
als hauptsächliches Untersuchungsmaterial gedient. 

Die Blutbildungsprozesse, die sich im diffusen Mesenchym 
abspielen, wurzeln stets, ebenso wie im Gefässnetz der area vas- 
culosa (und später in der Leber) in den Lymphozyten oder in den 
ihnen gleichwertigen Wanderzellen des Gewebes, also allgemein 
gesagt in den indifferenten mesenchymatischen Wanderzellen. Im 
Vergleich mit den oben erörterten Befunden in der area vasculosa 
gehen aber die Differenzierungsprozesse bei der Blutbildung im 
embryonalen Bindegewebe weiter — hier entstehen aus den 
Lymphozyten resp. Wanderzellen nicht nur definitive Erythro- 
blasten und Erythrozyten, sondern auch die ersten granulierten 


520 Alexander Maximow: 


Leukozyten. Zur selben Zeit, wo diese letzteren in den Blut- 
bildungsherden im diffusen Mesenchym erscheinen, konstatiert 
man übrigens ihre Anwesenheit auch in der Leber, wo inzwischen 
auch die Blutbildung beginnt (siehe weiter unten). 

Meistens entstehen an irgend einer gegebenen Stelle des 
Mesenchyms nicht Erythroblasten und granulierte Leukozyten 
zugleich, sondern bloss die eine von diesen beiden Zellarten. 
Dabei kann als Regel notiert werden, dass die Erythroblasten 
in kleineren oder grösseren, meist sehr dichten Gruppen an- 
geordnet erscheinen, während die gekörnten Leukozyten vereinzelt 
auftreten. 

Die ersten Erythroblastenherde befinden sich immer im 
Kopfmesenchym und zwar auffallenderweise mit grosser Regel- 
mässigkeit an der Augenblase, an ihrem Stiel, in der Umgebung 
des Ganglion Gasseri und an der ventralen Seite des Mesencephalon ' 
und Diencephalon. Etwas später (Kaninchenembryo 14 Tage) 
findet man sie auch am Telencephalon, in dem die Aorta um- 
gebenden Mesenchym und am Pankreas. 

Das erste, was man an den betreffenden Stellen im Fall der 
Entwicklung der Erythropoese bemerkt, ist das Auftreten einzelner 
oder einer Gruppe von typischen Iymphozytenähnlichen Wander- 
zellen (Taf. XIX, Fig. 28 Lwz); sie sind hier also entweder von den 
ersten Stadien der Wanderzellenentwicklung im Mesenchym un- 
verändert liegen geblieben, oder sie entstehen dadurch, und dazu sind 
überall die nötigen Übergangsformen da, dass die kleinkernigen 
blassen Wanderzellen einen grossen Kern und ein dunkles baso- 
philes Protoplasma bekommen und dadurch wieder zu grossen 
Lymphozyten werden. 

Die Lymphozyten teilen sich mitotisch und die infolge der 
Wucherung entstehenden Zellen differenzieren sich in genau der- 
selben Weise, wie wir es in den Gefässen der area vasculosa 
gesehen haben. Es entstehen zuerst (Fig. 28 Mlb, Mlb‘) ziemlich 
grosse, schmalrandige, noch leicht basophile Megaloblasten mit zier- 
lichem Chromatinnetz und allmählich verschwindenden Nukleolen 
im Kern und mit allmählich immer undeutlicher werdender Sphäre. 
Dann treten unter fortgesetzter Wucherung kleinere, dunkelkernige 
und schon hämoglobinreiche Normoblasten auf (Fig.29 Nmb, Nmb‘), 
die schliesslich ihre Kerne durch Ausstossung (Fig. 30 Nmb, Nmb‘') 
in zerschnürtem und pyknotischem Zustande einbüssen und sich 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 521 


in kernlose Erythrozyten verwandeln (Fig.30 Erz). Man bekommt 
genau dieselben Bilder, wie in den Dottersackgefässen, mit dem 
Unterschied, dass an Schnitten das Hämoglobin in seinen ersten 
Spuren schwieriger dazustellen ist und die Megaloblasten dem- 
entsprechend hier nach EAz-Färbung ein blassblaues Plasma 
besitzen. 

Die Erythroblasten bilden grössere und kleinere Häufchen, 
die frei zwischen den Mesenchymzellen liegen; sehr oft befinden 
sie sich hart an der Endothelwand eines Gefässes. Als Regel 
kann gelten (Fig. 28, 29, 30), dass alle Zellen eines Herdes sich 
immer in demselben Entwicklungsstadium befinden, sodass man 
also entweder nur Megaloblasten (Fig. 28), oder nur Jüngere 
Normoblasten (Fig. 29) oder nur ältere Normoblasten und Ery- 
throzyten sieht (Fig. 30). 

Die beschriebene Erythropoese im Gewehe aus indifferenten 
Wanderzellen ist bereits von Saxer (49) sehr genau und bis in 
alle Einzelheiten richtig beschrieben worden. Er lässt die fertigen 
extravaskulär entstandenen Erythrozyten in die Gefässe hinein- 
gelangen. Ich will die Möglichkeit dessen keineswegs in Abrede 
stellen, Tatsache ist aber, dass man die Endprodukte der be- 
schriebenen Erythropoese schliesslich meistens der Degeneration 
verfallen sieht, wobei sie sowohl von den fixen Mesenchymzellen 
(Fig. 30x), als auch von Wanderzellen (y) phagozytiert werden. 
Auch diese Phagozytose ist Saxer bekannt gewesen. 

Sehr oft findet man in Herden, die aus noch wuchernden 
Normoblasten bestehen, grosse Wanderzellen, die in ihrem Proto- 
plasma einen oder mehrere verschlungene Normoblasten enthalten 
und verdauen (Fig. 30 y). Dabei sieht man seltsamerweise eine 
besondere, schon oben erwähnte Veränderung an dem Kern der 
letzteren, die sonst niemals vorkommt: der noch von dem hämo- 
globinreichen Zellleib umgebene Kern wird als Ganzes immer 
heller und heller gefärbt und kann schliesslich von dem ersteren 
nicht mehr unterschieden werden; es tritt also Karyolyse ein. 
Die ganze verschlungene Zelle verkleinert sich dabei sehr rasch 
und verschwindet. Wenn der Herd aus reifen Normoblasten mit 
pyknotischen und zerschnürten Kernen und aus kernlosen Ery- 
throzyten besteht, so bemerkt man erstens eine selbständige 
Degeneration der letzteren (Fig. 30), wobei die rotgefärbten 


Scheiben in Stücke zerfallen und ebenso wie die ausgestossenen 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 34 


529 Alexander Maximow: 


Kerne (Fig. 30 z) in der Gewebsflüssigkeit aufgelöst werden. 
Zweitens erscheinen auch hier Phagozyten, fixe und wandernde, 
und vollenden das Werk der Zerstörung. 

In den späteren Entwicklungsstadien sind die beschriebenen 
Erscheinungen im Mesenchym viel öfter zu beobachten und sind 
auch die Erythroblastenherde viel grösser. 

Die ersten granulierten Leukozyten erscheinen einzeln an 
verschiedenen Stellen des Mesenchyms zugleich. Man findet sie 
aber zuerst am häufigsten im Kopfmesenchym, z. B. an der Aus- 
trittsstelle des nervus vagus aus dem Gehirn und in der 
Umgebung der Aorta, vornehmlich in den vordersten Körper- 
abschnitten. } 

Beim Kaninchen sieht man im Mesenchym einzelne Exemplare 
der oben beschriebenen Wanderzellen eine besondere Entwicklungs- 
richtung einschlagen. Im Protoplasma tauchen zuerst äusserst 
spärliche (Taf. XIX, Fig. 24 Mlz), dann immer zahlreichere 
(Fig. 26 Milz), feinste runde Körnchen auf, die sich an ZF EAz- 
Präparaten rot färben. Eine bestimmte Anordnung im Zellleib 
lässt sich nicht konstatieren — einmal liegen sie einzeln zer- 
streut, oft in feinen Vakuolen eingebettet (Fig. 24 Milz), das 
andere Mal bilden sie kleine Häufchen an der Peripherie des 
Zellleibes oder an der Sphäre. 

Sehr wichtig ist die Tatsache, dass die Körner in allen 
Wanderzellen ohne Unterschied, also in Zellen von sehr ver- 
schiedenem Aussehen auftreten. Man findet sie erstens (Fig. 25) 
in den spärlichen, den grossen Lymphozyten des Blutes und der 
area vasculosa entsprechenden Formen. Zweitens findet man sie 
in den oben beschriebenen kleinkernigen blassen Wanderzellen 
(Fig. 24 und 26 Milz) -—- das ist der häufigste Fall. Der Kern 
der betreffenden Zellen ist meistens besonders stark polymorph, 
mit tief einschneidenden Falten an der Membran versehen oder 
sogar hufeisenföormig. Auch hier gibt es wieder Unterschiede, 
denn unter solchen Zellen findet man sehr grosse und sehr kleine 
Exemplare. Endlich ist es auch keine Seltenheit, Körner in 
Wanderzellen auftreten zu sehen, die nach ihrem Aussehen eine 
Zwischenstellung zwischen dem Lymphozyten und der klem- 
kernigen Wanderzelle einnehmen. 

Diese Tatsache beweist erstens noch einmal, dass die 
verschiedenen Wanderzellenarten des Mesenchyms und die 


ww 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 52: 


Lymphozyten identische Zellen sind. Zweitens resultiert daraus, 
dass kein triftiger Grund vorliegt, unter den einkernigen 
Wanderzellen mit einer gewissen bestimmten Granulaart im 
Protoplasma (Myelozyten) nur auf Grund von Verschiedenheit 
der relativen Grösse von Kern und Protoplasma, der inneren 
Kernstruktur usw. scharf getrennte Unterarten, wie z. B. Myelo- 
blasten, Promyelozyten, Mikromyelozyten usw. (Pappenheim) 
zu unterscheiden. Drittens wird dadurch bewiesen, dass die 
definitiven roten Blutzellen, die Erythroblasten und die granu- 
lierten Leukozyten aus einer gemeinsamen Stammzelle hervor- 
gehen — aus der gewöhnlichen indifferenten mesenchymatischen 
Wanderzelle. Allerdings unterscheiden sich meistens die Wander- 
zellen, in welchen die ersten Granula auftreten, ziemlich deutlich 
von denjenigen, die die Erythroblasten erzeugen. Das ist aber 
erstens doch nicht immer der Fall und zweitens hängt dies nur 
davon ab, dass die betreffende Zelle bereits lange vor dem Auf- 
treten von Hämoglobin oder von sichtbaren Körnchen je nach 
ihrer Bestimmung auch andere besondere Struktureigentümlichkeiten 
erhält, die gerade mit ihrer spezifischen Entwicklung in der ge- 
gebenen Richtung zusammenhängen. 

Als Resultat der beschriebenen Granulaproduktion bekommen 
wir einzeln im Mesenchym zerstreute einkernige gekörnte Zellen. 
Nach der heutigen hämatologischen Terminologie verdienen sie 
den Namen Myelozyten; sie sehen den Myelozyten des erwachsenen 
Organismus zum grössten Teil noch wenig ähnlich aus — dies 
hat aber, wie gesagt, keine grosse Bedeutung. 

Es fragt sich, was das für Körner sind, die in diesen ersten 
Myelozyten erscheinen. Wenn wir sie mit den Körnungen der 
Blutzellen beim erwachsenen Kaninchen vergleichen, so müssen 
wir schliessen, dass sie am meisten der sog. pseudoeosinophilen 
oder amphophilen speziellen Körnung dieser Tierart entsprechen. 
An mit Thionin gefärbten Alkoholpräparaten. nehmen sie auch 
wie diese (im jugendlichen Zustande) eine rotviolette Färbung an. 

Zuerst entstehen also Myelozyten mit Spezialkörnung. Die 
Körnung der ersten amphophilen Myelozyten unterscheidet sich 
allerdings noch in manchen Beziehungen von derjenigen im 
erwachsenen Organismus — die Körner sind zum Teil etwas 
grösser und unregelmässiger — das sind aber natürlich ganz 
nebensächliche Differenzen. 

34* 


© t 
N 
Ha 


Alexander Maximow: 


Von den Autoren, die speziell auf die Entstehung der granu- 
lierten Leukozyten beim Embryo geachtet haben, lassen auch 
Jolly und Acuna (21) zuerst die Spezialzellen entstehen. Sie 
untersuchten übrigens nur das zirkulierende Blut und waren 
infolgedessen nicht in der Lage, über die Art und Weise ihrer 
Entwicklung Angaben zu machen. Browning (2) hat bei 
Menschenfeten ebenfalls im Mesenchym granulierte Leukozyten 
aus ungranulierten Vorstufen, „Leukoblasten“, entstehen sehen: 
nach ihm sollen hier neutrophile und eosinophile Leukozyten 
zugleich auftreten. Saxer (49) unterscheidet unter den leuko- 
zytenähnlichen Zellen, die er im embryonalen Bindegewebe findet, 
keine granulierten. Dies wird wohl an der von ihm gebrauchten 
Technik gelegen haben (saure Fixierungsflüssigkeiten). 

Wir haben gesehen, dass die Körnung meistens in Wander- 
zellen auftritt, die schon vorher einen mehr oder weniger poly- 
morphen Kern haben. Wenn es sich um Iymphozytenähnliche 
Zellen (Fig. 25) handelt, so tritt auch hier nach dem Erscheinen 
der Körnchen sehr rasch eine starke Formveränderung des Kernes 
ein. Darin äussert sich also sofort die Neigung der granulierten 
Zellen mit einfachem Kern, der Myelozyten, sich in reife. poly- 
morphkernige, granulierte Leukozyten zu verwandeln. Gleich 
die ersten auftauchenden Zellen schlagen schon diesen Entwick- 
lungsweg ein, sodass man in vielen Fällen ein richtiges Myelozyten- 
stadium eigentlich gar nicht konstatieren kann. Aus einer blassen 
Wanderzelle mit unregelmässig geformtem Kern wird sofort durch 
Granulaausarbeitung und weitere Entwicklung der Kernpolymorphie 
ein reifer Leukozyt. Allerdings sind diese ersten polymorphkernigen 
Leukozyten denen des erwachsenen Organismus auch noch ziemlich 
unähnlich: es fehlt noch die Homogenität der Zellart, der in 
allen Zellen ganz gleich aussehende, dunkle, kompliziert gebaute 
Kern, die gleichmässige dichte Körnung usw. 

Die ersten Myelozyten können sich zwar mitotisch teilen, 
dies geschieht jedoch nicht sehr oft, und ihre Zahl vergrössert 
sich in der ersten Zeit hauptsächlich durch Neubildung aus unge- 
körnten Wanderzellen. Auch darin äussert sich die Neigung zur 
abgekürzten, überstürzten Verwandlung in reifere Formen ohne 
ein eigentliches Myelozytenstadium. 

Auch bei Katzenembryonen (7? mm und sogar früher) tritt 
die erste Entstehung der granulierten Leukozyten an denselben 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 525 


verschiedenen Stellen im Mesenchym sehr klar hervor. Wir 
sehen (Taf. XIX, Fig. 27), wie sich einzelne, oft sehr zahlreiche 
kleinkernige blasse Wanderzellen des Mesenchyms direkt in ganz 
unzweifelhafte polymorphkernige Spezialleukozyten verwandeln 
(Mlz und Lkz). Der Kern zerschnürt sich in mannigfaltiger Weise, 
bekommt eine kleeblattartige Form oder sogar das Aussehen 
eines langen geknickten Stranges mit mehreren, durch ganz 
dünne Brücken verbundenen Teilen und verliert jede Spur von 
Nukleolen. Im kleinen amöboiden Zellkörper treten hier keine 
distinkten Körnchen auf, sondern das Protoplasma bekommt an 
ZF EAz-Präparaten eine diffuse rötliche Färbung. Es ist be- 
kannt, dass die Spezialkörnung der Katze auch beim erwachsenen 
Tier sehr schwierig darzustellen ist, besonders in Schnittpräparaten 
und es kann kein Zweifel darüber herrschen, dass wir es in dem 
beschriebenen Fall gerade mit solchen Spezialleukozyten zu tun 
haben. 

Bei der Katze entstehen also in sehr frühen Stadien überall 
im Mesenchym (vor allem im Kopf, in der Umgebung der Aorta 
und im Septum transversum) aus den kleinkernigen Wanderzellen 
unter Überspringung eines typischen Myelozytenstadiums direkt 
polymorphkernige Spezialleukozyten. Sie können vielleicht in 
einzelnen Exemplaren auch in die Gefässe gelangen. Im zirku- 
lierenden Blut findet man sie jedoch in diesen Stadien niemals 
und dies wird dadurch erklärt, dass weitaus die meisten von 
diesen ersten, noch unvollkommenen, frühreifen Spezialleukozyten 
eine nur sehr kurze Existenzdauer haben und an ihrem Ent- 
stehungsorte selbst, im Mesenchym von fixen und wandernden 
Mesenchymzellen gefressen und zerstört werden, in derselben 
Weise, wie es mit den extravaskulären Erythroblasten geschieht. 

Auch beim Meerschweinchen verwandelt sich schon bei 
Embryonen von 5 mm ein Teil der ersten, noch sehr spärlichen 
Wanderzellen im Mesenchym sofort in gekörnte Myvelozyten und 
Leukozyten. 

Bei der in diesem Abschnitt beschriebenen Blutbildung im 
Mesenchym werden in einigen, übrigens sehr seltenen Fällen von 
den Iymphozytoiden Wanderzellen auch Elemente vom Typus der 
Megakaryozyten erzeugt. Megakaryozyten findet man oft an 
Schnitten scheinbar im Mesenchym — sie befinden sich aber 
dabei fast ausschliesslich innerhalb von kleinen Gefässen. In 


326 Alexander Maximow: 


den späteren Entwicklungsstadien sind sie auch im Gewebe selbst 
viel häufiger. Dort sind sie auch von Saxer (49) ausführlich 
beschrieben worden. 


12. Die zellige Zusammensetzung 
des zirkulierenden Blutes in den frühen Stadien 
der embryonalen Entwicklung. 


Diese Frage ist schon an und für sich interessant, besonders 
aber deshalb, weil viele Autoren sich bei dem Studium der 
embryonalen Blutentwicklung gerade nur auf die Untersuchung 
des zirkulierenden Blutes beschränkt haben. 


Wir wissen, dass im erwachsenen Organismus das zirkulierende 
Blut sich nach seinen zelligen Bestandteilen scharf unterscheidet 
von den blutbildenden Geweben — während man in den letzteren 
ungeheure Mengen verschiedener Jugendformen findet, werden in 
die Gefässbahn nur ganz reife Elemente hinausgesandt. Wir 
haben hier also eine sehr vollkommene Zentralisation der Blut- 
bildung vor uns. 


Im embryonalen Leben ist dies anders. Es ist längst 
bekannt, dass hier in der Zirkulation auch jugendliche Formen 
der Blutelemente angetroffen werden, die sich hier im Blutstrom 
selbst vermehren und weiter differenzieren. Bei vielen Autoren 
hat sich nun die Überzeugung herangebildet, dass es in den 
frühesten embryonalen Stadien überhaupt noch keine besonderen 
blutbildenden Organe gibt und dass die gesamte Blutbildung 
eben in dem zirkulierenden Blute erfolgt. Ferner soll nach den 
ganz übereinstimmenden Angaben aller Forscher das embryonale 
Blut zuerst, während einer ziemlich langen Periode, von weissen 
Blutkörperchen ganz frei sein; es enthält ausschliesslich nur rote 
Zellen. Es ist nicht einmal nötig, hier einzelne Autoren zu 
zitieren, denn darüber sind die Meinungen ungeteilt. Jolly und 
Acuna (21), die das zirkulierende Blut von Säugetierembryonen 
speziell daraufhin untersucht haben, finden z. B. die ersten 
Leukozyten beim Meerschweinchen erst bei einer Körperlänge 
von 16 mm. Nur Bryce (3) beschreibt bei Lepidosiren die 
sehr frühe Entstehung von leukozytoiden Zellen aus den primitiven 
Blutzellen und in letzter Zeit findet Dantschakoff (4, 5a) beim 
Hühnchen schon in den frühesten Stadien Lymphozyten nicht 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 527 


nur im Gefässnetz der area vasculosa, sondern auch, obwohl 
zuerst nur sehr spärlich, im zirkulierenden Blut. 

Mit den angegebenen, in der Literatur herrschenden Vor- 
stellungen sind meine eigenen Befunde nicht zu vereinigen. 

Ich finde, dass es schon von Anfang an ein spezielles blut- 
bildendes Organ gibt und dass das zirkulierende Blut schon von 
den allerersten Stadien an nicht dieselbe zellige Zusammen- 
setzung hat, wie das in diesem Organ enthaltene. Dasselbe ist 
in der Arbeit von Dantschakoff für den Hühnerembryo fest- 
gestellt worden. 

Das erste blutbildende Organ beim Säugetierembryo ist das 
Gefässnetz der area vasculosa resp. der Dottersackwand. Zuerst 
finden wir hier nur eine Art von Zellen, die wuchernden primitiven 
Blutzellen. Wenn dann die Blutzirkulation beginnt, so finden 
wir überall in den Gefässen, auch im Herz (z. B. bei einem 
Kaninchenembryo von 9 Tagen) dieselbe eine Art von Zellen: 
aber schon jetzt konstatieren wir im zirkulierenden Blut einen 
Unterschied im Vergleich mit dem Inhalt der Gefässe in der 
area vasculosa — die primitiven Blutzellen weisen in dem ersten 
seltener Mitosen auf, als in dem zweiten. Auch von diesem 
frühesten Stadium kann man also jedenfalls sagen, dass die 
Wucherung der primitiven Blutzellen besonders energisch in der 
area vasculosa verläuft und deswegen muss die letztere als 
richtiges blutbildendes Organ bezeichnet werden. 

Wenn dann in der area vasculosa Lymphozyten und primitive 
Erythroblasten erscheinen, dann gelangen diese beiden Zellarten 
auch in das zirkulierende Blut, aber in einem ganz anderen 
Zahlenverhältnis. In der area vasculosa sind, wie wir gesehen 
haben, die Lymphozyten am Anfang auch verhältnismässig spärlich, 
da die Mehrzahl der primitiven Blutzellen sich in die primitiven 
Erythroblasten verwandelt hat. In das zirkulierende Blut treten 
sie aber zuerst nur in so geringen Mengen über, dass sie dort 
zwischen den primitiven Erythroblasten nur in ganz vereinzelten 
Exemplaren vorkommen (Kaninchenembryo von 9!1/a—10 Tagen). 
Auch in diesem Stadium unterscheidet sich also das zirkulierende 
Blut von dem Inhalt der blutbildenden Gefässe in der area vasculosa. 

Jedenfalls ist die sehr wichtige Tatsache zu verzeichnen, 
dass echte weisse Blutkörperchen vom Charakter der grossen 
Lymphozyten im zirkulierenden Blute schon sehr früh, zusammen 


528 Alexander Maximow: 


mit den primitiven Erythroblasten auftreten. allerdings zuerst, 
wie gesagt, in sehr spärlicher Anzahl, da sie vorläufig fast 
sämtlich in dem blutbildenden Gefässnetz der area vasculosa 
zurückgehalten werden. Man kann also nicht sagen, dass das 
embryonale Blut zuerst nur rote Blutkörperchen enthält. Es 
gibt eigentlich überhaupt kein solches Stadium. 

Zur Zeit, wo in der Dottersackwand die Bildung der 
definitiven Erytroblasten aus Lymphozyten schon in vollem 
Gange ist, unterscheidet sich das strömende Blut noch schärfer 
von dem Inhalt der Kapillaren im Dottersack (Kaninchenembryo 
12!/.—13 Tage). In diesen letzteren hat die Zahl der Lympho- 
zyten inzwischen ausserordentlich zugenommen (siehe oben), sie 
bilden grosse Haufen, die die engeren Gefässe oft ganz ver- 
stopfen, zwischen ihnen liegen noch grössere Haufen von Megalo- 
blasten und Normoblasten; kernlose definitive Erythrozyten sind 
noch sehr selten. Die primitiven Erythroblasten beginnen hier 
an Zahl immer mehr und mehr zurückzutreten. Im zirkulierenden 
Blut hingegen behauptet gerade die letztgenannte Zellart, die 
primitiven Erythroblasten, das Feld Ausser ihnen bemerkt man 
nur vereinzelte Megalo- und sogar Normoblasten. Das wichtigste 
ist aber, dass die Zahl der Lymphozyten in diesem Stadium 
(besonders beim Kaninchen und noch viel mehr beim Meer- 
schweinchen) im zirkulierenden Blut stark zugenommen hat — 
bei einem Kaninchenembryo von 12 Tagen 19 Stunden zählte 
ich z. B. in einem Aortenquerschnitt auf ca. 600 primitive 
Erythroblasten 5 Lymphozyten und 4 definitive Erythroblasten 
verschiedener Entwicklungsstadien. Bei Katzenembryonen sind 
die Lymphozyten im zirkulierenden Blute spärlicher. | 

In diesen, nur etwas späteren Stadien erscheint also der 
Prozess der Blutbildung noch viel schärfer lokalisiert als früher. 
Und doch sind es Stadien, von denen die meisten Autoren bei 
ihren embryologischen Studien als von den frühesten erst aus- 
gingen. Gewiss wuchern zu dieser Zeit die primitiven Erythro- 
blasten (Taf. XX, Fig. 33 p Ebl‘) überall im zirkulierenden Blute 
weiter, es teilen sich auch die zirkulierenden Lymphozyten (Lmz‘) 
und die spärlichen definitiven Erythroblasten. Aber das kann ja 
gar nicht in Vergleich gehen mit der ausserordentlichen Ver- 
mehrung der in den Dottersackgefässen angehäuften Zellen. Das 
strömende Blut kann an und für sich von der eigentlichen 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 529 


Hämatopoese im Organismus gar keine Vorstellung geben und 
man darf sich keineswegs mit seiner Untersuchung allein begnügen. 

Während im folgenden in der Dottersackwand die primitiven 
Erythroblasten von den jungen Generationen der definitiven rasch 
verdrängt werden, stellen sie im zirkulierenden Blut noch lange 
(Kaninchen 13—14 Tage) den Hauptbestandteil vor. Sie fahren 
fort zu wuchern, obwohl die Mitosen in ihnen schon seltener 
werden und sie weisen gerade im Blutstrom die oben beschriebenen 
Formveränderungen am Kern besonders häufig auf. Zwischen 
ihnen sieht man immer ausser Lymphozyten nur spärliche definitive 
Erythroblasten und Erythrozyten. Unter den definitiven Erythro- 
blasten findet man in der Zirkulation besonders häufig solche, 
die gerade im Moment der Kernausstossung fixiert worden sind. 

Dass die Lymphozyten und die definitiven Erythroblasten 
im zirkulierenden Blute wirklich aus dem Dottersacke stammen, 
erkennt man sehr gut, wenn man an Serienschnitten den Inhalt 
der Arteria omphalomesenterica und der entsprechenden Vene 
vergleicht. In der zweiten begegnet man viel zahlreicheren 
jungen Zellformen, Erythroblasten und Lymphozyten. 

In der Dottersackwand selbst ist der Unterschied zwischen 
den einzelnen Abschnitten des Gefässsystems an ein und demselben 
Präparat (Kaninchen 14 Tage) auch in die Augen springend. 
Die eigentlichen blutbildenden Kapillaren sind mit Haufen von 
Lymphozyten und definitiven Erythroblasten vollgestopft, primitive 
Erythroblasten sind hier nur ganz spärlich. Die ın gewissen 
Abständen voneinander verlaufenden grösseren Gefässe, die Venen 
und besonders die Arterien enthalten hingegen kolossale Mengen 
von primitiven Erythroblasten, während Lymphozyten und definitive 
Erythroblasten ihnen hier nur in verhältnismässig geringen 
Quantitäten beigemengt erscheinen. 

Auch in diesen Stadien, den spätesten, die ich in der vor- 
liegenden Arbeit berücksichtige, werden also in den Blutstrom 
fast nur die ältesten von den überhaupt vorhandenen Zellformen, 
die primitiven Erythroblasten, hinausgeschickt, nach demselben 
Prinzip, welches auch im erwachsenen Organismus besteht. Sie 
genügen hier noch lange ihrer Pflicht als Hämoglobinträger, 
vermehren sich auch noch immer, stellen aber doch einen ganz 
isolierten, jetzt schon dem .allmählichen Aussterben geweihten 
Zellstamm vor. Sie werden zuerst aus den blutbildenden Kapillaren 


530 Alexander Maximow: 


des Dottersacks rasch verdrängt. Dies ist bereits nach 14 Tagen 
beim Kaninchenembryo fast durchgeführt. Im Blutstrom be- 
haupten sie sich viel länger (beim Kaninchen etwa bis zum 
20. Tage) und werden hier nur sehr allmählich durch die defini- 
tiven roten Blutzellen ersetzt. Diese letzteren unterscheiden sich 
von den primitiven speziell noch dadurch, dass sie in den Blut- 
strom immer in viel reiferem Zustande gelangen, meist schon als 
kernlose Erythrozyten, selten als Normoblasten mit geschrumpftem 
Kern, noch seltener als junge Normoblasten oder Megaloblasten. 

Auf Grund der dargelegten Tatsachen steht es also fest, 
dass Lymphozyten, echte weisse Blutkörperchen, schon von den 
frühesten Stadien an im Blute zirkulieren. Sie sind z. B. im 
Herzblut eines 12—13 Tage alten Kaninchenembryo stets in der 
oben notierten bedeutenden Anzahl ohne jede Schwierigkeit zu 
konstatieren. Noch viel zahlreicher sind sie im zirkulierenden 
Blute beim Meerschweinchen. Sie stammen natürlich zum grössten 
Teil aus dem Dottersack, zum kleineren auch von dem Aorten- 
endothel — wenigstens in der Aorta und ihren Zweigen. 

Wenn die Lymphozyten bisher, ebenso übrigens, wie in den 
blutbildenden Gefässen der area vasculosa, wo sie ja in zahllosen 
Mengen vorkommen, nicht gesehen wurden, so hängt dies nur 
von der gebrauchten Untersuchungsmethodik ab. 

In den mittleren embryonalen Stadien, beim Kaninchen z. B. 
vom 15. Tage an, werden die Lymphozyten im zirkulierenden 
Blute wieder etwas spärlicher. 

Ausser den Unterschieden, die das Blut in den blut- 
bildenden Gefässen der area vasculosa einer- und in den sonstigen 
grösseren Gefässen und dem Herzen andererseits bietet, bemerkt 
man noch weitere interessante Besonderheiten, die sich auf den 
Inhalt der kleineren Gefässe, der Kapillaren in gewissen be- 
stimmten Körperteilen beziehen. Diese Kapillaren können sicher 
nicht als eigentliche Blutbildungsstätten aufgefasst werden, sie 
enthalten aber oft, fast regelmässig, stauende Blutelemente von 
ganz besonderem Charakter. Vor allem wird dies an den Kapillaren 
beobachtet, die sich an der äusseren Oberfläche des Gehirns ver- 
zweigen (dies ist bereits von v. d. Stricht bemerkt worden) 
und an den Gefässen der Urniere (Saxer), gelegentlich auch an 
anderen Stellen, wenn auch viel seltener, z. B. an den Kapillaren 
der Extremitätenstummeln und der Kiemenbogen. Was an solchen 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 531 


Kapillaren auffällt, ist die bedeutende Zahl von meist grossen 
Lymphozyten im Lumen; sie liegen hier einzeln oder in Reihen 
hintereinander und zwischen ihnen sieht man einzelne primitive 
und auch definitive Erythroblasten. Ferner trifft man hier sehr 
häufig grosse Riesenzellen im Kapillarenlumen eingekeilt, mit 
mehreren kleinen oder einem grossen, sich amitotisch zer- 
schnürenden Kern, wie ich sie oben im Dottersack beschrieben 
habe. Die Teilstücke der Kerne sind gerade hier gewöhnlich von 
sehr ungleicher Grösse und Form. Durch den grossen Zellleib 
erscheint die Kapillarenwand an der betreffenden Stelle oft be- 
deutend ausgedehnt. Bei der Katze sind in solchen Kapillaren 
in den frühen Stadien (6—7 mm), ausser Megakaryozyten, nicht 
selten sehr grosse Zellen zu finden, die ebenfalls mehrere ami- 
totisch zerschnürte Kerne enthalten, deren riesiger Zellleib aber 
deutliche Mengen von Hämoglobin enthält. Es sind also stark 
hypertrophische, riesenhafte primitive Erythroblasten mit Kern- 
amitose. Endlich sind daneben manchmal auch phagozytierende 
Zellen zu sehen mit blassen Kernen und mit grossen, verschlungene 
Zellreste enthaltenden Vakuolen im Zellleib. 

In noch früheren Stadien, wo im Blute hauptsächlich noch 
die primitiven Blutzellen zirkulieren, findet man in den Kapillaren 
der angegebenen Körperstellen gelegentlich die schon oben er- 
wähnten Riesenformen, die dem Typus nach den primitiven Blut- 
zellen entsprechen und sich von ihnen, besonders bei der Katze, 
nur durch das stark hypertrophische, hellere, leicht basophile 
Protoplasma unterscheiden, während der Kern dabei sich auch 
amitotisch zerschnüren kann. Hin und wieder findet man in 
solchen Formen, ähnlich wie im Dottersack, auch mehrpolige 
Mitosen. Ferner bleiben hier bei der Katze sehr oft auch die 
ebenfalls schon oben erwähnten, von den echten Megakaryozyten 
nicht immer leicht abzugrenzenden hypertrophischen, alternden, 
primitiven Blutzellen mit kleinen, dunklen, runden Kernen stecken. 

Es fragt sich, wie dieser abnorme Inhalt der betreffenden 
Kapillaren zustande kommen mag. Erstens wäre hier an die 
oben beschriebene verspätete Gefäss- und Blutzellenbildung im 
Körper zu denken, als deren Resultat die von den verschieden- 
artigen, zum Teil riesenhaften Blutzellen erfüllten Kapillaren 
aufgefasst werden könnten. In der Tat lässt sich diese Möglich- 
keit auch nicht von der Hand weisen. Wir haben aber gesehen, 


532 Alexander Maximow: 


dass es im zirkulierenden Blut schon von Anfang an grosse 
ILymphozyten gibt; ausserdem kann man sowohl beim Kaninchen, 
als auch bei der Katze im Blutstrom als regelmässigen, wenn 
auch sehr seltenen Befund dieselben Riesenzellen verzeichnen, 
wie ich sie im Gefässnetz des Dottersacks beschrieben habe und 
dieselben kleineren und grösseren blassen Phagozyten endothelialer 
Herkunft. Diese letztgenannten Zellen sind im zirkulierenden 
Blut, besonders bei der Katze, von den frühesten Stadien an 
ziemlich häufig. Sie sind im embryonalen Blut auch von Jolly 
und Acuna (21) bereits gesehen worden, allerdings in späteren 
Stadien. 

Alle diese Zellen, die Lymphozyten und die verschiedenen 
Riesenformen der Blutzellen, können nun in die engen Kapillaren 
bestimmter Körperteile eingeschwemmt werden und bleiben stecken, 
um hier dann ihre weiteren Veränderungen durchzumachen. Die 
eingeschwemmten Lymphozyten z. B. entwickeln sich hier in der- 
selben Weise, wie in den bilutbildenden Kapillaren der Dotter- 
sackwand und geben Megaloblasten und Normoblasten Ursprung; 
selbstverständlich können sie sich hier auch wieder in Riesen- 
zellen verwandeln. Infolge der Degeneration der Riesenzellen 
und der Verwandlung der eingekeilten Lymphozyten in kleinere 
Zellformen, die Erythroblasten, werden die verstopften Kapillaren 
mit der Zeit wieder durchgängig. 


In dem folgenden Abschnitt werden wir sehen, dass auch 
in den Leberkapillaren die Lymphozyten des zirkulierenden 
Blutes sich in grossen Mengen anhäufen und erythropoetisch 
funktionieren können. 


Es ist sicher möglich, dass aus den beschriebenen intra- 
kapillären Zellherden einzelne Lymphozyten auch in das Gewebe 
emigrieren. und dort als lymphozytoide Gewebswanderzellen 
weiterwandern. 

Interessant ist die Tatsache, dass aus den intravaskulären 
Lymphozyten sowohl im Dottersack, als auch in den Kapillar- 
gefässen des Körpers niemals gekörnte Zellen entstehen. Die 
Möglichkeit dazu ist beim Embryo, wie es scheint, nur extra- 
vaskulär, im Gewebe selbst geboten, und in dieser Beziehung 
entsprechen die Befunde bei dem Säugetierembryo vollkommen 
den Befunden beim Hühnchen (Dantschakoff). 


N 
s 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 9 


13. Der Anfang der Blutbildung in der Leber. 


Dass die Leber bei den Säugetierembryonen als blutbildendes 
Organ funktioniert, ist seit langem bekannt und beim Studium 
der hämatopoetischen Prozesse im Embryo haben die meisten 
Autoren die grösste Aufmerksamkeit gerade diesem Organ ge- 
schenkt. Auf Grund dieser zahlreichen Arbeiten ist es festgestellt, 
dass hier sowohl rote Blutzellen, als auch ungekörnte und ge- 
körnte Leukozyten gebildet werden. Dennoch kann aber der 
Blutbildungsprozess in der Leber keineswegs als klargestellt 
gelten. Über die Herkunft der ersten Blutzellen in diesem Organ, 
über ihre Lokalisation, über den Entwicklungsmodus der weissen 
und roten Blutkörperchen und ihre gegenseitigen Beziehungen 
sind die Meinungen noch sehr geteilt. 


Die erste Frage ist also die: woher stammen die ersten Jugendformen 
der Blutzellen in der Leber und wie gelangen sie in dieses Organ? 

Janosik (18) steht ganz vereinzelt mit seiner Vermutung, dass die 
jungen roten Blutkörperchen aus wuchernden Leberzellen hervorgehen. Ebenso- 
wenig Anhänger wird wohl Kuborn (24) gefunden haben, nach welchem die 
Erythroblasten durch Knospung endotheliogener Riesenzellen entstehen sollen. 

Da im Blute noch vor Erscheinen der Leberanlage wuchernde Jugend- 
formen roter Blutkörperchen zirkulieren, so war es naheliegend anzunehmen, 
dass sie in die Kapillaren der Leberanlage eingeschwemmt werden, dort be- 
sonders günstige Existenzbedingungen vorfinden und dass die Leber auf solche 
Weise zum blutbildenden Organ wird. Diese Anschauung wird hauptsächlich 
von v. d. Stricht (57, 58) vertreten. In den frühen Entwicklungsstadien 
findet er in den Leberkapillaren zwei Zellarten, die Erythroblasten und die 
Leukoblasten. Die ersten sind überall im Blute vorhanden, über den Ursprung 
der letzteren äussert er sich nicht näher. Dann entstehen durch Endothel- 
wucherung besondere Aussackungen der Kapillaren, wo die genannten Zellen 
sich anhäufen und wuchern. Auch Kostanecki (23) hält die Blutzellen in 
der Leber für mit dem Blute eingeschwemmte Elemente, obwohl er, im Gegen- 
satzzuv.d.Stricht, für die roten und weissen Blutkörperchen eine gemeinsame 
Stammform annimmt. 

Viele Autoren lassen die ersten jungen Blutzellen in der Leber aus 
dem Endothel der Kapillaren lokal entstehen. So sollen nach M. B. Schmidt 
(50) die Endothelien der Leberkapillaren nach aussen und nach innen wuchern, 
wobei hämoglobinlose Zellen vom Charakter der Leukozyten entstehen, die 
sich dann weiter auch in rote Blutzellen differenzieren. Von den neueren 
Autoren stehen auf ähnlichem Standpunkt Schridde (53) und Lobenhoffer 
(27), nach welchem in der Leber aus dem wuchernden Endothel Jugendformen 
sowohl für die granulierten weissen Blutkörperchen, als auch für die roten 
Blutkörperchen hervorgehen und zwar sofort als zwei ganz spezifische, 
ineinander nicht übergehende Elemente, als Myeloblasten und Erythroblasten. 


534 Alexander Maximow: 


Auch Jost (22) lässt in der Leber die roten Blutzellen direkt aus dem 
Endothel entstehen. 

Saxer (49) vertritt wieder eine ganz andere Meinung. Nach ihm 
sollen zwischen die wuchernden Epithelstränge der Leberanlage gleich von 
Anfang an, ausser den Blutgefässen mit ihrem Endothel auch einzelne aus 
dem umgebenden Mesenchym stammende wandernde Zellen, seine „primären 
Wanderzellen“ gelangen. Aus diesen entstehen dann später durch differenzierende 
Wucherung rote Blutkörperchen und Leukozyten. Über die Entstehung speziell 
der granulierten Leukozyten spricht er gar nicht, was, wie oben erwähnt, mit; 
der von ihm gebrauchten Technik zusammenhängt. 

Nattan Larier (26) scheint mir, soviel ich seiner Schilderung ent- 
nehmen kann, die Blutzellen in der Leber ebenfalls auf eine besondere 
primäre extravaskuläre kleine embryonale Zelle zurückzuführen. 

Die zweite Frage — wie sind die Jugendformen der-Blutzellen in dem 
Lebergewebe angeordnet, ob intra- oder extravaskulär, oder beides zugleich — 
gilt sonderbarerweise auch noch nicht für alle als entschieden, obwohl diese 
Entscheidung meiner Meinung nach gar keine so grossen Schwierigkeiten bereitet. 
Selbstverständlich hängt diese Frage mit der ersten, schon erörterten, über 
die Herkunft der Blutzellen innig zusammen. Für die intravaskuläre Lokali- 
sation der Blutbildung sind selbstverständlich diejenigen Autoren, die die 
ersten Blutzellen in die Leber mit dem strömenden Blut gelangen lassen. 
Hier wären also v.d.Stricht (57,58) und Kostanecki (23) zu nennen, ausser- 
dem wird diese Meinung in der letzten Zeit sehr entschieden von Nägeli (37) 
und Wain (63) verteidigt. v. d. Stricht gibt zu, dass die Blutbildung, 
innerhalb der Gefässe beginnend, später, durch Austritt der Blutzellen zwischen 
die Leberzellen, auch zur extravaskulären wird, aber diese extravaskulären 
Herde sollen nach ihm wieder eine neue Endothelmembran bekommen und 
also wieder zu intravaskulären werden. 


M.B. Schmidt, Schridde und Lobenhoffer geben sowohl extra-, als 
auch intravaskuläre Lagerung der Blutbildungsherde zu. 

Ohne zu leugnen, dass in der embryonalen Leber auch intravaskuläre 
Blutbildung auf Kosten stauender und wuchernder Zellen vor sich geht, legt 
Saxer (49) den Hauptwert auf die extravaskulären Differenzierungsprozesse 
seiner primären Wanderzellen. 

Die Frage, ob die roten und weissen Blutkörperchen aus einer ge- 
meinsamen Stammform entstehen oder nicht, findet in den verschiedenen 
Arbeiten über die embryonale Leber, wie oben angedeutet, auch eine sehr 
verschiedene Beantwortung. Selbstverständlich darf diese Frage nicht isoliert 
behandelt werden, sondern sie bezieht sich ebensogut auch auf die Blutbildung 
im allgemeinen, in allen übrigen blutbildenden Organen. Es ist ja natürlich 
mit Sicherheit anzunehmen, dass die genetischen Beziehungen der verschiedenen 
Blutzellen zueinander in der Leber dieselben sein müssen, wie auch anderswo. 
v.d. Stricht (57, 58) lässt die roten und weissen Blutkörperchen sich in den 
Leberkapillaren aus zwei verschiedenen Zellarten entwickeln, den Erythro- 
blasten und Leukoblasten. Moderne Dualisten, wie Schridde (53), Loben- 
hoffer (27) oder Nägeli (37) usw. finden in der Leber natürlich auch zwei 


8) 
ou 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 53: 


ganz verschiedene Arten von Stammzellen für die Hämoglobinzellen und für 
die granulierten Leukozyten, allerdings ohne diese Annahme in befrie- 
digender Weise zu beweisen. Demgegenüber nehmen Kostanecki (23) und 
M. B.Schmidt (50) in ziemlich gleicher Weise für die roten und weissen 
Blutzellen in der Leber eine gemeinsame Stammzelle an, obwohl sie in bezug 
auf die Herkunft der ersten Stammzellen, wie erwähnt, verschiedener Meinung 
sind. Saxer (49) ist der ausgesprochenste Unitarier unter den Autoren, die 
die Blutbildung in der Leber ausführlich behandelt haben — aus den zwischen 
den Leberzellen liegenden primären Wanderzellen entwickeln sich nach ihm 
die Jugendformen der Erythrozyten, dieselben Wanderzellen liefern nachträg- 
lich auch die verschiedenen Leukozytenformen. Allerdings hat er gerade 
diese letztere Entwieklungsrichtung seiner Stammform in der Leber nicht 
genau verfolgt. 


Ich muss zugeben, dass die Untersuchung der Blutbildung 
in. der Leber gerade in ihren ersten Stadien bedeutende Schwierig- 
keiten bietet. Bei genügend lückenlosem Material. zweckmässiger 
Technik und günstigen Objekten können sie jedoch überwunden 
werden und meine Präparate geben mir, wie ich glaube, die 
Möglichkeit, den Gang der Blutbildungsprozesse in der Leber 
‚von ihrem ersten Anfang an genau zu verfolgen. Sie erwiesen 
sich bei allen von mir untersuchten Säugern als im Prinzip 
ziemlich übereinstimmend. Ich will im voraus sagen, dass die 
von mir erhaltenen Resultate, was die Erythropoese und Riesen- 
zellenbildung betrifft, im grossen und ganzen die Saxerschen 
Angaben bestätigen. 

Das günstigste Untersuchungsobjekt ist die Kaninchenleber. 

Die Leberanlage erscheint beim Kaninchenembryo im Laufe 
des 10. Tages der Entwicklung. Es ist bekannt, dass das Entoderm 
der Darmwand eine hohle, sackartige Ausstülpung bildet, deren 
Zellen dann in Form von verzweigten soliden Strängen in das um- 
gebende Mesenchym des Septum transversum einwachsen und in 
ihrer Gesamtheit, zusammen mit dem zwischen ihnen verlaufenden 
reichen Kapillarnetz, das rasch an Umfang zunehmende Organ 
bilden. Über die Lagebeziehung der Leberanlage zu den benach- 
barten Teilen brauche ich mich hier nicht weiter auszusprechen, 
zumal dies bereits in ausführlicher Weise von Saxer (l.c. S. 448) 
gemacht worden ist. Wichtig ist, dass die wuchernden Elemente 
der Leberanlage überall bei ihrem Wachstum an lockeres Mesen- 
chym grenzen und in dasselbe eindringen. 

In der ersten Zeit ihrer Entwicklung, beim Kaninchen- 
embryo bis zum 12. Tage. bemerkt man in der Leberanlage noch 


536 Alexander Maximow: 


nirgends Spuren von Blutbildung. Aber auch in diesen Stadien 
ist es bereits sehr wichtig, die Beziehungen der wachsenden Leber- 
zellenstränge zu dem umgebenden Mesenchym näher zu untersuchen. 
Meistens geschieht das Vordringen der Leberzellen in Form von 
kompakten Gruppen oder Strängen (Taf. XX, Fig. 32 Lz), die von 
dem umgebenden Mesenchym (Mz) durch die bedeutende Grösse 
der Zellen, durch ihre grossen nukleolenhaltigen Kerne und das 
basophile Protoplasma im allgemeinen leicht unterschieden werden 
können. An einigen Stellen lösen sich aber die Stränge in kleine 
Gruppen von 2—3 Zellen oder sogar in einzelne Zellen auf, die 
sich von den anderen vorübergehend ganz abtrennen und isoliert 
im lockeren Mesenchym liegen. Dann bekommt man Bilder, die 
an das atypische Wachstum der epithelialen Elemente bei Krebs 
erinnern und diese Eigentümlichkeit ist auch schon von Saxer 
bemerkt worden. Die in das Mesenchym vordringenden Leber- 
zellen, besonders die isolierten, sind ohne Zweifel bewegungsfähig. 
Man sieht sie nicht selten im fixierten Präparat sogar mit einer 
grossen Anzahl von pseudopodienartigen Ausläufern versehen, so 
dass sie in diesem Fall tatsächlich den Eindruck grosser wan- 
dernder Lymphozyten machen können. In den kompakten Gruppen 
und Strängen (Fig. 32 Lz) ist die Form der Zellen rundlich oder 
polyedrisch und ihre Konture meist glatt, ohne Auswüchse. 

Das Mesenchym des Septum transversum (Fig. 32 Mz) ist 
locker, ziemlich kleinzellig, die Ausläufer der Zellen bilden durch 
ihre Vereinigung ein dichtes zartes Netz, in dessen Maschen sich 
die Leberzellen bei ihrem Wachstum hineinschieben. Sehr wichtig 
ist die Konstatierung der Tatsache, dass sich in diesem Mesenchym- 
gewebe ausser den gewöhnlichen mit Ausläufern versehenen fixen 
Zellen stets, allerdings in spärlicher Anzahl, auch Wanderzellen 
(Wz) finden lassen, von demselben Typus, wie in den anderen 
Körperteilen. Grosse Iymphozytoide Wanderzellen sind hier sehr 
selten. Es handelt sich fast immer um kleine Zellen mit hellem 
vakuolärem Protoplasma und unregelmässig geformtem, oft ziem- 
lich dunklem Kern. Auch hier kann man ihre Entstehung aus den 
gewöhnlichen fixen Zellen mit Leichtigkeit verfolgen (Fig. 32 y). 

Bei dem Vordringen der Leberzellenstränge wird nun das 
Mesenchym keineswegs ganz zur Seite geschoben und durch Epithel- 
massen mit Gefässen ersetzt. Die beiden Gewebe durchwachsen 
vieimehr einander in der Weise, dass zwischen den Leberzellen- 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. al, 


strängen breitere oder schmälere Mesenchymstreifen liegen 
bleiben, die man auch überall in den zentralen, älteren Leber- 
partien zwischen den Leberzellen sieht und die ausser gewöhn- 
lichen kleinen blassen Mesenchymzellen stets auch einzelne kleine 
Wanderzellen enthalten. 

Im Mesenchym des Septum transversum sind Kapillargefässe 
wohl vorhanden, aber nur sehr schwach entwickelt. Mit dem 
Einwuchern der Leberzellenstränge geht nun auch die Entstehung 
von breiten dünnwandigen Kapillaren einher — in die von den 
ersteren umschlossenen Mesenchymstreifen sieht man sofort von 
den präexistierenden Leberkapillaren sich hohle Sprossen hinein- 
schieben (Fig. 32 L), und auf diese Weise werden die Mesenchym- 
inseln im Lebergewebe von weiten Gefässen eingenommen. Diese 
Gefässlumina sind von einem Endothel mit saftigen, oft wuchernden 
Zellen (besonders bei Ratte und Maus) umgrenzt, zwischen dem 
Endothel und den Leberzellen bleiben aber die unscheinbaren 
Mesenchymzellen und spärlichen kleinen Wanderzellen zusammen- 
gedrückt liegen. 

Bei dem weiteren inneren Wachstum des Lebergewebes treten 
natürlich sofort bedeutende Verschiebungen, Dehnungen und Ver- 
lagerungen der Leberzellenstränge und Gefässe ein, während die 
zwischen ihnen liegen gebliebenen kleinen Mesenchymelemente zuerst 
in inaktivem Zustande verharren, ohne zu wuchern und infolgedessen 
weit auseinandergeschoben werden. Dadurch kann es geschehen, dass 
man an einigen Stellen des Lebergewebes in den zentralen Partien 
des Organs zwischen den Leberzellensträngen und den ihnen eng 
anliegenden Endothelien auf ziemlich weiten Strecken gar keine 
anderen Elemente sieht. Bei genauem Studium kann man aber 
stets auch hier zwischen Endothel und Leberzellen einzeln 
zerstreute, zusammengedrückte kleine blasse Mesenchymzellen und 
Wanderzellen bemerken. Ich will dies noch gerade Schridde (53) 
gegenüber ausdrücklich hervorheben, denn er leugnet die Existenz 
jeglicher mesenchymatischer Elemente zwischen dem Gefässendothel 
und den Leberzellen. 

Diese zwischen Endothel und Leberzellen liegenden in- 
differenten mesenchymatischen Elemente sind berufen, der Ausgangs- 
punkt der Hämatopoese in der Leber zu sein. Während an der 
Peripherie der letzteren an vielen Stellen der geschilderte 


Prozess des Einwucherns der Leberzellenstränge in das Mesen- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73, 35 


538 Alexander Maximow: 


chym fortdauert, sehen wir sie in den mehr zentral gelegenen 
Partien des Organs bald eine sehr intensive Tätigkeit entfalten. 

Bei einem Kaninchenembryo von 13—13'/s Tagen tritt dies 
sehr deutlich hervor (Fig. 33). Die Leberzellen (Lz) haben in- 
zwischen bedeutend an Umfang zugenommen, ihr Protoplasma 
ist grobretikulär, etwas basophil. Der grosse sphärische oder 
ovoide Kern enthält an EAz-Präparaten ausser feineren und 
eröberen blauen Chromatinkörnchen und sehr grossen, sehr 
unregelmässig geformten Nukleolen fein verteilte rötliche Oxy- 
chromatinkörnchen. Zwischen den Leberzellen, zwischen ihnen 
und dem Gefässendothel (Ed), sieht man jetzt viele kleine 
wandernde Elemente (Wz). Sie sind sehr ungleichmässig ver- 
teilt; an den einen Stellen zahlreich angehäuft, sind sie an 
anderen nur äusserst spärlic. Es sind zum Teil die oben 
beschriebenen zwischen Leberzellen und Endothel liegen 
gebliebenen kleinen Wanderzellen (Fig. 32 Wz), die sich nur ver- 
grössert haben und jetzt klar hervortreten; zum Teil entstehen 
sie neu aus den kleinen unscheinbaren fixen Mesenchymzellen, 
in derselben Weise, wie es mit den ersten schon vor der Auf- 
nahme in das Lebergewebe geschah. Morphologisch entsprechen 
diese Wanderzellen denjenigen, die ich oben im gewöhnlichen 
Mesenchym beschrieben habe. Eine Vergleichung der Zeichnungen 
Fig. 33 Wz mit Fig. 18—22 Wz beweist dies sehr deutlich. 
Typisch sind die Vakuolen im leicht basophilen Protoplasma und 
die unregelmässig gestalteten Kerne. 

In den darauf folgenden Stadien verwandeln sich nun diese 
Wanderzellen in echte Lymphozyten. Schon auf der Fig. 35 Lmz 
sieht man eine ganze Anzahl von beweisenden Übergangsformen. 
Der Zellleib wird grösser, seine Basophilie nimmt zu, er behält 
die feinen hellen Vakuolen, besonders stark vergrössert sich aber 
auch der Kern: er wird rundlich oder oval, oft nierenförmig und 
färbt sich heller, als das stark basophile Protoplasma. Seine 
innere Struktur entspricht vollkommen einem Lymphozytenkern, 
Sehr typisch sind besonders die feinen Chromatinteilchen und 
die grossen eckigen Nukleolen. Bald findet man auch Mitosen 
in diesen Lymphozyten (Fig. 34 Lmz‘). In den meisten Fällen 
ist es an E Az-Präparaten schon bei schwacher Vergrösserung eine 
Leichtigkeit, die dunkelblauen, in dem blassblauen Lebergewebe 
einzeln verteilten Lymphozyten zu unterscheiden (Fig. 33). In 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 539 


manchen Fällen kann es aber auch vorkommen, dass einzelne 
Leberzellen den besonders grossen Lymphozyten äusserst ähnlich 
werden (Fig. 34 Lz"). Dies kann vielleicht erklären, wie die 
seltsame Vorstellung von der Entstehung der Blutzellen aus 
Leberzellen (Janosik [18]) auftauchen konnte. 

An den wuchernden Endothelien der Blutkapillaren bemerkt 
man zu gleicher Zeit hie und da Erscheinungen, die offenbar 
für viele Autoren gerade die Veranlassung waren, eine Entstehung 
der Blutzellen aus dem Gefässendothel anzunehmen. In der Tat, 
an vielen Stellen sieht man einzelne bedeutend geschwollene 
Endothelzellen mit sowohl nach dem Lumen als auch nach 
aussen hin sich vorwölbendem Zellkörper. Es hat manchmal 
sogar den Anschein, als ob sich solche Zellen nach aussen von 
der Gefässwand ablösen und in Wanderzellen verwandeln. Solche 
Bilder wird wohl auch Schridde (53) gesehen haben. 

Im Vergleich mit den übrigen Wanderzellen sind solche 
Zellen aber doch sehr selten, besonders beim Kaninchen. Und 
wenn man auch die Möglichkeit einer Entstehung der Wander- 
zellen in dem Lebergewebe aus Endothelzellen nicht ausschliessen 
kann, so ändert dies an der oben erörterten Anschauungsweise 
jedenfalls doch gar nichts, denn auch im gewöhnlichen Mesen- 
chym haben wir ja sehr oft Endothelzellen sich in Wanderzellen 
oder sogar fast direkt in Lymphozyten (in der Aorta Fig. 31 
und auch sonst Fig. 15) verwandeln sehen. Die Endothelzellen 
in der Leber sind ja auch Mesenchymzellen, die in der frühen 
embryonalen Entwicklungsperiode sicherlich noch die Fähigkeit 
besitzen, sich in wandernde Elemente zu verwandeln. 

Bei Ratte und Maus kommt die Verwandlung der Endo- 
thelien der Lebergefässe in extravaskuläre Lymphozyten sogar 
ziemlich häufig vor. 

Die angeführte Beschreibung der Entstehung der ersten 
Wanderzellen in der Leber entspricht im allgemeinen den Saxer- 
schen Angaben. 

Die ersten Blutzellen, die in der Leber auftreten, sind also 
grosse Lymphozyten (Fig. 33 Lmz). Sie entstehen zum grössten 
Teil extravaskulär aus kleinen mesenchymatischen Wanderzellen, 
die ihrerseits direkt aus gewöhnlichen Mesenchymzellen hervor- 
gehen, welche von den wuchernden Leberzellensträngen zwischen 


sich aufgenommen werden; zum Teil entstehen sie aus den 
35* 


540 Alexander Maximow: 


Endothelzellen. Diese Wanderzellen und Lymphozyten erzeugen 
im folgenden die verschiedenen Blutzellenarten. 


Der beschriebene „extravaskulär“ verlaufende Prozess wird 
dadurch kompliziert, dass sich auch in den Leberkapillaren, 
ebenso wie es oben für viele andere Körperstellen beschrieben 
wurde, wahrscheinlich infolge verlangsamter Strömung und Blut- 
stauung sehr zahlreiche wuchernde primitive Erythroblasten und 
ebenfalls aus dem zirkulierenden Blute stammende Lymphozyten 
anhäufen (Fig. 33 u. 34 L); gerade die letzteren sind hier sehr 
zahlreich, da sie überhaupt eine besondere Neigung haben, bei 
verlangsamter Blutströmung in den Gefässen zurückzubleiben. 
Bei Ratte und Maus entstehen sie auch in loco intravaskulär aus 
wucherndem Gefässendothel. 


In den Leberkapillaren finden alle diese stauenden Blut- 
zellen augenscheinlich sehr günstige Existenzbedingungen vor und 
wir sehen, dass hier infolgedessen kleine intravaskuläre Blut- 
bildungsherde entstehen (Fig. 33 L links oben, Fig. 34 L links 
unten), die sehr an die Bilder im Dottersack erinnern und in 
welchen aus den wuchernden Lymphozyten (Fig. 33 Lmz‘) eben- 
falls Megaloblasten (Fig. 34 MIb‘“) und Normoblasten (Nmb'') 
entstehen. 


Die beiden Erscheinungen, die extravaskuläre Blutbildung 
auf Kosten lokal entstehender Lymphozyten und die intravaskuläre, 
auf Kosten eingeschwemmter und lokaler, sind sicherlich zuerst von- 
einander unabhängige, parallel verlaufende Erscheinungen. Später 
treten natürlich die extravaskulären Blutzellen in die Kapillaren’ 
über und dann ist es nicht mehr möglich, sie überall deutlich aus- 
einanderzuhalten. Die von v. d. Stric ht (57, 58) hervorgehobene 
intravaskuläre Blutbildung in der Leber ist also sicher vorhanden. 
Ihre Bedeutung tritt aber im Vergleich mit der extravaskulären 
ganz zurück. Diese letztere entwickelt sich in kürzester Zeit 
ausserordentlich stark. | 


Die extravaskulären Lymphozyten entwickeln sich auch in 
der Leber in verschiedenen Richtungen und stellen auch hier 
die gemeinsame Stammform der Blutzellen, die Hämatogonie 
vor, wie im Dottersack. Hier geben sie sogar noch mannig- 
faltigere Differenzierungsprodukte, denn aus ihnen entstehen 
bier ausser den roten Blutkörperchen und den Riesenzellen so- 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. >41 


fort auch gekörnte Leukozyten von derselben Art, wie ich es 
oben für das Mesenchym beschrieben habe. 

Die ersten Anzeichen einer weiteren differenzierenden Ent- 
wicklung der extravaskulären Lymphozyten in der Leber bemerkt 
man schon in dem vorher beschriebenen Stadium, wo aus den 
mesenchymatösen Wanderzellen eben die Lymphozyten entstehen 
— einzelne von diesen letzteren entfalten sofort ihre blutbildende 
Tätigkeit. Hie und da sieht man aus ihnen schon einzelne zu- 
erst noch weit verstreute kleine Erythroblastenherde entstehen, 
während an den meisten Stellen nur kleine unscheinbare Wander- 
zellen resp. Lymphozyten vorhanden sind. Viel deutlicher ist dies 
in den etwas späteren Entwicklungsstadien, etwa nach 14 Tagen 
beim Kaninchen (bei einer Körperlänge von etwa 11 mm). 

In den Leberzellensträngen sieht man hier überall (Taf. XX, 
Fig. 54) zwischen den Leberzellen (Lz) und zwischen ihnen und 
dem Endothel (Ed) grössere und kleinere Haufen von Megalo- 
blasten (Mlb, MIb’) und Normoblasten (Nmb, Nmb‘) zerstreut. 
Ihre Entstehung an Ort und Stelle durch differenzierende 
Wucherung der Lymphozyten (Lmz) ist über alle Zweifel erhaben. 
Ihre Struktur brauche ich hier nicht ausführlich zu beschreiben — 
ein Vergleich der Fig. 34 mit der Fig. 4 beweist, dass diese 
Zellen den oben in den blutbildenden Kapillaren des Dottersacks 
beschriebenen vollkommen gleichen. Nur tritt, wie schon gesagt, 
im allgemeinen das Hämoglobin an Schnitten, besonders bei 
seinem frühesten Auftreten, nicht so deutlich hervor, wie dort 
an den Flächenpräparaten. Die Megaloblasten gleichen (Fig. 34 
Mib‘) in bezug auf ihre Kernstruktur zum Teil noch den Lym- 
phozyten, zum Teil (Mlb) bekommen sie schon ein regelmässigeres, 
dunkleres Kerngerüst, in welchem die Nukleolen zuerst noch 
unterschieden werden können. Das Protoplasma verliert die 
Basophilie und wird homogen. Die kleinen Normoblasten (Nmb’‘‘) 
bekommen im Kern ein noch kompakteres, dunkleres und regel- 
mässigeres Gerüst ohne Nukleolen, das homogene Protoplasma 
erhält an EAz-Präparaten zuerst eine deutliche rötlichviolette, 
dann eine rein rosenrote (Nmb) Färbung. In den Stadien, mit 
denen ich die vorliegende Arbeit abschliesse, sind in der Leber 
extravaskulär noch keine ganz reifen Normoblasten mit pykno- 
tischen Kernen vorhanden. In den Kapillaren trifft man sie hin- 
gegen ziemlich häufig (Fig. 34 m) — sie stammen hier natürlich 


542 Alexander Maximow: 


aus dem Dottersack. Ebenso gibt es vorläufig noch keine Beweise 
für das Übertreten der extravaskulär gelegenen Blutzellen, 
speziell der Erythroblasten, in das Gefässlumen. ‚Dies geschieht 
erst später, durch Auflockerung des Endothels. Natürlich können 
einzelne I,ymphozyten (Fig. 34 Lmz‘) jederzeit durch das En- 
dothel sowohl aus-, als auch einwandern. 

Die Erythropoese in der embryonalen Leber der Säugetiere 
geschieht also extravaskulär. Meine Befunde entsprechen in 
dieser Beziehung durchaus den Befunden von Saxer (49) — 
auch nach ihm verläuft die Erythropoese in der Leber extra- 
vaskulär und nach demselben Typus, wie sie im Dottersack intra- 
vaskulär vor sich geht. Nur differiere ich mit Saxer in bezug 
auf die Beschaffenheit der Ausgangszelle dieser Entwicklungs- 
reihe. Nach meinen Befunden muss die kleine primäre Wander- 
zelle zuerst immer den Habitus eines echten grossen Lymphozyten 
annehmen, bevor sie sich in Erythroblasten verwandelt. Saxer 
scheint hingegen die Lymphozyten als solche in der Leber nicht 
erkannt zu haben und dies ist auch leicht erklärlich, da zu jener 
Zeit erstens die hämatopoetische Funktion der grossen Lympho- 
zyten und ihre Bedeutung als Hämatogonien (Benda, Pappen- 
heim) noch nahezu unbekannt war und zweitens auch die von 
ihm gebrauchten Methoden die typische Eigenschaft dieser Zellen, 
die Basophilie, nicht genügend hervortreten liessen. 

Fast gleichzeitig mit dem Beginn der Erythropoese fängt 
in der Leber auch die Bildung von granulierten amphophilen 
Leukozyten an. Die Myelozyten entstehen hier auf ganz dieselbe 
Weise, wie es oben für das Körpermesenchym beschrieben wurde. 

Wie wir dort gesehen haben, tauchen die ersten Spuren 
der amphophilen Körnung meist in den gewöhnlichen, klein- und 
polymorphkernigen blassen Wanderzellen, seltener in den Lympho- 
zyten auf. Ebenso ist es auch in der Leber. Auch hier finden 
wir nach EAz-Färbung (Kaninchenembryo 13'/a—14 Tage) einzelne, 
noch ziemlich seltene, sehr ungleichmässig zerstreute Zellen 
(Fig. 55 Mlz) zwischen den Leberzellen und an der äusseren 
Oberfläche des Kapillarendothels, die im übrigen den oben be- 
schriebenen (Fig. 33 und 35 Wz) kleinen, blassen, extravaskulären 
Wanderzellen vollkommen entsprechen, in deren Zellkörper aber 
schon mehr oder weniger deutliche rote Granula hervortreten. 
Zuerst ist es nur ein leichter rötlicher Schimmer (Fig. 40), dann 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 543 


treten feinste staubföormige Körnchen hervor (Fig. 41 und 42), 
die mit der Zeit allmählich grösser werden (Fig. 43). Das Proto- 
plasma färbt sich sehr schwach, ohne gerade oxyphil zu werden, 
der Kern ist in den meisten Fällen (Fig. 35 Mlz, Fig. 41 und 42) 
klein und von unregelmässiger Form — nierenförmig, wurst- 
förmig, geknickt oder zerschnürt und enthält kleine, schwach 
hervortretende Nukleolen. Unvergleichlich viel seltener findet 
man Ausarbeitung von amphophilen Körnern in Iymphozyten- 
ähnlichen Zellen, auch in diesem Fall treten dann aber zugleich 
mit der Granulaausarbeitung sofort auch mehr oder weniger tiefe 
Furchen und Einschnürungen am Kerne auf. 


In diesen jüngsten gekörnten Myelozyten der Leber konnte 
ich bei ihrem ersten Auftreten Mitosen nur als Ausnahme be- 
merken — sie entstehen also vorläufig meistens direkt neu aus 
den ungranulierten Wanderzellen. 


Einige von diesen jüngsten Myelozyten verwandeln sich 
auch beim Kaninchen sofort in fertige Spezialleukozyten, indem 
die Körner gröber werden, sich intensiv rot färben, der Kern 
aber stark polymorph wird und die Nukleolen ganz verliert 
(Fig. 43). 


Besonders deutlich tritt diese verfrühte Bildung atypischer 
polymorphkerniger Spezialleukozyten auf abgekürztem Wege, ohne 
richtiges Myelozytenstadium bei der Katze hervor. Hier haben 
wir ja auch im Mesenchym dieselbe Erscheinung sich abspielen 
sehen. Schon im Mesenchym des Septum transversum finden 
wir bei ganz jungen Katzenembryonen von 7 mm Länge viele 
polymorphkernige Leukozyten mit oxyphilem Plasma. Beim Ein- 
wuchern der Leberzellenstränge werden sie zwischen dieselben 
aufgenommen und man findet sie dann zwischen Endothel und 
Leberzellen einzeln zerstreut. Sie entstehen aber in der Leber 
selbst auch neu aus den kleinen extravaskulären sich abrundenden 
Mesenchymzellen, ebenso wie beim Kaninchen. Bei der Katze 
konstatiert man demgemäss die merkwürdige Erscheinung, dass 
in der Leber, ebenso wie im Mesenchym, polymorphkernige Leuko- 
zyten früher als Myelozyten auftreten. Denn bei dieser früh- 
zeitigen Verwandlung wird das Myelozytenstadium übersprungen 
und richtige grosse wuchernde Myelozyten erscheinen erst 
viel später. 


544 Alexander Maximow: 


Wir sehen also, dass die ersten gekörnten Leukozyten zwar 
aus derselben Stammform entstehen, wie die Erythroblasten, dass 
diese Stammzelle aber zu diesem Zwecke nicht erst den morpho- 
logischen Charakter eines grossen Lymphozyten anzunehmen 
braucht, wie im Falle der Erythroblastenproduktion, sondern sich 
sofort, schon in kleinzelligem, sehr schwach basophilem Zustande 
durch Ausarbeitung von Körnchen in einen jungen Myelozyten 
oder sogar direkt in einen zwar etwas atypischen, aber doch un- 
verkennbaren polymorphkernigen Leukozyten verwandeln kann. 
Diese letzteren bleiben vorerst noch sämtlich extravaskulär. 

Der Schluss, den Saxer (l. c. 5. 470) zieht, dass die Leber 
keine nennenswerten Mengen von Leukozyten produziert, ent- 
spricht somit nicht den Tatsachen; er folgerte dies daraus, dass 
die Leukozyten im Blute während der ganzen Dauer der Blut- 
bildung in der Leber fehlen. Nun ist aber der Satz vom Fehlen 
der Leukozyten im zirkulierenden embryonalen Blut durch die 
obigen Darlegungen als unrichtig erwiesen. Ferner sehen wir 
ja in der Leberanlage vor allen anderen Blutelementen zuerst 
gerade Lymphozyten auftreten und diese sind ja auch Leukozyten, 
richtige weisse Blutkörperchen. Sie sind, wie gesagt, von Saxer 
als besondere, typische Zellart nicht erkannt worden und zum 
Teil wurden sie von ihm wohl den jüngeren Erythroblastenform en 
zum Teil auch wohl den Riesenzellen zugerechnet — besonders 
das letztere ist sehr wahrscheinlich, denn so zahlreiche Riesen- 
zellen, wie sie Saxer beschreibt, finde ich in den embryonalen 
(Geweben überhaupt nicht. Ich glaube auch, dass die kleinen 
Wanderzellen mit polymorphem Kern, die Saxer in der Leber 
von Schweineembryonen abbildet, die von mir beschriebenen ersten, 
direkt aus den mesenchymatischen Wanderzellen entstehenden 
polymorphkernigen granulierten Leukozyten waren. Saxer hat 
an seinen Präparaten die Körnchen nicht sehen und die Leuko- 
zytennatur dieser Zellen infolgedessen nicht erkennen können 
und aus diesem Grunde konnte er sie auch von den primären 
Wanderzellen nicht unterscheiden. 

Aus den Wanderzellen resp. Lymphozyten entstehen in der 
Leber ausser Erythroblasten und Granulozyten auch Riesenzellen, 
typische und atypische Megakaryozyten. Der Entwicklungsgang 
dieser Zellart ist genau derselbe wie im Dottersack, mit demi 
Unterschied, dass sie hier extravaskulär entstehen. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 545 


Ich finde auch in der Leber dieselben Abarten der Riesen- 
zellen, wie dort; sie sind voneinander keineswegs scharf zu trennen. 
In allen Fällen (Fig. 36—39) tritt die starke Hypertrophie des 
basophilen Zellleibes in den Vordergrund. Seine retikuläre 
Struktur tritt sehr deutlich hervor, es entstehen im Protoplasma 
manchmal (Fig. 38 und 39) konzentrische Faserschichten, das 
Zentrum der Zelle wird oft von einem deutlichen grossen Archo- 
plasmahof eingenommen. Der Kern verändert sich nun in einem 
Teil der Zellen (Fig. 36) in der Weise, dass er unter starker 
Hypertrophie unregelmässige Auswüchse und Einschnürungen be- 
kommt, sich aber nicht in Teile zerschnürt; in diesem Fall ent- 
stehen richtige Megakaryozyten, indem später multipolare Mitosen 
mit nachfolgender Konfluenz der Tochterkerne auftreten, wie es 
von v.d. Strieht, Kostanecki (23) und anderen gerade in 
der embryonalen Leber beschrieben worden ist. ‘In den meisten 
Zellen tritt jedoch (Fig. 37—39) Kernamitose ohne Plasmateilung 
ein, wobei die neuen abgeschnürten Kerne rasch die Grösse der 
ursprünglichen erreichen und sich um den zentralen Archoplasma- 
hof kranzförmig anordnen. Nicht selten (Fig. 39) nehmen dabei 
einzelne Kerne nach EAz eine eigentümliche diffuse rotviolette 
Färbung an. 

Auch in den Leberkapillaren, ebenso wie in den Kapillaren 
am Gehirn (siehe oben) können gelegentlich Riesenzellen gefunden 
werden — sie werden hierher entweder in fertigem Zustand mit 
dem Blute eingeschwemmt oder sie entwickeln sich hier in loco 
aus den in den Kapillaren stauenden Lymphozyten. 

Die Bedeutung der Riesenzellen vom Typus der Megakaryo- 
zyten für die Blutbildung ist vollkommen dunkel; Tatsache ist, 
dass sie überall entstehen, wo Erythropoese und Granulopoese 
stattfinden. Jedenfalls habe ich im Gegensatz zu Saxer niemals 
beobachtet, dass aus ihnen durch Ablösung von einzelnen kern- 
haltigen Teilen neue einkernige Zellen entstehen könnten. 

Beim Beginn der Blutbildung in der Leber tritt noch eine 
interessante Erscheinung hervor, die von mir ebenfalls bereits 
im Dottersack beobachtet wurde. Das Endothel der Blutkapillaren 
entfaltet nämlich eine sehr intensive phagozytische Tätigkeit. 
Dies ist bereits von Nattan Larrier (26) und Jolly (20) in 
der embryonalen Leber gesehen worden. Es sind vornehmlich 
die fixen, an Ort und Stelle verbleibenden Endothelzellen, die 


546 : Alexander Maximow: 


als Phagozyten funktionieren (Fig. 35 und 34 w). Als Objekt 
dienen immer die grossen primitiven Erythroblasten (pEbl), viel 
seltener die noch verhältnismässig spärlichen definitiven oder ihre 
freien ausgetretenen degenerierten Kerne. Der Zelleib einer 
Endothelzelle erscheint durch die verschlungenen grossen Erythro- 
blasten stark ausgedehnt, der Kern ist zur Peripherie abgeschoben, 
abgeplattet und liegt der kugelförmigen, stark hämoglobinhaltigen 
Masse kalottenförmig an. Das Protoplasma der verschlungenen 
Erythroblasten nimmt nach EAz eine besonders intensive, 
glänzende Rotfärbung an. Es verkleinert sich allmählich, bekommt 
eine granulierte Struktur und verschwindet schliesslich, wobei 
sich die betreffende Endothelzelle wieder abplattet. Der Kern 
der Erythroblasten tritt auch hier. ebenso wie bei der Phagozytose 
der definitiven Erythroblasten im Mesenchym (siehe oben, Fig.30y), 
entweder aus dem hämoglobinhaltigen Zellkörper in das Proto- 
plasma des Phagozyten heraus, oder er verfällt unter dem Ein- 
fluss der verdauenden Tätigkeit des letzteren einer intrazellulären 
Karyolyse, wie sie sonst an freibleibenden Erythroblasten nicht 
vorkommt. 

Neben dieser Phagozytose durch fixe Endothelzellen sieht 
man in den Leberkapillaren (Kaninchenembryo 14 Tage) viele 
von ihnen sich auch frei in das Lumen ablösen (Fig. 34 Edph) 
und in kleine Wanderzellen mit hellem Protoplasma und unregel- 
mässigem Kern verwandeln. Sie können auch als freie Phago- 
zyten funktionieren (Fig. 34 Edph oben) und entsprechen voll- 
kommen den im Dottersack aus dem FEndothel entstehenden 
amöboiden Zellen (Fig. 4 Edph). Ob sie sich dann auch weiter 
in gewöhnliche Lymphozyten verwandeln können, ist schwer zu 
sagen, meiner Meinung nach ist aber diese Annahme, wenn man 
die oben geschilderte Entstehung von echten Lymphozyten aus 
dem Aortenendothel berücksichtigt, keineswegs unwahrscheinlich. 


14. Schluss. 


Ich glaube, dass durch die vorliegenden Untersuchungen 
die Fragen, die ich am Anfang dieser Arbeit formuliert habe, 
ihre mehr oder weniger vollständige Lösung finden. Die genaue 
Verfolgung der frühesten Entwicklungsstadien der Blut- und 
Bindegewebszellen gibt genaue Aufschlüsse über das Wesen der 
wichtigsten hämatopoetischen Prozesse. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 547 


Die ersten Blutzellen, die aus den Blutinseln entstehen und 
intravaskulär liegen, sind abgerundete, indifferente, hämoglobinlose 
Mesoblast- resp. Mesenchymzellen. 

Sie vermehren sich weiter durch selbständige Wucherung, 
zum Teil aber auch, wenigstens am Anfang, durch fortdauernde Ab- 
rundung und Isolierung der Endothelzellen der primären Gefässe. 

Gleich am Anfang verwandelt sich ein grosser Teil von ihnen 
in die primitiven Erythroblasten, die sich sofort als isolierter, 
scharf abgegrenzter Zellstamm ganz abspalten und sich selbständig 
weiter vermehren und entwickeln. Sie stellen vielleicht Über- 
bleibsel phylogenetisch alter, noch unvollkommener Zellformen 
vor, funktionieren ziemlich lange, sterben aber allmählich alle 
aus, um durch die endgültigen roten Blutkörperchen ersetzt zu 
werden. 

Die übrigen primitiven Blutzellen bleiben hämoglobinlos und 
nehmen den morphologischen Charakter von echten ungranulierten 
Leukozyten, von Lymphozyten an — sie bleiben als indifferente 
runde Mesenchymzellen, deren Wanderungsfähigkeit jetzt sehr 
deutlich hervortritt. 

Aus diesen IL,ymphozyten gehen dann die endgültigen roten 
Blutzellen hervor. Ein Teil der Nachkommenschaft der wuchern- 
den Lymphozyten verwandelt sich unter Hämoglobinausarbeitung 
im Plasma, Umgruppierung des Chromatins im Kern und Schwund 
der Nukleolen in definitive Erythroblasten und weiter in Erythro- 
zyten, die die primitiven Erythroblasten und Erythrozyten zuerst 
aus dem blutbildenden Gefässnetz der area vasculosa, dann aus 
dem zirkulierenden Blut allmählich verdrängen. Dieser Ent- 
wicklungsmodus der definitiven Erythroblasten bleibt für das ganze 
übrige Leben erhalten und geschieht in derselben Weise in allen 
erythropoetisch funktionierenden blutbildenden Organen. Selbst- 
verständlich können die Erythroblasten sich auch durch eigene 
Wucherung vermehren. Überall aber, wo sich indifferente 
mesenchymatische Wanderzellen, Lymphozyten befinden, ist eo 
ipso auch Neuentstehung von Erythroblasten aus diesen farblosen 
Stammzellen möglich. 

Wenn man schon durchaus die Frage aufwerfen will, welche 
von den beiden Zellarten des Blutes, die roten oder die weissen 
Blutkörperchen, zuerst entstehen, so muss die Antwort dahin 
lauten, dass die beiden Zellarten zugleich, an ein und demselben 


548 Alexander Maximow: 


Orte und aus ein und derselben Quelle — den primitiven Blut- 
zellen in den Gefässen der area vasculosa entstehen. Sie treten 
beide zugleich und schon in den frühesten Stadien auf. 

Die Anhänger der polyphyletischen Theorie der Hämatopoese, 
die selbst embryologisches Material untersucht haben und dabei 
neue Beweise für ihre Lehre gefunden zu haben glauben 
(Sehridde u.a.), berufen sich bekanntlich darauf, dass zuerst 
nur Erythroblasten entstehen, während die Leukozyten erst viel 
später und an anderen Orten auftreten. Wie wir gesehen haben, 
entspricht dies nicht den Tatsachen. Wenn in den Gefässräumen 
Junger Säugetierembryonen nur Erythroblasten und keine Lympho- 
zyten gefunden wurden, so hing dies sicherlich immer nur von 
unzweckmässiger Technik und mangelhaftem Material ab, wodurch 
die Unterscheidung der beiden Zellarten mitunter allerdings sehr 
erschwert werden kann. 

Da die primitiven Blutzellen, wie ich es schon oben hervor- 
gehoben habe, als indifferente, hämoglobinlose Elemente den 
Leukozyten viel näher stehen, als den roten Blutzellen, so könnte 
man eigentlich sogar sagen, dass zuerst die Leukozyten entstehen, 
während hämoglobinhaltige Zellen ja erst später auftreten. Beim 
Hühnchen ist das sogar sicher der Fall, da die primitiven Blut- 
zellen dort schon von Anfang an echten Lymphozyten voll- 
ständig gleichen. 

Die Vorstellung, dass die Leukozyten zuerst und die 
Erythrozyten erst nachträglich entstehen, dass die Leukozyten 
die ontogenetisch älteren Zellen sind, ist ja auch viel natürlicher, 
als die heutzutage allgemein herrschende umgekehrte; denn 
zuerst müssen doch sicherlich indifferente Zellen vorhanden sein, 
damit sich aus ihnen dann höhere und spezifischer differenzierte 
Elemente entwickeln könnten und als solche müssen doch jeden- 
falls gerade die Erythrozyten betrachtet werden. Vielleicht wird 
sich der ungranulierte Leukozyt, die indifferente, abgerundete 
Mesenchymzelle auch phylogenetisch als die älteste Zellform des 
Blutes erweisen. 

Die Abgrenzung der primitiven Blutzellen von den Lympho= 
zyten ist also überhaupt etwas künstlich, besonders bei den 
Vögeln (Dantschakoff) — die Lymphozyten stellen die direkten 
Nachkommen der primitiven Blutzellen vor, ihre weiteren 
Generationen, in denen die histologischen Strukturveränderungen 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 549 


nur mehr äusserliche sind, während die Grundeigenschaften der 
Zelle dieselben bleiben. Die primitiven und definitiven Erythro- 
blasten stellen hingegen Seitenäste vor, die sich vom Haupt- 
stamm der indifferenten freien Mesenchymzellen nacheinander 
abzweigen. 

Die ersten weissen Blutkörperchen, die Lymphozyten, sind 
also ebensolche indifferente runde Mesenchymzellen, wie die 
primitiven Blutzellen und bleiben als solche für das ganze Leben 
erhalten — sie erben von den letzteren und behalten für immer 
die grosse plurivalente prospektive Entwicklungspotenz und 
stellen die gemeinsame Stammzelle vor, aus der alle die anderen 
Blutzellenarten durch differenzierende Entwicklung in ver- 
schiedenen Richtungen stets hervorgehen können. Von den in 
der Literatur bekannten Zelltypen entsprechen sie ihrer Bedeutung 
nach am meisten den von Saxer zuerst beschriebenen primären 
Wanderzellen. 

So wie die Lymphozyten in der area vasculosa aus den 
primitiven Blutzellen entstehen (die ihrerseits ja auch ab- 
gerundete Blutinselzellen resp. Endothelzellen vorstellen), so 
können mobile freie indifferente Mesenchymzellen auch an 
anderen Stellen des embryonalen Organismus und zu verschiedener 
Zeit aus den gewöhnlichen miteinander netzartig verbundenen 
Mesenchymzellen oder aus Gefässendothelien, die ja auch nur 
abgeplattete Mesenchymzellen sind, hervorgehen — so sehen wir 
es überall im Körpermesenchym, im Endothel der Aorta, in 
der Leber. 

Je nach dem Ort und der Zeit des Erscheinens, je nach 
den Existenzbedingungen können diese mesenchymatischen Wander- 
zellen verschieden aussehen. Sie treten in zwei Hauptformen auf. 
Die eine Form ist der typische grosse basophile schmalrandige 
hellkernige Lymphozyt, wie man ihn überall in den blutbildenden 
Organen findet. Die andere ist die sogenannte „histiogene Wander- 
zelle“ — eine Zelle mit schwach basophilem, stark amöboidem 
Protoplasma, relativ kleinem, meist unregelmässigem Kern. Diese 
beiden extremen Formen sind histiologisch sehr verschieden, sie 
sind aber erstens durch fliessende, stets nebeneinander existierende 
Übergangsformen verbunden, zweitens können sie auch wirklich 
direkt ineinander übergehen. Eine ganz wie ein Blutlymphozyt 
aussehende Wanderzelle kann sich im embryonalen Bindegewebe 


550 Alexander Maximow: 


unter Wucherung in kleinkernige histiogene Wanderzellen ver- 
wandeln. Eine typische, blasse kleinkernige Gewebswanderzelle 
kann sich umgekehrt direkt durch Hypertrophie und Zunahme 
von Basophilie im Plasma in einen echten Lymphozyten ver- 
wandeln — wir haben dafür viele Beispiele gefunden z.B. bei der 
Endothelwucherung in der Aorta, bei dem Anfang der Blut- 
bildung in der Leber. Wir haben auch gesehen, dass die Gewebs- 
wanderzellen ebenso wie typische Blutlymphozyten, Erythro- 
blastenherde erzeugen oder sich in gekörnte Myelozyten und 
Leukozyten verwandeln können. Endlich können sie auch wohl 
durch Migration in die Gefässbahn gelangen und dort ebenfalls 
zu Lymphozyten werden. 

Die zahllosen Typen der ungekörnten Leukozyten und 
Wanderzellen, die heutzutage in der Hämatologie unterschieden, 
in schematischen Stammbäumen an besonderen Plätzen unter- 
gebracht und mit komplizierten Namen belegt werden, die 
grossen, kleinen Lymphozyten, Splenozyten, leukozytoiden Wander- 
zellen usw. haben nicht die Bedeutung distinkter Zellstämme, 
sondern nur verschiedener Funktionszustände einer einzigen Zell- 
art, die mit mehr oder weniger deutlichen und charakteristischen 
histiologischen Merkmalen ausgestattet sind. 

Dies bezieht sich vor allem auf die Begriffe „grosser und 
kleiner Lymphozyt“. Es ist ja eine bis jetzt allgemein an- 
senommene Tatsache, dass die kleinen Lymphozyten durch 
Teilung der grossen in den Keimzentren des adenoiden Gewebes 
gebildet werden. Ich habe dies bis jetzt niemals bestritten 
und die mir von Pappenheim (40) irrtümlicherweise zu- 
geschriebene Meinung nie vertreten, dass die grossen Lympho- 
zyten immer nur aus den kleinen durch Hpypertrophie ent- 
stünden. Es ist aber sicher, dass der kleine Lymphozyt keine 
reife, nicht mehr entwicklungsfähige Zelle vorstellt, sondern im 
Gegenteil sich sehr mannigfaltig weiter entwickeln kann. Erstens 
wuchert er auch selbst, ferner kann er bei passenden Bedingungen 
hypertrophieren und in eine grössere Wanderzelle von beliebigem 
Aussehen oder in einen grossen Lymphozyt übergehen und dann 
auch zum Ausgangspunkte der Blutbildung werden. Der kleine 
und der grosse Lymphozyt sind bloss temporäre Zustände im 
Leben einer einzigen Zellart und der Streit darüber, ob die 
kleinen Lymphozyten aus den grossen entstehen oder umgekehrt, 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. al 


hat überhaupt keine Bedeutung. In den in dieser Arbeit berück- 
sichtigten frühesten Entwicklungsstadien findet man übrigens im 
ganzen Körper noch nirgends typische kleine Lymphozyten. Sie 
erscheinen erst später. 

Wie die grossen Lymphozyten von den kleinen nicht 
getrennt werden dürfen, so ist jetzt auch die alte Ehrlichsche 
Lehre, dass die sogenannten „grossen einkernigen Leukozyten“ 
eine von den Lymphozyten ganz ‚verschiedene Zellart vorstellen, 
nicht mehr aufrecht zu erhalten. 

Es steht ferner fest, dass man auch nicht unterscheiden 
kann zwischen sogenannten „hämatogenen“ und „histiogenen“ 
Wanderzellen. Die embryologischen Tatsachen bekräftigen diesen 
Schluss, ebenso wie es auch die Beobachtung des Entzündungs- 
prozesses und die Untersuchung des normalen Bindegewebes und 
Blutes lehren. Die Wanderzellen sind ubiquitär, überall gleich- 
wertig, ob sie von Anfang an im Gewebe, extravaskulär, oder in 
der Gefässbahn, intravaskulär existieren, oder ob sie aus dem 
Gewebe in das Blut oder umgekehrt aus dem Blut in das 
(sewebe übergewandert sind. 

Mit Weidenreich stehe ich auf dem Standpunkt, den 
ich auch schon früher (30—32), klar ausgesprochen habe, dass 
alle ungranulierten Leukozyten und auch die Wanderzellen des 
Gewebes eine einzige grosse Zellgruppe vorstellen. 

Die histiologischen Unterschiede, die die verschiedenen 
Wanderzellen an verschiedenen Stellen darbieten, sind also ganz 
und gar belanglos und hängen nur von den jeweiligen Existenz- 
bedingungen ab, in denen sich die betreffende Zelle befindet. Der 
Stamm der Wanderzellen darf nicht in verschiedene distinkte Zell- 
gattungen eingeteilt werden. Die Lymphozyten resp. die Wander- 
zellen haben überall dieselbe Entwicklungspotenz, je nach Ort 
und Zeit ihrer Entstehung sehen sie aber natürlich sehr ver- 
schieden aus und können sich auch in sehr verschiedener Weise 
entwickeln. An den einen Stellen erzeugen sie ausser Riesen- 
zellen und Phagozyten in der Hauptsache nur Erythroblasten -— 
so ist es z. B. in den Gefässen der Dottersackwand oder an 
bestimmten Stellen im Körpermesenchym. An anderen Stellen 
bilden sie Granulozyten — so sehen wir es hier und da im 
Körpermesenchym. Oder sie bilden unter fortgesetzter Wucherung 
nur ihresgleichen — so finden wir es z.B. in der Thymus und 


552 Alexander Maximow: 


später in den Lymphknoten. Endlich gibt es Stellen. wo sie 
alle verschiedene Blutzellenarten zugleich erzeugen, wenn auch 
in sehr verschiedenen Mengen — so ist es der Fall in der 
embryonalen Leber und später im Knochenmark. 


Die Lymphozyten und die ihnen gleichwertigen Wander- 
zellen entstehen zuerst durch Abrundung und Isolierung gewöhn- 
licher netzartig verbundener oder als Endothelzellen abgeplatteter 
Mesenchymelemente. Sie behalten als indifferente Zellen für immer 
die Fähigkeit der selbständigen Vermehrung durch Karyokinese. 
Ihre Neuentstehung aus gewöhnlichen fixen Mesenchymzellen 
wird hingegen mit der Zeit immer mehr und mehr eingeschränkt. 
Ob dieser Prozess im erwachsenen Organismus ganz erlöscht 
oder an bestimmten Stellen und unter bestimmten Bedingungen 
auch hier fortdauern kann, ist eine noch offene Frage. Die 
neuesten Untersuchungen von Weidenreich (66) lassen aber 
die bejahende Lösung als die wahrscheinlichere betrachten. 


Es ist klar, dass die geschilderten Tatsachen sich mit der 
dualistischen oder polyphyletischen Auffassung der Hämatopoese 
nicht vereinbaren lassen. Das Studium der frühesten, wichtigsten 
Entwicklungsstadien der Blut- und Bindegewebsentwicklung be- 
stätigt die Richtigkeit der unitarischen oder monophyletischen 
Theorie der Hämatopoese. Die verschiedenen Blutzellenarten 
regenerieren sich wohl selbständig durch Wucherung, sie stellen 
aber, abgesehen von den primitiven Erythroblasten, nicht isolierte, 
scharf abgegrenzte Zellstämme vor, sondern sie können jeder- 
zeit aus einer gemeinsamen indifferenten Stammzelle durch 
differenzierende Entwicklung in verschiedenen Richtungen neu 
entstehen. 


Wenn man die Schicksale der embryonalen indifterenten 
Stammzelle des Blutes von ihren ersten Entwicklungsstadien an 
verfolgt und wenn man gesehen hat, wie sie sich überall je nach 
den Existenzbedingungen verändert, ohne sich doch in streng 
gesonderte Zellstämme ganz aufzulösen, macht es einen 
befremdenden und nicht gerade sehr erfreulichen Eindruck, wenn 
Dualisten, wie Schridde, Nägeli u. a, um ihre Lehre zu 
retten, sich bemühen, sogenannte „Lymphoblasten“ und „Myelo- 
blasten“ zu unterscheiden und sich dabei auf solche Merkmale 
berufen, wie ein etwas abweichender Ton, in dem sich die 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 555 


Granula des Zellleibes färben, oder verschiedene Zahl der 
Nukleolen usw. 

Lymphoides Gewebe kann von myeloidem Gewebe nicht 
getrennt werden. Besondere Lymphoblasten und Myeloblasten 
gibt es nicht, ebenso wie es keine besonderen farblosen Erythro- 
blasten und Leukoblasten gibt. Gewiss sehen die Zellen, die 
sich in rote Blutzellen oder in granulierte Myelozyten ver- 
wandeln, oft verschieden aus und haben gewisse typische 
Eigentümlichkeiten der Struktur, noch bevor in ihrem Proto- 
plasma Hämoglobin oder bestimmte Granula nachgewiesen werden 
können. Das beweist aber bloss, dass unsere Methoden zur Auf- 
findung der ersten Spuren der betreffenden Substanzen nicht 
empfindlich genug sind und weiter, dass die Zellen sich bereits 
vor Auftritt dieser bestimmten, uns bekannten Differenzierungs- 
produkte, des Hämoglobins oder der Granula, in besonderer 
Weise strukturell verändern — nicht dass es so und so viele 
besondere isolierte Zellarten sind, die sich nur selbständig durch 
Mitose vermehren können. 

Da es nun von Anfang an eine gemeinsame Stammzelle 
für alle Blutelemente, eine „Hämatogonie“ gibt, so ist es klar, 
dass man im Verlauf der embryonalen Hämatopoese keine 
qualitativ scharf zu unterscheidende Etappen annehmen darf, wie 
es die Anhänger der polyphyletischen Theorie, Schridde, Jost 
und andere tun. Es gibt keine „prämedulläre“ und „medulläre“ 
(Jost) Periode der Blutentwicklung, denn im Knochenmark ge- 
schieht die Hämatopoese in derselben Weise auf Kosten der sich 
in verschiedenen Richtungen difierenzierenden Lymphozyten, wie 
in der Leber, im Mesenchym oder auch im Dottersack — nur 
geht sie im Mark besonders weit und es entstehen besonders 
zahlreiche Differenzierungsprodukte. Mit dem Beginn der 
Hämatopoese in der Leber geschieht auch nichts aussergewöhn- 
liches Neues, wie es Schridde annimmt, es entstehen hier 
keine besonderen neuen Erythroblasten und Myeloblasten aus 
Endothelzellen, sondern es tauchen dieselben indifferenten mesen- 
chymatischen Wanderzellen auf, wie wir sie schon früher im 
Dottersack finden. Sie verwandeln sich in ganz entsprechende 
Lymphozyten und werden auch hier, ebenso wie dort, zum Aus- 
gangspunkt der Hämatopoese, die jedoch infolge anderer örtlicher 


Verhältnisse etwas anders verläuft und zu komplizierteren Resultaten 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 36 


554 Alexander Maximow: 


führt — es entstehen nicht nur Erythrozyten, sondern auch 
Granulozyten. 

Was speziell die Entwicklung der definitiven roten Blut- 
körperchen anbelangt, so folgt aus den dargelegten Tatsachen, 
dass sie aus farblosen indifferenten Elementen vom Charakter der 
grossen Lymphozyten entstehen. Dies geschieht, wie wir sehen, 
schon in den frühesten Entwicklungsperioden. Dass diese Er- 
scheinung auch für die spätere Zeit in derselben Weise be- 
stehen bleibt, werde ich in einer anderen Arbeit zu beweisen 
versuchen. 

Durch Wucherung der Lymphozyten entstehen zuerst hell- 
kernige, schmalrandige, hämoglobinarme Zellen, amblychromatische 
Megaloblasten. Diese verwandeln sich unter fortgesetzter Wucherung 
in dunkelkernige, breitrandige, hämoglobinreiche, trachychroma- 
tische Normoblasten. In diesen verfällt der Kern der Pyknose, 
wird oft in Fragmente zerteilt und in diesem Zustande aus der 
Zelle ausgestossen. Dass intrazelluläre Karyolyse im normalen 
Verlauf der Entwicklung der definitiven Erythroblasten überhaupt 
nicht vorkommt, ist, wie ich glaube, durch die vorliegenden 
Untersuchungen genügend bewiesen, wenn dies überhaupt noch 
eines Beweises bedurfte. 

Die Megaloblasten und Normoblasten sind demnach keine 
zwei streng verschiedene Zellarten. Sie sind bloss zwei auf- 
einanderfolgende Übergangsetappen in der differenzierenden Ent- 
wicklung der Lymphozyten zu den roten Blutkörperchen. Auf 
diesem Standpunkt stehen auch Weidenreich und Pappen- 
heim. Die beschriebene Verwandlung der Megaloblasten in Normo- 
blasten kann natürlich je nach den Umständen mit verschiedener 
Geschwindigkeit verlaufen und unter pathologischen Bedingungen 
können die amblychromatischen Zwischenformen, die Megaloblasten, 
mitunter in diesem Zustande länger, als normal verharren und 
vielleicht sogar atypische hämoglobinarme (polychromatophile) 
Megalozyten liefern (Pappenheim). 

Wenn ich auf einem ausgesprochen monophyletischen Stand- 
punkte stehe und die Existenz einer gemeinsamen indifferenten 
Stammzelle für alle Blutzellenarten während des ganzen Lebens 
annehme, so will ich andererseits, ebenso wie Pappenheim und 
Weidenreich, natürlich nicht behaupten, dass auch die ent- 
wickelten Blutzellen ineinander übergehen können, dass z. B. die 


O1 
us} | 
a 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 


granulierten Leukozyten nicht spezifische Zellarten sind (Arnold). 
Sobald das betreffende Stammzellenexemplar den Weg einer be- 
stimmten spezifischen Entwicklung eingeschlagen hat, verliert es 
wahrscheinlich sofort die Möglichkeit, durch Anaplasie wieder in 
den ursprünglichen indifferenten Zustand zurückzukehren. Ebenso, 
wie eine Hämoglobinzelle nicht wieder hämoglobinlos werden 
kann, so kann also auch eine granulierte Zelle nicht wieder 
granulationslos werden oder ein Myelozyt mit bestimmter Körnung 
sich in einen anders gekörnten verwandeln. Eine andere Frage 
ist freilich die, ob die ersten granulierten Zellen, deren Ent- 
wicklung ich oben geschildert habe, nicht etwa eine besondere, 
gewissermassen primitive Form vorstellen, die sich erst später 
in die beim erwachsenen Tier vorhandenen Granulozytenarten 
spaltet. Zu diesem Problem werde ich in einer späteren Arbeit 
Stellung nehmen. 

Ich bin mir dessen wohl bewusst, dass meine Ansichten 
von seiten vieler Hämatologen heftige Angriffe zu erleiden haben 
werden. Zu jeder Kritik möchte ich bloss im voraus bemerken, 
dass sie nur dann Bedeutung haben und der Wissenschaft von 
Nutzen sein kann, wenn sie auf systematischen Untersuchungen 
begründet sein wird, die an gleichwertigem Material und mittelst 
gleichwertiger Methoden ausgeführt worden sind. 


Literaturverzeichnis. 


1. Bonnet: Grundriss der Entwicklungsgeschichte. Berlin 1891. 
2. Browning: Öbservations on the development of the granular leucocytes 
in the human foetus. The Journal of Pathology and Bact., V.10, No.2, 1905. 
3. Bryce: The histology of the blood of the Larva of Lepidosiren paradoxa. 
Part. II. Haematogenesis. Transact. of the R. Soc. of Edinburgh, V. XLI, 
-.,,.Paxt. I,2N0.119) 1905: 
4. Dantschakoff: Über Blutbildung beim Hühnerembryo. Verhandl. der 
Anat. Gesellsch., 22. Versammlung in Berlin, April 1908. 
4a. Dieselbe: Über das erste Auftreten der Blutelemente im Hühnerembryo. 
Vorl. Mitt. Folia haematologica, IV. Jahrg., Suppl. No. 2, 1907. 
5. Dieselbe: Zur Herstellung der Zelloidinserien. Zeitschrift für wissen- 
 schaftl. Mikroskopie, Bd. 25, 1908. 
5a. Dieselbe: Untersuchungen über die Entwicklung des Blutes und Binde- 
sewebes bei den Vögeln. I. Die erste Entstehung der Blutzellen beim 
Hühnerembryo ete. Anatomische Hefte, Bd. 37, 1908. 
36* 


556 


10. 


11. 


12. 


13. 


14. 


Alexander Maximow: 


Dominieci: Sur le plan de structure du systeme h&matopoistique des 
mammiferes. Archives generales de Medecine, No. 11, 1906. 

Engel: Zur Entstehung der körperlichen Elemente des Blutes. Arch. 
f. mikr. Anat., Bd. 42, 1893. 

Derselbe: Weiterer Beitrag zur Entwicklung der Blutkörperchen beim 
menschlichen Embryo. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 53, 1899. 


. Derselbe: Die Blutkörperchen des Schweines in der ersten Hälfte des 


embryonalen Lebens. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 54, 1899. 

Derselbe: Über die Entwicklung der roten Blutkörperchen bei den Wirbel- 
tieren. Compte rend. du XIII. congr&s internat. de medecine, Paris 1900. 
T. I. Sect. d’Hist. et d’Embryol., p. 19. 

Derselbe: Über kernhaltige rote Blutkörperchen und deren Entwicklung. 
Deutsche med. Wochenschrift, No. 29, 1906. 

Derselbe: Über Entstehung und Neubildung des Blutes. Verein f. innere 
Medizin, 2. Juli 1906. Referat in Fol. haematol., Jahrgang 4, Suppl., 3 
Dez. 1907. 

Giglio-Tos: La struttura e l’evoluzione dei corpuscoli rossi del 
sangue nei vertebrati. Accademia reale delle scienze di Torino, Anno 
1896— 1897. 

Goodall: Haematogenesis in foetal sheep. The Journal of Pathology 
and Bacteriology, Vol. 12, No. 2 u. 3. 


. Gulland: Classification, origin and probable röle of leucocytes etc. 


Folia haematologica, Bd. III, No. 10 u. 11, 1906. 


. Gütig: Ein Beitrag zur Morphologie des Schweineblutes. Arch. f. mikr. 


Anat., Bd. 70, H. 4, 1907. 


. Helly: Die hämatopoetischen Organe. Wien 1906. 
. Janosik: Le developpement des globules sanguins chez les amniotes. 


Bibliographie anatomique, T. X, 1902. 


. Jolly: Sur l’evolution des globules rouges dans le sang des embryons 


des mammiferes. Compt. rend. soc. biol., T. 57, 1905. 
Derselbe: Recherches sur la formation des globules rouges des mammi- 
feres. Archives d’anat. microscopique, T. 9, 1907. 


Ko Iry et Acuna: Les leucocytes du sang chez les embryons des mammi- 


feres. Archives d’anat. mieroscopique, T. 7, 1905. 


Jost: Beitrag zur Lehre von der Blutentwicklung des embryonalen 


Rindes und Schafes. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 61, 1903. 
Kostanecki: Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blut- 
bildung. Anatomische Hefte, Bd. 3. 

Kuborn: Du developpement des vaisseaux et du sang dans le foie 
d’embryon. Anat. Anzeiger, 1890. 


. Laguesse: Quelques observations sur la motilite des cellules du mesen- 


chyme. Compt. rend. Assoc. anat., 3 sess., Lyon 1901. 


, Nattan Larrier: Le tissu myeloide du foie foetal. Archives de me- 


decine experim. et d’anat. path., 1 ser., T. 16, 1904. 


. Lobenhoffer: Über extravaskuläre Erythropoese in der Leber unter 


path. u. norm. Verhältnissen. Zieglers Beiträge, Bd. 43, 1908. 


45. 


U 
b} | 
— 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 59 


. Mall: On the development «f the connectiv tissues from the connective 


tissue syneytium. The American Journal of Anatomy, V.1, 1901—1902. 


. Maximow: Über die Struktur und Entkernung der roten Blutkörperchen 


etc. Arch. f. Anat. u. Physiol., Anat. Abt., 1899. 

Derselbe: Experimentelle Untersuchungen über die entzündliche Neu- 
bildung von Bindegewebe. Zieglers Beitr., Suppl. 5, 1902. 

Derselbe: Über die Zellformen des lockeren Bindegewebes. Arch. f. 
mikr. Anat., Bd. 67, 1906. 

Derselbe: Experimentelle Untersuchungen zur postfetalen Histiogenese 
des myeloiden Gewebes. Zieglers Beitr., Bd. 41, 1907. 

Meyer und Heineeke: Über Blutbildung bei schweren Anämien und 
Leukämien. Deutsch. Arch. f. klin. Medizin, Bd. 88, 1907. 


. Murawitz und Rehn: Über einige Wechselbeziehungen der Gewebe 


in den blutbildenden Organen. Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 92, 1907. 


5. H. F. Müller: Zur Frage der Blutbildung. Sitzungsber. der k. Akademie 


d. Wissensch. Wien, mat.-naturw. Klasse, Bd. 98, Abt. 3, Heft 6, 1889. 


. Näseli: Beiträge zur Embryologie der blutbildenden Organe. Verhdl. 


d. Kongresses f. innere Medizin, 23. Vers., München 1906. 


. Derselbe: Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. I. Leipzig 1907. 
. Pappenheim: Theoretische Vorbemerkungen zum Kapitel XV: normale 


u. pathol. Morphologie ete. Fol. haematol., Bd. 3, No. 6, 1906. 


‘ Derselbe: Bemerkungen zum Referat über die Arbeit von Weidenreich 


etc. Fol. haematol., Bd. 3, No. 6, 1906, S. 374. 


. Derselbe: Über die Stellung der akuten, grosszellig-lymphozytären Leu- 


kämie etc._ Fol. haematol., Jahrg. 4, No. 1ff., 1907. 


. Derselbe: Einige Worte über Grosslymphozyten ete. Fol. haematol., 


Jahrg. 4, Suppl. 3, Dezember 1907. 


. Derselbe: Bemerkungen zum Referat über A Fol. haemat., 


Jahrg. 3, No. 6, 1906, S. 386. 


. Derselbe: Allgemeine Leukozytologie der Entzündung. Fol. haematol., 


Jahrg. 3, No. 1906. D 


. Derselbe: Bemerkungen zum Referat “über die Arbeit von Jolly. Fol: 


haematol., Jahrg. 4, Suppl. 3, Dez. 1907, S. 333. 
Derselbe: Bemerkung zum Referat über Weidenreichs Aufsatz. Fol. 
haematol., Jahrg. 3, No. 6, 1906, S. 361. 


;. Derselbe: Über Iymphoide basophile Vorstufen der Erythroblasten. Fol. 


haematol., Jahrg. 5, No. 6, 1908. 


. Rubaschkin: Eine neue Methode zur Herstellung von Celloidinserien. 


Anat. Anz., Bd. 31, No. 1, 1907. 

Rückert und Mollier: Die erste Entstehung der Gefässe und des 
Blutes bei Wirbeltieren. Kapitel 5 des I. Bandes des Handbuches der 
Entwicklungslehre von 0. Hertwig, Jena 1906. 

Saxer: Über die Entwicklung und den Bau der normalen Lymphdrüsen 
etc. Anat. Hefte, H. 19 (Bd. 6, H. 3). 

M.B. Schmidt: Über Blutzellenbildung in Leber und Milz ete. Zieglers 
Beiträge, Bd. 11, 1892. 


60. 


61. 


62. 


63. 


64: 


{op} 
(bi! 


68. 


69. 


Alexander Maximow: 


Schridde: Über Myeloblasten und Lymphoblasten. Verhandlg. des 
Kongresses f. innere Medizin, 23. Vers., München 1906. 


2. Derselbe: Myeloblasten, Lymphoblasten und lymphoblastische Plasma- 


zellen. Zieglers Beiträge, Bd. 41, Heft 2. 

Derselbe: Die Entstehung der ersten embryonalen Blutzellen des Menschen. 
Verhandl. d. deutsch. path. Gesellsch., 11. Tag. Dresden, 16.—19. Sept. 1907, 
Jena 1908. 

Scott: A classification of the cells formed in the blood in health and 
disease. The Journ. of Path. and Bact., V. II, Januar 1906. 


5. Smiechowski: Über das erste Auftreten des Hämoglobins bei Hühner- 


embryonen. Jmaug.-Diss., Dorpat 1892. 
Spuler: Beiträge zur Histiologie und Histiogenese der Binde- und Stütz- 
substanz. Anat. Hefte, Bd. 7, 1897. 


. v. d. Stricht: Le developpement du sang dans le foie embryonnaire. 


Archives de biologie, T. 11, 1891. 

Derselbe: Nouvelles recherches sur la genese des globules rouges etc. 
Archives de biologie, T. 12, 1892, 

Derselbe: Origine des globules sanguins de l’aorte et de l’endocarde 
chez les embryons des selaciens. Compt. rend. soc. biol., Ser. 10, T. 3, 
No. 10, S. 287— 29%. 

Derselbe: De la premiere origine du sang et des capillaires sanguins 
dans l’aire vasculaire du Lapin. Compt. rend. soc. biol., Ser. 10, T. 2, 
Bd. 47, 189. 

Derselbe: L’origine des premitres cellules sanguines et des premiers 
vaisseaux sanguins dans l’aire vasculaire de chauve-souris. Bulletin de 
l’Acad&emie royale de medecine de Belgique; seance du 29 Avril 1899. 
Türk: Kritische Bemerkungen über Blutzellenbildung und -benennung 
Fol. haematol., Jahrg. 2, 1905. 

Wain: Über die Bildung der roten und weissen Blutzellen in der 
embryonalen menschlichen Leber. Inaug.-Diss., Zürich 1906. 
Weidenreich: Die roten Blutkörperchen II. Ergebnisse der Anatomie 
und Entwicklungsgeschichte von Merkel u. Bonnet, Bd. 14, 1904, 
Wiesbaden 1905. 


. Derselbe: Über die Entstehung der weissen Blutkörperchen im postfetalen 


Leben. Verh. d. Anat. Gesellsch., 19. Vers., Genf 1905. 


. Derselbe: Über die zelligen Elemente der Lymphe und der serösen Höhlen. 


Verh. d. Anat. Gesellsch., 21. Vers., Würzburz 1907, Ergänzungsheft z. 
30. Bd. d. Anat. Anz. 


‘. Wertheim: Zur Frage der Blutbildung bei Leukämie. Zeitschr. f. 


Heilkunde, Bd. 12, 1891. 

Wulf: Mikroskopische Beobachtungen über die Entwicklung des Hämo- 
globins beim Hühnerembryo. Inaug.-Diss., St. Petersburg 1897 (russisch). 
H. E. Ziegler: Die Entstehung des Blutes der Wirbeltiere. Berichte 
der naturforschenden Gesellschaft zu Freiburg i. Br., Bd. 4, 1889. 


.r. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 559 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVIII—-XX. 


Ausführliche Erklärung im Text. 

Sämtliche Figuren wurden unter Benutzung des Zeissschen Apochr. 
20 mm, Ap. 1,40 und des Kompensations-Okulars Nr. 8 entworfen. Die 
relativen Grössenverhältnisse sind überall genau wiedergegeben. 

Für alle Figuren gültige Bezeichnungen: Ed — Endothelzellen; Edph — 
Endothelphagozyten ; Ent = Entodermepithel; Erz — definitive Erythrozyten ; 
L = Gefässlumen; Lkz = reife Spezialleukozyten; Lmz — Lymphozyten; 
Lwz — lymphozytoide Wanderzellen in Mesenchym; Lz — Leberzellen ; 
MIb — Megaloblasten; Mlz — Myelozyten (amphophile); Mz — Mesenchym- 
zellen; Nmb — Normoblasten; p Blz = primitive Blutzellen; p Ebl = primitive 
Erythroblasten: p Erz = primitive Erythrozyten; Wz — Wanderzellen im 
Mesenchym. 

Ein ‘ Zeichen bei der Bezeichnung einer Zellart bedeutet diese Zell- 
art im Zustande der Karyokinese. 

Allen Abbildungen liegen mit E Az gefärbte Zelloidinschnittpräparate 
von mit ZF fixierten Objekten zugrunde. Nur die Figg. 1 und 3—6 sind 
nach mit ZF fixierten und mit Eosin-Orange-Toluidinblau gefärbten Flächen- 
präparaten der area vasculosa resp. der Dottersackwand gemacht worden. 


Tafel XVIIL 

Fig. 1. Meerschweinchen (Primitivstreifen mit kleinem Kopffortsatz). Ent- 
stehung der Blutinseln in der area opaca. Die Mesoblastzellen (a) 
sammeln sich zu Gruppen runder Zellen (b) an. 

Fig. 2. Kaninchen (8!/» Tage, 5 Segmente). Querschnitt eines Gefässes der 
area vasculosa mit primitiven Blutzellen (p Blz) im Lumen. Ab- 
rundung der Endothelzellen (m) und ihre Verwandlung in Blutzellen; 
x — angeschnittene Mesenchymzelle. 

Fig. 3. Kaninchen (11 Tage). Im Gefäss der area vasculosa sieht man 
zwei Arten von Zellen: die primitiven Erythroblasten (p Ebl) und 
die Lymphozyten (Lmz). 

Fig. 4. Kaninchen (13'/ Tage). Im Gefäss der area vasculosa sieht man 
primitive Erythroblasten (p Ebl) und primitive Erythrozyten (p Erz), 
Lymphozyten (Lmz) und durch differenzierende Wucherung der 
letzteren entstehende definitive Erythroblasten — Megaloblasten 
(MIb“ u. MIb) und Normoblasten (Nmb’ u. Nmb). Entkernung der 
letzteren durch Kernausstossung (m‘). Ausserdem endotheliale 
Phagozyten (Edph). 


Fig. 5. Katze (15 mm Körperlänge). Normoblast, Kernausstossung. 
Fig. 6. Kaninchen (13!/z Tage). Riesenzelle aus der area vasculosa. 
Fig. 7, Katze (?” mm Körperlänge). Mesenchymzellen mit Einschlüssen am 


Gehirn. 

Fig. 8. Kaninchen (8 Tage 19 Stunden, 10 Segmente); Querschnitt hinter 
der Herzanlage; über dem Entoderm (Ent) entsteht im Mesenchym 
(Mz) die rechte Aorta als kompakter blutinselähnlicher Zellstrang (8). 


Fig. 


Alexander Maximow: 


9. Dasselbe Objekt, weiter rückwärts geführter Schnitt. Eine Gefäss- 
wandzelle scheidet in das Lumen aus ihrem Protoplasma eine 
kugelige Scholle aus. 


. 10. Kaninchen (9'!/;, Tage). Bildung von Gefäss- und Blutanlagen im 


Kopfmesenchym. 
Tafel XIX. 


. 11—14. Kaninchen (9) Tage), Entstehung der ersten Iymphozyten- 


ähnlichen Wanderzellen (Lwz) im Kopfmesenchym. 


. 15. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Aus dem Mesenchym in der 


Umgebung der Aorta. Entstehung einer Iymphozytenähnlichen 
Wanderzelle aus einer Gefässendothelzelle (g). 


. 16. Kaninchen (9°: Tage). Entstehung einer Wanderzelle von un- 


bestimmtem Charakter (x) im Kopfmesenchym. 


. 17. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Wanderzelle von unbestimmtem 


Charakter aus dem Mesenchym in der Umgebung der Aorta. 


. 18. Kaninchen (12 Tage). Entstehung von Wanderzellen (y) aus ge- 


wöhnlichen Mesenchymzellen (Mz). 


. 19. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Desgleichen. 
. 20—22. Kaninchen (12 Tage u. 12 Tage 19 Stunden). Typische Wander- 


zellen (Wz) des Mesenchyms; Wz' — Mitose einer Wanderzelle. 


. 23. Katze (7 mm Körperlänge); an einer Gefässwand (Ed) entstehen aus 


gewöhnlichen Mesenchymzellen (Mz) Iymphozytenähnliche Wander- 
zellen (Lwz); z = Übergangsformen. 


. 24. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Die ersten Spuren der ampho- 


philen Körnung in zwei Wanderzellen. 


.25. Kaninchen (13'/. Tage). Eine Iymphozytoide Wanderzelle mit 


amphophilen Körnchen aus dem Kopfmesenchym. 


. 26. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Mesenchympartie an der Aus- 


trittsstelle des Vagus aus dem Gehirn mit vielen Wanderzellen 
(Wz) und einem Myelozyten (Mlz). 


.27. Katze (7 mm Körperlänge). Kopfmesenchym mit zahlreiche 


Wanderzellen (Wz) und ihrer Verwandlung in Myelozyten (Mlz 
und Leukozyten (Lkz). 


.28. Kaninchen (12 Tage 19 Stunden). Megaloblastenherd im Kopf- 


mesenchym. 


.29. Kaninchen (13!/; Tage). Normoblastenherd im Kopfmesenchym. 
. 30. Kaninchen (13'/. Tage). Herd von reifen Normoblasten (Nmb) mit 


pyknotischen Kernen im Kopfmesenchym; Nmb‘ —= Normoblast im 
Moment der Kernausstossung; z — ausgestossene Normoblasten- 
kerne; y und x — Phagozytose der Normoblasten und Erythrozyten 
(Erz) durch Mesenchymzellen (x) und Wanderzellen (y). 


Tafel XX. 


31. Kaninchen (10 Tage 5 Stunden). Querschnitt des ventralen Teiles 
der Wand der kaudalen Aorta. Endothelwucherung. Entstehung 
von Zellklumpen, die in das Gefässlumen hineinragen und sich in 
Lymphozyten (Lmz) auflösen; o = angeschnittene Zelle. 


Untersuchungen über Blut und Bindegewebe. 561 


Fig. 32. Kaninchen (12 Tage). Einwucherung der Leberzellenstränge (Lz) 
in das Mesenchym (Mz) des Septum transversum. Im Mesenchym 
Wanderzellen (Wz), zum Teil in Entstehung begriffen (y). 

Fig. 33. Kaninchen (13!/s Tage). Aus den zentralen Partien der Leber: 
Ein zwischen zwei Gefässen (L) liegender Leberzellenstrang. 
Zwischen den Leberzellen (Lz) viele kleine Wanderzellen (Wz), die 
sich zum Teil schon in Lymphozyten (Lmz) verwandeln. In dem 
Gefässlumen wuchernde primitive Erythroblasten (p Ebl‘) und 
Lymphozyten (Lmz‘). 

Fig. 34. Kaninchen (14 Tage). Leberzellenstrang, umringt von Gefässen 
(L); zwischen den Leberzellen (Lz) wuchernde Lymphozyten (Lmz, 
Lmz‘), welche Megaloblasten (Mlb’‘, MIb‘, Mlb) und Normoblasten 
(Nmb”, Nmb‘, Nmb) erzeugen. Ausserdem intravaskuläre Blut- 
bildung — primitive Erythroblasten (p Ebl), Megaloblasten (Mlb“') 
und Normoblasten (Nmb''); Lmz'' — intravaskulär gelegener, am 
Endothel kriechender Lymphozyt; w = phagozytierende Endothel- 
zellen; m — intravaskulärer Normoblast im Moment der Kern- 
ausstossung; Edph = frei gewordene, zum Teil phagozytierende 
Endothelzellen. 

Fig. 35. Kaninchen (14 Tage). Partie vom Lebergewebe. Zwischen den 
Leberzellen sieht man kleine Wanderzellen (Wz), Lymphozyten 
(Lmz), einen Megaloblasten (Mlb) und zwei junge amphophile 
Myelozyten (Mlz), die durch Ausarbeitung der Körnchen im Proto- 
plasma der Wanderzellen (Wz) entstanden sind. 

Fig. 36—39. Dasselbe Objekt. Verschiedene Riesenzellenformen. 

Fig. 40—43. Dasselbe Objekt. Vier Übergangsstadien der Verwandlung der 
kleinen mesenchymatischen Wanderzellen in reife gekörnte Leuko- 
zyten, unter Überspringung eines eigentlichen Myelozytenstadiums. 


Die Entstehung des Knochengewebes und des 
Zahnbeins. 
Ein Beitrag zur’ Lehre von der Bildung der Grundsubstanzen. 
Von 


J. Disse, Marburg. 


Hierzu Tafel XXI und XXII. 


Die Frage nach der Bildung der Interzellularsubstanz ist 
für die Zellentheorie gerade so wichtig wie die nach der Bildung 
der Zellen selbst. Bei der Aufstellung der Zellentheorie wurde 
von Schwann und von seinen Mitarbeitern die Interzellular- 
substanz als das Wichtigste angesehen : „die Interzellularsubstanz 
ist das Ursprüngliche, identisch mit dem Cytoblastem ; Cytoblastem 
ist die Materie, in und aus welcher die Zellen sich entwickeln, 
und was nach Vollendung und Umbildung der Zellen von der 
ursprünglichen Materie übrig bleibt, ist Interzellularsubstanz“ 
(Henle, Allgemeine Anatomie, S. 214). 

Diese Lehre war von kurzer Dauer: die Beobachtungen, 
aus denen man die freie Zellbildung gefolgert hatte, mussten 
eine andere Deutung erfahren, und es wurde die Existenz eines 
„Cytoblastems“ selbst fraglich, als an die Stelle der Lehre von 
der freien Zellbildung der Satz trat „Omnis cellula a cellula“. 
Wenn eine jede Zelle von einer bereits vorhandenen gebildet 
wird, ist eine ungeformte, aber zur Zellenbildung befähigte 
Substanz überflüssig. Es gibt dann nur ein einziges Bildungs- 
element für die Gewebe des Organismus, die Zelle selbst. Die 
Zelle ist das ursprünglich Vorhandene: und wenn wir ausser 
ihr eine „Zwischensubstanz* vorfinden, so kann diese nicht den 
„Rest der ursprünglich vorhandenen Materie“ darstellen, der 
nach der Bildung der Zellen übrig geblieben ist, sie muss viel- 
mehr eine andere Herkunft haben. In irgend einer Weise muss 
die Zwischensubstanz auf die Zellen zurückgeführt werden können. 

An Versuchen, die Entstehung der Interzellularsubstanz 
aufzuklären, hat es nicht gefehlt: es entsprach den Verhältnissen, 
dass derartige Untersuchungen vorwiegend an denjenigen (Geweben 


angestellt wurden, die sich durch das Vorwiegen der Interzellular- 
Archiv f.mikrosk. Anat. Pd. 73. 37 


564 J. Disse: 


substanz, durch das Zurücktreten der Zellen selbst auszeichnen. 
Wie bildet sich die Interzellularsubstanz des Bindegewebes, des 
Knorpels, des Knochens? So wurde gefragt; und da die Inter- 
zellularsubstanz nicht amorph, sondern geformt ist, da sie im 
jindegewebe, Knochen und Zahnbein leimgebende Fibrillen in 
bestimmter Anordnung enthält, so wurde besonders für das 
Bindegewebe die Frage aufgeworfen: Wie entstehen die Fibrillen? 

Entstehen sie durch eine Differenzierung, eine Art von 
„Prägung“ in einer von den Zellen der ersten Anlage aus- 
geschiedenen Substanz, also ausserhalb der Zellen, oder entstehen 
sie im Protoplasma der Zellen selbst ? 

In jedem Falle blieb es verständlich, dass bei der Bildung 
der Fibrillen die Zellen des Gewebes erhalten bleiben. Es wurde 
aber bei den Untersuchungen über die Bildung der Fibrillen die 
ungeformte Substanz, die ausser den Fibrillen in wechselnder 
Menge in den Unterabteilungen des Bindegewebes vorhanden 
ist, nicht berücksichtigt; wohl deshalb, weil sie amorph ist und 
viel weniger ins Auge fällt als die strukturierten Elemente der 
Interzellularsubstanz. 

Bekanntlich hat erst v. Ebner festgestellt (Über den 
feineren Bau der Knochensubstanz. Wiener Sitzungsberichte, 
Bd. 72, 1576), dass auch das Knochengewebe und das Dentin 
leimgebende Fibrillen enthalten, die in eine verkalkte Grund- 
substanz eingelagert sind. Vor seinen Untersuchungen galten 
Knochen und Zahnbein als einfache, nicht weiter strukturierte 
Grundsubstanzen. Bei der Untersuchung der Entstehung der- 
artiger Gewebe konnte es sich nicht um Fibrillenbildung handeln; 
es lag vielmehr der einfache Fall vor von Produktion einer 
ungeformten Grundsubstanz. 

Nun hatte Heinrich Müller gezeigt (Über die Entwick- 
lung der Knochensubstanz. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 9, 1858), 
dass bei den knorplig vorgebildeten Skeletteilen das Knochen- 
gewebe nicht etwa durch Umwandlung des Knorpels sich bildet, 
sondern dass es eine Neubildung darstellt, die an die Stelle des 
einschmelzenden Knorpels tritt. Gegenbaur (Über die Bildung 
des Knochengewebes. I. Jenaische Zeitschrift, Bd. 1,1864. II. Ebenda, 
Bd. 3, 1867), konnte den Nachweis führen, dass das Auftreten 
des Knochengewebes geknüpft ist an das Auftreten bestimmter 
Zellen, der Osteoblasten, und dass aller Wahrscheinlichkeit 


Entstehung des Knochengewebes. 565 


nach lediglich diese Zellen das Material liefern, aus dem sich das 
Knochengewebe bildet. Die Zellen selbst bleiben bei diesem 
Prozess erhalten und werden zu den Knochenzellen; sie sezernieren 
einen Stoff, der zur Grundsubstanz des Knochens wird. Morpho- 
logisch bestände also niemals ein Zusammenhang zwischen den 
ÖOsteoblasten und dem Knochengewebe; dieses ginge aus einem 
Sekret der Osteoblasten hervor. 

Fast gleichzeitig hatte Waldeyer die Bildung des Knochen- 
gewebes untersucht (Über den Ossifikationsprozess. Arch. f. mikr. 
Anat., Bd. 1, 1865); er konnte bestätigen, dass das Knochen- 
gewebe von den Osteoblasten geliefert wird. Über die Art der 
Bildung des Gewebes aber war er anderer Ansicht als Gegen- 
baur. Waldeyer fand eine direkte Beziehung des Knochen- 
gewebes zu den Osteoblasten; diese Zellen gehen mit ihrem 
Protoplasma unmittelbar in das Knochengewebe über. Das 
Knochengewebe entsteht nicht aus einem von den Osteoblasten 
abgesonderten Sekret, sondern es ist umgewandeltes Zellproto- 
plasma. Die Zellen innerhalb der Knochenhöhlen stammen zwar 
von den Osteoblasten ab; indessen stellt eine Knochenzelle nicht 
einen ganzen Osteoblasten vor, sondern einen „reduzierten“, 
dessen Protoplasma zum grössten Teil zu Knochengewebe 
geworden ist. 

Waldeyer entdeckte ferner, dass das Zahnbein ebenso auf 
bestimmte Zellen zurückzuführen ist, wie das Knochengewebe 
auf die Osteoblasten (Untersuchungen über die Entwicklung der 
Zähne. I. Königsberger med. Jahrbücher, 4. Bd., 1864. II. Zeitschr. 
f. rationelle Medizin. III.R., Bd. 24, 1565). Wo sich Zahnbein bilden 
soll, treten in zusammenhängender Lage wohl charakterisierte 
Zellen auf, die „Dentinzellen“ oder „Odontoblasten“. Das Proto- 
plasma dieser Zellen wird, bis auf einen Rest, zur Grundsubstanz 
des Dentins. Der Rest des Protoplasmas nebst dem Kern erhält 
sich an der inneren Fläche der Dentinlage und sendet in diese 
die Zahnfaser hinein. 

Gegenbaur schildert das tatsächliche Verhalten der jungen 
Knochensubstanz zu den Osteoblasten folgendermassen : „Die erste 
Entwicklung der Knochenbälkchen des Scheitel- oder Stirnbeins 
erfolgt innerhalb einer ganz kontinuierlichen Schicht von Zellen . . . 
zwischen diesen Zellen sondert sich eine alsbald sklerosierende, 


eckig geformte Masse ab, die von den Zellen allseitig umgeben 
37% 


566 eDırsse: 


wird. und durch fernere Abscheidung von seiten der Zellen 
weiter wächst.“ Diese Anlage besitzt keine Struktur, sie nimmt 
an Masse beständig zu und schliesst einzelne Osteoblasten ein. 
Der Modus der Absonderung ist nicht beobachtet worden. 

Demgegenüber betont Waldeyer, dass das Knochengewebe 
gerade so entsteht wie das faserige Bindegewebe. Dieses bildet 
sich „aus einer formalen und chemischen Umwandlung eines Teils 
des Protoplasmas der embryonalen Bildungszellen, indem dasselbe 
leimgebend und zugleich mehr oder weniger fibrillär wird“. 
Viele Bildungszellen gehen dabei ganz zu Grunde: andere 
wandeln nur die Aussenschichte ihres Protoplasmas in Binde- 
gewebe um, während das den Kern umgebende Protoplasma sich 
erhält und zu einer Bindegewebszelle wird. Nun sind die Osteo- 
blasten „die embryonalen Bildungszellen des Knochengewebes: 
ein Teil derselben geht „mit Schwund des Kerns ganz die Um- 
wandlung in leimgebendes faseriges Gewebe ein... . von einem 
anderen Teil tun das nur die peripheren Protoplasmaschichten. 
Der Rest bleibt als kernhaltiges Knochenkörperchen zurück“. 
(8. 359.) 

Die erst gebildete Knochensubstanz tritt nach Waldeyers 
Angabe „als ein leicht gelblicher, homogen aussehender Streifen“ 
an den Rändern der Knorpelbalken auf. In diese Knochen- 
substanz geht hier und da das Protoplasma eines Osteoblasten 
direkt über. „Bei einzelnen Osteoblasten verändern sich die 
peripherischen Teile, indem sie ihr dunkel gekörntes Aussehen 
verlieren ..... Nur die dicht um den Kern gelegenen Teile des 
Protoplasmas bleiben unverändert.“ 

Die veränderten peripheren Partien der Osteoblasten sieht 
man „unmittelbar in bereits fertige Knochensubstanz übergehen“ 
(S. 363). Das sind positive, auch durch Abbildungen belegte 
Angaben, die für einen direkten Übergang des Protoplasmas der 
Osteoblasten in Knochengewebe sprechen. 

Zu dem gleichen Resultat ist Stieda gekommen. (Die 
Entwicklung des Knochengewebes. 1372.) Stieda vertritt die 
Lehre. dass „das ächte Knochengewebe sich stets ohne Beteiligung 
des Knorpels bilde“, dass es also überall da, wo es auftritt, eine 
Neubildung repräsentiert. Sowohl an Stelle atrophierenden 
Knorpels als innerhalb bindegewebiger Membranen entsteht das 
Knochengewebe durch die „Metamorphose“ der Osteoblasten. 


Entstehung des Knochengewebes. 567 


Ein Abschnitt eines Osteoblasten wandelt sich in Knochengewebe 
um; ein anderer bleibt unverändert. „Während der äussere 
Abschnitt einer jeden einzelnen Zelle durch einen noch nicht 
erklärten Prozess fest wird — sklerosiertt — bleibt der Kern 
mit dem Rest des unveränderten Protoplasma weich. Die Summe 
des sklerosierten Protoplasma einer Anzahl von Östeoblasten gibt 
die sogenannte Grund- oder Zwischensubstanz des Knochen- 
sewebes; der Kern nebst anhängendem Protoplasma ist das 
sogenannte Knochenkörperchen.“ Die sklerosierten Abschnitte 
der Osteoblasten sind daran kenntlich, dass sie bei Karminfärbung 
hell bleiben, während der Kern und das unveränderte Protoplasma 
sich färben. 

Trotz dieser Bestätigung durch Stieda wurde die Lehre 
von Waldeyer nicht allseitig anerkannt; die meisten Forscher 
schlossen sich an Gegenbaur an und betrachteten das Knochen- 
gewebe als ein Sekret der Osteoblasten. Sie stützten sich 
darauf, dass eine direkte Beteiligung des Protoplasmas dieser 
Zellen an der Bildung des Knochengewebes nicht zu erkennen 
sei: die Osteoblasten wären stets vom jungen Knochengewebe 
getrennt, und man könne keine Verkleinerung derselben während 
der Knochenbildung nachweisen. Es müsse aber eine Verkleinerung 
der Osteoblasten eintreten, wenn wirklich ein Teil des Protoplasmas 
einer jeden Zelle zur Bildung der Grundsubstanz verwendet würde. 

In der späteren Zeit, nach dem Erscheinen der Arbeiten 
von Gegenbaur, Waldeyer und Stieda, ist keine Beob- 
achtung bekannt geworden, die eine Entscheidung zu Gunsten 
der Lehre von Gegenbaur oder der Theorie von Waldeyer 
zu treffen erlaubt hätte. Es scheint, dass, mit Ausnahme von 
Stieda. keiner der späteren Untersucher Bilder gesehen hat, 
die die Osteoblasten im Zusammenhang mit jungem Knochen- 
gewebe zeigten. 

Und doch sind die Angaben von Waldeyer über die Ver- 
änderungen der Osteoblasten von der grössten Wichtigkeit. Die 
Osteoblasten trennen sich in eine körnige Innenzone und eine 
mehr homogene Aussenzone; nur diese geht in die Grundsubstanz 
des Knochens über. Es war ein positiver Beweis für die Richtig- 
keit der Lehre von Max Schultze, dass „der grösste Teil der 
sogenannten Interzellularsubstanzen ausumgewandelter Zellsubstanz 
besteht“ (Über Muskelkörperchen. Reicherts Archiv 1861). 


568 JeDiissie: 


Diese Angaben hätten nachgeprüft werden müssen, statt mit 
Stillschweigen übergangen zu werden. Man wandte sich lieber 
der Frage nach der Entstehung der Bindegewebsbündel zu. Diese 
wenigstens sollten, so suchte man zu erweisen, direkt aus dem 
Protoplasma der Bildungszellen hervorgehen. Franz Boll 
formulierte im Jahre 1872 (Untersuchungen über die Entwicklung 
der Gewebe. Arch. f. mikr. Anat., Bd. Ss) die von ihm im An- 
schluss an Max Schultze vertretenen Ansichten folgender- 
massen: „Das Protoplasma der Embryonalzellen bildet die Fibrillen 
auf seiner Oberfläche und aus seiner Substanz . . . indessen ist 
die Fibrillensubstanz etwas Neues, durch die formative Tätigkeit 
des Protoplasma Gebildetes“. Auf die Frage nach der Ent- 
stehung der Grundsubstanz des Bindegewebes ist weder 
F. Boll noch die späteren Bearbeiter der gleichen Aufgabe ein- 
gegangen. Immer lautete die Fragestellung nur: Entstehen die 
Fasern des Bindegewebes innerhalb der Zellen, im Protoplasma, 
oder entstehen sie innerhalb einer zwischen den Zellen gelegenen, 
amorphen Grundsubstanz? Wie diese Grundsubstanz selbst ent- 
steht, wurde nicht weiter untersucht. 

Definieren wir mit Waldeyer (Kittsubstanz und Grund- 
substanz, Epithel und Endothel. Arch. f. mikr. Anat., Bd.57, 1901) 
die Grundsubstanz als „eine homogene und strukturlose Bildung, 
in welche Zellen und Fasern des betreffenden Gewebes eingelagert 
sind“, so müssen wir feststellen, dass im Knochengewebe und 
im Zahnbein der Grundsubstanz eine viel grössere Bedeutung 
zukommt, als im fibrillären Bindegewebe. Die leimgebenden 
Fasern, die in die Grundsubstanz eingelagert sind, treten dieser 
gegenüber zurück. Besonders muss betont werden, dass bei der 
Bildung von Knochen und von Zahnbein anfänglich nur die 
Grundsubstanz vorhanden ist; Fasern treten erst auf, wenn 
die Grundsubstanz als selbständige Lage erscheint. Will man 
also die Frage beantworten, wie Knochen und Zahnbein entstehen, 
so muss man untersuchen, wie die Grundsubstanz sich bildet. 
Dafür gilt die von Max Schultze präzisierte Fragestellung: 
Entsteht die Grundsubstanz durch Umwandlung des Protoplasmas 
bestimmter Zellen, oder entsteht sie als ein Sekret, als eine 
flüssige, nach der Abscheidung erhärtende Masse ? 

Für die Bildung der Grundsubstanz kommen beim Knochen- 
gewebe nur die Osteoblasten, beim Zahnbein die Dentin- 


Entstehung des Knochengewebes. 369 


zellen in Betracht. Es handelt sich nicht darum, die Herkunft 
dieser Zellformen zu untersuchen, sondern festzustellen, ob die 
Bildung der Grundsubstanz des Knochens durch die Osteoblasten, 
des Zahnbeins durch die Dentinzellen erwiesen werden kann. Und 
wenn das der Fall ist: wird die Grundsubstanz durch ein er- 
härtendes Sekret geliefert, oder geht sie aus umgewandeltem 
Protoplasma hervor’? 

Die Fragen sind ja schon von Gegenbaur und von 
Waldeyer aufgeworfen und derart beantwortet worden, dass 
Waldeyer die Grundsubstanz für umgewandeltes Protoplasma, 
(Gsegenbaur sie für ein Sekret erklärt hat. Die späteren 
Untersucher haben sich teils für Waldeyer, teils für Gegenbaur 
erklärt. Kölliker (Gewebelehre, 6. Aufl., Bd. I, S. 327) schloss 
sich der Lehre von Gegenbaur an; Spuler (Verhandl. der 
Anat. Gesellsch. 1899) steht mehr auf der Seite von Waldeyer. 
Nach seiner Angabe steht das jüngste Knochengewebe „in direktem 
Zusammenhang mit den in Fortsätze auslaufenden Osteoblasten“. 
Er bezeichnet das jüngste Knochengewebe als „kollagene Substanz“ 
und findet diese bald fibrillär, bald strukturlos. 

Flemming (Histogenese der Kittsubstanzen. Hertwig, 
Handbuch der Entwicklungslehre, Bd. 3, II. Abt. 1902) ist nicht 
der Ansicht, dass die Beobachtungen erlaubten, die Frage nach 
der Entstehungsweise des Knochengewebes zu entscheiden; er 
lässt beide Möglichkeiten zu. Die Osteoblasten scheiden „an ihrer 
Peripherie eine aus Knochenfibrillen und verkalkter Kittsubstanz 
bestehende Schale aus“, oder formen diese aus ihrer Substanz. 
„Dass dies das Wesen des Vorgangs sei, können wir nur schliessen, 
ihn direkt zu beobachten, ist bis jetzt nicht wohl möglich.“ 

Diese Auffassung ist zu resigniert; es ist, wie in. folgendem 
gezeigt werden soll, recht wohl möglich, die Bildung der Grund- 
substanz des Knochens aus Osteoblasten direkt zu sehen. Dazu 
ist gut konserviertes, in feine Schnitte zerlegbares Material er- 
forderlich; beides erlaubt die moderne Technik herzustellen. 


I. Die Entstehung der Grundsubstanz des Knochen- 
gewebes. 
(Vgl. Fig. 1—13, Taf. XXI.) 
Ich habe die Bildung des Knochengewebes bei der enchon- 
dralen Verknöcherung sowie bei der Knochenbildung in Membranen 


570 JMaDkls’ster 


untersucht. Am geeignetsten erwiesen sich mir menschliche 
Embryonen, die auch Waldeyer zum Studium der Verknöcherung 
benutzt hat. Besonders ein in Formol-Alkohol (95 °/o Alkohol 
90 voll.. Formol 10 voll.) fixierter menschlicher Embryo aus dem 
vierten Monat lieferte sehr klare und eindeutige Präparate über 
die Bildung der Grundsubstanz des Knochens. Für das Studium 
der Knochenbildung in Membranen wurden auch noch Schweine- 
embryonen, in Sublimat-Eisessig fixiert, herangezogen, um zu 
untersuchen, ob auch bei diesen die am Menschen gefundenen 
Bildungsstadien zu sehen wären. 


Als bestes Verfahren ergab sich folgendes: Der mit dem 
Periost herausgelöste Knochen — die Tibja — wurde in 10°o 
Kochsalzlösung, der 2°/o Salzsäure zugesetzt waren, entkalkt. 
im ganzen mit Hämalaun durchgefärbt, gut in destilliertem 
Wasser extrahiert und in Paraffin eingeschmolzen. Schnitte von 
5 « Dicke wurden auf dem Objektträger, nach Entfernung des 
Paraffins, mit folgender Lösung nachgefärbt: Alkohol 95°/o, 
90 voll., Rubin S 1,0, Orange 0,5, Glyzerin 10,0. Am besten 
wird das Glyzerin erst zugesetzt, wenn beide Farbstoffe im 
Alkohol gelöst sind. Dauer der Färbung eine Minute; Differenzieren 
in 95°/o Alkohol, Entwässern, Aufhellen in Ol. Origani, Xylol- 
Balsam. 


a) Enchondrale Verknöcherung. Tibia. 


Die Tibia besitzt bei dem untersuchten menschlichen Embryo 
aus dem vierten Monat erst einen einzigen Markraum in der 
Diaphyse. Der Knorpel ist bis auf feine Balken aufgelöst, die 
weiten Markräume sind mit jungem, fast ausschliesslich aus Zellen 
und Blutgefässen bestehendem Mark angefüllt: An der Auflösung 
des Knorpels beteiligen sich zahlreiche mehrkernige Riesenzellen, 
die den Osteoklasten gleichen; sie liegen zum Teil den Knorpel- 
balken an, werden aber auch frei in den Markräumen angetroffen. 
Die meisten Knorpelbälkchen innerhalb des Markraums besitzen 
bereits einen dünnen Überzug von Knochensubstanz; sie sind 
durchweg mit Osteoblasten belegt, die in einfacher Lage, einem 
Epithel ähnlich, der Oberfläche anliegen. 

Die Osteoblasten sind im Vergleich zu den Markzellen als 
eross zu bezeichnen; sie besitzen ein dichtes Protoplasma, das 
meistens feinstreifig erscheint. Die Zellen sind prismatisch oder 


u | 
— 


Entstehung des Knochengewebes. ) 


zylindrisch, seltener kubisch oder polygonal; der grosse, kugelige 
Kern liegt meistens endständig und vorwiegend an demjenigen 
Pol der Zelle, der dem Markraum zugekehrt ist. Natürlich sieht 
man diese Stellung des Kerns nur bei günstiger Lage der Zelle, 
wenn ihr längster Durchmesser horizontal gestellt ist, d. h. in 
der Ebene des Schnittes liegt. Fortsätze sind an den Osteo- 
blasten ziemlich selten; die Streifung des Protoplasmas läuft 
parallel der Längsachse der Zelle. Wenn nun auch die grosse 
Mehrzahl der Osteoblasten gleichartig protoplasmatisch erscheint, 
so kann man an den feinen Knorpelbälkchen nahe der Ein- 
schmelzungsgrenze des Knorpels, also an den Enden des Mark- 
vaumes, einzelne Osteoblasten finden, die von der Mehrzahl ab- 
weichen. Ihr Zellenleib lässt nämlich zwei deutlich 
getrennte Abschnitte erkennen. Der eine ist dunkel, 
protoplasmatisch, enthält den Kern; er ist also 
meistens dem Knochen abgewendet. An diesen schliesst 
sich ein ganz heller, hyaliner Abschnittan, der dem 
Knorpelbälkchen zugewendetist: erist oft struktur- 
los, wie ein Glastropfen, schliesst in anderen 
Fällen einzelne Körner ein. Der helle Abschnitt eines 
Osteoblasten bildet öfters mit dem protoplasmatischen einen 
Winkel, erscheint wie abgeknickt, so dass er in eine andere 
Ebene fällt: er ist zuweilen von gleichem Durchmesser wie der 
protoplasmatische Abschnitt, in anderen Fällen verbreitert er 
sich und wird zu einem Kegel, dessen verjüngtes Ende mit dem 
’rotoplasma zusammenhängt, während die Basis sich an den 
Knorpelbalken anlegt. Auf der Oberfläche eines Knorpelbalkens, 
oder auch einer dünneren Lage von jungem Knochengewebe, fliesst 
der hyaline Abschnitt eines Osteoblasten gleichsam nach allen 
Seiten hin weiter; er legt sich an die hyalinen Abschnitte 
benachbarter Osteoblasten an, verschmilzt mit ihnen und bildet 
eine glasartig aussehende Substanz, welche einen Knorpelbalken 
oder eine Lage jungen Knochengewebes überzieht. Das ist die 
erste Anlage der Grundsubstanz des Knochengewebes. 

In Fig. 1, 2, 3, Taf. XXI, sind derartige Bildungsstadien 
der Knochengrundsubstanz von der Tibia eines menschlichen 
Embryo des vierten Monats wiedergegeben. Die Zeichnungen 
sind bei Zeiss Apochromat homogene Immersion 2 mm, 
Komp.-Ok. 6, unter Benutzung des Abbeschen Zeichenapparates 


572 JaDkisiste : 


angefertigt. Es ist besonders Wert darauf gelegt, die Osteo- 
blasten mit ihren beiden Abschnitten, dem protoplasmatischen 
und dem hyalinen, möglichst naturgetreu wiederzugeben; viele 
andere Einzelheiten der Präparate sind dagegen nicht dargestellt, 
wenn sie keine direkte Beziehung zur Bildung der Grundsubstanz 
des Knochens hatten. Auch die tadellos erhaltenen Mitosen 
einzelner Markzellen, die öfters zu sehen waren, sind nicht 
wiedergegeben. 

Die erste Anlage der Grundsubstanz des Knochengewebes 
auf einem Knorpelbalken im Markraum zeigt Fig. 1. Dem Knorpel- 
bälkchen Kn liegen zwei Osteoblasten an, a und b, deren jeder 
in zwei Abschnitte zerfällt, einen protoplasmatischen, dunkeln 
(a und b) und einen hellen, hyalinen (aı und bı). Die hyalinen 
Abschnitte sind die voluminöseren, sie liegen dem Knorpel 
unmittelbar auf, während die protoplasmatischen nach dem Mark- 
raum zu liegen. Nur in b ist der Kern getroffen, der den freien 
Pol der Zelle einnimmt. Der hyaline Abschnitt ist gegen den 
protoplasmatischen deutlich abgegrenzt; er liegt nicht genau in 
der Verlängerung des protoplasmatischen Anteils, sondern erscheint 
unter leichter Torsion, etwas abgeknickt, so dass die Achsen 
beider Abschnitte unter stumpfem Winkel zusammentreffen. 

Der hyaline Abschnitt eines jeden Östeoblasten verbreitert 
sich nach dem Knorpel zu, und legt sich auf dessen Oberfläche 
auf. Er scheint sich auf dieser auszubreiten, denn man sieht, 
dass der Abschnitt bı mit dem ähnlichen Abschnitt cı in Berührung 
getreten und zu einer Masse zusammengeflossen ist. Dieser 
hyaline Abschnitt cı ist mit keinem Osteoblasten in Verbindung: 
es kann aber nach seinem Aussehen keinem Zweifel unterliegen, 
dass er zu einem Osteoblasten gehört. Zwei Osteoblasten liegen 
in seiner unmittelbaren Nähe und sind nur durch eine feine 
Spalte von ihm getrennt (Fig. 1c). Es ist möglich, dass der 
Abschnitt cı von einer dieser Zellen gebildet wurde und sich 
abgetrennt hat, es kann aber auch sein, dass er von dem zu- 
gehörigen protoplasmatischen Abschnitt durch den Schnitt getrennt 
worden ist. Es handelt sich aber bei den Zellen a und b nicht 
um einen Sekrettropfen, der noch mit der ihn produzierenden 
Zelle im Zusammenhang geblieben ist; das ganze Aussehen, die 
scharfe Begrenzung, der unmittelbare Zusammenhang führt zu 
der Erklärung, dass hier Zellen vorliegen, in denen der dem 


Entstehung des Knochengewebes. 573 


Kern ferner liegende Abschnitt des Protoplasmas hell, homogen, 
glasartig durchsichtig geworden ist. Ein Teil des Zellprotoplasmas 
hat sich umgewandelt, ist aber noch in Zusammenhang mit dem 
unveränderten Abschnitt der Zelle geblieben. 

Nun besitzt nur eine kleine Anzahl der im Gesichtsfelde 
befindlichen Osteoblasten den beschriebenen hyalinen Abschnitt; 
die meisten erscheinen gleichartig und zeigen ein dunkles Proto- 
plasma. Auch ist der hyaline Abschnitt nicht leicht zu sehen 
und kann nur mit starken Systemen — homogene Immersion — 
erkannt werden. Daraus erklärt sich wohl, dass dieser Abschnitt 
von fast allen Beobachtern übersehen worden ist. Nur Waldeyer 
hat gesehen und beschrieben, dass ein peripherer Abschnitt der 
Osteoblasten heller wird und in junges Knochengewebe übergeht. 
Zur Zeit kann diese Angabe genauer gefasst werden. Es handelt 
sich nicht um eine Bildung, die an der Peripherie des Proto- 
plasma auftritt, und etwa, wie ein Mantel, die Zelle umgibt; 
sondern es handelt sich um ungefähr die Hälfte eines Osteoblasten, 
die dem Knorpel zugekehrt, dem Zellkern abgewandt ist. Diese 
Hälfte wandelt sich in eine helle, homogene Substanz um, bleibt 
dabei aber noch in Verbindung mit dem dunklen Protoplasma, 
das dem Kern benachbart liegt. 

Wie lange nun die Bildung des hyalinen Abschnitts bei 
einem Östeoblasten währt, und wie lange dieser Abschnitt mit 
dem kernhaltigen dunklen Protoplasma in Zusammenhang bleibt, 
kann nicht genau angegeben werden. Vielleicht erfolgt die 
Bildung schnell, selten lagenweise, mehr an einzelnen Zellen 
ablaufend; wenn sich der hyaline Abschnitt kurz nach seinem 
Entstehen von dem Östeoblasten abtrennt, und sich dann, wie 
noch geschildert werden soll, weiter umwandelt, so ist erklärlich, 
warum man die grosse Mehrzahl der Osteoblasten immer als 
dunkle, einheitlich protoplasmatische Zellen sieht, und nicht auf 
die Idee kommt, dass es einen Zustand gibt, in dem der Osteo- 
blast Form, Grösse ıund Aussehen ändert. 

In Fig. 2 und Fig. 3, Taf. XXI sehen wir Knorpelbalken, 
die bereits einen Überzug von jüngsten Knochen besitzen. In 
Fig. 2 ist der Knorpel eine Strecke weit unterbrochen, und das 
Bälkchen besteht lediglich aus Knochen, in den schon eine 
Knochenzelle eingeschlossen ist (Fig. 2 KZ). Auf den jungen 
Knochen legen sich, wie anderwärts auf den Knorpel, die 


574 J=Di:siste : 


hyalinen Abschnitte einzelner Osteoblasten auf (Fig. 2, Fig. 3aı). 
In Fig. 2 ist der hyaline Abschnitt aı gegen den proto- 
plasmatischen a unter nahezu rechtem Winkel abgeknickt: er 
legt sich mit breiter Fläche dem Knochengewebe an, ist aber 
noch von diesem zu unterscheiden. (Im Präparat ist der junge 
Knochen rot gefärbt, der hyaline Abschnitt der Osteoblasten 
dagegen bleibt farblos, so dass hier die Verschiedenheit beider 
Substanzen augenfällig ist.) Auch der hyaline Abschnitt des 
Osteoblasten b, der sich unter dem Osteoblasten a verbirgt (Fig. 2), 
ist gegen den jungen Knochen gerichtet und legt sich höchst 
wahrscheinlich an diesen an. Auf diese Weise tragen die Osteo- 
blasten zur Verdickung der jungen Knochenschichte bei; man 
sieht dies auch in Fig. 3. An zwei Östeoblasten, a und b, ist 
je ein hyaliner Abschnitt ausgebildet; beide fliessen zu einer 
Masse zusammen (Fig. 3aı), die mit dem jungen Knochengewebe 
in Verbindung getreten ist. 

Was bedeutet nun der hyaline Abschnitt eines Osteoblasten ? 
Ist er ein Sekrettropfen, oder ist er verändertes Protoplasma? 
Gegen ein Sekret spricht die Form und die Begrenzung: der 
hyaline Abschnitt hat eine konstante Lage; die Umrandung 
des protoplasmatischen Teils der Osteoblasten geht direkt in 
die des hyalinen Abschnitts über, der Durchmesser desselben 
ist anfänglich gleich dem Durchmesser des protoplasmatischen 
Abschnitts, wo die Verbreiterung einsetzt, bleibt die scharfe 
Begrenzung des hyalinen Abschnitts erhalten — es ist eben die 
beste Deutung der Befunde die, dass hier ein Stück des Zellen- 
leibes selbst vorliegt, das sich in bestimmter Weise umgewandelt 
hat.. Eine Struktur ist nicht erkennbar, die ganze Masse ist 
gleichartig, von starker Lichtbrechung.. Hier und da findet man 
ein stark färbbares Korn in die hyaline Masse eingelagert. 

Wie nun die Umwandlung des Protoplasmas in den hyalinen 
Abschnitt erfolgt, habe ich nicht beobachtet. Ich fand den Ab- 
schnitt gut ausgebildet, oder fand ihn gar nicht vor. 

Die Annahme, dass die hyalinen Abschnitte Kunstprodukte 
seien, ist ausserordentlich unwahrscheinlich. Schon die Tatsache 
spricht dagegen, dass nur an wenigen Zellen unter den Massen 
von Osteoblasten der hyaline Abschnitt auftritt. Würde es sich 
um eine Wirkung eines bestimmten Stoffes auf die Zellen handeln, 
so müssten doch wohl alle Zellen, die von diesem Stoff beeinflusst 


Entstehung des Knochengewebes. 975 


or 


werden, den hyalinen Abschnitt aufweisen; man würde erwarten 
müssen, in bestimmten Regionen alle Zellen in dieser Weise ver- 
ändert zu finden. Man findet aber nur in gut fixierten Objekten 
die hyalinen Abschnitte der Osteoblasten überhaupt vor. In meinen 
Präparaten sind alle Mitosen ausgezeichnet zu erkennen; in dem 
Objekt, dem die Fig. 1 entnommen ist, liegt neben den beiden 
Östeoblasten ce eine Markzelle, die sich gerade geteilt hat; die 
Knäuelfigur der Tochterkerne ist vortrefflich erhalten. Da darf 
man folgern, dass die Zellen dieser Gegend gut fixiert sind und 
dass das, was sie zeigen, natürlichem Verhalten entspricht. 

Die Substanz, die sich durch Zusammen- 
fliessen der hyalinen Abschnitte der Osteoblasten 
bildet, wird zur Grundsubstanz des Knochen- 
gewebes. DieGrundsubstanzdesKnochensistalso 
umgewandeltes Zellprotoplasma; sie wird ledig- 
lich von den Osteoblasten geliefert. 

Ein indirekter Beweis für beide Sätze kann aus der An- 
lagerung der hyalinen Massen an die Oberfläche der Knorpelbalken 
im Markraum, sowie an die die Knorpelbalken umgebende 
Knochensubstanz entnommen werden. Das einzige, was sich einem 
Knorpelbalken im Markraum nachweislich auflagert, ist der hyaline 
Abschnitt der Osteoblasten (Fig. 1). 

Da man auf den Knorpelbälkchen nach kurzer Zeit Knochen- 
substanz antrifit, so liegt der Schluss nahe, dass sich die hyaline 
Substanz in Knochen umgewandelt habe. Damit wäre auch erklärt, 
warum im jungen Knochen ein Knorpelrest steckt. Nun hat aber 
der junge Knochen durchaus keine Verbindung mit den Osteo- 
blasten; wenn auch diese Zellen in dichter Reihe dem jungen 
Knochen aufliegen, so sind sie gegen den Knochen immer deut- 
lich abgegrenzt. Dasselbe gilt von den in die Knochenhöhlen 
eingeschlossenen Zellen. Diese Tatsache ist aus den Beobachtungen 
zu erklären, die über das weitere Schicksal der hyalinen Ab- 
schnitte der Osteoblasten vorliegen; diese Beobachtungen liefern 
auch den direkten Beweis dafür, dass sich die hyalinen Abschnitte 
der Osteoblasten in die Grundsubstanz des Knochens umwandeln. 
Es trennen sich nämlich die hyalinen Abschnitte von den Osteo- 
blasten und werden zu einem einheitlichen, zusammenhängenden 
Überzuge für einen Knorpelbalken, oder auch eine Knochenlage; 
gleichzeitig treten Strukturen in diesem Überzuge auf, die zu 


576 J. Disse: 


den Fasern des jungen Knochens werden. Die Bildung eines 
zusammenhängenden Überzuges für einen Knorpelbalken aus den 
vereinigten hyalinen Abschnitten benachbarter Osteoblasten zeigt 
Fig. 4, Taf. XXI. Der Knorpelbalken Kn, Knı wendet das breitere 
Ende Kn der OÖssifikationsgrenze, das verjüngte Ende Knı der 
Mitte des Markraumes zu. Während auf diesem bereits eine 
dünne Hülle von Knochensubstanz gebildet ist (Fig. 4 KS), liegt 
näher der Ossifikationsgrenze der Knorpel frei; auf beiden Flächen 
aber beginnt sich eine homogene Substanz aufzulagern. Auf der 
konvexen Seite befindet sich der hyaline Abschnitt eines Osteo- 
blasten (Fig. 4 O1) in Berührung mit dem Knorpel; auf der 
konkaven Fläche liegt ein ungleich dicker Überzug auf (Fig. 4 
GSı, GSe), der sich zwischen den Knorpel in die Osteoblasten- 
lage O2 einschiebt. Der dickere Abschnitt dieses Überzuges GSı 
besteht aus kegelförmigen Massen, die an den Spitzen noch 
getrennt, mit den Basen aber zusammengeflossen sind; an diese 
schliesst sich ein dünnerer, gleichmässig entwickelter Abschnitt 
GSs an, der abgerundet aufhört. Man sieht in dieser homogenen 
Masse, einzeln wie bei GSı oder zu einer Gruppe vereinigt (Ga), 
stark gefärbte Körnchen liegen. 

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass dieser hyaline 
Überzug aus den hyalinen Abschnitten benachbarter Osteoblasten 
entstanden ist, die sich von den protoplasmatischen Abschnitten 
der Zellen getrennt haben. Die kegelförmigen Verdickungen 
(Fig. 4 @Sı) reichen bis an zwei ÖOsteoblasten OÖ» heran; die 
Spitzen der Kegel werden vom Protoplasma dieser Zellen umfasst. 
Offenbar ist die Ablösung gerade vollzogen, und daher ist die 
Kegelform der hyalinen Abschnitte noch zu sehen. Das bestätigt 
ein Vergleich der Fig. 4 mit Fig. 1, aı und bı. Die dünnere 
Abteilung GS2 steht in keiner erkennbaren Beziehung zu an- 
liegenden Osteoblasten; ich möchte daraus schliessen, dass sie 
sich schon früher von den zugehörigen Zellen abgetrennt hat. 
Mit der Trennung ist dann die Möglichkeit gegeben, dass sich 
die hyaline Substanz gleichmässig auf der Oberfläche des Knorpels 
ausbreiten kann. £ 

Fig. 11, Taf. XXI zeigt die hyaline, einen zusammen- 
hängenden Überzug eines Knorpelbalkens bildende Grundsubstanz 
von der Fläche (Fig. 11 GS). Der Knorpelbalken Kn ist teilweise 
in Auflösung begriffen; in seiner Mitte ist eine grössere Lücke 


O1 
—I 


Entstehung des Knochengewebes. 


entstanden, in der körnige Reste des Knorpels teils frei, teils noch 
im Zusammenhang mit dem Knorpel zu sehen sind (Fig. 11 Knr). 
Die frei gewordenen Knorpelreste bilden grössere und kleinere, 
aus Körnchen bestehende Schollen (Knrı), welche von der hyalinen 
Substanz eingeschlossen werden. Die durch die Auflösung des 
Knorpels gebildete Lücke wird durch die Grundsubstanz völlig 
ausgefüllt; es erscheint das Knorpelbälkchen sogar an dieser 
Stelle am dicksten, da die Grundsubstanz in Masse sich an- 
gesammelt hat. 

Die Körner stellen ein erstes Produkt der Differenzierung 
vor, die in der Grundsubstanz auftritt, weiter greift und 
schliesslich zur Sonderung des Knochens in Grundsubstanz und 
Fasern führt. 

Der hyaline, Körnchen einschliessende Überzug des Knorpels 
muss als „Grundsubstanz“ bezeichnet werden; er ist in Wirk- 
lichkeit eine „homogene und strukturlose Bildung“, in der nach- 
weislich alsbald Fasern auftreten. Diese Grundsubstanz ist 
nachgewiesenermassen umgewandeltes Zellprotoplasma; 
sie wird von den Osteoblasten geliefert. Das entspricht genau 
der von Max Schultze ausgesprochenen Lehre über die Bildung 
der Grundsubstanzen; und für die Grundsubstanz des Knochen- 
gewebes im speziellen besteht die von Waldeyer stets vertretene 
Auffassung zu Recht. Noch 1901 schrieb Waldeyer, dass die 
Grundsubstanz des Knochens „nicht einer Sekretion der Gewebs- 
zellen, sondern einer Metamorphose des Protoplasmas derselben 
ihr Dasein verdanke“. Für diesen Satz liegt nunmehr die Be- 
stätigung in den mitgeteilten Tatsachen vor. 


Das Auftreten von Faserzügen in dieser homogenen Grund- 
substanz zeigt Fig. 5 und 6. In Fig. 5 sieht man einen Knorpel- 
balken Kn bereits von einer dünnen Knochenlamelle KS überzogen, 
die eine Knochenzelle einschliesst. Mit der Knochenlage treten 
die hyalinen Fortsätze der Osteoblasten b und c in Verbindung; 
man sieht, dass die längste Achse des Osteoblasten b und des 
zugehörigen hyalinen Abschnittes bı parallel der Längsachse des 
Knochens gerichtet ist. In diesem Fortsatz bı ist eine Längs- 
faserung leicht angedeutet; ebenso in dem senkrecht zu bı stehenden 
hyalinen Abschnitt des Osteoblasten c.. Körner sind nicht sicht- 
bar. In Fig. 6, Taf. XXI sieht man zwei Osteoblasten Oı und Os 


378 DRLSISTE : 


annähernd parallel zur Oberfläche einer Knochenlage gestellt, die 
den Knorpelrest Kn einschliesst. In den hyalinen Abschnitten 
beider Zellen ist ein System von feinen Fasern entwickelt, die 
bis an die Knochenlage zu verfolgen sind. Der hyaline Abschnitt 
eines dritten Osteoblasten O3 ist noch homogen, bis auf eine 
Gruppe feiner Körnchen. Die Fasern sind, wie die Körner, ganz 
und gar unabhängig von den protoplasmatischen Abschnitten der 
Osteoblasten; nur die Grundlage, innerhalb deren sie entstehen, 
ist Protoplasma, allerdings in bestimmter Weise verändertes 
Protoplasma. 

Die jüngste Knochensubstanz gibt beim Kochen noch keinen 
Leim: die Fäden der hyalinen Abschnitte der Osteoblasten können 
demnach ebensowenig als die Fasern in der Knochensubstanz 
selbst als „kollagene Substanz“ bezeichnet werden. Auch ist der 
junge Knochen, im polarisierten Licht untersucht, durchaus 1s0- 
trop. Es liegen keine Anzeichen dafür vor, dass die Fäden 
innerhalb der hyalinen Abschnitte der Osteoblasten durch Aus- 
wachsen aus den Körnern entstehen. Ich möchte annehmen, dass 
sie direkt aus der Grundsubstanz sich herausdifferenzieren. 

Die Osteoblasten bilden also lediglich die Grundsubstanz 
des Knochengewebes. Fasst man zusammen, was an den Osteo- 
blasten während der Bildung der Grundsubstanz des Knochens 
vorgeht, so ist folgendes zu konstatieren: Der Osteoblast bildet, 
meist an dem dem Kern entgegengesetzten Pol der Zelle, einen 
hyalinen Abschnitt aus, durch Umwandlung eines Teils von seinem 
Protoplasma. Während der Ausbildung dieses Abschnittes wird 
die Zelle länger, geht aber nach Trennung von dem hyalinen 
Abschnitte auf die frühere Grösse zurück. Vor Ausbildung und 
nach Abstossung des hyalinen Abschnittes sind also die Osteo- 
blasten von gleichen Dimensionen. Nun war diese Möglichkeit 
von den Anhängern der Lehre Gegenbaurs nicht in Betracht 
gezogen; diese setzten voraus, die Osteoblasten müssten kleiner 
werden, wenn sie die Knochensubstanz aus einem Teil ihres 
Protoplasmas bilden sollten. Im (Gegenteil, ein gewichtiges 
Argument für die Annahme, dass das Knochengewebe aus einem 
Sekret der Osteoblasten, und nicht etwa aus umgewandeltem 
Protoplasma entsteht, wurde aus dem Umstande abgeleitet, dass 
während der Ausbildung einer Knochenlage die anliegenden 
Osteoblasten Grösse und Form nicht ändern. So schreibt 


Entstehung des Knochengewebes. 37) 


Kölliker ((sewebelehre, 6. Aufl., Bd. I, S. 327): „Erstens sind 
die Knochenzellen in junger, eben erst gebildeter Knochensubstanz 
oft nicht kleiner als die Osteoblasten:; zweitens sind die Ent- 
fernungen der Knochenzellen voneinander meist derart, dass 
man, namentlich unter Berücksichtigung ihrer Grösse, nicht an- 
nehmen kann, dass die Zellen allein die Grundsubstanz des 
Knochens geliefert haben. Drittens endlich scheiden die Osteo- 
blasten, ohne ihre Gestalt und Grösse zu ändern, zuerst eine 
zellenlose Knochensubstanz ab.“ 


Die Erklärung dafür, dass die hyalinen Abschnitte der 
Osteoblasten bisher übersehen worden sind, liegt in der Kleinheit 
und besonders der homogenen Beschaffenheit dieser Bildungen, 
ferner darin, dass diese Abschnitte nur kurze Zeit mit den 
Osteoblasten in Zusammenhang bleiben. Man findet auch selten 
die hyaline Vorstufe der Knochenlagen auf den Knorpelbalken 
vor; meistens sieht man nur die ganz protoplasmatischen Osteo- 
blasten auf dem Knorpel oder auf einer Schichte jungen Knochen- 
gewebes aufliegen. Es folgt wohl daraus, dass das hyaline 
Stadium der Knochengrundsubstanz nur kurze Zeit besteht und 
dass es sich schnell auf dem Wege der Faserbildung in junges 
Knochengewebe umwandelt. Dann ist aber jeglicher Zusammen- 
hang mit den Osteoblasten gelöst. Das gesamte Knochengewebe 
ist ein Produkt der Osteoblasten: es ist „umgewandeltes Proto- 
plasma“. Zuerst ist diese Substanz strukturlos und sie bleibt 
strukturlos, so lange sie noch in Zusammenhang mit den Osteo- 
blasten steht. Die Fasern treten erst auf, wenn sich die Trennung 
von den Östeoblasten vollzogen hat. In dieser Hinsicht kann 
man sagen, dass die Fasern des Knochengewebes unabhängig 
von den Osteoblasten sind. Aber das Material, aus dem die 
Fasern sich herausdifferenzieren, ist darum doch ein Teil des 
Protoplasmas der Osteoblasten. 


Ob sich die Fasern des jüngsten Knochengewebes direkt in 
die Fibrillenbündel des späteren Knochens umbilden, kann ich 
nicht sagen; ich habe diese Frage nicht untersucht, da es mir 
darauf ankam, die Beziehungen des Knochengewebes zu den 
Östeoblasten aufzuklären. Auch muss ich unentschieden lassen, 
woher die Osteoblasten selbst kommen und ob sich alle als 


Knochenzellen erhalten oder ob ein Teil ganz zu Grunde geht: 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 38 


>80 NSuDansıste: 


b) Knochenbildung in Membranen. Belegknochen 
der Nasenkapsel. 


(Fig. 7—12 der Taf. XXI.) 


Man könnte vermuten, dass die Beteiligung der Osteoblasten 
an der Bildung des Knochengewebes am leichtesten bei der 
sildung der Knochen in weicher membranöser Grundlage beob- 
achtet werden könne, da hier der einfachste Modus der Knochen- 
bildung vorliegt. Während bei der Knochenbildung im Knorpel 
zwei Vorgänge gleichzeitig sich abspielen, die Einschmelzung des 
Knorpels und die Neubildung von Knochengewebe, handelt es 
sich bei der Knochenbildung in Membranen um eine einfache 
(ewebsneubildung. Es ist aber in Wirklichkeit viel leichter, 
die Sonderung der Osteoblasten in den hyalinen und den 
protoplasmatischen Abschnitt da zu sehen, wo die Osteo- 
blasten sich auf einer knorpeligen Unterlage befinden, als da, 
wo ihnen eine solche fehlt. Von der hellen Substanz, die zwischen 
den Zellen des embryonalen Bindegewebes liegt, heben sich die 
hyalinen Abschnitte der Osteoblasten nicht sonderlich ab und 
werden sehr leicht übersehen. 


Der in membranöser Grundlage auftretende Knochen hat 
die Form feiner mit Ausläufern besetzter Balken. Ränder und 
Flächen dieser Balken sind mit Östeoblasten belegt; die Osteo- 
blasten gehen noch eine Strecke weit über die Enden der Knochen- 
bälkchen hinaus, die Richtung andeutend, in der die Bälkchen 
wachsen werden. Man kann nun, da der neu angelegte Knochen 
sich in Rubin S intensiv färbt, zwischen den Östeoblasten ein 
Netzwerk feiner Fäden auffinden, die mit den Knochenbalken 
zusammenhängen; von einem stärkeren, in der Verlängerung des 
Knochenbalkens gelegenen Faden gehen nach den Seiten hin, 
zwischen die Osteoblasten, feine Ausläufer hinein, die sich in 
dem umgebenden embryonalen Bindegewebe verlieren. Statt der 
fädıgen Ausläufer der Knochenbalken — sie sehen wie Züge von 
Bindegewebsfasern aus — finden sich auch Reihen gefärbter 
Körnchen vor; man erhält den Eindruck, als ob die Fäden aus 
Körnchen sich zusammensetzten. Die Körnchen selbst liegen 
noch zwischen Osteoblasten. 


Auch findet man Fäden und Reihen von Körnern ausser 
Verbindung mit einem Knochenbälkchen vor; sie wachsen aber 


Entstehung des Knochengewebes. 5s1l 


auf den nächsten Knochenbalken zu. Fig. 12, Taf. XX1I zeigt einen 
Knochenbalken Kb, von Osteoblasten umgeben; bei b und e sieht 
man feine Fäden, die von dem Knochenbälkchen abgehen. Bei 
a liegen Körner, in Reihen geordnet, sowie feine Fäden, die 
noch keine Verbindung mit dem Knochenbälkchen haben; bei d 
sieht man Aggregate von Körnchen auf einem Osteoblasten, bei 
e ein Geflecht von Fäden, in dem ein Osteoblast steckt. 

Es könnte aus derartigen Bildern gefolgert werden, dass 
die erste Anlage des Knochengewebes eine faserige ist und dass 
sie zwischen den Östeoblasten, in gewisser Hinsicht unabhängig 
von diesen Zellen auftritt. 

Wenn man nun die feinsten Ausläufer der Knochenbälkchen 
in dem embryonalen Bindegewebe ausserhalb der Osteoblasten- 
schicht aufhören sieht, so kann man sie für Bindegewebe halten 
und dann schliessen, dass die erste Anlage des Knochens aus 
dem Bindegewebe stammt und dass sie durch Bündel repräsentiert 
wird, welche unabhängig von den Östeoblasten entstanden sind. 
Diese Ansicht hat in neuester Zeit v. Korff vertreten. „Die 
Bindegewebsfibrillen laufen, von verschiedenen Richtungen 
kommend, pinselartig zusammen; dann legen sie sich zu Fibrillen- 
bündeln aneinander und gehen kontinuierlich in die Fibrillen- 
bündel der ersten Knochengrundsubstanz über“ (Die Analogie 
in der Entwicklung der Knochen- und Zahnbeingrundsubstanz 
der Säugetiere. Arch. f. mikr. Anatomie, Bd. 69, 1906). 

Nun zeigen derartige Präparate, wie das in Fig. 12 wieder- 
gegebene, wohl die Lage der jungen Knochensubstanz, nicht aber 
die Entstehungsweise. Diese ist gerade bei der Knochenbildung 
in Membranen nicht leicht zu sehen; aber sie kann mit Sicherheit 
erkannt werden. Freilich ist nicht jede Spezies und jedes Alter 
gleich gut geeignet; mir erwies sich ein menschlicher Embryo 
von 25 mm Länge, in Formol-Alkohol fixiert, als ein sehr 
günstiges Objekt, um die erste Entstehung der Grundsubstanz 
an den ‚Belegknochen der Nasenkapsel zu verfolgen (Fig. 7, 8, 
10,11, Taf. XXD: 

Es ist nicht anzunehmen, dass die erste Anlage eines 
Knochenbälkchens auf andere Weise erfolgt, als die Bildung neuer 
Substanz an der Oberfläche einer bereits vorhandenen Lage von 
Knochen. Im Gegenteil, in derselben Weise, in der sich die 


Anlagerung neuer Grundsubstanz an ein Knochenbälkchen voll- 
38* 


582 Je Disse: 


zieht, ist sicherlich die erste Bildung von Knochengewebe erfolgt. 
Der in membranöser Grundlage auftretende Knochen wächst nun 
dadurch in die Dicke, dass sich amorphe Grundsubstanz auf 
seiner Oberfläche ablagert und zu Knochengewebe wird; er 
wächst in die Länge, indem neu gebildete Grundsubstanz mit 
seinen freien Enden in Verbindung tritt. Die Grundsubstanz 
wird hier, gerade so wie bei der enchondralen Knochenbildung, 
durch die Osteoblasten gebildet: sie ist umgewandeltes Proto- 
plasma der Osteoblasten. 

Zum Belege für diese Angaben mögen die Fig. 7, 8, 9, 
Taf. XXI dienen. Fig. 7 und S beziehen sich auf ein Knochen- 
bälkchen der Oberkieferanlage vom Menschen; Fig. S, das freie 
Ende darstellend, schliesst sich unmittelbar an die in Fig. 7 
dargestellte Partie an. Fig. 9 ist von der Oberkieferanlage eines 
Schweineembryo entnommen. 

Wir sehen in Fig. 7 auf einem Knochenbälkchen Kb drei 
Osteoblasten nebeneinander aufliegen (O1, O2, O3). Jeder dieser 
Osteoblasten besitzt einen wohl ausgebildeten hyalinen Abschnitt 
(hi. he, ha); auf der Knochenoberfläche beginnen die hyalinen 
Abschnitte zusammenzufliessen. Der hyaline Abschnitt h3 legt 
sich in ein Grübchen der Oberfläche des Knochens hinein und 
füllt dasselbe aus: man sieht den tiefer liegenden Rand des 
Grübchens deutlich durch die hyaline Masse durchscheinen. Ver- 
gleichen wir diesen Befund mit den in Fig. 1, 2, 3, 4 wieder- 
gegebenen Verhältnissen, so liegen offenbar die gleichen Dinge 
vor. Aus den hyalinen Abschnitten der Osteoblasten bildet sich 
eine, zunächst strukturlose Auflagerung auf ein Knochenbälkchen, 
bestimmt, selber zu Knochen zu werden. In Fig. 9 sehen wir 
gleichfalls, dass auf einer Fläche eines Knochenbälkchens K sich 
eine hyaline Auflagerung befindet (Fig. 9 GS); in diese geht 
der hyaline Abschnitt des Osteoblasten Oı direkt über. 

Bemerkenswert ist aber. dass nicht alle Osteoblasten, die 
einen hyalinen Abschnitt entwickelt zeigen, diesen auf ein 
Knochenbälkchen auflegen. In Fig. 7 ist der hyaline Abschnitt hı 
des Osteoblasten Oı vom Knochen abgesondert und gegen die 
bindegewebige Umgebung gerichtet. In einiger Entfernung vom 
freien Ende des Knochenbälkchens, das in Fig. 7 dargestellt ist, 
finden wir etwas Ähnliches (Fig. Ss). Eine Gruppe von Osteo- 
blasten (Fig. 8 Obl) liegt dem Ende des Knochenbälkchens Kb 


Entstehung des Knochengewebes. 985 
gegenüber: diese Osteoblasten besitzen die hyalinen Abschnitte, 
die zu einer gemeinsamen Masse h zusammengeflossen sind. Diese 
Masse liegt im embryonalen Bindegewebe und ist schwierig zu 
finden; wenn man aber einmal auf sie aufmerksam geworden ist, 
erkennt man ihre Natur sehr deutlich. Die hyaline Masse steht 
durch zwei feine Bälkchen f, f mit den Knochenbälkchen Kb in 
Verbindung, so dass sie mit ihm eine grosse Lücke L begrenzt, 
in der zwei Osteoblasten liegen. Der eine von diesen ist ver- 
mittelst eines hellen Fortsatzes in Verbindung mit der hyalinen 
Masse h getreten. 

In dieser Masse selbst erkennt man die Anfänge einer 
Struktur. In der Verlängerung der Osteoblasten sieht man 
Reihen von Körnchen; den Zwischenräumen zwischen den Osteo- 
blasten entsprechend treten feine Fäden auf. Da diese Veränderungen 
die gleichen sind, die in den hyalinen Überzügen der Knorpel- 
bahnen zu sehen sind, so handelt es sich hier sicherlich um den 
gleichen Vorgang. Die ‚aus den hyalinen Abschnitten der Osteo- 
blasten Obl hervorgegangene Masse ist im Begriff, zu Knochen 
zu werden; sie bildet einen „Herd“ von Knochensubstanz in der 
Umgebung eines Knochenbälkchens und setzt sich mit diesem in 
Verbindung. 

Schon nach den hier mitgeteilten Befunden muss man. als 
sichergestellt ansehen, dass die Bildung der Grundsubstanz des 
Knochengewebes innerhalb von Membranen 1. lediglich durch 
die Osteoblasten geschieht, und dass sie 2. genau so erfolgt, wie 
bei der Knochenbildung innerhalb des Knorpels. Die Anlage des 
Knochengewebes ist hyalin, strukturlos; fädige Bildungen treten 
erst zu einem bestimmten Zeitpunkte auf, meistens erst, wenn 
sich die Anlage von den produzierenden Osteoblasten getrennt 
hat. Wenn man ausgebildete Fasern findet, besteht schon lange 
kein Zusammenhang mehr zwischen der Knochensubstanz und 
den Osteoblasten:; man darf die Fasern nicht für die erste 
Anlage des Knochengewebes halten, sie entsprechen einer ziemlich 
vorgeschrittenen Stufe der Ausbildung. 

Wenn man nun auch erwarten darf, an der Oberfläche der 
Knochenbälkchen, die innerhalb membranöser Grundlage entstanden 
sind, den Belag mit hyaliner Grundsubstanz zu finden, der auf 
den Knorpelbälkchen bei der enchondralen Knochenbildung so 
deutlich zu sehen ist (Fig. la, Fig. 4), so muss hervorgehoben 


554 aDiisser 


werden, dass es seine Schwierigkeiten hat, auch mit den besten 
Systemen die hyaline Grundsubstanz aufzufinden. An den 
gefärbten und aufgehellten Schnitten bedarf es günstiger Stellen, 
um die nicht färbbare, glasartig durchsichtige Grundsubstanz 
des Knochens zu erkennen; am besten sieht man sie noch in 
den weiten Lücken, die an der Peripherie der Knochenbalken 
angetroffen werden und Osteoblasten enthalten. Neben diesen 
Östeoblasten, zuweilen noch im Zusammenhang mit ihnen, ist die 
neugebildete, strukturlose Grundsubstanz zu sehen. Ich habe 
versucht, diese für eine Wiedergabe durch die Zeichnung wenig 
geeigneten Befunde in Fig. 10 und 13 wiederzugeben. Man sieht 
in Fig. 10 ein Stück „geflechtartigen“ Knochens; von dünnen, 
vielfach verbundenen Balken von Knochensubstanz werden weite 
Lücken umschlossen. In zweien dieser Lücken liegt hyaline 
Substanz neben Osteoblasten; in der oben gelegenen Lücke ist 
deutlich zu sehen, dass die hyaline Masse h der helle struktur- 
lose Abschnitt eines Osteoblasten Oı ist, dessen Kern nebst der 
grösseren Menge des protoplasmatischen Abschnittes weggeschnitten 
ist. In einer angrenzenden Lücke liegt ein Osteoblast O; dieser 
wird von hyaliner Substanz hı wie von einer Kappe überzogen. 
Beim Wechsel der Einstellung tritt der hier verdeckte Rest des 
Protoplasmas gut hervor. Es hat sich in diesem Falle die 
hyaline Substanz von dem zugehörigen Osteoblasten abgetrennt; 
es ist aber nicht zu bestimmen, wo dieser Osteoblast liegt. Nun 
kann aber wohl keinem Zweifel unterliegen, dass diese, innerhalb 
von Gruben der Knochenoberfläche befindlichen Massen hyaliner 
Grundsubstanz sich dem vorhandenen Knochen auflegen, zu 
Knochen werden und so das Dickenwachstum der Bälkchen 
fördern. Fig. 13 zeigt ein Stück geflechtartigen Knochens aus 
der Anlage des Oberkiefers eines menschlichen Embryo; in jeder 
Lücke liegt ein Östeoblast, der eine hyaline Zone (hZ) ent- 
wickelt hat. 

Aus den mitgeteilten Beobachtungen ergibt sich, dass 
zuerst die Grundsubstanz des Knochengewebes gebildet wird. Sie 
ist ursprünglich homogen, glasartig, strukturlos; sie entsteht 
aber nicht, wie Gegenbaur lehrt, durch einen Sekretions- 
vorgang, sondern sie ist „umgewandeltes Protoplasma“ der 
Osteoblasten, wie Waldeyer von jeher ausgesprochen hat. Jeder 


Entstehung des Knochengewebes. 585 


Osteoblast liefert ein Stück Grundsubstanz; dasselbe trennt sich 
von der produzierenden Zelle, fliesst mit den gleichen Abschnitten 
benachbarter Osteoblasten zusammen und breitet sich — bei 
enchondraler Knochenbildung — auf den Knorpelresten inner- 
halb der Markräume zu einem zusammenhängenden Überzuge 
aus. Die zellulare Sonderung ist in diesem umgewandelten Proto- 
plasma endgültig aufgehoben, es ist eine einheitliche Masse 
geworden, die einen Teil der Zellen, von denen sie abstammt, 
eingeschlossen hält. Durch Auftreten faseriger Differenzierungen 
und alsbaldige Erhärtung wandelt sich die Grundsubstanz in 
junges Knochengewebe um. Man kann diese aus den Osteoblasten 
entstandene Lage als „Grundsubstanz“ oder auch als „osteogenes 
(zewebe“ bezeichnen. 

Bei der Knochenbildung in Membranen wird die Grund- 
substanz in das embryonale Bindegewebe der Umgebung einfach 
eingelagert. Ihre Ausdehnung wird durch die Anordnung 
der Osteoblasten bestimmt. Sowie ein Knochenbälkchen gebildet 
ist, wächst es durch Anlagerung neu gebildeter Grundsubstanz 
in die Dicke und in die Länge und verdrängt das Bindegewebe 
immer mehr. 

Da erst nach der Trennung der Grundsubstanz von den 
Osteoblasten die fasrige Struktur sich ausbildet — nur ihre erste 
Andeutung kann schon auftreten, wenn die Grundsubstanz noch 
mit den Osteoblasten verbunden ist — so sind die Faserzüge 
des Knochengewebes ausser Verbindung mit den Osteoblasten. 
Sie sind ausserhalb derselben und unabhängig von ihnen auf- 
getreten. 

Dieser Umstand ändert aber nichts an der Tatsache, dass 
die Fasern im Knochen Produkte des Zellprotoplasmas sind; un- 
mittelbar haben sie zwar nichts mit den Osteoblasten zu tun; 
aber mittelbar sind sie auf die Osteoblasten zurückzuführen, da 
die Grundsubstanz, in der sie gebildet werden, weiter nichts ist, 
als umgewandeltes Protoplasma der Osteoblasten. Würden die 
Fasern früher sich ausbilden, so ständen sie in direktem Zu- 
sammenhang mit Osteoblasten. Man darf also keinen übertriebenen 
Wert darauf legen, ob man in einem besonderen Falle Fasern 
innerhalb des Zellenleibes, oder ausserhalb desselben auftreten 
sieht. Es kommt nur darauf an, zu entscheiden, woher die 
(Grundsubstanz stammt, in welcher die Fasern liegen. Es muss 


586 J. Disse: 


gefragt werden: Ist diese «rundsubstanz ein Sekret von bestimmten 
Zellen, oder ist sie umgewandeltes Protoplasma? In letzterem 
Falle sind die Fasern in der Grundsubstanz Produkte des Zell- 
protoplasma, und der Zeitpunkt ihres Auftretens ist von minderer 
Wichtigkeit. Dieser Gesichtspunkt ist meines Erachtens auch bei 
den Untersuchungen über die Entstehung der Fasern des fibrillären 
Bindegewebes der maßgebende. 


Die Resultate der Untersuchungen über die Entstehung des 
Knochengewebes sind zuerst am 16. Juni 1908 in der Gesellschaft 
zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften zu Marburg 
mitgeteilt und in den Sitzungsberichten erschienen. (Disse, Über 
die Bildung des Knochengewebes. Marburger Sitzungsberichte 
1908 Nr. 5. Juni.) 


II. Die Entstehung des Zahnbeins. 
(Fig. 14—20 auf Taf. XXIL) 


Das Zahnbein bildet sich an der Oberfläche einer Zahnpapille, 
soweit wie diese vom Schmelzorgan bedeckt wird. Die Papille 
besteht hauptsächlich aus polygonalen Zellen, die zahlreiche, 
längere und kürzere Ausläufer besitzen und in eine mucinhaltige 
Grundsubstanz eingelagert sind; vor dem Auftreten des Zahn- 
beins sind die oberflächlich gelegenen Zellen der Papille durchaus 
den in der Tiefe gelegenen ähnlich. Sobald nun die Dentin- 
bildung einsetzt, findet man die oberflächliche Zellenlage der 
Papille in charakteristischer Weise verändert. Sie wandelt sich 
in eine einfache Schicht hoher, prismatischer Zellen um, deren 
längster Durchmesser senkrecht zur Oberfläche der Papille steht; 
man bekommt den Eindruck. als sei die Papille von einem ein- 
schichtigen hohen Epithel überzogen. 


Das Dentin tritt an der Aussenfläche dieser epithelartigen 
Zellenlage auf, zwischen ihr und dem inneren Epithel des Schmelz- 
organs: es bildet ein konform der Papillenoberfläche gekrümmtes 
Scherbehen, das „Zahnscherbchen“, das zuerst an der Spitze der 
Papille auftritt und von dieser aus, an Dicke allmählich ab- 
nehmend, auf die Seitenflächen der Papille übergreift. Das Zahn- 
scherbehen reicht nur soweit, wie die erwähnte Lage hoher 
prismatischer Zellen; es steht mit diesen in Verbindung, indem 
jede Zelle einen langen feinen Fortsatz in das Zahnscherbchen 


Entstehung des Knochengewebes. 587 


entsendet, für den ein Hohlraum, das Zahnkanälchen, ausgespart 
bleibt. Die Länge dieses Zellausläufers, der „Zahnfaser*, ent- 
spricht immer der Dicke der Dentinlage; es nimmt die Zahnfaser 
in dem Maße an Länge zu, wie die Dentinlage dieker wird. 

Wenn man das Zahnscherbehen von der Papille abhebt, 
lösen sich die hohen, prismatischen Zellen von der Papille ab 
und bleiben mit dem Zahnscherbcehen in Verbindung: sie bilden 
einen zelligen Überzug an der konkaven Fläche der Dentinlage 
und sind deshalb als „Dentinzellen“ oder „Elfenbeinzellen“ be- 
nannt worden. Untereinander hängen die Dentinzellen durch 
kurze Ausläufer zusammen; die meisten lassen einen längeren 
Ausläufer erkennen, der der Zahnfaser gegenüber von der Basal- 
täche der Zelle abgeht und in das Gewebe der Papille hinein 
verläuft. 

Diese Befunde führten dazu. dass man die Lage der Dentin- 
zellen als die dentinbildende Schichte ansah. Waldeyer hat 
diese Auffassung zuerst klar ausgesprochen; er hat die Theorie 
aufgestellt, dass das Zahnbein durch Umwandlung des 
Protoplasmas der Dentinzellen entstehe. An einer 
jeden Dentinzelle wandelt sich die Mantelschicht des Protoplasma 
in die Grundsubstanz des Dentins um, die alsbald durch Ein- 
lagerung von Ralksalzen fest wird: der axiale Protoplasmaabschnitt 
aber bleibt weich, wird zur Zahnfaser und bleibt natürlich in 
dem neugebildeten Dentin liegen. Bei dieser Umwandlungsweise 
muss nun die Dentinzelle bald verbraucht werden: ein Teil des 
Protoplasma wird zu Dentin, ein anderer zur Zahnfaser. Dann 
tritt eine neue aus der Papille stammende Zelle für die ver- 
brauchte ein. „Durch den Pulpafortsatz steht jeder Odontoblast 
mit den tiefer gelegenen, sich ebenfalls sukzessive vergrössernden 
Zellen der jungen Pulpa (d. h. der Papille) in Verbindung, sodass, 
wenn ein Odontoblast bis auf das Faserrudiment verknöchert ist, 
ein anderer an seine Stelle tritt, ohne dass die Kontinuität der 
Faser unterbrochen wird. Dem Gesagten zufolge muss also 
jede Zahnfaser als ein Rudiment mehrerer zusammenhängender 
Odontoblasten angesehen werden .... Somit konstituiert sich 
das Dentin mit allen seinen Bestandteilen nur aus den chemisch 
und formell umgewandelten Odontoblasten.“ (Waldeyer, Bau 
und Entwicklung der Zähne. Strieckers Handbuch der Lehre 
von den Geweben, Bd. I, 1871.) 


588 I Disease 


Der Kernpunkt der Lehre Waldeyers ist der, dass das 
Dentin umgewandeltes Zellprotoplasma ist. Die Einzelheiten des 
Umwandlungsprozesses aber waren von Waldeyer weniger direkt 
gesehen, als vielmehr erschlossen worden. Besonders gilt dies 
für die Angabe, dass die Odontoblasten ganz zur Bildung von 
Dentin und Zahnfaser verbraucht würden, und dass immer neue 
Odontoblasten entstehen und an die Stelle der verbrauchten treten 
sollten. Gegen diesen Punkt richteten sich zunächst die Ein- 
würfe. Kölliker (Gewebelehre, 5. Aufl., 1867) sprach sich dahin 
aus, „dass in vielen Fällen eine einzige Zelle ausreicht, um eine 
Zahnfaser zu bilden; man sieht an den Zahnfasern nie Spuren 
einer Entstehung aus Zellreihen“. Vielmehr nahm Kölliker 
an, „dass die Elfenbeinzellen, indem sie einerseits immer neuen 
Bildungsstoff aufnehmen und hierdurch in immer gleicher Grösse 
sich erhalten, auf der andern Seite durch ein lebhaftes Spitzen- 
wachstum immer längere verästelte Ausläufer, eben die Zahn- 
fasern, hervorbringen“. Damit war der neue Gesichtspunkt ein- 
geführt, dass die Dentinzelle ständig in die Länge wachsen kann, 
und dass sie dadurch etwaigen Verlust an Protoplasma zu er- 
setzen imstande ist. Indessen war Kölliker der Meinung, dass 
das Wachstum lediglich den Verlust desjenigen Protoplasma- 
abschnittes decke, der zur Bildung der Zahnfaser verbraucht 
werde. Eine Umwandlung des Protoplasmas einer Dentinzelle 
in Dentin komme nicht vor; es handle sich vielmehr um eine 
Ausscheidung, die von den Dentinzellen geliefert wird, ver- 
kalkt und zu Dentin wird. Weil das Dentin zwischen den äusseren 
Enden der Dentinzellen auftritt, „geht es nicht wohl an, das 
Dentin unmittelbar aus der Pulpa abzuleiten, und es bleibt nichts 
anderes übrig, als anzunehmen, dass das Dentin unter Vermittlung 
der Elfenbeinzellen sich bilde“. (Gewebelehre, S. 387.) Die 
Grundsubstanz des Dentins wäre „als eine durch alle Elfenbein- 
zellen gemeinsam gebildete Ausscheidung zu betrachten“; 
diese ist durchaus gleichartig und lässt niemals eine Zusammen- 
setzung aus einzelnen Abschnitten erkennen, die man etwa für 
Zellterritorien halten könnte. 

Kölliker zog noch eine scharfe Grenze zwischen einer 
Sekretion und einer Umwandlung des Zellprotoplasma:; 
es lag wohl die Vorstellung zugrunde, dass ein Sekret immer 
amorph, vielfach sogar flüssig sei, während dem sich um- 


Entstehung des Knochengewebes. 589 


wandelnden Protoplasma immer eine Struktur zukomme; 
dass ferner ein Sekret sich von den produzierenden Zellen 
sofort trenne, während Protoplasma mit ihnen im Zusammenhang 
bleibe. Wenn man zulässt, dass Protoplasma seine Struktur ver- 
lieren, amorph werden und sich aus dem Zellverbande lösen 
kann, so wird Protoplasma zu Sekret; es verwischt sich die 
Grenze zwischen beiden Vorgängen, da das Produkt in dem 
einen wie in dem anderen Falle „umgewandeltes Protoplasma“ 
ist. In diesem Sinne hat v. Ebner (Köllikers Gewebelehre, 
6. Aufl., 1899) die Lehre Köllikers über die Entstehung des 
Dentins modifiziert; er hält es den Tatsachen am meisten ent- 
sprechend, anzunehmen, „dass die Elfenbeinzellen an ihrer Ober- 
fläche zunächst eine nicht fibrilläre Substanz bilden, die zu einer 
gemeinsamen Masse zusammen fliesst“... „Die fibrilläre Grund- 
substanz des Zahnbeins wird von den Elfenbeinzellen zunächst 
an der äusseren Oberfläche, dann aber auch zum Teil an den sich 
berührenden Seitenflächen der Zellen gebildet.“ Denn das zuerst 
gebildete Dentin erscheint „wie ein Ausguss der Zwischenräume 
zwischen den äusseren Enden der Dentinzellen“; es entsteht „auf 
Kosten der Odontoblasten wahrscheinlich dadurch, dass die 
Plasmafäden derselben an der Oberfläche zu einer chemisch dem 
Kollagen nahe stehenden Substanz, die zunächst nicht fibrillär 
ist, zerfliessen“ (v. Ebner, Über die Entwicklung der leim- 
gebenden Fibrillen. besonders im Zahnbein. Wiener Sitzungs- 
berichte, math.-naturw. Kl., Bd. 115, Abt. 3, 1906). 

Bei dieser Auffassung bleibt aber die Lehre von Kölliker 
bestehen, dass das Zahnbein das Produkt einer einzigen Lage von 
Dentinzellen ist. Die Zellen wachsen, solange sie Dentin produzieren, 
und ihr nicht zu Dentin gewordenes Protoplasma erhält sich in Form 
der Zahnfasern. Nur in diesem Punkte entfernt sich die Lehre 
v. Ebners von der Theorie, die Waldeyer aufgestellt hatte; sie 
fasst aber, dieser Theorie entsprechend, das Dentin als umgewandeltes 
Protoplasma auf. Der Umwandlungsprozess ist aber auch von 
v. Ebner nicht in seinen Einzelheiten gesehen: besonders sind 
keine Beobachtungen mitgeteilt, die eine sichtbare Veränderung des 
Protoplasmas der Dentinzellen bei der Dentinbildung feststellen. 

Nach den zitierten Autoren, denen eine Anzahl anderer 
anzureihen wäre, sind es immer die Dentinzellen, von denen 
die Bildung des Dentins ausgeht. 


590 TaDalsisıer: 


Nun ist in neuester Zeit angegeben worden, dass das junge 
Dentin, das „wie ein Ausguss“ zwischen den äusseren Enden der 
Dentinzellen liegt, nicht homogen sei, sondern fibrillär; dass die 
Fibrillen aus der Papille herkommen, und durch Auffaserung 
stärkerer Bündel entstehen, die zwischen den Dentinzellen hindurch- 
treten. Diese Fibrillen werden direkt zu den Fibrillen des fertigen 
Zahnbeins. Es ist keine anfangs homogene Grundsubstanz des 
Dentins da, sondern die erste Anlage desselben ist fibrillär; die 
Fibrillen stammen aus dem Gewebe der Papille.. Die Zahnbein- 
grundsubstanz „baut sich aus Fibrillen auf, die mit denen der 
Zahnpulpa kontinuierlich sind“. (v. Korff, Die Entwicklung der 
Zahnbeingrundsubstanz der Säugetiere. Arch. f. mikr. Anatomie, 
Bd. 67, 1905.) Wenn diese Angaben zutreffen, ist das Dentin 
ein Produkt der Zahnpapille, und zwar ihrer Fasern, nicht ihrer 
Zellen: die Dentinzellen kommen dann für die Bildung des Zahn- 
beins nicht in Betracht. 


Nach meinen eigenen Untersuchungen, die hauptsächlich an 
menschlichen Embryonen angestellt sind, ist es nun möglich, den 
Nachweis zu führen, dass die Dentinzellen es sind, welche das 
Zahnbein produzieren. Das Dentin ist umgewandeltes Zellproto- 
plasma der Dentinzellen: die einzelnen Umwandlungsstadien lassen 
sich erkennen, und sie entsprechen im wesentlichen den Ver- 
änderungen, die das Protoplasma der Osteoblasten bei der Bildung 
des Knochengewebes erfährt. 


Das Verständnis für die Vorgänge bei der Bildung des Dentins 
erschliesst sich nur dem, der die Bildung der Knochensubstanz 
in ihren Einzelheiten untersucht hat, und der besonders die Um- 
bildungen der Osteoblasten, das Homogenwerden des peripheren 
Zellenabschnitts und seine Trennung von dem protoplasmatischen, 
genau kennt. Diese Vorgänge sind an den Osteoblasten relativ 
leicht zu sehen; ihre Deutung ist nicht schwierig, und sie 
erleichtert das Verständnis anologer Vorgänge in verwandten Ge- 
weben. Die Veränderungen an den Dentinzellen sind schwieriger 
zu sehen; man wird nur dann auf ihre Bedeutung aufmerksam, 
wenn man die Phasen kennt, die ein Osteoblast bei der Produktion 
von Knochengewebe durchläuft. Man wird immer wieder die 
Wahrheit des Satzes bestätigt finden, den vor Jahren Waldeyer 
aussprach: „Die histiologische Genese des Zahnbeins muss voll- 


Entstehung des Knochengewebes. 591 


kommen der Bildung der Knochensubstanz homologisiert werden“ 
(Striekers Handbuch, Bd. I, S. 550). 

Auch zur Untersuchung der Dentinbildung dienten mensch- 
liche Embryonen, die teils in Pikrinsäure-Sublimat, teils in 
Zenkerscher Lösung fixiert waren. Es kamen Embryonen von 
125 mm, 132 mm, 140 mm Länge zur Verwendung, ausserdem 
ein Embryo aus dem Ende des 5. Monats, der in Müllerscher 
Lösung fixiert worden war. Auch wurden Schweineembryonen, 
in Sublimat-Eisessig fixiert, zum Studium der Dentinbildung heran- 
gezogen. Die Vorbehandlung aller Präparate war die folgende: 
Entkalkung in 10°/o Kochsalzlösung mit 2°/o HCl; Stückfärbung 
in Hämalaun, Einschluss in Paraffin. Die 0,005 mm dicken Schnitte 
wurden auf dem Objektträger eine Minute lang in einer alko- 
holischen Lösung von Rubin S und Orange nachgefärbt (Rubin S 1,0, 
Orange 0,5, 95°/o Alkohol 90,0, Glyzerin 10,0), in starkem Alkohol 
differenziert und in Ol. Origani aufgehellt. Bei dieser Behandlung 
werden die Zellkerne blau, das Protoplasma der Dentinzellen rot; 
das jüngste Dentin erscheint rot, das ältere orange. Die Zahn- 
scheiden werden rot. Die Fragestellung muss lauten: Kommen 
während der Dentinbildung an den Dentinzellen sichtbare Ver- 
änderungen vor? Haben diese Veränderungen Ähnlichkeit mit 
denen, die an den Osteoblasten bei der Knochenbildung beobachtet 
werden? Liefern die veränderten Abschnitte der Dentinzellen 
das junge Dentin? Um diese Fragen beantworten zu können, 
müssen wir mit der Schilderung der Dentinzellen beginnen. 

Um die Zeit, in welcher die Dentinbildung beginnt, tritt 
auf der Oberfläche der Zahnpapille eine Lage bestimmt geformter 
Zellen auf, die sich von den zentralen Zellen der Papille unter- 
scheiden. Es sind die „Dentinzellen“, auch „Odontoblasten“, 
oder „Elfenbeinzellen“ genannt. Die Schichte dieser Zellen ist 
anfänglich, bei ihrem ersten Auftreten, am dicksten, und nimmt 
allmählich an Mächtigkeit .ab. Man findet 3—5 Zellenlagen 
übereinander, besonders an der Spitze der Papille, während ın 
späterer Zeit höchstens zwei Zellenlagen da sind. Die einzelnen 
Zellen sind zwar an Form, Grösse, Zahl der Ausläufer vielfach 
verschieden; indessen treten die Abweichungen gegenüber den 
gemeinsamen Merkmalen zurück. Die Dentinzellen sind lange 
und schmale, ‚prismatisch oder auch zylindrisch gestaltete Zellen. 
Der Kern liegt, mit seltenen Ausnahmen, endständig, in dem- 


592 JeEDAgsie: 


jenigen Ende der Zelle, das der Papille zugekehrt ist; man kann 
es als das zentrale Ende bezeichnen. Der Kern ist gewöhnlich 
kuglig, seltener ovoid; er hat eine deutliche Struktur, das Chro- 
matin bildet ein feines Netzwerk mit zahlreichen grösseren und 
kleineren Netzknoten. Das Zellprotoplasma ist undeutlich streifig, 
die Streifen laufen der Längsachse der Zelle parallel. Ausser den 
feinen Fibrillen, die die Streifung bewirken, enthält das Proto- 
plasma zahlreiche feine Körner: wenn die Streifung zurücktritt, 
kann die Zelle körnig erscheinen. 

Die Länge der Dentinzellen beträgt nach Waldeyer beim 
Menschen 20—30 u, die Breite 5 «; Kölliker gibt 35-—54 u 
Länge bei 5—10 « Breite an. Ich finde bei menschlichen 
Embryonen die Länge 24—30 u, die Breite 5—6 «. Der Kern 
hat den gleichen Durchmesser wie die Zelle. 

Es ist unter Umständen nicht leicht, die Länge einer 
Dentinzelle genau zu bestimmen; einmal besitzt die Zelle Fort- 
sätze, auch solche, die in der Richtung des längsten Durchmessers 
liegen, nämlich die Zahnfaser und einen ihr gegenüber abgehenden 
zentralen Fortsatz. Wenn man ein kleines Stück dieser Fort- 
sätze bei der Messung berücksichtigt, bekommt man natürlich 
höhere Werte, als wenn man die Fortsätze ausser acht lässt. 
Wichtiger aber ist die Tatsache, dass der leicht sichtbare, proto- 
plasmatische Abschnitt einer Dentinzelle sehr häufig nicht die 
ganze Zelle darstellt, sondern nur einen Teil derselben. 

Es ist mehrfach angegeben worden, dass die Dentinzelle, 
wenn die Bildung des Dentins im Gange ist, in zwei Zonen zer- 
fällt. v. Korff sagt: „der Zellenleib der Elfenbeinzelle lässt 
einen kleinen äusseren, homogenen, und einen grösseren, inneren, 
differenzierten Abschnitt erkennen“; v. Ebner bildet derartige 
in zwei Zonen gesonderte Dentinzellen ab (Köllikers Hand- 
buch der Gewebelehre, 6. Aufl., Bd. 3, Fig. 935). 

Die Beschreibungen und die Abbildungen der genannten 
Autoren beziehen sich auf isolierte Zellen, und diese zeigen die 
äusseren, homogenen Abschnitte der Dentinzellen nur sehr un- 
vollständig. Man muss die Zellen an Schnittpräparaten unter- 
suchen, wenn man das wirkliche Verhalten der homogenen Zone 
erkennen will. Es ergibt sich dann, dass die Dentinzelle vielfach 
in eine innere oder zentrale protoplasmatische, und in 
eine äussere oder periphere homogene Zone zerfällt, und dass 


Entstehung des Knochengewebes. 593 


die homogene Zone ein variables Element ist. Das Auftreten 
dieser homogenen Zone hängt nun mit der Bildung des Dentins 
zusammen, es stellt das erste Stadium bei der Dentinbildung dar. 

Die Bildung des Dentins wird dadurch eingeleitet, dass die 
Dentinzellen einen homogenen, nach aussen gekehrten Abschnitt 
ausbilden, der dem Schmelzorgan anliegt. Dieser Abschnitt wird 
glasartig durchsichtig, besitzt keine deutliche Struktur, nimmt 
an Durchmesser gegenüber dem protoplasmatisch bleibenden Ab- 
schnitte der Zelle zu, und tritt mit den gleichartig veränderten 
äusseren Abschnitten der benachbarten Dentinzellen in innige 
Berührung. Dann fliessen die in Verbindung stehenden Enden 
der homogenen Abschnitte an der inneren Grenze des Schmelz- 
organs zu einer einzigen Lage zusammen. Diese Lage, hervor- 
gegangen aus dem in bestimmter Weise veränderten Protoplasma 
der Dentinzellen, trennt sich von den Dentinzellen ab und wird 
zu Dentin. Das Dentin wächst in die Dicke durch Anlagerung 
neu gebildeten Materials an die bereits vorhandene Dentinschicht ; 
dieses Material geht auf die gleiche Weise, wie das zuerst ge- 
bildete Dentin, aus den Dentinzellen hervor. 

Fig.14, Taf. XXIl zeigt das erste Stadium der Dentinbildung;; 
in Fig. 14a sehen wir die Verdickung einer bereits vorhandenen 
Dentinschicht durch Anlagerung einer hellen, noch mit den Dentin- 
zellen in Verbindung stehenden Lage. Beide Präparate gehören 
einer Serie an, die von einem Schweineembryo stammt. 

Fig. 14 zeigt die erste Bildung derjenigen Substanz, die 
zu Dentin werden soll; man kann sie mit v. Ebner als „Prä- 
dentin“ benennen. Die Stelle, die in der Abbildung wiederge- 
geben ist, liegt ganz nahe dem zugeschärften Rande des Zahn- 
scherbehens. Es ist noch kein Dentin da, wohl aber eine gut 
ausgeprägte Lage von Dentinzellen. Diese erscheint bei schwächerer 
Vergrösserung von dem inneren Epithel des Schmelzorgans durch 
einen hellen Zwischenraum getrennt; die Untersuchung mit homo- 
gener Immersion aber zeigt, dass die helle Partie aus den ganz 
hellen, gleichmässig hyalin erscheinenden Abschnitten der Dentin- 
zellen besteht (Fig. 14 hZ). Eine jede Dentinzelle besteht aus 
zwei Abschnitten, einem protoplasmatischen (pZ),. der an die 
Papille angrenzt und den Kern einschliesst, und einem hellen, 
glasartig durchsichtigen (hZ), der unter leichter Verbreiterung 
aus dem protoplasmatischen Abschnitt hervorgeht und sich mit 


594 JseDuHsBe: 


seiner äusseren Fläche an das Schmelzorgan (SO) anlegt. In der 
Nähe des protoplasmatischen Zellenabschnittes sind die glas- 
artigen Partien selbständig; ihre breiten Aussenflächen aber sind 
entlang dem Schmelzorgan miteinander verschmolzen und bilden 
eine einzige, gleichmässige helle Lage. die mit dem Rande des 
Zahnscherbehens in Berührung steht. 

Ein ganz gleiches Verhalten zeigen die Dentinzellen an 
der Innenfläche des Zahnscherbehens, also näher der Spitze der 
Zahnpapille (Fig. 14a, Taf. XXII). Die Dentinlage (D) besitzt 
eine gewisse Mächtigkeit, 30—40 «; sie besteht aus einer 
äusseren, gleichartigen und einer inneren Zone, die sich in Rubin 
stark gefärbt hat. In dieser Zone sind die Zahnkanälchen deutlich 
wahrzunehmen: die Grundsubstanz erscheint körnig und enthält 
noch keine anisotröpen Fibrillenzüge. Es ist also ganz junges 
Dentin Unterhalb dieser Schichte ist eine ganz helle, homogene 
Lage h7 vorhanden; sie setzt sich aus den äusseren, hellen und 
homogenen Abschnitten der Dentinzellen zusammen, so dass alle 
diese Zellen mit der genannten Schicht in Verbindung stehen. 
Die hellen Aussenzonen der Dentinzellen sind von ungleicher 
Länge: sie sind zylindrisch, oder auch kegelförmig. In der 
hellen Substanz treten bei einzelnen Zellen Körnchen auf, die 
sich in Rubin stark färben: sie liegen immer ganz oberflächlich, 
stehen einzeln oder ordnen sich zu Reihen zusammen. Auch die 
Grenze des protoplasmatischen Abschnittes der Dentinzellen gegen 
den hellen Abschnitt kann körnig erscheinen. 

Die Dentinzellen, die sich in zwei Abschnitte gesondert 
haben, gleichen durchaus den Osteoblasten, die einen Teil ihres 
Protoplasmas in osteogene Substanz umwandeln; es kann keinem 
Zweifel unterliegen, dass in beiden Zellenarten analoge Vorgänge 
sich vollziehen, die darauf hinauslaufen, eine Substanz zu bilden, 
welche später sklerosieren soll. 

Die Dentinzellen des Menschen lassen die beim Schweine- 
embryo beschriebenen Stadien gleichfalls erkennen. Es wird der 
nach aussen gerichtete Abschnitt des Zellprotoplasmas in eine 
helle, homogene Masse verwandelt, die als ein peripherer Ab- 
schnitt der Zelle erscheint. Fig. 15, Taf. XXI zeigt vier der- 
artig veränderte Dentinzellen, die an der Innenfläche einer 
dünnen Schichte von Dentin (D) gelegen sind. Der protoplasma- 
tische Zellenabschnitt (pZ). der an seinem zentralen Ende den 


Entstehung des Knochengewebes. 595 


Kern einschliesst, geht ohne scharfe Grenze, mehr allmählich, 
in den homogenen Abschnitt hZ über; die sämtlichen homogenen 
Abschnitte aber sind bereits miteinander verbunden und zu einer 
einzigen Masse zusammengeflossen, die sich enge an die Dentin- 
lage D anschliesst. Auch in Fig. 16, Taf. XXII sieht man die 
hyalinen, homogenen Abschnitte von drei Dentinzellen miteinander 
verschmolzen und zu einer glasartig hellen Masse hZ vereinigt. 
Es ist die Spitze der Papille eines Schneidezahns bei einem 
Embryo von 152 mm Länge dargestellt, auf der sich das Zahn- 
scherbehen D gerade anlegt. Die Grenze beider Abschnitte er- 
scheint an den Dentinzellen unregelmässig; an der mit pZ be- 
zeichneten Zelle entsendet der protoplasmatische Abschnitt zwei 
Ausläufer in die hyaline Masse hinein; nur die mit pZı bezeichnete 
Zelle zeigt eine geradlinige Abgrenzung beider Abteilungen. 

Überall da, wo sich Dentin bildet, nimmt man das Auf- 
treten einer hyalinen Aussenzone an den Dentinzellen wahr. Es 
muss diese Veränderung eine wesentliche Bedeutung haben. Dass 
sie bisher gar nicht oder nur unvollkommen gesehen worden ist, 
liegt wohl an der Durchsichtigkeit des hyalinen äusseren Ab- 
schnittes; oft kann man geneigt sein, ihn für eine Lücke im 
Präparat zu halten. Es bedarf einiger Erfahrung und einiger 
Aufmerksamkeit, um die hellen Abschnitte der Dentinzellen 
zu sehen; um die richtige Deutung der Bilder geben zu 
können, ist es notwendig, die Veränderungen der Osteoblasten 
bei der Knochenbildung zu kennen. Nicht selten sieht man, 
besonders auf Flächenschnitten der Dentinzellen, glasartige 
Massen zwischen den Zellen liegen, deren Zusammenhang mit 
protoplasmatischen Abteilungen nicht nachzuweisen ist. Derartige 
Bilder erklären sich daraus, dass oftmals die beiden Abschnitte 
einer Zelle einen Winkel miteinander bilden, sodass der Schnitt 
nur einen einzigen Abschnitt trifft. Vielfach kann man aber 
auch den Nachweis führen, dass glasartige Massen mit kern- 
haltigem Protoplasma zusammenhängen. Nun ist die wichtige 
Frage zu beantworten: In welcher Weise wandelt sich die 
homogene, aus den äusseren Abschnitten der Dentinzellen 
gebildete Lage weiter um? Welcherlei Stadien durchläuft sie, 
bis sie zu Dentin geworden ist? 

Die homogene Lage enthält zweierlei Bestandteile: einmal 


das Material, das zu Dentin wird, ferner die Zahnfasern. Beiderlei 
Archiv f.mikrosk. Anat. Bd.73, 39 


596 J.-Dissie: 


Eiemente lassen sich anfänglich, so lange die hyalinen Abschnitte 
noch mit den Dentinzellen vereinigt sind, nicht voneinander 
unterscheiden. Die ganze, den Dentinzellen aufsitzende Lage ist 
homogen; das sieht man sehr gut an dem in Fig. 17, Taf. XXIII 
wiedergegebenen Längsschnitt der Zahnanlage eines menschlichen 
Embryo von 140 mm Länge. Die Dentinlage D wird durch die 
homogene Schicht hZ von den Dentinzellen getrennt; die Schicht 
hZ setzt sich aus Abteilungen zusammen, deren jede zu einer 
Dentinzelle gehört, was auf den ersten Blick erkennbar ist. 

Nun trennt sich die homogene Lage von dem proto- 
plasmatischen Abschnitt der Dentinzellen ab und wird selb- 
ständig; gleichzeitig werden in ihr die Zahnfasern sichtbar, die 
mit den Dentinzellen in Verbindung stehen. In Fig. 18, Taf. XXII 
hat fast eine jede der Dentinzellen DZ einen langen peripheren 
Fortsatz Zf, der in ein Kanälchen des Dentins D hinein verfolgt 
werden kann. Es ist die Zahnfaser. Diese besitzt jetzt die 
Struktur und die Färbbarkeit des protoplasmatischen Abschnittes 
der Dentinzelle; vorher, so lange die homogenen Abschnitte 
noch mit den protoplasmatischen in Verbindung stehen, ist nichts 
von einer Faser zu sehen, es hebt sich innerhalb des hyalinen 
Abschnittes einer Zelle das in der Achse gelegene Protoplasma 
nicht gegenüber dem peripheren durch besondere Lichtbrechung 
hervor. Indessen kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass 
die Zahnfaser innerhalb des homogenen Abschnittes einer Dentin- 
zelle von Anfang an vorhanden ist, wenn sie auch anfänglich 
noch dasselbe Lichtbrechungsvermögen hat wie das umgebende, 
hyalin gewordene Protoplasma. 

Von dem Zeitpunkt ab, in welchem die hyalinen Abschnitte 
der Dentinzellen sich von den protoplasmatischen trennen, bleibt 
die Zahnfaser sichtbar, und erscheint als ein Ausläufer des 
protoplasmatischen Abschnittes der Zelle. Natürlich steckt eine 
jede Zahnfaser in der homogenen Masse, die aus den hyalinen 
Abseunitten besteht; wir wollen sie von jetzt ab als „Prädentin“ 
bezeiehnen (Fig. 18 PD). 

Es sind zuerst von Höhl (Beitrag zur Histologie der Pulpa 
und des Dentins. Arch. f. Anatomie 1896) Fasern beschrieben 
wor on, die aus dem Gewebe der Zahnpapille kommen, die Lage 
der entinzellen durchsetzen und bis an die innere Fläche des 
Sch ıelzepithels herantreten. Die Fasern lösen sich zwischen den 


Entstehung des Knochengewebes. 597 
äusseren, peripheren Abschnitten der Dentinzellen in feinste 
Fibrillen auf. v. Korff hat diese Fasern und die aus ihnen 
hervorgehenden Fibrillenzüge ebenfalls gefunden und sie für die 
Vorläufer der Fibrillen des Dentins erklärt. Wenn nun auch 
diese Deutung nicht aufrecht zu halten ist, weil die fraglichen 
Fasern senkrecht zu der Verlaufsrichtung der Dentinfibrillen 
stehen und weil sie weder leimgebend noch doppeltbrechend sind 
(v. Ebner), so ist die Existenz dieser Fasern, die sich in Fibrillen 
auflösen, nicht zu bestreiten. Wenn die Dentinbildung im 
Gange ist, kann man diese „Höhlschen Fasern“ oftmals nach- 
weisen. Sie gehören zum Gewebe der Zahnpapille und sind 
teils Zellenausläufer, teils Fasern, die in einer „Grundsubstanz“* 
differenziert sind und mit den Zellen der Papille keinen nach- 
weisbaren Zusammenhang mehr besitzen. Wo bleiben diese 
Fasern bei der Dentinbildung? Höhl bildet ihren Übergang 
in das junge Dentin ab; das junge Dentin liegt aber nach seiner 
Zeichnung zwischen den peripheren Enden der Dentinzellen, 
ganz ähnlich sind die Abbildungen, die v. Korff gibt. 

Beide Autoren haben nicht erkannt, dass die jüngste Dentin- 
lage aus den homogenen, verbreiterten und zusammengeflossenen 
Abschnitten der Dentinzellen besteht; dass sie nicht wie ein 
Ausguss zwischen den Dentinzellen liegt, sondern dass sie eine 
direkte Verbindung mit den protoplasmatischen Abschnitten dieser 
Zellen besitzt, also zu den Dentinzellen gehört. Bei dem Zu- 
sammenfliessen der homogenen Abschnitte der Dentinzellen zu 
einer einzigen Lage kommen die Fasern, die zwischen den 
Dentinzellen gelegen waren, in die homogene Masse, also in das 
Prädentin, hinein zu liegen; sie werden vom Prädentin ein- 
geschlossen. Eine Zeitlang bleiben die Fasern noch sichtbar; 
auch färberisch lassen sie sich darstellen. Wenn aber die 
Umwandlung des Prädentin in Dentin eintritt, verschwinden die 
genannten Fasern völlig. Sie verhalten sich zu dem Dentin, wie 
die Knorpelbalken innerhalb der Markräume sich zum jungen 
Knochengewebe verhalten; auch diese werden allseitig vom neu- 
gebildeten Knochen umgeben, bleiben kurze Zeit sichtbar, können 
fäarberisch nachgewiesen werden, sind aber bei einem bestimmten 
Alter eines Knochenbalkens nicht mehr nachweisbar. Sie werden 
dem umgebenden Gewebe assimiliert. Die so viel dünneren 


Fasern im Dentin werden von dieser Assimilation noch 
39* 


598 pDlsiste: 


früher betroffen als die Knorpelreste innerhalb des jungem 
Knochens. 

Wenn das Prädentin zu einer zusammenhängenden Schicht 
geworden ist, die sich von dem Rest der Dentinzellen abgetrennt 
hat, ist es zu einer „Grundsubstanz“ geworden. In dieser sind 
aber keine zelligen Elemente enthalten; da die Grundsubstanz. 
nuran einem Pol der sie produzierenden Zellenlage entsteht, bleiben 
die Mutterzellen — also die Dentinzellen — an der inneren 
Fläche der Grundsubstanzlage liegen und nur ein Rest des 
Protoplasma einer jeden Dentinzelle, der nicht in Grundsubstanz 
umgewandelt worden ist, bleibt als „Zahnfaser“* in der Schicht 
liegen. Für jede Zahnfaser bleibt ein relativ weiter Hohlraum 
ausgespart; vielleicht enthält er, ausser der Faser, noch Flüssigkeit. 

Das Prädentin wird fester, härter, bildet bestimmt orientierte 
Fibrillenzüge aus und verkalkt dabei. Die „Sklerosierung“ des. 
Prädentins wird nun von sichtbaren Veränderungen begleitet. 
In der gleichartigen Masse tritt eine Art von provisorischer‘ 
Struktur auf; es bilden sich nämlich feine, in Rubin S färbbare 
Körner, die bis zum Auftreten der Fibrillenzüge sichtbar bleiben. 
Die Bildung der Körner beginnt am inneren Rande des Prädentins, 
also in der unmittelbaren Nähe der protoplasmatisch bleibenden 
Zellenabschnitte, die von nun an die ganzen Dentinzellen reprä- 
sentieren und schreitet nach aussen nach dem Schmelzorgan hin, 
vor; in der unmittelbaren Nähe der Lage fertigen Dentins sieht 
man öfters noch körnerfreie, glasartig durchsichtige Massen von 
Prädentin, die man leicht für Lücken der Substanz halten kann 
(Fig. 19 HZ). 

In der körnig gewordenen Masse des Prädentins sind an 
feinen Schnitten die Kanäle für die Zahnfasern gut zu erkennen 
(Fig. 19 R). Der Schnitt nimmt mitunter die Dentinzellen und 
ihre Ausläufer weg, so dass die Räume, in denen sie gelegen 
haben, sichtbar werden. Meistens aber bleiben die Dentinzellen 
mit ihren peripheren Enden im Prädentin stecken (Fig. 19 DZ). 
Man kann aus dieser Erscheinung entnehmen, dass das Prädentin 
an Festigkeit gewonnen hat. Die Hohlräume des Prädentins- 
stehen, wie man vielfach sehen kann, in Verbindung mit den 
Kanälchen der fertigen Dentinschicht; sie bilden gleichsam etwas 
erweiterte, leicht schraubenförmig verlaufende Vorräume dieser 
Kanälchen. 


Entstehung des Knochengewebes. 599 


Wenn die ganze Lage von Prädentin körnig und fest 
geworden ist, tritt sie in Verbindung mit der fertigen Dentin- 
schicht und wandelt sich dann erst in Dentin um. Der Unter- 
„schied zwischen Prädentin und Dentin liegt darin, dass im Dentin 
‚die Bündel leimgebender Fibrillen, parallel der Oberfläche des 
Zahns geordnet, vorhanden sind: diese Fibrillen sind anisotrop, 
und ihre Existenz lässt sich bei Untersuchung der Zahnanlage 
im polarisierten Licht erweisen. Auch an feinen Schnitten sieht 
man die Doppeltbrechung. Das Prädentin ist noch isotrop. 

Die Bildung des Dentins geschieht in einzelnen Perioden, 
Lage auf Lage bildet sich und tritt mit dem vorhandenen 
Dentin in Verbindung. Die Vorgänge innerhalb einer jeden 
Periode sind natürlich die gleichen; zwischen zwei Zeiträume, 
in denen Dentin gebildet wird, schiebt sich eine Periode der 
Ruhe ein, deren Dauer sich aber nicht bestimmen lässt. Eine 
solche Ruheperiode charakterisiert sich dadurch, dass die Dentin- 
zellen rein protoplasmatisch erscheinen und keine Spur einer 
hyalinen Aussenzone erkennen lassen. In einer solchen Ruhezeit 
sind die Zahnfasern sehr gut zu sehen. Die innere Grenze der 
Dentinlage enthält Nischen, in denen die peripheren Enden der 
Dentinzellen stecken (Fig. 20 N); aus diesen Nischen kommt man 
in die Dentinkanälchen hinein, innerhalb deren die Zahnfasern 
(Fig. 20Zf) gelegen sind. Zwischen den Nischen springt das 
Dentin mit breiteren und schmäleren Fortsätzen vor (Fig. 20). 

Die jüngste Dentinlage enthält eine grosse Menge feiner, 
stark färbbarer Körner; diese verlieren sich plötzlich in einer 
‚gewissen Entfernung von der Lage der Dentinzellen. 

Die Frage, ob die ganze am fertigen Zahn vorhandene 
Dentinschicht von einer und derselben Zellenlage gebildet wird, 
oder ob sich mehrere Zellengenerationen an der Dentinbildung 
beteiligen, lässt sich durch direkte Untersuchung nicht entscheiden. 
Ich bin geneigt, anzunehmen, dass es immer dieselbe Zellenlage 
ist, die das Dentin bildet. Man sieht nämlich nie Anzeichen 
dafür, dass Dentinzellen zugrunde gehen; ebensowenig findet 
man Anzeichen für eine Neubildung von Dentinzellen, etwa 
mitotische Teilungen einzelner Dentinzellen. Die mit der Ver- 
‚diekung der Dentinlage Schritt haltende Verlängerung der Zahn- 
faser aber spricht dafür, dass die Dentinzellen in die Länge 
wachsen, so lange die Dentinbildung dauert. Dann bleibt nur 


600 J. Disse: 


übrig, anzunehmen, dass die Umwandlung des peripheren Zellen- 
abschnittes in Prädentin an einer und derselben Dentinzelle 
vielmal hintereinander sich vollzieht, und dass bei jeder dieser 
Phasen eine neue Dentinlage gebildet wird, die sich an das vor- 
handene Dentin anlegt. 

Die Vorgänge bei der Dentinbildung, d.h. die Veränderungs- 
stadien an den Dentinzellen sind am leichtesten da zu sehen, wo 
die Dentinlage am mächtigsten wird, also an der Spitze der 
Zahnpapillen. Hier ist die Dentinbildung sehr rege; demgemäss 
findet man die Umwandlungsstadien an den Dentinzellen meistens- 
vor und kann sie ihrer Reihefolge nach ordnen. 


Dafür liefern die Fig. 15, 16, 17, 18 die Bestätigung. Am 
freien Rande der Dentinlage ist es schwieriger, die Veränderungen 
an den Dentinzellen zu Gesicht zu bekommen; natürlich sind sie 
auch hier vorhanden, wie Fig. 14 erweist. 


Aus den mitgeteilten Beobachtungen folgt, dass das Dentin 
aus den Dentinzellen hervorgeht. Es ist „umgewandeltes 
Protoplasma“. Die Umwandlung ergreift die periphere Hälfte 
der Dentinzelle; hier wird der Zellenleib glasartig, homogen, 
strukturlos. Das in dieser Weise veränderte Protoplasma bleibt 
mit der protoplasmatisch gebliebenen inneren Zone der Dentin- 
zelle noch einige Zeit in Verbindung, verschmilzt aber mit den 
gleichartigen Abschnitten der benachbarten Zellen. Dadurch 
wird eine helle Schicht gebildet, die sich an die Innenfläche des. 
fertigen Dentins anlegt. 


Diese Schicht trennt sich vom Rest der Dentinzellen ab, 
wird fester und erhält eine „provisorische Struktur“, indem 
Körnchen in ihr auftreten. Dann muss die Schicht als „Prädentin“ 
bezeichnet werden. Erst bei der Sonderung des Prädentins wird 
die Zahnfaser erkennbar; sie stellt den axialen Abschnitt der 
hyalinen Zone einer jeden Dentinzelle vor, der sich nicht in 
Dentin umwandelt, sondern protoplasmatisch bleibt. 


Das Dentin ist anfänglich eine reine Grundsubstanz ; inner- 
halb dieser erst treten, ganz unabhängig von den Zellen, Bündel 
leimgebender Fibrillen auf. Es ist verständlich, dass diese- 
Grundsubstanz, ein in bestimmter Weise verändertes Zell- 
protoplasma, weiter lebt, Stoffwechsel besitzt (Schwinden der 
Körner, Einlagerung von Kalksalzen) und sowohl leimgebende 


Entstehung des Knochengewebes. 601 


Fibrillen bildet, als auch die sehr widerstandsfähigen Wandungen 
der Zahnkanälchen produziert. 


Die Gleichartigkeit bei der Bildung der Grundsubstanz des 
Zahnbeins und der Grundsubstanz des Knochengewebes besteht 
darin, dass beiderlei Grundsubstanzen kein Sekret, sondern 
umgewandeltes Zellprotoplasma sind. Es bestehen aber bemerkens- 
werte Unterschiede in der Bildungsweise der genannten Grund- 
substanzen. Das hyalin gewordene Protoplasma der Osteoblasten 
trennt sich völlig von dem protoplasmatisch bleibenden Rest der 
Zelle ab und wird zur Grundsubstanz des Knochens; bei der 
Dentinzelle wandelt sich nur die Mantelzone des hyalinen 
Abschnittes in Dentin um, eine axial gelegene Partie bleibt, 
obgleich sie anfänglich hyalin war, doch protoplasmatisch und 
erhält sich als Zahnfaser. Die Grundsubstanz des Knochens sowohl 
wie die des Dentins bekommt bei ihrer ersten Bildung Ein- 
schlüsse fremdartigen Gewebes. 

In das osteogene Gewebe kommen Knorpelreste, oder aber 
einzelne Bindegewebsfasern hinein; in das Prädentin werden 
periphere Pulpafasern eingeschlossen. Diese Einschlüsse ver- 
schwinden nach kürzerer oder längerer Zeit; sie werden wohl 
dem neu entstandenen Gewebe völlig assimiliert. 

Die Grundsubstanz des Knochens lässt ebenso wie die des 
Dentins nach ihrer Trennung von den Zellen Bündel leim- 
gebender, bestimmt orientierter Fibrillen entstehen; sie sondert 
sich ferner gegen die eingeschlossenen Zellen oder Zellfortsätze 
durch Bildung feiner, sehr widerstandsfäbiger Membranen ab, 
welche die Wandungen der Knochenhöhlen oder der Zahnkanälchen 
darstellen. Diese Membranen sind färberisch leicht darstellbar; 
schon länger war bekannt, dass sie sich in Reagentien erhalten, 
durch welche die Grundsubstanzen selbst rasch zerstört werden. 


Schon Waldeyer hatte angegeben, dass das Protoplasma 
der Dentinzellen sich in eine homogene, durchsichtige Masse 
umwandle und dass diese zu Dentin werde (Untersuchungen über 
die Entwicklung der Zähne. Zeitschrift für rationelle Medizin, 
III. Reihe, Bd. 24, 1865). „Die Dentinbildung besteht in einer 
Umwandlung eines Teils des Protoplasma der Elfenbeinzellen 


602 JeoDasisıe: 


in leimgebende Substanz, mit nachfolgender Verkalkung der 
letzteren.“ Waldeyer bildet in Fig. 2 Tafel VI seiner Ab- 
handlung die helle, zwischen den Dentinzellen gelegene Substanz 
ab, die aus dem Protoplasma der Dentinzellen hervorgeht, ohne 
indessen das Bild zu deuten; in Fig. 3 der Tafel mit 1 bezeichnet, 
ist ein kurzes Stück des homogen gewordenen Protoplasma einer 
Dentinzelle abgebildet und richtig gedeutet als „die Stelle, wo 
man einen kontinuierlichen Übergang von Zellprotoplasma der 
Dentinzelle in die jüngste, noch weiche Dentinlage zieht“ (Figuren- 
erklärung, Seite 213). 

Diese so wichtigen Hinweise auf sichtbare Veränderungen 
an den Dentinzellen sind nicht weiter verfolgt worden; noch 
v. Ebner (Über die Entwicklung der leimgebenden Fibrillen, 
besonders im Zahnbein. Wiener Sitzungsberichte, math.-naturw. Kl., 
Bd. 115, Abt. 3, 1906) bringt wenig positive Angaben über die 
Veränderungen der Dentinzellen bei. Er sagt: „Über die Her- 
kunft des Prädentins kann man sich wohl kaum eine andere 
Vorstellung machen, als dass dasselbe in erster Linie von den 
Odontoblasten und deren Fortsätzen gebildet wird. Es tritt an 
der Basalmembran, zwischen dieser und den oberflächlichen 
Pulpazellen zuerst zutage, und erscheint wie ein Ausguss zwischen 
den äussersten Enden der Zellen... Das Prädentin entsteht 
auf Kosten der Odontoblasten wahrscheinlich dadurch, dass die 
Plasmafäden derselben an der Oberfläche zu einer chemisch dem 
Kollagen nahestehenden Substanz, die zunächst nicht fibrillär ist, 
zerfliessen“ (S. 309). Es ist, wie gezeigt wurde, möglich, die 
Veränderungen an den Ödontoblasten zu sehen, und bis zur 
Ausbildung des Prädentins zu verfolgen. 

In einer früheren Mitteilung (Marburger Sitzungsberichte 
1907, Juli) war ich zu der Folgerung gekommen, dass die 
Odontoblasten eine Interzellularsubstanz produzieren, welche die 
Fähigkeit hat, zu Dentin zu werden. Die Stadien, die der 
Bildung der Interzellularsubstanz vorausgehen, waren mir damals 
noch nicht bekannt, und so fehlte der zwingende Beweis dafür, 
dass diese „Interzellularsubstanz“, d.h. das Prädentin, wirklich 
von den Dentinzellen gebildet werde. 


Beim Knochengewebe, wie beim Zahnbein, bilden die Zellen 
aus ihrem Protoplasma eine amorphe Grundsubstanz; diese 


Entstehung des Knochengewebes. 605 


ist zuerst da, und lässt durch Differenzierung die leimgebenden 
Fibrillen entstehen. Diese Strukturen innerhalb der Grund- 
substanz entstehen erst, nachdem sich die Grundsubstanz von 
den Zellen getrennt hat; sie sind also völlig unabhängig von 
den Zellen, aus welchen die Grundsubstanz gebildet wird. Es 
liegt nahe, zu fragen, ob dies auch für diejenigen Fasern zutrifft, 
die in den andern Unterabteilungen der Gruppe der Binde- 
substanzen vorkommen. Für die Fasern des fibrillären Binde- 
gewebes hatte bekanntlich Flemming angegeben, dass sie im 
unveränderten Protoplasma der Bindegewebszellen zuerst vor- 
handen sind, und dass sie, über den Bereich der Zelle hinaus- 
gehend, in die Interzellularsubstanz gelangen. Von einer dem 
Auftreten der Fasern vorhergehenden Sonderung der Bindegewebs- 
zellen in zwei Abschnitte hat Flemming nichts wahrgenommen. 
Nach seinen Beobachtungen handelte es sich um Bildung von 
leimgebenden Fasern innerhalb unveränderten Zellprotoplasmas. 
(Flemming, Zur Entwicklungsgeschichte der Bindegewebsfibrillen. 
Internationale Beiträge zur wissenschaftl. Medizin, Bd. I, 1891.) 

Spätere Beobachter hoben hervor, dass die Anlagen der 
Fasern nicht innerhalb der Zellen, sondern auf deren Oberfläche, 
in unmittelbarer Nachbarschaft der Zellen, sich befinden; für die 
Nabelschnur z. B. wird von Golowinski (Anat. Hefte, Bd. 33, 
1907) angegeben, dass die Anlagen der Fasern in Form von 
Reihen von Körnchen auftreten, die auf der Oberfläche der Zellen 
liegen und nach ihrer Ausbildung frei von den Zellen werden. 
Diese Substanz, welche auf der Zelle liegend die Fähigkeit hat, 
Fasern zu bilden, ist, nach Laguesse (Sur l’histogenese de la 
fibre collagene etc. Archives d’Anatomie microscopique, tome VI, 
1903) ein Produkt der betreffenden Zelle; sie ist aufzufassen 
‚als eine Oberflächenschicht, entstanden durch Differenzierung des 
Protoplasma. „Cette Substance n'est autre chose que le cyto- 
plasma m&me modifie, chimiquement differeneie (S. 162). Dieses 
„modifizierte Uytoplasma“ ist dieselbe Substanz, die Hansen 
(Über die Genese einiger Bindegewebsgrundsubstanzen. Anat. 
Anzeiger, Bd. 16, 1599) als „Ektoplasma“ bezeichnet hat. Das 
Ektoplasma übernimmt die Bildung leimgebender Fasern. 

Nach Hansen, Laguesse, Golowinski entstehen die 
Bindegewebsfasern in einem chemisch veränderten, auch optisch 
sich besonders verhaltenden Abschnitte des Zellprotoplasma. Es 


604 JeDassie: 


würde die Bildung dieses Abschnittes, des „Ektoplasma“ von 
Hansen, der Bildung einer hyalinen Zone an den Osteoblasten 
und an den Dentinzellen, zu vergleichen sein, wenn es festgestellt 
würde, dass das „Ektoplasma“ zur Grundsubstanz des Binde- 
gewebes wird und dass die gesamte Grundsubstanz aus dem 
Ektoplasma hervorgeht. Diese Frage ist noch nicht geklärt; die 
mit ihr zusammenhängenden Fragen nach dem Verhalten von 
Fasern und Grundsubstanz im fibrillären Bindegewebe bedürfen 
einer erneuten Bearbeitung. Ist, bevor fasrige Strukturen auf- 
treten, auch im Bindegewebe eine amorphe Grundsubstanz da? 
Wie verhält sich diese zu den Zellen, die die erste Anlage des 
Bindegewebes darstellen ? Erst die Beantwortung dieser Fragen 
wird uns in den Stand setzen, die Bildungsweise des Binde- 
gewebes einerseits, des Knochens und des Zahnbeins andererseits 
im einzelnen zu vergleichen. 


Marburg, den 10. September 1908. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI u. XXI. 


Sämtliche Abbildungen sind bei Zeiss, Apochromat 2 mm, homogene 
Immersion, Komp.-Okular 6, gezeichnet. 


Fig. 1. Mensch, Embryo des vierten Monats. Tibia. Längsschnitt. Ein 
Knorpelbalken, mit Osteoblasten belegt. Kn — Knorpel; a, b, ce = 
die protoplasmatischen Abschnitte der Osteoblasten; aı, bı, cı — die 
hyalinen Abschnitte dieser Zellen. 

Fig. 2. Mensch, Embryo des vierten Monats. Tibia. Osteoblasten auf 
einer Lage jungen Knochengewebes, das einen Knorpelrest ein- 
schliesst. Kn = Knorpelrest, Kno — Knochenlage; Kz —= Knochen- 
zelle in einem Hohlraum des jungen Knochens; a, b = proto- 
plasmatische; aı, bı —= hyaline Abschnitte zweier Osteoblasten; 
c = ein Osteoblast dem jungen Knochen aufliegend. 

Fig. 3. Mensch, Embryo des vierten Monats. Tibia. Osteoblasten auf 
einem Knochenbälkchen, das einen Knorpelrest einschliesst. Kn — 
Knorpelrest; a, b, ce = Östeoblasten; a — der hyaline Abschnitt 
des Osteoblasten, a fliesst auf der Oberfläche des Knochenbalkens 
mit dem hyalinen Abschnitt des Osteoblasten b zusammen. 

Fig. 4. Mensch, Embryo des vierten Monats. Tibia. Entstehung von osteo- 
gener Substanz auf einem Knorpelbälkchen. Kn — Knorpel; Ks — 
eine Lage jungen Knochens; O0, O1, O2 — Osteoblasten; Gsı, Gs2 = 
osteogene Substanz, aus den hyalinen Abschnitten der Osteeblasten 
gebildet. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


10. 


1a 


12. 


13. 


. 14— 


Entstehung des Knochengewebes. 605 


Mensch, Embryo des vierten Monats. Auftreten von Strukturen in 
den hyalinen Abschnitten der Östeoblasten. Kn = Knorpel; KS = 
ihm aufliegende Knochenschicht ; a,b. ce — Osteoblasten;; bı — hyaliner 
Abschnitt des Osteoblasten b, mit Andeutungen einer Faserung. 


Mensch, Embryo des vierten Monats. Deutlichere fasrige Struktur 
in den hyalinen Abschnitten einiger Osteoblasten. Oı, O2, O3 — 
Östeoblasten; in den hyalinen Abschnitten sind Fasern deutlich, 
die Netze bilden. Kn — Knorpel. 

Mensch, Embryo des zweiten Monats. Knochenbildung in Mem- 
branen. Kb = ein Knochenbälkchen; O1, O:, O3 — Osteoblasten, 
dem Bälkchen aufliegend; hı, he, ha — hyaline Abschnitte dieser 
Osteoblasten. Der Abschnitt ha füllt ein Grübchen der Knochen- 
oberfläche aus. 

Mensch, Embryo des zweiten Monats. Knochenbildung in Membranen. 
Das freie Ende des in Fig. 7 dargestellten Knochenbälkchens wächst 
durch Anlagerung von osteogener Substanz (Grundsubstanz), die 
von einer Gruppe von Osteoblasten (Obl) produziert wird. h = 
osteogene Substanz, aus den hyalinen Abschnitten der Osteoblasten 
(Obl) gebildet; Kb — Knochenbälkchen, durch die Faserzüge ff 
mit den hyalinen Abschnitten der Osteoblasten (Obl) in Verbindung 
stehend; L — Lücke im Knochen, in der zwei Osteoblasten liegen. 


Schwein, Embryo. Anlage des Oberkiefers. Ein Knochenbälkchen (K) 
mit Osteoblasten belegt. OÖ, O1 — Osteoblasten; Gs —= osteogenes 
Gewebe (Grundsubstanz), aus den hyalinen Abschnitten der Osteo- 
blasten gebildet. Diese Schicht ist noch mit den Osteoblasten (Oı) 
im Zusammenhang. 

Mensch, Embryo des zweiten Monats. Belegknochen der Nasen- 
kapsel. In den Lücken des Knochengewebes liegen Osteoblasten 
(0, 0:1), die einen hyalinen Abschnitt ausgebildet haben (h u. hı). 
Der hyaline Abschnitt (hı) überzieht, wie eine Kappe, den zuge- 
hörigen Östeoblasten (0). 

Mensch, Embryo des vierten Monats. Osteogene Substanz (Grund- 
substanz), auf einem Knorpelbalken aufliegend, von der Fläche 
gesehen. Kn —= Knorpelbalken; OÖ — Osteoblast; Gs — osteogene 
Substanz, körnige Reste zerfallenen Knorpels (Knrı) einschliessend. 


Schwein, Embryo. Partie aus der Umgebung eines in bindegewebiger 
Grundlage entstandenen Knochenbälkchens. Kb = Knochenbälkchen, 
in feine Fäden (b, c) auslaufend; a — Reihen von Körnern, die zu 
Fäden zusammentreten; d, e —= Osteoblasten, in deren Umgebung 
Fadennetze sich ausbilden. 

Mensch, Embıyo von 25 mm. Anlage des Oberkiefers. In den 
Lücken des Knochengewebes (K) liegen Osteoblasten; bei den meisten 
Zellen ist, ausser dem Kern, nur die hyaline Zone (hZ) sichtbar, 
nur eine Zelle ist so günstig getroffen, dass man auch die proto- 
plasmatische Zone (pZ) sehen kann. 

20. Dentinbildung. 


606 


ie. 14. 


ie. 14a. 


ig. 16. 


19: 


18, 


ch 


J. Disse: Entstehung des Knochengewebes. 


Schwein, Embryo. Anlage eines Schneidezahnes. Längsschnitt. 
Einige Dentinzellen in der Nähe des freien Randes des Zahn- 
scherbchens sind in einen protoplasmatischen Abschnitt (pZ) und 
einen hyalinen Abschnitt (hZ) gesondert. SO = inneres Epithel 
des Schmelzorgans. 

Schwein, Embryo. Ein Stück jungen Dentins (D), an seiner Innen- 
fläche Dentinzellen. Jede Dentinzelle besitzt einen protoplasmatischen 
Abschnitt (pZ) und einen glasartig durchsichtigen, hyalinen Ab- 
schnitt (hZ). 

Mensch, Embryo von 140 mm. Sonderung der Dentinzellen in zwei 
Abschnitte. pZ —= protoplasmatischer Abschnitt mit endständigem 
Kern; hZ = hyaliner Abschnitt, dem Dentin (D) anliegend. 
Mensch, Embryo von 132 mm. Einige Dentinzellen an der Spitze 
der Zahnpapille.e. pZ = protoplasmatische Zone; hZ —= hyaline 
Zone; D — Dentinlage, deren Bildung gerade beginnt. 

Mensch, Embryo von 140 mm. Schneidezahn, Längsschnitt. Dentin- 
zellen an der Innenfläche der Dentinlage (D. hZ = hyaline 
Aussenzone der Dentinzellen. 

Mensch, Embryo von 140 mm. Schneidezahn. Die hyaline Aussen- 
zone hat sich von dem Protoplasma der Dentinzellen (DZ) getrennt 
und ist zu einer einheitlichen Schicht, dem Prädentin (PD), 
geworden. Die Zahnfasern (Zf) sind deutlich. 

Mensch, Embryo aus dem fünften Monat. Längsschnitt der Anlage 
eines Schneidezahns. Das Prädentin (PD) wird fest, erscheint 
körnig; enthält Hohlräume {R), in denen die Dentinzellen stecken. 
HZ —= die noch homogenen Abschnitte des Prädentins; D = fertiges 
Dentin; DZ = Dentinzellen. 

Mensch, Embryo aus dem fünften Monat. Junges und älteres 
Dentin. D = älteres; DI = jüngeres Dentin; Zf — Zahnfasern; 
DZ = Dentinzellen; Cg — Kapillargefäss; N —= Nische für das 
periphere Ende einer Dentinzelle. Längsschnitt der Anlage eines 
Schneidezahns. 


607 


Aus dem anatomisch-histologischen Laboratorium der Universität St. Petersburg. 
Vorstand: Prof. Dr. A. S. Dogiel. 


Das Nervensystem von Ammocoetes. 
I. Das Rückenmark. 


Von 


D. Tretiakoff. 


Hierzu Tafel XXIII-XXV. 


Das in seinem Bau primitive, einer Präparation leicht zu-- 
gängliche Rückenmark vom Neunauge resp. von Ammocoetes ist 
bereits seit langem Gegenstand einer allseitigen histologischen 
Untersuchung geworden. Es hat sich als ein günstiges Objekt 
für die spezifischen Färbungsverfahren der Elemente des Nerven- 
gewebes erwiesen. Mit Hilfe der Methoden von Nissl, Ramön 
y Cajal, Bielschowsky, Ehrlich sind eine Menge Einzel- 
heiten des Baues und der Anordnung der Nervenzellen und 
Nervenfasern beschrieben worden. Am Beginn der Arbeit hatte 
ich natürlich wenig Hoffnung, irgend etwas wesentlich Neues zu 
erfahren. Das Ziel meiner Arbeit bestand hauptsächlich darin, 
die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Elemente des Rückenmarks 
von Ammocoetes zu konzentrieren, dieselben vermittelst einer 
möglichst grossen Anzahl von Methoden zu studieren und auf 
Grund der erhaltenen Resultate und einer kritischen Durch- 
arbeitung der Literaturbefunde synthetisch die Typen der Nerven- 
elemente des Rückenmarks klarzustellen. Die Stellung der 
Cyelostomen in dem System der Wirbeltiere erfordert eine der- 
artige Arbeit. Die COyclostomen stellen ein lebendiges Schema 
der Wirbeltiervorfahren dar. Für das phylogenetische Verständnis. 
des Baues des Nervensystems der Wirbeltiere ist es erforderlich, 
mit den Cyelostomen (und Amphioxus) zu beginnen. Ein geringer 
Fehler am Ausgangspunkt hat beim weiteren Studium sämtlicher 
divergierender Reihen der Wirbeltiere grosse Missverständnisse 
zur Folge; es ist daher verständlich, dass das Nervensystem der 
Cycelostomen einer äusserst detaillierten Untersuchung bedarf. 


608 D, Tretjakoßt: 


Letztere muss einen sicheren Untergrund für die Gesamtlehre 
über das Nervensystem der Wirbeltiere darstellen und den Leit- 
faden abgeben für das Auffinden der direkten Vorfahren unter 
den wirbellosen Tieren. 

Der vergleichend-anatomische Wert der Cyelostomen recht- 
fertigt auch das zweite Ziel meiner Untersuchung, nämlich ein 
topographisches Bild der Nervenelemente des Rückenmarks, sowie 
ein Bild der Beziehungen seines Baues zum allgemeinen Bau des 
Körpers zu geben. Unter den segmentierten wirbellosen Tieren 
ist eine Wechselbeziehung zwischen dem Körperbau und dem 
Aufbau des Nervensystems vorhanden: beide segmentiert, meta- 
merisiert. Spuren der Metamerie des Nervensystems sind im 
Gehirn der Wirbeltiere vorhanden. Im Rückenmark, welches im 
Zusammenhang mit Körperabschnitten steht, wo die Metamerie 
der Muskeln, des Skeletts und der Abschnitte der sekundären 
Körperhöhle vollständiger erhalten ist als im Kopfe, fehlt jedoch 
die Metamerie der Nervenelemente. Ob die letztere hier voll- 
ständig fehlt oder ob sie sich noch in irgend etwas dokumentiert, 
ob die Neuromerie des Gehirns eine primäre oder sekundäre Er- 
scheinung darstellt, sind bisher noch offene Fragen. 

Ammocoetes hat weder einen Schulter- noch einen Becken- 
gürtel noch paarige Extremitäten. Bei den Bewegungen beteiligt 
sich gleichmässig die gesamte Rumpfmuskulatur. Die Struktur 
des Rückenmarks wird nicht wie bei höheren Wirbeltieren von 
der Entwicklung der Extremitäten beeinflusst. Im Vergleich zu 
den übrigen Wirbeltieren stellt Ammocoetes, resp. das Neunauge 
ein Tier mit amputierten Extremitäten dar, welches die Operation 
günstig überstanden hat. Es erübrigt uns nur, vermittelst der 
Methode des Ausschlusses die Bahnen der erfolgten Degeneration 
zu verfolgen. Oder aber, was noch wichtiger .ist, wir Können 
feststellen, welchen Finfluss auf die Entwicklung des Nerven- 
systems der Wirbeltiere die Entwicklung der paarigen Extremitäten 
ausgeübt hat und wie weit dieser Einfluss überhaupt auf die Ent- 
wicklung der Wirbeltiere eingewirkt hat. Letztere Frage stellte 
nicht die Aufgabe meiner Untersuchung dar, die Möglichkeit 
einer Lösung derselben auf Grund anatomischer Befunde war 
jedoch eine der Hauptveranlassungen für eine genaue Ausführung 
der ersten zwei Aufgaben. Dieselbe gewährte gleichsam der 
Untersuchung einen physiologischen Sinn. 


Nervensystem von Ammocoetes. 609 


In den zahlreichen Arbeiten über den Bau des Nerven- 
systems der Oyclostomen finden sich wenige strikte und begründete 
Antworten auf die erwähnten Fragen. Als Beispiel führe ich die 
Arbeit von W. Kolmer aus dem Jahre 1905 an (27). Dieselbe 
ist in jeder Hinsicht eine ausgezeichnete Arbeit. Autor hatte 
ein Material von 500 Ammocoetesexemplaren zur Verfügung. Er 
hat eine neue Präparationsmethode ausgearbeitet, welche es ihm 
ermöglichte, in äusserst kurzer Zeit aus dem narkotisierten Tier 
das unverletzte Rückenmark zu erhalten. Für seine Unter- 
suchungen wandte Autor die besten Fixierungsmittel, spezielle 
Methoden der Neurofibrillenfärbung, die Verfahren der Tropho- 
spongienfärbung, der NissIschen Körperchen und hauptsächlich 
die Methylenblaufärbung mit nachfolgender Fixierung der Färbung 
in molybdänsaurem Ammonium (4°/o) an. Hierbei hat sich Autor 
nicht mit dem gewöhnlichen Verfahren der Färbung mit einer 
Lösung des Methylenblaus in physiologischer Kochsalzlösung be- 
gnügt, sondern erzielte verschiedene Variationen der Färbung, 
indem er andere Salze, Zucker, Alkaloide hinzufügte, sowie die 
Konzentration der Methylenblaulösung und der Kochsalzlösungen 
varlierte. 

Als einen Beweis der hochgradigen Gewissenhaftigkeit des 
Autors will ich die Anmerkung auf pag. 178 seiner Arbeit an- 
führen: „Auch die Frage des Abgangs der Achsenzylinder von 
Zellen erfordert die Anwendung der verschiedenen technischen 
Methoden. — Es ist ja der Zusammenhang von Faser und Zelle 
oft in dünnen gutgefärbten Schnitten noch mit der stärksten 
Vergrösserung zweifelhaft. An Methylenblaupräparaten glaubte 
ich oft noch mit !/ı2 Immersion einen Achsenzylinder aus einer 
Zelle entspringen zu sehen, während erst mit dem Apochromat 
1,40 zu sehen war, dass er bloss vorüberzog.“ 

Soviel ich aus eigener Erfahrung beurteilen kann, ist in 
den Präparaten des Rückenmarks von Ammocoetes bei einer guten 
Färbung der Nervenelemente jeden Augenblick die. Versuchung 
geboten, einen Zusammenhang zwischen einer Nervenfaser und 
einer Zelle zu sehen. Nicht selten helfen sogar Immersions- 
systeme wenig zur Lösung der Frage, ob die Faser einer Zelle 
bloss anliegt oder aus letzterer entspringt; nur eine logische 
Analyse und die Regel, sich nicht auf ein Präparat zu verlassen, 
können den Forscher vor fatalen Irrtümern schützen. 


610 D-Tretjakortt: 


Die Resultate der Arbeit von Kolmer ergänzen in vielem 
die Befunde der anderen Autoren und sind in kurzen Worten 
folgende: Das Rückenmark von Ammocoetes weist keine Trennung 
in graue und weisse Substanz auf; dasselbe enthält keine echte 
markhaltige Fasern; nach Einwirkung von Osmiumsäure erscheint 
bei manchen Fasern auf dem Querschnitt ein dunkler Kontur, 
welcher möglicherweise einer Markschicht entspricht. Diese 
Schicht umgibt sogar die dicken Müllerschen Fasern. 

Die Nervenzellen sind aller Wahrscheinlichkeit nach sämt- 
lich multipolar. Sie erscheinen unipolar oder bipolar nur im 
Falle einer unvollständigen Färbung der Fortsätze. — Es ist 
jedoch möglich, dass die unipolaren Zellen Übergangsstadien der 
Ependymzellen zu den Ganglien- (Nerven?) Zellen darstellen. 
Echte bipolare Zellen werden augenscheinlich selten zwischen 
den grossen „Hinterzellen“ und den kleinen Zellen des mittleren 
Gebietes des Markes angetroffen. Es werden folgende Zelltypen 
unterschieden: grosse „Hinterzellen“, grosse und kleine Zellen 
der Seitenstränge, kleine Zellen der Mitte, Randzellen, Kolossal- 
zellen, welche mit ihren Fortsätzen die ganze Breite des Rücken- 
marks einnehmen. 

Sämtliche Nervenzellen weisen eine äusserst geringe Anzahl 
Nisslscher Körperchen auf. In sämtlichen Zellen sind wahr- 
scheinlich zwei Arten von Neurofibrillen, dicke und dünne, vor- 
handen. Ein besonders deutliches Bild der Neurofibrillenaus- 
breitung weisen die Zellen der Seitenstränge auf. Um den Kern 
der Zellen bilden die Neurofibrillen „ein echtes Gitterwerk“. 
In anderen Zellen offenbart sich letzteres nicht, doch ist dessen 
Anwesenheit wahrscheinlich. Ein perizellulares Gitterwerk ist 
auf der Oberfläche der Zellen nicht zu erkennen; sein Vorhanden- 
sein wird durch nichts erwiesen. 

In den Nervenzellen ist ein System miteinander kommuni- 
zierender Kanäle vorhanden, in welchen besondere sich intensiv 
färbende Körperchen gelegen sind. Möglicherweise kommuniziert 
das Kanalsystem mit äusseren Hohlräumen. 

Die Fortsätze der Nervenzellen anastomosieren wahrscheinlich 
miteinander auf der Oberfläche des Rückenmarks, wobei sie ein 
unter der Membrana limitans externa gelegenes Netz bilden. 

Die Nervenfasern bestehen aus Fibrillen und perifibrillärer 
Substanz, und sind von einem Homologon des Marks und einem 


Nervensystem von Ammocoetes. 611 


Oberflächenhäutehen bedeckt. Die dieken Fasern haben noch 
eine besondere Gliascheide. 


Unter den Fasern werden unterschieden: 


Längsfasern, zu denen auch die Müllerschen Fasern 
gehören. 

(Juerverlaufende Fasern, schräge, strikt querverlaufende 
und Fasern mit mäanderförmigem Verlauf. 

Bogenfasern auf der ventralen Seite des Rückenmarks. 

Fasern der vorderen Wurzeln. 

Fasern der hinteren Wurzeln. 

Die Herkunft der Bogenfasern und der Fasern der Vorder- 
wurzeln ist unbekannt. In seltenen Fällen lässt sich ein Zu- 
sammenhang der Bogenfasern mit den Randzellen feststellen. 
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Fasern der vorderen Wurzeln 
im Zusammenhang mit den Zellen der Seitenstränge stehen. Ein 
augenscheinlicher Beweis lässt sich hierüber nicht erbringen. 

Einige Hinterzellen entsenden Fortsätze in die hinteren 
Wurzeln. 

Die Neuroglia hat nach den Beobachtungen des Autors den 
Bau, welchen an ihr andere Forscher beschrieben haben. 

Der Achsenfaden im Zentralkanal (Reissnerscher Faden) 
stellt wahrscheinlich das Sekretionsprodukt der Ependymzellen dar. 

Abgesehen von seiner allmählichen Verschmälerung in der 
Richtung zum hinteren Körperende und dem Schwunde der dieken 
Fasern ist das Rückenmark von Ammocoetes in seinem Bau sehr 
einförmig. Ausser den Wurzeln ist eine Segmentierung undeutlich. 
„Das bandartige Rückenmark darf als ein dem Kraniotenstamm- 
typus nahestehendes, aber doch ganz eigenartig modifiziertes an- 
gesehen werden. Es kann kaum angenommen werden, dass es 
eine Zwischenstellung zwischen bekannten, tieferstehenden Formen 
des Zentralnervensystems und dem Rückenmark der jetzt lebenden 
Kranioten darstellt.“ 

Ungeachtet einer sehr grossen gewissenhaften Arbeit, aus- 
gezeichneter Präparate, beglaubigt durch Mikrophotographien, 
sind die Resultate der Arbeit von Kolmer unbestimmt. Autor 
sieht keine Möglichkeit, im Rückenmark von Ammocoetes eine 
graue und weisse Substanz zu unterscheiden, findet jedoch gleich- 


zeitig an den Nervenfasern ein Homologon des Marks. Auf 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 40 


612 D. Eretjakoff: 


Grund welcher Kriterien Autor die weisse und graue Substanz 
voneinander unterscheidet, wird in der Arbeit nicht dargetan. 

Nach der Annahme von Kolmer sind sämtliche Nerven- 
zellen multipolar; in den folgenden Zeilen erwähnt er zweifellos 
uni- und bipolare Zellen. 

Die Kolossalzellen sind zum Unterschiede von den grossen 
und kleinen Zellen der Seitenstränge durch ihre Fortsätze charakte- 
risiert, welche sich durch die ganze Breite des Rückenmarks 
erstrecken. Die grossen Zellen der Seitenstränge haben jedoch 
auch Fortsätze, welche als Kommissurenfasern auf die andere 
Seite des Markes herüberziehen. Derartige Zellen nehmen mit 
ihren Fortsätzen natürlich die Gesamtbreite des Markes ein. 
Wo ist denn hier wiederum das Kriterium für die Unterscheidung 
derselben von den Kolossalzellen? — Alles, was in der Arbeit 
über den Zusammenhang der Nervenfasern mit Zellen berichtet 
wird, geht nicht aus dem Rahmen der Wahrscheinlichkeit und 
der Seltenheit heraus. Der Zusammenhang der Zellen der Seiten- 
stränge mit den motorischen Fasern ist nicht erwiesen; absolut un- 
bekannt ist das Schicksal der sensiblen Fasern der hinteren Wurzeln. 

Die Segmentierung, sagt Autor, ist nicht deutlich, berichtet 
jedoch nicht, worin er eigentlich eine Segmentierung des Rücken- 
marks sehen möchte, indem er dieselbe bei Ammocoetes ver- 
wirft. In der Verteilung der Wurzelfasern ist er bereit, eine 
Segmentierung anzuerkennen, über ihre Bedeutung äussert er 
jedoch kein Wort. 

Was kann ein Anatom mit dergleichen labilen Behauptungen 
‚anfangen? Man muss sich mit dem Autor einverstanden er- 
klären: „Die bisher bekannten Details über den histologischen 
Aufbau reichen nicht aus, um derzeit eine bestimmte Anschauung 
über die Leitungsverhältnisse zu bilden“. Diese Details sind un- 
geachtet ihrer sozusagen Modernität von der technischen Seite für 
einen bestimmten vergleichend-anatomischen Schluss ungenügend. 
Die Arbeit von Kolmer behält infolgedessen ihren Wert als ein 
Hinweis darauf, dass die modernen Forschungsmethoden grosse 
Erfolge für die Erforschung des Rückenmarks von Ammocoetes 
ergeben können. Für die Befunde von fundamentalem anatomischen 
und physiologischen Wert sind neue Opfer, ausser den von Kolmer 
in der Donau und den böhmischen Bächen gesammelten 500 
Ammocoetes, erforderlich. 


Nervensystem von Ammocoetes. 613 


Eigene Untersuchungen. 


Im Verlaufe mehrerer Jahre, von 1902 an hatte ich ein 
weit grösseres Material, alses Kolmer für seine Untersuchungen 
angibt, unter den Händen. Hauptsächlich bestand das Material 
aus Ammocoetes, in den Herbstmonaten auch aus erwachsenen 
Neunaugen aus der Newa. Nachdem ich mich von vornherein 
‚davon überzeugt hatte, dass im Aufbau des Rückenmarks von 
Ammocoetes und dem Neunauge kein prinzipieller Unterschied 
vorhanden ist, konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf 
‚ersteren. Von den verschiedensten Methoden bediente ich mich 
hauptsächlich der intravitalen Methylenblaufärbung. Ich ver- 
mied es, die Tiere zu narkotisieren, sondern tötete sie einfach 
durch Abschneiden des Kopfes mit einer Schere. Den Rumpf 
zerschnitt ich in Stücke von 1—2 cm und holte aus denselben 
auf verschiedene Weise das Rückenmark heraus. Die Färbung 
der Fasern und der Zellen der Seitenstränge vermittelst einer 
!/°/oigen Methylenblaulösung in 0,75—0,5°/oiger Kochsalzlösung 
erfolgt in einer feuchten Kammer im Verlaufe von 1—2 Stunden. 
Sobald die Färbung genügend vollkommen ist, nehme ich die 
Objektgläser mit den hRückenmarksstücken aus der feuchten 
Kammer und lasse sie 10—30 Minuten frei an der Luft liegen; 
die Präparate trockneten hierbei halb aus, wobei die Färbung 
der Nervenelemente eine scharfe dunkelblaue Nüance annahm. 
Darauf folgt die gewöhnliche weitere Behandlung mit molybdän- 
saurem Ammon usw. 


Ungeachtet einer maximalen Vollkommenheit der Färbung 
sind totale Präparate zur Klarlegung der Typen der Nerven- 
elemente wenig geeignet. Besonders schwer ist es, auf ihnen 
den Zusammenhang der Zellen und Fasern festzustellen, wobei 
die Hauptschwierigkeit die grosse Anzahl der gefärbten Elemente 
darstellt. Dieses brachte mich auf den Gedanken, der Frage 
nach den Nervenzellentypen vermittelst Durchschnitten durch das 
Rückenmark näher zu treten. 


Aus Rumpfstücken, welche in verschiedenen Lagen zwischen 
den Hälften eines Hollundermarkstäbchens eingelegt waren, fertigte 
ich Schnitte, vorwiegend frontale und sagittale an. Erstere eignen 
sich besonders zum Studium des Verlaufs der Dendriten, letztere 
geben nicht selten die Möglichkeit, den Zusammenhang der 

40* 


614 Derek: 


Nervenzellen mit den Nervenfasern zu verfolgen. Die Schnitte 
färbte ich mit '/a- oder !/s°/oigen Methylenblaulösungen. — 
Bei diesem Färbungsverfahren der Schnitte bemerkte ich, dass 
sich häufig nicht die ganze Masse der Zellen färbt, sondern. 
irgendwelche einzelne Zellen, jedoch mit ihren särntlichen Fort- 
sätzen; ich erhielt dadurch Bilder, auf denen eine Orientierung 
bei weitem leichter war, als auf Totalpräparaten des Rücken- 
marks. 

Hinsichtlich einiger Zellen -- der Hinterzellen — ergibt 
jedoch das Methylenblau geringe Resultate, infolgedessen unver- 
meidlich die Golgimethode in Anwendung kommen muss. Ich 
benutzte verschiedene Modifikationen des Golgigemisches inklusive 
dem Gemisch von Kaliumbichromat mit Formalin nach Kopsch. 
Die besten Resultate erzielte ich mit einem Gemisch, welches 
aus 54 Teilen Kaliumbichromat (3°/o oder 3'/2°/oiger Lösung) 
und 6 Teilen 1°/oiger Osmiumlösung bestand. 

Die Hinterzellen färben sich ausserdem noch mit ihren 
Fortsätzen sehr gut nach der Methode von Ramon y Cajal 
(Fixierung in Alkohol mit Ammoniak, Färbung mit 3°/o bis 4°/o 
Silbernitrat, Entwicklung durch Pyrogallussäure mit Formalin). 
Das Verfahren von Bielschowsky individualisiert, wie überall, 
zu sehr die Neurofibrillen und gibt eine zu geringe Vorstellung 
von der Zelle selber und ihren Fortsätzen. 

Auf@Grund zahlreicher vermittelst der verschiedenen Methoden 
erhaltenen Befunde ist es mir gelungen, unzweifelhaft einen Zu- 
sammenhang zwischen den Zellen und bestimmten Fasersystemen 
des Rückenmarks von Ammocoetes aufzufinden. Infolgedessen 
war es möglich, zwischen den Zellen des Marks besondere Typen 
nicht nur der äusseren Form nach, sondern auch ihrer funktionellen 
Bedeutung nach festzustellen. Gleichzeitig erwies es sich jedoch, 
dass diese Typen auch morphologisch genügend charakteristische 
Merkmale aufweisen. Diese Merkmale sind bereits von anderen 
Autoren beschrieben worden. Letztere hatten jedoch entweder 
nur Querschnitte des Rückenmarks, oder nur vermittelst eines 
Verfahrens gefärbte Totalpräparate vor sich. Ihre Beschreibungen 
geben nur eine einseitige Vorstellung von den Zellen. Um eine 
reale Vorstellung von den Zellen zu erhalten, ist es erforderlich, 
dieselben in den drei Orientierungsebenen — der frontalen, hori- 
zontalen und sagittalen — zu sehen. Derartige Bilder erhielt ich. 


Nervensystem von Ammocoetes. 615 


vermittelst des Schnittverfahrens; auf Grund dieser bin ich in 
der Lage, eine vollständigere Beschreibung der äusseren Form 
der von mir aufgestellten Typen zu geben. 

Nach den Angaben fast sämtlicher Forscher stellen die 
Nervenfasern des ventralen Teils des Rückenmarks der Cyelostomen 
motorische Fasern dar. Ein Zusammenhang derselben mit irgend- 
welchen Rückenmarkszellen ist von niemand mit Evidenz erwiesen 
worden. Auch mir war es zunächst unverständlich, warum bei 
einer idealen Färbung der Zellfortsätze mit Methylenblau weder 
auf horizontalen noch auf frontalen Durchschnitten es zu ersehen 
war, von welchen Zellen die motorischen Fasern entstehen’? 
Nur Golgipräparate ergeben mir eine Erklärung der erwähnten 
Tatsache. Bei einer glücklichen Imprägnation waren nur die 
motorischen Fasern und Zellen, von denen die ersteren ent- 
springen, gefärbt. Um die Lage der motorischen Zellen anzu- 
geben, muss ich zunächst mich hinsichtlich der Nomenklatur der 
Rückenmarksabschnitte der Uyclostomen verständigen. 

Die Bezeichnungen „graue Substanz“ und „weisse Substanz“ 
des Rückenmarks beruhen auf einer verschiedenen Färbung des- 
selben; ein derartig scharfer Farbenunterschied wird natürlich 
im Rückenmark von Ammocoetes nicht beobachtet. Nichtsdesto- 
weniger sind diese Bezeichnungen mit der Zeit Symbole vieler 
anderer Kennzeichen geworden; ist es nun erforderlich, in Be- 
rücksichtigung allein der Farbe des Rückenmarks die Anwendung 
dieser Bezeichnungen aufzugeben, so wäre es überhaupt mehr 
angebracht, dieselben überhaupt aus der anatomischen Nomen- 
klatur zu streichen und durch andere zu ersetzen, welche beide 
Bestandteile des Rückenmarks besser charakterisieren. Solange 
jedoch dieses noch nicht erfolgt ist, kann für die vergleichend 
anatomische Einheit auch in dem Rückenmark der Cyelostomen, 
natürlich jedoch nicht der Farbe nach, eine graue und weisse 
Substanz unterschieden werden. Dafür gibt es genügend anato- 
mische Anhaltspunkte. Die Fortsätze der Nervenzellen verlaufen 
hier freilich durch die weisse Substanz bis an die Oberfläche des 
Rückenmarks, dasselbe wird jedoch auch bei anderen höher organi- 
sierten Wirbeltieren beobachtet, obgleich deren weisse Substanz 
sich ihrer Färbung nach scharf von der grauen unterscheidet. 
Ausserdem findet Kolmer (27) selber in den Fasern des Rücken- 
marks von Ammocoetes ein Homologon der Markscheide. 


616 D.Taetjakoft: 


Im Rückenmark von Ammocoetes unterscheide ich somit 
eine graue und weisse Substanz, dorsale, ventrale und dorso-laterale 
Stränge der weissen Substanz, eine Mitte und Seitenstränge der 
grauen Substanz. Das Rückenmark hat zwei Oberflächen, eine 
dorsale und eine ventrale, und zwei Seitenkanten, eine rechte 
und eine linke. Ebensolche Oberflächen und Kanten begrenzen 
die graue Substanz. 


Die motorischen Zellen des Rückenmarks von Ammocoetes- 
stellen multipolare Zellen mit einem Neuriten und mehreren 
Dendriten dar. Der Zellleib ist annähernd pyramidenförmig, die 
Dendriten entspringen von ihm in der Frontalebene (Taf. XXIII, 
Fig. 1, 9, Taf. XXIV, Fig. 11), wobei sämtliche Verzweigungen 
derselben bestrebt sind, sich in einer Frontalebene auszubreiten. 
Infolgedessen stellen diese Verzweigungen bei einer. Betrachtung 
in einem Totalpräparat von oben oder von unten eine kompakte, 
im Rückenmark quergelegene Masse dar (Taf. XXIII, Fig. 9, 
Taf. XXIV, Fig. 11). Ein vollständiges Bild derselben erhält 
man auf Frontalschnitten (Taf. XXIII, Fig. 1). In dieser Hinsicht 
gleichen die motorischen Zellen den Purkinjeschen Zellen des 
Kleinhirns der höheren Wirbeltiere. 


Die motorische Nervenfaser entspringt von einer Ecke der 
Pyramidenbasis in Gestalt eines kegelförmigen, kurzen (Fig. 9) 
Fortsatzes, welcher sich rasch zu einer äusserst feinen Nerven- 
faser verschmälert, diese zieht in der Richtung des Fortsatzes, 
d. h. streng parallel der Längsachse des Rückenmarks weiter 
(Taf. XXIV, Fig. 15). Irgendwo tritt die Faser aus der grauen 
Substanz heraus und setzt sich in der weissen Substanz, in den 
vorderen Strängen, fort. In einer wechselnden Entfernung von 
der Zelle nimmt die Nervenfaser allmählich an Dicke zu, biegt 
alsdann um und tritt in den Bestand der Fasern der ventralen 
Wurzeln ein. 


Die typischen motorischen Zellen sind in den Seitensträngen 
gelegen; dieselben sind im Rückenmark sehr gleichmässig ange- 
ordnet; niemals kommt es jedoch vor, dass motorische Nerven- 
fasern von Zellen, welche einer ventralen Wurzel gegenüberliegen, 
unmittelbar von diesen Zellen in die betreffende Wurzel verlaufen. 
Die motorische Nervenfaser zieht von der Zelle stets in der Längs- 
richtung fort, wobei sie in dieser Richtung entweder kranial- 


Nervensystem von Ammocoetes. 617 


oder kaudalwärts verläuft und erst in einiger, wechselnder Ent- 
fernung von der Zelle in die ventrale Wurzel abbiegt. 

Der Neurit und die Dendriten entspringen in zwei zueinander 
senkrechten Ebenen. Aus dem Mitgeteilten ist somit klar, dass 
es unmöglich ist, auf frontalen Schnitten durch das Rückenmark 
den Ursprung des Neuriten aus der Zelle wahrzunehmen. Nach- 
dem ich auf Golgipräparaten die Beziehungen des Neuriten zu 
den motorischen Zellen festgestellt hatte, habe ich dasselbe Ver- 
halten auch an Methylenblaupräparaten erweisen können. Die 
Ursprungskegel der Nervenfaser finden sich auf letzteren sehr 
häufig; bisweilen gelingt es auch die dünnen Teile der motorischen 
Nervenfaser zu verfolgen. Dieser Abschnitt der letzteren ist jedoch 
dermassen fein und gewöhnlich dermassen schwach mit Methylen- 
blau gefärbt, dass man sich in der Mehrzahl der Fälle für die 
Bestimmung des Zelltypus mit dem Vorhandensein des erwähnten 
kegelförmigen Fortsatzes begnügen muss; derselbe unterscheidet 
sich in dem Maße von den Dendriten, dass eine Verwechslung 
jenes mit diesen unmöglich ist; sein Aussehen ist sowohl auf 
Golgipräparaten als auch auf Methylenblaupräparaten das 
nämliche. Seine Anordnung in einer zur Anordnungsebene der 
Dendriten senkrechten Ebene gewährt ihm schliesslich die 
Bedeutung eines sicheren diagnostischen Merkmals. 

Der dünıe Abschnitt der Nervenfaser stellt keine vollkommen 
gerade Linie dar: sie windet sich ziekzackförmig, wobei ihre 
Windungen äusserst regelmässig angeordnet sind; gerade diese ge- 
währen dem betreffenden Abschnitt der Faser ein charakteristisches 
Aussehen und geben die Möglichkeit, den Nervenfortsatz von dünnen 
und langen Dendriten der Zellen anderer Typen zu unterscheiden. 

Während des Verlaufs der motorischen Faser in dem Rücken- 
mark gehen von derselben in verschiedenen Entfernungen von 
der Zelle Kollateralen ab; letztere endigen in ebensolchen Ver- 
zweigungen, wie sie die Dendriten aufweisen. Tritt der Nerven- 
fortsatz in einer geringen Entfernung von der Zelle in die Wurzel 
ein, so bildet er gewöhnlich keine Kollateralen (Taf. XXIV, 
Fig. 11). Ihrer Grösse nach gehören die typischen motorischen 
Zellen den grossen Zellen und solchen mittlerer Grösse der 
Seitenstränge an. 

Die Dendriten entspringen von der Zelle an verschiedenen 
Stellen deren Oberfläche, jedoch fast stets in einer Frontalebene. 


615 DıPretjakoff: 


Die Mehrzahl der Dendriten entsteht am lateralen Ende der Zelle, 
welches sich häufig in einen langen Hauptfortsatz, wie an den 
Pyramidenzellen in der Rinde des Wirbeltiergehirns, auszieht. 

Der in der grauen Substanz des Rückenmarks gelegene 
Teil des Dendriten unterscheidet sich scharf von den Verzweigungen 
desselben in der weissen Substanz. In der grauen Substanz 
behalten die Dendriten den Charakter von sich allmählich ver- 
schmälernden, schwach gewundenen Zellfortsätzen. Ihre Ver- 
zweigungen in der weissen Substanz stellen feine, sich zwischen 
den Längsfasern der weissen Substanz windende Fasern dar. 
Die Dendritenverzweigungen zeichnen sich ausserdem noch durch 
ihre recht gleichmässige Dicke aus. An der Oberfläche des 
Rückenmarks verzweigen sie sich in noch feinere Äste, welche 
mit Varikositäten in Gestalt von kleineren und grösseren Schollen 
versehen sind. Diese Varikositäten der Endfädchen stellen hier 
keinesfalls Kunstprodukte dar. Auf Querschnitten des Rücken- 
marks, welche mit Methylenblau gefärbt sind, treten die Vari- 
kositäten nur an den Endresten in Erscheinung, obgleich sämt- 
liche Verzweigungen der Dendriten sich hinsichtlich des Absterbens 
in gleichen Bedingungen befinden. Bei sehr lang andauernder 
Färbung treten in der Tat Varikositäten als Kunstprodukte, als 
Absterbungserscheinung, auf, doch ist ihr Aussehen, ihr Färbungs- 
vermögen ein durchaus anderes, wobei sie auf sämtlichen feinen 
Dendritenverzweigungen auftreten. Die varikösen Endfäden müssen 
daher als tatsächliche Endigungen der Dendriten anerkannt werden. 
Dieselben bilden auf der Oberfläche des Rückenmarks ein äusserst 
dichtes Geflecht, jedoch kein Netz. Die Geflechte der einzelnen 
Zellen vereinigen sich nicht miteinander. Die Fäden des Netzes 
ordnen sich zwischen und über den Längsfasern der Oberfläche 
des Rückenmarks an. Stellenweise gehen von den Dendriten 
variköse Fädchen in die tieferen Schichten der grauen Substanz ab, 
besonders an den Stellen, wo die Dendriten um die Müllerschen 
Fasern verlaufen. Die Dendriten verteilen sich auf dem Quer- 
schnitt des Rückenmarks in verschiedener Weise. Die Mehrzahl 
derselben ist in dem dorso-lateralen und im ventralen Strange 
derjenigen Hälfte des Rückenmarks gelegen, welchem die betreffende 
Zelle angehört. Ein Teil der Dendriten dringt stets zwischen 
die Müllerschen Fasern ein. Hier gehen von den Dendriten- 
verzweigungen, wie oben mitgeteilt ist, variköse Endfädchen ab, 


Nervensystem- von Ammocoetes. 619 


welche ein Geflecht um jede Müllersche Faser bilden. Die 
Fäden des Geflechts umgeben auf dem Querschnitt die Nerven- 
faser allseitig, wobei sie derselben dicht anliegen. 

Ausser motorischen Zellen, deren Dendriten sich nur in 
einer Hälfte des Rückenmarks ausbreiten, sind auch noch solche 
vorhanden, deren Dendriten auf die entgegengesetzte Seite des 
Rückenmarks übertreten. In letzterem Falle sind die End- 
ausbreitungen der Dendriten auf der entgegengesetzten Rücken- 
marksseite ungefähr in derselben Frontalebene gelegen, in welcher 
die zugehörige Zelle gelagert ist. 

In der Mehrzahl der Fälle erstreckt sich ein medialer 
Dendrit, beinahe ohne sich zu verzweigen, bis zu der weissen 
Substanz der entgegengesetzten Seite (Taf. XXIII, Fig. 2, 3, 4) 
und bildet in demselben Endverzweigungen und -fäden. Dieser 
lange Dendrit erreicht die entgegengesetzte Hälfte des Rücken- 
marks, indem er entweder ventral oder dorsal vom Zentral- 
kanal verläuft. Im ersteren Falle tritt er in den Bestand der 
Fasern der Kommissura grisea ventralis, im zweiten Fall der 
Kommissura dorsalis. 

Bisweilen treten auch auf die entgegengesetzte Seite 
des Rückenmarks die Verzweigungen der lateralen Dendriten 
(Taf. XXIII, Fig. 3), besonders derjenigen, welche sich von der 
Zelle in die dorso-lateralen Stränge erstrecken, über. 

Die Zahl der Dendriten der typischen motorischen Zellen 
variiert in beträchtlichem Maße. Das Minimum derselben beträgt 
zwei — wobei der eine von ihnen ein lateraler, der andere ein 
medialer ist. Derartige Zellen haben natürlich auf Querschnitten 
durch das Rückenmark (Taf. XXIII, Fig. 4) das Aussehen von 
bipolaren Zellen, wobei jedoch berücksichtigt werden muss, dass 
sie noch einen Nervenfortsatz besitzen. Sogar auf Querschnitten 
ist es möglich, dieselben von tatsächlich bipolaren Zellen, von 
denen weiter unten die Rede sein wird, zu unterscheiden. 

Die Ausbreitung der Dendriten ist von der Grösse der 
Zelle unabhängig — die Fortsätze der Zellen mittlerer Grösse 
können sich über: den ganzen Querschnitt des Rückenmarks 
verzweigen. Die Zahl der Dendriten ist jedoch für die Grösse 
der Zellen charakteristisch. Die grossen Zellen nehmen niemals 
das Aussehen bipolarer Zellen an, als solche erscheinen auf Quer- 
schnitten nur Zellen mittlerer Grösse und kleine Zellen. 


620 D, Pretjakoft: 


Den beschriebenen Typus der motorischen Zellen, unabhängig 
von der Grösse derselben und der Anzahl der Dendriten, bezeichne 
ich als den I. Typus der motorischen Zellen des Rückenmarks 
von Ammocoetes. Das Kennzeichen derselben stellt das Bestreben 
der Dendriten, sich in einer Frontalebene zu verzweigen, dar 
UDSSR IE 293 RER TV; "Bier ed! 

Diesem Typus gehören die Mehrzahl der „Randzellen“ der 
Autoren (Retzius u.a.) an. Nach meinen Beobachtungen sind 
auch die Randzellen typische motorische Zellen (Taf. XXIII, 
Fig. 6 u. 7), welche aus der grauen Substanz zur Kante des 
Rückenmarks gerückt sind, wobei sämtliche Übergangsformen von 
den typischen motorischen Zellen zu den Randzellen gefunden 
werden können. Die Form der Randzellen variiert ebenso wie 
diejenige der motorischen Zellen. Die Dendriten der Randzellen 
ordnen sich desgleichen auf einem schmalen @Querabschnitt des 
Rückenmarks an. Die lateralen Dendriten stossen natürlich infolge 
der Lagerung der Zellen selber an die Kante des Rückenmarks und 
bilden keine Systeme feinster Verzweigungen. Nichtsdestoweniger 
endigen sie in feinen, mit Varikositäten versehenen Fädchen, wobei 
letztere nicht selten in der Längsrichtung auseinanderziehen. 
Die medialen Dendriten verzweigen sich in derselben Rückenmarks- 
hälfte gewöhnlich in dem dorso-lateralen Strange. Die Nerven- 
faser beginnt ebenso wie bei den typischen motorischen Zellen; 
infolge der Lagerung der Zellen hat sie jedoch nicht nötig, aus 
der grauen Substanz in die weisse umzubiegen; sie verläuft von 
vornherein in der weissen Substanz, wobei sie in den Bestand 
der ventralen Bündel eingeht. In diesem vereinfachten Verlauf 
des Neuriten liegt meiner Meinung nach der Grund für den 
ÖOrtswechsel dieser Zellen: dank diesem wird eine gleichmässigere 
Verteilung der motorischen Zellen und Fasern erhalten. 

Ausser den beschriebenen Formen der Zellen des I. Typus 
werden noch zwei Typen motorischer Zellen unterschieden. 

Der U. Zelltypus (Taf. XXIII, Fig. 5, Taf. XXIV, Fig. 12) 
unterscheidet sich von dem ersteren zunächst durch die Aus- 
breitung der Dendriten. Die Zellen selber liegen in den Seiten- 
strängen der grauen Substanz. Die Form der Zellen variiert 
in stärkerem Maße als diejenige der Zellen des I. Typus, von 
einer pyramidenförmigen bis zu einer spindelförmigen, in ver- 
schiedenen Richtungen gekrümmten. Die Zellen gehören zu 


Nervensystem von Ammocoetes. 621 


den grossen des Rückenmarks und bilden natürlich eine grosse 
Anzahl Dendriten ; letztere ordnen sich nicht wie bei den Zellen 
des I. Typus in einer Frontalebene an, sondern erstrecken sich 
in verschiedenen Richtungen. Die feinen Verzweigungen und die 
varikösen Endfädchen bieten im Vergleich zu den Zellen des 
1. Typus nichts Neues, sie gehen jedoch von den Dendriten in 
frontaler Richtung ab. 

An jedem Dendriten entstehen mehrere Systeme feiner 
Querverästelungen und variköser Fädchen, wobei ein jedes 
derartige System in einem schmalen Querabschnitt des Rücken- 
marks angeordnet ist. Die Dendriten, welche von der Zelle in 
schräger Richtung oder in der Längsriehtung (hinsichtlich des 
Rückenmarks) verlaufen, übertreffen an Länge nur in geringem 
Maße die Dendriten der Frontalebene. Die Quersysteme der 
feinen Verzweigungen verteilen sich in verschiedenen frontalen 
Ebenen, wobei sie zwischen den Verzweigungen der Zellen des 
I. Typus vordringen. Ungeachtet der schräg und längs ver- 
laufenden Dendriten, verhalten sich somit die Zellen des II. Typus 
zur weissen Substanz ebenso, wie die Zellen des I. Typus. Ein 
Unterschied von diesen besteht nur in der Anordnung derjenigen 
Dendriten, welche in der grauen Substanz gelegen sind. Die 
Bedingungen für die Ausbreitung der Dendriten sind augen- 
scheinlich in der grauen und der weissen Substanz verschieden ; 
sie beruhen entweder auf einer Verschiedenheit der mechanischen 
3edingungen für das Auswachsen der Dendriten oder auf einer 
verschiedenen Funktion der dicken Abschnitte der Dendriten und 
ihrer feinen Verzweigungen. 

Die Entstehung des Nervenfortsatzes an den Zellen des 
ll. Typus zu verfolgen, ist weit schwieriger, als im ersteren Fall. 
Auf den Golgipräparaten, denen die Hauptbedeutung in dieser 
Frage zukommt, wird selten ein volles Bild der Ausbreitung der 
Dendriten, welche die Zellen des II. Typus charakterisieren, er- 
halten (Taf. XXIV, Fig. 10 u. 12). 

So scharf die Unterschiede der Zellen des II. Typus von den- 
jenigen des I. auf totalen, in Methylenblau gefärbten Rücken- 
markspräparaten bervortreten, so schwer ist es, mit ersteren die 
nach dem Golgiverfahren gefärbten, mit einem motorischen 
Nervenfortsatz verbundenen Zellen zu identifizieren, welche weder 
ihrer Form nach, noch der Anordnung ihrer Dendriten nach in den 


622 D. Tretjakoff;; 


Rahmen der Zellen des I. Typus hineinpassen. Auf Grund anderer 
Kennzeichen, wie Form der Zellen, Form des Fortsatzes, welcher 
der Nervenfaser den Ursprung gibt, der Lagerung und Grösse 
der Zellen können die erwähnten Elemente auf den Golgipräpa- 
raten nur Zellen des II. Typus sein (Taf. XXIV, Fig. 12). Ist 
einmal auf Golgipräparaten das Vorhandensein eines Nerven- 
fortsatzes bei den Zellen des erwähnten Typus sichergestellt, so 
kann nach ihm auch auf Methylenblaupräparaten gesucht werden, 
widrigenfalls für den Nervenfortsatz leicht ein in der Längs- 
richtung des Rückenmarks verlaufender und nicht bis zu seinem 
Ende gefärbter Dendrit angenommen werden kann. 

Auf diese Weise kann durch Ausschluss sämtlicher zweifel- 
hafter Gebilde folgende Vorstellung von der Entstehung des 
Nervenfortsatzes der Zellen des II. Typus gewonnen werden. Sein 
Anfangskegel ist in seltenen Fällen so regelmässig ausgeprägt 
als bei den Zellen des I. Typus; von ihm entspringen Kollateralen, 
welche ebenso wie die Dendriten endigen; er selber unterscheidet 
sich nur wenig von den Dendriten; er entspringt jedoch aus- 
schliesslich von der kranialen oder kaudalen Zelloberfläche und 
behält dieselbe Richtung in der grauen Substanz bei, indem er 
sich in eine äusserst feine Faser verschmälert, welche in die 
weisse Substanz übertritt. Mit der Annäherung an die ent- 
sprechende Wurzel nimmt die feine Faser an Dicke zu. Die 
Kollateralen entspringen auch aus dem dünnen Abschnitt, jedoch 
nicht aus dem dicken Wurzelabschnitt der Faser. Ausser durch 
seinen Anfangskegel unterscheidet sich der Nervenfortsatz in 
nichts wesentlichem von dem Nervenfortsatz der Zellen des I. Typus. 

Den motorischen Zellen des III. Typus (Taf. XXIV, Fig. 10) 
rechne ich diejenigen zu, welche von Kolmer unter der Bezeich- 
nung Kolossalzellen beschrieben worden sind. Dieser Beschreibung 
habe ich noch hinzuzufügen, dass das charakteristische Merkmal 
dieser Zellen nicht ihre Grösse, sondern die Verteilung ihrer 
Dendriten darstellt. Die kleinen Zellen des III. Typus sind 
ebenso gross wie die grossen Zellen des I. Typus, die grossen 
Zellen des IIl. Typus entsprechen den von Kolmer angegebenen 
Dimensionen. Mir ist es nicht gelungen, den Nervenfortsatz nach 
dem Verfahren von Golgi zu färben; auf Methylenblaupräparaten 
wiederholt der Anfangskegel des Nervenfortsatzes dermassen die 
Form desselben Gebildes bei den Zellen des I. Typus, dass ein 


Nervensystem von Ammocoetes. 623 
Zweifel an seiner Natur nicht aufkommen kann. Der Zellleib 
ist häufig spindelförmig, wobei die Längsachse desselben sowohl 
schräg als auch quer zur Längsachse des Rückenmarks gerichtet 
sein kann. Fast stets geht der Anfangskegel des Nervenfort- 
satzes von dem, dem längsten Dendriten entgegengesetzten Ende 
der Zelle ab. Ausser einem langen Dendriten entspringen von 
der Zelle noch Dendriten, welche sich in derselben Frontalebene, 
in der die Zelle gelagert ist, verzweigen. Am Ende geht der 
lange Dendrit in feine Verzweigungen und variköse Fädchen über. 
Ebensolche Systeme feiner Verzweigungen und variköser Fäden 
entspringen von dem Dendriten auch in den anderen Abschnitten 
seines Verlaufs. Alle diese Systeme sind senkrecht zur Längsachse 
des Rückenmarks angeordnet (Taf. XXIV, Fig. 10) und unter- 
scheiden sich durchaus nicht von den gleichen Systemen der 
Zellen des I. und II. Typus, indem sie mit diesen an der Bildung 
eines dichten Geflechtes auf der Oberfläche der ventralen und 
dorso-lateralen Stränge teilnehmen. 

Sowohl die langen wie auch die kurzen Dendriten breiten 
sich entweder in einer Hälfte des Rückenmarks aus oder gehen 
auf die entgegengesetzte über. Der lange Dendrit ist bis zum 
3eginn der feinen Verzweigungen in der grauen Substanz ge- 
lagert. Die Systeme der queren Verzweigungen gehören haupt- 
sächlich den dorso-lateralen Bündeln an. 

Alle drei Typen der motorischen Zellen gehören zu den 
beständigen Elementen des Rückenmarks von Ammocoetes. 

Ausser den motorischen Zellen enthalten die Seitenstränge 
eine grosse Anzahl kleiner Nervenzellen (Taf. XXIV, Fig. 14), 
an denen auf keine Weise ein Unterschied der Fortsätze erwiesen 
werden kann. Alle Fortsätze haben das Aussehen von Dendriten, 
alle verzweigen sich wie die Dendriten der motorischen Zellen. 
Die Zellen sind. entschieden bipolar oder multipolar und haben 
grösstenteils Spindelform. Bei Anwendung desselben Unter- 
scheidungsprinzips wie bei den motorischen Zellen können diese 
kleinen Zellen in drei Typen eingeteilt werden. Typus I — die 
Fortsätze der Zellen verzweigen sich in einer Frontalebene; 
Typus II — die Fortsätze verzweigen sich in verschiedenen 
Frontalebenen, jedoch nicht weit von der Zelle; Typus III — die 
Zellen sind mit langen Fortsätzen versehen (Taf. XXV, Fig. 21). 
Die Zellen selber liegen in den Seitensträngen, bisweilen auch 


624 Dosieetijiakoff: 


an der Grenze der grauen und weissen Substanz der Seiten- 
stränge, oder in der Mitte des Rückenmarks dorsal vom Zentral- 
kanal (Taf. XXIV, Fig. 13, Taf. XXV, Fig. 16) oder sogar in der 
weissen Substanz (Taf. XXV, Fig. 19). In der Mehrzahl der Fälle 
unterscheiden sich die Fortsätze scharf von der Zelle und nehmen 
bereits in der grauen Substanz das Aussehen einer feinen, stellen- 
weise mit kleinen Verdickungen versehenen Faser an. Die End- 
fädchen sind mit Varikositäten besetzt, treten in den Bestand 
des oberflächlichen Geflechts, woselbst sie sich durch Kontakt 
mit den Endfädchen der motorischen Zellen in Verbindung setzen. 

Auf Querschnitten des Rückenmarks (Taf. XXIV, Fig. 13, 
Taf. XXV, Fig. 16, 20) gelingt es besonders die Verteilung der 
Fortsätze der Zellen des I. und des U. Typus zu verfolgen; 
bereits die bipolaren Zellen gewähren einen sicheren Einblick in 
die Art der Ausbreitung, da die Ausbreitung der Fortsätze der 
multipolaren Zellen sich prinzipiell von derselben nicht unter- 
scheidet. Beide Fortsätze der bipolaren Zellen verzweigen sich 
in verschiedenen Strängen: sie verbinden entweder die dorso- 
lateralen Stränge mit den ventralen, oder die dorsalen mit den 
ventralen, oder die dorsalen mit den latero-dorsalen, oder die 
latero-dorsalen mit der Gruppe der Müllerschen Fasern der- 
selben oder der entgegengesetzten Seite oder schliesslich die 
Gruppe der Müllerschen Fasern mit den ventralen Strängen. Zum 
Zweck der Verbindung der Stränge beider Hälften des Rückenmarks 
verlaufen die Fortsätze in der dorsalen oder ventralen Kommissur. 

Verhältnismässig seltener als die angegebenen Verbindungen, 
wird eine solche der gleichnamigen Stränge angetroffen. Am 
konstantesten sind die Zellen, welche mit ihren Fortsätzen die 
dorso-lateralen oder ventralen Stränge verbinden. 

Schwieriger ist das Studium der Ausbreitung der langen 
Fortsätze der Zellen des III. Typus, welche hauptsächlich dorsal 
vom Zentralkanal sich vorfinden. Ihr Aussehen und die Verteilung 
derselben ist genügend ausführlich von Kolmer beschrieben 
worden — Zellen m seines Schemas Fig. 26. Seiner Beschreibung 
füge ich nur hinzu, dass die varikösen Endfäden der Fortsätze 
sich zwischen den verschiedenen Bündeln der weissen Substanz 
quer zur Längsachse des Rückenmarks anordnen. 

Sämtliche erwähnten Typen der kleinen Nervenzellen des 
Rückenmarks von Ammocoetes stellen offenbar Koördinations- 


Nervensystem von Ammocoetes. 625 


elemente dar, welche die Reizung der motorischen Zellen summieren 
und möglicherweise die Reizung der Fasern verschiedener Stränge 
regulieren. Einige der mutmasslichen Koördinationszellen müssen 
jedoch besonders erwähnt werden. Sie offenbaren einen ganz 
bestimmten Zusammenhang mit gewissen Strängen, obgleich sie 
der Anordnung ihrer Fortsätze nach zu einem jeden der drei er- 
wähnten Typen gehören können. Hierher gehören vor allem die 
Zellen, deren einer Fortsatz sich unbedingt zwischen den Müller- 
schen Fasern verzweigt, indem er dieselben in der Querrichtung 
des Rückenmarks mit feinen varikösen Fädchen umflicht (Taf. XXV, 
Fig. 16); der andere oder die anderen Fortsätze können sich in 
beliebigen Bündeln verzweigen, besonders in den latero-dorsalen. 
Eine zweite Gruppe von Zellen entsendet einen Fortsatz unbedingt 
zur Mitte der ventralen Rückenmarksoberfläche, woselbst sich 
unterhalb der Gruppen der Müllerschen Fasern quere variköse 
Fädchen bilden (Taf. XXV, Fig. 17). Obgleich dieser Fortsatz in 
der nächsten Nähe der Müllerschen Fasern verläuft, so gibt 
er dennoch keine Seitenästchen, welche die Müllerschen Fasern 
umflechten, ab. 

Eine dritte Gruppe von Zellen (Taf. XXV, Fig. 23) ist ver- 
mittelst eines Fortsatzes derselben mit den dorsalen Bündeln oder 
mit dem Grenzgebiet dieser und der dorso-lateralen Bündel ver- 
bunden. Dieser Fortsatz zeichnet sich im Vergleich zu den 
übrigen durch seine Dicke aus und zerfällt, nachdem er in die 
Bündel eingedrungen ist, in verschiedener Entfernung von der 
dorsalen Oberfläche in ein Büschel dicht bei einander gelegener 
variköser Fädchen. Die übrigen feineren Fortsätze treten nicht 
aus der grauen Substanz heraus. 

Ich bin nicht imstande, allein auf das Aussehen dieser Fort- 
sätze der Koördinationszellen die Frage zu entscheiden, ob unter 
ihnen Dendriten und Neuriten unterschieden werden können. 
Möglicherweise ist es möglich, den Fortsatz der Zellen der letzten 
drei Gruppen, welcher sich bestimmtermassen in bestimmten Ge- 
bieten der weissen Substanz verzweigt, als Nervenfortsatz anzu- 
erkennen. 

In morphologischer und physiologischer Hinsicht ist die 
Mehrzahl der kleinen Zellen vollkommen den sog. amakrinen 
Zellen (Spongioblasten) der Retina der Wirbeltiere homolog. An 
den bipolaren Zellen der Retina unterscheiden sich ausserdem 


626 De PreiTakofT: 


beide Fortsätze wenig ihrem Aussehen nach und wenn der eine 
von ihnen als Dendrit, der andere als Neurit bezeichnet wird, 
so geschieht es auf Grund ihrer verschiedenen Länge und ihrer 
topographischen Lagerung. 

In Anbetracht dessen, dass die Retina einen modifizierten 
Abschnitt der Wand des Medullarrohres darstellt, halte ich es 
für möglich, die Spongioblasten und bipolaren Zellen der Retina 
mit den kleinen Zellen zu analogisieren und nenne daher im 
folgenden die letzteren — amakrine Zellen oder Schaltzellen des 
rückenmarks. — 

Jedenfalls unterscheidet sich jedoch nur bei den zuletzt 
angeführten drei Zellgruppen des Rückenmarks von Amocoetes 
der Nervenfortsatz von den anderen Fortsätzen. 

Vermittelst Methylenblaupräparaten ist es möglich, die 
Systeme der Assoziationsbahnen genau zu studieren, solange 
jedoch die Leistungsbedingungen der Nervenreizungen physiologisch 
wenig bekannt sind, ist das Studium ihrer anatomischen Grund- 
lage von geringem Wert. Für die angegebenen Ziele meiner 
Arbeit war es nur wichtig, die Typen der Rückenmarkselemente 
morphologisch festzustellen. 

Ich gehe nun mit einigen Worten auf die sog. Hinter- 
zellen über. 

Dieselben färben sich sehr schwer in Methylenblau; für 
Totalpräparate von Rückenmarksstücken sowie für Schnitte ist es 
ratsamer, starke !/2°/o bis !/a°/o Lösungen des Farbstofis zu be- 
nutzen. In den ersten Momenten nach Einwirkung der Farbe 
treten die Hinterzellen in Gestalt von blauen Flecken auf voll- 
kommen farblosem Grunde hervor. Die Färbung verschwindet 
rasch vor dem Beginn der Färbung der anderen Zellen des 
Rückenmarks. Die Färbung kann in gewöhnlicher Weise fixiert 
werden, doch erscheint sie stets sehr diffus (Taf. XXIV, Fig. 14d) 
und gibt nur mangelhaft die tatsächliche Zellform wieder. In 
dieser Hinsicht teilen sie das Schicksal der Riesenzellen im Gehirn 
von Ammocoetes und der Spinalganglienzellen ; die ersteren gehören 
zu den motorischen Zellen, die zweiten — zu sensiblen; es ist nicht 
möglich, wie es jedoch einige Autoren tatsächlich getan haben, 
aus dem Färbungsvermögen allein die motorische oder sensible 
Natur der Hinterzellen bestimmen zu wollen; wie es auch sein 
mag, die Färbung der letzteren ist jedenfalls ein intravitaler 


Nervensystem von Ammocoetes. 627 


Vorgang. Kolmer stellt dieses in Abrede; seiner Meinung nach 
liegen rein physikalische Gründe dafür vor, dass die Hinterzellen 
einer intravitalen Färbung nicht zugänglich sind und zwar: „sie 
liegen zu sehr geschützt in der Rückenmarkssubstanz“. Nur bei 
einer Verletzung des Präparates, fügt der genannte Autor hinzu, 
färben sich die Hinterzellen, wobei die Färbung eine für das 
absterbende Gewebe charakteristische Nuance annimmt. Ich halte 
die Schlüsse des Autors für etwas voreilig; an der verletzten 
Stelle eines Rückenmarksstückes sind in der Tat bei der gewöhn- 
lichen Färbungsdauer bisweilen recht intensiv die Hinterzellen 
gefärbt, der Charakter der Färbung ist jedoch ein anderer als bei 
einer intravitalen Färbung; scharf gefärbt sind nur die Kerne der 
Hinterzellen. Ich bin der Ansicht, dass die Verletzungen durchaus 
nicht den Zutritt des Farbstoffs zu den Zellen erleichtern, sondern 
die Konzentration der die Zellen umgebenden Lymphe alterieren 
und ein Absterben der Zellen hervorrufen. Irgendwelcher be- 
sonderer Schutz der Hinterzellen von seiten der Rückenmarks- 
substanz lässt sich nicht erkennen; mir ist es nicht klar, welche 
Art Schutz Kolmer annimmt, denn andere sich in Methylenblau 
ausgezeichnet färbende Zellen liegen tiefer im Rückenmark als 
die Hinterzellen. Auf Querschnitten bleiben, wie gut auch die 
übrigen Elemente gefärbt sind, ungefärbt die Hinterzellen und 
die dorsalen Stränge, welche demjenigen Gebiet der grauen 
Substanz anliegen, in dem die Hinterzellen gelagert sind (Taf. XXV, 
Fig. 16). Da auf den in toto gefärbten Rückenmarksstücken nie- 
mals die Fortsätze der Hinterzellen gefärbt sind, so ist die Annahme 
möglich, dass die dorsalen Bündel aus den längsverlaufenden 
Fortsätzen der dorsalen Zellen bestehen. 

Das Verfahren von Golgi und von Ramön y Cajal er- 
geben hier die Resultate, welche mit dem Methylenblauverfahren 
nicht erzielt werden können. Besonders das Verfahren von 
Ramön y Cajal erscheint für die Hinterzellen spezifisch; ver- 
mittelst desselben gelingt es am leichtesten auf Querschnitten 
Bilder der Anordnung .der Zellen selber als auch ihrer Fortsätze 
zu erhalten. 

Die Grösse, Form, Anordnung auf Querschnitten, die Anzahl 
der Fortsätze dieser Zellen ist von den Autoren genügend genau 
beschrieben worden. In dieser Hinsicht kann ich nur die Beob- 


achtungen derselben bestätigen. Einige der Zellen sind ent- 
Archiv f. mikrosk. Anat. Pd. 73. 41 


628 D. Tretjakoff: 


schieden bipolar, andere sind ausser mit je einem auf- und ab- 
steigenden Fortsatz noch mit kurzen, verzweigten, nach allen 
Richtungen sich erstreckenden Fortsätzen versehen (Owsjannikoff, 
Kolmer). Die feinen Fortsätze entspringen von der Zelle, 
ohne deren regelmässigen, Kreisförmigen Konturen zu alterieren 
(Kolmer), oder aber die Zelle erscheint eckig, wobei die feinen 
Fortsätze von den Ecken derselben ihren Anfang nehmen. Nicht 
selten werden Zellen angetroffen, welche paarweise durch diese 
oder dünne Anastomosen verbunden sind (Kolmer), oder Zellen 
mit zwei Kernen im Ruhestadium (Kolmer). Ebenso kann ich 
sämtliche Befunde Kolmers hinsichtlich der Verteilung der 
Neurofibrillen und der Trophospongien in genannten Zellen be- 
stätigen. In einigen Beziehungen enthalten jedoch meine Beob- 
achtungen etwas neues und stimmen nicht mit den Beobachtungen 
anderer Forscher überein. — Es handelt sich vor allem um den 
Bau der Kerne. Im allgemeinen sind sie kugelförmig, weisen ein 
regelmässiges Chromatinnetz auf und unterscheiden sich eigentlich 
nicht von den Kernen anderer Nervenzellen. Nicht selten werden 
jedoch Kerne von vollkommen anderer, unregelmässiger Form 
angetroffen. Dieselben erscheinen bald in einer Richtung ge- 
streckt, bald gelappt, bald weisen sie eine verschiedenartige 
unregelmässige Anordnung des Chromatins auf. Zunächst bemerkte 
ich diese unregelmässigen Kerne auf Methylenblaupräparaten und 
neigte dazu, dieselben für Absterbungserscheinungen zu halten. 
Nach gewöhnlichen Verfahren fixierte und gefärbte Präparate 
überzeugten mich jedoch davon, dass im gegebenen Falle es sich 
tatsächlich um verschiedenartige Kerne handelt. Besonders 
charakteristisch ist in diesen Kernen die Anwesenheit einer hellen 
Vakuole (auf Methylenblaupräparaten). Die Grösse der Zellen, 
ihr geringes Färbungsvermögen mit Methylenblau, die Form 
ihrer Kerne geben Veranlassung, die Hinterzellen mit den von 
A. Nemiloff (Arch. f. m. Anat., Bd. 72, 1908) in den Ganglien 
von Fischen beschriebenen besonderen Zellen zu vergleichen. — 

Um der bisher strittigen Funktion der Hinterzellen möglichst 
nahe zu kommen, habe ich sorgfältig ihre Verteilung in der 
Horizontalebene verfolgt. Von einer segmentalen Anordnung oder 
einer Anhäufung der Zellen an der Anstrittsstelle der dorsalen 
Wurzeln ist keine Spur vorhanden. Überall ist dieselbe ökono- 
“mische gleichmässige Verteilung der grossen und mittleren Zellen, 


Nervensystem von Ammoecoetes. 629 


wie in den Seitensträngen wahrnehmbar. Der Streifen der Hinter- 
zellen erstreckt sich ununterbrochen bis zur Rautengrube, bis 
zum Austritt des ersten dorsalen N. spino-oceipitalis. Hier und 
nur hier werden konstant die Hinterzellen angetroffen, deren 
aufsteigende Faser zur Peripherie des Rückenmarks, zur Aus- 
trittsstelle der dorsalen Wurzeln gerichtet ist. Einen unmittel- 
baren Übergang des Fortsatzes in die Wurzel habe ich nicht 
gefunden, obgleich ich meine ganze Aufmerksamkeit darauf ge- 
richtet habe. Der Fortsatz verschmälert sich in der weissen 
Substanz des Rückenmarks und endigt in derselben ebenso, wie 
die Dendriten der motorischen Zellen. Selbst in den äusserst 
seltenen Fällen, wenn der auf- oder absteigende Fortsatz der 
Zellen in anderen Rückenmarksgebieten gegen die Austrittsstelle 
der dorsalen Wurzeln abbiegt, ist dennoch keine Veranlassung 
dafür vorhanden, einen Übergang desselben in die Wurzel anzu- 
nehmen. Die dorsalen Wurzeln bestehen ausschliesslich aus 
Fasern, welche in das Rückenmark von den sensiblen, ausserhalb 
des Rückenmarks gelegenen Ganglienzellen eindringen. Die Fort- 
sätze der dorsalen Zellen haben keine Beziehungen zu den 
Wurzeln. Sie erstrecken sich bisweilen auf weite Entfernungen 
in die dorsalen Bündel, biegen jedoch gewöhnlich schliesslich in 
die latero-dorsalen Bündel um und endigen ebenso wie überhaupt 
die Fasern der latero-dorsalen Bündel, d. h. mit feinen varikösen 
Fädchen, welche in den oberflächlichen Schichten des Rücken- 
marks quer verlaufen. Auf Methylenblaupräparaten verhalten 
sich die Fortsätze der Hinterzellen ebenso wie diese: sie bleiben 
ungefärbt. Infolgedessen unterscheiden sich auf Querschnitten 
durch das Rückenmark die dorsalen, oberhalb des Streifens der 
Hinterzellen gelegenen Bündel scharf von den latero-dorsalen 
Bündeln (Fig. 16); dieselben bestehen aus den längsverlaufenden 
Fortsätzen der Hinterzellen. 

Auf stark tingierten Präparaten ganzer Rückenmarksstücke 
gelingt es bisweilen einige Fasern der dorsalen Bündel gefärbt 
zu erhalten (Taf. XXI, Fig. 5v). Sie gehören den feinsten Fasern 
der weissen Substanz an. Von den Fasern der latero-dorsalen 
Bündel unterscheiden sie sich hauptsächlich dadurch, dass sie keine 
Kollateralen bilden. Eine jede Faser der dorsalen Bündel windet 
sich ziekzackförmig und bildet stellenweise spindelförmige An- 


schwellungen, welche sich besonders intensiv in Methylenblau färben. 
41* 


630 D. Tretjakoff: 


Im Vergleich zu den latero-dorsalen Bündeln ist in der ober- 
tlächlichen Schicht der dorsalen Bündel nur eine geringe Anzahl 
quereı variköser Ästehen — Endigungen verschiedener Elemente 
des Rückenmarks vorhanden. Am häufigsten finden sich hier 
Endigungen motorischer Zellen und besonderer Assoziationszellen. 
Bisweilen jedoch beginnen, wie es die Fig. 5v (Taf. XXIII) zeigt, 
hier sich die Fasern der dorsalen Bündel selber, resp. die Fort- 
sätze der dorsalen Zellen in ihre Endfäden zu verzweigen. 

Die Gestalt der dorsalen Zellen ist der Rolle angepasst, 
den dorsalen Strängen Fasern zuzuführen. In der Mehrzahl der 
Fälle sind die Zellen auf Sagittalschnitten von Oberflächen ver- 
schiedener Krümmung begrenzt. Die ventrale Oberfläche der- 
selben ist grösser, stärker gekrümmt und ragt in die graue 
Substanz hinein; die dorsale Oberfläche ist flach und liegt den 
dorsalen Bündeln dieht an; die beiden längs verlaufenden Fort- 
sätze haben nur eine geringe Abweichung von der Längsrichtung 
zu machen, um in den Bestand der dorsalen Bündel einzugehen. 

Auf Grund der angeführten Merkmale halte ich die Hinter- 
zellen für die Assoziationszellen. Das von ihnen im Rückenmark 
von Ammocoetes gebildete Band schlage ich vor, als Nucleus: 
dorsalis des Rückenmarks zu bezeichnen, die Zellen selber als 
Dorsalzellen statt der für Ammocoetes wenig passenden und allzu 
anthropomorphen Bezeichnung „Hinterzellen“. 

Die Endigungen, welche den Dorsalzellen den Wert von 
Assoziationselementen gewähren, liegen hauptsächlich an der 
Oberfläche der latero-dorsalen Bündel. In demselben Gebiet 
finden sich auch die Endverzweigungen der Fasern der dor- 
salen Wurzeln, der Schaltzellen und der motorischen Zellen. 
Die Frage, ob die Assoziationsvorrichtungen der Dorsalzellen auf 
irgendwelche Flemente einer Art des Nervensystems von 
Ammocoetes Bezug haben, oder auf verschiedenartige, habe ich 
nicht entscheiden können. Durch verschiedene Schlussfolgerungen, 
jedoch nicht auf Grund unmittelbarer Beobachtungen, komme 
ich zum Schluss, dass die Assoziationstätigkeit der Dorsalzellen 
die Endigungen der Fasern der dorsalen Wurzeln betriftt. Die 
Dorsalzellen summieren die Reizung verschiedener dorsaler 
Wurzeln und übertragen dieselbe auf andere Abschnitte des 
Rückenmarks und auf das verlängerte Mark. Bei den höheren 
Wirbeltieren, speziell bei den Säugetieren erfolgt die Summierung 


Nervensystem von Ammocoetes. 651 


der sensiblen Reizung bereits in den Ganglien vermittelst 
besonderer Zellen, die Verzweigungen des Nervenfortsatzes der- 
selben umgeben die Ganglienzellen in Gestalt von perizellulären 
Geflechten. Ein anderes Beispiel von Zellen, welche die Reizung 
sensibler Nervenzellen summieren, stellen die sternförmigen 
Zellen der Retina — die nervösen Horizontalzellen — dar. 

Ausser den beschriebenen Nervenzellen des Rückenmarks 
von Ammocoetes, welchen eine bestimmte Funktion zugeschrieben 
werden kann, gibt es noch Anfangsstadien der Entwicklung von 
Nervenzellen, Übergangsstadien von Neuroblasten zu echten 
Nervenzellen. Dieselben hat bereits Kolmer als kleine unipolare 
Zellen beschrieben; er bezeichnet sie als Übergangstypen von 
Ependymzellen zu Nervenzellen. 

Soviel ich habe wahrnehmen können, sind die Übergangs- 
formen von Ependymzellen zu Nervenzellen nur in seltenen 
Fällen in gewissen Entwicklungsperioden unipolar. Zu Beginn 
der Differenzierung ist die betreffende Zelle ausser mit einem 
peripherischen, verzweigten Fortsatze noch mit einem kurzen, 
zwischen den Ependymzellen bis zur Lichtung des Zentralkanals 
vordringenden Fortsatze versehen. Allmählich entfernt sich die 
Zelle mit ihrem ventralen Fortsatze vom Zentralkanal. Im 
weiteren können sämtliche Stadien der Verwandlung des zentralen 
Fortsatzes in einen gewöhnlichen Dendriten verfolgt werden. — 
Die Übergangszellen habe ich nur bei den kleinsten, mir zur 
Verfügung stehenden Ammocoeten angetroffen. Bei einem 
Ammocoetes von 10—18 mm kann das Rückenmark bereits als 
vollkommen ausgebildet angesehen werden. Bei dem weiteren 
Wachstum nehmen die einzelnen Elemente nur an Grösse zu, 
ohne dass ihre Menge zunimmt. In dieser Hinsicht unterscheidet 
sich das Rückenmark vom Gehirn, in welchem noch zur Zeit 
der Metamorphose eine grosse Anzahl von Zellen in der Nähe 
des zentralen Hohlraums das Aussehen von unentwickelten 
Nervenzellen haben. Ich möchte hier nur der Annahme von 
Kolmer entgegentreten, dass diese Zellen Übergangsformen 
von Ependymzellen zu Nervenzellen darstellen. Die Ependym- 
zellen und die Neuroblasten sind, wie bekannt, auf frühen 
Entwicklungsstadien vollkommen differenziert; der zentrale Fort- 
satz der sich entwickelnden Zelle spricht noch nicht zugunsten 
der Entstehung desselben aus dem Ependym, er kann sich auch 


632 D. Tretjakoff: 


sekundär entwickeln. Die erwähnten Zellen könnten als Über- 
gangstypen von Neuroblasten zu Nervenzellen bezeichnet werden, 
bei der Annahme, dass bei Ammocoetes in der Ependymschicht 
sich noch lange Neuroblasten erhalten. Die Ependymzellen 
stellen bei Ammocoetes von der angegebenen Länge typische 
Neurogliazellen dar; eine Umwandlung derselben in Nervenzellen 
ist undenkbar. 

Bereits seit der Arbeit von Nansen über das Gehirn von 
Myxine ist die T-förmige Teilung der Fasern der dorsalen 
Wurzeln im Rückenmark bekannt. Kolmer vermerkt in seiner 
Arbeit den verschiedenen Durchmesser der Fasern und spricht 
sich zugunsten einer Vereinigung der dorsalen Wurzeln mit den 
Dorsalzellen aus, was ich entschieden in Abrede stelle. 

Die Fasern der hinteren Wurzeln sind ausserhalb des 
Rückenmarks von einem Neurilemm umgeben. Beim Eintritt in 
das Rückenmark verlieren sie dasselbe. Die einzelnen Fasern 
dringen in das Rückenmark verschieden tief ein, einige erreichen 
die dorsale Oberfläche der grauen Substanz. In verschiedenen 
Tiefen des dorso-lateralen Bündels biegen die Fasern entweder 
in einem rechten Winkel um oder spalten sich in zwei gleiche 
oder ungleiche dicke Äste, welche zu Längsfasern der dorso- 
lateralen Bündel werden. Die dickeren Fasern — grösstenteils 
Äste der Fasern, die sich T-förmig teilen — verlaufen vor- 
wiegend an der Grenze der dorso-lateralen und der dorsalen 
Bündel. In einer geringen Entfernung entspringen von diesen 
Fasern in der Querrichtung des Rückenmarks (Taf. XXIV, Fig. 15) 
kurze Kollateralen (de), welche in den dorsalen Strang eindringen, 
bis zum medialen Rande des Stranges (Mittellinie des Rücken- 
marks) verlaufen, sich schnell verschmälern und sich spurlos. 
zwischen den Fasern des dorsalen Bündels, d. h. den Fortsätzen 
der Dorsalzellen, verlieren. Die Kollateralen bilden keine vari- 
kösen Fädchen und stellen offenhar an und für sich Endfäden 
dar. Mit den Dorsalzellen gehen sie keine unmittelbare Ver- 
bindung ein. 

Die Mehrzahl der übrigen Fasern der Hinterwurzel weichen 
allmählich in geringem Maße von der Eintrittsstelle der Wurzel 
in das Rückenmark ab und nehmen das dorso-laterale Bündel 
ein. An denselben sind die Kollateralen seltener; der Charakter 
dieser ist ein anderer als der soeben beschriebenen. Die Kollateralen 


Nervensystem von Ammocoetes. 635 


und die Enden der dorso-lateralen Fasern (Taf. XXV, Fig. 24) 
verzweigen sich ebenso wie die Dendriten der Zellen, indem sie 
quere variköse Fädchen bilden, welche in den oberflächlichen 
Schichten des Rückenmarks verlaufen. Diese Verzweigungen stehen 
in Kontakt mit den Verzweigungen der Dendriten motorischer 
und Schaltzellen, mit welchen sie gemeinschaftlich ein äusserst 
dichtes oberflächliches Geflecht bilden. 

Um die Endigungen der Fasern der dorso-lateralen Bündel 
zu färben, ist es erforderlich, die Färbung der Rückenmarkszellen 
zu beseitigen. Ich verfuhr hierzu folgendermassen: ich schnitt 
die Muskelschicht und das Arachnoidalgewebe über dem Rücken- 
mark ab, liess jedoch dasselbe im Zusammenhang mit der 
Chorda; derartige Stückchen aus dem Rumpfe von Ammocoetes 
färbte ich alsdann. Die Endigungen der dorso-lateralen Fasern 
färben sich in diesem Falle gleichzeitig mit den Fasern selber; 
da die Zeilen und deren Fortsätze hierbei ungefärbt bleiben, so 
resultiert ein vollkommen klares Bild der Endigungen (Taf. XXV, 
Fig. 24) allein der latero-dorsalen Fasern. Bei einer vollständigen 
Färbung aller Elemente des Rückenmarks ist keine Möglichkeit 
vorhanden, zu entscheiden, welche Endfädchen den motorischen oder 
Schaltzellen und welche den dorso-lateralen Bündeln angehören. 
Die Endigungen der letzteren Fasern entgingen der Beobachtung 
der anderen Forscher, welche eine möglichst vollständige Färbung 
des Rückenmarks erstrebten (Retzius, Kolmer). Hieraus 
entstand die Annahme eines Zusammenhangs der dorsalen Wurzeln 
mit den Dorsalzellen. Meine Untersuchungen weisen darauf hin, 
dass die Fasern der dorsalen Wurzeln vollkommen homolog sind 
denselben bei anderen Wirbeltieren. Sie stellen zentrale Fort- 
sätze extramedullärer Ganglienzellen dar, die sich im Rücken- 
mark verzweigen. Im Unterschiede zu anderen Wirbeltieren 
umflechten diese Endigungen bei Ammocoetes nicht unmittelbar 
die motorischen Zellen, sondern gehen in den Bestand des 
allgemeinen Oberflächengeflechts des Rückenmarks ein. Hier 
haben sie natürlich die Möglichkeit, mit den Verzweigungen der 
motorischen und Koördinationszellen in Kontakt zu treten. Die 
dorso-lateralen Fasern gehören stets einer Rückenmarkshälfte an: 
weder ihre Kollateralen noch ihre Endigungen überschreiten das 
dorsale Bündel der entgegengesetzten Rückenmarkshälfte. Einen 
Übergang von Fasern aus dem dorso-lateralen Bündel in die 


634 DD. Prresijfakoft: 


ventralen habe ich nicht wahrnehmen können. Die Grenze 
zwischen beiden bilden die Randzellen. 

In den ventralen Bündeln verlaufen ausschliesslich motorische 
Fasern. Ihre Herkunft, Dickenveränderung, der Übergang in 
motorische Fasern resp. die ventralen Wurzeln habe ich bereits 
früher bei der Beschreibung der motorischen Zellen geschildert. 

In der Mitte der ventralen Oberfläche ist ein besonderes 
Fasersystem gelegen, welches von Retzius (43) erwähnt und 
von Kolmer ausführlich beschrieben wird. Nach den Be- 
obachtungen des letzteren ist in dem erwähnten Gebiet eine 
grosse Anzahl Y-förmiger Teilungen vorhanden. Die sich auf 
diese Weise teilenden Fasern haben verschiedenen Durchmesser, 
einige derselben sind recht dick. Anfangs verläuft die Faser 
quer an der Oberfläche des Rückenmarks. Das laterale Ende 
derselben verschmälert sich zu einem kaum wahrnehmbaren 
Fädchen; in einigen Fällen hat Kolmer dasselbe bis an eine 
Randzelle verfolgt, das mediale Ende der Faser teilt sich, nach- 
dem es die Mittellinie überschritt, Y-förmig. Beide Äste be- 
schreiben einen grossen Bogen und gesellen sich zu den längs- 
verlaufenden Fasern; bisweilen weisen sie Kollateralen auf. Diese 
Fasern sind beiderseits im Rückenmark gelegen, sodass ihre 
Bögen sich überkreuzen; der grösste Teil der Fasern der vorderen 
Kommissur gehört den bogenförmigen Fasern an. PBisweilen hat 
die Verzweigungsstelle der Fasern eine F- oder H-Form; da die 
Äste annähernd von gleicher Dicke sind, so ist es unmöglich, die 
Frage zu entscheiden, welcher derselben die Hauptfaser darstellt. 
Autor nimmt an, dass sämtliche bogenförmigen Fasern Nerven- 
fortsätze der Randzellen darstellen. 

Einen derartigen Zusammenhang der Randzellen mit den 
Bogenfasern habe ich nicht wahrnehmen können. Das laterale 
Ende der queren Fasern verläuft nach der Teilung nicht immer 
zum Rückenmarksrande. Am häufigsten steigt es, nach meinen 
Beobachtungen, dorsalwärts auf und dringt in den Rand der 
grauen Substanz in das seitliche Band der motorischen Zellen 
ein. Nichtsdestoweniger bestreite ich nicht die Richtigkeit der 
Beobachtungen Kolmers. In einigen Fällen teilt sich vielleicht 
der Nervenfortsatz einer Randzelle Y-förmig. 

Aus meinen Beobachtungen ziehe ich jedoch den Schluss, 
dass die Bogenfasern besonderen Kommissurenzellen angehören, 


Nervensystem von Ammocoetes. 635 


welche weder durch ihre Form noch durch ihre Lagerung sich 
von motorischen Zellen unterscheiden. Das laterale dünne Ende 
der Faser hat genau denselben Charakter, wie der verschmälerte 
Teil des typischen Neuriten einer motorischen Zelle. Ein oder 
mehrere Äste der Fasern stellen Kollateralen dar und verlaufen 
grösstenteils zum Rande des Rückenmarks, wo sie mit queren 
varikösen Fäden im oberflächlichen Geflecht endigen; variköse 
Fäden entspringen auch von den Kollateralen auf dem Gesamt- 
verlauf derselben, jedoch in sehr beschränkter Zahl. 

Das beschriebene System der Bogenfasern entspricht, meiner 
Meinung nach, dem System der Kommissurenfasern, welche bei 
keinem Vertreter der übrigen Wirbeltiere fehlt und bei Embryonen 
gleichzeitig mit den motorischen Zellen auftritt (Ramön y 
Cajal. Van Gehuchten (17) fand das System der Bogen- 
fasern in der ventralen Kommissur des Rückenmarks von 
Amphibienlarven. Fig. 16 seiner Arbeit stellt einen frontalen 
Durchschnitt durch die ventrale Kommissur bei einer Färbung 
nach Golgi dar; dieselbe gleicht vollkommen den Abbildungen 
von den Bogenfasernsystemen von Ammocoetes und vom Neun- 
auge, wie sie in den Arbeiten von Retzius und Kolmer 
gegeben sind. Die Nervenfortsätze der Kommissurenzellen winden 
sich unterhalb der grauen Substanz bogenförmig und teilen sich 
in einen aufsteigenden und einen absteigenden, in den Vorder- 
Seitensträngen verlaufenden Ast. Das endgültige Schicksal der 
Äste der Kommissurenzellen ist unbekannt. Im Rückenmark von 
Ammoecoetes habe ich kein einziges Mal einen Übergang der Äste 
von Bogenfasern in die ventralen Wurzeln gesehen. 

Die Müllerschen Fasern müssen als ein selbständiges 
System angesehen werden; ihr Anfang liegt in dem Hinter- und 
Mittelhirn (Mayer [33]). Das Aussehen der Faser auf Präparaten, 
welche nach den neuesten Methoden angefertigt worden sind, ist 
von anderen Autoren hinreichend genau beschrieben worden. 
Kolmer gelang es, dieselben mit Methylenblau, welches die- 
selben gewöhnlich schwer färbt, zu tingieren; Abschnitte der 
Fasern entbehrten auf einer Strecke von 8000 « jeglicher 
Kollateralen und Verzweigungen. Die Endigungsweise der 
Müllerschen Fasern ist Kolmer unbekannt geblieben. 

Ich habe die Müllerschen Fasern bis zu den letzten 
Schwanzsegmenten verfolgt, wo sie sich recht plötzlich ver- 


636 D..Tretjakoff: 


schmälern, zu Fasern von mittlerem Durchmesser sich gestalten 
und sich zwischen anderen Fasern verlieren. In den ventralen 
Wurzeln werden zwischen dünnen Fasern und solchen mittlerer 
Dicke in den letzten Schwanzsegmenten dicke Fasern angetroffen, 
welche motorische Endigungen in den Muskeln bilden und ihren 
Durchmessern nach den dicksten Müllerschen Fasern gleich- 
kommen. Wahrscheinlich stellen sie die extramedullären Fort- 
setzungen der Müllerschen Fasern dar. Ich möchte hier auf 
die von Kolmer in sämtlichen ventralen Wurzeln beschriebenen 
besonderen dicken Fasern hinweisen, welche ihren Dimensionen 
nach den Müllerschen Fasern mittlerer Dicke gleichkommen. 
Es könnte daher angenommen werden, dass diese Fasern die 
Fortsetzung der Müllerschen Fasern mittlerer Dicke darstellen, 
so dass eine Müllersche Faser einen konstanten Bestandteil 
einer jeden Wurzel bildet. Auf Golgipräparaten habe ich mich 
jedoch davon überzeugen können, dass die dicken Wurzelfasern 
von Zellen entspringen können, welche nalıe bei der Austritts- 
stelle der Wurzel gelegen sind, und welche keinerlei Beziehung 
zu den Müllerschen Fasern haben. Die dicksten Fasern werden 
ferner in den letzten, postanalen Segmenten angetroffen. Einige 
Autoren (OÖwsjannikoff [37]) haben sich bemüht, den Unter- 
schied der Müllerschen Fasern von anderen Längsfasern durch 
Hinweise auf Übergangsformen auszugleichen. Ich bestehe jedoch 
auf der Notwendigkeit einer strengen Scheidung des genannten 
Systems. Seine Eigentümlichkeit im Verhalten zur Methylenblau- 
färbung, welche bereits Retzius (43) anführt, spricht schon an 
und für sich zugunsten meiner Behauptung. Wird dieser noch 
die Herkunft aus dem Mittel- und Hinterhirn zugefügt, so er- 
scheint das System der Müllerschen Fasern als ein vollkommen 
selbständiges System, welches motorische Impulse dem einzigen 
Lokomotionsorgan von Ammocoetes — dem Schwanze — zuführt. 

Die Frage nach dem Vorhandensein von Hüllen an den 
Längsfasern des Rückenmarks lässt Kolmer unentschieden. Er 
erwähnt freilich: „Es ist nicht daran zu zweifeln, dass eine der 
Marksubstanz analoge Substanz sich rings um den Achsenzylinder 
nachweisen lässt“. Auf Präparaten, welche mit Osmiumsäure 
gefärbt und darauf mit Holzessig behandelt wurden, erhält jede 
Faser, Müllersche Fasern und ventrale Kommissurenfasern 
einen deutlichen dunklen Kontur. Eine derartige Struktur wird 


Nervensystem von Ammocoetes. 637 


auch an Präparaten, welche nach dem Verfahren von Bielschowsky 
behandelt wurden, beobachtet. 

Dasselbe habe ich auf Präparaten, die nach dem Verfahren 
von Ramön y ÜCajal angefertigt worden waren, sowie bei 
Wiederholung der Färbung mit Osmiumsäure und Holzessig wahr- 
genommen. Der dunkle Hof um den Querschnitt einer Nerven- 
faser ist jedoch nach meinen Beobachtungen an Quer- und 
Längsschnitten nur eine eigenartig gefärbte Neurogliascheide, 
nur Neurogliafäden, die infolge der Behandlung eine dunkle 
Färbung angenommen haben. Eine an die Markscheide der 
höheren Wirbeltiere erinnernde Hülle ist nicht vorhanden. Wie 
bereits andere Autoren, besonders Owsjannikoff (37), darauf 
hingewiesen haben, so sind die Fasern des Rückenmarks von 
Ammocoetes von besonderen Futteralen aus Gliafasern umgeben. 
Ein anderes anatomisches Element, in welchem die von Kolmer 
angenommene markartige Substanz eingelagert sein könnte, habe 
ich nicht gefunden. Ich sehe keinen Grund dafür, nur infolge 
der Eigenschaft dieser Gliafasern, nach gewissen Behandlungen 
eine dunkle Färbung anzunehmen, dieselben für ein morpho- 
logisches Homologon der Markscheide zu halten. Fettsubstanzen, 
welche für eine intensive Lebensfähigkeit des Nervensystems er- 
forderlich sind, werden jedenfalls im Rückenmark von Ammocoetes 
angetroffen; dieses hat Kolmer selber gefunden: „Bei längerer 
Einwirkung von starker Omiumsäure finden sich innerhalb der 
grauen Substanz in den Ganglienzellen, Gliazellen und zwischen 
denselben, manchmal intensiv schwarz gefärbte, grobe Körnchen 
oft in grosser Zahl und in unregelmässiger Verteilung. Ich 
möchte dieselben mit Wahrscheinlichkeit als Fett bezeichnen. 

Derartige Fetttropfen werden nach meinen Beobachtungen 
beständig an Präparaten beobachtet, welche in Flüssigkeiten mit 
einem Gehalt an Ösmiumsäure, z. B. Flemmingscher Flüssigkeit, 
behandelt worden sind. Soviel ich habe beobachten können, so 
ist entgegengesetzt der Meinung von Kolmer in den Nerven- 
zellen ein Fett vorhanden, seine Anwesenheit beschränkt sich 
nur auf die Gliazellen in der grauen Substanz. Besonders viele 
Fetttröpfchen sind in den Ependymzellen ; der Zentralkanal erscheint 
auf derartigen Präparaten von einem feinen dunklen Hof von 
Fetttröpfehen umgeben. Nach Behandlung der Präparate mit 
Flüssigkeiten ohne Osmiumsäure und bei nachfolgender Ein- 


638 D.-Tretjakoff: 


wirkung von Alkohol und Äther verbleiben in den Ependymzellen 
nur helle Vakuolen, welche ihrer Grösse nach den Fetttropfen 
entsprechen. Bei der Bestimmung, ob in gewissen Zellen oder 
zwischen solchen Fett vorhanden ist, muss der Umstand berück- 
sichtigt werden, dass das Mikrotommesser die durch Osmium- 
säure geschwärzten Fettkörnchen aus den Zellen herausreisst 
und sie auf dem ganzen Präparate verstreut. Derartige heraus- 
gerissene Körnchen werden natürlich auch in den Ganglienzellen 
ınd zwischen ihnen, wie es Kolmer beschreibt, gefunden. Ich 
muss jedoch mit Entschiedenheit darauf bestehen, dass Fett- 
tröpfehen sich ausschliesslich in den Ependym- und Gliazellen 
vorfinden: interzelluläre Tröpfchen sind nicht vorhanden. Am 
überzeugendsten sind hierfür natürlich Zelloidin-Paraffinpräparate ; 
bei einer derartigen Bearbeitung leiden die Fettkörnchen am 
wenigsten von dem Mikrotommesser; wenn auch auf derartigen 
Präparatan hin und wieder ein ausserhalb der Zelle gelegenes 
Körnchen vorhanden ist, so finden sich auch Anzeichen dafür, 
dass es dahin zufällig gelangt ist. 

Meine Beobachtungen über den Bau der Glia bestätigen 
vollkommen die Ansicht von Owsjannikoff (37), welcher sich 
auf Hämatoxylinpräparate stützt. Die Gliafasern winden sich 
zwischen sämtlichen Nervenelementen, umflechten dieselben, ver- 
zweigen sich in feinste Fibrillen, verflechten sich zu einem Netz 
und bilden Futterale um die Nervenzellen und deren Fortsätze. 
In den Futteralen um die Müllerschen Fasern winden. sich 
die Fibrillen ringförmig in mehreren Schichten; ausserdem jedoch 
sind hier auch Längsfasern vorhanden. 

Die Beschreibung von Owsjannikoff kann ich nur durch 
die Beobachtung vervollständigen, dass es gelingt, den Zusammen- 
hang sämtlicher Gliafasern mit Gliazellen zu verfolgen. In tech- 
nischer Hinsicht erwiesen mir gute Dienste ausser Präparaten 
nach Hämatoxylinfärbung auch solche, welche in Chromessigsäure 
fixiert und mit Safranin und Lichtgrün gefärbt worden waren. 

Um ein vollständiges Bild von dem Bau des Rückenmarks 
von Ammocoetes zu geben, will ich hier noch dessen allgemeine 
anatomischen Kennzeichen anführen. 

Vor allem fällt die flache Form des Rückenmarks auf: 
dieselbe wird bei allen erwachsenen Cyclostomen angetroffen. 
Bei anderen Fischen ist das Rückenmark mehr oder weniger 


Nervensystem von Ammocoetes 639 


zylindrisch, bei Amphioxus in Gestalt eines dreiseitigen Prismas. 
Bei den Embryonen der Üyelostomen ist das Medullarrohr 
prismatisch. 

Phylogenetisch stellt die flache Form des Rückenmarks 
natürlich eine sekundäre Erscheinung vor, ihre physiologische 
3edeutung bleibt unaufgeklärt; dieselbe könnte in einer 
mechanischen Anpassung gesucht werden; jedoch in mechanischer 
Hinsicht ist ein flaches, horizontales, bandförmiges Rückenmark 
unvorteilhaft. Wenn sich der Rumpf von Ammocoetes infolge 
der Tätigkeit der Muskulatur windet, so müssen die Ränder 
des Rhückenmarks stark gedehnt oder komprimiert werden, 
hierbei müssen jedoch auch die Rückenmarkselemente gedehnt 
oder komprimiert werden. Ich stelle mir vor, dass die Ursache 
der flachen Form des Rückenmarks in der Ernährungsweise des- 
selben liegt. Nach den Untersuchungen vieler Forscher sind 
innerhalb des Rückenmarks der Petromyzonten absolut keine Blut- 
gefässe vorhanden; dieselben treten nur im Gehirn auf. Es 
entsteht somit ein Gegensatz — das Rückenmark enthält keine 
Blutgefässe und behält die flache Form bei, das Gehirn enthält 
Gefässe und erreicht im allgemeinen Zylinderform. Ich denke 
mir, dass zwischen den angeführten Merkmalen ein kausaler 
Zusammenhang existiert. Die flache Form des Rückenmarks 
erleichtert am besten seine Ernährung aus dem oberflächlichen 
Gefässnetz. Dies ist in Vollkommenheit von Sterzi (52, 53) 
beschrieben und abgebildet worden: es genügt, die Abbildungen 
des Autors zu verfolgen, um eine vollkommen entsprechende 
Verteilung der Kapillaren und der Nervenzellen zu finden. In 
dem ventralen Netze werden zwei seitliche Streifen feiner 
Kapillarschlingen und ein mittlerer Streifen in der Längsrichtung 
des Rückenmarks aus gestreckten grossen Schlingen feinster 
Arterienästchen unterschieden. Beide seitlichen Streifen ent- 
sprechen genau den Zellbändern der ventralen Stränge. Der 
mittlere Streifen ohne Kapillaren liegt über der ventralen, zell- 
armen Kommissur. 

Im dorsalen Netze erreichen die Kapillarschlingen die 
grösste Dichte in den lateralen Zonen, wiederum entsprechend 
der Anordnung der grössten Mengen von Zellen. Der mittlere 
Streifen wird besser als auf der ventralen Seite mit Blut ver- 
sorgt und ist von einer grossen Zahl von Kapillaren bedeckt. 


640 D. Dretjakoff: 


Das Vorhandensein der Dorsalzellen bedingt offenbar einen Blut- 
zufluss. Die Arterienästchen bilden sogar längs der Mittellinie 
der dorsalen Oberfläche gleichsam eine kontinuierliche Kette — 
ein Längsgefäss.. Die Venen entstehen nicht nur vom Rande 
des Netzes, sondern auch aus der Mittelzone; der Blutabfluss 
ist hier noch besser gesichert als auf der ventralen Seite. 

Ich habe die Untersuchungen von Sterzi in extenso 
angeführt, um auf die grosse Abhängigkeit der Ernährung des 
Rückenmarks und der Anordnung seiner Elemente hinzuweisen. 
Es ist natürlich auch vollkommen zulässlich, dass die Form des 
Rückemmarks von seiner Ernährung abhängt oder besser für 
seine Ernährung angepasst ist. Auf Grund meiner Annahme 
wird es auch einleuchtend, warum das Rückenmarksband in 
einer horizontalen Ebene angeordnet ist. Für die Ökonomie des 
Organismus ist es wichtig, dass die Gefässe baldmöglichst ihren 
Bestimmungsort erreichen; dieses wird jedoch am besten durch 
die hier vorliegende Lagerung des Rückenmarks erzielt. Irgend- 
welche mechanischen Prinzipien sind hierbei nur von äusserst 
geringer Bedeutung. Ammocoetes bewahrt nicht und strebt 
auch nicht dahin, eine bestimmte Lagerung seiner dorso-ventralen 
Achse zu bewahren. Im Ruhezustande liegt er gewöhnlich auf 
der Seite, schwimmt jedoch gewandt mit der Rückenseite nach 
oben oder nach unten gerichtet. 

Möglicherweise hängt die besondere Anordnung der Dendriten 
der Nervenzellen, ihre Tendenz, sich durchaus in den oberflächlichen 
Schichten des Rückenmarks zu verzweigen, von der Ernährung ab. 
Die Nahrungssubstanzen des Blutes gelangen zunächst in die 
Endverzweigungen der Dendriten und werden durch die Ver- 
mittlung dieser den Zellen übergeben. Im Rückenmark vom 
Neunauge tritt besonders deutlich die Rolle der Dendriten als 
eine Anpassung für die Vergrösserung der Ernährungsoberfläche 
der Zelle hervor. Damit wird auch die Bildung des oberflächlichen 
Netzes der Endverzweigungen, welche dem Rückenmark des 
Neunauges im Vergleich zu den höheren Wirbeltieren einen 
besonderen Charakter verleiht, im allgemeinen verständlich. 

Die mechanische Aufgabe des Rückenmarks kann in An- 
passungen an eine Streckung und Kompression bei den Körper- 
bewegungen bestehen. Eine derartige Anpassung ist in der 
Anordnung der Dendriten und Endfäden, besonders bei den 


Nervensystem von Ammocoetes. 641 


motorischen und amakrinen Zellen des I. Typus, gegeben. Die 
Endfäden der Dendriten ordnen sich nach Möglichkeit in einer 
Frontalebene an. Bei einer jeglichen Streckung der Ränder des 
Rückenmarks können derartige frontale Systeme auf verschiedene 
Winkel ohne Gefahr des Risses der Fäden sich voneinander ent- 
fernen. Würden sich die Fäden am Rande des Rückenmarks in 
der Längsrichtung ausbreiten, so würden sie stets Gefahr laufen 
zu zerreissen. 

Die Dendriten der Zellen des II. und III. Typus, welche in 
der Längsrichtung des Rückenmarks verlaufen, unterscheiden sich 
durch besondere Dicke und Festigkeit; deren Endverzweigungen 
ordnen sich jedoch wiederum in Frontalebenen an. Die längs- 
verlaufenden Fasern zeichnen sich durch ihren ziekzackförmigen 
Verlauf aus; bei der Streckung des Rückenmarks zerreissen sie 
folglich nicht, sondern werden gestreckt. An der Austrittsstelle 
der Wurzeln, besonders der ventralen, ist noch eine Besonderheit 
zu erkennen: die Fasern sind stark verdickt. In den dorsalen 
Wurzeln ist diese Verdiekung weniger scharf und voll ausgeprägt, 
da die Wurzeln näher zur Mittellinie des Rückenmarks in den- 
selben eindringen, wo eine Streckung der Ränder keine grossen 
Deformationen bewirkt. Um so deutlicher ist die Verdickung 
der ventralen Wurzeln, welche näher zum Rande in das Rücken- 
mark eindringen. Das System der Müllerschen Fasern kann 
als eine besondere Anpassung gegen das Durchreissen eines 
wichtigen Systems, welches die Schwanzmuskulatur mit dem 
Gehirn, mit den Zentren der höheren Sinnesorgane, verbindet, 
angesehen werden. Die besondere Mächtigkeit der Fasern und 
die Festigkeit ihrer Neurogliascheide haben meiner Meinung 
nach zunächst die Bedeutung, diesem Fasersystem eine mechanische 
Festigkeit zu verleihen. Derartige Fasern können natürlich, 
ohne dass für sie die Gefahr eines Risses vorliegt, gestreckt 
verlaufen. Bei einer detaillierten Betrachtung der Anordnung 
der Zellen und ihrer Verzweigungen können noch viele Kenn- 
zeichen gefunden werden, welche vom Standpunkte einer 
mechanischen Anpassung leicht erklärlich sind. Die angeführten 
Beispiele sind, denke ich mir, hinreichend, um die Besonderlich- 
keiten des Aufbaues des Rückenmarks der Üyelostomen, welche 
das Nervensystem nicht als solches charakterisieren, sondern in 
Berücksichtigung der mechanischen und trophischen Bedingungen, 


642 DER° TER AK RL: 


in denen es sich befindet, klar zu stellen. Ausser diesen sind 
natürlich noch morphologische Kennzeichen vorhanden, welche 
ausschliesslich durch die Aufgabe des Rückenmarks, Nerven- 
erregungen weiterzuleiten, bedingt sind. Im Nervensystem eines 
jeden Tieres müssen voneinander streng geschieden werden die 
Eigentümlichkeiten des Baues, welche das Nervensystem als 
solches im Zusammenhang mit dessen speziellen Aufgaben 
charakterisieren, von den Anpassungen rein mechanischen und 
trophischen Charakters. In Abhängigkeit von einem besonderen 
Körperbau, von besonderen Lebensbedingungen schwanken die 
letzten zwei Faktoren in beträchtlichem Maße. 

Die spezielle Aufgabe des Nervensystems bleibt stets dieselbe, 
der Bau dieses, welcher zur Erfüllung jener Aufgabe erforderlich 
ist, bleibt auch derselbe. Unsere Aufgabe besteht vor allem 
darin, aus der Mannigfaltigkeit der Tatsachen das Grundprinzip 
des Aufbaues unabhängig von sekundären Veränderungen zu er- 
fassen. Nur in dem Falle, wenn die Problemfrage strikt gestellt 
ist, erhalten die Annahmen einer Homologie gewisser histologischer 
Elemente des Nervensystems bei den verschiedenen Tieren einen 
höheren Wert. Im entgegengesetzten Falle liegt die Gefahr vor, 
dass konvergente Erscheinungen, welche in verschiedenen Fällen 
durch verschiedenartige Bedingungen hervorgerufen werden, als 
homolog anerkannt werden. Meinen Versuch halte ich natürlich 
in bezug auf das Rückenmark von Ammocoetes als nicht voll- 
kommen erschöpfend. Es bleibt noch ein weites Feld dem 
Experiment beibehalten. Nichtsdestoweniger habe ich auf die 
angegebene Weise versucht, das Problem einzuteilen und aus 
einer Betrachtung über Homologie diejenigen Merkmale auszu- 
schliessen, welche für das Nervensystem nur einen zufälligen 
Charakter haben. 

Viele Forscher suchen energisch den Gedanken durchzu- 
führen, dass das Studium der nıederen Formen der Tiere nicht 
nur die physiologischen Probleme nicht erklärt, sondern im 
Gegenteil neue Schwierigkeiten schafft; nur eine vollkommen 
deutlich ausgeprägte Differenzierung der Funktionen im Zusammen- 
hang mit der morphologischen Differenzierung ergibt die erfass- 
baren Kennzeichen, welche mit Erfolg von der Physiologie aus- 
genutzt werden können. Ich denke mir, dass eine derartige 
Ansicht ausschliesslich auf einer Nichtbeachtung des von mir 


05) 
Nervensystem von Ammocoetes. 645 


angeführten Prinzipes einer strengen Sichtung des wesentlichen 
von dem unwesentlichen begründet ist. In Berücksichtigung der 
Erfolge der Anatomie und Embryologie, deren Grund gerade die 
Erforschung der niederen Formen ist, klingt die Behauptung 
über die Nutzlosigkeit derartiger Arbeiten für die Physiologie 
geradezu paradox. Es genügt ja, sich der Erfolge beider Wissen- 
schaften zur Zeit Johannes Müllers, des allgemeinen Ver- 
treters beider, zur Zeit, als die vergleichende Anatomie die 
sicherste Stütze der Physiologie bildete, zu erinnern. 

Seit der Zeit Golgis werden in dem Rückenmark der 
Wirbeltiere zwei Haupttypen von Nervenzellen unterschieden, 
und zwar: Zellen mit kurzem Nervenfortsatz und Zellen mit 
langem Nervenfortsatz. Bei den letzteren werden noch drei 
Untertypen angegeben — motorische Zellen, Kommissurenzellen 
und Strangzellen. Im allgemeinen wird angenommen, dass die 
Kommissurenzellen und die Strangzellen dieselbe Funktion aus- 
üben, wobei sie sich nur durch den Verlauf ihrer Nervenfortsätze 
unterscheiden. Retzius (45) schlägt vor, dieselben „Kommissuren- 
strangzellen und direkte Strangzellen“ zu nennen. Die Nerven- 
fortsätze beider Faserarten verzweigen sich wahrscheinlich in 
verschiedenen Gebieten des Zentralnervensystems. Ich folge 
nicht dem allgemeinen Schema. Bei Ammocoetes sind die Be- 
ziehungen der Zellen zueinander dermassen einfach und klar, 
dass die Zellen ihrer Funktion nach unterschieden werden 
können. Beim Studium der Elemente des Nervensystems werden 
wir vor allem von der Überzeugung ihres funktionellen Zu- 
sammenhanges geleitet: „Si les cellules nerveuses sont, en m&me 
temps, les organes d’origine des fibres nerveuses et les corps 
el&mentaires ol se deploient les activites specifiques qui la phy- 
siologie attribue aux centres nerveux, il est naturel de rechercher 
dans la nature et dans les rapports matcriells de ces mömes corps 
elementaires le m&canisme qui explique la connection fonctionnelle 
dont il s’agit“. Diese Worte von Golgi (18) rechtfertigen am 
besten die Bezeichnung der Nervenzellen nicht nach ihren topo- 
graphischen Merkmalen, sondern nach ihrer erwiesenen Funktion. 
In Befolgung dieses Prinzips teile ich die Zellen des Rücken- 
marks in motorische Koördinationszellen und Assoziationszellen 
ein. Da jedoch die allgemeine Funktion der Nervenzellen und 


-fasern in der Weiterleitung nervöser Erregungen auf ver- 
Archiv f. mikrosk. Anat, Bd. 73, 42 


644 D. Tretjakoff: 


schieden weite Entfernungen besteht, so ist es erforderlich, diese 
physiologischen Gruppen noch weiter nach topographischen Merk- 
malen zu teilen. Als topographische Merkmale nehme ich die 
Lagerung der Zellen im Rückenmark und die Verteilung der 
Dendriten an. 

Bei Abwesenheit von Extremitäten offenbart Ammocoetes 
nur eine Bewegung — die Bewegung des ganzen Körpers, welche 
durch aufeinanderfolgende Kontraktionen sämtlicher Körpermuskeln 
bedingt wird. In jedem Punkt des Rückenmarks muss die Nerven- 
erregung auf gleichem Wege den motorischen Zellen übergeben 
werden. Von wo die Empfindung ausgehen mag, die durch 
dieselbe hervorgerufene Nervenerregung muss das ganze Rücken- 
mark erfassen. Die Abtrennung des Kopfes alteriert durchaus 
nicht den Charakter der Körperbewegungen, in der ersten Zeit 
nach der Operation stimuliert dieselbe sogar energische Kon- 
traktionen. Selbst nach drei bis vier Stunden winden sich die 
dekapitierten, an der Luft liegenden Ammocoetes, gleichwie 
lebende, auf jede Berührung hin. Das Nervensystem dieser Tiere 
spiegelt, nach meinen Beobachtungen, seinem Bau nach den Zu- 
sammenhang der Nervenelemente wieder, welcher in Berück- 
sichtigung des Charakters der Bewegungen erwartet werden 
kann. Wie auch bei anderen neurologischen Forschungen, nach 
dem autoritätvollen Ausspruch von Golgi, so verwandelt sich auch 
hier die physiologische Frage in eine speziell histologische Aufgabe. 

In dem Rückenmark von Ammocoetes finde ich die Neuronen- 
theorie in vollkommener Ausführung. Sowohl Kolmer als ich 
haben freilich zwischen den Dorsalzellen paarweise verbundene 
Zellen beobachtet. Der sich in mancher Hinsicht offenbarende 
degenerative Charakter des dorsalen Kernes gibt jedoch nicht 
das Recht, für diese Zellverbindung desselben eine prinzipielle 
Bedeutung anzuerkennen. Eine derartige paarweise Verbindung 
von Zellen befriedigt jedenfalls nur wenig die Ansichten der 
Gegner der Neuronentheorie. Der Kontakt der Verzweigungen 
der Nervenzellen geht hauptsächlich in dem oberflächlichen 
Geflecht vor sich. Im Geflecht der dorsalen Oberfläche des 
Rückenmarks beteiligen sich einerseits die zentralen Fasern der 
extramedullären Ganglienzellen, andererseits die Dendriten der 
motorischen und Schaltzellen. Die motorischen Zellen nehmen 
die Erregung durch Vermittlung ihrer Dendriten unmittelbar 


Nervensystem von Ammocoetes. 645 


von den Fasern der dorsalen Wurzeln auf. Je nach dem 
Typus sind die motorischen Zellen mit einem oder einer 
grösseren Anzahl von Verbreitungsgebieten der sensiblen Fasern 
verbunden. Welche Bedeutung haben in diesem Falle die 
Schaltzellen, welche sich im Gebiet der dorsalen Stränge 
verzweigen? Ihre Fortsätze werden nur in seltenen Fällen 
— bei den Zellen des III. Typus und bei den Dorsalzellen — 
zu längsverlaufenden Rückenmarksfasern. Sie verbinden grössten- 
teils die dorsalen Stränge mit den ventralen oder richtiger mit 
dem oberflächlichen Geflecht der ventralen Stränge. Dieses 
Geflecht besteht aus Dendritenverzweigungen motorischer Zellen 
und der Kollateralen der Bogenfasern. Die am Geflecht be- 
teiligten Koördinationszellen übergeben indirekt die Reizung von 
den dorsalen Wurzeln auf die motorischen Zellen. 

Die Abwesenheit des Markes an den Nervenfasern des 
Rückenmarks sowie überhaupt das Fehlen einer jeglichen Hülle 
an denselben ist wahrscheinlich von Einfluss auf die Leitungs- 
bedingungen der Nervenreizung. Die Schaltzellen, deren Fort- 
sätze zwischen den Müllerschen Fasern verlaufen, umflechten 
mit ihren Endverzweigungen die letzteren. Wahrscheinlich 
ist überhaupt ein funktioneller Zusammenhang zwischen den 
Längsfasern und den Endigungen des Geflechtes zwischen ihnen 
vorhanden. Unter diesen Bedingungen übt jede Erregung der 
Fasern der weissen Substanz einen Einfluss auf diejenigen Nerven- 
zellen aus, mit deren Dendriten sie in Kontakt stehen. Beim 
Fehlen eines gut entwickelten Systems von Strangzellen ist 
anders die Regelmässigkeit einer Verbreitung der Erregung auf 
das ganze Rückenmark von jedem beliebigen Punkt aus schwer 
verständlich. Bei Ammocoetes ist nur ein Reflex vorhanden — 
der Reflex des ganzen Körpers; das Gesamtnervensystem steht zu 
Diensten dieses Reflexes. Bestimmte, mehr oder weniger in sich 
abgeschlossene Neuronensysteme, welche gewisse Reflexe bedingen, 
sind bei Ammocoetes nicht vorhanden. Alle Rückenmarkselemente 
sind auf irgendeine Weise in ein System verbunden. Dasselbe er- 
scheint verwirrt infolge einer äusserst ökonomischen Anordnung der 
Elemente im Zusammenhang mit ihren Ernährungsbedingungen. 

Die Hauptresultate meiner Untersuchung sind folgende: 

In dem Rückenmark von Ammocoetes unterscheide ich drei 
Typen motorischer Zellen. Die Dendriten der Zellen des I. Typus 


42* 


646 DITretjakorft: 


verzweigen sich in einem schmalen Quergebiet des Rückenmarks, 
welches an Höhe kaum die Dicke der Zelle selber übertrifft. 
Die Zellen des II. und III. Typus entsenden ihre Dendriten in 
der Längsrichtung des Rückenmarks auf mehr oder weniger 
weite Entfernungen. 

Die Koördinationszellen entsprechen nur zum Teil den Strang- 
zellen bei anderen Tieren; nach der Anordnung ihrer Dendriten 
zerfallen sie auch in drei Typen. Bloss bei einer Gruppe der 
Zellen des III. Typus kann einer der Fortsätze als Nerven- 
fortsatz angesprochen und die Zellen als echte Strangzellen 
bezeichnet werden. Bei den anderen Koördinationszellen unter- 
scheidet er sich durchaus nicht von Dendriten, die Zellen stellen 
amakrine Zellen dar. Die Zellen des dorsalen Kernes — die 
Hinterzellen der Autoren — stellen einen Typus von Asso- 
ziationszellen vor und haben keine unmittelbare Beziehung zu 
den dorsalen Wurzeln. 

Die Kommissurenfasern (der vorderen Kommissur) gehören 
aller Wahrscheinlichkeit nach besonderen Zellen an, welche ihrer 
Form nach sich nicht von den motorischen Zellen unterscheiden 
und zu den Assoziationszellen gehören. 

Ein Kontakt geht vermittelst der Endfäden der Zellfort- 
sätze vor sich. Ausserdem umflechten die Endfäden, indem sie 
sich zwischen den nackten Achsenzylindern verzweigen, dieselben 
und stehen augenscheinlich mit ihnen in Kontaktverbindung. 

Die Fasern der dorsalen Wurzeln entstehen nicht aus den 
Dorsalzellen, sondern gelangen ins Rückenmark von extra- 
medullären Zellen und endigen in ihm in Endverzweigungen. 

Das Rückenmark von Ammocoetes ist, meiner Meinung 
nach, im Prinzip ebenso aufgebaut wie das Rückenmark eines 
beliebigen anderen niederen Wirbeltieres bis zu den Reptilien 
einschliesslich, worauf ich in einem weiteren Kapitel näher ein- 


gehen will. i 


Untersuchungen anderer Forscher. 


Bei Aufstellung der Typen der Nervenelemente im Rücken- 
mark von Ammocoetes habe ich nur die Einzelheiten des Baues 
derselben und der Anordnung der Zellen und Fasern be- 
schrieben, welche für diese Typen charakteristisch sind. Von 
anderen Forschern ist eine Menge anderer Einzelheiten beschrieben 


Neryensystem von Ammocoetes. 647 


worden, welche eine vollere Vorstellung von der Mannigfaltigkeit 
des äusseren Anblicks der Nervenzellen des Rückenmarks von 
Ammocoetes geben. Ich habe nicht die Absicht, diese Einzel- 
heiten hier zu wiederholen, sondern will mich nur bemühen, das 
grosse Literaturmaterial zu systematisieren, in Rücksicht auf die 
von mir festgestellten Typen. 


Die Forscher früherer Zeiten entschieden höchst einfach 
die Frage über den Zusammenhang der Zellen mit den Fasern. 
Owsjannikoff schreibt z. B. in seiner Arbeit über diese Frage: 
„Ab unaquaque cellula, id quod plane animadvertere possumus, 
una fibra ad partem auteriorem, altera ad posticum porrigitur, 
quo facto ambae e medulla spinali proveniunt, nervi spinalis 
radices appellatae“ (36). 


Die Nervenfasern entspringen im Rückenmark von Ammo- 
coetes dermassen, dass es unmöglich ist, ihren Zusammenhang mit 
Nervenzellen auf einem feinen Querschnitte zu sehen. Diese 
Unmöglichkeit war sofort von denjenigen Forschern konstatiert 
worden, welche imstande waren, die ihnen zugänglichen Forschungs- 
methoden bis zu den äussersten Grenzen auszunutzen; dieselben 
zogen daher ihre Schlüsse auf Grund einer grossen Anzahl von 
Präparaten. Zu diesen Forschern gehört vor allen E. Reissner 
(41). Von seinen Untersuchungen an beginnt tatsächlich die 
faktische Kenntnis des Baues des Rückenmarks der Cyelostomen. 


Die motorischen Zellen hat Reissner unter der Bezeich- 
nung der äusseren grossen Nervenzellen beschrieben. Nach den 
Worten dieses Autors, wechselt ihre Form von einer spindel- 
förmigen bis zu einer sechsseitigen; die Zahl der Fortsätze er- 
reicht sechs. Die Fortsätze konnten natürlich nur auf kurze Strecken 
verfolgt werden. Reissner nimmt eher einen Zusammenhang 
der Zellen mit den Fasern der ventralen Wurzeln an. Auf drei 
Figuren bildet er Zellen mit Fortsätzen ab, von welch letzteren 
(nach seiner Terminologie) der eine nach aussen und unten zum 
unteren Rande des Rückenmarksquerschnittes verläuft; dem Fort- 
satz entgegen ziehen die Fasern der ventralen Wurzeln. Einmal 
gelang es jedoch diesem Forscher den erwähnten Zellfortsatz 
über den Rand des Rückenmarks hinaus „in die motorische 
Wurzel selber“ zu verfolgen. Soviel ich nach der Abbildung 
beurteilen kann, so entspricht das Aussehen der von Reissner 


648 DIDTEerT AK TT: 


angenommenen Nervenfaser sehr wenig dem Tatsächlichen, infolge- 
dessen ich die Beobachtung von Reissner als zweifelhaft ansehe. 

Reissner beobachtete mit Owsjannikoff (36) die 
Dendriten der motorischen Zellen in der vorderen Rückenmarks- 
kommissur stets ventral vom Zentralkanal, hat jedoch im Gegen- 
satz zuQOwsjannikoff niemals eine Verbindung der Dendriten 
mit Zellen der entgegengesetzten Seite gesehen. Er hält ferner 
gleichermassen für Dendriten diejenigen queren Fasern der vorderen 
Kommissur, deren Verbindung mit Zellen er nicht hat feststellen. 
können. Er bezeichnet diese Fasern als — „bald kürzere, bald 
längere Achsenzylinder“, wahrscheinlich auf Grund irgendwelcher 
Kennzeichen, durch welche sie sich von einfachen Zellfortsätzen 
unterscheiden. Wahrscheinlich hat er jedoch keine Dendriten, 
sondern die echten Nervenfasern der ventralen Stränge gesehen. 

Rätselhaft bleibt für mich die Beschreibung der Zellfort- 
sätze, welche gerade nach aussen oder schräg nach aussen und 
oben oder sogar nach aussen und unten verlaufen. Reissner 
hält auch diese Fortsätze für Verbindungsbahnen der Vorder- 
und Seitenstränge mit motorischen Zellen; er homologisiert diese 
Fortsätze mit denjenigen Nervenfasern im Rückenmark der 
Wirbeltiere, welche von der grauen Substanz radiär in die Seiten- 
und Vorderstränge verlaufen. Reissner behauptet, dass er in 
einigen Fällen einen Zusammenhang der Radiärfasern mit den 
grossen Nervenzellen, d. h. den motorischen Zellen, hat wahr- 
nehmen können. Tatsächlich jedoch gibt es an den motorischen 
Zellen keine streng radiär auseinanderziehenden geraden Fortsätze; 
ich vermute, dass Autor durch stark tingierte Neurogliafasern 
irregeleitet worden war. 

In den Untersuchungen von Nansen (35) und Retzius 
(43) über das Rückenmark von Myxine sind die Zellen zu wenig 
charakterisiert: es wird nur auf ihre Grösse und Lagerung 
hingewiesen. Diese Kennzeichen genügen natürlich nicht, um 
zwischen den von beiden Forschern beschriebenen und abgebildeten 
Zellen tatsächlich motorische Zellen aufzufinden. Nansen arbeitete 
vermittelst der Methode von Golgi, Retzius ausserdem noch 
mit der Methylenblaumethode. Die Vorteile dieser Methoden 
treten natürlich in den Untersuchungen beider Forscher hervor. 
Nansen erhielt vollständige Bilder von der Anordnung der 
Zellfortsätze und versuchte zwischen denselben Neuriten und 


Nervensystem von Ammocoetes. 649 


Dendriten zu unterscheiden. Retzius beschrieb die Endigung 
der Fortsätze auf der Oberfläche des Rückenmarks in Gestalt 
von queren varikösen Fäden. Nichtsdestoweniger war es beiden 
Forschern nicht gelungen, die Beziehungen der Zellen zu den 
Nervenfortsätzen und Wurzeln klarzustellen. 

Die von beiden Autoren beschriebenen grossen und ein 
Teil der kleinen Nervenzellen entsprechen wahrscheinlich den 
motorischen Rückenmarkszellen von Ammocoetes. Diese Frage 
absolut bestimmt zu entscheiden, ist schwierig, da Nansen den 
Begriff eines „gemischten Fortsatzes“ einführt. Darunter be- 
schreibt er einen Zellfortsatz, der seinem Aussehen nach einem 
Dendriten entspricht; aus seinen Verzweigungen entsteht jedoch 
ein echter Nervenfortsatz. 

Retzius untersuchte zum Teil gleichfalls Neunaugen und 
bestelt auf der vollkommenen Baugleichheit des Rückenmarks 
derselben mit demjenigen von Myxine. In seltenen Fällen war 
es ihm gelungen, einen Übergang des Zellfortsatzes in einen 
charakteristischen Nervenfortsatz zu sehen. In anderen Fällen 
konstatiert er die Anwesenheit eines gemischten Fortsatzes im 
Sinne Nansens. 

Der Ursprung der Nervenfaser hat im Rückenmark von 
Ammocoetes nichts gemein mit den Dendriten und ich nehme 
an, dass „der gemischte Fortsatz“ von Nansen und Retzius 
ein Missverständnis ist. Soweit aus den Figuren und dem Text 
geschlossen werden kann, handelt es sich hier um Zellen des II. 
und Ill. Typus; unvollkommen gefärbte Dendriten waren von den 
Forschern für Nervenfortsätze gehalten worden. Der Ursprung 
des Nervenfortsatzes ausschliesslich bei den Zellen des II. Typus 
kann in einem gewissen Grade an einen Dendriten erinnern, 
wenn von demselben Kollateralen abgehen, jedoch nicht in dem 
Maße, dass ein besonderer Typus der Zellfortsätze, „ein gemischter 
Fortsatz“, geschaffen werden muss. 

Für ein wenig wesentliches Merkmal halte ich den von 
beiden Autoren beschriebenen „Stammfortsatz“ der motorischen 
Fortsätze, welcher seitlich Nebendendriten absendet. Wenn 
derartige Dendriten auch angetroffen werden, so erscheinen sie 
mehr als einfache Fortsetzung des Zellkörpers. Für die Zellen 
sind sie überhaupt wenig charakteristisch: bloss bei den 
motorischen Zellen des III. Typus erhalten sie eine besondere 


650 DıBretjakoff: 


Entwicklung; diese Zellen fehlen jedoch gerade in der Beschreibung 
beider Autoren. | 

Die den motorischen Zellen angehörigen Randzellen werden 
von Reissner und von Retzius erwähnt. 

Die zweite Arbeit von Owsjannikoff (37) zeichnet sich 
durch eine sorgfältige Charakteristik der Nervenelemente des 
Rückenmarks von Neunaugen aus. Das Aussehen der Zellen 
und die Ausbreitung der Fortsätze werden nach Quer- und 
Längsschnitten des Rückenmarks, sowie nach Totalpräparaten 
beschrieben. Nach der Beschreibung und den Photogrammen 
können die Zelltypen leicht erkannt werden. 

Eine typische motorische Zelle mit dem Anfangskegel des 
Nervenfortsatzes ist auf Fig. 15 abgebildet, der Verfasser gibt 
jedoch in der Figurenerklärung keine nähere Erklärung derselben. 
Im Text ist der Ursprungskegel denjenigen Fortsätzen der Zelle 
zugezählt, welche in Längsfasern übergehen. Der Verfasser 
spricht ihnen jedoch nicht die Bedeutung von motorischen 
Fasern zu; aus dem unklar abgefassten Text scheint hervor- 
zugehen, dass er das Vorhandensein zweier derartiger Fortsätze 
an einer Zelle annimmt. „Der dritte und vierte Fortsatz gehen 
in die Längsnerven, der eine in der Richtung des Kopfes, der 
andere zum Schwanze des Tieres.“ Dass es sich hier um die 
Nervenfortsätze motorischer Zellen handelt, darauf weist folgende 
Bemerkung des Verfassers hin: „Nur die in die weisse Substanz 
sich begebenden, um zu Längsfasern des Markes zu werden, 
verzweigen sich seltener“. Der Verfasser ist eher geneigt, die 
lateralen Fortsätze der Zellen für motorische Fasern anzuerkennen: 
einige Fortsätze ein bestimmtes, leicht erkennbares Ziel 
verfolgen, ız#Bin..L.uH: nach aussen streben, um das Mark als 
vordere Wurzelfasern zu verlassen.“ Den Längsfasern spricht er 
somit offenbar Assoziationsfunktionen zu. Tatsächlich ist jedoch 
die Bedeutung der Fortsätze gerade die entgegengesetzte. 

Den vorher erwähnten Forschern nachfolgend unterscheidet 
Owsiannikoff im Rückenmark vom Neunauge vier Typen von 
Zellv ı: grosse, kleine, Hinterzellen und Zellen des Seitenstranges. 
Zwe: Typen, der erste und der letzte, entsprechen meinen 
mot‘ ischen Zellen. Meinem I. Typus gehören die Zellen an, 
welc e nach der Ansicht von Owsjannikoff mit ihrer Längs- 
achs+ quer im Rückenmark liegen. Nach der Beschreibung des 


Nervensystem von Ammocoetes. 651 


Verfassers weist eine derartige Zelle auf Längsschnitten in 
typischen Fällen vier Fortsätze auf. Der eine, äussere verläuft 
parallel der dorsalen und ventralen Rückenmarkstläche in querer 
Richtung zum äusseren Rande, der zweite desgleichen quere 
Fortsatz zieht in die andere Rückenmarkshälfte und endigt in 
Verzweigungen. Der dritte und vierte Fortsatz geht in Längs- 
fasern des Rückenmarks über. Hinsichtlich der Bedeutung, 
welche Owsjannikoff dem äusseren und den Längsfortsätzen 
zuschreibt, habe ich bereits bei Besprechung der Fig. 15 seiner 
Arbeit hingewiesen. 

Bei der Beschreibung deyselben Zellen auf Querschnitten 
unterscheidet Verfasser bereits drei Arten äusserer Fortsätze. 
Der eine von ihnen verläuft zur oberen Fläche des Rückenmarks 
und bildet auf seinem Verlauf eine grosse Zahl von Verzweigungen. 
Der andere, untere Fortsatz verzweigt sich in der unteren 
Rückenmarkshälfte, wobei ein Ast desselben sich in eine Faser 
der vorderen Wurzel umwandelt. Der dritte Fortsatz zieht zur 
äusseren Kante der weissen Substanz. 

Die von mir beschriebenen motorischen Zellen des II. und 
Ill. Typus sind desgleichen von Owsjannikoff angegeben 
worden und zwar als Zellen, die zur Längsachse des Rücken- 
marks schräg gestellt sind (Fig. 7, 11, 15) und einen dicken, 
bogenförmigen Fortsatz haben.,. 

Die Randzellen bezeichnet Owsjanikoff als „Zellen mit 
dem Charakter der grossen vorderen Zellen“. Sämtliche Fort- 
sätze dieser Zellen verbreiten sich nach der Beschreibung des 
Verfassers nur in der Frontalebene. „Der eine Fortsatz ist 
nach aussen, der andere nach innen gerichtet, während der 
dritte die Richtung nach oben, der vierte nach unten einschlägt.“ 
Über die Bedeutung dieser Zellen sagt er nichts aus. 

In der Arbeit von Kolmer finde ich die Zellen des 
I. Typus unter den grossen, multipolaren Zellen der Seiten- 
stränge. ler Ursprungskegel des Nervenfortsatzes ist auf den 
Fig. 13 und 14 abgebildet, sowie im Schema wiedergegeben. 
Im Texte äussert sich der Verfasser über ihn sehr vorsichtig. 
„Nur in ganz vereinzelten Fällen bemerkte ich an Zellen der 
eben geschilderten Art einen anscheinend wenig verzweigten, 
ziemlich weit in die Längsrichtung sich erstreckenden Fortsatz, 
der gleichmässig an Dicke abnahm, bis er sich zur Stärke einer 


652 D. Pretjakoff: 


dickeren Neurofibrille verjüngte...... Da auch die vorderen 
Wurzelfasern weit von ihrem Eintritt ins Rückenmark eine Ver- 
schmälerung bis auf die gleiche, geringe Dimension aufweisen — 
ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie dann mit diesen Achsen- 
zylinderfortsätzen zusammenhängen.“ 

Kolmers Annahme hat sich als richtig erwiesen. Die 
Unterscheidungsmerkmale des Nervenfortsatzes sind jedoch dem 
Verfasser entgangen. Nach seiner Meinung sind bei Öyelostomen 
überhaupt keine von den Dendriten histologisch differenzierten 
Nervenfasern vorhanden. Dieser Ansicht von Kolmer kann 
natürlich nicht beigestimmt werden. Der Nervenfortsatz der 
motorischen Zellen unterscheidet sich in vieler Hinsicht von den 
Dendriten. Wenngleich von einem anderen Gesichtspunkte, 
stimme ich dennoch dem Verfasser vollkommen zu, dass der 
Ausdruck „gemischter Fortsatz“ gestrichen werden muss. 

Über das Verhalten der motorischen Zellen des III. Typus 
zu den von Kolmer beschriebenen Kolossalzellen habe ich 
bereits oben geschrieben, desgleichen über die Zugehörigkeit 
seiner Randzellen zu den motorischen Zellen. Ich habe nur 
noch hinzuzufügen, dass der Verfasser sich irrtümlich die 
Priorität ihrer Entdeckung zuschreibt. Owsjannikoff hat der- 
artige Zellen abgebildet und dieselben den grossen Nervenzellen 
zugezählt. » 

Ich finde ausserdem keinen Anhaltspunkt für die Annahme 
von Kolmer, dass seine Kolossalzellen ontogenetisch aus einer 
Verschmelzung mehrerer Elemente entstanden sind. Ihre Ähnlich- 
keit mit den Riesenzellen im Rückenmark von Amphioxus erfordert 
festere und sicherere Anhaltspunkte. Der Zusammenhang der 
Randzellen mit den Bogenfasern der ventralen Rückenmarks- 
oberfläche ist nur eine Annahme von Kolmer. 

Beim weiteren Studium der Literatur finde ich, dass auch 
die Koördinationszellen bereits vor langer Zeit von den Forschern 
wahrgenommen worden sind und in der Mehrzahl der Fälle von 
ihnen als kleine Nervenzellen bezeichnet worden sind. Ihre Be- 
deutung, ihr Zusammenhang mit Nervenfasern ist jedoch noch 
weniger bekannt als diejenige der grossen Zellen. 

E. Reissner hat tatsächlich als erster die kleinen Nerven- 
zellen beschrieben. Einen Hinweis auf ihre Bedeutung sucht er 
in der Verlaufsrichtung der Fortsätze. In einigen Fällen hatte 


Nervensystem von Ammocoetes. 653 


er bemerkt, dass die Verlaufsrichtung der Fortsätze der Eintritts- 
stelle der dorsalen Wurzel entspricht. Auf einem Präparate hat 
er sogar den Zellfortsatz bis zu der Stelle der Peripherie des 
Rückenmarks verfolgt, wo die dorsale Wurzel nachblieb. Die 
Betrachtungen Reissners erscheinen jetzt natürlich naiv: weder 
die Verlaufsrichtung eines Fortsatzes, noch seine Annäherung an 
einen Wurzelanfang können als Beweis für einen tatsächlichen 
Übergang desselben in eine Wurzel dienen. Die Mehrzahl der 
kleinen Nervenzellen von Reissner stellen Schaltzellen dar, 
der Rest motorische Zellen mittlerer Grösse. 

In der Arbeit von Retzius müssen die Schaltzellen 
unter den Zellen, welche der Verfasser als „mittelgrosse“ be- 
zeichnet hat, gesucht werden. Sie sind in geringer Zahl, nach 
den Worten des Verfassers, in der Nähe des Zentralkanals gelegen. 
Die Anordnung der Fortsätze entspricht vollkommen derjenigen 
der Fortsätze der grossen motorischen Zellen; der peripherische 
Fortsatz zieht entweder im Rückenmark direkt quer zum äusseren 
Rande des letzteren oder verläuft zunächst eine gewisse Strecke 
in der Längsrichtung, wendet sich darauf nach aussen und zieht 
zur Oberfläche des Rückenmarks. Retzius hat somit alle drei 
Typen der Schaltzellen gesehen. 

Besondere Aufmerksamkeit widmet Owsjannikoff den 
kleinen Zellen. Auf dem Querschnitt liegen nach ihm die kleinen 
Zellen höher und näher zum Zentralkanal als die grossen Zellen: 
„Man könnte die Zellengruppe, in welcher diese Elemente liegen, 
als obere bezeichnen“. Sämtliche kleine Zellen sind nach den 
Beobachtungen des Verfassers multipolar, die Verlaufsrichtung 
der Fortsätze ist dieselbe wie bei den grossen Zellen. Unter 
den Fortsätzen sind zwei für die Zellen besonders typisch; der 
eine verläuft nach aussen in die Seitenstränge, der andere auf 
die entgegengesetzte Rückenmarkshälfte über dem Zentralkanal. 
Die Fortsätze einiger kleiner Zellen gehen in die dorsalen Wurzeln 
derselben oder der entgegengesetzten Seite über. Derartige- 
Zellen hält Owsjannikoff für homolog den von Kutschin (31), 
Weliki(56) und Freud (11) beschriebenen, worin er sich jedoch 
täuscht. Letztere Forscher weisen auf einen Übergang der Fort- 
sätze von Hinterzellen und nicht von kleinen Zellen in die 
Wurzeln hin. Er irrt desgleichen hinsichtlich des Ursprungs der 
sensiblen Wurzeln; die letzteren haben gar keine Beziehung zu 


654 D. Tretjakoff: 


den kleinen Zellen. Die Mehrzahl der von Owsjannikoff 
beschriebenen kleinen Zellen gehört den Schaltzellen, augen- 
scheinlich dem I. und II. Typus derselben an; wenigstens be- 
schreibt der Verfasser nur quere Fortsätze der kleinen Zellen, 
obgleich er die Verbreitung der Fortsätze bei den kleinen und 
den grossen Zellen für die gleiche hält. 

Kolmers Beschreibung der kleinen Zellen bestätigt im 
allgemeinen die Befunde der anderen Forscher, über ihre Be- 
deutung und ihren Zusammenhang mit den Wurzeln drückt sich 
Kolmer weit vorsichtiger als Owsjannikoff aus. Besonders 
genau beschreibt Kolmer die Zellen meines III. Typus. Ihre 
fünf bis acht Fortsätze verbreiten sich, nach den Beobachtungen 
von Kolmer, allseitig, einige derselben gehen in Längsfasern 
über; noch häufiger endigen die Fortsätze in einem Geflecht 
feinster Nervenfädchen zwischen den Müllerschen Fasern oder 
erreichen die Rückenmarksoberfläche, wo sie im oberflächlichen 
Geflecht endigen. Einige Fortsätze verbreiten sich in ganz un- 
erwarteter komplizierter Weise und sind „in mäandrischen 
Linien“ zwischen dickeren Fasern gelegen. Die beschriebenen 
Elemente liegen über dem Zentralkanal; sie zeichnen sich von 
den gewöhnlichen kleinen Nervenzellen ausser durch andere 
Kennzeichen noch durch ihre beträchtlichere ‚Grösse aus. Leider 
gibt Kolmer keine Abbildung des Präparates, sondern bildet 
die beschriebene Zelle im Schema des allgemeinen Baues des 
Rückenmarks ab. In diesem Schema sind die Zellformen allzu 
ideal gezeichnet, erinnern wenig an die tatsächlichen Formen, 
wobei es natürlich schwer fällt diese Zellen dem III. Typus 
meiner Schaltzellen zuzurechnen, ich tue es nur auf Grund 
des Textes. 

Ich gehe nun zu den Zellen des dorsalen Kernes, den 
Hinterzellen der Autoren über. Diese Zellen lenkten unter den 
Zellen des Rückenmarks stets die besondere Aufmerksamkeit der 
Forscher auf sich: die anderen Zellen wurden, ohne augenschein- 
liche Beweise, für originell gebaute Homologa der Nervenzellen 
des Rückenmarks der höheren Wirbeltiere gehalten. Die „Hinter- 
zellen“ erschienen rätselhafter und dem Geheimnis der Herkunft 
der Wirbeltiere näherstehend. Ein besonderes Interesse gewährte 
ihnen ihre Ähnlichkeit mit gewissen Rückenmarkselementen von 
Amphioxus und von Fischen. Nichtsdestoweniger ist fast aus- 


Nervensystem von Ammocoetes. 655 


nahmslos die Bestimmung ihrer Bedeutung auf einem einzigen 
Präparat, auf dem der Fortsatz einer derartigen Zelle augen- 
scheinlich in die dorsale Wurzel umbiegt, begründet. 

Joh. Müller (34) gab den „Hinterzellen“ die Bezeichnung 
„grosse bipolare Zellen“. Stilling (54), Owsjannikoff (36), 
Reissner beschrieben diese Zellenart genau auf Querschnitten. 
Stilling nimmt an, dass diese Zellen nichts anderes als die 
Ursprungsstätte der hinteren Wurzelfasern sein können; er be- 
trachtet die „Hinterzellen“* als Gebilde, die den Zellen der 
Klarkeschen Säulen im Rückenmark der Wirbeltiere homolog 
sind. Eine direkte Beobachtung eines.Überganges der Fortsätze 
der Zellen in die hinteren Wurzeln fehlt jedoch bei Stilling. 

Weder Owsjannikoff noch Reissner beschreiben die 
Verbreitung der Fortsätze dieser Zellen. Reissner beobachtet 
freilich in sehr seltenen Fällen einen einzigen Fortsatz, welcher 
entweder direkt nach aussen oder senkrecht nach oben zieht; 
die Länge dieses Fortsatzes kommt höchstens dem grössten 
Durchmesser der Zelle gleich. Über den Zusammenhang eines 
derartigen Fortsatzes mit den Dorsalzellen schreibt er nichts. 

Die Ansicht Stillings schien jedoch bald eine Bestätigung 
in den Untersuchungen von Kutschin (31) zu finden. Letzterer 
erklärt mit Bestimmtheit, dass bisweilen der Fortsatz einer 
„Hinterzelle“* in die hintere Wurzel übergeht. Nach Kutschin 
bildet Langerhans einen derartigen Fortsatz ab. Im Text 
schreibt er desgleichen bestimmt, dass der Fortsatz in den 
Anfangsteil der hinteren Wurzel verläuft. Dasselbe sah auf 
seinen Präparaten Weliki (56); ausführlich beschreibt das gleiche 
Verhalten Freud (11). Was Reissner nur in seltenen Fällen 
feststellen konnte, findet Freud hinreichend häufig. 

Der auf Querschnitten des Rückenmarks wahrnehmbare 
Fortsatz entspringt von der Zelle mit einer trichterförmigen 
Anschwellung. Auf seinem weiteren Verlauf erreicht der Fort- 
satz die dorsale Oberfläche des Rückenmarks an der Ursprungs- 
stelle der dorsalen Wurzel. Der Forsatz tritt aus derselben 
Rückenmarkshälfte aus, welcher die Zelle angehört. 

Freud hat ausserdem in einem Falle auf einem Längs- 
schnitt den absteigenden Fortsatz einer Hinterzelle auf eine weite 
Entfernung verfolgen können; der Fortsatz biegt schliesslich in 
die hintere Wurzel um, d. h. erwies sich nach der Ansicht 


656 DnEretjakvotf: 


Freuds als ein Nervenfortsatz. Auf @Querschnitten wird bis- 
weilen neben dem in die spinale Wurzel übergehenden Nerven- 
fortsatz noch ein anderer Fortsatz der Zelle wahrgenommen, 
welcher dorsal vom Zentralkanal auf die gegenseitige Rücken- 
markshälfte zieht. Über die mögliche Bedeutung eines derartigen 
Fortsatzes äusserst sich Freud gar nicht. 

Die Arbeit von Freud offenbart in allen Punkten das 
‚energische Bestreben des Verfassers, den Hinterzellen die Be- 
deutung von Ursprungszellen der spinalen Wurzelfasern zuzu- 
sprechen. Seiner Berechnung nach kommen auf jede Wurzel 
ca. 7—13 Zellen, während die Zahl der Wurzelfasern, desgleichen 
nach seiner Zählung, beträchtlich grösser bis zu 30 ist. Diese 
Inkongruenz wird dadurch erklärt, dass im verlängerten Marke 
oder im Gehirne selber eine grosse Anzahl von Hinterzellen oder 
denselben gleichwertige Elemente vorhanden sind. Deren Nerven- 
fasern senken sich im Rückenmark bis zu den spinalen Wurzeln 
hinab. Der Verfasser lässt jedoch auch eine andere Möglichkeit 
gelten — dass nicht alle Fasern der spinalen Wurzeln aus Hinter- 
zellen stammen, sondern dass dieselben Fasern verschiedener 
Herkunft enthalten können. 

In der Arbeit Freuds vermute ich trotz ihrer scheinbaren 
Genauigkeit einen fatalen Irrtum, wobei meine Meinung jedoch 
nicht vereinzelt dasteht. Fr. Ahlborn (1) hat bereits im 
Jahre 1883 einen Zweifel darüber ausgesprochen, dass die 
Freudschen Hinterzellen mit den Hinterzellen der Autoren 
identisch sind. Die auf dem Querschnitt durch das Rückenmark 
von Ammocoetes abgebildeten Freudschen Hinterzellen sind 
nach der Meinung von Ahlborn ausserhalb der Sphäre gelegen, 
in welcher bei Petromyzon die seit Joh. Müller bekannten 
„Bipolarzellen“ oder die grossen mittleren Zellen von Reissner 
liegen. Ahlborn hält es für wahrscheinlich, dass die Hinter- 
zellen von Freud der von Retzius aufgestellten Kategorie der 
kleinen Zellen angehören. Die Beobachtungen von Freud fallen 
somit vollkommen mit den Beobachtungen von Reissner zu- 
sammen. 

Ich stimme der Ansicht Ahlborns vollkommen bei. Einen 
3eweis für den Irrtum von Freud sehe ich noch darin, dass 
dieser Forscher einen Fortsatz an den betreffenden Zellen be- 
schreibt, welcher dorsal vom Zentralkanal auf die gegenseitige 


Nervensystem von Ammocoetes. 657 


Rückenmarkshälfte verläuft. Derartige Fortsätze an den Hinter- 
zellen beschreibt ausser Freud kein anderer Forscher. Fortsätze 
kleiner Zellen mit einer derartigen Verlaufsrichtung sind bereits 
von Reissner beschrieben worden. 

Freud hat natürlich auch die wahren Hinterzellen beobachtet, 
da er ihre scheinbare Bipolarität wahrgenommen hat. Er hat sich 
jedoch ihre charakteristischen Merkmale nicht hinreichend klar 
vorgestellt, sie mit kleinen Zellen verwechselt oder eher einige 
kleine Zellen den Dorsalzellen zugerechnet. 

Der Einfluss des Fehlers von Freud erstreckt sich auf die 
Arbeit von Owsjannikoff, welcher diesen Autor zitiert, ohne 
die Kritik Ahlborns zu berücksichtigen. Owsjannikoff weiss 
offenbar nicht, welche Zellen Freud meint. Er wiederholt die 
Ansicht Freuds von der Herkunft der spinalen Wurzelfasern 
sowohl in Anlass der kleinen Nervenzellen als auch der Dorsal- 
zellen. — Im ersteren Falle beruft er sich ausser auf Freud 
noch auf Kutschin und Weliki, obgleich die beiden letzteren 
Autoren die Herkunft der dorsalen Wurzeln von den Dorsalzellen 
im Auge hatten. Owsjannikoff selber unterscheidet streng 
die Dorsalzellen von sämtlichen übrigen. Verfasser schreibt ihnen 
runde Form zu. Bei einigen Zellen sind ausser einem kaudalen 
und einem kranialen keine weiteren Fortsätze zu erkennen. 
Andere Zellen haben noch anderweitige, kurze Fortsätze, welche 
von der Zelle in die weisse Substanz ziehen. Derartige Fort- 
sätze sind feiner als die in der Längsrichtung verlaufenden und 
zerfallen in feine Fäden. -- Unter hunderten von Präparaten 
hat Verfasser nur in zwei Fällen einen Fortsatz einer dorsalen 
Zelle in die dorsale Wurzel verfolgt. In seltenen Fällen verzweigt 
sich einer der längsverlaufenden Fortsätze in feine Fäden, welche 
in der weissen Substanz verbleiben. 

Kolmer war es nur einmal gelungen, einen Zusammenhang 
einer dorsalen Zelle mit einer dorsalen Wurzel auf einem Total- 
präparat, das mit Methylenblau tingiert war, wahrzunehmen. Ein 
derartiges Resultat spricht nach der Ansicht des Verfassers 
natürlich nur in geringem Maße zugunsten einer Homologie der 
Hinterzellen mit den Spinalganglienzellen. 

Die allgemeine Ansicht der angeführten Forscher neigt sich 
dahin, dass die Dorsalzellen nichts anderes als besondere sensible 
Elemente sein können, welche den dorsalen Wurzeln den Ur- 


658 D. Tretjakoft: 


sprung geben. Nach meiner Meinung ist eine derartige Ansicht 
nur äusserst wenig begründet. Es sind absolut keine Hinweise 
darauf vorhanden, in welcher Region des Rückenmarks ein 
Übergang eines Zellfortsatzes in die Wurzel gefunden worden 
ist. In den neuesten Arbeiten sind weder Zeichnungen noch 
Mikrophotographien derartiger Präparate, welche bloss im Texte 
erwähnt werden, vorhanden. Die wichtigste Arbeit in dieser 
Hinsicht, diejenige von Freud, stellt schliesslich ein grosses 
Missverständnis dar. Ich kann hier nicht die vergleichend-ana- 
tomische Arbeit von Studnicka (55) umgehen, welcher zu voll- 
kommen entgegengesetzter Annahme über die Bedeutung der 
Dorsalzellen gekommen war. Studnitka bezeichnet jedoch diese 
Zellen bald als Reissnersche, bald als Freudsche, was auf 
eine ungenügende Orientierung des Verfassers in Literatur- 
befunden hinweist. 

Studnitka findet, dass die Dorsalzellen bereits bei einer 
Larve von 3—4 mm keine besonderen Beziehungen zu den sen- 
siblen Wurzeln haben. Vollkommen entwickelt sind die Zellen 
bei Ammocoetes von 20 mm Länge. Bei Aufsicht erscheinen 
dieselben bei Ammocoetes halbmondförmig, bei erwachsenen Petro- 
myzonten spindelförmig. 

Auf Grund von ontogenetischen Befunden und phyloge- 
netischen Betrachtungen erklärt Studni@cka die Fortsätze der 
Dorsalzellen für unabhängig von den dorsalen Wurzeln. Nach 
dem Austritt aus dem Rückenmark bilden die Fortsätze der 
Dorsalzellen zunächst besondere Wurzeln, welche den sensiblen 
parallel gerichtet sind und erst späterhin mit denselben ver- 
schmelzen. In frühen Entwicklungsstadien endigen die Fortsätze 
der Dorsalzellen wahrscheinlich in Myotomen. Infolgedessen 
ist Studni@ka geneigt, den Dorsalzellen motorische Funktionen 
zuzusprechen, ungeachtet ihrer Lagerung im Rückenmark und 
den Austritt der Fortsätze. 

Zu dieser jedenfalls paradoxen Ansicht gelangt Verfasser 
übrigens weniger auf Grund eigener Beobachtungen als durch 
Argumentation. Den Ausgangspunkt für diese gewährten die 
Untersuchungen von Beard über die Entwicklung der Dorsal- 
zellen bei Selachiern (4, 5). Die Beobachtungen von Beard 
weisen jedoch nur auf einen Zusammenhang der Fortsätze der 
Dorsalzellen mit Myotomate hin. Die Funktion der Zellen ist 


Nervensystem von Ammocoetes. 659 


jedoch aus den Beobachtungen von Beard mit Sicherheit nicht 
zu erkennen. Die motorischen Nerven der betreffenden Myo- 
tomenabschnitte entspringen bei erwachsenen Tieren in normaler 
Weise. Die Frage über die motorische Funktion der Dorsal- 
zellen der Selachier ist im hohen Grade strittig. Die Richtigkeit 
der Beobachtung von Studni@ka über den Austritt der Fort- 
sätze der Dorsalzellen aus dem Rückenmark ist ebenso zweifel- 
haft wie in den Beobachtungen der anderen Forscher. 

Die Forscher, welche nur Querschnitte des Rückenmarks 
vor Augen gehabt hatten, die nicht mit spezifischen Färbungs- 
verfahren tingiert waren, haben sich zu sehr beeilt, dort einen 
Austritt einer Nervenfaser in die Wurzel anzunehmen, wo der 
Fortsatz einer Zelle bloss zur Peripherie des Rückenmarks hin- 
zog, um sich daselbst in Endästehen zu verzweigen. Diese An- 
sicht war besonders durch die Kenntnis des Baues des Rücken- 
marks höherer Wirbeltiere beeinflusst, wo tatsächlich die Zell- 
fortsätze bis zur Rückenmarksperipherie ausschliesslich zu dem 
Zweck verlaufen, um dasselbe in Gestalt von Wurzelfasern zu 
verlassen. Auf diese Weise erkläre ich mir die kategorischen 
Behauptungen von Kölliker in seinem Handbuche der Gewebe- 
lehre, wo er die Ansicht von Freud wiederholt. Mit der Zu- 
nahme der Exaktheit der Untersuchungsmethoden sinkt rasch 
die Sicherheit der Autoren hinsichtlich der Ansicht über die un- 
mittelbare Beteiligung der Fortsätze der Dorsalzellen an der 
Bildung der sensiblen Spinalwurzeln. Kolmer wenigstens hält 
allein auf Grund ihrer Multipolarität die Homologie dieser Zellen 
mit den Spinalganglienzellen für zweifelhaft. Kolmer könnte 
entgegnet werden, dass auch in den Spinalganglien multipolare 
Zellen angetroffen werden. Ich leugne jedoch die Homologie 
auf Grund der Ausbreitung der Fortsätze, welche sich durchaus 
nicht an der Bildung der spinalen Wurzeln beteiligen. Die Un- 
bestimmtheit der Ansichten von Kolmer beweisen seine eigenen 
Worte. In Anlass des Überganges eines Fortsatzes einer dor- 
salen Zelle in die Wurzel schreibt er auf Seite 203: „Mir ist 
es nur einmal an einem Totomethylenblaupräparat gelungen, 
dieses Verhalten mit der grössten Deutlichkeit zu verfolgen.“ 
Auf Seite 202—203 heisst es jedoch: „Den Zusammenhang von 
solchen (Hinter) Zellen und Wurzelfasern und Übergänge von 


diesem Zelltypus bis zu den Spinalganglien konnte ich mehr wie 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73,. 43 


660 Ds Dr etjakoit: 


einmal konstatieren.*“ Unabhängig von dem Widerspruch zwischen 
„nur einmal“ und „mehr wie einmal“, welcher als Lapsus linguae 
erklärt werden kann, erwähnt Verfasser von Übergangsformen 
von Dorsalzellen zu Ganglienzellen, wobei er vergisst, dass weiter 
oben für ihn „die Auffassung der Hinterzellen als Homologa der 
Spinalganglienzellen erscheint schon bei der ausgesprochenen 
Multipolarität dieser Zellart recht fraglich.“ 

Nansen und Retzius haben die dichstomische oder 
Tförmige Teilung der spinalen Wurzelfasern im Rückenmark von 
Myxine beschrieben. Keiner von ihnen hat irgendwelche Ver- 
bindung derartiger Nervenfasern mit den Spinalganglienzellen 
wahrgenommen. Eine detaillierte Beschreibung der dorsalen 
Wurzelfasern gibt Kolmer. Fr unterscheidet zwei Faserarten: 
Die Fasern einer Art teilen sich T-förmig, die der anderen biegen 
in einem rechten Winkel ab. Bei einigen Fasern erster Art kann 
der eine Ast sehr fein sein, die Dicke der Fasern ist überhaupt 
sehr verschieden. Die tatsächliche Endigungsweise der dorsalen 
Wurzelfasern bei Cyclostemen hat bisher noch niemand beschrieben. 

Dasselbe bezieht sich auch auf die ventralen Wurzeln; den 
Zusammenhang derselben mit den motorischen Zellen hat bisher 
noch niemand erwiesen. Eine detaillierte Beschreibung ihrer Be- 
standteile gibt wiederum Kolmer. Sofort nach dem Eintritt 
in die weisse Substanz des Rückenmarks beschreiben die Fasern 
grosse Bogen, ziehen allseitig auseinander und verwandeln sich 
in Längsfasern. Sämtliche Fasern verändern schliesslich stark 
ihren Durchmesser, werden feiner „bis sie in eine zarteste Faser 
auslaufend, für das Auge verloren gehen“. Je dicker die Faser 
ursprünglich war, desto schärfer ist ihr Übergang in den ver- 
jüngten Teil; Kollateralen sind nicht sichtbar. Als Längsfasern 
gelingt es die ventralen Wurzelfasern über die Eintrittsstelle 
der nächsten Wurzel hinaus zu verfolgen. Scheinbare Endi- 
gungen in Zellen erweisen sich stets bei Betrachtung mit starken 
Systemen als Irrtümer. Nach der Ansicht des Verfassers gelingt 
es nur in besonders glücklichen Fällen die Behauptung der 
anderen Forscher zu beweisen: dass nämlich ein Zellfortsatz die 
tichtung zur vorderen Wurzel einschlägt und in dieselbe eintritt. 

Fast sämtliche Autoren, welche sich mit dem Rückenmark 
von Petromyzon beschäftigt haben, legen zu wenig Gewicht auf 
eine strenge Einteilung der Stränge der weissen Substanz. Nach 


Nervensystem von Ammocoetes. 661 


den Beobachtungen von Owsjannikoff sind beim Neunauge 
keine dermassen scharfe Grenzen zwischen den Strängen, wie bei 
den höheren Wirbeltieren vorhanden. Nichtsdestoweniger ist eine 
Teilung vorhanden, welche von der Mehrzahl der Autoren ange- 
nommen wird. Es werden hierbei unterschieden: 1. Funiculus 


dorsalis — ein Streifen dorsaler Fasern, die seitwärts von den 
aus dem Rückenmark austretenden dorsalen Wurzeln begrenzt 
werden; 2. Funiculus ventralis — zwischen den ventralen 


Wurzeln; er ist breiter als der vorgenannte; 3. und 4. Funieuli 
laterales.. Als Teilungsprinzip wird häufig ein äusseres Kenn- 
zeichen — der Austritt der Wurzeln — angenommen. Ich glaube, 
dass es besser wäre, die Stränge nach ihrer Funktion zu scheiden 
und halte daher beide ventralen Hälften, welche motorische 
Fasern enthalten, für Funieuli ventrales. In der dorsalen Hälfte 
bleibt für den Funieulus dorsalis dieselbe Lagerung bei; den 
Seitenstrang bezeichne ich als Funieulus latero-dorsalis. 


Vergleichend-anatomische Betrachtungen. 


Der Vergleich des Rückenmarks von Ammocoetes mit den- 
jenigen anderer Wirbeltiere erfordert in Anbetracht des primitiven 
Charakters des ersteren eine doppelseitige Behandlung der Frage. 
Erstens muss nachgewiesen werden, wie weit im Aufbau des 
Rückenmarks erwachsener Tiere Eigenheiten enthalten sind, 
welche dem Rückenmark von Ammocoetes zukommen. Zweitens 
kann ein Vergleich mit den Elementen des Rückenmarks von 
Ammocoetes in verschiedenen Entwicklungsstadien vorgenommen 
werden, falls eine Ähnlichkeit der Elemente bei erwachsenen 
Tieren nicht zu erkennen ist. Die überwiegende Mehrzahl der 
Tatsachen ist hinsichtlich dieser Frage vermittelst der Golgi- 
methode erhalten worden: dieses Verfahren ergibt bessere 
Resultate bei Embryonen als bei erwachsenen Tieren. Es ist 
daher hinsichtlich der embryonalen Form der Rückenmarks- 
elemente eine grosse Anzahl genau beschriebener Beobachtungen 
vorhanden. In einigen Fällen muss sogar gesagt werden, dass 
für die Struktur des Rückenmarks erwachsener Tiere eigent- 
lich Entwicklungsstadien desselben gehalten wurden. 

Die Differenzierung der weissen und grauen Substanz 
entspricht nicht den Ordnungen der Tiere, wie sie in den Lehr- 
büchern angeführt werden. Ammocoetes am nächsten stehen in 

43* 


662 D. Tretjakoff: 


dieser Hinsicht die Knochenfische; bei diesen ist im allgemeinen 
die weisse und graue Substanz verschieden angeordnet und 
voneinander nicht scharf getrennt. Nach der Beschreibung von 
Bela Haller (7, S, 9) weisen den einfachsten Bautypus die 
Plectognathi auf. Auf Rückenmarksschnitten werden vier Längs- 
stränge von Fasern unterschieden, im Vergleich jedoch zum 
Querschnitt des Rückenmarks behalten die Stränge nur eine 
sekundäre Bedeutung. Das Rückenmark der Plectognathi behält 
den Charakter eines homogenen Gebildes bei, die Längsfasern 
sind auf dem Gesamtquerschnitt zerstreut. Bela Haller unter- 
scheidet zwei ventrale und zwei laterale Fasergruppen. Bei 
einigen Fischen (Tetrodon) werden noch zwei dorsale Bündel 
unterschieden. Markhaltige Fasern sind nur im Bestande der 
ventralen Bündel vorhanden und werden stellenweise in der 
grauen Substanz angetroffen. Die Nervenzellen ordnen sich in 
besonderer Weise an — sie gruppieren sich in bestimmten 
Rückenmarksgebieten. 

Der Bau des Rückenmarks der anderen Knochenfische stellt 
nach der Meinung des Verfassers die weitere Entwicklung des. 
Typus der Plectognathi dar. Die Nervenzellen konzentrieren. 
sich vorwiegend in den ventralen Abschnitten der grauen Substanz, 
welche sich zu den unteren Strängen des Rückenmarks entwickeln. 
Die dorsalen Stränge, welche bei den Plectognathi fehlen, 
differenzieren sich bei anderen Knochenfischen, enthalten jedoch 
nur wenige kleine Zellen. Die Nervenzellen werden in der 
weissen Substanz angetroffen. Die weisse Substanz scheidet sich: 
in dem Sinne scharf von der grauen, dass die Längsfasern sich 
in Strängen an der Rückenmarksoberfläche anordnen. Am 
wenigsten scharf sind die Längsfasern in den sensiblen (dorsalen) 
Rückenmarksgebieten abgeschieden. 

Die ventralen Stränge enthalten lange Bahnen, die lateralen 
kurze und die motorischen Wurzelfasern. Letztere stellen häufig 
peripherische Kollateralen von Längsfasern dar. Fast alle Fasern 
sind bereits von einer Markscheide umgeben. In den dorsalen 
Strängen wird eine besondere Gruppierung dicker markhaltiger 
Fasern angegeben. 

Die Ursprungsgebiete der dorsalen und ventralen Wurzeln 
erstrecken sich im Rückenmark weit in der Längsrichtung, wobei 
das Gebiet des motorischen Nerven auf dem Querschnitt des 


Nervensystem von Ammoöcoetes. 663 


Rückenmarks ein grösseres Feld einnimmt als das Gebiet des 
sensiblen Nerven. Jeder Spinalnerv, der ventrale wie der dorsale, 
erhält Fasern nicht nur aus der gleichseitigen, sondern auch aus 
der gegenseitigen Rückenmarkshälfte. Die motorische Nervenfaser 
entspringt nicht immer unmittelbar von einer Zelle; bisweilen ist 
sie ein Ast eines Fortsatzes. Die dorsalen Fasern entspringen 
nach der Annahme des Verfassers aus einem besonderen inneren 
Nervennetz des Rückenmarks; in dem sensiblen, dorsalen Gebiet 
des Rückenmarks sind überhaupt keine Zellen vorhanden, deren 
Fasern direkt in die dorsalen Wurzeln übergehen könnten. 

Die vordere Kommissur besteht aller Wahrscheinlichkeit 
nach aus Fasern, welche von den Nervenzellen der dorsalen 
Hörner (Pyramidenbahnen) entstammen. 

Die Mauthnerschen Fasern geben im Rückenmark_ seit- 
liche Kollateralen; sie stehen mit dem allgemeinen Nervennetz 
in Verbindung. Die Endäste der Mauthnerschen Fasern ver- 
lassen das Rückenmark mit den drei letzten Spinalwurzeln. 

Die dorsalen Wurzelfasern dringen sogar aus den dorsalen 
Bündeln bis zum Unterhorn derselben oder der entgegengesetzten 
Seite vor. 

Im ventralen Teil des Rückenmarks der Knochenfische wird 
ausser einer eigentlichen vorderen Kommissur noch eine Neben- 
kommissur unterschieden, welche von ersterer durch zwei Längs- 
faserbündel getrennt ist. 

Die Ansichten von Bela Haller über den Bestand der 
Nebenkommissur weichen von den Angaben derjenigen Autoren, 
welche sich vorwiegend mit embryologischem Material beschäftigt 
haben, ab. Van Gehuchten, Golgi, S. Ramön y Cajal, 
Kölliker, Lenhossek u.a. haben niemals beobachtet, dass eine 
motorische Faser aus einer Rückenmarkshälfte auf die andere 
in der vorderen Kommissur übergeht. Bela Haller findet 
auch bei Plectognathi, welchen eine Nebenkommissur fehlt, in 
der vorderen Kommissur nur Dendriten motorischer Zellen. 
Bei anderen Knochenfischen findet Verfasser motorische Zellen, 
deren unzweifelhafte Achsenzylinder durch die Nebenkommissur 
in die ventrale Wurzel der entgegengesetzten Seite verlaufen. 
In der Nebenkommissur verlaufen ausserdem die Dendriten ver- 
schiedener Zellen. Von den Einzelheiten des Zellbaues ist die 
Angabe des Verfassers über Anastomosen zwischen grossen sowie 


664 D: Tr.etjakorft: 


kleinen Nervenzellen interessant; diese Anastomosen sind bei 
Pleetognathi lang, bei anderen Knochenfischen kurz und selten. 

Ich habe hier nur diejenigen Befunde von Bela Haller 
angeführt, welche durch Schnitte, die in Karmin gefärbt waren, 
illustriert werden. Hinsichtlich der Zeichnungen der Golgi- 
präparate sowie der an solchen gewonnenen Resultate muss 
jedoch die Kritik von van Gehuchten aus dem Jahre 1595 (13) 
berücksichtigt werden. Nach den Worten dieses Forschers rufen 
die Abbildungen und die Beschreibungen von B. Haller die 
Überzeugung hervor, dass dieselben einen vollkommenen Mangel 
an Erfahrung und Praxis in der Handhabung des Golgi- 
verfahrens dartun; B. Haller ist nicht imstande, einen Nerven- 
fortsatz von einem Dendriten resp. einem Protoplasmafortsatz 
zu unterscheiden. Scheinbare Anastomosen- feiner Dendriten- 
verzweigungen hält er ohne hinreichende Prüfung vermittelst 
starker Systeme für den Beweis des Vorhandenseins eines Nerven- 
netzes. Van Gehuchten hält die Imprägnation der Zellen in 
der Arbeit Bela Hallers für sehr unvollständig; er findet 
beständig Fehler in der Bestimmung des Charakters der Fortsätze, 
stellt den Wert der Beobachtungen des Verfahrens vollkommen in 
Abrede. Nach einem autoritätvollen Urteil ist es natürlich unmög- 
lich, denjenigen Teil der Arbeit von B. Haller, welche vermittelst 
des Golgiverfahrens ausgeführt war, für eine vergleichend- 
anatomische Betrachtung zu benutzen. Die betreffende Arbeit 
ist dabei beinahe die einzige, in welcher ernstliche Mühe verwandt 
wurde zum Zweck einer Färbung der Rückenmarkselemente eines 
erwachsenen Knochenfisches nach dem Verfahren von Golgi. 


Von den Resultaten der Arbeit bleiben somit tatsächlich als mehr 


oder weniger glaubwürdige nur die Beschreibung der in Karmin 
gefärbten Schnitte. Van Gehuchten leugnet desgleichen nicht. 
diese Resultate, indem er darauf hinweist, dass dieselben durch. 
Golgipräparate nicht bewiesen werden. Von diesen Befunden 
ist derjenige für uns besonders wichtig, dass die ventralen Wurzel- 
fasern aus Fasern, die in dem Seiten- oder ventralen Strange in. 
der Längsrichtung verlaufen oder aus der gegenseitigen Rücken- 
markshälfte durch die Neben- oder Mauthnersche Kommissur 
ziehen, entstehen können. 

Einen vom Rückenmark der Knochenfische abweichenden. 
Charakter hat das Rückenmark der Selachier, an welche sich 


Nervensystem von Ammocoetes. 665 


aufeinanderfolgend die Ganoiden, Dipnoi, Amphibien und Reptilien 
anschliessen. In dieser Reihe ist über die Zellform bei erwachsenen 
Tieren, besonders bei den Granoiden, sehr wenig bekannt. 

Pawlowsky (38) hat bei Acipenser die Form der Nerven- 
zellen an Golgipräparaten beschrieben. Hinsichtlich der Den- 
driten, Nervenfortsätze, der Vollkommenheit der Färbung haben 
die Beobachtungen des Verfassers ebensowenig Wert, wie in der 
Arbeit von B. Haller. Die Zellen des ventralen Stranges sind 
vorwiegend multipolar, des dorsalen -—— uni- oder bipolar. Der 
Nervenfortsatz einiger Zellen des ventralen Stranges verläuft in 
die ventrale Wurzel. Die Protoplasmafortsätze verzweigen sich 
sowohl in der weissen als in der grauen Substanz. In der 
weissen Substanz der Seitenstränge sind birnförmige Nervenzellen 
vorhanden, deren Fortsätze ungefärbt geblieben waren. Die 
Strangfasern sind mit Kollateralen versehen, welche den Proto- 
plasmafortsätzen der Zellen in der weissen Substanz anliegen. 

Die Mauthnersche oder Nebenkommissur ist nach den 
Beobachtungen von Stieda (53) noch bei den Rochen erhalten. 
Bei den Haien fehlt sie. In der weissen Substanz sind die Stränge 
vollkommen differenziert. Durch die Dicke seiner Fasern zeichnet 
sich besonders der Strang oberhalb des Zentrums der grauen 
Substanz aus. 

Die Frage über die Dorsalzellen im Rückenmarke wird 
grösstenteils getrennt von der übrigen Struktur des Rückenmarks 
abgehandelt; sie lenkt häufig die Aufmerksamkeit der Forscher 
auf sich. Doch auch hier werden rein embryonale Beziehungen 
als unveränderliche bis zum erwachsenen Zustande gehalten. Bei 
einigen Fischen verschwinden die dorsalen Zellen zum Schluss 
der Entwicklung oder sie werden transformiert. 

Der Bau des Rückenmarks erwachsener Fische ist im all- 
gemeinen so wenig bekannt, dass es vorläufig unmöglich ist, 
dasselbe mit demjenigen von Ammocoetes zu vergleichen. Unsere 
Kenntnisse über die Nervenelemente des Rückenmarks der Fische 
betreffen entweder embryonale Stadien oder beziehen sich auf 
frühe Jugendformen. Diese Kenntnisse sind für eine Übersicht 
des allgemeinen Baues des Nervensystems mehr oder weniger 
ausreichend; sie geben die Möglichkeit, allgemeine Schemata 
aufzustellen und das Prinzip des Baues des Rückenmarks klar- 
zustellen. Für eine Charakteristik der Entwicklungshöhe des 


666 D. Tretjakoff: 


Rückenmarks bei erwachsenen Fischen der einen oder der anderen 
Gruppe fehlen die Befunde; ausserdem ist auch der Bau der 
Rückenmarkselemente bei Fischen in der Lebensperiode, wenn 
die Funktion derselben vollkommen bestimmt ist, unbekannt. 
Infolge derartiger ungünstiger Verhältnisse können zum Vergleich 
nur die allgemeinsten Kennzeichen herangezogen werden, um den 
Fehler zu vermeiden, dass für wesentliche Kennzeichen Organi- 
sationseigenheiten gehalten werden, welche bloss auf Grund einer 
besonderen embryonalen Entwicklung entstanden sind. 

Entwicklungsstadien des Rückenmarks sind von Retzius 
(44, 45), Lenhossek (21, 22), Martin (82) und van Ge- 
huchten (13) studiert worden. Alle vier Forscher bedienten 
sich der Golgimethode. In den Resultaten sind fast keine 
Widersprüche vorhanden. Die Nervenelemente werden leicht in 
drei Gruppen geteilt: motorische — Kommissuren — und Strang- 
zellen. Die Protoplasmafortsätze — Dendriten — verzweigen sich 
in der weissen Substanz und erreichen die Oberfläche des Rücken- 
marks. Unterhalb der pia mater des Rückenmarks liegen die 
Endästchen in Gestalt eines oberflächlichen Geflechtes. Die 
Fasern der dorsalen Wurzeln bilden Endverzweigungen in der 
weissen Substanz an der Oberfläche des Rückenmarks. 

Für einen detaillierteren Vergleich mit den Rückenmarks- 
elementen von Ammocoetes führe ich die Resultate der letzten 
Arbeit von van Gehuchten, welche ich bereits oben zitiert 
habe, an. 

Die motorischen Zellen von Trutta — les cellules radi- 
eulaires — sind in den frühen Entwicklungsstadien gewöhnlich 
unipolar, doch werden auch bi- und multipolare angetroffen. 
Jedenfalls ist die Zelle mit Dendriten, welche sich in der weissen 
Substanz verzweigen und einem Neuriten versehen. Keiner von 
den Dendriten gelangt nach den Zeichnungen des Verfassers bis 
an die Oberfläche des Rückenmarks. Selten werden Dendriten 
angetroffen, welche sich medial von der Zelle in der grauen 
Substanz verzweigen. Der Neurit verläuft stets in die Wurzel 
derselben Rückenmarkshälfte; in die Nebenkommissur tritt er 
nicht ein. Solange der Neurit sich in der Rückenmarkssubstanz 
befindet, gehen von ihm bisweilen Kollateralen ab. 

Die Strangzellen werden von den französischen Autoren 
eingeteilt in: Kommissurenzellen — cellules des cordons hetero- 


Nervensystem von Ammocoetes. 667 


meres, eigentliche Strangzellen — cellules des cordons tautomeres 
und plurikordonale Zellen —= cellules des cordons hecateromeres, 
Die Kommissurenzellen sind nach den Beobachtungen von van 
Gehuchten unipolar oder bipolar. Die Dendriten verzweigen 
sich wie die Dendriten motorischer Zellen. Der Neurit geht längs 
der Nebenkommissur in die weisse Substanz der gegenseitigen 
Rückenmarkshälfte über. Bisweilen verzweigt er sich, wobei seine 
beiden Teiläste unabhängig voneinander in die weisse Substanz 
eindringen. Bisweilen werden Kollateralen des Neuriten ange- 
troffen. Der Neurit kann auf der gegenseitigen Rückenmarks- 
hälfte auf Längsschnitten verfolgt werden. Nachdem derselbe 
als auf- oder absteigende Faser des ventralen Stranges eine ver- 
schieden lange Strecke verlaufen ist, geht er in den Seitenstrang 
über und verzweigt sich in ihm in eine auf- und eine absteigende 
Faser. Diese Zellen sind in der ganzen grauen Substanz verstreut; 
die Mehrzahl derselben gehört jedoch den dorsalen Strängen an. 


Die eigentlichen Strangzellen sind meistens bi- oder multi- 
polar; ihr Neurit verläuft mehr oder weniger kompliziert in der 
grauen Substanz und biegt in den Vorder-Seitenstrang um, wo 
er kaudalwärts oder kranialwärts zieht; schliesslich, bisweilen 
weit ab von der Übergangsstelle in die Längsrichtung teilt sich 
der Neurit in zwei Äste — einen auf- und einen absteigenden. 
Es werden jedoch auch Zellen angetroffen, deren Neuriten sich 
nicht verzweigen. 


Der Nervenfortsatz der plurikordonalen Zellen verzweigt 
sich bereits in der grauen Substanz; ein Ast desselben geht in 
die weisse Substanz derselben Rückenmarkshälfte, der andere 
durch Nebenkommissur in die Stränge der anderen Seite. 


Über den Bau der Nervenzellen bei Trutta lässt sich vor 
allem aussagen, dass sie Protoplasmafortsätze bilden. Einer der- 
selben wandelt sich, nachdem seine Protoplasmamasse zahlreiche 
Seitenzweige gebildet hat, in einen Achsenzylinder oder Neuriten 
um. Letzterer entsteht nicht direkt aus der Zelle, sondern aus 
einem Dendriten. Die. Nebenkommissur hält Verfasser für ein 
vollkommenes Homologon der vorderen weissen Rückenmarks- 
kommissur der höheren Wirbeltiere, da dieselbe ausschliesslich 
von den Neuriten der Kommissurenzellen gebildet wird, was 
bereits Lenhossck mit Bestimmtheit behauptet hat. In den 


668 DER: 


Bestand der Nebenkommissur gehen ausserdem Kollateralen von 
Fasern der Vorderstränge und Dendriten ein. 

Im Rückenmark der Selachier sind, nach den Befunden 
Lenhosseks (22) Zelltypen vorhanden, welche den bei Knochen- 
fischen beschriebenen Zelltypen vollkommen entsprechen. Die 
Dendriten der Zellen erreichen jedoch bei den Selachiern un- 
bedingt die Oberfläche des Rückenmarks und bilden hier ein 
perimedulläres Geflecht. Bei den Rochen ist eine originelle 
Trennung der Vorderhörner von den Hinterhörnern vorhanden. 
Die Dendriten der motorischen Zellen müssen durch einen Streifen 
weisser Substanz hindurchziehen, um mit den Endverzweigungen 
der Fasern der Hinterwurzeln, welche nicht aus dem Bereich der 
Hinterhörner heraustreten, zusammenzutreffen. Ein Kontakt der 
Verzweigungen sensibler Nervenfasern findet, entgegengesetzt dem 
Aufbau der höheren Wirbeltiere, nur mit den Dendriten moto- 
rischer Zellen und nicht mit der Zelle selber statt. 

Beim Vergleich der Zeichnungen in den Arbeiten der er- 
wähnten Verfasser mit den Zelltypen bei Ammocoetes finde ich 
in der Form der einzelnen Zellen, in der Beziehung des Neuriten 
der motorischen Zellen zu der Zelle selber, in der Entwicklung 
des perimedullären Geflechtes eine grössere Ähnlichkeit der 
Cyclostomen mit den Selachiern als mit den Knochenfischen. In 
topographischer Hinsicht offenbart sich jedoch auf dem Querschnitt 
des Rückenmarks eine nahe Verwandtschaft der Cyclostomen mit‘ 
den Knochenfischen und zwar in der Anwesenheit der Neben- 
kommissur oder richtiger in der Anwesenheit weisser Substanz 
zwischen dem Zentralkanal und der Nebenkommissur. Bei diesen 
und jenen sind die kolossalen Nervenfasern in diesem Gebiet der 
weissen Substanz gelegen. 

Obgleich Retzius, Lenhossek und van Gehuchten 
die Zugehörigkeit der Kommissurenzellen zu den motorischen 
Zellen in Abrede stellen, kann dennoch die Frage noch nicht als 
endgültig entschieden betrachtet werden. Kolster lässt im 
Jahre 1898 die Möglichkeit zu, dass ein Teil der vorderen 
Wurzelfasern aus der entgegengesetzten Rückenmarkshälfte 
stammen. Noch bestimmter spricht sich 1900 Kalberlah (25) 
aus: nach seinen Beobachtungen an Selachiern tritt sogar ein 
recht beträchtlicher Teil der motorischen Fasern aus der vorderen 
Kommissur heraus. Meine Beobachtungen über das Fasersystem der 


Nervensystem von Ammocoetes. 6693 


Nebenkommissur bei Ammocoetes spricht wenig zugunsten ihrer 
Herkunft von motorischen Zellen. Im allgemeinen resultiert eine 
recht vollständige Homologie des Rückenmarks von Cyclostomen, 
Knochenfischen und Haien; im Rückenmark der Cyclostomen finden 
sich im embryonalen Zustande Gebilde, welche entweder nur bei 
Haien oder nur bei Knochenfischen erhalten bleiben. Das Rücken- 
mark der Cyelostomen steht somit der Ausgangsform desselben 
nahe, von welcher die beiden divergenten Organisationen — die 
Haie und Cyelostomen — ihre Herkunft nahmen, was durchaus 
den anderen vergleichend-anatomischen Tatsachen entspricht. 
Hinsichtlich der Verteilung der Kollateralfasern der weissen 
Substanz der Fische spricht nur van Gehuchten eine bestimmte 
Ansicht aus. Seinen Beobachtungen nach verzweigt sich eine 
ungeheuere Zahl von Kollateralen und endigt zwischen den Fasern 
der weissen Substanz. Sie dienen dem Kontakt mit den Dendriten 
der Zellen. Die Kollateralen, welche in der grauen Substanz 
endigen, können derselben Rückenmarkshälfte angehören oder der 
entgegengesetzten. Letztere verlaufen durch die Nebenkommissur 
oder bilden dorsal vom Zentralkanal eine dorsale Kommissur. 
Keine von den beschriebenen Kollateralen stellt ein Homologon 
der motorisch-sensiblen Kollateralen der Säugetiere dar: „Ües 
collaterales font elles defaut dans la moelle de la truite? ou 
bien, ont-elles rösiste a l’imprögnation par le chromate d’argent ? 
Nous ne saurons le dire“ (pag. 146). Jedenfalls, fügt der Verfasser 
hinzu, stellen derartige Kollateralen keine .besondere Notwendig- 
keit dar, in Anbetracht der Möglichkeit eines Kontaktes zwischen 
den vorhandenen Kollateralen und den Dendriten der Zellen. 
Hinsichtlich der bei Fischen sehr verbreiteten Zellen des 
Dorsalkernes gehen die Meinungen ebenso auseinander wie anläss- 
lich derselben Elemente bei Ammocoetes. Beard (4,5), Studnicka 
(57), Dahlgren (10), Tagliani (56), van Gehuchten, 
Kolster (28), Sargent (öl), Jonston (19) haben dieselben 
bei verschiedenen Fischen in verschiedenen Entwicklungsstadien 
beschrieben. Bei einigen Fischen bleiben diese Zellen während 
des ganzen Lebens erhalten, bei anderen werden sie nur im 
Embryonalzustande der Tiere angetroffen (Raja, Acipenser, Salmo, 
Trutta ete.). Gewöhnlich sind die Dorsalzellen im dorsalen Teil 
der grauen Substanz oder aber an der Rückenmarksoberfläche, 
unterhalb der pia mater gelegen. Beard, Dahlgren und 


670 D. Tretjakoff: 


Tagliani beschreiben den Eintritt des Fortsatzes der Zelle in 
die hintere Wurzel. Sargent fand bei Ctenolabrius adspersus 
in dem vorderen Drittel des Rückenmarks eine vollkommene 
unpaare Reihe von Zellen im Septum medianum posticum. Vor 
dieser Reihe, von ihr getrennt, sind zu beiden Seiten des Calamus 
scriptorius zwei derartige Zellen gelegen. Der Neurit derselben 
verläuft ventro-lateralwärts und spaltet sich in zwei Äste: der 
eine derselben verläuft kaudalwärts und verschwindet im Hinter- 
horn, der andere zieht ins Gehirn und verlässt dasselbe mit den 
ventralen Trigeminuswurzeln. 

Eine Anordnung der Zellen in zwei Reihen zu beiden Seiten 
des Septum posticum hat Jonston (1900) bei Catosomus be- 
schrieben. Bei Catosomus verlässt der Dendrit das Rückenmark 
und endigt in einer geringen Anschwellung unter dem Epithel 
der Haut. Ausser einem Dendriten entsendet jede Zelle zwei 
Nervenfortsätze, welche in den dorsalen Bündeln kaudalwärts und 
kranialwärts ziehen. 

Der Austritt eines Dendriten oder Neuriten der Dorsalzellen 
gehört wahrscheinlich zu ebensolchen Beobachtungsfehlern wie 
dieselben Erscheinungen bei Ammocoetes. Ihrer Form, ihrer 
Lagerung, der Zahl und dem Charakter ihrer Fortsätze nach 
entsprechen diese Zellen vollkommen den Zellen des dorsalen 
Kernes von Ammocoetes. In den Fällen, wenn die Zellen nicht 
gleichmässig längs dem ganzen Rückenmarke verstreut sind, wird 
eine Konzentration derselben im vorderen Teil des Rückenmarks 
beobachtet (Lophius, Utenolabrius, Solea impar). In dieser Hin- 
sicht erinnern sie an die riesigen Dorsalzellen im Rückenmark 
von Amphioxus. Sämtliche sog. Dorsalzellen der Fische halte ich 
für den Zellen des dorsalen Kernes, welche mit den Endver- 
zweigungen der sensiblen dorsalen Wurzelfasern in Zusammen- 
hang stehen, homologe Gebilde. Derselben Ansicht ist auch 
van Gehuchten hinsichtlich der Dorsalzellen bei Batrachier- 
iarven (17). Ich bin überzeugt, dass die Dorsalzellen sich in 
irgend einer Form auch bei den höheren Wirbeltieren auffinden 
lassen. Nucleus gracilis und nucleus cuneatus entsprechen im 
wesentlichen ihrer Lagerung nach dem vorderen Abschnitt des Dorsal- 
kernes und ihrer Funktion nach dem letzteren. Eine Neigung zur 
Konzentration im kranialen Teil des Rückenmarks ist auch bereits, 
wie soeben erwähnt, bei Amphioxus und den Fischen vorhanden. 


Nervensystem von Ammocoetes. 671 


Bei Trutta haben Rohon (49) und van Gehuchten 
(14, 16) besondere Zellen beschrieben, welche ihren Nervenfort- 
satz unzweifelhaft in den Dorsalkern entsenden. Die genannten 
Autoren, sowie Ramön y Uajal (40) halten derartige Zellen 
für sensible Rückenmarkszellen. In Anbetracht dessen, dass der- 
gleichen von Freud im Rückenmark von Petromyzon beschriebene 
Zellen tatsächlich nicht vorhanden sind, erfordern die Befunde 
von Rohon und van Gehuchten noch einer Nachprüfung. 

Das Rückenmark der Amphibien und Reptilien ist sowohl 
im embryonalen als im erwachsenen Zustande gründlicher studiert 
als das Rückenmark der Fische. Als gemeinsame Eigentümlich- 
keit erscheint zunächst das perimedulläre Geflecht. Bei Fröschen 
ist es bereits vor längerer Zeit vonLawdowsky (20), bei Reptilien 
von Ramön y Cajal beschrieben worden. Die Struktur des 
perimedullären Geflechtes wird ausführlich durch die Arbeiten 
von Sala (50), van Gehuchten (17, 15) und Retzius auf- 
geklärt; es gleicht in hohem Maße dem Geflecht im Rückenmark 
von Ammocoetes; von den Autoren wird es als die Stelle des 
Kontaktes sensibler und motorischer Neurone anerkannt. Be- 
sonders besteht darauf van Gehuchten, welcher bei den 
Amphibien das Vorhandensein langer motorisch-sensibler Kollate- 
ralen, welche die motorischen Zeilen umflechten, in Abrede stellt. 
Ändere Autoren, Althias (3), Ramön y Cajal (39) beschreiben. 
derartige Kollateralen, Sala und Kölliker bilden sie auf ihren. 
Schemata ab. 

Die Typen der Nervenzellen im Rückenmark der Amphibien 
sind dieselben, wie im Rückenmark der Fische: motorische, 
Strang- und Kommissurenzellen. Die Dorsalzellen sind nur bei 
Amphibienlarven (Burckhardt[9], Studnidka |57]) vorhanden 
und gehören nach den Beobachtungen von van Gehuchten (17) 
zu den Strang- oder Kommissurenzellen. 

Im Rückenmark der Reptilien ist die comissura accessoria 
bemerkenswert; sie nimmt dieselbe Lage ein wie bei Fischen. 
Die Nervenzellen wiederholen die Typen bei Fischen und Amphibien, 
die Anordnung der Kollateralen der Fasern der weissen Substanz 
(van Gehuchten, Retzius) entspricht fast vollkommen der 
Anordnung derselben bei Vögeln und Säugetieren; unzweifelhaft 
sind hier lange motorisch-sensible Kollateralen vorhanden, welche 
in Verzweigungen zwischen den motorischen Zellen endigen. 


672 Dekretjakotff.: 


Im embryonalen Zustande des Rückenmarks der Vögel und 
Säuger dringen die Dendriten der Zellen, indem sie sich ver- 
zweigen, in die weisse Substanz ein, bilden jedoch kein peri- 
medulläres Geflecht. Beim Auswachsen der grauen Substanz 
werden die Dendriten in diese zurückgezogen, wobei die Zellen 
ihre endgültige Form und Lage annehmen. 


Sei es infolge einer besseren Kenntnis des Nervensystems 
der Vögel und Säugetiere, sei es infolge von Baueigentümlich- 
keiten sind in ihm sog. Golgizellen beschrieben worden, welche 
von allen Autoren bei Fischen, Amphibien und Reptilien in Abrede 
gestellt werden. Ramön y Cajal, welcher sich zu diesem 
Zelltypus überhaupt skeptisch verhält, erkennt sie dennoch in 
der Rolandschen Substanz an. 


Das Rückenmark der Wirbeltiere, angefangen von den 
Cyclostomen, behält denselben Bautypus bei. 


In bezug auf den Kontakt der sensiblen und motorischen 
Neuronen wird ein allmählicher Übergang vom diffusen Kontakt 
im perimedullären Geflecht zum isolierten Kontakt vermittelst 
langer motorisch-sensibler Kollateralen beobachtet, d.h. zu dem 
Verhalten, welches als Reflexbogen bezeichnet wird. Von den 
mit paarigen Extremitäten versehenen Tieren (oder denjenigen, 
welche sie sekundär verloren haben) unterscheiden sich die 
Cycelostomen besonders durch die kolossale Entwicklung amakriner 
Schaltzellen und durch den Mangel typischer Strangzellen. Die 
bi- und multipolaren Zellen anderer Wirbeltiere können, meiner 
Ansicht nach, als Hinweis darauf dienen, dass die Strangzellen eine 
weitere Entwicklung amakriner oder überhaupt der Koördinations- 
und Assoziationszellen von Ammocoetes darstellen. Indem die 
Strangzellen kurze und lange Assoziationsbahnen bilden, bedingen 
sie eine grössere Isolierung der Reflexe einzelner Muskeln. So 
lange jedoch ein perimedulläres Geflecht vorhanden ist, kann wohl 
kaum die Rede sein von einzelnen Reflexen sowie von einer 
strengen und schnellen Lokalisation der Hautreizungen. Bei 
jeder beliebigen äusseren .Reizung der Haut bemüht sich ein 
Frosch zunächst wegzuspringen, d. h. eine lokale sensible Reizung 
ruft in dessen Rückenmark einen diffusen motorischen Reflex 
hervor. Noch grössere Bedeutung hat ein derartiger diffuser 
motorischer Reflex bei Fischen, bei welchen die Bewegung der 


Nervensystem von Ammocoetes. 675 


Gesamtkörpermuskulatur das einzige Mittel vorstellt, um sich 
von einer äusseren Hautreizung zu befreien. 

Einem Vergleich des Rückenmarks von Ammocoetes mit 
demjenigen von Amphioxus sah ich mich genötigt zu entsagen; 
die Nervenelemente seines Rückenmarks behalten viele gemein- 
same Eigenheiten mit denjenigen des Nervensystems wirbelloser 
Tiere bei; die Nervenzellen sind meistenteils unipolar, die Den- 
driten stellen Verzweigungen des Hauptfortsatzes, aus welchem 
der Nervenfortsatz seinen Ursprung nimmt, dar. Die sensiblen 
Zellen sind offenbar im Rückenmark selber gelegen (Retzius [42]). 
Ausserdem sind hier noch besondere Riesenzellen vorhanden, 
welche mit keinerlei Nervenelementen des Rückenmarks der 
Wirbeltiere verglichen werden können. Ein Zentralkanal sowie 
eine Faserschicht an der Rückenmarksoberfläche werden auch bei 
Wirbellosen angetroffen. Für eine sicher begründete Homologi- 
sierung der Nervenelemente des Rückenmarks von Amphioxus 
und Ammocoetes muss zunächst das gegenseitige Verhalten der 
Nervenelemente zueinander bei Amphioxus und der ihm nahe- 
stehenden Gruppen wirbelloser Tiere Klargestellt werden. 

Das grosse Interesse, welches die Metamerie des Kopfes 
darbietet, bot den Anlass dazu, Spuren eines metamerischen Baues 
im Rückenmark zu suchen. Im Jahre 1855 beschrieb K. von 
Kupffer die Segmentierung der noch nicht geschlossenen Medullar- 
platte bei Salamandra atra, welche sich gleichmässig sowohl auf 
das Gebiet des Gehirns als auch des Rückenmarks erstreckt. 
W. A. Locy (23, 24) fand eine gleiche primäre Segmentierung 
des Rückenmarks bei Haien. Auf Grund dieser Befunde könnte 
wohl angenommen werden, dass die Neuromerie eine primäre 
Erscheinung sei und dass bei niederen Fischen Spuren derselben 
in irgend einer Form vorhanden sein müssten. 

Die segmentale Anordnung der Spinalwurzeln gestattet es 
anzunehmen, dass das Rückenmark in segmentale Abschnitte, 
welche den Wurzeln entsprechen, eingeteilt werden kann. Die 
Forscher, welche die Metamerie des Gehirnes studiert haben, 
bemühen sich gerade, einen Zusammenhang der Neuromeren mit 
den Wurzeln der Kopfnerven aufzufinden. Da äussere Kenn- 
zeichen der Segmentierung des Medullarrohres fehlen, so muss 
das Augenmerk auf die Anordnung der Nervenelemente gerichtet 
werden. Hinsichtlich der Nervenzellen erwachsener Fische sind 


674 DIT etJakott: 


in der letzten Zeit von Kolster (29) Befunde erhoben worden: 
derselbe beschreibt die segmentale Anordnung der Zellen der 
ventralen Hörner. Dieselbe wird auch im dorsalen Teil des 
Rückenmarks, jedoch viel schwächer als im ventralen Horn aus- 
gebildet, wahrgenommen. Eine ähnliche Verteilung der Zellen 
ist in dem Rückenmark der höheren Wirbeltiere beschrieben 
worden In dem Rückenmark von Ammocoetes ist jedoch absolut 
keine Segmentierung oder gar eine einfache Gruppierung der 
Nervenzellen zu erkennen. Der ganze Bauplan des Rückenmarks 
weist im Gegenteil auf eine vollkommen gleichmässige Verteilung 
der Nervenelemente ohne irgendwelche Beziehung derselben zu 
den Körpersegmenten und den Nervenwurzeln hin. Unabhängig 
von den embryonalen Beziehungen gibt der Bau des Rücken- 
marks von Ammocoetes keine Grundlage dafür ab, seiner 
Segmentierung eine tiefe phylogenetische Bedeutung zuzusprechen. 
Die gruppenweise Anordnung der Zellen bei anderen Wirbeltieren 
ist eine sekundäre Erscheinung, worauf bereits die sorgfältigen 
Untersuchungen von Argutinsky (2) an dem Rückenmark des 
menschlichen Neugeborenen hinweisen. Ein Beispiel einer der- 
artigen Gruppenanordnung der Zellen und zwar der Zellen des 
ventralen Hornes stellt die Medulla oblongata von Ammocoetes 
dar, in welcher die Kerne der motorischen Nerven als aufeinander- 
folgende Gruppen motorischer Zellen angeordnet sind. Der 
sekundäre Charakter einer derartigen Segmentation erhellt aus 
einem Vergleich mit dem Rückenmark, worüber ich ausführlicher 
in nächster Zukunft zu berichten hoffe. 

Meinen tiefempfundenen Dank spreche ich an dieser Stelle 
meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. A.S. Dogiel, der 
mich auf das Thema hingewiesen hat, aus. Seine Ratschläge, 
sein beständiges Interesse an meiner Arbeit verhalfen mir dieselbe 
zum Schluss zu bringen, wenn von einem Schluss einer derartigen 
Arbeit überhaupt die Rede sein kann. Ich denke, dass im Gegenteil 
bei einem weiteren Studium des Rückenmarks von Ammocoetes 
viele neue Tatsachen erschlossen werden, wobei meine Unter- 
suchung, wie ich hoffe, denselben eine sichere Basis abgeben wird. 


10. 


Ill. 


16. 


17. 


18. 


19. 


Nervensystem von Ammocoetes. 675 


Literaturverzeichnis. 


Ahlborn, Fr.: Untersuchungen über das Gehirn der Petromyzonten. 
Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXXIX, 1883. 

Argutinski, P.: Über eine regelmässige Gliederung in der grauen 
Substanz des Rückenmarks beim Neugeborenen und über die Mittelzellen. 
Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLVIII, 1896. 

Athias, M.: Structure histologique de la moelle du tetard de la grenouille. 
Bibliographie anatomique, T. V, 1897. 

Beard, J.: The transient ganglion cei!s and their nerves in Raja batis. 
Anat. Anz., Bd. VII, No.”7 u. 8, 1892. 

Derselbe: On the disappearance of the transtent nervus apparatus in the 
series: Scyllium, Acanthias, Mustelus and Torpedo. Anat. Anz., Bd. XII, 
No. 15 u. 16, 1896. 

Bela Haller: Über das Zentralnervensystem, insbesondere über das 
Rückenmark von ÖOrthagoriscus mola. Morph. Jahrb., Bd. XVII, 1891. 
Derselbe: Untersuchungen über das Rückenmark der Teleostier. Morph. 
Jahrb., Bd. XXIII, 1895. 

Derselbe: Bemerkungen zu v. Gehuchtens Kritik über meine Arbeit: 
Untersuchungen über das Rückenmark der Teleostier. Zool. Anz., 
Bd. 19, 504. 

Burckhardt: Histologische Untersuchungen am Rückenmark der 
Tritonen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XXXIV, 1888. 

Dahlgren: The giant ganglion cells in the spinal cord of the order 
Heterosomata cope &c. Anat. Anz., Bd. XIII, 1897. 

Freud: Über den Ursprung der hinteren Nervenwurzeln im Rückenmark 
von Ammocoetes (Petromyzon Planeri). Sitzungsber. d. Kais. Akad. d. 
Wissensch. Wien, Bd. LXXV, 1877. 

Derselbe: Über Spinalganglien und Rückenmark des Petromyzon. Sitzungs- 
ber. d. Kais. Akad. d. Wissensch. Wien, Bd. LXXVIII, 1878. 


. v. Gehuchten, A.: La moelle epiniöre de la truite. La Cellule, T. XI, 


183. 


. Derselbe: Les cellules de Rohon dans la moelle epiniöre et la moelle 


allongee de la truite. Bull. de l’Acad. roy. de Belgique, 3e serie, T. XXX, 
1895. 

Derselbe: Contribution ä l’&tude de la moelle epiniöre chez les vertebres 
(Tropidonotus). La Cellule, T. XII, 1896. 

Derselbe: Contribution & l’&tude des cellules dorsales (Hinterzellen) de 
la moelle epiniere des vertebr6s inferieurs. Bull. de l’Acad. roy. de Belgique, 
3e serie, T. XXXIV, 1897. 

Derselbe: La moelle epiniöre des larves des Batraciens. Arch. de Biol., 
7. XV, 1898: 

Golgi, C.: Le reseau nerveux diffus des centres du systeme nerveux. 
Arch. ital. de Biol., T. XV, 1891. 

Jonston: The giant ganglion cells of Catosomus and Coregonus. Journ. 
‘comp. Neur., Bd. V, 1900. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 44 


676 


20. 


21. 


22. 


23. 


24. 


25. 


36. 


37. 


40. 


4]. 


D. Bretjakoöff: 


Lawdowsky, M.: Vom Aufbau des Rückenmarks. Arch. f. mikr. Anat., 
Bd. XXXVII, 1891. 

Lenhosse&k: Beobachtungen an den Spinalganglien und dem Rücken- 
mark von Pristiurusembryonen. Anat. Anz., Bd. VII, 1892. 

Derselbe: Beiträge zur Histologie des Nervensystems und II. Zur Kenntnis 
des Rückenmarks der Rochen. Wiesbaden 1894. 

Locy, W. A.: Metameric segmentation in the medullary folds and 
embryonice rim. Anat. Anz., Bd. I, 1894. 

Derselbe: Contribution to the structure and development of the Verte- 
brate head. Journ. of Morph., 1895. 

Kalberlah, Fr.: Über das Wückenmark der Plagiostomen. Ein Beitrag 
zur vergleichenden Anatomie des Zentralnervensystems. Zeitschr. f. 
Naturw., Bd. LXXIII, 1900. 

Koelliker: Handbuch der Gewebelehre, Bd. II, 1896. 


. Kolmer, W.: Zur Kenntnis des Rückenmarks von Ammocoetes. Anat. 


Hefte, Bd. XXIX. 1905. 
Kolster, Rud.: Über bemerkenswerte Ganglienzellen im Rückenmark 
von Perca fluviatilis. Anat. Anz., Bd. XIV, 1898. 


. Derselbe: Studien über das zentrale Nervensystem. I. Über das Rücken- 


mark einiger Teleostier. Berlin 1898. 


Kupffer, €.: Primäre Metamerie des Neuralrohrs der Vertebraten. 
Sitzungsber. math.-physik. kl. Akad. d. Wissensch. München, 1885. 


. Kutschin: Über die mikroskopische Struktur des Rückenmarks von 


Petromyzon fluv. Gelehrte Nachrichten der Universität Kasan, 1865. 


. Martin: Contribution A l’&tude de la structure interne de la moelle 


epiniere chez le poulet et chez la truite. La Cellule, T. II, 1894. 
Mayer, Fr.: Das Zentralnervensystem von Ammocoetes. Anat. Anz., 
Bd. XIII, 1897. 


Müller, J.: Vergleichende Neurologie der Myxinoiden. Abhandlung. der 
Berl. Akad., 1838—1840. 


. Nansen, Frith.: The structure and combination of the histological 


Elements of the central nerve-system. Bergens-Museum, Aarsberetning, 
1887. 

Owsjannikow: Disquisitiones microscop. de medullae spin. textura in 
primis in piscibus, Dorpat 1854. 

Derselbe: Das Rückenmark und das verlängerte Mark des Neunauges. 
M&moires de l’Academie imp. des Sciences de St. Petersbourg, Vol. XIV, 
1903. 

Pawlowsky, D. J.: Zum Aufbau des Rückenmarks beim Sterlit. Neuro- 
logischer Bote, Kasan 1897. 

Ramön y Cajal, S.: La medula espinal de los reptiles. Pequenas 
contributiones al conocimiento del sistema nervioso. Barcelona 1891. 
Derselbe: Textura del sistema nervioso del hombre y de los vertebrados. 
T.1I, Madrid 1899. 
Reissner: Beiträge zur Kenntnis des Rückenmarks. Müllers Archiv, 
1860. 


Nervensystem von Ammocoetes. 677 


Retzius, G.: Zur Kenntnis des Zentralnervensystems von Amphioxus 
lanceolatus. Biol. Unters., N. F., Bd. II, 1891. 

Derselbe: Zur Kenntnis des zentralen Nervensystems von Myxine gluti- 
nosa. . Biol. Unters., N. F., Bd. II, 1891. 


. Derselbe: Die nervösen Elemente im Rückenmarke der Knochenfische. 


Biol. Unters., N. F., Bd. V, 1893. 
Derselbe: Über den Bau des Rückenmarks der Selachier. Biol. Unters. 
N. F., Bd. VII, 189. 


. Derselbe: Die embryonale Entwicklung der Rückenmarkselemente bei 


den Ophidiern. Biol. Unters., N. F., Bd. IV, 1894. 
Derselbe: Weiteres über die embryonale Entwicklung der Rückenmarks- 
elemente der Ophidiern. Biol. Unters., N. F., Bd. VIII, 1898. 


. Derselbe: Zur Kenntnis der Entwicklung des Rückenmarks von Anguis 


fragilis. Biol. Unters., N. F., Bd. VIII, 1898. 


. Rohon: Zur Histogenese des Rückenmarks der Forelle. Sitzungsber. 


d. math.-phys. Kl. d. bayr. Akad., 1884. 

Sala y Pons, Cl.: Estructura de la medula espinal de los batracios, 
Barcelona 1892. 

Sargent: The giant ganglion cells in the spinal cord of Ctenolobrus 
coeruleus Stoier. Anat. Anz., Bd. XV, 1898. 

Sterzi, G.: Die Blutgefässe des Rückenmarks. Untersuchungen über 
ihre vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Anat. Hefte, 
1. Abt., Bd. 24, 1904. 


. Derselbe: Il sistema nervoso centrale dei vertebrati. Padova 1907. 


Stieda: Über den Bau des Rückenmarks der Rochen und Haie. Zeitschr. 
f. wiss. Zool., Bd. XXIII, 1873. 

Stilling: Atlas mikroskopisch-anatomischer Abbildungen zu den neuen 
Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks. Kassel 1859. 
Tagliani: Über die Riesennervenzellen im Rückenmark von Solea impar. 
Anat. Anz., Bd. XV, 1898. 

Studni@ka: Ein Beitrag zur Histologie und Histogenese des Rücken- 
marks. Sitzungsber. der königl. böhm. Gesellsch. der Wissensch., 1895. 


. Weliky, W1.: Über den Bau des Rückenmarks des Neunauges. Arbeiten 


der kais. St. Petersb. Naturforschergesellschaft, Bd. VI, 1879, 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIII-XXV. 


Tafel XXIII. 


Fig. 1. Hälfte eines Querschnittes durch das Rückenmark von Ammocoetes, 


Grosse motorische Zelle desI. Typus mit einer grossenAnzahl Dendriten, 
die sich in einer Rückenmarkshälfte verzweigen. M — Müllersche 


Fasern von Dendritenverzweigungen umflochten; pd — dorsales 
senkrechtes Geflecht ; pv = ventrales senkrechtes Geflecht. Vergröss. 
250 mal. 


44* 


678 


Fig. 2. 
Fig. 3. 
Fig. 4. 
Fig. 5. 
Fig. 6. 
Hug: =; 
Fig. 8. 
Eıv..u 


D. Tretjakoff: 


Querschnitt durch das Rückenmark. Motorische Zelle des I. Typus, 
deren medialer Dendrit ventral vom Zentralkanal auf die gegen- 
seitige Rückenmarkshälfte übergeht und daselbst im senkrechten 
Geflecht endigt. C — Zentralkanal; M = Müllersche Fasern, 
Vergröss. 220 mal. 
Querschnitt durch das Rückenmark. Motorische Zellen des II. Typus 
mit medialen Dendriten, welche auf die gegenseitige Hälfte des 
Rückenmarks dorsal vom Zentralkanal übergehen. Ausserdem geht 
auch ein Ast des lateralen Dendriten desgleichen auf die gegen- 
seitige Rückenmarkshälfte über und endigt teilweise im senkrechten 
Geflecht, teilweise in der grauen Substanz. C = Zentralkanal. 
Vergröss. 220 mal. 
Querschnitt durch das Rückenmark. Drei typische amakrine Schalt- 
zellen des I. Typus in der linken Hälfte, eine an der Grenze der 
grauen Substanz und des ventralen Stranges in der rechten Hälfte 
des Rückenmarks. Eine der linken Zellen verzweigt sich in beiden 
Rückenmarkshälften, die andere verbindet den laterodorsalen Strang 
mit dem Gebiet der ventralen Kommissur; der mediale Dendrit 
der dritten liegt zwischen Müllerschen Fasern, während die Ver- 
zweigungen der vierten Zelle nicht aus dem Bereich des ventralen 
Stranges heraustreten. © — Zentralkanal; M— Müllersche Fasern 
Vergröss. 220 mal. 
Sagittalschnitt durch das Rückenmark. Drei grosse motorische 
Zellen des II. Typus in ihrer natürlichen Lagerung zueinander. 
k = kleine Nervenzellen (ihre Dendriten sind nicht gezeichnet), 
kd — kleine Zelle, deren Fortsatz sich im dorsalen Strang verzweigt 
(conf. Fig. 23); v — zwei Fasern des Dorsalstranges, welche aus 
dem Strange zu dessen Oberfläche emporsteigen, wo sie in Ver- 
zweigungen endigen; diese Fasern gehören den Dorsalzellen an. 
Vergröss. 280 mal. 
Querschnitt durch das Rückenmark. Eine ausserhalb der grauen 
Substanz gelegene motorische Zelle (Randzelle). Ihre Dendriten 
verzweigen sich, wie bei den typischen motorischen Zellen, in den 
dorso-lateralen und ventralen Bündeln. M — Müllersche Fasern. 
Vergröss. 280 mal. 
Eine Randzelle auf einem Totalpräparat des Rückenmarks. d = 
Dendriten; m — Rückenmarksrand; n — Nervenfortsatz. Ansicht 
der Zelle von der dorsalen Seite des Rückenmarks. Vergröss. 220 mal. 
Eine motorische Zelle des III. Typus auf einem Totalpräparat. 
dl — lateraler Dendrit; dm — medialer Dendrit; n = Nerven- 
fortsatz. Vergröss. 280 mal. 
Zwei motorische Zellen des I. Typus auf einem Totalpräparat. 
m — Rand des Rückenmarks; n — Nervenfortsatz. Vergr. 280 mal. 
Sämtliche Zeichnungen sind Präparaten aus den Rnmpfabschnitten 
des Rückenmarks verschiedener Exemplare von Ammocoetes von 
einer Länge von 10—17 cm entnommen. Die Präparate sind intra 
vitam mit Methylenblau gefärbt worden. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


10. 


11: 


12. 


13. 


14. 


16. 


E27. 


19. 


Nervensystem von Ammocoetes. 679 


Tafel XXIV. 


Horizontalschnitt aus einem mit Methylenblau gefärbten Rücken- 
mark. a — motorische Zelle des III. Typus; ac — Zellkörper; 
ad = ein langer Dendrit der Zelle; an — Nervenfortsatz; b = 
motorische Zelle des II. Typus, deren Nervenfortsatz nicht gefärbt 
ist; ce — Schaltzellen des II. Typus. Vergröss. 280 mal. 


Horizontaler Schnitt durch das Rückenmark von Ammocoetes. 
Präparat nach Golgi. Motorische Zelle des I. Typus. ce — Zell- 
körper; d — Dendriten; n — Nervenfortsatz. Vergröss. 280 mal. 
Horizontalschnitt eines Golgipräparates. Motorische Zelle des 
Il. Typus mit unvollkommen gefärbten Dendriten. ce — Zellkörper; 
en — eine Kollaterale des Nervenfortsatzes; d — Dendriten; n — 
Nervenfortsatz. Vergröss. 280 mal. 

Querschnitt durch das frontale Rückenmark. Amakrine Schaltzellen 
von verschiedener Grösse und Lage. Vergröss. 220 mal. 

Abschnitt der Hälfte des Rückenmarks auf einem Totalpräparat, 
von der unteren Oberfläche gesehen. Gesamtbild. a = motorische 
Zellen; b — Schaltzellen; d = Dorsalzelle; m —= Rand des Rücken- 
marks; r —= Randzelle (unvollständig gefärbt). Vergr. 380 mal. 
Dorsale Oberfläche eines mit Methylenblau gefärbten Rückenmark- 
stückes. rd — dorsale Wurzel; dv — Fasern der dorsalen Wurzeln 


in den dorso-lateralen Strängen; de — deren Kollateralen in den 
dorsalen Strängen. In den tieferen Schichten des Rückenmarks 
sind sichtbar: a —= motorische Zelle des I. Typus, an — deren 


Nervenfortsatz, bı b = Schaltzellen des I. Typus. Vergr. 220 mal. 

Sämtliche Zeichnungen dieser Tafel sind Präparaten aus den 
Rumpfabschnitten des Rückenmarks von Ammocoetes von 10—17 cm 
Länge entnommen. Die Präparate 10, 13, 14 und 15 sind intra 
vitam mit Methylenblau gefärbt worden. 


Tafel XXV. 


Querschnitt durch das Rückenmark. Schaltzellen und das peri- 
medulläre Geflecht. ce — Centralkanal; d — dorsale Bündel; M — 
Müllersche Fasern. Vergröss. 220 mal. 

Hälfte eines Querschnittes durch das Rückenmark. a —= motorische 
Zelle; b = amakrine Schaltzelle, deren ein Dendrit sich im dorsalen 
Strange, der andere im Gebiet der ventralen Kommissur sich ver- 
zweigt; bı — amakrine Schaltzelle, deren Dendriten sich in den 
ventralen Strängen verzweigen. Vergröss. 280 mal. 

Hälfte eines Querschnittes durch das Rückenmark. Amakrine Schalt- 
zelle mit stark entwickeltem System von Verzweigungen. Vergr. 
280 mal. 

Hälfte eines Querschnittes durch das Rückenmark. Amakrine Zellen. 
am — amakrine Schaltzelle in der weissen Substanz. M= Müller- 
sche Fasern. Vergröss. 2S0 mal. 


Fig. 


Fig. 


ig. 20. 


. 22. 


23. 


D. Tretjakoff: Nervensystem von Ammocoetes. 


Querschnitt durch das Rückenmark. Amakrine Zellen. © — Zentral- 
kanal; d = dorsale Bündel; M—= Müllersche Fasern; dr — dorsale 
Wurzeln; ve — ventrale Kommissur. Vergröss. 220 mal. 
Totalpräparat des Rückenmarks, dorsale Oberfläche. Amakrine 
Zellen ; die Endverzweigungen sind nicht gezeichnet. b — amakrine 
Schaltzellen des III. Typus. Vergröss. 380 mal. 

Querschnitt durch das Rückenmark. bı b = zwei amakrine Schalt- 
zellen, welche die dorso-lateralen Bündel mit der ventralen Kommissur 
verbinden. a — motorische Zellen. Vergröss. 280 mal. 
Querschnitt durch das Rückenmark. Schaltzellen, deren einziger 
oder mächtigster Fortsatz sich im dorsalen Strange oder an der 
Grenze dieses mit dem dorso-lateralen Strange verzweigt. c — 
Zentralkanal; sg —= graue Substanz. Schwanzabschnitt des Rücken- 
marks. Vergröss. 220 mal. 

Totalpräparat des Rückenmarks; dorsale Oberfläche. r — eine 
Faser des dorso-lateralen Bündels am Rückenmarksrande; r — eine 
Faser aus dem medialen Teil des dorso-lateralen Bündels; beide 
Fasern sind Fortsetzungen von Fasern dorsaler Wurzeln; s = 
Endigungen dorso-lateraler Fasern im perimedullären Geflecht. 
Vergröss. 280 mal. 

Sämtliche Zeichnungen dieser Tafel sind Präparaten aus den 
Rumpfabschnitten (ausgenommen Fig. 23) des Rückenmarks von 
Ammocoetes von 10—17 cm Länge entnommen. Die Präparate: 
sind intra vitam mit Methylenblau gefärbt worden. 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen 
Sekretion. 


Von 
A. N. Mislawsky 


Prosektorgehilfe am histologischen Laboratorium zu Kasan. 


Hierzu Tafel XXVI. 


Bei meinen Untersuchungen über den Bau der im Jahre 1875 
von Löwe (1) entdeckten und in den Handbüchern von Krause (?) 
und C. Vogt und E. Jung (3) irrtümlich den Speicheldrüsen 
angereihten Glandula mandibularis superficialis des Kaninchens, 
einer Drüse, die tatsächlich nur als die tiefer liegende Partie 
eines ziemlich ansehnlichen Konglomerates von Hautdrüsen eigen- 
tümlicher Art in der Unterkieferregion des genannten Tieres 
sich erweist, hatte ich Gelegenheit, sehr scharf ausgesprochene 
Veränderungen funktionellen Charakters in dem Epithel der 
sezernierenden Teile dieser Drüse zu beobachten, Veränderungen, 
welche in der histologischen Literatur unter dem Namen der 
blasenförmigen Sekretion (Henschen) bekannt sind. 

Diese Erscheinung, welche in der Abstossung des ganzen 
distalen Teiles der sezernierenden Zelle in das Sekret besteht, 
ist zuerst von R. Heidenhain bei der tätigen Milchdrüse 
beschrieben worden, obschon man weit früher Hinweise darauf 
bei Ranvier (5, 6) finden kann: der letztgenannte Autor 
beobachtete an den Schweissdrüsenzellen eine Ablösung homogener 
Tropfen, die an Schleim- oder Colloidtropfen erinnern, doch gibt 
er über den Modus dieser Ablösung keinen Aufschluss. 

R. Heidenhain (7) fand bei seinen Untersuchungen über 
die Veränderungen des Epithels der sezernierenden Partien der 
Milchdrüse während ihrer Tätigkeit, dass in der Lactationsperiode 
das niedrige kubische Epithel der ruhenden Mamma sich in ein 
hohes zylindrisches verwandelt. Ferner sagter: „Bei der Sekretion 
wird der vordere Teil samt dem in ihm enthaltenen Fett ab- 
gestossen, die zerfallende Substanz der Zelle löst sich in der 
Milch, die Fetttröpfehen werden frei; oft hängt ihnen noch auf 


682 A.N. Mislawsky: 


einer Seite ein Stückchen des Zellleibes kappenförmig an, das 
allmählich aber gelöst wird. Sind in dem sich abstossenden 
Teile der Zelle Kerne vorhanden, so gehen auch diese in das 
Sekret über. Man findet sie nicht selten in dem Alveolarinhalt, 
dagegen sehr selten in der entleerten Milch“ (S. 383—384). Die 
Herkunft ebenso wie auch die physiologische Bedeutung der oben 
erwähnten, in das Sekret ausgeschiedenen Kerne wurde einige 
Jahre darauf von Heidenhains Schüler, Fr. Nissen (8), klar- 
gelegt, indem letzterer die Beteiligung des Kernes bei der 
gegebenen Art der Sekretion nachwies. Den Beobachtungen des 
letztgenannten Autors zufolge geht in den Epithelzellen der 
tätigen Milchdrüse eine sehr lebhafte Kernvermehrung vor sich 
— die Zellen erscheinen meist zweikernig, wobei die beiden 
Kerne in der Längsachse der Zelle übereinander liegen. Während 
der Sekretion schnürt sich der distal liegende Kern mit einem 
Teil des Zellprotoplasmas ab und geht in das Sekret über, wo- 
selbst er durch Chromatolyse zerfällt. Die Anfangsstadien der 
Chromatolyse beobachtete der Verfasser in dem zur Abstossung 
bestimmten Kerne, als letzterer noch in dem Zellkörper sich 
befand. Im Hinblick darauf, dass die Nukleinsubstanz in den 
Geweben ausschliesslich der Kernsubstanz eigen ist, glaubt 
Nissen, dass die von ihm beschriebene Erscheinung bei der 
Bildung des Caseins der Milch eine sehr wichtige Rolle spielt, 
da das Casein bekanntlich in die Gruppe der Nukleo-Albumine 
gehört. Was aber den Modus der Kernvermehrung betrifft, so 
meint der Autor, dass in der Milchdrüse eine direkte Kern- 
teilung statthabe, weil es ihm kein einziges Mal gelang, einer 
karyokinetischen Figur ansichtig zu werden. Der letzterwähnte 
Umstand wird auch von Michaelis (9) bestätigt. Im Gegen- 
satz hierzu fand Steinhaus (10) in der tätigen Mamma eine 
beträchtliche Anzahl von Mitosen, wobei die Teilungsachse der 
mitotischen Kerne gewöhnlich mit der Längsachse der Zelle 
zusammenfiel, während dagegen in der gleichfalls von reichlichen 
Mitosen begleiteten Schwangerschaftsperiode die Teilungsachse 
der mitotischen Kerne senkrecht zur Längsachse der Zelle 
gestellt war. 

Die Arbeit von Steinhaus ist deshalb besonders interessant, 
weil der Autor sich zum Ziel gesetzt hatte, die Morphologie der 
Sekretbildung in den der Sekretausscheidung vorhergehenden 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 653 


Stadien zu erörtern. Seinen Beobachtungen zufolge wird bei der 
Sekretion eine mit Vergrösserung des Zellenumfanges parallel 
gehende Anfüllung der Zelle mit Altmannschen fuchsinophilen 
(Granulationen bemerkt; diese Granula unterliegen im Laufe des 
Prozesses „einer zyklischen Metamorphosenreihe: anfänglich 
kugelig, werden sie ovoid, stäbehenförmig, spirillen- und zuletzt 
spirochaetenartig gewunden“. „Gleichzeitig tauchen im Proto- 
plasma Fetttröpfehen auf. Wahrscheinlich entstehen sie auf die 
Weise, dass einzelne fuchsinophile Granula sich mit Fett beladen“ 
(S. 66). Daneben beschreibt der Autor das gleichzeitige Auf- 
treten von Fetttröpfehen in dem einen der neu gebildeten Zell- 


kerne — eine Erscheinung, die zur Zerstörung und zum Unter- 
gange dieses letzteren führt. „Alle diese morphologischen 
Elemente, — Granula, Fetttröpfehen, verfettete Kerne, — lösen 


sich von der Zelle ab und gehen in das Sekret über, in welchem 
sie weitere Veränderungen erleiden. Die zurückgebliebenen 
 Zellenreste regenerieren sich, insofern sie kernhaltig sind, und 
die Sekretion beginnt von neuem“ (S. 66). 

Bereits bald nach Veröffentlichung der Untersuchungen 
Heidenhains stellte es sich heraus, dass die Milchdrüse nicht 
das einzige Organ ist, in welchem die oben beschriebenen 
sekretorischen Veränderungen des Epithels statthaben; so fand 
Lebedeff (11) bereits im Jahre 1885, als er die Veränderungen 
im Epithel der Harnkanälchen bei, der Hämoglobinausscheidung 
durch die Niere unter Einfluss vÖfschiedenartiger Intoxikationen 
verfolgte, dass „durch die Aufquellung der Zellen der innere 
dem Lumen zugekehrte Teil ganz abgelöst werden kann, so dass 
nur der periphere Teil zurückbleibt; der Kern kann in dem 
letzteren erhalten bleiben“ (S. 308). 

Lebedeff hielt diese Erscheinung für eine rein patho- 
logische; indes beobachtete Lorenz (12) einige Jahre später in 
der normalen Schweinsniere eine ähnliche Ablösung eines kuppel- 
förmig in die Lichtung des Harnkanälchens hineinragenden Teiles 
des Zellprotoplasmas in Gestalt „spärlich gekörnter Kugeln“. 
Bei dem Menschen fand Lorenz die nämlichen Veränderungen 
des Nierenepithels nur bei Entzündungs- und Stauungserscheinungen. 

Ein Jahr nach Lorenz beobachtete Altmann (13) das 
uns interessierende Phänomen an den Epithelzellen der embryo- 
nalen Niere eines I3tägigen Hühnerembryos. „Hier“, sagt er, 


684 A. N. Mislawsky: 


„zeigte es sich, dass die Zellen grössere kugelige Gebilde aus- 
stossen, welche zum Teil noch spezifische Granula enthalten, 
und dass dieses trotz des epithelialen Bürstenbesatzes geschieht“ 
(S. 117). Bei erwachsenen Warmblütern gelang es dem Verfasser 
nicht, ein ähnliches Phänomen nachzuweisen, was er ausschliess- 
lich der relativen Enge des Lumens ihrer Harnkanälchen zu- 
schreibt, denn eine bis zwei Stunden nach der Ureterunterbindung, 
wenn das Lumen der Harnkanälchen einigermassen ausgedehnt 
erscheint, erhielt Altmann mit den soeben beschriebenen 
identische Bilder. Neuerdings findet die Ansicht Altmanns, 
wie es scheint, eine Bestätigung in der Arbeit Henschens (4), 
welcher mit den Altmannschen Befunden identische Verände- 
rungen des Epithels der Harnkanälchen in der Niere von Vesper- 
tilio murinus konstatiert hat. 

Nicolas (14), welcher den uns beschäftigenden Sekretions- 
prozess an dem Urnierenepithel von Säugetieren studiert hat, 
stellte im Jahre 1891 eine Theorie auf, welche den Mechanismus 
dieses Prozesses erklärte. Seinen Anschauungen zufolge werden 
von der Zelle flüssige, zur Ausscheidung aus dem Zellkörper 
bestimmte Produkte ausgearbeitet; je mehr diese letzteren in 
der Zelle zunehmen, desto mehr sind sie bestrebt, den Umfang 
dieser Zelle in allen Dimensionen auszudehnen; da aber die an- 
liegenden Nachbarzellen ebenso wie auch die wenig nachgiebige 
Membrana propria der AusdChnung der Zelle Widerstand leisten, 
so werden die Sekretionsproduüte unausbleiblich nach der einzigen 
freien Zellenoberfläche hin verdrängt; hier imbibieren sie den 
der Lichtung anliegenden Teil des Zellprotoplasmas und bedingen 
so ein Auswachsen der Zelle in vertikaler Richtung und eine 
kuppelförmige Vorwölbung des freien Zellenendes in das Lumen. 
Hat die Sekretanhäufung in der Zelle ihre gewisse Grenze 
erreicht, so löst sich der distale, mit der Sekretionsflüssigkeit 
imbibierte Teil des Protoplasmas in Gestalt eines Tropfens von 
der Zelle ab und geht in die Lichtung des Organs über. Dies 
kann, nach der Ansicht des Verfassers, in zweierlei Weise vor 
sich gehen, je nachdem die Zellenoberfläche mit einem Bürsten- 
besatze versehen ist oder nicht. Im erstgenannten Falle, wie er 
im Wolffschen Körper an den Zellen des postglomerulären Ab- 
schnittes zur Beobachtung kommt, bildet der der Ablösung 
anheim fallende Teil des Zellprotoplasmas an der Zellenoberfläche 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 685 


gleichsam einen bruchsackartigen Wulst; letzterer nimmt allmählich 
an Umfang zu, drängt die Elemente der Wimpermembran seit- 
wärts auseinander, reisst endlich infolge seiner Schwere ab und 
fällt in die Kanallichtung. Etwas einfacher gestaltet sich dieser 
Prozess an den der Cilien sowie der damit verbundenen Membran 
entbehrenden Zellen der Sammelröhren des W olffschen Körpers. 
Von dem basalen Teile der Zelle löst sich hier der durch seine 
mehr schwammige und lockere Struktur ausgezeichnete distale 
Zellenabschnitt, indem er ebenfalls durch seine Schwere vom 
Zellkörper abreist und ebenso in die Lichtung der Röhre fällt. 
Mitunter kommt es, wie Nicolas angibt, im letztgenannten 
Falle nicht zu einer Abschnürung der Zellenkuppe von der 
basalen Zellenhälfte, so wie es oben beschrieben wurde, sondern es 
zerreisst einfach die dünne Grenzmembran der Zelle und der Inhalt 
der letzteren ergiesst sich direkt in die Lichtung des Organs. ') 

Mit den von Nicolas beobachteten fast identische Bilder 
hatte van Gehuchten (15) bereits etwas früher an dem Epithel 
des Mitteldarmes (mediintestin) einer Raupe (Ptychoptera conta- 
minata) beschrieben; indes besteht ein scharfer Unterschied in 
der Deutung, die van Gehuchten seinen Befunden gibt und 
der von Nicolas vorgeschlagenen Theorie. Während der letzt- 
genannte Autor die Ablösung der von der Zelle ausgearbeiteten 
Substanzen als eine auf den Gesetzen der Hydrostatik beruhende- 
Erscheinung rein physikalischen Charakters betrachtete, schreibt 
van Gehuchten der Zelle eine in gleichem Maße aktive Rolle 
zu, sowohl bei der Bildung als auch bei der Ausstossung des 
Sekretes. Nach der Ansicht van Gehuchtens sammeln sich 
die zur Ausscheidung bestimmten Produkte im distalen Teile der 
Zelle an und bilden hier die helle Zone, welche durch die Sekret- 
anhäufung kuppelförmig nach der freien Zellenoberfläche hin vor- 
gewölbt wird; doch bevor es zur Abstossung dieses distalen Zell- 
teiles kommt, bildet der proximal liegende Abschnitt des Zell- 
protoplasmas an der Grenze der erwähnten Zone eine neue 
Membran ; die infolge davon nicht mehr organisch mit dem Zell- 
leibe verbundene, distale Zellenkuppe wird abgestossen und fällt 
in das Lumen des Organs. 


!) Zufolge meinen eigenen Beobachtungen wurden an dem von mir 
untersuchten Objekte ähnliche Bilder wie die letzterwähnten nur bei un- 
genügender Fixierung der Zellenelemente wahrgenommen. 


656 A.N. Mislawsky: 


Im Jahre 1897 fand Tempel (16) den oben von uns 
referierten ganz ähnliche Sekretionserscheinungen in den Zellen- 
elementen des Epithels der zusammengesetzten tubulösen Drüsen 
der Zwischenklauenhaut (des Klauensackes) des Hausschafes (ovis 
aries). Hier lassen sich, seiner Beschreibung zufolge, im Ruhe- 
zustande der Drüse in deren Zellen zwei deutlich unterscheid- 
bare Zonen konstatieren — eine dunkle, der Membr. propria 
zugewandte und eine, an die Lichtung des Drüsentubulus an- 
grenzende, helle Zone.') Dieses dunklere Aussehen der äusseren 
Zellenzone ist durch die Anwesenheit feiner Granulationen in 
derselben bedingt, während dagegen in der inneren Zone, welche 
zwar auch Granula enthält, diese letzteren sich nur in viel 
geringerer Menge vorfinden und sich durch ihre relativ beträcht- 
lichere Grösse auszeichnen. Während ihrer Tätigkeitsperiode 
wachsen die Zellen in senkrechter Richtung an und ihre Zylinder- 
form geht hierbei infolge einer ungleichmässigen Vergrösserung 
des distalen Zellenteiles in eine kegelförmige über. „Der innere 
Teil der Zelle zerfällt“, die Zellen werden wieder niedriger 
(S.11). Gleichzeitig konstatiert man eine lebhafte Kernvermehrung, 
so dass „einzelne Zellen mehrere Kerne aufweisen“ (ibid.). Man 
trifft Kerne an, welche doppelt oder dreimal grösser sind als die 
übrigen. Diese Kernvermehrung geht nach des Autors Ansicht 
ausschliesslich auf dem Wege der Karyokinese vor sich. Schliess- 
lich notiert Tempel die überraschende Ähnlichkeit des von ihm 
beschriebenen Prozesses mit den vor ihm an der Milchdrüse 
beobachteten Sekretionserscheinungen. 

Nach der Publikation der Arbeit Tempels liess sich schon 
a priori erwarten, dass ein Befund gleichartiger Erscheinungen 
des Sekretions- oder richtiger Exkretionsprozesses auch an anderen, 
bei Säugern so sehr verbreiteten zusammengesetzten tubulösen 
Drüsen der äusseren Haut nachfolgen werde; und in der Tat 
beschrieben Talke (18) und Lüneburg (19) gleichzeitig (im 
Jahre 1902) einen derartigen Sekretionstypus an den in der 
Achselhöhle des Menschen gelegenen grossen Schweissdrüsen, 
welche den vom oben genannten Autor untersuchten Klauensack- 
drüsen ihrer Struktur nach sehr nahe stehen. Nach Talke lassen 


'‘, Eine ähnliche Differenzierung des Zellprotoplasmas beobachtete 
Hermann (17) bereits im Jahre 1879 in den grossen Schweissdrüsen, zu 
welchen, seiner Meinung nach, die Axillardrüsen des Menschen gehören. 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 657 


sich in der tätigen Drüse zwei Zellenarten unterscheiden — 
dunkle oder sezernierende und helle, ruhende, oder bereits sekret- 
leere Zellen. Sowohl die einen wie auch die anderen besitzen 
ein zartkörniges Protoplasma Die von der Zelle ausgearbeiteten 
Produkte sammeln sich in dem dem Drüsenlumen zugekehrten 
Teile des Zellkörpers an und bewirken durch ihre Gegenwart 
eine im Vergleich mit den ruhenden Zellen bemerkbare Ver- 
grösserung der Dimensionen sowie auch eine kolbenförmige An- 
schwellung der freien Oberfläche der sezernierenden Zellen. 
„Nachdem oberhalb des Kernes die Sekretanhäufung in dem nach 
dem Lumen zu belegenen Teile der Zelle ihre Grenze erreicht 
hat, erfolgt die Sekretentleerung, so dass sich aus der Kuppe der 
Zelle ein verschmälerter Fortsatz entwickelt und so allmählich 
die ganze Sekretmasse herausquillt“ (S. 548). Den Anschauungen 
Talkes zufolge kann freilich die Zelle nach Ausscheidung der 
gegebenen Sekretmasse mitunter aufs neue in den Tätigkeits- 
zustand übergehen und neues Sekret produzieren, häufiger jedoch 
erfolgt der Untergang und die Zerstörung der Zelle Der Ersatz 
der untergegangenen Zellen findet ausschliesslich auf dem Wege 
der Karyokinese statt: kein einziges Mal beobachtete der Ver- 
fasser irgendwelche Anzeichen einer direkten Kernteilung. Etwas 
anders beschreibt Lüneburg den Sekretionsprozess in den 
nämlichen Axillardrüsen des Menschen. Die Resultate seiner 
Beobachtungen erlaube ich mir wörtlich widderzugeben, weil sie 
mir am meisten mit den von mir an den’ Epithelzellen der Glan- 
dula mandibularis superficialis des Kaniüchens gesehenen Bildern 
übereinzustimmen scheinen: 

„Mit Beginn der Sekretion nehzden die ursprünglich kubisch 
gestalteten Drüsenzellen eine mehr zylindrische Form an und 
lassen deutlich einen basalen kernhaltigen, dunkler gefärbten 
Teil, mit leichter Längsstreifung, von einem distalen, helleren, 
mehr homogenen Teil unterscheiden, der mehr oder weniger 
kuppelförmig in die Lichtung des Tubulus vorragt und sich aus 
einem schmalen hellen Saum entwickelt hat. Diese ganze Aussen- 
zone der Zelle wird bei der Sekretion abgestossen, und es bleibt 
der dunkle kernhaltige Teil zurück, welcher zunächst im Zustand 
der Untätigkeit ohne hellen Aussensaum verharrt“ (S. 31). 

Zu erwähnen sind noch die Arbeiten von Courant (20) 
und Grosz (21), welche in den Zellen der Präputial- (Inguinal-) 


635 A.N. Mislawsky: 


Drüsen des Kaninchens (Courant) und der Analdrüsen des 
Maulwurfes (Grosz) die Ablösung homogener kugeliger, vom 
Protoplasma dieser Zellen durch mangelnde Affinität für Farb- 
stoffe sich unterscheidender Gebilde beobachtet haben; führen 
wir dann noch einmal die Arbeit Henschens (4) an, welcher 
den betreffenden Sekretionstypus am Darmepithel von Insekten, 
Mollusken, Batrachiern, Reptilien und Vögeln konstatiert und 
ihm den Namen der blasenförmigen Sekretion gegeben hat, so 
können wir unsere literarische Übersicht für abgeschlossen halten. 

Ziehen wir nun die Befunde sämtlicher, oben aufgeführter 
Autoren in Betracht, so lassen sich folgende zwei, für den uns 
interessierenden Sekretionsprozess charakteristische Kardinal- 
merkmale feststellen: 

1. Die von der Zelle bereiteten und als deren Sekret zur 
Abstossung aus derselben bestimmten Stoffe häufen sich 
bis zu einem gewissen Moment in dem der Lichtung 
des Organs zugewandten, distalen Teile der Zelle an, 
wobei sie ein Auswachsen der Zelle in vertikaler Richtung 
und eine kuppelförmige Anschwellung der freien Zellen- 
oberfläche bewirken. 

2. Nachdem die in der Zelle stattfindende Anhäufung des 

von derselben ausgearbeiteten Sekretes eine gewisse 
Grenze erreicht hat, wird der sekrethaltige distale Teil 
des Zellprowoplasmas abgestossen und fällt in Gestalt 
eines Tropfens in die Lichtung des Organs. 
bezug auf die Hautdrüsen ist noch hinzuzufügen: 
Die Kerne der Diüsenzellen nehmen an dem Sekretions- 
prozesse des gegelenen Typus Anteil, welch letzterer 
sich in einer im Laufe des Prozesses erfolgenden, inten- 
siven Kernvermehrung äussert. 

Schliesslich haben wir noch einen, bei Durchsicht der ein- 
schlägigen Literatur ins Auge fallenden und bereits von 
Henschen!) bemerkten Umstand zu notieren, nämlich dass die 
blasenförmige Sekretion nur auf solche Organe sich bezieht, 
welche zur Ausscheidung aus dem Organismus bestimmte Stoffe 
produzieren resp. produzieren können. 

Als Objekt für meine eigenen Beobachtungen dienten mir, 
wie bereits erwähnt, die Drüsenzellen der Glandula mandibularis 


I7].'c., 82089. 


m 
>) 


cs 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 65) 


superficialis des Kaninchens '). Behufs Untersuchung der Drüse 
wurde sie am lebenden Tiere mit aller Vorsicht herauspräpariert, 
was bei ihrer oberflächlichen Lage leicht zu bewerkstelligen ist; 
darauf wurde die Drüse mit scharfem Rasiermesser in kleine 
Stücke zerschnitten und sofort in die Fixierungsflüssigkeit gebracht. 
Nachdem ich eine grosse Zahl der in der mikroskopischen Technik 
bekannten Fixierungsmittel probiert hatte, blieb ich bei der 
Altmannschen Lösung und dem Gemische von mit Sublimat 
gesättigter physiologischer Kochsalzlösung unter Osmiumsäure- 
zusatz ?) stehen, weil namentlich diese beiden Lösungen sowohl 
die äussere Form der Zellenelemente als auch die Struktur- 
eigentümlichkeiten derselben am besten konservieren. Benutzte 
ich dagegen die so sehr verbreiteten Fixierungsmittel, wie z. B 
die Zenkersche oder Flemmingsche Lösung — letztere in 
ihrer starken sowie auch schwachen Modifikation, — ferner die 
verschiedenen anderen Sublimatlösungen, das Carnoysche Ge- 
misch u. a., geschweige denn ein so grobes Mittel wie Alkohol, 
so beobachtete ich stets Veränderungen destruktiven Charakters 
und sogar Auflösung des zarten distalen Teiles des Zellkörpers, 
so dass die sezernierenden Zellen hierbei an ihrer dem Drüsen- 
lumen zugekehrten Oberfläche wie angenagt aussahen. 


Der Fixierungsprozess dauerte in der Regel 20—24 Stunden, 
darauf wurden die Stückchen sorgfältig in fliessendem Wasser 
ausgewaschen, in Alkohol steigender Konzentration gehärtet und 
in Paraffin eingebettet. Die mit dem Mikrotome gefertigten, 
4—6 u dicken Schnitte wurden nach der japanischen Eiweiss- 
Methode auf den Objektträger geklebt. 


Die nach Altmann fixierten Präparate wurden in Anilin- 
Fuchsin zum Teil nach der klassischen Altmannschen Pikrin- 


) Ich sehe hier von einer Beschreibung der Struktur dieses inter- 
essanten Organs ab, da dies Gegenstand einer speziellen, von mir zum 
Druck vorbereiteten Arbeit sein wird; hier möchte ich nur bemerken, dass 
die Gl. mandib. sup. in morphologischer Beziehung den Schweissdrüsen der 
Achselhöhle des Menschen und den von Tempel in der Zwischenklauenhaut 
der Paarhufer beschriebenen zusammengesetzten tubulösen Drüsen sehr 
nahe steht. 

?) Gesättigte Hg Cl-Lösung in 0,75°/o NaCl 200 cem, Ac. osmici 2% 
8 ccm. 


690 A. N. Mislawsky: 


säuremethode, zum Teil aber — und zwar viel häufiger — nach 
einer von mir etwas modifizierten Methode!) gefärbt. 


Die Schnittpräparate welche nach Fixierung in dem oben 
erwähnten Sublimat-Osmiumsäuregemische erhalten worden waren, 
wurden gewöhnlich in Safranin gefärbt bei darauffolgender 
Behandlung mit einem Gemische von Indigokarmin und Pikrin- 
säure. Hier erlaube ich mir das Verfahren dessen ich mich bei 
der Anwendung dieser Färbung bediente, ausführlich zu be- 
schreiben, da diese Methode mir als eine der wenigst kompli- 
zierten und sichersten Modifikationen unter den kombinierten 
Safraninfärbungen erscheint. 

Die auf den Objektträger geklebten und vom Paraffin be- 
freiten Schnitte werden direkt aus absolutem Alkohol in eine mit 
verdünntem Alkohol hergestellte 1 °/o Safraninlösung ?) übertragen ; 
die Färbung dauert 15 Min. in einem Thermostaten bei 50—52°. 
Darauf wird das Präparat sorgfältig in destilliertem Wasser ab- 
gespült und eine Viertelstunde mit dem oben erwähnten (von 
Callaja vorgeschlagenen) Gemische von Indigokarmin und Pikrin- 
säure°) nachbehandelt. Die Farbe wird dann mit Wasser abgespült 
und nan werden die Schnitte sehr rasch in absolutem Alkohol 
entwässert und unter Kontrolle des Mikroskopes bis auf den 
gewünschten Grad in Kreosot oder Nelkenöl aufgehellt; das 
Kreosot resp. das Öl wird nun mit Xylol abgeschwemmt und 
das Präparat in Balsam eingeschlossen. Das Chromatin der 
Kerne nimmt bei diesem Verfahren eine hellrote Färbung an, 
die leimgebenden Bindegewebsfibrillen erscheinen grünlichblau 
gefärbt, und das Protoplasma der Zellen zeigt, je nach der 
Extraktion des Safranins, verschiedene Nuancen, von gelbrosa 
bis zu einem gesättigten Grau (in den Fällen, wo das Indigo- 
karmin nicht mit Wasser abgespült wurde). 


Für ein Gelingen der Färbung sind eine gleichmässige 


!) Diese Methode, welche, abgesehen von einer Färbung der fuchsino- 
philen Granula, zugleich auch eine differenzierte Färbung der Muskelepithel- 
zellen in den Drüsen ermöglicht, wird in einer von mir zum Drucke vor- 
bereiteten Arbeit ausführlich dargelegt werden. 

?) Safranin 1,0 ccm, Alcohol. abs. 10,0 ccm, Aq. dest. 90,0 ccm. 

®) Indigokarmin 0,5 ccm, Ac. pieronitr. in gesättigter wässeriger Lösung 
200,0 ccm. 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 691 


Fixation') und möglichst rasche (1—2 Sekunden) Entwässerung 
des Präparates in Alkohol erforderlich. 


Ausserdem färbte ich die Präparate in Hämatoxylin und 
Eisen, und nach Fixation ohne Osmiumsäure auch nach Ehrlich- 
Biondi, ferner in Toluidinblau mit Erythrosin usw. 


Ich gehe nun zur Darlegung der von mir erhaltenen 
Resultate über. 


Betrachtet man ein. Schnittpräparat aus der Glandula 
mandibularis superficialis bei mittleren Vergrösserungen, so 
erweist es sich, dass fast die ganze Schnittfläche aus den in 
verschiedensten Richtungen getroffenen Sekretionskanälchen der 
Drüse besteht; diese letzteren erscheinen überall mit einem 
einschichtigen Epithel überkleidet. Indes sind die Bilder, welche 
dieser Zellenbelag bietet, bei weitem nicht überall dieselben. 
In manchen Abschnitten der Drüse wird er von gleichartigen ?) 
Zellen gebildet, welche niedrig-zylindrisch oder kubisch gestaltet 
sind und dicht aneinander liegen; das Protoplasma dieser Zellen 
erscheint nach Fixierung in Sublimat-Osmiumsäure gleichmässig 
feinkörnig, und bei Anilinfuchsinfärbung nach vorhergehender 
Fixierung in der Altmannschen Lösung lässt sich die Anwesen- 
heit einer unbedeutenden Anzahl fuchsinophiler Granula in diesen 
Zellen nachweisen, wobei diese Granula mehr oder weniger 
gleichmässig über den ganzen Zellkörper verstreut erscheinen. 
Die Behandlung dieser zelligen Elemente mit Osmiumsäure weist 
auf die Identität derselben mit Talkes”’) „hellen“ Zellen hin, 


Im Gegensatz zu den eben beschriebenen finden wir, dass 
in anderen Bezirken der Drüse das Epithel der Drüsentubuli 
aus hohen zylindrischen, zylindrisch-konischen oder sogar kugel- 
förmigen Zellen besteht; in dem Protoplasma dieser Zellen lassen 
sich zwei Zonen unterscheiden — eine dunklere. mehr zart 


!) Am günstigsten erweist sich hierbei die Gegenwart der Osmium- 
säure, doch habe ich auch bei dem Gebrauche der Zenkerschen Lösung 
völlig befriedigende Bilder erhalten. 

”) Unbedeutende Variationen in der äusseren Gestalt dieser Zellen — 
von einer kubischen bis zu einer niedrig-zylindrischen — wie solche in den 
verschiedenen Abschnitten der Drüsentubuli angetroffen werden, erklären 
sich meines Erachtens leicht aus dem jeweiligen Zustande der Muskel- 
membran des betreffenden Abschnittes. 

ulze: 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 45 


692 A.N. Mislawsky: 


körnige, basale, und eine helle distale Zone. ') Diese letztere 
erscheint bei der Altmannschen Fixation homogen, unter dem 
Einflusse des Sublimat-Osmiumgemisches dagegen gewinnt sie 
ein etwas spongiöses Aussehen.) Nicht selten werden Zellen 
angetroffen, welche, ohne in vertikaler Richtung vergrössert zu 
sein, beträchtlich breiter als die übrigen erscheinen. Die neben- 
einander gereihten Drüsenzellen bieten nicht alle dieselbe Form 
und Grösse dar, wie wir es soeben im vorhergehenden Falle 
beschrieben; im Gegenteil, wir treffen hier in einem und dem- 
selben Querschnitte eines der Drüsentubuli sehr häufig neben 
einer kubischen eine zylindrische Zelle usw. an (s. Fig. 1). 
Zwischen den Zellenelementen lassen sich Interzellulärräume 
konstatieren, welche mitunter bis an die Membr. propria des 
Drüsentubulus reichen (Fig. 16). Bei Behandlung mit Osmium- 
säure nimmt das Protoplasma der beschriebenen Zellen eine 
dunkle Färbung an, die sich entweder über den ganzen Zell- 
körper erstreckt (breite kubische Zellen) oder aber nur den 
basalen Teil der Zelle betrifft (die hohen zylindrischen und 
zylindrisch-konischen Zellen). 

Zahlreiche Übergangsformen verbinden diese, auf den ersten 
Blick so verschiedenartig aussehenden Zellen sowohl untereinander 
als auch mit den früher beschriebenen „hellen“ Zellen; dieses 
weist darauf hin, dass wir es hier mit Veränderungen des äusseren 
Aussehens der Drüsenzellen zu tun haben, welche mit der 
Sekretionstätigkeit dieser Elemente in Verbindung stehen. 


Die mit den „hellen“ gleichartigen Zellen besetzten Bezirke 
der Drüsentubuli der Gl. mandibularis erscheinen als ruhende, 
d.h. im gegebenen Moment nicht sekretabsondernde Drüsenteile, 
im Gegensatz zu den mit polymorphen „dunkeln“ Elementen 
besetzten, tätigen, sezernierenden Drüsenteilen. 


Die Färbung der fuchsinophilen Granula bei vorhergehender 
Fixierung nach Altmann ermöglicht uns eine Orientierung 
sowohl in bezug auf das Verhalten der beschriebenen Zellformen 
zueinander, als auch hinsichtlich der Bedeutung aller dieser 

!) Vergl. die oben angeführten Beschreibungen von Talke und 
Lüneburg. 

?) Ein ganz gleiches Verhalten zu diesen beiden Fixierungsflüssigkeiten 
zeigt auch das in der Lichtung der Drüsentubuli enthaltene Sekret. 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 693 
Veränderungen in dem Aussehen der Drüsenelemente für die 
Morphologie des Sekretionsprozesses. 

Wir haben bereits oben darauf hingewiesen, dass die Drüsen- 
epithelzellen der Gl. mandib. superf. während ihres Ruhezustandes 
eine kubische oder niedrig-zylindrische Form aufweisen und dabei 
eine nur geringe Zahl der nach Altmann sich färbenden 
Granula beherbergen, welche letzteren mehr oder weniger 
gleichmässig im ganzen Zellkörper verstreut liegen. Als 
erstes Anzeichen eines Überganges der Zelle in den Tätigkeits- 
zustand erscheint eine beträchtliche Vermehrung der Zahl der 
fuchsinophilen Granula und eine lebhafte Färbung derselben; 
gleichzeitig bemerkt man, dass in dem der Lichtung zugewandten 
distalen Zellenabschnitte eine schmale Zone sich bildet, welche der 
den ganzen übrigen Zellkörper dicht anfüllenden Altmannschen 
Granula gänzlich entbehrt und anfangs wie ein an der freien 
Zellenoberfläche liegender schmaler homogener Saum sich aus- 
nimmt. Hierbei wird die Zelle ein wenig, mitunter aber 
beträchtlich breiter, und ihre Oberfläche erscheint etwas gequollen 
und ragt in die Drüsenlichtung vor (s. Fig. 3 der Taf. XXVI). 

Die darauf folgende Formänderung der sekretierenden 
Elemente entwickelt sich ausschliesslich auf Kosten dieses 
homogenen, dem Lumen des Drüsenkanals zugekehrten Teiles 
der Zelle, wie es aus Fig. 4 ersichtlich, so dass die Zelle in 
einem gewissen Moment ihrer Tätigkeit die Form eines hohen 
‚Zylinders annimmt, wobei der basale Teil der Zelle fuchsinophile 
‘:Granula in reichlicher Menge enthält, während solche im distalen 
Zellenabschnitte fast gänzlich fehlen (Fig. 5). 

Die soeben genannten zwei Figuren geben uns auch einen 
Begriff von der Entstehungsweise der von uns beschriebenen 
strukturlosen Masse, welche die Kuppe der sezernierenden 
Elemente bildet; so sehen wir hier, dass die spezifischen Alt- 
mannschen Granula an der Grenze zwischen den beiden oben 
beschriebenen Zonen ihrer Färbbarkeit in Säurefuchsin verlustig 
gehen, dass sie an Grösse zunehmen, die der ganzen Aussenzone 
‚eigene Färbung annehmen und schliesslich mit der Gesamtmasse 
dieser Zone verschmelzen. In Fig. 5 sehen wir sogar förmliche 
Züge solcher Granula, die im basalen Zellenteile lebhaft in 
Fuchsin gefärbt sind und bei dem Übergange in den distalen 


Zellenabschnitt eine graue Färbung annehmen. Durch solche 
45* 


694 A.N. Mislawsky: 


3ilder wird meiner Ansicht nach die Tatsache zweifellos fest- 
gestellt, dass das von der Gl. mandibularis gelieferte Sekret auf 
dem Wege einer allmählichen Umwandlung der spezifischen 
fuchsinophilen Granula gebildet wird, wie dies an einer ganzen 
Reihe anderer Drüsen zuerst von Altmann!) selbst nach- 
gewiesen worden ist. 


Im nachfolgenden Stadium vergrössert sich allmählich die- 
homogene Zellenkuppe, schnürt sich sodann vom Zellkörper ab 
und fällt endlich in Gestalt eines Tropfens in die Lichtung der 
Drüsenröhre. Das mikroskopische Bild, welches sich mir bei 
dem Studium des Verlaufes dieses Exkretionsstadiums dar- 
bot, erinnert sehr an die Ablösung von Tropfen einer zähen, 
halbflüssigen Substanz, die sich kontinuierlich auf irgend eine 
Weise an der Oberfläche irgend eines Objektes bildet (Fig. 6—10). 
In der Tat, wir sehen, wie der distale Teil der Zelle aufquillt, 
kolbenförmig sich aufbläht, wie der Hals dieses kolben- oder 
keulenförmigen Anhängsels allmählich sich ausdehnt und verjüngt 
und wie schliesslich der abgelöste Sekrettropfen frei im Lumen 
des Organs liegt; man kann ihn dort noch eine Zeitlang in 
Gestalt einer homogenen Kugel unterscheiden, bis sie endlich 
vollständig mit der Gesamtmasse des Sekretes zusammenfliesst. 


Nachdem die Zelle ein gewisses Quantum dieses Sekretes 
abgestossen hat, fährt sie in ihrer Tätigkeit fort, indem sie 
immer neue Sekrettropfen produziert und abstösst, bis endlich 
die Zahl der in Sekret sich umwandelnden fuchsinophilen Granula 
die sich in demselben Zeitraume neubildenden beträchtlich übersteigt. 
Dann sinkt der Bestand der im Zellkörper enthaltenen Granula so- 
sehr, dass eine weitere Sekretbildung aus diesen Granula un- 
möglich wird und die Sekretion hört auf. Die soeben beschriebene 
Abnahme der Altmannschen Granula kann in einer solchem 
funktionell erschöpften Zelle mitunter einem fast vollständigen: 
Schwunde dieser Granula gleichkommen, wie dies an Fig. 11 
unserer Tafel ersichtlich ist. 


Darauf nimmt die Drüsenzelle das für den Ruhezustand 
charakteristische Aussehen an und kann nachträglich, sobald sie 
den Aufwand an Granulis wieder ersetzt hat, aufs neue ihre 
Sekretionstätigkeit entfalten. 


lc. 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 695 


Die Kerne der Drüsenzellen können ihrerseits augenscheinlich 
an dem Verlaufe des von uns erörterten Prozesses auch einen 
‚gewissen Anteil nehmen. Die Beteiligung der Kerne am Sekretions- 
vorgange bekundet sich vor allem während der Anfangsstadien der 
sekretbildenden Tätigkeit der Zelle durch eine ziemlich lebhafte 
Kernvermehrung; äusserlich charakterisieren sich diese Anfangs- 
stadien dadurch, dass die Zelle an Umfang, hauptsächlich aber 
‚an Breite zunimmt. Die Zahl der neugebildeten Kerne in einer 
Zelle kann bis vier betragen, wie dies aus Fig. 14 ersichtlich ist, 
ja in einem Falle zählte ich selbst sechs Kerne in einer Zelle. 
Die Kernvermehrung findet hier ausschliesslich auf dem Wege 
der Karyokinese statt (s. Fig. 15) und ebensowenig wie Tempel 
und Talke konnte ich je irgendwelche Anzeichen einer direkten 
Kernteilung wahrnehmen. Das weitere Schicksal dieser neu- 
gebildeten Kerne ist mir nicht klar. Einerseits ist es mir nie 
gelungen, eine Teilung des Zellkörpers zu beobachten, die doch 
der Kernteilung unbedingt nachfolgen müsste, wenn das von mir 
beobachtete Phänomen in Beziehung stünde zu einem Ersatze 
der untergehenden Zellen durch neugebildete Elemente; gegen 
eine derartige Voraussetzung spricht entschieden auch die nicht 
selten ins Auge fallende Lagerung der Kerne übereinander, d.h. 
in der Längsachse der Zelle. Andererseits aber gelang es mir 
nie, die Ausstossung eines dieser Kerne in das Sekret zu kon- 
statieren, wie dies in der Milchdrüse statthat. Ebensowenig 
traf ich je auf Kernveränderungen degenerativen Charakters, 
wie solche ebenfalls in der Milchdrüse von Nissen und Stein- 
haus beschrieben worden sind; Veränderungen, welche sicher 
‚darauf hindeuteten, dass gewisse Bestandteile des Kernes zu 
Zwecken der Ausbildung einiger spezifischer, chemisch differen- 
zierter Sekretteile verwandt würden. Dennoch bin ich geneigt, 
mich der letztgenannten Hypothese anzuschliessen, da sie eine 
Bestätigung zu finden scheint in der Existenz gewisser, in der 
sezernierenden Zelle enthaltener Gebilde, die unzweifelhaft mit 
der sekretbildenden Funktion der betreffenden Zelle in Verbindung 
stehen, wie wir dies sogleich besprechen werden. Es handelt 
sich im gegebenen Falle um recht zahlreiche safranophile Zellen- 
einschlüsse, welche scharf ins Auge fallen, wenn man einen 
‚Schnitt aus der Gl. mandibul. superf. mit Safranin und Indigo- 


1) 1. c., 8.471. 


696 A. N. Mislawsky: 


karmin gefärbt hat. Diese Zelleneinschlüsse finden sich in ver- 


schiedenen Teilen des Zellkörpers entweder gruppenweise oder 
aber vereinzelt; ihrem Aussehen nach erinnern dieselben im 
allgemeinen sehr an die von Tschlenow (22) in den Schweiss- 
drüsen, von Galeotti (23) in den Hautdrüsen bei Spelerpes, 
von Nicolas!) in den Sammelröhren des Wolffschen Körpers 
usw. beschriebenen Gebilde. Diese Körnchen färben sich ausser 
mit Safranin noch mit Säurefuchsin, wie es bei der Färbung 
nach Biondi oder Mallory ersichtlich ist; doch gelang es 
mir weder mit Methylgrün noch mit Toluidinblau eine Färbung 
dieser Körnchen zu erzielen. Charakteristisch für diese Gebilde 
erscheint ihre konstante Lagerung im Zentrum einer kleinen 
hellen Zone, gleichsam im Innern einer Zellen-Vakuole, welche 
letztere mitunter mehrere kleine Gruppen dieser Körnchen 
beherbergen kann; die Grösse der beschriebenen Körnchen variiert 
in ziemlich breiten Grenzen; ihre Form ist nicht regelmässig 
sphärisch, sondern sie erinnern vielmehr an unregelmässige 
Partikel, gleichsam Bruchstücke früher dagewesener Gebilde. 
Man bekommt den Eindruck, als wenn diese Einschlüsse von der 
Zelle resorbiert werden und sich in den sie umgebenden Vakuolen 


auflösen. In dem in der Drüsenlichtung befindlichen Sekrete- 


fand ich nie etwas derart Gefärbtes. 

Dagegen gelang es mir zu konstatieren, dass auch in den 
Kernen der Drüsenzellen mitunter Gebilde der nämlichen Art 
wie die in Rede stehenden Zelleneinschlüsse sich vorfinden; 


dieser Befund in Verbindung mit den Angaben Galeottis, 


welcher die von ihm erörterten Zelleneinschlüsse ausdrücklich 
aus dem Kerne herleitet, zwingt mich zu der Annahme, dass 
auch die von mir gefundenen Körnchen desselben Ursprungs sind, 
obschon mir nie Bilder zu Gesichte kamen, welche diese An- 
nahme mit Sicherheit begründen liessen. Es ist möglich, dass 


auch die in den Anfangsstadien der Zellensekretion von mir 


konstatierte Kernvermehrung mit der soeben beschriebenen 
Erscheinung im Zusammenhange steht; möglicherweise spielt 
diese Kernvermehrung die Rolle eines Faktors für die Repro- 
duktion grösserer Mengen eines Materiales, welches die Zelle 
zur Bereitung gewisser Bestandteile des von ihr gelieferten 


Sekretes bedarf. Diese Voraussetzung trägt durchaus nichts. 


Syke 86 Aizal: 


Zur Lehre von der sogenannten blasenförmigen Sekretion. 697 


Unwahrscheinliches an sich, zumal wenn man die von Nissen 
festgestellte und allgemein bekannte Tatsache in Betracht nimmt, 
dass das Casein der Milch sich in der Mamma auf Kosten der 
Nukleinsubstanz der Kerne der Drüsenzellen bildet. 


Den Herren Professoren ©. A. Arnstein und D. A. Timo- 


fejew, unter deren Leitung die vorliegenden Untersuchungen 
ausgeführt worden sind, spreche ich meinen Dank aus. 


SC) 


1] 


Literaturverzeichnis. 


Loewe, L.: Beiträge zur Anatomie der Nase und Mundhöhle ($$ 8-9), 
Berlin 1878. 

Krause, W.: Die Anatomie des Kaninchens ($. 202—203). Leipzig 1884. 
Vogt, ©. et Jung, E.: Traite d’anatomie comparee pratique (p. 934). 
Paris. 

Henschen, F.: Zur Kenntnis der blasenförmigen Sekretion. Anatom. 
Hefte, Bd. 26, 1904. 

Ranvier, L.: Traite technique d’Histologie. Paris 1875. 

Derselbe: Sur la structure de glandes sudoripares (p. 1121). Comptes 
Rendus de l’Acad&mie d. Sciences, T. 89, 1879. 

Heidenhain, R.: Physiologie der Absonderungsvorgänge (8. 383384). 
Hermanns Handbuch d. Physiologie, Bd. V, 1881. 

Nissen, F.: Über das Verhalten der Kerne in den Milchdrüsenzellen 
bei der Absonderung. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 26, 1886. 

Michaelis: Beiträge zur Kenntnis der Milchsekretion. Arch. f. mikr. 
Anat., Bd. 51, 1898. 

Steinhaus, J.: Die Morphologie der Milchabsonderung. Arch. f. Anat. 
u. Physiologie, Physiologische Abt., 1892. 

Lebedeff, S.: Zur Kenntnis der feineren Veränderungen der Niere bei 
der Hämoglobinausscheidung. Virchows Archiv, 1883. 

Lorenz, H.: Über den Bürstenbesatz an pathologischen und normalen 
Nieren. Zeitschr. f. klinische Medizin, Bd. 15, 1889. 

Altmann, R.: Die Elementarorganismen. Leipzig 18%. 

Nicolas, A.: Contribution a l’&tude des cellules glandulaires. Internat. 
Monatsschr. f. Anat. u. Physiol., Bd. VIII, 1891. 

van Gehuchten, A.: Le m£&canisme de la secretion. Anatom. Anzeiger, 
Bd. VI, 1891. 

Tempel: Die Drüsen der Zwischenklauenhaut der Paarzeher. Arch. f. 
wiss. u. prakt. Tierheilkunde, Bd. 23, 1897. 


7. Hermann, M.: Contribution A l’&tude des glandes sudoripares. Gazette 


medicale de Paris 1880, Nr. 4. 
Talke, L.: Uber die grossen Drüsen der Achselhöhlenhaut des Menschen. 
Arch. f. mikr. Anat., Bd. 61, 1902. 


695 A.N. Mislawsky: Zur Lehre etc. 


Fig. 


Lüneburg, E.: Beiträge zur Entwicklung und Histologie der Knäuel- 
drüsen in der Achselhöhle des Menschen. Rostock 1902. 

Courant: Über die Präputialdrüsen des Kaninchens. Arch. f. mikr. Anat., 
Bd. 62, 1903. 


. Grosz, S.: Beiträge zur Anatomie der accessorischen Geschlechtsdrüsen 


der Insektivoren und Nager. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 66, 1905. 
Tschlenoff: Zur Lehre von der Körnelung der Schweissdrüsenzellen. 
„Wratsch“ („Der Arzt“) 1899, NN 13—16. (Russisch.) 

Galeotti, G.; Über dieGranulationen in den Zellen. Internat. Monatsschr. 
f. Anat. u. Physiologie, Bd. XII, 1895. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXV1. 


1. Einer der Endabschnitte eines Sekretionsröhrchens aus der Glandula 
mandibul. superf. des Kaninchens, im Stadium der Tätigkeit. Färbung 
der fuchsinophilen Granula nach der modifizierten Altmannschen 
Methode. Zeiss’ homog. Immers. 2,0; Ap. 1,30; Komp.-Ok. 4. 

2. Ruhender (funktionell erschöpfter) Abschnitt eines Sekretionstubulus 
der Gl. mandib. superf. Färbung und Vergrösserung wie in Fig. 1. 

. 3—11. Verschiedene Funktionsstadien der Drüsenzellen der Gl. mandib. 
superf. (Fig. 7 stellt nur den oberen, distalen Teil einer Zelle dar, 
deren basaler Teil in der Zeichnung nicht aufgenommen worden 
ist). Die Zellen der Fig. 8, 9 und 10 sind nach der klassischen 
Altmannschen Methode gefärbt, die übrigen dagegen so wie in 
Fig. 1. Zeiss’ homog. Immers. 2,0; Ap. 1,30; Komp.-Ok. 8. 

12—13. Ruhende Zellen der Gl. mandib. superf. In Fig. 12 sehen wir 
eine Zelle bald nach Abbruch ihrer Sekretion, Fig. 13 stellt eine 
Zelle vor dem Wiederbeginn ihrer Sekretion dar. Färbung wie in 
Fig. 1. Zeiss’ homog. Immers. 2,0; Ap. 1,50; Komp.-Ok. 8. 


g. 14. Polynukleare Zelle (mit vier Kernen) aus einem Sekretionstubulus 


der Gl. mandib. superf. Die safranophilen Zelleneinschlüsse sind 

gut sichtbar. Safranin; Indigokarmin- und Pikrinsäuregemisch. 

Vergrösserung wie in Fig. 3. 

. 15. Karyokinese in den Drüsenzellen der Gl. mandib. superf. Färbung 
wie im vorhergehenden Falle. Zeiss’ homog. Immers. 2,0; Ap. 1,30; 


Komp.-Ok. 6. 


g. 16. Interzellularräume zwischen den Drüsenzellen zur Zeit ihrer Tätig- 


keit. In den Zellen sieht man safranophile Einschlüsse. Safranin ; 
Indigokarmin- Pikrinsäuregemisch. Reicherts homog. Immers. '/ı2; 


Ok. 4. 


699 


Aus dem Anatomischen Institut der Universität zu Upsala. 


Studien über die Thymusinvolution. 
Die Altersveränderungen der Thymusdrüse beim Kaninchen. 


Von 


G. Söderlund und A. Backman. 


Hierzu Tafel XXVII und 6 Textfiguren. 

In der Literatur findet sich gegenwärtig kaum eine ein- 
gehendere Untersuchung über die Gewichtsverhältnisse der 
Thymusdrüse und den Verlauf der Altersinvolution bei den 
Säugetieren, abgesehen vom Menschen, wo Hammar neulich 
(1906) eine solche geliefert hat. 

Was man in der älteren Literatur findet, sind der Haupt- 
sache nach mehr oder weniger vereinzelte Notizen betrefis ver- 
schiedener Säugetierarten. In Übereinstimmung mit der bisher 
herrschenden Auffassung bezüglich des Menschen ist man dabei 
im allgemeinen von der Vorstellung ausgegangen, dass die normale 
Involution des Organs bei oder nicht lange nach der Geburt 
beginnt. 

Einen scheinbaren Beweis für diese Ansicht lieferten auch 
Baums (1891) Untersuchungen am Hunde. Die Untersuchung, 
die nur vier Würfe mit insgesamt zehn Tieren umfasste, führte 
nämlich zu dem Schlusse, dass die Altersinvolution beim Hunde 
hauptsächlich während der ersten 2—3 Monate des extrauterinen 
Lebens vor sich geht. Danach schreitet die Involution mit 
wechselnder Geschwindigkeit fort, so dass noch im 2.—3. Lebens- 
‚Jahr Thymusreste vorhanden sein können. 

Es liegen jedoch Beobachtungen aus älterer und neuerer 
Zeit vor, die in eine andere Richtung weisen. Bei Friedleben 
(1858) heisst es so z.B.: „. . . dass die Thymus aller Säugetiere 
den gleichen Gesetzen des Wachstums unterworfen ist, dass sie 
mit dem Wachstum des Körpers fortwächst, von jenem bald über- 
troffen und gegen Beendigung desselben ihrer Involution zu- 
geführt wird.“ Eine durchgeführte Wägungsreihe an Tieren wird 
indessen nicht geliefert. Für die Kaninchenthymus bietet 
Friedleben nur zwei Gewichtsangaben. 


700 Söderlund und Backman: 


Klein (1881), der Untersuchungen über die Thymus beim 
Meerschweinchen angestellt hat, sagt, dass die Drüse sowohl bei 
jüngeren als bei ausgewachsenen Tieren anzutreffen, und dass in 
beiden Fällen ihre Struktur die gleiche ist. 

Blumreich und Jacoby (1896) bemerken im Vorbei- 
gehen, dass die Thymus beim Kaninchen weder hinsichtlich der 
(Grösse noch des histologischen Baues den Eindruck eines rudi- 
mentären Organs macht; im Gegenteil persistiert sie mit ziemlich 
konstanter und bedeutender Grösse während des ganzen Lebens 
und ist stets unschwer an ihrem typischen Platz zu finden. 

Hammar (1905), der eine allgemeine Darstellung des 
histologischen Verlaufes der Altersinvolution der Thymus bei 
gewissen Säugetieren (Mensch, Katze, Kaninchen, Ratte, Rindvieh 
und Hund) liefert, gibt an, dass die Altersinvolution wenigstens. 
bei den Säugetieren ungefähr um die Zeit der Geschlechtsreife 
eintritt. Die Angabe gründet sich auf mikroskopische Unter- 
suchungen, Wägungen des Organs bei Tieren werden nicht an- 
geführt. Dagegen hat Hammar in einer späteren Arbeit (1906). 
eine statistische Zusammenstellung des Thymusgewichts beim 
gesunden Menschen gegeben, die in derselben Auffassung resul- 
tiert. Baums Angaben betrefis der Zeit des Eintritts der 
Altersinvolution beim Hund wird von Hammar widersprochen, 
nach dessen Ansicht sie auf einer von Baum übersehenen akzi- 
dentellen Involution bei den untersuchten Tieren beruhen. 

Die eingehendsten Untersuchungen über die Gewichts- 
verhältnisse bei der Thymus eines Säugetiers liegen aus dem: 
Jahre 1904 von Goodall und Paton vor. Die Untersuchungen 
wurden am Meerschweinchen angestellt. 

Als Resultate glaubten diese Forscher feststellen zu können, 
dass die Thymus beim Meerschweinchen bis zur Zeit der Geschlechts- 
reife zu wachsen fortfährt, hiernach sich aber zu involvieren 
beginnt, dass das Organ sein im Verhältnis zum Körpergewicht 
erösstes Gewicht mit 5,7 Promille vor der Geburt erreicht und. 
dass die relative Grösse dann bei der Geburt auf 2,2 Promille 
und schliesslich noch weiter bis auf 1,1 Promille herabsinkt, um 
bei der Pubertät wieder auf 1,5 Promille anzusteigen. 

Sichere Altersangaben betrefis der Versuchstiere haben 
diese'Forscher indessen in der Mehrzahl der Fälle nicht zu ihrer 
Verfügung gehabt. Sie berechneten das Alter approximativ im 


Studien über die Thymusinvolution. or 


der Weise, dass sie das Durchschnittsgewicht einer Anzahl Tiere 
bekannten Alters bestimmten und dann die so gefundenen Durch- 
schnittsgewichte einer Altersschätzung der übrigen Tiere un- 
bekannten Alters zugrunde legten. Dass ein derartiges Verfahren 
zu wenig zuverlässigen Altersschätzungen führen kann, dürfte 
indessen ziemlich sicher sein. Die individuellen Schwankungen 
im Körpergewicht scheinen nämlich nach Henocque (1891) und 
Livon (1898) beim Meerschweinchen ungefähr gleicher Art wie 
die beim Kaninchen zu sein, für welche wir gefunden haben, 
dass zwei Individuen desselben Alters, ja, sogar aus demselben 
Wurf, einen bedeutenden Gewichtsunterschied aufweisen können. 
Und die von Goodall und Paton festgestellten beträchtlichen 
Variationen des Thymusgewichts auch bei nach ihren Berech- 
nungen gleichaltrigen Tieren dürften bis zu einem gewissen 
Grade auf Rechnung ihrer weniger exakten Methode bei der 
Bestimmung des Alters der untersuchten Tiere zu setzen sein. 
Möglicherweise hat auch eine ungenügende Beachtung der Be- 
deutung der akzidentellen Involution hierbei mitgewirkt. 

Diese Faktoren, die unvollständige Kenntnis des Alters der 
untersuchten Tiere und die Ungewissheit, in welchem Grade die 
akzidentelle Involution ihre Gewichtsresultate beeinflusst haben 
kann, sind geeignet, wenigstens die Beweiskraft der Resultate 
der britischen Forscher etwas zu vermindern. Hierzu kommt, 
dass bei ihren Untersuchungen nur das Gewicht des Thymus- 
körpers berücksichtigt worden ist. Die Frage nach der wirk- 
lichen Parenchymmenge bei verschiedenem Alter ist von ihnen 
nicht bearbeitet worden. 

Eine entsprechende Untersuchung an einem anderen Säuge- 
tier musste unter solchen Umständen einen gewissen Wert haben, 
indem von ihr eine Kontrolle der bereits ausgeführten Unter- 
suchungen am Menschen und Meerschweinchen zu erwarten war. 

Auf Vorschlag von Herrn Professor Hammar begannen 
wir im Sommer 1906 im histologischen Laboratorium der 
Universität zu Upsala eine derartige Untersuchung, über deren 
Ergebnisse wir hier berichten wollen. 


Als Untersuchungsobjekt wurde das Kaninchen als aus 
mehreren Gesichtspunkten geeignet gewählt. Nach in der Lite- 
ratur (Krause 1884) vorhandenen Angaben tritt beim Kaninchen: 


702 Söderlund und Backman: 


die Geschlechtsreife ungefähr im Alter von 5 Monaten ein. 
Unsere eigenen Untersuchungen zeigen, dass die zur Geschlechts- 
reife führenden Veränderungen im Hoden während der Zeit vom 
4.—8. Monat vor sich gehen. Das Maximalalter für Kaninchen 
wird verschieden angegeben, von einigen zu 6—7 und 8 Jahren. 
In den uns zugänglichen Kaninchenstämmen ist indessen ein 
höheres Alter als 4'/2 Jahre nicht angetroffen worden. Die ganze 
postfötale Entwicklungsgeschichte der Thymus fällt jedenfalls in 
eine relativ kurze Zeit, was natürlich die Beschaffung von 
Material zum Studium derselben in ihren verschiedenen Phasen 
in hohem Grade erleichtert. Dazu kommt, dass das Kaninchen 
ein ausserordentlich produktives Tier ist, leicht aufzuzieben und 
relativ gesund, alles Momente, die es zum Studium der normalen 
Verhältnisse bei einem gegen Krankheit und andere schädliche 
Einflüsse so empfindlichen Organ wie dem hier fraglichen recht 
geeignet machen. 

Bei der Beschaffung unseres Materials wurde auch besonders 
grosses Gewicht darauf gelegt, dass die Tiere gesund und wohl- 
genährt waren. Unserer Erfahrung nach scheint die Thymus 
für den Einfluss gewisser Krankheiten in anderen Organen und 
Geweben des Körpers empfindlicher zu sein als sogar das Fett- 
gewebe. Wiederholt trafen wir so wohlgenährte, allem Äusseren 
nach zu urteilen, gesunde Individuen an, deren Thymus sich 
jedoch als sogar in recht hohem Grade atrophisch, blassgelb und 
wie geleeartig erwies, im Gegensatz zu der rotgrauen Farbe und 
relativ festen Konsistenz, die wir sonst bei Tieren desselben 
Alters fanden. In derartigen Fällen waren ohne Ausnahme 
krankhafte Prozesse in einem der inneren Organe nachzuweisen, 
gewöhnlich Coceidieninfiltration in der Leber. Organe von 
kranken Tieren wurden aus dem Untersuchungsmaterial aus- 
geschlossen. 

Die Zahl der untersuchten Tiere betrug, wie aus der Tabelle 
auf S. 7O4ff. und der Textfigur 1 hervorgeht, SO. 

Die Lage und die Form der Thymusdrüse zeigen beim 
Kaninchen eine gewisse Ähnlichkeit mit den Verhältnissen beim 
Menschen; recht grosse individuelle Variationen sind jedoch vor- 
handen. Die Hauptmasse der Drüse liegt im vorderen Mediastinum 
in engem Anschluss an die Herzbasis. Von hier aus ragen 
gewöhnlich zwei (bisweilen drei oder vier) Fortsätze, die sog. 


Studien über die Thymusinvolution. 705 


Thymushörner (s. Taf. XXVII), kranialwärts ein kurzes Stück längs 
den grossen Halsgefässen empor, während das Organ kaudal- 
wärts sich mehr oder weniger weit über die Ventralseite des 
Herzbeutels hinauserstreckt. In einigen Fällen haben wir diese so 


Fig. 1. 


Das angewandte Material. 


| 


gut wie vollständig von der 
Thymus bedeckt gesehen. 
Das Organ besteht aus zwei 
Lappen, die äusserst locker 
durch Bindegewebe ver- 
bunden sind. Sie gehen 
kranialwärts in die bereits 
erwähnten hornähnlichen 
Fortsätze über und enden 
kaudalwärts mehr stumpf 
mit zugeschärfter Kante. 
Der dem Perikardium auf- 
liegende Teil der Drüse 
lässt sich im allgemeinen 
leicht ablösen und empor- 
heben; die Hörner sind 
dagegen in der Regel — 
wenigstens bei etwas 
älteren Individuen — ziem- 
lich fest mit den grossen 
Gefässen verbunden. 

Die hier gegebene Be- 
schreibung gilt fürOrgane, 
die keine Artvon Involution 
durchgemacht haben. Eine 
altersinvolvierte Thymus 
bietet ein höchst ver- 
schiedenartiges Aussehen 
dar, je nachdem wie weit 
der Prozess vorgeschritten 


und wie viel interlobuläres Fettgewebe vorhanden ist. Noch bei ein- 
bis zweijährigen oder älteren Individuen kann man indessen das 
Organ mit ungefähr derselben Flächenausdehnung wie vor der Alters- 
involution finden; dagegen ist die Dicke gewöhnlich beträchtlich 
vermindert, und man sieht bisweilen die Thymus fast wie ein 


Söderlund und Backman: 


04 


102‘ jsaE‘g [202g [erg | BL | TS | 79 oT| et | 008 | 2 | Er |uomome 
Teer reelle | A080 8I 
Eee ee ee zueng | EL LT 
"OSN.Id, 2 ae 3070| 8 9T 
-48194U7° HYOpJLqassne]Jon ‘Yo UOyasFewan ouroy | Tg sag rein wog | zZ Fler For cr 
320g erg jzesig 200 Far erg | rag or so | 708 | 5 | m 
sro (rein Isorig [ec | | TE | Br eat) eo | Fo | 5 | Er |wompong 
—  |egzfg.|2sig sag | — | FOOT |®06| “6 | 0 | 791 ra 
200°0, |8er’g \z##‘g |9r0Q | FT | 6 ae 0) IST II 
| 810° |aze‘g) |e6a‘) 620°) ec |. |Fog|eg eo | C)T & OI 
800g |a08‘g Isarig reg | |, Hgg TI Oo | OCT | 5 6 \OpoMmı 
=] Te je EN NEE L S.8 
+00‘) [960% 180° \ero‘g | op 96 | TR ocy | org | 6€ ö „ 
== | | al 2 ee rd Te en 
200°) |ErT°g) \060‘0) |880%) | 8°C 76 | vc) |*El a 89 2 G 
coofg) |°60g) a80‘g ero'n | og | oc 028 6 or) Ge ö F 
900°) |#60°) 620°) |ero‘g eg [org | 6) CT org TG ö G 
soon eig zog moi | eig | 26 eg Tr ol Ta | & | | org 
200° sorig |ssoXg [arg ı 8 | rear ro 6€ 2 T -nON 
a5 ut 2 | | 
9FUaN PpUparq NERIÄULMERISEN CDU 2 & oO 
— SI 3| © zZ 
"UOSNAPSFUOOTYOSOH AOp SYaıyaq uOSunyLowag en, e.yl & | = Er Bu =. | en Sn: = 
Enessra alas seiner ee S 
a! 85a |e: En e® ee ee 
© © L, 73 (ER + 
snwÄyf, | 


'sperIsyeyg ueJoyoqreeg sop Sunjojsusuruesnz 


(0; 


- 


iber die Thymusinvolution. 


tudien ü 


Y 


D 


"U9GPSUOP ULSUNPTIqUIWUNTSPUDUUTDag pun uoyopguryy 
91oIIAq ‘uosopm [yezuy 9rossoad anu JE UT 9IM 
uayarury pun uUPoH Iaq uayossny ag[fassep ayeppdun 


| BIEDEIANGHE) 
[yoM osnacy Spfpıgıysaogur TONL[oT OyosFeeın 9uroyy 


‘cz U oIM UOPoH 
‘Ye UPWUOUSSNZ 
puomapag woyayury Aap Aossowmdand Aap SSep 
pun ‘uopuy joygidosgyoajyasen) Wr uaSonm duo 
| AUTO UNU OIS SSEP "poryosaoguf) Op uoyopeuwy dop yoıL 
-SNZIG :UOSNILT AOJJOLITISAOYJUT YOILONZIA Ca UL 9IM UOPoH 


"MSN CZ UT 9IM USPoH 
| 19SS01D SEMIE Anu UODBURN Ip ‘cz UT 9IM UOpoH 


"CZ UT 9IM uopoy 


°Cz UI 9IM pjIg 9q[pssep uspoy WI 


"UOWNRBURM SOYDIJU9STD ury !uoayappueyy uop ur 


1 


UOSOHM STUOM “u9][oZ AJJPIFIISAOJUL yoıjy9Toı uopop uf 


680°) 
ro‘) 
or‘) 
sr 
arann) 


‘ 
FFO 0) 


LOL 
68% 
g09 
08EL 
048 
c9L 


Vol 
c68 
088 
068 
est 
084 
084 
roC 
97 
“97 
ele 
Ger 
089 
Och 
L66 
698 
008 
Gle 


oo 9 + oo 


er) 
a 


ISEEOFL=TCH 
as a a! 


HoH Do aHorafofofoforfo fo 


X 
aa 


sı 
a 


a! 
al 


(>) 
a 


RUN F | 


9yeuoN 
876 


U9U9OM 
9 


usypoM E 


Söderlund und Backman: 


‘09 Ur 9IM UPpoH 


"uorwIodg 91917 99 J9LMIU9 ITMOS 989UAFoTw.Iadg 9JFey 
-g9] Ju wopAassne !U9SoJIM] UOA uOSSeN "uswmT 
sasıssewpoddt ‘sayoıpnap unu U90I9Z uoypgueyy ATı 


'cp UI 9IM UOPoH 
‘cp ur 9IM U9PoH 


"Msn Ip Ur oIM 


"GPUT9IM uUOPoy wog pJLg 9qJpssep yoeu aydesgdnerf 19 


— 


VA9MSUWINT UN :OF Ur IM 18793 
-un 29MIK SOJ[OTITISTOJur TONLJo AT OysSFreAH 988019 


| 
| 


‘Er UT OIM PIIg SOyoTO]N 


"uOSnApsIy9a]y9SIH A9p Syaagay uadunydawag 


02‘) |s2rig |zarig |11a'Q 08 6 sc Iz | seo | zorı| 2 29 
ers‘, |ureiz [200° ori | 2 |eiTe |TPL rl eezlıcgı | & 19 
9yeuom 
seo‘ jeraig jerofg [za #6 | os | °c9 Fre wo |oger| 2 || 872 
sscg, |esrg |erXT [arg | FG | 06 IFA FETT | OTOT | 2 | 64 
sso‘g, 795g Ferig org | Far | FF [#79 oa |eo|lın, | 2 | 8 
120°) 6280) 2990) 912‘) re 9 z er | 160 GIOTL| & 16 
sos‘g, |ra0‘g \oeT Isteig | ag | 79 EIG | oT | etz | 60T | S | 9€ 
ese‘() 289° T 9227 [wei | "ST F'T8 s’cg | Sy | 00% 086 D (Ge 
= > aeg lange | © | TS 
920 \ssz’T Isar [see | vet log [69 Teig 219g | 2 | eg |oyeuom 9 
via‘, [9827 |oae‘T Joerg | OT | eg | HER | Oz En 5 | &C 
erz‘o) |sartz [100° Isar | og oz |8gu [icq | u |8g9ET | & | TE 
soeg 116, og‘ 1se‘g) G +06 8 s°IT ac I9EI | & 06 
s08‘g |son‘f jzonfT Joe‘ | z’gT | gg [en "Er oa lcaeı| 5 | 6 
soe‘g |2es°T |sos‘g Irae‘g | ST | 08 | 89 FTT | CT [OBET | & | 8$ 
sag tg Te erg |, | Fr | IcaaT | & | Hr |Oyeuopı q 
= etz |ccHıı 5 | W 
91‘) FIez s18°T |e6e‘Q) fe) LIE 577 gT er OCHT 2 GH 
serg |eorz nung sarig | sg | Te [au | "ro |ccor| 5 | Fr |oyeuomr 
Rom {ep} 
en SHULEHLE SOBAN DENE 3 2: zn 
” Se \ 
a El m lee ee ee 
& (ge) eier © a 
snwÄyyL, z8 


707 


10N. 


ber die Thymusinvoluti 


ien ü 


Stud 


er — [sag | For | — | — | locea| £ | 08 
ER 1 a en 
"JIOLIISEyN| WueT sag 7a) 060 ET re aa nz | en) 
REN) seo‘) 5 ERBE STTH| 5 182.0 ERGO 2, eigene 
|swig [ig | — | — |, |2gg | — | — | wo |gcoz| 2 | 9 
‘OL Ur OIM | eig eg | | — ecg | er | — | — | | TE6L| Sr | 9 
| 3007 120) De a DEN ee ee 
| reg orig reg jasfg | Fg | Kg Ian | oore| & | © 
ı o8e‘g, |ose‘o, [792g |’ | T za | un “ag ar losse| & | 2. | er zZ 
02 ULM 80855 Far jr Te 208 || UT, | ec ET eig 0ge2ı 5 | TA 
-(SIIIOMSUINTIEUIT SIyaTu usdLıqn um) 9g9Mad | 
upon’ UOA UOSSEN TONLITOA SydsFeran STuom gyoay | 8og rg erg ag re u. 69 eg ro loces| 5 02 
ER ELTERN it © 
2 0) 27210, 08,9) B0E0 7.202] Wr A anE | 06 m mara 
reg) Bag 1208°0; a OR: E69 za zT | TE OR0z | 5 
"usrwmdodg A991 UASSeN Jruu 
‚9sauasorunadg 9yyeygqd] Is1osFnYy SH Se 99 ur [yomog trag arg zer‘ ro "FG | HH Weg | KT | 80T P | 99 | er 
ss sen art og | FOR | FL Fer He | RT OS6T. ©2209 
| ‘cp pun er ur dIm pJig oqfossep uadıoz | 
uosrıgn we uoyopyuey ap !uorwaodg doldıF [yezuy 
9SULI9S HU ULM] UALop ur ‘uoyoeueyy [yezuy 
ı uOFULIOD OUT ur an pun 9s9usForunddg ayyeygapsuom | sig er [af eig | og rg oT IE? | Hg ruoN 
sta‘ |rezig |eaeq |eorig | FT | gg | 39 | TE | CT | T9ET | & | 9 N) 


46 


Bd. 73. 


Archiv t. mikrosk. Anat. 


708 Söderlund und Backman: 


Häutchen über grösseren oder geringeren Teilen des Perikardiums 
liegen. Ein grosser Teil des Thymuskörpers ist dann Fettgewebe. 
Es tritt dies gewöhnlich deutlich schon nach einer ganz kurzen 
Einwirkung der Fixierungsflüssigkeit hervor; noch besser nach 
Aufhellung des Organs in Zedernholzöl. Als ziemlich bezeichnend 
für derartige Stadien können Nr. 7 und 8 auf Taf. XXVII an- 
gesehen werden. 


Der grösseren Übersichtlichkeit wegen ist das Untersuchungs- 
material (Tab. S. 704ff.) graphisch, in Altersgruppen vereinigt, 
dargestellt worden (Textfig. 1). Auch die Parenchymwerte sind 
hier angeführt und durch die ausgefüllten Teile der Kolonnen 
bezeichnet worden. Die ganz und gar offenen Kolonnen geben 
Fälle an, wo aus verschiedenen Ursachen der Parenchymwert 
nicht bestimmt worden ist. Aus dieser graphischen Darstellung 
geht hervor, dass die grösste Anzahl Tiere während des ersten 
halben Lebensjahres, d. h. vor dem Alter, in das die Geschlechts- 
reife des Kaninchens fällt, und um dasselbe herum untersucht 
worden ist. Nach diesem Zeitpunkt ist der Abstand zwischen 
den Altersgruppen grösser genommen worden. In mehreren 
Fällen finden sich relativ grosse Variationen des Thymusgewichts 
auch innerhalb derselben Gruppe. Einige dieser Variationen 
hängen mit Verschiedenheiten in der allgemeinen Entwicklung 
der Tiere zusammen; manche Tiere sind vom Lande her ein- 
gekauft worden, wo sie in relativ grosser Freiheit und unter 
günstigeren Verhältnissen als im Kaninchenkeller des Anatomischen 
Instituts gelebt haben. Die ersterwähnten Kaninchen waren 
selbst kräftiger und hatten eine grössere Thymus als die letzteren. 

Die berechneten Durchschnittswerte des Körpergewichts 
und des Gewichts des Thymuskörpers in den verschiedenen 
Altersgruppen gestalten sich folgendermassen: 

Gruppe I. Neugeboren, 8 Tiere 
(in der Regel unmittelbar nach der Geburt, in zwei Fällen 
24 Stunden nach dieser getötet). 
Körpergewicht: Durchschnitt 55 gr, Min. 5l, Max. 63. 
Thymus: 5 2 =e0.092 3,02 
Gruppe II. 1 Woche alt, 4 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 169 gr, Min. 120, Max. 187. 
Thymus: 5 0,35 „ „025,4. 20 


Studien über die Thymusinvolution. 709 


Gruppe III. 2 Wochen alt, 6 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 187 gr, Min. 159, Max. 204. 
Thymus: P 0,46 „ sı 0,40,,.45,.005524 

Gruppe IV. 3 Wochen alt, 5 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 288 gr, Min. 269, Max. 300. 
Thymus: R 0,06. , ld 000. 

Gruppe V. 4—6 Wochen alt, 10 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 526 gr, Min. 425, Max. 720. 
Thymus: 5 KOT... : EI isn, 90: 

Gruppe VI. 2—3 Monate alt, 9 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 370 gr, Min. 589, Max. 1350. 
Thymus: r EC nn SD 

Gruppe VII. 4 Monate alt, 4 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 1253 gr, Min. 1050, Max. 1450. 
Thymus: R) 2,49 B) » 2,50, » 2,67. 

Gruppe VIII. 5 Monate alt, 6 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 1339 gr, Min. 1273, Max. 1390. 
Thymus: 5 2,81 a 

Gruppe IX. 6 Monate alt, 7 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 932 gr, Min. 741, Max. 1075. 
Thymus: 5 1.68.22, onen 

Gruppe X. 7—8& Monate alt, 6 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 1509 gr, Min. 1291, Max. 1657. 
Thymus: & Boa OA ar 

Gruppe XI. 1 Jahr alt, 6 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 2065 gr, Min. 1700, Max. 2350. 
Thymus: 5 0,98: 15 1 OBERE 520: 

Gruppe XII. 2 Jahre alt, 5 Tiere. 
Körpergewicht: Durchschnitt 2102 gr, Min. 1680, Max. 2760. 
Thymus: 5 320506 IE er 

Wir haben ausserdem vier Tiere, Nr. 77—80 in der Tabelle, 
untersucht, die drei oder mehr als drei Jahre alt waren. Diese 
Tiere sind indessen nicht als eine besondere Altersgruppe auf- 
geführt, auch nicht bei der Konstruktion der im folgenden als 
Textfiguren gegebenen Kurven berücksichtigt worden, und zwar 
aus verschiedenen Gründen. Nr. 78 ist ein kastriertes Männchen 
(s. weiter unten), und Nr. 79 und 80 gehören, allem nach zu 
urteilen, einem von unseren anderen Tieren abweichenden Rassen- 
typus an. 


” 


46* 


710 Söderlund und Backman: 


Innerhalb der einzelnen Gruppen sind die Tiere im all- 
gemeinen so gewählt worden, dass, wenn möglich, mehrere Würfe: 
vertreten waren. 

Die Durchschnittswerte des Körpergewichts sind in der 
Kurve der Textfigur 2 zusammengestellt. Obwohl eine Diskussion 
dieser Kurve etwas von unserem Gegenstande abseits liegt, 
glauben wir es doch nicht unterlassen zu dürfen, auf diese Frage 
etwas näher einzugehen, da ausführliche Angaben in dieser Hin-- 
sicht uns in der Literatur nicht begegnet sind. Es geht nun 
aus dem Bilde hervor, dass das hauptsächliche Wachstum des. 
Kaninchens bei dem Alter von einem Jahr und bei einem Durch- 
schnittsgewicht von ungefähr 2050 gr abgeschlossen ist. Während 
des nächsten Jahres erfolgt eine unbedeutende Gewichtszunahme‘ 
bis auf 2100 gr, wohl hauptsächlich durch eine Vermehrung der‘ 


Fig. 2. 
Körpergewicht. 


Menge des Körperfettes bedingt. Nach Zurücklegung des zweiten: 
Jahres dürfte eine langsame Abnahme des Körpergewichtes statt- 
finden; indessen erlaubt uns unser unbedeutendes Material an 
über zwei Jahre alten Tieren nicht, etwas Bestimmtes in dieser 
Beziehung auszusagen. — Bemerkenswert ist, dass die sonst: 
stetig steigende Kurve der Wachstumsperiode an einer Stelle- 
(im sechsten Monat) durch einen schnellen und tiefen Abfall 
(von 1339 auf 932 gr) unterbrochen wird. Der Umfang des- 
Materials ist nicht so gross, dass nicht der Zufall hier hinein-- 
gespielt haben kann; es ist dies auch deshalb nicht unwahr- 
scheinlich, weil die von Livon (1898) angestellten Gewichts-- 
untersuchungen an Meerschweinchen nicht auf eine derartige- 
Gewichtsabnahme zur Zeit der Pubertät hinweisen. Eine von 
H&nocque (1891) mitgeteilte Kurve über das Körpergewicht. 
des Meerschweinchens zeigt indessen gleichfalls eine gewisse Ab-- 
nahme des Körpergewichts beim Eintritt der Pubertät. Jedoch: 


Studien über die Thymusinvolution. 711 


war auch hier die Anzahl der untersuchten Tiere allzu un- 
bedeutend, als dass nicht der Zufall sein Spiel gehabt haben 
könnte. Selbst diskutiert Henocque den Umstand nicht. Es 
ist aber bemerkenswert, dass, ungeachtet die Tiere in dieser wie 
in den benachbarten Gruppen aus mehreren Würfen herstammen 
(die Tiere in Gruppe VIII gehören zwei verschiedenen Würfen, in 
IX gleichfalls zwei, in X drei Würfen an) und unter den gleichen 
äusseren Verhältnissen gelebt haben, nicht einmal das Maximal- 
gewicht in Gruppe IX das Minimalgewicht in den Gruppen VIII 
und X erreicht. Die Sache scheint eine Nachuntersuchung zu 
verdienen, die dann natürlich durch periodische Wägungen an 
denselben Individuen zu bewerkstelligen ist. 

Eine die Durchschnittswerte des Thymuskörpers darstellende 
Kurve findet sich in Textfigur 3 wiedergegeben. Die Kurve 


Mage Sa) J 

24g ie L 

2ng al + b£ 4 = | 

log| Bi! L —. 

z A mt nl =. 

08 3 | | 

] — tt Il ke — 1 a 
NA Te TEN 7 


Fig. 3. 
Durchschnittsgewicht des Thymuskörpers (obere Kurve), Durchschnittsgewicht 
des reduzierten Parenchymwertes (untere Kurve). 


stimmt ziemlich nahe mit den entsprechenden Kurven für die 
Thymus des Menschen in Hammars (1906) oben angeführter 
Arbeit überein. In beiden Fällen fällt der Gipfel in die Zeit 
der Pubertät oder vielleicht genauer gleich an den Beginn des 
geschlechtlichen Reifungsprozesses (s. unten). 

Das bisher Gesagte bezieht sich auf die Thymus in ihrer 
Gesamtheit oder auf den Thymuskörper selbst. Will man in 
den Verlauf der postfötalen Entwicklung der Thymus näher ein- 
dringen, ist es indessen notwendig, auf die verschiedenen Gewebe- 
bestandteile Rücksicht zu nehmen, die in der Thymusdrüse ent- 
halten sind. Schon nach ihrer Aufhellung in Zedernholzöl kann 
man sich bei Prüfung des Präparats in durchfallendem Licht ein 
Urteil über die Menge Parenchym im Verhältnis zum interstitiellen 
Gewebe bilden. Zur näheren Bestimmung des Baues des Organs 


712 Söderlund und Backman: 


haben wir uns der von Hammar (1906) angegebenen Methode 
bedient, welche auf Abzeichnung der Thymusschnitte, Ausschneider 
der verschiedenen Parenchymgebiete in Wachsplatte und Wägen: 
gegründet ist. 

Für jede Drüse wurden sowohl Längen- als Querschnitte 
bearbeitet, und die hierbei erhaltenen Durchschnittswerte der 
weiteren Berechnung zugrunde gelegt. Die folgenden Werte 
des spezifischen Gewichts, wie sie für die betreffenden Gewebe 
des Kaninchens von Jonson (1908) bestimmt worden sind, 
wurden bei den Berechnungen verwendet: für Parenchym 1,075, 
für junges Bindegewebe 1,060, für älteres Bindegewebe 1,200, 
für Fettgewebe 0,950. 

Die Berechnungen wurden für das Mark nach der Formel 

Kr m.s 
ar (m+r)s+is 
Gramm, m, r und i die betreffenden Werte, die bei Wägung der 
aus der Wachsplatte ausgeschnittenen Gebiete für Mark, Rinde 
und Interstitialgewebe erhalten wurden, s und s’ die betreffenden 
spezifischen Gewichte für Parenchym und Interstitialgewebe, und 
P das Gewicht des Thymuskörpers in Gramm bezeichnen. Für 
die Berechnung des Rindengewichts erhält die Formel die Gestalt 

— a ‚ und für die Berechnung des Gewichts des. 

(m+rs+ti.s : 

ae u EN TS 
Interstitialgewebes g' — ee, En 

Der grösste Teil unseres Materials, oder insgesamt 48 Thymus- 
drüsen, ist nach der angeführten Methode behandelt worden. 
Demnach ist für jeden einzelnen Fall die Menge Parenchym — das- 
sog. reduzierte Parenchymgewicht (Hammar) — berechnet, und 
ausserdem, soweit die Strukturverhältnisse es erlaubten — d.h. 
bis zum Alter von einem Jahr — die Menge des Marks und der 
Rinde besonders bestimmt worden. Bei allen diesen Gewebs- 
komponenten sind schliesslich die Durchschnittswerte für die be- 
treffenden Altersgruppen ausgerechnet worden. Die Einzelwerte 
des reduzierten Parenchymgewichts in verschiedenen Altern finden 
sich in der Tabelle auf S. 704 f. wiedergegeben; und die Durch- 
schnittswerte sind graphisch in Textfigur 3 (punktierte Linie), 
des Vergleichs wegen zusammen mit dem Gewicht des Thymus- 
körpers selbst, dargestellt worden. 


; P ausgeführt, wo g die Menge Mark in 


Studien über die Thymusinvolution. 178 


Wir stellen die Zahlen hier zusammen: 


bei neugeborenen Tieren . . . 0,10 gr 
sueWoehesalten ‘>, a EREMO: DARNTE 
og Wochen.‘ x BANN OL AREN 
B) 3 » BD) » ler BO, 
Pa 5 » » ESEL ON, 
„ 2—3 Monate alten Tieren . 1,56 „ 
» 4 » ” BD) . 2,30 „ 
” 5 P)] 2 D2] Y 2,08 ” 
» 6 2) ” 2) . 1,31 ” 
ES » B) » . 1,30 „ 


„ ungefähr 1 Jahr alten Tieren 0,58 
2] 2 0,47 


e R 2 Jahre 


EEE 45200077 Su DEN 7 
Fig. 4. 


Durchschnittsgewicht der Rinde (dicke Linie), des Marks (punktierte Linie), 
des interstitiellen Gewebes (feine Linie). 


Auf dem Bilde sieht man, dass die beiden Kurven im grossen 
und ganzen einander folgen. Erst nach vier Monaten liegen sie 
in etwas grösserem Abstande voneinander, und eine Divergenz 
tritt sehr deutlich nach "einem Jahr hervor. Wie zu erwarten 
war, sinkt die Kurve, die das reduzierte Thymusgewicht be- 
zeichnet, schnell nach der Pubertät; die Steigerung im Gewicht 
des Thymuskörpers, die nach einem Jahr sich ziemlich deutlich 
geltend macht, beruht offenbar nur auf einer Vermehrung der 
Menge des Interstitialgewebes. Textfigur 4 zeigt in der dicken 
Linie die absolute Menge der Rinde, in der punktierten die des 
Marks und in der feinen Linie die des interstitiellen Gewebes 
für verschiedene Alter. 


714 Söderlund und Backman: 


Die Zahlen sehen im einzelnen folgendermassen aus: 


Mark Rinde Interst. Gewebe 

Gleich nach der Geburt 0,015 0,084 0,004 
Nach 1 Woche... . 7 7=:0:933 0,309 0,006 
2, Wochen =. 2.0076 0.361 0,044 
ee 0 ns "on 
ee N 0. 10,109 SUR 
„to 3 Monatene 295° 1 96100 80138 
e er: ee 1.8375 016 
4 RR =.08371 1.712. 0959 
3 Arne Sa0278 ., 1,0290 0.299 
an N. 79.296; , ‚1,001... 0,326 
=. zuka ul, Jahr... mer01 45 0,485 0,400 
u m2sJahrens. . . ah 0,502 0,843. 


Es fällt sofort in die Augen, dass die Rinde ein ungeheures 
Übergewicht über das Mark besonders während des Alters von 
drei bis sechs Monaten zeigt. Sowohl Rinde als Mark erreichen 
beim Alter von vier Monaten ihr Maximum, die Rinde mit einem 
Gewicht von 1,875 gr, das Mark mit 0,425 er. Die schnelle 
Gewichtszunahme des Thymuskörpers während der vier ersten 
Lebensmonate beruht demnach auf der Zunahme des Parenchyms 
in seiner Gesamtheit, zum unvergleichlich grössten Teil jedoch 
auf der Zunahme der Rinde. 

Nach Hammars bBerechnungen fiele das Maximum der 
Rindenmenge beim Menschen bereits in das Alter von zwei Jahren 
nach der Geburt. Er hat indessen ausdrücklich erklärt, dass 
sein Material keine sichere Bestimmung der Menge der Rinde 
zur Zeit der Pubertät erlaubte. Unmöglich scheint es nicht zu 
sein, dass fortgesetzte. Untersuchungen über die Thymus beim 
Menschen zeigen werden, dass auch hier das Rindenmaximum in 
einen späteren Zeitpunkt als den von ihm angegebenen fällt. 
Was das interstitielle Gewebe betrifft, so ersehen wir aus der- 
selben Textfig. 4, dass es von dem Alter von zwei Wochen an 
stetig zunimmt. 

Unter Hinweis auf Tafel XXVII wollen wir in diesem Zu- 
sammenhang eine kurze Übersicht über die mikroskopischen 
Bilder von Thymusdrüsen verschiedenen Alters geben. Die Bilder 
aus der Zeit vor der Geburt bis hinauf zum Beginn der Geschlechts- 
reife (vier Monate) sind einander im grossen und ganzen ziemlich 


—1 
Fa 
IL 


Studien über die Thymusinvolution. 


ähnlich. Die Hauptmasse des Organs besteht aus Parenchym, 
das in ziemlich dieht aneinander liegenden Lobuli vereinigt ist. 
Die einzelnen Lobuli sind durch schmale gefässführende Binde- 
gewebszüge voneinander getrennt. Die Menge der Rinde über- 
wiegt mit zunehmendem Alter immer mehr die des Marks 
(Fig. 1—4, Taf. XXVII). Zur Zeit des Beginns der Geschlechts- 
reife ist das Bild nicht in beträchtlichem Grade verändert; höchstens 
weicht es insofern ab, als die Rinde, die noch deutlicher als in 
jüngeren Stadien als Hauptkomponente des Parenchyms hervor- 
tritt, in breiten Zügen die als kleine Flecke im Zentrum der 
Läppehen liegenden Markpartien umgibt. Dieser Typus ist im 
ganzen noch im Alter von fünf Monaten vorhanden (Fig. 5, 
Taf. XXVII). Die Bilder aus der Zeit der volleingetretenen 
Geschlechtsreife (freie Spermien), d. h. um den achten Monat 
herum, werden durch eine deutliche Reduktion der Lobuli des 
Parenchyms charakterisiert. Eine Umwandlung des interlobularen 
Bindegewebes in Fettgewebe ist in der Regel auf diesem Stadium 
noch nicht zu beobachten; man sieht aber, dass das Verhältnis 
zwischen Mark und Rinde sich deutlich zugunsten des ersteren 
ändert (Fig. 6, Taf. XXVII). Die Präparate von den einjährigen 
Tieren zeigen im allgemeinen schmale Lobuli oder besser Parenchym- 
züge, durch mächtige Schichten interstitiellen Bindegewebes von- 
einander geschieden, das hier und da den Charakter von Fett- 
gewebe anzunehmen beginnt. In der Regel kann man noch auf 
diesem Stadium einen Unterschied zwischen Mark und Rinde be- 
obachten. Letztere ist nun noch weiter reduziert (Fig. 7, Taf.XXVD). 
Auf noch späterem Stadium, zwei Jahre und darüber, sieht man 
das Parenchym gewöhnlich ganz schmale Züge in dem die Haupt- 
masse des Organs ausmachenden Fettgewebe bilden (Fig. 8—9, 
Taf. XXVII). Ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden 
Parenchymkomponenten Mark und Rinde ist in der Regel im 
Alter von zwei Jahren nicht zu beobachten. 

Das Gewicht des Thymuskörpers wie des Parenchyms im 
Verhältnis zum Körpergewicht ist gleichfalls berechnet worden; 
die Ergebnisse dieser Berechnungen lassen sich folgendermassen 
zusammenfassen: 

Bei neugeborenen Kaninchen beträgt der Thymuskörper 
1,50 Promille, das Parenchym ebenso ungefähr 1,50 Promille 
des Körpergewichts; 


716 Söderlund und Backman: 


nach 1 Woche 2,07 bezw. 2,00 Promille des Körpergewichts 

» 2 Wochen AG 9736 A N 5 
‚nis: a age, ; 
ae u 2,03 ” 1,90 » » » 

2—3 Manaen er ker u % I 
2] 4 ” 1 „I I » 1,84 » » BD) 
BD) Mm) ” 1,75 ” 1,55 „ ” B2) 
» 6 » 1,80 ” 1 ‚4 1 ” » » 
» ee) ” 1,07 ” 0,86 » „ » 
zirka‘ )Jahr #0 Are 28 h 5 a 

„ 2 Jahren 0,63 0,22 


Eine graphische Dar lune lea Itgebiiise findet sich 
in Textfig. 5, wo die obere Kurve das relative Gewicht des Thymus- 


—r 


N EN 


Fig. 5. 
Relatives Gewicht des Thymuskörpers (obere Kurve), relatives Gewicht 
des Thymusparenchyms (untere Kurve). 


körpers, die untere das des Thymusparenchyms bezeichnet. Die 
Figur zeigt, dass die beiden Kurven zum grossen Teil nahe bei- 
einander verlaufen; die Thymus wächst schneller als der Körper 
im übrigen bis zu drei Wochen nach der Geburt, wo das relative 
Gewicht sein Maximum mit 3,33 Promille für den Thymuskörper 
und 2,98 Promille für das Parenchym erreicht. Nach dieser Zeit 
wächst das Organ im grossen und ganzen langsamer als der 
Organismus in seiner Gesamtheit. Die Pubertätsvergrösserung 
der Thymus tritt auch in der Kurve als ein vorübergehender 
Anstieg im Alter von vier Monaten hervor. Wie ein Vergleich 
mit den Textfig. 2 und 5 zeigt, wird die im Alter von sechs 
Monaten hervortretende neue Zunahme des relativen Thymus- 
gewichts ausschliesslich durch den vorhandenen niedrigen Betrag 
des Körpergewichts in diesem Alter bedingt, während dagegen 


Studien über die Thymusinvolution. 21% 


der geringen Zunahme des relativen Thymusgewichts, die bis 
zum Alter von zwei Jahren vorhanden ist, ein entsprechender 
Anstieg in der Gewichtskurve des Thymuskörpers zur Seite steht. 
In keiner der Figuren findet sich ein ähnlicher Anstieg in der 
Kurve des reduzierten Parenchymwertes. Da eine Abnahme des 
absoluten Körpergewichts in diesem Alter nicht eingetreten ist, 
so beruht demnach diese Zunahme des relativen Thymusgewichts 
im Alter von zwei Jahren ausschliesslich auf einer Zunahme der 
Menge des interlobularen Fettgewebes. 

Die eben angeführten Verhältnisse betreffs des relativen 
Gewichts der Thymus weichen etwas von den bisher in bezug 
auf denselben Punkt, aber an anderem Untersuchungsmaterial 
gemachten Erfahrungen ab. Wie bereits erwähnt, trifft so nach 
Goodall und Paton das Maximum der relativen Grösse der 
Thymus beim Meerschweinchen — 5,4 Promille — im fötalen 
Leben ein. Bei der Geburt beträgt es nach denselben Forschern 
2,2 Promille und sinkt dann bis zum Eintritt der Pubertäts- 
steigerung. Wieder andere Verhältnisse scheinen bezüglich des 
Menschen zu herrschen. Nach Legou hat die Thymus beim 
Menschen im siebenten Fötalmonat eine relative Grösse von 3,8 
Promille, nach Hammar beträgt die entsprechende Zahl bei der 
Geburt 4,2; während des postfötalen Lebens findet dann, wie 
letzterer gezeigt hat, ein ununterbrochenes Sinken statt. 

Goodall und Paton verlegen demnach das Maximum der 
relativen Grösse der Thymus beim Meerschweinchen in das Fötal- 
leben, nach Legou und Hammar scheint die entsprechende 
Zahl für die Thymus des Menschen um den Zeitpunkt der Geburt 
herum zu liegen; die Untersuchungen über die Thymus des 
Kaninchens zeigen dagegen ein Maximum für die relative Grösse 
des Organs erst in der Zeit von drei Wochen nach der Geburt. 
Die Ursache für diese verschiedenen Verhältnisse genauer anzu- 
geben, ist wohl gegenwärtig nicht möglich. Etwas direkt Über- 
raschendes braucht übrigens in diesen Verschiedenheiten nicht zu 
liegen, wenn man in Betracht zieht, dass der Zeitpunkt des 
Abschlusses des intrauterinen Lebens keineswegs einem bestimmten 
Entwicklungsgrade in der Ontogenese der verschiedenen Säuge- 
tierarten entspricht. In dem Verhalten des relativen Thymus- 
gewichts, wie gewisse ältere Forscher es getan haben, einen 
Beweis dafür erblicken zu wollen, dass die funktionelle Bedeutung 


718 Söderlund und Backman: 


des Organs ausschliesslich oder überwiegend dem Fötalleben an- 
gehört, ist jedenfalls nicht angängig. 


Fig. 6. 


Thymusdrüsen von Kaninchen verschiedenen Alters; die Drüsen sind 

mit Zedernholzöl aufgehellt und bei durchfallendem Licht photographiert 

worden; natürliche Grösse; s. im übrigen die Angaben auf der Tafel; 

die entsprechenden Nummern in der Tabelle sind der Reihe nach 
1,:17,728,-42, 51, 55, 68’und 2. 


Studien über die Thymusinvolution. 719 


Um eine genauere Bestimmung des Zeitpunkts der Geschlechts- 
reife beim Kaninchen zu ermöglichen, haben wir ausser der Thy- 
mus auch den Geschlechtsdrüsen eine besondere Untersuchung 
gewidmet, und zwar vor allem bei dem Teil unseres Materials, 
der einem Alter von vier Monaten bis einem Jahr entspricht. 
Hoden, bezw. Ovarien wurden in Tellyesniezkyscher Flüssig- 
keit fixiert, in toto in Paraffin eingebettet und in 6—12 u dicke 
Schnitte zerlegt. Unsere Untersuchung galt vorzugsweise einer- 
seits den Verhältnissen des interstitiellen Gewebes (der „inter- 
stitiellen Drüse“, um den Ausdruck gewisser französischer Forscher 
zu gebrauchen), andererseits denen der (reschlechtsprodukte. 

Sowohl in Ovarien als Hoden finden sich bereits lange vor 
dem Eintritt der Pubertät zahlreiche interstitielle Zellen. Weder 
dem Bau, noch der Anzahl oder Anordnung nach scheinen diese 
Zellen während der Pubertätsperiode eine bemerkenswerte Ver- 
änderung zu zeigen. Was die „interstitielle Drüse“ speziell im 
Hoden betrifitt, so geben Bouin und Ancel (1903) an, dass in 
der Zeit von der Geburt bis zum Eintritt der Geschlechtsreife 
ihre Zellen schneller wachsen als die Samenkanälchen selbst — 
und in Übereinstimmung hiermit haben wir sie auch in frühen 
Stadien kräftig entwickelt gefunden. 

Was die epithelialen Elemente anbelangt, so sind bereits 
frühzeitig in den Ovarien Graafsche Follikel vorhanden (s. die 
Tabelle); diese werden später wohl grösser, auf ihr Aussehen 
aber sichere Bestimmungen über den Eintritt der Pubertät zu 
gründen, ist schwer, um nicht zu sagen, unmöglich. Erst mit 
dem Auftreten der Corpora lutea stehen sichere Zeichen einge- 
tretener Geschlechtsreife in den Ovarien zur Verfügung. Bei den 
Hoden wieder hat man in der Spermiogenese und in dem Auf- 
treten freier Spermien ein Kriterium für den Eintritt der Ge- 
schlechtsreife. Es sind auch vorzugsweise die Hoden gewesen, 
auf die wir angewiesen waren, wenn es galt, Schlüsse bezüglich 
des Verhältnisses zwischen den in der Thymus und den Geschlechts- 
drüsen stattfindenden Veränderungen zu ziehen. 

Eine Prüfung von Hodenpräparaten aus verschiedenen Alters- 
stufen ergiebt u. a. folgendes. Bis zum Alter von 3 Monaten 
einschliesslich sind die Bilder einander sehr ähnlich. In den 
Samenkanälchen sieht man auf diesen Stadien noch kein Lumen; 
an der Stelle desselben findet sich ein protoplasmatisches Reti- 


"720 Söderlund und Backman: 


kulum mit überwiegend radiärer Faserrichtung. Die Fasern 
scheinen, allem nach zu urteilen, aus Fortsätzen gewisser Zellen 
des Epithels zu bestehen. Nirgends finden sich im Epithel mehr 
als zwei, höchstens drei Zellschichten. Mitosen sind relativ spär- 
lich; höchstens finden sich drei bis vier solche in jedem Kanal- 
querschnitt. Bei dem Alter von vier Monaten ändern sich die 
Bilder in höchst frappanter Weise. In einigen Kanälchen findet 
man wohl auch jetzt das eben geschilderte Bild, in der grossen 
Mehrzahl der Fälle hat aber die Weite der Drüsenröhren bis auf 
das Doppelte ihres früheren Betrages zugenommen; die Wände 
bestehen nun in der Regel aus fünf bis sechs oder mehr Schichten, 
von denen die meisten in Mitose begriffen sind. Man kann so. B. in 
einem Kanalquerschnitt 50— 100 Mitosen finden. Lumina sind hier 
und da entstanden, dem Anschein nach durch eine Auflockerung 
mit Spaltenbildung innerhalb des zentralen Protoplasmanetzes. Hier 
und da in den Lumina sieht man degenerierte, von den Wänden 
abgestossene Zellen. Dieselben Bilder wie das eben geschilderte 
weisen die nächstfolgenden Altersstadien auf, nur dass die Zell- 
teilung wenn möglich noch lebhafter zu geschehen und die 
Drüsenröhren immer deutlicher als wirkliche Röhren, d. h. mit 
wohlentwickelten Lumina, hervorzutreten scheinen. Erst bei 
Kaninchen im Alter von 7—8 Monaten sieht man zum erstenmal 
in der Altersserie, dass die Zellteilung innerhalb der Samen- 
kanälchen in der Bildung von Spermien resultiert hat. Die Sper- 
miogenese ist hier offenbar eingeleitet, wenn sie auch noch nicht 
in derselben Ausdehnung vorsichgeht, wie es im späteren Stadium 
‚der Fall ist. 

Aus dem Angeführten geht hervor, dass die Geschlechts- 
reife beim männlichen Kaninchen in der Zeit vom 4.—8. Lebens- 
monat vorsichgeht. Es ist von grossem Interesse, hiermit die 
durch die Kurven in Textfig. 3 veranschaulichten Gewichtsverhält- 
nisse der Gesamtthymus und des Parenchyms zu vergleichen. 
Man sieht da, dass der Zeitpunkt, wo die lebhaftere mitotische 
Tätigkeit der Samenkanälchen beginnt (4. Monat), auch der ist, 
in welchem der Abfall dieser Thymuskurven beginnt. Schon die 
Vorbereitungen zur Spermiogenese scheinen demnach hierbei 
einen bestimmenden Einfluss auszuüben. Ein entscheidender 
Einfluss des wirklichen Beginns der Spermiogenese (7.—8. Monat) 
‚geht dagegen kaum aus den fraglichen Kurven hervor. Betrachtet 


Studien über die Thymusinvolution. 721 


man wiederum von diesem Gesichtspunkt aus die Mark- und 
Rindenkurven in Textfig. 4, so zeigt die Rindenkurve in dieser 
Hinsicht ein mit dem des Parenchyms in seiner Gesamtheit über- 
einstimmendes Verhalten. Das Mark dagegen zeigt während der 
ersten Hälfte der Geschlechtsreife (4.—6. Monat) eine langsame 
Abnahme; während der letzten Hälfte derselben Periode (6. bis 
8. Monat) nimmt es sogar etwas zu. Erst mit dem Beginn der 
Spermiogenese im Alter von acht Monaten nimmt das Mark von 
0,296 gr auf 0,145 gr, d.h. auf den Betrag ab, bei dem es dann 
stehen bleibt, so lange ein Unterschied zwischen Mark und Rinde 
beobachtet werden kann, nämlich bis zum Alter von ungefähr 
1'!—2 Jahren. 

Da während der Zeit der Geschlechtsreife eine auffallende 
Veränderung in der Menge oder dem Aussehen der interstitiellen 
Zellen nicht stattzufinden scheint, spricht demnach Ver- 
schiedenes dafür, dass wir — insofern die Ursache zu 
den in der Thymus hervortretenden Veränderungen, 
welche die Altersinvolution charakterisieren, in 
den Hoden liegt — sie nicht in den Zwischenzellen, 
sondern in dem spermiogenen Epithel zu suchen 
haben. 

Auch die Prüfung gewisser individueller Fälle von Ausnahme- 
charakter scheint diese Auffassung zu stützen. In einem einzigen 
Fall, Nr. 37, fanden sich so bei einem drei Monate alten Kaninchen 
bereits die oben erwähnten, sonst erst vom vierten Monat an 
auftretenden Erscheinungen in den Hodenkanälen, nämlich leb- 
hafte Mitosenbildung und beginnende Entstehung von Lumina, 
‘obwohl nicht in so grosser Ausdehnung wie in späteren Stadien; 
und in diesem Fall wog die Thymus 2,05 gr, also mehr als bei 
allen übrigen acht, der Altersstufe zwei bis drei Monate ange- 
hörigen Tieren! 

Von Interesse ist es auch, Nr. 60, 62 und 64 (s. die Tabelle), 
d.h. die drei Männchen von den sieben bis acht Monate alten 
Tieren zu prüfen. In dem Hoden von Nr. 60 findet man eine 
sehr lebhafte Spermiogenese im Gange; in so gut wie allen 
Kanälchen werden freie Spermien angetroffen, und rings um die 
Wände der Kanälchen herum beobachtet man Spermienbildung. 
Das Gleiche ist bei Nr. 62 der Fall. Der Hoden von Nr. 64 
bietet dagegen ein anderes Bild. Man findet hier nur in jedem 


122 Söderlund und Backman: 


zweiten oder dritten Kanälchen Spermiogenese, und wo dies der 


Fall ist, findet sie im allgemeinen nur auf der einen Seite des 
Kanälchens statt; sehr wenig freie Spermien werden angetroffen. 
Alles deutet darauf hin, dass das samenbildende Epithel im 
letzteren Falle sich auf einem im Vergleich mit den beiden anderen 
weniger weit vorgeschrittenen Entwicklungsstadium befindet, dass. 
die Spermiogenese hier in ihrem Anfangsstadium begriffen ist. 
Und in diesem letzteren Falle beträgt das Thymusgewicht 1,88 gr, 
in den beiden anderen bezw. 0,94 und 0,98 gr. Ähnliche Ver- 
hältnisse haben auch bei näherer Prüfung der Thymi und Testes- 
von einjährigen Tieren festgestellt werden können. 


Der Einfluss der Geschlechtsdrüsen auf die Thymus, wie er 
experimentell von Galzolari (1898) beobachtet und durch die 
Untersuchungen Hendersons (1904), Hammars (1905) u.a. 
an kastrierten Tieren bestätigt worden ist, erhält also auch durch. 
unsere Untersuchung über den Verlauf der Altersinvolution beim 
Kaninchen eine Bestätigung. Der Zufall hat auch uns ein 
kastriertes Tier (Nr. 78) in die Hände geführt, das in seiner 


Weise geeignet war, diesen Umstand zu bestätigen. Die Drüse- 


dieses Tieres — eines drei Jahre alten Männchens — enthielt, 
wie sich herausstellte, 1,11 gr Parenchym, während die übrigen: 
acht, der Altersstufe von zwei bis drei Jahren angehörigen, von 


uns untersuchten Tiere eine Thymus mit durchschnittlich 0,24 gr‘ 


Parenchym (Max. 0,59, Min. 0,03 gr) besassen. 


Zusammenfassung. 


1. Der Thymuskörper wiegt beim Kaninchen im Durchschnitt 
bei der Geburt 0,10 gr, in einem Alter von 1 Woche 0,35 gr, 
2 Wochen 0,45 gr, 3 Wochen 0,98 gr, 4—6 Wochen 1,07 gr, 
2—3 Monaten 1,70 gr, 4 Monaten 2,49 gr, 5 Monaten 2,34 gr, 
6 Monaten 1,69 gr, 7—8S Monaten 1,62 gr, 1 Jahr 0,98 gr und. 
2..Jahren. 1,32 gr. 

2. Der reduzierte Parenchymwert beträgt im Durchschnitt: 
bei neugeborenen Kaninchen 0,10 gr, im Alter von 1 Woche 
0,54 gr, 2 Wochen 0,44 gr, 3 Wochen 0,56 gr, 4—6 Wochen 
1,00 gr, 2—3 Monaten 1,56 gr, 4 Monaten 2,30 gr, 5 Monaten 
2,08 gr, 6 Monaten 1,31 gr, 7—8 Monaten 1,30 gr, 1 Jahr 
0,58 gr, 2 Jahren 0,47 gr. 


Studien über die Thymusinvolution. 129 


3. Der Unterschied zwischen Mark und Rinde lässt sich 
normalerweise bis zum Alter von 1—1'/»s Jahren beobachten. Die 
Rinde überwiegt der Menge nach, und zwar besonders während 
des Alters von 3—6 Monaten. Die berechneten Mittelwerte sind: für 
neugeborene Kaninchen: Rinde 0,084 gr, Mark 0,015 gr, interstit. 
Gewebe 0,004 gr; für das Alter von 1 Woche betragen dieselben 
Werte in derselben Reihenfolge 0,309 gr, 0,033 gr, 0,006 gr; 
2 Wochen 0,361 gr, 0,076 gr, 0,044 gr; 3 Wochen 0,683 gr, 
0,173 gr, 0,102 gr; 4—6 Wochen 0,769 gr, 0,232 gr, 0,107 gr; 
2—3 Monaten 1,261 gr, 0,295 gr, 0,139 gr; 4 Monaten 1,875 gr, 
0.425 gr, 0,167 gr; 5 Monaten 1,712 gr, 0,371’ gr, 0,259 gr; 
6 Monaten 1,029 gr, 0,278 gr, 0,299 gr; 7—8 Monaten 1,001 gr, 
0,296 gr, 0,526 gr; 1 Jahr 0,455 gr, 0,145 gr, 0,400 gr; 2 Jahren 
0,502 gr, 0,145 gr, 0,843 gr. 

4. Beim neugeborenen Kaninchen beträgt sowohl der Thymus- 
körper als das Parenchym 1,50 Promille des Körpergewichts; für 
das Alter von 1 Woche betragen diese Werte bezw. 2,07 und 
2,00 Promille; 2 Wochen 2,46 und 2,36; 3 Wochen 3,33 und 
2,98; 4—6 Wochen 2,03 und 1,90; 2—3 Monaten 1,94 und 1,79; 
4 Monaten 1,99 und 1,84; 5 Monaten 1,75 und 1,55; 6 Monaten 
1,50 und 1,41; 8 Monaten 1,07 und 0,56; 1 Jahr 0,47 und 0,28; 
2 Jahren 0,63 und 0,22. Das Maximum des relativen Thymus- 
gewichts fällt demnach beim Kaninchen in das Ende der dritten 
Woche des Postfötallebens, während für das Meerschweinchen das 
entsprechende Maximum während des Fötallebens und für den 
Menschen um die Zeit der Geburt stattzufinden scheint. 


5. Im Alter von 1 Jahr hört das hauptsächliche Wachstum 
des Kaninchens auf; das durchschnittliche Gewicht beträgt dann 
ungefähr 2000 gr. 

6. Beim männlichen Kaninchen beginnen die Vorbereitungen 
zur Spermiogenese im Alter von 4 Monaten; die Spermiogenese 
selbst beginnt im Alter von 7—8 Monaten. Weder im Ovarium 
noch im Testis erfährt die „interstitielle Drüse“ um die Pubertäts- 
periode herum eine auffallende Veränderung. 

7. Schon zu der Zeit, wo die Vorbereitungen zur Spermio- 
genese beginnen, d. h. im Alter von 4 Monaten, erreicht das 
absolute Gewicht sowohl des Thymuskörpers als des Parenchyms 


und der beiden Komponenten desselben, des Marks und der Rinde, 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 47 


724 


Söderlund und Backman: 


je für sich sein Maximum. Eine schnelle Abnahme des Gewichts 
sowohl des Organs als des Parenchyms setzt unmittelbar nach 
diesem Zeitpunkt ein; sie wird hauptsächlich durch die schnelle 
Reduktion der Rinde bedingt. Im Alter von 4—8 Monaten tritt 
ein auffälligeres Wachstum des interstitiellen Gewebes als Vor- 
bereitung zu seinem Übergang in Fettgewebe ein. 


1891. 
1896. 
1903. 
1898. 
1858. 
1904. 
1905. 
1905. 
1906. 
1904. 
1891. 
1908. 
1884. 
1881. 
1903. 


1898. 
1891. 


Literaturverzeichnis. 


Baum: Die Thymusdrüse des Hundes. Deutsche Zeitschr. f. Tiermedizin, 
Bd. 7, H.4. 

Blumreich und Jacoby: Untersuchungen über die Bedeutung der 
Schilddrüse und ihrer Nebendrüsen für den Organismus. Pflügers Arch., 
Bd. 64. 

Ancel et Bouin: Recherches sur le röle de la glande interstitielle 
du testicule. Hypertrophie compensatrice exp@erimentale. C. r. Acad. 
SCH 1.7132.21N0. 6. 

Calzolari: Recherches experimentales sur un rapport probable entre 
la fonction du thymus et celle des testicules. Arch. ital. de biologie, 
MROERXE 

Friedleben: Die Physiologie der Thymusdrüse. Frankfurt a. M. 
Goodall and Paton: Contribution to the physiology of the thymus. 
The Journal of Physiology, Vol. XXXI. 

1. Hammar: Zur Histogenese und Involution der Thymusdrüse. Anat. 
Anzeig., Bd. 27. 

2. Derselbe: Über Thymusgewicht und Thymuspersistenz. Verh. d. 
Anat. Gesellschaft. 

Derselbe: Über Gewicht, Involution und Persistenz der Thymus im 
Postfötalleben des Menschen. Archiv für Anatomie und Physiologie. 
Henderson: On the relationship of the thymus to the sexual organs. 
The influence of castration. Journal of Physiology, Vol. XXXI. 
Henocque: Aptitudes des cobayes mäles & la reproduction. Archives 
de physiologie. 

Jonson: Studier öfver thymusinvolutionen. Den accidentella invo- 
lutionen vid inanition. Uppsala Läkaref:s Förh., Bd. 13. 

Krause: Die Anatomie des Kaninchens. 

Klein: Histological notes. Quart. Journ. mier. Sc. 

Legou: Quelques considerations sur le d&veloppement du foetus. Men- 
surations et pesees aux differents äges. These. Paris. 

Livon: Art. cobaye; Physiologie; in Richet, Dict. de Physiol., T. 3. 
Minot: Senescence and Regeneration 1. Paper: On the weight of 
Guinea Pig. Journ. of Physiology, Vol. XII (zit. nach Schwalbes 
Jahresber.). 


Studien über die Thymusinvolution. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVII. 


n 2 » 7 17 » b) n 
gu ar A ur 
B) 4 ” 42 b n 
n B) 2 n al )} » 
Bit; 62° , 
ee, 68 
Bl za" 
GER; ee 


art 


—1 
m 
>| 


—1 
[0) 
{er} 


Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels- 


nebst Bemerkungen über dessen Struktur. 


Von 
Professor Dr. Julius Arnold in Heidelberg. 


Hierzu Tafel XXVIN. 


Die Morphologie des Glykogens. 


Die Untersuchung der Skelett- und Bauchmuskeln (Nr. 3) hat: 
ergeben, dass das Glykogen hauptsächlich, wenn nicht ausschliess- 
lich, in den Sarkosomen enthalten ist, während solches in den: 
Muskelfibrillen, wenigstens in den anisotropen Abschnitten Q — 
den sogenannten Myokonten — nicht nachgewiesen werden kann. 
Die an der Stelle der isotropen Scheiben — J — gelegenen 
transversalen Glykogengranula wurden als sarkoplastische Gebilde‘ 
aufgefasst; dafür sprechen ihre Beziehung zu dem intereolumnären 
glykogenführenden Sarkoplasma, mit welchem sie Q umspinnende- 
Netze bilden, sowie ihr vermutlich vom Kontraktionszustand 
abhängiger Lagewechsel zwischen Q und der Zwischenscheibe Z; 
in Folge dieses erscheinen die transversalen Granula als eine: 
einfache Z verdeckende Reihe oder aber in der Form von zwei 
Reihen, welche in verschiedener Entfernung von Z liegen, manch- 
mal aber auch Q sich nähern dieses mehr oder weniger ver- 
deckend. 

Bei der supravitalen Jodräucherung (Brusthautmuskel) zeigen 
zunächst nur die Sarkosomen die Glykogenreaktion; diffuse 
Färbungen im Sarkoplasma treten gewöhnlich erst später auf; 
die Muskelfibrillen bleiben ungefärbt und nehmen nur einen hell- 
gelben Farbenton an. 

Wie bei den Skelettmuskeln, so stimmen auch bei dem: 
Herzmuskel die Angaben über das Verhalten des Glykogens nicht 
überein; die Einen verlegen den Sitz dieses in das Sarkoplasma, 
die anderen in das Myoplasma, die meisten schreiben ihm eine 
diffuse Verteilung zu und beziehen das Vorkommen von Körnchen, 
mögen sie diese in das erstere oder letztere verlegen, auf 
Fällungsvorgänge. Es war somit eine Untersuchung des Herz-- 


Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 127 


muskels nicht zu umgehen und eine Prüfung in der Hinsicht 
erforderlich, ob und in wie fern die Anordnung des Glykogens 
im Herzmuskel von derjenigen in den Skelettmuskeln abweicht. 

Ich habe mich vorerst auf die Untersuchung des Frosch- 
herzens beschränkt, da es mir sachgemäss erschien, zunächst bei 
der gleichen Art die Anordnung des Glykogens in den Skelett- 
muskeln einerseits, den Muskelfasern des Herzens andererseits 
festzustellen. Ich hoffe seinerzeit über die Morphologie des 
Glykogens im Herzen der Warmblüter unter besonderer Berück- 
sichtigung der Purkinjeschen Fasern berichten zu können 
Uebrigens darf das Froschherz nicht nur wegen seines gewöhnlich 
ziemlich beträchtlichen Glykogengehaltes als Untersuchungsobjekt 
‚empfohlen werden; ein weiterer Vorzug ist der, dass man dieses 
in toto d. h. ohne Zerlegung in kleinere Stücke in absolutem 
Alkohol härten und in Zelloidin einbetten kann. 

Die Methoden waren im wesentlichen die gleichen, wie bei 
den früheren Glykogenuntersuchungen. Zunächst prüfte ich das 
Verhalten des frischen Herzmuskels bei der Jodräucherung. 
Möglichst kleine Stückchen wurden in der Glaskammer (hohl- 
geschliffenem Objektenträger) Joddämpfen ausgesetzt. Die Ergeb- 
nisse waren aber weniger befriedigend wie bei den Skelettmuskeln; 
es mag dies seinen Grund darin haben, dass man genötigt ist, 
Zupf- oder Schnittpräparate anzufertigen; begreiflicher Weise ist 
der vorsichtig von seinen Ansatzstellen abgelöste und in seiner 
Form gut erhaltene Brusthautmuskel ein brauchbareres Versuchs- 
objekt. Immerhin findet man auch im Herzmuskel eine bald 
grössere bald kleinere Zahl von Fasern mit jodophilen Sarko- 
somen, während die eigentlichen Fibrillen ungefärbt bleiben. Es 
sei noch bemerkt, dass man auch an Schnitten von Präparaten, 
welche in Zelloidin eingebettet und nach vorausgehender 
Entwässerung mit absolutem Alkohol durch Origanumöl auf- 
gehellt wurden, mittelst der Jodräucherung sehr brauchbare 
Bilder erhält. Diese Methode angewendet auf das frische 
Objekt, ist insofern, wie schon mehrfach hervorgehoben wurde, 
von Bedeutung, als mit ihrer Hilfe nachgewiesen werden kann, 
dass vorwiegend die Sarkosomen das Glykogen enthalten; diffuse 
Färbungen des Sarkoplasma habe ich erst später wahrgenommen, 
während die eigentlichen Muskelfibrillen auch in dieser Zeit un- 
‚gefärbt bleiben. Überhaupt sollte die Anfertigung von Jod- 


728 Julius Arnold: 


präparaten niemals unterlassen werden; nur darf man nicht 
vergessen, dass bei Anwendung von wässerigen Jodlösungen selbst 
am gehärteten Objekt noch Veränderungen des Glykogens eintreten 
können. Solche kommen auch an Präparaten vor, welche nach 
der Bestschen Karminmethode, die ja sonst viel leistungsfähiger 
ist, behandelt wurden. — Manchmal ist, wie Querschnitte durch 
das Herz lehren, die Verteilung des Glykogens eine ungleich- 
mässige in der Art, dass auf der einen Seite sehr wenig, auf 
der anderen Seite sehr viel Glykogen in dem Herzmuskel sich 
findet. Hängt man das Herz in absolutem Alkohol auf, so macht 
sich diese Unregelmässigkeit, welche offenbar auf durch die 
Konservierung bedingte Diffusionsströme zurückzuführen ist, viel 
weniger bemerkbar. Der Befund von kleineren und grösseren 
freien, d. h. nicht an Strukturbestandteile gebundenen Tropfen: 
ist wohl gleichfalls auf Lösungserscheinungen zu beziehen; freie 
körnige Abscheidungen und Fällungen habe ich bei richtigem 
Verfahren nicht beobachtet. Bei allen diesen Vorkommnissen 
spielen die wechselnden Lösungsverhältnisse des Glykogens, die: 
vitalen und postvitalen autolytischen Vorgänge, die angewandten 
Untersuchungsmethoden eine hervorragende Rollee Um so un- 
entbehrlicher ist, wie ich in den früheren Mitteilungen immer’ 
wieder betont habe, die Controle am überlebenden Objekte. Wie 
oben erwähnt wurde, kommen nach einiger Zeit auch an diesem 
diffuse Färbungen zur Wahrnehmung; in wie weit diese als vitale,. 
postvitale oder arteficille Erscheinungen aufzufassen sind, lässt 
sich am konservierten Präparate nicht feststellen. 

Wie in den Skelettmuskeln, so kann man auch an den 
Herzmuskeln ein longitudinales und ein transversales System von: 
glykogenführenden Granula unterscheiden. 

Das erstere entspricht den intercolumnären Räumen und 
zeigt einen durch den verschiedenen Glykogengehalt bedingten 
Wechsel in der Anordnung der glykogenführenden Sarkosomen 
(Fig. 1—3). Bald sind diese nur spärlich und klein, in kurzen 
und vielfach unterbrochenen Reihen aufgestellt, bald sind sie: 
zahlreicher, grösser, bilden lange und zuweilen breite Reihen, 
sowie auf grössere Strecken hin zusammenhängende Ketten. 
Manchmal sind einzelne Sarkosomen und deren Zwischenglieder 
überhaupt nicht mehr zu unterscheiden. Dazwischen finden sich 
kleinere und grössere freie Tropfen. Die Verbindung der Sar-- 


Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 129 


kosomen, wenn eine solche nachweisbar ist, wird bald durch ge- 
färbte bald durch ungefärbte fädige Zwischenglieder hergestellt. — 
Wesentliche Unterschiede gegenüber der Anordnung in den Skelett- 
muskeln wüsste ich nicht hervorzuheben. Die Gliederung der 
intercolumnären Glykogensubstanzen in Sarkosomenreihen erschien 
mir am Herzmuskel eher deutlicher als an den Skelettmuskeln. 
Auf dem Durchschnitt habe ich eine netzförmige Anordnung des 
glykogenhaltigen Sarkoplasmas nur stellenweise, dagegen zahl- 
reiche dicht stehende Granula zwischen den querdurchschnittenen 
Fibrillenkomplexen beobachtet. 

Die Kerne sind stets frei von Glykogen, dagegen finden 
sich solche Granula in dem umgebenden Sarkoplasma in grösserer 
Zahl (Fig. l). 

Was das transversale System der Glykogengranula an- 
belangt, so zeigt auch dieses wechselnde Anordnung: bei ge- 
ringerem Glykogengehalt vereinzelte Granula, deren Lage zu den 
einzelnen Fibrillen und Fibrillenabschnitten schon wegen der 
geringeren Breite dieser, sowie wegen der Verwechslung mit 
intercolumnären Sarkosomen nicht immer mit Sicherheit zu be- 
stimmen ist. Leichter wird dies bei grösserem Glykogengehalt. — 
Am häufigsten nimmt man an der Stelle der Zwischenscheibe (Z) 
eine bald sehr schmale, bald etwas breitere rote Linie wahr, 
welche eine Zusammensetzung aus Granula namentlich dann er- 
kennen lässt, wenn die letzteren weniger dicht liegen; sehr oft 
erscheint sie mehr gleichartig (Fig. 3). Man erhält so den Ein- 
druck, als ob Z aus Glycogengranula bestehe. An den Skelett- 
muskeln konnte nachgewiesen werden, dass an der Stelle der 
isotropen Substanz (J) zu beiden Seiten von 7 Reihen von 
Glykogengranula sich finden, welche zuweilen dem letzteren näher 
rücken und es schliesslich verdecken. Während in dem letzteren 
Falle der Anschein erweckt werden kann, als ob Z Glykogen- 
granula enthielte, lässt sich nachweisen, dass Z, wenn die 
Glykogengranula an der Stelle von J gelegen sind, eine Glykogen- 
reaktion nicht darbietet. Ich kam deshalb zu dem Schluss, dass 
7 glykogenfrei ist und ein Glykogengehalt dieses durch die 
Verlagerung der J-granula vorgetäuscht wird. 

Bei eingehender Prüfung konnte ich auch am Herzmuskel 
Fasern auffinden, bei welchen Z ungefärbt zwischen den zwei 
Reihen der Glykogengranula J nachgewiesen werden konnte 


730 Julius Arnold: 


(Fig. 3b). Der Wechsel in der Lagerung dieser hängt offenbar 
mit dem verschiedenen Kontraktionszustand zusammen. — Wie 
früher hervorgehoben wurde, kommt es bei den Skelettmuskeln 
sehr häufig durch eine Vereinigung der longitudinalen und 
transversalen Granulasysteme zur Bildung mehr oder weniger 
regelmässiger Netze, welche die Felder @ diese gewöhnlich frei- 
lassend umsäumen. An den Herzmuskeln finden sich solche 
Netze gleichfalls (Fig. 2c), sie scheinen aber seltener zu sein; 
doch kommt dieser Verschiedenheit kaum eine Bedeutung zu, 
weil sie vermutlich nur gradueller Art ist, d.h. von dem Glykogen- 
gehalt abhängt. Es wurde eben betont, dass an der Stelle der 
Felder @ Glykogen meistens vermisst wird; wenn das Sarko- 
plasma von den Seiten her über Q sich wegschiebt, so kann ein 
Glykogengehalt dieser vorgetäuscht werden. 

Ob die Endothelien Glykogen führen, kann ich nicht mit Be- 
stimmtheit aussagen, weil im Blut sehr oft freie Glykogentropfen 
sich finden, welche dem Endothel möglicherweise sich auflagern. 
Dagegen liess sich in den Leukocyten, insbesondere auch in den 
eosinophilen Formen Glykogen nachweisen; doch waren diese 
weniger zahlreich wie im Blut der Lebergefässe. 

Es wurde erwähnt, dass der Sitz des Glykogens von den 
Einen in das Myoplasma, von den Anderen in das Sarkoplasma 
verlegt wird, die Meisten aber annehmen, dass seine Verteilung 
eine diffuse und der Befund von Körnchen auf Fällungsvorgänge 
zurückzuführen sei. — Die oben mitgeteilten Untersuchungen 
haben uns zu dem Ergebnis geführt, dass in den Muskelfibrillen 
Glykogen überhaupt nicht enthalten ist; die transversalen an der 
Stelle der isotropen Substanz gelegenen Granula gehören dem 
Sarkoplasma an; allerdings kann durch die Verlagerung dieses 
das Trugbild gefärbten Myoplasmas entstehen. — Die im Sarko- 
plasma gelegenen Körner als Fällungsprodukte aufzufassen, da- 
gegen sprechen ausser den früher geschilderten Befunden bei der 
supravitalen Jodräucherung die regelmässige Anordnung der lon- 
gitudinalen und transversalen Systeme der Glykogengranula, ins- 
besondere aber, wie weiter unten nachgewiesen werden soll, ihre 
vollständige Übereinstimmung mit der Anordnung der Sarkosomen, 
wie sie am überlebenden und nach verschiedenen Methoden con- 
servierten Objekt beobachtet werden kann. Diffuse Färbungen 
des Sarkoplasmas kommen vor; es wurde oben erörtert, weshalb 


Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 731 


die Entscheidung, ob es sich um eine vitale, postvitale, oder 
arteficielle Erscheinung handelt, zur Zeit nicht möglich ist. Wer 
an gelungenen Glykogenpräparaten mit den zierlichen und bei 
allem Wechsel gesetzmässigen Anordnungen der longitudinalen 
und transversalen Granulasysteme sich vertraut gemacht hat, 
wird zu der Überzeugung gelangen, dass das Glykogen an prä- 
existente Strukturbestandteile gebunden ist. 


Zur Struktur des Herzmuskels. 


Die Methoden der Untersuchung waren im wesentlichen die 
gleichen, wie bei derjenigen der Skelettmuskeln: Konservierung in 
Alkohol, Sublimatchlornatriumlösungen oder Bendascher Chrom- 
osmiummischung (Nachbehandlung mit Acetum pyrolignosum und 
Chromsäure etc.). Von Tinktionsmethoden kamen in Anwendung 
ausser den gewöhnlichen die Eisenhämatoxylinfärbung ohne und 
mit nachträglicher Tinktion durch Krystallviolettanilinöl; in 
letzterem Fall müssen die durch Eisenhämatoxylin gefärbten 
Objekte stark differenziert werden. Sehr brauchbar erwies sich 
folgende Modifikation der Bendaschen Mitochondrienfärbung: 
nach vollzogener Tinktion mit Krystallviolettanilinöl trocknet 
man die Präparate ab und differenziert ohne Anwendung von 
Essigsäure mit einer Mischung von Aceton-Nelkenöl (2:10), bis 
die Felderzeichnung an den Muskelfasern deutlich wird. Dünne 
Paraffinschnitte (2—4 «) sind unbedingt erforderlich. Ich will 
nicht unterlassen, auch an dieser Stelle zu betonen, dass es sich 
bei diesen Färbungen nicht um „spezifische“ handelt; vielmehr 
ist ihr Ergebnis von dem Grad der Differenzierung und dem 
Kontraktionszustand abhängig. 

Sarkoplasma. Zunächst sei erwähnt, dass bei vitaler 
Zufuhr von Methylenblau in der Muskulatur des noch lebhaft 
sich kontrahierenden Froschherzens gefärbte Granula vorkommen. 
Dieselben liegen zwischen den Fibrillensystemen. Ich verweise 
auf meine früheren Mitteilungen (Nr. 2). Mittelst der Jodkali- 
maceration lassen sich die Muskelsäulchen, später die Muskel- 
fibrillen isolieren. Die Sarkosomen kommen dann sehr deutlich 
zum Vorschein (Nr. 1). 

Nach den an den Glykogenpräparaten erhobenen Befunden 
war zu erwarten, dass in der Muskulatur des Froschherzens 
das Sarkoplasma ziemlich reichlich vertreten, aber in seiner 


132 Julius Arnold: 


Anordnung einem ziemlich grossen Wechsel unterworfen ist. Es 
fanden sich an den nach den eben erwähnten Methoden behandeltem 
Objekten bald nur vereinzelte kleinere und grössere Granula, bald 
Ketten und Reihen solcher, welche in den interkolumnären Räumen 
lagen (Fig. 4—6). Sehr oft waren sie durch feine Fäden ver- 
bunden oder es bot sich mehr das Bild von Fäden dar, welche 
in regelmässigen Abständen durch Granula von wechselnder 
Grösse und Färbung unterbrochen wären. Die grösseren Granula 
zeigten einen mehr dunkelbraunen bis schwärzlichen, die kleineren 
einen helleren Farbenton mit einer mehr oder weniger deutlichen 
Beimischung von blau, wenn Krystallviolett in Anwendung’ 
sekommen war. Die einen Granula schienen zwischen Q, ohne 
zu diesen in Beziehung zu treten, die anderen in der Höhe von 
Z zu liegen, und mit diesen durch fädige Fortsätze in Ver- 
bindung zu stehen (Fig. 5). Da, wie nachher berichtet werden 
soll, auch die an der Stelle von Z gelegenen Gebilde nach diesen 
Methoden sich färben, so entstehen netzförmige, die Muskel- 
segmente (Muskelkästchen) umsäumende Figuren (Fig. 5 b). 
Unregelmässigkeiten in der Anordnung dieser sind wohl auf 
artefizielle Einwirkungen zurückzuführen (Fig. 5e). — Es ist 
wohl nicht erforderlich, auf eine Vergleichung dieser Bilder mit 
den an Glykogenpräparaten beobachteten einzugehen und ihre 
Übereinstimmung ausführlicher zu erörtern; dagegen sei noch 
hervorgehoben, dass eine solche auch bezüglich der Darstellungen, 
welche andere von dem Verhalten des Sarkoplasmas im Herz- 
muskel geben, verzeichnet werden darf. Ich verweise insbesondere 
auf die diesen Gegenstand betreffenden Schilderungen Heiden- 
hains. 

Myofibrillen, Myokonten und Myosomen. Weder 
an Alkohol-, noch an Sublimat- oder Chromosmiumpräparaten erhält 
man den Eindruck von begrenzten Zellen, vielmehr den vom 
Faserbündeln, welche aber keine Abgrenzung erkennen lassen. 
Besonders geeignet zum Studium der Myofibrillen sind nach den 
oben angegebenen Methoden gefärbte Chromosmiumobjekte. Je 
nach dem Grad der Differenzierung, insbesondere aber je nach 
dem Kontraktionszustand der Fasern ergeben sich sehr wechselnde 
Bilder. Sehr auffallend war mir, dass man zuweilen in dem 
gleichen Faserbündel verschiedene Kontraktionszustände der 
Fasern wahrnehmen kann. 


Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 133 


Manche Fasern sind gleichmässig gefärbt und es ist eine 
Gliederung an ihnen nicht zu beobachten Andere zeigen eine 
regelmässige Felderung; es entstehen, durch Z begrenzt, Segmente, 
welche aus dem gefärbten Q und den beiden ungefärbten J sich 
zusammensetzen (Fig. 7a u.b). An Präparaten, welche nach der 
modifizierten Bendaschen Methode tingiert wurden, erschienen 
die Felder Q dunkelviolett, Z blau, bei der Färbung mit Eisen- 
hämatoxylin und Krystallviolettanilinöl die ersteren schwarzblau, 
Z graublau. Bei sehr vielen Fasern macht sich offenbar infolge 
der Lockerung der Interfibrillarsubstanz an diesen Segmenten 
die Neigung, in feinere Stäbchen zu zerfallen, bemerkbar; an 
diesen kann man den mittleren, etwas dickeren gefärbten, 
Abschnitt, welcher Q entspricht, und seine ungefärbten Fort- 
sätze unterscheiden (Fig. 8). So entstehen primitive, aus J-Q-J 
bestehende Fibrillensegmente.. Ob die Fibrillen an der Stelle 
von Z diese kontinuierlich durchsetzen oder an dieser Stelle 
durch Granula unterbrochen werden, konnte ich nicht mit Sicher- 
heit feststellen. An isolierten Primitivfibrillen findet sich ent- 
sprechend Z ein granulaartiges Gebilde (Fig. 8b u. c). Wie an 
den Skelettmuskeln lassen sich auch an Primitivfibrillen des 
Herzens metamer angeordnete Fibrillensegmente nachweisen. 
Während durch ihre Anordnung in der Längsriehtung Primitiv- 
fibrillen entstehen, werden durch ihre quere Verbindung Muskel- 
segmente oder Muskelkästchen, durch ihr Aneinanderreihen in der 
Längsrichtung Muskelsäulchen gebildet (Fig. 8). Ob diese, wie 
Schlater in seiner bemerkenswerten Arbeit hervorhebt, immer 
nur aus zwei Primitivfibrillen bestehen, wage ich nicht zu ent- 
scheiden. Kommt es zu einer vollständigen Isolierung der 
Primitivfibrillen, so ist man durch die Feinheit dieser überrascht. 
Bei den stärksten Vergrösserungen stellen sie sich als dünnste 
Fäden, welche in ihrem Verlauf oft nur durch den gefärbten 
Abschnitt Q — den Myokont — und das granulaartige Gebilde 
an der Stelle von Z zu verfolgen sind (Fig. 8d), dar. Bei stärkerer 
Differenzierung kommen an der Stelle des Myokonten Granula 
zum Vorschein. Bei den Skelettmuskeln gelang mir der Nachweis, 
dass in den beiden Enden des Myokonten je ein distinktes 
Granulum enthalten ist, nachdem schon Schlater an der 
Stelle von Q das Vorkommen eines Doppelgranulums eingehend 
beschrieben hatte. Die Existenz eines solchen nimmt er im 


734 Julius Arnold: 


Gegensatz zu Heidenhain in den Muskelfibrillen des Herzens. 
(Hühnerembryo) an. Ich muss bekennen, dass ich wegen der 
Kleinheit des Objekts und der Feinheit der Fibrillen beim Frosch- 
herzen darüber mir nicht Gewissheit verschaffen konnte, ob die 
Myokonten ein oder zwei Granula-Myosomen enthalten. Die Ent- 
scheidung dieser Frage wird auch dadurch erschwert, dass bei 
stärkerer Differenzierung Z sich zu entfärben beginnt und es sehr 
schwierig wird, die Lage der Granula in den Fibrillensegmenten zu 
bestimmen. In einzelnen Fibrillen glaube ich an der Stelle der 
Myokonten zwei Granula wahrgenommen zu haben. 

Ganz andere Bilder bieten andere Fasern dar. Zwischen 
bald feineren bald dickeren intensiv gefärbten Scheiben, welche 
an der Stelle von Z zu liegen scheinen, finden sich hellere 
schwächer tingierte Abschnitte von wechselnder Dicke. Sie lassen 
eine Zusammensetzung aus J-Q-J nicht erkennen (Fig. 9). 

Dass diese verschiedene Erscheinung der Muskelfibrillen 
der Ausdruck verschiedener Kontraktionszustände und eines der 
interessanten Beispiele von funktionellem Strukturwechsel ist, liegt 
auf der Hand. Den Versuch der Deutung und Bewertung in der 
letzteren Hinsicht möchte ich erst unternehmen, wenn meine Er- 
fahrungen durch die Untersuchung des Warmblüterherzens be- 
reichert sind. Auch die Literatur soll dann eingehender berück- 
sichtigt werden. 


Ergebnisse. 


1. Wie in den Skelettmuskeln ist auch in den Muskelfasern 
des Froschherzens das Glykogen an die Sarkosomen ge- 
bunden. 

2. Die Muskelfibrillen des Herzens enthalten kein Glykogen. 

3. Die Primitivfibrillen bestehen aus Segmenten, welche sich 
aus J-Q-J zusammensetzen und durch Z begrenzt werden. 

4. Durch Aneinanderreihung solcher Fibrillensegmente in 
der Längsrichtung entstehen Primitivfibrillen, in der 
Querrichtung Muskelkästehen oder Muskelsegmente. 

d. Die gefärbten Abschnitte Q der Fibrillensegmente — 
die Myokonten — enthalten Granula — Myosomen —; 
ob je zwei oder nur eines ist fraglich. 


6. 


=] 


9. 


12. 


(eb 


Zur Morphologie des Glykogens des Herzmuskels. 13 


Literaturverzeichnis. 


. Arnold, J.: Über feinere Struktur und Architektur der Zellen. Teil III 


Muskelgewebe. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 52, 1898. 


. Derselbe: Über vitale Granulafärbung in den Knorpelzellen, Muskelfasern 


etc. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 55, 1901. 


3. Derselbe: Zur Morphologie des Muskelglykogens etc. Arch. f. mikr. 


Anat., Bd. 73, 1909. 


. Aschoff: Über den Glykogengehalt des Reizleitungssystems des Säuge- 


tierherzens. Verhandl. d. patholog. Gesellschaft, 1908. 


. Dietrich: Über die Querlinien der Herzmuskeln. Zentralbl. f. allgem. 


Patholog., 1906 u. Verhandl. d. patholog. Gesellsch., 1906. 


Ebner: Über die Kittlinien der Herzmuskelfasern. Sitzungsber. d. 
Akadem. d. Wissensch. in Wien, math.-naturw. Kl., Abt. III, Bd. 109, 1900. 


. Fusari: Sur la structure des fibres musculaires striees. Arch. ital. d. 


Biolog., Bd. 23, 1894. 


. Gädzikiewiez: Über den feineren Bau des Herzens etc. Jenaer naturw. 


Zeitschr., Bd. 39, 1904. 


Godlewsky: Über die Entwicklung des quergestreiften Muskelgewebes. 
Arch. f. mikr. Anat., Bd. 60, 1902. 


. Heidenhain, M.: Beiträge zur Aufklärung des wahren Wesens der 


faserförmigen Differenzierungen. Anat. Anz., Bd. 16, 1899. 


. Derselbe: Struktur der kontraktilen Materie. Ergebn. f. Anat. u. Entwick- 


lungsgesch., Bd. VIII, 1898,99 u. Bd. X, 1901. 
Derselbe: Über die Struktur des menschlichen Herzmuskels. Anat. Anz., 
Bd. 20, 1902. 


. Heubner: Die Spiralwindung der Herzmuskelkerne. Deutsch. Arch. f. 


klin. Medizin, Bd. 88, 1907. 


. Hoche: Recherch. sur la structure des fibr. muscul. cardiag. Biblio- 


graph. Anatomie, 1891. 


. Holmgren, E.: Über die Sarkoplasmakörner quergestreifter Muskel- 


fasern. Anat. Anz., Bd. 31, 1907. 


. Hoyer: Über die Kontinuität der kontraktilen Fibrillen in den Herz- 


muskelzellen. Anz. d. Akad. d. Wissensch. Krakau, math.-naturw. Kl., 
Nr. 3, 1901. 


. Mac-Callam, J. B.: On the histolog. and histogen. of the heart muscle 


cell. Anat. Anz., Bd. 13, 1897. 


. Mader. Sur les fibres musculaires du coeur etc. ©.R. Acad. Scienc. Paris, 


T.138, 1904. 


. Marceau: Recherch. sur l’histolog. et le developpement compardes des 


fibres Purkinje etc. ©. R. soc. biolog., T. 53, 1902. 
Derselbe: Note sur la structure des fibres muscul. cardiag. chez les oiseaux, 
C. R. soc. biol., T. 54, 1902, 


21. Derselbe: Recherch. sur les bandes transversales scalariformes ete. ©. R. 


Acad. Scienc., T. 136, 1903. 


Fig. 


Kulnuss Arnold: 


2. Derselbe: Recherch. sur la constitution et sur la structure des fibres 


1 


cardiag. chez les vertebres inferieurs. C. R. Acad. Scienc. Paris, 
17,,1.36.,1903. 


. Derselbe: Recherch. sur la structure et le developpement compar6es des 


fibres cardiag. dans la serie des vertebrös. Annal. science. natur. Ser. 8, 
Zoolog., T. 19, 1903. 


. Derselbe: Note sur la structure du coeur chez les Cephalopodes. Bull. 


soc. d’hist. ratur. Doubs, 1904. 


5. Derselbe: Recherch. sur la structure du coeur chez les mollusques etc. 


Arch. d’anat. mieroscop., T. 7, 1906. 


. Marchand: Über eine Geschwulst aus quergestreiften Muskelfasern mit 


ungewöhnlichem Gehalt an Glykogen etc. Virch. Arch., Bd. 100, 1885. 


. Moenckeberg: Über die sgt. abnormen Sehnenfäden etc. Verh. d. pathol. 


Gesellsch., 1908. 


. Moriga: Über die Muskulatur des Herzens. Anat. Anz., Bd. 24, 1904. 
. Schlater: Histologische Untersuchungen über das Muskelgewebe. Arch. 


f. mikr. Anat., Bd. 69, 1907. 


. Vigier: Strukture des fibres musculaires du coeur chez les mollusques. 


C.R. Acad. Scienc. Paris, T. 138, 1904. 


. Vigier et Vles: Sur l’histologie du myocard chez les mollusques. ©. R. 


Acad. Scienc. Paris, T. 139, 1901. 


. Wiemann: The relation between the Cyto-Reticulum and the Fibrill 


Bundles in the Heart ete. Americ. Journ. of Anat., Vol. 8, 1907. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXVIII. 


1. Alkoholpräparat. Bestsche Glykogenfärbung. — Faserbündel aus 
dem Froschherzen; glykogenhaltige Sarkosomen in den interkolum- 
nären Räumen; gefärbte Querlinien in der Höhe von Z. 

2. Konservierung und Fixation wie bei 1. a, a, b — Muskelsäulchen, 
deren Ränder mit glykogenhaltigen Sarkosomen besetzt sind; die 
Mehrzahl dieser ist in der Höhe von Z gelegen; Q ungefärbt. 
c — Muskelsäulchen von einem glykogenhaltigen Netz umsponnen. 

3. Konservierung und Fixation wie bei 1; verschiedene Abstände der 
roten Querlinien je nach dem Kontraktionszustand; bei b sind zu 
beiden Seiten des ungefärbten Z rote Querlinien gelegen. 

4. Konservierung nach der Bendaschen Mitochondrienmethode, Tink- 
tion mit Eisenhämatoxylin. Zwischen den Fasern Reihen gefärbter 
Sarkosomen von wechselnder Grösse; stellenweise schwarze Quer- 
linien. 

5. Konservierung und Tinktion wie bei 4. Bei a eine durch Fäden 
verbundene Sarkosomenreihe, von welcher quere Fortsätze abtreten. 
Bei b von einem schwarzen Netz umsponnenes Muskelsäulchen. Bei c 
Verschiebung des Netzes. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


6. 


1 


10. 


-1 
S° 
-1 


Zur Morphologie des Glykosens des Herzmuskels. 
s yKOogs 


Konservierung und Tinktion wie bei 4. a — Muskelsäulchen mit 
aufgelagerten Sarkosomen. b = Muskelsäulchen mit schwarzen in 
der Höhe von Z gelegenen Querlinien. 

Konservierungnach der Bendascher Mitochondrienmethode, Tinktion 
mit Krystallviolett-Anilinöl, Differenzierung mit Aceton-Nelkenöl. Bei 
a der mittlere Abschnitt des Fibrillensegmentes gefärbt, J ungefärbt, 
Z graublau tingiert. Bei b die mittleren Abschnitte der Fibrillen- 
segmente, sowie Z und einzelne Sarkosomen gefärbt. 
Konservierung und Tinktion wie bei 7. An der Stelle der mittleren 
Abschnitte der Fibrillensegmente Stäbchen-(Myokonten), Z graublau 
gefärbt. — gefärbten Myokonten; an der Stelle von Z gefärbte 
granulaartige Gebilde. c = isolierten Fibrillen mit gefärbten Myo- 
konten und Z-granula. d — isolierten Fibrillen mit Granula: (Myo- 
somen und Z-granula) —; die Lagen der einzelnen Granula sind 
nicht mit Sicherheit zu bestimmen. 

Konservierung und Tinktion wie bei 7. a, b, e = verschiedenen 
Kontraktionszuständen der Muskelsäulchen. 

Konservierung und Tinktion wie bei 4; Kern mit Karyosomen und 
Netzfäden. 


—1 
> 
Rn 


Erwiderung auf Franz Weidenreichs „Bemerkungen“ zu 
meiner Arbeit: 


„Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen“. 
(Archiv für mikroskop. Anatomie und Entwicklungsgeschichte, 72. Bd.) 
Von 
Privatdozent Dr. P. Schmidt, Leipzig. 


In der genannten Arbeit habe ich mich mit der Entstehung 
und Bedeutung der Polychromatophilie und derbasophilen Körnelung 
der roten Blutkörperchen beschäftigt und habe meinen schon seit 
1902 vertretenen Regenerationsstandpunkt gegenüber Weiden- 
reich verteidigt, der in einer neueren Arbeit die Grawitzsche 
Degenerations-Ansicht warm verfochten hat. Ich konnte erwarten, 
dass Weidenreich meine gegen seine Ansichten vorgebrachten 
Einwendungen einer sachlichen Kritik unterzogen hätte; statt 
einer solchen finde ich fast nur allgemein gehaltene Bemerkungen. 

Er begründet seinen Verzicht auf eine Kritik mit der Be- 
hauptung, die strittige Frage wäre durch seine eigenen früheren 
und neueren Arbeiten anderer Autoren entschieden. 

Was zunächst seine erwähnten früheren Untersuchungen 
anlangt !), so bieten sie zur Klärung der Frage, wie ich mich 
überzeugt habe, nichts Wesentliches, was nicht schon längst von 
anderen, hauptsächlich von E. Grawitz und seinen Schülern 
vorgebracht wäre. 

Wenn Weidenreich unter anderem sich auch auf Fritz 
Schaudinn beruft, so muss dieser Versuch, seine Sache mit 
den Ansichten eines unsrer grössten Protozoologen zu stützen, 
als völlig verfehlt betrachtet werden. Auf Seite 92 der erst- 
genannten früheren Arbeit sagt Weidenreich: „Aus meinen 
Ausführungen ergibt sich, dass wir jedenfalls berechtigt sind, die 
basophile Körnelung grösstenteils wohl mit den Granulationen 
gleichzustellen, die ohne oder bei vitaler Färbung in den Blut- 
körperchen beobachtet wurden, und die als Ausscheidungen, als 
ein Zeichen des Absterbens der Zellen aufzufassen sind. Gerade 


!) Die roten Blutkörperchen I. u. II. Ergebnisse der Anatomie und 
Entwicklungsgeschichte XIII. u. XVI. Bd. 


Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen. Tas 


die Untersuchungen Schaudinns(1903)bieten für diese Annahme 
eine gute Stütze; er konnte an frischen Objekten in den von 
Malariaparasiten infizierten Blutkörperchen Granulationen erkennen, 
die am Trockenpräparat basophilen Charakter zeigten. Allerdings 
sieht er in ihnen Ausfällungen von Kernsubstanz (!! Verf.), die, 
wie er glaubt, im normalen kernlosen Körperchen gleichmässig 
verteilt waren und bei der Schädigung durch die Parasiten aus- 
gefüllt wurden; aber Schaudinn hat sich dabei auch durch 
die färberische Gleichheit zu viel leiten lassen. Ich glaube viel- 
mehr, dass auch in diesen Fällen die Vorliebe für basische Farb- 
stoffe auf dem Lecithin- oder Cholestearingehalte der Granulationen 
beruht.“ — Fritz Schaudinn hat die Granulationen also de 
facto für Kernresiduen gehalten, und hat seine guten Gründe 
gehabt, sie nicht aus dem Protoplasma durch Degeneration ent- 
stehen zu lassen, wie ich aus öfterer persönlicher Unterredung mit 
ihm weiss. Bemerkenswert ist, dass Weidenreich keinen einzigen 
Grund dafür vorbringen kann, dass Lecithin und Cholestearin die: 
Basophilie der Körner bedingen. Zudem sind Leeithin und 
Cholestearin in Alkohol leicht löslich, während doch die basophilen 
Körner auch nach tagelanger Alkoholfixierung in unveränderter 
Stärke basophil bleiben. 

Wern Weidenreich den „Klinikern“ vorwirft, ') dass sie 
nur mit der Trocknungsmethode arbeiteten, nichts anderes von 
diesen Körnchen zu sagen wüssten, als dass sie eben basophil 
sind, dass sie z. B. über ihr chemisches Verhalten etc. noch keine 
Angaben gemacht hätten, so hat Weidenreich ganz übersehen, 
dass nicht nur die Kliniker, sondern auch er selbst von ihrem 
chemischen Verhalten nichts sagen konnten, weil nichts über die 
chemische Zusammensetzung der Körner bekannt ist. 

Den Tatsachen nicht entsprechend ist die weitere Bemerkung 
Weidenreichs, dass auch durch neuere Arbeiten anderer 
Autoren die Frage in seinem Sinn entschieden wäre. Gerade 
das Gegenteil ist der Fall. Ich mache Herrn Weidenreich 
auf folgende neuere Arbeiten anderer Autoren aufmerksam, die 
ihm entgangen zu sein scheinen: 

1. Esser: Blutbefund bei Barlowscher Krankheit, Vortrag 

gehalten den 20. Nov. 1907 vor der rheinisch - westfäl. 
Gesellschaft für innere Medizin und Nervenheilkunde. 


!) Ergebnisse der Anatomie u. Entwicklungsgeschichte Bd. 13, 1903, S. 93. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 48 


740 P. Schmidt: 


2. 0. Naegeli: Über basophile Granulat. der Erythrozyten 
bei Embryonen. Fol. haematol. 1908; V. Bd. Nr. 6. 

3. Blumenthal und Morawitz: Experiment. Unter- 
suchungen über posthämorrhagische Anämien und ihre 
Beziehungen zur aplastischen Anämie. Deutsches Archiv 
für klin. Medizin 92. Bd. 1908. 

4. David: Über Farbstoff- und Fisengehalt des Blutes. 
Deutsches Archiv für klin. Medizin 94. Bd. 5. Heft 1908. 

Besonders hervorheben möchte ich, dass A. Pappenheim 
in einer neueren Arbeit: „Zur Kenntnis und Würdigung der 
Methylgrün-Pyronin-Reaktion“ (Folia haematol., VI. Bd. 1908) 
die Existenz einer basophilen Kernsubstanz ausser dem basophilen 
-Chromatin färberisch festgestellt hat und durchaus der Regene- 
rationsauffassung zuneigt!). 

Wenn J. Jolly mit Weidenreich „bis ins einzelne“ 
übereinstimmt, so beweist das nur, dass er denselben Irrtümern 
anheimgefallen ist wie Weidenreich. 

Ich muss auf einige Punkte der Weidenreichschen 
Bemerkungen etwas näher eingehen. 

Wie kann Weidenreich behaupten, dass ich auch da 
gegen ihn „polemisiere“, wo wir einer Meinung sind? z.B. in 
Bezug auf die nahen Beziehungen zwischen Polychromatophilie 
und basophiler Körnelung. An welcher Stelle habe ich gegen 
diese Annahme Stellung genommen? Wie aus meinen früheren 
und auch noch aus meiner letzten Arbeit klar hervorgeht, habe 
ich stets behauptet, dass beide Erscheinungen genetisch zusammen 
gehören. Ich wende mich ausschliesslich gegen seine 
Ansicht von der degenerativen Herkunft der Körner 
und der Polychromasie aus dem Plasma. 

Ferner bitte ich Weidenreich, mir sagen zu wollen, 
wo ich behauptet habe, die mitotischen Erythroblasten seien in 
der Degeneration begriffen. Ich habe behauptet und behaupte 
es noch heute, dass während der Mitose der Austritt von 
Kernsubstanz in das Plasma erleichtert ist. Des weiteren habe 
ich schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Körner in 
vielen Fällen dem Kern wie Warzen aufsitzen, und dass man 
da, wo sie sich ablösen, oft kleine Substanzverluste des Kernes 


!) Allerdings lässt Pappenheim die Frage offen, ob die Körner 
plasmatischen oder karyogenen Ursprungs sind. 


Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen. 741 


beobachtet, wodurch eine „Degeneration“ des Kernes zunächst 
noch nicht behauptet wird, wenn sie damit vielleicht auch de 
facto eingeleitet wird. Dieses Bild haben wir hier im Institut 
wiederholt gesehen. Erst einmal vom Kern losgelöst, haben die 
Körner eine Tendenz nach der Peripherie zu gehen, wo sie sich 
zuweilen in grösserer Menge ansammeln. Weidenreich sieht 
diese Erscheinung als Wirkung des geringen ‚spezifischen Gewichts 
der Körner gegenüber dem des Endosomas an.') Die Annahme 
einer solchen Bewegung der Körnchen infolge des geringeren 
spezifischen Gewichts ist eine durch nichts gerechtfertigte Hypothese. 
Es ist sogar höchst unwahrscheinlich, dass in dem zähflüssigen 
Hämoglobin der „Auftrieb“ die Körner zur Peripherie bringen 
sollte, zumal die Blutkörperchen doch in steter Rotation be- 
griffen sind. 

Der Fall, dass man gekörnte Elemente ohne ein einziges 
kernhaltiges in der Zirkulation und selbst ohne gekörnte Elemente 
im Marke findet, ist in meinen früheren Arbeiten wiederholt be- 
sprochen worden. Ich brauche auf diesen Einwand Weiden- 
reichs hier nicht nochmals einzugehen. 

An einer andern Stelle seiner „Bemerkungen“ schreibt 
Weidenreich: „Ausserdem haben Pappenheim und Löwit 
das normale Vorkommen beim Meerschweinchen durchaus be- 
stätigt und stimmen in den Hauptpunkten mit mir überein.“ 

Ich muss hier wiederum fragen: wo habe ich das normale 
Vorkommen der Körnelung beim Meerschweinchen geleugnet? Ich 
habe gerade diese positiven Befunde als einer der ersten mit- 
erhoben?) und in meiner letzten Arbeit das Resultat der Unter- 
suchung von 101 gesunden Meerschweinchen mitgeteilt, von denen 
42°/o basophile Körnelung zeigten. Ich habe lediglich ein „ausser- 
ordentlich zahlreiches“ Vorkommen im einzelnen Tier be- 
stritten oder doch nur für eine kleine Zahl der Tiere zugegeben 
(2 bei 101 Tieren). 

Wenn sich schliesslich Weidenreich auf S. Askanazy’) 
beruft, der ursprünglich die basophilen Körner vom Kern ableitete, 

') Weidenreich, Studien über das Blut, IV. S.431. Archiv für 
mikroskop. Anatomie und Entwicklungsgeschichte 69. Bd. 

°) Siehe meine experimentellen Beiträge zur Pathologie des Blutes. 
Gust Fischer, Jena 1902. 

’) 8. Askanazy, über die Körnung der roten Blutkörperchen bei 


anäm. Zuständen. Zeitschrift f. klinische Medizin, 64. Bd., 1907. 
48* 


742 P. Schmidt: 


sie. jetzt aber aus dem Plasma entstehen lässt, so möchte ich 
hinzufügen, dass Askanazys Standpunkt trotzdem keineswegs 
mit dem Weidenreichs identisch ist, wie es Weidenreich 
hinzustellen sucht. Askanazy betont mit klaren Worten, 
dass er nach wie vor auf dem Regenerationsstand- 
punkt stünde. 

Bemerken möchte ich noch, dass Askanazy meiner in meinem 
„beitrag zur Frage der Blutregeneration“ (Münchener Med. Wochen- 
schrift 1903 Nr. 13) ausgesprochenen Ansicht beipflicht, dass in 
den Fällen, wo man die gekörnten Elemente nur in der Zirku- 
lation, nicht im Marke fand, die Substanz der Körner im Marke 
in gelöstem Zustande vorhanden wäre und in der Zirkulation unter 
den veränderten chemischen und physikalischen Verhältnissen 
erst ausgefällt werden könnte. Neuere Versuche haben mich in 
dieser Auffassung noch bestärkt. Es zeigte sich auch bei meinen 
neuen Versuchen, dass die basophilen Körner unter dem Einflusse 
von Säureeinspritzungen grossenteils verschwinden und dass die 
Zahl der polychromatischen roten Elemente zunimmt. Diese Er- 
scheinung der Auflösung der Körner und der Umwandlung der 
gekörnten Elemente zu polychromatischen tritt auch post morten 
nach 1—2 Tagen ein, wohl unter dem Einflusse der Verminderung 
der Alkaleszenz des Blutes. Als ein weiteres, neues Argument 
für die Richtigkeit meiner Auffassung, dass Polychromasie durch 
Beimischung von Kernsubstanzen entsteht, möchte ich eine 
Beobachtung hier mitteilen, die ich wiederholt an mit Blei ver- 
gifteten Hühnern machen konnte. Ich konnte feststellen, dass fast 
alle polychromatischen roten Blutkörperchen Kernveränderungen 
aufwiesen, die in einer Vergrösserung der Kerne mit deutlicher 
Lückenbildung zwischen den Chromatinbrocken bestanden. Die 
Kerne dieser polychromatischen roten Elemente machten den 
Eindruck, als ob sie aufgequollen und in ihrer Struktur geschädigt 
wären. Dieselbe Erscheinung kann man bei kadaverösem Hühner- 
blut beobachten. — Hämoglobinarmut war nicht die Ursache dieses 
Phänomens, wie ich mich experimentell durch Hämoglobinent- 
ziehung mittels schwacher Säuren und nachfolgender Färbung 
überzeugen konnte. 

Zum Schlusse weist Weidenreich auf einen Passus meiner 
Arbeit hin, der für mich „bezeichnend‘“ sein soll. Ich soll im 
Anfang sagen: „Es ist nicht wahrscheinlich, dass bei dem 


Über Jugendstadien der roten Blutkörperchen. 143 


schonenden Ausstreichen in dicker Schicht und der Fixierung nach 
Weidenreich die Kerne in grösserer Zahl artifiziell ausschlüpfen 
sollten.‘‘ Am Schlusse soll ich dagegen die Methode der Fixierung 
mit Osmiumsäure als „unsicher und ungeeignet‘ bezeichnen. 

Weidenreich hat leider versäumt, mich so ausführlich 
zu zitieren, wie es zum Verständnis der Sache nötig gewesen 
wäre. Dann würden die Leser dieses Archivs erkannt haben, dass 
es sich bei meiner Kritik der Methode um zwei total 
verschiedene Dinge handelt: das eine Mal um die 
Erhaltung der Form der Blutkörperchen in toto, 
das andere Mal um die Färbung hauptsächlich von 
Granulationen nach Giemsa. Ich kann kaum annehmen, 
dass Weidenreich diese Unterscheidung, die klar und deut- 
lich in meinen Worten ausgesprochen ist, entgangen sein sollte. 
Meine Ansicht ist nach wie vor dieselbe, dass die Fixierung der 
Blutausstriche mit Osmiumsäuredämpfen für die Erhaltung der 
Form der Blutkörperchen recht gut sein mag, dass sie sich aber 
zur Differenzierung von Granulationen mit Gierasafärbung, um die 
es sich hier ja hauptsächlich handelt, überhaupt nicht 
eignet. Herr Giemsa hat mir darin vollkommen beigestimmt. 

Ich darf die Entscheidung, ob die basophilen Körner re- 
generativen oder degenerativen, karyogenen oder plasmatischen 
Ursprungs sind, unparteiischer Kritik überlassen; durch Weiden- 
reichs Diskussion ist sie noch nicht gegeben. 


Zur Frage der Epithelmetaplasie im embryonalen 
Osophagus. 
Von 
Professor E. Neumann, Königsberg. 

Als ich im Jahre 1876 die Beobachtung machte !), dass das 
Epithel des menschlichen Ösophagus in gewissen Perioden der 
embryonalen Entwicklung die Beschaffenheit eines geschichteten 
Flimmerepithels besitzt, gelang es mir zugleich nachzuweisen, dass 
daselbst gleichzeitig auch Epithelformationen vorkommen, welche 
auf eine Umwandlung der Flimmerzellen in das erst in späterer 
Zeit auftretende typische Plattenepithel der Speiseröhre hinwiesen ; 
ich fand nämlich mit Flimmerhaaren ausgestattete Zellen, welche 
nicht die gewöhnliche zylindrische Gestalt der Flimmerepithelien 
zeigten, sondern vielmehr kubisch-polyedrisch oder abgeplattet 
waren und sich der Form von Plattenepithelien mehr oder weniger 
näherten. In einer späteren Mitteilung?) habe ich diese von mir 
als Übergangsformen gedeuteten Zellen nochmals genauer be- 
schrieben und zugleich einige skizzenhafte Abbildungen derselben 
gegeben. 

Es kann wohl kaum zweifelhaft sein, dass dieser Befund 
für die Entwicklungsgeschichte des Speiseröhrenepithels von Be- 
deutung ist und Beachtung verdient, trotzdem scheint ihm Ver- 
gessenheit zu drohen. Wenigstens finde ich ihn in der vor kurzem 
erschienenen Schrift von Hermann Schridde „Die Entwick- 
lungsgeschichte des menschlichen Speiseröhrenepithels und ihre 
Bedeutung für die Metaplasielehre* Wiesbaden 1907 mit keinem 
Worte erwähnt, obwohl hier sehr ausführliche Beschreibungen 
des Fpithels in den verschiedenen Stadien des embryonalen Lebens 
gegeben werden. Da der Verfasser, wie aus seinen Literatur- 
angaben hervorgeht, meine beiden Arbeiten kennt, so erscheint 
es ausgeschlossen, dass er die in ihnen enthaltenen Angaben über 
die Existenz von Übergangsformen zwischen Flimmer- und Platten- 


!) E. Neumann: Flimmerepithel im embryonalen Ösophagus. Arch. 


f. mikr. Anat., Bd. 12, 1876. 
?) Derselbe: Metaplasie des fötalen ÖOsophagusepithels. Fortschritte 


d. Medizin, 1897, Nr. 10. 


Epithelmetaplasie im embryonalen Ösophagus. 745 


epithel übersehen hat, und ich muss annehmen, dass er dieselben — 
wozu ihn seine Untersuchungen nicht im mindesten berechtigen 
dürften — beanstandet und einer Berücksichtigung nicht würdigt. 
Dies veranlasst mich, nochmals mit einigen Worten auf den 
Gegenstand zurückzukommen. 

Meine Beobachtungen stammen aus einer Zeit, in welcher 
man des Glaubens war, dass sich die Formverhältnisse von Zellen 
am besten erkennen lassen, wenn man sie in isoliertem Zustande 
darstellt, und man bediente sich hierzu mazerierend wirkender 
Flüssigkeiten, von denen es bekannt war, dass sie die Struktur 
und namentlich auch die Form der Zellen nicht wesentlich ver- 
ändern. Ein solches Mittel bot sich in der bekannten, von 
Heinrich Müller herrührenden sogenannten Müllerschen 
Flüssigkeit dar, deren Anwendung zu dem genannten Zweck daher 
sehr verbreitet war und mit deren Hilfe auch ich zu meinen 
Resultaten am embryonalen Ösophagus gelangte. Ein in Müller- 
scher Flüssigkeit mazeriertes Epithel löst sich in seine einzelnen 
Elemente auf, welche sich in reicher Auswahl in jedem durch 
Abschaben von der Oberfläche hergestellten mikroskopischen 
Präparate dem Auge des Beobachters darbieten, ihre Umrisse 
treten infolge einer gewissen, gleichzeitig bewirkten Erstarrung 
ihres Protoplasmas schärfer als in frischem Zustande hervor und 
ihre körperliche Form lässt sich um so leichter beurteilen, da sie 
durch eine jede kleine Flüssigkeitsströmung in Bewegung und zwar 
vielfach in eine rotierende Bewegung versetzt werden, sodass sie 
die verschiedensten Lagen annehmen und gewissermaßen von allen 
Seiten betrachtet werden können. Dass diese Vorteile bei Mikrotom- 
schnitten verloren gehen, liegt auf der Hand. Befindet sich eine 
Zelle in toto im Schnitte, so sieht man doch nur das Bild, welches 
sie in einer bestimmt fixierten Stellung zeigt; ist sie aber an- 
geschnitten oder ein Segment aus ihr herausgeschnitten, so ist 
man ebensowenig imstande, sich eine richtige Vorstellung von der 
ganzen Zelle zu bilden, wie man aus Brotschnitten auf Form und 
Grösse des Brotes schliessen kann; je feiner die Schnitte sind, 
um so schwieriger wird es, sich die Zellform aus ihnen zu 
konstruieren und desto grösser ist die Gefahr einer Täuschung 
darüber.!) 


') Von der durch das Plattenmodellierverfahren gegebenen Aushilfe 
sehe ich ab, da Schridde nicht angibt, davon Gebrauch gemacht zu haben. 


746 E. Neumann: 


Es ist dies alles so selbstverständlich, dass es schwer zu 
begreifen ist, wie Schridde, welcher sich ausschliesslich auf 
Mikrotomschnitte verliess — wenigstens deutet nichts darauf hin, 
dass er auch andere Untersuchungsmethoden benutzt hat — auf 
Grund seiner Untersuchungen zu der Meinung gelangen konnte, dass 
meine, auf Beobachtungen an den durch Müllersche Flüssigkeit 
isolierten Epithelzellen beruhenden Angaben durch seine Präparate 
hinfällig würden, sodass er sie ohne weiteres stillschweigend ab- 
lehnte. Durch seine nur 2 « dicken, senkrecht zur Oberfläche 
geführten Schnitte mussten notwendig die grossen, parallel zur 
Oberfläche abgeplatteten, mit Cilien versehenen Zellen, welche ich 
als Übergangsformen beschrieben habe, in drei, vier und mehr 
Stücke zerlegt werden, deren Gestalt für die Beurteilung des 
ganzen Zellkörpers nicht maßgebend sein konnte; als solche Zell- 
bruchstücke sind offenbar viele der von ihm beschriebenen „drei- 
eckigen“ „zusammengeschrumpften“ „kleinen, unregelmässigen, 
hie und da rundlichtn“ Zellen mit „pyknotischem“ oder „kaum 
sichtbaren“ Kern — auf den Abbildungen sieht man sogar kleine, 
ganz kernlose Gebilde — zu betrachten und sie können daher 
nicht als im Widerspruch mit der von mir gegebenen Beschreibung 
der isolierten Zellen stehend, bezeichnet werden. 


Wenn demnach meine Behauptung, dass im Verlaufe der 
embryonalen Entwicklung eine kontinuierliche Reihe von Über- 
sangsformen zwischen Flimmer- und Plattenepithel auftritt, zu 
techt bestehen bleibt, so werden wir auch nur unter Berück- 
sichtigung dieser Tatsache ein richtiges Verständnis der sich am 
Epithel abspielenden Vorgänge, welche schliesslich zu einem voll- 
ständigen Umbau desselben führen, gewinnen können. Die 
Darstellung, welche Schridde in der angeführten Schrift gibt, 
kann ebensowenig befriedigen, als die noch vor wenigen Jahren ') 
von ihm mit grosser Entschiedenheit verteidigte, ganz entgegen- 
gesetzte Lehre, dass das Flimmerepithel des Ösophagus durch 
das von der Mund-Rachenhöhle aus nach abwärts sich aus- 
breitende ektodermale Plattenepithel allmählich verdrängt werde, 
da sie sich ebenso, wie letztere, über einen Befund, welcher 
ein wesentliches Glied in der Reihe der zu beobachtenden 


!) Schridde: Über Magenschleimhautinseln etc. im obersten Ösophagus- 
abschnitt. Virchows Archiv, Bd. 175, 1904. 


Epithelmetaplasie im embryonalen Ösophagus. 747 


morphologischen Veränderungen bildet, einfach hinwegsetzt und 
keine Erklärung für denselben liefert. 

Nach Schriddes neugewonnener Überzeugung beruht die 
Umwandlung des Epithels im Prinzip darauf, dass von gewissen 
persistierenden Stammzellen aus in einer früheren Embryonal- 
periode Flimmerepithelien erzeugt werden und dass im weiteren 
Verlauf, nachdem letztere durch Abstossung eliminiert worden, 
als Produkte derselben Stammzellen eine davon gänzlich ver- 
schiedene Zellgeneration „mit scharf differenten, morphologischen 
Charakteren“, nämlich das Plattenepithel, auftritt. Eine ganz 
ähnliche Auffassung hatte bereits früher Schaffer!) aus- 
gesprochen, auch nach ihm „werden die Flimmerzellen bei der 
Metamorphose ausgestossen und durch nachwachsendes Platten- 
epithel ersetzt“, doch hatte Schaffer, obwohl er, wie Schridde, 
nur an Schnitten untersucht zu haben scheint, die zur Abplattung 
tendierenden Formveränderungen der Flimmerepithelien richtig 
erkannt, ohne Wert auf sie zu legen. 

Als Hauptbeweis gilt beiden Beobachtern der Umstand, 
dass sie sich öfters von der Ausstossung einiger Flimmerzellen 
überzeugen konnten, sie sahen, dass mitunter diese Zellen mit 
der oberen Hälfte aus dem übrigen Epithel hervorragten und in 
Lücken desselben steckten „wie ein gelockerter Zahn in seiner 
Alveole“ (Schaffer), sie sahen andere Zellen, die, gänzlich aus 
dem Zellverbande ausgelöst, frei der Oberfläche auflagen. Diese an 
sich richtige Beobachtung hat indessen nur einen sehr zweifelhaften 
Wert für die im Rede stehende Frage, denn es ist ja bekannt, 
dass auf jeder freien Epitheloberfläche eine Desquamation einzelner 
Elemente zu erfolgen pflegt und dass dieser Verlust durch das 
Nachrücken anderer Zellen gedeckt wird; es ist also von vorn- 
herein anzunehmen, dass dieser Vorgang ebenso wie in anderen 
Organen, sich auch im Ösophagus zu jener Zeit, in welcher er 
eine Flimmerepitheldecke trägt, vollzieht. Daraus folgt aber 
keineswegs, dass mit sämtlichen Flimmerzellen auf diese Weise 
aufgeräumt wird und Tabula rasa entsteht, vielmehr schliessen 
jene Beobachtungen es durchaus nicht aus, dass der grösste 
Teil der Flimmerepithelien an ihrer Bildungstätte verbleibt und 
die Metamorphose zu Pflasterepithelien durchmacht, indem die 


3) J. Schaffer: Die oberen kardialen Ösophagusdrüsen und ihre 
Entstehung. Virchows Archiv, Bd. 177, 1904. 


148 E. Neumann: 


Zellen dabei vorübergehend die von mir beschriebenen Übergangs- 
formen annehmen. 

Andererseits will ich jedoch hervorheben, dass eine Möglich- 
keit vorliegt, welche ich früher ausser acht gelassen habe, und 
dass die Übergangsformen auch eine andere Deutung zulassen. 
Es wird nämlich in Erwägung zu ziehen sein, dass eine kontinujer- 
liche Reihe von Zwischenstufen zwischen beiden Epithelarten nicht 
nur durch eine allmähliche Transformation der Flimmerzellen, 
sondern auch dadurch zustande kommen kann, dass ein beständiger 
Ersatz derselben durch andere stattfindet, allerdings in der Voraus- 
setzung, dass die neuen Zellgenerationen einen allmählich sich 
verändernden Typus annehmen; die Übergangszellen werden als- 
dann nicht die ontogenetischen Entwicklungsstadien einer 
ursprünglich vorhandenen Flimmerzelle, sondern vielmehr die 
Produkte der phylogenetischen Entwicklung gewisser Stamm- 
zellen darstellen, eine jede Übergangszelle wäre als das End- 
stadium der Entwicklung zu betrachten, zu welchem die 
aufeinander folgenden Zellgenerationen gelangen, wenn sie an 
die Oberfläche herantreten: in den früheren Perioden würde die 
Entwicklung der jungen Zellen zu der Bildung von Flimmer- 
zellen, in den späteren zu der Existenz von flimmerlosen, ab- 
geplatteten Zellen, in dem dazwischen liegenden Zeitraum aber 
zu den Übergangsformen führen, ohne dass zu irgend einer Zeit 
ein direkter Übergang von Flimmer- zu Plattenepithel statt- 
findet. Das gleichzeitige Vorkommen der verschiedensten Über- 
gangsformen in demselben embryonalen Ösophagus würde auch 
bei dieser Annahme leicht daraus abzuleiten sein, dass die Vor- 
gänge im Epithel nicht in allen Teilen der Ösophagusschleimhaut 
gleichmässig beginnen und daher auch nicht gleichmässig vor- 
schreiten, wie von allen Beobachtern übereinstimmend festgestellt 
worden ist. 

Mit dieser Hypothese, welche mit der Schaffer-Schridde- 
schen Auffassung darin zusammentrifft, dass sie ebenfalls auf 
verschiedene, aufeinander folgende Zellgenerationen rekurriert, 
aber „die scharf differenten, morphologischen Charaktere“ 
(Schridde) der einzelnen Generationen als den Tatsachen 
widersprechend und deshalb irrtümlich zurückweist, würden, wie 
mir scheint, alle bisher beobachteten Erscheinungen ebenso in 
Einklang stehen, wie mit meiner früheren Annahme einer ein- 


Epithelmetaplasie im embryonalen Ösophagus. 749 


fachen Umbildung der Flimmerzellen zu Plattenepithel. Weitere 
Untersuchungen werden darüber zu entscheiden haben, ob nicht 
letzterer doch vielleicht der Vorzug gebührt. Jedenfalls wird 
man in dem einen wie in dem anderen Falle von einer „Meta- 
plasie“ des Ösophagusepithels sprechen dürfen, wenn es überhaupt 
eines solchen Kunstausdruckes, welcher leicht zu Missverständ- 
nissen führt, bedarf. 


Februar 1909. 


eh . iR PR N 0 2 


[PR 
# Y 
Mi 


er a le. IKeR, 
nee ne 
| | a VORGE ru ER | 
"a Ne ‚Bellaunastat m ER, BL. 
NR dad U. wu Ne 
BL Jutldyg ee tal a 
ER SA RE aa er ARE. ara) Rabanı 
sa STREET. BE TERN Ra E 
SAP REN?" UN mtorof Bi. vg werten Et... ü 
= a 5 j 2 sn Fuß fi to { ? 
j INT EEW FR j vd en 1 METER, , ©. 
u no a 
2 
er Ki 
kl 


& 2 > 
BI E ) 
Flak: 
2 
7 FE, 
, Ban 


“, Pr 
zu, ” Y Pi 


A 
As Mi air 


ur en : PER E 
Mur PETE 5 h Br 2. N 
KO SR N 
Kalt 1 u a REN RL P 
ar Hesse Be ENDEN. 4 


| 
ot 
_ 


Aus dem Laboratorium der Charit&-Frauenklinik zu Berlin. 


Zur Kenntnis des Gartnerschen (oder Wolifschen) 
Ganges besonders in der Vagina und dem Hymen 
des Menschen. 


Von 


Professor Dr. Robert Meyer. 


Hierzu Tafel XXIX und XXX. 


Inhalt. 
I. Kurze Zusammenfassung der Befunde von Resten des Gartner- 
schen Kanals im Ligamentum latum und im Uterus . .... 1 
ll. Der Gartnersche Gang in der Vagina und im Hymen . . . . 756 


Einzelbeschreibung der Fälle von grosser Längenausdehnung des 
Gartner und soleher mit besonderer Epithelbeschaffenheit. 
Persistente Gartnersche Gänge mit gleichzeitigen anderen 


Abnormitäten. 
Gartnersche Kanäle bei doppelten Genitalien. 
Häufigkeit der Befunde. .. . . . ER STR FITRE SENT 30109 
Der Verlauf des Gartnerschen Gent 1 ah BEREOSTEERE 7002 
Gestalt und Lumen des Kanals . . EEE 2 710, 
Das Epithel des Gartnerschen Kanals . 7. m. men RE 
Die Tunica des Gartnerschen Kanals .. .. sl 
Der Gartner als Zeuge der Entwicklung des w eihlichens eos. 
kanals, insbesondere der Vaoma 2 Ders a. er 82 
Allgemeine Bemerkungen über Persistenz . . ...2.2......78 
Abnormitäten und Pathologie des Gartner . . 2. 2 2 .2..2..2..2087 


I. Kurze Zusammenfassung der Befunde von Resten 
des Gartnerschen Kanales im Ligamentum latum 
und im Uterus. 


Über meine Befunde des Gartnerschen Ganges im 
Ligamentum latum und im Uterus des Menschen habe ich an 
mehreren Stellen ') berichtet. insbesondere in der unter Nr. 9 


8 Über die Genese der Cystadenome und Adenomyome des Uterus. 
Mit Demonstrationen. Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 37, Heft 2, 1897. 
2. Über Drüsen, Cysten u. Adenome im Myometrium bei Erwachsenen. 
I. Der Gartnersche Gang. Ebenda. Bd. 42, Heft 3 
Archiy f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 49 


752 Robert Meyer: 


genannten Monographie und bei Erwachsenen unter Nr. 2. Ich 
werde deshalb hieraus das Bekannte nur in kürzestem Auszuge 
vorausschicken und noch einige Ergänzungen hinzufügen. 

Der Gartner (Wolffscher Gang) verläuft vom Epoophoron 
her durch das Ligamentum latum zunächst parallel zur Tube, 
dann mehr schräg als Basis eines Dreieckes, deren gegenüber- 
liegender Winkel vom uterinen Tubenteil und vom Uterus corpus 
gebildet wird. Erst ungefähr in der Höhe des inneren Mutter- 
mundes senkt sich der Gang in die Uterussubstanz, nähert sich, 
durch die Muskelschichten abwärts verlaufend, allmählich medial- 
wärts der Schleimhaut, ohne diese bei Feten zu erreichen und 
steigt aus dem oberen Teil der Portio in das seitliche Vaginal- 
gewölbe, um dann in der seitlichen Vaginalwand kaudalwärts zu 
verlaufen. 

Der Gartner ist nur äusserst selten in ganzer Ausdehnung 
vorhanden; bei Embryonen des ersten Monats ist er regelmässig 


3. Über Drüsen der Vagina und Vulva bei Feten und Neugeborenen. 
Ebenda. Bd. 46, Heft 1. 

4. Einmündung des linken Ureters in eine Uterovaginalcyste des W olff- 

schen Ganges. Ebenda. Bd. 47, Heft 3. 

. Eine unbekannte Art von Adenomyom des Uterus mit einer kritischen 
Besprechung der Urnierenhypothese v. Recklinghausens. Ebenda. 
Bd. 49, Heft 3. 

6. Demonstration eines zweiten Falles von Adenom und Karzinom des 
Gartnerschen Ganges. Ebenda. Bd. 58. 

7. Beitrag zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges beim Menschen. 

Ebenda. Bd. 59, S. 234. 

. Über einen Fall von teilweiser Verdoppelung des Wolffschen Ganges 

bei einem neugeborenen Mädchen. Ebenda. Bd. 46, Heft 1. 

9. Über epitheliale Gebilde im Myometrium des fetalen und kindlichen 
Uterus. Berlin 1899. (Von dieser Monographie bin ich gern bereit, 
den Institutsbibliotheken Gratisexemplare abzugeben.) 

10. Über Adenom- und Karzinombildung an der Ampulle des Gartner- 
schen Ganges. Virch. Arch. f. path. Anat. Bd. 174, S. 270. 1903. 

11. Über embryonale Gewebseinschlüsse in den weiblichen Genitalien usw. 
Lubarsch-Ostertag, Ergebn. d. allg. Path. Bd. IX, Heft 2, 1904. 

12. Zur Kenntnis der kranialen und kaudalen Reste des Wolffschen 
(Gartnerschen) Ganges beim Weibe etc. Zentralbl. f. Gyn. 1907, Nr. 7. 

13. Demonstration zur normalen und pathologischen Anatomie des Gartner- 
schen Ganges beim Menschen. Vers. Deut. Naturf. u. Ärzte in Cöln 
1908. (Abteil. f. Gynäk. u. Geb.) 

14. Abnormitäten am Gartnerschen Gange (Demonstration). Zeitschr. 
f. Geburtsh. u. Gyn. Bd. 62, S. 635. 1908. 


(bit 


je 2} 


—1 
or 
© 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 


ununterbrochen bis zur Einmündung am Müllerschen Hügel 
nachweisbar. Später erleidet er Unterbrechungen und zwar 
zumeist im Ligamentum latum bezw. Parametrium und im 
mittleren Teile der Vagina. Bis zum Ende des dritten Monats 
findet man sozusagen ausnahmslos Reste des Kanales im Uterus 
oder Vagina oder Hymen. Erst vom vierten Monat ab mehren 
sich die Fälle, in denen gar keine Reste vorhanden sind; immer- 
hin findet man bei Neugeborenen und Kindern fast in '/a bis '/s 
der Fälle noch kleinere oder grössere Reste der Kanäle und 
auch beim Erwachsenen sind sie nicht seltener. 

Ich fand unter Zugrundelegung meines früher publizierten 
Materials, das sich freilich inzwischen vermehrt hat, Überreste 
des Gartnerschen Ganges im Uterus: 

bei Feten von 2—3 Monaten unter 12 Fällen 12mal 100 °o 


bei Feten „ 4-6 F HILL ON War er 6mal 28,5°0 
bei Feten „ 7—9 H ACTION 1lmal 16,4°jo 
postfetal bei Kindern ERLEBT 3mal 16,6 °/o 
also bei Feten von 4—9 Monaten zusammen 19,3% 
bei diesen und postfetal bei Kindern zusammen 18,5 0 
bei Erwachsenen unter 54 Fällen 12 mal, also in 22,20 


Die Einteilung in drei Altersklassen habe ich vorgenommen, 
weil man in der ersten Klasse bis zu annähernd 3 Monaten 
sozusagen immer noch Reste des Gartner im Uterus findet, 
während im 4. Monate solche bereits öfters fehlen. Bei Feten 
bis zu 50 mm Länge sind die Reste meist sehr erheblich. 

Bei Feten von 7 Monaten und darüber hat der ampullär 
erweiterte Teil des Kanals in der Cervix uteri stets Ausstülpungen 
und schlauchartige Verzweigungen. Diese fertige organartige 
Ausbildung des Gartner hat mich veranlasst, die älteren Feten 
abzugrenzen, die Ausbildung der Ampulle beginnt jedoch schon 
früher. 

Im Ligamentum latum findet man, abgesehen von einem 
Ductus des Epoophoron, Reste des Ganges näher dem Uterus 
gelegen, in ca. 15 °/o der Fälle meistens mit einer mehrschichtigen 
muskulösen Tunica, deren Stärke zugleich mit der Weite des 
Lumens nach dem Uterus hin zunimmt. Gewöhnlich sind diese 
Reste kurz, nur einmal fand ich den Gartner ununterbrochen 
vom Epoophoron bis in das Parametrium nahe an dem Uterus 


bei einem vierjährigen Mädchen; Klein gibt an, den Gartner 
49* 


154 Robert Meyer: 


vom Epoophoron durch den Uterus und Vagina bis zum Hymen 
ununterbrochen gesehen zu haben. Gewöhnlich oder fast aus- 
nahmslos erleidet der Kanal zwischen Epoophoron und Uterus 
eine Unterbrechung. Der Kanal verläuft, wenn er auf längerer 
Strecke im Ligamentum latum persistiert, leicht geschlängelt, 
auch korkzieherartig gewunden; in einem Ausnahmefalle fand 
ich im Parametrium nahe dem Uterus einer Neugeborenen sogar 
einen zu einem wahren Knäuel gewundenen Teil des Kanals. 
Meist findet man näher dem Uterus kurze Bruchstücke des 
Kanals, die nicht selten cystisch dilatiert werden, und deren 
Wand dann, wie gesagt, stark hypertrophiert. Sehr selten sind 
auch kurze seitliche Abzweigungen in diesem Teile des Kanales. — 
In einem Falle fand ich eine Verdoppelung des Kanales mit 
parallelem Verlauf aus dem Ligamentum latum bis in die Nähe 
: des Uterus, wo sie sich vereinigen, um mit gemeinsamen dilatierten 
Lumen in den äusseren Uterusschichten zu enden. Die Gänge 
verlaufen unmittelbar nebeneinander, der engere etwas mehr 
dorsal, jeder mit eigener Tunica, welche nur im oberen und 
unteren Teile verschmelzen. 

Bei Neugeborenen ist gewöhnlich das Lumen und Epithel 
des Kanals im Parametrium normal, bei Erwachsenen findet sich 
pathologischerweise eine stärkere papilläre Wucherung. Auch 
adenomyomatöse Wucherung im Parametrium lässt sich kaum 
anders als auf den Gartner zurückführen. 

In den Uterus gelangt der Gang, wie gesagt, meist zirka 
in Höhe des inneren Muttermundes. Ausnahmsweise fand ich 
ihn bei einer Erwachsenen einseitig aussen in der Seitenwand 
schon vom Fundus uteri ab bis in die Portio mit einem kurzen 
Querkanälchen im Corpus uteri bis in das Parametrium hinein, 
vielleicht eine Ureteranlage, wie sie Schreiner bei Vögeln 
nachgewiesen. 

Die Angabe Beigels, dass der Gartner oftmals das 
Corpus uteri von oben bis unten durchzieht, ist sicher falsch, 
wie ich in der genannten Monographie nachgewiesen habe, findet 
sich aber immer noch in den Lehrbüchern. Ich glaube nicht, 
dass man sich den Beweisgründen, welche ich gegen Beigel 
angeführt habe, entziehen kann. 

Nur bei einer Missbildung fand ich eine seltene Ausnahme; 
in diesem Falle hat der Wolffsche Gang nicht den Anschluss 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 755 


an den Sinus urogenitalis erreicht, er endet unten blind, infolge- 
dessen bewahrt der Ureter seine Einmündung in den W olffschen 
Gang und der durch Harn cystisch dilatierte Kanal erstreckt 
sich durch die ganze Seitenwand der Vagina und des Uterus, in 
welchen er parallel mit der Tube als enger Kanal gelangt. Auf 
der anderen Seite mündet der Gartner und der Ureter normal 
aus. — Also die normale Eintrittsstelle des Gartner befindet 
sich zirka am inneren Muttermund, meist etwas darüber. 

Im Uterus selbst liegt die wichtigste Stelle des Gartner, 
seine Ampulle, homolog der Ampulle des Vas deferens; sie fehlt 
niemals, wenn der Gartner in der Cervix uteri persistiert. — 
Diese Ampulle liegt hauptsächlich im unteren Teile der Cervix 
supravaginalis und im oberen Teile der Portio in den mittleren 
und inneren Partien der Seitenwand und erstreckt sich auch bis 
in das Vaginalgewölbe und in den obersten Teil der seitlichen 
Vaginalwand. 

Die Dilatation des Kanals in der Cervix uteri beginnt 
manchmal schon im zweiten Fetalmonate; bei Feten von 4 und 
5 Monaten ist sie stets deutlich. Erst vom achten Fetalmonate 
ab ist die Ampulle mit Ausstülpungen und Verzweigungen ver- 
sehen und als ausgebildet zu betrachten. 

Beim Eintritt aus dem Parametrium ziemlich genau in der 
Mitte der Uterusseitenwand hat der Kanal noch ein enges 
zylindrisches Lumen und eine hauptsächlich zirkuläre Tunica. 
Je weiter unten in der Üervix, desto mehr medial liegen die 
Reste des Gartner, bis in die inneren Muskelschichten und 
ausnahmsweise sogar bis in die Schleimhaut, wie ich das z.B. 
auch kongenital beobachtet habe. Der Hauptsache nach liegt 
die Ampulle des Gartner zumeist in den mittleren Muskelschichten 
der ÜCervixseitenwand. Erst in den oberen Teil der Portio 
vaginalis gelangt, wendet sich der Gang, nicht ohne zuweilen 
einen mehr oder weniger tiefen Abstecher in der Portio zu 
hinterlassen, wieder lateral schrägaufwärts zum seitlichen Laquear 
vaginae. Die Verzweigungen können sich aus der Seitenwand 
der Üervix auch in die Vorder- und Hinterwand erstrecken. 

Das Lumen der Ampulle nimmt nach unten allmählich zu 
und wird erst beim Übergang zur Vagina enger; es ist in der 
Wand der Üervix uteri scheidenförmig und stellt sich auf Quer- 
schnitten als ein dorsoventral gerichteter Schlitz mit Krümmung 


756 Robert Meyer: 


über die mediale Wand dar. Die „federbartartig“, zuweilen auch 
„wurzelstockartig“ angeordneten Ausstülpungen gehen meist von 
der vorderen und hinteren Kante des Lumen ab. Aus diesen 
Ausstülpungen gehen nicht selten schlauchförmige Ausläufer 
hervor; die Endausläufer sind oftmals wenige enge geschlängelte 
Kanälchen, welche in stärkerer Ausbildung zuweilen büschelartig 
durcheinander gewunden erscheinen. 

Das Epithel ist einschichtig im Hauptkanal der Ampulle 
am höchsten; in den schlauchartigen Verzweigungen ist die 
Epithelhöhe proportional dem Lumen, in den engsten gewundenen 
Röhren am niedrigsten. 

Die Tunica muscularis wird mit zunehmender Weite 
der Ampulle kaudalwärts immer undeutlicher; während beim Ein- 
tritt in den Uterus und in diesem zunächst noch eine breite 
innere zirkuläre und äussere longitudinale Muskelschicht gefunden 
wird, sieht man längs der Ampulle des Gartner nur zuweilen 
eine deutliche längsverlaufende Muskulatur, welche jedoch durch 
Bindegewebe in zahlreiche einzelne Bündel geteilt wird. 

Spindelzelliges Stroma längs der Ampulle unter Freilassung 
der Verzweigungen ist typisch; es unterscheidet sich von dem 
Stroma der Uterusschleimhaut durch geringere Zelldichte, also 
grösseren Faserreichtum und geringere Beimengung von runden 
Zellen. 

Nur einmal fand ich bei einem Anencephalus von 7 Monaten 
die Ampulle des Gartner abnormerweise ganz gefüllt mit 
schmalen Leisten und Papillen, während Ausstülpungen fehlten. 

Bei den Erwachsenen ist die kraniokaudale Längen- 
ausdehnung der Kanalreste weniger erheblich, dagegen zeichnen 
sich diese oft durch starke Zunahme der schlauchförmigen Ver- 
zweigungen aus: diese nehmen zuweilen einen adenomatösen 
und adenomyomatösen Charakter an und in zwei Fällen kam 
es zur Bildung von Adenocarcinomen. 

Alle diese Befunde sind in den oben zitierten Arbeiten 
genauer beschrieben. 


II. Der Gartnersche Gang in der Vagina 
und im Hymen. 
Im Nachfolgenden möchte ich meine Befunde von Resten 
des Gartnerschen Ganges in der Vagina und dem Hymen 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 757 


namentlich von älteren Feten und Neugeborenen schildern, welche 
ich zum Teil schon demonstriert habe (Zeitschr. f. Geb. u. Gyn., 
Bd. 37, H. 2 und 46, H. 1 und Vers. Deut. Naturf. u. Ärzte zu 
Cöln 1908). Die Literatur des Gegenstandes habe ich schon 
mehrmals behandelt (s. z. B. Zentr. f. Gyn. 1907, Nr. 7); ich werde 
sie daher nur, wenn notwendig, streifen. 

Meine Untersuchungen erstrecken sich über alle Alters- 
klassen; über die Embryonen des ersten Fetalmonates zu 
berichten, liegt jedoch nicht in meiner Absicht; die bekannten 
Lageverhältnisse der Wolffschen zu den Müllerschen Gängen 
sollen nur soweit erwähnt werden, als es zum Verständnis der 
Lage der Gartnerschen Gangreste nötig erscheint. 

Die Untersuchungen wurden an Serienschnitten vorgenommen, 
doch wurden von den älteren Feten (ab 4. Monat) nur aus- 
gewählte Schnitte aufbewahrt. — Die Urethra wurde auch bei 
den älteren Feten im Zusammenhang mit der Vagina geschnitten, 
um das Verhalten der Paraurethralgänge zu untersuchen. 

Ich werde nur einige Protokolle auszugsweise geben, weil 
ich eine ausführliche Beschreibung jedes einzelnen Falles wegen 
der häufigen Wiederholung für überflüssig halte; zunächst folgen 
Fälle von grosser Längenausdehnung des Gartner und mit 
besonderer Epithelbeschaffenheit, sodann solche, die mit gleich- 
zeitigen anderen Abnormitäten verbunden sind und schliesslich 
Fälle von persistentem Gartner bei doppelten Genitalien. 


Fetus von acht Monaten (153). Gartner rechts. Übergang der 

Ampulle von der Portio zur Vagina bis in deren unteres Ende. 

Links Bruchstücke in der Cervix, ferner vom Vaginalgewölbe 
durch die ganze Vagina bis zur Mündung im Hymen. 


Über den Verlauf der in der Überschrift gekennzeichneten Reste der 
Gartnerschen Kanäle ist nicht viel zu bemerken. Die Kanäle verlaufen 
zunächst mitten in den Seitenwänden der Vagina sowohl in der Mitte der 
sagittalen Richtung, als auch mitten in der Wanddicke (1—2 mm); nur im 
untersten Teile der Vagina liegt der Kanal nicht absolut, wohl aber relativ 
der Schleimhaut näher, da hier der quergestreifte Konstriktor die Wand 
verdickt. Kurz vor dem Ende der Vagina findet der linke Kanal sein Ende 
und hier haben sich beide Kanäle bereits erheblich mehr der Hinterwand 
der Vagina genähert; der rechte Kanal rückt aber noch weiter dorsalwärts, 
um dann an der Basis des Hymens gänzlich von hinten her in dieses einzu- 
treten. Der Kanal verläuft dann im Hymen ventralwärts, liegt dem vesti- 
bularen Plattenepithel des Hymen an einigen Stellen fast unmittelbar an 


758 Robert Meyer: 


und mündet nahe dem freien Hymenalrande nach aussen. Die Form der 
Kanäle ist sehr wechselnd, von der Portio her zieht der rechte Kanal in das 
Vaginalgewölbe als breiter Schlitz (Ampulle) mit kleinen schlauchförmigen 
Ausstülpungen; auch links stellt der Kanal im Vaginalgewölbe auf dem 
Querschnitt einen ausgedehnten Schlitz von sehr wechselnder Form dar. 
Die Kanäle behalten nun im oberen Teil der Vagina die Scheidenform bei, 
sehen also auf dem Querschnitte schlitzförmig aus, wobei der Schlitz anfangs 
sagittal gestellt weiterhin frontale Richtung annimmt, und zwar nur weil er 
mit dem umgebenden vaginalen Muskelbindegewebe in eine frontal gestellte 
Falte der Wand zu liegen kommt. In der Mitte der Vagina und im unteren 
Abschnitt wird die Form des Kanals mehr zylindrisch und enger (der rechte 
weniger eng); von einer regelmässigen Form kann hier nicht gesprochen 
werden, auch wechselt das Kaliber; im ganzen handelt es sich jedoch um 
einen engen Kanal, da auch im untersten Teil der Vagina nicht, wie öfters 
beobachtet, eine besondere Zunahme des Umfanges vorliegt. Auch im Hymen 
ist der linke Kanal eng bis zur Mündung. 

Eine nennenswerte eigene Wandung besitzen die Kanäle nicht; mässig 
zellreiches Bindegewebe und längs verlaufende Muskelfasern begleiten den 
rechten Kanal in seinem obersten ampullären Teil bis in das Vaginalgewölbe, 
ohne sich scharf von der Umgebung abzusetzen. Bald wird der Zellmantel 
kernärmer, umhüllt das schlitzförmige Lumen mit zirkulären Fasern und 
verliert sich im zweiten Drittel Vagina völlig. — Das Epithel der Kanäle 
ist oben einreihig zylindrisch, wird im oberen Drittel der Vagina im ganzen 
etwas kleiner, also in allen Dimensionen, bleibt jedoch einreihig zylindrisch; 
in der unteren Hälfte der Vagina wird das Epithel ganz unregelmässig 
mehrschichtig (zwei- bis vierschichtig), wobei die untere zylindrische Zelllage 
durch intensivere Färbung sich auszeichnet, während das übrige Epithel 
hellere Kerne und Zellleiber hat. Die Form der Epithelien wird unregel- 
mässig und erst im Hymen wird das Epithel des linken Kanales einschichtig 
zylindrisch. Das stellenweise dicht angelagerte vielschichtige hymenale 
Vestibularepithel beeinflusst das Epithel des Gartner gar nicht. 


Fetus von kaum sieben Monaten (136). Rechter Gartner vom 
Parametrium bis in den Uterus, Unterbrechung bis zur Portio; 
Verlauf aus der Portio in die Vagina, zweite Unterbrechung; 
Verlauf in der Vaginalwand dicht unterhalb der Portio mit 
kurzer Unterbrechung im mittleren Drittel der Vagina bis zur 
Mündung im Suleus nymphohymenalis. Linker Gartner vom 
Parametrium durch Cervix und Vagina in ununterbrochenem 
Verlaufe bis zur Mündung im Suleus nymphohymenalis. 


Oberhalb des inneren Muttermundes zeigt sich beiderseits nahe dem 
Uterus ein blinder Gartnerscher Gang im Parametrium. 

Der linke Gartnersche Gang dringt etwas oberhalb des inneren 
Muttermundes in den Uterus, wird hier sogleich Kanalisiert; das anfangs 
zylindrische Lumen erweitert sich bald scheidenförmig und erhält Ausstülpungen 
und schlauchförmige Verzweigungen (Drüsen), welche nur vorn und hinten 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 759 


an der Kante abgehen. Epithel einschichtig; zylindrisch im Hauptkanal, in 
den Schläuchen kubisch und niedrig zylindrisch. — Der Kanal rückt der 
Schleimhaut ständig näher und verläuft im unteren Teil des supravaginalen 
Cervicalabschnittes bis in den obersten Teil der Portio in der innersten 
Muskelschicht; erst hier entfernt er sich ein wenig mehr lateral, er steigt 
in die Portio ein wenig hinab und dann fast scharf geknickt nur ein wenig 
aufwärts lateral fast horizontal bis ins Scheidengewölbe; er erleidet an dem 
Winkel, wo der absteigende Ast in den aufsteigenden übergeht, eine Ver- 
engung und Abnahme der Verzweigungen; der aufsteigende Teil ist aber 
wieder etwas weiter und stärker verzweigt; hier sieht man richtige Drüsen, 
die sich von einzelnen grösseren Verzweigungen durch ihr enges Kaliber und 
niedrigeres Epithel auszeichnen. Die Verzweigungen erfolgen nach allen 
Seiten: nur in dem Scheidengewölbe selbst werden sie geringer, gehen nur 
nach oben und fehlen in der Scheidenwand selbst gänzlich. 

In der Scheide behält der linke Gartnersche Gang sein scheiden- 
förmiges Lumen (von vorn nach hinten auf dem Querschnitt am weitesten) 
(0,15 : 0,45 im Querschnitt), jedoch wird dasselbe allmählich nach unten hin 
enger; in der Mitte der Vagina erreicht er ein Lumen von 0,07 : 0,014 im 
Querschnitt, dann schwankt das Lumen und ist in der unteren Hälfte der 
Vagina zunächt viel enger bis zur geringsten Weite von 0,03: 0,09, und 
erst im untersten Teile wird der Kanal wieder weiter. 

Auch der rechte Gartner dringt etwa in Höhe des inneren Mutter- 
mundes in den Uterus, zeigt hier ein enges Lumen und erleidet dann sogleich 
eine Unterbrechung bis zur Portio; erst im obersten Teil der Portio erscheint 
er wieder an der Grenze der inneren und mittleren Schichten als Schlitz auf 
dem Querschnitt von vorn nach hinten und zieht fast horizontal nur wenig 
aufwärts geraden Wegs zum Scheidengewölbe (Pr. 22 und 23): hier bildet 
er einen engen Kanal mit einigen kleinen Abzweigungen und wenigen mehr- 
schichtigen Knospen, deren noch weiter unten gedacht wird. 


Der Gartnersche Gang wird dann schon beim Übergang auf das 
Laquear bedeutend weiter und mehrschichtig und hat von hier ab keine Ver- 
zweigungen mehr. In der Scheidenwand angelangt, verläuft er nur eine ganz 
kurze Strecke abwärts und erleidet wiederum eine Unterbrechung; in Höhe 
etwas unterhalb des äusseren Muttermundes erscheint er bereits wieder, und 
zwar wiederum als mehrschichtiger, epithelialer Kanal, welcher bald im 
oberen Drittel der Vagina ein bedeutendes Querfeld einnimmt (von vorn nach 
hinten mehr wie 1 mm und von rechts und links gemessen bis zu 0,75), 
sodass er im oberen Drittel der Vagina makroskopisch auffällt. In gleicher 
Höhe mit dem linken Gartnerschen Gang wird dann der rechte allmählich 
enger und unterhalb der Mitte der Vagina, wo der linke seine grösste Enge 
besitzt, verschwindet der rechte für eine kurze Strecke. Im untersten Drittel 
ist er wieder vorhanden und bildet zunächst auf dem Querschnitt einen 
Schlitz, welcher nicht von vorn nach hinten, sondern von rechts nach links 
gerichtet ist. Im untersten Teil werden beide Gartnersche Gänge wieder 
etwas weiter, aber nicht so bedeutend, wie im obersten Teile, sie messen 
hier auf dem Querschnitt 0,15 : 0,345 und 0,2 : 0,45. 


760 Robert Meyer: 


Beide Gartnersche Gänge münden in der Furche zwischen Hymen 
und Nymphe an der tiefsten Stelle dieser Furche (von aussen gesehen), und 
zwar so, dass der Gartnersche Gang als ein Schlitz (von 0,6 links und. 
0,3 rechts) sich nicht genau quer, sondern etwas schräg über die ganze 
Breite der genannten Furche in das Epithel hereinsenkt. Es wird hierbei 
sowohl das äussere Hymenalblatt als das Epithel der Nymphe gleichmässig 
von dem Wolffschen Gang durchbrochen. Die Gartnerschen Gänge ver- 
laufen im oberen Drittel der Vagina zunächst ziemlich genau seitlich, in 
dem mittleren Drittel etwas mehr vorne, schliesslich aber im untersten 
Drittel wieder seitlich, schliesslich mehr hinten; ihre Mündung erfolgt eben- 
falls hinten, besonders der rechte Gartnersche Gang mündet im hintersten 
Drittel der Seitenwand. — Beide Gartnersche Gänge halten sich von 
oben bis unten meist in gleicher Entfernung von dem Epithel der Vagina 
(nämlich 0,18—0,45 mm), wobei die Faltenbildung der Vaginalschleimhaut 
hauptsächlich die Distanz beeinflusst. 

Während nun der linke Gartnersche Gang in seinem ununter- 
brochenen Verlauf von dem inneren Muttermund bis nahe an sein Ende ein 
einschichtiges normales Epithel aufweist, ist das Epithel des untersten Endes 
und das Epithel des ganzen rechten Ganges mehrschichtig und von wechselndem. 
eigenartigem Aussehen, welches eine Beschreibung erfördert. 


Die Mehrschichtigkeit ist in den untersten Enden der beiden Gartner- 
schen Gänge am unbedeutendsten; hier ist streckenweise besonders nahe der 
Mündung wenigstens an einer Wand noch einschichtiges Epithel vorhanden. 
ebenso ist in dem vierten Stück des rechten Gartnerschen Ganges einmal 
eine kurze Strecke wenigstens auf einer Seite einschichtig, und zwar dort, 
wo der Schlitz auf dem Querschnitt, wie oben beschrieben, von rechts nach 
links gerichtet ist. Die Mehrschichtigkeit beginnt am rechten Gartnerschen 
Gang, bereits in der Portio selbst mit der oben geschilderten Zunahme des 
(uerschnittes geht die Mehrschichtigkeit proportional, sodass in dem dritten 
Stück des Ganges mit dem grössten Umfang die stärkste Vielschichtigkeit 
erreicht wird; das Lumen wächst ungefähr in gleichem Mafse wie der ganze 
Querschnitt, steht jedoch hinter dem letzteren bedeutend zurück: das Lumen 
des rechten entspricht so ziemlich dem des linken Ganges an allen Stellen 
und der grössere Querschnitt des ersteren ist nur auf sein vielschichtiges 
Epithel zurückzuführen. — Der äussere Kontur des Ganges ist stellenweise 
im Querschnitt gebuchtet mit scharfen Einsprüngen. Während im untersten 
(vierten) Teil nur zwei bis vier Reihen Epithelzellen und auch das nicht 
ringsherum gleichmässig stark angeordnet erscheinen, sind im Laquear (Teil 2) 
die Zellen 5—-8fach und im dritten Teil 12—-20 fach. 

Die Zellproliferation ist im Beginne, wie gesagt, manchmal nur auf 
eine Wand oder einen Teil einer Wand beschränkt und hier ist das Epithel 
noch zylindrisch schmal und hoch. Bald jedoch wird es meist vom Lumen 
her beginnend in grossleibige, unregelmässig gestaltete Zellen umgewandelt, 
welche je grösser, desto chromatinärmer werden; das Protoplasma wird ganz 
hell, die Kerne werden gross, meist rundlich, füllen aber kaum die Hälfte 
der Zellen aus, sie enthalten nur einzelne grössere Chromatinkörner. 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 761 


Die unterste basale Epithelreihe erhält sich stellenweise besser, aber 
ie vielschichtiger das Epithel, desto mehr nimmt im allgemeinen auch die 
basale Reihe an der Umwandlung teil; meist ist sie aber noch deutlich zu 
erkennen, vor allem durch einen dunkleren schlanken Kern und geringere 
Zellgrösse, zuweilen erstrecken sich die basalen Zellen als schmaler Streifen 
zwischen den anderen bis nahe an das Lumen des Kanals; diese Einsprünge 
entsprechen den Einbuchtungen der äusseren Konturen. — Es finden sich 
jedoch auch Stellen von nur zwei- bis dreischichtigem Epithel, in welchen 
die basale Zellreihe bereits völlig in das grosse blassere Epithel verwandelt 
worden ist. — Stellenweise sind die äusseren Konturen eingebuchtet, der 
Kontur des Lumen entspricht nur vollkommen den äusseren; in den ersten 
Stadien der Epithelproliferation am wenigsten; hier finden sich zwischen 
einzelnen Epithelhügeln Buchten, welche nur ein- oder zweireihiges Epithel 
nach aussen zu besitzen. Die von mehreren Seiten vorspringenden Epithel- 
hügel umfassen sogar diese Buchten häufig von allen Seiten und schliessen 
auf diese Weise einen Hohlraum ein, in welchem nur abgestossene Zellen 
und Detritus liegen. Wir finden dann auf dem Querschnitt einen ungleichen 
mehrschichtigen Epithelsaum mit Vakuolen, welche zuweilen von nur einer 
basalen Zellschicht, manchmal auch von mehreren Zelllagen nach aussen 
begrenzt sind. Die Entstehung der Vakuolen infolge Überwucherung der 
Buchten durch mehrseitige Zellhügel ergibt sich einerseits aus dem Neben- 
einander der Bilder, andererseits ist eine sekundäre Entstehung durch 
Vakuolisierung vorher solider Zellhaufen auszuschliessen, da die Vakuolen 
nur in den Anfangsstadien der ungleichen und geringen Mehrschichtigkeit 
vorkommen, während die Partien mit grosser Vielschichtigkeit keine Vakuolen 
haben; wir finden also diese Vakuolen hauptsächlich in den untersten Teilen 
der beiden Gartnerschen Gänge, ferner auch in der Portio beim Übergang 
zum Laquear (im allgemeinen an den Stellen, wo das einfache Epithel in 
mehrschichtiges übergeht). Hier bilden die Vakuolen auf manchen Quer- 
schnitten des Gartnerschen Ganges einen Kranz ringsum. Der Übergang 
auf das Epithel in der Furche zwischen Hymen und der Nymphe vollzieht 
sich so, dass das hier meist einschichtige, niedrig zylindrische Epithel des 
Gartner zwischen das Basalepithel der Furche eingeschoben ist, und 
zwischen den Plattenepithelien dieser Furche bleibt in den tieferen Lagen 
ein breiter Spalt, in welchem abgestossene, schollige Epithelien liegen ; 
dieser Spalt im Plattenepithel des nymphohymenalen Suleus ist von meist 
einschichtigem flachen Epithel (grossen Endothel ähnlich) bekleidet, welches 
in das Epithel des Gartnerschen Ganges übergeht; aber auch hier noch 
proliferiertt das Gartnersche Gang-Epithel zu einzelnen Hügeln; näher 
der äusseren Oberfläche zu wird der Spalt in dem nymphohymenalen Sulcus 
enger und ist mit Plattenepithel umschichtet. — Der Inhalt des Haupt- 
lumens sowie auch der Vakuolen besteht aus grossen scholligen Zellen und 
Detritus. 

Die Tunica des Gartnerschen Ganges in der Cervix ist im ganzen 
schwächer als bei den Neugeborenen und Kindern; hauptsächlich ist der 
Mangel an zirkulärer Muskulatur auffallend, während die longitudinale 


762 Robert Meyer: 


ziemlich normal ist. Das spindelzellige Bindegewebe zunächst dem Epithel 
ist ebenfalls nicht reichlich, nur im untersten Teil nahe der Portio und in 
dieser selbst ist es in breiterer Schicht am Hauptstamm angeordnet, dagegen 
verliert sich hier die Tunica masculosa mehr und mehr. Die Verzweigungen 
liegen zum grossen Teil nur in Muskulatur eingebettet. 

In dem Laquear Vaginale ist die bindegewebige zirkuläre Tunica des 
linken Ganges noch nennenswert; auch begleitet eine stark mit Fasern 
durchsetzte äussere longitudinale Muskelbindegewebstunica den Gartnerschen 
Gang durch die ganze obere Hälfte der Vagina, mit seiner zunehmenden 
Enge in der Mitte der Vagina verschwindet jedoch die Tunica und auch im 
untersten Teile ist sie kaum angedeutet. — An den Bruchstücken des 
rechten Wolffschen Ganges ist das Verhalten der Bindegewebsmenge so 
ziemlich dasselbe wie links, nur überwiegt hier rechts das zirkuläre spindlige 
Bindegewebe im oberen (dritten) Teil bedeutend, während die äussere Längs- 
tunica schwach ist. — In dem untersten Teile ist ebenfalls von einer Tunica 
keine Rede mehr. 

Um die Mündung beider Gartner-Gänge herum finden sich sowohl 
an dem äusseren Hymenalblatt, als an dem inneren Blatt der Nymphe einzelne 
kleinste Drüsen, welche zum Teil scheinbar dem Epithel des Gartnerschen 
(sanges angehören und noch unterhalb des basalen Epithels des Hymen 
liegen; auffallend ist nur, dass sich diese kleinen Drüsen gerade in der 
Umgebung beiderseits der Gartnerschen Gang-Mündung finden. 


Neugeborenes Mädchen (148). Mesodermale Gewebseinlage- 
rungen in dem oberen Teil der linken Vaginalwand. Linker 
Gartner in der unteren Hälfte der Vagina bis zur Mündung 
nahe dem freien Hymenalrande ununterbrochen. Rechter 
Gartner in der ganzen Vaginalwand mit einer einzigen Unter- 
brechung im dorsalen Teile des Hymens; Mündung wie links. 


Die mesodermale Gewebseinlagerung im oberen Teil der linken 
Vaginalwand ist von mir an anderm Ort beschrieben worden. Der rechte 
Gartnersche Kanal beginnt im oberen Teile der Vagina etwas tiefer als 
die mesodermale Einlagerung. Sein Lumen ist erst ein einfacher Schlitz 
(15 Schnitte lang), dann wird der Querschnitt des Lumens etwas unregel- 
mässig und in sehr geringem Grade verzweigt mit Ansätzen von kurzen, 
schlauchartigen Ausstülpungen (16 Schnitte); dann wiederum ist der Kanal 
auf dem Querschnitt ein einfacher und ganz kurzer, schmaler Schlitz. 

Der linke Gang erscheint erst zwölf Schnitte unterhalb des untersten 
Endes der mesodermalen Gewebseinlagerung in normaler Gestalt als einfaches 
schlitzförmiges Lumen ohne Verzweigung in der Seitenwand, etwas hinten 
zwar, was jedoch durch eine schiefe Stellung des Vaginallumens bedingt 
wird. Von hier aus lassen sich beide Gartnerschen Gänge zusammen be- 
sprechen; beide verlaufen in der Seitenwand abwärts und geraten allmählich 
im unteren Drittel der Scheide immer mehr nach hinten, der rechte besonders 
weit nach hinten; am untersten Ende der Scheide erreichen die beiden Gartner- 
schen Gänge den weitesten Stand nach hinten (der rechte Gartnersche 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 763 


Gang liegt an der Grenze von Seiten- und Hinterwand der Scheide); dann 
verlaufen sie in den Seitenteilen des Hymen zum vorderen freien Rande 
desselben. — Hierbei ist eine Verschiedenheit vorhanden. Der rechte Gartner- 
sche Gang erleidet im hinteren Teile des Hymen eine Unterbrechung; in der 
Mitte etwa (von vorn nach hinten) erscheint er wieder, zieht eine kurze 
Strecke nach vorn und senkt sich in einen Plattenepithelkolben, welcher 
vom äusseren Blatt des Hymen nahe seinem freien Rande ausgeht. Der 
Gartnersche Gang liegt zuerst als Spalt an der lateralen Seite dieses 
Kolbens, sodass die laterale Seite des Gartnerschen Ganges Zylinderepithel 
hat und die mediale Plattenepithel; das Gartnersche Gang-Epithel geht 
aber, flacher werdend, endothelartig auf die Oberfläche des Plattenepithels 
über und verliert sich erst in weiteren Schnitten. 

Der Gartnersche Gang dringt dann als Spalt zwischen den Platten- 
epithelien ohne eigenes Epithel zur Oberfläche. 

Der linke Gartnersche Gang ist (auf Flachschnitten durch den 
Hymen) in seinem Verlauf von vorn nach hinten fast in ganzer Länge 
getroffen (s. Fig. 6). 

Die Mündung erfolgt seitlich und ziemlich weit vorne nahe dem 
freien Rande des Hymen spaltförmig auf die Oberfläche; der enge Spalt 
verläuft durch das Plattenepithel und ist mit flachen langen Zellen bekleidet: 
diese endothelartige Zellbekleidung beginnt auf der lateralen Seite des 
Gartnerschen Ganges bereits im hymenalen Bindegewebe, während an der 
medialen und an der oberen Seite ein allerdings nur unbedeutender Epithel- 
kolben vom Plattenepithel des äusseren Hymenblattes entlang liegt. 


Das Epithel der Gartnerschen Gänge ist im oberen Teil zylindrisch, 
meist einschichtig; die Kerne sind zum Teil länglich, pallisadenartig angeordnet, 


meist aber oval. — An manchen Stellen ist noch eine zweite basale Zell- 
reihe vorhanden, deren Zellen kubisch und mit kleineren rundlichen Kernen 
versehen sind. — Im unteren Drittel der Scheide wird das Epithel der 


Gartnerschen Gänge unregelmässig mehrschichtig; unregelmässig insofern, 
als die Höhe der Schichtung nicht nur auf verschiedenen Schnitten, sondern 
auch auf einem und demselben Querschnitte sehr wechselt: es kommen 
sogar einschichtige und mehrschichtige Stellen im schroffen Übergange 
nebeneinander vor. Die Zellen der mehrschichtigen Partien sind grösser, 
teils noch zylindrisch, teils unregelmässig aufgetrieben; je grösser die Zellen 
sind, desto chromatinärmer sind sie; die Zellleiber bestehen dann aus ganz 
blassen Protoplasmafäden; die Kerne sind ebenfalls rundlich und oval auf- 
getrieben, enthalten nur einzelne kleine Chromatinkörner. Stets ist die 
oberste Zellreihe am grössten und hellsten. — An manchen Stellen ist eine 
unterste Reihe kubischer chromatinreicher Zellen vorhanden als Basis 
mehrerer Reihen grösserer blasser Zellen. Diese Basalreihe geht zuweilen 
allein weiter, indem die oberen Schichten allmählich oder auch plötzlich 
aufhören. — Der stärkste Grad der Mehrschichtigkeit (4—5 Zellreihen) 
und die grösste Verbreitung derselben wird im untersten Teil der Scheide 
erreicht, jedoch kommen auch hier noch, wenn auch nur sehr unbedeutende 
Stellen mit einschichtigem Epithel vor. An den mehrschichtigen Partien 


764 Robert Meyer: 


ist das Lumen grösser als oben. Schmale Kerne zwischen Zellen an 
einer Stelle. 

Linker Gartnerscher Gang. Im Hymen jedoch wird das Lumen 
wieder enger und ebenso wird die Mehrschichtigkeit wieder geringer und 
unregelmässiger; die Zellen stehen ihrem Aussehen nach in der Mitte zwischen 
dem normalen zylindrischen und dem grossen hellen Epithel; ausserdem 
liegen hier vielfach schmale, längliche, unregelmässige Kerne zwischen den 
übrigen Zellen. 

Je näher der Mündung, desto enger wird der Kanal, die Zellen 
werden einreihig, anfangs zylindrisch, dann immer niedriger und dicht vor 
der Mündung flach endothelial wie oben beschrieben. — In den untersten 
Teilen der Gartnerschen Gänge finden sich sehr viele abgestossene Kerne 
und Zellen. 


Fetus von 14 cm Kopf-Fuss-Länge im vierten Monat (200). 
Knochenherdim Uterus. LinkerGartner ein TeilamEpoophoron, 
ein zweites Stück vom Parametrium bis in Cervix uteri, ein 
drittes Bruchstück in Vagina. Rechter Gartner am Epoophoron, 
ein zweites Stück im Parametrium bis in den Uterus, dritter 
Teil vom unteren Teil des Uterus durch die ganze Vagina un- 
unterbrochen bis in den Sinus urogenitalis. 


Von den Wolffschen Gängen sind folgende Reste vorhanden: zu- 
nächst ein Teil am Epoophoron beiderseits, ebenso ein zweiter Abschnitt im 
Parametrium an den Seitenkanten des Uterus bereits in mittlerer Höhe des 
Corpus; beide Kanäle treten etwas oberhalb der Cervix in den Uterus ein. 
Von hier ab ist das Verhalten verschieden; der linke Kanal durchläuft den 
oberen Teil der Cervix und bildet eine grosse Ampulle, d.h. einen nach unten 
zunehmend stark dilatierten Abschnitt, welcher auf dem Querschnitt scheiden- 
förmig, mit der Längsrichtung von vorn nach hinten in der Cervixseitenwand 
gelagert ist. Der linke Gang endigt dann bereits im oberen Teil der Cervix 
und nur ein kurzes Bruchstück tritt etwa in mittlerer Höhe der Vagina in 
der Seitenwand auf. 

Der rechte Kanal erleidet, wie bemerkt, bereits nach seinem Eintritt 
in den Uterus eine Unterbrechung und erscheint erst wieder unmittelbar 
unterhalb der osteoiden Partie im unteren Teil der Cervix etwa da, wo die 
(später zur Ausbildung gelangende) Portio beginnen würde. Hier ist das 
nicht annähernd so stark wie am linken Kanal dilatierte Lumen schlitzförmig 
von rechts nach links gerichtet, wie es der Übergangsstelle des Gartner 
aus der Cervix in die Vagina zu entsprechen pflegt. Von hier aus verläuft 
der Kanal in der Seitenwand der Scheide mit meist engem Lumen ununter- 
brochen abwärts; er liegt in der Mitte der Seitenwand und verläuft erst am 
Ende der Vagina etwa horizontal eine ziemliche Strecke nach vorn, um dann 
in den Sinus urogenitalis zu münden. 

Ein Hymen ist zwar schon einigermassen ausgebildet, aber nicht 
günstige zu sehen, ihm entspricht die horizontal nach der ventralen Seite 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 765 


verlaufende Strecke des Gartner. Hier liegt er dem vaginalen (hymenalen) 
Epithel näher, als weiter oben. 

Über den Bau ist nicht viel zu bemerken; im oberen Teil der Vagina, 
welcher noch ziemlich geschlossen ist und ein undifferenziertes Epithel hat, 
besitzt der Gartner ein hohes zylindrisches Epithel mit länglich ovalen 
Kernen und ein deutliches Lumen, im übrigen Verlaufe, besonders im unteren 
Vaginalabschnitte, dessen Plattenepithel und Lumen gut entwickelt ist, zeigt 
der Gartner kleine mehr kubische einreihige Epithelbekleidung mit mehr 
rundlichen Kernen und ein sehr enges Lumen. Hervorzuheben ist, dass sich 
das vestibuiare Epithel trichterförmig dem Gartner entgegen einstülpt. Auf 
der korrespondierenden Stelle linkerseits befindet sich eine gleiche trichter- 
törmige Plattenepitheleinsenkung, welche mit einem kurzen, engen Kanal 
von einschichtigem kubischen Epithel endigt; wahrscheinlich die Mündung 
des linken Gartner. 


Fall 143. Fetus von 7 Monaten. Rechter Gartner nahe dem 

Uteruscorpusim Parametrium bis in den oberen Teil der Cervix. 

Unterbrechung bis zum obersten Teil der Vagina, von hier 

Verlauf in der ganzen Vaginalwand bis zur Mündung am freien 

Hymenalrande mit kurzer Unterbrechung im obersten Teil 

der Vagina. — Bruchstück des linken Gartner im oberen Teil 
der Cervix. 


Der Uterus klein liegt der unteren Blasenhälfte dicht angeschmiegt; 
das Corpus misst von der Foss vesicouterina bis zum Scheitel nur ca. 5 mm; 
der ganze Uterus ca. 17 mm, die Tuben leicht geschlängelt 10—11 mm. 
Övarien ca. 8 mm lang; rechte Adnexe etwas kleiner. 

Die Lig. lat., Mesosalp. Mesovar., auch die Lig. infund. ovar. bezw. inf. 
pelv. sind nur andeutungsweise vorhanden; die Adnexe inserieren äusserst 
knapp an der vorderen und seitlichen Beckenwand; fast ausschliesslich an 
der vorderen, und zwar inserieren die Tuben zur grösseren Hälfte an der 
Blase; auch die Lig. rotund. sind nur schwach angedeutet. Kleine Labien 
sehr klein. Clitoris dito. Hymen überragt bürzelförmig die hintere Kommissur. 
Douglas ausserordentlich tief. Auf dem linken Ureter eine peritoneale rauhe 
knotige Hervorragung, welche sich medial unten auf die Art. hypogustr. 
fortsetzt; rechts ein submiliares Knötchen peritoneal auf dem Ureter; beide 
Ureteren ziehen als freier Rand das Becken begrenzend zur Blase; da der 
Uterus fundus sehr tief liegt und schief steht, Portio rechts, Fundus links, 
so tritt der linke Ureter nur ca.5 mm unter der Tube in die Blase. 

Die Nymphen sind rudimentär; sie sind nur im vorderen Teile vor- 
handen; der Hymen wird nicht von ihnen bedeckt, sondern liegt fast aus- 
schliesslich zwischen den grossen Labien. 

Das Corpus uteri ist mit der Blase vollständig verwachsen; ebenso 
sind die beiden Mesosalpingen an den Seiten der Blase (bezw. die Ampulle 
an der venae unbilieales) befestigt. Epoophoron beiderseits an den Ampullen. 
Rechts findet sich im Parametrium nahe dem Uteruscorpus ein Gartner- 
scher Gang, welcher etwas oberhalb des inneren Muttermundes in den Uterus 


766 Robert Meyer: 


eintritt und im oberen Teil der Cervix etwas ampullär erweitert mit stern- 
förmigem Querschnitt endigt. Im oberen Teil der Cervix findet sich auch 
ein kurzes Bruchstück des linken Gartnerschen Ganges. 

Alte Thromben finden sich an verschiedenen Stellen subserös im Becken. 

Kurz unterhalb des äusseren Muttermundes beginnt in der rechten 
Seitenwand der Vagina ziemlich genau seitlich der Gartnersche Gang als 
ein mit kleinen Verzweigungen versehener Kanal; die Verzweigungen hören 
aber sehr schnell auf und der Kanal hat auf dem Querschnitt ein ovales 
Lumen, welches je nach seiner Lage zwischen zwei Längsfalten oder von 
der Höhe einer solchen quer oder längs steht. b 


So zieht der Gartnersche Gang mit einschichtigem Epithel und 
leichter zirkulärer Tunica (von Spindelzellen mit Fibrillen) abwärts in der 
Muskulatur der Vagina, immer näher dem Epithel als dem paravaginalen 
Gewebe und rückt in der unteren Hälfte der Vagina immer mehr nach 
hinten. — Im untersten Teil der Vagina liegt er zwar stets noch in der 
Seitenwand, aber fast ganz hinten und wird sehr eng; er erleidet eine 
Unterbrechung durch fünf Schnitte, erscheint dann wiederum im untersten 
Teil der Vagina eng und weit hinten in der Seitenwand, zieht dann fast 
horizontal nach vorne und dabei abwärts in den Hymen. Im Hymen selbst 
verläuft er unter grosser Querschnittszunahme und schliesslich unter ceystischer 
Erweiterung ganz nach vorne zum freien Rand (halbmondförmiger Hymen) 
des Hymen; die starke cystische Erweiterung liegt kurz vor seiner Aus- 
mündung auf die Oberfläche. Besonders merkmürdig ist, dass während 
seines Verlaufs durch den Hymen der Gartnersche Gang auf der einen 
Seite sein gewöhnliches Epithel hat, einreihig, zylindrisch, dagegen auf der 
anderen Seite, nämlich der lateralen, von einem dicken Plattenepithelstrang 
in ganzer Länge begleitet wird, welcher weder mit dem äusseren noch dem 
inneren Hymenalblatt zusammenhängt, sondern frei im hymenalen Binde- 
gewebe liegt, sich näher der Mündung des Gartnerschen Ganges ver- 
schmälert und bei der cystischen Erweiterung allmählich aufhört; diese 
cystische Erweiterung ist kurz vor der Einmündung rings von dem zylindrischen 
Epithel des Gartnerschen Ganges bedeckt; Ausläufer des Plattenepithels 
auf der lateralen Seite erreichen nicht das Plattenepithel des Hymenal- 
randes. — Es ist nicht ganz klar, wie dieser Plattenepithelstrang am 
Gartnerschen Gang aufzufassen ist. — Ist er ein Fortsatz des Hymenal- 
epithels, welcher sich nachträglich am Gartnerschen Gang entlang gebildet 
hat und infolge der cystischen Erweiterung des Gartnerschen Ganges 
abgetrennt wurde, oder ist er durch frühzeitige embryonale Verklebung mit 
dem Epithel des Sinus urogenitalis und spätere Abtrennung entstanden, oder 
schliesslich liegt vielleicht eine Umwandlung des Gartnerschen Gang- 
Epithels in Plattenepithel vor? 

Die letztere Möglichkeit ist am wahrscheinlichsten, da sowohl am 
zylindrischen Epithel des eystischen Endes einzelne Stellen in Plattenepithel 
umgewandelt sind, ferner auch an dem Plattenepithel der lateralen Wand 
kurze Strecken von einreihigem Epithel unterbrochen sind. — Ganz sicher 
ist die Sache indes nicht. Die Ausmündung erfolgt mit einer trichter- 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. v4 


formigen Mulde auf der Oberfläche des Plattenepithels; aus der Mulde 
ergiessen sich hyaline Tröpfehen nach aussen. — Zwischen den Platten- 
epithelzellen des Hymens besitzt der Kanal keine eigene Zellbekleidung mehr, 
sein Epithel reicht nur bis an die basale Schicht des Hymenepithels. 


Uterus bilocularis cum vagina septa eines neugeborenen 

Mädchens (248). Verlauf der Gartnerschen Kanäle rechts von 

der Cervix dicht über dem Vaginalansatz und links vom 

Scheidengewölbe ab ununterbrochen bis zum Vestibulum. 
(Defekt des Hymen.) 


Uterus äusserlich von normaler Gestalt bis auf eine auffallend starke 
Portio und einen leicht gesattelten Scheitel und je eine leichte sagittale 
Furche in der Medianlinie der vorderen und hinteren Wand. Das Septum 
ist im Corpus uteri 2—3 mm dick, in der Cervix nur ca. 1 mm; erst in der 
Portio wird es wieder etwas dicker. Die beiden Portiones sind kurz; die 
Vaginen oben weit, im mittleren Teil enger und dünnwandiger, im unteren 
Teil wieder geräumiger. Die Vaginen, bis zum Vestibulum getrennt, ver- 
einigen sich erst in Höhe der Einmündung der W olffschen Gänge, also am 
Vestibulum selbst. Hymen fehlt völlig. Der rechte Gartnersche Gang 
beginnt in der Cervix kurz oberhalb des Vaginalgewölbes. 

Der rechte Wolffsche Gang beginnt in der Öervix kurz ober- 
halb des Vaginalgewölbes als eine in der Form unregelmässige Ampulle, zieht 
fast horizontal im Scheidengewölbe lateralwärts in die Scheidenwand, wird 
hier relativ sehr weit und etwas verzweigt und zieht in die seitliche Wand 
als länglicher Schlitz abwärts; da wo die Vagina enger wird, wird er eben- 
falls enger; im untersten Teil wird er weiter, bleibt in der Mitte der seit- 
lichen Vaginalwand und dann nach vorn zur Mündung in den Sinus urogeni- 
talis. Im untersten Teil mehrschichtiges Epithel. 

Der linke Gartnersche Gang beginnt im Scheiden- 
gewölbe und verläuft ebenfalls ununterbrochen bis zum 
Sinus; aber er ist durchwegs enger und liegt schon im untersten Teil der 
Scheide hinten in der Hinterwand seitlich und verläuft von dort in einem 
Sehnitt bis zur Mündung. — Das Präparat ist nicht gut genug konserviert, 
um über das Epithel des Gartner besondere Mitteilung zu gestatten. Die 
nähere Umgebung der Kanäle bietet auch keine Besonderheiten dar. 


Uterus unicornis dexter mit linksseitig rudimentärem Horn 
und Defekt der rechten Niere. Beide Wolffsche Gänge vom 
Epoophoron durch Cervix uteri und Vagina mit kurzen Unter- 
brechungen. Ende in der Vorderwand der Vagina bezw. im 
vesicovaginalen Bindegewebe. 


14 Tage altes Kind (Sign. Heyder) mit Symblepharie mit rudimentären 
Augäpfeln, Syndaktylie an Händen und Füssen. Penisähnliche (litoris mehr 
als 1 cm lang. Nymphen und grosse Labien rudimentär. Introitus Vaginae 


fehlt: Urethraleingang weit. Blase und Mastdarm normal. Eine kleine Portio 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 50 


768 Robert Meyer: 


ragt mit schlitzförmigem Muttermund in ein durch Schleim ausgedehntes 
Vaginalgewölbe. — Die Vagina endigt blind noch '/s cm oberhalb des 
Blasenhalses. Ovarion normal. 

Rechts erstreckt sich das Epoophoron innerhalb der Mesosalpinx und 
des Mesovarium längs der lateralen Hälfte des Ovarium in guter Ausbildung. 
Die mehr medial gelegenen Schläuche sind enger und vereinigen sich spitz- 
winklig zu einem engen Wolffschen Gange, welcher leicht geschlängelt 
dicht unter der medialen Tubenhälfte verläuft, sodass die Muskulatur des 
Wolffschen Ganges und die der Tube an mehreren Stellen zusammen- 
stossen. Hier zeigt der Wolffsche Gang eine Erweiterung und stern- 
förmige Ausstrahlung von Schläuchen, welche wahrscheinlich als Urnieren- 
kanäle (Paroophoronreste) zu deuten sind. Vom Übergang der Tube zum 
Uterushorn an liegt der Wolffsche Gang eine Strecke nicht unmittelbar 
am Uterus, sondern durch eine Gefässschicht von ihm getrennt im Parametrium, 
bald aber nähert er sich dem Uterus und liegt in der unteren Hälfte des 
Uterus zunächst an der Uteruskante, dringt bald in die seitliche Uterus- 
kante ein und nähert sich schnell im weiteren Verlaufe nach abwärts 
medialwärts dem Lumen des Uterushornes und zieht in nächster Nähe der 
Schleimhaut in der Seitenwand des Hornes abwärts. Nach oberhalb der 
Vereinigung beider Hörner erleidet er eine Unterbrechung. 


In diesem oberen Teile hat der Gang im Lig. latum und Parametrium 
hauptsächlich longitudinale Muskelfasern innen und im oberen Teile auch 
konzentrische zirkuläre Fasern aussen. 

Nach der Unterbrechung erscheint der Kanal im unteren Teil der 
Gervix wieder. In der Cervix finden sich einzelne zerstreute Verzweigungen 
seiner Ampulle in den mittleren Muskelschichten der Vorderwand; der 
Kanal selbst verengt sich sehr schnell und dringt durch die Muskulatur der 
Vorderwand der Portio (vorderes Scheidengewölbe fehlt) in gleicher Höhe 
wie der linke Wolffsche Gang aus dem Uterus heraus und bewegt sich 
medial abwärts in dem paravaginalen Gewebe hinter der Blase. Links 
auf der Seite des rudimentären Hornes (welches nur im Tubenwinkel ein 
Lumen hat und dann blind ist) vereinigen sich mehrere enge Epoophoron- 
kanälchen unter spitzem Winkel zum Wolffschen Gange, welcher in 
der Mesosalpinx noch vor dem lateralen Ende des Ovariums mit einem 
etwas erweiterten Teil unter starker muskulöser Umhüllung blind endet. — 
Im unteren Teile des rudimentären Hornes ca. 5 mm oberhalb der Vereinigungs- 
stelle mit dem rechten Horne tritt in die Seitenwand ein enger, auf dem 
Längsschnitt leicht geschlängelt erscheinender Kanal; allmählich dringt er 
tiefer in die Substanz des Hornes und liegt noch oberhalb der Vereinigung 
der Hörner ziemlich zentrisch im Nebenhorn. Der Kanal hat einschichtiges 
niedriges zylindrisches, weiter unten mehr kubisches Epithel und innerhalb 
des Nebenhornes eine eigene Tunica aus einer inneren schmalen Längs- 
schicht, einer etwas breiteren zirkulären Mittelschicht und einer äusseren 
Längsschicht, welche allmählich in die übrige Muskulatur des Nebenhornes 
übergeht. Im untersten Teile des Hornes verliert sich die zirkuläre 
Muskulatur und der Gang behält zwei Längsschichten, von denen die innere 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 769 


wesentlich heller bindegewebsreicher ist: mit dieser Tunica geht der Kanal 
in das rechte Horn über, während die übrige Muskulatur des Nebenhornes 
an der medialen Seite des rechten Hornes endigt oder doch nur oberflächlich 
mit ihr verbunden ist. Jetzt erweitert sich der Kanal sehr schnell degen- 
scheidenförmig, auf dem Querschnitt also schlitzförmig (Längsrichtung des 
Schlitzes von vorn nach hinten) und hat ein etwas höheres Zylinderepithel 
und dichtes spindelzelliges Stroma. Die vordere und hintere Kante des 
Kanals sind nur in ganz geringem Grade gegabelt; es handelt sich also um 
eine nur rudimentär ausgebildete Ampulle des Kanals. Die Muskelumhüllung 
des Kanals, meist längs gerichtet, geht ganz diffus in die Uterus- 
muskulatur über. 

In der Höhe des seitlichen Scheidengewölbes wird der Kanal plötzlich 
wieder enger und erhält einen annähernd zylindrischen Mantel, in welchem 
eine äussere Längs-, eine innere zirkuläre und stellenweise auch eine innerste 
Längsschicht sichtbar wird. Der Wolffsche Gang geht nun in der Wand 
des Vaginalgewölbes zur seitlichen Vaginalwand und zwar ein wenig mehr 
vorne (ventral); er wendet sich weiter abwärts bald ganz der Vorderwand 
zu, sodass er schliesslich von dem rechten Wolffschen Gang kaum 1 mm 
Distanz hat. 

Nun verläuft der rechte Wolffsche Gang mehr in der Aussenschicht 
der Vagina und sein unterstes Ende zwischen Vaginalwand und Blase, 
während der linke mehr in den mittleren Schichten der Vorderwand liegt. 
Noch kurz oberhalb des blinden Endes der Vagina verschwinden die beiden 
Wolffschen Gänge spurlos. 

Beide Gänge erleiden, das sei der Vollständigkeit wegen noch angeführt, 
in dem eben beschriebenen Verlauf in der Vagina eine kurze Unterbrechung 
des Lumens, während der Muskelstrang, besonders der rechte, bis zum 
Ende gut ausgebildet bleibt. 


Häufigkeit der Befunde. 


Zur Bestimmung der Häufigkeit von Überresten des Gartner- 
schen Ganges bediene ich mich nur solcher Fälle, in denen Uterus, 
Vagina und Vulva untersucht wurden. Ich fand Überreste der 
Wolffschen Gänge in der Vagina einschliesslich Hymen (bzw. 
Müllerscher Hügel): 


1. bei Feten von 2—3 Monaten unter 17 Fällen 16 mal = 94°/o 


Da 3 „ 4—6 5 uln2O es Sr 40 
Ace 2 „ 1 Monaten und Neu- 

geborenen unter . . . 3a BA 3 
4. bei Uterus bicorn. non MR: an Hark ee 4 4170090 


Bei Feten der ersten zwei Monate, besonders bis zu ca. 30 mm 

grösster Länge, pflegt der Wolffsche Gang vom Epoophoron bis 

zum M üllerschen Hügel noch ununterbrochen vorhanden zu sein. 
50* 


770 Robert Meyer: 


Zu diesen Zahlen ist kurz folgendes zu bemerken. Die Ein- 
teilung in vier Gruppen ist nicht ganz willkürlich gewählt; sie 
schliesst sich vielmehr an die bei Feten im Uterus gefundenen 
Überreste des Wolffschen Ganges an. In der ersten Gruppe 
bei Feten bis zu drei Monaten finden sich fast stets bedeutende 
Überreste der Gänge; bis zum Ende des zweiten Monats sind die 
Gänge sogar fast immer ununterbrochen vollständig. Im dritten 
Monat sind sie jedoch meist schon unterbrochen; am Ende des 
dritten Monats sind schon grössere Lücken vorhanden und in 
vereinzelten Fällen kann schon jede Spur der Gänge in der Vagina 
und auch im Uterus fehlen. Bei einem einzigen Fetus freilich 
nur habe ich in diesem Alter keine Spur mehr gefunden. 

In der zweiten Gruppe sinkt das Prozentverhältnis schnell 
auf 40; ja bei Feten von 6 Monaten sind schon viel seltener 
Überreste der Kanäle auffindbar. Dennoch mögen sie in dieser 
zweiten Gruppe rangieren, weil bei der nächsten Klasse mit dem 
schnellen Wachstum des ganzen Genitalsystems der Wolffsche 
Gang ebenfalls ein starkes Längenwachstum mitmachen muss, und 
zugleich in ein gewisses Stadium der Reife kommt, welches sich 
in der Cervix durch Ausbildung der Verzweigungen an der 
Ampulle kundgibt. — Nur von dieser dritten Gruppe kann man 
auch einen ungefähren Schluss auf die Persistenz des W olffschen 
(sanges im postfetalen Leben gestatten. Die Fälle von Uterus 
bicornis, bei denen wir den Gartner doppelt so häufig fanden als 
sonst, und zwar immer in sehr grosser Längenausdehnung, habe 
ich abgetrennt, weil hieran offenbar ein anderer Maßstab zu legen 
ist als an die normalen Uteri; würden wir sie hinzurechnen, so 
würden anstatt 28°o nunmehr 33 °o zu setzen sein. Freilich 
darf man kein grosses Gewicht auf solche Exempel legen, da das 
Resultat der Untersuchungen doch sehr von der Zahl der Fälle 
und von Zufällen beeinflusst wird. So habe ich früher bei älteren 
Feten den Wolffschen Gang nur in 16,4 °o im Uterus gefunden 
und in dieser neneren Untersuchungsreihe dagegen in 31 %o, ja 
wenn ich die Uteri bicornes einrechne, sogar in 36 %o. 

Die Reste des Kanales kommen, wenn wir jetzt nur von den 
Fällen mit positiven Befunden sprechen, im Hymen annähernd 
ebenso häufig vor, wie im gesamten übrigen Bereich der Vagina, 
bei der ersten Altersklasse fehlt in einem Fall im Hymen und 
ın einem anderen Falle in der Vagina jede Spur des Wolffschen 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. Ind 


Kanals und ebenso verhielt sich die dritte Altersklasse, während 
bei der zweiten nur einmal in der Vagina, dagegen dreimal im 
Hymen der Kanal vermisst wurde. 

Allerdings lässt es sich gerade in dieser Zeit des Fetallebens 
am schwersten erkennen, ob gewisse Buchten und Schläuche im 
Hymen dem Wolff angehören, wenn sie nicht mit dem Gang in 
der Vagina zusammen hängen, wovon wir noch weiter unten zu 
sprechen haben werden. 

Unter Verrechnung der Doppelseitigkeit scheinen bei den 
beiden älteren Klassen also vom dritten Monat aufwärts 
Kanalreste im obersten Drittel der Vagina einschliesslich Vaginal- 
gewölbe und Hymen etwas häufiger vorzukommen, nämlich im 
obersten Drittel 23 mal, im untersten Teil der Vagina 18, im Hymen 
21 mal, dagegen in dem mittleren Teil der Vagina nur 15 mal. 
Der Unterschied der mittleren Partie von der untersten und 
obersten wird sehr viel auffälliger, wenn man in Betracht zieht, 
dass erstere nur in solchen Fällen beteiligt war, wenn der Wolff- 
sche Kanal längere Strecken durchzog. Von kürzeren Strecken 
des Kanals durchzogen, war nämlich die oberste Partie der Vagina 
7 mal und die unterste bzw. der Hymen 9 mal, die mittleren 
Partien der Scheide für sich allein kein einziges Mal. — Daraus 
geht also noch deutlicher hervor, dass in der mittleren Scheiden- 
partie der Wolffsche Kanal am häufigsten gänzlich verschwindet. 

Die Uteri bicornes sind hier wegen ihrer zum Teil ungewöhn- 
lichen Verhältnisse nicht mit eingerechnet worden. Ununterbrochen 
von der Cervix bis zur Mündung im Hymen fand sich der Kanal 
bei einem Fetus im vierten Monat und einem Neugeborenen rechts- 
seitig, bei einem viermonatlichen Fetus linksseitig, bei einem 
von acht Monaten rechts und links, bei einem Fall von Uterus 
seputus et vagina septa rechtsseitig und bei einer Missbildung 
mit Uterovaginalcyste des einen Gartner doppelseitig (Hymen 
fehlte.) 

Im ersten Monat ist wie gesagt der ununterbrochene Verlauf 
vom Epoophoron bis zum Müllerschen Hügel die Regel; das 
gleiche habe ich auch noch bei Feten von 5 cm grösster Länge, 
niemals in späterem Alter gefunden. Der grösste Teil der Vagina 
bis in den Hymen wird ausser den oben genannten Fällen vom 
Gartner durchzogen, meist mit einigen Unterbrechungen sechs- 
mal und zweimal bei Uterus bicornis. 


| 
—1 
[80] 


Robert Meyer: 


Der Verlauf des Gartnerschen Ganges. 


Es muss als bekannt vorausgeschickt werden, dass zu An- 
fang die Müllerschen Gänge unmittelbar dem Wolffschen 
Gange anliegen, und dass die vier Kanäle meist in einer durch 
den Genitalstrang gedachten Frontalebene verlaufen, sodass man 
sie auf Querschnitten in einer Linie von rechts nach links liegen 
sieht. Wenn also die Wolffschen Gänge später nicht immer und 
überall in der Mitte der Vaginalwände liegen, so liegt das meist an 
den weiteren Wachstumsverschiebungen. Das Vaginallumen wächst 
bedeutend und dehnt sich nach dorsal- nnd ventralwärts aus, 
meist so, dass die Wolffschen Kanäle ziemlich genau in der 
Mitte der Seitenwände (Fig. 2, 4, 5) verlaufen, nur im untersten 
Teile ist das nicht der Fall, hier findet man meistens die Kanäle 
weiter dorsal in den Seitenwänden, sogar oft genug sehr weit dorsal 
in der Seitenwand der Vagina (Fig. 2). Dies beruht indes nicht 
auf sekundären Verschiebungen, sondern darauf, dass von vorn- 
herein die Müllerschen Gänge nicht genau zwischen den Wolff- 
schen Gängen in den Canalis urogenitalis einmünden können und 
zwar aus dem Grunde, weil die Müllerschen Gänge an ihrem 
kaudalen Ende frühzeitig so an Umfang wachsen (Fig. 8), dass 
sie einen grösseren Raum beanspruchen. Links und rechts werden 
sie von den Wolffschen Gängen in ihrem Ausdehnungsbestreben 
gehemmt und müssen sich demnach ventral oder dorsal von letzteren 
mit ihrer Hauptmasse dem Canalis urogenitalis zuwenden. Fast 
immer wählen sie den Weg ventral vor den Wolffschen Gängen. 
weil diese hier wie bekannt mit einem kaudalwärts gerichteten Bogen 
(Mihälkovies Allantoisschenkel), in dorsoventraler Richtung 
zum Urogenitalkanal verlaufen und weil an der kranioventralen 
Konkavität des Bogens der geringste Widerstand geleistet wird. 
Auf diese Weise kommt demnach der Wolffsche Gang ganz unten 
in dem kaudalen Teil der Vagina mehr oder weniger weit dorsal 
in die Seitenwand zu liegen, um erst von hier aus in dem 
Hymen ventralwärts zu verlaufen (Fig. 6). Der Bogenteil des 
Wolffschen Ganges wird also in den Hymen aufgenommen. — 
Nur dort, wo die Wolffschen Kanäle, was ausnahmsweise vor- 
kommt, nicht im Bogen, sondern mehr gestreckt in den Sinus 
münden, können die Müllerschen Kanäle auch dorsokaudal von 
den der Wolffschen Kanäle zum Sinus gelangen, sodass dann 
späterhin die letzteren ganz ausnahmsweise auch in ihren unteren 


—I 


ws 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 


Partien mehr ventral in der Seitenwand erscheinen können. Eben- 
so nur ausnahmsweise dehnen sich die kaudalen Enden der 
Müllerschen Kanäle schon beim Fetus von 30 mm Länge durch 
starke Zunahme ihres Umfanges zugleich nach ventral und dorsal 
derart aus, dass die Wolffschen Gänge in dem mittleren Teil 
der Vaginalwand liegen. Hieraus erklären sich also die verschiedenen 
definitiven Lagen des Wolffschen (Gartner) Gangs an seiner 
Eintrittsstelle von der Vagina her in den Hymen, welche wie gesagt 
in den meisten Fällen seitlich dorsal zu suchen ist (Fig. 2 u. 6). 

Auch im übrigen Bereich der Vagina kommen kleinere meist 
unbedeutendere Schwankungen der Lage vor. Ausser bei Miss- 
bildungen freilich liegt der Wolffsche Kanal stets in der Seiten- 
wand, nur nicht stets genau in deren Mitte. So kann man be- 
sonders im oberen Drittel der Vagina manchmal die Kanäle seit- 
lich mehr vorne finden; dieses ist schon bei Feten von ca. 30 mm 
Länge zu beobachten. Auch im mittleren Drittel der Vagina kommt 
das ausnahmsweise vor. Zuweilen steht das Vaginallumen auch 
schief, insofern die vordere und hintere Wand nicht in der Quer- 
achse des Beckens, sondern schief zu ihr liegen. In solchen Fällen 
von Schiefstellung des Vaginallumens, welche zuweilen auf kürzere 
Strecken vorkommt, findet man in den Seitenwänden den einen 
Wolffschen Gang mehr hinten, den andern mehr vorn. Auch 
dieses kann man schon bei jüngeren Feten bisweilen beobachten. — 
Durch diese Ausnahmen, welche zudem nur geringe Schwankungen 
abgeben, wird jedoch die Regel nur bestätigt, dass in der normalen 
Vagina die Kanäle mitten in der Seitenwand verlaufen und frühestens 
im unteren Drittel mehr und mehr dorsalwärts rücken, um von 
hier aus in einem Bogen ventralwärts zu laufen. Der Bogen ist 
mit der Konvexität bei jüngeren Feten (v. Mihalkovics Allantois- 
schenkel des Wolffschen Ganges) nach kaudal und lateral ge- 
richtet, lateral, weil die an Umfang wachsenden Enden der Müller- 
schen Kanäle die an ihren Mündungen fixierten Wolffschen 
Kanäle seitwärts drängen (s. Fig. 7). Bei älteren Feten sieht man 
noch eine deutliche Konvexität kaudalwärts an der Übergangsstelle 
von der Vagina zum Hymen; der weitere Verlauf ist individuell 
verschieden je nach der Wölbung des Hymen. Man kann unter 
günstigen Umständen den Kanal fast in seinem ganzen Verlauf 
durch den Hymen auf einem oder wenigen Flachschnitten treffen 
(s. Fig. 6). 


774 Robert Meyer: 


Die Ausmündung erfolgt bei jungen Feten bis zu zwei Monaten 
meist schräg durch das Sinusepithel hindurch, schräg von lateral 
nach medial; so schräg manchmal, dass die Mündungsstelle lateral 
klappenartig verdeckt ist (s. Fig. 19). Diese schräge Durchbohrung 
des Sinusepithels kommt erst nachträglich zustande durch die 
Auseinanderzerrung der Wolffschen Gänge infolge schneller Aus- 
dehnung der Müllerschen Kanäle. Je nachdem nun die Müller- 
schen Kanäle ihre Ausmündung mehr ventral oder dorsal. oder 
genau zwischen den Wolffschen finden, erscheinen bei älteren 
Feten die Wolffschen Mündungen mehr hinten oder mehr vorn 
im Hymen. 

Die Mündungsstelle liegt bei älteren Feten oft ganz nahe 
dem freien Rande des Hymen am Aussenblatte des letzteren; 
jedoch ist es keine Seltenheit, wenn der Kanal näher der Hymen- 
basis, d.h. also mehr lateral näher dem Sulcus nymphohymenalis 
mündet und in einem Falle ergiesst er sich sogar direkt von 
oben her in den Suleus nymphohymenalis, d.h. also an der Über- 
gangsstelle des Hymen auf die Nymphe. 

Es lässt sich hieraus nur erkennen, dass die Wolffschen 
Kanäle entweder von vornherein individuell weit voneinander 
münden, oder dass ihre Mündungen durch den Müller sekundär 
individuell verschieden weit auseinander gedrängt werden. Das 
erstere ist in der Tat bei Embryonen nachweisbar (vgl. Fig.7 u. 8). 

Jedenfalls hängt in erster Linie von der ursprünglichen Distanz 
der beiden Wolffschen Mündungen ihre definitive Stellung am 
Hymen ab: war ihre ursprüngliche Distanz bedeutend, so liegt 
die definitive Mündung mehr lateral, also näher dem Sulecus 
nymphohymenalis; war sie hingegen anfangs gering, so erfolgt 
die Mündung mehr medial auf dem Dach des Hymen und deshalb 
näher dem freien Rande, entsprechend seinem halbmondförmigen 
Kontour. 

Die Paraurethralgänge wurden stets gänzlich unabhängig 
von den Gartnerschen Gängen gefunden, sie verlaufen seitlich 
und dorsal von dem Urethrallumen, in die Urethralwand selbst 
eingeschlossen in sehr verschieden grosser Zahl. Zwei grössere 
von ihnen, zuweilen auch drei oder vier münden am weitesten 
kaudal, bei Feten meist in die Urethra selbst, seltener wie bei 
Erwachsenen seitlich neben dem Urethrallumen oder hinter ihm 
(Fig. 4). Die Kanäle haben bei den älteren Feten ein mehr- 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 73 
schichtiges Epithel, welches dem der Urethra gleicht; an ihren 
oberen Enden findet man nicht selten Verzweigungen und kleine 
schleimhaltige Drüsen. Irgend eine Ähnlichkeit ist mit den 
Gartnerschen Kanälen also weder histologisch noch topographisch 
zu finden und dies gleichzeitige unabhängige Vorkommen beider 
(rangsysteme in sämtlichen Fällen von Persistenz des Gartner im 
unteren Abschnitt überhebt uns der Mühe, auf die irrige Ansicht 
‚früherer Autoren einzugehen, welche die Paraurethralgänge für 
den Gartner hielten. Über die Bedeutung der Paraurethralgänge 
siehe unten. 


Die Wolffschen Kanäle liegen bei älteren Feten in ihrem 
ganzen Verlauf durch die Scheide meist etwas näher dem Epithel 
der Vagina, als dem paravaginalen Gewebe; schon im zweiten Monat 
des Fetallebens kann man hier eine Verschiedenheit zwischen dem 
späteren Uterusgebiet und dem der Vagina eintreten sehen. Bei 
Feten von ca. 30—40 mm Länge sieht man bereits im Uterusgebiet 
des Genitalstranges eine nicht unbeträchtliche, wenn auch individuell 
je nach der Ausdehnung der Kanäle verschieden breite binde- 
gewebige Trennungsschicht zwischen den W olffschen und Müller- 
schen Gängen; erst im Querschnittsniveau unterhalb der Ureteren- 
mündung in die Blase nähern sich die Gänge bedeutend und 
sind nur durch eine sehr dünne bindegewebige Schicht, anfangs 
nur von einer Zellbreite, getrennt. Natürlich nähern sich die 
Gänge nicht wörtlich genommen, sondern sie entfernen sich 
weniger weit voneinander. Die Distanz der beiden Wolffschen 
Gänge voneinander wächst zwar ebenfalls, aber gleichzeitig wächst 
auch das Vaginallumen entsprechend in die Quere. 


Im Hymen liegt der Kanal meist ziemlich gleichweit von 
dem äusseren und inneren epithelialen Blatte entfernt bis in die 
Nähe der Mündung. 

Bei einer Erwachsenen hatte ich in der Mackenrodtschen 
Klinik Gelegenheit, am freien Hymenalrande die Öffnung eines 
Kanales zu sehen, der sich nach hinten zu etwa I cm lang sondieren 
liess; es handelte sich um eine Patientin mit Defekt der hinteren 
Urethralwand und Spalte des Blasenhalses. Die öfters gemachte 
Beobachtung, dass der Gartner bei Hemmungsbildungen ver- 
schiedener Art mit Vorliebe persistiert, fordert auf, in solchen 
Fällen auf seine Mündung bei der Erwachsenen öfters zu achten. 


776 Robert Meyer: 


Es sei bemerkt, dass die Gartnerschen Kanäle unterhalb 
ihrer Ampulle homolog den Ductus ejaculatorii des Mannes sind 
und sich vor diesen durch eine viel bedeutendere Länge auszeichnen, 
vorausgesetzt. dass sie ununterbrochen persistieren. 


Gestalt und Lumen des Kanals. 


Ursprünglich ist das Lumen des Wolffschen Kanals im 
ganzen Bereich der späteren Vagina zylindrisch, auf dem Quer- 
schnitt also rund und sehr eng, bald aber erweitert sich der Kanal 
besonders im unteren Teil und zwar ist er schon bei Feten von 
2,8—5,0 cm dilatiert; das im Bogen zur Mündung verlaufende 
unterste Ende hingegen bleibt bei kleinen Feten meist etwas enger. 


Die grösste dauernde Erweiterung erfährt der Kanal, wie 
beschrieben, in der Cervix uteri, diese der Ampulle des vas deferens 
homologe Stelle, also kurz die „Ampulle“, erstreckt sich in das 
Vaginalgewölbe (s. Fig. 9) und zuweilen auch bis in die oberste 
Partie der vaginalen Seitenwand abwärts. 


Bei kleinen Embryonen kann man freilich nicht genau die 
Grenze zwischen Vagina und Cervix angeben. Die Ampulle ist 
zuerst, wie oben geschildert, nur als eine zylindrische Erweiterung 
des Kanals kenntlich und wird ausnahmsweise schon bei Feten 
des zweiten Monats gefunden. Später wird unter dem Einfluss 
des straffer werdenden Bindegewebes die Form der Ampulle mehr 
scheidenförmig mit unregelmässigen Konturen, auf dem Querschnitt 
also mehr schlitzförmig, wie man bei Feten bereits des vierten 
Monats deutlich sehen kann. 


Auch in dem obersten Teil der Vagina tritt diese Form- 
veränderung in geringerem Grade ebenso frühzeitig auf und im 
fünften Monat machen sich zuweilen schon Andeutungen von 
Ausstülpungen, kleine Ausbuchtungen bemerkbar. Im siebten 
Monat ist die Ausdehnung der Ampulle bereits viel erheblicher 
und ebenso wie in der Üervix sind in diesem Alter auch im obersten 
Teil der Vagina, wenn auch im geringeren Grade, fast immer Aus- 
stülpungen vorhanden. Die Form und Ausdehnung des Lumens 
ist freilich sehr verschieden, meist aber lässt sich als Hauptkanal 
auf Querschnitten ein länglicher von vorn nach hinten gerichteter 
Schlitz unterscheiden, von welchem einzelne unregelmässige Aus- 
stülpungen abgehen (s. Fig. 10). 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 777 


Auch im weiteren Verlauf nach unten nimmt der Kanal bei 
älteren Feten, wenn er nur einigermassen sich ausdehnt, durch 
die konzentrischen Bahnen des vaginalen Bindegewebes gezwungen, 
Scheidenform an und liegt dann als Schlitz auf dem Querschnitt 
meist von vorn nach hinten gerichtet; wenn jedoch die betreffende 
Partie der Vaginalwand sich als Falte in das Vaginallumen erhebt, 
so wird mit der Umwandlung der konzentrischen Faserrichtung 
des Bindegewebes in radiäre Bahnen auch der Wolffsche Kanal 
in diese Stellung gezwungen, sodass auf dem (@uerschnitt der 
Schlitz von rechts nach links gerichtet ist. Mit kurzen Worten, 
die Gestalt und Richtung des Lumens hängt ganz mechanisch 
von dem Druck und der Richtung des umgebenden Bindegewebes 
ab. Ausstülpungen kommen normalerweise in der Vagina, ausser 
im obersten Teil nicht vor. 


Uystische Erweiterung des Kanals habe ich bei einem sieben- 
monatlichen Fetus im Hymen gesehen, obgleich eine deutliche 
Ausmündung vorhanden ist (Fet. 143). Die durch Epithelpro- 
liferation bedingten Erweiterungen des Kanals werden wir noch 
unten besprechen. 


Ebenso wie die einzelnen Fälle hinsichtlich des Kalibers 
voneinander verschieden sind, so kommen auch in Fällen mit 
doppelseitigem Wolffschen Kanal starke Unterschiede beider 
Seiten vor (Fet. 248). 


Die Mündung der Wolffschen Gänge bei jungen Feten 
haben wir schon oben erwähnt, sie ist meist eng und erfolgt 
mehr weniger schräg durch das Epithel des Canalis urogenitalis 
(Sinusepithel) hindurch. Bei älteren Feten ist das „Sinusepithel“, 
welches den Hymen aussen bekleidet, sehr viel mächtiger, die 
Mündung ist dadurch erschwert und wird leicht verlegt oder am 
gehärteten Präparat schwer nachweisbar; hier hilft nur die Ver- 
folgung an Serienschnitten, wenn der Spalt im Piattenepithel des 
Hymen nicht noch von eigenem Epithel des Wolffschen Ganges 
bedeckt ist. Meist ist die Mündung eng, lang schlitzförmig, aus- 
nahmsweise auch trichterförmig, nämlich aussen weiter als innen 
(Fig. 11, Sign. 145 und 175). In einem Falle (Sign. 136) mündet 
der Kanal in den Suleus nymphohymenalis ebenfalls als enger 
langer Schlitz. 


778 Robert Meyer: 


Das Epithel des Gartnerschen Kanals. 


Das Epithel des Kanals ist anfangs einschichtig, zylindrisch 
mit ovalem Kerne und bleibt nicht selten dauernd so im ganzen 
Verlauf der Vagina (Fig. 12), nur im Hymen ist bei älteren 
Feten das einschichtige zylindrische Epithel geradezu selten. Es 
gibt kein normales Organ, in welchem das Epithel solchen 
Schwankungen unterläge, wie im Wolffschen Gange in der 
Vagina und im Hymen. Einschichtiges, mehrschichtiges, viel- 
schichtiges, hochzylindrisches, kubisches und plattes Epithel und 
vielgestaltige Übergangsformen finden sich nicht selten in ein 
und demselben Kanal manchmal schroff nebeneinander, zuweilen 
auch im allmählichen Übergange. 

Die Umwandlung in vielschichtiges Epithel findet sich vor- 
nehmlich im untersten Drittel der Vagina, aber auch nicht selten 
weiter oben und in einem Falle (Sign. 136) ist der eine Kanal 
nicht nur in der ganzen Vagina, sondern noch in der Portio 
mehr- und vielschichtig, während der andere Kanal desselben 
Falles nur im untersten Teil der Scheide mehrschichtiges Epithel, 
sonst überall einreihig zylindrisches aufweist. 

Die Mehrschichtung ist manchmal in ein und demselben 
Kanale einseitig früher ausgebildet (Fig. 13), meist jedoch all- 
seitig zu finden, wenn auch ungleich: der Epithelsaum ist infolge- 
dessen oft unregelmässig wellig, zuweilen sogar geradezu papillär. 

Diese Mehrschichtung beginnt schon zuweilen (s. Fig. 14) 
im fünften Monat: so sehen wir in einem Fall (Sign. 149) an 
einem kleinen Rest des Wolffschen Kanals im oberen Teil der 
Vagina mehrschichtiges Epithel, deren unterste Lage aus dunk- 
leren flachen Zellen besteht, während die anderen drei bis vier 
Reihen kubisch, zum Teil zylindrisch sind. Bei einem anderen 
Fetus im sechsten Monat dagegen ist ebenfalls im obersten Teil 
der Scheide das Epithel des Wolffschen Kanals in der untersten 
Reihe zylindrisch mit schlankem dunklem Kern, während die übrigen 
Reihen aus Blasenepithel ähnlichen Übergangszellen bestehen. 

Auch bei den älteren Feten und Neugeborenen zeichnet sich 
oft die äusserste Zellreihe durch zylindrisches Format und inten- 
sivere Färbung aus, besonders der ovalen manchmal pallisaden- 
förmigen Kerne, während die übrigen Zellreihen zum Teil 
zwar auch zylindrisch, meist jedoch unregelmässigere Zellformen, 


Übergangsformen haben; auch sind in den oberen Zellreihen, 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 779 


zuweilen auch in der untersten Reihe, die Zellen gross und blass 
mit rundlichen grossen Kernen und einzelnen Chromatinkörnern. 
Je vielschichtiger, desto stärker die Umwandlung der Zellen in 
diese grossen blassen Zellformen. Auch Vakuolen kommen im 
vielschichtigen Epithel vor (Sign. 136). Diese Vakuolenbildung 
scheint aber mehr durch Überbrückung seitens unregelmässig 
in das Lumen vorwachsender Vorsprünge, als durch sekundäre 
Vakuolisierung zu entstehen. Solche von grossen dem sogenannten 
Übergangsepithel ähnlichen Zellen bekleideten Abschnitte des 
Gartner (s. Fig. 15) erinnern zuweilen lebhaft an den Ureter 
und können wohl mit ihm verwechselt werden; hier kann nur 
der Verlauf des Kanals im weiteren Verfolg differentialdiagnostisch 
entscheiden; auch hat der Ureter seine eigene starke Wandung. 

Besonderer Erwähnung bedarf das Epithel an der Mündung 
des Kanals. Wir sahen schon bei Feten des zweiten Monats 
deutlich das mehrschichtige Epithel des Canalis urogenitalis 
von dem der Wolffschen Kanäle durchbrochen (Fig. 7 u. 8), 
wobei sich das Epithel der letzteren direkt dem ersteren anlegt. 
Lateral von der Mündung der Kanäle pflegt das Sinusepithel 
mehrschichtig zu sein, während es medial meist einschichtig bleibt 
infolge einer Spannung, welche diese als Müllerscher Hügel 
bekannte, vorspringende Partie durch die vordrängenden Wolff- 
schen und Müllerschen Kanäle erleidet. Zuweilen ist nur die 
laterale Wand des Wolffschen Ganges an seiner Mündung im 
Plattenepithel des Canalis urogenitalis von seinem eigenen Epithel 
bekleidet, während an der medialen Seite das Eigenepithel fehlt. 

Bei älteren Feten findet man die Epithelverhältnisse an der 
Mündung recht verschieden; in einzelnen Fällen bleibt das ur- 
sprüngliche Grenzverhältnis bestehen. Der Wolffsche Kanal 
tritt unvermittelt an das Plattenepithel des Vestibulum heran, 
durchdringt es in Schlitzform, wobei das Wolffsche Epithel in 
diesem Schlitz direkt dem Plattenepithel aufliegt. 

In Längsschnitten durch die Mündungsstelle ist dies leicht 
ersichtlich (Fig. 16), aber in Querschnitten ist das meist schwer 
zu sehen. Erstens flacht sich nämlich das Wolffsche Epithel 
bis zu Endothelformen ab und sodann wird es sehr leicht abge- 
stossen; in einzelnen Fällen sicher postmortal, in anderen aber 
auch wohl schon vorher, da auch das Plattenepithel in der Mündung 
oft in Abstossung begriffen ist (Fig. 17). 


780 Robert Meyer: 


In einer zweiten Reihe von Fällen tritt der Gartnersche 
Kanal nicht unvermittelt an das Vestibularepithel heran, sondern 
letzteres sendet einen Zapfen in die Tiefe, welcher den Kanal 
entweder auf allen oder mehreren Seiten oder nur auf einer 
Seite begleitet. Aber hier kommt es leicht zu der Täuschung, 
als ob das Plattenepithel einen Teil des Wolffschen Kanals direkt 
auskleide, während bei einigen Objekten mit Sicherheit zu er- 
kennen ist, dass das Epithel des Kanals dem Plattenepithel aufliegt. 

Endlich gibt es auch einzelne Fälle, in welchen die trichter- 
förmige Mündung gänzlich mit dem hymenalen Plattenepithel 
ausgekleidet ist, in denen sich also das vestibulare Epithel nicht 
aussen um den Wolffschen Gang als eine Art Umhüllung an- 
legt, sondern inwendig im Kanal liegt. An einzelnen Stellen 
sieht man dann, wie aus der beigegebenen Abbildung ersichtlich, 
in der äussersten Epithelreihe noch Reste des Wolffschen 
Epithels, während das basale Epithel an den übrigen Stellen dem 
hymenalen gleicht (siehe Fig. 18). 

Diese Veränderungen an der Mündung des Wolffschen 
Kanals bei älteren Feten bedürfen einer Erklärung. G. Klein, 
welcher in seinen zwei Fällen von Einmündung des Gartner- 
schen Ganges im Hymen lateral einschichtiges, dagegen medial 
vielschichtiges Epitbel in der Mündung fand, also ein Verhältnis, 
wie es schon bei unseren jungen Feten (siehe Fig. 7 und 8) 
zu beobachten ist, schloss hieraus auf die Abspaltung des Müller- 
schen Ganges aus dem Wolffschen. Diese Hypothese hat auch 
in ihren übrigen Beweismomenten versagt, wie ich bereits früher 
(l. ec.) besprochen habe, und durch die hymenalen Plattenepithel- 
befunde am Wolffschen Gang wird sie ebenfalls nicht gestützt, 
denn es handelt sich gewiss nicht um eine Verwandlung des ein- 
fachen W olffschen Epithels in mehrschichtiges, wie im übrigen 
Bereiche des Kanals, sondern um hymenales also vestibulares, 
vom Canalis urogenitalis abstammendes Plattenepithel. Der 
Unterschied beider Epithelarten ist geradezu schroff; wir sehen 
ausserdem beide Arten, nämlich das mehrschichtige Wolffsche 
und das vestibulare Epithel nebeneinander und sehen ferner, wie 
das Wolffsche Epithel auf das hymenale sich auflegt und durch 
das letztere hindurchzieht (Fig. 16 u. 17). 

Wir brauchen nur daran zu erinnern, dass überall, wo zwei 
Epithelarten aufeinander stossen, ähnliche Unregelmässigkeiten 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 751 


vorkommen. — Das Herunterwachsen des entodermalen Platten- 
epithels aussen unter dem Wolffschen Epithel wird wahrschein- 
lich begünstigt durch Wachstumsdifferenzen an der Mündung 
zwischen dem physiologisch überflüssigen Wolffschen Epithel 
und dem im starken Längenwachstum begriffenen Bindegewebe 
des Hymens. 

Findet sich ausnahmsweise das vestibulare Plattenepithel 
über eine längere Strecke im Mündungstrichter, so ist entweder 
das Wolffsche Epithel innen im Trichter verloren gegangen, 
was sich bei der physiologischen Epithelabschilferung schon früh- 
zeitig ereignen kann, oder das Plattenepithel ist von der Mündung 
her noch weiter in den Kanal vorgedrungen und hat das Wolff- 
sche Epithel ersetzt, oder schliesslich die ursprüngliche Mündung 
ist verlängert worden durch das Längenwachstum des Hymen 
Dieses ist wohl denkbar, wenn der Wolffsche Kanal Sekret aus- 
stösst, sodass seine Öffnung nicht verlegt werden kann. Der 
Kanal würde also in diesem Falle sozusagen ein neues vestibulares 
Mundstück erhalten. 

Die einseitige, nämlich mediale Wandbekleidung der Mündung 
des Gartner mit Hymenalepithel, wie sie in der Tat manchmal 
vorkommt, erklärt sich auch einfach aus den in Fig. 7 und 8 
abgebildeten Befunden beim kleineren Fetus. Durch die seitliche 
Auseinanderdrängung der Mündungstellen infolge der Ausdehnung 
des kaudalen Vaginalendes durchbohren die Wolffschen Kanäle 
das (später hymenale) Sinusepithel mehr schräg von lateral her; 
die laterale Wand der Kanäle wird dabei dem Sinusepithel quasi 
überlagert. Möglicherweise könnte hieraus eine dauernde Aus- 
kleidung der medialen Wand des Kanales mit Hymenalepithel an 
seiner Mündung resultieren. 


Die Tunica des Gartnerschen Kanals. 


Überall, wo ein Lumen sich dilatiert, werden die umgebenden 
Bindegewebs- oder Muskelzüge in das Gefolge der Konturen, also 
meist in zirkuläre, konzentrische Züge geordnet. Derartige 
Mäntel bedeuten keine Eigenhüllen von Haus aus, sondern sind 
nachträglich der Umgebung entlehnt. Eine nennenswerte Tunica 
im Verlaufe durch Vagina und Hymen besitzt der Wolffsche 
Kanal nur selten und im geringen Maße. Wohl sieht man schon 
gelegentlich bei Feten des dritten Monats eine durch stärkere 


782 Robert Meyer: 


Kernfärbung ausgezeichnete dichte Zellreihe an einzelnen Stellen 
den epithelialen Kanal umspinnen, an anderen hingegen weniger 
oder gar keine eigene Tunica (vgl. Fig. 12, 13, 14 u. 15). 


Ebenso ist es bei älteren Feten; hier ist ebenfalls die 
Tunica meist nur stellenweise vorhanden oder eben angedeutet; 
eine leichte Tunica findet sich z. B. bei einem siebenmonatlichen 
Fetus (Sign. 145). In Figur 12 ist die Tunica dieses Falles 
an der Stelle ihrer stärksten Ausbildung wiedergegeben, sie 
besteht im wesentlichen aus zirkulären Spindelzellen, welche im 
Vergleich zur Umgebung etwas dichter angeordnet sind. Man 
sieht, diese Tunica ist unbedeutend und doch handelt es sich 
hier um einen der wenigen Fälle, in welchem eine beachtens- 
werte Tunica auf grösseren Strecken in der Vagina zu finden war. 


In einem anderen Falle ist sogar ausser einer inneren 
zirkulären noch eine longitudinale Aussenschicht an einzelnen 
Strecken wahrnehmbar, wodurch sich die Tunica als Eigentum 
des Kanals noch besser legitimiert, aber die Regelmässigkeit in 
der Anordnung lässt auch hier zu wünschen übrig und im 
ganzen unteren Bereich der Vagina fehlt dem Kanal die Tunica. 


Man kann also sagen, dass im allgemeinen eine nennens- 
werte Tunica in der Vagina des Kanals fehlt und wo eine solche 
im oberen Teil der Vagina vorhanden ist, sie aus wenigen Lagen 
zirkulärer Spindelzellen mit reichlich faserigem Zwischengewebe 
besteht. — Die Tunica ist gewöhnlich der Weite des Kanals 
angemessen; kleine, wenig umfangreiche Reste haben überhaupt 
keine Tunica. 


Der Gartner als Zeuge der Entwicklung des weib- 
lichen Urogenitalkanales, insbesondere der Vagina. 


Aus meinen Befunden geht ohne weiteres klar hervor, 
dass die Mündungen des Gartnerschen (Wolffschen) Kanales 
ihre ursprüngliche Stelle am Müllerschen Hügel, also neben 
der Ausmündungsstelle der Vagina bewahren: trotzdem im vierten 
Fetalmonate durch das Längenwachstum der Vagina und die 
Umwandlung des Canalis urogenitalis in das Vestibulum der 
Müllersche Hügel beim Weibe als solcher mehr zurücktritt, 
sodass die Mündungsstellen der Urogenitalgänge nicht immer 
bürzelförmig vorspringen, so bleiben doch diese Mündungsstellen 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 185 
(Wolffsche und Müllersche) unmittelbar nebeneinander liegen; 
ebenso wie beim Manne die Mündungen der Ductus ejaculatorii 
und der Utrieulus prostatieus. 

Demnach wird der Müllersche Hügel, trotzdem er nicht 
wie beim Manne bürzelförmig bestehen bleibt, in seinem Zusammen- 
hange erhalten und wird zum Hymen, wie schon v.Mihälkovics 
hervorhebt; wo der Hymen nicht zirkuläre Form hat, sondern 
nur eine semilunare Klappe bildet, da ist die ventrale Partie des 
Müllerschen Hügels zur Bildung des Vestibulum ventral vor 
der Hymenalöffnung verwendet. 

Zugleich geht mit Gewissheit daraus hervor, dass die 
Vagina räumlich betrachtet aus den Müllerschen Kanälen ent- 
stehen muss, sodass alle Hypothesen (noch neuerdings Retterer, 
Bolk) über die Entstehung der unteren Hälfte der Vagina durch 
frontale Aufteilung des Sinus urogenitalis wenigstens für den 
Menschen hinfällig sind. Wenn diese Hypothese richtig wäre, 
so dürften nämlich die Gartnerschen Kanäle nur bis in den 
oberen Teil der Vagina hinabreichen und müssten hier in diese 
einmünden und solchermassen die Grenze zwischen dem aus 
Müllerschem Epithel hervorgegangenen oberen und dem aus 
dem Sinus urogenitalis entstandenen unteren Vaginalabschnitte 
markieren. 

Einzelne Literaturangaben über vaginale Ausmündung der 
(Gartnerschen Gänge (es findet sich eine Zusammenstellung 
der Literatur bei Polidor, Des canaux de Gartner etc. These. 
Bordeaux 1901) beruhen auf klinischen Beobachtungen und sind 
sämtlich gänzlich unbrauchbar. Immerhin wäre eine sekundäre 
Kommunikation eystisch dilatierter Gartnerscher Kanäle durch 
Perforation in das Lumen des Uterovaginalkanals nicht unmöglich. 
Nur bei Hemmungsbildungen verbleibt gelegentlich die Ein- 
mündung der Vagina in den Sinus urogenitalis. In einem solchen 
Falle (Zeitschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 47, Heft 3) fehlte der Hymen, 
und die Gartnerschen Kanäle verliefen aus dem Uterus durch 
die Vagina ununterbrochen bis zur Stelle der vaginalen Ein- 
mündung in den Sinus. Der eine Gartner endete blind, der 
andere mündete unmittelbar neben dem Rande der schlitzförmigen 
Vaginalöffnung. 

In diesem Falle fehlte nur ein kleiner Abschnitt von der 


normalen Länge der Vagina. — Die Gartnerschen (Wolffschen) 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 51 


754 Robert Meyer: 


Kanäle münden also unter allen Umständen und zu allen Zeiten, 
wenn nicht etwa pathologische Gewebsverschiebungen ietwa Ent- 
zündungen) vorkommen, neben der Vagina, normalerweise an 
oder seltener neben dem Hymen. — Die Mündungsstelle des 
(sartner ist die gegebene Marke, die normale Entwicklung der 
Vagina in ihrer ganzen Länge aus den Müllerschen Gängen 
völlig sicher zu stellen und deshalb wäre es von Werte, von 
diesem (Gesichtspunkte aus vergleichende Untersuchungen bei 
Tieren vorzunehmen. Freilich darf man nicht die paraurethralen 
Gänge (Skene) oder Abnormitäten der Ureteren heranziehen, 
sondern muss Fälle ausfindig machen, in denen wie bei unseren 
Fällen die Kanäle zum Teil mindestens von der Ampulle aus 
verfolgt werden können. Nochmals sei hervorgehoben, dass ich 
ebenso wie v. Ackeren und Klein die paraurethralen Kanäle 
stets absolut unabhängig von den Gartnerschen Kanälen traf. 
Die Mündung der sogenannten Skeneschen Gänge erfolgt bei 
Feten meist in dem unteren Teil der Harnröhre, bei Erwachsenen 
auch neben der Urethralmündung; die gleichzeitige Verfolgung 
dieser beiden verschiedenen Kanalsysteme (Gartner und Skene) 
in völliger Unabhängigkeit voneinander auf Serienschnitten macht 
jede Spekulation überflüssig. — Das unterste Ende der weiblichen 
Urethra, hinter welcher Vagina und Gartner münden, also das 
Orificum urethrae entspricht offensichtlich der Stelle, an welcher 
oder hinter welcher die Genitalkanäle in den Oanalis oder Sinus 
urogenitalis ursprünglich münden. Der Sinus urogenitalis weitet 
sich also, wie das allgemein angenommen wird, zum Vestibulum 
auf und zwar aufwärts bis zur Stelle, wo die Genitalkanäle und 
die Urethra einmünden; die Umgebung der weiblichen Urethral- 
mündung und der untere Teil der weiblichen Urethra selbst 
entspricht also topographisch vollkommen der pars prostatica 
der männlichen Urethra, sodass die Homologie der peri- und 
paraurethralen Kanäle mit der Prostata topographisch völlig 
begründet ist. Die Länge der weiblichen prostatischen Kanäle 
ebenso wie die Länge der weiblichen Ductus ejaculatorii (des 
Gartner) im Vergleich mit den homologen Teilen des Mannes 
erklärt sich durch das stärkere kaudale Längenwachstum des 
weiblichen Urogenitalsystems (Vagina, Urethra prostatica). 

An anderer Stelle (Vers. Deut. Naturf. und Ärzte zu Cöln 
1908) habe ich demonstriert, dass bei beiden Geschlechtern zwar 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 785 


in gleicher Weise die Müllerschen Kanäle zu allen Zeiten der 
Entwicklung zwischen den Wolffschen Kanälen ausmünden, 
sodass wie beim Weibe die Vagina, so auch beim Manne der 
Utrieulus prostaticus dem Raume nach aus den Müllerschen 
Kanälen entstehen muss. Dennoch besteht ein bedeutsamer 
Unterschied zwischen beiden Geschlechtern, insofern beim männ- 
lichen das den Müllerschen Hügel bekleidende Epithel des 
Canalis urogenitalis in den Utriculus eindringt und besonders 
dessen kaudalen Teil mit zylindrischem Epithel überzieht und 
später typische prostatische Drüsen darin bildet, sodass der 
Utriculus prostaticus nur räumlich seiner ganzen Länge nach 
aus den Müllerschen Kanälen entsteht. Beim weiblichen Ge- 
schlechte habe ich eine derartige Auskleidung der Vagina mit 
prostatischem) Epithel des Canalis urogenitalis zu keiner Zeit 
der Entwicklung angetroffen und kann daher die Entwicklung der 
Vagina nicht nur räumlich, wie oben gezeigt, sondern auch dem 
Material, insbesondere dem Fpithel nach nur aus den Müller- 
schen Kanälen beim Menschen ableiten. 


Es geht überdies, nebenbei bemerkt, aus einigen Fällen 
von rudimentärer Vagina, in welchen der eine von den beiden 
Müllerschen Gängen oder beide den Canalis urogenitalis über- 
haupt nicht erreichen, mit Sicherheit hervor, dass das Müllersche 
Epithel sich in das vaginale Plattenepithel umwandelt. 


Allgemeine Bemerkungen über Persistenz. 


Viel auffälliger als die Länge der Paraurethralgänge, ist der 
nicht seltene Befund, dass die Gartnerschen Kanäle das kolossale 
Längenwachstum der Vagina mitmachen. Dieses korrelative Mit- 
wachsen der meist rudimentären Reste des Gartner hat Kocks 
als gesetzmässig hinstellen wollen, indem er von der falschen 
Voraussetzung ausging, dass die Skeneschen Kanäle die Über- 
reste der Wolffschen Kanäle seien. Das korrelative Wachstum 
ist aber etwas Selbstverständliches für die physiologisch mit- 
wachsenden Teile, und daher für die weibliche Prostata nichts 
anderes, als für die Urethra selbst. Dagegen ist das korrelative 
Längenwachstum der weiblichen Ductus ejaculatorii nicht gesetz- 
mässig, sondern wie die Zahl der Befunde lehrt, eine Ausnahme 


und es erweckt den Anschein, als ob gerade das starke Längen- 
51* 


786 Robert Meyer: 


wachstum des Genitalkanals im allgemeinen eine ausgedehnte 
Persistenz verhinderte. Es wäre das ja auch nicht mehr als 
natürlich, wenn man voraussetzt, dass die zur funktionellen 
Untätigkeit verurteilten fetalen Organreste von Haus aus eine 
gewisse Wachstumsschwäche haben. Tatsächlich kommt beim 
Manne die Persistenz von Resten des Müllerschen Ganges meist 
nur im kranialen und kaudalen Teile vor (Morgagnis ungestielte 
Hydatide und Utriculus prostaticus), während der dazwischen 
liegende Teil längs der Vasa deferentia verschwindet. Dieser 
Teil des Wolffschen Ganges macht ein sehr starkes, Längen- 
wachstum durch, während das Fimbrienende der Tube beim 
Manne weniger gedehnt wird und der Utriculus prostaticus 
(Vagina masculina) im Vergleich zur weiblichen Vagina sehr 
kurz bleibt. 

Auch beim Weibe finden sich Prädilektionsstellen für die 
persistenten Reste des Gartner, nämlich in erster Linie am 
Epoophoron, sodann die Ampulle und schliesslich die Reste im 
untersten Teile der Vagina und im Hymen. Für die Persistenz 
des Ductus Epoophori und für die der Ampulle käme in Betracht, 
dass diese Teile entsprechend ihrer wichtigeren funktionellen 
Inanspruchnahme in der Palingenese eine grössere Wachstums- 
begabung bewahren. Warum jedoch der kaudalste Teil der 
Wolffschen Gänge leichter persistiert, als der Teil im mittleren 
Vaginalabschnitt oder der im Parametrium gelegene, das ist 
schwer zu entscheiden. Vielleicht ist das stärkere Längenwachs- 
tum für den Schwund der Kanäle in den beiden letztgenannten 
Abschnitten massgebend. 

Jedenfalls scheint mir von den beiden genannten Momenten 
von grösserer Bedeutung für die Persistenz der fetalen Organ- 
reste die grössere funktionelle Bedeutung der einzelnen homologen 
Teile beim Manne. Das Längenwachstum dagegen fördert nicht 
auf korrelativem Wege, sondern hemmt eher die Persistenz der 
fetalen Organreste. 

Einzelne Autoren (Herbst u. a.) nehmen an, dass die Keim- 
drüse die Entwicklung der heterosexuellen Geschlechtsanlagen 
hemme: man könnte demnach glauben, dass in Fällen mit stärkerer 
Persistenz des Gartner diese Hemmung versagt habe. In den 
von mir untersuchten Fällen waren jedoch die Ovarien völlig 
normal ausgebildet. — Die auffällige Tatsache, dass bei rudimen- 


— 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 


tären Genitalien, insbesondere bei Uterus unicornis, der Gartner 
besonders hohe Grade der Ausbildung erreicht, lässt sich auch 
nicht ohne weiteres auf Perversion der Sexualdrüsen beziehen, 
da die hochgradige Persistenz auch bei normalen Genitalien und 
auch bei anderen Missbildungen vorkommt und mit vielen Ab- 
normitäten auch aussersexueller Organe oft verbunden ist. 

Mir scheinen vielmehr allgemeinere Einflüsse den Reiz zur 
Persistenz der fetalen Organreste abzugeben, weil ich zugleich 
mit der grösseren Organpersistenz bei beiden Geschlechtern häufig 
eine starke, manchmal ungewöhnlich starke Ausbildung aller 
accessorischen Geschlechtsdrüsen vergesellschaftet finde. Ob hier 
nun Variationen im Keime bedingt sind, vielleicht unter Sum- 
mierung gleichartiger ererbter Potenzen beider Eltern, oder ob 
hier auch besondere Stoffwechselprodukte (wie Halban für die 
Prostata meint) bei der plazentaren Ernährung mitwirken, kann 
nicht näher erörtert werden. 


Abnormitäten und Pathologie des Gartner. 


Unter den Abnormitäten des Wolffschen Kanals kann man 
hauptsächlich nur von denen der Gestalt und des Verlaufs sprechen, 
denn die Abnormitäten des Baues, insbesondere die starke Viel- 
schichtigkeit des Epithels gehen derartig schrittweise von Fall 
zu Fall, dass man eine Grenze des Normalen kaum angeben kann. 
Wichtig für die Pathologie ist zu wissen, dass vielschichtiges 
Epithel, ja auch Plattenepithel in Resten des Kanals in der 
Vagina bei Erwachsenen vorkommt. Einen derartigen Fall mit 
sehr wechselndem Epithel hat Vassmer beschrieben und ich 
selbst besitze einen Fall, in welchem unbedeutende Reste des 
Kanals zum Teil einschichtiges Epithel, an anderen Stellen ge- 
schichtetes Plattenepithel zeigen in einer Vagina, welche von der 
Portio aus durch Careinom stark zerstört ist. Auch habe ich 
eme ÜOyste der vaginalen Vorderwand mit einschichtigem Epithel 
gesehen, welches stellenweise in mehrschichtige Plattenepithel- 
haufen übergeht. : Ob hier eine Cyste des Gartner vorliegt, lässt 
sich nicht genau sagen. | 
| Die Abnormitäten des Verlaufes können primäre und 
sekundäre sein; einen Fall habe ich früher beschrieben, welcher 
besonderes Interesse zu entwicklungsgeschichtlicher und in 


788 Robert Meyer: 


Ä 


klinischer Beziehung verdient. Es handelt sich um einen höchst- 
wahrscheinlich von vornherein blind endigenden Wolffschen 
Kanal, welcher also die Kloake vermutlich nicht ganz erreicht 
hat. Infolgedessen blieb die Uretermündung am Woltffschen 
Kanal, sodass dieser durch die Nierensekretion in Vaginal- und 
Uteruswand in eine Cyste verwandelt wurde. Im unteren Teil 
verläuft dieser eystische W olffsche Kanal in der vorderen Vaginal- 
wand und es ist anzunehmen, dass zwischen den beiden Wolff- 
schen Kanälen nicht genügend Raum zur Mündung beider 
Müllerscher Kanäle übrig blieb. ') Das abnorm enge Zusammen- 
liegen der beiden Wolffschen Mündungen habe ich einmal bei 
einem Fetus von 30 mm Länge gesehen, sodass die Müllerschen 
Gänge sich weiter nach hinten bequemen mussten; in solchen 
Fällen kann also ausnahmsweise der Gartner aus der Vaginal- 
wand in gestreckter Richtung mehr vorn in den Hymen münden, 
ohne ihn erst in dorsoventraler Richtung zu durchziehen. 

In einem Falle von Uterus unicornis mit rudimentärem 
Nebenhorn (Sign. H. R.) zieht der linke Wolffsche Gang in der 
Seitenwand der Vagina oben allmählich weiter nach vorn und 
schliesslich ganz in die Vorderwand, der rechte Wolffsche Kanal 
aber zieht bereits aus der Portiovorderwand in die vaginale Vorder- 
wand, sodass beide Kanäle schliesslich kaum 1 mm Distanz 
haben. Diese abnorme Nachbarschaft kann nur primär sein, 
und wenn beim ausgetragenen Kind die Distanz kaum 1 mm 
beträgt, so wird im zweiten Fetalmonat gewiss kein Zwischen- 
raum für die Müllerschen Kanäle übrig geblieben sein. 

Als eine sekundäre Verlaufsstörung wäre eine Kommunikation 
der Wolffschen Kanäle mit dem Uterus oder Scheidenlumen 
anzusehen; bei einem Fetus von 19 cm (Sign. 154) liegt das 
Epithel eines Wolffschen Kanals an einer Stelle dem Scheiden- 
epithel unmittelbar an, sodass eine Kommunikation, wenn sie noch 
nicht bestanden hat, vielleicht später eingetreten sein würde. Über 
und unter dieser Stelle verläuft der Kanal in der normalen Ent- 
fernung vom Vaginallumen. 

v. Reeklinghausen erwähnt bekanntlich auch eine Ein- 
mündung des Gartner in die Cervix uteri. — Die klinische 


') Einen ähnlichen Fall hat früher schon Tan gl] bei einer Erwachsenen 
beschrieben und kürzlich fand ich bei einem männlichen Fetus im dritten 
Monat das gleiche. 


rr = a Y -Q 
Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges 139 


Diagnose solcher Fälle ist, wie oben erwähnt, ohne anatomische 
Bestätigung wertlos; jedoch liesse sich sehr wohl das Fehlen 
der Einmündung eines Ureters in die Blase nachweisen und 
daraus eventuell die Einmündung des Ureters in einen cystischen 
Wolffschen Gang erschliessen, der vielleicht auch in die Vagina 
perforieren kann. 

Eine besondere Bedeutung, ausser die der Üystenbildung. 
scheint der Gartner in der Vagina und dem Hymen nicht zu 
haben für die Pathologie dieser Organe. Die Vielschichtigkeit 
des Epithels könnte bei Erwachsenen zur Diagnose auf eine 
maligne Neubildung führen: so berichtet Leisewitz (Zeitschr. 
f. Geb. u. Gyn., Bd. 53) über einen Gartnerschen Gang im 
„paravaginalen Gewebe“ mit drüsigen Verästelungen und 
vielschichtigem Epithel. Der Uterus wurde daraufhin exstirpiert. 
Eine im hinteren Scheidengewölbe befindliche Oyste rechnet er 
wohl nicht mit Recht zum Gartner. 

Kanäle, Cysten usw. im paravaginalen Gewebe werden 
zuweilen mit Unrecht auf den Gartner zurückgeführt. Die 
Gartnerschen Kanäle verlaufen stets in der Vaginalwand selbst, 
wie oben geschildert, niemals im paravaginalen (Gewebe. 

Careinom könnte allenfalls im obersten Teil der Scheide 
und im Vaginalgewölbe aus den Verzweigungen der Ampulle 
entstehen. In einem der beiden von mir beschriebenen Carcinom- 
fälle des Gartner in der Üervix war der Gartner auch im 
obersten Teil der Scheide adenomatös gewuchert (siehe Fig. 18), 
worauf ich hier nicht näher eingehen werde. 


790 


Robert Meycr: 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXIX u. XXX. 


Fie. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


ie. 1B. 


Ampulle des Gartnerschen L.p. — Laguear posterius vaginae 


Ganges M.G.= Müllersche Gänge 
Gervix uteri P. = Parametrium 
Clitoris Par. — Paraurethrale Gänge 
Canalis urogenitalis U — Urethra 

Drüsen der Ampulle Ver r— Vagina 
Gartnerscher Gang, G.d. Va. = Vaginalepithel 

und G. s. — rechter und Ve. = Vestibularepithel 
linker Gartner W.G.= Wolffsche Gänge 
Hymenales Bindegewebe d. — dorsal 

Hymenales Epithel V. — ventral 

Laquear anterius vaginae Gl.B.—= Bartholinsche Drüse. 


Schematischer Frontalschnitt durch Uterus und Vagina. Der 
Gartnersche Kanal als punktierte Linie gezeichnet im normalen 
Verlauf vom Epoophoron durch das Ligamentum latum, Parametrium 
in den Uterus zirka in Höhe des inneren Muttermundes mit einer 
ampullareren Erweiterung in der Cervix, von dort durch das seit- 
liche Laquear vaginae in der Vaginalwand bis in den Hymen. 
Sehr seltener Verlauf des Gartnerschen Kanales durch Corpus 
uteri einer Erwachsenen, mit einer seitlichen Abzweigung in 
das Parametrium. 

Schematischer Sagittalschnitt durch Portio vaginalis uteri, Vagina 
und Hymen. Die punktierte Linie deutet den Verlauf des Gartner- 
schen Ganges an. Die Ampulle reicht bis in den obersten Teil der 
Vagina. Der Kanal verläuft abwärts in der Mitte der Seitenwand: 
erst kaudal tritt er mehr dorsal in den Hymen. 


(Querschnitt durch oberes Drittel der Vagina vom zirka sieben- 
monatlichen Fetus. Linker Gartner mit einschichtigem, rechter 
Gartner mit mehrschichtigem Epithel. Leitz 1*, Ok. 0. 


Querschnitt durch untere Hälfte der Vagina von einem acht- 
monatlichen Fetus. Urethra mit drei paraurethralen Gängen 
im Querschnitt. Gartnerscher Kanal rechts und links. Zeichen- 
camera. zirka 12 fach vergrössert. 


Schrägschnitt durch den kaudalen dorsalen Teil der Vagina und 
ventralen Teil des Hymen und Vestibulum (praehymenale). Gartner 
weit dorsal in der Vagina kurz vor seinem Eintritt in den Hymen 
bei einem Fetus von acht Monaten. Zeichencamera, zirka 
12fach vergrössert. 

Schrägschnitt durch untersten Teil der Vagina, vordere und seit- 
liche Teile des Hymens und des Vestibulum. Der linke Gartnersche 
Kanal, der Länge nach in einem Schnitte getroffen, durchzieht den 
Hymen dorsoventralwärts und mündet am freien Hymenalrande. 


Fig. 


Fig. 


Fig. 


Fie. 


Fig. 


10. 


iljk: 


1. 


ig. 14. 


16. 


Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. nal 


Das vestibulare Epithel des äusseren Hymenalblattes senkt sich 
etwas trichterförmig an der Mündung des Gartner ein: von einer 
Neugeborenen. Leitz, Lupe 1, Zeichenokular. 

Schnitt durch Müllerschen Hügel, Mündung der weit auseinander- 
liegenden Wolffschen Gänge in den Canalis urogenitalis, und 
kaudalen Teil der noch nicht völlig vereinigten Müllerschen Gänge. 
Die laterale Wand der Wolffschen Gänge hat auch beim Passieren 
durch das Epithel des Canalis urogenitalis deutlich eigenes Epithel, 
während an der medialen Wand des Kanales der Übergang des 
Epithels auf das des Müllerschen Hügels allmählicher und weniger 
deutlich ist. Fetus 30 mm grösster Länge (233, 43). Leitz 5, Ok. 1. 
Schnitt durch Müllerschen Hügel, kaudales blindes Ende der 
Müllerschen Gänge, dicht nebeneinanderliegende Mündungen der 
Wolffschen Gänge in den Canalis urogenitalis. Das Epithel der 
Wolffschen Gänge setzt sich lateral scharf durch das Epithel des 
Canalis urogenitalis bis zur Mündung durch, während medial der 
Übergang auf das Epithel des Müllerschen Hügels weniger deutlich 
ist. Fetus von 29 mm grösster Länge (247, 34). Leitz 5, Ok. 1. 


Querschnitt durch die Cervix uteri am Übergang zur Portio vaginalis 
und zum Scheidengewölbe. Der Gartnersche Kanal noch am- 
pullarer erweitert, zieht aus der Cervix in die Scheide. Fetus von 
sieben Monaten. Leitz, Lupe 1, Zeichenokular. 

Querschnitt durch Ampulle und Verzweigungen des Gartnerschen 
Ganges im obersten Teil der Vaginalwand von einer Neugeborenen. 
Zeiss, A.-A., Ok. 3. 

Flachschnitt durch Vulva, schief durch Introitus Vaginae, Hymen 
und Vestibulum, Bartholinsche Drüsen, Glans clitoridis. Rechter 
Gartnerscher Gang im Hymen mündet an dessen freiem Rande 
vorne. Fetus 4'!/» Monat (149, 16). Leitz, Lupe 1, Zeichenokular. 


Querschnitt durch Gartnerschen Kanal im mittleren Teile der 
Vagina mit normalem Epithel und besonders starker eigener Tunica. 
Fetus von sieben Monaten. Leitz, Obj. 6, Ok. 1. 


Querschnitt durch Gartnerschen Kanal in der unteren Hälfte der 
Vagina mit stellenweise mehrschichtigem zylindrischen Epithel von 
einer Neugeborenen. Zeiss, A.-A., Ok. 3. 


Querschnitt durch Gartnerschen Gang im oberen Teil der Vaginal- 
wand, basales flaches Epithel nur streckenweise, darüber mehrere 
Reihen kubischer und zylindrischer Zellen. Fetus von 4!/» Monat. 
Leitz 6, Ok. 1. 

Querschnitt durch Gartnerschen Gang mit ungewöhnlich starker 
ureterähnlicher Epithelschichtung aus dem oberen Teil der Vaginal- 
wand. Fetus von sieben Monaten. Zeiss, C., OR. 2. 
Längsschnitt durch die Ausmündung des Gartner im Hymen; das 
Epithel des Gartnerschen Ganges teilweise in Abstossung begriffen 


792 Robert Meyer: Zur Kenntnis des Gartnerschen Ganges. 


durchzieht in Gestalt flacher Zellen das Hymenalepithel. Innerhalb 
des hymenalen Bindegewebes ist das Epithel des Gartnerschen 
Kanales einschichtig zylindrisch.h Aus der Vulva einer Neu- 
geborenen. Zeiss, A.-A., Ok. 4. 


Fig. 17. Querschnitt etwas schräg durch den Gartnerschen Kanal dicht 
vor seiner Mündung; an der Berührungsstelle mit dem Platten- 
epithel des Hymen wird das Epithel des Gartner niedrig und ist 
zum Teil abgestossen; das Epithel des Gartner ist an der freien 
Seite abwechselnd ein- und mehrschichtig zylindrisch. Fetus von 
knapp sieben Monaten. Zeiss, D., Ok. 1. 


Fig. 15. Adenomatöse Hyperplasie des Gartner mit eigener Tunica im 
obersten Teile der Vaginalwand einer Erwachsenen (bei Carcinom 
des Gartner in der Cervix uteri). Querschnitt durch Vagina der 
Erwachsenen. Leitz 1*, Ok.3. 


795 


Aus dem anatomischen Institut in Strassburg. 


Zur Morphologie und morphologischen Stellung 
der ungranulierten Leucocyten — Lymphocyten — 


des Blutes und der Lymphe. 
VI. Fortsetzung der „Studien über das Blut und die blutbildenden 
und =zerstörenden Organe‘. 
Von 
Franz Weidenreich. 


Hierzu Tafel XXXI-XXXII. 


Inhaltsverzeichnis: 


Seite 
Einleitung . .... Er oa: free a a 7 
ee eansemechodenl a a le 
A. Literatur und Kritik. 
I. Ältere Angaben über Lymphzellen und die Entstehung 
des Lymphocytenbegriffes . . . . ATI. Blarc 
Il. Begriff der „Grossen mononukleären Dencaerteit ul der 
Übersee en ORT Ä .. 8083 
III. Besondere morphologische Charakters der here 
Leucocyten AIRRE 3 ES) 
B. Morphologie der ernlierten Ienealgken _ sten — 
des Blutes und der Lymphe. 
1:.iDie. Zellen, des. Blutes sd BF: Meer Irre, 
II. Die Zellen der Lymphe . . . 8325 
III. Vergleich der Blut- und Ly tagkeellen Bad re enden 
der Kleinen und grossen Formen zueinander. . . . .. 827 
C. Morphologische Bewertung und Ableitung der Lymphocyten. 
I. Die sogenannten „Grossen Lymphocyten® . . ......80 
Il: Die Bedeutung der grossen Lymphocytenformen . . . . 833 
III. Die freien Zellen der serösen Höhlen . . . . 543 
IV. Die Lymphocyten des Bindegewebes und die Elssmezellen 348 
V. Zusammenfassung . . . BEN FORTE LER RR ARTE 


D. Die Beziehungen der ahocyten zueinander und zu den 
granulierten Leucocyten. 
I. Die Beziehungen der Lymphocyten zueinander . . . . . 859 
II. Umwandlung der Lymphocyten in granulierte Leucocyten S61 
III. Undifferenzierte Knochenmarkszellen und Lymphocyten . 863 


IV.-Örtliche Differenzierung .... .. v2. Enn Nas 
V.OntogenetischerBetrachtungen 2 a 
Biteraturverzeichnis HU MH. MM NASSEN RER ER NERG 


Kiourenerklär mer nalen Yes: aba al IR EN ET 


794 Franz Weidenreich: 


Vor kurzem habe ich an dieser Stelle eine Abhandlung (86) 
veröffentlicht, in der ich mich mit den eranulierten Leucocyten 
des Blutes beschäftigte. Welche Zellformen unter diesem Namen 
zu verstehen sind, kann keinen Augenblick zweifelhaft sein. Sehr 
viel schwieriger ist es dagegen, wenn man sich über die anderen 
farblosen Elemente des Blutes verständigen will, für die leider 
nicht einmal mehr eine klare und unzweideutige Benennung in 
Anspruch genommen werden kann. Eine grössere Verwirrung, 
als sie zurzeit auf diesem (Gebiete der Hämatologie allein in 
Fragen der Nomenklatur herrscht, ist sonst in der Biologie kaum 
vorhanden; einen bestimmten Namen anzuwenden, ist fast un- 
möglich, weil nahezu jeder unter einem solchen Namen etwas 
anderes verstanden wissen will, so dass hier tatsächlich der selt- 
same Fall vorliegt, dass ein Name nicht das Objekt benennt und 
seine Unterscheidung ermöglicht, sondern gerade umgekehrt zur 
Verwischung des Begriffes beiträgt. Geht man den Gründen 
dieser Erscheinung nach, so findet man, dass die Schuld auf Seiten 
der „Hämatologen“ oder wenigstens mancher Hämatologen liegt, 
die mit dem Namen nicht rein morphologische Begriffe verbunden 
haben, sondern auch ganz bestimmte genetische und besonders 
auch pathologisch- anatomische Vorstellungen damit verknüpften, 
die sich aber wieder kaum bei zwei Autoren unter der recht 
beträchtlichen Zahl vollständig deckten. Dabei sind sehr viele 
dieser Benennungen oft so kompliziert. dass es selbst für den 
mit der Sache einigermassen Vertrauten schwer hält, eine klare 
Vorstellung von der bezeichneten Zellform zu gewinnen. Zellen, 
die z. B. der eine Autor als „Iymphoide Leucocyten“ bezeichnet, 


nennt der andere „leucocytoide Lymphocyten“ und versteht unter 


jenem Namen wieder eine ganz andere Zellform. Da gibt es 
Proto-, Pseudo- und Metalymphocyten, Mikro- und Makrolympho- 
cyten, grosse Lymphocyten und Grossiymphocyten, myeloide 
Lymphoblasten und Iymphoide Myeloblasten, Lymphoidocyten, 
Leucolymphocyten und Lympholeucocyten, und zu diesen Haupt- 
wörtern kommt womöglich noch eine Reihe von näher beschrei- 
benden Adjektiven, bis wir zum „myeloiden schmalleibigen 
myeloblastischen Iymphoiden Myelocyten“ gelangen. Abhand- 
lungen, in denen mit solchen Begriffen gearbeitet wird, erwecken 
dadurch bei dem Fernerstehenden den Eindruck, als handle es 
sich hier um eine besonders schwierige Geheimwissenschaft. 


Die ungranulierten Leucocyten. 195 


Wer unbefangen an die Untersuchung der ungranulierten 
Elemente des Blutes herantritt, befindet sich aus diesen Gründen 
in einer schwierigen Lage: neue Benennungen anzuwenden, hiesse 
die Konfusion nur vergrössern, ganz abgesehen davon, dass es 
bei der Reichhaltigkeit der schon bestehenden Ausdrücke schwer 
fallen dürfte, in einer der üblichen Sprachen neue Bezeichnungen 
ausfindig zu machen. Ich kehre deswegen zu der Einteilung der 
alten Anatomen zurück und fasse alle die farblosen Zellen des 
Blutes, die nicht durch eine deutliche Granulation ausgezeichnet 
sind, zunächst einmal unter dem Namen der ungranulierten Leuco- 
eyten zusammen; allerdings ergibt sich auch da eine Schwierig- 
keit, insofern nämlich in den letzten Jahren von verschiedenen 
Seiten auch in den Zellen, die man früher als ungranuliert ansah, 
verschiedene Körnelungen nachgewiesen wurden, über deren Be- 
deutung im Laufe dieser Abhandlung noch zu sprechen sein wird. 
Hierbei handelt es sich aber doch um eine Granulierung, die in 
wesentlichen Punkten von der der allgemein als granuliert be- 
zeichneten Leucoeyten abweicht und die vor allem an der leben- 
den Zelle nicht ohne weiteres sichtbar ist. Daher dürfte die von 
mir angewandte vorläufige Benennung doch gerechtfertigt sein. 

Es ist eigentlich selbstverständlich. dass sich eine Unter- 
suchung der ungranulierten Zellelemente des Blutes nicht auf 
das Blut allein beschränken darf und kann, sondern auch die 
Lymphe, eine der Hauptquellen dieser Formen, und weiterhin 
auch die Iymphoiden Organe heranziehen muss. Ferner sind die 
zelligen Elemente der mit den Lymphbahnen in engem Zusammen- 
hang stehenden serösen Höhlen zu berücksichtigen, Objekte, die 
bisher stark vernachlässigt wurden. Auf alle diese Zellen habe 
ich meine Untersuchung ausgedehnt und werde sie in dieser 
Abhandlung näher schildern, nur die Zellen der serösen Höhlen 
bleiben noch einer spezielleren Betrachtung vorbehalten, die von 
meinem Schüler. Herrn cand. med. Schott, in einem der nächsten 
Hefte dieser Zeitschrift gegeben werden wird: ich werde aber 
einstweilen schon auf diese Arbeit wiederholt verweisen müssen. 


Untersuchungsmethoden. 


Zur Darstellung der freien zelligen Elemente des Blutes. 
der Lymphe und der serösen Höhlen bediente ich mich vor allem 
der in der vorhergehenden Abhandlung (86) geschilderten Agar- 


796 Franz Weidenreich: 


Methode mit nachfolgender Giemsa-Färbung, auch fand die 
Osmium- und Formoldampffixation (82) Anwendung, ebenso zu 
Kontrollzwecken die üblichen Trockenmethoden und Blutfärbungen. 


Die Gewinnung der Lymphe geschah in der Weise, dass 
entweder beim lebenden Tiere der Ductus thoracieus an der Ein- 
mündungsstelle in den Venenwinkel freigelegt und die Flüssigkeit 
mit einer feinen in das Lymphgefäss eingestochenen Glaskapillare 
aufgesogen wurde, oder aber durch Aufsuchen des Duetus thora- 
cicus im oberen Teile des Mediastinums beim frisch getöteten 
Tiere. Das letztere Verfahren ist einfacher und gelingt auch 
leicht bei kleineren Tiergattungen; nur hat man darauf zu achten, 
dass beim Öffnen der linken Pleurahöhle kein grösseres Gefäss 
verletzt wird. Die linke Lunge wird nach der rechten Seite ge- 
wälzt und etwa eingedrungenes Blut sorgfältig mit kleinen Watte- 
bäuschen aufgetupft. Der Ductus thoracicus ıst dann im mittleren 
und oberen Teile des Mediastinums als weisslicher Strang leicht 
kenntlich: mit einer eingestochenen Glaskapillare kann die Lymphe 
in grossen Mengen rein und ohne Schwierigkeit gewonnen werden. 


Die Zellen der serösen Höhlen sind gleichfalls durch Ent- 
nahme der Flüssigkeit mit Glaskapillaren unschwer zu erhalten. 
Will man das Tier am Leben lassen, so sticht man, bei Ent- 
nahme aus der Bauchhöhle, unter Befolgung streng aseptischer 
Kautelen erst mit einer starken Injektionsnadel vor und führt 
durch die so geschaffene Öffnung die Glaskapillare ein; die Wunde 
schliesst man mit Jodoform-Kollodium. Die Pleural- und Peri- 
kardialflüssigkeit kann in der gleichen Weise gewonnen werden ; 
sicherer ist es hier aber, das Tier zu töten und die entsprechen- 
dien Höhlen vorsichtig freizulegen. 


Die Iymphoiden Gebilde des Netzes wurden im normalen 
und im künstlich entzündeten Zustande in der Weise untersucht, 
dass die Netzteile nach der Maximowschen Methode (39) auf 
die abgeschnittenen Hälse eines Reagensglases aufgespannt und 
in absolutem Alkohol fixiert wurden; die Färbung dieser Flächen- 
präparate geschah je nach dem Zwecke mit der Giemsaschen 
Lösung oder mit anderen Farben. Lymphdrüsen, Milz, Blutlymph- 
drüsen und Knochenmark wurden in Zenkerscher Flüssigkeit 
oder in Sublimat-Formolgemischen fixiert und die Schnitte mit 
Hämalaun, Orange und Rubin-S oder mit Triacidlösungen gefärbt. 


Die ungranulierten Leucocyten. et 

Von spezielleren Darstellungsmethoden sei hier nur noch 

die vitale Färbung hervorgehoben, die ich nach den Angaben von 

Rosin und Biebergeil (59) mit sehr gutem Erfolg ausführte; 

vor allem fand ich in der vitalen Färbung mit Methylviolett ein 
‚ausgezeichnetes Mittel zum Nachweis der Nukleolen. 


A. Literatur und Kritik. 


I. Ältere Angaben über Lymphzellen und die Ent- 
stehung des Lymphocvytenbegriffs. 


In älteren anatomischen Abhandlungen oder Lehrbüchern 
werden nach dem Vorgange von Wharton Jones (32) im 
strömenden Blute die fein- und grobgekörnten Leucocyten zu- 
nächst von den ungranulierten unterschieden. Die letzteren werden 
wieder in weitere Formen getrennt, und zwar einfach in kleinere 
und grössere Elemente. So beschreibt M. Schultze (71) kleinste 
Formen, deren Grösse die der roten Blutkörperchen nicht erreicht, 
oft sogar ansehnlich geringer bleibt: „Es sind kugelige Zellen 
mit sehr zarter äusserer Begrenzung ..... mit einem grossen, 
kugeligen Kern, umgeben von einer sehr geringen Menge von 
Protoplasma: die kleinsten dieser Körperchen besitzen einen Durch- 
messer von 5 «. Im Protoplasma fehlen einzelne erkennbare 
Körnchen meist, es ist nur eine leichte Trübung, die eine An- 
deutung von körniger Beschaffenheit gibt. Diesen Formen reihen 
sich grössere an, die den Durchmesser der gewöhnlichen farbigen 
Körperchen besitzen oder noch etwas unter denselben bleiben: ihr 
Protoplasma ist in ansehnlicherer Menge vorhanden“. Koelliker (33) 
gibt an, dass die farblosen Blutkörperchen aus dem Chylus stammen, 
sie können daher auch Chylus- oder Lymphkörperchen des Blutes 
heissen; sie sind zum Teil einkernig und stimmen mit den 
kleinen zelligen Elementen des Chylus vollkommen überein etc. 
Ranvier (54) fasst sich in der Frage der Säugerleucocyten sehr 
kurz und erklärt einfach: „Les globules blanes sont absolument 
semblables par leur aspect et leurs proprietes aux cellules Iympha- 
tiques.“ Auch Toldt (74) äussert sich in gleichem Sinne: „Die 
tarblosen Blutzellen unterscheiden sich nach ihren morphologischen 
Charakteren in nichts von den Lymphzellen und sind offenbar 
mit ihnen identisch, da sich ja die Lymphe samt ihren geformten 
Bestandteilen in den venösen Blutstrom ergiesst“. 


798 Franz Weidenreich: 


Hier wird also allgemein auf die Identität zwischen den 
farblosen Blutkörperchen und den Zellen des Chylus oder der 
Lymphe hingewiesen. Die zelligen Elemente dieser Flüssigkeit 
werden dann aber ausführlicher geschildert. Koelliker (33) 
sagt: Die Chylus- oder Lymphkörperchen sind runde blasse Zellen 
von der Grösse von 5,6—12 u, die einen meist nur undeutlich 
durchscheinenden, gleichartigen, leicht glänzenden runden Kern 
enthalten; die Grösse der Zellen sei nach den Orten verschieden, 
in den Anfängen der Chylusgefässe sind die Elemente meist klein 
(4,5—6,8 «), das Protoplasma die kleinen Kerne oft eng umgebend: 
nach dem Passieren der Mesenterialdrüsen sind die Zellen zahl- 
reicher und grösser, so dass sich in den grösseren Lymphstämmen 
neben den kleineren Formen auch viele grössere (bis zu 12 «) 
finden. Ranvier (54) hebt hervor, dass zwischen der Lymphe des 
Frosches und der der Säuger ein wesentlicher Unterschied be- 
stünde, die Lymphzellen des Frosches variierten in der Grösse 
wenig, während bei den Säugern die Grössenunterschiede viel 
beträchtlicher seien. Dann fährt der Autor fort: „Une goutte de 
Ivmphe prise dans le canal thoracique d’un chien a jeun montre 
des cellules dont le diametre varie entre 5 et 12 u; ces cellules 
sont generalement speriques ou munies d’excroissances tres-petites. 
Dans les cavites sereuses, les dimensions des cellules Iymphatiques 
different encore plus que dans le canal thoracique; elles vont 
depuis 5 jusqu’a 20 «*. Toldt (74) sagt von den Lymphzellen 
folgendes: „Ihre Grösse, sowie ihr äusseres Aussehen ist ziemlich 
ınannigfaltig. Von den grössten Zellen bis zu 14 « Durchmesser 
eibt es die verschiedenartigsten Übergänge zu den ganz kleinen, 
kaum 4—5 « messenden Zellen, an denen es nur schwer gelingt, 
um den Kern herum eine dünne Zone von Protoplasma nachzu- 
weisen: in dem Inhalte kleiner Lymphgefässe trifft man meist 
spärliche, kleinere, in den Hauptstämmen aber zahlreiche, fast 
ausschliesslich grosse Zellen; der Umstand, dass man sie stets 
reichlicher dort gefunden hat, wo die Lymphe bereits Lymph- 
knoten passiert hat, deutet darauf hin, dass sie aus denselben 
entstammen“. 

Aus diesen Angaben der älteren Autoren geht also hervor, 
dass die Leucocyten des Blutes einfach als der Lymphe und den 
Lymphdrüsen entstammende Lymphkörperchen betrachtet wurden. 
Gegen die Annahme einer absoluten morphologischen Überein- 


Die ungranulierten Leucocyten. 298 


stimmung hat sich, soviel ich sehe, zuerst Virchow (76) gewandt: 
er findet Unterschiede zwischen den Elementen der Lymphe und 
dies Blutes, benutzt aber diese Differenzen keineswegs, um die 
Zellformen senetisch zu trennen, sondern meint, dass die von 
ihm konstatierte Verschiedenheit zwischen den Zellen der Lymphe 
und den farblosen Elementen des Blutes bedingt sei durch die 
Einwirkung des geänderten Mediums. Er sagt darüber wörtlich: 
Wenn eine Lymphdrüsenzelle (Parenchymzelle) zu einem Lymph- 
körperchen (Flüssigkeitszelle) wird, so verändert sie sich, und 
wenn ein Lymphkörperchen zu eimem farblosen Blutkörperchen 
wird, so verändert es sich wiederum. Nach Virchow sind die 
Parenchymzellen der Lymphdrüsen unter sich ziemlich verschieden. 
doch besitzen sie alle einen verhältnismässig grossen, mit einem 
oder mehreren Kernkörperchen versehenen Kern; die Kerne sind 
von Zellkörpern umhüllt, doch sind diese oft so klein, dass sie 
nur schmale Säume darstellen, so erscheint der Kern unverhältnis- 
mässig gross; daneben finden sich aber auch grössere Elemente 
mit stärker entwickeltem Leib. Nur diese letztere Form stimme 
einigermassen mit den Zellen der Lymphe überein, diese seien 
verhältnismässig grosse, überwiegend einkernige Zellen, deren 
grosser Kern einen oder mehrere Nukleoli zeige. Die farblosen 
Blutkörperchen unterscheiden sich dadurch von den Zellen der 
Lymphe, dass sie mehrere glatte Kerne ohne Kernkörperchen 
besässen. 

Die Untersuchungen Ehrlichs (14). vor allem die durch 
ihn eingeführte Färbetechnik, haben späterhin dazu geführt, die 
von Wharton Jones und M. Sehultze beschriebenen granu- 
lierten Leucoeytenformen des Blutes von den uneranulierten 
Elementen genetisch zu trennen und den Ort ihrer Entstehung 
ins Knochenmark zu verlegen. In den älteren Arbeiten Ehrlichs 
findet man wenig Beweispunkte für die Berechtigung dieser 
Trennung angegeben; erst in seiner zusammenfassenden Dar- 
stellung, der „Anämie“ (15), entwickelt er seine Theorien aus- 
führlicher. Dagegen finde ich in einer Arbeit eines Schülers 
Ehrlichs, M. Einhorns (16), schon frühe die Blutleucoeyten 
scharf voneinander getrennt: da das dort Gesagte für meine Aus- 
führungen von wesentlicher Bedeutung ist, muss ich auf jene 
Angaben näher eingehen. Es heisst da: „Man unterscheidet im 
Blute folgende Elemente, die man in drei Gruppen einteilen kann: 

Archiv f.mikrosk. Anat. Bd. 73. 52 


s00 Franz Weidenreich: 


I. Mvelogen: Eosinophile; 
Il. Lymphogen: a) kleine, b) grosse Lymphoeyten: 
III. Unbestimmt (Milz, Knochenmark): a) grosse Mono- 
nukleäre, b) Übergangsformen, ec) Polynukleäre. 

Die Lymphogengruppe enthält: 1. kleine, den roten Blutkörper- 
chen an Grösse nachstehende Elemente, deren Leib von einem 
verhältnismässig grossen Kern eingenommen wird, sodass das 
Protoplasma zuweilen kaum zu sehen ist; sie gleichen ihrem 
Aussehen nach vollkommen den Lymphzellen (!), 2. Körper, die 
etwas grösser sind, deren runder Kern zwar etwas grösser, aber 
doch dem eben geschilderten vollkommen ähnlich ist; während 
jedoch dort der Zellleib vom Kern fast ganz ausgefüllt wird, ist 
hier ein mehr oder weniger grosser Plasmasaum vorhanden. Diese 
beiden geschilderten Formen, von denen die letztere nur eine 
weitere Entwicklung der ersten darstellt, — da man mit Leichtig- 
keit die Übergänge beobachten kann, -— entstehen, wie dies 
Virchow nachgewiesen hat, im den Lymphdrüsen. Man hat 
diese Gruppe daher mit Recht mit dem Namen ihres Ent- 
stehungsortes belegt und sie Lymphocyten genannt; wir 
unterscheiden die sub 1. beschriebene Unterabteilung als „kleine“ 
und die sub 2. als „grosse“ Lymphoevten.“ 

Es ist nun besonders interessant, in welcher Form diese 
Teilnng der weissen Blutkörperchen durch Ehrlich begründet 
wird. In seiner „Anämie“ (15) bezeichnet Ehrlich wiederholt 
Virchow als den, der den Lymphocytenbegriff aufgestellt habe; 
hier fimden sich folgende Ausführungen: „Dass die Lymphoeyten 
des Blutes vollkommen mit denen der Lymphdrüsen, bezw. des 
sonstigen Iymphatischen Apparates identisch sind, und zwar sowohl 
die kleinen als die grösseren (!) Zellformen, ist seit Virchows 
Aufstellung des Lymphocytenbegriffes unbestritten und geht für 
jedermann aus der vollkommenen Übereinstimmung im allgemeinen 
morphologischen Charakter, in den färberischen Eigenschaften des 
Protoplasmas und des Kernes und der Abwesenheit der Granula- 
tionen hervor. Dafür, dass die Lymphocyten des Blutes nun 
auch wirklich dem Iymphatischen Apparat entstammen, sprechen 
reichliche klinische Erfahrungen. Ehrlich hat schon früher 
darauf aufmerksam gemacht, dass dann, wenn ausgedehnte Partien 
des Lymphdrüsensystems durch Neubildungen und ähnliches 
ausgeschaltet sind, die Zahl der Lymphocyten ganz erheblich 


Die ungranulierten Leucocyten. sol 


vermindert sein kann. Diese Erfahrungen sind seitdem von ver- 
schiedenen Autoren bestätigt worden.“ In dem gleichen Werke 
gibt nun Ehrlich eine Einteilung der weissen Blutkörperchen 
des normalen Blutes des erwachsenen Menschen und bezeichnet 
als erste Gruppe kurzweg die „Lymphoeyten*. Er schildert sie 
aber als kleine, im der Regel den roten Blutkörperchen an 
Grösse nahestehende Zellen, deren Leib von einem grossen, runden 
homogen gefärbten, konzentrisch gelagerten (soll wohl „zentral 
gelagerten“ heissen) Kern eingenommen ist, während das Plasma 
als ein schmaler Saum den Kern konzentrisch umschliesst. Es 
folgen dann noch einige weitere Angaben, auf die ich später 
zurückkommen werde; aber über Grössendifferenzen wird nur 
wenig gesagt und an einer Stelle heisst es: „Für gewöhnlich sind 
die Zellen im Blute des gesunden Erwachsenen durch ihre Klein- 
heit, die der der roten Blutkörperchen nahesteht, ausgezeichnet; 
dagegen findet man schon im Blute der Kinder unter ganz 
normalen Verhältnissen grössere Formen und bei Iymphatischer 
Leukämie ganz besonders grosse Formen“. Die Abbildungen. die 
dieser Beschreibung normaler Blutzellen beigegeben werden, 
stellen „grosse* und „grössere“ Lymphocyten dar, entstammen 
aber laut Bezeichnung einem Präparate von chronischer Iympha- 
tischer Leukämie! 

Aus den hier mitgeteilten Ausführungen geht hervor. dass 
Ehrlich Virchow die Aufstellung des Lymphocytenbegriftes 
zuschreibt. Virchow hat aber die Zellen der Lymphe aus- 
drücklich als Lymphkörperchen bezeichnet und schildert sie 
genau so, wie die gleichzeitigen anatomischen Autoren, die ich 
oben zitierte; darnach unterscheidet er kleine und grosse 
Klemente, von denen gerade die letzteren in der Lymphe be- 
sonders hervorträten. Dass diese Zellen in den Lymphdrüsen 
entstehen, hält Virchew für sicher, ebenso dass sie ins Blut 
gelangen; nur glaubt er, dass sie sich dort unter der Einwirkung 
des Mediums weiter verändern und zu polynukleären Elementen 
würden. Es findet sich also bei Virchow weder der Ausdruck 
Lymphoeyt für eine ganz bestimmte Grösse, noch eine scharfe 
Trennung nach dem Orte der Entstehung, auch Virchow leitet 
die weissen Blutkörperchen ohne Unterschied aus der Lymphe und 
den Lymphdrüsen ab. Erst Ehrlichs Schüler Einhorn stellte 


eine Iymphogene, eine myelogene und eine genetisch unbestimmte 
52* 


s02 Franz Weidenreich: 


Gruppe auf; die Iymphogene entstammt darnach allein der Lymphe 
und dem Iymphatischen System, ihre Zellen werden deswegen allein 
als Lymphocyten bezeichnet und ausdrücklich in kleine 
und grosse getrennt. Ehrlich hat späterhin diesen Namen 
beibehalten, aber die Trennung in kleine und grosse Formen 
nicht mehr betont; Lymphocyten, so heisst es plötzlich in 
der „Anämie“, sind kleine Zellen, im Blute von Kindern und 
bei Blutkrankheiten kommen grössere Formen vor. Alle anderen 
Blutelemente stammen aber nach der Einhorn-Ehrlichschen 
Aufstellung nicht aus der Lymphe, gleichviel ob sie granuliert 
oder ungranuliert sind, sondern aus dem Knochenmark und zum 
Teil aus der Milz. Ursprünglich wurden aber, wie bei Einhorn 
zu lesen ist, die Zellelemente als Lymphocyten bezeichnet, die 
man früher Lymphkörperehen benannt hatte, also kurzweg die 
sämtlichen Zellen der Lymphe, die ihrerseits den Lymphdrüsen 
entstammen ohne Unterschied ihrer Grösse, die nach den oben- 
zitierten Angaben der anatomischen Autoren zwischen 5 und 14 # 
schwankt. Es scheint also, dass Ehrlich bei seiner Festsetzung 
dies Lymphocytenbegriffs die Lymphe auf die Natur ihrer Zellen 
und deren morphologische Charaktere gar nicht weiter unter- 
suchte, noch in die anatomische Literatur Einsicht genommen hat. 
Wenigstens habe ich nirgends bei Ehrlich eine Beschreibung 
spezieller Lymphelemente auffinden können: dass nur die kleinen 
Zellen des Blutes, die von ihm mit dem Namen der Lymphoeyten 
belegt wurden, auch wirklich mit den Lymphkörperchen der älteren 
Autoren in ihrer Gesamtheit identisch seien, das folgerte Ehrlich 
oftenbar nicht aus einer vergleichenden Untersuchung von Blut 
Lymphe, sondern erschloss es, wie er ausdrücklich hervorhebt, 
aus klinischen Erfahrungen. Es ist nötig das festzustellen. denn 
nur go wird verständlich, wie es kommen konnte, dass durch die 
Ehrlichsche Einteilung nur ein Teil der Lymphelemente als 
Lymphocyten bezeichnet werden konnte, während eine morpho- 
logisch und physiologisch ausserordentlich wesentliche und wichtige 
Form von Lymphzellen völlig von den „Lymphocyten* getrennt 
und zur Bedeutungslosigkeit und zweifelhafter Herkunft verurteilt 
wurde. 

Während also ursprünglich unter dem Namen der Lymph- 
zellen kleine und grosse Elemente verstanden wurden, hat Ehrlich 
durch seine unbestimmte Ansdrucksweise in seiner „Anämie“ und 


Die ungranulierten Leucocyten. 503 


vor allem durch die spätere Aufstellung, dass die grösseren Formen 
nicht ein Bestandteil des normalen Blutes des erwachsenen Menschen 
wären, sondern sich nur bei Kindern und gewissen Blutkrank- 
heiten fänden, dazu wesentlich beigetragen, dass viele von nun an 
unter „Lymphocyten“ nur die kleinsten Zellelemente des 
Blutes verstanden. Auch in den neuesten Lehrbüchern kehrt 
diese Anschauung wieder: so sagt Türk (75): „Die Lymphoeyten 
stellen den einfachsten und kleinsten Zelltypus des kreisenden 
Blutes dar, sie sind einkernige Elemente mit einem Durchmesser 
von 6—9 u.“ Bei Nägeli (46) heisst es: „Die Lymphocyten 
haben etwa die Grösse der roten Blutkörperchen. Der rundliche 
oder ovale, oft an einer Seite seicht eingekerbte Kern füllt die 
Zelle zum grössten Teil aus, sodass nur ein schmales Protoplasma- 
band übrig bleibt.“ Die grösseren älteren Formen, heisst es an 
einer anderen Stelle, sind die Makrophagen; doch wird nicht 
erwähnt, ob diese Zellen von dem Autor als normale Blut- 
bestandteile aufgefasst werden. Unter der Einwirkung dieser 
klinischen Vorstellungen wurde der ältere Lymphkörperchenbegrift 
auch aus den anatomischen Lehrbüchern verdrängt; v. Ebner (13) 
sagt: „Die kleinsten Leueoeyten, die Lymphoeyten oder Lymph- 
körperchen im engeren Sinne, haben eine meist fast kugelige 
Form und einen Durchmesser von 4, 5—7,5 «, im Mittel etwa 
6 « und sind den kleinen Rundzellen in den Maschen des 
adenoiden Gewebes der Lymphknoten sehr ähnlich.“ Allerdings 
spricht Ebner auch von „grossen Lymphoevten“, deren Durch- 
messer 10 « und darüber betragen könne, doch wird ihre Beziehung 
zu den „kleinsten Leucoeyten, den Lymphoeyten*“, ebensowenig 
erörtert wie die zu den anderen Leucoeytenformen. 


ll. Begriff der „Grossen mononukleären Leucocyten*“ 
und „Ubergangsformen“. 


Nun hat aber der Lymphocytenbegriff in der Folge noch 
eine wesentliche Änderung erfahren müssen. Zum besseren Ver- 
ständnis dieser Frage ist es nötig, die Ehrlichsche Einteilung 
der weissen Blutkörperchen überhaupt besonders ins Auge zu fassen. 
Was Ehrlich unter Lymphocyten verstanden wissen will, ist be- 
reits gesagt worden; auf seine Abgrenzung der granulierten Leuco- 
evten und ihre Trennung in die polynukleären oder neutrophilen, 
in die eosinophilen und in die Mastzellen brauche ich hier nicht 


804 Franz Weidenreich: 


weiter einzugehen ; die morphologischen Charaktere dieser Elemente 
sind von mir in der vorausgehenden Mitteilung dieser Studien (86) 
genauer umschrieben worden, sodass der Zellbegriff genügend 
fixiert erscheint. Es bleiben demnach von der Ehrlichschen 
Einteilung nur noch zwei Formen übrig, deren morphologische 
Charaktere und deren Bewertung der weiteren Untersuchung 
bedürfen. Diese Elemente sind: 1. die „Grossen mononukleären 
Leucoeyten“ und 2. die „Übergangsformen“. Von jenen sagt 
Ehrlich (15) in seiner „Anämie“: „Streng von den Lymphocyten 
zu trennen ist die zweite Gruppe (der weissen Blutkörperchen): 
die „Grossen mononukleären Leucocyten“. Es sind dies voluminöse 
Zellen von zirka zwei- bis dreifacher Grösse der Erythrocyten, 
die einen grossen ovalen, meist exzentrisch gelagerten und schwach 
färbbaren Kern, dabei ein relativ mächtiges Protoplasma besitzen. 
Letzteres ist frei von Granulationen, schwach basophil, und zwar 
im Gegensatz zu dem Lymphocytenprotoplasma schwächer als 
der Kern. Ihre Trennung von den Lymphocyten ist darın 
begründet, dass sie in ihrer ganzen Erscheinungsform durchaus 
von diesem Typus abweichen und Übergänge zwischen beiden 
nicht zu beobachten sind. Aus welchen blutbildenden Organen 
diese Zellform stammt, ob aus Milz oder Knochenmark, ist bis 
jetzt nicht zu entscheiden, wenn auch viele Gründe dafür sprechen, 
als ihren Ursprungsort das letztere anzusehen.“ Leider hat 
Ehrlich Abbildungen nicht gegeben und aus seiner Beschreibung 
geht auch nicht hervor, ob überhaupt die Lymphe auf das Vor- 
kommen dieser Zellen untersucht worden ist: Ehrlich trennt 
die Zellen scharf von den Lymphoeyten, den eigentlichen Lymph- 
körperchen; ob sie nicht aber trotzdem Lymphkörperchen sind 
und aus der Lymphe und den Lymphdrüsen stammen, das wäre 
doch durch eine Untersuchung der Lymphe mit Leichtigkeit 
festzustellen gewesen, anstatt „klinische Erfahrungen“ an Stelle 
von anatomischen Beobachtungen anscheinend auch hier wieder 
reden zu lassen. 

Die „Übergangsformen“ charakterisiert Ehrlich folgender- 
massen: „Es sind dies Gebilde vom Habitus der vorhergehenden, 
durch grosse Einbuchtungen des Kernes unterschieden, die ihm 
häufig die Form eines Zwerchsackes verleihen, ferner durch eine 
etwas grössere Affinität des Kernes zu den Kernfarbstoffen, sowie 
durch das Auftreten spärlicher neutrophiler Granulationen im 


Die ungranulierten Leucocyten. S05 


Plasma.“ Nach der ursprünglichen Ansicht Ehrlichs sollten 
sich die grossen mononukleären Leueocyten innerhalb des Blutes 
in die Übergangsformen und diese wieder in die neutrophilen 
Leucocyten umwandeln; darnach wären also im Ehrlichschen 
Schema die beiden Formen die direkten Vorstuten der fein- 
eranulierten Leucocyten, und da Ehrlich genetisch die Lympho- 
eyten vollständig aus dieser Entwicklungsreihe ausschloss, musste 
er auch diese ungranulierten Elemente des Blutes „streng von 
den Lymphocyten“ trennen. 

Diese Einteilung Ehrlichs hat Pappenheim (47) ın 
einer eingehenden Untersuchung, allerdings mit mehr kritisch- 
literarischem Charakter, zu ändern versucht; auch er zieht wie 
Ehrlich zunächst einen Strich zwischen Lymphocyten und 
eranulierten Leucocyten, aber mit dem Unterschiede, dass er die 
„Grossen mononukleären Leueoeyten“ und die „Übergangsformen“ 
nicht der Reihe der neutrophilen Leucocyten, sondern einfach 
den Lymphocyten zurechnet, sodass diese Gruppe lediglich um 
zwei Zellformen erweitert und jene um den gleichen Betrag 
gekürzt wird. Natürlich muss nun aber Pappenheim, um 
doch innerhalb des Ehrlichschen Schemas zu bleiben, eine 
Verbindung zwischen den „Übergangsformen“ und den neutrophilen 
Leucocyten leugnen. Das geschieht in der Tat; nach Pappen- 
heim sind die grossen mononukleären Leucocyten und die 
Übergangsformen nichts anderes als ältere Individuen Iympho- 
cytären Charakters, die einer weiteren Entwicklung unfähig seien. 
Das Endschicksal der Lymphocyten sieht der Autor im den 
sogenannten Riederschen Lymphozyten, das sind Zellformen, 
die Rieder (57) in einem Falle von Iymphatischer Leukämie 
beobachtete und die durch eine starke Lappung des Kernes bei 
Abwesenheit von Granulationen im Plasma charakterisiert sind. 
Pappenheim drückt sich kurz und bündig dahin aus, dass er 
sagt: „Die jungen Lymphoeyten werden also nur zu alten Lympho- 
eyten (Riederschen Lymphocyten), nachdem sie vorher als 
/wischenformen das Stadium der „unimukleären Leucocyten“ (das 
sind die grossen mononukleären Leucoeyten Ehrlichs) und der 
„Übergangsformen“ durchlaufen haben.“ Diese Umordnung, die 
hier Pappenheim vornahm, scheint auf den ersten Blick nicht 
schwierig; der Autor sagt selbst: „Somit ist eigentlich kein 
Novum eingeführt worden, sondern nur ein tatsächlich Vor- 


506 Franz Weidenreich: 


handenes, die Riederschen Zellen und grossen Mononukleären, 
auf Grund von Analogien entsprechend umgedeutet und 
anders eingeordnet worden.“ Und das ist wirklich so, aus 
theoretischen Ableitungen, „auf Grund von Analogien“ mit den 
eranulierten Leucocyten, aber nicht auf Grund einer eingehenden, 
durch nicht schematisierte Abbildungen belegte, morphologische 
und genetische Untersuchung geschah diese Neueinteilung, und 
doch müssten sich im Grunde hier die tatsächlichen Beobachtungen 
aufs direkteste widersprechen. Ehrlich nämlich fand Übergänge 
zwischen seinen „grossen mononukleären Leucoeyten“, „Übergangs- 
formen“ und neutrophilen Leucoeyten, aber keine zwischen den 
Lymphocyten und diesen Zellen, Ehrlich behauptete, dass jene 
fraglichen Zellformen nicht aus der Lymphe und den Lymph- 
drüsen, sondern wahrscheinlich aus dem Knochenmark stammten, 
und nun findet Pappenheim gerade die von Ehrlich ver- 
missten Übergänge zwischen Lymphocyten einerseits und den 
„mononukleären Leucocyten“ und „Übergangsformen“ anderer- 
seits, und die von Ehrlich gefundenen Übergänge zwischen 
den „Übergangsformen“ und den neutrophilen Leucoeyten findet 
er wieder nicht. Dieser doch tatsächlich sehr schroffe Gegensatz 
wird von Pappenheim in recht einfacher Weise überwunden: 
Ehrlich habe hier nämlich gegen sein Prinzip verstossen 
und falscherweise statt „chemisch-tinktorielle“ morphologische (!) 
Gesichtspunkte gelten lassen; wenn man die Trockenpräparate 
des Blutes nicht mit Hämatoxylin-Eosin, sondern mit Methylen- 
blau- und Methylgrün-Pyronin färbe, werde der Unterschied 
zwischen den Zellformen auf der einen Seite verwischt und auf 
der anderen Seite deutlicher. Pappenheim sagt: Andererseits 
meine ich, dass die Willkürlichkeit, die darin liegen könnte, 

zwei ihrem Cytoplasma nach chemisch und tinktoriell ähnliche 
Zellformen für zusammengehörig zu halten, immer noch eine 
geringere ist, als die andere, bloss wegen gewisser äÄusser- 
licher, morphologischer Ähnlichkeiten (!) eine Um- 
wandlung von basophilen, körnchenfreien Zellen zu körnchen- 
führenden, oxyphilen Zellen anzunehmen ete.“ Dabei wird der 
gerade von Pappenheim perhorreszierte Übergang doch von 
ihm selbst und der gesamten Ehrlichschen Schule für die 
Knochenmarkselemente ohne weiteres angenommen. Jedenfalls 
geht aus Pappenheims Ausführungen hervor, dass für ihn 


Die ungranulierten Leucocyten. Ss07 


nicht morphologische Gesichtspunkte bei seiner Einteilung be- 
stimmend waren, sondern färberische und Analogieschlüsse, aber 
eine eingehende Vergleichung der Zellformen der Lymphe und 
des Blutes hat er ebensowenig vorgenommen wie Ehrlich. 
Innerhalb der Anhängerschaft Ehrlichs ist in dieser Frage 
eine Spaltung eingetreten. Türk (75) ist der Ansicht, dass die 
erossen mononukleären Leucoceyten Ehrlichs im normalen Blute 
von den Lymphoeyten scharf zu trennen sind. „Der Umstand*, 
sagt Türk, „dass minder erfahrene Beobachter die älteren, 
erösseren und schlechter färbbaren Lymphoeyten nicht ungern mit 
unseren Zellen verwechseln, kann doch kein genügender Grund 
sein, um sie gegen alle sonstigen Erfahrungen als zusammen- 
gehörig zu betrachten und anzunehmen, dass sie direkt aus den 
Lymphoeyten durch weiteres Wachstum hervorgehen.“ Die „Über- 
gangsformen“ sieht Türk als Endstadien der Entwicklung der 
„grossen mononukleären Leucocyten“ an, unterscheidet sich also 
dadurch von Ehrlich, dass er eine Weiterentwicklung zu den 
eranulierten Leucoeyten leugnet und die Zellen zu Grunde gehen 
lässt, dementsprechend rechnet er die „Übergangsformen“ einfach 
den „grossen mononukleären Leucoeyten“ zu. Auch Nägeli (46) 
tasst die beiden Zellformen zusammen und leugnet das Vorkommen 
von Übergängen zwischen ihnen und den Lymphocyten: ebenso 
wie Türk leugnet er auch einen Übergang zu den neutrophilen 
Leucocyten, allerdings nicht völlig, nur selten und wohl nur unter 
pathologischen Verhältnissen seien einigermassen überzeugende 
Übergänge zu entdecken. Was die Bedeutung der Zellen angeht, 
weiss Türk, der sie ja sowohl von den Lymphocyten wie von 
den granulierten Leucoeyten trennt, natürlich nichts rechtes mit 
ihnen anzufangen und kommt daher auf den Gedanken, dass 
„diese eigentümlichen Zellen die Produkte eines rudimentären 
Leucoceytenbildungssystems seien, das jedenfalls dem myeloiden 
System nahe stehe und es ihm gleich tun möchte“, aber nicht 
könne. Er schreibt den Zellen also eine Art Grössenwahn zu 
und Nägeli findet gar noch, dass Türks Gedanke eine glück- 
liche Lösung wäre, fügt aber hinzu, dass keine Klarheit bestünde 
und die fraglichen Zellen die „Bete noire der Hämatologie“ seien. 
Wieder anders ist der Standpunkt anderer klinischer Häma- 
tologen. Schleip (63) stellt sich in der Frage der „Übergangs- 
formen“ auf die Seite Pappenheims, die „grossen mononukleären 


SOS Franz Weidenreich: 


Leucoceyten“ erwähnt er aber überhaupt nicht, sondern scheint 
sie den Lymphoeyten und den „Übergangsformen“ zuzuzählen. 
Grawitz (25) endlich, der gleichfalls die mononukleären Leuco- 
cyten Ehrlichs als Sondergruppe nieht anerkennt, betrachtet 
die Übergangsformen als wirkliche Übergangsbilder zwischen den 
Lymphocyten einerseits und den polynukleären granulierten Leuco- 
cyten andrerseits. 

Ich begnüge mich mit dem Aufzählen dieser verschiedenen 
Angaben und darf mir wohl eine noch eingehendere Literatur- 
berücksichtigung ersparen. Es existieren also über die Beziehungen 
der Lymphocyten, „grossen mononukleären Leucocyten“, „Über- 
gangsformen“, und granulierten Leucoeyten zueinander für das 
normale Blut folgende Ansichten: 


Einhorn, Ehrlich: Pappenheim!), Schleip: 
Lvmphoe. Gr. monon. Leucoc. Lymphocyten | Neutr. Leuc. 
| | 
Übergangsformen Monon. L. 

| | 


—_— = 


Polyn. (neutr.) L. | Übergangsformen) 


Türk Naselsz Grawitz: 
Lymphoe. Gr. mononukl. L. | Neutr. L. Lymphoeyten 

n | | ) 

UÜbergangsiormen | ee r 


| Ubergangsformen 
| | 


_— — 


| — m 


| Neutr. Leucoecyt. 

Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich also, dass Pappen- 
heim den Lymphocytenbegriff viel weiter als Ehrlich fasste, 
indem er die „grossen mononukleären Leucocyten“ und die 
„Übergangsformen“ Ehrlichs dem Lymphocytensystem zu- 
rechnete und sie einfach als weitere Umbildungsformen der 
Lymphoevten auffasste. Während Einhorn-Ehrlich ursprüng- 
lich im normalen Blut kleine und grosse Lymphocyten unter- 
schieden, verschwanden späterhin bei Ehrlich (15) die grossen 
Lymphocyten als normale Blutbestandteile. Pappenheim (47) 
aber nimmt den Begriff des grossen Lymphocyten wieder auf: 

ı) Dass nach Pappenheim auch zwischen Lymphocyten und granu- 


lierten Leucoeyten Beziehungen bestehen, kann bei dieser Zusammenstellung 
zunächst ausser Betracht bleiben. 


Die ungranulierten Leucocyten. s09 


diese Zellen seien identisch mit den teilungsreifen Keimzentrums- 
zellen der Sekundärknötchen der Lymphdrüsen, kreisten aber für 
gewöhnlich nicht als Lymphkörperchen im Blute. Zwischen kleinen 
und grossen Lymphocyten bestünden aber im wesentlichen nur 
(rrössenunterschiede hinsichtlich der Zellleiber und der Kerne: 
die grossen Lymphocyten seien aber nicht etwa eine Entwicklungs- 
stufe der kleinen, sondern stellten selbst den Ausgangspunkt der 
Entwicklungsreihe dar, das gleiche gelte aber auch für die kleinen 
Lymphoeyten. Für die grossen Lymphocyten führt nun nach 
Pappenheim (48) die Entwicklungsreihe über den „grossen 
mononukleären Leucoeyten“ zur „Übergangsform“, die das End- 
stadium repräsentiere, für den kleinen Lymphocyten über den 
„kleinen mononukleären Leucocyten“ zum „Riederschen Lympho- 
eyten“. Die kleinen Lymphoeyten sollen durch mitotische Teilung: 
aus den grossen hervorgehen. Dieses ausserordentlich komplizierte 
Schema hat schon deswegen wenig Wahrscheinlichkeit für sich. 
weil im normalen Blute die präsumierten Endglieder der Klein- 
Lymphoeytenreihe, nämlich die „kleinen mononukleären Leucoeyten“ 
und die „Riederschen Lymphocyten“ überhaupt nicht vorkommen 
und gerade umgekehrt ist es bei der Gross-Lymphocytenreihe. 
In der Tat hat auch dieser Aufbau Pappenheims wenig An- 
hänger gefunden. Aber Pappenheim unterscheidet noch weiter 
die grossen und die kleinen Lymphocyten, die für ihn zu fest- 
stehenden histologischen Begriffen geworden sind, wieder nach 
der Grösse, sodass es eigentlich grosse „grosse Lymphocyten“ und 
kleine „grosse Lymphocyten“ und grosse „kleine Lymphocyten“ 
und kleine „kleine Lymphoceyten“ geben müsste. 


Aus den hier mitgeteilten Literaturangaben folgt also, dass 
die klinischen Hämatologen unter Lymphocyten des normalen 
Blutes nur die kleinen Zellen mit verhältnismässig grossem kuge- 
ligen Kern und schmalem Plasmasaum verstanden wissen wollen. 
Nur Pappenheim bezeichnet auch die grossen mononukleären 
Leueoeyten und die Übergangsformen mit diesem Namen, sieht 
aber in ihnen weitere Entwicklungsstadien der im normalen Blute 
angeblich tehlenden „grossen Lymphocyten“. Unter letzterer 
Zellform wird jetzt wohl allgemein die eigentliche Keimzentrums- 
zelle der Lymphknötchen verstanden. aus der auf dem Wege der 


810 Franz Weidenreich: 


Mitose die kleinen Lymphoeyten hervorgehen: dieses Zellelement 
soll aber nur bei Kindern oder unter besonderen pathologischen 
Umständen in die Zirkulation gelangen. 


II. Besondere morphologische Charaktere der 
ungranulierten Leucocyten. 

Ich möchte nun zunächst hier eine Schilderung der bisher 
erwähnten ungranulierten Leucocytenformen geben, wie ich sie in 
dien verschiedenen hämatologischen Lehrbüchern finde. Ehrlichs 
Beschreibung habe ich zum Teil bereits zitiert. 

a) Grosse Lymphocyten. 

Nach Einhorn (16) sind das Zellen. die etwas grösser 
sind als die roten Blutkörperchen, der Kern ist grösser als der 
der kleinen Lymphoeyten, aber sonst ihm vollkommen ähnlich. 
Um den Kern ist stets ein mehr oder wenig grosser Plasmasaum 
vorhanden. 

Ehrlich (15) trennt wohl in seinem System grosse und 
kleine Lymphoeyten voneinander und leugnet das Vorkommen der 
ersteren im normalen Blut. Trotzdem gibt er bei der Schilderung 
der normalen Blutelemente nur Abbildungen von „grossen Lympho- 
eyten“ und die Beschreibung hat grosse und kleine Formen zur 
Grundlage. Einige seiner Angaben wurden schon oben erwähnt. 
Ausserdem sei noch folgendes hervorgehoben: Zwischen Kern und 
Plasma finde man häufig einen schmalen, wohl auf artifizieller 
Retraktion beruhenden Hof. Kern und Plasma sind basophil. 
doch ist die Affinität zu den basischen Farbstoften beim Plasma 
stärker als beim Kern. Dieser hat häufig ein bis zwei Nukleoli 
mit einer relativ dicken kräftig gefärbten Membran. Der Kontur, 
namentlich der grösseren Formen, ist gewöhnlich nicht ganz glatt, 
sondern etwas aufgefasert, zackig, höckerig. Bei ganz grossen 
Formen können sich Teile des peripheren Saums abschnüren. 

Türk (75), der die grossen Lymphocyten ausdrücklich für 
normaler Weise sesshafte fixe Gewebselemente des adenoiden 
Gewebes erklärt, die nur im pathologischen Blute vorkämen, 
schildert diese Zellen in folgender Weise: Sie sind um ein be- 
trächtliches grösser als der normale Lymphocyt des zirkulierenden 
Blutes und erreichen etwa den Durchmesser der polymorphkernigen 
Zellen. Sie besitzen einen grossen, runden, chromatinarmen Kern 
und ein schmales, schwach basophiles Protoplasma. Sie unter- 


Die ungranulierten Leucocyten. sıll 


scheiden sich also von den kleinen Lymphocyten nur durch ihre 
Grösse und durch die auffällige Chromatinarmut ihres Kernes bei 
sonstiger Beibehaltung des Zellcharakters. Als Veränderungen 
der Kernform, die vorkommen, werden kleine Einschnitte des 
Kernes und tiefgreifende Lappungen beschrieben. 

Pappenheim (48) erklärt den Typus des grossen Lympho- 
eyten für ziemlich charakteristisch. Er ist dem des kleinen 
ähnlich, hat einen relativ grossen, runden Kern mit konstant. 
vorhandenem Nukleolus und lockerer Chromatinstruktur; der 
Plasmarand sei schmal nnd schmächtig. 

Nägeli (46) bezeichnet die grossen Lymphocyten als sehr 
grosse rundkernige Lymphocyten:; sie haben zumeist schmales 
Protoplasma, runde, sehr grosse, aber ungemein chromatinarme 
Kerne und sehr deutliche Nukleolen; ab und zu trifft man Um- 
bildungen der Kerne, die nur in sehr tiefen Einkerbungen bestehen, 
aber nicht zur Lappung wie bei den granulierten Leucoevten führen. 


b) Kleine Lymphocyten. 


Das morphologische Bild dieser Zellformen wurde schon oben 
geschildert. Hier seien noch einige nicht erwähnte Besonderheiten 
hervorgehoben. Nägeli (46) gibt an, dass der Kern nicht immer 
absolut rund sei, sondern auch oval und oft an einer Seite seicht 
eingekerbt. Türk (75) findet ihn häufig länglich, hie und da 
auch flach nierenförmig oder an einem Längsrande winklig ein- 
gezogen. Das Vorhandensein von Kernkörperchen wird von fast 
allen Autoren notiert. Was das Protoplasma angeht, so haben 
Michaelis und Wolff (38) bei Anwendung von Azurfärbung 
„azurophile“ Granula in ihm beschrieben: es handelt sich hierbei 
um rotviolette Körnchen von wechselnder Zahl und Grösse, die 
gelegentlich in Lymphocyten angetroffen werden. Mit einer be- 
sonderen Modifikation der Altmannschen Fixation und Färbung 
hat ferner Schridde (64, 65) in ihrem Protoplasma Körner 
nachgewiesen, die plump stäbehenförmig aussehen. etwas grösser 
als die Granula der feingranulierten Leucoevten und eng an den 
Kern angelagert sind. 

c) Grosse mononukleäre Leucocyten. 


Welche Zellformen Ehrlich unter diesem Namen verstanden 
hat, ist bereits angegeben worden, ebenso habe ich die Tatsache 
registriert, dass manche Autoren diese Zellen überhaupt nicht als 


812 Franz Weidenreich: 


eine besondere Form gelten lassen, sondern sie mit zu den „Über- 
gangsiormen“ rechnen. 

Türk (75) entwirft von ihnen folgendes Bild: Sie gehören 
zu den grössten Zellformen des normalen menschlichen Blutes 
und messen zumeist etwa 12—15 u: sie sind charakterisiert 
durch einen grossen einfachen, aber wenig scharf abgegrenzten 
und ausgesprochen chromatinarmen Kern und durch ein ebenfalls 
ziemlich breites, wechselnd grosses, schwach basophiles, ungranu- 
liertes Protoplasma. Der Umriss des Kernes ist kein durchaus 
regelmässiger, sondern er erscheint ein wenig abgeplattet oder 
gebuchtet: Kernkörperchen lassen sich nicht oder nur sehr selten 
nachweisen. Die Zellen haben die Fähigkeit, sich im strömenden 
Blute in eine gelapptkernige Zellform umzuwandeln, dabei bleibt 
der Kern plump und chromatinarm:; im Protoplasma treten dabei 
feinste Stäubehen auf, die als die ersten Anfänge einer fein- 
körnigen Granulation gedeutet werden müssen: ihrer färberischen 
Reaktion nach nähere sich diese Granulation am meisten der neutro- 
philen, ist aber durch ein wesentliches Überwiegen der basophilen 
Komponente von der reifen neutrophilen Körnelung verschieden. 

Pappenheim (48) macht folgende Angaben: Der Kern der 
grossen mononukleären Leucoeyten einschliesslich der Übergangs- 
zelle ist selten, eigentlich nie, ganz rund und weniger distinkt 
konturiert wie der nukleinreiche der kleinen Lymphoeyten; die 
Färbbarkeit ist gering, die Gerüststruktur locker. Liegt der 
Kern zentral, dann erscheint das Protoplasma relativ schmal; 
liegt er exzentrisch, so ist das Plasma am entgegengesetzten Pol 
relativ mächtig und voluminös. Der Kern verändert sich in seiner 
Form, doch bleibt die Polymorphose auf der Stufe der Zwerch- 
sackbildung, der Bohnen- oder Nierenform stehen. 

Nägeli (46) charakterisiert die Zellen wie folgt: Die 
grossen mononukleären Zellen sind grosse Gebilde (12—20 4), 
sehr leicht quetsch- und lädierbar:; sie haben einen chromatin- 
armen, daher bei Färbungen blassen Kern, der sehr plump aussieht 
und unregelmässige Kontur infolge verschiedener Einbuchtungen 
aufweist. Das Protoplasma ist breit und an einzelnen Stellen 
stärker entwickelt, ein basophiles Retikulum (7) ist vorhanden. 
Nukleolen sind sehr selten. Azurgranula kommen vor. Mit sehr 
gutem Triacid lassen sich in pathologischen Fällen neutrophile 
(ranula nachweisen. 


Die ungranulierten Leucocyten. 515 


d) Übergangsformen. 

Ehrlichs Schilderung dieser Zellen habe ich schon ange- 
geben. Türk (75) sagt von ihnen: Es hat gar keinen Zweck, 
sie als gesonderte Zellform zu führen: ihre Zusammengehörigkeit 
mit den grossen mononukleären Leueoevten ist so in die Augen 
springend,. dass man den Tatsachen Gewalt antun müsste, um sie 
voneinander zu trennen. 

Pappenheim (45) sieht in diesen Zellen nur grosse MIoNOo- 
nukleäre Leucocyten, deren Kern stärker gebuchtet ist: ihr 
Protoplasma sei stets basophil und absolut frei von neutrophiler 
Granulation. 

Schleip (63). der die „grossen mononukleären Leuco- 
eyten* mit unter den „Übergangsformen“ versteht, schildert diese 
folgendermassen: die Zellen sind grösser als die neutrophilen 
Leueoevten:; der Kern ist stets hell. chromatinarm, selten rund 
mit Einbuchtungen und Einschnürungen, häufig hufeisenförmig, 
zwei- und dreigelappt. Das Protoplasma ist schwach basophil und 
zeigt eine verschieden stark ausgesprochene neutrophile Körnelung. 

Grawitz (25) unterscheidet nicht zwischen „grossen Mono- 
nukleären Leucoeyten“ und „Übergangsformen“. Diese sind nach 
ihm grosse Elemente; der Kern zeigt alle Übergänge von einer 
grossen rundlichen Form mit beginnender Einbuchtung zur ge- 
lappten und Hufeisen-Form, die rundlichen Formen tingieren sich 
nur sehr schwach mit basischen Farbstoffen. Das Protoplasma 
ist basophil; die Granula, die zum Teil sich basophil. zum Teil 
„azurophil“ färben, nehmen bei reichlicherer Anwesenheit einen 
den neutrophilen Granula ähnlichen schwachen Farbton an. 

Nägeli (46) spricht von den „sogenannten“ Übergangs- 
formen, da er sie den grossen mononukleären Leucoeyten zu- 
rechnet. Sie sind aber kleiner als diese und haben einen stärker 
gelappten und dunkel gefärbten Kern. Sehr feine neutrophile 
(Granula können sofort nachgewiesen werden. 


Ich habe hier eine Reihe von Citaten gegeben, die gestatten, 
sich ein Bild von den Zellen zu machen, die ich zusammenfassend 
zunächst einfach als ungranulierte Leucoeyten bezeichnet habe. 
Sie gehen in der Literatur unter dem Namen der „grossen“ und 
kleinen Lymphocyten. der „grossen mononukleären Leueoeyten“ 


s14 Franz Weidenreich: 


und der „Übergangsformen“. Letztere beiden Formen, die Ehrlich 
getrennt beschrieb, werden in neuerer Zeit nicht mehr unter- 
schieden und demgemäss fehlt in den hämatologischen Lehrbüchern 
bald die eine, bald die andere Bezeichnung. 

Fasse ich kurz die Charakteristika zusammen, so ergibt sich, 
dass unter den Lymphocyten schlechthin die kleinsten Zellelemente 
verstanden werden, ausgezeichnet durch einen grossen rundlichen 
Kern und einen schmalen Plasmasaum. Als „grosse Lymphoeyten“ 
werden grössere Zellen bezeichnet, die sonst im allgemeinen 
Habitus mit den kleinen Formen übereinstimmen. Die „grossen 
mononukleären Leueoeyten“ und „Übergangsformen“ sind grosse 
Zellelemente mit mehr eingebuchteten, chromatinärmeren Kernen 
und einem breiten Plasmahof; während die einen das Vorkommen 
feiner Granula mit neutrophilem Färbungscharakter behaupten, 
wird es von anderer Seite auf das entschiedenste bestritten. 

Aus diesen Charakteristika geht hervor, dass die fraglichen 
Zellen, mag auch die Abgrenzung untereinander Schwierigkeiten 
machen, jedenfalls leicht von den ausgesprochen granulierten 
Leucocyten, wie ich sie in der vorhergehenden Mitteilung (86) 
beschrieben habe, unterschieden werden können. 


B. Morphologie der ungranulierten Leucocyten 
— Lymphocyten — des Blutes und der Lymphe. 


Bei der Beschreibung der Zellelemente, die ich hier, im 
Gegensatz zu den eigentlich granulierten Leucocyten, der Ein- 
fachheit halber zunächst als ungranulierte Leucoeyten bezeichnet 
habe, kann ein doppelter Weg eingeschlagen werden. Entweder 
nämlich hält man sich an die Klassifizierung. die die momentan 
herrschende Schule Ehrlichs gegeben hat, oder aber man lässt 
(diese zunächst unbeachtet und betrachtet die fraglichen Formen 
ohne jede Berücksichtigung einer Gruppierungstendenz. Da ich 
im Folgenden zeigen werde, dass die übliche Klassifizierung mit 
den tatsächlichen Befunden nicht in Einklang zu bringen ist 
scheint es mir angezeigt, den letzteren Modus zu befolgen. 


, 


Ich lasse nun zunächst eine detailliertere Schilderung all 
dieser Formen folgen. wie sie sich im normalen strömenden Blute 
finden. Untersucht wurde von mir das Blut des Menschen, ferner 
Hund, Katze, Kaninchen, Meerschweinchen und Ratte. Wo es 


Die ungranulierten Leucocyten. S15 


nicht besonders hervorgehoben wird, liegt der Beschreibung 
normales menschliches Blut vom Erwachsenen zu Grunde. 


I. Die Zellen des Blutes. 
l. Kleine Formen. 
(Lymphoeyten Ehrlichscher Nomenklatur.) 

Am zweckmässigsten geht man dabei von den am häufigsten 
im Blute vorkommenden (ca. 20 °/o aller Leucocyten) kleinsten Zell- 
formen aus, wie ich sie in den Fig. 1 und 2 wiedergegeben habe. 
In der allgemeinen Zellgrösse hat man diese Elemente mit den 
roten Blutkörperchen verglichen: selbstverständlich kommt es 
aber darauf an, ob die Messung an frischen, in dem Unter- 
suchungsmedium schwimmenden, kugeligen Formen oder an 
fixierten, am Deckglase festhaftenden und mehr oder weniger 
ausgebreiteten Zellen vorgenommen wurde. Während im ersteren 
Falle die Zellgrösse der der Erythrocyten gleich ist oder ein 
wenig nachsteht, übertrifft sie im letzteren das Maß derselben in 
wechselndem Grade. Bei der von mir angewandten Methode sind 
diese Zellen durchweg ein wenig grösser; immerhin aber bleiben 
sie beträchtlich kleiner als etwa die granulierten Leucocyten. 

Was die Formen besonders kennzeichnet, ist das Verhältnis 
des Kernes zum Protoplasma; der Kern liegt im allgemeinen 
zentral und nimmt weitaus den grössten Teil der Zelle ein, 
während das Plasma als mehr oder weniger schmaler Hof peripher 
allseitig den Kern umgibt. (Fig. 1.) Der Kern macht meist 
einen runden d.h. kugeligen Eindruck; vollständig gleichmässig 
abgerundet ist aber der Kontur ausserordentlich selten, fast stets 
sieht man Unregelmässigkeiten in Gestalt von Vorbuckelungen. 
Nicht gar selten ist aber der Kern auch einseitig eingedellt und 
bietet dann einen gedrungen bohnenförmigen Anblick (Fig. 1a, h). 
Bei allen Fixations- und Färbemethoden tingiert er sich sehr 
stark mit den Kernfarbstoften, nie aber erscheint er dabei völlig 
gleichmässig strukturiert, sondern es wechseln hellere mit dunk- 
leren Partien überall ab; an gut geglückten Präparaten tritt 
ein ziemlich dichtes chromatisches Gerüstwerk deutlich hervor 
(Fig. la, d, g), die in den Maschen dieses Gitters gelegenen 
Partien werden als hellere Flecken bemerkbar; sie sind um so 
heller, je näher der Oberfläche sie liegen. Man darf diese Stellen 
nicht mit Nukleolen verwechseln, wie das in der Tat vielfach 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73, 53 


816 Franz Weidenreich: 


vorgekommen ist (Fig. lc, f); Kernkörperchen treten bei den 
üblichen Darstellungsmethoden überhaupt nicht deutlich hervor. 
Ein sehr gutes Mittel diese sichtbar zu machen, ist die Behand- 
lung frischen Blutes mit Methylviolett nach der vitalen Färbungs- 
methode von Rosin und Bibergeil (59); durch die Einwirkung 
der Farbe quillt der Plamahof auf, sodass die Zelle im ganzen 
etwas grösser aussieht; im Kern (Fig. 5a, ce) werden die Nukle- 
olen als mehr oder weniger rundliche, homogene Flecken, die 
durch eine stark gefärbte Zone in charakteristischer Weise vom 
Kern abgegrenzt werden, ausserordentlich deutlich; ihre Zahl 
schwankt, vielfach findet man Zellen mit nur einem Kernkörper- 
chen, manchmal mit zwei und mehr. 

Auf die Anordnung des Plasmas zum Kern ist schon oben 
hingewiesen worden. Innerhalb des Plasmamantels selbst lassen 
sich wieder, wenigstens in den meisten Fällen, zwei Zonen unter- 
scheiden: eine innere den Kern unmittelbar begrenzende und 
eine periphere äussere, beide vielleicht zweckmässig als Endo- 
und Exoplasma bezeichnet. Das Endoplasma ist heller und weniger 
dicht, manchmal auch anscheinend etwas homogener; es umgibt 
den Kern als wechselnd breiten Hof und setzt sich meist sehr 
scharf von dem Exoplasma ab. Das Fxoplasma ist dunkler und 
diehter und gleichfalls von variierender Ausdehnung; es schliesst 
die Zelle allenthalben nach aussen hin ab, besonders werden die 
Pseudopodien aus ihm gebildet (Fig. 1d, e, g). An der Grenze 
zwischen beiden Zonen sieht man nicht selten Ausbuchtungen 
oder fingerförmige Fortsätze des Endoplasmas in das Exoplasma 
sich erstrecken (Fig. 1g, i) oder man findet abgeschnürte kleine 
Flecken endoplasmatischen Charakters wie Inseln im Exoplasma 
liegen (Fig. 1h); ich glaube nicht fehl zu gehen in der Annahme, 
dass wir es hierbei mit dem Ausdruck eines Substanz-Austauschs 
zu tun haben oder mit sekretorischen Erscheinungen; dass man 
die skizzierten Vorgänge nicht an allen Zellen findet, dürfte eher 
zugunsten dieser Annahme sprechen. Die ganze Art der Er- 
scheinung, vor allem auch die Beziehungen des Endo- zum 
Exoplasma und die Tatsache, dass ähnliche Differenzierungen des 
Plasmas auch bei den granulierten Leucoeyten vorkommen, wo 
ich sie früher (86) beschrieben habe, sprechen dafür, dass wir es 
hier mit wirklichen Strukturen zu tun haben und dass das Endo- 
plasma nicht als „Retraktionshof* zu deuten ist. wie Ehrlich 


Die ungranulierten Leucoeyten. s17 


(s. 0.), der die hellere Zone um den Kern schon gesehen hat, 
vermutet. 

Ausser den hier mitgeteilten Besonderheiten sind nun 
innerhalb des Protoplasmas granuläre Bildungen verschiedener 
Art beschrieben worden. Bei der gewöhnlichen Trockenmethode 
oder bei Anwendung des Agarverfahrens mit nachfolgender 
Giemsa-Färbung sieht man in einzelnen Zellen jene „azurophilen*“ 
(sranulationen, auf die Michaelis und Wolff (38) zuerst 
aufmerksam gemacht haben; es handelt sich hierbei um meist 
kleine, an Grösse allerdings variierende Körnchen, die ich in 
manchen Fällen mehr im Gebiete des Endoplasmas fand (Fig. 1f), 
ohne dass sie aber auf dieses beschränkt sind. Die Granula 
sind an Zahl gering, verglichen mit der Körmelung der eigent- 
lichen granulierten Leucocyten, und liegen ziemlich zerstreut 
(Fig. 1ec,f). Eine andere Granulierung tritt hervor, wenn man 
mit vitalen Farbstoffen färbt; diese Körnelung ist schon von 
Arnold (1) und Rosin und Bibergeil (60) beschrieben und 
im Bilde wiedergegeben worden. Färbt man mit Neutralrot, so 
treten — und zwar in allen Zellen — bald mehr oder weniger 
grobe Granula hervor, die allmählich immer grösser werden und 
zusammenzufliessen scheinen (Fig. 4a); bei Anwendung von Methyl- 
violett werden sie weniger distinkt dargestellt und machen mehr 
einen verschwommenen Eindruck (Fig. 5a,ec). Endlich hat noch 
Schridde (64, 65) eine besondere Form von Granulationen 
beschrieben, die mit der von ihm modifizierten Altmannschen 
Methode der Granuladarstellung in allen diesen Zellen sichtbar 
gemacht werden kann; das nähere über diese Körnelung habe 
ich oben angegeben. Was nun die Bewertung der drei genannten 
Protoplasmaeinlagerungen angeht, so sind sie, wie ich glaube, 
verschieden zu beurteilen. Die „azurophilen“ Granula halte ich 
für richtige endogene Protoplasmadifferenzierungen, die möglicher- 
weise der Ausdruck bestimmter sekretorischer Prozesse sind, 
eine Auffassung, die auch von anderen, wie Ferrata (18, 19), 
geteilt wird; doch spricht die Unregelmässigkeit, mit der sie vor- 
kommen, dafür, dass es sich hierbei um keine prinzipiell bestimmende 
Granulierung "handelt, wie etwa bei den feingekörnten Leucocyten ; 
sie als den Ausdruck degenerativer Umsetzungen anzusehen, wie 
Türk (75) will, ist keinerlei Grund vorhanden. Die vital 
darstellbare Granulierung deute ich als Plasmaausfällung, die 

H3* 


s18 Franz Weidenreich: 


durch die Einwirkung des Reagens entstanden ist, ob ihr eine 
wirkliche, sonst nicht sichtbare Granulierung des Plasmas, etwa 
besondere Plasmaorgane, zugrunde liegen, ist schwer zu sagen: 
jedenfalls handelt es sich dabei aber nicht um eine diesen Zellen 
eigentümliche Bildung, sondern um eine weit verbreitete fast 
allgemeine Erscheinung des Protoplasmas der Körperzellen und 
ist dementsprechend auch hier zu bewerten. Die von Schridde 
beschriebene Granulierung möchte ich der eben genannten an 
die Seite stellen, ohne aber damit behaupten zu wollen, dass beide 
etwa identisch wären; auch sie entsteht unter der Einwirkung 
der Reagentien und ist deswegen als besondere Ausfällungsform 
zu betrachten. Dass man in ihr Granula zu sehen hätte, die 
in der lebenden Zelle schon distinkt vorgebildet und von der 
Umgebung verschieden wären, dagegen spricht die Tatsache, dass 
die Körnelung im (Gregensatz zu der der bekannten granulierten 
Leucocyten am frischen Objekt nicht sichtbar ist und vor allem 
auch, dass sie nicht im Negativ dargestellt werden kann; d.h. bei 
Anwendungen von Farbstoffen, die die Granula nicht tingieren, 
werden sie nicht als deutliche Aussparungen im Plasmaleib 
bemerkbar. Damit soll die Körnelung nicht direkt als ein Kunst- 
produkt bezeichnet werden, möglicherweise liegt ihr eine besondere 
Protoplasmastruktur zugrunde, die aber dann erst bei Anwendung 
bestimmter Mittel distinkt als Granulierung hervortritt. Aus 
dem Gesagten ergibt sich, dass es sich bei den geschilderten 
Plasmaeinlagerungen um morphologisch andere Dinge handelt, 
als bei den Granula der fein- und grobgekörnten Leucocyten 
und der Mastleucocyten; da jene Granula nur mit besonderen 
Methoden deutlich gemacht werden können und jedenfalls am 
frischen Objekt nicht sichtbar sind, ist es auch gestattet, diese 
Zellelemente im Gegensatz zu jenen Leucocyten als ungranuliert 
zu bezeichnen. 

Was die Zentren betrifft. so liegen sie, soweit sie überhaupt 
sichtbar sind und nicht durch den Kern verdeckt werden, inner- 
halb des Endoplasmas und in unmittelbarer Nähe des Kernes 
(Fig. 1b, d, h; Fig. 2b). Stets fand ich zwei Mikrozentren von 
ungefähr gleicher Grösse, die in einen helleren, ovalen Hof ein- 
gebettet sind: in einem Falle (Fig. 1b) waren sie durch eine 
Brücke verbunden. Meistens ist es leicht, die Mikrozentren 
von der „azurophilen“ Granulation zu unterscheiden, da diese 


Die ungranulierten Leucocyten. 819 


sewöhnlich eines Hofs entbehrt: unter Umständen (Fig. 1e) 
kann es aber unmöglich sein, die Unterscheidung durchzuführen. 
Bei der Vitalfärbung mit Methylviolett werden die Mikrozentren 
gleichfalls gefärbt (Fig. 5), doch treten dabei bald auch andere 
Granula auf. 

Auf die Frage der amöboiden Beweglichkeit der Zellen 
werde ich später zu sprechen kommen. 


2. Grosse Formen. 
(„Grosse mononukleäre Leueoeyten“ und „Übergangsformen“ 
Ehrlichscher Nomenklatur.) 


In sehr viel geringerer Zahl (ca. 5°/o der Leucoeyten), 
aber immer noch leicht in mehreren Exemplaren in jedem 
Präparate normalen Blutes auffindbar, kommen die grossen 
Formen der ungranulierten Leucocyten vor. Sie sind zunächst 
dadurch gekennzeichnet, dass ihre allgemeine Zellengrösse nicht 
nur die der granulierten Leucocyten erreicht, sondern vielfach 
übertrifft; weiterhin sind diese Zellen dadurch charakterisiert, 
dass sowohl der Kern als auch das Plasma eine beträchtliche 
Grösse erreichen, wobei aber das Verhältnis zwischen diesen beiden 
Zellbestandteilen im Gegensatz zu den kleinen Formen mehr 
zugunsten des Protoplasmas verschoben erscheint (Fig. 3). 

Der Kern hat stets und durchaus kompakten Charakter, 
d. h. er stellt ein einheitliches, zusammenhängendes Ganzes dar 
und ist niemals gelappt in der Form, wie man sie bei den 
granulierten Leucoceyten als Regel findet. Seine Gesamtform ist 
wechselnd, bald ist er mehr rundlich, d. h. in allen Dimensionen 
gleich (Fig 3a), bald mehr in die Länge gezogen (Fig. 3b); die 
am häufigsten wiederkehrende Form ist aber die Bohnen- oder 
Nierenform (Fig. 3e, f, h), wovon es aber auch wieder kleine 
Abweichungen gibt, wie z.B. bei g (Fig. 3). Was die Struktur 
des Kernes angeht, so zeigt sie in gut gelungenen Präparaten 
nach den von mir angewandten Methoden dasselbe Bild, wie ich 
es für die kleinen Formen geschildert habe, nur scheint das 
Chromatingerüst ein wenig lockerer (Fig. 3d, e: cf. Fig. la, d, g). 
Die Angaben mancher Autoren, dass der Kern besonders chromatin- 
arm, weil schwach färbbar, wäre, vermag ich nicht zu bestätigen; 
wie ein Blick auf die Fig. 3, 6, 9 12 lehrt, kann von einer aus- 
gesprochenen Chromatinarmut der grossen Formen gar keine 


s20 Franz Weidenreich: 


Rede sein. Diese in fast allen Lehrbüchern wiedergegebene 
Ansicht gründet sich darauf, dass im üblichen Blut-Trocken- 
präparat und bei Anwendung der gewöhnlichen Färbemittel in 
der Tat der Kern die Farbe schlecht annimmt. Man kann sich 
an den mit der Agarmethode dargestellten Präparaten über- 
zeugen, dass es wohl physikalische, allerdings nicht näher zu 
bestimmende Gründe sein müssen, die die gelegentlich auf- 
tretende schwere Färbbarkeit bedingen: in den Randpartien eines 
derartigen Präparates, wo die Osmiumsäure länger und intensiver 
einwirkt, ist der Kern oft im Gegensatz zum Protoplasma kaum 
tingiert, während daneben liegende kleine Formen normale 
Färbbarkeit zeigen; in den zentralen Partien des Präparates 
merkt man aber in der Tinktionsfähigkeit nicht den geringsten 
Unterschied zwischen beiden Zellelementen ; ich habe in Fig. 13 
eine derartige, allerdings aus der Lymphe des Kaninchens 
stammende Zelle wiedergegeben, die der Randpartie entstammt 
und das Verhalten von Kern und Plasma der Farbe gegenüber 
deutlich zeigt. Wäre diese bei mancher Methode zu beobachtende 
geringe Färbbarkeit durch einen besonderen Mangel an Chromatin 
bedingt, so müsste das auch bei den von mir benutzten 
Darstellungsverfahren und an allen Stellen des Präparates 
konstatierbar sein: die in Fig. 3d, e wiedergegebenen Zellen 
beweisen aber wohl zur Genüge, dass man von einer besonderen 
Chromatinarmut nicht sprechen kann. 

Die Lage des Kernes innerhalb der Zelle ist wechselnd: 
neben solchen Formen, bei denen er eine mehr zentrale Lage 
einnimmt (Fig. 3 a. b, d, g), trifft man auch solche mit ausge- 
sprochen exzentrischer Lagerung (Fig. 3 ec, f, h). 

In bezug auf Vorkommen, Form und Erscheinungsart der 
Nukleolen gilt genau dasselbe wie für die kleinen Formen, so 
dass ich mich neben einem Hinweis auf Fig. 5b, d mit dem dort 
(esagten begnügen kann. 

Das Protoplasma, das ziemlich reichlich vorhanden ist, lässt 
eine deutliche Differenzierung in Endo- und Exoplasma wie bei 
den kleinen Formen nicht erkennen, gelegentliche Andeutungen 
finden sich aber (Fig. 3 a, b). Seiner Struktur nach ist es nicht 
homogen und anscheinend wabiger oder schwammiger gebaut als 
bei den kleinen Formen. Was die Granulierung angeht, so kommen 
auch hier ab und zu die „azurophilen“ Granulationen vor (Fig. 3 c), 


Die ungranulierten Leucocyten. 821 


sie unterscheiden sieh nicht von denen der kleinen Formen; bei 
Anwendung vitaler Farbstoffe, so bei Neutralrot (Fig. 4b) und 
Methylviolett (Fig. 5 b, d), treten gefärbte Körnelungen auf, die 
gleichfalls mit denen der kleinen Formen vollständig überein- 
stimmen: das gleiche gilt für die Schriddesche Granulierung. 

Auf eine besonders eigentümliche Art von Einlagerung im 
Plasma. die aber bis jetzt nur beim Meerschweinchen in charakte- 
ristischer Form gesehen wurde, hat zuerst Kurloff aufmerksam 
gemacht. Seine Angaben hierüber lauten nach Ehrlich (15): 
Im Protoplasma findet sich ein rundliches kernähnliches Gebilde, 
das sich auch mit Kernfarbstoffen anfärbt und möglicherweise ın 
ddas Gebiet des Nebenkerns zu rechnen ist; man hat den Eindruck, 
dass es sich um eine Vakuole handelt, die mit Sekretstoff aus- 
gefüllt ist; zunächst erscheinen die Gebilde als einzelne mit dem 
Zellkern in keinem Zusammenhang stehende punktförmige Kerne 
im Plasma, allmählich vergrössern sie sich und gewinnen einen 
bedeutenden Umfang: wenn sie die Grösse des Zellkerns erreicht 
haben, scheinen sie die Plasmahülle der Zelle zu durchbrechen 
und die Zelle zu verlassen. In neuerer Zeit hat Cesaris- 
Demel (9) mit Hilfe der vitalen Färbemethoden diese Körper 
näher untersucht; sie erscheinen dabei je nach der angewandten 
Farbe in einem verschiedenen Bild, bald sind sie homogen, bald 
enthalten sie eine Menge kleiner Kügelchen oder einzelne grössere 
oder auch fadenförmige Gebilde; bei Anwendung von Neutralrot 
tritt in der Mitte des Körpers ein besonders grosses intensiv 
‚gefärbtes Korn auf. ‘Im übrigen genügt es, auf die Abbildungen 
(Taf. XIII) zu verweisen, die der Autor gibt. Mit den gleichen 
Gebilden hat sich dann Ferrata (18, 19) beschäftigt; auch er 
bringt sie in Beziehung zum Kern und hält sie für identisch mit 
den beim Menschen in den gleichen Zellen vorkommenden 
„azurophilen* Granula: auf des Autors Bewertung der Körper 
für die Klassifizierung der Zellen wird noch zurückzukommen 
sein. Meine eigenen Untersuchungen haben kein Ergebnis gehabt, 
das von der Schilderung der Autoren, soweit der einfache Befund 
in Frage kommt, wesentlich abwiche. Bei Zusatz von Neutralrot 
zum Meerschweinchenblut kann man sich sehr gut vom Vor- 
handensein der eigentümlichen Bildungen überzeugen. Sehr schön 
sind sie aber auch sichtbar zu machen mit der Osmiumdampf- 
Fixation oder der Agarmethode. Ihre Entwicklung habe ich in 


s22 Franz Weidenreich» 


Fig. 6 a, b, e wiedergegeben; sie treten zuerst einzeln oder zu 
zweien, selten zu mehr im Plasma als anscheinend homogene 
Körper auf (a). Dann wachsen sie zu grösseren Kugeln heran, 
indem sie den Kern vollständig an den Rand drängen (b); 
interessant ist dabei, dass auch die Sphäre mit den Mikrozentren 
von ihrem ursprünglichen Platz weichen muss (b, ce). Sind ge- 
trennte Körper vorhanden gewesen, so fliessen sie zuletzt zu einem 
grossen Gebilde zusammen, das dann neben dem Kern die Haupt- 
masse der Zelle ausmacht, während das eigentliche Protoplasma 
den Körper nur noch mit einem dünnen Saum umgibt (ec). Das 
(ebilde selbst erscheint dann nicht mehr homogen, sondern es 
treten in ihm Flecken oder vakuolenartige Differenzierungen auf, 
die eine randständige Lage einnehmen (ce). Bei Anwendung der 
Agarmethode ergibt sich im wesentlichen dasselbe Bild (Fig. 6d,e, f); 
manchmal sah ich hier aber auch an Stelle des Körpers einen 
zusammengedrängten Haufen gröberer und feinerer Granula (f). 
Was die Bedeutung des Gebildes angeht, so möchte auch ich 
mich der Auffassung der meisten Autoren anschliessen, dass es 
sich hier um emen Sekretionsvorgang handelt, über dessen Natur 
allerdings wenig zu sagen ist; das wechselnde Bild, das bei Vital- 
färbungen auftritt, beruht jedenfalls auf der besonderen ausfällenden 
Wirkung des jeweils zur Anwendung gelangenden Reagens. Von 
einer Mitbeteilung des Kernes, für die besonders auch Ciaccio (10) 
eintritt. konnte ich mich bis jetzt nicht überzeugen. Es ist jeden- 
falls auffällig, dass die eigentümliche Plasmaeinlagerung bisher 
nur bei den Zellen des Meerschweinchens in dieser Form gefunden 
wurde, wenigstens kommt beim Menschen und den anderen ge- 
wöhnlich untersuchten Tieren nichts gleiches vor. Ferrata (20, 21) 
nimmt zwar an, dass die „azurophilen“ Granula jenen Körpern 
entsprechen, er sieht in beiden Arten Plasmosomen und identifiziert 
sie so ohne weiteres. Jch vermag dem Autor hierin nicht zu 
folgen und sehe den Beweis, ebenso wie Pappenheim (50). 
nicht für erbracht an. In beiden Fällen scheint es sich wohl um 
sekretorische Prozesse zu handeln, jedenfalls verlaufen sie aber 
morphologisch durchaus nicht unter demselben Bilde, und ob sie 
physiologisch gleichwertig sind, wissen wir nicht; färberische 
Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten beweisen hierfür nichts, 
weil dafür ja auch gleiche physikalische Umstände massgebend 
sein können. 


Die ungranulierten Leucocyten. 823 


Die Zentren der grossen Formen liegen genau wie bei den 
kleinen in unmittelbarer Nähe des Kernes (Fig. 3 und 5 b, d) 
und bestehen aus einer deutlichen Sphäre und meist zwei, gelegent- 
lich aber auch aus drei (d, f) Mikrozentren: eine Verbindung 
durch eine Zentralbrücke kommt auch hier vor (f). Findet sich 
der Kern mehr in der Mitte der Zelle, so liegt natürlich das 
Zentrum exzentrisch (a, b); bei exzentrischer Lagerung des Kernes 
rückt es mehr nach der Zellmitte. Bei bohnenförmigen Kernen 
tritft man es stets in der Kernausbuchtung (Fig. 3 e, f, h und 
Fig. 5 b. d). Über seine Verdrängung durch die Plasmaem- 
lagerungen beim Meerschweinchen habe ich das nähere schon 
oben angegeben. 

Dass die grossen Formen amöboider Bewegung fähig sind, 
war im Gegensatz zu den kleinen nie bestritten. Schon bei An- 
wendung der Osmiumdampffixation sieht man an den Zellen Fort- 
sätze des Plasmas, deren Pseudopodien-Natur nicht zweifelhaft 
ist (Fig. 3 ec, f, eg, h). Besonders schön lassen sich aber die Be- 
wegungsphasen bei der Fixation durch die Agarmethode festhalten: 
die Bilder e und d geben davon eine sehr gute Vorstellung. Dass 
auch hier der Kern, ähnlich wie bei den granulierten Leueocyten, 
von der Plasmabewegung ganz oder in einzelnen Teilen beeinflusst 
wird, lehrt, was die Form im ganzen angeht, die Abbildung d: 
dass starke Pseudopodienbildung in bestimmter Richtung ein Aus- 
fliessen der nächstgelegenen Kernteile herbeiführt, geht aus e 
hervor; die entsprechende Strömungsrichtung von Plasma und 
Kern ist durch den Pfeil angedeutet. Niemals aber treten dabei 
Formen auf, wie wir sie bei den granulierten Leucocyten finden 
und wie ich sie eingehend in der letzten Abhandlung (86) ge- 
schildert habe. Wie auch der Kern sich gestalten mag, er behält 
stets den kompakten Charakter bei und ist nie gelappt. 
Ich werde späterhin noch auf diese Frage zurückkommen. 


Nach der hier gegebenen Schilderung der morphologischen 
Charaktere stellen die kleinen und die grossen Formen der un- 
eranulierten Leuceocyten gut umschriebene und unterscheidbare 
Zelltypen vor, wenigstens soweit ihre Unterscheidung von anderen, 
speziell den granulierten Leueoevtenformen in Frage kommt. Die 


s24 Franz Weidenreich: 


kleinen Formen sind schon durch die Grössenverhältnisse und 
die Beziehung von Kern und Plasma genügend gekennzeichnet. 
Die grossen Elemente können mit den ausgesprochenen Formen 
der granulierten Leucoceyten überhaupt nicht verwechselt werden, 
hiervor schützt nicht nur das Fehlen der Körnelung (oder deren 
Charakter), sondern auch die Kernform, die stets kompakt bleibt. 
Nun gibt es ja allerdings auch kompakt-kernige granulierte 
Leucocyten im normalen Blut. Vergleicht man aber beide Arten 
miteinander, so ergeben sich die Unterschiede ohne weiteres 
(ef. Fig. 3 mit den Fig. 1, 2, 3, 11a auf Taf. VIII meiner vorher- 
gehenden Arbeit). Der Kern liegt bei den granulierten Elementen 
stets sehr stark exzentrisch und die Zentren finden sieh in 
grösserem Abstand vom Kern und mehr in der Mitte der Zelle. 
Dazu kommt noch das Verhalten des Plasmas, besonders in seinen 
(Granulationen. Was nun die Beziehungen der kleinen zu den 
grossen Formen angeht, so wird hier von Ehrlich und seiner 
Schule jeder Zusammenhang bestritten: auch *"Pappenheim 
steht hier auf dem Standpunkt, dass keine direkten Beziehungen 
bestehen, indem er die von mir geschilderten grossen Formen 
von besonderen „grossen Lymphocyten* ableitet, in den kleinen 
aber den eigenen Zelltypus der „kleinen Lymphoeyten* sieht. 
Wenn man eine grosse Anzahl beider Formen durchmustert, so 
gelangt man bald zu dem Resultat, dass eine scharfe Trennung 
absolut unmöglich ist; man trifft Zellen genug, die in Grösse, 
in bezug auf das Verhältnis von Kern und Plasma und in ihren 
sonstigen morphologischen Charakteren durchaus eine Mittelstellung 
einnehmen und die man sowohl den kleinen wie den grossen 
Formen zurechnen kann. Ich habe in Fig. 27 auf Taf. XXXII eine 
Reihe von Zellen in ihren Kern- und Grenzkonturen wieder- 
gegeben, die ohne weiteres die Kontinuität zwischen den kleinen 
und den grossen Formen erkennen lassen und zwar nicht nur in 
der allgemeinen Zellgrösse, sondern auch vor allem in der Kor- 
relation zwischen Kern und Plasma. Ich werde aber auf diese 
Frage noch eingehender zurückzukommen haben. 

Einen besseren Einblick in die Bedeutung der beschriebenen 
Zellformen und ihre Beziehungen zueinander erhält man. wenn 
man die Untersuchung nicht auf das Blut beschränkt, sondern 
sich einmal die Hauptquelle ansieht, aus der die farblosen Blut- 
elemente notorisch in das Blut gelangen, und das ist die Lymphe. 


Die ungranulierten Leucocyten. 825 


I. Die Zellen der Lymphe. 


Bei einer Untersuchung der zelligen Elemente der Lymphe 
betritt man fast ein neues Gebiet; die Angaben der älteren 
Anatomen, auf die ich oben hinwies, basieren fast durchweg auf 
wenig zureichenden Methoden und sind deswegen nicht ohne 
weiteres verwertbar; von klinischer Seite, speziell von Ehrlich 
und seiner Schule aber, existieren meines Wissens hierüber über- 
haupt keine Untersuchungen. Und doch ist klar, dass man ein 
Urteil über die Auffassung und Bewertung der Zellelemente, die 
man früher als Lymphkörperchen und dann als Lymphoeyten be- 
zeichnet hat, nur gewinnen kann, wenn man die Lymphe unter- 
sucht. die sie ja in grossen Mengen erst in das Blut einschwemmt. 
Mit den oben angegebenen Methoden habe ich nun eine Reihe 
von Tieren: Meerschweinchen, Kaninchen, Katze, Hund und einen 
Macacus untersucht, und dabei einen im grossen und ganzen 
übereinstimmenden Befund erheben können. Den folgenden Aus- 
führungen liegt im wesentlichen der Befund am Kaninchen 
zugrunde. 

Zunächst fällt auf, dass der Gehalt an Zellen auch bei der 
gleichen Tierart wechselt, und zwar so, dass man einmal ausser- 
ordentliche Mengen findet, ein andermal wieder sehr wenig. Stets 
aber überwiegen die ungranulierten Elemente um ein beträcht- 
liches, ja manchmal fällt es schwer, granulierte Leucocyten in 
einem Präparate zu finden. Was aber nun die ungranulierten 
Elemente angeht, so trifft man sowohl kleine wie grosse Formen, 
erstere in überwiegender Menge, letztere aber auch in recht 
beträchtlicher Zahl, nach ungefährer Schätzung etwa zu 20%. 
Die kleinen Formen zeigen in ihren morphologischen Charakteren 
vollständige Übereinstimmung mit den entsprechenden Zellen des 
Blutes, sodass ich es mir versagen kann, nochmals näher darauf 
einzugehen. Ich verweise auf die Fig. 9a—d und 7a, b für die 
Lymphelemente und Fig. 1 für das Blut, allerdings stammen erstere 
vom Kaninchen, letztere vom Menschen. 

Ein anderer Punkt soll aber zunächst hier seine Erörterung 
finden. Ehrlich (15) hat wohl in Anlehnung an M. Schultze (71) 
die Behauptung aufgestellt, dass die kleinen Formen nicht amöboid 
beweglich und weiterhin auch nicht emigrationsfähig seien. Ich 
habe schon früher (50) darau“ hingewiesen, dass diese Annahme 


526 Franz Weidenreich: 


den Tatsachen keineswegs entspricht; und dass speziell die so- 
genannten Lymphoceyten die Grefässwände passieren, dafür habe 
ich Belege aus der anatomischen Literatur und den Abbildungen 
in den Lehrbüchern der Histologie erbracht. Ich selbst habe 
auch schon früher solche Zellen im Durchtritt durch die Gefässe 
der Blutlymphdrüsen (79) und der Milz — hierfür auch beim 
Menschen — (77) dargestellt. Inzwischen haben sich eine ganze 
Reihe von Autoren, auch Anhänger Ehrlichs, davon überzeugt, 
dass die amöboide Beweglichkeit nicht gut abstreitbar ist. Bei 
der Anwendung der Agarmethode gelingt es nun ohne weiteres, 
solche in Bewegung befindliche Formen in ihrer augenblicklichen 
Phase zu fixieren: ich gebe in Fig. 7 eine Reihe derartiger Zellen 
der Lymphe wieder. Interessant ist dabei besonders das Ver- 
halten des Kerns; im nahezu allen Figuren zeigt sich, dass der 
Kern fast sklavisch den Bewegungen des Plasmas folgt, sodass 
Kernkontur und Zellkontur auch bei stärkster Bewegungs- 
erscheinung fast völlig miteinander übereinstimmen. Sobald aber 
die Zelle wieder in die Ruheform zurückkehrt, nimmt auch der 
Kern wieder seine rundliche oder besser kugelige Forın an. Niemals 
tritt hier eine bleibende Lappung auf, sodass auch diese Beob- 
achtungen an den ungranulierten Zellen zugunsten meiner in der 
letzten Abhandlung (86) vorgetragenen Ansichten über die Kern- 
form der granulierten Elemente sprechen. Es sei hier nun noch 
nachgeholt, dass auch die kleinen Formen des menschlichen Blutes 
bei der Agarmethode die gleiche Bewegung zeigen, in Fig. 2a 
und b habe ich zwei solcher Zellen in der charakteristischen 
Bewegungsform wiedergegeben. Meine Befunde stimmen also auch 
hinsichtlich des Verhaltens des Kernes mit denen überein, die 
Askanazy (2) an den Lymphocyten menschlicher Lymphdrusen 
erheben konnte. 

Was nun die grossen Elemente angeht, so zeigen auch sie 
dasselbe Bild, das wir schon vom Blute her kennen. Die Zellen 
erreichen gelegentlich recht grosse Dimensionen (Fig. 91), zeigen 
aber sonst das übliche Maß (Fig. 9f, g, h); auch das Verhältnis 
zwischen Kern und Plasma ist das bekannte. Die Form des 
Kernes ist entweder eine mehr rundlich-kugelige (Fig. 10) oder 
eine rein nierenförmige (Fig. 9 f—i) oder aber der Kern zeigt 
höckerartige Unebenheiten oder grössere Fortsätze, wie ich sie 
in Fig. 12 dargestellt habe. Ich habe schon darauf hingewiesen, 


Die ungranulierten Leucocyten. 827 


dass dasselbe auch bei den entsprechenden Elementen des Blutes 
vorkommt (Fig. 3b, e, g), und die Fortsätze als den Ausdruck einer 
Bewegungserscheinung gedentet (Fig. 3e); dass auch für die 
Zellen der Lymphe dieselben Ursachen verantwortlich zu machen 
sind, folgt aus einer Betrachtung der Fig. 12b, die eine Zelle in 
Bewegung wiedergibt, wobei der Kern dem Plasma folgend, die 
charakteristischen Fortsätze ausfliessen lässt. Niemals tritt aber 
auch hier eine Lappung des Kernes auf, wie sie bei den granulierten 
Leucocevten die Regel ist; die Kerne behalten den kompakten 
Charakter bei. Dass sie manchmal schwer tingierbar sind, aber 
trotzdem nicht als chromatinarn bezeichnet werden können, hob 
ich schon hervor: ich verweise hierfür nochmals auf Fig. 13 und 
das, was ich bei Besprechung derselben gesagt habe. Das Proto- 
plasma zeigt manchmal auch hier die beiden Zonen (Fig. 10a, b), 
auch sonst gilt für seine Struktur das gleiche wie für die Blut- 
zellen. Interessant ist, dass beim Kaninchen, wenn auch nicht 
gerade häufig, Granulationen vorkommen, die als „azurophile“ 
anzusprechen sein dürften; ich gebe zwei derartige Zellen in 
Fig. 14 wieder; bei Giemsa-Färbung nehmen sie zum Teil 
eine hellere rötliche, zum Teil eine dunklere blaue Farbe an. 
Dass es sich hier nicht um richtige granulierte Leucocyten handelt, 
also weder um pseudoeosinophile, noch um eosinophile, noch um 
Mastleucocyten, brauche ich wohl nicht ausdrücklich zu versichern : 
derartige Zellen und Granulationen sehen ganz anders aus. 


II. Vergleich der Blut- und Lymphzellen und 
die Beziehungen der kleinen und grossen Formen 
zueinander. 

Aus den hier mitgeteilten Befunden ergibt sich also, dass 
wir die beiden Formen der Blutleucoeyten mit genau den gleichen 
Charakteren in der Lymphe wiederfinden. Dass sie identisch sind, 
braucht nicht erst bewiesen zu werden, denn es ist wohl klar, dass 
die Zellelemente, die dem Ductus thoraeicus an seiner Einmündung 
in das Venensystem entnommen werden, im nächsten Augenblicke 
im Blute gefunden werden müssen: von allen farblosen Zellen 
des Blutes können ihnen aber nur die oben beschriebenen Elemente 
entsprechen. Vor einiger Zeit hat einmal Schridde (64) be- 
hauptet, dass „die Lymphoeyten des Blutes (das sind natürlich 
die von mir mit einem indifferenten Namen als kleine Formen 


s25 Franz Weidenreich: 


bezeichneten Elemente) auf der einen Seite und die Zellen der 
Lymphfollikel und die im perivaskulären Gewebe gelagerten 
Lymphoeyten (also auch die Elemente der Lymphe) auf der anderen 
Seite morphologisch vollkommen differente Zellarten seien“, und 
das deswegen. weil mit seiner schon besprochenen Methode der 
Granuladarstellung die Granula in der Farbennuance etwas von- 
einander abweichen und „nur Zellen der gleichen Art die gleichen 
spezifischen Zellkörner besitzen“. Schridde (65) hat bald er- 
kannt, dass er hier doch in der Wertschätzung des färberischen 
Charakters der Granulation und der Granulation überhaupt zu 
weit gegangen ist, und ist inzwischen von dieser Ansicht ab- 
gekommen; aber bezeichnend ist es doch, dass unter dem Zwange 
des Ehrlichschen Dogmas einfache anatomische Tatsachen wie 
die des Übergangs der Lymphzellen in das Blut mit einer an- 
geblich zu konstatierenden Färbungsdifferenz einer erst durch 
besondere Methoden darstellbaren Granulation kurzer Hand als 
widerlegt angesehen werden konnten. 

Demnach kommen wir zu dem Ergebnis, dass sowohl die 
kleinen wie diegrossen ungranuliertenZellelemente 
dem Blute durch die Lymphe zugeführt werden — ob 
ausschliesslich, kann vorerst ausser Betracht bleiben. Diese 
Zellformen sind es also, die von den älteren oben zitierten 
Anatomen und besonders auch von Virchow als Lymph- 
körperehen beschrieben wurden, und es ist daher durch nichts 
gerechtfertigt und absolut unrichtig, zu behaupten, dass nur die 
kleinen Formen Iymphogenen Ursprungs seien und die grossen 
ungranulierten Elemente („grosse mononukleäre Leucocyten“ und 
„Übergangsformen“) nicht den Lymphdrüsen, sondern nur der 
Milz!) oder dem Knochenmark entstammen. Aus dem gleichen 
Grunde widerspricht es den einfachsten anatomischen Tatsachen, 
die kleinen Formen allein als „Lymphocyten“ zu bezeichnen. Dieser 
Name wurde ursprünglich für die Zellen der Lymphe gebraucht, und 
da in ihr die grossen Formen genau so wie im Blute vorkommen, 
so hat man auch auf sie jene Bezeichnung auszudehnen. Dass 
sie auch aus Milz und Knochenmark in das Blut gelangen können, 
soll nicht bestritten werden; dasselbe gilt aber auch anerkannter- 


!, Da die Milz keine Lymphgefässe als Ausführwege besitzt (77), 
können die grossen Elemente natürlich nicht aus diesem Organ her in den 
Ductus thoracicus gelangen. 


Die ungranulierten Leucocyten. 820 


massen für die kleinen Formen, die „Lymphoeyten“ Ehrlichs. 
sine derartige engere Zusammenstellung der kleinen und der 
grossen Formen ist aber auch morphologisch durchaus gerecht- 
fertigt, da es absolut unmöglich ist, eine scharfe Grenze zwischen 
beiden zu ziehen. Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, 
dass für das Blut eine kontinuierliche Reihe von den kleinen 
Formen über solche, die eine Mittelstellung einnehmen, zu den 
grossen führt, und eine entsprechende Zusammenstellung in Fig. 27 
auf Taf. AXXIII gegeben. Noch deutlicher treten diese Beziehungen 
bei der Untersuchung der Lymphe hervor: in Fig. 9 habe ich 
eine solche Reihe abgebildet — die Zellen sind aus einem Präparat 
zusammengestellt —; man erkennt die typischen kleinen Formen 
a und b auf der einen und die grossen Formen g—i auf der 
anderen Seite, beide sind aber durch kontinuierliche Übergänge 
(e—t) verbunden. Wer einen derartigen Beweis nicht gelten 
lassen will und die kleinen und die grossen Formen als durchaus 
unabhängige und besondere Zellarten betrachtet, der müsste folge- 
richtig auch jede der in Fig. 9 oder auf Taf. XXXIII wieder- 
gegebenen Zellen als eine eigene Zellart ansehen. Wo hört hier 
dann der „Lymphoeyt“ auf und wo fängt der „grosse mononukleäre 
Leueocyt“ an? 

Aus dieser Betrachtung ergibt sich also zunächst, dass 
kleine und grosse Formen derungranulierten Leuco- 
eyten zusammengehören, da sie durch eine kontinuierliche 
Reihe morphologisch entsprechender Mittelformen in Blut und 
Lymphe verbunden sind und dass sie beide zusammen unter 
den Begriff der Lymphkörperchen oder Lymphzellen 
der älteren Autoren fallen; Virchow (76), auf den sich 
Ehrlich besonders bei Aufstellung seines Lymphocytenbegritfs 
beruft, unterschied ganz richtig in der Lymphe kleine und grosse 
Zellen — ja er hebt sogar gerade die letzteren besonders hervor — 
und beide Elemente leitet er aus den Lymphdrüsen ab. Darum 
entbehrt auch die ausschliessliche Bezeichnung der 
kleinen Formen als „Lymphocyten“ jeder historischen 
und anatomischen Berechtigung. Ebenso entspricht es 
aber auch nicht den Tatsachen, die grossen Formen von den 
kleinen völlig zu trennen und sie mit den granulierten Leuco- 
cyten ohne weiteres zusammenzustellen; auf Grund meiner Unter- 
suchungen des Blutes und der Lymphe scheint es mir sehr fraglich, 


s30 Franz Weidenreich: 


ob wirkliche typische Übergänge zwischen den ungranulierten 
und den granulierten Formen unter normalen Verhältnissen 
in der Zirkulation vorkommen, ohne selbstverständlich damit 
solche Beziehungen überhaupt leugnen zu wollen. Die grossen 
Formen wieder, was Ehrlich (15) getan hat, in „grosse mono- 
nukleäre Leucoeyten“ und „Übergangsformen“ zu trennen, ist 
keinerlei Grund vorhanden; wie die Literaturübersicht erkennen 
lässt, wird diese Unterscheidung auch von den neueren klinischen 
Autoren nicht mehr aufrecht erhalten. Ebensowenig entspricht 
die Türksche (75) Auffassung, wonach die grossen Formen nicht 
nur den granulierten Elementen, sondern auch den kleinen Formen 
gegenüber eine Gruppe für sich bilden sollen, den tatsächlichen 
anatomischen Befunden. Nun hat ja schon Pappenheim (47) 
früher die grossen Formen mit den kleinen als Lymphocyten zu- 
sammengefasst und sie den granulierten Elementen gegenüber- 
gestellt, aber nicht etwa weil sie morphologisch und genetisch 
zusammengehören, sondern weil sie sich „chemisch-tinktoriell* 
gleich verhalten, Pappenheim lehnt es sogar ausdrücklich ab, 
morphologische Gesichtspunkte heranzuziehen, weil diese seiner 
Ansicht nach falscherweise zu einer Zusammenstellung mit den 
granulierten Leucocyten führten. In der Sache hat also Pappen- 
heim Ehrlich gegenüber Recht, wenn auch seine Argumentation 
nicht anzuerkennen ist. Nun bleibt aber doch noch ein scharfer 
Gegensatz zu den Auffassungen dieses Autors bestehen. Pappen- 
heim stellt nämlich kleine und grosse Formen nur in eine Gruppe 
zusammen und sieht in jeder den Repräsentanten einer bestimmten 
Zellreihe, die nur in ihrem ersten Gliede genetisch verknüpft sei, 
sodass eine direkte Beziehung zwischen kleinen und grossen Formen 
auch von ihm geleugnet wird. Dass in Wirklichkeit eine kon- 
tinuierliche Reihe von Übergängen festzustellen ist, spricht schon 
gegen eine derartige Auffassung; es gibt aber noch andere Gründe, 
auf die noch zurückzukommen sein wird. 


C. Morphologische Bewertung und Ableitung 
der Lymphocyten. 
I. Die sogenannten „grossen Lymphozyten“. 
Bei meinen bisherigen Betrachtungen habe ich eine Zellform 
nicht berücksichtigt, die in der Hämatologie eine grosse Rolle 
spielt und auf die ich schon bei der Literaturbesprechung hinge- 


Die ungranulierten Leucocyten. 831 


wiesen habe, nämlich den sogenannten „grossen Lymphoeyten“, 
die Mutterzelle der Lymphoeyten, die Keimzentrumszelle der 
Sekundärknötchen. Nach den Angaben der klinischen Autoren 
(s. o.) soll diese Zelle normalerweise in der Zirkulation fehlen 
und nur bei Kindern oder bei bestimmten Krankheiten vor- 
kommen. Die morphologischen Charaktere dieser Zelle gab ich 
schon in der Literaturübersicht. In Ehrlichs „Anämie“ (15) sind 
die Zellen abgebildet und bei Besprechung der normal vorkommen- 
den Lymphoeyten Ehrlichscher Nomenklatur ist wiederholt auf 
diese Abbildungen verwiesen worden. Hält man sich aber an diese 
oder überhaupt an die Beschreibungen, die man vielfach von dieser 
Form findet, so kommt man zu dem Ergebnis, dass man es hier 
mit einer Zelle zu tun hat, wie man sie in jedem Blut und jeder 
Lymphe finden kann. Ehrlichs Abbildungen zeigen im wesent- 
lichen kein anderes morphologisches Bild wie meine Fig. 1 und 
und 5a, b auch. Dabei muss ich den Klinikern einen wichtigen 
Punkt zu bedenken geben. Sie untersuchen das Blut bei einer 
Blutkrankheit z. B. bei einer akuten Iymphatischen Leukämie, und 
finden dabei Zellformen, die vielleicht in einigem vom gewohnten 
Bilde der unter normalen Verhältnissen im Blute vorkommenden 
Lymphoeyten abweichen. Nun wird folgendermassen argumentiert: 
hier ist eine Zelle, wie sie normalerweise vermisst wird; weil man 
vielleicht gleichzeitig Mitosen findet, wird sie als die Mutterzelle 
und die Keimzentrumszelle angesprochen und dann das unge- 
wohnte morphologische Bild genau und für immer als Art-Schema 
festgelegt. Wenn nun im normalen Blute Zellen mit genau den 
gleichen Charakteren vielleicht nicht angetroffen werden, so 
schliesst man ohne weiteres, dass die Mutterzellen der Lympho- 
eyten normalerweise in der Zirkulation fehlen. Dass das ein 
Trugschluss ist, merkt man anscheinend nicht: man übersieht 
aber dabei doch den Umstand, dass der pathologische Zustand 
das Aussehen der Zellen so verändern kann, dass der Zellhabitus 
vom normalen abweicht. Kann nicht die mitotischer Teilung 
fähige Mutterzelle der Lymphocyten unter normalen Bedingungen 
etwas anders aussehen als der teilungsfähige Lymphocyt der 
Iymphatischen Leukämie? Wissen wir denn nicht, dass eine 
Epithelzelle in karzinomatöser Entartung ihr Aussehen so ändern 
kann, dass sie von dem typischen Bilde vollständig abweicht? 


Keinem Pathologen wird es aber einfallen, aus der Karzinomzelle 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 54 


Franz Weidenreich: 


das Bild der normalen Epithelzelle abzuleiten: in der klinischen 
Hämatologie scheinen das aber manche Autoren für erlaubt zu 
halten ! 

Was nun das Bild des „grossen Lymphocyten* angeht, so 
hat Pappenheim (48) davon genauere Abbildungen als Ehrlich 
gegeben, auch Nägeli (46) stellt ihn in seiner Fig. 4 auf Taf. IV 
dar. Nach der Schilderung des erstgenannten Autors ist er aus- 
gezeichnet durch einen relativ grossen runden Kern, inmitten 
eines im ganzen schmalen Plasmaleibs, und einen konstant vor- 
handenen Nukleolus;: auf Taf. II unter | ist die Zelle wieder- 
gegeben. Untersucht man Blut und Lymphe auf solche Zellen, 
so findet man wohl im Blute und der Lymphe jedes Menschen 
oder Tieres Elemente, die in allen Punkten die geforderten 
inorphologischen Charaktere erfüllen, wenn sie auch nicht gerade 
häufig sind. Ganz abgesehen von der Frage, ob dies wirklich 
die Mutterzellen der Lymphoecyten sind, muss zuerst das morpho- 
logische Bild genauer kritisiert werden. Ich habe in Fig. 10 
drei Zellen aus der Lymphe des Kaninchens wiedergegeben, die 
genau mit den Pappenheimschen Abbildungen übereinstimmen, 
so dass wir es hier mit den „grossen Lymphocyten“ der Autoren 
zu tun hätten. Vergleicht man sie nun mit den gewöhnlichen 
kleinen und grossen Formen, so sieht man, dass sie in Ihrem 
allgemeinen Habitus, in Kern- und Plasmastruktur kaum von 
diesen sich unterscheiden, mit zwei Ausnahmen, nämlich in der 
Kernform und dem „konstanten Nukleolus“. Die Kerne werden 
als rund beschrieben und fast in Kreisform abgebildet. Gerade 
solche kreisrunde Kerne, wie sie hier offenbar für charakteristisch 
gehalten werden, sind im der Tat nicht ganz häufig. Aber abge- 
sehen davon, dass die Mutterzelle der Lymphoeyten, die Keim- 
zentrumszelle, wie jeder Schnitt durch ein Lymphdrüsenkeim- 
zentrum lehrt (Fig. 26 auf Taf. XXXII) und wie die Abbildungen in 
den histologischen Lehrbüchern auch zeigen (cf. v. Ebner- 
Kölliker, Bd. III, Fig. 1325), keineswegs kreisrund sind oder 
sich in ihrer Form von der der gewöhnlichen grösseren Zellen der 
Lymphe wesentlich unterscheiden, ist einem derartigen Kriterium 
bei der notorischen Plastizität des Kernes nicht der geringste 
Wert beizumessen:; dazu kommt, dass bei Trockenpräparaten es 
doch sehr darauf ankommt, welche Seite die Zelle und der Kern 
dem Beschauer zukehrt. Ein nierenförmiger Kern, wie ich ihn 


Die ungranulierten Leucocyten. 833 


in den Fig. 3c oder 9e und f abgebildet habe, wird natürlich 
rund erscheinen, wenn seine Konvexität oder die Ausbuchtung 
direkt nach oben gerichtet ist: und zufällig kann er sich auch 
einmal von dieser Seite präsentieren. Nun noch das zweite 
Kriterium, der „konstante Nukleolus“. Wie ich schon oben hervor- 
gehoben habe, ist in weitaus den meisten ungranulierten Zellen 
von Blut und Lymphe (Fig. 5) ein Nukleolus nachzuweisen, mit 
diesem Unterscheidungsmerkmal an und für sich ist also noch 
weniger anzufangen; denn dann wären ja alle Zellen mit Nukleolus 
„grosse Lymphocyten“. Aber aus der Wiedergabe der Zellen geht 
hervor, dass man eine besondere grössere helle Stelle im Kern 
als Nukleolus bezeichnet; das ist besonders gut bei a und e in 
der Fig. 10 zu sehen. Handelt es sich aber hierbei um wirkliche 
echte Nukleolen? Ich hob schon hervor, dass in Trockenpräparaten 
Lücken im Chromatingerüst des Kernes, namentlich in den ober- 
tlächlichen Teilen, als helle Stellen bemerkbar werden (Fig. Le, f). 
Solche helle Stellen können nun auch noch eine ganz andere 
Bedeutung haben. Durchmustert man eine grössere Anzahl von 
Präparaten der Lymphe, so findet man Kerne, die ganz oder 
teilweise durchlocht erscheinen (Fig. 22a. d); in Wirklichkeit 
handelt es sich aber hierbei nicht um eine Durchlochung, sondern 
um Kerne mit stärkerer und vor allem tieferer Einbuchtung 
{Fig. 22c), die gerade so liegen, dass sie diese Eindellung nach 
oben kehren (Fig. 22b, e). Vergleicht man solche Zellen mit 
den angeblich mit einem besonders deutlichen Nukleolus ver- 
sehenen, so zeigt sich, dass kein Unterschied besteht. Sonach 
bestreite ich, dass die mitotischer Teilung fähige Mutterzelle der 
Lymphocyten, die sogenannte Keimzentrumszelle, oder der 
„grosse Lymphocyt“ der Autoren, sollte sie sich überhaupt in 
der Zirkulation finden, durch die ihr zugeschriebenen Merkmale 
besonders gekennzeichnet ist; das, was dafür ausgegeben wird, 
sind Zellen wie die anderen auch, grössere Lymphkörperchen oder 
Lymphzellen. 


I. Die Bedeutung der grossen Lymphocytenformen. 


Eine weitere Klärung der ganzen Frage nach der Bedeutung 
der grossen Formen der ungranulierten Leucoeyten folgt aber 
noch aus einem sehr wesentlichen Befund. Fast in jeder Lymphe, 


besonders zahlreich aber beim Kaninchen, findet man Zellen, die 
D4* 


Ss34 Franz Weidenreich: 


sich in Mitose befinden, eine Tatsache, die bisher ebenso 
unbekannt geblieben ist, wie die Lymphe überhaupt. Die Mitosen 
sind hier so leicht nachweisbar, dass man die Lymphe sehr gut 
zu Kurszwecken verwenden könnte, um Mitosen an Säugetier- 
zellen zu demonstrieren. Alle Phasen sind vertreten; aus ihrer 
Zahl gebe ich hier in Fig. 11 einen Mutterstern (a) und einen 
Tochterstern (b) wieder. Es fragt sich natürlich nun zunächst, 
welche Zellen sich hier in Teilung befinden. Dass es ungranulierte 
sind, folgt ohne weiteres aus dem Mangel jeder Granulation: dass 
es keine kleinen Formen sein können, geht ebenso sicher aus der 
Zellengrösse und vor allem der Menge des Protoplasmas hervor- 
Es bleiben also nur die grossen Formen übrige. Nun könnte 
man vielleicht einwenden, dass das Mitosen der „grossen Lympho- 
cyten“ seien, die aber dann allerdings wieder unter normalen 
Verhältnissen nicht vorkommen dürften. Allem auch dies trifft 
nicht zu, denn diese „grossen Lymphocyten“ der Autoren haben 
im ruhenden Zustand gerade runde Kerne, während die Anfangs- 
stadien der Mitose, das beginnende Knäuelstadium, vielfach 
erkennen lässt, dass hier der ruhende Kern eine Nierenform 
gehabt haben muss (Fig. Ile). Abgesehen davon sind die für 
„grosse Lymphocyten“ ausgegebenen Zellbilder sehr spärlich vor- 
handen, während Mitosen in den eleichen Präparaten unter 
Umständen in Menge anzutreffen sind. Ich brauche nun wohl 
nieht erst zu beweisen, dass auch Zellen mit eingebuchteten 
Kernen, wie sie die Mehrzahl der grossen Formen der ungranulierten 
Leucocyten besitzen, mitotischer Teilung fähig sind. Diese Tat- 
sache ist schon seit Flemmings (22) Untersuchungen bekannt: 
er sagt darüber: „Unter dieselbe Rubrik fallen Kerne von. den 
eingeschnürten Formen, wie hier einer in Fig. C, 1 dargestellt 
ist, die man in den verschiedensten Geweben antreffen kann ... 
Solche Einbuchtungen kommen auch an Kernen vor, die schon 
in Knäuelform der Teilung stehen (Fig. C unten, d).“ Also auch 
Flemming hat solche eingebuchtete Kerne — seine Figuren 
zeigen die gleiche Form wie die fraglichen Lymphzellen — 
direkt in Mitose übergehen sehen. Stöhr (73) bildet in seinem 
Lehrbuch der Histologie als Anfangsstadium einer Mitose einen 
dichten Knäuel mit typischer bohnenförmiger Anordnung (siehe 
seine Fig. 14) ab und endlich habe ich schon in der vorher- 
gehenden Arbeit (86) auf zwei weitere Belege in der Literatur 


Die ungranulierten Leucocyten. 


hingewiesen, auf Zellen des Knochenmarks und des Netzes, die 
im Knäuelstadium noch die ursprüngliche Nierenform erkennen 
lassen (Blumenthal [6], Tafel I, Fig. 17, 20; Renaut [55], 
Tafel XV, Fig. 4, 5). Zudem zeigt die von mir wiedergegebene 
Zelle (e) in Fig. 11 das gleiche Bild. Ich bin auch der Ansicht, 
ddass Zellen mit Kernformen, wie ich sie in der Fig. 12 abgebildet 
habe, sich gleichfalls noch auf indirektem Wege teilen können: 
denn diese Formen sind nur der Ausdruck einer augenblicklichen 
Bewegungsphase des Kernes (cf. Fig. 12b und 3e). Daraus folgt 
also, dass sicher die grossen Formen der ungranulierten 
Leucoeyten teilungsfähige Elemente sind und dass diese 
Teilung noch in der Zirkulation vor sich geht. 

Mit der Feststellung dieser Tatsche erscheinen aber die 
Zellen in einer neuen Beleuchtung. Es ist klar, dass die Türk- 
Nägelische Ansicht (siehe oben), wonach die grossen Formen 
der ungranulierten Leueoceyten des normalen Blutes die Produkte 
eines „rudimentären“ Leucocytenbildungssystems darstellen sollen, 
weiter nicht ernstlich diskutierbar ist, denn warum sollten 
rudimentäre Zellen sich noch in Mengen in der Zirkulation teilen, 
während das bei nicht rudimentären nicht der Fall ist? Auch 
Ehrliehs ursprüngliche Ansicht über die Natur dieser Zellen 
stünde in einem bösen Widerspruch zu seinen eigenen sonstigen 
Theorien; denn wären die Zellen wirklich die ungranulierten 
Vorformen der granulierten Leucocyten, so würden diese ja aus 
der Lymphe, wo sie sich mitotisch vermehren, und nicht aus 
dem Knochenmark stammen. Auch Pappenheims Theorie 
(siehe oben) ist nicht weiter haltbar, denn er sieht in den 
grossen Zellen besondere Entwicklungsstadien der sogenannten 
grossen Lymphocyten und zwar die nicht mehr weiter ent- 
wicklungsfähigen Endglieder. Wie verträgt sich aber damit die 
Tatsache ihrer reichliehen mitotischen Vermehrung? 

In Wirklichkeit ist die Lösung der ganzen Frage eine sehr 
einfache. Wir wissen — das ist allgemein anerkannt —, dass 
die kleinen Formen der Lymphzellen, also die Lymphocyten 
Ehrlichscher Nomenklatur, in den Iymphoiden Organen ent- 
stehen, wo sie nach den klassischen Untersuchungen Flemmings 
(23) hauptsächlich in den Keimzentren der Sekundärknötchen 
gebildet werden: ihre Mutterzellen sind aber grössere Zell- 
elemente, die sogenannten Keimzentrumszellen, die sehr zahlreich 


S36 Franz Weidenreich: 


in Mitose getroffen werden. Ebenso bekannt ist aber auch, dass 
die Neubildung von Zellen in den Lymphdrüsen nicht etwa aus- 
schliesslich auf die Keimzentren beschränkt ist, sie findet viel- 
mehr dort nur im erhöhten Maße statt; davon kann man sich 
an jedem Lymphdrüsenpräparat überzeugen. In diesem Sinne 
spricht sich auch v. Ebner (13) aus, er sagt: „Zwar finden 
sich Mitosen auch da und dort überall im adenoiden Gewebe, 
sowie auch in den Lymphbahnen;!) allein in den Sekundär- 
knötchen sind sie besonders zahlreich und es muss daher 
angenommen werden, dass hier die Neubildung von Zellen in 
erhöhtem Maße stattfindet.“ Stöhr (73) sagt: „Auch in den 
Marksträngen erfolgt eine Vermehrung der Zellen, jedoch in viel 
geringerem Maße als in den Keimzentren.“ Grössere Zellen 
also, die sich mitotisch teilen und aus denen die kleinen hervor- 
gehen, finden sich in allen Teilen der Lymphdrüsen, wie Ebner 
hervorhebt, auch in den Lymphbahnen und, wie meine Unter- 
suchungen zeigen, auch noch in der Lymphflüssigkeit selbst. Es 
ist nun klar, dass die Teilungsprodukte, die aus den zirkulierenden 
Mitosen hervorgehen, zunächst kleinere Elemente sind, dass also 
aus den grossen Formen kleinere Lymphzellen entstehen. Dem- 
nach sind die grossen Zellen auch hier die Mutterzellen der 
kleinen; dann sind sie aber identisch mit dem, was man in der 
Lymphdrüse als Keimzentrumszelle bezeichnet hat, und somit ist 
das Endresultat die Erkenntnis, dass die Lymphe noch genau 
die gleichen Elemente enthält wie die lymphoiden 
Organe selbst; aus der Tatsache, dass die grossen 
Formen der Lymphzellen teilungsfähige Mutter- 
zellen sind, also Keimzentrumszellen, erklärt sich 
auch, dass die grossen Formen den kleinen numerisch nachstehen, 
genau so wie man es auch bei den Lymphdrüsen findet. 

Ich will dies nun noch weiter ausführen. Zur Demon- 
stration der Zellen der Lymphdrüse gebe ich zunächst in Fig. 23 
einen Schnitt wieder, der eine Partie aus einem Lymphraum einer 
Blutlymphdrüse der Ratte darstellt. Neben stark differenzierten 
Retikulumzellen (r) sieht man grosse protoplasmareiche Zellen, 
die sich noch an der Bildung des Retikulums beteiligen (e); 
besser als hier kommen diese Beziehungen an einer anderen 
Darstellung heraus, die ich früher einmal gegeben habe und auf 


') Im Original nicht gesperrt. 


Die ungranulierten Leucocyten 837 


die ich nochmals verweisen möchte (79; Taf. IV, Fig. 32). Daneben 
findet man aber zahlreiche grosse Zellen, die vollständig frei liegen 
(el) und durch folgende Besonderheiten gekennzeichnet sind: 
grossen runden, ovalen oder bohnenförmigen Kern mit lockerem 
Chromatingerüst und deutlichem Nukleolus ') und schmälerem oder 
breiterem protoplasmatischen Hof, der sich mit basischen Farb- 
stoffen färbt, jedoch auch sauere wie Fuchsin-S annimmt (ef. 
Pappenheim [öl]. In grosser Zahl sind auch die kleinen 
charakteristischen „Lymphoeyten“ Ehrlichscher Nomenklatur 
vertreten (kl), deren morphologische Kennzeichen genügend be- 
kannt sind. Zwischen den grossen und den kleinen Formen gibt 
es aber eine Reihe von Elementen, die sowohl in der allgemeinen 
Zellengrösse wie auch in Kern und Plasma die Mitte halten (ml). 
Also es zeigt sich, dass auch in den Lymphdrüsen selbst genau 
die gleichen Elemente wie in der zirkulierenden Lymphe nach- 
weisbar sind und dass auch hier eine kontinuierliche Reihe von 
den kleinen zu den grossen Formen führt. Das gilt aber nicht 
nur für die Lymphräume der Lymphdrüsen, sondern auch für das 
adenoide Gewebe, für die Sekundärknötchen und Markstränge 
selbst. Die grossen Formen sind die mitotischer Teilung fähigen 
Mutterformen der kleinen, also mit den Keimzentrumszellen iden- 
tisch. Nun scheint auf den ersten Blick doch ein Unterschied 
zu bestehen, wenn man nämlich eine ganze Gruppe von Keim- 
zentrumszellen der Sekundärknötchen mit einer Gruppe der 
grossen Zellen der Lymphbahnen vergleicht. Diese Verschiedenheit 
bezieht sich hauptsächlich auf die Kerngrösse und das Verhältnis 
des Kernes zum Protoplasma (vgl. die Zellen des Keimzentrums 
der Fig. 26 mit den grossen freien Elementen der Lymphsinus 
in Fig. 23). Hier haben wir es aber mit einer Differenz zu tun, 
die ausschliesslich funktioneller Natur ist. Die Keimzentrums- 
zellen der Sekundärknötehen sind ja gerade dadurch vor den 
anderen ausgezeichnet, dass die Teilungsvorgänge sich in ihnen 
besonders energisch abspielen. Nun wissen wir aber durch die 
Untersuchungen R. Hertwigs (27, 28), dass es ein „Teilungs- 

') Ich kann im Rahmen dieser Arbeit auf die interessante Frage der 
Nukleolen nicht eingehen und gedenke bald in einer eigenen Abhandlung 
darauf zurückzukommen. Manches, was an Schnitten als Nukleolus imponiert, 
ist nichts anderes als eine schmale und tiefe Eindellung des Kernes, wie ich 
es in Fig. 22 dargestellt habe. 


338 Franz Weidenreich: 


wachstum“ des Kernes gibt, das der Mitose vorausgeht und ein 
Anwachsen des Kernes bis zur doppelten Grösse zur Folge hat, 
wodurch speziell auch das Verhältnis des Kernes zum Plasma 
geändert wird. Andrerseits spielen sich in den grossen Zellen 
der Lymphsinus in hervorragendem Grade phagocytäre Prozesse 
ab. wie ich das schon früher eingehend geschildert habe (78): 
in den Blutlymphdrüsen kann die Phagocytose dieser Zellen ganz 
exorbitant sein; in Fig. 24 habe ich eine solche Zelle wieder- 
gegeben, die eine ganze Reihe von roten Blutkörperchen aufge- 
nommen hat. Die Verarbeitung solcher phagocytierter Stoffe führt 
zu einer starken Vermehrung des Plasmas („Funktionswachstum‘“ 
Hertwigs), ja unter Umständen zur Bildung einkerniger Riesen- 
zellen, wie ich sie gleichfalls in der eben zitierten Abhandlung 
beschrieb. Es ergibt sich also, dass in den Keimzentren mit der 
besonderen augenblicklichen Beanspruchung des Kernes die Kern- 
substanzen (Teilungswachstum) und in den Lymphsinus durch die 
besondere Beanspruchung des Protoplasmas die Plasmasubstanzen 
(Funktionswachstum) vermehrt sind, d. h. im ersteren Falle ist 
der Kern voluminöser und im letzteren Falle das Plasma; es 
entspricht demnach dieses Verhalten vollständig dem R. Hertwig- 
schen Gesetz der „Kernplasmarelation“. Die Unterschiede sind 
natürlich nur in den beiden Extremen besonders auffallend; daher 
findet man an beiden Örtlichkeiten auch Zellen, die sich absolut 
nicht voneinander unterscheiden (cf. Fig. 26a, e mit Fig. 23 gl). 
Auf solche Verschiedenheiten hat übrigens schon Flemming (24) 
hingewiesen, ohne ihnen eine prinzipielle Bedeutung beizumessen : 
er sagt darüber: „Ich muss daran festhalten, dass Leucocyten- 
kerne je nach dem Zustand der Stellen sehr variable Gebilde sind, 
und dass sie, wenn jene sich durch Wachstum vergrössern, dies 
ebenfalls tun und damit einen lockeren Bau erhalten können.“ 
Was die Nukleolen in den Zellen der Keimzentren angeht, so 
eilt für diese dasselbe, was ich oben schon sagte; auch hier 
handelt es sich vielfach um tiefere Eindellungen, wie z. B. bei e 
und d (Fig. 26), was sich mit Hilfe der Mikrometerschraube ohne 
weiteres feststellen lässt. Die hervorgehobenen Zell- und Kernver- 
schiedenheiten sind also lediglich durch den augenblicklichen 
Funktionszustand bedingt und finden sich, wie eine Betrach- 
tung der Fig. 27 und der Fig. 9 lehrt, ebenso wie in den Lymph- 
organen auch in der Lymphe und im Blute selbst. Sie können 


Die ungranulierten Leucocyten. 839 


darum an der Auffassung der sich mitotisch teilenden Elemente 
als Keimzentrumszellen nichts ändern. 

Eine andere Deutung als die hier gegebene ist schlechter- 
dings auch unmöglich. Die freien in der Zirkulation und den 
Lymphbahnen befindlichen Zellen können selbstverständlich keine 
sogenannten Retikulum- oder „Endothelzellen“ sein und ebenso- 
wenig können die entstehenden Tochterzellen als solche bezeichnet 
werden. In den Lymphdrüsen hat man ja nun diese Gerüstzellen 
den eigentlichen leucoeytären, frei in den Maschen liegenden 
Elementen gegenübergestellt; andere Zellformen sind nicht be- 
kannt. Wir wissen heute, dass Retikulum- und „Endothel“- 
zellen morphologisch und genetisch identische Elemente sind — 
ich verweise auf meine Untersuchungen über die Blutlymphdrüsen 
und die neuere Literatur, die ich dort zusammengestellt habe 
(79, S. 42 u. ff.) — wir wissen ferner, dass gerade die sogenannten 
„Endothelien“ der Lymphbahnen sich loslösen können, um dann 
frei in der Lymphbahn zu liegen. Andrerseit steht fest, dass 
die sogenannten Keimzentrumszellen keine fixierten Elemente in 
dem Sinne sind, dass sie oder ihr Auftreten an eine bestimmte 
Örtlichkeit innerhalb des adenoiden Gewebes gebunden ist: es 
ist bekannt, dass Keimzentren entstehen und vergehen können 
und dort, wo sie im adenoiden Gewebe neu auftreten, müssen sie 
aus den Gerüstzellen oder aus den in ihren Maschen liegenden 
Zellen ihre Entwicklung nehmen. Wir kämen damit auf die alte 
Frage zurück, ob die in den Keimzentren gefundenen Mitosen 
freien Zellen, also sogenannten Leucoeyten, angehören oder nicht 
vetikulum- und „Endothelzellen“, wie das Baumgarten (4) 
und Ribbert (56) seinerzeit gegenüber Flemming behauptet 
haben. Gerade dies kann uns im vorliegenden Falle aber gleich- 
gültig sein, denn freie in den Lymphbahnen befindliche Mitosen 
können sicher nicht dem Retikulum oder dem Endothel angehören, 
sondern den Zellen, die man eben in den Lymphdrüsen, weil sie 
frei liegen, als Leucocyten bezeichnet hat. Dass die Keim- 
zentrumszellen ın Mitose sicher auch freiliegend getroffen werden, 
das hat schon Flemming (23, 24) hervorgehoben und v. Ebner 
(13) bestätigt. Flemming (24) selbst hat sich gerade in dieser 
Frage wörtlich folgendermassen geäussert: „Gesetzt auch, es würde 
durch weitere Forschung der Beweis beigebracht, dass in den 
Iymphatischen Drüsen die fixen Zellen einen ständigen Mutterboden 


s40 Franz Weidenreich: 


für die Lymphzellen abgeben, indem sie durch Mitose solche er- 
erzeugen: so würde doch zuzugeben sein, dass ihre frei gewordenen 
Töchter auf ihrem ferneren Lebenswege die Fähigkeit zur Ver- 
mehrung auf gleiche Art behalten und ausgedehnten Gebrauch 
davon machen können.“ Von welcher Seite man also auch die 
Zellen. die in der Lymphe sich in Mitose befinden, betrachten 
mag, man kann zu keinem anderen Ergebnis kommen, als zu 
dem, dass es ungranulierte ‚Leucoeyten sind und die- 
selben Elemente, die man in den Lymphdrüsen, aus denen 
sie stammen, als Keimzentrumszellen bezeichnet hat. 

Es kann darum hier durchaus ununtersucht bleiben, ob die 
bei pathologischen Prozessen im Blute auftretenden Lymphoeyten- 
formen, die von den Klinikern als „grosse Lymphocyten“ be- 
zeichnet werden und die man mit den Keimzentrumszellen der 
Lymphdrüsen identifiziert, wirklich in ihrem morphologischen 
Habitus von den entsprechenden Formen des normalen Blutes in 
etwas abweichen (ganz runde und grosse Kerne ete.) und warum 
dies dann der Fall ist; denn es wäre eben erst zu beweisen, dass 
das Zellbild bei derartigen Prozessen genau das gleiche sein 
muss, wie unter normalen Verhältnissen '). Das ist aber jeden- 
falls als feststehend zu betrachten, dass normalerweise die in 
der Zirkulation befindlichen Mutterzellen der Lymphoeyten, die 
Keimzentrumszellen, die von mir beschriebenen morphologischen 
Charaktere aufweisen. Für das Studium der normalen Ver- 
hältnisse hat man sich daran zu halten; jedenfalls kann nicht 
aus den Befunden bei notorisch pathologischen Prozessen ein 
anderes Bild rekonstruiert und diese Rekonstruktion als der 
normale Zelltypus ausgegeben werden, von dem man zudem noch 
annimmt, dass er überhaupt in der Zirkulation unter normalen 
Verhältnissen fehle. 

Ich bin bisher auf die Frage nicht weiter eingegangen, ob 
sich der Befund an den Zellen der Lymphe direkt auf das Blut 
übertragen lässt. Skeptiker können den Einwand machen, dass 
speziell die in Mitose befindlichen Zellen gar nicht in das Blut 
gelangen. Nun ist selbstverständlich, dass Elemente, die man 


!) Bei überstürzter lebhafter Zellneubildung könnten alle Kerne im 
Verhältnis zum Protoplasma besonders voluminös werden, wie ich dies oben 
für die Keimzentrumszellen der Sekundärknötchen auf Grund des R. Hert- 
wigschen Gesetzes der Kernplasmarelation näher ausführte. 


Die ungranulierten Leucocyten. S41 


dem Ductus thoracicus im oberen Teile des Mediastinums oder 
unmittelbar an seiner Einmüdung in das Venensystem entnimmt, 
auch unbedingt im Blute angetroffen werden müssen. Allerdings 
ist dabei auffallend, dass im Blute selbst normalerweise Leuco- 
cyten-Mitosen mit einer Ausnahme bisher nicht beschrieben worden 
sind. Auch ich habe trotz unzähliger Präparate nie Mitosen im 
Blut gefunden, und selbst dann nicht, wenn sie sich in der 
Lymphe reichlich fanden. Der Grund hierfür ist offenbar darin 
zu suchen, dass eben durch die Vermischung der Lymphe mit 
dem Blute eine ausserordentliche Verteilung der Elemente in der 
gesamten Zirkulation eintritt, so dass es als ein ganz besonderer 
Zufall bezeichnet werden muss. wenn man Mitosen in dem kleinen 
Tröpfehen Blut findet, das man entnimmt; zweitens aber ist es 
durchaus nicht unmöglich, dass die doch etwas andere Zusammen- 
setzung der Blutflüssigkeit auf den Ablauf der Mitose so be- 
schleunigend einwirkt, dass sie schon abgelaufen ist, bis die Zelle 
in das Uapillarsystem gelangt, das das Blut zur Untersuchung 
liefert. Es scheint aber doch, dass bei der Untersuchung von 
Blut in grösseren Mengen Mitosen verhältnismässig zahlreich ge- 
funden werden. Spronck (72) hat das Blut in besonderer 
Weise fixiert und geschnitten und in derartigen Präparaten will 
er 0,2°/o der Leucocyten in Mitose gesehen haben. Ich habe 
schon in der vorhergehenden Abhandlung (86) angegeben, warum 
ich diesen Zahlenangaben etwas skeptisch gegenüberstehe; dass 
aber Mitosen auch im Blute vorkommen müssen, ist nach dem 
Befund der Lymphe sicher; ebenso sicher ist aber, dass sie dort 
wie auch in der Lymphe nach Zahl und Umständen wechseln 
können. Diese teilungsfähigen Elementeentsprechen 
aber, wie ich oben schon eingehend auseinandergesetzt habe, den 
grossen Formen der ungranulierten Leucocyten, 
also den „grossen mononukleären Leucocyten“ oder den „Über- 
gangsformen“ der Autoren. Es ist demnach auch kein Grund 
vorhanden, Bezeichnungen wie „grosse mononukleäre 
Leucocyten“ oder „Übergangsformen“ oder „grosse 
Lymphocvten“ für die in Rede stehenden Zellen bei- 
zubehalten; sie sind vielmehr mit den kleinen Formen 
zusammen als Lymphocyten im ursprünglichen Sinne 
des Wortes zu bezeichnen und da sie als die besonders teilungs- 
fähigen Elemente und zweifelsohne als die Mutterzellen der 


842 Franz Weidenreich: 


kleinen zu betrachten sind, stünde nichts im Wege, sie als 
„Lymphoblasten“ zu benennen; besser ist es vielleicht aber, 
einfach von kleinen und grossen Lymphocyten zu 
sprechen, wobei es dem Gutdünken des einzelnen überlassen 
bleiben kann, wohin er die mittleren Formen rechnen will und 
zwar deswegen, weil alle zu einer Gruppe gehören und prinzipiell 
kein Unterschied besteht. Es gilt hier, was Jolly (30) als das 
Ergebnis seiner Untersuchungen einmal gesagt hat: „La distinc- 
tion des differents types de globules blanes est justifide, quand 
on se place au simple point de vue morphologique et qu’on 
envisage les formes les plus nettement differenciees. Neanmoins 
ces elements font partie de la meme famille.“ 

Zu der Überzeugung, dass die ungranulierten Leueocyten 
des Blutes in der von mir skizzierten Weise zu deuten sind, 
kamen auch schon früher andere Untersucher. Besonders hat 
sich in diesem Sinne Benda (5) ausgesprochen; er sagt: „Jeden- 
falls scheint mir, dass eine Scheidung der grossen Lymphocyten 
und einkernigen Leucocyten nicht streng durchzuführen ist, 
sondern dass beide den Keimzentrumszellen oder... den teilungs- 
reifen Zellen entsprechen“. Auch Löwit (34) teilt meine An- 
sicht, der ich ja in einer früheren Abhandlung (80) bereits Aus- 
druck gegeben habe: der Autor spricht von den „GrossIymphocyten“ 
oder den „indifferenten Stammzellen“ und sagt darüber: „Sie 
sind auf Ausstrichpräparaten von Milz und Lymphdrüsen in der 
HNeselinnitiaa, nachweisbar. Auch im Blute der untersuchten 
Regionen kommen solche Stammzellen, wenn auch nur vereinzelt, 
vor, im peripheren Blute sind sie noch seltener; hier sind es, wie 
schon Weidenreich betont hat, die mononukleären grossen 
Leucoceyten und die sogenannten Übergangszellen, insofern beide 
homogen sind, welche in innigster Beziehung zu den Stammzellen 
stehen“. Durch meinen jetzigen Nachweis der Mitosen sind nicht 
nur die „innigen Beziehungen“, sondern ist auch die Identität 
erwiesen. Auch sei daran erinnert, dass Grawitz (25) die 
„Übergangsformen“ in ähnlichem Sinne beurteilt, allerdings habe 
ich mich bisher nicht mit genügender Sicherheit überzeugen 
können, dass sich in der Zirkulation und unter normalen Ver- 
hältnissen wirkliche Übergänge zwischen ihnen und den typischen 
fein- oder grobgranulierten Leucocyten finden. Ich leugne Be- 
ziehungen zwischen den Zellformen ja keineswegs und speziell 


Die ungranulierten Leucocyten. 843 


nicht die Möglichkeit zur Differenzierung der Lymphocyten in 
sranulierte Formen, nur glaube ich nicht, dass im normalen Blute 
den Übergang zweifelsfrei dokumentierende Zellformen nach- 
weisbar sind. 


IT Die ftrexwen zellen der serösen Höhlen 


Das Bild, das wir bisher von den Lymphocyten und ihrer 
Bewertung gewonnen haben, ist kein vollständiges. Wie ich in 
der vorhergehenden Abhandlung (86) das Schicksal der granulierten 
Leucocyten, das sich ja zum Teil ausserhalb der Blut- und Lymph- 
bahn erfüllt, weiter verfolgt habe, so dünkt es mir auch hier 
nötig, das Verhalten der Lymphocyten im Gewebe oder überhaupt 
ausserhalb der eigentlichen Lymph- und Blutbahn näher zu unter- 
suchen. Besonders wertvoll für die Beurteilung einer Reihe von 
Fragen erwies sich dabei die Untersuchung der serösen Höhlen, 
besonders der Bauchhöhle. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen, 
die auf meine Veranlassung und unter meiner Kontrolle von 
meinem Schüler Schott vorgenommen worden sind, werden von 
diesem selbst in kurzem veröffentlicht werden, so dass ich mich 
auf die Mitteilung der uns hier besonders interessierenden Befunde 
beschränken kann. 

Bekanntlich findet man in den serösen Höhlen unter normalen 
3edingungen stets geringe Mengen von Flüssigkeit, in der zellige 
Elemente suspendiert sind. Unter diesen Zellen fallen besonders 
grosse Formen auf, die durch einen grossen Kern und einen 


grossen Plasmaleib gekennzeichnet werden. Diese Zellen — über 
Literatur vergl. die Schottsche Arbeit — sind von vielen 


Autoren als losgelöste, degenerierende Wandepithelien gedeutet 
worden. Wesentlich ist, dass bei manchen Tieren neben diesen 
Zellen noch grobgranulierte vorkommen, so beim Meerschweinchen, 
Mastzellen bei der Ratte, während beim Kaninchen jene grossen 
Elemente dominieren und daneben nur spärliche kleine Lympho- 
eyten auffindbar sind. Erregt man nun durch Einspritzung irgend 
eines korpuskulären Stoffes eine Entzündung, so treten zunächst 
in grossen Mengen feingranulierte Leucocyten im Exsudat auf, 
die nachweislich aus den Blutgefässen emigrieren. Diese einge- 
wanderten Elemente gehen aber, wie ich in der vorhergehenden 
Abhandlung (86) schon beschrieb, sehr rasch zugrunde, indem sie 
entweder in der Flüssigkeit zerfallen oder aber von grossen un- 


344 Franz Weidenreich: 


granulierten Zellen mit grossem Kern und grossem Plasmaleib 
phagocytiert werden. Man hat diese Elemente, von denen ich 
einen im Zustande der Phagoeytose in der vorhergehenden Arbeit 
abgebildet habe (Taf. XII, Fig. 32), mit Metschnikoff als 
Makrophagen bezeichnet. Sehr viele Untersucher vertreten nun 
die Ansicht, dass diese Makrophagen aus dem Blute stammen, 
aus dem sie auf den Entzündungsreiz hin emigrieren sollen; in 
diesem Falle werden sie von den Lymphocyten abgeleitet. Aus 
unseren eigenen Untersuchungen hat sich aber ergeben, dass diese 
Auffassung nur zum Teil berechtigt ist; tatsächlich wandern auch 
Lymphoeyten wie bei jeder Entzündung aus den Gefässen aus 
und gelangen in das Exsudat:; allein ein grosser, wenn nicht der 
grösste Teil jener Makrophagen sind anderer Provenienz. Es hat 
sich nämlich zunächst einmal gezeigt, dass jene angeblichen ab- 
gestossenen degenerierenden Wandepithelien, die sich bei all 
diesen Vorgängen gar nicht beteiligen sollen, ausserordentlich 
lebensfähige Zellemente sind. Weder im Kern noch im Plasma- 
leib lassen sich bei geeigneten Fixations- und Färbungsmethoden, 
so besonders bei Osmiumagarfixation, degenerative Veränderungen 
irgend welcher Art nachweisen; ferner aber findet man unter 
ganz normalen Verhältnissen bei gesundem Tier und Fehlen jeder 
entzündlichen Erscheinung nicht nur deutliche phagocytäre Ein- 
schlüsse in ihnen, sondern ausgesprochene mitotische Teilungs- 
vorgänge. Die Untersuchung des Netzes hat nun ergeben — 
ich habe darüber schon vorläufig (83) berichtet —, dass diese 
grossen Zellformen lebensfähige losgelöste Netzelemente sind und 
dass ihre genauere Analyse dazu führt, sie als ursprüngliche fixe 
Zellen, als „Fibroblasten“ oder „Endothelien“ zu bezeichnen, 
zwischen denen, wie ich schon an anderer Stelle (85) ausführte, 
als identischen Elementen gleichfalls keine Unterscheidung möglich 
ist. Bei entzündlichen Reizen kommt es auf mitotischem Wege 
zu einer starken Vermehrung all dieser Zellen, die dann auch in 
erhöhtem Maße in die Peritonealflüssigkeit gelangen; ihre phago- 
cytäre Tätigkeit ist auch im Netz eine ausserordentliche. Die 
Makrophagen sind also nach diesen Untersuchungen mindestens 
zum Teil als sessile oder losgelöste Netzzellen („Endothelien“ ) 
zu deuten. 

Es ergibt sich daraus nun eine wesentliche und interessante 
Gegenüberstellune. Betrachtet man die seröse Höhle z. B. die 


Die ungranulierten Leucocyten. 845 


Peritonealhöhle als einen Lymphraum, eine Anschauung, die ja 
wohl allgemein akzeptiert ist, und das Netz als ein Iymphoides 
Organ, als einen in der Fläche entfalteten Iymphoiden Apparat, wie 
ich es auf Grund seiner morphologischen Beschaffenheit und seiner 
physiologischen Leistung nannte (83), so werden die Zellen der 
serösen Höhlen in ihrer Bedeutung noch weiter verständlich. Wie 
ich oben auseinandersetzte, ist ja die sogenannte Keimzentrums- 
zelle der Lymphdrüsen auch nichts anderes als eine sessile oder 
losgelöste „Endothelzelle* der Lymphsinus oder des eigentlichen 
Iymphoiden Gewebes; auch bei den Lymphdrüsen sind Retikulum- 
zellen und „Endothelien“ gleichwertige Begriffe. Ich habe ferner 
gezeigt, dass die Keimzentrumszelle in teilungsfähigem Zustand 
in die Lymphflüssigkeit selbst und weiter in das Blut gelangt 
und dass sie mit den kleinen Lymphocytenformen durch eine 
kontinuierliche Reihe verbunden ist. Genau das gleiche Verhalten 
ist aber auch für die normalen grossen Zellen der serösen Höhlen 
zu konstatieren: auch sie entstammen einem Iymphoiden Apparat, 
dem Netz, und gelangen von da in den Lymphraum der Peritoneal- 


höhle, von hier aus aber werden sie — zahlreiche Befunde be- 
weisen das — in den Duetus thoracicus eingeschwemmt, wo sie 


unter dem Bilde der grossen Formen erscheinen, und schliesslich 
geht der Weg natürlich weiter in das Blut. Ich habe schon darauf 
aufmerksam gemacht, dass diese grossen Zellen der Bauchhöhle 
besonders durch ihre hochgradigen phagocytären Eigenschaften 
auffallen, sie teilen diese Eigenschaften nicht nur mit den sessilen 
Netzelementen, von denen sie ja abstammen, sondern auch mit 
den „Endothelien“* der Lymphbahnen, die darin ausserordent- 
liches zu leisten vermögen (ef. das oben hierüber Gesagte, ferner 
meine Abhandlung über Blutlymphdrüsen |79| und Fig. 24) und 
besonders auch, was ich noch ausdrücklich hervorheben möchte, 
mit den typischen Keimzentrumszellen der Sekundärknötchen der 
Lymphdrüsen, die nach Flemming (25) zum Teil eigentümliche 
tingible Körper enthalten, nach den übereinstimmenden Unter- 
suchungen der letzten Jahre Reste phagoeitierter Zellen. Daraus 
folgt, dass die Iymphocytären Zellelemente des Blutes gleichfalls 
hochgradige phagocytäre Eigenschaften besitzen müssen: eine 
längst bekannte und anerkannte Tatsache; ihr verdanken gerade 
diese Blutelemente den Namen der Makrophagen (siehe Helly [26]). 
Unter normalen Verhältnissen werden diese Eigenschaften aber 


Ss46 Franz Weidenreich: 


nur ausserhalb der Blutbahn entfaltet. Es ist nun interessant, 
dass in neuerer Zeit Fälle beschrieben worden sind. in denen 
ganz enorme Phagocytose in den Iymphocytären Elementen des 
Blutes und zwar in der Zirkulation bei bestimmten Krankheiten 
beobachtet wurde. Besonders genau und durch sehr schöne 
photographische Wiedergabe der betreffenden Zellen belegt ist 
ein Fall von Rowley (61) beschrieben worden; diese Blutbilder 
erinnern auffallend an die, die man von Peritonealexsudaten er- 
halten kann. 

Ich hob schon hervor, dass normalerweise in den serösen 
Höhlen auch kleine Zellformen, die in ihrem morphologischen 
Charakter vollständig den Lymphocyten Ehrlichs entsprechen. 
neben jenen grossen Elementen (besonders in der Bauchhöhle) 
vorkommen, eine Tatsache, die sich gleichfalls den mitgeteilten 
Übereinstimmungen zwischen Lymphe und dem Inhalt seröser 
Höhlen einfügt. Noch deutlicher treten aber die Beziehungen 
zwischen kleinen und grossen Formen bei experimentellen Ein- 
griffen hervor. Wenn der künstlich gesetzte Reiz längere Zeit 
hindurch regelmässig wiederkehrt, so bleibt schliesslich die Reaktion 
von seiten des Blutes aus, d. h. die Einwanderung feingranulierter 
Leucocyten aus den Gefässen hört auf, und an ihre Stelle tritt 
eine ganz kolossale Vermehrung der unter normalen Bedingungen 
vorhandenen Zellelemente, besonders der kleinen und der grossen 
Iymphocytären Formen. Diese Vermehrung ist nicht nur zurück- 
zuführen auf eine gesteigerte Proliferation der Netzelemente, 
sondern vor allem auch auf eine mitotische Teilung der Exsudat- 
zellen selbst. Dabei zeigt sich, dass nicht nur die grossen, 
sondern auch die mittleren und die kleineren Zellformen beteiligt 
sind. Ich habe hier sechs dieser Zelien in Mitose wiedergegeben 
(Fig. S): alle sind bei gleicher Vergrösserung aufgenommen, sodass 
ein Vergleich der Zellen untereinander die Grössendifferenzen ohne 
weiteres deutlich macht. Allerdings ist bei einem Vergleich der 
Grössen mit den Elementen der Lymphe, speziell mit Fig. 11, zu 
berücksichtigen, dass die Zellen der Fig. S bei stärkerer Ver- 
grösserung (Okular 8) aufgenommen wurden als jene (Okular 6). 
Aber abgesehen von diesen Mitosen lässt sich in dem Exsudat 
auch die gleiche kontinuierliche Zellreihe, die von den kleinen 
zu den grossen Formen führt, nachweisen, wie das in der Lymphe 
und im Blut der Fall ist. 


Die ungranulierten Leucocyten. 847 


Die Bedeutung der Befunde an den Zellen der serösen Höhlen, 
speziell der Bauchhöhle, liegt nicht nur darin, dass sie weitere Belege 
für die Auffassung dieser häume als weite Lymphräume beigebracht 
haben, sondern vor allem auch in dem Nachweis der Gleichwertig- 
keit der freien Zellen und der Netzelemente mit den Zellen der 
Lymphe und der Lymphdrüsen; sie lehren uns, dass die Elemente, 
die wir ihrer Provenienz entsprechend Lymphzellen 
oder Lymphocyten nennen, nicht nur aus den Organen 
stammen, die wir als Lymphdrüsen zu bezeichnen pflegen, 
sondern auch aus einem kewebe, dem im wesentlichen eine 
rein bindegewebige Natur zugesprochen wurde Es er- 
scheint also hier Bindegewebe als Produktionsort lympho- 
eytärer Elemente, also als Iymphoides Gewebe. Abgesehen 
von der physiologischen Wirkung des Netzes, die von Rose (58) 
neuerdings näher dargelegt wurde, zum Teil auf Grund von 
Ergebnissen der hier besprochenen Untersuchungen, wird sein 
Iymphoider Charakter vor allem auch noch durch die Anwesenheit 
der Taches laiteuses Ranviers dokumentiert: ihr Fehlen bei 
manchen Tieren wird dadurch verständlich. dass eben das Gesamt- 
netz in allen seinen Teilen Iymphoid ist, ohne dass es hier zur 
Ausbildung besonderer Iymphocytärer Zellhaufen kommt. Gegen 
die Bezeichnung des Netzes als Iymphoides Organ hat sich in der 
Diskussion zu meinem oben zitierten Vortrag (83) Schridde 
gewandt mit der Motivierung, dass das Netz auch „perivaskuläres 
blutbildendes (rewebe“ besitze. Der Einwand ist nicht recht 
verständlich: denn perivaskuläres Gewebe ist vielfach Iymphoid 
z. B. in der Milz, wo bekanntlich die Arterien von einer Iym- 
phoiden Scheide umgeben sind. Legt Schridde aber den Ton 
auf Blutbildung, so ist zu erwidern, dass weisse Blutkörperchen 
ja im Netz gebildet werden und zwar nicht nur der Iymphocytäre 
Teil derselben. sondern wie ich gezeigt habe, unter Umständen 
auch granulierte Leucocyten (87). Soll aber mit der Bezeichnung 
Blutbildung nur die Bildung der roten Blutkörperchen gemeint 
sein. so sei daran erinnert. dass diese Bildung beim erwachsenen 
Tier im Netz ebensowenig wie in den Lymphdrüsen und in der 
embryonalen Periode hier ebensogut wie dort vor sich geht. Der 
Einwand Schriddes hat also keinerlei Berechtigung. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 


ot 
SL 


Ss48 Franz Weidenreich: 


IV. Die Lymphocyten des Bindegewebes und die 
Plasmazellen. 

Eine weitere Klärung über Wesen und Bedeutung der 
Lymphocyten in dem von mir gebrauchten Sinne gibt das 
Studium ihres Verhaltens innerhalb des Bindegewebes unter 
normalen Bedingungen und bei entzündlichen Prozessen. Durch 
die Forschungen der letzten Jahre, besonders durch die ein- 
gehenden Untersuchungen Maximows (39, 40) ist die Erkenntnis 
der Tatsache gesichert worden, dass die aus dem Blute stammen- 
den Iymphocytären Elemente bei den entzündlichen Prozessen 
eine Hauptrolle spielen, dass diese aber wieder von der der 
granulierten Leucocyten verschieden ist. Hauptsächlich aber 
zeigte Maximow, dass die kleinen Formen d. h. die Lympho- 
eyten Ehrlichscher Nomenklatur und die grossen Formen als 
eine Zellart aufzufassen sind. Er äusserst sich hierüber folgender- 
massen: „Wo ist denn die Quelle der Rundzellen zu suchen? Sie 
müssen unbedingt aus dem Blute stammen: es sind die gewöhn- 
lichen einkernigen Leucoeyten des letzteren, sowohl die kleineren 
Formen, die Lymphoeyten, als auch die grösseren, die eigentlichen 
mononukleären Leucocyten. Dieselben sind der selbständigen Be- 
wegung fähig und emigrieren unter dem Einfluss des entzünd- 
lichen Reizes aus den Gefässen. Sobald sie in die Maschen des 
Bindegewebes gelangen, fangen sie sofort an sich weiter in pro- 
gvessivem Sinne zu entwickeln; der kleine Lymphocyt wird zum 
mononukleären Leucocyt, der letztere, auf diese Weise ausserhalb 
des Grefässsystems entstanden, oder direkt aus dem Blute als 
solcher gekommen, entwickelt und vergrössert sich weiter, es 
kommen aus dem Blute immer neue Zellen hinzu, und das Ge- 
webe wird auf solche Weise mit kolossalen Mengen von ein- 
kernigen Rundzellen überschwemmt, die ein ausserordentlich 
lebenskräftiges Zellmaterial vorstellen.“ Für alle diese Zellen 
schlug Maximow die Bezeichnung „Polyblasten“ vor. Sie ent- 
wickeln vor allem eine hochgradige phagocytäre Tätigkeit, indem 
sie nicht nur die gleichfalls emigrierten granulierten Leucocyten in 
sich aufnehmen, sondern auch die eingeschmolzenen und zerfallen- 
den Gewebselemente. Durch mitotische Teilung tritt aber auch im 
(sewebe eine autochthone Vermehrung ein. Zwischen den kleinen 
Formen und den grossen bestehen kontinuierliche Reihen. Nach 
Maximows Untersuchungen wächst also die kleine Form ausser- 


Die ungranulierten Leucoeyten. 549 


halb der Blutbahn zur grossen heran, sie werden samt und 
sonders zu „Makrophagen“ und stellen sehr lebenskräftige, teilungs- 
fähige Elemente dar; das gleiche gilt aber auch für die schon 
im Blute vorhandenen emigrierenden grossen Formen, die „grossen 
mononukleären Leueoeyten“ oder „Übergangsformen“ der Autoren, 
die deswegen von Maximow überhaupt nicht besonders unter- 
schieden, sondern mit den anderen zusammen als Lymphocyten 
bezeichnet werden. Zu einem ähnlichen Resultate kommt auf 
Grund des Studiums experimenteller Entzündung Helly (26): 
die Ableitung der Makrophagen von den Lymphoeyten scheint 
durch Befunde gleicher Zellen im Blute der Versuchstiere sicher- 
gestellt, beide Zellformen sind dort dureh Übergänge verbunden. 
Gleichzeitig hat R. Blumenthal (6) experimentell gezeigt, dass 
die kleinen Lymphoeytenformen bei Einführung von Dottermaterial 
in den Tierleib rasch zu grossen Formen heranwachsen. 

Ich kann die Angaben dieser Autoren auf Grund experimen- 
teller Untersuchungen, speziell des Netzes, nur bestätigen. Es 
unterliegt keinem Zweifel, dass die Lymphocyten des Blutes 
jeder Grösse bei entsprechender Reizwirkung auswandern 
und im Gewebe zu Makrophagen werden, nur bin ich 
der Meinung, dass das Gewebe selbst sich auch bei der Bildung 
dieser Elemente beteiligt. Auch Maximow nimmt an, dass 
dauernd im Bindegewebe Zellen vorhanden sind, die in ihren 
morphologischen Charakteren durchaus den Lymphocyten des 
Blutes entsprechen und die er als „ruhende Wanderzellen“ be- 
zeichnet hat. Man kann nun annehmen, dass diese Zellen einmal 
aus dem Blute oder der Lymphbahn ausgewandert sind oder dass 
sie sich seit der ersten Entwicklung im Gewebe befanden. Zu 
der letzteren Auffassung neigt Marchand (35). Dieser Autor 
nimmt an, dass die Blutgefässe regelmässig von einer Anzahl 
Zellen begleitet werden, die die Fähigkeit besitzen, Elemente von 
der Beschaffenheit der Lymphocyten Ehrlichscher Nomenklatur 
und der grossen ungranulierten Formen des Blutes zu produzieren, 
und dass ferner die Möglichkeit vorhanden ist, dass diese Zellen 
in die Blutbahn gelangen und auf diese Weise „wirkliche 
Leueoeyten“ bilden ; die fraglichen perivasculären Zellen wuchern 
bei Entzündungen und bringen grosse bewegliche Phagoeyten, 
Makrophagen, hervor, aus denen wieder kleine den Lymphocyten 
gleichende Zellen hervorgehen. Die ganze Gruppe dieser Zellen 


s50 Franz Weidenreich: 


bezeichnet Marchand als „leukocytoide“ und rechnet dazu unter 
anderem auch die grossen Zellen der serösen Höhlen. Ich habe 
schon oben bei der Besprechung der letzteren Zellen darauf hin- 
gewiesen, dass diese nicht allein aus dem Blute stammen, sondern 
nachweisbar im Netz von sessilen Elementen ableitbar sind. 
Allerdings habe ich mich nicht davon überzeugen können, ich 
verweise hierfür wieder auf die Schottsche Abhandlung, dass 
dort eine besondere von den anderen Bindegewebselementen 
unterscheidbare perivasculäre Zellart vorkommt. Die Bildung der 
Makrophagen ist nämlich keineswegs auf die Gefässumgebung 
beschränkt. sondern findet in weiten Gebieten des Netzes statt, 
wo Gefässe, auch Kapillaren, vollständig fehlen; ich habe diese 
Dinge bereits an anderer Stelle (85) besprochen. Über die Be- 
ziehungen der „leucocytoiden“ Zellen zu den Bindegewebszellen 
spricht sich Marchand nicht mit Bestimmtheit aus, er meint 
nur, dass eine „Verallgemeinerung“ der Herleitung der „Leuco- 
cytoiden“ von den Bindegewebszellen unzulässig sei; eine Be- 
teiligung der Deckzellen des Netzes wird nicht direkt in Abrede 
gestellt; es wurde von ihm beobachtet, dass sie sich in stern- 
förmig verästelte und langgestreckte Zellen umwandeln, auch dass 
sie kontraktil werden und ihre ursprüngliche Stelle verlassen. 
Ich will hier auf die Frage der Beziehungen zu den 
Bindegewebszellen nicht weiter eingehen, aber jedenfalls können 
Iymphocytäre Elemente, die weiterhin in die Lymph- und 
Blutbahn gelangen, auch im Bindegewebe produziert 
werden. Es bleibt nur zu entscheiden, ob das Bindegewebe 
ganz allgemein diese Fähigkeit besitzt oder ob der Prozess nicht 
auch hier an bestimmte Örtlichkeiten gebunden ist. Marchands 
Untersuchungen sind zum Teil auch am Netz vorgenommen 
worden, basieren aber auch auf Erfahrungen, die an anderen 
Lokalitäten gewonnen wurden. Maximow, der speziell das 
intermuskuläre Bindegewebe untersuchte, schlägt die Mitbe- 
teiligung autochthon im Gewebe gebildeter Lymphocyten gering 
an, wenigstens im Verhältnis zu den emigrierenden. Dabei ist 
zu berücksichtigen, dass die Anwesenheit seiner entwicklungs- 
fähigen ruhenden Wanderzellen überall im Bindegewebe kon- 
statiert ist; damit ist aber auch die Möglichkeit der Neubildung 
Iymphoider Elemente unabhängig von Blut- und Lymphbalın 
gegeben. Wo diese in grösseren Mengen stattfindet, bezeichnet 


Bit 
— 


Die ungranulierten Leucocyten. 35 


man solche Stellen als Lymphknötchen oder als Rundzellenhaufen. 
Derartige Bildungen finden sich normalerweise besonders im 
Schleimhautgebiet des Verdauungs- und Respirationstraktus, unter 
pathologischen Umständen sind sie eine bekannte weit verbreitete 
Erscheinung. Die Möglichkeit von Lymphocytenpro- 
duktion ist also dem Bindegewebe in weitem Umfang 
gegeben. 
Plasmazellen. 

Bestimmte Zellformen, die hierbei aufzutreten pflegen, hat 
man mit dem Namen der „Plasmazellen* belegt. Ich möchte 
nicht auf die Literatur eingehen, die über diese Zellformen vor- 
handen ist, noch mich in eine eingehende Erörterung der Ansichten 
einlassen, die je über die Natur dieser Elemente geäussert worden 
sind. Eine gute Zusammenstellung all dessen hat unlängst 
Pappenheim (49) gegeben; auf diese sei hiermit verwiesen. 
Die Elemente, die man heute fast allgemein als Plasmazellen 
bezeichnet, wurden zuerst genauer von Marschalko (37) um- 
schrieben. Es sind rundliche oder ovale Zellen mit einem runden, 
meist exzentrisch gelegenen Kern, dessen Chromatin, wie 
Maximow (39, 41) beschreibt, in groben, sehr dunklen, eckigen, 
an der Innenfläche der Membran in gleichmässigen Abständen 
voneinander liegenden Körnern angeordnet ist; der Plasmaleib 
ist sehr stark färbbar und macht nach Marschalko einen 
„krümeligen“ Eindruck; nahe am Kern findet sich ein heller 
gefärbter Hof, in dem, wie Maximow (39) gezeigt hat, die 
Zentren liegen. Neuerdings vertreten die meisten Autoren die 
Ansicht. dass die Plasmazellen besonders umgeformte Lympho- 
cyten seien; Meinungsverschiedenheit besteht eigentlich nur noch 
darin, ob es sich dabei um emigrierte oder um autochthon im 
Gewebe gebildete Elemente handelt. 

Wenn nun auch die Plasmazellen hauptsächlich im ent- 
zündeten Gewebe eine Rolle spielen, so fehlen sie doch keineswegs 
völlig unter normalen Verhältnissen; besonders zahlreich kann 
man sie, was schon Maximow (41) hervorhob, manchmal im 
Netz des Kaninchens finden. Wie das Übersichtsbild, das ich 
in Fig. 15 wiedergebe und das Netzpartien eines gesunden 
Kaninchens darstellt, lehrt, trifft man hier die Zellen haupt- 
sächlich und in besonders diehten Mengen in der unmittelbaren 
Umgebung der Gefässe; dass es sich dabei um typische Plasma- 


352 Franz Weidenreich: 


zellen handelt, geht aus Fig. 15 hervor, in der ich eine Gruppe 
solcher Elemente wiedergebe, die alle die oben als charakteristisch 
hervorgehobenen morphologischen Merkmale in vollkommenster 
Weise erkennen lassen. Ich will gleich betonen, dass ich auf 
Grund häufig gemachter Beobachtungen zu der Auffassung 
gelangt bin, dass es sich bei diesen Anhäufungen im normalen 
Gewebe nicht um aus der Blutbahn emigrierte Lymphocyten 
handeln kann, weil für eine ausschliessliche Auswanderung eines 
Zellelementes kein Gund ersichtlich ist und weil zudem Mitosen 
in den Zellen ab und zu angetroffen werden (Fig. 20). Damit 
soll keineswegs aber gesagt sein, dass nicht auch Plasmazellen 
aus emigrierten Lymphocyten entstehen können, jedenfalls gibt 
es aber auch Plasmazellenhaufen, die an Ort und Stelle gebildet 
sind. Darüber kann ja kaum ein Zweifel aufkommen, dass die 
Lymphoeyten in engster Beziehung zu ihnen stehen. Man sieht 
stets Formen, die noch alle Charaktere kleiner Lymphoeyten 
zeigen (Fig. 1Sa, b), aber schon die besondere Vorliebe des 
Plasmas zu basischen Farbstoffen erkennen lassen. Bei ent- 
zündlichen Prozessen der Bauchhöhle treten Plasmazellen auch 
im Exsudat auf und zwar dann, wenn der Organismus sich an 
den entzündlichen Reiz gewöhnt hat, was sich besonders in 
dem ausserordentlich starken Auftreten Iymphoeytärer Elemente 
dokumentiert. In solchen Fällen findet man stets Zellen, die 
in ihrem Gesamthabitus durchaus den Lymphocyten entsprechen, 
sich aber von ihnen auffallend durch die ganz intensive basophile 
Färbung ihres Plasmaleibes unterscheiden, vielfach lässt sich auch 
der hellere Hof nachweisen. In Fig. 21 gebe ich solche Elemente 
wieder; der Hof ist besonders bei e und e deutlich, an der 
letzteren Zelle liegt in ihm das Diplosomenpaar. Neben den 
ausgesprochenen Formen fehlen die Übergänge nicht, in a ist 
eine solche Zelle abgebildet, der periphere Teil des Plasmas zeigt 
bereits die charakteristische Färbung. Allerdings ist bei all 
diesen Zellen auffallend, dass der Kern nicht rundlich, sondern 
deutlich bohnenförmig ist, das gleiche Verhalten weisen aber in 
diesen Exsudaten auch die meisten kleinen Lymphocyten auf: 
man trifft sie auch bei typischen Plasmazellen im Gewebe, wie 
folgende Bilder beweisen: Fig. 16a, 1Sc, d und 19e. 
Identifiziert man also — und an der Berechtigung hierzu 
kann kein Zweifel bestehen — die Plasmazellen mit den Lympho- 


Die ungranulierten Leucoeyten. 5553 


cyten, so muss man unter ihnen wieder die gleichen verschiedenen 
Formen feststellen können, die man auch bei den Lymphocyten 
findet. Das ist nun in der Tat der Fall. Zunächst findet man sehr 
kleine (Fig. 18d) neben sehr grossen Formen (Fig. 19d); auch die 
Kerngrösse variiert beträchtlich (cf. Fig. 1Sd mit Fig. 19c). Was 
aber besonders interessant ist, ist die Variation der Kernform. 
Zunächst findet man sehr zahlreich direkte Kernteilungen: Zellen 
mit eingeschnürten Kernen, wie in Fig. 19b und 18e, die über- 
leiten zu Zellen mit zwei völlig getrennten Kernstücken, die 
entweder an Grösse gleich (Fig. 19a) oder ungleich (Fig. 19e) 
sind, dabei aber nie Zeichen degenerativer pyknotischer Vor- 
gänge erkennen lassen; ob es dabei auch zu einer Zellteilung 
kommen kann, konnte ich nicht mit Sicherheit entscheiden. Aber 
auch sonst weicht die Kernform von der als charakteristisch 
angegebenen runden sehr vielfach ab. Auf die Bohnenform habe 
ich schon oben aufmerksam gemacht und in Fig. 16 habe ich 
eine Gruppe wiedergegeben, die schon ziemlich unregelmässige 
Kerne zeigt. Es ist merkwürdig, dass in diesen Fällen meist 
der helle rundliche Hof des Plasmas fehlt, ohne dass dieses aber 
seine charakteristische Farbenvorliebe oder die eigentümlich 
körnig-krümelige Beschaffenheit eingebüsst hätte An manchen 
Stellen der Zellhaufen erreicht der Kern einen besonders hohen 
Grad von Vielgestaltigkeit, stets ist er dabei auch besonders 
gross. Eine Gruppe solcher Zellen habe ich in Fig. 17 wieder- 
gegeben. Man erkennt daran ohne weiteres, dass auch der Zell- 
kontur ausserordentlich unregelmässig ist und es zeigt sich, dass 
hier runde Kern- und runde Zellkontur zusammenfällt (a). Der 
unregelmässige Zellkontur ist ganz offensichtlich als der Aus- 
druck amöboider Bewegung der Plasmazellen zu deuten, deren 
Wanderungsfähigkeit schon von Maximow (39) und Schridde (66) 
nachgewiesen wurde. Ich habe nun aber bei Besprechung der 
grossen Formen der Lymphocyten des Blutes und der Lymphe 
schon darauf hingewiesen, dass auch hier Kernformen vorkommen, 
die als Ausdruck einer Bewegungsphase gedeutet werden müssen 
und verweise auf Fig. 3, besonders e, und Fig. 12, besonders b. 
Stets findet man in den Gruppen von Plasmazellen, in denen die 
;ewegung an Zell- und Kernform ersichtlich ist, abgetrennte 
Teile des Zellplasmas in grösseren oder geringeren Mengen; in 
Fig. 17 habe ich diese Plasmaklümpchen mit pl bezeichnet. Man 


s54 Franz Weidenreich: 


muss sich vorstellen, dass sie in der Weise entstehen, dass sich 
ausgestreckte Pseudopodien loslösen (Fig. 17b). Solche abgetrennte 
Plasmateile finden sich auch da, wo die Bewegung keine so 
intensive ist, dass sie zu weitgehenden Formveränderungen von 
Kern und Zellen führt: ich habe dies in Fig. 16 bei b und e 
dargestellt. 

Dem Bilde der Plasmazellen, wie es allmählich als typisch 
festgelegt worden ist, entsprechen allein nur die in Fig. 18 
wiedergegebenen Zellformen. Aber die Frage bleibt. ob diese 
enge Begrenzung zulässig und gerechtfertigt ist; schon Maximow 
(39) hat darauf aufmerksam gemacht, dass es Zellformen gäbe, 
die „sich einerseits dem Habitus eines gewöhnlichen Polyblasten, 
andererseits dem einer echten Plasmazelle nähern“ (S. 148 u. f.), 
Pappenheim (49) vertritt die Ansicht. dass Plasmazellen auch 
aus „grossen Iymphoblastischen Lymphocvten“ entstehen könnten, 
und Schridde (68) ist der gleichen Meinung, indem er aus den 
„Lymphoblasten“ des Iymphoiden (Gewebes Zellen hervorgehen 
lässt, die er als „Iymphoblastische Plasmazellen“ bezeichnet. 
Nun ist klar, dass das Wesentliche an der Plasmazelle die 
Eigenschaft ausmacht, die ihr ihren Namen gab, das Plasma, und 
dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass es sich besonders mit 
basischen Farbstoffen intensiv färbt, daneben aber jene Be- 
schaffenheit aufweist, die Marschalko als „krümelig“ charak- 
terisiert hat. Zwar erhob Maximow gegen diese Bezeichnung 
bedenken und spricht von einer „typischen unregelmässigen 
tleckigen Beschaffenheit, die durch die Anordnung des sich in- 
tensiv färbenden Granoplasma in dem retikulären protoplasma- 
tischen Gerüstwerk zustande komme“. In der Tat ist das Plasma 
dadurch charakterisiert, dass die stark färbbare Substanz aus 
ausserordentlich kleinen und gleichmässigen, aber doch wieder 
nicht ganz distinkt hervortretenden Körnern zu bestehen scheint, 
die in einer helleren Grundmasse in wechselnder Anordnung ein- 
gebettet sind. Besser als alle Beschreibungen zeigt das eine Be- 
trachtung der Fig. 16—20. Der Ausdruck „krümelig“ scheint 
mir aber das Bild doch noch am kürzesten und treffendsten zu 
charakterisieren. Hervorheben möchte ich noch, dass diese 
körnige Beschaffenheit nicht direkt identifiziert werden kann mit 
der von Schridde (64) mit seiner besonderen Methode dar- 
gestellten Granulierung; diese Schriddeschen Granula sind viel 


Die ungranulierten Leucocyten. 855 


gröber, distinkter und weniger zahlreich ; wie sie zu beurteilen 
sein dürften, habe ich schon bei der Besprechung der ähnlichen 
Lymphocytengranula erörtert. Nun ist diese Eigenschaft des 
Plasmas nicht etwa nur auf die Zellelemente beschränkt. die 
den kleinen runden sogenannten Lymphocytenkern besitzen, sondern 
auch an solchen Zellen nachweisbar, die jene besonderen Kern- 
und Plasmaformen haben, die ich oben beschrieb (Fig. 16 und 17); 
gerade durch diese Beschaffenheit des Plasma unterscheiden sich 
diese Zellen aber wieder von den gewöhnlichen grossen Formen 
der Lymphocyten oder den „ruhenden Wanderzellen“ oder den 
„Polyblasten“. Andrerseits bestehen kontinuierliche Übergänge 
auch in der Entwicklung der Kernform zwischen den als typisch 
bezeichneten Plasmazellen und den unregelmässigen Formen, wie 
ein Vergleich der Fig. 16 bis 19 untereinander ohne weiteres lehrt. 

Aus dieser Betrachtung ergibt sich, dass man vollkommen 
berechtigt ist, in den Plasmazellen Lymphocyten zu 
sehen; wie aber die Lymphoceyten nicht erschöpft sind mit jener 
kleinen Form, die seit Ehrlich ausschliesslich mit diesem Namen 
belegt wird, sondern auch die grossen Zellen umfassen, die ich 
in Blut und Lymphe eingehend geschildert habe und die in der 
Literatur unter dem Namen der „grossen mononukleären Leuco- 
eyten“ oder der „Übergangsformen“ bekannt sind, so ist auch 
der Begriff der Plasmazelle nicht zu beschränken auf die 
Zellelemente, die in ihrem Kernbild nur den kleinen Lympho- 
eyten Ehrlichscher Nomenklatur entsprechen, sondern auf all 
die Formen auszudehnen, die durch die gleiche charak- 
teristische Beschaffenheit des Plasmas gekennzeichnet 
sind. Plamazellen sind also besonders modifizierte 
LymphocytenindesWortes weiterer, ursprünglicher 
und korrekterer Bedeutung. Dementsprechend ist es ein 
müssiger Streit, ob man sie auf emigrierte d. h. aus der Blutbahn 
ausgewanderte Lymphocyten zurückführt oder aber autochthon 
aus Lymphocyten entstehen lässt, die im Gewebe selbst lokalisiert 
sind; ohne Zweifel sind beide Möglichkeiten gegeben. Was speziell 
das Netz angeht, so ist ja bekannt, dass hier, wenigstens bei 
manchen Tieren, meist Iymphocytäre Zellhaufen vorkommen, die 
Ranvier als Taches laiteuses bezeichnet hat: auch sonst findet 
man hier solche Zellansammlungen gelegentlich und unter nor- 
malen Verhältnissen in der Begleitung der Gefässe; Plasmazellen, 


s56 Franz Weidenreich: 


die die gleiche Anordnung zeigen, sind daher wohl mit Recht 
als Elemente anzusehen, die an Ort und Stelle entstanden sind. 
Die hier vorgetragene Ansicht stellt aber nun auch wieder eine 
wenigstens gewisse Vermittlung dar mit der Auffassung jener 
Autoren, die die Plasmazellen von sessilen Gewebselementen ab- 
leiten und sich dabei auf die Beobachtung kontinuierlicher Über- 
gangsformen berufen, wie dies (’ajal (8) getan hat. Ich habe 
zwar unter normalen Verhältnissen niemals Bilder gesehen, die 
eine derartige direkte Ableitung gestatteten; allein so gut die 
grossen Formen der Lymphocyten aus fixen Elementen entstehen, 
eben so gut ist das wohl auch für die grösseren Plasmazellformen 
möglich. An der Auffassung der ganzen Frage ändert das nichts, 
die Plasmazellen teilen eben diese Ableitbarkeit wieder mit den 
Lymphocyten. Eine Unterscheidung zwischen histiogenen und 
Iymphocytären Plasmazellen, die Pappenheim (49) ihrer Her- 
kunft entsprechend macht, möchte ich aber nicht befürworten, 
da sie weder durchführbar ist, noch auch bei den Lymphocyten 
zur Anwendung gelangen kann. In der Sache selbst stimme ich 
aber diesem Autor, wie aus meinen Ausführungen hervorgeht, bei. 

Die Frage nach der eigentlichen Bedeutung der Plasma- 
zellen ist natürlich auch mit diesen Feststellungen noch nicht 
gelöst. Wir wissen jedenfalls das eine, dass die eigentümliche und 
charakteristische Protoplasmabeschaffenheit allen Iymphoeytären 
Elementen zukommen kann. Dass der Erwerb dieser Plasma- 
struktur kein degenerativer Zellprozess ist, wie manche Autoren 
annehmen möchten, geht schon daraus hervor, dass sich die 
Plasmazellen durch Mitose vermehren können und zwar nicht 
nur die kleinen (Fig. 20a, b), sondern auch die grossen Formen 
(Fig. 20 ec). Dass Plasmazellen als solche zugrunde gehen, ist 
andererseits nicht zweifelhaft; sie werden nicht nur von Makro- 
phagen aufgenommen, sondern verklumpen auch zu eigentümlichen 
Körperchen, über die eine eigene Literatur besteht (Fabian, [17]). 
All dies sind Dinge, die auch bei Lymphocyten vorkommen. 
Wiehtig ist noch die Frage, ob die Plasmazellen als besonders 
differenzierte und in dieser Form bleibende Elemente aufzufassen 
sind, oder ob nicht eine Rückkehr in den alten einfachen Lym- 
phocyten-Zustand möglich ist. Aus der schwankenden Zahl und 
der Örtlichkeit ihres Vorkommens, aus der Tatsache, dass die 
Plasmabesonderheit allen Iymphocytären Elementen zukommen 


IT 


I 5 


0,0 


Die ungranulierten Leucocyten. \ 


kann, vor allem aber aus den deutlich zu beobachtenden Ab- 
lösungen plasmatischer Teile möchte ich doch eher schliessen, 
dass die Plamazellen lediglich der Ausdruck einer 
besonderen, vorübergehenden und nur von be- 
stimmten Umständen abhängigen Lymphocyten- 
funktion sind und nicht einseitig und dauernd 
differenzierte Elemente. Ich gebe aber zu, dass diese 
Annahme bis jetzt nicht absolut beweisbar ist. Die Ablösung 
von Plasmateilen in das Gewebe scheint dafür zu sprechen, dass 
im Plasma der Zellen Stoffe produziert werden, die zur Abgabe 
an die Umgebung bestimmt sind. Die eigentümliche Körnelung 
wär darnach der Ausdruck einer besonderen sekretorischen Plasma- 
tätigkeit. Warum diese aber einsetzt und welche spezielle Be- 
deutung ihr zuzusprechen ist, bleibt vorerst noch zu eruieren. 


V. Zusammenfassung. 


Fasse ich nun kurz zusammen, was meine Untersuchungen 
bisher ergeben haben, so lässt sich folgendes sagen: In Blut und 
Lymphe kommen stets lebenskräftige und teilungsfähige grosse 
ungranulierte Zellformen vor, die nicht nur nach ihren morpho- 
logischen Charakteren, sondern auch nach dem Orte ihrer Herkunft 
als Lymphocyten zu bezeichnen sind, sie sind identisch mit den 
als „grossen mononukleären Leucocyten“, „Übergangsformen“ 
oder „grossen Lymphocyten“ beschriebenen Elementen. Sie sind 
ferner identisch mit den grossen teilungsfähigen Zellen der 
Iymphoiden Organe, die man nach der Stelle ihres häufigsten 
Vorkommens auch wohl als Keimzentrumszellen bezeichnet hat. 
Neben diesen grossen Formen finden sich in Blut und Lymphe 
die bekannten kleinen, für die man seit Ehrlich fälschlich die 
Benennung als Lymphocyten reserviert hatte. Kleine und grosse 
Formen sind durch kontinuierliche stets in der Zirkulation, in 
Blut und Lymphe, nachweisbare Mittelformen miteinander ver- 
bunden. Alle diese Elemente stammen aber nicht nur aus den 
speziell als Lymphdrüsen bezeichneten Organen, sondern auch aus 
all den Gewebsdifferenzierungen, die man wegen ihrer Struktur 
und ihres Zellcharakters schon längst als Iymphoid bezeichnet 
hat, vor allem auch aus den eigentlichen Iymphoiden Zellhaufen 
des Bindegewebes, insbesondere mancher Schleimhäute und dem 


858 Franz Weidenreich: 


Netz. Das gesamte Bindegewebe beherbergt dauernd, wenn auch 
an Zahl und Lokalitäten wechselnd. Iymphoide Zellelemente, die 
Maximow (39) zusammenfassend als „ruhende Wanderzellen“ 
oder „Polyblasten“ bezeichnete. Die nahen Beziehungen, die die 
freien Lymphocyten in den Lymphdrüsen zu den fixen oder 
sessilen (sewebselementen (Retikulumzellen oder „Endothelien“) 
zeigen, treten auch im übrigen Bindegewebe hervor, besonders 
deutlich im Netz und an den Deckzellen der serösen Höhlen, 
welch letztere stets freie lebenskräftige und mitotischer Teilung 
fähige Lymphocyten produzieren können. Das, was man als 
„Plasmazellen“ bezeichnet hat, sind Lymphocyten aller Grössen 
und jeder Provenienz, die durch eine besondere eigentümliche 
Beschaffenheit ihres Plasmas gekennzeichnet sind; wahrscheinlich 
handelt es sich dabei um den Ausdruck einer vorübergehenden 
besonderen sekretorischen Tätigkeit mit Abgabe plasmatischer 
Teile an die Umgebung. 

Wenn ich die Lymphocyten in nahe Beziehung zu den als 
Endothelien bezeichneten Elementen gebracht habe, so soll damit 
keineswegs gesagt sein, dass ich irgendwie die Anschauungen 
für berechtigt halte, die Patella (53) in einer Reihe von 
Abhandlungen vertreten hat. Nach diesem Autor wären die 
wahren Lymphocyten — die wirklichen Abkömmlinge des Iym- 
phoiden Gewebes — im normalen Blut sehr spärlich und durch 
äusserste Kleinheit (4 bis 5 « Durchmesser) charakterisiert; alle 
anderen ungranulierten Zellformen des Blutes und der Lymphe 
und zwar speziell die grossen seien abgestossene Gefässendothelien 
mit deutlichen Merkmalen der Zellnekrose; die kleineren Formen, 
mit Ausnahme der oben erwähnten allerkleinsten, seien mit ihren 
pyknotischen Kernen das Endprodukt dieser Zelldegeneration. 
Dass diese Ansichten, die offensichtlich auf Grund einer sehr 
mangelhaften Methodik gewonnen wurden, unhaltbar sind, ist 
schon von anderen, so besonders von Ferrata (18), gezeigt 
worden. Die von mir hier reproduzierten Bilder der fraglichen 
Elemente aus Blut und Lymphe lehren ohne weiteres, dass sie 
von keinerlei nekrotischen Veränderungen befallen sind; durch 
den Nachweis der Mitosen gerade in den grossen Zellen wird 
dies über jeden Zweifel hinausgerückt. „Endothelierf“ können sie 
in gewissem Sinne nach ihrer Herkunft trotzdem sein, aber, wie 
ich im vorhergehenden ausgeführt habe, in dem gleichen Sinne, 


Die ungranulierten Leucoeyten. 859 


der für die freien Elemente des Iymphoiden Gewebes überhaupt 
eilt. Die Endothelien der typischen Blut- und Lymphgefässe 
sind jedenfalls einseitig differenzierte Elemente, von denen sich 
weder die in Wahrheit überhaupt nicht vorhandenen nekrotischen 
Formen noch die teilungsfähigen freien Zellen des Blutes oder 
der Lymphe ableiten lassen. 


D. Die Beziehungen der Lymphocyten zu einander 
und zu den granulierten Leucocyten. 


‘s bleiben nun noch zwei Hauptfragen zu erörtern, nämlich 
die Beziehungen der kleinen und grossen Lymphocytenformen 
zu einander und die Beziehungen der Lymphocvten im ganzen zu 
den anderen Formen der weissen Blutkörperchen, zu den granu- 
lierten Leucocyten. 


I. Die Beziehungen der Lymphocyten zueinander. 


Ein Zweifel darüber, dass die kleinen Lymphoeyten Ehrlich- 
scher Nomenklatur die Abkömmlinge der grossen Formen sind, 
wenigstens soweit die lymphoiden Organe und speziell die Lymph- 
drüsen in Frage kommen, ist nicht möglich. Es ist bereits durch 
Flemmings (23) klassische Untersuchungen festgestellt worden, 
dass die grossen Zellen der Keimzentren sich teilen; die Teilungs- 
produkte werden nach der Peripherie des Keimzentrums gedrängt, 
wo sie als kleinere Elemente sich anhäufen. Auch abgesehen 
von den eigentlichen Keimzentren lässt sich zeigen, dass überall 
in Marksträngen und Lymphbahnen aus der mitotischen Teilung 
der grossen Formen die kleinen entstehen. Dasselbe gilt aber 
in vollem Umfange auch für die Lymphe selbst; auch hier teilen 
sich die grossen Elemente. auch hier gehen aus ihnen kleine 
hervor. Die so gebildeten kleinen Formen sind nun selbst wieder 
mitotischer Teilung fähig (Fig. Se, f), allerdings in geringerem 
Maße: man trifit solche Mitosen gelegentlich auch im Iymphoiden 


Gewebe — in der Lymphe selbst konnte ich bis jetzt keine 
beobachten — und auch ihr Vorkommen in den kleinen Plasma- 


zellen (Fig. 20a, b) beweist die Teilungsmöglichkeit. Immerhin 
tritt die selbständige Vermehrung zurück hinter der Bildung aus 
grossen Formen. Nun haben aber die Untersuchungen der letzten 
Jahre, besonders die Maximows, Hellys und R. Blumen- 
thals den Beweis erbracht (siehe oben), dass die kleinen Formen 


S60 Franz Weidenreich: 


selbst wieder zu grossen werden können. Auf Grund meiner 
eigenen Beobachtungen schliesse ich mich dieser Auffassung voll- 
ständig an; die in Blut und Lymphe vorkommenden Zellformen 
mittlerer Grösse sind in keinem anderen Sinne deutbar, wenn 
man nicht umgekehrt die grossen Formen direkt zu kleinen 
werden lässt. Ob dies vorkommt, ist schwer zu sagen: Beob- 
achtungen. die in diesem Sinne sprechen, liegen bis jetzt nicht 
vor, dagegen kann man bei entzündlichen Prozessen an den aus 
den Gefässen austretenden kleinen Elementen das Heranwachsen 
zu den grossen verfolgen. Jedenfalls können aber die kleinen 
Elemente wieder zu grossen sich umwandeln; die in 
Blut und Lymphe stets vorhandenen Mittelformen sind als 
Stadien dieser Entwicklung aufzufassen, die Fähigkeit 
zur mitotischen Teilung scheint in jedem Stadium gegeben 
iulaskesen or 

Wenn die kleinen Elemente also durch Teilung aus den 
grossen hervorgehen und ‚andererseits durch Vergrösserung ihres 
Plasmaleibes und Kernes wieder zu grossen heranwachsen können, 
ist die Frage berechtigt, warum überhaupt die kleinen Formen 
entstehen. Hier haben wir uns wieder an das schon oben 
herangezogene R. Hertwigsche Gesetz (27, 25) der „Kernplasma- 
relation“ zu erinnern. Durch die fortgesetzte Teilung der grossen 
Zellen, der Keimzentrumszellen, entstehen kleine protoplasma- 
arme Formen mit kleinen verdichteten Kernen; es spielen sich 
also hier ähnliche Vorgänge ab, wie wir sie, abgesehen von der 
Chromatinreduktion bei der Bildung der Spermien aus den 
Spermatogonien, schon lange kennen und wie sie neuerdings 
Marcus (36) für die Ableitung der kleinen Thymuselemente 
aus den grossen der ursprünglichen Epithelanlage geltend gemacht 
hat. Mit dem allmählichen Grösserwerden des Plasmaleibs durch 
nutritive Vorgänge wächst auch der Kern wieder zur alten Grösse 
heran. Die kleine Lymphocytenform ist demnach nur der 
Effekt einer besonders lebhaften artproduktiven 
Zelltätigkeit; teleologisch betrachtet, erleichtert zweifelsohne 
das Auftreten solcher kleineren Formen die Verbreitung der 
Zellelemente im Organismus, nicht nur in der Blut- und Lymph- 
bahn, sondern vor allem auch im Gewebe; günstige Ernährungs- 
bedingungen lassen die Zellen wieder überall zu grossen Formen 
heranwachsen. Auf die von manchen Autoren geäusserten Auf- 


Die ungranulierten Leucocyten. Ss6l 


fassungen der kleinen Lymphocytenformen brauche ich hier wohl 
nicht mehr weiter einzugehen, da sie sich durch den geführten 
Nachweis der engen Zusammengehörigkeit der verschiedenen 
(rössenformen erübrigen und meist auf der falschen Voraus- 
setzung beruhen, dass die kleinen Elemente eine bestimmt 
differenzierte und nicht weiter entwickelbare Zellart darstellen. 


I. Umwandlung der Lymphocyten in granulierte 
Leucoeyten. 


Kehren wir zur Betrachtung des Blutes zurück, so habe 
ich feststellen können, dass in der Zirkulation Übergänge zwischen 
den als Lymphocyten zusammengefassten ungranulierten Elementen 
einerseits und den granulierten Leucocyten andererseits nicht 
mit absoluter Sicherheit nachweisbar sind. Damit soll aber 
keineswegs gesagt sein, dass nicht doch enge Beziehungen 
zwischen beiden Arten bestehen. Zunächst gilt die Leugnung 
von Verbindungsformen nicht für die sogenannten Mastleueocyten, 


wie wir sie beim Menschen — unter normalen Verhältnissen 
allerdings nur sehr spärlich — finden. Dass gerade diese Zellen 


als besondere eigentümliche Degenerationsformen der Lympho- 
cyten aufzufassen sind, habe ich schon früher an anderer Stelle (55) 
und auch in der vorhergehenden Abhandlung (86) nachgewiesen; 
ich verweise auf die entsprechenden Abbildungen (85; Taf. II, 
Fig. 1, 3, 4 und 86; Taf. XII, Fig. 29—30). Da diese Zellen 
normalerweise eine untergeordnete Bedeutung haben, kann man 
davon absehen, sie immer besonders hervorzuheben; selbst- 
verständlich findet man in diesem Falle Übergangsformen in der 
Zirkulation. Diese fehlen aber für die fein- und grobgranulierten 
Elemente. Damit ist keineswegs gesagt, dass Umwandlungen 
der Lymphocyten überhaupt nicht vorkommen. Ich habe schon 
wiederholt gezeigt, dass Lymphocyten zu typischen granulierten 
Leucocyten werden können und zwar zu fein- und grobgekörnten. 
Das erstere lässt sich jederzeit an den Speichelkörperchen 
demonstrieren (84); ich wies nach, dass aus dem typischen 
Iymphoiden Gewebe der Schlundringschleimhaut, besonders der 
Tonsillen, Lymphocyten in den Speichel gelangen, die nicht nur 
die typischen sogenannten neutrophilen Granula der feingranulierten 
Leucoceyten enthalten, sondern dass dabei auch der ursprünglieli 
kompakte Kern jene Umformung in den gelappten Zustand erfährt, 


Ss62 Franz Weidenreich: 


der für diese Leucocyten charakteristisch ist und in der vorher- 
»ehenden Abhandlung (86) von mir eingehend gewürdigt wurde.) 
Andererseits habe ich gleichfalls schon früher (78) gezeigt — und 
diese Beobachtungen sind inzwischen von den verschiedensten 
Seiten bestätigt worden, — dass in den Blutlymphdrüsen mancher 
Tiere, besonders des Schafes und der Ratte, aus typischen 
Lymphocyten des Iymphoiden (Gewebes grobgranulierte (eosinophile) 
Leucoeyten gebildet werden;?) in neuerer Zeit gelang es mir 


'‘ Ich war inzwischen in der Lage, Tonsille und Schlundschleimhaut 
eines 18jährigen Hingerichteten zu untersuchen. Auch an Schnittpräparaten 
konnte ich mich davon überzeugen, dass die Speichelkörperchen, wie es 
seinerzeit Stöhr nachwies, durchgewanderte Lymphocyten sind und dass 
‚sie auf diesem Wege sich nicht nur mit der neutrophilen Granulierung 
beladen, sondern auch in ihrem Kern die charakteristischen Umänderungen 
aus der kompakten in die gelappte Form erkennen lassen. Stellenweise kann 
ein direkter Einbruch solcher Zellen in die Mundhöhle festgestellt werden. — 
Vor kurzem haben Kämmerer und E. Meyer (Fol. hämat., Bd. VII, H. 2, 
1909) demgegenüber behauptet, dass die gewöhnlichen gelapptkernigen Speichel- 
körperchen neutrophile Blutleucocyten seien und die kompaktkernige Form 
ein Degenerationsprodukt der gelapptkernigen; eine Nachuntersuchung haben 
die Autoren überhaupt nicht vorgenommen und damit aufs neue gezeigt, 
dass manche klinische „Hämatologen* immer noch der Ansicht sind, aus 
theoretischer Voreingenommenheit heraus anatomische Tatsachen ignorieren 
zu dürfen, wie hier die, dass die Speichelkörperchen ja überhaupt nicht aus 
dem Blute, sondern aus dem Iymphoiden Gewebe der Tonsillen ete. stammen. 
Man sollte erwarten dürfen, dass jeder, der sich ein Urteil erlaubt über die 
Untersuchungen eines anderen, sie wenigstens nachprüft und sich zunächst 
mit der anatomischen Grundlage der Frage vertraut macht, deren Kenntnis 
schon jedes Kompendium der Anatomie vermittelt. 

?) Auch hiergegen erheben Kämmerer und E. Meyer (l. c.) Einspruch; 
natürlich auch hier ohne sich der Mühe zu unterziehen, meine Untersuchungen 
nachzuprüfen. Weil sie fanden, dass Makrophagen im Brutschrank (!) auf- 
genommene Erythrocyten nicht zu eosinophilen Granulationen verarbeiteten, 
schliessen sie, dass die eosinophilen Granulationen überhaupt nicht aus 
aufgenommenen Hämoglobin- oder Erythrocytentrümmern bestehen könnten. 
Auch hierin zeigt sich die mangelnde Orientierung der Autoren über die 
strittige Frage; ich habe natürlich nie behauptet, dass jeder und unter allen 
Umständen von einem Lymphocyten aufgenommene Erythrocyt zu eosino- 
philen Granula zerfallen müsse, sondern schon in meiner ersten Arbeit über 
diesen Gegenstand (78), die den Autoren ebenso unbekannt zu sein scheint 
wie meine letzte experimentelle (87), auf den doppelten Modus der Erythrocyten- 
verarbeitung aufmerksam gemacht. Die Einwände der beiden Autoren sind daher 
hier ebensowenig ernst zu nehmen wie bei den Speichelkörperchen und beweisen 
nur aufs neue, mit welcher Nonchalance hämatologische Fragen oft von klinischer 
Seite behandelt und mühsame anatomische Untersuchungen ignoriert werden. 


Die ungranulierten Leucocyten. 565 


zusammen mit Schott (57) auch experimentell die Bildung 
solcher Zellen auszulösen und zwar an den Iymphoiden Zellhaufen 
des Netzes, den Ranvierschen Taches laiteuses.. Gerade im 
letzteren Falle liess sich zeigen, dass die typischen kleinen Lympho- 
cyten Ehrlichscher Nomenklatur mit ihrem charakteristischen 
Kern ebensogut zu eosinophilen Leucocyten werden können, wie 
die mittleren und grossen Formen; ich habe die betreffenden 
Präparate auf der Berliner Anatomenversammlung (87; S. 305) 
demonstriert und werde sie in der ausführlichen Darstellung 
abbilden. Nach diesen Beobachtungen unterliegt es nicht 
dem geringsten Zweifel mehr, dass Lymphocyten, 
gleichgültig von welcher augenblicklichen Zell- 
erösse, zu typischen granulierten Leucocyten werden 
können. Nachdem so der positive Beweis erbracht ist, fällt 
denen, die die Möglichkeit dieser Umformung noch bestreiten, die 
Aufgabe zu, die behauptete Unmöglichkeit durch anatomische Unter- 
suchungen nachzuweisen, anstatt sie an Stelle von Spekulationen 
auf Grund pathologischer Blutbefunde und unter Ignorierung 
normal-anatomischer Tatsachen erschliessen zu wollen. 


II. Undifferenzierte Knochenmarkszellen und 
Lymphocyten. 


Nun ist es ja andererseits auch nicht zweifelhaft, dass die 
fein- und grobgranulierten Leucocyten sich auch aus Knochen- 
markszellen ableiten lassen, die im Knochenmark als ungranulierte 
Elemente eine charakteristische Zellform darstellen und als 
„Myeloblast“. „Iymphoide Markzelle“ ete. bezeichnet werden. Die 
Anhänger der Lehre, dass granulierte Leucocyten und Lympho- 
eyten nichts miteinander zu tun haben, behaupten dementsprechend, 
dass diese undifferenzierte Knochenmarkszelle, die nur unter 
pathologischen Bedingungen in die Zirkulation gelange, nichts zu 
tun hätte mit der Mutterform der Lymphocyten, dem sogenannten 
„grossen Lymphocyten“, und dass beide morphologisch durchaus 
differente Elemente wären. Es ist nın nicht uninteressant, einmal 
dieser Beweisführung nachzugehen. Türk (75), der sich ledig- 
lich auf die Untersuchung der Zellformen in der Zirkulation 
stützt, findet allerdings keine bemerkenswerten Unterschiede 
zwischen den beiden Mutterformen, so dass man der isolierten 


Zelle nicht ansehen könne, welcher Art sie angehöre: trotzdem 
Archiv f. wikrosk. Anat. Bd.73. 56 


64 Franz Weidenreich: 


seien beide Zellformen zu trennen, denn aus der einen würden 
granulierte Leucocyten, aus der anderen Lymphocyten. Damit 
ist vollständig zugegeben, dass es eine einheitliche Zellform gibt 
mit der Differenzierungsmöglichkeit nach zwei Richtungen; wegen 
dieser Möglichkeit die undifferenzierte Form aber in zwei absolut 
verschiedene Arten trennen zu wollen, wäre genau so berechtigt, 
als wenn man zweierlei genetisch verschiedene Arten von Zellen 
des Stratum Malpighi der Epidermis annehmen wollte, von denen 
die eine zur Zelle des Stratum corneums und die andere zur 
Haarrindenzelle wird. Man sieht: Überträgt man einmal solche 
Vorstellungen hämatologischer Natur in das Gebiet gewöhnlicher 
(rewebshistologie, so wird ihre Unhaltbarkeit ohne weiteres ein- 
leuchtend. Andere Autoren haben geglaubt, einen morphologischen 
Unterschied zwischen jenen Knochenmark- und Lymphzellen im 
Verhalten der Kernkörperchen zu finden. Nägeli (45) behauptete 
früher, dass die ersteren überhaupt keinen Nukleolus und die 
letzteren nur einen besässen, jetzt (46) ist er der Änsicht, dass 
jene 2—4 und diese 1—2 hätten. Der Autor sieht aber doch selbst 
ein, dass die Unterscheidung schwierig ist und sagt: „Gewiss ist es 
in vielen Fällen sehr schwer und bei den meisten Färbungen ganz 
unmöglich, mit Sicherheit eine Zelle als Myeloblasten anzusprechen, 
obwohl der Geübte gewöhnlich (!) doch nicht lange im Zweifel 
bleibt. Man muss eben durch bestimmte Färbungen die Stärke 
der basischen Affinität des Kernes und die Nukleolenverhältnisse (!) 
feststellen“. Vorausgesetzt, dass die Angaben über die Zahl der 
Nukleolen überhaupt stimmen würden, so wäre darnach eine 
Unterscheidung doch nur dann möglich, wenn in einem Falle 
einer und in dem anderen drei oder vier vorhanden wären: wie 
aber, wenn sich in jeder Zelle nur zwei finden? Nun hat noch 
Schridde (67, 68) eine Reihe von angeblichen Unterscheidungs- 
ınerkmalen herangezogen, von denen ich nur die hervorhebe, die 
wirklich als prinzipielle bezeichnet werden. Die Knochenmarks- 
zelle, der Myeloblast, besitze ein massigeres und stärker basophiles 
Plasma bei feinwabiger Struktur als die Lymphzelle, der Lympho- 
blast; diese enthalte Schriddesche Granula, jene nicht. Der 
Kern der Myeloblasten habe eine zarte Membran und ein zierliches 
CUhromatinnetz, der der Lymphoblasten eine dicke Membran und 
plumpere Chromatinfäden. Die Kernkörperchen, in deren Zahl der 
Autor im Gegensatz zu Nägeli keine Unterschiede fand, sollen sich 


Die ungranulierten Leucocyten. 365 


nur durch ihre grössere oder geringere Färbbarkeit unterscheiden. 
Dass nun die Zahl der Kernkörperchen als arttrennendes Mittel hier 
überhaupt nicht in Frage kommen kann, ist selbstverständlich ; 
wir wissen schon längst durch die Untersuchungen Auerbachs (3), 
dass die Zahl dieser Gebilde sich physiologisch ändert und 
periodischen Schwankungen unterworfen ist; speziell für die hier 
in Frage kommenden Zellen hat neuerdings Butterfield (7) 
gezeigt, dass es Myelocyten mit nur einem und Lymphoblasten 
mit fünf Nukleolen gibt. Zudem bildet Schridde (65) Myelo- 
blasten mit einem und Lymphoblasten mit sechs Kernkörperchen 
ab; man sieht also, welch geringer Wert derartigen Angaben 
zukommt. Auch die von diesem Autor angegebenen Merkmale 
sind nicht anders zu bewerten. Dickere Kernmembranen, plumperes 
Uhromatingerüst und stärkere Färbbarkeit des Plasmas sind Dinge, 
die sehr wesentlich von der Fixation der Stücke und der Intensität 
der Färbung der Präparate abhängen können: bei starker Färbung 
kann das Plasma eben stärker gefärbt aussehen als bei schwacher 
oder bei Überfixation und dasselbe gilt für das Chromatin. Wenn 
man die von Schridde (68) reproduzierten Bilder unbefangen 
betrachtet (Taf. XI, Fig. 1—4), wird man kaum mit Bestimmtheit 
sagen können, welche Zellen „Myeloblasten“ und welche „Lympho- 
blasten“ sind, obwohl doch sicher gerade die jeweils für charakte- 
ristisch gehaltenen Zellen abgebildet worden sind. Was aber 
die Schriddesche Plasmagranulierung angeht, die in den einen 
Zellen fehlten und in den anderen vorhanden sein soll, so kann ich 
auch darin kein artunterscheidendes Merkmal erblicken, da 
Granula und erst recht solche, die in der frischen lebenden Zelle 
gar nicht vorhanden sind, bei notorisch gleichen Zellen in dem 
einen Falle vorkommen und in dem anderen fehlen können: ich 
erinnere nur an die „azurophile* Körnelung der Lymphoeyten, 
die in ihrem Verhalten doch ausserordentlich variiert, ohne dass 
deswegen bis jetzt jemand — auch nicht solche, die jedem Plasma- 
körnchen eine ganz besondere Bedeutung zusprechen — auf den 
(Gedanken verfallen wäre, die Lymphocyten in die verschiedenen 
Arten der „azurophil granulierten*“ und der „nicht azurophil 
granulierten“ zu trennen. Aus den gleichen Gründen muss ich 
auch den neuerdings von Ferrata (19—21) gemachten Versuch, 
Lymphoeyten und granulierte Leucocyten als artverschieden gegen- 
über zu stellen, weil in ersteren eben die genannten Granula 


»6* 


S66 Franz Weidenreich: 


gelegentlich vorkommen und in letzteren angeblich nicht, als 
verfehlt bezeichnen. Der Autor sieht in diesen Körnern den 
Ausdruck von Stoffwechsel- oder Sekretionsvorgängen; selbst die 
Richtigkeit dieser Auffassung zugegeben, kann sie unmöglich in 
dem gewollten Sinne beweisend sein; denn jedes Lehrbuch der 
Entwicklungsgeschichte enthält Beispiele genug dafür, dass in 
einer noch undifferenzierten Zelle solche Vorgänge sich abspielen 
können: es ist daher vollständig willkürlich, deswegen eine Zelle 
als definitiv und einseitig differenziert zu erklären, namenlich 
dann noch, wenn die als so charakteristisch ausgegebene Eigenschaft 
nicht einmal allen Zellen der zweifellos gleichen Art zukommt. 

Aus dieser Zusammenstellung und Betrachtung ergibt sich 
also, dass bis heute weder an Organ-, noch an Blut- und Lymph- 
präparaten irgend ein nennenswerter und wirklich fundamentaler 
morphologischer Unterschied zwischen der undifferenzierten 
Knochenmarkszelle und der teilungsfähigen Lymphzelle fest- 
gestellt werden konnte: ja manche Autoren, die nach solchen 
suchen und Theorien darauf gründen, sprechen es direkt aus, 
dass selbst unter Berücksichtigung der von ihnen als beweisend 
gehaltenen Kriterien oft eine Trennung und Diagnostizierung in 
dem einen oder anderen Sinne unmöglich ist. Es zeigt also die 
noch undifferenzierte Knochenmarkszelle den 
gleichen morphologischen Charakter wie die 
Lymphzelle, die Keimzentrumszelle; aus jener gehen 
fein- und grobgranulierte Leucocyten im Knochenmark nachweis- 
lich hervor, aber auch bei der Lymphzelle ist, wie ich zeigte, 
die gleiche Umwandlung möglich. Morphologisch gleiche Elemente 
mit genau der gleichen Differenzierungsmöglichkeit sind aber als 
gleichwertig oder identisch oder als ein und derselbe Zelltypus 
zu bezeichnen, selbst wenn sie ihrem Vorkommen nach örtlich 
getrennt sind. Ich habe nun nachgewiesen, dass die inBlut und 
Lymphe normalerweise vorkommenden grossen 
ungranulierten Formen als teilungsfähige Lymph- 
zellen oder als Keimzentrumszellen zu bezeichnen sind und 
demnach müssten sie auch als weiter entwicklungsfähige 
undifferenzierte Knochenmarkszellen, wenn dieser 
Ausdruck dann gestattet ist, angesprochen werden. 

Nun finde ich hierin merkwürdigerweise einen Bundesgenossen 
in einem Autor, der sonst entschieden die Gleichwertigkeit beider 


Die ungranulierten Leueocyten. 567 


Elemente bestreitet. K. Ziegler (88) behauptet, dass immer 
dann, wenn im Iymphoiden Gewebe, in Lymphdrüsen oder in der 
Milz granulierte Leucocyten entstünden, dies darauf zurückzu- 
führen sei, dass sich eben die „grosse, ungranulierte, basophile, 
einkernige Zelle des Rnochenmarks, die Ersatz- und Stammzelle 
des myeloiden Apparates im postembryonalen Gewebe“ normaler- 
weise im zirkulierenden Blute finde und dann erst in jenen 
Organen lokalisieren müsse, dass aber die eigentliche Lymphzelle 
einer Umwandlung in granulierte Formen unfähig wäre: jene 
Knochenmarkszelle sei aber die „grosse mononukleäre Zeile“ des 
normalen Blutes. Also: die Entwicklungsfähigkeit der von mir im 
normalen Blute beschriebenen grossen ungranulierten Formen zu 
sranulierten Leucocyten wird im Prinzip von Ziegler nicht 
bestritten, nur behauptet er, dass diese Zelle aus dem Knochen- 
mark stamme. Die einfache Untersuchung der Lymphe hätte dem 
Autor zeigen müssen, dass diese grossen teilungsfähigen Elemente 
jedenfalls in der Hauptsache dem Blut durch die Lymphe zu- 
geführt werden und dass sie weiter nachweislich aus den Iymphoiden 
Organen kommen, dass sie also jedenfalls auch mit den teilungs- 
fähigen undifferenzierten Lymphzellen zu identifizieren sind. Damit 
wird aber die ganze Auffassung Zieglers hinfällig. Ziegler 
macht nämlich die Möglichkeit der Differenzierung in granulierte 
Leucocyten nicht abhängig vom morphologischen Charakter: denn 
gerade die Zelle, die andere Autoren als Lymphzelle bezeichnen 
und auf Grund solcher Kennzeichen von der angeblich durchaus 
verschiedenen undifferenzierten Knochenmarkszelle trennen, wird 
von dem Autor ohne weiteres mit dieser letzteren identifiziert. 
Für Ziegler ist die Herkunft der Zelle massgebend, und diese 
verlegt er ausschliesslich ins Knochenmark. Dass das sicherlich 
mit den anatomischen Befunden nicht in Einklang zu bringen ist, 
glaube ich in dieser Abhandlung genügend bewiesen zu haben. 

Im strömenden Blut kommt also unter normalen Verhält- 
nissen eine undifferenzierte, teilungsfähige Zellform vor, die man 
auch im Knochenmark als solche findet, aber ebensogut wie aus 
diesem Gewebe auch aus dem Ivmphoiden in das Blut gelangt. 
Dieses Zellelement ist nun nach meinen Darlegungen nicht allein 
jene Form der Autoren, die man als „grossen Lymphocyt“ be- 
zeichnet hat, sondern alle grossen Formen der ungranulierten 
Leucocyten des Blutes, also auch die sogenannten „grossen mono- 


S65 Franz Weidenreich: 


nukleären Leucoeyten“ und die „Übergangsformen“ sind hierzu 
zu rechnen; auch die kleinen Zellen, die Lymphocyten Ehrlich- 
scher Nomenklatur, sind fortbildungsfähige Elemente, indem sie 
sich entweder direkt — natürlich unter gleichzeitiger Zellver- 
grösserung — in granulierte Leucocyten umwandeln oder erst zu 
grossen Formen heranwachsen; sie sind ja lediglich durch fort- 
gesetzte Teilung aus den grossen hervorgegangen. Demnach 
sind alle, ihrer Herkunft nach und ohne Rücksicht 
auf die augenblickliche Zellgrösse, als Lympho- 
eyten zu bezeichnenden Elemente weiter entwick- 
lungsfähig und können zu granulierten Leuco- 
cyten werden. Die Lymphocyten sind also den un- 
differenzierten Knochenmarkszellen gleichwertig. 

Einen ausgezeichneten Beweis in dieser Richtung hat nun 
noch Maximow (42) auch auf experimentellem Wege geliefert. 
Es war bekannt, dass bei Kaninchen nach Unterbindung der 
Nierenarterien in der Niere Knochengewebe auftritt. Maximow 
fand nun, dass es hierbei auch zur Bildung von Knochenmark 
komme und konnte feststellen, aus welchen Elementen des zirku- 
lierenden Blutes das typische Knochenmarkgewebe seine Entstehung 
nimmt: Kleinere und grössere Lymphocyten wachsen zu typischen 
grossen Lymphocyten heran; ein Teil von diesen fängt an, feine 
Körnchen im Protoplasma auszuarbeiten und verwandelt sich so 
in grosse pseudoeosinophile kompakt-kernige Leucocyten (Myelo- 
cyten), die sich dann weiter auch selbständig durch Mitose ver- 
mehren; aus all diesen Zellen gehen dann die gelappt-kernigen 
Leucocyten hervor. Gerade beim Kaninchen konnte ich nun sehr 
schön zeigen, dass die Lymphocyten in ihren verschiedenen 
(rössenformen auch aus der Lymphe und den Iymphoiden Organen 
stammen; das Experiment Maximows lehrt also, dass unter 
besonderen örtlichen Verhältnissen, wie sie offenbar durch die 
Bildung des Knochengewebes in der Niere gegeben sind, Zellen, 
die ihrer Provenienz und ihrem morphologischen Charakter nach 
zunächst auf die Iymphoiden Organe zurückzuführen sind, also 
Lymphoecyten, sich in typische, anfänglich selbst wieder mitotischer 
Teilung fähige granulierte Elemente umwandeln können. 

IV. Örtliche Differenzierung. 

Wie auch aus diesem Experiment hervorgeht, scheint die 

Umbildung der Lymphocyten in granulierte Formen an bestimmte 


Die ungranulierten Leucocyten. 569 


Örtlichkeiten gebunden. Offenbar müssen eben zur Ausbildung 
der (rranula bestimmte Voraussetzungen vorhanden sein. Gerade 
an den eosinophilen Leucocyten konnte ich den Beweis (78, 87) 
erbringen, dass zu ihrer Entstehung aus Lymphocyten ein eigen- 
tümlich granulärer Zerfall der Erythrocyten Voraussetzung ist. 
Im Knochenmark, in der Milz — besonders des Pferdes — in 
den Lymphdrüsen und speziell in den Blutlymphdrüsen sind 
normalerweise mehr oder weniger diese Bedingungen vorhanden; 
schafft man auf dem Wege des Experimentes die gleichen Be- 
dingungen auch an anderen Örtlichkeiten, z. B. im Netz, so wandeln 
sich auch dort die Lymphocyten in eosinophile Leucocyten um. 
Für die feingranulierten Leucocvten gilt dasselbe; wenn auch 
die, Bedingungen, unter denen sie entstehen, noch unbekannt 
sind. In besonders hohem Maße sind sie jedenfalls im Knochen- 
mark gegeben, weniger anscheinend in den Lymphdrüsen. Aus 
der Tatsache, dass nur ausserordentlich spärliche granulierte 
Elemente dem Blute durch die Lymphe zugeführt werden, darf 
natürlich nicht etwa geschlossen werden, dass in den Iymphoiden 
Organen überhaupt keine entstehen. Alles was z. B. in der Milz 
gebildet wird, gelangt direkt ins Blut, da, wie ich früher (77) 
zeigen konnte, dieses Organ keine als Ausführwege von Zellen 
in Betracht kommende Lymphgefässe besitzt'). Ferner ist zu 
berücksichtigen, dass oft ein sehr grosser Teil der in den 
Ivmphoiden Organen gebildeten granulierten Leucocyten in diesen 
selbst wieder zerstört wird, wie ich dies für die eosinophilen 
Leucoceyten in den Blutlymphdrüsen nachgewiesen habe (78). 
Hauptsächlich aber bleibt zu bedenken, dass ja nichts die in 
solchen Organen gebildeten granulierten Leucocyten hindert, 
direkt durch die Gefässwand hindurch in die Blutcapillaren der 
Organe einzuwandern und so direkt in das Blut zu gelangen: auf 
die Tatsache der direkten Auswanderung in das umgebende Ge- 
webe habe ich schon früher aufmerksam gemacht. Mit der 
Annahme, dass zur Umwandlung der Lymphocyten in granulierte 


') Die Annahme Ehrlichs, dass die Milz überhaupt keine farb- 
losen Blutelemente in die Zirkulation bringe, wird durch den schon von 
den alten Anatomen gebrachten Nachweis widerlegt, dass das Milzvenen- 
blut ca. ?Omal soviel Leucocyten enthält als das Milzarterienblut, eine Tat- 
sache, die auch ich (77) konstatieren konnte und wieder neuerdings von 
Löwit (34) bestätigt worden ist. 


s70 Franz Weidenreich: 


Leucoceyten bestimmte Voraussetzungen nötig sind, die nicht 
überall und jederzeit gegeben zu sein brauchen, werden auch die 
experimentellen Ergebnisse R. Blumenthals (6) verständlich. 
Der Autor spritzte Tieren Dottermaterial in die Bauchhöhle und 
beobachtete nun in allen Iymphoiden Organen eine Zunahme der 
Lymphoeyten, ohne entsprechende Vermehrung der granulierten 
Leucocyten im Blute und daraus schliesst er, dass beide nichts 
miteinander zu tun haben, weil bei einer Umformung auch die 
sranulierten Leucocyten vermehrt sein müssten. Es ist klar, 
dass diese Schlussfolgerung trügerisch ist; indem Blumenthal 
experimentell Nährmaterial dem Körper zuführte, erhöhte er die 
allgemeine Produktionsfähigkeit der Keimzentrumszellen, erhielt 
also eine Vermehrung der Lymphocyten. Aber die besonderen 
Bedingungen, die zu einer vermehrten Umwandlung der Lympho- 
eyten in die granulierten Leucocyten nötig sind, wurden durch 
das Experiment nicht geschaffen und deswegen trat eben keine 
Vermehrung der granulierten Elemente ein. 

Wie ich schon oben hervorgehoben habe, lassen sich keine 
strikten Beweise dafür erbringen, dass die Umwandlung der 
Iymphocytären Elemente in granulierte unter normalen Verhält- 
nissen in der Zirkulation stattfindet. Eine derartige Annahme 
ist nicht nur von den älteren Untersuchern wie M. Schultze (71) 
gemacht worden, auch Ehrlich (15) selbst hat eine solche Ent- 
wicklung für möglich gehalten. Nach ihm sollten die sogenannten 
„grossen mononukleären Leucoeyten“ neutrophile Granula aus- 
arbeiten und so zu „Übergangsformen“ werden, die ihrerseits 
wieder zu den typischen gelappt-kernigen granulierten Leuco- 
eyten überleiteten. Diese angebliche Beobachtung war für ihn 
ja überhaupt der Grund, jene Zellformen von den eigentlichen 
und seiner Ansicht nach in der gleichen Richtung entwicklungs- 
unfähigen kleinen Lymphocyten zu trennen. Grawitz (25) 
stimmt in diesem Punkte mit Ehrlich überein, während 
Pappenheim (47) das Vorkommen von Zellformen, die als 
Übergänge zu deuten wären, entschieden leugnet. Ich muss mich 
in dieser Frage dem letztgenannten Autor anschliessen; die 


sranulierten Leucocyten — von den Mastleucocyten ist natür- 
lich aus den: oben erörterten Gründen über deren Natur 
hierbei ganz abzusehen — weisen ein durch ihre Kernform 


besonders charakterisiertes Stadium auf, das als Ausgangs- 


Die ungranulierten Leucocyten. Ss7l 


punkt der Entwicklungsreihe zu gelten hat; speziell bei den 
feingranulierten oder neutrophilen Leucocyten ist diese Form 
sut von anderen unterscheidbar und von mir in der 
vorhergehenden Abhandlung genau beschrieben und abgebildet 
worden (86; Taf. VIII, Fig. 1—3). Es ist selbstverständlich, 
dass für den Fall des Vorkommens von Übergängen zwischen 
Lymphoeyten und granulierten Leucoeyten als Übergangsformen 
nur solche Zellelemente gedeutet werden dürfen, die zwischen 
die kleinen oder die grossen Formen der Lymphocyten (Fig. 1. 3) 
einerseits und jene kompakt-kernige undeutlich zum Teil basophil, 
zum Teil neutrophil granulierte Form andererseits in ihren 
morphologischen Charakteren einzureihen wären. Solche Zellen 
finden sich anerkanntermassen unter pathologischen Bedingungen 
in der Zirkulation, nur dass sie dann von manchen Autoren als 
ausschliessliches Knochenmarkselement gedeutet werden, eine 
Annahme, die ich schon oben als irrtümlich nachgewiesen habe. 
Jedenfalls habe ich aber im normalen Blute bis jetzt keine 
Zellen auffinden können, die man in gleicher Weise als Übergangs- 
elemente auffassen könnte — es ist denkbar, dass sie ausser- 
ordentlich selten sind; — die Zellen jedoch, die bisher von 
manchen Autoren so gedeutet wurden und deren Zahl darnach 
eine verhältnismässig beträchtliche sein müsste (ca. 2°/o). sind 
sicher nicht als wirkliche Übergangszellen zu bezeichnen. Ich 
betone dabei nochmals, dass ich eine Umwandlung selbst nicht 
nur für möglich, sondern für absolut erwiesen halte, nur vollzieht 
sie sich normalerweise überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in 
evidentem Maße in der Zirkulation. 


V-Ontogenetische Betrachtungen. 


Weiteren Aufschluss über die Beziehungen der ungranulierten 
Leucoeytenformen zu den granulierten liefert das Ergebnis der 
Entwicklungsgeschichte. Schon’Saxer (62) hat nachgewiesen. 
dass die zuerst mit Bestimmtheit als weisse Blutkörperchen 
unterscheidbaren Elemente im Gewebe kompakt-kernige, un- 
granulierte Formen sind, die zum Teil, aber erst in späteren 
Entwicklungsstadien, sich in granulierte Formen umwandeln. 
Jolly und Acuna (31) haben dann gezeigt, dass in frühen 
Stadien in der Zirkulation nur kompakt-kernige Elemente vor- 
kommen und zwar kleinere Zellen mit Lymphocytencharakter 


372 Franz Weidenreich: 


Ehrlichscher Nomenklatur und grosse ungranulierte, den 
Knochenmarkszellen ähnliche Formen; gelappt-kernige granulierte 
Elemente treten in der Zirkulation erst später auf. Nun wurde bisher 
auf Grund der Angaben der meisten Autoren angenommen, dass 
in der allerersten Entwicklung der Blutelemente in der Zirkulation 
oder besser intravaskulär nur hämoglobinhaltige Zellen und 
dementsprechend keine farblosen, also Leucocyten, vorkämen. 
Maximow (43, 44) hat nun neuerdings den Nachweis geliefert, 
dass es sich hierbei um einen Irrtum handelt; alle Zellen 
der Blutinseln sind anfänglich basophil und hämoglobinlos, aber 
nur ein Teil arbeitet in seinem Plasmaleib Blutfarbstoff aus und 
wird so zu den ersten Erythrocyten, während ein kleinerer Teil 
seinen Zellhabitus im ganzen behält und nun in seinem morpho- 
logischen Charakter den Zellen völlig entspricht, die man späterhin 
als „grosse Lymphocyten“ bezeichnet hat, so dass also von der 
ersten Differenzierung der Blutelemente an auch in der Zirkulation 
ungranulierte Leucocyten vorkommen. Erst in sehr viel späteren 
Entwicklungsstadien treten die granulierten gelapptkernigen Leuco- 
cyten auf. Die gleichen Befunde, die Maximow an Säuge- 
tieren machte, konnte Dantschakoff (11) beim Hühnchen 
erheben. Fast gleichzeitig mit diesen wichtigen Arbeiten erschienen 
Abhandlungen Schriddes (69, 70), der die Anwesenheit farb- 
loser Elemente in den frühen Entwicklungsstadien und besonders 
in der Zirkulation leugnet und das erste Auftreten dieser Elemente 
in das extravaskuläre Gewebe der Leber verlegt. Nach 
Schridde (69) sollen sich aus dem undifferenzierten Gewebe 
der „Gefässwandzellen“ Erythroblasten, Myeloblasten und 
tiesenzellen entwickeln; dagegen seien Lymphocyten in diesem 
Stadium noch nirgends zu finden; daraus ergebe sich die 
„absolute Verschiedenheit des myeloischen und lymphatischen 
Parenchyms.“ Abgesehen davon, dass nach den positiven Befunden 
Maximows und Dantschakoff — ich konnte mich an den 
betreffenden ganz ausgezeichneten, auf der Berliner Anatomen- 
versammlung demonstrierten Präparaten selbst davon überzeugen, 
dass das Vorkommen von Leucocyten in der Form ungranulierter 
basophiler Elemente von Iymphocytärem Charakter schon in den 
allerfrühesten Entwicklungsstadien und zwar auch in der Zirku- 
lation als absolut sicher erwiesen zu gelten hat — die tatsäch- 
lichen Angaben Schriddes nicht richtig sind, muss ich es als 


Die ungranulierten Leucocyten. 873 


eine durchaus ungerechtfertigte Annahme bezeichnen, wenn 
Schridde jene indifferenten Zellen der Leberanlage „Myelo- 
blasten“ nennt und damit den Anschein erweckt, dass es sich 
hier um Elemente handelt, die den Lymphocyten gegenüber zu 
stellen sind. Da nach Schriddes Angaben in diesen Stadien 
von Knochenmark natürlich noch keine Rede sein kann, da auch 
bei dem zugestandenen Fehlen jeder granulierten Elemente etwa 
aus der Umwandlung der indifferenten Form in granulierte der 
angebliche Knochenmarkscharakter nicht abzuleiten ist und da 
der Autor auch keinerlei morphologische Besonderheiten für jene 
behauptete Deutung geltend macht, so kann ich in dem Vorgehen 
Schriddes nur den Versuch sehen, durch eine vorausgenommene 
bestimmte Namengebung sich den Beweis zu ersparen, dass diese 
Benennung überhaupt berechtigt ist. Denn auch wegen des topo- 
graphisch gemeinsamen Vorkommens der fraglichen ungranulierten 
farblosen Zellen mit den Erythroblasten kann jenes Lebergewebe 
nicht dem späteren Knochenmarksgewebe gleichgesetzt werden, 
und zwar deswegen, weil diese Zusammengehörigkeit für die 
embryonalen Verhältnisse überhaupt charakteristisch ist und sich 
dementsprechend auch im späteren rein Iymphoiden Gewebe findet. 
So hat doch schon Saxer (62) gezeigt, dass in den embryonalen 
Lymphdrüsen auch Erythroblasten vorkommen, die sich dort ver- 
mehren, wir kennen ferner durch Saxer die Tatsache, dass sich 
gleichartige Herde auch zerstreut im Bindegewebe finden, worauf 
in neuerer Zeit wieder Pardi (52) aufmerksam gemacht hat. 
Diese Angaben haben durch Maximow (43) eine erneute 
Bestätigung erfahren, sodass auch in diesem Punkte die 
Schriddesche Annahme durch die tatsächlichen Verhältnisse 
nicht gestützt wird. Was endlich die Charakterisierung jener 
Zellen des embryonalen Lebergewebes als „Gefässwandzellen“ 
angeht, so habe ich selbst (81) schon vor Schridde in Anlehnung 
an Howell (29) diesen Vergleich mit den Blutinselzellen gezogen 
und auch auf das Knochenmark übertragen; ich wollte damit zum 
Ausdruck bringen, dass hier undifferenzierte Zellelemente sich 
finden, die den ebenfalls noch undifferenzierten Wandzellen der 
Blutinseln gleichwertig sind, insofern aus ihnen rote und weisse 
Blutkörperchen hervorgehen. Diese weissen Blutkörperchen sind 
aber keineswegs — und darauf kommt es an -- als ausschliesslich 
granulierte Elemente oder als deren gleichfalls schon einseitig 


874 Franz Weidenreich: 


differenzierte Mutterzellen zu betrachten. Dagegen sprechen einmal 
die Befunde Maximows und der anderen obengenannten Autoren 
über das Verhalten des blutbildenden Gewebes überhaupt, dann 
aber auch die Tatsache, dass gerade in den Lymphdrüsen, wie ich 
oben eingehend auseinandersetzte, die eigentlichen Mutterzellen 
der Lymphocyten, die Keimzentrumszellen, schon längst als Ge- 
fässwandzellen oder „Endothelien“* der Lymphräume und -bahnen 
gedeutet worden sind. Besonders deutlich tritt dieses Verhalten 
auch in den Blutlymphdrüsen hervor; ich habe gezeigt, dass in 
den Blutlymphdrüsen des Schafes primitive Blutstrassen innerhalb 
des eigentlichen Ivmphoiden Gewebes vorkommen ohne ausge- 
sprochene Wandbegrenzung gegenüber dem umgebenden Ivmphoiden 
Gewebe, das sich in Retikulum- oder Endothelzellen und freie 
Lymphocyten sondert: in den gleichen Organen der Ratte nehmen 
diese Bildungen einen deutlicheren Gefässcharakter an, insofern 
die Endothelien hier einen kontinuierlichen, mehrschichtigen Belag 
bilden. Wie aus der Fig. 25 hervorgeht, bestehen diese (sefäss- 
wandzellen aus grossen protoplasmareichen Elementen (e), die in 
ihrem morphologischen Habitus, besonders auch in ihrem Kern, 
durchaus an die in Fig. 23 wiedergegebenen Zellen der Lymph- 
bahnen oder an die Keimzentrumszellen der Sekundärfollikel 
(Fig. 26) erinnern. Andererseits unterscheiden sie sich nicht 
von den frei in den betreffenden Gefässabschnitten liegenden 
grossen Formen der Lymphoeyten (Fig. 251). Also (Grefässwand- 
zellen in dem von mir ursprünglich gebrauchten und nun von 
Schridde akzeptierten Sinne sind auch die grossen Formen der 
Lymphocyten; denn die Blutlymphdrüsen, besonders die der Ratte, 
sind nach der Art der dort gebildeten Zellelemente und bei dem 
Fehlen jeglichen Erythrocyten-bildenden Gewebes zweifelsohne 
typische Iymphoide Organe, sie enthalten demnach sicher 
„Iymphatisches“ und kein „myeloblastisches Parenchym“. Die 
einseitige morphologische Bewertung der Knochenmarkszelle als 
„Gefässwandzelle“ und damit auch ihre Sonderstellung den 
Lymphzellen gegenüber entbehrt demnach jeder Berechtigung. 

Die Entwicklungsgeschichte lehrt also nach den Unter- 
suchungen Saxers, Maximows und Dantschakoffs bei gleich- 
zeitiger völliger Widerlegung der Schriddeschen Angaben, dass 
sowohl in der Zirkulation wie im Gewebe von der 
ersten Entwicklung der Blutelemente an farblose 


Die ungranulierten Leucoeyten. 375 


Zellen mit den Charakteren vorkommen, die im 
späterenLebendieLymphocyten aufweisen; granu- 
lierte Leucocyten treten anerkanntermassen erst viel später auf. 
Es ist durch nichts gerechtfertigt, diese primitive Form aus- 
schliesslich mit der späteren Knochenmarkszelle zu identi- 
fizieren und ihr damit von vorherein den Charakter eines schon 
einseitig differenzierten Gewebselementes beizulegen. Vielmehr 
ergibt sich die Notwendigkeit in dieser primitiven Zellform 
ein Element zu sehen, das sich im embryonalen Leben 
allenthalben im (rewebe, hauptsächlich aber in besonderen Organen 
nach der Richtung der granulierten Leucocyten ent- 
wickeln kann. Diese Entwicklungsmöglichkeit be- 
hält die Zelle auch noch im späteren Leben, wenn 
auch eine gewisse Beschränkung je nach der Örtlichkeit an- 
genommen werden mag. 

Wir haben also in denLymphocyten auch die Vor- 
stufendergranulierten Leucocyten zu sehen, sodass 
alle farblosen Elemente einen einheitlichen Ur- 
sprung haben; diese Theorie über die Ableitung der farblosen 
Blutkörperchen, die ich (80) als die „monophyletische“ be- 
zeichnet habe, steht allein mit den morphologischen 
Tatsachen, die das Ergebnis der Untersuchungen des normalen 
Organismus sind, in völligem Einklang, während die 
„polyphyletische“ Theorie, die die weissen Blutkörperchen in eine 
Reihe spezial difterenzierter und morphologisch und genetisch 
streng voneinander isolierter und unabhängiger Zellarten aus- 
einanderreisst, ebensosehr allen anatomischen Tatsachen wider- 
streitet. Trotz des Widerspruches, der sich einstweilen noch — 
namentlich in klinischen Kreisen — dagegen geltend macht, wird 
daher die monophyletische Theorie schliesslich als die richtige 
anerkannt werden müssen; dann nämlich, wenn man einmal sich 
bereit finden wird, vorurteilslos zu prüfen und zu versuchen, die 
klinischen Beobachtungen an der Hand der Ergebnisse der 
normalen Histologie zu verstehen, anstatt umgekehrt aus 
Befunden eines Tröpfehens pathologisch veränderten Blutes unter 
gleichzeitiger Ignorierung widersprechender normal-anatomischer 
Tatsachen das normale Geschehen im Gesamtorganismus erraten 
zu wollen. 


Franz Weidenreich: 


Literaturverzeichnis. 


Arnold, J.: Zur Morphologie und Biologie der Zellen des Knochenmarks. 
Virchows Archiv, Bd. 140, 1895. 


Askanazy. M.: Über amöboide Beweglichkeit der Lymphocyten. 
Zentralbl. f. allgem. Pathol. u. pathol. Anat., Bd. 16, 1905. 


3. Auerbach, L.: Organologische Studien. 1874. 


SL 


18. 


19. 


Baumgarten, P.: Experimentelle und pathologisch-anatomische Unter- 
suchungen über Tuberkulose. Zeitschr. f. klin. Mediz., Bd. 9, 1885. 
Benda, ©.: Über den Bau der blutbildenden Organe und die Regene- 


ration der Blutelemente beim Menschen. Verh. d. Physiol. Gesell. z. Berlin, 
Jahrg. 1895 —%. 


. Blumenthal, R.: Recherches experimentales sur la genese des cellules 


sanguines et des modifications fonetionnelles des organes h&matopoietiques. 
Trav. d. Labor. d. Physiol. Instituts Solvay, Bd. 6, 1904. 


Butterfield, E.E.: Über die ungranulierten Vorstufen der Myelocyten 
und ihre Bildung in Milz, Leber und Lymphdrüsen. Deutsch. Arch. f. 
klin. Mediz.. Bd. 92, 1908 


Cajal, R. S.: Quelques antecedents historiques ignores sur les Plasma- 
zellen. Anat. Anz., Bd. 29, 1906. 

Cesaris-Demel, A.: Sulla particolare struttura di alcuni grossi leuco- 
citi mononucleati della cavia colorati a fresco. Arch. p. 1. Scienze Mediche, 
Bd. 29, 1905. 

Ciaceio, ©.: Ricerche sui mononucleati a corpo incluso della cavia. 
Anat. Anz., Bd. 30, 1907. 


. Dantschakoff, W.: Über das erste Auftreten der Blutelemente im 


Hühnerembryo. Fol. hämatol., Bd. IV, Suppl.-Bd., 1907. 

Dieselbe: Über die Blutbildung im Dottersack des Hühnchens. Verh. d. 
Anatom. Gesell., 22. Vers., Berlin 1908. 

Ebner, V.v.: A. Köllikers Handbuch der Gewebelehre des Menschen, 
6. Aufl., Bd. 3, 1902. 

Ehrlich, P.: Farbenanalytische Untersuchungen zur Histologie und 
Klinik des Blutes, I. Teil, 1891. 


5. Derselbe und Lazarus, A.: Die Anämie. Nothnagels Spez. Pathol. 


u. Ther., Bd. 8, 1898. 


. Einhorn, M.: Über das Verhalten der Lymphocyten zu den weissen 


Blutkörperchen. Inaug.-Dissert., Berlin 1884. 


. Fabian, E.: Zur Frage der Entstehung Russelscher Körperchen in 


Plasmazellen (Unnas hyaline Degeneration der Plasmazellen). Zentralbl. 
f. allg. Pathol. u. pathol. Anat., Bd. 18, 1907. 

Ferrata, A.: Sui globuli bianchi mononucleati. Arch. p. 1. Scienze 
Mediche, Bd. 30, 1906. 

Derselbe: Über die plasmosomischen Körper und über eine metachro- 
matische Färbung der uninukleären Leucocyten im Blut und in den 
blutbildenden Organen. Virchows Archiv, Bd. 187, 1907. 


3. 


32. 


4. 


Die ungranulierten Leucoeyten. 877 


Derselbe: Über die Klassifizierung der Leucocyten des Blutes. Fol. 
hämatol., Bd. V, 1908. 

Derselbe: Können die polynukleären Leucocyten auch von den uni- 
nukleären des Blutes abstammen ? Fol. hämatol., Bd. VI, 1908. 


Flemming, W.: Zellsubstanz, Kern und Zellteilung. Leipzig 1882. 
Derselbe: Studien über Regeneration der Gewebe. I. Die Zellvermehrung 
in den Lymphdrüsen und verwandten Organen und ihr Einfluss auf deren 
Bau. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 24, 18°5. 

Derselbe: Über Teilung und Kernformen bei Leucocyten und über deren 
Attraktionssphären. Ebenda, Bd. 37, 1891. 


Grawitz, E.: Klinische Pathologie des Blutes, 3. Aufl., 1906. 


Helly, K.: Zur Morphologie der Exsudatzellen und zur Spezifität der 
weissen Blutkörperchen. Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., Bd. 37, 
JS, JR 


. Hertwig, R.: Über Korrelation von Zell- und Kerngrösse und ihre - 


Bedeutung für die geschlechtliche Differenzierung und die Teilung der 
Zelle. Biolog. Zentralbl., Bd. 23, 1903. 


. Derselbe: Über das Wechselverhältnis von Kern und Protoplasma. 


Sitzungsber. d. Gesell. f. Morphol. in München, Bd. 18, 1902. 


Howell, W. H.: The life-history of the formed elements of the blood, 
especially the red blood corpuscles. Journ. of Morphol., Bd. 4, 1891. 
Jolly, J.: Recherches sur la valeur morphologique et la signification 
des differents types de globules blancs. Arch. d., Med. exper. et d’Anat. 
pathol.. Bd. 10, 1898. 

Derselbe un! Acuna, M.: Les leucocytes du sang chez les embryons 
des mammiferes. Arch. d’Anat. mierosc., Bd. 7, 1905. 


Jones Wharton, T.: The blood-corpuscle considered in its different 
phases of development in the animal series. Memoir I. -— Vertebrata. 
Philosoph. Transact. of the R. Soc. London, Part II, 1846. 

Kölliker, A.: Handbuch der Gewebelehre des Menschen, 5. Aufl., 1367. 
Löwit, M.: Die Entstehung der polynukleären Leucocyten. Fol. hämatol., 
Bd. 4, 1907. 

Marchand, F.: Der Prozess der Wundheilung mit Einschluss der Trans- 
plantation. Deutsche Chirurgie, Lief. 16, 1901. 

Marcus, H.: Beiträge zur Kenntnis der Gymnophionen. I. Über das 
Schlundspaltengebiet. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 71, 1908. 

Marschalkö, Th. v.: Zur Plasmazellenfrage. Zentralbl. f. allg. Pathol. 
u. pathol. Anat., Bd. 10, 1899. 

Michaelis, L. und Wolff, A.: Über Granula in Lymphocyten. 
Virchows Archiv, Bd. 167, 1902. 


. Maximow, A.: Experimentelle Untersuchungen über die entzündliche 


Neubildung von Bindegewebe. Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., 
5. Suppl.-Bd., 1902. 

Derselbe: Beiträge zur Histologie der eitrigen Entzündung. Ebenda, 
Bd. 38, 1905. 


60. 


Franz Weidenreich: 


Derselbe: Über die Zellformen des lockeren Bindegewebes. Arch. f. mikr. 
Anat., Bd. 67, 1906. 


. Derselbe: Experimentelle Untersuchungen zur postfetalen Histogenese 


des myeloiden Gewebes. Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., Bd. 41, 
1907. 

Derselbe: Über die Entwicklung der Blut- und Bindegewebszellen beim 
Säugetierembryo. Fol. hämatol., Bd. 4, 1907. 


. Derselbe: Über embryonale Entwicklung der Blut- und Bindegewebszellen 


bei den Säugetieren. Verh. d. Anat. Gesell., 22. Vers., Berlin 1908. 
Nägeli, O.: Über rotes Knochenmark und Myeloblasten. Deutsche 
Mediz. Wochenschr., Nr. 18, 1900. 

Derselbe: Blutkrankheiten und Blutdiagnostik. I. Hälfte. 1907. 


. Pappenheim, A.: Von den gegenseitigen Beziehungen der farblosen 


Blutzellen zueinander. I. u. Il. Teil. Virchows Archiv, Bd. 159 u. 160, 
1900. 
Derselbe: Atlas der menschlichen Blutzellen. I. Lief., Jena 1905. 


. Derselbe: Unsere derzeitigen Anschauungen über Natur, Herkunft und 


Abstammung der Plasmazellen und über die Entwicklung der Plasma- 
zellfrage. Fol. hämatol., Bd. 4, Suppl.-Bd., 1907. 


. Derselbe: Bemerkungen zu vorstehendem Artikel von Ferrata. Ebenda. 


Bd. 6, 1908. 

Derselbe: Zur Kenntnis und Würdigung der Methylgrün-Pyronin-Reaktion. 
Ebenda, Bd. 6, 1908. 

Pardi, F.: Eritrociti nucleati (eritroblasti) ed anucleati, leucoblasti e 
cellule giganti (megacariociti) nel grande omento del coniglio. Arch. 
ital. di Anat. e di Embriol., Bd. 4, 1905. 

Patella, V.: I leucociti non granulosi del sangue, loro genesi e signi- 
ficato. Siena 1906. (Zit.n.d. Ref. Ferratas (18) u. Pardis in Ergebn. 
d. Anat. u. Entw., Bd. XVI, 1906, S. 854, 19.7.) 

Ranvier, L.: Trait€e technique d’histologie. 1875. 


. Renaut, J.: Les cellules connectives rhagiocrines. Arch. d’Anat. mier., 


Bd. 3; 19072 


. Ribbert, H.: Über Regeneration und Entzündung der Lymphdrüsen. 


Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., Bd. 6, 1889. 

Rieder, H.: Atlas der klinischen Mikroskopie des Blutes, 1893. 

Rose, C.: Das Verhalten des grossen Netzes nach intraperitonealen 
Injektionen körniger Stoffe. Inaug.-Dissert., Strassburg 1907. 

Rosin, H. und Bibergeil, E.: Über vitale Blutfärbung und deren 
Ergebnisse bei Erythrocyten und Blutplättchen. Zeitschr. f. klin. Mediz., 
Bd. 54, 1904. 

Dieselben: Das Verhalten der Leucocyten bei der vitalen Blutfärbung. 
Virchows Arch., Bd. 178, 1904. 

Rowley, M. W.: A fatal anaemia with enormous numbers of eirculating 
phagocytes. Journ. of experim. Medie., Bd. 10, 1908. 


2. Saxer, Fr.: Über die Entwicklung und den Bau der normalen Lymph- 


drüsen und die Entstehung der roten und weissen Blutkörperchen. Anat. 
Hefte, Bd. 6, 1896. 


. . Herd 
Die ungranulierten Leucoeyten. 579 


Schleip, K.: Atlas der Blutkrankheiten ete., Berlin 1907. 

Schridde, H.: Beiträge zur Lehre von den Zellkörnelungen. Die 
Körnelungen der Plasmazellen. Anatom. Hefte, Bd. 28, 1905. 

Derselbe: Die Körnelungen der Lymphocyten des Blutes. Münch. Mediz. 
Wochenschr., Nr. 26, 1905. 

Derselbe: Über die Wanderungsfähiekeit der Plasmazellen. Verh. d. 
Deutsch. patholog. Gesell., 16. Tagg., Stuttgart 1906. 

Derselbe: Über Myeloblasten und Lymphoblasten. Verh. d. Kongr. f. inn. 
Mediz., XXIII. Kongr., München 1906. 

Derselbe: Myeloblasten, Lymphoblasten und Iymphoblastische Plasma- 
zellen. Beitr. z. pathol. Anat. u. allg. Pathol., Bd. 41, 1907. 

Derselbe: Die Entstehung der ersten embryonalen Blutzellen des Menschen. 
Deutsche mediz. Wochenschr., Nr. 3, Sitzungsber. d. Naturforsch. Gesell. 
Freiburg, 1908. a 
Derselbe: Die Entstehung der ersten embryonalen Blutzellen des Menschen. 
Verh. d. Deutsch. pathol. Gesell., 11. Tagg., Dresden 1907. 

Schultze, M.: Ein heizbarer Objekttisch und seine Verwendung bei 
Untersuchungen des Blutes. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 1, 1865. 
Spronck, Ü©. H. H.: Over Regeneratie en Hyperplasie van Leucocyten 
in het circuleerend Bloed. Weekbl. v. h. Nederl. Tijdschr. v. Geneesk. 
eD., Nr. 20, 138% 

Stöhr, Ph.: Lehrbuch der Histologie ete., 12. Aufl., 1906. 

Toldt, K.: Lehrbuch der Gewebelehre etc., 2. Aufl.. 1884. 

Türk, W.: Vorlesungen über klinische Hämatologie. I. Teil. Wien 1904. 
Virchow, R: Die Cellularpathologie ete. Vorlesungen über Pathologie, 
Bd. I, 4. Aufl., 1871. 

Weidenreich, Fr.: Das Gefässsystem der menschlichen Milz. Arch. 
f. mikr. Anat., Bd. 58, 1901. 

Derselbe: Über Blutlymphdrüsen ete. Anat. Anz., Bd. 20, 1901. 
Derselbe: Bau und morphologische Stellung der Blutlymphdrüsen. II. Fort- 
setzung der „Studien über das Blut ete.“. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 65, 1904. 
Derselbe: Über die Entstehung der weissen Blutkörperchen im postfetalen 
Leben. Verh. d. Anat. Gesell., 19. Vers., Genf 1905. 

Derselbe: Die roten Blutkörperchen II. Ergebn. d. Anat. u. Entwickl., 
Bd. XIV: 1904, 1902. 

Derselbe: Eine neue einfache Methode zur Darstellung von Blut-Trocken- 
präparaten. Fol. hämatol., Bd. 3, 1906. 

Derselbe: Über die zelligen Elemente der Lymphe und der serösen Höhlen. 
Verh. d. Anat. Gesell.. 21. Vers., Würzburg 1907. 

Derselbe: Über Speichelkörperchen. Ein Übergang von Lymphocyten in 
neutrophile Leucocyten. Fol. hämatol., Bd. 5, 1908 

Derselbe: Zur Kenntnis der Zellen mit basophilen Granulationen im Blut 
und Bindegewebe. Ebenda. 


Derselbe: Beiträge zur Kenntnis der granulierten Leucocyten. V. Fort- 
setzung der „Studien über das Blut ete.“. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 72, 
1908. 


Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 


1 


bi 


s80 Franz Weidenreich: 


87. Derselbe: Morphologische und experimentelle Untersuchungen über Ent- 
stehung und Bedeutung der eosinophilen Leucocyten. Verh. d. Anat. 
Gesell., 22. Vers., Berlin 1908. 

88. Ziegler, K.: Über die Beziehung zwischen myeloider Umwandlung und 
myeloider Leukämie und die Bedeutung der grossen mononukleären, un- 
granulierten Zelle. Fol. hämatol., Bd. 6, 1908. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXI—XXXII. 


Wo nicht ausdrücklich eine andere Darstellungsmethode angegeben ist, 
sind die Zellen mit der von mir in der vorhergehenden (86) Mitteilung näher 
beschriebenen Agarmethode dargestellt worden, und mit der Giemsaschen 
Lösung für Romanowsky-Färbung gefärbt. Soweit kein anderer Vermerk 
sich findet, sind die Figuren mit Zeiss’ Apochromat 2 mm auf Objekttischhöhe 
gezeichnet. Die Okularvergrösserung ist bei jeder Figur besonders notiert. 


Tafel XXX1. 

Fig. 1. Lymphocyten (kleine) aus dem normalen Blute des erwachsenen 
Menschen. Ok.6. b,c,e,f,i sind mit Osmiumdampf fixiert. In c 
und f sogenannte azurophile Granula. 

Fig. 2. Lymphocyten (kleine) aus dem normalen Blute des erwachsenen 
Menschen. In amöboider Bewegung fixiert. Ok. 6. 

Fig. 3. Sogenannte „grosse mononukleäre Leucocyten“ (Ehrlich) und 
„Übergangsformen“. a—c und f—h sind mit Osmiumdampf-Fixation 
dargestellt. Ok. 6. Aus dem normalen Blut des erwachsenen 
Menschen. d und e (Agarmethode) in amöboider Bewegung fixiert. 
In c „azurophile“ Granula. 

Fig. 4. Lymphocyt (a) und „grosser mononukleärer Leucocyt“ (b) aus dem 
Blute des erwachsenen normalen Menschen. Nach der Methode von 
Rosin und Bibergeil vital mit Neutralrot gefärbt. Ok. 8. 

Fig. 5. Lymphocyten (a, ec) und „grosse mononukleäre Leucocyten“ wie 
Fig. 4. Vital mit Methylviolett gefärbt. Ok. 8. 

Fig. 6. Lymphocyten und „grosse mononukleäre Leucocyten“ aus dem Blute 
des normalen erwachsenen Meerschweinchen. a,b, c mit Osmium- 
dampf-Fixation; d, e, f mit der Agarmethode dargestellt. Ok. 6. 
In allen „plasmosomische Körper“ (Kurloff und Cesaris-Demel), 

Fig. 7. Lymphkörperchen (kleine Lymphocyten) aus dem Ductus thoracicus 
des normalen ausgewachsenen Kaninchens. Sämtlich in amöboider 
Bewegung fixiert. Ok. 6. 

Fig. 8. Ungranulierte freie Zellen (Lymphocyten, Makrophagen, Endo- 
thelien) aus dem aseptisch durch lang fortgesetzte Einspritzung 
artfremder Erythrocyten (Ratte) erzeugten Peritonealexsudat des 
ausgewachsenen Meerschweinchens. Mitosen. Alle bei gleicher 
Vergrösserung (Ok. 8) aufgenommen. 


Fig. 


Fig. 


Sh 


ig. 10. 


Bulle 


u: 
1019 g 


Bd, 


zul: 


16— 


19. 


.. 20. 


ig. 21. 


. 22. 


. 23. 


. 24. 


Zr 


Die ungranulierten Leucocyten. ss1 


Lymphkörperchen (kleine Lymphocyten und ihre Entwicklungs- 
stadien zu grösseren Formen), der allmählich zunehmenden Grösse 
nach geordnet, aus dem Ductus thoracicus des normalen ausge- 
wachsenen Kaninchens. Alle bei gleicher Vergrösserung mit Ok. 6 
aufgenommen. 

Lymphkörperchen, sogenannte grosse Lymphocyten, aus dem Ductus 
thoracicus des normalen ausgewachsenen Kaninchens. Ok. 6. 
Lymphkörperchen in Mitose aus dem Ductus thoracicus des normalen 
ausgewachsenen Kaninchens. Ok. 6. a — Monaster, b — Diaster, 
c — beginnendes Knäuelstadium. 


Lymphkörperchen mit „Kernpolymorphose“ ebendaher. Ok. 6. b in 
amöboider Bewegung fixiert, 
Lymphkörperchen ebendaher. Ok. 6. Stark überosmiert, daher 
stärkere „Basophilie“ des Protoplasmas als des Kerns. 
Lymphkörperchen ebendaher. Im Plasma „azurophile“ (?, Granula. 
Ok. 6. 

Tafel XXXI. 


Flächenbild einer Partie des Netzes vom Kaninchen. Nach 
Maximows Methode mit absolutem Alkohol fixiert. Apochr. 
16 mm, Ok. 4. Plasmazellen in Haufen die Gefässe umgebend. 


18. Gruppen von Plasmazellen verschiedener Grösse und mit ver- 
schiedenen Kernformen. Methode wie bei Fig. 15. Ok. 6. 


Einzelne Plasmazellen aus dem Kaninchennetz zur Veranschau- 
lichung der Grössen- und Kernvariation. Methode wie bei Fig. 15. 
Alle bei gleicher Vergrösserung mit Ok. 6 dargestellt. 


Plasmazellen aus dem Kaninchennetz in Mitose. Methode wie bei 
Fig. 15. Alle bei gleicher Vergrösserung aufgenommen. Ok. 6. 
a — Monaster, b = Diaster, ce = Knäuelstadium. 


Ungranulierte freie Zellen (Plasmazellen) aus dem wie oben (Fig. 8) 
erzeugten Peritonealexsudat des Meerschweinchens. Agarmethode. 
Ok. 6. 

Lymphkörperchen aus dem Ductus thoracicus des normalen aus- 
gewachsenen Kaninchens. Agarmethode. Beziehungen des Proto- 
plasmas zum Kern, Nukleolen? Ok. 6. 


Partie aus dem Lymphsinus einer Blutlymphdrüse der Ratte. 
Schnittpräparat, Dicke: 5 «. Fixation: Zenkersche Flüssigkeit; 
Färbung: Hämalaun, Orange, Rubin-S. Ok. 6. Freie Lymph- 
körperchen und „fixe“ Zellen („Endothel“- und Retikulumzellen). 
Makrophage aus dem Lymphsinus einer Blutlymphdrüse der Ratte 
mit phagocytierten Erythrocyten. Methode der Darstellung wie 
bei Fig. 23. Ok. 8. 

Sogenannter Blutkanal aus der Blutlymphdrüse der Ratte, zur 
Demonstration der Endothelien. Methode der Darstellung wie bei 
Fig. 23. .ORi6. 


HT 


Franz Weidenreich: Die ungranulierten Leucocyten. 


Keimzentrumszellen und Lymphocyten aus dem Keimzentrum eines 
Sckundärknötchens der Ratten-Blutlymphdrüse. Methode der Dar- 
stellung wie bei Fig. 23. Ok. 6. 


Tafel XXXII. 


Lymphocyten in Zell- und Kernumrissen aus dem Blute des nor- 
malen erwachsenen Menschen, zur Demonstration der allmählich 
zunehmenden Kern- und Zellengrösse. Ok. 6. 


Aus dem Zoologischen Institute der k. k. Deutschen Universität in Prag. 


Leuchtende Ophiopsilen. 
Von 
Dr. Emanuel Trojan, 


Assistenten am Zoologischen Institute der k. k. Deutschen Universität in Prag. 


Hierzu Tafel XXXIV. 


Ausgeführt mit Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung deutscher 
Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen. 


Vor kurzem veröffentlichte ich (08) im Biologischen Zentral- 
blatte eine Mitteilung über „Das Leuchten der Schlangensterne“. 
Den Kernpunkt derselben bildete die Behauptung, dass das 
Leuchten der Ophiuriden ein intrazellulärer Vorgang sei. Ich 
erschloss diese Tatsache insbesondere physiologischen Experimenten 
und vergleichenden Studien. Nachdem ich nunmehr meine histo- 
logischen Untersuchungen an zwei interessanten Vertretern jener 
Tiergruppe und zwar ÖOphiopsila annulosa Sars und Ophiopsila 
aranea Forb. ganz abgeschlossen habe, kann ich im Zusammen- 
hange ein neues Kapitel zur tierischen Luminiszens liefern. 


Historisches. 


Die Tatsache, dass es unter den Ophiuriden einige gibt, 
die eigenes Leuchtvermögen besitzen, ist für Zoologen nicht neu. 
Vor mehr als 100 Jahren berichtet Viviani (1805) meines Wissens 
als erster über einen Schlangenstern, Asterias noctiluca (heutzu- 
tage Amphiura squamata genannt), folgendes: „Species haec 
radiatae instar stellae scintillas in marinis aquis excitasse, quas 
electrico fluido adscripserunt, admodum probabile est“. Aus- 
führlicheres darüber entnehmen wir Quatrefages (1843, S. 188): 
„Ce, que nous venons de dire des Annelides s’applique egalement 
aux Ophyures. En efiet, les bras de ces dernieres sont composes 
de petites pieces calcaires articuldes les unes au bout des autres 
comme les vertebres de la queue d’un Lezard. La matiere 
vivante qui les recouvre n'est pas seulement une substance 
homogene, une pulpe animal comme quelques auteurs l’ont admis; 


584 Emanuel Trojan: 


on y distingue diverses couches tegumentaires, et les pieces 
solides sont jointes entre elles par de veritables faisceaux 
musculaires dont le microscope nous permet de distinguer les 
fibres. C’est sur ces points seulement que ce manifeste la phos- 
phorescence; elle s’y montre par etincelles; les stries qu’elle 
semble former ont la m&me direction que les fibres; elle 
n’apparait que lorsque le bras est en mouvement: des que 
l’animal reste en repos, on distingue plus aucun une trace, alors 
meme qu’on irrite ces memes parties. Nous croyons done pouvoir 
assurer quiei, comme chez les Annelides, la lumiere se produit 
sur des partis musculaires pendant la contraction seulement, hors 
du contact de l’air, et independamment de tout seceretion pro- 
prement dite.“ Grube (1864) sah Ophiopsila aranea zuerst 
leuchten. Dem italienischen Forscher Panceri (1878), der sich 
mit Vorliebe mit dem Studium leuchtender Tiere befasste, ent- 
ging das Leuchten von Amphiura squamata nicht. Er wusste 
bereits, dass das Leuchten an der Basis der Füsschen des Tieres 
stattfindet, doch gelang es ihm nicht, irgendwelche Leuchtorgane 
daselbst zu finden. Seit Panceri wiederholen sich die Angaben 
über leuchtende Echinodermen öfters. Me. Intosh (1885) 
berichtet, dass Wywille Thompson auf der „Porcupina“ 
Ophiocantha spinulosa leuchten gesehen hat, während er selbst 
an Ophiotrix fragilis die interessante Entdeckung machte, dass 
diese Tiere, nur solange sie jung sind und in grösseren Tiefen 
leben, leuchten, später aber, da sie sich nur in den oberen 
Zonen des Meeres aufhalten, das Leuchtvermögen ganz einbüssen. 
Dr. Lo Bianco (1899) erkannte in Ophiopsila annulosa einen 
überaus herrlich leuchtenden Schlangenstern. In den letzten 
Jahren war es Molisch (1904), der auf das Lichtphänomen von 
Amphiura squamata aufmerksam machte und die Zoologen er- 
munterte, der Sache weiter nachzugehen. Ich weiss nicht, ob 
es dieser Aufmunterung oder dem Zufall zuzuschreiben ist, dass 
die Erforschung des Leuchtens der Schlangensterne von nicht 
weniger als vier Seiten in Angriff genommen wurde Mangold 
(1907) vermehrte die Zahl der als leuchtend bereits bekannten 
Schlangensterne um einen neuen, Amphiura filiformis und teilte 
uns seine an diesem ÖOphiuriden, sowie an ÖOphiopsila annulosa 
und aranea, ferner an Amphiura squamata gediegen durchge- 
führten physiologischen Untersuchungen mit. Frl. Sterzinger 


Leuchtende Ophiopsilen. 559 


(1907) lieferte einen Beitrag „Über das Leuchten von Amphiura 
squamata Sars“. Diese Arbeit veranlasste Reichensperger 
(1908) und mich (1908) zu vorläufigen Mitteilungen, die in ihren 
Resultaten einander ziemlich deckten, mit der Arbeit von Frl. 
Sterzinger aber in schroffem Widerspruche standen. Während 
nämlich jene Verfasserin das Leuchten des Schlangensternes 
Amphiura squamata für einen extrazellulären Vorgang erklärte, 
behauptete ich, dass die Luminiszens der Ophiuriden überhaupt 
intrazellulär vor sich gehe. Auch Reichensperger war der- 
selben Meinung und verfocht sie auf Grund seiner histologischen 
Untersuchungen, deren Resultate in Kürze folgende sind: Bei 
Amphiura filiformis, welche leuchtet, fand jener Autor typische 
Drüsenzellen, die bei der naheverwandten Art Amphiura Chiajei, 
die niemals leuchtet, nicht vorkommen. Diese Tatsache spräche 
dafür, jene Drüsenzellen als Träger der Leuchtsubstanz anzu- 
nehmen, wenn nicht ein anderer Befund desselben Forschers 
einigen Zweifel aufkommen liesse. Es ist nämlich Reichens- 
perger nicht gelungen, jene Elemente in der leuchtenden 
Ophiopsila aranea nachzuweisen, während sie in der ebenfalls 
leuchtenden, naheverwandten Ophiopsila annulosa wieder vor- 
kommen. Ein einwandfreier Beweis, dass jene Drüsenzellen tat- 
sächlich Leuchtzellen sind, liess sich weder nach Reichens- 
pergers vorläufiger Mitteilung noch nach seiner kürzlich 
erschienenen ausführlichen Arbeit (1908b) durchführen, da die 
mutmasslichen Leuchtzellen einmal in plhosphoreszierenden 
Ophiuriden gefunden wurden, das anderemal nicht, bei einem 
Schlangenstern sowohl an leuchtenden wie nicht leuchtenden 
Körperteilen. Ich glaube, dass durch meine Untersuchungen die 
bisherigen Mutmassungen einen sicheren Boden gewinnen und 
dass jeder Zweifel über die Träger der Luminiszens beseitigt 
wird. Dass meine Resultate hinsichtlich der Ophiopsila annulosa 
mit denen Reichenspergers abgesehen von einigen Differenzen 
untergeordneter Natur doch dem Wesen nach im Einklange 
stehen, kann für die Lösung des Problemes nur als höchst 
erfreulich bezeichnet werden. Ganz besonders erscheint die 
Richtigkeit der Lösung durch meine Befunde an ÖOphiopsila 
aranea verbürgt, da Reichenspergers Untersuchungan an 
diesem Schlangensterne stets mit negativen Resultaten endigten, 
bei mir aber von positivem Erfolge begleitet waren. Den Grund 


336 Emanuel Trojan: 


des Gelingens schreibe ich einzig der technischen Behandlung 
zu, die von der Reichenspergers allerdings etwas abweicht. 
Sie soll in dem darauffolgenden Kapitel näher erörtert werden. 


Technisches. 


Zum Fixieren der Schlangensterne wurden nicht weniger 
als fünf Flüssigkeiten erprobt und zwar starker Alkohol, Osmium- 
säure, Uhromsäure, Kaliumbichromat-Formol und Formol allein. 
Kaliumbichromat-Formol und Chromsäure erwiesen sich als total 
unbrauchbar, da sie das Material eher mazerierten als fixierten. 
Von den übrigen drei Fixierungsflüssigkeiten sind starker Alkohol 
und Osmiumsäure dem Formol vorzuziehen. Alkohol hat überdies 
den. Vorteil, dass er die Tiere augenblicklich tötet, sie im 
Leuchten nicht erschöpft, so dass an dem fixierten Material 
ziemlich viel von den leuchtenden Elementen übrig bleibt, 
wodurch die histologischen Untersuchungen eine wesentliche 
Erleichterung erfahren. Die grösste Schwierigkeit bei diesen 
Studien liegt nach meinen Erfahrungen im Entfernen des Kalkes, 
mit dem die Tiere überaus reichlich inkrustiert sind. Hat man 
den richtigen Moment getroffen, wann die Entkalkung weder zu 
weit gediehen, noch zu wenig vorgeschritten ist, dann ist alles 
gewonnen. Ein Maß für die Entkalkungsflüssigkeit und die Zeit 
des Entkalkungsprozesses genau anzugeben, ist nicht möglich, 
da beides mit der Grösse des Objektes wechselt. Am besten 
fand ich folgendes Verfahren: Ich setzte dem starken Alkohol, 
in dem die Tiere fixiert, beziehungsweise konserviert waren, 
einige Tropfen Essigsäure hinzu und vermied so die langwierige 
Manipulation des Übertragens durch fallenden Alkohol zur 
wässerigen Entkalkungsflüssigkeit und zurück; so hätte nämlich 
mit Rücksicht auf die Feinheit der Objekte unbedingt vor- 
gegangen werden müssen, sollten Schrumpfungen oder Quellungen 
vermieden werden. Von Zeit zu Zeit schnitt ich ein Stückchen 
des in der Entkalkungstlüssigkeit liegenden Ophiuridenarmes ab 
und erprobte an diesem zwischen den Fingern, ob der Prozess 
fortgesetzt oder aufgehalten werden sollte. Verspürte ich kaum 
noch einen Widerstand in der Achse des Armes, so war ich 
dem gewünschten Ziele nahe. Ein längeres Verweilen in Alkohol- 
Essigsäure war stets von schädlichem Einflusse. Die sonst beim 


Leuchtende Ophiopsilen. 587 


Entkalken bewährte Salpetersäure lieferte hier keine brauch- 
baren Resultate. 

Eingebettet und geschnitten wurde in Oelloidin und Paraffin. 
Bei Ophiopsila annulosa, die nur in grossen Exemplaren zur 
Untersuchung kam, bewährte sich die Celloidineinbettung gut: 
es liegen die Verhältnisse bei diesem Schlangensterne ziemlich 
klar, so dass es ganz besonders feiner Schnitte nicht bedarf. 
Bei Ophiopsila aranea schlug dagegen die Celloidinmethode voll- 
ständig fehl. Trotz gut erhaltenen Materials konnte ich bei 
diesem Ophiuriden zu keinem Resultate gelangen. Die Ursache 
ist wohl darin zu suchen, dass man bei Celloidinschnitten niemals 
jene Feinheit erzielt wie bei Paraffinschnitten. Ich wandte mich 
nach zahlreichen vergeblichen Versuchen zur Paraffineinbettung 
und zerlegte die Präparate in Schnitte, deren Dieke höchstens 
2 u betrug. Auf diese Weise kam ich zu Resultaten, die sich 
den bei Ophiopsila annulosa gewonnenen ebenbürtig zur Seite 
stellten, ja ich kann sagen, dieselben zu meiner Überraschung 
übertrafen. 

Von Farbstoffen wurden folgende verwendet: Hämatoxylin 
nach Delafield, Eisenhämatoxylin, Hämatoxylin-Pikrinsäure- 
Säurefuchsin, Muchämatein. Mueikarmin und Thionin. Alle mit 
Ausnahme des Mucikarmins leisteten vortreffliche Dienste, nament- 
lich das Thionin. Ich verfuhr mit diesem Farbstoffe also: 
Destilliertem Wasser wurden vom Thionin pur. conc. wässrig 
(Grübler, Leipzig) nur soviele Tropfen beigesetzt, dass die 
Lösung einen ganz flauen Farbenton von blau verriet: die zu 
färbenden Schnitte wurden hierin über Nacht gelassen. Sie 
waren dann derart gefärbt, dass man bei der Behandlung durch 
die Alkoholreihe aufwärts aus Besorgnis, der Farbstoff könnte 
etwa extrahiert werden, durchaus keine Eile hatte. Diese Tinktion 
lieferte tadellose Bilder; nur schade, dass sie sich nicht lange hält. 


Ophiopsila annulosa (Sars). 


Die erste ausführliche Beschreibung dieses Tieres lieferte 
meines Wissens Sars (1857) in seinem Werke „Middelhavest 
Litoral Fauna“ allerdings führte er es unter einem anderen 
Namen, nämlich Ophianoplus annulosus, an. Bei Brady und 
wobertson (1569) wird dasselbe Tier unter den Ophiopsilen 
genannt. Erwähnt seien ferner hier die Angaben Lymans (1882) 


tafofo) Emanuel Trojan: 


und Lo Biancos (1889), die Ophiopsila annulosa betreffen. 
Vorzügliche Beiträge zur Kenntnis dieses Tieres lieferten endlich 
Mangold (1907) und Reichensperger (1908a) anlässlich 
ihrer Untersuchungen über den Wimperapparat der Ophiopsilen. 
Allen diesen Berichten sei zusammenfassend hier folgendes ent- 
nommen: ÖOphiopsila annulosa ist ein im Indisch-pazifischen und 
Atlantischen Ozean, im Mittelmeer, selten auch im Golfe von 
Neapel vorkommender Schlangenstern. Während die Unterseite 
des Tieres immer gelblichweiss ist, variiert die Farbe der Ober- 
seite von hell- bis dunkelbraun. Stets wechseln hier lichte 
Querbinden mit dunkleren ab. Die Länge der äusserst fein 
ausgezogenen Arme ist nicht unbedeutend und kann bis 1,5 dm 
betragen. Die Scheibe ist dick und erinnert einigermassen an 
den Spinnenleib. Von besonderem Interesse für die vorliegende 
Arbeit ist der Bau der Arme und es sei deshalb auf denselben 
hier näher eingegangen (hierzu Taf. XXXIV, Fig. 1). 

Ein jeder der fünf Arme setzt in beträchtlicher Dicke von 
der Scheibe ab, wird allmählich dünner, so dass sein Ende als 
fadenförmig bezeichnet werden kann. Man erkennt, dass er aus 
einer grossen Anzahl von Gliederstücken besteht, die nach Art der 
Wirbel beweglich sind. ‚Jeder dieser Abschnitte besteht aus Hart- 
und Weichteilen. Von den ersteren ist vor allem der Zentral- 
körper (z) zu nennen; er dient der Insertion kräftiger Muskeln 
(m), denen die Beweglichkeit der ganzen Arme zuzuschreiben 
ist. Der Mantel des Gliedes wird von vier, beziehungsweise drei 
Platten gebildet. Von diesen ist die Ventralplatte (v) und die 
beiden Lateralplatten (1) stets, die Dorsalplatte (d) dagegen nicht 
immer vorhanden. Am besten ist diese letztere wohl in der 
Nähe der Scheibe entwickelt. Mit der Dieke der Arme nimmt 
ihre Breite allmählich ab, ja gegen die Spitze erkennt man, dass 
sie von den Lateralplatten, die hier ganz zusammenstossen, all- 
mählich total verdrängt wird. Dieses eben beschriebene Skelett 
besitzt auch Anhänge in Form von Stacheln zweierlei Art, be- 
wegliche und unbewegliche. Die ersteren können wiederum 
unbewimpert oder bewimpert sein. Beweglich und zumeist unbe- 
wimpert sind die Lateralstacheln (la); sie sitzen mittelst Gelenke 
den Lateralplatten an. Bei den proximalen, also ältesten Gliedern, 
kann man bis elf, bei den distalen, den jüngsten, nur je zwei 
solcher Stacheln zählen. Der Gelenksapparat, mit Muskeln und 


Leuchtende Ophiopsilen. 859 


Ligamenten ausgestattet, ermöglicht eine laterale Bewegung. 
Die Länge der Lateralstacheln nimmt mit ihrer Entfernung von 
den Dorsalplatten zu: sie sind breit und stark pigmentiert. Auf 
ihren histologischen Bau soll weiter unten eingegangen werden. 

Beweglich und stets bewimpert sind die sogenannten Wimper- 
stacheln (w). Sie sind gewissermassen die untersten Lateralstacheln 
und kommen in der Zweizahl bloss den ältesten Armgliedern zu; 
in den distalen Teilen fehlen sie ganz. Vermöge der gelenkigen 
Verbindung mit ihrer Unterlage, den Seitenplatten, können sie 
ausgezeichnet bewegt werden. In der Ruhelage liegen sie ge- 
kreuzt schief über der ventralen Armrinne. Sie sind breit und 
etwas flachgedrückt. Den Namen Wimperstacheln führen sie, 
weil auf ihren Schmalseiten Wimperschnüre verlaufen, die über- 
dies durch eine Querwimperschnur in der Armrinne mit denen 
des gegenüberliegenden Stachels in Verbindung stehen. 

Es erübrigt nun die Erwähnung der unbeweglichen Skelett- 
anhänge; als solche bezeichnet man die Tentakelschuppen (t). 
Das sind kurze, stumpf kegelförmige Fortsätze der Seitenplatten 
zwischen den Wimper- und den untersten Seitenstacheln. Sie 
sind ebenso wie die Wimperstacheln bloss auf die proximalen 
Armteile beschränkt. Mangold (1907, S. 616) behauptet, die 
Tentakelschuppen seien beweglich; Reichensperger (1908, 
S. 90) widerlegt dies. Ich kann dem letzteren Autor nur bei- 
pflichten, da es mir niemals gelungen ist, einen Gelenksapparat 
mit Muskeln und Ligamenten an den Tentakelschuppen auf- 
zufinden. 

Dank den ausgezeichneten Untersuchungen Reichen- 
spergers (1908 a) wissen wir nunmehr, dass alle drei der 
Skelettanhänge einer Natur sind. Die Bewimperung ist nämlich 
nicht ausschliesslich auf die Wimperstacheln beschränkt, sondern 
wurde von jenem Autor auch auf Lateralstacheln und Tentakel- 
schuppen vorgefunden; überdies gehen die Wimperstacheln in 
den distalen Teilen der Arme in die Lateralstacheln unmittel- 
bar über. 

Von den weichen Teilen der Arme will ich hier ausser den 
bereits genannten Muskeln anführen (Taf. XXXIV, Fig. 1): den 
Radialkanal des Wassergefässsystemes (r), die Füsschen (f), die 
radiären Nerven des ekto- (ne) und hyponeuralen (nh) Nerven- 
systemes und das radiäre Blutgefäss (b).. Den Zusammenhang 


590 Emanuel Trojan: 


aller Organe stellt mehr oder weniger entwickeltes Bindegewebe 
her. Von freien Hohlräumen werden angetroffen: der Epineural- 
kanal (ep), der radiäre Pseudohämalkanal (ph) und das eigent- 
liche Cölom (ec). 

Das hier über Ophiopsila annulosa Gesagte kann zugleich 
für Ophiopsila aranea im grossen und ganzen seine Geltung be- 
halten; geringe Unterschiede erweisen sich bloss in der Färbung, 
Grösse und dem Wimperapparat. 


Das Leuchten. 


Es liegt in der Natur der Sache, dass wir zunächst fragen, 
welche Stellen des Körpers der Schlangensterne Licht ausstrahlen. 
Eine sichere Antwort auf diese Frage zu geben ist bei weitem 
nicht so leicht als es etwa erscheinen mag. Ich habe bereits 
früher (1908, S. 347) auf die grossen Schwierigkeiten hingewiesen, 
mit denen man zu kämpfen hat, wenn man die leuchtenden Teile 
eines solchen Ophiuriden genau bestimmen will. Im Finstern 
arbeitend hat man das betreffende Objekt nicht immer gleich 
eingestellt; und wenn schon, dann entschwindet es alsbald aus 
dem Gesichtsfelde. Im günstigsten Falle sieht man, sei es nun 
mit der Lupe oder bei schwacher Vergrösserung im Mikroskop, 
ein Gewirr von lebhaft sich bewegenden Stacheln und Füsschen, 
die ohne Unterschied samt dem Arme, an dem sie haften, durch- 
glüht erscheinen. Wenn dennoch Versuche gemacht worden sind, 
alle jene Schwierigkeiten zu überwinden, verdienen sie volle An- 
erkennung, sofern natürlich die Richtigkeit allfälliger Angaben 
nachgewiesen wird. Leider trifft dies bis jetzt nicht in allen 
Fällen zu. So behauptet Mangold, dass bei Amphiura squamata 
die proximalen Teile der Basalplatten der Stacheln leuchten, 
während Frl. Sterzinger die apikalen Enden der Füsschen 
leuchten gesehen haben will. Reichensperger bestätigt als 
Augenzeuge den Befund Mangolds, kann aber auf Grund 
histologischer Untersuchungen keinen Beweis für die Richtigkeit 
obiger Behauptung erbringen und betrachtet im Schlussworte 
seiner Arbeit die Luminiszens von Amphiura squamata als eine 
ungelöste Frage. Ein anderer Fall betrifft die Angabe Mangolds 
und Reichenspergers hinsichtlich Ophiopsila annulosa. Beide 
Autoren sahen die Lateralplatten dieses Schlangensternes leuchten. 
Ich habe in Reichenspergers (1908 b) Publikation vergeblich 


Leuchtende Ophiopsilen. sy1 


nach jener Stelle gesucht, wo er auf Grund histologischer Tat- 
sachen die obige Angabe bestätigen würde. Andere Differenzen 
zwischen meinen Untersuchungen und Mangolds Angaben werde 
ich an einer anderen Stelle bringen. Deshalb bleibe ich auch 
in dieser meiner Abhandlung bei der früheren Behauptung, dass 
eine sichere Angabe über den wahren Sitz des Lichtes an lebenden 
Öphiopsilen unmöglich ist und falls sie doch geschieht, mir nicht 
immer verlässlich erscheint. Mit Sicherheit lässt sich nur feststellen, 
dass bei den beiden Ophiopsila-Arten die Scheibe und dorsalen 
Streifen an den Armen nicht leuchten; zum Glück ist aber das 
sonst ausgestrahlte Licht namentlich bei Ophiopsila annulosa so 
ausgiebiß, dass dem, der sich mit diesen Studien befasst, Hoffnung 
erwächst, bei der histologischen Untersuchung auf deutliche 
Elemente zu stossen, die der Scheibe und den dorsalen Streifen 
der Arme fehlen müssten. 

bevor ich aber auf die Träger der Luminiszens eingehe, 
mögen hier einige Details, die sich auf die Haut der Ophiuriden 
beziehen, vorausgeschickt werden: die Haut der Füsschen bleibt 
hierbei unberücksichtigt. 

An feinen Querschnitten durch den Arm einer gut kon- 
servierten Ophiopsila erkennt man als äussersten Saum ein sehr 
zartes Häutchen, das, da ohne jedwede Struktur oder welche 
Zellkerne, als Cutieula anzusprechen ist. Unter derselben liegt 
eine feinkörnige Substanz mit zahlreichen Zellkernen. Zellgrenzen 
fehlen in ihr; es sollen aber solche nach Hamann (1901, S. 784) 
an Jungen Tieren zu sehen sein. Es handelt sich hier um die 
Epidermis, die anfangs als einschichtiges Epithel aus kubischen 
Zellen besteht, später das oben erwähnte Aussehen erlangt. Ohne 
jedwede Grenze schliesst dann an diese nach innen zu die mächtig 
entwickelte Lederhaut und Bindesubstanzschicht an. Sie bildet 
ein Netzwerk, in dessen Knotenpunkten Kerne der Bildungszellen 
zumeist ohne Zellkörper angetroffen werden. In den Maschen 
des Netzwerkes lagert die verkalkte Grundsubstanz. Im Inneren 
der Stacheln liegen die Verhältnisse so, dass die Bindesubstanz 
in der Längsachse stets unverkalkt bleibt und als dicker Strang 
hier gegen die Spitze des Stachels verläuft. Sie gibt radiäre 
Faserstränge ab, die der Peripherie des Stachels wie die Speichen 
eines Rades zustreben und dort, allerdings mitunter auch früher 
schon, durch Querfaserstränge miteinander in Verbindung stehen. 


892 Emanuel Trojan: 


Dadurch entsteht ein Netzwerk, das der Verkalkung anheimfällt. 
Die Achse des Stachels bleibt unverkalkt; hier verläuft auch der 
Stachelnerv. 

Es kommt in der Regel vor, dass man an einem Arm- 
querschnitte die Stacheln in verschiedenen Zonen schneidet, da 
sie ja verschieden dick sind. Auf Oberflächenschnitten der Lateral- 
stacheln zeigen sich nun, namentlich schön bei Thioninfärbung, 
kreisrunde Flecke; sie sind in Längsreihen angeordnet. Auf ganz 
dünnen Flächenschnitten löst sich ein jeder solcher dunkle Fleck 
in einen oder mehrere zentrale Teile mit homogenem Inhalte 
und eine grosse Anzahl peripher gelagerter feiner Körnchen auf. 
Man wäre verleitet, den zentralen Teil für eine Zelle von kuge- 
liger, beziehungsweise birnförmiger Gestalt zu halten. Die Suche 
nach einem Kerne dieser vermeintlichen Zellen bleibt jedoch 
resultatlos. Eine bessere Aufklärung über diese (Gebilde liefern 
Längsschnitte durch den Stachel, am besten der Medianschnitt 
selbst, ferner auch Querschnitte. Man sieht an solchen Präparaten, 
dass man es mit pilzhutähnlichen Gebilden zu tun hat, wie solche 
die Mikrophotographien Fig. 2 und 3 wiedergeben. Nicht alle 
sind aber von solcher Ausbildung; der Umfang des Hutes wechselt 
nämlich verschieden und so kommt es vor, dass andere gestielten 
Köpfchen gleichen. Auch an diesen erkennt man den homogenen, 
stark tingierten zentralen Teil und in seiner Umgebung zahl- 
reiche Körnchen, die zur Oberfläche emporsteigen. Ausser diesen 
hutpilz- und köpfchenförmigen Bildungen lassen sich zahlreiche 
schwach keulenförmige unterscheiden, deren Inhalt schleimig- 
körnig ist; sie sind nicht so gut tingierbar wie die früheren. 
Von allen diesen Gebilden ziehen Fortsätze nach der Achse des 
Stachels hin; es ist aber nicht möglich, die einen oder anderen 
bis zu ihrem Ursprunge zu verfolgen. Dagegen sieht man, 
dass im Inneren des Stachels eine grosse Anzahl von Zellen liegt 
(Fig. 6 dk. ds, dsk), die ihrem Inhalte und ihrer Tinktionsfähig- 
keit nach mit den oben geschilderten Gebilden im Einklange 
stehen. Die Gestalt dieser Zellen ist sehr verschieden; im all- 
gemeinen aber lässt sich sagen, dass sie langgestreckt sind und 
zwischen einer Länge von 0,01—0,06 mm variieren, dass sie 
ferner zur Längsachse des Stachels parallel liegen und gegen die 
Spitze desselben einen Fortsatz entsenden. Ihre Kerne sind 
ziemlich gross, 4—7 u. Was nun den Zellinhalt anbelangt, so 


Leuchtende Ophiopsilen. 893 
sind drei Haupttypen von Zellen zu vermerken: 1. solche mit 
rein homogenem schleimigen Inhalt (Fig. 6 ds), 2. solche mit 
einem schleimig-körnigen (Fig. 6 dsk) und 3. solche mit einem 
feinkörnigen (Fig. 6 dk). Dem Zellinhalte entspricht auch der 
ihres langen Ausläufers. Es ist mir niemals gelungen, diese 
Zellen mit den pilzhutförmigen oder anderen Bildungen unter 
der Stacheloberfläche im Zusammenhange zu sehen, was mir 
jedoch bei dem komplizierten Gerüst eines Stachels leicht er- 
klärlich erscheint. Solange nämlich der Ausläufer der Zellen in 
dem zentralen unverkalkten Teile des Stachels verläuft, findet 
er kein Hindernis, sobald er aber zur Oberfläche abbiegt, muss 
er sich durch die unverkalkten Lücken des Gerüstes in zalıl- 
reichen Windungen hindurchschlängeln und es ist daher unmöglich, 
seinen Verlauf hier zusammenhängend zu ermitteln. Dessen- 
ungeachtet aber glaube ich, dass sicher ein Zusammenhang 
zwischen den inneren Zellen und den oben beschriebenen Ge- 
bilden besteht. Die bisher mitgeteilten Befunde zwingen mich 
zu folgender Annahme: Jene länglichen Zellen in dem unver- 
kalkten zentralen Teile der Stacheln von Öphiopsila annulosa 
sind bei ihrer mannigfachen Ausbildung einer Natur, und zwar 
Drüsenzellen. Sie befinden sich in verschiedenen Altersstadien. 
Als die jüngsten unter ihnen betrachte ich die mit feinkörnigem 
Inhalte (Fig. 6 dk, Fig. 11); sie befinden sich in jenem Zustande, 
den wir bei Drüsenzellen die Regenerationsphase zu bezeichnen 
pflegen. Für diese ist es eben bezeichnend, dass feinste schwach 
sich färbende Körnchen den Zellleib erfüllen. Für älter, in der 
sogenannten Reifungsphase stehend, halte ich jene Drüsenzellen, 
in denen grössere Körner und etwas Schleim zu sehen ist 
(Fig. 6 dsk, Fig. 9); sie übertreffen die ersteren bedeutend an 
Volumen. Die Entleerungsphase, also das älteste Stadium der 
Drüsenzellen dünkt mich an allen solchen erkenntlich zu sein, 
deren Inhalt ein homogener Schleim von starker Tinktionsfähig- 
keit ist (Fig. 6 ds); oft verraten verquollene Sekretkörner, 
weniger zahlreich, dafür ziemlich gross und Vakuolen den Beginn 
dieses Stadiums (Fig. 10). Die Form solcher Zellen ist höchst 
unregelmässig. Der Inhalt der Drüsenzellen fliesst auf langem 
Wege im zentralen Teile des Stachels und wendet sich dann zur 
Oberfläche. Es hat den Anschein, dass die Menge des produzierten 
Schleimes eine geringere oder grössere sein kann. Im letzteren 


594 Emanuel Trojan: 


Falle muss es, da ich mit Ausnahme feinster Poren in wenigen 
Fällen grössere Ausführungsöffnungen überhaupt nicht gefunden 
habe, zu Stauungen unter der Haut kommen. Schliesslich dürfte 
auch der Schleim als solcher das Tier nicht verlassen; er liefert, 
wie die mikroskopischen Präparate zeigen, eine Menge kleiner 
Körnchen, die der Oberfläche zustreben, um nach.aussen zu ge- 
langen (Fig. 6 k). 

Was mag wohl Veranlassung zu der mitunter recht leb- 
haften Tätigkeit dieser Drüsenzellen geben? Die Funktion der 
Drüsenzellen pflegen wir sonst dem direkten Einftlusse der Nerven 
zuzuschreiben und so erwächst nunmehr die Frage, welcher Art 
die nervösen Verhältnisse im Stachel sind. Es ist bereits oben 
erwähnt worden, dass ein Nerv das Innere des Stachels durch- 
zieht. Wenn wir die Stärke des Nerven mit der Grösse des 
Stachels vergleichen, so können wir aus Überlegung folgern, dass 
ihm eine grosse Rolle zufallen muss. Histologische Präparate 
zeigen, zu welch feiner Auflösung des Nerven es im Stachel 
kommt. Man sieht zuweilen in der Nähe des Nerven, also dort, 
wo jene Drüsenzellen liegen, ein Gewirr von feinsten Fasern; 
wie sie mit den Zellen in Verbindung treten, konnte ich leider 
nicht feststellen. Auch in dem Stiel der oben erwähnten 
Stauungsformen sieht man Nerven emporsteigen und sich reich- 
lich verzweigen. Es ist daher anzunehmen, dass auch bei diesen 
Drüsenzellen der chemische Umsatz unter unmittelbarer Ein- 
wirkung des Nerven steht. Ein solcher Umsatz könnte von einer 
Strahlung begleitet sein und da das Tier im gereizten Zustande 
mit dem Aufleuchten antwortet, dürften wir in den vorliegenden 
Elementen Leuchtzellen sehen. Wenn diese Annahme richtig 
ist, dann müssten diese Drüsenzellen an Stellen, wo das Tier 
nach meinen, Mangolds und Reichenspergers Beobach- 
tungen niemals leuchtete, fehlen. Tatsächlich fand ich dort 
keine Spur von ihnen vor, Dagegen traf ich auf anderen sicherlich 
leuchtenden Stellen Verhältnisse an, die mir mit den bisher 
beschriebenen nicht im Einklange zu stehen schienen. Im 
untersten Teile der Lateralplatten liegen auf der der Scheibe 
zugekehrten Seite die Tentakelschuppen. Diese weisen bei ge- 
lungener Thioninfärbung (Fig. 12) von ihrer Basis bis zur Spitze 
eine grosse Anzahl von Drüsenzellen verschiedener Form auf; 
rundliche herrschen vor, birnförmige sind unter ihnen seltener. 


Leuchtende Ophoipsilen. 895 


Ihre Grösse steht denen in den Lateralstacheln nach. Was 
jedoch diesen Zellen ganz abgeht, sind die langen Ausführungs- 
kanäle: solche sind allerdings hier gar nicht nötig, da die Lage 
dieser Drüsenzellen eine ganz oberflächliche ist. Dem Zellinhalte 
nach konnte ich wieder alle drei Arten unterscheiden. Ich fand 
auch, dass eine schmale Zone solcher Zellen von der Basis der 
Tentakelschuppen dorsalwärts auf den Lateralplatten bis zu den 
Dorsalplatten dahinzieht. Alle diese Zellen sind wohl mit den 
Drüsenzellen der Lateralstacheln identisch. 

Auf Querschnitten, welche die Ventralrinne zwischen je zwei 
l"limmer-Querreihen treffen, die wie oben erwähnt, von Flimmer- 
stacheln der einen Seite zu denen der anderen ziehen, werden 
keulenförmige, mit dem verdickten Ende nach aussen gerichtete 
Schleimmassen angetroffen; sie machen oft den Eindruck von 
Zellen, doch der Kernmangel schliesst die Richtigkeit einer 
solchen Annahme aus. Es bedarf vieler Mühe und höchst 
gelungener Präparate, um die Herkunft dieser Sekretmassen zu 
entdecken. In dem unverkalkten Netzwerk der Ventralplatten 
(Fig. 8) findet man lange, schlauchförmige Gebilde mit schleimig- 
körnigem Inhalte. Sie sind mitunter sehr lang, denn tief in 
den Ventralplatten beginnend, nehmen sie nicht immer den 
kürzesten Weg zur Oberfläche. Eine merkliche basale Verdickung, 
wie sie bei den Drüsenzellen der Lateralplatten vorkommt, traf 
ich hier nicht an. Der plattgedrückte, längliche Kern liegt der 
Zellwand an. Oftenbar sind die homogenen Schleimmassen unter 
der Cuticula Stauungsformen des von den langen Drüsenzellen 
gelieferten Schleimes ganz analog denen in den Lateralstacheln. 

Endlich habe ich in den unverkalkten Teilen der Flimmer- 
stacheln Drüsenzellen gefunden, die mit denen der Lateralstacheln 
ganz übereinstimmen. 

Drüsenzellen in den Skelettteilen der Ophiuriden gehören, 
wie man aus der spärlichen einschlägigen Literatur ersehen 
kann, zu grossen Seltenheiten. Hamann (1889) beschreibt 
eigenartige Drüsenzellen in den Keulenstacheln von Ophiomastix 
annulosa; sie sollen stark glänzend und mit lichtbrechenden 
Körnchen angefüllt sein. „Basalwärts verjüngen sich die Zellen, 
hier liegt ein eiförmiger Kern, unterhalb dessen sich die Zelle 
in einen Fortsatz verlängert, der oft kleine Varikositäten zeigt.“ 


(Zitiert nach Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs, 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 58 


S96 Emanuel Trojan: 


Echinodermen, 3. Buch, S. 783.) Cu&not (1891) beschreibt 
Reservestofi- und Exkretionszellen in der Bindesubstanzschicht 
der Echinodermen. Ich habe diese Elemente in meinen Präparaten 
auch angetroffen: eine Vertauschung mit den vorliegenden Drüsen- 
zellen ist aber wegen des total verschiedenen mikrochemischen 
Verhaltens ausgeschlossen. In der jüngsten” Zeit befasste sich 
Dr. Reichensperger (1908b) mit den Drüsengebilden der 
Ophiuriden. Wie ich der ausführlichen Arbeit dieses Autors 
entnehme, erkannte er die hier beschriebenen Drüsenzellen von 
Ophiopsila annulosa zum Teil richtig. Was zunächst die Lateral- 
stacheln betrifft, herrscht zwischen meinen und seinen Befunden 
nicht voller Einklang; ich vermisse bei Reichensperger 
jedwede Erwähnung der so typischen pilzhut- und knopfartigen 
Stauungsformen, die sowohl an Längs- als auch Querschnitten 
durch die Lateralstacheln angetroffen werden. Wohl ist es richtig, 
wie jener Autor bemerkt, dass die Ausläufer der Drüsenzellen 
vor dem Erreichen der Oberfläche des Stachels sich etwas ver- 
dicken; doch nach seiner Darstellung ist diese Verdickung von 
unmerklicher Dimension. Mir scheint aber gerade das Vorkommen 
grösserer Stauungsformen für das Leuchten eines Schlangen- 
sternes von grossem Werte zu sein; doch darauf werde ich 
später näher eingehen. „Auf der Ventralseite,“ schreibt Reichen- 
sperger (1908, S. 310), „bezw. in den eigentlichen Ventralplatten 
suchte ich nach solchen Drüsenzellen“ (wie nämlich in den 
Lateralstacheln), „späterhin konnte ich sie aber jedesmal mühelos 
feststellen. Jedoch sind sie nur in geringer Anzahl vorhanden 
und auf einen Teil des Zwischenraumes von je zwei ventralen 
Wimperschnüren beschränkt. Sie halten sich hier ziemlich ober- 
tlächlich und dringen nur wenig in das Bindegewebe ein; die 
Ausläufer sind kurz und äusserst fein, haben aber im Epithel 
die gewöhnliche Verdiekung.“ Ich bin nun, wie oben erwähnt, 
zu einer anderen Anschauung betreffend die Verhältnisse in den 
Ventralplatten gekommen und glaube, dass jener Autor die im 
Innern der Platten gelegenen eigentlichen Zellkörper übersehen 
hat, dazumal ihre Auffindung äusserst schwer ist und daher 
selten gelingt. Die oben zitierten Worte Reichenspergers 
passen nach meinen Befunden vielmehr auf die Drüsenzellen der 
Tentakelschuppen, von denen er aber überhaupt nichts erwähnt. 
Darin pflichte ich ihm vollkommen bei, dass die vorliegenden 


Leuchtende Ophiopsilen. s97 


Drüsenzellen ob ihres zuweilen körnigen Inhaltes keineswegs mit 
etwaigen Pigmentzellen vertauscht werden könnten und möchte 
diesbezüglich noch den Umstand insbesondere hervorheben, dass 
gerade dort, wo die Pigmentierung des Tieres am stärksten ist, 
d. i. auf der Dorsalseite der Arme, überhaupt keines von diesen 
Gebilden angetroffen wird; bekanntlich leuchten auch die Dorsal- 
platten dieses Schlangensternes niemals. 

Ebensowenig wie hier und auf der Scheibe konnte ich 
auch bei einigen überhaupt nicht leuchtenden Ophiuridenarten, 
die ich der Kontrolle halber mit untersuchte, die obigen Drüsen- 
zellen nachweisen. Doch negative Resultate hielt ich nicht für 
hinreichend, um jene Drüsenzellen für Leuchtzellen zu erklären; 
mit guter Überzeugung glaubte ich dies erst dann tun zu 
können, wenn ich die fraglichen Gebilde bei der naheverwandten 
Art, Ophiopsila aranea, die auch leuchtet, wiederfände, was 
bisher noch nicht gelungen war. 


Ophiopsila aranea Fork. 


zeigt im wesentlichen die Merkmale der Gattung wie die oben 
beschriebene Ophiopsila annulosa, der sie in der Grösse um vieles 
nachsteht. Die grössten Exemplare, die ich zu untersuchen hatte, 
erreichten die Armlänge von kaum 3 cm. Die Arme des Tieres 
sind sehr schlank, die Stacheln klein und zart. Eine ausführliche 
Beschreibung dieses Schlangensternes kann ich mir im Hinblicke 
auf die von Ophiopsila annulosa gegebene ersparen. Es ist bereits 
oben erwähnt worden, dass dieser Ophiuride zum erstenmale von 
Grube (1864) leuchten gesehen wurde. Über meine Beobachtungen 
an diesem leuchtenden Schlangenstern habe ich seinerzeit im 
Biologischen Zentralblatt geschrieben. Ausführlich eingehen muss 
ich an dieser Stelle auf das, was Mangold und Reichen- 
sperger bisher über das Leuchten dieses Tieres berichtet haben, 
weil die Resultate meiner Untersuchungen mit denen jener 
Autoren in schroffem Widerspruche stehen. Mangold (l. e.), 
der sich viel Mühe nahm, um die leuchtenden Stellen bei 
Ophiuriden genau zu bestimmen, schreibt über Ophiopsila aranea 
folgendes: „Ich fand bei aranea noch deutlicher wie bei annulosa, 
dass von den Seitenplatten in jedem Wirbel nur die der Scheibe 
des Tieres zugewendete Hälfte, welche den Stacheln zur Basis 


dient, zum Leuchten befähigt ist (Fig. S und Sa). Ferner leuchtet 
98* 


598 Emanuel Trojan: 


auch hier die Ventralplatte und die äussersten Armspitzen. 
während bemerkenswerterweise ausser an den auch bei annulosa 
nicht leuchtenden Teilen, wie Rückenplatten, Füsschen und 
Scheibe, auch an den Stacheln — Seitenstacheln wie Flimmer- 
stacheln, welche auch hier vorhanden sind — trotz häufiger 
Beobachtung niemals eine Luminiszens bemerkt werden konnte. 
Dadurch ist auch der Leuchteffekt erheblich geringer als bei 
annulosa.“ Mangold ist geneigt, dieses reduzierte Leuchtvermögen 
als Artunterschied zwischen Ophiopsila annulosa und aranea auf- 
zufassen, wie ein ähnlicher schöner bei zwei gleich aussehenden 
Amphiuren beobachtet werden kann; Amphiura filiformis leuchtet, 
Amphiura Chiajei leuchtet nicht. Essollen also, um es kurz zusammen- 
zufassen, bei O. aranea nur die Ventralplatten, teilweise auch die 
Lateralplatten und die Armspitzen leuchten. Reichensperger, 
der als Augenzeuge diese Angabe Mangolds bestätigt, schreibt 
in seiner vorläufigen Mitteilung (190Sa), dass es ihm nicht ge- 
lungen sei, irgendwelche Elemente bei diesem Tiere nachzu- 
weisen, die man als die Träger der Luminiszens ansprechen 
könnte. Und doch sollte man glauben, dass wenn die Angaben 
Mangolds richtig sind, die oben als leuchtend bezeichneten 
Stellen solche enthalten müssten. Auch die ausführliche Arbeit 
des letzteren Autors (1908Sb) bringt hierin keinen Aufschluss. 
„Sehen wir“, heisst es dort, „uns nun einen Querschnitt durch 
den Arm der verwandten Ophiopsila aranea an, so fällt uns 
sogleich das gänzliche Fehlen der bei annulosa beschriebenen 
Zellen in sämtlichen Stacheln auf; weder Lateral- noch Wimper- 
stacheln zeigen eine Spur derselben. Auch in den Ventralplatten 
sind keinerlei ähnliche Gebilde vorhanden. Um ganz sicher zu 
gehen, habe ich Schnitte durch Armstücke beider Ophiopsilen 
verglichen, die nach Dauer der Fixierung und Färbung genau in 
gleicher Weise behandelt waren. Stets trifft man die Zellen bei 
annulosa an, während sie bei aranea nicht vorhanden sind. Mit 
unzweifelhafter Gewissheit habe ich auch in den von Mangold 
als allein leuchtend angegebenen Lateralplatten von Ophiopsila 
aranea die oben beschriebenen Gebilde nicht nachweisen können. 
Es wird die Untersuchung durch die geringe Grösse des Objektes 
und vor allem durch die Menge und Dichtigkeit des hier vor- 
handenen schwarzbraunen Pigmentes sehr erschwert und vorläufig 
muss ich die Frage noch als ungelöst betrachten, ob derartige 


Leuchtende Ophiopsilen. 599 


drüsige Zellen bei aranea vorhanden sind.“ (Es fiel mir bei 
diesen Zeilen auf, dass Mangold die Lateralplatten allein als 
leuchtend angegeben haben soll, während er, wie dem obigen 
Zitat zu entnehmen ist, auch die Ventralplatten und die Arm- 
spitzen leuchten sah.) 

Mit Resultaten wie bei Reichensperger endeten meine 
Untersuchungen an dem Material, das ich mir selbst von Neapel 
mit nach Hause gebracht hatte. Deshalb liess ich mir neues 
Material nachsenden. Doch auch mit diesem hatte ich wenig 
Glück. Vor der Mühe nicht zurückscheuend, bat ich heuer 
Dr. Lo Bianco abermals um eine neue Sendung, die mir endlich 
die Lösung der schwierigen Aufgabe gestattete. 

Die Verhältnisse bei diesem kleinen Schlangensterne sind 
von denen bei Ophiopsila annulosa nicht wesentlich verschieden. 
Allerdings fehlt es an Differenzen nicht. Die Lateralstacheln 
sind insgesamt im Besitze derselben Elemente wie die von 
annulosa. Im Inneren, nahe dem axial verlaufenden Stachel- 
nerven finden sich Drüsenzellen aller drei Arten. Ihre Grösse 
ist entsprechend der des Stachels eine viel geringere als bei 
annulosa: die grössten messen höchstens 0,03 mm in der Länge, 
also gerade die Hälfte jener. Die Ausführungskanäle bieten ein 
ganz anderes Bild als dort. An Querschnitten durch die Lateral- 
stacheln (Fig. 7) fiel es mir zunächst auf, dass die Oberseite des 
Stachels anders aussieht als die Unterseite. Kleine Höcker er- 
heben sich daselbst über die Oberfläche, wogegen die Unterseite 
glatt ist. Im Inneren der Höcker sieht man stets eine ganze 
Gruppe von Ausführungskanälen (Fig. 4, 5 und 7). Sehr feine gut 
gefärbte Schnitte zeigen dies wunderschön. Zu Stauungen des 
Sekretes wie bei annulosa kommt es hier niemals; wohl bemerkt 
man hie und da (an meiner Mikrophotographie Fig. 5 an zweien 
der Ausführungskanäle) eine mässige Erweiterung, doch ist eine 
solche nicht allzu häufig. Ein jeder Kanal besitzt in der Kutikula 
einen deutlichen Ausführungsporus. Wenn ich auch Bilder von 
solcher Deutlichkeit und Schönheit wie in den Lateralstacheln 
anderswo bei Ophiopsila aranea nicht angetroffen habe. so konnte 
ich dennoch mit Sicherheit feststellen, dass die Verhältnisse hin- 
sichtlich der Drüsenzellen in den Tentakelschuppen, Wimper- 
stacheln und Lateralplatten ähnliche sind wie bei Ophiopsila 
annulosa; der einzige Unterschied besteht darin, dass jene Zell- 


900 Emanuel Trojan: 


elemente bei ihrer Kleinheit micht so reichlich auftreten wie dort. 
Mit den Ventralplatten der Ophiopsila aranea konnte ich zu 
keinen positiven Resultaten kommen und da ich mir der Schwierig- 
keiten, die sich mir schon bei dem Studium dieses Teiles an der 
viel grösseren annulosa in den Weg stellten, wohl bewusst war, 
gab ich die weiteren Untersuchungen auf. Ich glaube aber bei 
der Übereinstimmung von Lateralstacheln und Tentakelschuppen, 
ferner den Lateralplatten, auch eine solche hinsichtlich derVentral- 
platten annehmen zu dürfen. Die Dorsalseite der Arme und die 
Scheibe weisen keine Drüsenzellen auf. 

Sind wir nun berechtigt, die auch bei diesem leuchtenden 
Schlangensterne nachgewiesenen Drüsenzellen als Leuchtzellen zu 
bezeichnen? Einem Einwande muss hier noch Platz gegeben 
werden, nämlich dem, dass ich die mutmasslichen Leuchtzellen auch 
dort nachgewiesen habe, wo Mangold das Tier nicht leuchten 
sah. Ich habe bereits oben auf die Schwierigkeit der Behandlung 
des lebenden Materials hingewiesen und glaube, dass jener Autor 
bei der Untersuchung dieses Schlangensternes manches übersehen 
hat. Dass das Leuchten von Ophiopsila annulosa ein schwächeres 
ist als das von aranea, sah ich selbst an lebendem Material und 
würde auch nichts gegen die Ansicht Mangolds einwenden, 
diesen verschiedenen Grad des Leuchtvermögens als Artunterschied 
aufzufassen. Doch darin bin ich mit ihm nicht einig, wenn er 
das reduzierte Licht auf die beschränkte Zahl von leuchtenden 
Körperstellen zurückführt. Auf Grund meiner histologischen 
Präparate habe ich die Überzeugung gewonnen, dass der wahre 
Grund in der geringen Ausbildung der Leuchtzellen liegt. 

Wenn wir nunmehr bedenken, dass jene eigenartigen 
Drüsenzellen bei leuchtenden Schlangensternen vorkommen, bei 
nicht leuchtenden aber keineswegs, ebensowenig an Körperstellen 
der ersteren, die mit Bestimmtheit als nicht leuchtend bezeichnet 
wurden, so können wir sie mit vollem Rechte als Leuchtzellen 
ansprechen. 


Allgemeiner Teil. 
Das’Beuchten. 
Wer je die berühmte Ignorabimus-Rede Du Bois Reymonds 


gelesen hat, wird sich wohl des Ausspruches erinnern, „dass 
Muskelzusammenziehung, Absonderung in der Drüse, Schlag des 


Leuchtende Ophiopsilen. 901 


elektrischen, Leuchten des Leuchtorgans, Flimmerbewegung, 
Wachstum und ÜChemismus der Pflanzenzelle bis jetzt noch 
hoffnungslos dunkle Vorgänge sind“. Ich glaube, wenn jener 
berühmte Forscher seinen Ausspruch nicht bloss auf das Leuchten 
des Leuchtorgans, sondern vom Organismenlicht allgemein ge- 
braucht hätte, er hätte auch dann volles Recht behalten; denn 
obgleich seit dem Tage jener Rede einige Jahre verflossen sind, 
stehen unsere Kenntnisse vom Wesen der Luminiszens nicht um 
vieles besser als ehedem. Und das, was wir an leuchtenden 
Tieren bis jetzt entdeckt haben, hat mehr vom Standpunkt der 
Histologie grossen Wert, die Physiologie des Leuchtens aber 
bleibt immer weit zurück. Und doch gibt es keinen Forscher 
auf diesem Spezialgebiete, der nicht auf Grund seiner histologischen 
Studien auch Betrachtungen physiologischer Natur anstellen 
würde; indessen gehören diese letzteren bisher in das Reich der 
Hypothese und haben demzufolge nach dem jeweiligen Stande 
der Physik und Chemie schon manchen Wandel erfahren. Nur 
bis zu einem gewissen Grade gestattet uns die histologische 
Forschung, vorausgesetzt, dass sie gelungen ist, im Verein mit 
physiologischen Experimenten in das Gebiet der tierischen 
Luminiszens einzudringen. 

Wenn wir die zahlreichen Entdeckungen, die sich auf 
leuchtende Tiere beziehen, überblicken, so gilt es zunächst 
zwei Gruppen zu machen, von denen die eine leuchtende 
Protozoen, die andere leuchtende Metazoen umfasst. Vom 
Leuchten der Protozoen lässt sich am wenigsten sagen. Wir 
wissen, dass das Plasma der Einzelligen eine ganze Reihe von 
Funktionen ohne besondere Ausbildung etwaiger Organe oder 
gar Organsysteme zu verrichten imstande ist; wie es dies ver- 
mag, ist allerdings ein Rätsel für uns. Wenn zu den Funktionen 
gewöhnlicher Art wie Bewegung, Reizbarkeit, Nahrungsaufnahme, 
Atmung, Verdauung und anderen mehr bei einigen Urtieren noch 
die Luminiszens hinzukommt, so bildet sie für uns genau so 
ein Rätsel, wie all das andere, was wir an den Einzelligen 
erleben. Bloss die sichere Feststellung, ob ein Urtier leuchtet, 
kann schon als Verdienst angerechnet werden. Und dass man 
es auch in dieser Richtung noch gar nicht weit gebracht hat, 
beweist einerseits die geringe Zahl der Urtiere, die als leuchtend 
angeführt werden, andererseits der stete Streit und Zweifel, ob 


902 Emanuel Trojan: 


diese Tiere auch tatsächlich leuchten. Das eine steht aber 
sicher, dass das Leuchten der Urtiere intermittierend ist, sich 
also von dem der ebenfalls einzelligen Leuchtbakterien, die 
Tage, Wochen, Monate, ja Jahre lang zu leuchten vermögen, 
wesentlich unterscheidet. Dieser Unterschied ist von weittragender 
Bedeutung. Molisch (1904) schreibt hierüber also: „Wenn 
wir von den Peridineen absehen, so leuchten die Pflanzen stets 
andauernd. Darin liegt ein auffaillender Unterschied gegenüber 
dem Leuchten der meisten Tiere. Es gibt zwar unter den 
Tieren solche, welche ein gleichförmiges, längere Zeit andauerndes 
Licht ausstrahlen wie manche Lampyrisarten, allein im allgemeinen 
ist die Lichtentwicklung bei den Tieren nur auf relativ kurze 
Zeit, auf Minuten oder Sekunden beschränkt...“ Ich kann es 
nicht unterdrücken, an dieser Stelle einer Vermutung Ausdruck 
zu verleihen, dass im Laufe der Jahre eine stattliche Anzahl 
von Tieren bekannt werden wird, die ein konstantes Licht auch 
durch längere Zeiträume als Minuten ausstrahlen. Dies gilt 
heute bereits ausser den Lampyrisarten von einigen leuchtenden 
Käfern der Tropen, wahrscheinlich von Tiefseecephalopoden und 
sicherlich von einigen leuchtenden Fischen. Namentlich die 
letzteren sind in dieser Hinsicht von grossem Interesse. Brauer 
sprach bereits vor vier Jahren die Vermutung aus, dass den 
leuchtenden Fischen ein konstantes Leuchtvermögen zukomme. 
Experimentell konnte dies aus dem Grunde nicht nachgewiesen 
werden, da die Tiefseefische stets halb oder ganz tot in die 
Hände der Forscher kamen. Nun war es Steche (1907) vor- 
behalten, in der Nähe der Banda-Inseln zwei leuchtende Oberflächen- 
fische, Photoblepharon palpebratus und Heterophthalmus katoptron 
zu finden, an denen die Brauersche Vermutung verwirklicht 
erscheint. Die Leuchtorgane dieser Fische leuchten beständig, 
sofern sie nicht bei dem einen, dem letzteren, durch Muskelzug 
um ihre eigene Achse derart gedreht werden, dass die licht- 
ausstrahlende Seite nach innen zu liegen kommt, oder dem 
anderen, dem ersteren, durch augenlidähnliche Hautfalten ganz 
verdeckt werden. Die Muskelvorrichtung und die Hautfalten 
funktionieren ganz willkürlich und sobald daher die Leucht- 
organe dem Tiere auf operativem Wege genommen werden, 
leuchten sie Stunden lang ohne Unterbrechung fort. Die Ein- 
geborenen wissen sich dies zunutze zu machen und fangen mit 


Leuchtende Ophiopsilen. 903 


Hilfe dieser leuchtenden Köder andere Fische aus grossen 
Tiefen. Natürlich hört endlich die Luminiszens dieser Leucht- 
organe auf, aber nur deshalb, weil die Bedingungen nach der 
Exstirpation für sie die ungünstigsten sind. Es ist auf Grund 
dieser Entdeckung Steches mit grösster Wahrscheinlichkeit 
anzunehmen, dass alle Leuchtorgane der Fische, an denen weder 
eigene Muskelvorrichtungen, noch augenlidähnliche Hautfalten 
vorhanden sind, auch ein konstantes Licht von sich geben. 

Doch kehren wir zu der Erwägung zurück, die wir an die 
Differenz im Leuchten der einzelligen Tiere und Pflanzen knüpfen 
wollten. Molisch hat mit aller Sicherheit nachgewiesen, dass 
die Luminiszens der Leuchtbakterien ein intrazellulärer Vorgang 
sei, der keine Abscheidung von irgendwelchem Sekret zur Folge 
habe. Wenn wir sehen, dass Noctiluca, Thalassicola und andere 
Protozoen gereizt einigemal aufleuchten, dann aber geraume 
Zeit dazu nicht gebracht werden können, erst nach einer 
gewissen Ruhepause, liegt es da nicht nahe anzunehmen, dass 
hier das Leuchten auf Kosten gewisser Stoffe vor sich gehe, 
solange diese im Vorrate vorhanden sind, dass es aber sofort 
aufhört, sobald dieser Vorrat erschöpft ist und dann auf sich 
warten lässt, bis ein neuer sich wiederum angesammelt hat” 
Was geschieht dann mit den verbrauchten Stoffen? Solche und 
ähnliche Fragen drängen sich uns auf. Ich glaube, es kostete 
viele und vielleicht auch vergebliche Mühe, die Antwort in 
Untersuchungen bei Protozoen zu suchen, um von dieser Seite 
der Lösung des Problems tierischer Luminiszens näher zu rücken. 
Sehen wir daher nach, wie weit die Forschung hierin bei den 
Metazoen gekommen Ist. 

Es ist bekannt, dass mit der phylogenetischen Entwicklung 
vom Ein- zum Mehrzelligen die Aufgaben, die auf der Zelle 
des Urtieres lasten, auf verschiedene Zellen aufgeteilt wurden. 
Diese waren die Grundlagen für Organe und ÖOrgansysteme, 
Wenn wir nun sehen, dass schon gewissen Einzelligen das Ver- 
mögen des Leuchtens innewohnt, so hindert uns nichts daran, 
den Schluss zu ziehen, dass auch für diese Funktion im Laufe 
der phylogenetischen Entwicklung besondere Einrichtungen ge- 
troffen werden mussten. Dies scheint auch tatsächlich geschehen 
zu sein. Die Lichtfunktion ist besonderen Zellen, den Leucht- 
zellen und Zellgruppen, den Leuchtorganen zugefallen. 


904 Emanuel Trojan: 


Die Antwort auf die Frage, welcher Natur diese spezifischen 
Zellen beziehungsweise Zellgruppen sind, kann nach dem heutigen 
Stande der Forschung ganz bestimmt gegeben werden. Es handelt 
sich in allen bisher untersuchten Fällen um Drüsenzellen, bei 
höherer Entwicklung direkt um Drüsen. Diese Anschauung hat 
wohi manchen Gegner, doch findet sie heutzutage viel mehr An- 
hänger als ehedem. Es ist ja allerdings richtig, dass man sich 
dort für berechtigt glaubt, von Drüsenzellen und Drüsen zu 
sprechen, wo Ausführungskanäle und ausgeschiedenes Sekret nach- 
gewiesen werden können. So wird niemand an der sekretorischen 
Luminiszens zweifeln, wenn er leuchtenden Schleim von gewissen 
Goelenteraten, Polychaeten, Crustaceen, Myriopoden, Mollusken 
und Tunicaten abwischen kann, der auch fern von seinem Urheber 
weiter leuchtet. Wie soll man aber von Drüsen sprechen, wenn 
weder das eine, noch das andere oben angeführte Merkmal sich 
auffinden lässt, so z. B. bei den Leuchtorganen der Leuchtkäfer 
und Fische. Bei den letzteren hat man lange nach Ausführungs- 
kanälen der Leuchtorgane vergeblich gesucht und deshalb auch 
die Drüsennatur derselben nur mit einiger Skepsis zugegeben. 
Indessen ist es Brauer (1904) gelungen, den Beweis für die 
Drüsennatur der Leuchtorgane der Fische zu erbringen. Er 
fand nämlich bei den Onchocephaliden und Ceratiiden Leucht- 
organe, die offene Ausführungskanäle besitzen, sonst aber im Baue 
mit solchen ohne Ausführungsgänge ziemlich übereinstimmen. 
Es ist über jeden Zweifel erhaben, dass die letzteren aus den 
ersteren hervorgegangen und daher auch echte Drüsen sind. 

An den Leuchtorganen der Lampyriden und der meisten 
Fische erkennen wir, dass die Luminiszens an keinem abge- 
schiedenen Sekrete vor sich gehe, sondern direkt im Innern ge- 
wisser Zellen zustande kommen muss. Das ist ein analoger Fall 
zu der Luminiszens der Leuchtbakterien, die wir als intra- 
zelluläre bezeichnen zum Unterschiede von jener, die an abge- 
schiedenen Sekreten ausserhalb der Drüsenzellen vor sich geht 
und die Bezeichnung extrazelluläre erhalten hat. Der Chemismus 
des Leuchtprozesses ist weder hier noch dort bekannt. Am 
ehesten zusagend erscheint die Photogentheorie, welche Molisch 
(1904) vertritt. Das Leuchten soll nach der Ansicht dieses 
Forschers bei dem chemischen Umsatze des hypothetischen 
Leuchtstoffes, des sogenannten Photogens, erfolgen. Dieses ist 


Leuchtende Ophiopsilen. 905 


an und für sich offenbar höchst labiler Natur und da es über- 
haupt nur in geringen Mengen vorhanden ist, schlagen alle Ver- 
suche, es frei darzustellen, fehl. Molisch gibt aber die 
Hoffnung nicht auf, dass dies endlich doch gelingen werde, wie 
einst mit der Zymase. 

Ist das Leuchten der Schlangensterne ein intra- oder extra- 
zelluläres? Wenn ich die intrazelluläre Luminiszens so, wie 
bisher üblich, definieren wollte, d.h. dass sie an einem Sekret 
vor sich gehe, jedoch an einem im Inneren des Tieres ver- 
bleibenden, so würde ich kaum des Wortes Bedeutung gerecht 
werden und überdies gegen die Resultate meiner eigenen Unter- 
suchungen sprechen. Intrazellulär sollte meiner Ansicht nach 
bedeuten: innerhalb der Zelle sich abspielend und nicht inner- 
halb des Tieres verbleibend. Reichensperger gebraucht diese 
letztere Bedeutung. Sollte nun aber jemand, der seine Resultate 
und die meinigen liest und die dazu gehörigen Darstellungen 
betrachtet, glauben, dass alle jene Drüsenzellen Ausläufer umsonst 
aussenden, mitunter solche von staunenswerter Länge, um nur 
zur Oberfläche gelangen, ja dass sie selbst die Cutieula durch- 
brechen? Reichensperger gibt selbst zu, dass es jedenfalls 
zur Abscheidung einer Substanz kommen müsse, doch scheint 
er nicht recht hiervon überzeugt zu sein, da er „bei Ophiopsila 
nur zweimal, bei Amphiura nicht viel häufiger, äusserst spärliche 
Restchen von Sekret in der Nähe der Ausführungsgänge der 
Leuchtdrüsen auf der Citucula“ vorfand. Ich kann nun sagen, 
dass ich und zwar gerade bei Ophiopsila mehr Glück hatte auf 
eine wirkliche, ziemlich reiche Exkretion zu stossen, ausnahmslos 
bei allen jenen keulen- bis kugelförmig aufgetriebenen Ausläufern, 
die nicht die Oberfläche des Tieres erreichten. Es erfolgt also 
tatsächlich eine Abscheidung, offenbar mehr oder weniger, je 
nach dem Grade der Luminiszens: ich unterschätze sie nicht und 
betrachte das Exkret direkt als verbrauchte Leuchtsubstanz, 
nicht aber als einen Überschuss derselben. Es verbleibt also 
meiner Ansicht nach das Sekret der Drüsenzellen weder im 
Inneren derselben noch im Inneren der Tiere. Deshalb aber 
will ich der intrazellulären Luminiszens, wie sie in der Tat bei 
den ÖOphiuriden vorkommt, keinen Abbruch tun; war ich doch 
seit ehedem dieser Ansicht und habe sie auch in meiner vor- 
läufigen Mitteilung zu verfechten gewusst. Auf Grund meiner 


906 Emanuel Trojan: 


bisherigen Untersuchungen liegen die Verhältnisse also: Die 
Träger des Leuchtvermögens der Schlangensterne sind sicherlich 
Drüsenzellen. Diese gehören teils dem epithelialen Zellverbande 
an oder sind weit unter das Epithel versenkt. Eine solche Zelle 
für sich betrachtet mag etwa folgenden Entwicklungsgang nehmen. 
Mit dem Regenerationsstadium beginnend reift sie unter stetem 
Wachstum heran. Allmählich an Volumen zunehmend bildet sie 
einen Fortsatz aus, dessen Ziel die Oberfläche des Tieres ist. 
Dieser Fortsatz hat ebenso wie der Zellleib vornehmlich körnigen 
Inhalt. Ich nehme an, dass er, wenn kein besonderer Reiz erfolgt, 
die Oberfläche des Tieres erreicht, ohne jedoch zu leuchten. Bei 
der reichlichen Zufuhr, die er seitens der stets wachsenden 
Mutterzelle bekommt, kann er sich hier, wo das Gewebe nach- 
giebiger ist als in den mit Kalk in krustierten tieferen Teilen, 
erweitern, nimmt eine keulen-, kugel- oder pilzhutförmige Gestalt 
an. So ist gewissermassen ein grosser Vorrat von entzündbarem 
Leuchtstoff aufgestapelt, der auf einen Impuls wartet. Dieser 
erfolgt seitens der Nerven infolge äusserer Reize mechanischer 
oder chemischer Art. In einem solchen Moment, stelle ich mir 
vor, setzt sich der körnige Inhalt in der Zelle und ihrem Aus- 
läufer in einen schleimigen um und leuchtet. Für die Richtigkeit 
dieser Anschauung sprechen auch histologische Befunde. Meine 
und Mangolds Versuche an lebendem Material haben dargetan, 
dass die Schlangensterne nur im gereizten Zustande leuchten, 
namentlich schön unter dem Einflusse der scharfen Fixierungs- 
mittel vor dem Tode. Dies zeugt gewiss davon, dass die grösste 
Zahl der Drüsenzellen in voller Tätigkeit sich befindet. Wie 
sieht nun die Mehrzahl dieser Zellen in den mikroskopischen 
Schnitten aus? Die meisten sind teilweise oder total von homo- 
genem Schleim erfüllt. Wenn schon vor dieser Art Entladung 
etwas mehr von dem Leuchtstoffe unter der Oberfläche angehäuft 
war. so nimmt das Volumen dieser Menge einesteils deshalb, weil 
der Umsatz vom körnigen Zustande in den schleimigen an und 
für sich eine Volumzunahme bedeutet, andererseits deshalb, weil 
bei fortgesetztem Reize immer mehr von dem Stoffe nachfliessen 
wird, natürlich zu. Daher die verschiedenen Stauungsformen. 
Ich habe bereits oben darauf hingewiesen, dass bezüglich des 
Inhaltes im Zellleib und dessen Fortsatz stets gleiche Zustände 
obwalten: somit geht auch jener chemische Umsatz, der von der 


Leuchtende Ophiopsilen. 907 


Luminiszens begleitet sein dürfte, in der ganzen Zelle vor sich; 
und das nenne ich intrazellulär. Dass der Leuchteffekt durch 
solche Verhältnisse bedeutend gesteigert wird, ist leicht einzu- 
sehen. Mit dem Leuchten setzt erst die Exkretion nach aussen 
in Form einer Unzahl feiner Körnchen, in die sich der Leucht- 
stoff verwandelt, ein. Diese Exkretion ändert an dem Wesen der 
intrazellulären Luminiszens gar nichts, da sich jene Körnchen 
bereits ausserhalb der Zelle befinden und gewiss nicht mehr 
leuchten; daher misslingen auch alle Versuche, Leuchtsubstanz 
von der Oberfläche der Tiere abzuwischen oder auf irgend eine 
Weise überhaupt zu isolieren. Für die Drüsenzellen der Tentakel- 
schuppen erfährt diese meine Erklärung des Leuchtprozesses nur 
die Modifikation, dass der Vorrat an Leuchtstoff hier nicht wie 
bei den Leuchtzellen der Stacheln und Ventralplatten durch einen 
langen Kanal von der Mutterzelle getrennt ist, sondern seinen Platz 
im Innern derselben einnimmt. Alles andere bleibt sich gleich. 

Es ist meiner Meinung nach bei dieser spezifischen Art 
intrazellulären Leuchtens geboten, die beiden Zustände der 
Sekretion und Exkretion voneinander zu unterscheiden. Die 
erstere beruht in der Erzeugung brauchbaren Leuchtstoffes, die 
letztere in der Abgabe unbrauchbarer Zerfallsprodukte desselben. 
An der Grenze dieser zwei Phasen vollzieht sich die Luminiszens. 
Was aber die Definition intrazellulären Leuchtens überhaudt 
anbelangt, so ist es am besten, von der Exkretion ganz Abstand 
zu nehmen und zu konstatieren, dass dieses nur innerhalb gewisser 
Zellen vor sich gehe; muss man doch ohnedies in den meisten 
Fällen auf irgendwelche Abscheidung nach aussen überhaupt ver- 
ziehten. 

Man neigt heutzutage zu der Ansicht Giesbrechts (1895) 
hin, dass nicht das lebende Plasma der Drüsenzellen, sondern 
das von diesem ausgeschiedene tote Sekret leuchte. Wie weit 
soll man dieser Anschauung in unserem Falle Raum geben? Es 
ist wohl schwer zu sagen, wo das Leben in einer Drüsenzelle 
aufhört und der Tod beginnt, keinesfalls aber möchte ich die 
Phase, der ich das Leuchten hier zuspreche, dem Tode einräumen. 
Ich glaube dies auf Grund der zahlreichen Experimente, die mit 
lebendem Material ausgeführt wurden, tun zu dürfen. Es zeigte 
sich allemal, dass die Luminiszens der Schlangensterne unter dem 
direkten Einflusse des Nervensystems steht. Ich brauche dies- 


908 Emanuel Trojan: 


bezüglich auf meine vorläufige Mitteilung und meine histologischen 
Befunde (S. 393) hinzuweisen, um eine Wiederholung zu ver- 
meiden. Auch Mangold (1907) ist von dieser Tatsache über- 
zeugt, denn er schreibt: „Die Fortleitung des Leuchtreizes erfolgt 
allein durch die längs der Ventralseite der Arme verlaufenden 
radialen Nervenstränge und von einem Arm zum andern durch 
den Nervenring, der in der Körperscheibe den Schlund umgibt. 
Durchtrennt man einen Radialnerven in der Nähe der Armbasis 
durch Nadelstiche — auf Neurotomie mit dem Messer erfolgt 
meist Autotomie des operierten Armes —, so bringt ein dem 
neurotomierten Arme applizierter Reiz nur noch in diesem bis 
zur Operationsstelle das Leuchten hervor, während am unver- 
letzten Tiere unter sonst gleichen Bedingungen stets auch in den 
anderen Armen reflektorisch ein Leuchten erfolgt. Im gereizten 
Arme breitet sich der Leuchtreflex sowohl zentralwärts wie auch 
nach der Armspitze hin aus.“ „Auch bei der Reizung der Haut 
des Scheibenrückens tritt zugleich mit einer Dorsalkrümmung 
der Armenden das Leuchten in allen Armen auf, im neurotomierten 
jedoch bleibt jenseits der ÖOperationsstelle jede Erregung aus.“ 
Und weiter unten heisst es: „Der Vorgang der Luminiszens 
steht also unter nervösem Einflusse und kann reflektorisch her- 
vorgebracht werden“. Wäre es wohl möglich, frage ich nun, 
dass Nervenimpulse einer toten Substanz ein so herrliches 
Phänomen wie das des Leuchtens, abgewinnen könnten? Das 
glaube ich nicht. „Jener leuchtende Stoff in unserem Falle ist 
gewiss nicht tot, sondern erst sein körniges Endprodukt, das 
nach aussen befördert wird. Noch mehr widerstrebt es meiner 
Meinung, bei den meisten Leuchtorganen der Insekten, Cephalo- 
poden und Fische, welche die Exkretion ganz aufgegeben haben, 
von der Luminiszens eines toten Sekretes zu sprechen. Es ist doch 
denkbar, dass dort gewisse Atomgruppen, die vielleicht leuchten, 
sich durch den Leuchtprozess in ihre Elemente auflösen, die von 
neuem in den Lebenskreislauf der Zelle treten. In Fällen extra- 
zellulärer Luminiszens möge wohl Giesbrechts Ansicht ihre 
Geltung behalten, doch das intrazelluläre Leuchten bei Tieren 
möchte ich wie einst Molisch für Pflanzen „als ein Lebens- 
licht im wahren Sinne des Wortes“ bezeichnen. 

Der biologische Wert des Leuchtens von Ophiopsila annulosa 
und aranea ist für uns bis heute ein Rätsel. Für die Annahme, 


Leuchtende Ophiopsilen. 909 


dass das Aufleuchten die Feinde der Tiere abschrecken sollte, 
ist wenig Grund vorhanden, wenn man bedenkt, dass die ärgsten 
Feinde eines Ophiuriden vornehmlich Echinodermen sind, auf 
die ein solcher Lichteffekt wohl wenig Einfluss haben könnte. 
Überdies hat auch Mangold (1907, S. 622) gezeigt, dass, wenn 
die Ophiopsilen von gefrässigen Echinodermen angefallen werden, 
sich diese um das Leuchten gar nicht kümmern. Die einzige 
tettung einer Ophiopsila besteht darin, dass sie den vom Feinde 
ergriffenen Arm abwirft und flüchtet. Indessen frisst der Feind 
den weiter leuchtenden, sich krümmenden Arm ruhig auf. Auch 
verhalten sich die Ophiopsilen gegen ihre verschiedenen Feinde 
nicht gleich; es kommt vor, dass sie bei der Berührung mit 
manchem überhaupt nicht aufleuchten. Auch aus einem anderen 
Grunde muss die Annahme des Lichtes als Schreckmittel fallen 
gelassen werden. Sämtliche Verfolger der Tiere sind positiv 
heliotropisch; das Leuchten würde also gerade den verkehrten 
Zweck erfüllen, statt des Abschreckens das Heranlocken von 
Feinden bewirken. Allerdings könnte man nun daran denken, 
dass weniger Feinde als eine grosse Zahl von kleinen Tieren, 
die nach dem Lichte hinziehen, in die Nähe der Ophiopsilen 
geraten und ihnen zum Opfer fallen. Demgegenüber muss aber 
betont werden, dass die beiden Schlangensterne ungereizt nicht 
leuchten. Überdies teilte mir Dr. Lo Bianco mit, dass beide 
Arten sich an solchen Stellen aufhalten. die von Tageslicht ganz 
durchleuchtet sind: dort vergraben sie sich im Sande. 


Sollte also das Leuchten für diese Ophiuriden keinen 
biologischen Zweck haben? Es würde mir schwer fallen, diese 
Frage bejahend zu beantworten. Ich bin vielmehr der Ansicht, 
dass wir zu wenig von dem Sinnesleben der Tiere wissen. Wer 
weiss, welcher chemische Reiz mit dem Leuchten eines Schlangen- 
sternes Hand in Hand geht und welche Wirkung er auf andere 
Tiere oder vielleicht Artgenossen ausübt ? 


Zusammenfassung. 


Wenn ich die Resultate meiner Untersuchungen zusammen- 
fasse, so lauten sie: 
1. Die Träger der Luminiszens von Ophiopsila annulosa und 
aranea sind Drüsenzellen (Leuchtzellen). 


10 


1869. 


1904. 


1900. 


1891. 


1895. 


1864. 


1889. 


1901. 


1905. 


1899. 
1907. 


1885. 


1904. 


1907. 


Emanuel Trojan: 


2. Das Leuchten wird durch Stauungsformen, namentlich 
bei Ophiopsila annulosa erhöht. 

Die Luminiszens ist intrazellulär. 

Sekretion und Exkretion halten sich das Gleichgewicht. 
Das Leuchten steht unter direktem Einflusse des Nerven- 
systems. 


or m 0 


Literaturverzeichnis. 


Brady, G. and D. Robertsen: Notes of a week’s Dredging in 
the West of Ireland. With 5 Pl. in: Ann. Mag. Nat. Hist., 4. Ser., 
Vol. 3, p. 353—374. 

Brauer, A.: Über die Leuchtorgane der Knochenfische. Verh. deutsch. 
Zool. Ges., S. 16—55. 

Chiarini, B.: Richerche sulla struttra degli organi fosforescenti 
dei pesci. Milano. 

Cuenot, L.: Etudes anatomiques et morphologiques sur les Ophiures. 
Arch. Zool. Exp., Ser. 2, T. 2. 

Giesbrecht, W.: Mitteilungen über Copepoden. Über das Leuchten 
der pelagischen Copepoden und das tierische Leuchten im allgemeinen. 
Mitt. Stat. Neapel, Bd. XI, S. 648—689. 

Grube: Die Insel Lussin und ihre Meeresfauna. Breslau. 


Hamann, O.: Anatomie und Histologie der Ophiuren und Crinoiden. 
Jen. Zeitschr., Bd. XXIII, Zugleich Heft 4 der Beiträge. 

Derselbe: Ophiuroiden aus Bronns Klassen und Ordnungen. Liefe- 
rungen 29—40. 

von Lendenfeld: The Radiating Organs of the Deepsea Fishes. 
Mem. Mus. Harvard Coll., Vol. XXX, S. 165—207. Mit 11 Taf. 

Lo Bianco: Notizie biologiche. Mitt. Stat. Neapel, Bd. XIII. 
Mangold, E.: Leuchtende Schlangensterne und die Flimmerbewegung 
bei Ophiopsila. Arch. ges. Physiol., Pflüger, Bd. OXVII, S.613—640. 
Me. Intosh: Opening Address of the phosphorescence of marine 
animals. Nature XXXII, p. 476—480. 

Molisch, H.: Leuchtende Pflanzen. Eine physiologische Studie. 
Jena. 2 Taf., 14 Textfig., 168 S. 


. Panceri, P.: La luce e gli organi luminosi di alcuni annelidi. Atti. 


Acc. Napoli. 
de Quatrefages, A.: Note sur une nouveau de phosphorescence etc. 
Ann. Sci. nat. Paris, Ser. II, T. XIX. 


Reichensperger, A.: Zur Kenntnis der Gattung Ophiopsila. Zeit- 
schrift wiss. Zoologie, Bd. LXXXIX, H. 1. 


Leuchtende Ophiopsilen. grt 


1908a. Derselbe: Über Leuchten von Schlangensternen. (Vorl. Mitt.) Biolog. 
Zentralbl. XXVIII, No. 5. 

1908b. Derselbe: Die Drüsengebilde der Ophiuren. Zeitschr. wiss. Zoologie, 
Bd. XCI, H.2. Mit 2 Taf. u. 5 Textfig., S. 304—350. 

1857. Sars, M.: Bidrag til kundshaben om Middelhavest Littoral-Fauna. 
Mit 4 Taf., Nyt. Magaz. f. Naturvid., Bd. 9, S. 110—164. 


1907. Steche, Ü.: Leuchtende Öberflächenfische aus dem malayischen 
Archipel. Verh. deutsch. Zool. Ges. 


1907. Sterzinger, J.: Über das Leuchten von Amphiura squamata Sars. 
Zeitschr. wiss. Zoologie, Bd. LXXXVII, S. 357—382, 2 Taf. 


1908. Trojan, E.: Das Leuchten der Schlangensterne. Biolog. Zentralbl., 
Bd. XXVIIL, S. 343—353. 


1905. Viviani, D.: Phosphorescentia maris. Genova. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXIV. 


Allgemein gültige Bezeichnungen. 


b = radiäres Blutgefäss. nh — radiärer Nerv des hyponeuralen 
ce = Coelom. Nervensystems. 
dl = Dorsalplatte. = Pigment. 
dk, ds, dsk — Leuchtzellen. ph — Pseudohämalkanal. 
u Hpineuralkangl. r = Radialkanal des Wassergefäss- 
f = Füsschen. Ten 
k = Körnchen. 3 ; 
] = Lateralplatten. t = Tentakelschuppe. 
la — Lateralstacheln. v = Ventralplatte. 
ne — radiärer Nerv des eetoneuralen zZ == Zentralkörper. 
Nervensystems. 


Fig. 1. Querschnitt durch einen Arm von ÖOphiopsila annulosa. Vergr. 40. 

Fig. 2. Querschnitt durch eine pilzhutförmige Stauungsform der Leucht- 
drüsen-Ausführungskanäle von Ophiopsila annulosa. Mikrophoto- 
graphie. Vergr. 400. 

Fig. 3. Querschnitt durch einen Lateralstachel von Ophiopsila annulosa. 
Mikrophotographie. Vergr. 200. 

Fig. 4. Öberflächenschnitt von der Dorsalseite eines Lateralstachels von 
Ophiopsila aranea mit Gruppen quergeschnittener Ausführungs- 
kanäle. Mikrophotographie. Vergr. 400. 

Fig. 5. Längsschnitt durch einen Lateralstachel von Ophiopsila aranea mit 
dem Medianschnitt eines Hügels mit Ausführungskanälen ; im Innern 


des Stachels Leuchtdrüsen. Mikrophotographie. Vergr. 400. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73. 59 


912 

Fig. 6. 
Fi: 077. 
Fig. 8. 
Hig.-,9: 
Fig. 10. 
Fig. 11. 
Fig. 12. 


Emanuel Trojan: Leuchtende Ophiopsilen. 


Paratangentialschnitt durch einen Stachel von Ophiopsila annulosa. 
Verer. 200. 

Querschnitt durch einen Lateralstachel von Ophiopsila aranea. 
Vergr. 400. 

Querschnitt durch eine Ventralplatte von Öphiopsila annulosa. 
Vergr. 400. 

Leuchtzelle in der Reifungsphase. Vergr. 1200. 

Leuchtzelle in der Entleerungsphase. Vergr. 1200. 

Leuchtzelle in der Regenerationsphase. Vergr. 1200. 
Oberflächenschnitt von einer Tentakelschuppe von Ophiopsila annu- 
losa. Vergr. 400. 


913 


Analyse der Reifungs- und Befruchtungsprozesse 
des Eies von Cymbulia Peronii 

nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung der Strahlung 

neben den Kernen und über die Kopulationsbahn der Vorkerne. 


Von 
A. Nekrassoff, Moskau. 


Hierzu Tafel XXXV—XXXIX und 17 Textfiguren. 


Inhalt. 


Einleitung. 
I. Die Untersuchungsmethode. 
II. Spezieller Teil: 
Frühe Prophase der ersten Reifungsspindel. 


Späte „ n 2 r 
Metaphase E 5 x 
Frühe Anaphase „ e 5 
Späte e : 5 e 
Telophase a 5 e 


Prophase der zweiten Reifungsspindel. 

Metaphase „ 

Anaphase „ a P 

Telophase „ 5 - 

Annäherung der Geschlechtskerne. 

Stadium des Wachsens der Geschlechtskerne. 

Stadium der inneren Differenzierung der Geschlechtskerne. 
Prophase der ersten Furchungsspindel. 

Metaphase „ } 


III. Allgemeiner Teil: 


1. Die Entstehung der Strahlung neben den Kernen. 
2. Der Zerfall der Strahlung und die Entstehung derselben in 
der zweiten Reifungsspindel. 
3. Kopulationsbahn der Geschlechtskerne. 
4. Die Permanenz der Zentrosomen und die Befruchtung. 
Literaturverzeichnis. 


Erklärung der Abbildungen. 


59* 


914 A. Nekrassoff: 


Die Analyse der Vorgänge während der Reifung des Eies 
und seiner Befruchtung bezweckt zweierlei: 

I. klarzustellen, welchen Umwandlungen das Sperrmatozoon 
im Eie unterliegt, welche Veränderungen ersteres im letzteren 
hervorruft und auf diese Weise die Hauptmomente der Ver- 
schmelzung der beiden Geschlechtszellen festzustellen (das Problem 
der Befruchtung); 

II. festzustellen, was das Studium dieser Vorgänge zum 
Urteil über eine Reihe von Fragen beiträgt, welche von der 
Zytologie gestellt werden (zytologische Probleme). Diejenigen 
Fragen, welche das grösste Interesse für mich hatten, hat 
Conklin folgendermassen zusammengefasst (02): „The nature 
and metamorphosis of the centrosome and central spindle, the 
origin and fate of the amphiaster, the characteristics and history 
of the attractionsphere, the existence or non-existence of a specific 
substance (Archoplasm, Kinoplasm etc.) whose primary function 
is the division of the cell....the interrelation of nucleus and 
cytoplasm during the various phases of division, the phenomena 
and significance of the movements of the cells and cell constituents 
and the chemical, physical and physiological principles involved 
in the division of nucleus and cell body.“ 

Für den einen wie den anderen Zweck ist es wichtig, dass 
die im Ei vor sich gehenden Prozesse in ihrem ununter- 
brochenen Zusammenhange dargestellt werden. Nur unter 
dieser Bedingung können wir uns darüber klar werden, welche 
Prozesse im Innern des Eies Veränderungen in den Elementen 
des Spermatozoon hervorrufen und welche nicht; und umgekehrt, 
welche Veränderungen in den Elementen des Spermatozoon ihren 
Einfluss auf das Ei und dessen Bestandteile ausüben. Der 
ununterbrochene Zusammenhang des Bildes ist auch wichtig für 
die zytologischen Zwecke. Die Elemente der Zelle erleiden 
beständig Veränderungen. Um die Bedeutung irgend eines 
Elementes in der Zelle zu einem gegebenen Moment zu bestimmen, 
muss man dessen vorausgegangenen und nachfolgenden Zustand 
kennen. Die Transformation eines Elementes steht ausserdem 
im Zusammenhang mit den Veränderungen, welche zur selben 
Zeit auch die übrigen Elemente erleiden. Daher ist es wichtig, 
den gleichzeitigen Verlauf der Veränderungen aller Elemente der 
Zelle, die der Beobachtung zugänglich sind, vor Augen zu haben. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 915 


Durch diese Erwägungen werden die Grenzen und der 
Plan meiner Arbeit bestimmt. Fine ununterbrochene Reihe von 
aufeinanderfolgenden Stadien ohne Lücken wurde von mir ge- 
sammelt, angefangen von der Prophasis der ersten Reifungsspindel 
(Fig. 2).') Ich beginne die Beschreibung der Reifungsprozesse 
und der Befruchtung von Cymbulia Peronii mit diesem 
Stadium und setze dieselbe in chronologischer Reihenfolge bis 
zum Stadium der Metaphase der ersten Furchungsspindel fort. 
Dabei ist es unser Bestreben, die Elemente nicht getrennt 
voneinander zu betrachten, sondern in ihrer zeitlichen und 
räumlichen Beziehung (in einem gegebenen Moment, inmitten 
der anderen Elemente). Diese Beschreibung bildet den Inhalt 
des speziellen Teils. Den allgemeinen Teil der Arbeit bilden, 
als Resultat der Analyse der beobachteten Prozesse bei COymbulia 
Peronii, meine Betrachtungen über die morphologischen Be- 
dingungen der Entstehung und des Zerfalls der Strahlenfiguren. 
Sie werfen, wie mir scheint, einiges Licht auf die Ursache der 
Annäherung der Geschlechtskerne, der sogenannten „Kopulations- 
bahn“, deren morphologisches Bild bei Cymbulia Peronii 
ich mich bemühte im speziellen Teil so klar und voll wie 
möglich zu entwerfen. Deshalb betrachte ich diese Frage, deren 
Entscheidung von allen für schwer gehalten wird (siehe z. B. 
Kostanecki [06] S. 406), besonders ausführlich. Endlich gebe 
ich in Kürze die Schlüsse wieder, zu welchen ich in der Frage 
von der relativen Bedeutung der Elemente der beiden Geschlechts- 
zellen zur ferneren Entwicklung des Organismus gelangt bin. 

Über die Reifung und Befruchtung von Cymbulia Peronii 
finden sich Angaben in den alten Arbeiten von Fol (75) und 
O0. Hertwig (78 und 85). Als Objekt diente letzterem auch 
die der Cymbulia nahestehiende Form Tiedemannia 
Napolitana, aber alle von ihm beobachteten Tatsachen sind 
bei beiden Formen identisch. Beide Forscher machten ihre 
Beobachtungen an ganzen und lebenden Eiern. Fol bearbeitete 
sie ausserdem mit Essigsäure. Ferner wies ich bei der Be- 
schreibung der Vorgänge auf alles hin, was schon diese beiden 
Forscher feststellten. 


!) Das Fehlen des Stadiums, welches unmittelbar dem Stadium der 
Fig. 2 vorausgeht, bildet einen sehr bedeutenden Mangel des tatsächlichen 
Teils meiner Arbeit. 


916 A. Nekrassoff: 


I. Die Untersuchungsmethode. 


Ich benutzte keinerlei neue Methoden der Fixierung, Ein- 
bettung und Färbung. Ich fand, dass von den verschiedenen 
Fixierungsarten sich eine Mischung von in zwei Teilen Wasser 
gelöstem konzentriertem Sublimat mit Essigsäure im Verhältnis 
von 3:1 als die geeignetste erwies. Flüssigkeiten, welche Osmium- 
säure enthielten, erwiesen sich für meine Objekte als untauglich. 

Die Einbettung war eine zwiefache, in Paraffin-Zelloidin. !) 
Die Hauptfärbungsmethode bestand in Hämatoxylin-Eisenalaun 
nach Heidenhain. Die vorausgehende Färbung mit Bordeaux- 
rot und eine Ergänzungsfärbung mit Kongo ergaben keinerlei 
Vorteile, wenn sie die Bilder auch nicht verdarben, welche mit 
der gewöhnlichen Methode von Heidenhain erlangt wurden. 
Um die Zentrosomen in der Telophase der ersten Reifungs- 
spindel sichtbar zu machen, wenn die Chromosomen sich dicht 
um die Zentrosomen gruppieren und diese verdecken, wurde mit 
Erfolg die spezielle Färbungsmethode für Zentrosomen von 
Heidenhain angewandt, wie er sie in der Zeitschr. f. wissensch. 
Mikr. 1896, Bd. 13 angibt. Hierbei wurden die Chromosomen sehr 
schwach gefärbt und die Zentriole des Zentrosoms war durch 
die Chromosomen hindurch als bestimmtes Körperchen sichtbar, 
das von einer regelmässigen Scheibe des Zentroplasma umgeben 
war. Gute Resultate lieferte ebenfalls die Färbung mit Delafields 
Hämatoxylin, obwohl das Bild nicht so elektiv war, wie bei 
Bearbeitung mit Heidenhains Eisenhämatoxylin. Ausserdem 
wandte ich auch andere Färbungsmethoden (Hämalaun, Safranin- 
Lichtgrün und andere) an. 

Das Material sammelte ich auf der Russischen zoologischen 
Station in Villefranche-sur-mer, während der Monate 
der Eiablage, das heisst im April und Mai. Dieses bot keine 
grossen Schwierigkeiten, wenn die Tiere nur gefangen waren. 
Leider ist der Fang der Tiere offenbar sehr von Wind und 
Wetter abhängig. Es gab Wochen, in denen in der Bucht nicht 


!) Dieses Einbetten vereinigt, zum Gegensatz von Rawitzs Meinung (07), 
die guten Eigenschaften der beiden Methoden, und schliesst die Mängel jeder 
einzelnen aus. Der Dotter krümelt nicht aus, wie es beim Einbetten in 
Paraffın allein oft der Fall ist, und es können sehr feine Schnitte, bis zu 
3 «u, erzielt werden. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 97 


eine einzige Cymbulia vorkam. Ein besonderes Missgeschick 
in dieser Beziehung waltete während meiner Anwesenheit in 
Messina im April und Anfang Mai 1906, wo ich, mich an 
Fols Angaben haltend, ein reiches Material für Cymbulia zu 
sammeln hofite. Trotz der eifrigsten Bemühungen wurden 
Uymbulia nur zweimal gefangen. Es ist möglich, dass dieser 
Umstand mit dem kalten Wetter und den häufigen Siroccowinden 
jenes Frühlings im Zusammenhang stand. Es war zur Zeit der 
starken Vesuveruptionen. Die gefangenen Tiere wurden in grosse 
Kristallisatoren gebracht, in denen das Seewasser sorgfältig 
zweimal täglich gewechselt wurde. In solchen Kristallisatoren 
lebten die zarten Tiere zwei bis drei Tage. Die Eiablage begann 
schon am selben Tage, an dem die Tiere gefangen waren, oder 
in der folgenden Nacht, oder dem darauffolgenden Tage. Die 
gewöhnlichste Zeit der Eiablage waren die Stunden von 2—3 Uhr 
nachts, oder (seltener) von 12—3 Uhr tags.) Die Eier werden 
in langen Ketten abgelegt, deren Glieder einzelne Päckchen 
darstellen, von denen jedes einige Dutzende von Eiern enthält. 
Alle Eier ein und derselben Kette befinden sich mit geringen 
Schwankungen in demselben Stadium; um also ununterbrochen 
den ganzen Prozess der Reifungsteilungen und Befruchtung zu 
verfolgen, war es genügend, alle 2—3 Minuten von der Kette 
einige Päckchen abzuschneiden, sie zu fixieren und in bestimmter 
teihenfolge aufzubewahren. Im Moment der Ablage durchlaufen 
dıe Eier ein Stadium, das ich das Stadium der späten Prophase 
der ersten Reifungsspindel nenne, die der Fig. 5 entspricht. 

Die aufeinanderfolgenden Stadien, welche die Eier im Innern 
des Tieres in den Geschlechtswegen durchlaufen, sind eben aus dem- 
selben Grunde, welcher die Verfolgung der aufeinanderfolgenden 
Stadien bei den abgelegten Eiern so leicht macht, schwierig zu 
sammeln — alle reifen Eier (d.h. diejenigen, welche ihre maximale 
Grösse erreicht haben) befinden sich in ein und demselben Stadium. 
Unter diesen reifen Eiern fand ich bei den von mir geöffneten 
Tieren immer nur das Stadium Fig. 2 mit dem schon einge- 
drungenen Spermatozoon und gut entwickelten Zentrosomen der 
ersten Reifungsspindel. So gelang es mir denn nicht, das wichtige 


') Fol weist darauf hin, dass Oymbulia in Messina zu jeder Tages- 
zeit die Eier ablegte. 


918 A. SNre/kriarssott: 


Stadium des Moments des Eindringens des Spermatozoon und 
des ersten Auftretens dieser Zentrosomen zu erhalten. 

Ausserdem wurden alle diese Prozesse von mir auch an 
lebenden abgelegten Eiern kontrolliert. 


II. Spezieller Teil. 


Die frühe Prophase der ersten Reifungsspindel. 
Fig. 2 stellt das Stadium des schon befruchteten, aber noch nicht 
abgelegten, d. h. noch in den Ausführgängen befindlichen Eies 
dar. Seine Form ist eine polygonale in Abhängigkeit von dem 
Drucke, den die Eier aufeinander ausüben, während sie sich in 
denselben befinden. 

In diesem Stadium kann man am Eie unterscheiden: 

I. zwei Zentrosphären (mit diesem Ausdrucke bezeichne ich 
nach Vejdovsky und Mrazek (03, S. 407) die Gesamtheit der 
Elemente, die weiter unten unter den Buchstaben a, b, ce, d auf- 
gezählt sind); sie bestehen aus 

a) den Zentriolen, 

b) den Zentrosomen (nach Boveri), die sie umschliessen !), 

c) den Sphären, besonderen Zonen, um die Zentrosomen 

herum, wo die einzelnen Strahlen nur mit grosser Mühe 
unterschieden werden können, 

d) den wenigen Strahlen, die in der Richtung vom Zentrosom 

zum Innertum des Kernes gehen. 

In diesem Stadium stellt das Zentrosom eine Zone vor, die 
heller ist, als die dasselbe umgebende Sphäre. In seinem Zentrum 
befinden sich eine oder mehrere dicht aneinanderliegende 
Zentriolen. Ihre unregelmässige Gestalt ist für das gegebene 
Stadium sehr typisch. Dieser Umstand hängt nicht vom Misslingen 
der Färbung ab, da ich an ein und denselben Präparaten ver- 
schiedene Färbungsarten anwandte und dasselbe Resultat erhielt. 
Dieses ist um so interessanter, als die Zentriolen der Stadien 


!) Beiläufig mache ich hier die Bemerkung, dass der Ausdruck „Zentro- 
plasma“ ferner von mir so gebracht wurde, wie Boveri (01) ihn anfangs 
verstand, d.h. zur Benennung derjenigen Substanz, des Plasma, woraus das 
Zentrosom besteht und nicht in dem Sinne, den ihm Vejdovsky später 
(03, 07) beilegte. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 919 


der späten Anaphase und Telophase, zuweilen auch der Metaphase 
der ersten Reifungsspindel, im Gegensatz zu den Zentriolen der 
frühen Prophase sehr akkurate kleine Körperchen darstellen, und 
nie mehr als in der Zweizahl auftreten. Um ein solches Zentro- 
som ohne jegliche Spur irgend einer Membran bildet sich die 
Sphäre wie ein unregelmässiger Stern, der etwas dunkler ist als 
das Zytoplasma. 

Il. Den Kern, in dem man unterscheiden kann: 

a) die Chromosomen, 

b) einen grossen Nukleolus, 

c) das Achromatinnetz des Kernes, 

d) durch Heidenhains Eisenhämatoxylin dunkel färbbare 

rundliche Körper, offenbar in den Netzknoten. 

Wie sich die Chromosomen der ersten Reifungsspindel vor 
dem Stadium bilden, das auf Fig. 2 dargestellt ist, ist mir unbe- 
kannt. In diesem Stadium liegen in allen Eiern ohne Ausnahme 
im ganzen Eileiter die Chromosomen in Ringen oder Halbringen 
um die beiden Zentrosomen im Gebiet des hellen Kernsaftes, 
fast auf der Grenze desselben mit den Sphären. Scheinbar bilden 
ihren Grundtypus zwei biskuitförmige Körperchen, die einander 
mit ihrer Längsachse dicht anliegen. Das Durchdringen der Strahlen 
ins Innere des Kernes und die Lage der Chromosomen zuerst 
am Achromatinnetz des Kernes und dann an den Fasern der ent- 
stehenden Spindel bringen jene verschiedenartigen Veränderungen 
hervor, welche ihre Form während des Überganges aus der 
Prophase zur Metaphase erleidet und die wir in unserer vor- 
läufigen Mitteilung nachwiesen (03). Längs der jungen Zentral- 
spindel wird diese Veränderung der Form der Chromosomen vor 
allem bemerkbar. Sie prägt sich aus: 1. dadurch, dass die beiden 
an dem einen Ende gleichsam wie verlötet oder zu einem Knoten 
verknüpften Zweige des Chromosoms am andern Ende auseinander- 
treten; 2. dadurch, dass dasselbe sich in der Richtung der Fasern 
streckt, an die es befestigt ist. Die Schwankungen in der Form 
hängen in bedeutendem Maße von dem Anheftungspunkt des 
Chromosoms an den Spindelfasern ab. Fig. 4 zeigt, dass der 
Prozess der Veränderung der Form sich auf eine immer grössere 
Zahl von Chromosomen erstreckt, nach Massgabe dessen, wie 
eine immer grössere Menge von Strahlen, die von beiden Zentren 
ausgehen, einander begegnend, die Spindelfasern bilden. 


920 A, Nekriassotf: 


In eimigen Eiern der frühen Prophase wurde folgende 
interessante Anomalie beobachtet. Die Umrisse der Chromosomen 
solcher Eier unterschieden sich durch nichts von denen anderer 
Eier derselben Serie, aber die Chromosomen färbten sich mit 
Heidenhains Hämatoxylin nicht durchgehend schwarz, sondern 
hatten das Aussehen von hellen Bläschen, in deren Innerem man 
schwarze Granulae und ein schwaches Lininnetz bemerken konnte 
(Fig. 5). In einer Serie von Schnitten des Ausführganges (mit 
einer Kette Eier in seinem Innern), die auf ein und denselben 
Objektträger geklebt waren, folglich ein und derselben Bearbeitung 
unterworfen waren, konnte man einzelne Eier mit diesen difieren- 
zierten Chromosomen unterscheiden. Ihre Lage an verschiedenen 
Stellen der Schnitte, unter einer Menge Eier mit „normalen“ 
Chromosomen, schloss, scheinbar, ganz die Voraussetzung aus, 
dass diese Anomalie von der Bearbeitungsweise oder von der 
verschiedenen Entfärbungsdauer in Abhängigkeit stehe. Dieses 
war die Eigenschaft bestimmter Eier, welche ich wiederholt auf 
jedem Schnitt an solchen Eiern beobachtete. Vielleicht hatten 
wir es hier mit einer pathologischen Erscheinung zu tun? 
Warum entwickelten sich dann in späteren Stadien alle Eier so 
regelmässig? 

III. Das Zytoplasma, in welchem sich unterscheiden lassen: 

a) der grobkörnige Dotter, 

b) der feinkörnige Dotter, 

c) das Spermatozoon, das in a) den verdickteren schrauben- 
förmigen Kopf (auf Fig. 2 nur der Kopf) und b) den 
feinen Schwanz zerfällt!) (Fig. 3, wo ein Spermatozoon 
im selben Stadium sich befindet). 

Neben einigen Gruppen der abgelegten Eier fand ich in 
grosser Menge Spermatozoen, die offenbar den Überschuss vor- 
stellten, der übrig geblieben war, als alle Eier befruchtet waren. 
Fig. 1 stellt ein solches Spermatozoon dar. Der schraubenförmige 


!) Diese Teilung des Spermatozoon in Schwanz und Kopf wird hier 
aus praktischen Gründen aufgeführt. Es gelang mir nicht im Innern des 
Eies am Spermatozoon irgend eine Differenzierung in irgendwelche anderen 
Elemente zu entdecken. Aber ohne Zweifel kann nur das Studium der 
Spermatogenese die Möglichkeit einer wahren Homologie dieser Teile des 
Cymbulia-Spermatozoon mit denselben anderer Tiere bieten. Pictets 
Arbeit (91) ist in dieser Hinsicht ganz veraltet. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 9217 


Kopf ist auf Fig. 1 etwas aufgerollt dargestellt; öfter aber werden 
Exemplare gefunden mit regelmässiger gewundenen Umgängen, 
die oft so enge gewunden sind, dass sie das Aussehen einer 
ganzen Reihe von Ringen bieten, die auf eine gerade Achse auf- 
gereiht wurden. In dem im Ei eingedrungenen Spermatozoon 
(Fig. 3) wird die Zahl der Windungsumgänge viel kleiner und 
der vordere Teil des Spermatozoons bedeutend dicker. Sich auf 
diese Art fortbewegend, rollt das Spermatozoon im Innern des 
Eies seinen Kopf auf und verdickt ihn. Diese Bewegung erfolgt, 
wie es scheint, nicht auf irgend einem bestimmten Wege, zur 
Zeit der frühen Prophase, da in diesem Stadium das Spermatozoon 
oft auch weit vom Kern im Dotter und neben dem Kern in einer 
kleinen Zytoplasmaparzelle gefunden wird, die frei von grob- 
körnigem Dotter ist. Wenn wir aber die folgenden Stadien zum 
Vergleich heranziehen, können wir voraussetzen, dass das Sper- 
matozoon, wenn es einmal an eine von grobkörnigem Dotter freie 
Stelle geraten ist (Fig. 2 und Textfig. 1), sich nicht von neuem 
in das grobkörnige Dotter begibt. 

IV. Die Eihülle. 

Das allgemeine Bild der frühen Prophase weist darauf hin, 
dass zu dieser Zeit eine energische Umbildung in den Elementen 
des Eies stattfindet, da 

l. der Kern stark runzelig geworden ; 

2. an zwei Stellen die Hülle des Kernes geschwunden ist; 

3. an diesen Stellen, gerade auf der Fortsetzungslinie der 
Kernhülle die Zentrosomen erschienen sind; 

4. um diese eine fast wie das Zytoplasma gefärbte Sphäre zu 
sehen ist, die sternförmig in das Innere des Kernes eindringt; 

5. von ihr ins Innere des Kernes schwache Strahlen führen ; 

6. diese Strahlen einen Teil des Achromatinnetzes umfassen, 
das sich zu Spindelfasern umbildet, die in der Nähe einer 
die beiden Zentrosomen verbindenden geraden Linie liegen. 
Der grössere Teil des Achromatinnetzes ist aber noch 
unberührt; 

7. eine Reihe dunkler Körper, die am Achromatinnetze des 
Kernes sichtbar sind und die wahrscheinlich auch zur 
Bildung der Spindelfasern beiträgt, da diese Körperchen 
dort, wo mehr Strahlen sind, in geringerer Zahl vor- 
handen sind; 


922 A. Nekrassoff: 


8. einige von den Chromosomen häufen sich um die Sphären 
in Halbkreisen an, die anderen geraten allmählich in die 
Äquatorialebene der sich neu bildenden Spindel; 

9. das Feld des dotterfreien Zytoplasmas beginnt sich um 
den Kern zu bilden. 

Die Zentrosomen sind die Zentren dieser Umbildungsprozesse. 
Zuerst bildet sich um dieselben die Sphäre, später die Strahlung. 
Da die Zentrosomen, wie oben erwähnt, sich auf der durch- 
brochenen Linie der Kernhülle an der Grenze des Kernes und 
des Zytoplasma befinden, so ist die Teilnahme. der Elemente 
beider an der Entstehung der Strahlung sehr wahrscheinlich. !) 
Bei Cymbulia peronii spricht dafür indirekt gleichfalls auch: 
1. die Zusammenschrumpfung des Kernes, was in dieser Phase 
auch bei vielen anderen Tieren beobachtet wurde und 2. die 
ringförmige Anordnung der Chromosomen im Innern des Kernes 
um die Sphären. 

Beide Tatsachen können als Symptome der Teilnahme der 
Kernelemente an der Bildung der strahligen Produkte angesehen 
werden: die erste — als Resultat des Verbrauchs des Kernsaftes 
und der Störung in der Osmose des Kernes; die zweite — als 
irgend eine Bewegung zu den Zentren der Strahlenbildung der 
Kernkongredienten. ?) 

Die späte Prophase. Dieses Stadium entspricht dem 
Moment der Eiablage, wo die Eier beim Verlassen der Geschlechts- 
wege Kugelform annehmen. Es wird durch ein rasches Wachsen 
der Strahlen charakterisiert, welche nach allen Seiten sich ver- 


!) Ferner sage ich im allgemeinen Teil meiner Arbeit, dass die Ent- 
stehung der Strahlen mit deren Zentren in der nächsten Nähe des Keimbläschens 
eine im Tierreich sehr verbreitete Tatsache ist. 

2) Es ist interessant, diese Beobachtungen mit den Daten der Münchener 
Schule R. Hertwigs in der Frage über den Ursprung der Chromidien zu 
vergleichen. Die Chromatinschleifen häufen sich im Innern des Kerns an 
dem Teile seiner Hülle an, wo in unmittelbarer Nähe der letzteren im Zyto- 
plasma die Chromidien auftreten. Goldschmidt und Popoff erblicken 
darin eine Ähnlichkeit in der Bildung der Chromidien in den Oogonien von 
Paludina und Helix und derjenigen des spongiösen Zentrosoms bei 
Actinosphaerium (vergl. Popoff [07], Goldschmidt und Popoff [07] 
und R. Hertwig [99]). Auf diese Weise wird in diesen Fällen das Auftreten 
der neuen nicht stabilen Elemente im Zytoplasma unmittelbar neben dem 
Kern von einer Bewegung der Chromatinelemente zur Hülle des Kernes hin 
begleitet. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 923 


breiten, die Zone des grobkörnigen Dotters erreichen und, in das 
Innere des Kernes eindringend, im Zentrum mit den Strahlen 
der entgegengesetzten Seite sich zu einer Spindel vereinigen. 

Das Lininnetz des Kernes verschwindet fast ganz, indem es 
wahrscheinlich am Aufbau der Spindel teilnimmt. Die dunklen 
Körperchen an demselben bleiben nur an den von der Achse der 
Spindel entferntesten Stellen übrig. Ob sie sich in der Zwischen- 
substanz der Fasern auflösen oder eine Umwandlung der Granulae 
in die Fadensubstanz stattfindet, wie Conklin (02) meint, ist 
schwer zu entscheiden. Eines kann ausser allen Zweifel gestellt 
werden, dass nämlich die allmähliche Vernichtung der 
Granulae'!) mit der allmählichen Entwicklung der 
strahligen Bildungen im Innern des Kernes im Zu- 
sammenhang steht (Fig. 2 und 4). 

Der Kernsaft bleibt deutlich erkennbar hell, besonders an 
den von der Spindelachse entfernteren Stellen. Einige Ver- 
dunklungen desselben im Gebiet der sich bildenden Spindel (Fig. 6) 
müssen vielleicht durch die Dichtigkeit der Strahlen erklärt werden, 
die hier den Kern durchziehen. Der Nukleolus verkleinert sich 
merklich. 

Die Chromosomen streben sich in Form einer Äquatorial- 
scheibe anzuordnen. In dieser Periode, wo sowohl die frühere 
Verteilung des Achromatinnetzes, wie die neue der Spindelfasern 
wirken, sind die Formen der Chromosomen besonders mannigfaltig. 

Das dotterfreie Zytoplasma fährt in dieser Zeit fort, sich 
um die Zentrosomen anzuhäufen, während der grobkörnige Dotter 


') Kr. Bonnevie (05) zeichnet auf seinem Schema (Fig. 18) solche 
Körnchen, die ihrer Lage nach den Körnchen jenes Teils des Kernes auf 
meiner Fig. 4 entsprechen, wohin die Polstrahlen noch nicht gedrungen sind. 
Man muss bemerken, dass diese Körnchen später verschwinden als die Kern- 
membran und dann wird die Übereinstimmung des Bildes mit dem Schema 
von Bonnevie noch grösser. Bonnevie versichert, dass diese Körnchen 
sich in beiden Tochterzellen verteilen, wo sie auch resorbiert werden. Sie 
bemüht sich eine Parallele zwischen solchen Bildern der Chromatinkörnchen 
bei Enteroxenos und den eigentümlichen Funden Giardinas (01) bei 
Dytiscus zu ziehen. (Siehe auch Bonnevies spätere Arbeit [06], Seite 351 
und weiter.) Bei Öymbulia lösen sich diese Körnchen alle — falls ich die 
Parallele mit den Körnchen von Enteroxenos richtig ziehe — im Stadium 
der Metaphase auf. Zu Ende dieses Stadiums gibt es gar keine Körnchen 
mehr. Die später erscheinenden Körnchen sind anderen Ursprungs, besonders 
die in den Tochterzellen. 


924 A. Nekrassoff: 


sich weiter an die Peripherie begibt, der feinkörnige Dotter sich 
zwischen diesen zwei Zonen lagert, indem er, soweit dieses möglich 
ist, in den Zwischenraum zwischen den Strahlen eindringt. 

Mit einem Wort greift der Prozess der zentripetalen Be- 
wegung der einen Elemente der Eizelle, und der zentrifugalen 
der andern, von einer Umformung desselben begleitet, weiter und 
weiter um sich, immer grössere Partien der Eizelle umfassend. 

Ausserdem bewegt sich gleichzeitig die ganze karyokinetische 
Figur mit dem sich umbildenden Kern zur Peripherie hin. Der 
Beginn dieser Bewegung findet gleichzeitig (weshalb ist unbekannt) 
mit: a) der Eiablage im Seewasser!) und b) mit. der Veränderung 
der polygonalen Form des Eies in eine Kugel statt. 

Die Polstrahlen, die vom äusseren Zentrosom zur Eihülle 
gehen, erreichen letztere. Hierbei rückt der Dotter vom Pol 
seitwärts ab und die Eihülle wird etwas ausgestülpt, wie wenn 
es vom Drucke der Strahlen bewirkt würde. 

Der Spermakopf fährt fort, sich auseinander zu rollen, zu 
verkürzen und zu verdicken?) (Fig. 6). 

Die Metaphase (Fig. 7, 8 und 9). Dieses Stadium wird 
durch folgende Eigentümlichkeiten charakterisiert: 

Die Zentrosomen sind in Gestalt regelmässiger, rundlicher 
Körper mit einer Zentriole?) im Innern eines jeden wieder gut 
sichtbar. Die Entfernung zwischen ihnen erreicht ihr Maximum ®). 
Die Länge der Strahlen erreicht ebenfalls ihr Maximum. Dabei 
verengt sich die Spindel, welche vollständig ausgebildet ist, 
ein wenig. 

Vom Lininnetz, den dunklen Körperchen an demselben und 
der Hülle des Kerns bleibt keine Spur mehr. Der Nukleolus 

!) Vergleiche Foot und Strobell (05). 

?) Diese Phase, die dem Moment der Eiablage entspricht, beobachtete 
Fol (75). Er stellte fest, dass in derselben das Keimbläschen im lebenden 
Ei fehlt (d.h. unsichtbar ist) und unterschied im Ei eine protoplasmatische 
und eine Nährsubstanz. Zwischen ihnen bemerkte er eine Schicht von kleinen 
lichtbrechenden Körperchen. Fol sah ebenfalls zwei Sterne — einen peripheren 
und einen zentralen. 

3) Zuweilen, wenn auch selten, besteht ein gewisser Unterschied in 
der Grösse der Zentriolen. Die Zentriole des äusseren Zentrosoms ist zuweilen 
kleiner als die des inneren (Fig. 6 und 7). 

#) Bei der Vergleichung der Grösse der Kerne und Spindeln nach den 
Tafelabbildungen muss-man auf die verschiedene Vergrösserung aufmerksam 
sein (s. 8. 995). 


Das Ei von Öymbulia Peronii. 925 


wird ebenfalls sehr schnell kleiner, befindet sich, wenn die Kern- 
membran gänzlich schwindet, in Gestalt eines stark verkleinerten, 
mit scharfen Umrissen versehenen Körperchens, das vollkommen 
rund ist und oft in seinem Innern kleine Vakuolen am Äquator 
der Spindel (Fig. 7, Textfig. 7) aufweist und schliesslich gleich- 
mässig hinschmilzt. Sein Platz am Äquator ist sehr typisch für 
das Stadium der Metaphase.. Zum Ende dieses Stadiums löst er 
sich gänzlich im Zytoplasma auf. 

Der Kernsaft ist im Gebiet der Spindel weniger hell, da- 
gegen sind aber die Zentrosomen von einem hellen Felde um- 
geben, den hellen Sphären, innerhalb deren sich die Strahlen 
verlieren. 

Die Chromosomen bilden die Äquatorialplatte, indem sie 
sich in der Richtung der Spindelfasern lagern. 

Die Verteilung des dotterfreien Zytoplasma und des fein- 
und grobkörnigen Dotters in Zonen erreicht sein Ende. 

Auf diese Weise erreicht der Prozess, der zur Bildung der 
karyokinetischen Figur führte, seinen Höhepunkt — statt des 
Lininnetzes mit den dunklen Körperchen, der Kernmembran und 
dem Nukleolus, die vollkommen verschwunden sind, haben sich 
vollständig neue Elemente gebildet: die Zentrosphären mit ihren 
Bestandteilen und die Spindel. Gleichzeitig hören die Bewegungen, 
deren oben erwähnt wurde und die diese Umbildungen begleiteten, 
auf — es tritt ein relatives Gleichgewichtsstadium ein. Das 
Stadium der Metaphase hält ohne bemerkbare Veränderungen 
über eine Stunde an, wobei der ganze Prozess der Reifungs- 
teilungen und Befruchtung bis zum Beginn der Furcehung nicht 
länger als drei Stunden dauert. Eine so langandauernde Periode 
dieser Phase wurde mehrmals an vielen andern Objekten beobachtet. 
Man hätte dieses Stadium offenbar mit vollem Recht ais das 
„Ruhestadium“ bezeichnen können, und zwar mit mehr Recht, als 
jenes Stadium, das gewöhnlich so benannt wird. Drüner (95) 
nennt die Metaphase „Stadium der Vergrösserung der inneren 
Spannung“ „in erster Linie dadurch, dass die Verbindungsfasern 
zwischen Polen und Chromosomen, die Mantelfasern, sich immer 
stärker anspannen“. Es wäre am richtigsten, die Metaphase als 
Stadium des „relativen Gleichgewichts“ der Zellelemente zu be- 
zeichnen. So wäre der zu starke Ausdruck „Ruhestadium“ ver- 
mieden und eine solche Bezeichnung würde die Ursache dieses 


926 A. Nekrassoff: 


Gleichgewichts nicht ausschliesslich im Zustand der Spindel- 
fasern suchen. 

Der Kopf des Spermatozoon verkürzt sich während der 
Metaphase und schwillt noch mehr an. 


Fig. 1. 


Die frühe Prophase der ersten Reifungsspindel. 
Schnitt etwa x 500. S. — Spermakopf. 


Seine korkenzieherförmige 


Gestalt (Fig. 2 und 4) 
verschwindet und wird 
durch eine Gurken- oder 
Birnenform ersetzt. Der 
Schwanz schwillt eben- 
falls an, d.h. er wird 
etwas dicker und ver- 
liert seine scharf aus- 
geprägten Umrisse. In 
der frühen Prophase, 
wo die Polstrahlen noch 
sehr klein sind, ist der 
Spermakopf den Zentro- 
somen oft mehr genähert 
(Textfig. 1) als später- 
hin. Mit dem Aus- 
wachsen der Strahlen 


wird das Spermatozoon in die Zone des feinkörnigen Dotters, 
zwischen dem grobkörnigen Dotter und der karyokinetischen 
Figur, gestossen. Ich habe nicht bemerkt, dass das Spermatozoon 
irgend einen Einfluss auf den karyokinetischen Prozess im Ei 


ausgeübt hätte. Im Gegenteil 
bestimmt der letztere das 
Feld, in dem sich das Sper- 
matozoon bis zur Verwand- 
lung seines Kopfes in den Kern 
bewegt. Fig. 2, 4, 6 und 7 
und Textfig.2, 3 und 4 zeigen 
dieses Feld — die Zone des 
feinkörnigen Dotters. In dieser 
Zone kann das Spermatozoon 
sich sowohl ganz an der Peri- 
pherie des Eies, wie auch 
an einem von derselben ent- 
fernteren Platze befinden. 


Fig. 2. 
Die spätere Prophase der ersten 
Reifungsspindel. Schnitt etwa x 500. 
S. —= Spermakopf. 


. r . .. avi 
Das Ei von Cymbulia Peronii. 927 


Textfig. 4 zeigt den Schnitt, der durch die Zone des feinkörnigen 
Dotters und durch den grobkörnigen Dotter geht. In der ersten 
Zone befindet sich der Kopf des Spermatozoon mit dem von ihm 
abzehenden Schwanz; Schnittteile des Schwanzes liegen ebenfalls in 


dieser Zone; der Schwanz 
zieht sich hinter dem Kopf 
her und kann eine sehr 
gebogene (aber nicht fein- 
wellenförmige) Linie (wie 
das nach der Abtrennung 
des Kopfes vom Schwanze 
stattfindet) bilden. 
Zuweilen bemerkt man den 
Schwanz auf den Schnitten 
mitten im grobkörnigen 
Dotter, wo das Sperma- 
tozoon wahrscheinlich nach 
dem Eindringen ins Ei 
hindurchging. 


Fig. 3. 


Metaphase der ersten Reifungsspindel. 
Schnitt etwa x 500. S. = Spermakopf. 


Von den Details der Metaphase verdienen unsere Aufmerk- 
samkeit folgende drei Erscheinungen: 1. die Herkunft der Mantel- 
fasern, 2. ihre Beziehung zu den Chromosomen, d.h. die Abhängigkeit 
der Form der letzteren von der Anheftung an die Fasern, 3. die 
Prozesse, welche zu der Zeit an den Polen des Eies stattfinden. 


Fig. 4. 

Spermatozoon in der Zone des feinkörnigen 
Dotters. Schnitt etwa x 500. S. = Sperma- 
kopf; Schw. —= abgeschnittene Teile des 
Schwanzes. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 


In der vollkommen 
ausgebildeten Spindel von 
Cymbulia kann man 
diekere Fasern unter- 
scheiden, die zu den Chro- 
mosomen hinziehen (man 

könnte diese Fasern 
„Mantelfasern*“ nennen) 
und dünnere Fäden der 
Zentralspindel. Der Aus- 
druck Mantelfasern wird 
von mir jedoch nach Ana- 
logie mit anderen Objekten 
gebraucht; er begreift hier 
nicht alle dieEigenschaften, 
60 


928 A. Nekrassoff: 


die ihm gewöhnlich zugeschrieben werden, in sich. Wie gebräuch- 
lich, deutet er auf die Eigenschaft der Fasern bezüglich Art, Bau 
und Funktion. Das topographische Merkmal dieser Fasern ist — 
ihre Lage an der Peripherie der Spindel; das morphologische — 
ihre Dieke, und das physiologische — die Anziehung der Chromo- 
somen zu den Polen einerseits, andererseits die Gewährung einer 
Stütze an die Chromosomen, an denen entlang sie, wie auf Bahn- 
schienen, sich zu den Polen hin bewegen. Bei Cymbulia ist 
dieser Unterschied kein strenger: bezüglich der Dicke gibt es 
offenbar Übergänge zwischen den Mantelfasern und anderen 
Fäden. Die Chromosomen sind bei weitem nicht alle an der 
Peripherie der Spindel gelegen, daher können auch die zu ihnen 
hinziehenden dicken Fasern sich nicht an der Peripherie befinden. 
Daher nenne ich hier „Mantelfasern“ die dickeren Spindelfasern, 
an denen die Chromosomen sitzen. 

Geht man von der Voraussetzung aus, dass die Strahlen 
zentrifugal wachsen und von der sicheren Tatsache, dass die 
Chromosomen in der Prophase näher zum Zentrum der Strahlen 
liegen, in der Metaphase aber der Abstand zwischen ihnen und 
den Zentrosomen sich stark vergrössert, so kann man zu der 
Hypothese gelangen, dass die Rolle der Chromosomen in der 
Bildung der Mantelfasern fast dieselbe ist, wie die des Winkel- 
ried in der Schlacht bei Sempach, d. h. dass sie ein grosses 
Strahlenbündel ergreifen, von deren jedes auf sie gerichtet ist, 
und dieses mit sich ziehend, ihm nicht gestatten, auf einen 
grösseren Raum einzuwirken. Die schematische Zeichnung gibt 
am besten eine Vorstellung von diesem Vorgange. Auf der 
Zeichnung Textfig. 5, I ist ein Bündel noch kurzer Strahlen A 
und ein Bündel Strahlen B im Stadium der Prophase abgebildet. 
Das Strahlenbündel A trifft auf seinem Wege auf das Chromo- 
som und heftet sich auf die eine oder andere Weise an dasselbe 
an oder reisst es mit sich. Das Bündel B bewegt sich frei. Die 
Strahlen fahren bis zum Ende der Metaphase fort zu wachsen. 
Das erste Faserbündel A kann nicht auseinandergehen; das 
Chromosom drückt die Strahlen zusammen, wie Winkelried die 
Lanzen (siehe Textfig. 5, I). In der ersten Reifungsspindel 
stellten sich die Chromosomen in der Metaphase ihrer Längsachse 
nach zur Achse der Spindel, und dieser Umstand muss die Fasern 
eines solchen Bündels noch mehr einander nähern. Sie können 


Das Ei von Üymbulia Peronii. 929 
Y 


sogar miteinander verschmelzen und so die Mantelfasern bilden. 
Das zweite Bündel B, das durch nichts aufgehalten wird, kann 
bis zur Äquatorialscheibe vordringen, ohne den Winkel zwischen 
den einzelnen Strahlen zu ändern. Diese letzteren werden dann 
zu den übrigen Fäden der Spindel. 

Ich sehe diese Hypothese nur als eine der möglichen Voraus- 
setzungen an, aber es kann sein, dass man hier eine molekulare 
Anziehung annehmen muss, die zweifellos zwischen der Strahlen- 
substanz und den Chromo- 
somen existiert!). Wenn man et zu B 2 
den Prozess der Strahlen- % Fe ? 
bildungmit demNiederschlage 
einer neuen Substanz aus einer 
Lösung vergleicht, so kann I‘ 278 
man voraussetzen, dassinfolge 9 an, 
molekularer Anziehung zu den Re 
Chromosomen hin Strahlen HR 
besonders schnell und dicht v 
längs den Linien von ihrem 
Bildungszentrum (dem Zen- 
trosom) zu den Chromosomen 
„auskrystallisieren“ (vgl. Gurwitsch [04]). Es ist möglich, dass 
dies auch die Ursache dessen ist, dass nicht selten die Strahlen, 
die von den Zentrosomen zu den Chromosomen gehen, länger 
sind, als die Fäden, welche beide Zentrosomen verbinden. (Siehe 
z. B. die Bildung der zweiten Reifungsspindel bei Enteroxenos 
nach Kr. Bonnevie [06].) 

In meiner vorläufigen Mitteilung sprach ich die Vermutung 
aus, die vielen anderen ähnlichen Voraussetzungen für andere 
Objekte analog ist (vergl. z.B. Schockaert [02], Jannssens 


Big. 5. 
Schema der Bildung der Mantelfasern. 
Erklärung im Text. 


!, Wenn wir das Schicksal der Zellelemente und die Wechselbeziehungen 
derselben untereinander aufmerksam verfolgen, können wir uns überzeugen, 
dass einige von ihnen die Eigenschaft einer gewissen Kohärenz oder gegen- 
seitigen Anziehung besitzen, andere aber nicht. So besitzen diese Eigenschaft 
die Strahlen und Chromosomen, die Strahlen und die Kernmembran; der 
Nukleolus und der Dotter werden aber von den Strahlen nicht angezogen; 
der Dotter entfernt sich von den Strahlen und der Nukleolus wird aus der 
karyokinetischen Figur ausgestossen und löst sich im Zytoplasma auf. Die 
einander begegnenden Strahlenbündel fliessen in ununterbrochene Ströme 
zusammen, die von einem Zentrosom zum anderen gehen. 

60* 


330 A. Nekrassoff: 


und Erlington |03|) — dass nämlich die Form der Chromo- 
somen der Metaphase und Prophase !) von der Art der Anheftung 
derselben an die Achromatinfäden und Spindelfasern abhängt. 
Unlängst erhob sich V. Häcker (07) gegen eine solche An- 
schauung, teilweise deshalb, weil einige typische Figuren der 
Metaphase, z. B. die Kreuzfiguren, in der Diakinese, in welcher 
noch keine Spindelfasern existieren, beobachtet wurden, teilweise 
aus Gründen, welche gegen die Richtigkeit der „Kontraktions- 
hypothese“ im ganzen angeführt werden können. Ich bin voll- 
ständig mit V. Häcker in bezug auf die Notwendigkeit einer 
weniger groben und mehr physiologischen Beobachtungsmethode 
einverstanden. Ich stimme gleichfalls dafür, dass die Formver- 
änderungen und die Bewegungen der Chromosomen „auf ein 
Wechselspiel von Attraktionen und Repulsionen einerseits zwischen 
den Chromosomen untereinander, andererseits zwischen den Chromo- 
somen und den Polen zurückzuführen sind“. Aber ausser diesem 
Wechselspiel von Attraktionen und Repulsionen existiert gleich- 
zeitig noch die Auflösung einiger Elemente und die Bildung 
anderer, z. B. der Spindelfasern. Unstreitig existiert zwischen 
diesen Fasern und den Chromosomen eine molekulare Anziehung; 
ferner ist es zweifellos, dass die Chromosomen der Metaphase 
sich nur an bestimmten Teilen an den Mantelfasern befestigen ; 
endlich unterliegt es keinem Zweifel, dass auch bei ihrer ferneren 
Bewegung zu den Polen (siehe weiter unten) die Chromosomen 
sich den Mantelfasern entlang wie auf Bahnschienen bewegen, 
wenn sich diese Schienen auch hinter denselben verändern. Ich 
bin, mit einem Wort, der Ansicht, dass ausser der Wirkung der 
Attraktions- und Repulsionskräfte, als ein wichtiger, die Gestalt 
und Bewegung der Chromosomen bestimmender Faktor auch das 
Verhalten der letzteren zu den Achromatinelementen und den 
Mantelfasern in Betracht kommt. Es ist gewiss, dass ausser 
diesem Faktor auch noch andere einwirken. 

Die Form der Chromosomen der Metaphase hängt z. B. auch 
von dem Orte in der Äquatorialplatte selbst, den das Chromosom 
einnimmt, d. h. von der grösseren oder geringeren Nähe des- 
selben zur Spindelperipherie ab. Nicht alle Chromosomen der 
Äquatorialplatte befinden sich in gleicher Entfernung von der 

1) Ich beschreibe hier nicht die verschiedenen Formen der Chromosomen, 
da ihre Beschreibung schon in meiner Arbeit (03) gegeben ist. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 931 


Spindelachse. Diejenigen, welche besonders weit von der Achse 
entfernt sind (d. h. die äussersten an den Schnitten) besitzen 
einen Haken, welcher besonders charakteristisch zur entgegen- 
gesetzten Seite der Spindelachse gebogen ist (Fig. 7, S, Textfig. 6). 
Solche Chromosomen sind fast immer L-förmig. 

Der Unterschied der Form der Chromosomen der Metaphase 
hängt ebenfalls davon ab, dass beide Zweige nicht bei allen 
Chromosomen gleichzeitig auseinander treten. (Vergl. Fick [05] 
S. 193 und Häcker 
[07] S. 44.) 


| \ı 
Die Zahl der | | N 
Ohromosomen ist 16. 
Sie zu zählen ist nicht 
schwer, da unter Ä ’ 


guten Beleuchtungs- 
bedingungen bei 


einer Vergrösserung Fig. 6. 
von 2000 jedes Chro- 16 Chromosomen der Metaphase, die einer 
mosom für sich deut- und derselben Spindel angehören. 


lich zu sehen ist. So 
zeigt Figur S einen 


Schnitt, auf dem man 
elf Chromosomen 
zählen kann (auf der 

Zeichnung nicht so \ 

deutlich, da die einen 

Uhromosomen über Fig. 7. 

den andern liegen), Idem. Ein etwas späteres Stadium. 
auf dem Nachbar- 

schnitt sind noch vier Chromosomen enthalten (Fig. 9) und auf 
dem nächsten noch eines — das sechzehnte. Manchesmal be- 
finden sich alle 16 Chromosomen auf ein und demselben Schnitt; 
z. B. auf den Textfig. 6 und 7 sind solche Chromosomen einzeln 
dargestellt, um die Form eines jeden besser betrachten zu können. 
Auf dem Präparat erscheinen sie oft eines hinter dem anderen 
(vergl. Fig. S). Die Chromosomen der Textfig. 7 gehören einem 
späteren Stadium, als diejenigen der Textfig. 6, an. Man kann 
sich davon dadurch überzeugen, dass die zwei Paar Tochter- 
chromosomen der Textfig. 7 (5 und 12 von links) schon aus- 


9323 A. Nekrassoff: 


einander getreten sind, zweitens dadurch, dass in den Knoten, 
welche die beiden Zweige der Chromosomen der Textfig. 6 
(vergl. 1, 3, 5, 8,.13, 14, 15 von links) verbinden, viel mehr 
Chromatin als in den Chromosomen der Textfig. 7 enthalten ist. 
Aus diesen Zeichnungen sieht man auch, dass die Chromosomen 
der Metaphase sich stark durch ihre Grösse unterscheiden: sie 
enthalten Mikro- und Makrochromosomen. Ich bin geneigter, diese 
Erscheirung für eine zeitliche, welche von der Verzögerung oder 
Beschleunigung bei der Umbildung der einzelnen Chromosomen 
abhängt, und nicht für den Ausdruck ihrer Individualität zu be- 
trachten. So ist die Anzahl der Mikrochromosomen auf der 
Textfig. 6 scheinbar grösser, als auf der Textfig. 7, wo das achte 
Chromosom von links ausserdem noch scheinbar nur die Hälfte 
des grossen Chromosoms bildet. Es wird bei der höchsten Lage 
der Mikrometerschraube sichtbar. 

Die Bewegung der ganzen karyokinetischen Figur zur 
Peripherie in der späteren Prophase, von welcher schon oben die 
Rede war, hört in der Metaphase auf. Die Ursache der Hemmung 
scheint in den Polstrahlen zu liegen, welche sich der Eihülle 
anschmiegen. Dieses ist daraus ersichtlich, dass die Hülle an 
dieser Stelle hervortritt. Ich wollte dieses anfangs dem Umstande 
zuschreiben, dass der Dotter bei der Fixation stärker zusammen- 
schrumpft, als das Zytoplasma und dass daher der Platz, der 
vom Dotter frei geworden, etwas aus der ganzen Masse des Eies 
heraustreten müsse. Aber ein Vergleich mit späteren Stadien 
und Beobachtungen an lebenden Eiern brachten mich zur 
Überzeugung, dass die Ursache der Ausbuchtung nicht in der 
Einwirkung der Reaktive zu suchen ist. So bleibt z. B. nach 
Ausstossung des ersten Richtungskörperchens, wenn diese Zone 
ebenfalls frei von Dotter ist, letztere auch nicht ausgebuchtet, 
sondern verflacht sich eher (vergl. Textfig. 10, S. 937). Dabei 
biegen sich die von dem äusseren Zentrosom ausgehenden Strahlen 
(zur Hülle des Eies) am Pol fontänenartig aus; an ihnen er- 
scheinen dunkle Körnchen, die in der Anaphase verschwinden. 
Die Ursache dieser Erscheinungen liegt, wie mir scheint, in dem 
Einfluss des dynamischen Zentrums, des äusseren Zentrosoms. 
Das Wirkungsgebiet des inneren Zentrums ist ein viel grösseres, 
als das des äusseren und muss dort das durch die Bildung der 
neuen Strahlensubstanz gestörte Gleichgewicht leichter und unbe- 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 933 


merkbarer wieder hergestellt werden, als um das periphere 
Zentrosom. Hier können schneller andere Verhältnisse der Sub- 
stanzenkonzentration und eine andere Dichtigkeit des Zytoplasma 
eintreten. Als sichtbarer Ausdruck dieser Veränderungen dienen: 
1. ein Niederschlag — die Körner an den Polstrahlen: 
2. die fontänenartige Umbiegung der Strahlen, welche 
vielleicht durch die Gesamtbewegung des Zytoplasma zur 
Region von anderer Dichtigkeit hervorgerufen ist. 

Ausserdem muss eine solche Annäherung des dynamischen 
Herdes an die Ei-Membran an der Veränderung ihrer Oberflächen- 
spannung kenntlich werden. 

Die frühe Anaphase (Fig. 10, 11). Als erstes merkbares 
Anzeichen der Störung des Gleichgewichts der Elemente der 
Metaphase erscheint die Abtrennung der Tochterchromosomen 
voneinander. In meiner vorläufigen Mitteilung (03) sprach ich 
mich dahin aus, dass diese Teilung der Chromosomen der ersten 
Reifungsspindel bei Öymbulia eine longitudinale ist. Gregoire 
(05) aber bemerkte ganz richtig, dass solange nicht die Ent- 
stehung beider Zweige der Chromosomen erforscht sei, man einen 
solchen Schluss nicht ziehen könne, dass meine Beobachtungen 
für eine solche Folgerung nicht genügen. 

Zwischen den getrennten Tochterchromosomen bleibt ein 
Teil der Spindelfasern von derselben Dicke, wie die übrigen 
Teile der Spindelfasern übrig, welche die Chromosomen mit den 
Sphären verbinden. (Diesen Zustand der Verbindungsfasern wollen 
wir hier als „erste“ bezeichnen.) 

(Gleichzeitig mit dem Auseinandertreten der Chromosomen 
wird ein Teil der Eihülle zum peripheren Zentrosom hin trichter- 
förmig eingestülpt. Das letztere hat oft zwei Zentriolen, während 
das innere nur eins aufweist. 

Danach verringert sich die Entfernung zwischen den 
Zentrosomen wieder, die Spindel verkürzt sich und verbreitert 
sich zu gleicher Zeit. Das periphere Zentrosom bewegt sich 
nach Abtrennung der Chromosomen zur Peripherie, wobei es 
sich zuweilen abflacht. Die Eihülle beginnt sich statt der Ein- 
stülpung in Form eines Höckers auszustülpen, an dessen Spitze 
das Zentrosom liegt. Auf Fig. 11, die diesem Stadium entspricht, 
ist die Spindel etwas in der perspektivischen Verkürzung sicht- 
bar, wodurch sich der Umstand erklärt, dass die Eihülle höher 


934 A. Nekrassoff: 


ist, alsder Höcker mit dem Zentrosom. Das innere Zentrosom bewegt 
sich ebenfalls zur Peripherie hin, doch schneller als das äussere, daher 
wird die Entfernung zwischen ihnen kleiner und die Spindel kürzer. 
Die hellen Zonen um die Zentrosomen werden noch grösser 
und im Gebiet der Spindel ist ein helles Feld schon garnicht 
mehr zu bemerken, vielleicht deshalb, weil dasselbe bei Annäherung 
der Zentrosomen ganz von den Spindelfasern verdunkelt wird.!) 
Noch früher erscheint auch der polare Teil des Eies unmittelbar 
über dem äusseren Zentrosom aufgehellt. Textfig. 8 gibt eine 
Vorstellung von einem solchen 
hellen Polkegel im Stadium 
der Metaphase der zweiten 
Reifungsspindel. Ebensolche 
Kegel trifft man auch bei 
der ersten Reifungsspindel 
(Eie. 10 Mal 
Die Verbindungsfasern 
erscheinen zwischen den schon 
bedeutend auseinander- 
getretenen Chromosomen sehr 
scharf, verdickt, leicht ge- 
bogen und scheinen fest 
Fig. 8. („zweiter“ Zustand der Ver- 
Metaphase der zweiten Reifungsspindel. bindungsfasern). Ausserhalb 
Pk.» heller 9: S. = Sperma- derselben, neben dem Äquator 
kopf; Schw. — Schwanz d. Spermatozoons. der Spindel, treten zu dieser 
Zeit Körnchen auf. 
Die Tochterchromosomen treten auseinander, verkürzen sich 
und einige von ihnen spalten sich sichtbar. 


Schi 


!) Gurwitsch (04) hält die „Aufhellung des karyokinetischen Feldes“ 
für eine charakteristische Eigenschaft jeder Karyokinese. Das Feld des so- 
genannten „ruhenden“ Kernes ist jedoch ebenfalls heller als das umgebende 
Zytoplasma. Der Umfang dieses hellen Gebietes, ob es nun vom Kerne oder 
von der karyokinetischen Figur eingenommen ist, ist zu verschiedenen Zeiten 
nicht gleichartig und die Intensität der Helligkeit ist in verschiedenen 
Momenten nicht dieselbe. Man kann aber nicht sagen, dass der Umfang des 
hellen Feldes oder die Intensität der Helligkeit während der Karyokinese ihr 
Maximum erreichten. 

Das „helle Feld“ ist unmittelbar erst mit dem Kerne und später mit 
der karyokinetischen Figur verbunden und bewegt sich mit derselben zur 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 935 


So wird also diese Phase dadurch charakterisiert, dass die 
Spindel bei der Trennung der Chromosomen sich immer zur 
Peripherie hin bewegt und da sie einem gewissen Widerstand in 
der Oberflächenspannung des Eies begegnet, sich in der Achsen- 
richtung abflacht. Das Resultat dieser Phase wird also 1. durch 
die Bewegung der auseinandergetretenen Chromosomen zu den 
Zentrosomen, 2. durch die Bewegung der Figur als Ganzes zur 
Peripherie und 3. durch die Hemmung dieser Bewegung durch 
die Oberflächenspannung des Eies bestimmt. 

Die spätere Anaphase (Fig. 12). Während derselben 
kann man die weitere Entwicklung derselben Bewegungen 
beobachten. 

Der Höcker, in welchen hinter dem peripheren Zentrosom 
die um letzteres gruppierten Chromosomen eindringen, wächst 
und tritt mehr und mehr über die Oberfläche des Kernes in 
Gestalt einer hellen Blase hinaus, welche somit einschliesst: 
1. das äussere Zentrosom; 2. einen Teil der von ihm ausgehenden 
Strahlen; 3. das „helle Feld“, welches das Zentrosom umgibt 
und 4. die Chromosomen. Das innere Zentrosom rückt noch 
näher zur Peripherie und die Entfernung zwischen den beiden 
Zentrosomen wird noch kleiner. Die Zentrosomen werden grösser, 
indem sie die für Boveris Zentrosomen typische Form annehmen 
und es lassen sich in ihnen deutlich eine oder zwei Zentriolen 
unterscheiden. Die innere Zentrosphäre gestattet im Stadium 
der Anaphase (auch der Metaphase) folgende Teile zu unter- 
scheiden: a) eine Zentriole; b) das dieselbe umgebende helle 
Zentroplasma „zone medullaire“; ce) ferner ringsherum eine vom 
Zentroplasma nicht abgegrenzte dunklere Zone „zone corticale“, 
und weiter d) eine hellere Sphärenzone, in der sich kaum 
bemerkbare Strahlen befinden, und endlich e) die äussere Strahlen- 
zone. Zum Ende der Anaphase ist ein unbedeutendes Wachstum 


Peripherie. Aber im Gegensatze zu den Zellen, wo die Spindel über die 
Polstrahlen dominiert, wie z. B. in den männlichen Geschlechtszellen des 
Salamanders und wo der Kernsaft nach der Auflösung der Kernmembran in 
Gestalt einer breiten hellen Zone übrig bleibt, in der die Spindel liegt, nach 
Drüners (9) Ausdruck „wie das Schaufelrad in der Kapsel eines Ventilators‘“, 
erscheinen bei Cymbulia mit ihrem gewaltigen Wachstum der Polstrahlen 
nicht nur die Spindel, sondern auch die Sphären, die Zentren der Strahlen- 
bildung, „aufgehellt“. Zur Zeit der Anaphase ist die Verteilung dieses hellen 
Feldes in den Zentrosphären noch deutlicher. 


936 A. Nekrassoff: 


des Zentrosoms mit der Vernichtung der dunkleren Schicht der 
Sphäre „zone corticale“, oder wenigstens mit der Verwandlung 
dieser Schicht in eine dünne Membran des Zentrosoms, das hier 
eine regelmässige Kugelgestalt annimmt, verbunden. Eine eben- 
solche Absonderung des peripheren Zentrosoms von der sie 
umgebenden Sphäre findet noch bei Beginn der Anaphase und 
sogar noch während der Metaphase statt. Diese Absonderung 
und der Wachstumsprozess des Zentrosoms stehen wahrscheinlich 
in ursächlichem Zusammenhange mit dem Kleinerwerden der 
Strahlung, welches gerade in diesem Stadium stattfindet. 

Die Spindel flacht sich noch mehr ab; die Fasern zwischen 
den auseinandergetretenen Chromosomen verlieren ihre Spannung, 
werden leicht gebogen, indem sie miteinander anastomosieren. 
An ihnen erscheinen grosse Körner und sie selbst werden stark 
verkürzt und dünner (dritter Zustand der Verbindungsfasern). 
Ich glaube, dass mit diesen Körnern ein Teil der die Fasern 
bildenden Substanz ausgeschieden wird. 

Die Chromosomen gruppieren sich noch näher um das 
Zentrosom und an vielen ist eine Längsspaltung bemerkbar. 

Das Spermatozoon erleidet im Stadium der Anaphase und 
im Laufe der ganzen folgenden Zeit, bis zu dem Moment, wo 
der Kopf sich in den männlichen Kern zu verwandeln beginnt, 
keine merklichen Veränderungen. Das Gebiet seines Aufenthalts 
bleibt dasselbe: die Zone des feinkörnigen Dotters. 

Die Telophase (Fig. 13). Beide Bewegungen, die zentri- 
petale Bewegung der Chromosomen zu den Zentrosomen hin und 
die Bewegung der Spindel zur Peripherie erreichen ihren Höhepunkt. 

Die Zentrosomen erreichen ihr Grössenmaximum; in ihnen 
können zwei (seltener eine) Zentriolen unterschieden werden. Um 
das innere Zentrosom bleibt die Sphäre sichtbar. Die Strahlen 
verkürzen sich noch mehr; an der Stelle ihres Zerfalls treten 
grosse Körner auf. Ihre Auflösung findet von der Peripherie 
zum Zentrum hin statt. Die Chromosomen mit den verkürzten 
Strahlen gruppieren sich dicht um das Zentrosom; sie verschmelzen 
jedoch niemals miteinander. Zuweilen trennen sich ihre Hälften 
vollkommen voneinander (Fig. 17). 

Die Ausstülpung des Höckers findet mit der Abschnürung der 
Eihülle und der vollständigen Abtrennung des Richtungskörpers, !) 


') Die Abschnürung des ersten Richtungskörpers fand Fol. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 937 


der ausser den oben aufgezählten Elementen noch die äussere 
Hälfte des hellen Feldes der Spindel und die äussere Hälfte 
der Spindelfasern enthält, ihren Abschluss. Die letzteren 
büssen, wie wir sahen, auf dem Wege einen Teil ihres Inhalts 
in Gestalt von Körnchen ein, während der Äquatorialteil den 
Zwischenkörper bildet. 

Somit nehme ich an, dass der Richtungskörper bei COymbulia 
keine Zelle ist, die dem Ei analog wäre, da das Plasma desselben 
nicht dem Zytoplasma der Eizelle entspricht. Die Fig. 13 (und 
Fig. 29 für den zweiten Richtungskörper) gewährt den Eindruck, 
als wenn nicht ein Bläschen mit Zytoplasma ausgeschieden würde, 


Fig. 10. 
Telophase der ersten Reifungs- 
spindel. Schnitt. Vergrösserung 
etwa 500. 


Fig. 9. 
Die Telophase der zweiten Reifungs- 
spindel. Vergrösserung etwa 500. 


welches die Chromosomen einschliesst, sondern die Hälfte der 
Spindel mit einem Bläschen des hellen Feldes. Es hat sich 
gleichsam die Hälfte des Kernes während der Karyokinese des- 
selben, der eine ganze Reihe von Veränderungen erlitten hat, 
ausgeschieden. Textfig. 9 und 10 und Fig. 13 heben noch mehr 
hervor, dass fast der ganze, wenn nicht wirklich der ganze 
Richtungskörper der Hälfte der Spindel der Telophase mit dem 
in derselben befindlichen hellen Felde entspricht. 

Die Chromosomen, welche in den Richtungskörper ein- 
dringen, erleiden dort ein anderes Schicksal als ihre Schwester- 
chromosomen in der Eizelle, vielleicht ebenfalls in Abhängigkeit 
davon, dass das Plasma des Richtungskörpers eine andere Zusammen- 


958 A. Nekrassoff: 


setzung als das Zytoplasma hat. Sie hören auf, sich intensiv 
mit Eisenhämatoxylin H. zu färben, und fliessen in eine formlose 
rundliche Masse zusammen, in welcher sich nur schwer irgend 
eine Differenzierung beobachten lässt. 


Die Spindelfasern, welche noch die in den Richtungskörper 
eingetretene Chromatinmasse mit den im Ei zurückgebliebenen 
Chromosomen verbinden, schnüren sich in der Mitte ab, so dass 
die ganze Spindel eine hantelförmige Gestalt annimmt. Diese 
dünnen biegsamen Fasern („vierter“ Zustand der Verbindungs- 
fasern) zerfallen nicht in Körner. An der Verengungsstelle 
bilden sie zusammenklebend den Zwischenkörper („fünfter“ Zu- 
stand der Verbindungsfasern). 


Nach der Abschnürung des Richtungskörpers setzt sich 
seine Bewegung noch infolge des Beharrungsvermögens ein wenig 
fort und der unter dem Zwischen- 
körper befindliche Teil des Eies 
wird oft zu einem Höcker aus- 
gezogen (Textfig. 11). Übrigens 
wird dieser Höcker bald durch 
die Oberflächenspannung des Eies 
ausgeglichen, die oft an der Stelle 
der Ausstossung des Richtungs- 
körpers die Krümmung verringert, 
d.h. die Oberfläche des Eies ab- 
flacht (Textfig. 10). 


In einem Falle konnte ich be- 

Fig.+11: obachten, dass die Spindel (zweite 

Telophase der ersten Reifungs Rejfungsspindel) aus irgend einem 
spindel. Schnitt. Vergrösserung __ Sa = 

etwa 500. Grunde in ihrer späteren Anaphase 

die Oberflächenspannung der Mem- 

bran nicht überwinden konnte und im Innern des Eies ihre fast 

tangentiale Lage beibehielt. Die Zentriolen, besonders die des 

inneren Zentrosoms, beginnen schon merklich auseinander zu 

treten (Textfig. 12). Die Ursache der Anomalie ist ungewiss. 


Durch das Abrücken der ganzen Spindel zur Peripherie und 
die Verkürzung der Strahlen wird im Zentrum des Eies ein Raum 
frei, der jetzt von Zytoplasma und dem unordentlich zerstreuten 
feinkörnigen Dotter ausgefüllt wird. (Die einzelnen Körnchen 


” r . .. [2 
Das Ei von Cymbulia Peronii. 95° 
y 


des feinkörnigen Dotters verlieren hier gewöhnlich ihre typische 
runde Gestalt.) 

Wie in der Metaphase sehen wir auch in der Telophase 
einige Prozesse sich vollenden. Während wir in der Metaphase 
jedoch das völlige Verschwinden der einen Elemente und die 
grösste Entwicklung der anderen beobachten, werden in der Telo- 
phase der ersten Spindel nicht alle im vorhergehenden Stadium, 
in der Anaphase, verkleinerten Elemente vernichtet. Die Spindel 
und die Strahlen des inneren Zentrosoms bleiben noch — die 
erstere in Gestalt des Zwischenkörpers — die letzteren sich ver- 
kürzend und zum Teil zerfallend, bestehen. Ihre vollständige 
Vernichtung wird später beobachtet, wenn der neue Prozess be- 
gonnen hat. 


Fig. 12. 
Das Auseinandertreten der Zentrosomen der zweiten Reifungsspindel 
vor Ausstossung des zweiten Richtungskörpers. Kombinierte Zeichnung 
zweier aufeinanderfolgender Schnitte. Vergrösserung 1050. 


Die Prophase der zweiten Reifungsspindel (Fig. 14, 
15 und 16). Der Beginn dieses neuen Prozesses kann im Gebiet 
des im Innern des Eies zurückgebliebenen Zentrosoms beobachtet 
werden. Die Zentriolen im Innern des Zentrosoms treten aus- 
einander; das Zentroplasma löst sich im hellen, jetzt schon ovalen 
Felde, welches das Zentrosom umgab, auf und man kann in ihm 
keinerlei bestimmte Zentrodesmose zwischen den beiden Zentriolen 
unterscheiden. Die letzteren nehmen an Umfang zu, um sie 
herum kondensiert sich neues Zentroplasma und sie werden so 
zu neuen Zentrosomen. Das helle Feld vergrössert sich um die 
Zentrosomen und schiebt die Chromosomen zusammen mit den 


940 A. Nekrassoff: 


ihnen fest anhaftenden Resten der alten Strahlen beiseite, sodass 
die Chromosomen sich perpendikulär zur Linie, welche sie mit 
dem Zentrum des Feldes verbindet, stellen. 

In der Prophase der zweiten Reifungsspindel verändern sich 
die Chromosomen ein wenig. Die Längsspaltung beibehaltend, 
färben sie sich nicht durchgehend schwarz. Ihr peripherer Teil 
ist blasser gefärbt, ihre Umrisse zerfliessen gleichsam; schwarz 
färbt sich nur die Achse jeder Chromosomenhältfte (Fig. 15 und 18). 
Man kann dieses, wie mir scheint, nicht als Symptome einer be- 
ginnenden Aufquellung. d.h. als Anfang jenes hier ausfallenden 
Stadiums, ansehen (eine solche Aufquellung des Chromosoms in 
der Telophase der ersten Spindel wurde an einigen Objekten 
wahrgenommen (vergl. z. B. Schockaert [02], Miss Foot und 
Strobell [05] und viele andere) —, sondern als ein Zeichen des 
Einflusses anderer Veränderungen, die zu dieser Zeit im Medium 
vor sich gehen, in dem die Chromosomen liegen. Das Anquellen 
der Chromosomen in der Telophase der zweiten Reifungsspindel 
geht, wie wir weiter zeigen werden, anders vor sich als hier. 

Die alten Strahlen, die dem hellen Felde zugerichtet sind, 
werden schnell resorbiert, indem sie in grosse Körner zerfallen, 
die Guirlanden bilden, zwischen denen das Enchylem oft grosse 
Lücken bildet, grössere, als man im übrigen Zytoplasma beobachten 
kann. Von jedem neuen Zentrosom beginnen neue Strahlen aus- 
zuwachsen. Der Moment, in dem die Zentriolen im Richtungs- 
körper auseinander zu treten beginnen, entspricht einem eben- 
solchen Moment des inneren Zentrosoms. Das Auseinandertreten 
dieser Zentriolen geht mit einer weit geringeren Intensität (Fig. 15) 
vor sich als bei den Eizentriolen. 

Ferner (Fig. 18) werden folgende Erscheinungen beobachtet: 
zwischen den auseinandertretenden Zentrosomen bildet sich die 
Spindel; die Strahlen wachsen schneller, als die Zentrosomen sich 
voneinander entfernen. Die grossen Körner, die Reste der früheren 
Strahlen, werden resorbiert, indem sie wahrscheinlich durch die 
neuen Strahlen aufgesogen werden. Ein Teil der Körner bleibt 
noch in geringer Zahl in der Nähe der Eiperipherie erhalten, wie 
bei der ersten Reifungsspindel, und die Strahlen, an denen die 
Chromosomen befestigt sind, werden ein wenig dicker. 

Die Chromosomen ordnen sich, wie in der Prophase der 
ersten Reifungsspindel, indem sie in die Wirkungssphäre der 


Das Ei von Cymbulia Peronii. J41 


Strahlen geraten, zu einer Äquatorialplatte an. Die Spindel, die 
anfangs immer tangential oder schräg gelagert ist, strebt eine 
radiale Stellung einzunehmen. Die ursprüngliche Lage der Spindel 
hängt davon ab, welchen Winkel die die Zentriolen verbindende 
Linie mit dem Eiradius bildet; dieser Winkel kann aber, wie es 
scheint, ein beliebiger sein. Natürlich wird desto weniger Zeit 
erforderlich sein, damit die Spindel eine radiale Stellung einnimmt, 
je näher ihre Achse ursprünglich zur radialen Lage stand, und 
desto eher wird sie die radiale Lage einnehmen. Sonst kann 
man die Drehung der Spindel nicht in Abhängigkeit von einer 
bestimmten Phase derselben stellen. Der Umstand, dass die 
Drehung der Spindel während des Wachstums der Strahlen und 
der Spindel vor sich geht, lässt nur einen gewissen Zusammen- 
hang zwischen dem Beginn der Drehung und diesen Prozessen 
voraussetzen. Aber die Fig. 19, auf der die Spindel ihre Maximai- 
grösse erreicht hat und dennoch einen bedeutenden Winkel mit 
dem Eiradius bildet, deutet darauf hin, dass die weitere Drehung 
ausser Zusammenhang mit den Prozessen des Spindelwachstums steht. 

Die Metaphase der zweiten Reifungsspindel 
(Fig. 19, 20 und 21). Sie gleicht der Metaphase der ersten 
Reifungsspindel, doch besteht ein kleiner Unterschied: 1. die 
Länge der Spindel übertrifft nie ®/; der Länge der ersten Spindel; 
2. die Form der Spindel ist etwas anders (siehe Fig. 20, 21), 
dieselbe ist nicht so zugespitzt und ihre Enden sind an den Polen 
stumpfer; 3. die Chromosomen der zweiten Spindel liegen in der 
Metaphase perpendikulär zu den Spindelfasern, weil die neuen 
Strahlen, welche von den neuen Zentrosomen ausgehen, auf die 
Chromosomen in einem rechten Winkel treffen; 4. die Chromo- 
somen haften mit ihren Enden oft aneinander (Fig. 19). Diese 
miteinander verkitteten Chromosomen, an welche sich die Spindel- 
fasern nicht nur an der Peripherie, sondern auch tiefer an ihrer 
Achse anheften, bilden, sich von einer Faser zur anderen hin- 
ziehend, ein oder mehrere der Länge nach gespaltene Bänder. 
Sie winden sich um den Äquator der Spindel, wie im Winde 
flatternde Fahnen. So halte ich denn jedes lange Band in der 
Metaphase der zweiten Spindel (Fig. 19) für mehrere verkittete 
Chromosomen und nicht für ein Chromosom. 

Die Metaphase der zweiten Reifungsspindel ist ebenfalls 
ein Stadium relativen Gleichgewichts der Elemente, aber dieser 


443 A. Nekrassoff: 


Gleichgewichtszustand dauert sehr kurze Zeit. Wie auch die 
Metaphase der ersten Spindel, bildet sie den Abschluss mehrerer 
Prozesse: 1. der Verlängerung der Spindel; 2. der Gruppierung 
der Chromosomen zu einer Äquatorialplatte; 3. der Vernichtung 
der grossen Körner im Zytoplasma (der Reste der Strahlen der 
ersten Spindel). 

Die Anaphase der zweiten Reifungsspindel 
(Fig. 22, 23, 25 und 27) ist fast in jeder Beziehung der Anaphase 
der ersten ähnlich und unterscheidet sich nur durch die Art der 
Bewegung der Tochterchromosomen. Die gespaltenen Hälften 
jedes Chromosoms entfernen sich selbständig voneinander (Fig. 20 
und 21), und zwar an dem einen Ende oft stärker als am anderen, 
wobei sie zuweilen auch ihre perpendikuläre Lage zur Spindel- 
achse bewahren oder nur unbedeutend verändern (Fig. 22). In 
der späteren Anaphase (Fig. 25) wenden sie sich um und gleiten 
die Mantelfasern entlang, indem sie sich zu zwei Gruppen ver- 
einigen, die zu den Zentrosomen hinstreben. Die eine von ihnen 
nimmt an der Bildung des zweiten Richtungskörpers Anteil, 
während die andere in der Gegend des inneren Zentrosoms ver- 
bleibt. Diese Chromosomen spalten sich während ihrer Bewegung 
zu den Polen hin nicht, wodurch sie sich auch von den Uhromo- 
somen der ersten Reifungsspindel unterscheiden. 

Das Schicksal der Verbindungsfasern zeigt jedoch eine 
frappante Ähnlichkeit zwischen den Anaphasen und Telophasen 
der ersten und zweiten Reifungsspindel. Bei der zweiten Reifungs- 
spindel wiederholen sich wie in einem Spiegel dieselben Phasen, 
die sich bei der ersteren beobachten lassen (vergl. Fig. 10 und 
21, 22 für ersten Zustand der Verbindungsfasern, Fig. 11 und 23 
für zweiten, Fig. 12 und 25, 27 für dritten, Fig. 13 und 29 für 
vierten und Fig. 15 und 40 für fünften). ') 


!) Vielleicht ist die beständige Umgestaltung der Zellelemente nirgends 
so scharf ausgeprägt, wie im Schicksal der die Tochterchromosomen ver- 
bindenden „Verbindungsfasern“. Gurwitsch (04) sagt von ihnen: „Die 
zentralen Abschnitte der Zentralspindel zeigen entschieden, namentlich in den 
Anaphasen und Telophasen der Mitosen eine bedeutende Widerstands- 
fähigkeit, wahrscheinlich sogar einen gewissen Grad von Steifheit. Es wäre 
sonst unerklärlich, wieso grössere Abschnitte der Zentralspindel, als zylind- 
rische Stäbe, mit den Flemmingschen Zwischenkörperchen fast völlig nackt 
zwischen den geteilten Zellen persistieren und sogar als Achse für die in 
den Telophasen vor sich gehenden Verschiebungen der Zellen funktionieren 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 943 


Die Ausscheidung des zweiten Richtungskörpers geht analog 
derjenigen des ersten vor sich und gleichzeitig findet auch die 
Teilung des ersten Richtungskörpers statt. Zu dieser Zeit 
differenzieren sich die Chromosomen des ersten Richtungskörpers 
von neuem, indem sie oft Guirlanden oder Gruppen von Chromo- 
somen bilden, die sich mit den Enden ineinändergehakt haben 
(Fig. 52, 53 und 54) und sich der Länge nach spalten. Hierbei 
verflacht sich der Richtungskörper stark, die Chromosomen ver- 
teilen sich einfach in zwei Gruppen, die nach der Teilung 
des Richtungskörpers in einem jeden der Tochterkörperchen je 
einen unregelmässigen Chromatinklumpen bilden (Fig. 40, 41, 
42 und 47). Die Zentrosomen oder richtiger Zentriolen traf 
ich auf meinen Schnitten nur in einem Falle (Fig. 28) an. Nur 
mit grosser Mühe kann man hier Bildungen unterscheiden, die 
schwachen, von den Zentriolen ausgehenden Strahlen gleichen. 
Dagegen lässt sich zwischen den Zentriolen die Zentrodesmose 
erkennen, die sich als langer Faden hinzieht. Ihr Bild erinnert 
stark an das sogenannte Nucleolo-centrosoma bei der 
Teilung der Protozoa, z. B. bei Euglena (vergl. Keuten [95]) 
und Eutreptia (Steuer [03]). Im Stadium Fig. 15, wo die 
Entfernung zwischen den auseinandergetretenen Zentriolen grösser 
ist, war zwischen denselben keinerlei Zentrodesmose erkennbar. 
Übrigens sah ich im Richtungskörper weder Zentrosomen noch 
Zentriolen in all den Phasen zwischen den Stadien Fig. 15 und 18. 


können; eine wirkliche Individualisation festerer Plasmafibrillen oder Strahlen, 
namentlich im Gegensatz zu den vergänglichen Gebilden der Polstrahlungen, 
scheint jedenfalls für die Elemente der Zentralspindel sicher anzunehmen zu 
sein.“ Aber gerade das Schicksal der zentralen Elemente der Spindel bei 
Cymbulia spricht gegen eine solche Individualisation bestimmter Fasern. 
Es ist hier bis zur Augenscheinlichkeit klar, dass nicht die einen oder anderen 
Elemente die Eigenschaft der Festigkeit besitzen, sondern dass die wechselnde 
Beschaffenheit des Mediums in verschiedenen Momenten ihnen diese Eigen- 
schaft verleihen oder nehmen. 

Den Verbindungsfasern kommt im Prozess der Zellteilung eine grosse 
Bedeutung zu. Ich besitze augenblicklich kein vollständiges Material, um 
ein Bild des Furchungsprozesses bei Cymbulia zu geben. Aber das Schicksal 
der Verbindungsfasern während der Reifungsteilungen kann schon zeigen, 
dass der Zustand der Äquatorialfläche der Spindel während der Anaphase 
und Telophase vor der Zellteilung nicht durch die Bezeichnung als einfache 
Verflüssigung des Plasmas (vergl. z. B. Teichmann [03]) ausgedrückt werden 


kann, und dass die Prozesse, die hier stattfinden, viel komplizierter sind. 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd, 73. 61 


944 A. Nekrassoff: 


Hierauf tritt eine vollständige Teilung des Richtungskörpers ein 
(Fig. 29 und 44). 

Der zweite Richtungskörper wird an derselben Stelle aus- 
geschieden, wie der erste. Der Zwischenkörper der ersten Spindel 
kommt genau über der Stelle zu liegen, wo der zweite Richtungs- 
körper ausgestossen werden soll oder neben demselben (Fig. 20). 
Der Zwischenkörper der ersten Spindel wird zuweilen zu einer 
kompakten Masse, welche den zweiten Richtungskörper mit dem 
ersten, oder mit den Teilungsprodukten des ersten Richtungs- 
körpers verkittet oder verbindet (Fig. 44). Der zweite Richtungs- 
körper selbst teilt sich nicht und in seinem Innern konnte ich 
kein Zentrosom erkennen, das in der Eizelle im Stadium der 
späteren Anaphase der zweiten Spindel so deutlich zu sehen ist 
(Fig. 25 und 27). Sein Chromatin bleibt fast die ganze Zeit 
über in Gestalt einer nicht differenzierten verblassten Masse 
bestehen (Fig. 43, 44, 40 und 41).') 

Die Telophase der zweiten Reifungsspindel. 
Dieses Stadium ist sehr wichtig, da es den Wendepunkt bildet, 
von dem aus die Bildung zweier Kerne aus dem weiblichen und 
männlichen Element beginnt — die Bildung der Vorkerne, die 
später eine so überraschende Ähnlichkeit miteinander haben und 
in gleichem Maße an der Anlage der karyokinetischen Figur der 
ersten Furchung teilnehmen. 

Der Unterschied der Telophase der zweiten Spindel von 


demselben Stadium der ersten besteht in folgendem: 

Telophase der ersten Spindel: Telophase der zweiten Spindel: 

1. Das. Zentrosom hat die charak- 1. Das Zentrosom ist nicht rund, 
teristische Form, welche Boveri sondern gleichsam zusammen- 
(01) für dasselbe annahm, d.h. es gedrückt, zuweilen in Gestalt 
ist ein rundlicher Körper, der eines Sternes (Fig. 29), oft dunkel; 
aus dem Zentroplasma und zwei im Innern stets eine Zentriole. 
Zentriolen besteht. 


‚ Um das Zentrosom bildet sich 2. Die Strahlen sind dichter und 


IV 


ein deutliches helles Feld, wo die 
einzelnen Strahlen nicht zu unter- 
scheiden sind; die letzteren lassen 


kommen näher an das Zentrosom 
heran. Das helle Feld um letzteres 
ist schwächer ausgeprägt. 


sie in einiger Entfernung vom 
Zentrosom wahrnehmen. 


!) Fol sah die Teilung des ersten Richtungskörpers und nahm irrtüm- 
licherweise an, dass der zweite Richtungskörper nicht durch Neuausscheidung 
gebildet wird, sondern durch Teilung des ersten. O0. Hertwig bewies, dass 
auch der zweite Richtungskörper ebenso ausgeschieden wird, wie der erste. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 945 


3. Die Strahlen verkürzen sich stark 3. Die Strahlen, die während der 
und zerfallen in grosse Körner. Anaphase etwas kürzer geworden 
sind (im Vergleich zur Metaphase), 

verlängern sich hier von neuem 


bedeutend. 
4. Der feinkörnige Dotter ist un- 4. Die Zone des feinkörnigen Dotters 
ordentlich im Zytoplasma verteilt. wird konzentrisch zur Zone des 


grobkörnigen Dotters gerückt. 

>. Die Chromosomen ordnen sich an 5. Die Chromosomen werden in einen 
der Grenze des hellen Feldes, dichten Haufen am Zentrosom 
d. h. in einiger Entfernung vom zusammengedrängt. 
Zentrosom, an. 

6. Die Chromosomen nehmen die 6. Die Chromosomen beginnen an- 
Gestalt derjenigen der frühen zuquellen. 
Prophase der ersten Spindel an. 

Mit einem Wort, im ersteren Falle wird im Innern des 
Zentrosoms ein neuer Prozess von zentrifugalem Charakter für 
viele Elemente der Zelle angebahnt, da auf die Telophase das 
Auseinanderrücken der Zentriolen, die Erweiterung des hellen 
Feldes und das zentrifugale Wachstum der neuen Strahlen, das 
Abrücken der Chromosomen zum Äquator der Spindel, folgt. 


In der Telophase der zweiten Spindel aber werden diese 
Elemente einer anderen Metamorphose unterworfen, die von 
einer zentripetalen Bewegung begleitet ist; das Zentrosom 
schrumpft zusammen, die Chromosomen rücken dicht an dasselbe 
heran, indem sie sich in Bläschen verwandeln. Nur die alten 
Strahlen wachsen ein wenig, indem sie den feinkörnigen Dotter 
wegschieben. Somit besteht in den Stadien der Anaphase und 
Telophase bei der Spindel ein gewisses beständiges Verhältnis 
zwischen der Vergrösserung der Strahlen und der Verkleinerung 
des Zentrosoms und umgekehrt. 

Aber es bestehen auch gemeinsame Züge in den Telophasen 
der ersten und zweiten Spindel. Wie dort, so verengt sich die 
Spindel auch hier durch eine Einschnürung des Zwischenkörpers, 
wobei sie ganz bleibt und zeitweilig Hantelgestalt annimmt. Wie 
dort, so zerfallen auch hier die peripheren Teile der Spindel und 
die nicht in den zweiten Richtungskörper aufgenommenen Teile 
der Polstrahlen, die von dem peripheren Zentrosom ausgingen, 
indem sie Guirlanden aus grossen Körnern bildeten. Ebensolche 
(ranulae bedecken auch die Strahlen, die vom inneren Zentrosom 


zur Eimembran gehen (Fig. 29). Diese periphere Zone des 
61* 


946 A. Nekrassoff: 


gelockerten Zytoplasma bleibt lange bestehen, bis zum Stadium 
der Annäherung und des Wachstums der Geschlechtskerne 
(Fig. 37 und 38). 

Während der Telophase, vielleicht auch ein wenig früher, 
trennt sich der Schwanz vom Kopfe des Spermatozoons. Hiernach 
faltet er sich dicht wellenförmig (Fig. 26 und 29); offenbar lässt 
sich dies dadurch erklären, dass die Kontraktilität des Schwanzes 
durch die Gewalt überwunden wurde, mit welcher der Kopf ihn 
hinter sich her zog. Abgerissen nahm der Schwanz dieses 
wellenförmige Aussehen an. So zieht sich eine Schnur zusammen, 
die mit schneller Bewegung über die Wasseroberfläche gezogen 
und dann plötzlich aus den Händen gelassen und sich selbst 
überlassen wird. 

Die Annäherung der Geschlechtskerne. Drei 
Erscheinungen treten fast gleichzeitig auf. 1. Die weiblichen 
Chromosomen und der Spermakopf beginnen anzuquellen. 2. Die 
Strahlenfigur des inneren Zentrosoms fängt an zu degenerieren 
und diese Degeneration äussert sich zuerst im Zentrum und 
setzt sich in zentrifugaler Richtung fort. 3. Der Spermakopf 
nähert sich den weiblichen Chromosomen ; während dieser Bewegung 
verwandelt sich der erstere in den Sperma- und die zweiten in 
den Eikern: deshalb kann man sagen, dass die Annäherung der 
Vorkerne beginnt. 

1. Das Anquellen des Kopfes des Spermatozoon geschieht 
gleichzeitig mit dem Anquellen der Chromosomen, die während 
der Telophase der zweiten Reifungsspindel im Ei bleiben. Um 
sich davon zu überzeugen, muss man nur die Fig. 27 und 29 
miteinander vergleichen. Auf Fig. 27 sehen wir, dass der Sperma- 
kopf noch sehr kompakt ist, während die Chromosomen schwarz 
tingiert erscheinen. Auf Fig. 29 ist der Anquellungsprozess schon 
in vollem Gange. Der Zeitraum zwischen diesen zwei Stadien 
beträgt kaum fünf Minuten. 

Als erstes Anzeichen des Anquellens des Spermakopfes 
bemerkte ich zwei Vakuolen inmitten der dunkeln Chromatin- 
masse (Fig. 24a). Ausser diesen Vakuolen traf ich manchmal 
noch eine dritte grosse an (Fig. 24 b). Der weitere Anquellungs- 
prozess äussert sich darin, dass die zentrale Vakuole grösser 
wird, während die Wände um dieselbe dank den vielen Vakuolen 
wie zu schäumen scheinen (Fig. 24c). Ferner wird das Wachstum 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 947 


hauptsächlich an den peripheren Vakuolen wahrgenommen, während 
die Wand dünner und dünner wird und das Chromatin sich in 
Gestalt eines den Kernsaft durchsetzenden Netzes anordnet. Aber 
noch ist die zentrale Vakuole sichtbar (Fig. 24d). Dann wird 
das Netz dünner und komplizierter. Die Verfeinerung geht sehr 
ungleichmässig vor sich und im Innern des Netzes bilden sich 
dicke, nicht selten gerade Querbalken und Anhäufungen von 
Chromatin — Chromatinnukleolen, — die durch dünne und 
schwächere Bänder mit andern solcher Querbalken oder Nukleolen, 
oder aber mit der Kernmembran verbunden sind. An der 
Membran des Kernes selbst werden Chromatingranulae abgelagert. 

Als erstes Anzeichen des Anquellens der weiblichen Chromo- 
somen erscheint ihr verändertes Verhalten der Färbung gegenüber. 
In ihrem Innern (und nicht von aussen, wie bei der „Interkinese“ ) 
werden mit Eisenhäm. Heid. schwach gefärbte Parzellen sichtbar 
(Fig. 31), während das Chromatin die Form gekrümmter Figuren 
von gezähnten Stäbchen (Fig. 32) oder von unregelmässigen 
Körnern annimmt. Dann beginnt die Membran des Chromosoms 
dort, wo sich die blassgefärbte Substanz bildete, in Gestalt einer 
Kugel sich aufzublasen ; diese Auftreibungen bilden sich an den 
Stellen, wo die Entfernung zwischen den vom Zentrosom aus- 
gehenden Strahlen am weitesten ist. Somit besitzt das aufquellende 
Chromosom einen Schnabel, der genau zum Zentrum der Strahlen 
gerichtet ist, während sein verbreiterter Ballon am weitesten vom 
Zentrosom entfernt ist (Fig. 33). Zweifellos bedingen die Strahlen 
die Form solcher Chromosomen oder der aus ihnen zusammen- 
geflossenen Kernblasen. Das wird durch Fälle bewiesen, wo nach 
Abschnürung des zweiten Richtungskörperchens das Zusammen- 
rücken der Eimembran die Zentralspindel zur Bildung des 
Zwischenkörpers zusammenzieht. Dann ziehen sich ebensolche 
Schnäbelehen in Form von Hörnchen vom aufquellenden Kern 
zum Zwischenkörper (Textfig. 13). Die Ursache ist dieselbe, 
d. h. die flüssigere Masse wird von den kompakteren Strahlen 
oder Fasern umzogen und ihre Form wird durch die Lage der 
letzteren bestimmt, durch ihre Annäherung an das Zentrosom 
oder den Zwischenkörper. 

Das Tempo der Anquellung des männlichen Kernes ist etwas 
langsamer, als die des weiblichen. Möglicherweise wird dieser 
Umstand durch die grössere Oberfläche erklärt, welche die ge- 


948 A. Nekrassoff: 


sonderten Bläschen des weiblichen Kernes bilden. Das langsamere 
Anquellen des männlichen Kernes ist daraus ersichtlich, dass 
derselbe etwas früher anzuquellen beginnt, als die weiblichen 
Chromosomen, während die gleichmässige Verteilung seiner 
Chromatinelemente später erfolgt (Fig. 36) und dass bei der An- 
näherung der Geschlechtskerne die erste Zeit über der männliche 
Kern oft schwärzer erscheint, als der weibliche. 

Die Chromosomblasen quellen, wie es scheint, hauptsächlich 
durch die dem Zentrosom zugewandten Wandungen an; diese 
Wandungen sind näm- 
lich dünner als die der 

anderen Seite. Das 
Zusammenfliessen der 

Bläschen geht all- 
mählich vor sich, da die 
Blasen anwachsen und 
sich um das Zentrosom 
zusammendrängen; ihre 
aufgetriebenen Ränder 
umfassen das Zentrosom 
schon von den Seiten, 
sodass dasselbe auf den 
Schnitten oft in der 
Vertiefung des nieren- 
förmigen Kernes liegt 
(Fig. 37 u. 38). Nach- 


Fig. 13. 


Annäherung des Sperma- und Eikerns. dem sich die a 
Schnitt x 1050. Links Spermakern. vollkommen genähert, 


besteht der Eikern zu- 
weilen noch aus gesonderten Blasen, von denen eine jede das 
Derivat einiger Chromosomen darstellt, die nach dem Anquellen 
zusammenfliessen (Fig. 39). Fig. 36 stellt einen einzelnen Fall 
der vorzeitigen Annäherung dar, wenn der Unterschied zwischen 
dem schwarzen Kern des Spermatozoon und den noch sehr kleinen 
Eikernblasen noch gross ist. 

II. Sobald der Spermakopf zu quellen beginnt, nimmt auch 
seine Bewegung zum weiblichen Zentrosom in der Richtung der 
Strahlen, die von ihm ausgehen, ihren Anfang. Diese Bewegung 
erfolgt unausbleiblich, ohne Rücksicht darauf, ob der Spermakopf 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 949 


vorher sich nahe an der Peripherie des Eies befand oder in 
dessen Mitte (s. Textfig. 13, 14, 15 und Fig. 29, 30 und 38). 
Auf dem Wege zum Zentrosom überwindet der Kern, der sich 
aus dem Spermakopfe bildet, noch stärker anquellend, den 
schwachen Widerstand der Strahlen und dieser Umstand bestimmt 
wahrscheinlich jene amöboide Form, die er während dieser Be- 
wegung annimmt. Es erscheinen eine oder zwei Ausbuchtungen, 
die sich als schmale Schnäbel zum weiblichen Zentrosom hinziehen. 
Die Kernmembran ist auch oft an der dem Zentrosom zugekehrten 
Seite viel dünner. 

Dass sich der Spermakern in Wirklichkeit nicht 
zum weiblichen Kern hin bewegt, sondern zum 
Strahlenzentrum, wird durch 
die Bilder bestätigt, wo a) der 
Spermakern, der sich durch 
grössere Dicke seiner Chromatin- 
wände auszeichnet, mit seinem 
Schnabel gerade in das Zentrum 
der weiblichen Chromosomen 
hineintritt (Fig. 36) und noch 
mehr, b) wo der Spermakern, 
der während seiner Anquellungs- 
periode in der Nähe der Ei- 
peripherie sich befand, bei der oe 
Annäherung zum weiblichen Kern Annan ane den vorkerne: 
nicht bestrebt ist, mit dessen Schnitt X 500. Rechts Spermakern. 
peripherischem Teil zusammen- 
zufliessen, sondern einen langen, sich verengenden Lappen zum 
Orte des weiblichen Zentrosoms entsendet (Textfig. 15). 

Ob sich der Spermakopf vor seinem Anquellen und dem 
Beginn seiner Bewegung zum Zentrosom hin dreht, wie es z. B. 
für Toxopneustes von Wilson angeführt wird, ist schwer 
zu sagen. Wenn man die Form des Spermakopfes vor dem 
Stadium der Telophase der zweiten Reifungsspindel mit der nach 
demselben vergleicht, kann man glauben, dass das spitzere zum 
Zentrosom hin gerichtete Ende das Vorderende des Spermakopfes 
sei, da in den vorhergehenden Stadien das stumpfe Ende des- 
selben dem Orte des Schwanzansatzes entsprach (vergl. z. B. 
Fig. 6). Doch ist es wahrscheinlicher, dass der Spermakern sich 


950 A. Nekrassoff: 


dem Vereinigungsort ohne Unterschied mit jedem Ende nähern 
kann, da seine Form mit dem zugespitzten Schnabel nur das 
Resultat des Widerstandes, welcher seiner Bewegung vom Strahlen- 
reste entgegengesetzt wird, und des unregelmässigen Eintritts von 
Kernsaft ins Innere des Kernes ist. Die Form des Spermakernes 
wird somit nicht durch die frühere Form des Spermakopfes be- 
stimmt, sondern durch das ihn umgebende Medium. 

Es macht sich auch keine entgegenkommende Bewegung 
des Eikernes zum Spermakern bemerkbar, da die anschwellenden 


Fig. 15. 


Annäherung der Vorkerne. Schnitt x 1050. 
Rechts Spermakern. 


weiblichen Chromosomen sich ebenso, wie der anschwellende 
Spermakern, zum degenerierenden Zentrosom hin bewegen. 

III. Nach Massgabe der Annäherung der Geschlechtskerne, 
d. h. je nach Massgabe des Herankommens des männlichen Kernes 
an das Zentrosom, degeneriert das letztere und die Strahlen mehr 
und mehr. Das Zentrosom wird einfach zur Granula!) (Fig. 37), 


'!) Kostanecki (|06] Seite 403) bemerkte bei Besprechung meiner 
vorläufigen Mitteilung (03), dass man das Zentrosom mit den Strahlen auf 
Fig. 14 (die in gegenwärtiger Arbeit auf Fig. 37 zu suchen ist) anders aus- 
legen kann, als ich das tat; man könne es nämlich als Zentrosom des 


Das Ei von UOymbulia Peronii. Dan 


nach der wenige Strahlen hinziehen; diese Strahlen beginnen sich 
zu verdünnen und miteinander zu anastomosieren, indem sie ihre 
Orientierung zum Zentrosom verlieren; an Stelle der geraden 
Strahlen erscheinen gebrochene (Textfig. 15, Fig. 30); endlich 
verschwinden auch diese spurlos im Zytoplasma. Später als die 
übrigen verschwinden ihre peripheren Enden, die in die Zone 
des feinkörnigen Dotters hineinreichen, vielleicht, weil sich dort 
weniger Zytoplasma befindet, in dem sie sich auflösen. Die Zentro- 
somen sind von den übrigen Mikrosomen im Zytoplasma schwer 
zu unterscheiden in einem Stadium, wo die Entfernung zwischen 
den Geschlechtskernen sehr klein ist, ich muss aber bemerken, 
dass sie in dieser zweifellos noch vorhanden sind. Hierfür spricht 
auch der Umstand, dass sie als Zentren erscheinen, von denen 
die Strahlen ausgehen, dass dieses stets beobachtet werden kann 
und dass auf den vorhergehenden Stadien das gut erkennbare 
Zentrosom stets an diesem Platze war. Schlecht sichtbar ist das 
Zentrosom nur deshalb, weil es degeneriert. Ein solches Granula- 
Zentrosom erscheint oft wie an die Wandung des weiblichen 
Kernes geklebt, oder als ob es an zwei kurzen Strahlen am Kerne 
hinge. Bei vollkommenem Aneinanderliegen der Geschlechtskerne 
verschwindet jede Spur des Zentrosoms und auch die Strahlen 
verschwinden.!) 

Spermatozoon ansehen, da bei mir zwischen Fig. 13 (welche Fig. 29 dieser 
Arbeit entspricht) und Fig. 14 einige Zwischenstadien fehlten. 

Ich muss hier aber bemerken, dass ich auf Grund einer grossen Menge 
von mir untersuchter Schnitte von einer ganzen Reihe aufeinanderfolgender 
Stadien auch nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen 
kann, dass meine erste Deutung die richtige war. Die Strahlung auf Fig. 37 
(Fig. 14 der vorläufigen Mitteilung) gehört zum inneren Zentrum der zweiten 
Reifungsspindel und ihr Zentrosom ist ein echtes Eizentrosom, das zu ver- 
schwinden beginnt (vergl. Fig. 29, 30, 31, 32, 33 usw. und Textfig. 13, 15). 

'!) Fol sah ebenfalls das Verschwinden des zentralen Sternes. Er sah 
das Erscheinen eines homogenen Körpers neben dem Zentrum des Sternes, 
der das Licht etwas schwächer brach, als die ihn umgebenden Partien; ferner 
beobachtete er das Erscheinen zweier oder dreier anderer Körperchen oder 
Bläschen neben dem ersten. Zweifellos waren das anquellende und zusammen- 
geflossene Bläschen der Chromosomen und der Kern des Spermatozoons. Der 
Stern verschwindet nach seinen Beobachtungen, die Körperchen quellen an 
und bilden den Kopulationskern. O. Hertwig sah ebenfalls das Anquellen 
der Chromosomen und schätzte das Erscheinen des männlichen Kernes ganz 


richtig ein. Wenn er auch annahm, dass der Schwanz des Spermatozoon aus 
dessen Kern hervorgeht und ihm bei der Befruchtung folgt, so zeichnet er 


952 A. Nekrassoff: 


Zwischen den Kernen und der Eiperipherie zeigt das Zyto- 
plasma dort, wo die Reste der zweiten Spindel sich befanden, 
eine besonders lockere Struktur mit grossen Lücken des Enchylems 
und einem dunklen grobkörnigen Netz des Spongioplasmas. 


Das Stadium des Wachsens der Geschlechtskerne 
(Fig. 39, 40, 41 und 42). Wenn der zentripetale Prozess bereits 
sein Ende erreicht hat, setzt sich der Wachstumsprozess der eng 
aneinanderliegenden Geschlechtskerne noch fort. Streng genommen 
findet auch hier noch ein wenig bemerkbarer zentripetaler Zu- 
strom von Material, auf Kosten dessen die Kerne anwachsen, statt. 
Der Kernumfang nimmt bedeutend zu, was hauptsächlich von der 
Zunahme der Menge des Kernsaftes in ihnen abhängt. Übrigens 
vergrössert sich das Lininnetz der Kerne und auch die Gesamt- 
menge des Chromatins. Fig. 34 und 35 zeigen, dass sich das 
Chromatin in gesonderten gezähnten Stäbchen an den Bläschen- 
wänden ablagert, ohne dieselben vollständig zu bedecken. Ausser- 
dem durchzieht ein schwaches Netz von dünnen Fäden, das von 
diesen Zähnchen ausgeht, auch das Innere des Bläschens. An den 
Kreuzungsstellen solcher Fäden sammelt sich immer Chromatin 
und bildet einen kleinen Nukleolus. Während des weiteren Ver- 
laufs des Quellungsprozesses der Bläschen beginnt das an den 
Wänden abgelagerte Chromatin sich nicht nur auf eine grössere 
Fläche als vorher zu verteilen, sondern es fängt an, sich in 
grösserer Menge an bestimmten Stellen des inneren Netzes jedes 
Bläschens anzuhäufen: so erreichen die Chromatinnukleolen eine 
bedeutende Grösse (Fig. 335 und 39) und nehmen in jeder Blase 
eine Lage im Zentrum derselben, oder nicht weit von demselben 
ein. Die Verschmelzung der Bläschen ändert seine Lage und 
das Chromatin beginnt sich auf einigen Linien des Netzes zu 
verteilen, und die Nukleolen nehmen eine verlängerte Gestalt an. 
Fig. 40 zeigt ein solches Stadium, wo die Nukleolen noch vor- 
handen sind, einige schon verlängert, aber neben ihnen treten 


auf seiner Fig. 9, Taf. XI den Schwanz als nicht dranhängend, in einiger 
Entfernung vom Kerne, was vollkommen mit meinen Beobachtungen überein- 
stimmt. Natürlich hatte O. Hertwig vollkommen recht, wenn er annahm, 
dass der lange Faden eben den Schwanz des Spermatozoons darstellte. 
Ferner beobachtete OÖ. Hertwig nach der Annäherung der Geschlechtskerne 
deren Anwachsen. In den so angequollenen Kernen bemerkte er viele kleine 
Nukleoli. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 955 


neue Elemente auf; das sind Chromatinbänder, die oft in geraden 
Linien auftreten. In solche Bänder geht allmählich das Material 
aus den Nukleolen über, die zum Zeitpunkt des Erscheinens der 
Furchungszentrosomen verschwinden. 

Am Aufbau des Lininnetzes nehmen vielleicht die Wandungen 
der zusammenfliessenden Bläschen, aber hauptsächlich diejenigen 
Zweige des Chromatins teil, die, von den Chromatinnukleolen oder 
den Chromatinbändern ausgehend, dünne und blassere Anastomosen 
mit anderen Nukleolen und Chromatinelementen bilden. 

Das körnige Plasma, ein Zerfallsprodukt der Spindel an der 
Peripherie des Eies, wird allmählich resorbiert und vom übrigen 
/ytoplasma assimiliert. Die Richtungskörperchen liegen oft in 
einer kleinen Grube, welche die spätere Teilungsfurche der Zelle 
andeutet. Unter ihnen befindet sich der Zwischenkörper. Letzterer 
bildet sich dank der ringförmigen Einschnürung der Eimembran 
durch Annäherung und Verkittung der Fasern nur in einer dünnen 
Äquatorialfläche, von wo Faserbündel in Form von zwei Kegeln 
ausgehen; der eine Kegel verläuft zur Chromatinmasse des 
Richtungskörpers, der andere zum weiblichen Kern (Fig. 41). 
Auf dem @uerschnitt besteht ein solcher Zwischenkörper aus 
einigen dicken Bändern, von denen sich jedes aus zusammen- 
geflossenen Faserbündeln bildete. Später erstreckt sich dieses 
Zusammenfliessen der Fasern auf eine grössere Strecke hin, und 
der Körper nimmt die Gestalt eines Stiftes an, der oft von der 
einen Seite sich auf den weiblichen Kern stützt, mit dem anderen 
Ende aber der Chromatinmasse des Richtungskörperchens anliegt 
(Fig. 40). 

Es ist möglich, dass auch das Grübchen, in dem zu dieser 
Zeit die Richtungskörperchen liegen, sich dadurch bildet, dass 
der zusammengedrückte Zwischenkörper den Zusammenhang weder 
mit dem weiblichen Kern noch mit dem Richtungskörper verliert, 
noch auch mit der Eihülle,e und sich zusammenziehend den 
Richtungskörper zum Kern heranzieht. Die Kerne lagern sich 
gewöhnlich so. dass der weibliche Kern näher zur Peripherie des 
Eies liegt, während ihm der männliche dicht von unten und etwas 
seitwärts angelagert ist, mit dem unteren Rande in die Zone des 
feinkörnigen Dotters hineinragend. 

Die Zone des dotterfreien Zytoplasma wächst bedeutend 
an. Der Dotter rückt mehr und mehr zur vegetativen Hälfte 


954 A. Nekrassoff: 


des Eies hin und als Resultat erscheint eine viel schärfere 
Sonderung der Zonen des dotterfreien Zytoplasma, des fein- 
körnigen und grobkörnigen Dotters als vorher. Doch werden 
diese Zonen nicht mehr durch sphärische Flächen voneinander 
geschieden, wie vordem, sondern durch horizontale Ebenen. So 
wird die „Polarität“ des Eies deutlich ausgedrückt. In der Zyto- 
plasmazone wird der Schwanz des Spermatozoon resorbiert, dessen 
Stücke auch noch in den folgenden Stadien, sogar an den Blasto- 
meren nach vollendeter Teilung gefunden werden, aber diese 
Stückchen werden immer dünner und dünner.!) 


Das Stadium der inneren Differenzierung der 
Kerne (Fig. 41, 42 und 45). Diese Differenzierung, die von 
einem noch grösseren Wachstum der Kerne begleitet ist, besteht 
in der endgültigen Bildung zweier Elemente aus dem Netze des 
Kernes. Die einen färben sich intensiv, die anderen blass; die 
ersteren zeigen eine Neigung, sich in dickere Stränge anzu- 
ordnen, die letzteren in Guirlanden feiner Körnchen zu zerfallen. 
Die ersteren sind Teile des Chromatinnetzes, das sich in ge- 
sonderte Stücke teilt und bei dem Zerfall Zweige, Verdickungen, 
Knoten, Krümmungen und Verdünnungen bildet (Fig. 41, 42). 
Hier und da sind sie von gleichsam anklebenden Körnern 
bedeckt. Einige von ihnen (Textfig. 17) zeigen (obwohl selten) 
etwas wie eine schwache Spaltung. Die letzteren beginnen sich 
in Rosetten zu gruppieren, die aus 4—5 Granulae bestehen; 
Reihen solcher Rosetten bilden eigentümliche Guirlanden. Die 
Nukleolen verschwinden. Die so vorbereiteten Kerne treten in 
ein neues Stadium des Prozesses, das zur Bildung der ersten 
Furchungsspindel führt.?) 

Die Prophase der ersten Furchungsspindel (Fig. 45, 
Textfig. 16 und 17). Der Anstoss hierzu wird von den Furchungs- 
zentrosomen gegeben, die an den (zeschlechtskernen an deren 
Berührungsflächen erscheinen. Bei ihrem Erscheinen werden sie 


!) Diese Teilung der drei Zonen im Cymbulia-Ei hat O. Hertwig 
richtig beschrieben (78). Von derselben spricht er auch in seiner anderen 
Arbeit: „Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Teilung der Zelle“ (85). 
Ich kann bestätigen, dass am lebender Objekt mit wunderbarer Deutlichkeit 
die konjugierenden Kerne in der Zytoplasmazone zu sehen sind. 

®) OÖ. Hertwig bemerkte das Verschwinden der Nukleoli und das 
Auftreten von „Häufchen kleiner Körner“ an Stelle derselben. 


Das Ei von Uymbulia Peronii. 955 


nur durch die Granulae mit schwachen, von diesen ausgehenden 
Strahlen dargestellt. Wie im Moment des Verschwindens des 
weiblichen Zentrosoms dieses als Granula erscheint. die fast auf 
der Wandung des Kernes sitzt, so sind 
auch hier die Zentrosomen als Granulae 
auf der Linie der von ihnen unter- 
brochenen Eihülle zu sehen (Textfig. 16 
und 17). Beide Zentrosomen erscheinen 
gleichzeitig, aber an sich nicht ganz genau 
gegenüberliegenden Enden der Kerne. 
Dass dieses sich so verhält, beweisen 
Schnittserien, wo beide Zentrosomen auf 


verschiedenen Schnitten auf einer Seite Fig. 16. 
des Kernes zu liegen kommen; so kommt Da Brscliemen 


: 7 : h BER der Furchungszentrosomen. 
z. B. auf dem Schnitte Textfig. 17 eines ER nn 
Die Zeichnung ist aus zwei 


der Zentrosomen auf der rechten Seite gehnitten x 500 kombiniert. 
des Kernes zu liegen. Nach drei weiteren 

Schnitten berührt der vierte (der das Ei nur oberflächlich traf) das 
andere Zentrosom, ebenfalls rechts von dem Kernabschnitt. Dasselbe 
ist in der Textfig. 17 nicht abgebildet, da es auf der Zeichnung 


kig. 17. 
Das Erscheinen der Furchungszentrosomen. Schnitt x 1050. 


hinter dem Kern erscheinen musste, was leicht zu einer irrtümlichen 
Vorstellung führen könnte, als sei es im Innern des Kernes ent- 
standen. Niemals sind sie einander jedoch genähert. Ihre Lage 


956 A. Nekrassoff: 


ist vielleicht am besten so zu bestimmen: die beiden geraden 
Linien, welche die Zentrosomen mit dem Zentrum der Kopulations- 
fläche verbinden, bilden einen stumpfen Winkel. Textfig. 16 gibt 
eine kombinierte Zeichnung zweier nebeneinander liegender 
Schnitte, in Ebenen, die fast perpendikulär zur Eiachse liegen; 
die Lage der beiden Zentrosomen ist auf dieser Zeichnung noch 
anschaulicher. 

Die Beobachtungen an lebenden Uymbuliaeiern sind 
in dieser Zeit sehr interessant. Während des Stadiums des 
Anquellens der Kerne ist das Zytoplasma äusserst durchsichtig 
(der Dotter ist in dieser Periode ganz an den negativen Pol 
gerückt). und die Kerne mit ihren Nukleolen sind ausgezeichnet 
sichtbar. Man sieht ihr Anquellen und die kleinen Form- 
veränderungen. Beim Verschwinden der Kernmembran sieht man 
das Auftreten zweier Sterne (vergl. die schöne Figur 5 Taf. XI 
in der Arbeit von OÖ. Hertwig, wo die Zeichnung nach einem 
lebenden Objekt angefertigt wurde), die die Homogenität des 
Zytoplasma nur im ersten Momente nicht stören; darauf ver- 
schwindet alles.) Man erhält den Eindruck, als ob der Akt 
beendet ist und der Vorhang langsam fällt. Auf diese Weise 
erscheinen die Zentrosomen mit ihren Strahlen, als Zentrum der 
Störung der Homogenität des Zytoplasma.°) 


!) Man muss hierbei beachten, dass diese Furchungskaryokinese in 
einem Medium von Zytoplasma vor sich geht, welches des Dotters entbehrt, 
Dort aber, wo die Strahlen sich einen Weg zwischen den Dotterkügelchen 
bahnen müssen, wo der Dotter nicht scharf vom Zytoplasma geschieden ist, 
oder wo er gleichmässig über das ganze Ei verteilt ist — sieht man die 
Strahlung an den lebenden Eiern gerade infolge der Auseinanderschiebung 
der Dotterelemente. So ist es z. B. im Beginne der ersten Reifungsspindel 
bei Cymbulia. So ist es auch in den Eiern von Pterotrachea oder 
Saccocirrus papillocercus. 

2) Wie Fol, so zeigt mit ihm übereinstimmend auch O. Hertwig, 
dass gleichzeitig zwei Sterne auftreten und zwar an entgegengesetzten 
Punkten. Folgendes sagt Fol über deren Erscheinen: „Des leur premiere 
apparition, ils se mettent & croitre avec une grande rapidite, comme les 
cristaux qui se forment dans une solution persaturde.* — „Je ne puis mieux 
comparer cette disparition“, sagte er ferner von dem hierbei stattfindenden 
Verschwinden der Kerne, die vorher ausgezeichnet am lebenden Objekt zu 
sehen waren, „qu’ä celle de ces images de lanterne magique, que l’on nomme 
„dissolving views.“ — „Plötzlich werden die Konturen der beiden Kerne 
undeutlich“, sagt von derselben Erscheinung O. Hertwig, „und es ver- 
schwinden rasch die beiden hellen vakuolenartigen Räume (d. h. Kerne), indem 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 957 


Die Strahlen, welche von den Zentrosomen in das Zyto- 
plasma und in den Kern ausgehen, sind von gleicher Art; diese 
Tatsache verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, da sie 
dafür spricht, dass sämtliche Strahlen zuerst ein und denselben 
Ursprung haben. In diesem Zeitpunkt kann man noch nicht 
sehen, dass das Lininnetz des Kernes sich verändert hätte oder 
begonnen hätte, sich in der Richtung zu den Zentrosomen hin 
umzugruppieren. 

Die Zentrosomen fahren fort zu wachsen und sich mit 
Zentroplasma zu umhüllen. Um dieselben herum tritt eine 
Strahlung auf; die Strahlen verlängern sich und ihre Zahl ver- 
mehrt sich bedeutend. Die Strahlen gehen gerade und gehen 
an ihren peripheren Enden nicht in das Zellnetz über. In das 
Innere des Kernes ziehen sich von den Zentrosomen sehr dichte 
Bündel ziemlich blass gefärbter Strahlen; die einander berührenden 
Wandungen beider Kerne verschwinden in dieser Zeit. Es ist 
schwer festzustellen, dass der eine Vorgang dem anderen voraus- 
geht: das Zusammenfliessen der Kerne durch Auflösung der sich 
berührenden Wandungen, oder das Auftreten der Zentrosomen. 
Wie es scheint, geschieht beides fast gleichzeitig. Doch seltene 
Fälle des Auftretens von Zentrosomen vor Verschmelzung der 
Kerne, und das Fehlen von solchen, wo die Kerne schon zusammen- 
getlossen und noch keine Zentrosomen vorhanden sind, lassen 
annehmen, dass dennoch die Zentrosomen früher erscheinen. 


Die Kernmembran löst sich an den Stellen, wo die Strahlen 
eindringen, noch mehr auf. Ausser diesen dünnen Strahlen 
bemerken wir gleichzeitig im Kerne (Fig. 45) dichtere, leicht 
gebogene Fasern, die mit Granulae besetzt sind und in derselben 
Richtung gehen, wie die dünnen Strahlen, die aber bei weitem 
nicht bis zu den Zentrosomen heranreichen. Diese gebogenen 
Fasern mit den Granulae sind entschieden im Innern des Kernes 
entstanden und verdanken wahrscheinlich dem Achromatinnetz 
der Rosetten ihren Ursprung. 


sich offenbar das umgebende Protoplasma mit dem Kernsaft mischt“. Danach 
sind nur zwei Systeme von Strahlen einige Zeit zu sehen. Diese Beob- 
achtungen an lebenden Objekten habe ich mehr als einmal machen können, 
ich sah mehrmals das Auftreten der Zentren und kann die Richtigkeit der 
Beobachtungen von Fol und OÖ. Hertwig bestätigen. 


955 A. Nekrassoff: 


Weiterhin (Fig. 46) fliessen die dünnen Strahlen im Innern 
des Kernes zusammen und bilden die Spindel, deren Achse 
anfangs, dank der oben erwähnten asymmetrischen Lagerung der 
Zentrosomen, eine krumme Linie darstellt, die allmählich sich 
gerade richtet. Die dicken, mit Körnern besetzten und noch 
immer gebogenen Fasern aber ziehen sich an ihren Seiten 
entlang. Die Enden jener dünnen Strahlen, die sich noch nicht 
mit den entsprechenden Strahlen des anderen Zentrosoms vereinigt 
haben, gehen in das Achromatinnetz der Rosetten, einige aber 
auch in die mit Gruppen von Granulae besetzten Fasern über. 
Dieses dient als indirekter Beweis dessen, dass die Rosetten- 
substanz durch die Spindelfasern assimiliert wird. 

Nach Massgabe des Eindringens der Strahlen in den Kern 
gleichen sich die Chromatinelemente aus. Abzweigungen oder 
angeklebte Körner sind an denselben gar nicht mehr zu sehen. 
Die Anastomosen des Lininnetzes, von denen, wie es scheint, die 
Zahnung der Chromatinelemente abhängt, lösen sich zusammen 
mit den Achromatinrosetten auf. Das Chromatinknäuel bildet 
nicht einen Faden, sondern, wie aus Fig. 46, 49 und 50 hervor- 
zugehen scheint, mehrere Fäden, die zuweilen mit dem freien 
Ende an anderen Fäden befestigt sind. Mir scheint, dass in 
diesem Stadium die Enden der künftigen Chromosomen durch 
schwache Auftreibungen angedeutet werden. Auf diese Weise 
verspätet der Zerfall des Chromatins in einzelne Chromosomen 
im Vergleich zur ersten Reifungsspindel. 

Die Chromosomen stellen gleichmässige, lang ausgezogene, 
mit sehr schwachen Verdiekungen an ihren Enden versehene 
(Fig. 49) Haken, oft aber auch Ringe dar, und bilden, ohne in 
der Mitte gebrochen zu sein, eine gebogene Figur (Fig. 51). 

Im Innern der neuen Spindel befindet sich noch Kernsaft, 
d. h. es bleibt eine helle Zone nach. Die Hülle der Kernes löst 
sich aber vollkommen auf. 

Die Metaphase der ersten Furchungsspindel 
(Fig. 47 und 48). Die Achse der Spindel richtet sich gerade, 
aber die letztere selbst lagert sich asymmetrisch im Zytoplasma 
und eines der Zentrosomen liegt tiefer, das andere näher zur 
Eiperipherie; dem ersteren steht ein grösseres Gebiet für seine 
Strahlen zur Verfügung, als dem letzteren; daher ist die 
Strahlung um das erstere grösser als um das letztere. Die 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 959 


Strahlen erreichen in diesem Stadium eine besondere Dichtigkeit 
und die Zentrosomen sind nur in Form von dunklen Flecken in 
einer dunklen gelben Sphäre erkennbar. 

Die Spindelfasern werden ganz glatt und besitzen keine 
Granulae. Die peripheren Fasern sind ganz augenscheinlich dicker 
als ihre Zentralmasse. 

Die Chromosomen lagern sich in den Äquatorialscheiben 
anfangs perpendikulär oder schräg zu den Spindelfasern (Fig. 42), 
nehmen aber bald eine zu den letzteren parallele Stellung ein, 
um sich in Tochterehromosomen zu zerteilen (Fig. 43). Die Zahl 
der Chromosomen der Metaphase beträgt hier 32. 

Das starke Wachstum der Strahlen verändert von neuem 
die Abgrenzung der Zonen. Die das dotterfreie Zytoplasma 
geren den feinkörnigen Dotter hin begrenzende Linie erscheint 
auf den Schnitten wellenförmig; dasselbe lässt sich von der 
Grenze zwischen grobkörnigem und feinkörnigem Dotter sagen. 

Die Furehungsmetaphase findet früher ihren Abschluss, als 
die Abschnürung der Eizelle beginnt. 


III. Allgemeiner Teil. 
1. Die Entstehung der Strahlung neben den Kernen. 


Jede normale Karyokinese besitzt zwei Hauptzüge: die 
Bipolarität der karyokinetischen Figur und die gesetzmässige 
Teilung der Mutterchromosomen, welche zwei Gruppen von 
Tochterchromosomen liefern, die jede zu ihrem Pol hinwandert. 
Ein dritter Zug, den Gurwitsch (04) aufführt, das Aufhellen 
des karyokinetischen Feldes, ist, wie ich schon früher erwähnte, 
keine bloss für die Karyokinese charakteristische Eigenschaft. 
Andere Züge aber — Grösse und Form der Chromosomen, Form 
der Spindel, die grössere oder geringere Entwicklung der Pol- 
strahlen, ja deren gänzliches Fehlen, die Form des Zentrosoms — 
variieren bedeutend bei den verschiedenen Zellen, bei ver- 
schiedenen Tieren. In Rücksicht darauf muss eine allgemeine 
Theorie der Karyokinese eine Erklärung geben sowohl für die 
Entstehung der Bipolarität, als auch für die Teilung der Chromo- 


somen und für die Bewegung der beiden Tochtergruppen zu den 
Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73. 62 


960 A. Nekrassoff: 


Polen hin. Die Züge aber, die nicht allen Karyokinesen gemeinsam 
sind, können ihre besonderen Ursachen haben und verlangen 
eine besondere Erklärung. In der Tat würden wir, wenn ein 
solcher Zug notwendigerweise als Folge aus der allgemeinen 
Theorie der Karyokinese hervorgehen würde, sein Vorhandensein 
bei allen Karyokinesen erwarten. Hierzu gehört z. B. das Vor- 
handensein von Polstrahlen, die bei Cymbulia so schön ent- 
wickelt sind. 

Über deren Entstehung gibt es eine Menge Hypothesen. 

Die meisten von ihnen stellen Analogien mit ähnlichen Bildungen 
dar, die künstlich in dieser oder jener kolloidalen Substanz er- 
halten wurden. Einige von diesen Hypothesen sehen das Auf- 
treten der Strahlen als rein oder hauptsächlich physikalische 
Erscheinung an. Zum Beispiel: 

1. die Strahlen sind ein Ausdruck von Kraftlinien, die den 
elektrostatischen analog sind; sie stehen im Zusammen- 
hange mit der elektrischen Polarisation der kolloidalen 
Partikelchen, die sich miteinander vereinigen (R. Lillie 
[03, 05]); oder es sind Ketten von materiellen Kräften, 
oder einer „bipolaren Kraft“, die der magnetischen 
analog ist (vgl. Hartog |04, 05]); sie sind endlich ein 
Ausdruck der hydrodynamischen Pulsationskraftlinien 
(Lamb [07]); 

2. die Strahlen sind Wandungen von Waben des Zytoplasma, 
die sich in Linien geradestrecken, welche den Radien 
nach unter dem Einfluss der Spannung, welche vom 
Zentrosom ausgeht, zu letzterem hin gerichtet sind 
(Bütschli, Rhumbler); 

3. die Bildung von Strahlen ist identisch mit den lokalisierten 
und orientierten Bildern des Gel in Kolloiden, mit dem 
Übergange aus dem Zustande des Sol in Gel (vgl. 
Mart. Fischer und W. Ostwald [05] und ebenso 
Schläpfer [05]; der letztere weist auch auf die Ursache 
dieses Überganges hin). 

Andere sehen die Bildung der Strahlen als eine Er- 
scheinung an, die auch mit chemischen Prozessen im 
Innern der Zelle verbunden ist; 

4. die Strahlen sind diffuse Ströme im Zytoplasma, die durch 

den chemotaxischen Einfluss des Zentrosoms oder durch 


Das Ei von Uymbulia Peronii. 961 


andere physikalisch-chemische Bedingungen hervorgerufen 
werden und vom Zentrosom oder zum Zentrosom gehen 
oder gleichzeitig von ihm und zu demselben (erste 
Hypothese Bütschlis, Giardina [02], teilweise 
Vejdovsky [07]); 

5. die Strahlen sind komplizierte Strukturen, die bei der 
chemischen Einwirkung der Bestandteile des Kernes 
(z. B. der Nukleinsäure) auf das Zytoplasma entstehen 
(vel. Jenkinson [04)). 

Wir kennen die physikalisch-chemischen Bedingungen, unter 
denen die Transformation der Zellelemente stattfindet, sehr 
wenig. Daher sind alle diese interessanten Analogien nicht im- 
stande, irgend eine Sicherheit dafür zu bieten, dass auch in der 
Zelle eben dieselben Prozesse vor sich gehen, wie in den von 
den Autoren aufgeführten Versuchen. 

Dennoch bleibt für den Morphologen noch ein Feld wohl 
zu lösender Aufgaben übrig. die seine Kräfte nicht übersteigen. 
Das allmähliche Fortschreiten von Veränderungen in der Zelle 
in einer ununterbrochenen Reihenfolge von Bildern vor Augen 
habend, kann er zu bestimmen versuchen, was für morphologische 
Elemente der Zelle an der Bildung der Strahlen teilnehmen und 
das Material für deren Aufbau liefern. In der Tat ist es ein 
grosses Verdienst, das Feld der Untersuchungen über die Ursachen 
einzuschränken, indem man dasselbe auf bestimmte Zellelemente 
begrenzt. Solch eine „Begrenzung“ ist für die Kraft- und Zeit- 
ersparnis des Forschers sehr wichtig und hatte in der Wissen- 
schaft immer eine grosse Bedeutung. So war es ein grosser 
Schritt vorwärts, als man fand, dass das Wesen der Befruchtung 
in der Vereinigung des Spermatozoons mit dem Ei besteht; so 
wurde das Feld der Untersuchungen eingeschränkt — die Ab- 
wesenheit der Befruchtungsursache ausserhalb bestimmter Elemente 
festgestellt. Es ist nur notwendig, dass eine solche Beschränkung 
durch Beweise gestützt wird, die wirklich die Abwesenheit der 
Ursache ausserhalb bestimmter Elemente feststellen. 

In Bezug auf die morphologische Entstehung der 
Strahlung wurden die verschiedensten Voraussetzungen gemacht. 
Die einen hielten sie für ein Derivat des Zytoplasma, die 
anderen — für dasjenige des Kernes, oder dessen Bestandteile, 
z. B. des Linins und des Oxychromatins (vgl. Conklin [02]), die 


62* 


962 A. Nekrassoff: 


dritten dachten sich denjenigen Sektor der Strahlung, der in den 
Kern eindringt, als aus dem Kern und den übrigen Teil derselben 
als aus dem Zytoplasma entstanden usw. Andere endlich waren 
der Ansicht, dass die Strahlen eine Umordnung oder Äusserung 
einer früher schon existierenden Substanz sind. („Archoplasma“ 
Boveris, „Kinoplasma“ Strasburgers.) 

Hierbei muss beachtet werden, dass der „Aster“ besonders 
im Beginne seiner Bildung eine einfache Struktur darbietet 
(wenigstens bei unseren heutigen Untersuchungsmethoden). Je 
einfacher die Form, desto leichter kann sie gebildet werden. 
Es genügt eine schwache Veranlassung, um sie auftreten zu lassen. 
Ist dem aber so, so muss man annehmen, dass die ver- 
schiedensten Faktoren sie ins Leben rufen können. Schläpfer 
(05) weist mit Recht darauf hin, dass die Strahlung in der Zelle 
nicht bedingungslos mit dem „mitotischen“ Prozesse zusammen- 
hängt. So ist die Einwirkung der Amöbe (nach Beobachtungen 
von Wheeler im Ei von Myzostoma glabrum) auf das 
Zytoplasma sehr der Einwirkung des Spermatozoon auf dasselbe 
ähnlich. 

Die zahlreichen oben angeführten Hypothesen zeigen, dass 
diese einfache Form der Strahlung in verschiedenartigen Sub- 
stanzen erzielt werden kann, und zwar auf verschiedenem Wege 
(vgl. die Versuche von Bütschli, Rhumbler, Gallardo, 
Hartog, Fischer, Jenkinson, Schläpfer und andere). 

Von diesen Erwägungen ausgehend, halte ich es für sehr 
wahrscheinlich, dass bei Cymbulia die Faktoren, welche die 
Strahlung neben dem Kerne, d. h. in der ersten Reifungsspindel 
und ersten Furchungsspindel und nicht beim Kerne, d.h. in der 
zweiten Reifungsspindel hervorrufen, nicht ganz dieselben sind: 
in der Tat ist in den ersten beiden Fällen der Zustand der 
anderen Elemente in der Eizelle ein anderer als im dritten Falle. 
Daher werde ich hier zuerst die Entstehung der Strahlung bei 
Cymbulia neben den Kernen, d.h. die ersten beiden Fälle, 
betrachten. 

Ich habe schon auf diejenigen Gründe hingewiesen (S. 921), 
welche mich veranlassen, vorauszusetzen, dass die Elemente des 
Kernes und des Zytoplasma an der Entstehung der Strahlung 
der ersten Reifungsspindel teilnehmen. Doch hindert uns das 
Fehlen von Stadien, welche unmittelbar dem Stadium der Fig. 2 


Das Ei von CÜymbulia Peronii. 963 
y 


vorausgehen, darüber zu urteilen, welcher Art diese Teilnahme 
ist. In einer günstigeren Lage befinden wir uns in bezug auf 
die Frage über den Ursprung der Polstrahlen der ersten Furchungs- 
spindel. Hier konnten wir die Einzelheiten des Bildungsanfangs 
der ersten Furchungsspindel und die Vorbereitung dazu verfolgen. 
Wir sahen, dass der Bildung der karyokinetischen Figur das 
Anwachsen der Kerne und ihre innere Differenzierung vorausgeht. 
Wir sahen, dass nicht nur die Masse des Kernsaftes im Kerne 
zunimmt, sondern auch die anderen Kernelemente sich differen- 
zieren. Dieses kommt, wie wir zeigten, im Auftreten von Achromatin- 
rosetten und des Chromatinnetzes zum Ausdruck. Die aus dem 
Zstoplasma aufgenommenen Substanzen werden vom Kern nicht 
einfach assimiliert, sondern treten im Innern des Kernes in irgend 
andere Beziehungen zueinander. Das Anquellen der Kerne hört 
mit der Zerstörung der Kernmembran an den Stellen des Auf- 
tretens der Zentrosomen auf. Textfig. 16 und 17 zeigen, dass 
die Zentrosomen bei ihrem Auftreten tatsächlich auf der Ver- 
längerung der unterbrochenen Membranlinie erscheinen und dass 
sich schwache Strahlen auch ins Innere des Kernes, ebenso wie 
in das Zytoplasma, erstrecken. Fig. 45 zeigt dasselbe. 

Was geschieht nun bei diesem Durchbruch der Membran ? 
Welchen Ursprungs ist das Material für die Strahlen ? 

Hier bieten sich uns vier Möglichkeiten: 

1. die Polstrahlen stammen aus dem Kern; 

2. sie sind Derivate des Zytoplasma; 


3. ein Teil derselben ist ausschliesslich aus dem Kern, ein 
anderer Teil ausschliesslich aus dem Zytoplasma hervor- 


gegangen; 


4. die Strahlen sind eine Neubildung, zu der irgendwelche 
Bestandselemente des Zytoplasma und des Kernes das 


Material liefern. 


I. Von den Elementen des Kernes können den Polstrahlen 
den Ursprung geben: 1. der Kernsaft; 2. das Linin und Oxy- 
chromatin des Kernes (siehe Conklin [02] bei Crepidula), 
d. h. Elemente des Kernnetzes. Der Kernsaft muss jedenfalls 
verändert werden, um zu Strahlen zu werden; sonst würden die 
Polstrahlen nur im Zytoplasma und nicht im Innern des Kernes 


964 A. Nekrassoff: 


vorhanden sein. In Wirklichkeit aber sind die Polstrahlen auch 
im Innern des Kernes von Beginn des Auftretens des Asters zu 
bemerken und sind leicht von dem Kernsaft zu unterscheiden. 
So denke ich denn, dass wenn der Kernsaft auch an der Bildung 
der Polstrahlen teilnimmt, so doch nur partiell, in Verbindung 
mit anderen Zellelementen. 

Was das Linin und Oxychromatin des Kernes anbelangt, so 
erscheinen 1. ausserordentlich schön entwickelte Polsterne, wenn 
das Lininnetz des Kernes offenbar noch unberührt ist; 2. können 
die Strahlenbündel, die vom Zentrosom in den Kern gehen, nicht 
mit dem Lininnetz identisch sein; es sind ihrer zu viele und sie 
liegen zu dicht. Aber nach Conklins Meinung muss dieses 
Lininnetz auch den Polstrahlen den Ursprung geben, die in das 
Zytoplasma eindringen. So liefert denn das Lininnetz für die 
einen wie die anderen Elemente zu wenig Material. 

II. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Strahlen, die 
sich im Zytoplasma ausbreiten, zytoplasmatischen Ursprungs sind, 
gleichviel, ob es sich nun um zum Zentrosom hin gerichtete 
Hyaloplasmaströme oder um geradegestreckte Wandungen der 
zytoplasmatischen Alveolen, oder endlich um den Ausdruck der 
zentripetalen Verdichtung des Zytoplasma handelt. Aber man 
kann sich nur sehr schwer vorstellen, dass bei Cymbulia die 
Strahlen, die vom Kern zum Zentrosom gehen, ebenfalls zyto- 
plasmatischen Ursprungs sein sollten. Seien es Ströme des 
Zytoplasma oder Verdichtungen desselben, oder unter dem Ein- 
flusse der Spannung geradegestreckte Wandungen der Alveolen 
— all dies ist als Bewegung zum Zentrosom hin denkbar, 
während eine Bewegung des Zytoplasma innerhalb des Kernes 
nur vom Zentrosom aus nach seinem Innern annehmbar ist. 
Ich muss es aber entschieden ablehnen zuzugeben, dass die Pol- 
strahlen ein Ausdruck von Strömen des Hyaloplasma, das zu den 
Zentrosomen hinfliesst, während die Strahlen, aus denen sich die 
Zentralspindel bildet, Ströme desselben Hyaloplasma, die von 
den Zentrosomen aus zum Äquator der Spindel gehen, darstellen. 
Trotzdem ist aber das die Deutung, die Kr. Bonnevie (06) der 
Hypothese des Teilungsmechanismus zugrunde lest. Wenn in der 
Tat solche Bewegungen existieren sollten, so würde sich 1. ım 
irgend einem Stadium eine Umkehr der Teilchen des Hyalo- 
plasma bei den Zentrosomen bemerkbar machen und müsste sich 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 965 


in einer Umbiegung der Polstrahlen neben den Zentrosomen und 
bei deren Übergange in die Spindelfasern zeigen; 2. die „innerste* 
Zone, welche das Gebiet der zentripetalen Bewegung vom Sektor 
der zentrifugalen Bewegung trennt, müsste ebenfalls scharf hervor- 
treten. Nimmt man aber an, dass diese Bewegungen eine Folge 
der Kräfte sind, die in den jungen Zentrosomen wirksam sind 
(und Bonnevie setzt dieses gerade voraus), so erscheint die 
Unhaltbarkeit dieser Hypothese noch grösser. In der Tat können 
doch Teilchen ein und desselben Hyaloplasma unter der Ein- 
wirkung ein und derselben radial gerichteten Kräfte nicht in 
derselben Entfernung in einer Richtung angezogen, in der 
anderen abgestossen werden. So erscheinen denn zwei Teile von 
Bonnevies Hypothese: die Bewegung des Hyaloplasma der 
Polstrahlen zu den Zentrosomen und die des Hyaloplasma von 
den Zentrosomen zum Äquator der Spindel hin, nicht miteinander 
übereinstimmend und die Hypothese erscheint daher logisch unbe- 
gründet und unhaltbar. 


Ill. Dieim Zytoplasma verlaufenden Polstrahlen könnten noch 
zytoplasmatischen, die in den Kern gehenden — nuklearen Ursprungs 
sein. Diese Voraussetzung hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit 
für sich, doch spricht meiner Ansicht nach der Umstand sehr 
stark gegen dieselbe, dass sowohl die einen, wie die anderen 
Strahlen ursprünglich gleichartig sind. In der ersten Reifungs- 
spindel wird die Substanz der künftigen Strahlen anfangs eben- 
falls durch eine einheitliche Sphäre repräsentiert, die sowohl 
einen Teil des Kerngebietes, wie auch einen Teil des Zytoplasma- 
cebietes einnimmt. 


IV. Auf diese Weise neige ich mich am ehesten der vierten 
Voraussetzung zu, dass nämlich bei Cymbulia die Polstrahlung 
eine Neubildung ist, d. h. nicht mit irgend welchen bestimmten 
sichtbaren Elementen des vorhergehenden Stadiums identifiziert 
werden kann.!) 

Ob dieselbe eine Umordnung der Substanz unter dem Ein- 
tlusse irgend einer bipolaren Kraft, wie die elektrostatische oder 
magnetische, oder Strukturen, die durch chemische Einwirkung 


') Ich verweise den Leser auf das Kapitel IX A. von Gurwitschs 
Buch „Morphologie und Biologie der Zelle“, welches eine grosse Menge 
Beispiele, die die Neubildung der Strahlen anzuerkennen zwingen, enthält. 


966 A. Nekrassoff: 


der Kernelemente auf das Zytoplasma hervorgerufen werden, vor- 
stellt, oder ob die Bildung von Strahlen mit der lokalisierten 
und orientierten Bildung des Gel in Kolloiden identisch ist — 
ist schwer zu entscheiden. Doch muss man auch die Möglichkeit 
der gemeinsamen Wirksamkeit dieser Ursachen im Auge behalten. 
Meine Beobachtungen veranlassen mich, der Anschauung beizu- 
stimmen, dass der Aggregatzustand der Strahlensubstanz ein 
anderer ist als der des Zytoplasma und des Kernsaftes und es 
ist sehr wohl möglich, dass die Strahlung auskristallisiert oder 
ausfällt wie das Gel. Und setzt man die Existenz eines beson- 
deren Plasma sowohl im Kernsaft wie im Zytoplasma voraus 
(jedenfalls im einen wie im andern auf Grund des oben Nach- 
gewiesenen), das optisch nicht unterschieden werden kann und 
welches gerinnend und dichter werdend die Strahlen liefert, so 
würde eine solche Voraussetzung der Theorie des Archoplasma 
entsprechen. Wenn ich recht verstehe, ist dies die Annahme 
Gurwitschs (04). Er erkennt in der Strahlensubstanz eine 
ziemlich weitgehende Festigkeit des Aggregatzustandes an, die 
dem Begriffe plastischer Bildung entspricht. Die bei der Ent- 
stehung der Strahlen vor sich gehende vitale Gerinnbarkeit oder 
Verdichtbarkeit bestimmter Partien des Plasma sieht Gurwitsch 
für einen der wichtigen Argumente für die Existenz des Archo- 
plasma an. „Die letzte Eigenschaft (vitale Gerinnbarkeit)“ sagt 
er, „mit den zwei vorhin erwähnten, genügt wohl vollauf, um 
einen Plasmabestandteil, sei er unter dem Namen des Archo- 
plasma oder des Kinoplasma zu charakterisieren und an die 
Persistenz eines solchen im Zellleib auch unter völliger optischer 
Vermengung mit den andern Plasmabestandteilen festzuhalten“. 

Doch ist es nötig, zur Hypothese vom Archoplasma, die hier 
durch keine direkten Beobachtungen gestützt wird, seine Zuflucht 
zu nehmen ? 

Das Eizytoplasma kann als Sol angesehen werden (siehe 
z.B. Fischer und W. Ostwald) und kann aus nicht stark 
konzentrierten Kolloidenlösungen bestehen; in seinem Innern 
nimmt der Kern ein gesondertes Gebiet ein, in dem ebenfalls 
verschiedene Substanzen, doch in anderem Verhältnis als im Zyto- 
plasma, gelöst sind. Der Austausch der Substanzen findet zwischen 
dem Kern und dem Zytoplasma und zwischen dem Zytoplasma 
und dem äusseren Medium statt. Zwischen dem Kern und dem 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 967 


Zytoplasma wird derselbe von der Diftusion und Osmose!) begleitet. 
Dieser Substanzenaustausch °) muss andere Gleichgewichtsverhält- 
nisse der das Zytoplasma und den Kern bildenden Substanzen 
hervorrufen, was wir anschaulich beim Wachstum und dem An- 
quellen des Kernes sahen. Er kann einen Niederschlag aus der 
Lösung oder das Gerinnen neuer Kombinationen von Elementen 
hervorrufen, was schon an sich die Gleichgewichtsbedingungen 
ändert und vom Übergänge anderer Verbindungen in die Lösung 
begleitet sein kann. Die Strahlensubstanz ist, meiner Ansicht 
nach, eine solche neue Kombination, vielleicht eine neue chemische 
Verbindung (im Vergleich zum vorhergehenden Stadium, wo es 
keine Strahlen gab) mit einem andern Aggregatzustand. Es ist 
einfacher, diese Voraussetzung zu machen, als dem unsichtbar 
existierenden Archoplasma ausschliesslich die Fähigkeit zu ge- 
rinnen zuzuschreiben.?) 


Ich will nun kurz die Schlüsse aus unserer Analyse der 
Entstehung der strahligen Produkte neben dem Kerne bei 
Cymbulia Peronii wiederholen : 


1. vor der Bildung der Strahlen beobachten wir im Kerne 
einen osmotischen Prozess; 


2. das Zytoplasma einerseits und der Kernsaft anderseits 
miissen daher chemisch verschieden sein; 


3. die Osmose des Kernes wird von einer sichtbaren Differen- 
zierung der Elemente innerhalb desselben begleitet: 


') Loeb (07) weist auf die Bedeutung des Wasserverlusts seitens des 
Eies hin. Doch lässt sich seine Schlussfolgerung auch auf die einzelnen 
Eiteile, z. B. auf das Zytoplasma, anwenden, da der Kern bei seinem Anquellen 
wahrscheinlich dem Zytoplasma Wasser entzieht. Loeb sagt folgendes: 
„Der Wasserverlust ändert das chemische Gleichgewicht im Ei. Das kann 
durch verschiedene Veränderung des Dissoziationsgrades der verschiedenen 
Elektrolyten geschehen. Zugleich könnte sich auch die Konzentration der 
Jonen HO und H verändern oder der Teilungskoeffizient der verschiedenen 
Substanzen.“ 

?) Siehe R. Hertwig (03, 08), der die Ursache der Teilung der Zelle 
in der Veränderung der Austauschsverhältnisse zwischen Kern und Zyto- 
plasma sieht. 

®») Vergleiche ebenfalls die Angaben Vlad. Rüzickas (06) zugunsten 
dessen, dass der morphologische Metabolismus der Zellelemente auf chemische 
Veränderungen in denselben zurückzuführen ist. 


968 A. Nekrassoff: 


4. die Bildung der Strahlen wird von einem Durchbruch der 
Kernmembran begleitet; 


fe! 


. das Zentrum dieser Bildung befindet sich genau auf der 
Linie des Durchbruchs der Membran; 


6. die Strahlensubstanz ist weder ausschliesslich ein Derivat 
des Kernes, noch ausschliesslich ein Derivat des Zyto- 
plasma: 


7. die Gleichartigkeit der Polstrahlen im Beginne ihrer 
Bildung zwingt uns die Voraussetzung von der Hand zu 
weisen, dass ein Teil derselben seinen Ursprung dem 
Kern, ein anderer dem Zytoplasma verdankt; 


DR 


die Strahlen sind Neubildungen, welche aus der Wechsel- 
wirkung irgend welcher Bestandteile des Kernsaftes und 
des Zytoplasma an der Stelle der Membrandurehbrüche 
entstehen. Es ist möglich, dass die Strahlensubstanz eine 
chemisch andere Verbindung ist als das dieselbe um- 
gebende Medium. 


Ich erlaube mir hier eine Reihe von Daten aus der Literatur 
anzuführen, die darauf hinweisen, dass die Zentrosomen der ersten 
Reifungsspindel mit ihren Strahlen immer in unmittelbarer Nähe 
des Kernes und offenbar in enger Abhängigkeit von demselben 
auftreten. Zu diesem Schlusse führen die Untersuchungen über 
die Reifung der Seeigeleier (vergl. Wilson und Mathews!), 
und Teichmann); bei Würmern sind derartige Beobachtungen 


ı) Wilson und Mathews (95) sagen von der Entstehung der Zentro- 
somen der ersten Reifungsspindel bei Asterias Forbesi folgendes: „At 
maturation the centrosomes are first accurately to be distinguished as two 
(at a very early stage apparently one) deeply staining, small, but distinet and 
characteristic granules Iying side by side either in the nuclear membrane or 
immediately without it .... Occasionally one of these granules appears 
before the other and migrates some distance from the nucleus before the 
second appears. In cases where they both lie clearly outside of the nucleus, 
the nuclear membrane is invariably broken behind them“. 


’), Teichmann (03), der die Beziehungen zwischen den Atrosphären 
und den Furchen bei Seeigeln untersuchte, gelangte zur Annahme, „dass 
die Strahlung am Zentrosom unter Beihilfe des Kernes hervorgerufen 
wird“. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 969 


noch zahlreicher (Griffin), Foot und Strobell?), Soulier?), 
Wheeler®), Kostanecki’), wobei bei Polykladen der Zu- 
sammenhang des Erscheinens der Strahlen der ersten Reifungs- 
spindel mit dem Kern in origineller Weise ausgedrückt ist 
(Klinckowström, 4 Francotte®),- Vais..den, Strächt, 

') Bei der Bildung der ersten Reifungsspindel bei Thalassema er- 
scheinen (nach Griffin |99]) die Zentrosomen mit dem primitiven Aster 
unmittelbar am Kerne und drücken letzteren, ohne die Hülle zu durchbrechen, 
durch das Wachstum der Strahlen ein wenig ein. 

®) Foot und Strobell (05) weisen ebenfalls nach, dass bei der ersten 
Reifungsspindel von Allolobophora foetida die Hülle des Kernes ein 
wenig unter Einwirkung der Strahlen eingedrückt wird, die von den Zentriolen 
ausgehen. Man kann sagen, bemerken sie, dass die Theorie der Entstehung 
der Zentriolen aus dem Kern durch die Gegenwart dieser zwei Zentriolen 
fast im Innern des Keimbläschens bestätigt wird. 

®) Soulier (06) beschreibt bei Serpula crater ein Stadium, in dem 
die Zentrosomen mit den primitiven Strahlen der Kernhülle dicht anliegen, 
welche letztere in der schwachen Vertiefung der Hülle sich aufzulösen be- 
ginnt (siehe seine Textfig. 2). Er weist aber darauf hin, dass diesem Stadium 
ein anderes vorausgeht, in dem die Kernhülle, in deren Nähe das eben erst 
erschienene Zentrosom liegt, noch keinerlei Veränderungen erleidet. Über- 
haupt betont er die Schwierigkeit, die Herkunft des Zentrosoms der ersten 
Reifungsspindel zu bestimmen, indem man sich entweder dem zytoplas- 
matischen Ursprung desselben, oder der Teilnahme des Nukleolus an diesem 
Vorgange zuneigt. 

*) Bei Myzostoma (Wheeler [97], Kostanecki [98]) erscheinen 
zwei Zentrosomen sehr nahe bei der Kernhülle und bei dem Auseinander- 
treten kommt jedes von ihnen auf die unterbrochene Linie der Kernhülle 
zu liegen. 

°) Kostanecki (98) sagt: „Bemerkenwert ist, dass die Zentrosomen 
auch bei ihrer weiteren Entfernung voneinander eine solche Lage im Ver- 
hältnis zum Mittelpunkt des Keimbläschens beibehalten, dass wenn man sich 
die hier infolge der Entwicklung der Strahlen geschwundene Kernmembran 
vervollständigt denkt, die Zentrosomen in die Kreislinie der Kernmembran 
selbst, oder doch sehr nahe derselben fallen würden“, 

6%) Klinekowström (97) fand bei Prostheceraeus, dass die 
Zentrosomen der ersten Reifungsspindel direkt an der Kernhülle erscheinen, 
„die sich bald in ihrer nächsten Umgebung auflöst“. Er neigt sogar dazu, 
dass diese Zentrosomen aus dem Innern des Kernes hervorgehen auf Grund 
eines von ihm einmal gesehenen Bildes eines Zentrosoms im Kerninnern. 
Aber die Abbildung Ib, auf die er sich beruft, spricht nicht dafür, dass das 
Zentrosom hier im Innern des Kerns sich befindet. Diese Zeichnung stellt, 
wie ich glaube, einen Schnitt dar, wo es sich zwischen den Auszackungen 
des Kernes im Durchbruch der Kernhülle befindet. Ähnliche Bilder beobachtete 
ich auch bei ÖOymbulia Peronii. Die Zentrosomen zeichnet er mit primitiven 


970 A. Nekrassoff: 


Schoecekaert'), indem die Zentrosomen mit den von ihnen 
abgehenden Strahlen an den Spitzen besonderer konischer Aus- 
wüchse des Kernes erscheinen, die hinsichtlich ihrer Färbung dem 
Kernsafte nahestehen. Bei den Trematoden und einigen andern 
Würmern wird auch dieser Zusammenhang der Erscheinung der 
radialen Struktur mit dem Kern sowohl auch in der Form, wie 
bei den Polykladen, als auch in anderen Formen beobachtet 
(Goldschmidt, Schubmann?), Gathy°). Eine ganz eigentüm- 


Astern. Nach Francotte (98) aber ist das Bild des Auftretens der Reifungs- 
zentrosomen von Prostheceraeus vittatus etwas komplizierter. Jedes 
von ihnen erscheint auf der Spitze eines aus Fasern gebildeten Konus „ayant 
pour base un triangle spherique ou la surface d’une calotte spherique limitee 
sur la paroi de la v6sicule germinative encore close“. Übrigens konstatierte 
er bei einer andern Turbellarie (Cyclophorus papillosus) Zentrosomen 
dicht an der Hülle des Keimbläschens und das lässt annehmen, dass ein 
ähnliches früheres Stadium auch bei anderen Polykladen vorkommt. 


ı) Van der Stricht (98) fand bei Thysanozoon, dass das erste 
Erscheinen der Sphäre „se montre au niveau de la membrane nucl&aire* in 
Form von zwei Körperchen: das Keimbläschen gibt hier zwei kleine Aus- 
wüchse, die mit hellem Saft gefüllt sind, der sich in Pikrinsäure ebenso gelb 
färbt, wie der Kernsaft. An den Spitzen dieser Auswüchse befinden sich 
die erst flachen Zentrosomen, die den Strahlen den Anfang geben. Diese 
Beobachtungen wurden später von Schockaert (02) bestätigt und am selben 
Objekt. So kann man denn sagen, dass bei den Polykladen das Erscheinen 
der Zentrosomen mit ihren Strahlen eng mit dem Kern zusammenhängt, und 
jener Kegel oder Auswuchs, dessen Spitze das Zentrum der Strahlen vorstellt, 
ist bezüglich seines Verhaltens zur Färbung dem Kernsafte sehr nahe verwandt. 


?), Goldschmidt (02) findet bei Polystomum integerrimum, 
dass an dem Keimbläschen zuerst eine Einbuchtung auftritt, indem sich das 
Plasma verdichtet, und in ihm werden die Strahlen mit dem Zentrosom 
sichtbar. Goldschmidt meint, dass das Auftreten desselben in der Ein- 
buchtung des Kernes leicht zu der Annahme führen könnte, dass es aus 
dem Kerne entsteht, er selbst aber nimmt an, dass es im Plasma entstand. 
In der Oozyte von Fasciola hepatica (Distomum hepaticum) geht 
dem Auftreten der Strahlen nach Schubmann (05) eine Veränderung der 
Form des Keimbläschens voraus. Es vertauscht seine runde Form gegen 
eine unregelmässige. Hierbei finden zweierlei Arten von Veränderungen 
statt: erstens in der Mehrzahl der Fälle wird das Keimbläschen flacher und das 
Eiplasma dringt gleichzeitig in die Einbuchtung ein. Dieser Teil des Zyto- 
plasmas verdichtet sich und färbt sich dunkler. Bei starker Vergrösserung 
sieht man, dass das in die Vertiefung eingedrungene Plasma eine deutliche 
radiale Struktur annimmt. Die zweite Form der Veränderung der Kern- 
struktur besteht in einer Auftreibung des Keimbläschens auf der einen oder 
anderen Seite. Auf der Spitze einer solchen Auftreibung befindet sich das 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 971 


liche Art der Bildung von Polstrahlen der ersten Reifungsspindel 
beschrieb Mead (97) bei Chaetopterus pergamentacea. 
Nach seinen Beobachtungen erscheinen, sobald das Keimbläschen 
einschrumpft, in der das letztere unmittelbar umgebenden Zone, 
eine Masse winziger Aster (bis 75); hierauf fangen zwei von Ihnen 
an über die anderen die Oberhand zu gewinnen und, während 
die übrigen ganz verschwinden, entwickeln sich diese zwei und 
am Kern treten in ihrer Nachbarschaft zwei tiefe Einbuchtungen 
auf. Aber Lillie (06) wies kürzlich nach, dass Meads sekundäre 
Aster flüssige Tropfen, die den Keimbläschen ihren Ursprung 
verdanken, darstellen, um die eine schwache Radiation zu be- 
merken ist. Die primären Aster Meads, d. h. die späteren 
Aster der Reifungsspindel, bilden sich aber ebenso um dünnflüssige 
Tropfen des Keimbläschens. So stellt Lillie die Teilnahme der 
Kernkongredienten an der Bildung der Strahlungen auch bei 


verdichtete Plasma, das auch hier eine radiale Struktur aufweist. Diese 
Beobachtung Schubmanns ist in doppelter Hinsicht interessant: 1. sie zeigt, 
dass es keinen prinzipiellen Unterschied gibt zwischen dem Erscheinen der 
radialen Struktur auf der Spitze des Kernanwuchses (vergl. die Polykladen) 
und dem Erscheinen der strahligen Produkte in der Vertiefung des Kernes, 
dass wir es mit der Modifikation ein und derselben Erscheinung zu tun haben; 
2. sie bestätigt die Tatsache, dass dem Erscheinen der Strahlen entweder 
die Einnahme des Territoriums des Kernes durch das Eiplasma oder die des 
Territoriums des Zytoplasmas durch den Kern vorausgeht, und bringt uns 
dem Gedanken nahe, dass eine wechselseitige Einwirkung des Kernes und 
des Zytoplasmas zur Bildung der Strahlen um den Kern erforderlich ist. 
Goldschmidt (05) fand bei Zoogsonus mirus, dass die Strahlen aus 
dem hellen Felde dicht an der Hülle des Keimbläschens erscheinen. 

®) Gathy (00) fand bei Tubifex rivulorum, dass die Strahlung 
im Zytoplasma an zwei Stellen erscheint, entweder ganz dicht neben dem 
Keimbläschen, oder etwas entfernter von demselben. Im ersteren Falle 
bilden die Kernteile, die den Sphären unmittelbar anliegen, hellere Kegel; 
im zweiten Falle vereinigen sich die Sphären mit den Kernen durch besondere 
Bänder von netzartiger Struktur (vergl. seine Fig. 7). Das allerfrüheste 
Stadium mit den Astrosphären (siehe Fig. 6) weist auf eine schwache Ver- 
flachung des Kernes an den Stellen hin, wo sie denselben anliegen. Was 
die Entstehung der Zentrosomen bei Tubifex im Innern des Kernes, von 
der Gathy spricht, anbetrifft, so kann dieselbe nicht in Betracht gezogen 
werden, da diese Annahme auf einer willkürlichen und offenbar irrtümlichen 
Interpretation seiner Zeichnung Fig. 11 beruht, wo die schon voll aus- 
gestaltete Spindel, die mit ihren Sphären gleichsam im Innern der Kern- 
hülle liegen soll, abgebildet ist; die Spindel und ein Teil des Kernes mit 
der Hülle liegen, wie man annehmen mnss, in verschiedenen Ebenen. 


> 
—1 
[SS 


A. Nekrassoff: 


Chaetopterus fest. Bei den Mollusken erscheinen die Pol- 
strahlen der ersten Reifungsspindel, wie es scheint, auch nicht 
ohne Teilnahme des Kernes (Gonklin, Bonnevie, Smallwood, 
Schaposchnikoff®), der bei Acanthodoris pilosa, viele 
Strahlungen neben dem Keimbläschen entstehen sah). Noch klarer 
geht die Teilnahme des Kernes am Auftreten der Zentrosomen 
und der Strahlung aus den Versuchen hervor, eine solche Strahlung 
in Eiern verschiedener Arten auf künstlichem Wege zu erzielen. 
So fand Wassiljew (02), dass bei Behandlung von Seeigeleiern 
mit einer Mg Cls-Lösung neben dem Kern und gleichsam aus ihm 
heraus sich Zentrosomen mit Strahlen bildeten. Fast dasselbe 
Resultat erzielte Wilson (01). Unter der Einwirkung der MgÜls- 
Lösung erscheint das Furchungszentrosom mit seinen Strahlen 
unmittelbar an der Oberfläche des Eikerns vom Seeigel. Noch 
deutlicher spricht sich zugunsten der Abhängigkeit des Erscheinens 
der Strahlen vom Kerninhalt Yatsu (05) aus, welcher zur Über- 
zeugung gelangt, dass unter der Einwirkung von Lösungen 


ı) ÖOonklin (02) fand bei Crepidula um diese Zeit eine typische 
Gezahntheit der Kernhülle und ist anzunehmen geneigt, dass die Achromatin- 
elemente des Kernes das Material für den Aufbau der Polstrahlen liefern. 
Bei Enteroxenos erscheinen nach Kr. Bonnevie (05) zwei Zentrosomen 
„in der nächsten Umgebung des Kernes“ und sind ebenfalls von einer starken 
Schrumpfung des Kernes begleitet. Ich erlaube mir daran zu zweifeln, dass 
die Auffassung der Granulae, welche Kr. Bonnevie in ihrer grossen Arbeit 
(06) für Zentrosomen im Stadium des ruhenden Eikernes ansieht, richtig ist. 
So z.B. liegt auf Fig. 48 dieser Arbeit eine der Granulae, die der Autor für 
ein Zentrosom hält, der Kernmembran auf. Solche Granulae gibt es auf 
der Kernmembran auf derselben Zeichnung mehrere, und als einziges Kriterium 
erscheint offenbar der Umstand, dass in der Nähe dieser Granula eine 
andere im Zytoplasma liegt. Nur dort, wo uns das Zentrosom als eine 
differenzierte Plasmapartie entgegentritt, wie auf Fig. 49, kann man sicher 
sein, dass es wirklich Zentrosomen sind, wenn auch auf Fig. 50 durch den 
Buchstaben © eher ein Dotterkügelchen als ein Zentrosom bezeichnet erscheint. 

Smallwood (05) zeichnet bei Montagua Gouldii zwei Zentrosomen 
der ersten Reifungsspindel mit Polstrahlen und einer jungen Spindel an der 
Stelle des Kernes, wo die Membran des letzteren verschwand. Dabei er- 
scheinen diese Zentrosomen genau auf der Verlängerung der Linie der übrig- 
gebliebenen Kernmembran. 

Nach B. Schaposchnikoff (08) bei Acanthodoris pilosa „steht 
die Keimblase im Begriff sich aufzulösen, wobei um dieselbe herum Strahlungen 
auftreten“. Einige von diesen Strahlungen erscheinen mit den Zentrosomen 
gerade auf der Verlängerung der Kernmembran (siehe seine Zeichn. 5) und 
die, aus ihren Zentren ausgehenden Strahlen scheinen gleichartig zu sein. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 378 


Zentrosomen mit Strahlen nur in den kernlosen Eifragmenten 
von Cerebratulus, die man nach der Bildung der ersten 
Reifungsspindel erhielt, auftreten, und dass umgekehrt dieselben 
fehlten, wenn man das Experiment vor dem Zerfall des Keim- 
bläschens vornahm: „In all probability the intermingling of the 
nuclear fluid and eytoplasm during the time of fading of the 
germinal vesicle gives to the eytoplasm the aster producing power“. 

Die Literaturangaben über die ringförmige Anordnung der 
Chromosomen um die Sphären, welche ich als Symptome der Be- 
wegung der Kernkongredienten zu den Bildungszentren der 
Strahlen hin betrachte, sind verhältnismässig spärlich (vel. Griffin 
[99] bei Thalassema, Coe [99] bei Cerebratulus!), 
Schubmann [05]) bei Fasciola hepatica). Es finden sich 
auch mehrere Literaturangaben über die Teilnahme des Kernes 
an der Entstehung der Strahlung der ersten Furchungsspindel. 
Ich will hier einige Beispiele ebensolcher Beobachtungen in der 
Anmerkung anführen. ?) Die Entstehung der primitiven Strahlen 


') Coe sagt, dass bei Cerebratulus sich die Chromosomen während 
der Prophase der ersten Reifungsspindel in zwei Gruppen an die Fasern zweier 
Sterne setzen, sodass die eine Gruppe dem einen Stern, die andere dem andern 
angehört; zuweilen aber sammeln sich alle Chromosomen im einen Stern. Das 
Resultat bleibt aber immer dasselbe — ihre Anordnung zu einer Äquatorial- 
platte. Es ist richtig, versichert Coe, dass die Wanderung der Chromosomen 
an den künftigen Ort des künftigen Zentrosoms schon dann stattfindet, wenn 
die Kernhülle noch unberührt ist, aber seine Zeichnungen sprechen eher für 
das Gegenteil: die Chromosomen sind bei den Strahlen zu sehen, wenn die 
Aster schon eine bedeutende Grösse erreicht haben (siehe seine Zeichn. 21, 
Taf. XXXIV). 

”) So beschreibt Coe (99) bei Üerebratulus das uns bekannte Bild. 
Ich führe es wörtlich an: „In nearly all of the numerous eggs, which I have 
examined in this stage the nuclear membrane was already interrupted at 
the two points occupied by the asters. The centrosomes then lie in such a 
position that if we were to join the interrupted ends of the membrane in a 
section the line would pass through the centrosome. This does not indicate 
that the centrosomes have moved together but rather that the ends of the 
membrane have been separated. Indeed, the asters have already begun to move 
apart, but the nucleus elongated at a corresponding rate so that the asters 
are always at its ends*“. 

Van Janicki (07) zeichnet bei Taenia serrata die Furchungs- 
zentrosomen genau an der Stelle der Unterbrechung (oder der Grenze) der 
Hülle des Kopulationskernes (s. seine Zeichnung 10b, Taf. XXXIV). Die 
Furchungszentrosomen mit primitiven Astern von Prosteceraeus liegen 
nach Klinckowström (97) auch dicht an den Kernen, wenn sie sichtbar 


74 A. Nekrassoff: 


neben den Kernen steht im Zusammenhange mit dem Verlust 
des Kernsaftes im „angegriffenen“ Teil des Kernes, einem 
Aufhören des Turgor und einer lokalen Einschrumpfung 
seiner Membran ; die letztere halten viele Autoren meiner Ansicht 
nach irrtümlicherweise für das Resultat der mechanischen Ein- 
wirkung der Strahlen auf den Kern. Aber ihre Zeichnungen 
bestätigen bei weitem nicht immer ihre Behauptung. Als Beispiele 
kann ich die entsprechenden Stadien der Prophase der ersten 
Reifungsspindel bei Thalassema (Griffin [99]) und besonders 
bei Cerebratulus (Coe [99]) anführen (siehe seine Fig. 3, 4, 5 
und 6 Taf. IX), ebenso wie das Stadium der Prophase der ersten 
Reifungsspindel bei Serpula (s. Soulier [06], Textfig. IH u. VII). 

Aus dieser Übersicht, auf deren Vollständigkeit ich keinen 
Anspruch erhebe, schliesse ich, dass die Bildung der Strahlen 
mit ihren Zentren neben dem Kern eine weit verbreitete Tatsache 
ist, welche eine gleichzeitige Teilnahme der Kernelemente und 
des Zytoplasmas am Aufbau dieser Strahlen unter gewissen Be- 
dingungen anzuerkennen zwingt. 


2. Der Zerfall der Strahlung und die Entstehung 
derselben in der zweiten Reifungsspindel. 


Wir wissen aber, dass die Entstehung der neuen Strahlen 
um die Tochterzentrosomen herum gewöhnlich ohne Teilnahme 
des Kernes stattfindet. So entsteht z. B. die Strahlung der zweiten 
Reifungsspindel bei Cymbulia Peronii. Versuchen wir auch 
hier zu bestimmen, welche morphologischen Zellelemente an ihrer 


werden. Schockaert (05) fand bei Thysanozoon, dass beide Furchungs- 
zentrosomen auf einmal erscheinen, jedes neben einem der Kerne, mit dem 
es innig verbunden ist. Ebenso entstehen dieselben bei Haminea 
solitaria nach Smallwood (01, 04) im Zusammenhang mit jedem Kerne 
de novo. Lillie (00) weist darauf hin, dass bei Unio beim Erscheinen der 
Furchungszentrosomen dieselben beide der Berührungsstelle beider Geschlechts- 
kerne dicht anliegen. Lefevre (07) findet, dass bei künstlicher Befruchtung 
bei Thalassema zwei zarte Furchungsaster unmittelbar aussen an der 
Kernmembran einander gegenüber auftreten. In dem Zentrum jedes Aster 
ist das Zentrosom ausgezeichnet sichtbar. Es existiert keinerlei Hinweis 
darauf, dass dieselben aus der Teilung eines Zentrosoms hervorgehen. Lefevre 
zweifelt nicht daran, dass diese Aster mit den Zentrosomen Neubildungen 
sind. Die Periode der „Ruhe“ der Kerne hält 1—2 Stunden an und es gibt 
keinerlei Hinweise darauf, dass irgend ein Zusammenhang zwischen dem 
Zentrosom des Eies und den Astern der Furchung besteht. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 975 


Entstehung teilnehmen. Als Material für einen solchen Versuch 
muss wiederum die Erforschung des Zellenzustands vor Beginne 
der Strahlung dienen. 

In der Anaphase der ersten Reifungsspindel (Fig. 11) sehen 
wir noch sehr lange Strahlen und nur im peripheren Teil des 
Äquators der Spindel und in den peripheren Teilen des hellen 
Kegels, der sich über dem äusseren Zentrosom befindet, treten 
grosse Körner auf: sie erscheinen hier als Produkte des Strahlen- 
zerfalls. Die Verkürzung der Strahlen der ersten Reifungsspindel 
eeht von der Peripherie aus und wird von der Bildung von 
Guirlanden grosser Körner') begleitet, die durch Parzellen von 
hier besonders lockerem Zytoplasma getrennt werden (vgl. Fig. 14 
und Fig. 16). Diese Guirlanden grosser Körner, die gleichsam 
den Achromatinwänden der Alveolen im Achromatinnetz angelagert 
sind, sind zu sehr an gewisse Stadien gebunden, als dass man sie 
für das Resultat einer misslungenen Konservierung ansehen könnte. 

Mit dem Wachstum der neuen Strahlen verschwinden diese 
grossen Körner im gelockerten Zytoplasma, indem sie anfangs 
nur in geringer Zahl an der Peripherie des Eies zurückbleiben 
(Fig. 15 und 19). Dieser Umstand erlaubt uns den Schluss, dass 
das Wachstum der neuen Strahlen der zweiten Reifungsspindel 
auf Kosten der Zerfallprodukte der alten Strahlen 
stattfindet. 

Als eine Bedingung der Bildung neuer Strahlen erscheint 
mir auch die Veränderung im Zustande des zytoplasmatischen 
Mediums, zZ. B. des physikalisch-chemischen Gleichgewichts der 
im Zytoplasma gelösten Substanzen, welche bei der Abschnürung 
des ersten Richtungskörpers zuerst an den am weitesten vom 
innern Zentrosom entfernten Orten auftritt und dann sich zentri- 
petal zum Zentrosom hin fortsetzt. So erkläre ich mir den all- 
mählichen Zerfall der Polstrahlen von ihrem peripheren Ende 
aus. Wenn nun die Welle dieser Veränderung des Zustandes 
des Mediums bis zur hellen Substanz neben dem „Mutterzentrosom“ 
vorgeschritten ist, dann beginnt um die Zentriolen eine energische 
Bildung der neuen Strahlensubstanz. 


!) Auf eine analoge Erscheinung macht V. Rüzitka (07) bei den Um- 
wandlungen des zentrierten Mitoms im Meerschweinchenleukozyt aufmerksam, 
dabei verwandeln sich einige Radien in kleine Granulae, die zuerst in radiärer 
Richtung liegen bleiben, um sich darauf unregelmässig zu verstreuen. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. 73, 63 


976 A. Nekrassoff: 


Der Prozess des Zerfalls der Polstrahlen der zweiten Reifungs- 
spindel beginnt aber im Zentrum und geht in zentrifugaler 
Richtung vor sich.') Hier bilden sich keine grossen Körner, 
wie dies während des Zerfalls der Strahlen der ersten Spindel 
der Fall war. Die Strahlen werden hier dünner und verschwinden 
allmählich, aber vorher, und das ist besonders charakteristisch, 
verlieren sie ihre Orientierung zum Zentrosom, indem sie brechen 
und miteinander anastomosieren. Auf diese Weise erhalten wir 
eine Art sehr feiner Netzstruktur (Textfig. 15). Dieser Prozess 
schreitet zentrifugal fort und die Strahlen lösen sich voll- 
kommen auf.?) 

Wovon hängt nun aber dieser Unterschied zwischen den 
Prozessen des Zerfalls der Strahlen der ersten und zweiten 
Reifungsspindel ab? 

Das unterscheidende Moment im Zerfall der Strahlen der 
zweiten Spindel liegt darin, dass gleichzeitig mit ihm die Auf- 
quellung der Chromosomen und Geschlechtskerne beginnt. Wenn 
man diesem die Tatsache gegenüberstellt, die wir schon im ersten 
Kapitel feststellten, dass nämlich die Strahlen später wieder an 
der Grenze des Zytoplasmas und des Kernes bei der Auflösung 
der Membran des letzteren, als Resultat der Wechselwirkung der 
Elemente des einen wie des anderen auftreten, so gelange ich 
zu folgendem hypothetischen Schlusse: 

Der Zerfall der Polstrahlen der ersten Spindel — als deren 
sichtbare Produkte das gelockerte Plasma und die Guirlanden von 
grossen Körnern erscheinen — gab das Material zur Bildung 
von neuen Strahlen der zweiten Spindel um die Zentriolen herum. 

Die Zerfallprodukte der Polstrahlen der zweiten Spindel 
fanden nicht Zeit, sich in ebensolcher Gestalt zu äussern, weil 


!) Dieser Unterschied zwischen den Vorgängen des Zerfalls der Pol- 
strahlen beider Reifungsspindeln wurde zuerst, soviel mir bekannt, durch 
Mac Farland (9°) für Pleurophyllidia festgestellt. 

2) Eine ähnliche Erscheinung beobachtete Coe (99) bei Cere- 
bratulus. Zuerst wird dort der innere Teil der Strahlen dünner, dann 
schwindet das Zentrosom, dann degenerieren die Strahlen vom Ende aus, 
das dem Zentrum am nächsten liest. Die degenerierende Faser verliert ihre 
Färbungsfähigkeit, wird kleiner, löst sich dann in eine Reihe von Granulae 
auf, die dann noch lange erhalten bleiben. Byrnes (99) findet, dass die 
hochspezialisierte Astrosphäre von Limax sich in ein Netz von Zytoplasma 
auflösen kann, durch allmähliche Abschwächung der vom Fokus, d.h. dem 
Zentrosom ausgehenden Spannung. 


—I 
| 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 2) 


sie sofort zum Teil von den Chromosomen und Kernen, zum Teil 
vom Zytoplasma absorbiert wurden. Somit nehme ich an, dass 
die Anquellung der Kerne zum Teil auf Kosten der Zerfallprodukte 
der verschwindenden Strahlensubstanz stattfindet.') 

Der Zerfall der Strahlen der ersten Spindel hängt von der 
Veränderung des Zustandes des Zytoplasmas ab, einer Veränderung, 
die zentripetal zum Zentrosom fortschreitet. 

Der Zerfall der Strahlen der zweiten Spindel hängt von der 
Veränderung des Zustandes im Zentrum der Strahlen ab, einer 
Veränderung, die zentrifugal vor sich geht und vom Anquellen 
der Chromatinelemente begleitet wird. 


3. Die Kopulationsbahn der Geschlechtskerne. 


Das Aufquellen der Chromatinelemente findet, wie wir sahen, 
eleichzeitig mit der Auflösung der Strahlung und der Schrumpfung 
des Zentrosoms statt. Ich spreche die Vermutung aus, dass hier 
nicht nur eine Gleichzeitigkeit der Prozesse vorliegt, sondern 
auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen ihnen. Die Auf- 
lösungsprodukte der Strahlen liefern wahrscheinlich das Material 
zur Quellung der Chromosomen und des Spermakerns. 

Ich behaupte ferner, dass auch die Ursache der Be- 
wegung des Spermakerns zum weiblichen Kern, der 
sogenannten „Kopulationsbahn“ (Roux), dieselbe ist 
wie die Bewegungsursache der anquellenden Chro- 
mosomen zum Strahlenzentrum. 

Dieses folgt: 1. daraus, dass die anquellenden Chromosomen 
sich dicht an das Zentrum der Strahlen herandrängen (vgl. be- 
sonders Fig. 33), 2. dass der Spermakern in Wirklichkeit sich 
nicht zum weiblichen Kern, sondern zum Strahlenzentrum hin- 
bewegt (siehe S. 948), 3. dass die Form des Spermakerns, der sich 
zum Zentrosom hinbewegt, trotz des Grössenunterschiedes, 
täuschend derjenigen des weiblichen Chromosonis gleicht, welches 
zum Strahlenzentrum vordringt (vgl. Fig. 33, 58 und Textfig. 15). 

Es ist schon mehr als einmal darauf hingewiesen worden, 
dass die Kopulationsbahn der Geschlechtskerne nicht nur ‘durch 
die Bewegung zueinander hin bestimmt wird, sondern auch durch 


!) Gewiss bin ich weit von dem Gedanken entfernt, dass ein einfaches 
reciproques Verhältnis zwischen dem Strahlenzerfall und dem Anquellen der 
Kerne besteht. 

63* 


978 A. Nekrassoff: 


die Bewegung beider zu einem gewissen neutralen Punkt. All- 
gemein bekannt ist die schematische Zeichnung der Bahnen der 
Geschlechtskerne bei Toxopneustes (nach Wilson und 
Mathews). Es ist interessant, hier hervorzuheben, dass der 
Eikern nur von dem Momente an seine Bewegung beginnt, wenn 
die Penetrationsbahn des Spermatozoon in die Kopulationsbahn 
übergeht und diese Bewegungen von amöboiden Veränderungen 
der Kernform begleitet wird. Im Jahre 1894 machte Conklin 
die Voraussetzung, dass die Geschlechtskerne sich einander passiv 
nähern, dank der Bildung, Anheftung und Verkürzung der 
Strahlen. Kostanecki und Wierzejski (95) bestätigten 
ebenfalls diese Anschauung. Bei Physa sind die Strahlen im 
Moment der Annäherung der Kerne besonders gross, sobald aber 
die Annäherung beendet ist, hören die Strahlen zu funktionieren 
auf und verschwinden. Aber Wilson bestritt diese Anschauungs- 
weise, indem er fand, 1. dass die wirklichen Kernbahnen sie nicht 
bestätigen; 2. die Kopulation der Kerne auch da stattfindet, wo 
es keine Strahlen gibt; 3. die Fälle von Dispermie gegen dieselbe 
sprechen. Im Jahre 1902 steht Conklin schon auf einem andern 
Standpunkt, indem er sagt: „Nevertheless, unless the nuclei are 
actively locomotive it must still be true that they are brought 
together by something outside themselves. This something must 
of necessity be found in the eytoplasm (including the aster) unless 
the nuclei are able of themselves to move actively. These is 
every evidence that the nuclei in this as in most other cases 
of movement are passive and that their movements are brought 
about by the activity of the eytoplasm.“ Die Anzeichen dieser 
„Aktivität“ sieht Conklin darin, dass die Migration des Sperma- 
kernes von einer immer grösser werdenden Abtrennung des 
Dotters vom Zytoplasma begleitet wird. So überträgt Conklin 
die Ursache von der Tätigkeit der Strahlen auf die Bewegung 
des Zytoplasma im Innern des Eies, wobei die Kerne passiv 
transportiert werden. Wilson (02) fand, dass in ätherisierten 
Seeigeleiern die Vereinigung der Geschlechtskerne, wenn auch 
nicht:immer, auch ohne Bildung einer Spermastrahlung vor sich 
gehen kann. Hieraus zog er den Schluss, dass auch bei einer 
normalen Befruchtung die Annäherung der Geschlechtskerne nicht 
unmittelbar mit derselben zusammenhängt. Am allerbesten liesse 
sich die Erscheinung der Annäherung der Geschlechtskerne, wie 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 979 


Wilson annimmt, dadurch erklären, dass Protoplasmaströmungen 
vorhanden seien, die durch die Ätherisierung des Kernes ver- 
langsamt oder sogar ganz zum Stillstande gebracht werden; aber 
ein eingehendes Studium der normalen Befruchtung beim Seeigel 
bestätigt diese Hypothese nicht. In der Tat wird die Bahn 
des Eikerns bei normaler Befruchtung durch die Spur bezeichnet, 
welche die beiseite gestossenen und hinten nach- 
folgenden protoplasmatischen Granulae, die sich bei Toxo- 
pneustes an lebenden Eiern mit Neutralrot tingieren lassen 
und die Pigmentkörner von Arbacıa hinterlassen. Das macht 
die Existenz einer allgemeinen protoplasmatischen Strömung, von 
welcher die Kerne passiv mitgeführt werden, höchst unwahr- 
scheinlich. So kommt denn Wilson zu dem unerfreulichen 
Schluss, dass die Annäherung der Geschlechtskerne unerklärlich 
bleibt. Es könnte schliesslich scheinen, dass die amöboiden Form- 
veränderungen des Eikerns für die Aktivität der Kerne selbst 
sprechen, doch glaubt Wilson, dass eine solche Hypothese nur 
schwer auf die Bewegung des Spermakernes, der einen längeren 
Weg als der Eikern zurückzulegen hat, angewandt werden kann. 
Somit kann die Annäherung der Geschlechtskerne nicht 
hervorgerufen werden: 
l. weder durch die Anziehung der Strahlenfasern (siehe 
Wilsons Einwand); 
2. noch durch die allgemeine protoplasmatische Bewegung, 
welche die von ihr mitgeführten Kerne passiv mitreisst 
(siehe die eingehenden Beobachtungen von Wilson über 
die Befruchtung von Toxopneustes und Arbacia): 
3. noch durch die Aktivität der Kerne selbst. Gegen letztere 
Annahme spricht die zu lange Bahn des Spermakerns 
(Wilson). Ausserdem ist es unbegreiflich, warum die 
Geschlechtskerne „aktiv“ sich nicht direkt zueinander, 
sondern zu einem neutralen Punkt hin bewegen. Weiter 
ist es notwendig, genauer zu bestimmen, worin diese 
Aktivität besteht. }) 


!) Der Ausdruck „Aktivität“ wird gewöhnlich zur Bezeichnung einer 
Tätigkeit angewandt, die von einem psychischen Willensakt begleitet wird; 
wenn man aber unter „Aktivität“ bloss die Fähigkeit zur Bewegung versteht, 
so ist das Wort „Aktivität“ keine Erklärung, sondern nur die Feststellung 
der Tatsache der Bewegung selbst, da eine jede Bewegung offensichtlich 


9S0 A. Nekrassoff: 


Über die Ursache der Annäherung der Vorkerne bei 
Uymbulia Peronii können wir nur nach der Analyse der 
dieser Annäherung vorausgehenden und dieselbe begleitenden Er- 
scheinungen urteilen. Diese Erscheinungen sind folgende: 

1. die Abschnürung des zweiten Richtungskörpers ; 

2. die unmittelbar nach dieser Abschnürung beginnende 
Strahlen- und Zentrosomsdegeneration und die Prozesse 
des Aufquellens der weiblichen Chromosomen und des 
Spermakerns; 
die Fortsetzung der Degeneration des Astralsystems und 
die des Aufquellens der Chromatinelemente während ihrer 
Bewegung zum Zentrosom hin. 


© 


Die Bedingungen, welche die Auflösung des Strahlensystems 
in der Eizelle veranlassen, müssen eine zeitweilige Ungleich- 
artigkeit des Zytoplasmamediums hervorrufen; die Zerfallsprodukte 
der Strahlen müssen sich nämlich hauptsächlich im Zentrum des 
Strahlensystems bilden und in diesem Zentrum kann das Zyto- 
plasma also seine Dichtigkeit zeitweilig verändern. Gleichzeitig 
muss natürlich das Anquellen der Chromatinelemente, das sich, 
wie oben bereits erwähnt, teilweise auf Kosten der Zerfallsprodukte 
der Strahlen vollzieht, auch deren spezifisches Gewicht verändern. 

Das Zusammenwirken dieser Faktoren erzeugt meiner An- 
sicht nach die Bewegung der anquellenden Chromosomen und des 
Spermakerns bei Cymbulia zum erlöschenden Zentrosom, als 
dem Orte des geringsten Druckes hin. Es ist bekannt, dass die 
anquellenden Chromosomen der Telophase fast bei jeder Karyo- 
kinese die Stelle einnehmen, wo sich das Zentrosom mit seinen 
Strahlen befand. Der Spermakopf verhält sich bei Cymbulia 
hier ebenso, wie jede der anquellenden weiblichen Chromosomen. 
Ob wir es, ausser den oben erwähnten Ursachen, noch mit einer 
Chaemotaxis zu tun haben, Kann ich nicht sagen. Jedenfalls 
kann bei Cymbulia von keiner Attraktion des Spermakerns 
durch die Verkürzung der Strahlen die Rede sein, da eine solche 


nicht ohne die Bewegungs-„Fähigkeit“ des sich bewegenden Gegenstandes 
stattfinden kann. Versteht man aber unter „Aktivität“ eine solche Handlung, 
wo die Reaktion auf einen äusseren Stimulus über die Grenzen einer ge- 
wöhnlichen physikalisch-chemischen Reaktion hinausgeht, so ist die Erklärung 
durch „Aktivität“ wiederum keine Erklärung, sondern die Feststellung unserer 
Unkenntnis der Ursache. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 981 


Verkürzung nicht vorhanden ist. Die Strahlen werden nur durch- 
sichtiger, dünner und bilden bald darauf ein dünnes Netz neben 
dem Zentrosom. 

Wollen wir unsere Schlussfolgerung wiederholen. Die De- 
seneration der Astralfiguren ist besonders stark 
im Strahlenzentrum; sie fördert das Anquellen des 
Eikerns und Spermakerns und verändert die Dich- 
tigkeit des Strahlenzentrums. Das Anquellen der 
Chromosomen und desKerns ruft dureh Veränderung 
ihres spezifischen Gewichts deren Bewegung zum 
Zentrosom hin hervor, welche mit der Kopulation 
der Kerne endet. 

Folgende Beobachtung bestätigt diese These. In der grossen 
Menge der von mir durchgesehenen Eier dieser Stadien sah ich 
kein einziges Mal auch nur einen nicht angequollenen Sperma- 
kopf ausserhalb der Zone des feinkörnigen Dotters. In der Zone 
des letzteren sah ich aber wohl zuweilen einen eben im Beginne 
der Anquellung begriffenen Kern. Die angequollenen Spermakerne 
werden aber im Zytoplasma nur auf dem Wege zum Zentrosom 
und neben demselben angetroffen, und — das kann als allgemeine 
Regel gelten — je mehr sie dem Zentrosom genähert sind, desto 
mehr quellen die Kerne an. 

Dass die Chromosomen und der Spermakern auf Kosten der 
Zerfallsprodukte der Strahlen anquellen, ist zweifellos eine Hypo- 
these. Es ist aber Tatsache, dass sie sich (beiUCymbulia) beim 
Anquellen zum Zentrum der zerfallenden Strahlen hin bewegen, 
was, wie ich vermute, auch bei vielen anderen Tieren nach- 
gewiesen werden wird. Schon jetzt kann ich hier einige Beispiele 
anführen. 

Bei Cerebratulus (Coe [99]) streben die anschwellenden 
Chromosomen zum Orte des Zerfalls des ehemaligen Strahlen- 
zentrums (d. h. zu der Bildung, die Coe „Zentrosphäre“ nennt) 
hin und bauen sich auch die neuen Zentren auf Kosten der zer- 
fallenden Strahlen auf, da dasselbe um diese Zeit das Bildungs- 
zentrum der Strahlen darstellt und nicht das Zentrum ihrer 
Degeneration. Coe sagt von den Bläschen des weiblichen Kerns, 
dass sie anschwellend „occupy the position formerly held by the 
centrosome, so that the aster-fibres at the time radiate in all 
directions from the clusters of chromosomal vesicles“, und in 


982 A. Nekrassoff: 


betreff des Spermakerns „its path is likewise towards the point, 
where the egg-nucleus is to form later“. 

Smallwood (01) sagt aber, dass bei Bulla solitaria, 
wenn die Chromosomen der zweiten Reifungsspindel die Form 
von Bläschen anzunehmen beginnen, der Spermakopf, welcher aus 
einem oder mehreren Bläschen besteht, sich schnell dem inneren 
Pol der zweiten Reifungsspindel nähert. 

Soulier (06) weist in seiner Arbeit darauf hin, dass bei 
der Befruchtung von Serpula, ungeachtet des Vorhandenseins 
einer prächtig ausgebildeten Spermaaster, der Spermakern sich in 
der Richtung zum Eikern hin bewegt. der letztere demselben 
aber gewöhnlich nur sehr schwach entgegenrückt: „En general 
le pronucleus femelle modifie tres peu la position qu’il occupe 
dans la region peripherique et ne s’avance que faiblement au 
devant du pronucleus mäle; l’union a lieu vers le milieu du rayon 
de l’oeuf occup& primitivement par le pronucl&us femelle.“ Diese 
fein beobachtete schwache Vorwärtsbewegung, die der Forscher 
bemerkte, ist meiner Ansicht nach die Bewegung zum Orte des 
ehemaligen Oozentrum. 

So stelle ich für alle ähnlichen Objekte folgende These auf: 
„Die Kopulationsbahn der Geschlechtskerne wird 
durch. dieselbe Ursache bedingt, welche auch die 
Bewegung der Chromosomen zum Zentrosom in der 
Telophase bestimmt; diese Bahn ist nicht die Be- 
wegung der Kerne zueinander, sondern ihre Bewegung 
zum Zentrum des erlöschenden Strahlensystems des 
weiblichen Zentrosoms; sie steht mit dem Anquellen 
dieser Kerne, welches schnell nach der Abschnürung 
des zweiten Richtungskörperchens erfolgt, im Zu- 
sammenhang.“ 


4. Die Permanenz der Zentrosomen und die 
Befruchtung. 


Die Hypothese der Permanenz der Zentrosomen beruht auf 
der fortwährend wiederholten Beobachtung, dass bei der Teilung 
der Zellen die Bildung neuer Teilungszentren gewöhnlich durch 
Auseinandergehen der Tochterzentriolen stattfindet. Doch gibt 
es Fälle (wie bei der Entstehung der Furchungszentrosomen bei 
Cymbulia), wo die neuen Zentren sich scheinbar ohne Mit- 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 9853 


wirkung des früheren Zentrosoms bilden und in solchen Fällen 
muss entschieden werden, ob wir es hier mit einem gewöhnlichen 
Prozess, der auf irgend eine Weise unserer Beobachtung entging, 
oder mit einer tatsächlichen Entstehung des Zentrosoms „de novo“ 
zu tun haben. 

Die Frage von der Permanenz der Zentrosomen ist eine der 
schwersten in der Zytologie. Man kann sagen, dass sie mit Hilfe 
der jetzigen analytischen Mittel nicht mit voller Sicherheit gelöst 
werden kann. Hier kann nur mit grösserer oder geringerer 
Wahrscheinlichkeit von dieser Permanenz gesprochen werden. 
Jedenfalls ist es interessant, dass die meisten Forscher der letzten 
Zeit diese Permanenz nur den Zentriolen zuschreiben, d. h. dem- 
jenigen Korn, dem Granula, von dessen Form und Struktur wir 
gewöhnlich keinerlei Aussagen zu machen imstande sind und 
welches wir von den übrigen Mikrosomen im Zytoplasma nur 
während seiner „Tätigkeit“, d. h. im Zusammenhang mit der 
Strahlung oder Sphäre unterscheiden können. Im „Ruhezustand“ 
können wir sehr oft die Zentriolen gar nicht finden, besonders 
in den Oozyten, und auch nicht mit völliger Bestimmtheit beweisen, 
dass einzelne Granulae im Zytoplasma in der Tat Zentriolen sind. 
Die Anhänger der Permanenz des Zentrosoms, ebenso wie die 
Anhänger der Beständigkeit des Archoplasma, lassen sich nicht 
überzeugen, wenn man ihnen die Abwesenheit ihrer „permanenten“ 
Bildungen in den Objekten nachweist. Ihre Antwort auf solche 
Beweise lautet: die Mangelhaftigkeit unserer analytischen Mittel 
wäre daran schuld. Diese Mangelhaftigkeit hindert jedoch nicht 
die meisten von ihnen, zu behaupten, dass das Eizentrosom, nach 
3overis Befruchtungstheorie, wirklich „vernichtet wird“. 

(Gegen die Permanenz der Zentrosomen sprechen stark 
Wilsons Versuche mit den künstlichen „Zytaster“. Wilson 
fand, dass die künstlichen Zytaster, die in grosser Menge bei 
Einwirkung von MgCls im Plasma der Seeigeleier auftreten, 
Zentrosomen besitzen können, die von „echten“ Zentrosomen ihrer 
Struktur und den Strukturverhältnissen zur Strahlung nach nicht 
zu unterscheiden sind, dass sie an der Kernteilung teilnehmen 
können, dass sie Zytoplasmapartien absondern können und dass 
ihre Zentren sich wie echte Zentriolen !) teilen können. Somit 


!) Dieser Punkt ist sehr wichtig, daBoveri vor Wilsons Versuch 
zu beweisen suchte, dass die Fähigkeit sich in zwei zu teilen, nur echte 


984 A.Nekrassoff: 


sind die Zentralkörper der Zytaster echte Zentrosomen, die im 
Zytoplasma gebildet werden !). 

Nach diesen Versuchen Wilsons fällt die Notwendigkeit, 
schon die Furchungszentrosomen als Derivate irgend welcher 
anderen Zentrosomen anzusehen, weg. Daher soll die unmittel- 
bare Beobachtung des Schicksals der Zentrosomen während der 
verschiedenen Prozesse in der Eizelle uns nachweisen, ob wir es 
bei Cymbulia mit tatsächlicher Neubildung der Furchungs- 
zentrosomen oder nur mit einem scheinbaren Prozesse zu tun 
haben. Wie ich schon in meiner vorläufigen Mitteilung bemerkte, 
„kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Furchungs- 
zentrosomen bei Uymbulia de novo entstehen, wenn man die 
Prozesse, welche sich in den Kernen und dem Zytoplasma während 
der Annäherung der Geschlechtskerne aneinander, während ihres 
Wachstums und während der Bildung der Furchungsspindel ab- 
spielen, schrittweise verfolgt“. 

So wird das Befruchtungsproblem, welches wir in der Ein- 
leitung zu unserer Arbeit formuliert haben, für Cymbulia auf 
folgende Weise gelöst: 

1. Die Furchungszentrosomen stammen nicht von den Sperma- 
zentrosomen ab, wie es für viele andere Objekte fest- 
gestellt wurde, sie entstehen wahrscheinlich de novo. 

2. Die Einwirkung der Elemente des Spermatozoon auf die 
Reifungs- und Teilungsprozesse in der Eizelle äussert 
sich nicht wahrnehmbar. 

3. Das Eizytoplasma wirkt auf den Spermakopf ein, welcher 
durch das Verkürzen und Aufrollen seine Form verändert, 
nach der Abschnürung des zweiten Richtungskörpers an- 
quillt und durch das Zentrum des degenerierenden 


Zentrosomen besitzen. Nachdem Wilson festgestellt hatte, dass den künst- 
lichen Zentrosomen dieselbe Fähigkeit zukommt, scheint es nicht wunderbar, 
dass die Zentrosomen oder Zentriolen der zweiten Reifungsspindel, obwohl 
sie dem Untergange geweiht sind, sich verdoppeln (vergl. Griffin, Coe, 
Kostanecki und Vierzejski, Soulier), ebenso wie das Zentrosom 
des Spermatozoon. 

') Petrunkewitschs (04) Annahme, dass die Zytaster mit ihren 
Zentrosomen Produkte der Teilung des echten Eizentrosoms seien, wird, wie 
das Wilson nachwies (04), zweifellos durch die Beweise nicht bestätigt, 
die Petrunkewitsch in seiner Arbeit gibt. Jedenfalls reichen sie nicht 
aus, um Wilsons Schlüsse zu widerlegen. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 985 
y 


weiblichen Strahlensystems, ebenso wie die anquellenden 
weiblichen Chromosomen, angezogen wird. 

4. Nach der Vereinigung der Geschlechtskerne verhält sich 

der Spermakern wie die Hälfte des Kernes gewöhnlicher 
Zellen; er nimmt in gleichem Maße, wie auch der Ei- 
kern, an der Bildung der achromatischen Figur der 
Karyokinese teil und gibt die halbe Anzahl der Chromo- 
somen für die erste Furchungsspindel. 

5. Der Schwanz des Spermatozoon wird allmählich durch 

das Zytoplasma assimiliert. 

So stehen die Resultate unserer Analyse der Reifungs- und 
Betruchtungsprozesse bei Uymbulia mit Boveris Befruchtungs- 
theorie im Widerspruch. Wenn man aber als Ausgangspunkt 
die Fälle nimmt, wo. wie bei Chaetopterus, dem Axolotl, 
Amphioxus oder Serpula, Boveris Theorie fraglos durch 
Tatsachen bestätigt wird, kann man durch eine Reihe unmerk- 
licher Übergänge zu andern Fällen gelangen, die, wie bei Uym- 
bulia, scheinbar im scharfen Widerspruch mit der Theorie 
stehen !), und man kann so zu der Behauptung gelangen, dass 


') Kostanecki (06) sammelte sorgfältig alle Befruchtungsfälle, die 
genau mit dem Schema Boveris (Seite 401—409) übereinstimmen. Bei 
Askaris (Boveri [90], Erlanger, Kostaneckiund Siedlecki 
und andere), Amphioxus (Sobotta [97]), dm Axolotl (Jenkinson 
[04] und Fick), Bufo (Helen Dean King [Ol], Branchipus 
(Brauer [9], Asplanchna (v. Erlanger), Ophryotrocha 
(Korschelt [9], Chaetopterus (Mead [9], Gonothyrea 
loveni (Wulfert [02], Myzostoma (Kostanecki [06]) und 
Mactra (Kostanecki [04)). 

Bei anderen Objekten stellen die Beobachtungen die Gegenwart des 
Spermazentrosoms und der Spermastrahlung und ferner ihr mehr oder minder 
völliges Verschwinden fest. Die Furchungszentrosomen aber erscheinen mit 
ihren Strahlen später, öfters ohne Bezug zur Spermastrahlung. Bei Pleuro- 
phylidia (Mac-Farland [9)) Unio (Lillie [00)), Lymnaea 
(Linville [00])), Allolobophora (Foot und Strobell [03]), 
Prosteceraeus (Klinckowström [97]). bei Arericola (Child), bei 
Thysanozoon(Schockaert [02]), Strongylus filaria (Struck- 
man [05]), Bulla solitaria (Smallwood [O1], Crepidula 
(Conklin [02], Zirphaea (Griffin [9]), kei Cavia Cobaya 
(Lams und Doorme [07)), bei Cerebratulus (Coe [99] und 
Kostanecki [02]). 

Bei den dritten gibt es keine Hinweise für die Existenz des Sperma- 
zentrum. Bei Fasciola hepatica, Zoogonus mirus, Polystomum 


986 A. Nekrassoff: 


bei Cymbulia und ähnlichen anderen Objekten unsichtbar das 
geschieht, was bei Amphioxus und anderen sichtbar vor sich 
geht. So eben denken Boveri und sein Anhänger Kostanecki: 
„Ich glaube“, sagt der letztere (06, S. 407), „dass, bevor wir 
uns entscheiden in einer so fundamentalen Frage einen prinzipiellen 
Unterschied bei verschiedenen Tieren festzustellen, wir jedenfalls 
bei neuen anscheinend abweichenden Befunden vor allem ver- 
pflichtet sind, dieselben mit den Befunden bei anderen Tieren, 
namentlich wenn bei diesen unzweifelhaft festgestellte Tatsachen 
vorliegen, zu vergleichen und zu prüfen, ob die scheinbaren Ab- 
weichungen sich nicht etwa nur als Modifikationen, Variationen 
eines prinzipiell identischen Vorganges herausstellen und ob wir 
sie nicht unter ein allgemein gültiges, ‚einheitliches Gesetz sub- 
sumieren können“. 

Kostanecki hat recht, wenn er sagt, dass die Allmählich- 
keit in den Übergängen zwischen den verschiedenen Typen der 
Befruchtung den Gedanken an einen prinzipiellen Unterschied 
zwischen diesen verschiedenen Typen nicht aufkommen lässt. 
Und in der Tat liegt vom Standpunkt der Anhänger der Permanenz 
des Zentrosoms — des „Organs“ der Teilung — ein tiefgehender 
Unterschied zwischen dem Entstehen der Furchungszentrosomen 
de novo und dem Entstehen derselben aus dem Spermazentrosom. 
Dieser „prinzipielle“ Unterschied schwindet aber. wenn man die 
Hypothese der Permanenz der Zentrosomen ablehnt, ich wies schon 
darauf hin, wie sehr der Glaube an diese Hypothese durch die 
Versuche mit künstlichen Zentrosomen untergraben ist. Wenn 
aber das Zentrosom als temporäres Zentrum angesehen wird, so 
fallen viele Schwierigkeiten fort. Davon werde ich in meiner 
anderen Arbeit ausführlicher sprechen. Hier will ich nur ein 
Schema meiner Auffassung der Befruchtungsprozesse geben. 

sewöhnlich bildet das „Mittelstück“ des Spermatozoon oder 
ein Teil dieses „Mittelstückes“, auf das Eizytoplasma einwirkend, 
in demselben ein Aster, der, wie jedes Astralsystem im Zyto- 
plasma (vgl. die künstlichen Zytaster Wilsons und die Fälle der 


(Schubmann [05l, Goldschmidt [05] und nach dem letzteren 
Kathariner), bei Cymbulia Peronii, bei Mus Musculus 
(Lams und Doorme [07]), bi Theridium (Th. Montgomery [07]). 

Bei den vierten finden wir nur sehr zweifelhafte Hinweise: Limax 
(Byrnes [99], Enteroxenos (Kr. Bonnevie [06)). 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 987 


Verdoppelung der Zentrosomen der zweiten Reifungsspindel), einen 
Amphiaster bilden kann. Ein solches Astralsystem des Sperma- 
tozoon kann ebensogut auch gar nicht auftreten. 


Das Astralsystem der Furchung entwickelt sich entweder 
ganz de novo neben den Kernen, besonders dort, wo die Periode 
des Anquellens lange anhält (Öymbulia), oder aber es nimmt 
an der Entwicklung dieses Systems das schon im Zerfall be- 
gritfene Astralsystem des Spermatozoon teil, genau ebenso, wie 
zur Bildung der Strahlen der zweiten Reifungsspindel die zer- 
fallenden Strahlen der ersten Spindel das Material liefern.!) 
Hierbei können die Zentren des männlichen Systems unmittelbar 
zu Furchungszentren werden. 


Boveri sagt in seinen „Zellenstudien“ VI (07): „Wer an 
günstigen Objekten den Zyklus der Zytozentren von einer Zellen- 
generation zur nächsten Schritt für Schritt zu verfolgen ver- 
mochte, den kann die Tatsache, dass Zentrosomen unter gewissen 
Bedingungen neu entstehen, nicht daran irre machen, dass diese 
Gebilde im typischen Verlauf sich aus schon vorhandenen durch 
Teilung ableiten“. Ich kann sagen, dass ich an einem prächtigen 
zytologischen Objekt, am Ei von Oymbulia Peronii, den Zyklus 
der Zytozentren von einer Zellengeneration zur andern Schritt 


für Schritt verfolgt habe — von der Oozyte der ersten Ordnung 
bis zur Oozyte der zweiten Ordnung — und dass ich sah, dass 


dieser Zyklus (der Entstehung der Zentrosomen der zweiten 
Reifungsspindel) fast vollkommen dem Zyklus der Zytozentren 
>overis entspricht, und eben deshalb, weil er hier so klar 
und vollständig ist, erscheint es mir wunderbar, dass ein so klarer 
und voller Zyklus bei der Bildung der Furchungszentrosomen bei 
derselben Cymbulia Peronii gänzlich fehlt. Wenn das Zentro- 
som wirklich ein selbständiges permanentes Organ mit einem 
beständigen Zyklus wäre, so müsste man eine Wiederholung dieses 


!) Es ist möglich, dass das nämliche System die Zerfallsprodukte der 
Strahlen des weiblichen Systems dort als Material benützt, wo es eine hohe 
Entwicklung erreicht. — Vergleiche folgende Bemerkung von Mead (97): 
„I believe that the rays of the female aster, which were so strongly developed 
in the earlier stages of the reconstitution of the pronucleus, become resolved 
into a cytoplasmie network, which in part may be incorporated into the 
system of rays belonging to the male amphiaster“. 


985 A. Nekrassoff: 


Zyklus bei jeder Zellteilung erwarten, wie dieses z. B. bei den 
zyklischen Verwandlungen der Kerne und Chromosomen stattfindet. 


Zum Schlusse halte ich es für meine Pflicht, aller der 
Personen dankend zu erwähnen, die mir bei der Ausführung 
dieser Arbeit behilflich waren: dem Herrn Professor N. J. Zograff, 
der dieselbe mit stetigem Interesse verfolgte und bei meiner Reise 
ins Ausland bereitwilligst behilflich war: dem Direktor des 
russischen Zoologischen Laboratoriums in Villefranche - sur - mer, 
Herrn Dr. M. M. Davidoff, der meine Arbeiten in ihren ersten 
Anfängen und bei ersten schweren Schritten leitete und mir die 
besten Methoden der Fixierung und des Einbettens empfahl und 
die Redaktion meiner vorläufigen Mitteilung übernahm: dem Herrn 
Direktor des Laboratoriums in Villefranche -sur- mer, Professor 
A. A. Korotneff und dem Herrn Direktor des Zoologischen 
Kabinetts der Universität Messina, Dr. Sanzo, die meiner Arbeit 
stets, ebenso wie mir, aufs liebenswürdigste entgegenkamen und stets 
mit Rat behilflich zu sein bereit waren; Herrn W.D. Lepeschkin, 
der mir in liebenswürdigster Weise die Möglichkeit bot, in seinem 
Laboratorium zu arbeiten und mir oftmals sehr wertvolle Rat- 
schläge erteilte; die Hinweise bezüglich der Methode seitens des 
Herrn Privatdozenten N. K. Koltzoff waren mir ebenfalls von 
grossem Nutzen. Allen den genannten Herren sage ich hiermit 
nochmals meinen aufrichtigen Dank. 


Literaturverzeichnis. 


Bonnevie, Kr, 1905: Das Verhalten des Chromatins in den Keimzellen 
von Enteroxenos Oestergreni. Anat. Anzeiger, Bd. XXVI. 
Derselbe, 1906: Untersuchungen über Keimzellen. Jen. Zeitschr., Bd. XLI. 

Boveri, Th., 1890: Zellenstudien III. Jen. Zeitschr., Bd. XXIV. 

Derselbe, 1901: Zellenstudien IV. Jen. Zeitschr., Bd. XXXV. 

Derselbe, 1902: Das Problem der Befruchtung. Jena. 

Derselbe, 1907: Zellenstudien VI. Die Entwicklung dispermer Seeigeleier. Jena. 

Brauer, 1892: Über das EivonBranchipus grubii von der Bildung 
bis zur Ablage. Abhandl. Akad. Wiss., Berlin. 

Byrnes, E.F. 1899: The Maturation and Fertilization of the Egg of 
Limax. Journal of Morph., XVI. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 989 


Coe, W.R., 1899: The Maturation and Fertilization of the Egg of Cere- 
bratulus. Zool. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ontog., Bd. XII. 

Conklin, E.G., 1902: Karyokinesis and Cytokinesis in the Maturation, 
Fertilization and Oleavage of Crepidula and other Gasteropoda. 
Journ. of the Acad. of Nat. Sc. of Philadelphia, Vol. II. 

Derselbe, 1904: Experiments on the Origin of the Üleavage-centrosomes. 
Univers. of Pennsylvan. Contributions from the Zool. Labor., Vol. XI. 

Drüner, W., 1895: Studien über den Mechanismus der Zellteilung. Jen. 
Zeitschr., Bd. XXIX. 

Fick, R., 1893: Über die Reifung und Befruchtung des Axolotleies. Zeit- 
schrift f. wiss. Zool., Bd. LVI. 

Derselbe, 1905: Betrachtungen über die Chromosomen, ihre Individualität, 
Reduktion und Vererbung. Arch. f. Anat. u. Phys., Suppl.-Bd., An. Abt. 

Fischer, 1899: Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Jena. 

Fischer, M.u.Ostwald, W., 1905: Zur physikalisch-chemischen Theorie 
der Befruchtung. Pflügers Arch. f. d. ges. Physiol., V. 106. 

Fol, H., 1875: Etudes sur le developpement des Mollusques Pteropodes. 
Arch. de Zool. Exper. et Gen., T. IV. 

Foot, K. u. Strobell, E., 1903: The spermacentrosome and aster of 
Allolobophora foetida. Americ. Journ. of Anatomy, Vol. IV. 

Dieselben, 1905: Prophases and Metaphase of the first Maturation spindle of 
Allolobophora foetida. Americ. Journ. of Anatomy, Vol. I. 

Francotte, P., 1898: Recherches sur la maturation, la fecondation et les 
segmentation chez les Polyclades. Arch. de Zool. Exper. et Gen., Vol. VI. 

Gathy. 1900: Contribution & l’&tude du developpement de l’oeuf et de la 
fecondation chez les Annelides (Tubifex rivulorum et Clepsine 
complanata). La Üellule, XVII. 

Giardina, 1901: Origine dell’ovocyte e delle cellule nutriei nel Dytiscus. 
Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Phys, Bd. XVII. 

Derselbe, 1902: Note sul meccanismo delle fecondazione e della devisione 
cellulare studiato prineipalmente in uova di echini. Anat. Anzeiger, 
Bd. XXI. 

Goldschmidt, R., 1902: Untersuchungen über die Eireifung, Befruchtung 
und Zellteilung bei Polystomum integerrimum. Zeitschr. f. wiss. 
Zool., Bd. LXXI. 

Derselbe, 1905: Eireifung, Befruchtung und Embryonalentwickelung des 
Zoogonus mirus. Zool. Jahrb., Bd. XXI. 

Goldschmidt und Popoff, M., 1907: Die Karyokinese der Protozoen 
und der Chromidialapparat der Protozoen und Metazoenzellen. Arch. 
f. Protistenkunde, Bd. VII. 

Gregoire, V., 1905: Les resultats acquis sur les einöses de Maturation 
dans les deux regnes. I. La Cellule, XXI. 

Griffin, B., 1899: Studies on the Maturation, Fertilization and Oleavage 
of Thalassema and Zirphaea. Journ. of Morph., Vol. XV. 

Gurwitsch, A., 1904: Morphologie und Biologie der Zelle. Jena. 


990 A. Nekrassoff: 


Häcker, V., 1907: Die Chromosomen als angenommene Vererbungsträger. 
Ergebn. und Fortschr. der Zoologie, Bd.1, H. 1. 


Hartog, M., 1905: Die Doppelkraft der teilenden Zellen. Biol. Zentralbl., 
Bd. XXV. 

Derselbe, 1904: Des chaines de force et d’un nouveau modele magnetique 
des mitoses cellulaires. Compt. rend. des Seances de l’Acad. des Sc., 
Bd. 138. 

Hertwig, O., 1878: Beiträge zur Kenntnis der Bildung, Befruchtung und 
Teilung des tierischen Eies. Morph. Jahrb., Bd. IV. 

Derselbe, 1885: Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Teilung der 
Zelle. Jen. Zeitschr., Bd. XVIH. 


Hertwig, R., 1899: Über Kernteilung, Richtungskörperbildung und Be- 
fruchtung von Actinosphaerium Eichhorni. Abh. der math.-phys. 
Kl. d. Bayer. Ak. d. Wiss., XIX. 

Derselbe, 1903: Über Korrelation von Zell- und Kerngrösse und ihre Bedeutung 
für die geschlechtliche Differenzierung und die Teilung der Zelle. Biol. 
Zentralbl., XXIH. 

Derselbe, 1908: Über neue Probleme der Zellenlehre. Arch. f. Zellforschung, 
Bd-T, HT. 

v. Janicki, C., 1907: Über die Embryonalentwicklung von Taenia serrata. 
Zeitschr. f. wiss. Zoologie, LXXXVII. 

Jannsens, J. u. Erlington, G., 1903: L’el&ment nucleinien pendant 
les divisions de maturation dans l’oeuf de l’Aplysia punctata. La 
Cellule, XXI. 

Jenkinson, M., 1904: Observations on the Maturation and Fertilization 
of the Egg of the Axolotl. Quart. Journal of Mier. Se., V. XLVII. 

Keuten, J., 1895: Die Kernteilung von Englena viridis. Zeitschr. 
f. wiss. Zool., LX. 

King, H.D., 1901: The Maturation and Fertilization of the Egg of Bufo 
lentigonosus. Journ. of Morph., Vol. XVII. 

Klinekowström, 1897: Beiträge zur Kenntnis der Eireife und Be- 
fruchtung bei Prosteceraeus. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLVIH. 

Korschelt, E., 1895: Über Kernteilung, Eireifung und Befruchtung bei 
Ophryotrocha puerilis. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. LX. 

Kostanecki,K. u. Verzejski, 18%: Über das Verhalten der sogen. 
achromatischen Substanzen im befruchteten Ei. Arch. f. mikr. Anat., 
Bd. XLV1. 

Kostanecki,K.u. Siedlecki, 1897: Über das Verhalten der Zentro- 
somen zum Protoplasma. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLVII. 

Kostanecki, K., 1904: Cytologische Studien an parthenogenetisch sich 
entwickelnden Eiern von Mactra. 

Derselbe, 1906: Über die Herkunft der Teilungszentren der ersten Furchungs- 
spindel im befruchteten Ei. Arch. f. mikr. Anat., Bd. LXVII. 
Derselbe, 1898: Die Befruchtung des Eies von Myzostoma Glabrum. 

Arch. f. mikr. Anat., Bd. LI. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 991 


Lamb, A., 1907: A new Explanation of the Mechanics of Mitosis. The 
Journ. of Exper. Zoology, Vol. V. 

Lams,H. et Doorme, J., 1907: Nouvelles recherches sur la maturation 
et la f&condation de l’oeuf des Mammiferes. Arch. de Biol., XXIII. 

Lefevre, 1907: Artificial Parthenogenesis in Thalassema mellita. 
Journ. of exper. Zool., Vol. IV. 

Lillie, Fr. R., 1900: Organization of the Egg of Unio. Journ. of Morph., 
Vol. XVII. 

Lillie, R., 1905: The Physiology of Cell-Division. The Amer. Journ. of 
Physiology, Vol. XV. 

Lillie, Fr. R., 1906: Observations and Experiments concerning the ele- 
mentary Phenomena of Embryonic development in Chaeptopterus. 
Journ. of exper. Zool., Vol. III. 

Linville, 1900: Maturation and Fertilization in Pulmonate Gasteropoda. 
Bull. of the Mus. of Comp. Zool. of Harw. Coll., XXXV. 


Loeb, J., 1906: Untersuchungen über künstliche Parthenogenese. 


Mac Farland, 1897: Cellulare Studien an Molluskeneiern. Zool. Jahrb., 
Abt. f. An. u. Ontog., X. 

Mead, 1897: The Origin and Behaviour of the Centrosomes in the Annelide 
Egg. Journ. of Morph., XIV. 


Montgomery, Th. 1907: On the Maturation, Mitoses, and Fertilization 
of the Egg of Theridium. Zool. Jahrb., Abt. f. An. u. Ont., XXV. 


Nekrassoff, A., 1903: Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung 
des Eies von Cymbulia Peronii. Anat. Anz., Bd. XXIV. 


Petrunkewitsch, A., 1906: Künstliche Parthenogenese. Zool. Jahrb., 
Supnl. VII. 

Pietet, 1891: Recherches sur la spermatogenese chez quelques Invertebr&s 
de la Mediterrane. Mitt. a. d. Zool. Station Neapel, Bd. X. 

Popoff, M., 1907: Eibildung bei Paludina vivipara und Chromidien 
bei Paludina und Helix. Arch. f. mikr. Anat., Bd. LXX. 

Rawitz, B., 1907: Lehrbuch der mikroskopischen Technik. Leipzig. 

Rhumbler, 1896: Versuch einer mechanischen Erklärung der indirekten 
Zell- und Kernteilung. Arch. f. Entwicklungsmech., Bd. III. 

Derselbe, 1903: Mechanische Erklärung der Ähnlichkeit zwischen magnetischen 
Kraftliniensystemen und Zellteilungsfiguren. Arch. f. Entwicklungmech., 
Ba. XVI. 

Rüzitka, V1., 1906: Der morphologische Metabolismus des lebenden Proto- 
plasmas. Arch. f. Entwicklungsmech., XXI. 

Derselbe, 1907: Struktur und Plasma. Ergebnisse der Anatomie und Ent- 
wicklungsgeschichte, Bd. XVI. 

Schläpfer, 1905: Eine physikalische Erklärung der achromatischen Spindel- 
figur und der Wanderung der Chromatinschleifen bei der indirekten 
Zellteilung. Arch. f. Entwicklungsmech., XIX. 

Schaposchnikoff, B., 1908: Polyzentrische Mitosen bei der Eireifung 
von Acanthodoris pilosa. Anat. Anz., Bd. XXXII. 

Archiv f. mikrosk. Anat. Bd.73. 64 


992 AraNKeikarjansıs oo tf.: 


Schockaert, R., 1902: L’ovogenese chez le Thysanozoon Brocchi. 
La Cellule, T. XX. 

Derselbe, 1905: Fe&condation et Segmentation chez le Thysanozoon 
Brocchi. La Cellule, T.XX. 


Schubmann, W., 1905: Über die Eibildung und Embryonalentwicklung 
von Fasciola hepatica. Zool. Jahrb., XXI. 


Smallwood, W., 1901: The Öentrosome in the Maturation and Fertilization 
of Bulla solitaria. Biol. Bull., Vol. II. 

Derselbe, 1904: The Maturation, Fertilization and early Üleavage of 
Haminea solitaria. Bull. Mus. Comp. Zool. Harv. Coll. Zitiert 
nach einem Referat im Zool. Zentr. 1905. 

Derselbe, 1905: Some Öbservations on the Chromosome-Vesicles in the 
Maturation of Nudibranchs. Morph. Jahrb., XXXII. 


Sobotta, J., 1895: Die Befruchtung und Furchung des Eies der Maus. 
Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLV. 

Derselbe, 1897: Die Reifung und Befruchtung des Eies von Amphioxus 
lanceolatus. Arch. f. mikr. An., Bd. L. 

Soulier, A., 1906: La fecondation chez la Serpule. Arch. de Zool. Exp. 
et Gen., T. V, No. 3. 

Steuer, A., 1903: Über eine Euglenoide (Eutreptia) aus dem Canale 
Grande von Triest. Arch. f. Protistenk., Bd. III. 
Struckmann, Chr., 1905: Eibildung, Samenbildung und Befruchtung von 
Strongylus plaria. Zool. Jahrb., Abt. f. An. u. Ont,, XXVI. 
Teichmann, E. 1903: Über die Beziehung zwischen Astrosphären und 
Furchen. Arch. f. Entwicklungsmech., XVI. 

Van der Stricht, 1898: La formation de deux globules polaires et 
l’apparition des spermocentres dans l’oeuf de Thysanozoon brocchi. 
Arch. de Biol., XV. 

Vejdovsky, F., 1907: Neue Untersuchungen über die Reifung und Be- 
fruchtung. Prag. 

Derselbe und Mrazek, 1903: Umbildung des Cytoplasma während der Be- 
fruchtung und Zellteilung. Arch. f. mikr. Anat., XLH. 

Wassiljeff, 1902: Über künstliche Parthenogenesis des Seeigeleies. 
Biol. Zentralbl. 

Wheeler, 1897: The Maturation, Fecundation and early Cleavage of 
Mysostoma glabrum. Arch. de Biol., Vol. XV. 

Wilson and Mathews, 1895: Maturation, Fertilization and Polarity in 
the Echinoderm Egg. Journ. of Morphol., X. 

Wilson, E., 1900: The Cell in Development and Inheritance. 

Derselbe, 1901: Experimental Studien in Cytology I. Arch. f. Entwicklungs- 
mech., Bd. XH. 

Derselbe, 1902: Experimental Studien in Cytology II. Arch. f. Entwicklungs- 
mech., Bd. XIII. 

Derselbe, 1904: Cytasters and Üentrosomes in artificial Parthenogenesis. 
Zool. Anz., XXVI. 


Das Ei von Cymbulia Peronii. 993 


Wulfert, 1902: Die Embryonalentwicklung von Gonothyrea eoveni. 
Zeitschr. f. wiss. Zool., LXXI. 

Yatsu, N, 1905: The Formation of Üentrosomes in enucleated Egg- 
fragments. The Journ. of Exper. Zool., Vol. II. 

Ziegler, H. E., 1898: Experimentelle Studien über die Zellteilung. Arch. 
f. Entwicklungsmech., VI. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXV-XXXIX. 


Alle Zeichnungen wurden mit Hilfe des Zeichenapparates angefertigt 
und der bequemeren Vergleichung wegen zuerst nur mit zwei Vergrösserungen: 
a) bei einer 1050 maligen (Zeiss-Objekt. homog. Immers. 2 mm, Apert. 1,30, 
Okular VIII) und b) bei einer 2000 maligen (Zeiss-Objekt. homog. Immers. 
2 mm, Apert. 1,50, Okular XVIII). Leider sind mehrere Zeichnungen auf 
den Tafeln verkleinert. Deshalb ist es nötig bei der Vergleichung der Grösse 
der Spindeln und Kerne die Aufmerksamkeit auf die Bezeichnung der Ver- 
grösserung zu richten. 

Fig. 1. Freies Spermatozoon. x 2000. 

Fig. 2. Frühe Prophase der ersten Reifungsspindel. Eine aus drei auf- 
einanderfolgenden Schnitten komplizierte Zeichnung. Zwei Zentro- 
somen in den Unterbrechungszentren der Eimembran: ein Klareres 
oben, ein zweites unten. Nukleolus in der rechten Kernhälfte. 
Unter dem Kern unten ein Abschnitt des Spermakopfes.. x 790. 

Fig. 3. Spermatozoon im Innern des Eies (frühe Prophase der ersten 
Reifungsspindel. x 2000. 

Fig. 4. Späte Prophase. Eine aus zwei aufeinanderfolgenden Schnitten 

kombinierte Zeichnung. Links von der Spindel der Abschnitt eines 

Spermakopfs.° x 790. 

„Ungewöhnliche* Chromosomen der Prophase. x 2000. 

Fig. 6. Späte Prophase. Eine aus zwei aufeinanderfolgenden Schnitten 

kombinierte Zeichnung. Rechts von der Spindel der Durchschnitt 

eines Spermakopfs mit von ihm ausgehendem Schwanzanfang. 

a el 

Metaphase. Schnitt. Unten Schnitt durch einen Spermakopf mit 

von ihm ausgehendem Schwanz. Rechts von der Äquatorialscheibe 

der Nukleolus. x 7%. 

Fig. 8. Metaphase. Schnitt x 1540. 

Fig. 9. Chromosomen der Metaphase. Aus einem dem vorhergehenden 
benachbarten Schnitte. x 2000. 

Fig. 10. Frühe Anaphase. Schnitt X 1340. 

Fig. 11. Anaphase. Aus zwei aufeinanderfolgenden Schnitten kombinierte 
Zeichnung. x 1600. 

Fig. 12. Späte Anaphase. Schnitt x 2000. 

Fig. 13. Telophase. Schnitt x 2000. 


> 
bi 


Fig. 


=] 


64* 


A. Nekrassoff: Das Ei von Cymbulia Peronii. 


. 14. Telophase. Auseinandertreten der Zentriolen. Schnitt X 2000. 
o. 15. Auseinandertreten der Zentrosomen der zweiten Reifungsspindel. 


Schnitt x 2000. 


. 16. Auseinandertreten der Zentrosomen der zweiten Reifungsspindel 


Der Schnitt ist schräg zur Eiachse geführt. x 2000. 


17. Die Chromosomen der Prophase der zweiten Reifungsspindel. Schnitt 


x 2000. 


. 18. Späte Prophase der zweiten Reifungsspindel. Schnitt x 2000. 


.19 u. 20. Metaphase „ 5 % > „ 1500. 
-21. Auseinandertreten der Chromosomen der zweiten Spindel. Schnitt 


x 1630. 


. 22 u.23. Anaphase der zweiten Reifungsspindel. Schnitte X 1590 u.x 2000. 
‚24. Anquellen des Spermakopfs. Schnitt X 1500. 

.25. Späte Anaphase der zweiten Reifungsspindel. Schnitt x 2000. 

. 26. Schnitt durch einen Teil des Schwanzes eines Spermatozoon. x 2000. 
. 27. Telophase der zweiten Reifungsspindel. Eine aus zwei aufeinander- 


folgenden Schnitten kombinierte Zeichnung. Unten der Querschnitt 
eines Spermakopfes und rechts ein Abschnitt des Schwanzes. x 1050. 


. 28. Beginn der Teilung des ersten Richtungskörperchens. Schnitt x 2000. 
o. 29. Anquellen der weiblichen Chromosomen und des Spermatozoon. 


Aus drei aufeinanderfolgenden Schnitten kombinierte Zeichnung. 
Rechts ein Abschnitt des Schwanzes. x 1050. 


30. Weiteres Anquellen und Annäherung der Geschlechtskerne. Schnitt 


x IR. 


31-35. Verschiedene Stadien des Anquellens der weiblichen Chromo- 


somen. Schnitt x 2000. 


36. Zu frühe Annäherung des Spermakerns und Bläschen der weiblichen 


Chromosomen. Schnitt x 2000. 


ice. 37 u. 38. Annäherung des männlichen und weiblichen Kernes. Der 


weibliche Kern befindet sich oben, der männliche unten. Erlöschen 
des weiblichen Zentrosoms. Schnitte X 1510 und x 2000. 


. 39. Anquellen des weiblichen Kerns. Schnitt x 2000. 
40 u. 41, Stadium des Wachstums und der inneren Differenzierung der 


Kerne. Schnitte x 2000 und x 1050. 


. 42, Stadium der Differenzierung der Geschlechtskerne. Schnitt x 2000. 
. 43 u. 44. 7Zwischenkörper. Schnitt x 2000. 
g. 45. Auftreten der Furchungszentrosomen. Eine aus zwei aufeinander- 


folgenden Schnitten kombinierte Zeichnung. X 2000. 
46. Bildung der ersten Furchungsspindel. Aus zwei aufeinanderfolgenden 
Schnitten kombinierte Zeichnung. X 2000. 


ig. 47. Metaphase der ersten Furchungsspindel. Schnitt x 770. 

io. 48. Frühe Anaphase der ersten Furchungsspindel. Schnitt x 2000. 
io. 49 u. 50. Chromatinknäuel der ersten Furchungsspindel. Schnitt X 2000. 
ic. 51. Chromosomen der ersten ‚Furchungsspindel. Schnitt X 2000. 

. 52, 53 u. 54. Chromatin in den Richtungskörperchen. x 2000. 


Archiv Emikroskop Anatomie Ba.LXNI. 


\ - Thym 
Thym 
Thym--\ 


Thym- 


Acc 


Archiv Kmikroskop. Anatomie Ba.LXNIN. 
Taf. 


N 
} 
| 


31 


bi 


Archiv £ mikroskop. Anatomie Ba.ENNXLL. 


IS: Ip: 
ET ws SE 
ES S BER: 
ba 


ES 


(3) 
DER 
DZ a ©) 
EN t 
eo AL 


Ars, 


x Se Dat 
DD 


Archiv Emikroskop. Anatomie. Ba. XXI, 


Werner sWinten Franke vÄl. 


Archiv Kmikroskop. Anatomie. BA.LXXI. 
n— x 


Taf v. 


"mn. 


Arch Fmikroskop. Anatomie BA.LXNM. 


Taf v1. 


27 28 s 29 


2 


© 10 
En 


Di 


Sinsel & 00. G. m. b.H. Leipzig-Oetzsch. 
Wera Dantschakoff. 


Archiv f.mikroskop. Anatomie. Bd.LXXHl. 


Wera Dentschakoff. Sinsel & Co. G. m.b.H. Leipzig-Oetzach. 


N TRIERER N NS ER 
r oe Re 


Er 
{ 
. 
2 
S 
4 
, A: 
“ y 
» 
> 
. 3 
m, 
. 
I 
L 


is — | u a Zus 1 


Taf ıx. 
MK 
1 
| 


„AS 


GBR 
7 BR 


13 


BK 


Na 


AT 


Archär Emikroskop. Anatomie. Ba.LXNIN. 


ww 


Archiv Kmikroskop. Anatomie. Ba. IX. 


Werner aWinter Frankfurt Ya 


En 


Taf. 


| u 
ERBE 
| > a | a 
a x 
Ks 
NS 


10 


Archiv £mikroskop. Anatomie. BALNXI. 


irt 


z Frankfü 


& Winter, 


Werner & 


. 


- 
Bi ZU 2 u ln Te TE Zn Zn U nn Br a m Bd nn in u - ” u 


/ 


TafExn. 


Archiv Emikroskop. Anatomie. Bd LXXM. 


16 


(ex 

m 
lrtt rt Hr 
I, UWE 
HONBHNRAUSSEN 
Y IR 

S 

N 

m 


en er he ee 


d 


Sue ges sun ser eine 


nr 


[Beate uf gen u 4 Jan per Sa rede er — le et 


b 


s JeIeTersIsSsz2igl 


Qu EBEN E3] EaiEIIE A) a] 57 
Sa 
: Ba wW mama 


20 


b 


A 


2 
l “ 
R ——; 
“> 
. 
un 1 
j 
, 
! 7 „< 
“ « 
ı . A 
“ w 
’ — . 
D >. En - 
SH: 
- w 
ie 
r a 
) Bi 
BIT hen 


Archiv Emikroskop. Anatomie. BaINXUr. 


Tax. 


sr 


Eee ee ec Denn 


De u 2a en 7 a wu > 


2 ed 
/ 
b 
} 
} 
> 
4 
En 


a 
Taf XIV. 


Archiv Emikroskop Anatomie. Ba. MU. 


r 


w ww. 02 Zu Banana aa ı 


Archiv Kmikroskop. Anatomie. BALNX. 


r— 


| 
| 


Kaud 


Taf XV. 


| 


Kaud\ 
| 
| 
| 
| 


, 
% 
i 
| . 
} 
} 
TE TOR, 
u N 
COLEtErt?r = 
Sul nr 
{8 HD 2 N 
dur br BiK 
ie . .% “ 
N 
{ \ r My Ye) 
Mer Ri 
u (x » ‚& 
{ u] ı% 
en, N ’ 
WOLLT, 
EL 


RR 


EOuneeet 


Archiv f. mikroskop. Anatomie. 


LXXM. 


NIT Ih Ä 
E N, Q, am 


n2 20. Trymus Q.o2gm 
Inanit. 2 IE 


N® 22. Trumus |,+ am 
Nutrit, Y— Ya 


.Nel6 Trymus Aıgm f 
 Kontrall, Ei 


1 
N® 18. mus O.oY mn 
Inn 


# 
N? 21. Thumus 0,07 am 
Inamıt, Bl, A 
Nutrit '%, = Ye 


> 


NE 29. Thymus a 
manıt: np u 
Nutrit .%- % Je 


Lichtdruck von Sinsel & Co., G. m. b. H., Oetzsch-Leipzig. 


Chromodruck Sinsel & Co., G. m. b. H., Leipzig - Oetzsch, 


TakXWHr. 


nn 


Arnlı 
f 


pen 


ımız 


iz Mir 


pEız 


Mz' S 


4 


% 


Taß.NıX. 


VI. 


Irchiv Emikroskop. Inatomwe. Be.LN 


16 


linz 


Salz 


Nlz. 


17 


iz 


Mz 


Wz—- 


AZ 


Mz 


Ylz 


Mz 


Archiv Emikroskop, Anatomie. bd.LXNXIH. 


Tuf XX. 


lb 


op! 


nn, 


YA. 


= 
« 


Archiv Fmikroskop. Anatomie. ba LX 


Taf xx. 


Br 


ec, 
5 


z 


«Winter Frankfurt "DI 


F 
| f 
, 


y 
\ 
} 2 ee 
{ x N 
+ 5 
2 
2 e; 
{ 
x 
429322 
SUIRZ« 
or IE, x 
u BEN 
.} \ „ ik 
1a uns 1 { 
r % ; j 
% \ A R f n 
t. I) > 
EDER { } 
BAER N 5 on . Fu 2 


Archiv £ mikroskop. Anatomie. bd.LXXIM. 


Werner k Winter Frankfure®M. 


Archiv Emikroskop. lnatomie. BALNXU 
2 2 BE i ö h Taf XXI. 


‚Imehiv Amikroskop. Anatomie. BANN. 


Tuf.XXD 


Ä 


Archiv Emikroskop. Anatomie. bBA.LXNT. 
2 & Ar Tal XXV 


r 


- . 


3 
E. | | 


a 
> 


Are 4 


“ * 
Be, 
ie - F 
ei" \ Y 
5 an = 
Pr; x 
us . v 
5 N x 
Wi ; * 
y ’ 
Es 
. . 
“ 
‘ 
# 
D 
. 
' . [4 “ 
ku | ’ 
‘ - 
‘ 
Se \ 
| “ 
3 * 
. 
7 
v 
! J 
2 g L ” 
5 2 
" 
s 
. 
3 D | i un 
i x j N 
r 4 le 
v 
R X — 
» nn 7 Mh 
2 ” N - v 
h . . “ 1 Dr er 
w . r u . wir r 
7 Y 2 * = —r uno 
f' . Cake nn > 
v Tr « 
a, ’ ae > = . 0 
br ie ,. x u P wz 
en u = = ‘ Rn [ DENN —e% 


Gay 52 
ne u ee 


Archiv £mikroskop. Anatomie. Ba.LXXIN. 
TaEXXT. 


Werner «Winter, Frankfurt® 


j 1 PAR a Un 
£ Rs 7 m Al 
Eu 8 # Te ION; 
Er U In 
ar Ir 
h i 


al 


Archiv Knukroskop. Anatomie. ba.uAXM. \ a: Taf xxv. 


(5 Monate; 2,70. 9) 


[2 Wochen; 0.529.) 


[8 Monate; 0.98 g.] 


[5 Wochen; 100.9.) 


BD 
X 1270989.) 


Taf XXV. 


chiv Emikroskop, Anatomie. BaIXMU. 


1, 
uU 


i Ian! AU 
DI NRTAV EL) une hi)ıla 
.„.-„...—. a,0+0.00 um 


re CEST N th PIYE IT a ggaanla ie 


Ailaenıenn rar AU. pie 
Ban ltmnge, al 


a geneetttetetetttl 


> Ss MRUNMULUNUAUTUUN 


Es ANBHAUSSRAUHCHRN UNE IN 


SD uowonpssguynannsen 
DEE HER ETSENEHTERRRN 


= 0 0 at 0 480 rn 
“ 50000 


aeIeNtAINR| it 


.) 


= mM 


EN ER TER ERe 2 Fr a re | 


DD THTTTEDTEIELETLETTARTTTETTRELHNLONERN 


- 
.-.. .# “= mm me. 


van h tt ges des Hassan 


DS 


NIX. 


P 


Taf x 


Archiv Kmukroskon. Anatomie. Ba. EXNT. 


... un 
Se, N 

= 
2 


Er 


p? Ri F Bj 2 a 


Ircnv Kmikroskon. Anatomie. Ba.LXXN. u. Tat. XXX. 
fr 14 
r 


| 


“ 
rn 
# 


TarXxxı. 


Irchiv Emuikroskon. Anatomie BaA.LNNT. 


| b 


Archiv Emikroskon. Anatomie. Ba.LAN. 


be 


2. 
PN 


„ R 
ME; 
oe 


I } 


‚Irchiv Emikroskop. Anatomie. baALXNIT. N TukXEx, 


I 
N 


Werner «hinter Frankfurt "iS. 


| 


Tu 


Dias ned a Be ı 


EEE RE ER WERTE A 


E53: 


N Er 


BED Ti 


Archiv Emikroskon. Anatomie. BALXNT. 


en 2 
REHL 


29, 
and 


Pr ie e “ ' 3 . ” 
R j; { 6 S ‘ \ IN» 24 
en a N 
ö X Br ' 2 
SE CE ..; 
ar, 


TOR AN XIV. 


] 


r 


Tar XXX 


‚Irchiv Kmikroskon. »natomie. BA.LXNN. 


rn Sa “ = Br; El Sn En 2 3 cu Zn Ze ı EEE a A en € 


k BG £ 
BI 
| / 
I 
» i - 
Rs a { 
4 
N h & 
Y ; ” j 
R E23 
’ 
nr Sr 
; \ 
. 
Le c x . 5 er 


PEN „ Y - 
Sen \ 
{ zZ 
f { 
ı r . P N 
N 4 ” 
A » 7 
Fi £ 4 
5 
; N, 


- 


ZzE.2 


NAVI. 


Tal 


Archiv Emikroskon. Anatomie. BA.LKXNIT. 


BE, „2 “ u 


SEES 


“ 


ig . 
= \ 
1 
pr 
} 
f] 0 
J} 
Fi 
x - I B 
« 1 
* = 5 
Een 
r# DEI n - 
oz Ber L L 2 
An Da =, so = 
= Sl: N) 
EL nee 

SENAT une er 

- u un 
as = > un 


Archiv Emikroskon. Anatomie. BALXNIT. 


Es n 
Dee un 


DC WER 2 ee 
2,” y a n 


I 


“ 


Archiv Emuikroskop. Anatomie. BANN. . = 
3 = e Rt Be . 2 ae 3 x I h > Taf: XXXV. 


_——— 


ES 


r 
* 
* 
* 
. 
. 
D 
- 
- 
r 
» 
‘ 
. x 
j 4 
. 7 Y 
x u 
E 
— 


4 
4 * m ‚Ss } 
= 7 URS Na 
Ber. N\ 78 \ 
e % Ey Be SI, 
© DZ 


OD 


1792794439 


1 x 
+ * “ 
Ge 
j 
Bi 
ji 
| IR. 
Ri N >; 
v 


” 


ww 


eo bs 
en 
BE TERRE 


TE 
IE 


. Im > ne es 
> a We Fe 
> 


en Ah 
A 


\ 
Ne 
Erg 


HukeN "a ir 
rain, 
En